Versöhnendes Handeln - Handeln in Versöhnung: Gottes Opfer an die Menschen 9783666563355, 3525563353, 9783525563359

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Versöhnendes Handeln - Handeln in Versöhnung: Gottes Opfer an die Menschen
 9783666563355, 3525563353, 9783525563359

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Forschungen zur systematischen und ×kumenische Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz

Band 107

Vandenhoeck & Ruprecht

Markus MÛhling

Vers×hnendes Handeln – Handeln in Vers×hnung Gottes Opfer an die Menschen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ûber abrufbar. ISBN 3-525-56335-3

Gedruckt mit der UnterstÛtzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

’ 2005 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, G×ttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschÛtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÅllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dÛrfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages ×ffentlich zugÅnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fÛr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Hubert & Co., G×ttingen Gedruckt auf alterungsbestÅndigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.1 „Vers×hnung“ – KlÅrungsbedÛrftiges Zentrum des christlichen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.2 Die Problematik von „Vers×hnung“ und „Vers×hnungslehre“ und der Aufriß der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Historische und analytische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Soteriologische Typologien des Zurechtbringungsvorgangs . . . . . . 2.1.1 Aulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Ritschl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 KÅhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 GÛnther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 McLeod Campbell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Dale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7 Konzeptionelle Fragen zur Erfassung des Problembestandes

18 19 21 24 28 30 33 37

2.2 Vers×hnung in der deutschsprachigen lutherischen Theologie des 19. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2.1 Die Zurechtbringungslehre Albrecht Ritschls . . . . . . . . . . . . . 48 2.2.2 Die Zurechtbringungslehre Martin KÅhlers . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.3 Die Zurechtbringungslehren Ritschls und KÅhlers im kritschen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2.3 Vers×hnung in der deutschsprachigen r×m.-kath. Theologie des 19. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2.3.1 Die Zurechtbringungslehre Anton GÛnthers . . . . . . . . . . . . . . 128 2.3.2 Die Zurechtbringungslehre Matthias Joseph Scheebens . . . . 151 2.4 Vers×hnung in der englischsprachigen reformierten Theologie des 19. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2.4.1 Die Zurechtbringungslehre Thomas Erskines of Linlathen 183 2.4.2 Die Zurechtbringungslehre John McLeod Campbells . . . . . . 229

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Inhalt

2.4.3 McLeod Campbell und Erskine of Linlathen im kritischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2.4.4 Die Zurechtbringungslehre Robert William Dales . . . . . . . . . 254 2.5 Vergleich der Soteriologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Vergleich der Gottes-, Menschen- und SÛndenverstÅndnisse als Voraussetzungen der Zurechtbringung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Vergleich der Zurechtbringung in Jesus Christus . . . . . . . . . . 2.5.3 Vergleich der Folgen der Zurechtbringung einschließlich deren ethischer Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 286 287 289

3. Systematische Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3.1 Die HintergrÛnde der Zurechtbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Das GottesverstÅndnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Gottes kosmische, soziale und personale Sch×pfung als Regel der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 SÛnde als Regelverletzung der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe in Aberglaube, Funktionalisierung und Pseudopersonalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Vers×hnendes Handeln – Die Zurechtbringung der Welt in Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Der Sohn (logos ) als zweite Person der TrinitÅt als Handlungssubjekt der Zurechtbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Das Zurechtbringungshandeln Jesu Christi als Selbsthingabe des Sohnes an die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Auferweckung als Selbsthingabe des Geistes an die Welt 3.2.4 Folgen des Zurechtbringungshandelns fÛr Gott . . . . . . . . . . . 3.2.5 Folgen des Zurechtbringungshandelns fÛr den Menschen . . 3.2.6 Das VerhÅltnis der Metapher der Hingabe bzw. des Opfers zu anderen Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 293 305 316 323 324 325 333 334 336 345

3.3 Handeln in Vers×hnung – Ethische Implikationen der Zurechtbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3.3.1 Personalethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3.3.2 Sozialethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Vergleichstabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

Vorwort Die Vers×hnung in Jesus Christus, die Frage, auf welche Weise Leben, Tod und Auferstehung Jesu Heilsbedeutung haben, stellt das Zentrum des christlichen Glaubens in einem strengen Sinn dar. Der christliche Glaube kann im Modell eines dreidimensionalen Koordinatensystems strukturiert werden. Dieses weist drei Achsen auf, in Beziehung zu denen alles, was im christlichen Glauben gesagt wird, verordnet werden kann. Die erste Achse bildet die TrinitÅtslehre als Ausdruck des christlichen GottesverstÅndnisses. Die zweite Achse bildet das christliche WeltverstÅndnis in seinem Beziehungsreichtum. Die dritte Achse schließlich bildet die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade, bzw. die Lehre von der Sch×pfung ohne welthafte Voraussetzungen. Sie beschreibt, wie Gott und Welt aufeinander im Handeln Gottes bezogen sind. Die Vers×hnung im Kreuz Christi bildet den Schnittpunkt und damit das Zentrum des christlichen Glaubens, aus dem alle anderen Dimensionen freigesetzt werden. Das VerstÅndnis der Vers×hnung hat im Unterschied zu anderen christlichen Lehren keine dogmatische Festsetzung erfahren. Dies bot die M×glichkeiten, das Faktum der Vers×hnung in immer wieder neuen Modellen verstehen zu k×nnen. Will man ein tragfÅhiges VerstÅndnis von Vers×hnung fÛr die Gegenwart entwerfen, wird man sich vor allem dem 19. Jahrhundert zuwenden mÛssen. Denn die Frage nach der Heilsbedeutung wird im 19. Jahrhundert in allen Konfessionen in einer Tiefe diskutiert, wie es kaum vorher oder nachher wieder geschieht. Der Frage, wie dieses Zentrum des christlichen Glaubens zu verstehen ist, wendet sich dieses Buch zu. Die vorliegende Untersuchung wurde in einer erweiterten Fassung im Februar 2004 von der theologischen FakultÅt der Ruperto-Carola Heidelberg als Habilitationsschrift angenommen. Gedankt sei daher in vielfacher Hinsicht an erster Stelle dem Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Christoph Schw×bel. Herrn Prof. Dr. Dr. Michael Welker sei fÛr das Zweitgutachten gedankt sowie all jenen, die am Habilitationsverfahren beteiligt waren. Dank sei ferner den Reihenherausgebern und der Redaktion des Verlages fÛr deren kompetente Betreuung bei der Drucklegung abgestattet. Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft fÛr die ºbernahme der Finanzierung der Drucklegung. In diesem Zusammenhang sei auch der Badischen Landeskirche gedankt, fÛr ihre Bereitschaft, dieses Forschungsprojekt zu unterstÛtzen. In besonderer Weise gilt mein Dank auch all jenen, die sich an der Diskussion in der einen oder anderen Weise beteiligt haben. Namentlich sei

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Vorwort

hier gedankt Herrn Dr. Stefan Volkmann, Frau Vikarin Kerstin Pohl und Frau Dr. Christine Stark. Frau stud.-theol. Christina Drobe, Frau stud.theol. Anne BÅrbel Ruf und Herrn stud.-theol. S×ren Suchomsky bin ich fÛr Korrekturarbeiten zum Dank verpflichtet. In jeder der genannten Hinsichten, der fachlichen Diskussion genauso wie intensiver Korrekturarbeiten, schulde ich Dank ganz pauschal Herrn Vikar Helge Benjamin Scholz. Gewidmet sei dieses Buch meinen Eltern, Hans und Marianne MÛhling. Heidelberg, im MÅrz 2005

Markus MÛhling

1. Einleitung Die vorliegende Untersuchung trÅgt den Titel „Vers×hnendes Handeln – Handeln in Vers×hnung“. Der Aspekt des „vers×hnenden Handelns“ beschÅftigt sich mit der Frage, auf welche Weise in Jesus Christus die Welt mit Gott vers×hnt ist. Der Aspekt des „Handelns in Vers×hnung“ beschÅftigt sich mit der Frage, ob und auf welche Weise sich daraus ethische Implikationen fÛr das Handeln von Christen ergeben im Sinne einer HandlungsbefÅhigung. Die Untersuchung beginnt in dieser Einleitung mit Beispielen, die zeigen, daß der Vers×hnungsbegriff in unterschiedlichsten Kontexten nicht nur hochaktuell, sondern auch klÅrungsbedÛrftig ist, und erlÅutert den Aufriß der Untersuchung und die Auswahl der zu besprechenden Positionen. Dabei zeigt sich, daß sich fÛr die gegenwÅrtige KlÅrung des Vers×hnungsbegriffs in besonderem Maße als fruchtbringend die Diskussionen des 19. Jh. herausstellen, die zwar im deutschsprachigen protestantischen Kontext, im deutschsprachigen r×m.-kath. Kontext und im englischsprachigen protestantischen Kontext je getrennt gefÛhrt wurden, und kaum aufeinander bezogen worden sind. Im zweiten Teil, dem Hauptteil der Untersuchung werden neben einer einfÛhrenden Aufstellung von Klassifikationsschemata zur Vers×hnungslehre die historisch-analytisch zu untersuchenden Konzeptionen selbst vorgestellt. Es handelt sich dabei um die Vers×hnungsverstÅndnisse von Albrecht Ritschl, Martin KÅhler, Anton GÛnther, Matthias Joseph Scheeben, Thomas Erskine of Linlathen, John McLeod Campbell und Robert Dale. Dieser Hauptteil der Untersuchung mÛndet in einen konzeptionellen Vergleich der vorgestellten VerstÅndnisse von „Vers×hnung“ hinsichtlich ihres systematischen Gehalts. In einem dritten Teil werden systematisch-synthetisch die Ergebnisse des zweiten Teils auf die gegenwÅrtige Debatte um die Soteriologie angewandt und ein Vorschlag fÛr eine kohÅrentes, den Sachverhalten angemessenes VerstÅndnis der Heilsbedeutung Christi und deren ethischer Implikationen zur Diskussion vorgestellt.

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Einleitung

1.1 „Vers×hnung“ – KlÅrungsbedÛrftiges Zentrum des christlichen Glaubens Der Vers×hnungsbegriff erfreut sich großer Beliebtheit, erweist sich aber dennoch als klÅrungsbedÛrftig. Auf diese Weise lÅßt sich die Eingangsthese dieser Arbeit formulieren. Um dies zu belegen, seien im folgenden Beispiele der Verwendung von „Vers×hnung“ in unterschiedlichen Kontexten genannt und analysiert, warum es sich dabei um Verwendungen handelt, die eine systematisch-theologische KlÅrung des Vers×hnungsverstÅndnisses in Werk und Person Christi sowie deren ethischer Implikationen dringend wÛnschenswert erscheinen lassen. Als erster Kontext sei dabei der in den theologischen Wissenschaften gefÛhrte Streit um das VerstÅndnis der Heilsbedeutung Christi genannt, der seit dem letzten Viertel des 20. Jh. zunÅchst die exegetischen Wissenschaften und daraufhin auch die systematische Theologie beschÅftigte und beschÅftigt. Einerseits betonen TÛbinger Exegeten, daß der Vers×hnungsbegriff konstitutiv mit dem Begriff des kultischen SÛhnopfers verbunden ist.1 Andererseits wird gerade der konstitutive Zusammenhang des Vers×hnungsgedankens und damit die soteriologische Deutung des Todes Jesu mit dem Gedanken des kultischen Opfers bestritten.2 Im exegetischen Bereich nahm im folgenden der Streit an SchÅrfe zu, was nicht unbedingt zu dessen KlÅrung beitragen konnte, zumal z. T. die zu bearbeitenden Probleme auch fehlidentifiziert wurden und es zu einer Reihe von MißverstÅndnissen kam.3 Der Streit weitete sich auf eine ganze Reihe von weiteren Exegeten aus, konnte aber nicht abschließend geklÅrt werden. Statt dessen geschah etwas anderes: Die systematisch-theologische Reflexion nahm sich des Streites verschiedentlich an. Christoph Schw×bel wies, ohne den Streit um die TÛbinger Soteriologie explizit zu nennen, auf die konstitutive Bezogenheit zwischen exegetischen Disziplinen und systematischer Theologie hin, durch deren praktizierte AusÛbung „nicht weniger auf dem Spiel [steht] als die IdentitÅt christlicher Theologie selber. Wird diese Wechselbeziehung nicht offengelegt, dann kann es leicht dazu kommen, daß in der Diskussion exegetischer Probleme dogmatische Fragen eine große Rolle spielen, die als solche wegen der methodischen SelbstbeschrÅnkung der Exegese nicht er×rtert werden, oder daß in der Er×rterung von Lehrfragen exegetische Fragen dogmatisch mitentschieden werden, ohne daß diese Entscheidung an der Schriftauslegung ÛberprÛft wÛrde“.4 Mit einer Åhnlichen Intention gelang Ingolf Ulrich Dalferth eine grundlegende

1 Vgl. Hofius, ErwÅgungen zu Gestalt und Herkunft; ders., SÛhne und Vers×hnung, bes. 33–41; Hengel, Atonement; Stuhlmacher, Vers×hnung in Christus, 48; ders., Biblische Theologie; Gese, SÛhne, 90–104. 2 Vgl. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, 42; KÅsemann, Vers×hnungslehre; Friedrich, VerkÛndigung des Todes Jesu, 98–100; Breytenbach, Vers×hnung, 220 f. 3 Vgl. Stuhlmacher, SÛhne oder Vers×hnung; ders., Breytenbachs Sicht von SÛhne und Vers×hnung; Hofius, Rez. zu Breytenbach; ders., 2 Kor 5,19a und das Imperfekt; Breytenbach, Abgeschlossenes Imperfekt. 4 Schw×bel, Gott in Beziehung, 325.

„Vers×hnung“

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Revision der mit dem Streit verbundenen Probleme, die dann durch sorgfÅltige biblische und dogmatische ºberlegungen dahingehend gel×st wurden, die Tatsache des eschatologischen Heilsereignisses in Tod und Auferstehung Christi gegenÛber allen Interpretationen vorgÅngig zu verstehen. Dalferths Ergebnis besagt in KÛrze, daß die Opfer- und SÛhnemetaphorik eine neben vielen Metaphern sei, der ein exklusives Recht schwer zuzubilligen sei. Verwende man sie, mÛsse beachtet werden, daß die kultische SÛhnopfervorstellung, wenn sie korrekt nach der trinitarischen Grammatik des christlichen Glaubens und gemÅß dem Faktum des Heilsereignisses in der Person Christi betrachtet wird, stark durchbrochen sei und der Opferbegriff so einen neuen Sinn erhalte.5 FÛr unsere Zwecke ist hier festzuhalten: Die Art und Weise, wie Vers×hnung zu denken ist, ist, selbst auf die biblischen Grundlagen bezogen, hoch umstritten. Als zweiter Kontext ist ein ×ffentlich gefÛhrter Streit zu nennen. In der Karfreitagsausgabe 1999 der Neuen ZÛrcher Zeitung erschien ein Artikel der r×m.-kath. Theologin Regula Strobel mit dem Titel „Gekreuzigt fÛr uns – zum Heil der Welt? Die christliche Opfertheologie und ihre unheilsamen Folgen“.6 Hier wird die These vertreten, daß ein VerstÅndnis des Kreuzestodes Christi als Opfer in der Tat ethische Konsequenzen hat, nicht allein fÛr Christen, sondern auch fÛr Nichtchristen. Diese ethischen Konsequenzen bestÛnden darin, daß zwischen der Interpretation des Opfertodes Christi als Heilsereignis und weltlichen PhÅnomenen wie Kindesmißbrauch und wirtschaftlicher Ausbeutung ein gemeinsamer Mechanismus der Verzweckung zu Grunde liege und daher vom Heil im Christentum anders zu reden sei. Dem trat Ingolf U. Dalferth seinerseits mit einem Artikel entgegen, der nun das Opfer gerade als „GlÛcksfall des Lebens“7 beschreibt. Dalferth weist darauf hin, daß es sich bei Strobels OpferverstÅndnis um einen Opferbegriff handele, der nicht dem christlichen Opferbegriff, der vom Begriff der freiwilligen Hingabe aus zu deuten sei, entspreche und insofern grundsÅtzliche MißverstÅndnisse auf unverantwortliche Weise bef×rdere. In einer intern an der UniversitÅt ZÛrich gefÛhrten Diskussion traten noch eine Reihe weiterer Autoren in die Diskussion ein, darunter Hans Weder, Pierre BÛhler, Konrad Schmid, Walter Burkert und andere.8 FÛr unsere Zwecke ist aus dem ZÛrcher Streit festzuhalten: Das Thema der Vers×hnung Gottes durch die Menschen durch das Christusereignis ist offensichtlich auch Ûber die Grenzen der Kirche hinaus ein aktuelles und umstrittenes Thema und verdient auch aus diesen GrÛnden, grÛndlich untersucht zu werden. Im Unterschied zum exegetischen Streit um die Vers×hnungslehre handelt es sich ab nun nicht mehr um einen Streit, wie, die Vers×hnung zu denken ist, sondern ob es sich bei Christi Leben, Sterben und Auferstehung Ûberhaupt um Vers×hnung handelt. Als dritter Kontext ist die Verwendung des Vers×hnungsbegriffs als BrÛckenbegriff zwischen Kirche und Politik in SÛdafrika zu nennen. Die prominenteste Verwendung hatte der Vers×hnungsbegriff im Titel der „Wahrheits- und Vers×hnungs-

5 6 7 8

Vgl. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 237–315. Strobel, Gekreuzigt fÛr uns – zum Heil der Welt? Dalferth, GlÛcksfall des Lebens. Vgl. dazu die entsprechenden BeitrÅge in Luibl/Scheuter, Opfer.

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Einleitung

kommission“, die 1995 bis 1998/2001 tagte.9 Wie kam es historisch zur Aufnahme des Vers×hnungsbegriffs in den Namen der Wahrheits- und Vers×hnungskommission? WÅhrend der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war der Vers×hnungsbegriff durchaus umstritten, weil er auch von denjenigen gesellschaftlichen Gruppen benutzt wurde, die den Vers×hnungsbegriff vom Gerechtigkeitsbegriff abgekoppelt wissen wollten und – wenn Ûberhaupt – einen Ausgleich der sÛdafrikanischen Gesellschaft propagierten, der eine Generalamnestie beinhaltet hÅtte und Gefahr gelaufen wÅre, gerade gesellschaftliches Unrecht zu kaschieren. Diese politische Zweideutigkeit verlor der Vers×hnungsbegriff weitgehend erst dadurch, daß ihn Mandela nach seiner Freilassung am 11. Februar 1990 programmatisch positiv fÛr eine nationale Vers×hnung benutzte. Dazu konnte es im Wesentlichen nur kommen, weil von Seite verschiedener kirchlicher Stellungnahmen und aufgrund der Verwendung des Vers×hnungsbegriffs durch prominente Theologen seit den 80er Jahren der Vers×hnungsbegriff programmatisch positiv verwandt wurde.10 Dabei zeigt sich nun, daß hier der Vers×hnungsbegriff bei allen Unterschieden der verschiedenen Stellungnahmen und Theologen immer eine BegrÛndungsfunktion fÛr politisches Handeln besitzt: Weil sich Gott mit den Menschen vers×hnt hat, ist es nun auch Aufgabe der Menschen, sich untereinander zu vers×hnen. Dabei wird zwar stets großer Wert auf die FaktizitÅt der Vers×hnung gelegt, die also im Gegensatz zum ZÛrcher Streit nicht umstritten ist. Es fÅllt aber in Kontrast zum exegetischen Streit um die Vers×hnung auf, daß die Art und Weise, wie Vers×hnung zwischen Gott und Mensch zu denken ist, fÛr die ethischen Optionen der Menschen untereinander keine Rolle spielt. Dieser Befund lÅßt die Vermutung aufkommen, ob die ethisch-politische LeistungsfÅhigkeit gerade darin besteht, daß kein profilierter Vers×hnungsbegriff geliefert wird, bzw. der Vers×hnungsbegriff dogmatisch unterbestimmt ist. Als vierter Kontext sei die Rede von der „Einheit in vers×hnter Verschiedenheit“ im Rahmen der °kumene des ausgehenden 20. Jahrhunderts genannt. Die Geschichte dieses Begriffs beginnt 1974, als aus zwei Konsultationen der Vertreter der konfessionellen WeltbÛnde und des °RK ein Diskussionspapier hervorging, in dem der Begriff der Einheit in vers×hnter Verschiedenheit zuerst erschien.11 Dieses Papier erwies sich als Åußerst einflußreich.12 Was besagt das Modell der Einheit in vers×hnter Verschiedenheit? Nach Harding Meyer, der dieses Konzept wesentlich mitentwikkelt hat, ist folgendes konstitutiv: Einheit in vers×hnter Verschiedenheit ist als Konzept zu verstehen, das andere Einheitsvorstellungen nicht ausschließt. Es versteht sich als interpretatives Konzept zur Vorstellung einer konziliaren Gemeinschaft von Ortskirchen mit entscheidenden Differenzen zum Modell der organischen Einheit, indem es gerade betont, daß nicht nur kulturelle Differenzen der Kirchen zulÅssig sind, sondern gerade konfessionelle, d. h. am Bekenntnis orientierte Unterschiede zulÅssig und erwÛnscht sind und einer Vers×hnung im Sinne eines Ausgleichs nicht

9 Zum gesamten folgenden Abschnitt vgl. WÛstenberg, Wahrheit, Recht und Vers×hnung; Kneifel, Zwischen Vers×hnung und Gerechtigkeit; Wahrheits- und Vers×hnungskommission SÛdafrika, Das Schweigen gebrochen. 10 Vgl. Kaiser, Vers×hnung in Gerechtigkeit. 11 Vgl. Gaßmann/Meyer, Einheit der Kirche, 29–34. 12 Vgl. Daressalam, 206.

Die Problematik von „Vers×hnung“ und „Vers×hnungslehre“

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im Wege stehen.13 Damit ist als Ertrag fÛr unsere Fragestellung zunÅchst deutlich: Der Begriff der vers×hnten Verschiedenheit (reconciled diversity ) impliziert kein wie immer geartetes theologisches VerstÅndnis von Vers×hnung und bezieht sich in seiner BegrÛndung insbesondere nicht auf das im Christusereignis geschehene Vers×hnungshandeln Gottes. Vielmehr handelt es sich um einen rein kirchenpolitischen Begriff, der den Vers×hnungsbegriff im Sinne des Begriffs des Ausgleichs theologisch zunÅchst v×llig unspezifisch verwendet. Nun ist in den vergangenen 20 Jahren der Begriff der vers×hnten Verschiedenheit derart breit in den unterschiedlichsten ×kumenischen Kontexten von unterschiedlichsten Interessengruppen rezipiert worden, daß er seine kirchenpolitisch distinktive Kraft, als Unterscheidungsbegriff zur organischen Einheit, weitgehend eingebÛßt hat.14 Obwohl der Begriff der vers×hnten Verschiedenheit selbst keine originÅre theologische BegrÛndung hat, sind ihm im Zusammenhang der Entwicklung der letzten 20 Jahre extern unterschiedliche theologische BegrÛndungen, z. B. Ûber den koinonia -Gedanken, hinzugewachsen. Will man nicht programmatisch ein theologieloses, rein (kirchen)politisches VerstÅndnis von Vers×hnung vertreten, erweist sich der Vers×hnungsbegriff als dringend klÅrungsbedÛrftig.

Diese BedÛrftigkeit nach systematisch-theologischer KlÅrung ist auch das Desiderat, daß sich aus den Fragen ergibt, ob das Christusereignis eine Vers×hnung sein kann, wie es am ZÛrcher Streit exemplifiziert wurde, wie es als Vers×hnung zu denken ist, was am exegetischen Streit dargestellt wurde, und wie die Verbindung zwischen Vers×hnungshandeln Gottes und m×glichem Handeln in Vers×hnung der Menschen zu denken ist, was anhand der politischen und kirchenpolitischen Verwendung des Begriffs gezeigt wurde.

1.2 Die Problematik von „Vers×hnung“ und „Vers×hnungslehre“ und der Aufriß der Untersuchung Beachtet man die Geschichte des Begriffs der Vers×hnung und der Vers×hnungslehre, zeigt sich folgendes: In die deutsche theologische Sprache gelangte der Vers×hnungsbegriff durch Luthers BibelÛbersetzung, der sowohl hilaskesthai einschließlich aller Derivate als auch katallassein einschließlich der entsprechenden Derivate mit „versunen“ Ûbersetzt, was im Laufe von Sprachanpassungen zu „vers×hnen“ wurde.15 Den Unterschied zwischen den beiden griechischen Vokabeln remodelliert in der deutschen Sprache im 19. Jh. am besten Carl Immanuel Nitzsch, wenn er feststellt, die Schrift lehre in der Vers×hnung eine VersÛhnung.16

13 14 15 16

Vgl. Meyer, Vers×hnte Verschiedenheit, Bd. 1, 101–119. Vgl. Herms, °kumenische Einheitsvorstellungen, 45 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 8 f. Vgl. Nitzsch, System, 168 f; KÅhler, Vers×hnung, 34.

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Einleitung

Betrachtet man nun nicht den Terminus der Vers×hnung, sondern den Terminus der Vers×hnungslehre, wird man Ûberraschend feststellen, daß es sich dabei um eine relative Neubildung handelt, die auch nur regional und konfessionell recht eng umgrenzt Verwendung findet. Im Mittelalter wurde nÅmlich der lateinische Begriff der reconciliatio primÅr im Zusammenhang des Bußsakraments verwandt, eine Verwendung, die durch das Tridentinum bestÅtigt wird. Auch in der heutigen r×m.-kath. Kirche liegt hier noch ein Schwerpunkt der Begriffsverwendung, indem er sich in der Beichte auf die der Absolution folgenden Auss×hnung des SÛnders mit der Kirche bezieht.17 Die Bedeutung dieses Befundes liegt darin, daß der Terminus der Vers×hnung in der r×m.-kath. Theologie anders als in der deutschsprachigen protestantischen Theologie nicht zur Bezeichnung des entsprechenden LehrstÛcks verwendet wird. Statt dessen spricht man hier in der Regel von Erl×sungslehre.18 Aber auch in der deutschsprachigen protestantischen Theologie wird die Soteriologie noch nicht allzu lange primÅr unter dem Terminus der Vers×hnungslehre erfaßt. Noch Schleiermacher bezeichnet mit Vers×hnung eher einen Nebenaspekt des GeschÅftes Christi, der der Erl×sung deutlich nachgeordnet ist.19 Als prÅgend fÛr die Bezeichnung der Vers×hnungslehre als Terminus fÛr die Soteriologie kann vor allem der Begriffsgebrauch Hegels angesehen werden, der sich vor allem bei Ferdinand Christian Baur theologisch bestimmend durchsetzt und fortan bestimmend bleibt, so vor allem in der Auseinandersetzung um die Vers×hnungsvorstellung Hofmanns, bei Albrecht Ritschl und dann bei Martin KÅhler. Im 20. Jh. schließlich verwandte Karl Barth den Terminus der Vers×hnungslehre umfassend als Bezeichnung des entsprechenden LehrstÛcks, und trÅgt so zur Popularisierung der Bezeichnung bei. Da KD 4 bekanntlich auch umfangreiche ethische Teile enthÅlt, dÛrfte hier auch eine der Ursachen zu sehen sein, warum der Vers×hnungsbegriff nun auch eine starke Verbindung zur Ethik erhÅlt. Dieser beschriebene Sachverhalt gilt aber nur fÛr einen Teil der protestantischen Theologie, nÅmlich der deutschsprachigen. Der Ûbliche Terminus im englischsprachigen Kontext ist hingegen Doctrine of Atonement. Zwar lÅßt sich in der Deutung dieses Begriffs durch einige Theologen auch insofern ein der deutschen Theologie entsprechender Einfluß hegelianisierender Gedanken erkennen, wenn der Terminus etymologisch wohl unzutreffend, denn atonement kommt von to atone , durch das Konstrukt erklÅrt wird, es sei als at-one-ment zu lesen. Nun zeigt es sich, daß die Folgen dieser terminologischen Entwicklung einschließlich Differenzen fÛr die bezeichnete Sache, also fÛr die in Christus geschehene Zurechtbringung und deren theologische Deutung, nicht

17 18 19

Vgl. Werbick, Vers×hnung III, 724 f; KÅhler, Vers×hnung, 6–8. Vgl. z. B. Heuser, Erl×sungslehre. Vgl. Schleiermacher, CG2, Bd. 2, §100 f, 90–105.

Die Problematik von „Vers×hnung“ und „Vers×hnungslehre“

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nebensÅchlich blieb. Die Vers×hnungslehre, die zu keinem Zeitpunkt der Kirchengeschichte eine dogmatische Fixierung erfahren hatte und im Zeitalter der Reformation auch nicht zu den dogmatischen Streitpunkten geh×rte, sondern erst nachreformatorisch in Auseinandersetzung mit der sozinianischen VoraufklÅrung eine gewisse Rolle spielte, wurde fÛr das Christentum, insbesondere fÛr das evangelische Christentum im 19. Jh. zur entscheidenden zentralen Frage, in der sich als Zentrum des christlichen Glaubens das christliche WirklichkeitsverstÅndnis bÛndelte.20 Bereits im 20. Jh. konnte diese ZentralitÅt der Vers×hnungslehre wieder bestritten werden.21 Entscheidend ist nun, daß aufgrund der genannten terminologischen Differenzen sich die Entwicklung und Untersuchung soteriologischer Sachverhalte einschließlich deren ethischer Konsequenzen im Jahrhundert der Vers×hnung, dem 19. Jh., jeweils separiert erfolgte, im deutschsprachigen protestantischen Kontext, im r×m.-kath. Kontext und im englischsprachigen protestantischen Kontext. Die jeweils in diesen Kontexten gefÛhrten Debatten geschahen gr×ßtenteils unabhÅngig voneinander, bezogen sich nicht aufeinander und, was noch viel interessanter ist, wurden auch in der Forschung seitdem nicht aufeinander bezogen, obwohl die verhandelte Sache dazu gen×tigt haben mÛßte, zumal auch Åhnliche Probleme und L×sungsstrategien entstanden. Will man sich angesichts der gegenwÅrtigen theologischen Schwierigkeiten der Verwendung des Vers×hnungsbegriffs an eine Explikation wagen, die in einem Vorschlag zum VerstÅndnis des Vers×hnungsgeschehens samt seiner ethischen Valenz mÛnden soll, wird man zu folgender Entscheidung kommen: Der Zeitraum, von dem sich eine KlÅrung des Vers×hnungsbegriffs erwarten lÅßt, ist weniger das 20. als das 19. Jh. Unsere Untersuchung wird sich fÛr den historisch-analytischen Teil daher auf das 19. Jh. beschrÅnken. Hier gilt es, Positionen aus allen drei getrennten Kontexten, des deutschsprachigen protestantischen, d. h. primÅr lutherischen, des englischsprachigen protestantischen, d. h. primÅr reformierten und des r×m.kath. Kontexts als zu Explizierende zu wÅhlen und diese aufeinander zu beziehen. Da das Ziel dieser Arbeit ein systematisch-theologisches, nicht ein primÅr theologiegeschichtliches ist, wird man sich bei diesem wahrhaft ×kumenischen Unternehmen, das selbstverstÅndlich zur L×sung theologischer Probleme aus dem ganzen Schatz christlicher Theologie sch×pft, jeweils auf exemplarische Positionen zu beschrÅnken haben. DafÛr seien fÛr den deutschsprachigen Kontext die Vers×hnungslehren von Albrecht Ritschl und Martin KÅhler gewÅhlt, weil sich in deren Konzeptionen sowie in dem 20 Dies belegt sehr sch×n die theologiegeschichtliche Untersuchung von Wenz, Vers×hnungslehre, die sich nicht nur als Geschichte der Vers×hnungslehre, sondern auch als Theologiegeschichte lesen lÅßt. 21 Vgl. Weber, Dogmatik, Bd. 2, 203.

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Einleitung

darum gefÛhrten Streit gewissermaßen die in diesem Kontext gefÛhrten Debatten um den Vers×hnungsbegriff bÛndeln. FÛr den r×m.-kath. Kontext bietet sich ein anderes Auswahlkriterium an. Da die Untersuchung aus der Perspektive der protestantischen Theologie geschieht, ist es sinnvoll aus dem r×m.-kath. Kontext solche Positionen zu wÅhlen, die ein m×glichst breites Spektrum abdecken. Daher wurde auf der einen Seite das Vers×hnungsverstÅndnis Anton GÛnters, dessen Schriften, nicht aber er selbst, von seiner Kirche indiziert wurden, sowie das Vers×hnungsverstÅndnis Matthias Joseph Scheebens, des wohl bedeutendsten deutschsprachigen r×m.kath. Theologen des 19. Jh., ausgewÅhlt, der dem Vatikanum I gemÅß lehrte, aber im Rahmen der Neuscholastik, wenn man ihn denn darin einordnen will, eine außerordentliche OriginalitÅt entfaltete. Im Bereich des englischsprachigen Kontexts seien auf der einen Seite die Vers×hnungsverstÅndnisse von Thomas Erskine of Linlathen und John McLeod Campbell ausgewÅhlt sowie auf der anderen Seite das Vers×hnungsverstÅndnis Robert William Dales. Entscheidend war hier, daß deren Positionen in gewisser Hinsicht vergleichbar mit denen Ritschls und KÅhlers sind. Aufgrund der NÅhe von Erskine und McLeod Campbell zueinander ist es nicht m×glich, diese getrennt voneinander zu behandeln, sondern hier gilt es auch, einige historische Fragen zu entscheiden. Die genannten Positionen sollen hinsichtlich ihres systematischen Gehaltes miteinander verglichen und daraufhin befragt werden, inwiefern sich aus ihnen ein klÅrendes Potential fÛr die Fragen der Gegenwart entnehmen lÅßt. Dieses Verfahren setzt voraus, daß man ein systematisches Raster benutzt, nach dem die einzelnen Positionen miteinander verglichen werden k×nnen. Daher ist es sinnvoll vor der eigentlichen Untersuchung der Positionen verschiedene Klassifikationsschemata vorzustellen, nach denen Soteriologien in verschiedenen Typen eingeteilt wurden. Hier werden zum einen Typisierungsschemata vorgestellt, die sich aus den untersuchten Positionen selbst extrahieren lassen, was aber nicht bei jeder der Fall ist. Zum anderen werden hier auch Typisierungsschemata vorgestellt, die sich fÛr das Bild der Vers×hnungslehre als prÅgend herausgestellt haben, wie das berÛhmte Schema Aul³ns. Die Zielsetzung dieser Arbeit und das Interesse, das der Leser an ihr haben kann, kann ein doppeltes sein. Zum einen kann der Leser an historischanalytischen Untersuchungen zur Vers×hnungslehre – und zwar im ×kumenischen Bereich – im 19. Jh. interessiert sein. Hierzu wird er im zweiten Hauptteil dieses Buches fÛndig werden. Zum anderen kann er an dem systematisch-theologischen Probleml×sungsversuch interessiert sein, der aus den untersuchten Positionen sch×pfend und in die Gegenwart vermittelnd, einen eigenen systematischen Interpretationsvorschlag als Ziel der Arbeit unterbreitet. An dieser Stelle sei mir noch eine Bemerkung gestattet, die eine termino-

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logische Besonderheit dieser Arbeit betrifft. Die in dem Einleitungskapitel geschilderten Sachverhalte und Probleme dÛrften hinreichend deutlich gemacht haben, daß der Inhalt des Vers×hnungsbegriffs alles andere als geklÅrt ist. Daher erscheint es ratsam, um die scheinbare SelbstverstÅndlichkeit, die sich sowohl bei der Verwendung des Vers×hnungsbegriffs als auch bei der Verwendung des Begriffs der Vers×hnungslehre immer wieder einzustellen droht, zu durchbrechen, auf den Gebrauch des Vers×hnungsbegriffs und den Gebrauch des Begriffs der Vers×hnungslehre immer wieder zu sistieren und hier einen anderen Begriff einzufÛhren. Dies ist im Folgenden der Begriff der Zurechtbringung bzw. der Zurechtbringungslehre. Die Verwendung dieses Terminus ist rein technisch und soll gerade keinen metaphorischen oder Ûberhaupt besonderen intensionalen Gehalt zum Ausdruck bringen, sondern wurde nur aufgrund der Tatsache gewÅhlt, daß dieser Terminus gew×hnlich als ungew×hnlich erscheint. Insbesondere sei jede Rechtsmetaphorik, die daran erinnern mag, daß jemandem zu seinem Recht verholfen wird, ausgeschlossen.

2. Historische und analytische Untersuchungen Wir kommen nun zum zweiten Teil der vorliegenden Arbeit, dem Hauptteil, in dem historisch-analytisch verschiedene Positionen zur Zurechtbringungslehre untersucht und verglichen werden. In einem ersten Abschnitt zur Einleitung werden verschiedene Klassifikationsschemata zur Zurechtbringungslehre vorgestellt, um dem Leser bei der LektÛre der einzelnen Konzeptionen einen m×glichst breiten Erwartungshorizont zu liefern. Die eigentlichen historisch-analytischen Untersuchungen beginnen anschließend mit der Besprechung zweier lutherischer Konzeptionen des deutschsprachigen Raumes, der Konzeption Albrecht Ritschls (1822–1889) und der Konzeption Martin KÅhlers (1835–1912), um diese anschließend hinsichtlich ihres konzeptionellen Gehalts miteinander zu vergleichen. Anschließend werden die beiden r×m.-kath. Positionen des deutschsprachigen Kontexts vorgestellt. Es handelt sich um die ZurechtbringungsverstÅndnisse Anton GÛnthers (1783–1663) und Matthias Joseph Scheebens (1835–1888). Im dritten Kontext des englischsprachigen reformierten Christentums werden zunÅchst die ZurechtbringungsverstÅndnisse der Schotten Thomas Erskine of Linlathen (1788–1870) und John McLeod Campbells (1800–1872) besprochen und anschließend historisch und systematisch miteinander verglichen, um darauf die Konzeption des EnglÅnders Robert Dale (1829–1895) zu explizieren (1829–1895). Dieser zweite Teil schließt schließlich mit einem konzeptionellen Vergleich der Positionen anhand eines systematischen Fragerasters, das sich aus den in den verhandelten Konzeptionen gestellten Problemen, aus den eingangs zu nennenden Typologien von Zurechtbringungslehren und aus den Anforderungen, die sich aus den Koordinatenbedingungen des christlichen Glaubens ergeben, zusammenstellen lÅßt.

2.1 Soteriologische Typologien des Zurechtbringungsvorgangs Wir beginnen im folgenden mit der Darstellung verschiedener Typologien und Klassifikationsschemata der Zurechtbringungslehre. Dabei werden zunÅchst die im systematischen Hauptteil selbst genannten Positionen genannt, sofern sich aus ihnen ein Klassifikationsschema entnehmen oder re-

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konstruieren lÅßt, was nicht immer der Fall ist. Diesen Klassifikationsschemata vorangestellt ist das bekannte Schema von Gustaf Emanuel Hildebrand Aul³n (1879–1977), das zu einer Standardklassifizierung von Vers×hnungslehren geworden ist. Auf diese Weise kann der Leser einerseits bei bekanntem Gedankengut einsetzen, andererseits deutlich die AbhÅngigkeit jedes Klassifikationsversuchs vom materialen Gehalt der jeweiligen Position erkennen. Daher wird an dieser Stelle auch kein eigenes Klassifikationsschema zur Beurteilung der dann im Detail zu besprechenden Konzeptionen aufgestellt. An die Stelle dessen tritt vielmehr die Offenlegung des systematischen Fragerasters, das bei der Analyse der Positionen verwandt wurde.

2.1.1 Aulen Von Aulen stammt die bekannteste Typologie von Vers×hnungslehren, die daher als bekannt vorausgesetzt werden kann und nur kurz referiert werden muß.1 Aulen unterscheidet zunÅchst einen klassischen Typus von dem lateinischen Typus. Das Zurechtbringungswerk wird jeweils mit den beiden konzeptionellen Mitteln der Frage nach dem RechtsverhÅltnis zwischen Gott und Mensch und der Frage nach dem Handeln Gottes erfaßt. Im klassischen Typus, der extensional mit allen AusprÅgungen der altkirchlichen Redemptionslehre und mit Luthers Auffassung zusammenfalle, ist ausschließliches Handeln Gottes anzunehmen; es ist Gott, der vers×hnt und die VerderbensmÅchte besiegt, die aber, sei es Tod oder Teufel, oder am radikalsten in der Theologie Luthers, das Gesetz, ReprÅsentanten ebenfalls Gottes sind. Daher ist es auch Gott, der vers×hnt wird. Hingegen ist die Rechtsordnung durchbrochen, das Gesetz kommt nicht mehr zur Anwendung, ein Ausgleich zwischen Gottes Liebe und Zorn findet zurecht nicht statt, und das Vers×hnungsgeschehen ist damit Ausdruck von Gott wider Gott in Gottes Offenbarung und AbsconditÅt. Ursprung dieses korrekten Durchbrechens der Rechtsordnung ist freilich ein Widerspruch im Gesetz selbst, das, mit gesetzlichen Mitteln, spontane Hingabe fordert. Der lateinische Typus, der extensional mit Anselms Satisfaktionstheorie, dessen VorlÅufern in Tertullian und Cyprian, sowie dessen Nachfolgern in der altprotestantischen Strafsatisfaktionslehre zusammenfalle, ist umgekehrt gekennzeichnet. Hier wird die Rechtsordnung vollstÅndig aufrechterhalten und es soll ein rationaler Ausgleich zwischen Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gesucht werden. Dies geht nur, indem die Zurechtbringungstat nicht mehr ausschließliches Handeln Gottes ist: Zwar ist es Gott, der die Zurechtbringungstat inauguriert, aber in der Verbindung des Gott-

1

Vgl. Aulen, Christus Victor; Aulen, Haupttypen.

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menschen Christus ist es letztlich die menschliche Natur, auf der die Vers×hnungsleistung beruht, so daß die Gottestat durchbrochen sei. Ein dritter Typus ist der moralische, bzw. ethizistische, bzw. moralische Typus der AufklÅrung und des 19. Jh., wobei lediglich Schleiermacher und Ritschl genannt und extensional identifiziert werden. Dieser Typus wird von Aulen nur sehr ungenau beschrieben, und Aulens Interesse ist hier deutlich reduziert. Allerdings sind seine beiden konzeptionellen Fragestellungen auch nicht mehr in der Lage, hier eine Beobachtungsleistung zu erbringen. Von einem Durchbrechen der Rechtsordnung k×nne nicht gesprochen werden, aber eigentlich wird diese abgel×st durch eine ethische Ordnung. Die Gottestat sei nicht nur durchbrochen, sondern ganz reduziert, Subjekt der Zurechtbringungstat sei hier ausschließlich der Mensch. Aulen versucht noch zu zeigen, wie die unterschiedlichen Typen jeweils SÛndenverstÅndnis, Gotteslehre und RechtfertigungsverstÅndnis regieren, was hier aber nicht weiter darzustellen ist. Aulens Klassifikation ist hoch umstritten, besonders hinsichtlich der Einordnung Luthers und der Bewertung der altkirchlichen Redemptionslehre, also hinsichtlich Aulens Hauptanliegen. Aulen will außerdem die herk×mmliche Zweiteilung von Vers×hnungslehren in subjektiv versus objektiv Ûberwinden. Man wird nicht einfach sagen k×nnen, daß ihm das gelingt, denn eine solche Zweiteilung ist ein Konstrukt. Wie unser ºberblick Ûber die Typologien der Vers×hnungslehren zeigt, ist die Sache durchaus komplexer. Schlichtweg unzutreffend sind Aulens AusfÛhrungen des sog. dritten Typus. Diese laufen zwar implizit, aber dennoch bestimmt auf den Vorwurf des semipelagianischen Ethizismus hinaus und kolportieren so nur Vorurteile. Auch der klassische Typus ist so, wie ihn Aulen beschreibt, nicht existent. Die altkirchlichen Redemptionsvorstellungen sind wesentlich vielfÅltiger. Sie beschreiben zwar einen Kampf gegen eine dÅmonische Welt, beschrÅnken sich darin aber gerade nicht auf Gott als allein Handelnden, sondern beziehen den Menschen als geheiligten gerade mit ein.2 Die Vers×hnungsvorstellungen in Luthers Theologie hingegen lassen sich ebenso nicht einfach durch das beschreiben, was Aulen den klassischen Typus nennt; sie sind wesentlich vielfÅltiger und auch divergenter. Aulens AusfÛhrungen zum sog. klassischen Typ sind so Ausdruck seiner eigenen Soteriologie im Anschluß an einen stark gereinigten Luther. Der positive Wert von Aulens Klassifikationsversuch liegt hingegen darin, daß Aulen strikt ein theologisches Klassifikationsschema verwendet und dies dezidiert offenlegt; es muß nicht erst rekonstruiert werden. Aulens Klassifikationsschema steht eindeutig im Dienst seiner eigenen Soteriologie. Und diese Eindeutigkeit kann durchaus als Tugend gewertet werden.

2

Vgl. Gunton, Atonement, 74–82.

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2.1.2 Ritschl Ritschl verwendet keine explizite Typologie, um Soteriologien klassifizieren zu k×nnen. Seine Darstellung in RuV 1 ist historisch orientiert, und Ritschl hofft, im Gegensatz zur hegelianischen Geschichtstheorie auf spekulative Schemata verzichten zu k×nnen. Nur gelegentlich werden einzelne Positionen, wie die Abaelards, als paradigmatisch fÛr eine ganze Klasse von Theorien genannt.3 Betrachtet man aber RuV als ganzes, findet man implizit ein Schema, das systematisch theologisch motiviert ist und das sich durch Ritschls gesamte Darstellung, auch durch dessen historischen Abriß in RuV 1, zieht. Ritschl unterscheidet zwischen a) Erl×sungs- oder Vollendungslehren und zwischen ethischen Vers×hnungslehren im engeren Sinne, die sich einteilen lassen in b) das am Privatrecht orientierte juridische Modell, in c) das am ×ffentlichen Recht orientierte juridische Modell und d) das sittliche Modell.4 a) Erl×sungs- oder Vollendungslehren. Dies sind Theorien der griechischen VÅter, die in Analogie zu den westlichen Modellen der Rechtfertigung und Vers×hnung stehen. Die Menschheit ist im sÛndigen Zustand in SÛnde und Unvollkommenheit, d. h. im Tod gefangen, von der sie zu erl×sen und der UnvergÅnglichkeit durch Vergottung zuzufÛhren ist. Dies geschieht in verschiedener Weise durch den inkarnierten Logos, der die UnvergÅnglichkeit vermittelt. Paradigmatische Vertreter sind einerseits Justin, Clemens Alexandrinus, Origenes, IrenÅus, Hippolyt und andererseits natÛrlich Athanasius, die Kappadozier, Kyrill von Alexandrien, Ambrosius von Mailand, Hilarius und Johannes Damaszenus. All diesen Lehren mit ihren Unterschieden widmet Ritschl lediglich ein Kapitel, da diese Theorien streng von den westlichen Vers×hnungslehren abgegrenzt werden.5 Diese Abgrenzung gelingt nicht ganz, denn die athanasianische Theorie der Theopoiesis wird systematisch nicht nur negativ den ethischen Theorien des Westens entgegengehalten6, sondern auch z. T. positiv gewertet als die Theorie, in der die ethische Vers×hnungsfolge der Weltbeherrschung in der christlichen Vollkommenheit am deutlichsten ausgedrÛckt sei.7 3 Vgl. Ritschl, RuV 1, 484. Ritschl prÅgt den klassifikatorischen Ausdruck des AbÅlardschen Typs. 4 Vgl. Ritschl, RuV 1, 4. 5 Vgl. Ritschl, RuV 1, 3–21. 6 Vgl. Ritschl, Unterricht, §45, 35 f. 7 Vgl. Ritschl, RuV 3, 367 f. Zwar ist dem Urteil von Kuhlmann, Ethik, 138 gegen Timm, Theorie, 43–45 zuzustimmen, daß der Begriff der Vergottung bei Ritschl durchaus ambivalent gebraucht wird und daher nicht zur wesentlichen Charakterisierung des Lebens in Vers×hnung herangezogen werden sollte. Allerdings bleibt Ritschl ambivalenter als Kuhlmann meint, denn noch in der dritten Auflage von RuV (s. o.) wird der Begriff auch positiv verwendet.

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b) Das am Privatrecht orientierte juridische Modell. Dies ist ein Modell, das an der Handlungsregelung in interaktionellen Privatbeziehungen orientiert ist. Solche PrivatverhÅltnisse zeichnen sich primÅr dadurch aus, daß hier keine allgemeinen Zwecke, sondern kontingente spezielle Zwecke eine Rolle spielen. Das VerhÅltnis von Gott und Mensch wird analog dem eines Besitzers zu Eigentum (z. B. Sklaven vorgestellt). Der Rechtsbruch besteht in der Brechung einer von Gott willentlich gesetzten Norm, d. h. letztlich in einer Beleidigung.8 Ebenso vollzieht sich die Zurechtbringung durch den absoluten, grundlosen Willen Gottes, der nach eigenem GutdÛnken, gemÅß Billigkeit, verzeihen kann. Das Verdienst Christi sowie die Anrechnungen eigener Verdienste, die als notwendiges Korrelat der Billigkeit bezeichnet werden,9 zur Reparatur des VerhÅltnisses sind ebenfalls von der Anerkennung des grundlosen Willens Gottes abhÅngig. Ritschl rechnet zu diesem Typus, wie kaum anders zu erwarten, die scotistische und nominalistische Tradition,10 letztlich aber auch die thomasische Variante11 der Zurechtbringung, ferner Socinianismus12 und abgeschwÅcht den Arminianismus13. Dieser Typus ist von den drei ethischen Modellen der minderwertigste, da er nur auf partikulare, zufÅllige Zwecke in Handlungsbeziehungen modelliert ist, und wird von Ritschl entsprechend scharf kritisiert.14 c) Das am ×ffentlichen Recht orientierte juridische Modell. Dies ist ein Modell, das das VerhÅltnis Gottes zum Menschen analog dem ×ffentlichen Recht geregelt sieht, unter dem Ritschl Strafrecht und Polizeigewalt versteht.15 Spezifikum ist hier, daß interaktionelle Beziehungen zwar nach relativ zum Staat allgemeinen, ×ffentlichen Zwecken geregelt sind, aber noch nicht nach

Vgl. Ritschl, RuV 3, 253. Vgl. Ritschl, RuV 3, 252–253. Hier scheint Ritschl etwas in Polemik zu fallen, denn die Notwendigkeit dieses VerhÅltnisses kann nicht begrÛndet werden. 10 Vgl. Ritschl, RuV 1, 73–85. 11 Vgl. Ritschl, RuV 1, 58–73; 86–105. 12 Vgl. Ritschl, RuV 1, 256–336; RuV 3, 227–233. 13 Vgl. Ritschl, RuV 1, 336–346; RuV 3, 227–233. 14 Ritschl, RuV 3, 231–233. „Eine sittliche Weltordnung also, welche an der Billigkeit Gottes ihren h×chsten Maßstab findet, zersplittert den Thatbestand des nothwendigen menschlichen Handelns in lauter FÅlle von PrivatverhÅltnissen zwischen Gott und den einzelnen Menschen als solchen, kann also nur in einem mißbrÅuchlichen Sinne als sittliche Weltordnung gelten. [. . .] gemeinsame ×ffentliche Zwecke sind aber gerade durch den obersten Gesichtspunkt der Billigkeit Gottes gegen die einzelnen Menschen ausgeschlossen. [. . .] Es ist aber ein Widersinn, daß die bestimmte Regel der sittlichen Gemeinschaft, indem sie auf Gott zurÛckgefÛhrt wird, von dem unmeßbaren PrivatverhÅltniß der Billigkeit beherrscht sein soll, wÅhrend die Billigkeit immer nur geÛbt wird, indem man von der Strenge der sittengesetzlichen Verbindlichkeit absieht. [. . .] soweit sie eine sittliche Weltordnung ausdrÛckt, ist sie in sich widersinnig [. . .].“ 15 Vgl. Ritschl, RuV 3, 243. 8 9

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dem allgemeinsten Zwecke.16 Dies findet seinen Niederschlag darin, daß das „Rechtsgesetz [. . .] das System der Handlungen [ist], welche aus den Zwecken des bestimmten Staates nothwendig folgen.“17 Auf diese Weise ist die Allgemeinheit der Zwecke nicht nur auf einen partikularen Staat eingeschrÅnkt, sondern auch dadurch, daß das Rechtsgesetz nur auf ausgefÛhrte ereignishafte Handlungen anwendbar ist.18 Nach der angewandten Modellierung ist die wichtigste Eigenschaft Gottes hier seine Gerechtigkeit, die es verbietet, den SÛndern ihre ºbertretung gegen das Gesetz einfach nachzulassen. Dazu bedarf es vielmehr der stellvertretenden Leistung des Gottmenschen Christus, der in passivem Gehorsam im Mittelalter und zusÅtzlich im aktiven Gehorsam in der altprotestantischen Orthodoxie das Gesetz erfÛllt. Zu diesem Typus rechnet Ritschl die Satisfaktionstheorie Anselms19, Teile der reformatorischen Lehrentwicklung,20 die Zurechtbringungslehren der altprotestantischen Orthodoxie21 sowie Teile des Pietismus und des konfessionalistischen Luthertums des 19. Jh.22 Auch dieser Typus wird von Ritschl erwartungsgemÅß kritisiert; z. T. schließt sich Ritschl der socinianischen Kritik an und versucht, mannigfache WidersprÛche nachzuweisen, z. T. kann eine Deutung des GottesverhÅltnisses nach ×ffentlichjuridischem Muster nicht Ritschls Anforderungen gerecht werden. ºber diese Kritik hinaus versucht Ritschl aber auch GrÛnde anzufÛhren, warum es zu einer solchen Deutung des biblischen Zeugnisses kommen konnte.23 d) Das sittliche Modell. Das sittliche Modell ist am Sittengesetz orientiert, das Interaktionsbeziehungen nach dem allgemein m×glichsten Zweck beurteilt und sich nicht auf ausgefÛhrte Handlungen bezieht, sondern als Sittlichkeit auf den „inneren Verlauf des Willens als solchen [d. h. auf Gesinnungen und Absichten], welcher jenseits der erscheinenden Handlungen zu erkennen ist, [. . .] [und auf] Handlungen, welche nach dem Maße des Rechtes unbestimmt bleiben“24. Wird das GottesverhÅltnis und das Zurechtbringungsgeschehen nach diesem Muster verstanden, ist Gottes wesentliche Eigenschaft seine Liebe, bzw. GÛte oder Barmherzigkeit, zu der die vorgÅngige Vergebungsbereitschaft geh×rt. Nicht die SÛnde, sondern deren Schuld wird aufgehoben, indem Christus diese Vergebungsbereitschaft offenbart

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Vgl. Ritschl, RuV 3, 238 f. Ritschl, RuV 3, 238 f; vgl. Ritschl, Unterricht, §60, 48 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 239 f. Vgl. Ritschl, RuV 1, 31–48. Vgl. Ritschl, RuV 1, 210 ff. Vgl. Ritschl, RuV 1, 217–255. Vgl. Ritschl, RuV 1, 588 ff. Vgl. Ritschl, RuV 3, 249 f. Ritschl, RuV 3, 239; vgl. Ritschl, RuV 3, 240.

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und so ein neues ungebrochenes GottesverhÅltnis vermitteln kann. Zu diesem von Ritschl bevorzugten Typus zÅhlen die Modelle Abaelards25, z. T. das des Lombarden26, Teile der reformatorischen Lehrentwicklung, insbesondere von Ritschl als genuin lutherisch verstandenes Gut,27 an Kant orientierte Zurechtbringungslehren, z. B. die fÛr Ritschls eigene Soteriologie kaum zu unterschÅtzende Lehre Tieftrunks,28 des Nachlaßverwalters Kants, die Schleiermacher'sche Theologie und Teile der Vermittlungstheologie,29 sowie Teile des konfessionalistischen Luthertums des 19. Jh., insbesondere die Ansichten von Sch×berlein und Sartorius30. Ritschls eigenes System geh×rt zu diesem Typus. Aber auch KÅhler wÅre hier einzuordnen. Interessanterweise entzieht sich Ritschls Darstellung31 der spekulativen Vers×hnungslehren des 19 Jh. einer Einordnung in diese Typologie. Ursache fÛr dieses Faktum dÛrfte sein, daß der Vers×hnungsbegriff nach Ritschl hier eine andere Referenz aufweist. WÅhrend nÅmlich bei Baur Gegenstand der Vers×hnung die Vermittlung des VerhÅltnisses Gottes zum Menschen, d. h. letztlich Religion selbst ist32, kann nach Ritschl der „christliche Begriff der Vers×hnung [. . .] nur verstanden werden als Aufhebung des einseitigen oder gegenseitigen Widerspruchs zwischen g×ttlichem und menschlichem Willen“33. Die spekulativ-hegelianisierenden Vers×hnungslehren dÛrften nach Ritschl wahrscheinlich gar nicht als solche zu betrachten sein, sondern wÅren eher als eine Erl×sungs- oder Vollendungstheorie anzusprechen.

2.1.3 KÅhler Auch KÅhler expliziert nicht sein Typologiesierungsschema. Ein solches lÅßt sich bei KÅhler aber zwanglos rekonstruieren. Zum einen kennt KÅhler zwei begriffliche Grunddistinktionen. Er unterscheidet erstens zwischen rein subjektiven Zurechtbringungstheorien und auch objektiven Zurechtbringungstheorien. Zweitens unterscheidet KÅhler zwischen sachlichen und pers×nlichen Zurechtbringungstheorien. Zum anderen kennt KÅhler verschiedene, biblische und nachbiblische Metaphern, die die Zurechtbringung zum Ausdruck bringen, die sich gegenseitig nicht ausschließen und unter-

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Vgl. Ritschl, RuV 1, 48 ff. Vgl. Ritschl, RuV 1, 55–58. Vgl. Ritschl, RuV 1, 141–216. Vgl. Ritschl, RuV 1, 459–469. Vgl. Ritschl, RuV 1, 484 ff. Vgl. Ritschl, RuV 1, 638–641; RuV 3, 304 f. Vgl. Rtischl, RuV 1, 560–587. Vgl. Baur, Vers×hnung, 1. Ritschl, RuV 1, 22.

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schiedlich begrifflich, durch Anwendung der ersten Distinktion, entfaltet werden k×nnen. Diese Metaphern sind Offenbarung, Satisfaktion, Opfer, Strafe und Vertretung. Diese Aspekte k×nnen folgendermaßen angeordnet werden: Sachlich Subjektiv

Objektiv

Pers×nlich Offenbarung Opfer? Strafe

Satisfaktion Opfer Strafe Vertretung

Opfer? Strafe Vertretung

a) Subjektiv – Objektiv. Subjektive Vers×hnungslehren sind solche, die den Vers×hnungsvorgang lediglich als BewußtseinsÅnderung der SÛnder auffassen, die einen Irrtum Ûber eine ewig unverÅnderliche Sachlage berichtigt bekommen.34 Zu nennen wÅren hier die Vers×hnungslehren von Schleiermacher,35 aber auch von Ritschl und dessen SchÛler HÅring36. Konkret vollzieht sich eine solche Vers×hnung durch Offenbarung, durch die der SÛnder Gottes ewiges Liebeshandeln und Liebeswillen erkennt.37 In objektiven Vers×hnungsauffassungen findet dagegen, in welcher Weise auch immer, im Vers×hnungsvorgang eine reale VerÅnderung der Gott-Welt-Beziehung statt.38 Oder genauer: Hier ist eine VerÅnderung des g×ttlichen Verhaltens nur durch den Vers×hnungsvorgang m×glich. Objektive Vers×hnungslehren gehen davon aus, daß die VerÅnderung der Beziehung geschichtlich aufweisbar sein muß. Die Distinktion bildet kein kontravalentes VerhÅltnis. Subjektive Vers×hnungslehren werden nur abgelehnt, insofern sie rein subjektiv sind. Aber auch rein objektive Konzeptionen werden verworfen. Eine kohÅrente Vers×hnungslehre muß sowohl subjektiv als auch objektiv sein. Damit entspricht der Distinktion objektiv-subjektiv die KÅhlersche epistemologische Grunddistinktion geschichtlich-Ûbergeschichtlich, wie im entsprechenden Abschnitt zu sehen ist (s. u.).

34 KÅhler polemisiert bestÅndig gegen diesen Typ von Vers×hnungslehren, so z. B. in KÅhler, Wissenschaft, 371. 35 Vgl. z. B. KÅhler, Vers×hnung und Neusch×pfung, 412. 36 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 349. 37 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 359.361. 38 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 361.

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Historische und analytische Untersuchungen

b) Sachlich – Pers×nlich. Die zweite Grunddistinktion ist die von sachlich und pers×nlich.39 Vers×hnung kann so verstanden werden, daß sowohl die Schuld etwas sachliches, vom SÛnder abzul×sendes ist, als auch die Vers×hnung entsprechend eine sachliche Leistung, einen Ausgleich erbringt.40 Andererseits kann sowohl die Schuld als auch die Vers×hnung in personalen Kategorien verstanden werden. Hier bildet die Unterscheidung ein kontravalentes VerhÅltnis: Sachliche Deutungen des Vers×hnungsvorganges werden strikt abgelehnt, anzuwenden sind nur pers×nliche.41 Wir kommen nun zu einem kurzen ºberblick Ûber die genannten Metaphern. c) Offenbarung. Offenbarung versteht KÅhler immer subjektiv pers×nlich, sie ist die Bekanntmachung von immer schon vorhandenen Tatsachen, aber als solche Tatsachen kommen immer nur die ewige Liebesgesinnung und das ewige Liebeshandeln Gottes in den Blick; die M×glichkeit einer sachlichen Offenbarung wird nicht besprochen.42 KÅhler macht sich selbst den Einwand, daß auch eine BewußtseinsÅnderung des SÛnders eine reale BeziehungsÅnderung ist, insofern also objektiv sein mÛßte,43 aber eine solche kann dennoch nicht als ausreichend oder suffizient betrachtet werden: Offenbarung ist immer Offenbarung von etwas, das bereits vorhanden ist. Kommt der Mensch aber durch Offenbarung dazu, daß der SÛnder gerechtfertigt ist, muß es sich bei der Rechtfertigung des SÛnders um eine ewige, unverÅnderliche Tatsache handeln. Der SÛnder wÛrde also erkennen, daß er immer schon gerecht und von Gott geliebt, also gar kein SÛnder ist, bzw. die SÛnde nicht verschuldet. Das ist aber abzulehnen.44 Versteckt hÅlt KÅhler damit Ritschl vor, selbst seinen Anspruch, daß die Rechtfertigung ein synthetisches Urteil sein mÛsse, nicht kohÅrent durchfÛhren zu k×nnen.45 Vers×hnungslehren mÛssen immer auch eine BewußtseinsÅnderung beinhalten, dÛrfen dies aber nicht ausschließlich tun. d) Satisfaktion. Die Anselmische Satisfaktionslehre ist immer objektiv sachlich, sie deutet das Mensch-Gott-VerhÅltnis mit einer schuldhaften Handelsbeziehung, in der die Ehre Gottes als Handelsgut erscheint, das durch ein anderes, einen supererogatorischen Tod, ersetzt werden kann. Ein sol-

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 98. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 387. 41 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 387.389 f. 42 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 352 ff. 43 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 337. 44 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 416 f. 45 Dies ist durch eine Kombination des zuletzt genannten Einwandes mit der Zustimmung zu Ritschls Bezeichnung der Rechtfertigung als synthetisches Urteil gegeben in KÅhler, Vers×hnung, 338. 39 40

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ches VerstÅndnis wird von KÅhler strikt abgelehnt, er sieht deutlich, daß jede Deutung des Werkes Christi als supererogatorische Tat unbiblisch ist,46 und man darf ergÅnzen: auch inkohÅrent zur Rechtfertigung des SÛnders. Positiv Ûbernimmt KÅhler von Anselm aber die logische Argumentationsstruktur zum Aufweis der Notwendigkeit einer objektiven Vers×hnung (s. u.). e) Opfer. Ein Opfer kann sachlich verstanden werden. Dann handelt es sich um Gaben an die Gottheit, um bei dieser einen Mangel zu stillen oder einen Sinneswandel hervorzurufen. Ein solches OpferverstÅndnis ist als unbiblisch abzulehnen.47 Ein Opfer kann auch, umgangssprachlich zur Zeit KÅhlers, der freiwillige Verzicht auf einen Besitz sein, um ein anderes Gut zu erwerben. Auch ein solches sachliches OpferverstÅndnis kommt zur Deutung des Zurechtbringungsvorgangs nicht in Frage.48 ºbrig bleibt nur ein personales OpferverstÅndnis, in dem die Person sich mit ihrem Personzentrum hingibt. KÅhler m×chte dies als objektive Zurechtbringung verstanden wissen,49 es ist aber fragwÛrdig, ob es sich nicht doch um ein subjektives Element handelt, wie bei der Explikation der KÅhlerschen Deutung des Zurechtbringungsvorgangs zu sehen ist (s. u.). f) Strafe. „Strafe nennt man ein Verfahren zur Behauptung einer Ordnung im Leben der Personen. Wo man sich solcher Ordnung widersetzt, da setzt sie, um sich geltend zu machen, dafÛr eine schÅdigende und deshalb empfindliche Folge fÛr ihren Bruch fest und durch“.50 Entsprechend kann eine Strafe in einer Sachleistung bestehen oder direkt die Person betreffend verstanden werden, was zu bevorzugen ist. Eine Strafe ist immer objektiv, kann aber auch subjektiv sein, sofern im Gewissen des Schuldigen das Schuldbewußtsein eingeschlossen ist. Eine rein objektive Strafe ist aber nur forensisch denkbar, ethisch ist ein StrafverstÅndnis nur, wenn das subjektive Schuldbewußtsein eingeschlossen ist; nur dann handelt es sich letztlich auch nur um eine pers×nliche Deutung.51 Zu bevorzugen wÅre also eine personale Deutung, die sowohl subjektiv als auch objektiv ist. g) Vertretung. Šhnliches gilt fÛr die Vertretung, sie ist immer objektiv, kann aber sachlich oder personal verstanden werden. Eine sachliche Vertretung ist von der Person abl×sbar. Eine solche Vertretung k×nnte exklusiv sein;

46 47 48 49 50 51

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 383. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 380. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 380. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 381 ff. KÅhler, Vers×hnung, 392 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 394 ff.

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der Vertretende hat die vertretene Leistung dann nicht mehr zu erbringen. Die rein personale Vertretung ist von der Person nicht abl×sbar, hier handelt es sich nicht um die Gabe eines Ersatzes, sondern um den personalen Dienst einer Person fÛr eine andere, die bei KÅhler in einer BÛrgschaft und einer Instandsetzung zur Partizipation besteht (s. u.).52 Vertretung ist eine Metapher zweiter Ordnung, die sich immer auf eine der anderen Metaphern beziehen muß, so daß vom stellvertretenden Opfer, von der stellvertretenden Strafe, bzw. SÛhne die Rede sein kann. 2.1.4 GÛnther Anton GÛnther zÅhlt zu den Theologen, die keine explizite Typologie von Vers×hnungslehren liefern. Aufgrund des diskursiv-literarischen Charakters seiner Theologie finden sich jedoch hÅufig Besprechungen von Konzeptionen und Schriften zur Zurechtbringungslehre. Eine implizite Typologie lÅßt sich daraus erschließen. Diese dÛrfte polar aufgebaut sein. a) Satisfaktion. Auf der einen Seite der PolaritÅt steht die Satisfaktionstheorie, wie sie von Anselm entwickelt und von Thomas verbessert worden ist. Obwohl nach GÛnther Satisfaktionstheorie und Zwei-Naturen-Lehre in einem wechselseitigen BedingungsverhÅltnis stehen, und sich beide in den GrundzÛgen als schriftgemÅß erweisen, lehnt GÛnter die Satisfaktionstheorie als problematisch ab53: Das Hauptproblem ist die Abwertung der menschlichen Natur Christi in der Satisfaktionslehre. Diese bildet nur den „Åußeren Balg“54 oder die physische LeidensfÅhigkeit55 fÛr den Logos, ist aber anhypostatisch und daher nicht vollstÅndig personal verstanden.56 Damit ist aber gerade die Freiheit des kreatÛrlichen Geistes in Christus unterbewertet.57 Wird nÅmlich der menschlichen Natur Christi die Willensfreiheit abgesprochen, muß Christus die M×glichkeit des Mißbrauchs der Freiheit abgesprochen werden. Es gilt, daß er non posse peccare. Mit der Unm×glichkeit des Mißbrauchs der Freiheit ist aber nach GÛnther auch die Unm×glichkeit des Gebrauchs und damit der M×glichkeit, ein Verdienst zu erwerben, verbunden, weder fÛr sich selbst, noch fÛr die Menschheit.58 Gerade das aber muß notwendigerweise angenommen werden, da das Vers×h-

52 53 54 55 56 57 58

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 419. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 264. GÛnther, Vorschule 2, 263. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 267. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 263. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 265; GÛnther, Lydia 2, 321 f; GÛnter, Brief an Ehrlich. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 266. 268; GÛnther, Symboliker, 132.

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nungswerk positiv nach GÛnthers L×sung in einer bestandenen Freiheitsprobe bestehen soll.59 Zwei weitere Kritikpunkte sieht GÛnter darin, daß der Kreuzestod Christi nicht adÅquat verstanden werden kann, da schon ein einziger Blutstropfen des Gottmenschen satisfaktionshinreichend gewesen wÅre und darin, daß die Geschichte des Lebens Jesu nicht adÅquat gedeutet ist.60 Der wesentliche Kritikpunkt ist freilich, daß Gott selbst keiner Vers×hnung bedarf, da seine Ehre seiner Liebe subordiniert ist und infolgedessen die Zurechtbringungsabsicht Gottes immer schon vorhanden ist.61 b) Zurechtbringung als willkÛrlicher Akt Gottes. Das andere Extrem bilden Zurechtbringungstheorien in skotistischer Tradition. Hier sind fÛnf Merkmale kennzeichnend: Erstens bedarf Gott keiner Vers×hnung, zweitens gefiel es ihm aber, die Zurechtbringung an den Tod Christi zu knÛpfen, da drittens Gottes Allmacht und Willensfreiheit den ewigen Wert aller Dinge bestimmen. Viertens soll der Mensch dankbar fÛr diese Einsetzung sein und fÛnftens selbst in bloßer Besserung Genugtuung erreichen.62 War es der Fehler der Satisfaktionstheorie, davon auszugehen, daß in Gott die Erm×glichung einer Vers×hnung geschaffen werden mÛsse, so begehen Zurechtbringungstheorien in skotistischer Tradition diesen Fehler zwar nicht, aber hier findet sich der Fehler, daß der Vermittlungsweg der Zurechtbringung um des Menschen willen nur ungenÛgend in den Blick genommen ist. c) Theorien der Promulgation und Ostentation. Hier nennt GÛnther kaum positive Beispiele. Es handelt sich um Theorien, die zwischen Satisfaktion und skotistischen Zurechtbringungstheorien angesiedelt sind, tendieren aber eher zu letzteren. Hier geht es nicht um die Erm×glichung der Vergebung in Gott, weil Gott selbst Liebe ist, aber es geht um einen Vermittlungsweg.63 Wenn Gott dem Menschen unter der Bedingung der Besserung vergibt, setzt dies die VerkÛndigung von Gottes Vergebungsabsicht an den Menschen und die Aufhebung seines Schuldbewußtseins und seiner Unseligkeit voraus. Die w×rtliche Promulgation und die werktÅtige Ostentation der absoluten Vergebung bestehen im Tod Jesu als sinnliches Bild der Gr×ße der SÛnde und als BÛrgschaft fÛr die Wahrheit der Lehre Jesu von der SÛndenvergebung.64 Man k×nnte Ritschls Zurechtbringungslehre, die GÛnther freilich noch nicht gekannt hat, unter diesen Typus rechnen, oder die Zu-

59 60 61 62 63 64

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 264; GÛnther, SÛd- und Nordlichter, 236 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 268. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 308. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 269–271. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 308. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 309.

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rechtbringungslehre Schleiermachers, vielleicht auch Abaelard. Obwohl die Fehler der beiden Extremtypen vermieden werden, sieht GÛnther, daß es mit bloßer Promulgation und Ostentation nicht getan ist. Dieses Element ist nicht falsch, aber es ist zu wenig. „Erl×sung ist allerdings auch Offenbarung, aber Offenbarung ist noch nicht immer Erl×sung.“65 Zwar soll die Offenbarung der Liebe Gottes durchaus Gegenliebe erzeugen.66 Aber das Grundverderben des Menschen durch die SÛnde betrifft nicht nur den Bewußtseinsinhalt und besteht nicht nur im Unglauben, sondern es betrifft auch eine SchÅdigung des Willens und eine damit verbundene OhnmÅchtigkeit des Menschen zum Guten.67 GÛnthers eigene Zurechtbringungslehre (s. u.) wird dann auch zwischen den Theorien der Satisfaktion einerseits und den Theorien der Promulgation und Ostentation andererseits angesiedelt sein. Was diese zu leisten hat, ist eine wesentliche Mitteilung und Einpflanzung des g×ttlichen Geistes in den menschlichen.68 2.1.5 McLeod Campbell John McLeod Campbell liefert zwar keine wie immer geartete Typologie oder Klassifikation von Zurechtbringungslehren, entfaltet aber seine eigene Vers×hnungslehre in einer derart starken antithetischen Form, daß sich zwanglos eine Zweiteilung ergibt: a) das legalistische Modell des Calvinismus des stellvertretenden Strafausgleiches. Bei Owen und Edwards diagnostiziert McLeod Campbell als hervorragendes GottesprÅdikat dessen absolute, unverÅnderliche Gerechtigkeit. Die SÛnde des Menschen kann, da eine ihr Åquivalente Reue nicht m×glich ist, nur durch Strafe ausgeglichen werden, die im Leiden geschieht, damit die Gerechtigkeit nicht verletzt wird. Dabei trÅgt das auf die SÛnden der ErwÅhlten folgende Strafleiden Christus stellvertretend an deren Stelle, wÅhrend es die nicht ErwÅhlten selbst tragen. Der Gedanke der doppelten ErwÅhlung, die nur in Gottes absolutem Willen begrÛndet ist, lÅßt auf Gottes WillkÛr als zweites PrÅdikat neben Gottes Gerechtigkeit schließen.69 Campbell hat gegen dieses Modell verschiedene EinwÅnde: – Es ist nicht biblisch, eine limitierte Zurechtbringung zu lehren.70

65 66 67 68 69 70

GÛnther, Janusk×pfe, 376. Vgl. GÛnther, Janusk×pfe, 377 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 311. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 311. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 65–70. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 71.

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– Die Vers×hnung geschieht nicht mehr, wie es Luther forderte, um unsertwillen, sondern zur Erhaltung der Gerechtigkeit Gottes.71 – Die Rechtfertigung kann nur erfolgen, weil Jesus Christus in seinem Gehorsam das Gesetz erfÛllt. Damit ist die Werkgerechtigkeit und Verdienstlichkeit nicht wirklich durchbrochen, sondern gerade die Basis der Rechtfertigung und das SohnesverhÅltnis Jesu Christi ist nicht im Blick.72 Diese Kritik, die McLeod zwar ×fters, aber nur nebenbei erwÅhnt, ist mit Aufmerksamkeit zu bedenken. Mit seiner Gottes- und NÅchstenliebe erfÛllt Christus nicht einfach das Gesetz der Gerechtigkeit, sondern er folgt Gott als Kind.73 – Da auch die ErwÅhlten weiter leiden mÛssen, erfolgt die Strafe zur Herstellung der Gerechtigkeit zweifach.74 – Die Vers×hnung ist keine Offenbarung Gottes mehr, Gott bleibt entweder dunkel und unbekannt oder sein Wesen wird als WillkÛr offenbart, jedenfalls nicht als Liebe.75 – Ein Gott, der nicht Liebe ist, ist religi×s irrelevant, da kein Vertrauen in einen solchen Gott gesetzt werden kann.76 – Bei den Vertretern des stellvertretenden Strafausgleiches, insbesondere bei Edwards, kommt es damit zu einem pragmatischen Selbstwiderspruch zwischen den Konsequenzen der Vers×hnungslehre und deren Glauben in ihrer praxis pietatis.77 – Die Zurechtbringung hat keine praktische Folge, es kommt gar nicht zu einer Šnderung des sÛndigen Zustands der Menschen. Es kommt Ûber den Gedanken der Imputation der Gerechtigkeit nur zu einer legalistischen Fiktion. Diese EinwÅnde treffen nicht nur den klassischen Calvinismus, wie ihn McLeod an Edwards und Owen exemplifiziert, sondern auch den „modifizierten Calvinismus“, der aus der Debatte mit der arminianischen und sozinianischen Kritik an der Vers×hnungslehre hervorgegangen ist. Die Modifikationen beschrÅnken sich auf folgende Sachverhalte: Erstens wird z. T. das Konzept einer beschrÅnkten Zurechtbringung aufgegeben, was jedoch den rechtlichen Rahmen als solchen nicht sprengt. Zweitens wird das Konzept

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 71 f. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 77; 92; 95. Daß McLeod Campbell gerade die Verdienstlichkeit der Leiden Christi ablehnen will, scheint Dyk, Desire, 198 gerade nicht aufgefallen zu sein, da sie in der Nichtverdienstlichkeit der Leiden Christi gerade ein Problem bei Campbell sieht. 73 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 230. 74 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 84. 75 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 73 f. 79 f. 76 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 74 f. 77 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 27 f. 71 72

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der absoluten Gerechtigkeit Gottes durch das einer ×ffentlichen Gerechtigkeit (rectoral justice ) im Gefolge von Hugo Grotius ersetzt: Gott ist nicht der absolute Gesetzgeber, sondern nur der exekutive WÅchter Ûber die sittliche Weltordnung. Dieses Konzept bedeutet nach McLeod Campbell keine kategoriale VerÅnderung, da es nichtsdestotrotz das Konzept der absoluten Gerechtigkeit voraussetzt.78 Drittens wird, um dem sozinianischen Haupteinwand, Schuld und SÛnde sei nicht Ûbertragbar, zu begegnen, etwa von Payne zugestanden, daß zwar Schuld und Unschuld, SÛnde und Gerechtigkeit nicht Ûbertragbar seien, wohl aber deren Wirkungen. Diese Modifikation leistet nach Campbell nicht das, was sie soll, da er schlicht bestreitet, daß die Wirkungen weniger Ûbertragbar seien als deren Ursachen.79 Ob McLeod Campbell damit der sozinianischen Kritik zustimmt, ist schwer zu sagen, da diese als gemeinsamen Hintergrund mit der calvinistischen Orthodoxie das Rechtsmodell verwendet, das Campbell rundherum ablehnt. Allerdings denkt Campbell in seinem eigenen Modell durchaus den Stellvertretungsgedanken. b) Das filiale oder moralische und spirituelle 80 Modell stellvertretender Reue. Hier wird Gott als Liebe gedacht, und das Gott-Mensch-VerhÅltnis genauso wie das VerhÅltnis zwischen Vater und Sohn als KindschaftsverhÅltnis verstanden. Der Sohn ist selbst die Zurechtbringung als stellvertretende Reue, aber es handelt sich um eine inklusive Stellvertretung mit effektiven Wirkungen. Hier werden nach McLeod Campbell alle SchwÅchen des legalitischen Modells vermieden. Es handelt sich dabei um ein Modell, das den praktischen Erfordernissen des christlichen Glaubens entsprechen soll, biblisch ist, aus der Zurechtbringung selbst gewonnen ist („in its own light “81), den Erfordernissen der lutherischen Rechtfertigungslehre entspricht, bei Luther z. T. angedacht, aber nicht ausgefÛhrt ist82 und letztlich McLeod Campbells eigener Zurechtbringungslehre entspricht, die nicht einfach als eine Zurechtbringungstheorie des ethischen Einflusses wie etwa bei Abaelard gedeutet werden darf.83 Daher macht es wenig Sinn, es an dieser Stelle zu beschreiben, dazu ist vielmehr auf die Rekonstruktion von McLeods eigener Zurechtbringungslehre zu verweisen (s. u.).

78 79 80 81 82 83

Vgl. Jinkins, Comparative Study, 311. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 93 f. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 223. McLeod Campbell, Atonement, 105. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 53–63. Vgl. Dyk, Desire, 63.

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2.1.6 Dale WÅhrend McLeod Campbell eine typologische Zweiteilung aus den Modellen der juridischen Strafsatisfaktion und des filialen GottesverhÅltnisses gewinnt, findet sich bei Robert Dale eine Zweiteilung, die die Bedeutung des Todes Jesu in krititscher Rezeption von Horace Bushnell u. a. und des ersten Bandes von Ritschls Rechtfertigung und Vers×hnung in subjektive und objektive Vers×hnungslehren teilt.84 Obwohl Dale selbst den subjektiven Typus als sittlichen bezeichnet und den objektiven auch als rechtlichen, handelt es sich nicht einfach um das gleiche Schema wie bei McLeod Campbell.85 Zum einen muß festgehalten werden, daß bei McLeod Campbell die Metaphern des GottesverhÅltnisses fÛr die intensionale Zweiteilung des Typisierungsschemas verantwortlich sind, wÅhrend es bei Dale ein Element der Theorien selbst ist. Zum anderen bedeutet dies aber auch, daß die Extensionen nicht identisch sein dÛrften. Dale versteht die beiden Typisierungen kontravalent als einander ausschließend: „Es ist fraglich, ob es in unserer Macht liegt, den sich widersprechenden Vers×hnungslehren gegenÛber neutral zu bleiben. Die Grundfrage, ob der Tod Christi eine directe Beziehung zur Vergebung der SÛnde hat oder nur ein gewaltiger Aufruf der Liebe Gottes an die Menschheit war – Gottes Art, sich das Menschenherz zu erobern –, ist entscheidend fÛr die ganze Stellung des Christenherzens zu Gott. Eine dieser beiden Auffassungen mÛssen wir annehmen, die andere verwerfen, und das nicht bloß als Theologen, sondern auch als Christen.“86 „Unsere Wahl zwischen beiden streitenden Theorien ist schon gemacht, auch wenn wir meinen, wir hÅtten solche Wahl zurÛckgewiesen.“87 Die Themenstellung seiner Aufsatzreihe kann Dale spÅter auch mit den Worten Bushnells wiedergeben, so daß Dale es sich zur Aufgabe macht, ein Problem zu l×sen, das Bushnell nicht l×sen konnte: „Die ‚sittliche‘ Auffassung, wenn auch wahr, ist machtlos, die objective Auffassung, wenn auch falsch, ist allein wirksam. Wer Dr. Bushnell’s Stellung wÅhlt, steht eben auf einem ‚verlorenen Posten‘, und seine Aufgabe ist, ihn zurÛckzuerobern.“88

a) Subjektive Vers×hnungslehren. Subjektive Vers×hnungslehren sind nach Dale solche, nach denen die Erl×sung geschieht, indem uns Gott seine Liebe offenbart,89 d. h. es sind Vers×hnungslehren, in denen der Tod Jesu sich ausschließlich vollzieht „als ein gewaltiger Aufruf der Liebe Gottes an die

84 85 86 87 88 89

Vgl. Dale, Doctrine, 218. Vgl. Dale, Vers×hnungstod., XXXIII d. i. Dale, Atonement, 43. Dale, Vers×hnungstod., XXXIV; ebd., 8 d. i. Dale, Atonement, 43 f. Vgl. ebd. 73. Dale, Atonement, 73 (dt.: Dale, Vers×hnungstod., 9). Dale, Atonement, 50 (dt.: Dale, Vers×hnungstod. XLII). Vgl. Dale, Doctrine, 218. 221.

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Menschheit – dies und weiter nichts.“90 Die Betonung der Ausschließlichkeit ist fÛr Dale wichtig, weil er nur so eine Kontravalenz zum objektiven Typus erhÅlt. Fragt man, welche Vers×hnungslehren konkret die Extension dieses Typus bilden, wird man bei Dale nicht wirklich fÛndig. Eindeutig wird der locus classicus dieser Auffassung angefÛhrt, jene berÛhmte Stelle aus Abaelards R×merbriefauslegung. Allerdings verweist Dale auch darauf, daß Abaelard in seinen sonstigen Schriften keineswegs eine „abaelardsche“ Vers×hnungslehre vertritt.91 Ferner weist Dale immer wieder Bushnell diesem Typus zu;92 McLeod Campbell jedoch wird zwar explizit, aber ohne weitere BegrÛndung, als objektiv klassifiziert.93 Auch Ritschl fiele unter diesen Typus, allerdings ist zu beachten, daß Dale zum Zeitpunkt seiner Vorlesungen nur den ersten, geschichtlichen Band von Ritschls „Rechtfertigung und Vers×hnung“ gekannt haben dÛrfte. Hinweise auf Schleiermacher finden sich bei Dale nicht. b) Objektive Vers×hnungslehren. Objektive Vers×hnungslehren sind solche, nach denen Gott sich uns offenbart, indem er uns vers×hnt,94 d. h. Lehren, in denen „Christi Tod eine directe Beziehung zur SÛndenvergebung hat“95. Dies schließt ein, daß objektive Vers×hnungslehren ebenfalls einen Aufruf der Liebe Gottes an die Menschheit beinhalten.96 Dale geht dann auch davon aus, daß subjektive Vers×hnungslehren durch die Leugnung nur dieser objektiven Tatsache gekennzeichnet sind. D.h., daß „man unglÛcklicher Weise auch die subjective Kraft desselben [des Vers×hnungstodes Christi] Dale, Atonement, 45 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, XXXV). Vgl. Dale, Atonement, 346. In dem Beleg zur Stelle, Dale, Atonement, 346 heißt es dann: „Abelard, however, recognised the objective value of Christ’s intercession“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 243 f). 92 Allerdings wird Bushnell auch positiv rezipiert als Beweis dafÛr, daß eine subjektive Vers×hnungslehre einer objektiven Basis bedarf, vgl. Dale, Atonement, 56 f. (Dale, Vers×hnungstod, XXXVII). Vgl. auch Dale, Vers×hnungstod, XXXVII-XLIV d. i. Dale, Atonement, 46–53. Letztlich gilt aber: Dale, Atonement, 49: „The objective theory, according to Dr. Bushnell, is false, and the whole effect of the Death of Christ is in its subjective influence“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, XL). 93 Dale, Atonement, 53 f: „Some surprise has been expressed by more than one reviewer that I have not discussed the theory of the Atonement proposed by the late Dr. Macleod Campbell. I refer on page 482 to Dr. Campbell’s ‚very valuable treatise‘ and state very briefly, perhaps too briefly, why I think his theory incomplete. But an objective element in the Atonement is so distinctly recognised in Dr. Campbell’s theory, that I did not care to make any elaborate statement of the grounds on which his theory seems to me defective and unsatisfactory. And those who have read his book will understand me when I say there is something in it which made me shrink from criticism“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, XLIV). 94 Vgl. Dale, Doctrine, 218. 221. 95 Dale, Vers×hnungstod, XXXV (Dale, Atonement, 45). 96 Dale, Atonement, 45: „That it was this – because it was much besides this – is the truth which the whole volume was written to illustrate“ (Dale, Vers×hnungstod, XXXV). 90 91

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einbÛßen [muß], wenn man das Opfer nicht in seiner objektiven Form auffaßt“.97 Dale geht also davon aus, daß der subjektive Typus der Vers×hnungslehren selbstwidersprÛchlich ist und daher nicht das zu leisten vermag, was er beansprucht. Die ersten acht seiner Vorlesungen dienen dann auch nur dem Zweck, aufzuweisen, daß die objektive Tatsache der SÛndenvergebung am Kreuz jesuanisch und apostolisch ist und letztlich auch in der traditionellen Theoriebildung vorausgesetzt wird. Die objektiven Vers×hnungslehren werden dann von Dale noch in einer doppelten Weise klassifiziert, rein theoriegeschichtlich und metapherntheoretisch: Die theoriegeschichtliche Klassifikation , die sich explizit und deutlich sichtbar Ritschl anschließt, geht davon aus, daß in der FrÛhzeit der Kirche die Tatsache der objektiven Vers×hnung nicht erlÅuterungsbedÛrftig gewesen sei und daß die Thoriebildung daher erst spÅter eingesetzt habe.98 Hier wird zunÅchst der Typus der klassischen Redemptionstheorien erwÅhnt, die noch einmal zweigeteilt werden, je nachdem ob sie eine L×segeldzahlung oder einen Betrug des Teufels vorsehen oder nicht. Tun sie dies, werden sie als Verfallsform charakterisiert.99 Dieser Typus wird dann geschichtlich durch die Anselm’sche Satisfaktionslehre abgel×st, die breit und z. T. w×rtlich dargestellt wird.100 Damit sei die scholastische Vers×hnungslehre inauguriert, die ihre Vollendung letztlich bei Duns Scotus finde, so daß mit Ritschl deutlich sei, daß hier ein am Privatrecht orientiertes VerstÅndnis der Vers×hnung vorliege.101 Ein Paradigmenwechsel geschehe dann mit der reformatorischen Vers×hnungslehre, wenn es auch den Reformatoren zunÅchst nicht bewußt gewesen sei, hier neues zu bieten. Der Modellwechsel besteht dabei darin, daß nun nicht mehr das Privatrecht, sondern das ×ffentliche Recht leitend fÛr die Theoriebildung wird und nun der Gedanke einer Strafsatisfaktion in den Mittelpunkt rÛckt. Dieser Paradigmenwechsel und Gegensatz sowohl zu Duns Scotus als auch zu Anselm sei schon bei Luther deutlich, denn dieser sehe den Tod vom Vater als Strafe fÛr die SÛnden verhÅngt, wÅhrend bei Anselm Christus von Gott Vater fÛr eine freiwillige Tat, die nicht n×tig gewesen wÅre, belohnt wird.102 ºber verschiedene Theoriestadien wird diese reformatorische Theoriebildung schließlich in der gegen die socinianische Kritik entworfene Vers×hnungslehre des Hugo Grotius vollendet.103 Hier rÛckt nun nicht nur das ×ffentliche Recht als

Dale, Vers×hnungstod, XL (Dale, Atonement, 49). Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 245 f. 249 f. u. ×. (Dale, Atonement, 347 f. 352 f. u. ×.). 99 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 230–238 (Dale, Atonement, 331–339). 100 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 238–243 d. i. Dale, Atonement, 339–345. 101 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 245, d. i. Dale, Atonement, 347. 102 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 249 d. i. Dale, Atonement, 352. 103 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 252 d. i. Dale, Atonement, 355. 97 98

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modellbildend in den Vordergrund, sondern der Gedanke der Strafsatisfaktion wird nun zugunsten des Strafexempels aufgegeben. Auch hier ist die Darstellung wieder von Ritschl abhÅngig.104 ºber das theoriegeschichtliche Recht dieser Einteilung braucht auch hier nicht gesprochen zu werden. Dales eigene Vers×hnungslehre wÅre als im reformatorischen Mainstream liegende Strafsatisfaktionstheorie zu klassifizieren. Daneben findet sich bei Dale noch eine metapherntheoretische Klassifikation von objektiven Vers×hnungslehren, die an den biblischen Metaphern des Vers×hnungsgeschehens gewonnen ist. Hier werden genannt die Metaphern der Auss×hnung, des Zahlens von L×segeld und der Strafe im Rahmen eines Kriminalverfahrens sowie des Opfers.105 Dale geht nun davon aus, daß keine dieser Metaphern selbst hinreichend zur Konstitution einer Theorie ist,106 denn Metaphern seien etwas Bildliches, stÛnden aber fÛr etwas Wirkliches, auf das sie verweisen.107 Die Metaphern haben zwar praktischen Wert, eignen sich aber jeweils nicht zur Theoriekonstitution, weil dann aus der menschlichen SphÅre gewonnene Bilder leitend zum durch Gott veranlaßten Vers×hnungsgeschehen wÛrden. In theoretischer Hinsicht sind die Metaphern aber auch nicht wertlos, vielmehr haben sie einen kritischen Wert; sie sind der autoritative Test einer Theorie108 hinsichtlich deren Falschheit. Der Entwurf einer eigenen Theorie dÛrfe sich nicht auf einzelne Metaphern grÛnden, auch nicht auf deren Zusammenhang, sondern mÛsse bei einer Deskription der Tatsache des Vers×hnungstodes selbst einsetzen.109 Damit setzt Dales MetaphernverstÅndnis, fÛr das 19. Jh. nicht Ûberraschend, eine strikte Distinktion von metaphorischer und literaler Rede voraus, was hier aber weniger wichtig ist. Wichtiger ist vielmehr, daß Dale bei der Konstruktion seiner eigenen Theorie nicht nur methodisch Metaphern zu Modellen ausbaut – etwas anderes kann er auch nicht machen –, sondern sich entgegen seiner AnkÛndigung eindeutig an einer Metapher, nÅmlich der der Strafe, orientiert. Abschließend sei der Gegensatz zwischen dem subjektiven und dem objektiven Typus noch mit einem Vergleich in Dales eigenen Worten veranschaulicht: „Wenn mein Haus in Flammen stÅnde, und mein Bruder bahnte sich den Weg hinein, um mein Kind aus dem Feuer zu retten, und fÅnde selber durch diesen hochherzigen Liebesmuth seinen Tod, so wÅre sein Ende mir ein großartiger Beweis fÛr seine Liebe zu mir und den Meinen. WÅre aber kein Kind darinnen, und man sagte mir, er wÅre

104 105 106 107 108 109

Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 253–257 d. i. Dale, Atonement, 356–361. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 304–308 d. i. Dale, Atonement, 413–418. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 305 d. i. Dale, Atonement, 414. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 352 f d. i. Dale, Atonement, 469. Vgl. Dale, Atonement, 417 (dt. Dale, Vers×hnungstod, 307). Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 266–268 (Dale, Atonement, 372 f.).

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in die Gefahr gerannt mit keinem andern Zweck, als dadurch mir seine Liebe zu zeigen, so wÅre diese ErklÅrung mir absolut unverstÅndlich. So ist die Behauptung, daß Christus zu keinem anderen Zweck starb, als der Menschheit dadurch Seine Liebe zu zeigen, mir ebenso unverstÅndlich.“110

2.1.7 Konzeptionelle Fragen zur Erfassung des Problembestandes Dieser ºberblick Ûber verschiedene Klassifikationsschemata zeigt, daß es kein konsensfÅhiges Klassifikationsschema gibt, das sinnvoll genutzt werden kann. Kaum Ûberraschend ist, daß die jeweiligen Schemata von den Vers×hnungslehren ihrer Verfasser abhÅngig sind. Ferner zeigt sich, daß die Schemata in neuerer Zeit oft eine gr×ßere Menge von Klassifikationsbegriffen verwenden, oft aber auch strikte Klassifikationsschemata aufgeben, zugunsten einer Untersuchung der den verschiedenen Zurechtbringungskonzeptionen zugrundeliegenden Metaphern oder Begriffen.111 Es zeigte sich aber auch, daß einige konzeptionelle Fragestellungen ×fters erscheinen. Aus dieser ºbersicht ist daher der Schluß zu ziehen, daß ein festes Klassifikationsschema aufzugeben ist. Dennoch ist es n×tig, etwas an dessen Stelle zu setzen, da nur so Aufschluß Ûber das methodische Vorgehen und die dogmatischen Hintergrundbedingungen der Untersuchung zu geben ist. Im Hintergrund der folgenden konzeptionsanalytischen Untersuchung stehen dabei zwanzig Fragestellungen, auf die die einzelnen Probleml×sungsvorschlÅge zur Vers×hnungslehre des 19. Jh. hin zu ÛberprÛfen sind, die aber der besseren ºbersichtlichkeit halber dort nur implizit erscheinen. Daher seien sie an dieser Stelle explizit genannt. Diese Fragestellungen sind zu einem großen Teil aus Problemen Ûbernommen, die sich aus der Besprechung der vorgestellten Positionen selbst ergeben haben. Zu einem weiteren Teil ergeben sie sich aus der Fragestellung dieser Arbeit nach der Verbindung der Vers×hnungstat Christi und fundamentalethischer, menschlicher HandlungsbefÅhigung. Letztlich werden externe Fragen aus konzeptionellen GrÛnden an die Positionen herangetragen, was im einzelnen erlÅutert werden wird. Diese Analysepunkte gliedern sich, wie auch in der Regel die Darstellungen der Positionen, in Voraussetzungen des Vers×hnungsgeschehens, in Fragestellungen, die die Vers×hnungstat Christi selbst betreffen und in 110 „If my brother made his way into a burning house to save my child from the flames, and were himself to perish in his heroic venture, his fate would be a wonderful proof of his affection for me and mine; but if there were no child in the house, and if I were told that he entered it and perished with no other object than to show his love for me, the explanation would be absolutely unintelligible. The statement that Christ dies for no other purpose than to reveal His love to mankind, is to me equally unintelligible“, Dale, Atonement 52 (Dale, Vers×hnungstod, XLIII). 111 Vgl. BrÛmmer, Model, 157–205; Gunton, Actuality; Sykes, Story, 10–18.

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Fragen, die die Folgen der Vers×hnung behandeln. Ein letzter Abschnitt betrifft schließlich Koordinatenbedingungen christlicher Theoriebildung, die sich als relevant erwiesen haben. 2.1.7.1 Analysefragen zu den Voraussetzungen der Zurechtbringungslehre 1. Die erste zu stellende Frage betrifft unter der Voraussetzung, daß sich das Zurechtbringungsgeschehen primÅr auf die personale Welt des Menschen richtet, eine wichtige Frage nach dem anthropologischen Konzept der jeweiligen Position. Der christliche Gedanke, daß sich Schuld Ûbertragen lÅßt und daß das Vers×hnungsgeschehen in Christi Leben und Bedeutung Relevanz fÛr Menschen haben kann, setzt die Frage voraus, inwiefern der Mensch als Beziehungswesen verstanden werden kann. Diese Frage wird in den besprochenen Positionen des 19. Jh. in christlicher Tradition vorwiegend mit dem Organismusgedanken erfaßt. 2. WÅhrend die erste Frage Grundbedingungen menschlichen Daseins betrifft, behandelt die zweite Problemstellung die Frage nach der SÛnde als Voraussetzung in dem Sinne, daß sich der Mensch bzw. die Welt in einer Lage befindet, die ihn, bzw. sie vers×hnungsbedÛrftig macht. Die SÛnde kann unterschiedlich beschrieben werden, und unter diesen unterschiedlichen Beschreibungen kann die St×rung der SÛnde mehr oder weniger gravierend und verderbend verstanden werden. Eine christliche Theologie kommt kaum ohne den SÛndengedanken aus und so lautet die Frage, ob und in welcher Weise das PhÅnomen der SÛnde ernstgenommen wird. 3. Traditionell wird die Lage des Menschen post lapsum im Rahmen der Zurechtbringungslehre, etwa bei Anselm, als Dilemma beschrieben, aus dem sich der Mensch nicht befreien kann und das eine g×ttliche Intervention in Form des Christusereignisses mehr oder weniger erforderlich macht. Die dritte Frage innerhalb der zu behandelnden Voraussetzungen des Zurechtbringungsgeschehens lautet daher, ob und warum, d. h. mit welcher BegrÛndung, eine zum Christusereignis fÛhrende g×ttliche Intervention erforderlich ist. In diesem Rahmen darf der Begriff der Intervention nicht Ûberbewertet werden. Gemeint ist lediglich ein Ereignis, in dem Gott in irgendeiner Weise der verantwortlich Handelnde ist. Nicht gemeint ist mit diesem Begriff, daß Gott in anderen welthaften Ereignissen nicht handeln wÛrde. 4. Man kann sich streiten, ob die vierte und letzte Frage der Voraussetzungen des Zurechtbringungsgeschehens unter die Voraussetzungen oder zur Zurechtbringung selbst geh×rt, wenn wir hier die Frage nach der Gestalt der Christologie im Sinne der Frage nach der Person Christi nennen. Person und Handeln lassen sich, wie noch im synthetischen Teil der Arbeit zu sehen sein wird, nicht trennen, zumindest nicht in apriorischer Weise. Unter der rein pragmatischen Entscheidung, daß wir hier die Voraussetzun-

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gen des Zurechtbringungshandelns besprechen, lÅßt sich aber die Klassifikation der christologischen Frage unter den Voraussetzungen verstehen. SelbstverstÅndlich gibt es nicht „die christologische Frage“, sondern eine Reihe derer, die je nach Modellvariante noch variieren k×nnen. Sowohl die Besprechung der einzelnen Positionen als auch Erfordernisse, die aus den Koordinatenbedingungen christlicher Theologie stammen, zeigen, daß die christologischen Probleme in der Frage nach dem Handlungssubjekt in Christus kulminieren, ohne daß man sich sofort fÛr eine spezielle Christologie entscheiden mÛßte. 2.1.7.2 Analysefragen des Zentrums des Vers×hnungsverstÅndnisses 5. Wir gehen davon aus, daß sich theoretische Modelle aus mehreren Teilmodellen zusammensetzen, deren sprachliche Basis Metaphern sind, unter der Voraussetzung, daß es zwischen sogenannter metaphorischer und sogenannter literaler Rede keinen kategorialen, sondern einen graduellen Unterschied aufgrund unterschiedlich verwendeter, weiter oder enger benachbarter Sprachkontexte gibt, da die semantische Frage nach der Bedeutung von Sprache nur durch die pragmatische Frage nach der Verwendung von Sprache erhellbar ist. Nach dieser Theorie der kontextuellen Bedeutungszuschreibung gibt es auch keinen kategorialen Unterschied zwischen metaphorischer Sprache und begrifflicher Rede, sondern auch hier gibt es einen graduellen oder quantitativen ºbergang.112 Dementsprechend ist es sinnvoll zu fragen, welches die modellbildenden Metaphern sind, mit deren Hilfe Christi Zurechtbringungstat erfaßt wird. 6. In der Tradition wurde menschliches Leiden oft unter die SÛndenfolge gerechnet und als Strafe verstanden. Dementsprechend wurde Christi Tod, vor allem in der altprotestantischen Tradition, ebenfalls oft mit Hilfe des Strafbegriffs erfaßt. Auch im 19. Jh. spielt diese Tradition, wie unsere Untersuchung gezeigt hat, eine derart große Rolle, daß es sinnvoll ist, diese Metapher herauszugreifen und vergleichend zu fragen, in welcher Weise der Strafbegriff zur L×sung bestimmter Probleme verwandt wird. 7. Auch an dritter Stelle der das Zurechtbringungshandeln selbst betreffenden Vergleichsfragen steht eine Frage, die sich im Verlauf der Besprechung der einzelnen Positionen als wichtig erwiesen hat: Es handelt sich dabei um die Frage, ob das Zurechtbringungshandeln Christi auch als Frei112 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 33–44. Der Einwand, es handele sich dabei entgegen ihres eigenen Anspruchs immer noch um eine semantische, nicht um eine pragmatische Theorie hat zwar seine particula veri , trifft aber nicht die Intention. Die hier entwickelte Theorie der kontextuellen Bedeutungszuschreibung will eben kein pragmatisches Problem, sondern „rein“ semantische Probleme behandeln, geht jedoch davon aus, daß es keine „rein“ semantische L×sung gibt, sondern daß die Semantik nur durch den Umweg der Pragmatik oder durch Einbeziehung pragmatischer Sachverhalte l×sbar ist.

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heitsprobe oder als Test verstanden wird. Auch diese Metapher spielt im 19. Jh. eine recht große Rolle, ist aber aus reformatorischer Sicht nicht ganz unproblematisch. Ein radikales VerstÅndnis von Leben und Geschick Jesu Christi als Probe oder Test gelungener menschlicher Freiheit ist meist nur sinnvoll, wenn die menschliche Natur als Handlungssubjekt angenommen wird, so daß dieser volle PersonalitÅt zuzuschreiben wÅre. Dies ist weniger problematisch, weil damit die traditionelle Ansicht von der Anhypostasie der menschlichen Natur verletzt wÅre, sondern weil der christliche Grundgedanke der Rechtfertigung sola gratia in seiner BegrÛndung fragwÛrdig wird. Wenn nÅmlich die Rechtfertigung des Menschen ihren Grund im Zurechtbringungshandeln Christi hat, dieses Zurechtbringungshandeln aber gerade ein Test der Freiheit der menschlichen Natur und des Menschen und damit eine meritorische Tat ist, wird die fundamentaltheologische und fundamentalanthropologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre fragwÛrdig. Unter diesen UmstÅnden k×nnte die Rechtfertigungslehre zwar noch ein locus unter vielen sein, sie k×nnte aber nicht mehr die Grundbestimmung der VerhÅltnisbestimmung zwischen opus hominum und opus dei und damit eine der Achsen des gesamtchristlichen Koordinatensystems bilden. 8. Die vierte Frage der die Zurechtbringung selbst betreffenden Sachverhalte verknÛpft ein ganz traditionelles Klassifikationsmerkmal von Zurechtbringungslehren mit einer Beobachtung, die sich aus der Besprechung der einzelnen Positionen ergeben hat: die Frage, ob es sich um ein objektives oder subjektives VerstÅndnis des Vers×hnungsgeschehens handelt. Unsere Besprechung der Positionen zeigte nÅmlich, daß dieses beliebte Typologisierungspaar zwar durchaus sein Recht hat, aber in anderer Weise als man erwarten k×nnte. Die Frage, ob eine Zurechtbringungslehre als primÅr subjektiv oder primÅr objektiv zu verstehen ist, meint in den unterschiedlichen Klassifikationsschemata, die dieses Begriffspaar nutzen, genauso wie in den besprochenen Positionen, stets divergente Fragestellungen, die sich inhaltlich nicht decken. Wir werden hier also prÅzisieren mÛssen und fragen daher in drei prÅzisierenden Hinsichten. 9. Im Sinne der Verwendung des Begriffspaares bei KÅhler kann gefragt werden, ob ein Vers×hnungsverstÅndnis als subjektiv in dem Sinne zu verstehen ist, daß im Vers×hnungsgeschehen dem Menschen nur ein ewiger oder unverÅnderlicher Sachverhalt bekanntgegeben wird, oder ob das Vers×hnungsgeschehen als objektiv in dem Sinne zu verstehen ist, daß im Zurechtbringungsgeschehen eine BeziehungsÅnderung im VerhÅltnis zwischen Gott und Mensch eintritt. 10. Nach Dale ergeben sich noch zwei weitere VerstÅndnisse der Distinktion von objektiv und subjektiv, die hier sinnvollerweise zu benutzen sind: Ist ein Zurechtbringungsgeschehen in dem Sinne als subjektiv zu verstehen, daß die Vers×hnung ausschließlich durch Offenbarung der Liebe Gottes geschieht, ohne daß die Offenbarung auch durch Vers×hnung geschieht oder

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ist ein Vers×hnungsgeschehen in dem Sinne objektiv, daß die Offenbarung der Liebe Gottes gerade durch das Zurechtbringungsgeschehen erfolgt? 11. Als dritte M×glichkeit der Interpretation des Begriffspaares subjektivobjektiv bietet sich an, subjektiv so zu verstehen, daß das Zurechtbringungsgeschehen als sinnvoll verstanden wird, weil es in irgendeiner Weise abhÅngig von der menschlichen Aufnahme ist, sei es durch Intellekt, Wollen oder GefÛhl, bzw. als objektiv in dem Sinne, daß das Zurechtbringungsgeschehen auch dann sinnvoll, bzw. erfolgreich ist, wenn es von menschlicher Rezeption unabhÅngig ist. 2.1.7.3 Analysefragen der Folgen der Zurechtbringung 12. Die erste Frage betrifft nun gerade die menschliche Aufnahme, Rezeption oder Aneignung des Zurechtbringungshandelns Christi. Zu fragen ist, wie, ob und in welcher Weise die Zurechtbringungstat Christi fÛr den Menschen fruchtbar wird. In der Praxis bedeutet dies vor allem die Frage, wie sich hier opus dei und opus hominum zueinander verhalten und die Frage, ob und in welcher Weise das Handeln Gottes des Heiligen Geistes hier eine Rolle spielt, so daß auch hier trinitarische Aspekte eine Rolle spielen. 13. Die zweite Frage, die hier verhandelt wird, ist wieder eine, die aus traditionellen Darstellungen der Vers×hnungslehre bekannt ist. Die Relation zwischen Christi Vers×hnungshandeln und den Vers×hnten wird oft mit dem Begriff der Stellvertretung erfaßt, der durchaus mehrdeutig, mindestens aber doppeldeutig ist: Eine Stellvertretung kann eine Ersatzleistung bedeuten, aber auch eine ReprÅsentation oder gar BefÅhigung. Entsprechend kann auch das Zurechtbringungshandeln Christi mitsamt seinen Folgen fÛr menschliches Sein, Handeln und Leiden unterschiedlich verstanden werden. Die Ûbliche Terminologie fÛr diese Art der Stellvertretung fragt, ob es sich um eine exklusive Stellvertretung oder um eine inklusive Stellvertretung handelt. Auch hier wird zu sehen sein, daß es sich bei diesem Begriffspaar nicht um eine strikte Alternative handelt. In allen diesen FÅllen handelt es sich dabei nicht um eine isolierte Betrachtung des Christusereignisses, so daß die Kategorisierung unter den Folgen der Zurechtbringung sinnvoll erscheint. 14. Eine Detailfrage im Rahmen der Aneignung der Zurechtbringung behandelt das VerhÅltnis von menschlicher RezeptivitÅt in Relation zum dreieinigen Gott, wie sie sich im Glauben als fundamentalanthropologisch konstituierender Relation Åußert, zur Summe menschlicher AktivitÅt. Nach biblischem (1. Joh. 4) und reformatorischem VerstÅndnis ist dabei die rezeptiv vertrauende Liebe, d. h. der Glaube des Menschen, hinreichende Bedingung fÛr die tÅtige Liebe der Menschen untereinander, d. h. die Guten Werke, bzw. die Sittlichkeit. Umgekehrt erweist sich die Sittlichkeit als noetisch notwendige Bedingung wahren Glaubens. Damit kann von Sittlichkeit

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nicht positiv auf das Vorhandensein von Glauben geschlossen werden, da auch aus Zufall sittliche Handlungen gelingen k×nnen. Wir werden daher die Frage stellen mÛssen, inwieweit und in welcher Weise die einzelnen vorgestellten Konzeptionen der Zurechtbringungslehre diese Relation berÛcksichtigen und dieser Implikation der Rechtfertigungslehre genÛge tun. Ist das nicht der Fall, wird eine Konzeption als problematisch zu bewerten sein. 15. Die nÅchste Frage behandelt das Problem des VerhÅltnisses der Zurechtbringungstat Jesu Christi zu menschlicher HandlungsbefÅhigung. Wenn durch Jesus Christus der Mensch zurechtgebracht bzw. mit Gott vers×hnt ist, so kann gefragt werden ob und in welcher Weise die Zurechtbringungstat und ihr VerstÅndnis direkte ethische Implikationen hat. Da die Vers×hnungstat Jesu Christi Åußerst unterschiedlich modelliert werden kann, so kann erwartet werden, daß auch die Ableitung der Ethik im Sinne wohlgeordneten menschlichen Handelns unterschiedlich verstanden wird, falls es so etwas wie eine fundamentale Ethik der Vers×hnung gibt. 2.1.7.4 Ein Koordinatensystem des christlichen Glaubens Wir kommen nun zur letzten Kategorie von Fragen, die den Koordinatenbedingungen des christlichen Glaubens entnommen sind. Was sind Koordinatenbedingungen des christlichen Glaubens? Dies hÅngt im wesentlichen davon ab, welche Metapher man nutzt. Mit einem Rahmen kann dabei etwas gemeint sein, was eine FlÅche, etwa ein Bild, einrahmt. So hat Chr. Schw×bel vorgeschlagen, die TrinitÅtslehre als Rahmenbedingung des christlichen Glaubens zu verstehen.113 Von einem Rahmen wÅre dann ein Zentrum zu unterscheiden, das durchaus in der Vers×hnungslehre gesehen werden k×nnte.114 Das Ganze des christlichen Glaubens wÅre dann die eingerahmte FlÅche, bzw. das Bild. Ich m×chte mich diesem Modell hier nicht anschließen, bzw. dieses Modell leicht modifizieren, indem ich vorschlage, das ganze des christlichen Glaubens bzw. dessen Explikation als geordnetes dreidimensionales GefÛge zu verstehen. Dieses GefÛge, bzw. jeder Problemkomplex oder seine L×sung, kann dann mittels eines dreidimensionalen Koordinatensystems erfaßt werden. Die Koordinatenbedingungen des christlichen Glaubens werden in diesem Modell durch die drei Achsen des Koordinatensystems gebildet, bzw. durch den Nullpunkt, der den Schnittpunkt der drei Achsen bildet. Dabei ist die erste Achse die TrinitÅtslehre, die das GottesverstÅndnis des christlichen Glaubens beschreibt, zu dem alle loci in Beziehung zu setzen sind. Die zweite Achse wird durch die Rechtfertigungslehre bzw. durch die Sch×pfungslehre gebildet, da hier die Bezie113 114

Vgl. Schw×bel, Gott in Beziehung, 25–52. Vgl. Schw×bel, Gott in Beziehung, 321.

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hung zwischen Gott und Mensch, bzw. Welt in den Blick genommen wird und zwar so, daß diese Beziehung als rein gnadenhaft (sola gratia ) zu verstehen ist oder daß weder im menschlichen Handeln noch in sonstigen welthaften Ereignissen Voraussetzungen fÛr Gottes sch×pferisches oder zurechtbringendes Handeln bestehen. Jedes theologische Problem ist zu dieser Fragestellung in Beziehung zu setzen. WÅhrend die erste Achse das GottesverstÅndnis betrachtet und die zweite das VerhÅltnis zwischen Gott und Welt, so beschreibt die dritte Achse die Welt in sich selbst. Bei der Welt handelt es sich um ein dimensional geordnetes BeziehungsgefÛge einschließlich des Menschen, der innerweltlich in einer Relation zu sich selbst, zu anderen personalen Gesch×pfen und zu seinen nichtpersonalen Mitgesch×pfen steht. Die dritte Achse beschreibt also die Mannigfaltigkeit des kreatÛrlichen BeziehungsgefÛges, indem sie nach der personalen, sozialen und kosmischen Dimension fragt. Jedes systematisch-theologische Problem ist daher auch nach seiner Bedeutung fÛr diese Dimensionen zu befragen. Die Vers×hnungslehre nun, so die These dieses Buches, bildet als Schnittpunkt der drei Achsen den Nullpunkt oder das Zentrum des christlichen Glaubens. Daher sind Fragestellungen, die die Rahmenbedingungen des christlichen Glaubens, also die VerhÅltnisbestimmungen zu den drei Achsen betreffen, in besonderer Weise zu stellen. In unserem Kontext handelt es sich um folgende Fragen: 16. An erster Stelle ist zu fragen, ob es einen direkten Zusammenhang des VerstÅndnisses des Wesens Gottes und der Zurechtbringungstat gibt und in welcher Weise dieser Zusammenhang begriffen wird. 17. Die zweite Frage betrifft die Achse des welthaften BeziehungsgefÛges. Hier ist zu fragen, ob und in welcher Weise die drei Dimensionen in den verschiedenen Konzeptionen berÛcksichtigt sind. Diese Frage lÅßt sich untergliedern: 17a. Hat das entsprechende ZurechtbringungsverstÅndnis eine personale Dimension? 17b. Hat das entsprechende ZurechtbringungsverstÅndnis eine soziale Dimension? 17c. Hat das entsprechende ZurechtbringungsverstÅndnis eine kosmische Dimension? 18. Der dritte Problemkomplex betrifft eine Frage, die die Koordinatenachse des Gott-Welt-VerhÅltnisses betrifft, wie es in der Rechtfertigungslehre oder der Sch×pfungstheologie grundgelegt ist. Wir stellen auch diese Frage in dreifacher Form, um unterschiedliche Aspekte berÛcksichtigen zu k×nnen: 18a. ZunÅchst ist zu fragen, ob und inwieweit Gott von der Welt als unabhÅngig und die Welt als abhÅngig von Gott verstanden wird. Geh×ren nÅmlich die Welt oder Teile von ihr in irgendeinem Sinne zu Gottes Wesen ist der Gedanke der Sch×pfung, die keine anderen Voraussetzungen hat, als

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solche, die in Gott selbst liegen (creatio ex nihilo), nicht m×glich. Ebenso lÅßt sich in diesem Fall eine Rechtfertigung sola gratia nicht denken, da nun Gott seinerseits durch die Existenz der Welt oder ihrer Teile zum rechtfertigenden oder zurechtbringenden Handeln gen×tigt ist, wenn keine Selbstverletzung Gottes eintreten soll und wenn eine (partielle) Selbsterl×sung der Welt vermieden werden soll.115 18b. WÅhrend in der ersten Frage dieses Fragekomplexes davon ausgegangen wurde, daß die Lehre von der Rechtfertigung und von der Sch×pfung zwei Gestalten einer identischen Beziehung zwischen Gott und Welt, bzw. eines identischen Modus des Handelns Gottes an der Welt darstellen, die Frage aber aus der Perspektive der Sch×pfungslehre gestellt wurde, wird sie nun aus der Perspektive der Rechtfertigungslehre gestellt: Wird die Zurechtbringungslehre so verstanden, daß die Rechtfertigung sola gratia erfolgen kann? 18c. WÅhrend in der ersten Teilfrage das Gottsein Gottes im Vordergrund stand, so lÅßt sich diese Frage noch mit einem anderen Akzent stellen: Ist das Welt-Gott-VerhÅltnis so verstanden, daß die Welt Welt sein kann und ihr trotz einer AbhÅngigkeit von Gott eine Eigenwertigkeit zugebilligt wird? Oder geht sie derart in Gott auf, daß diese Eigenwertigkeit verloren geht? 19. Die vorletzte Frage behandelt ein Thema, das alle drei Achsen in ihrem Schnittpunkt direkt betrifft: Sie fragt nach dem Zurechtbringungsereignis in Christus selbst: Das Christusereignis kann zum einen um der gefallenen Menschheit willen geschehen, um der SÛnde willen. Diese Variante kann sowohl infralapsarisch als auch supralapsarisch verstanden werden. Beide FÅlle sind aber nicht ganz unproblematisch, denn in beiden FÅllen mÛßte weitergehend gefragt werden, inwieweit die SÛnde dann in der Verantwortung der Menschen, der Welt oder Gottes liegt. Die Alternative zu beidem, einem supralapsarischen oder einem infralapsarischen VerstÅndnis des Zurechtbringungsereignisses besteht dann auch in einer Position, die dem Christusereignis bzw. dem Zurechtbringungsereignis auch unabhÅngig von der menschlichen SÛnde, etwa hinsichtlich weltlicher Gesch×pflichkeit unabhÅngig vom Fall der Sch×pfung und ihrer Restitution, eine positive Valenz zumißt. In diesem Fall muß Zurechtbringung oder Vers×hnung freilich umfassender als eine restitutio oder Relokation eines gest×rten BeziehungsgefÛges gedacht werden.116 20. Die letzte Frage, die wir zur Analyse der Positionen verwenden, ist eine Detailfrage, die eine der gesch×pflichen Dimensionen, nÅmlich letztlich die kosmische, in den Blick nimmt: Es handelt sich um die Frage nach der

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Vgl. Sartorius, Liebe I, 21 f. Vgl. Schw×bel, Gott in Beziehung, 252.

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Rolle oder Wertigkeit des Todes von personalen und apersonalen kreatÛrlichen Lebewesen. Die christliche Tradition begreift den Tod sehr oft als Sold der SÛnde, so daß sich das ZurechtbringungsverstÅndnis ebenfalls mit dem Problem des Todes auseinanderzusetzen hat. In den altkirchlichen Redemptionslehren wurde dieses Problem geradezu als Hauptproblem der Zurechtbringungslehren verstanden, wÅhrend es in der Neuzeit im Westen fast verlorengegangen zu sein scheint. Mitunter wird auch mit dem Hinweis, Erl×sung sei eben nicht Vers×hnung, das Problem aus der Zurechtbringungslehre ausgeschlossen.117 Wie immer man dies beurteilen mag, so ist doch zu sehen, daß mit dem Verzicht des Einbezugs des Erl×sungsbegriffs in die Zurechtbringungslehre auch ein Verlust oder zumindest eine Restriktion der kosmischen Dimension des ZurechtbringungsverstÅndnisses einhergeht. Das Problem der Rolle des Todes, dem im Rahmen von naturalistischen WeltverstÅndnissen als Motor der Evolution zuweilen eine ganz entscheidende, ja schon kreative Rolle zugeschrieben wird,118 mag hier exemplarisch als konkrete Instantiation fÛr die Frage nach der Wiedergewinnung der kosmologischen Bedeutung der Zurechtbringungslehre stehen. Wir haben hier also zu fragen, ob diesem Problem im Rahmen des jeweiligen ZurechtbringungsverstÅndnisses eine wichtige Rolle, und wenn ja, welche, zugebilligt wird.

2.2 Vers×hnung in der deutschsprachigen lutherischen Theologie des 19. Jh. Wir beginnen den konzeptionellen Vergleich mit zwei lutherischen Zurechtbringungslehren des letzten Drittels des 19. Jh., den EntwÛrfen von Ritschl und KÅhler. Diese fassen in gewisser Weise die Diskussion des 19. Jh. im protestantischen Deutschland zusammen. Zwar gab es noch weitere DiskussionszusammenhÅnge, wie etwa die Diskussion um die Vers×hnungslehre Hofmanns oder den Entwurf Baurs,1 doch ist zu beachten, daß diese nicht den gleichen paradigmatischen Wert haben. Denn der Streit um Hofmanns Vers×hnungslehre entspann sich um verschiedene loci innerhalb eines nicht nur der Vers×hnung gewidmeten Werkes, und Ritschls Vers×hnungslehre ist in Auseinandersetzung mit der Baurs entstanden. Die EntwÛrfe KÅhlers und Ritschls gewinnen ihren paradigmatischen Wert gerade dadurch, daß sie am Ende eines ca. 100-jÅhrigen Ringens um den Vers×hnungsbegriff stehen. Interessant ist dabei, daß es gegen Ende des Jahrhun-

Vgl. exemplarisch HÅrle, Dogmatik, 322, Fußnote 18. Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 303–314, bes. 310. Zu Hofmann vgl. Wenz, Geschichte, Bd. 2, 32–62; zu Baur s. o.

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derts dann doch so aussieht, als wÅren die meisten Diskussionen um die Vers×hnungslehre im deutschsprachigen Bereich im weiteren Sinne im lutherischen Bereich gefÛhrt worden. Dies ist erstaunlich, denn Ritschl selbst hatte immer darauf hingewiesen, daß gerade in der Vers×hnungslehre lutherische Theologen immer das Potential reformierter Theologie unterschÅtzt hÅtten,2 trifft aber durchaus die damalige Rezeptionslage in Deutschland. Ritschls Entwurf ist paradigmatisch, nicht weil Ritschl einen besonders innovativen Einfall zu einem Entwurf ausbaut, sondern weil er eklektisch verschiedene Elemente zu einem erst auf den zweiten Blick innovativen Entwurf verbindet und sein Thema nicht nur in systematischer Perspektive im Zusammenhang mit nahezu allen loci der Dogmatik behandelt, sondern es eben auch in historischer und exegetischer Perspektive bearbeitet.3 Mit beiden Kennzeichen gewinnt Ritschl ein neues Niveau theologischen Arbeitens. Diese Art seines Theologietreibens wurde dann auch schulbildend, weniger die genuinen Inhalte seiner Theologie. Ganz anders steht es um KÅhler. Sein Ringen um die Vers×hnungslehre zieht sich Jahrzehnte hin. 1869, noch vor dem Erscheinen des ersten Bandes von Ritschls RuV , entwirft er ein grobes Konzept, das aber nicht ver×ffentlicht wird. In den folgenden Jahren wird dieses Konzept langsam ausgefÛllt, ohne in den GrundzÛgen umgestÛrzt zu werden und erst 1898 tritt KÅhler in den „Dogmatischen Zeitfragen“ mit einem gr×ßeren, monographieartigen Sammelwerk zu dem Zurechtbringungsthema an die °ffentlichkeit, wenn man kÛrzere Ver×ffentlichungen und die „Wissenschaft “ hier einmal nicht mitrechnet. Insgesamt haben KÅhlers und Cremers biblische Theologie nicht so schulbildend gewirkt wie die Ritschls, worunter beide sehr gelitten haben.4 Dennoch entfaltete sie eine zwar unauffÅllige, aber nichtsdestotrotz einprÅgsame Wirkung, was einige Theologen der ersten HÅlfte des 20. Jh. bezeugen.5 Das VerhÅltnis beider Zurechtbringungslehren untereinander wird in der Forschung kontrovers diskutiert und wartet noch auf eine KlÅrung. Es finden sich im wesentlichen drei VerhÅltnisbestimmungen: Erstens: KÅhler sei inhaltlich als SchÛler Ritschls zu werten.6 Zweitens: KÅhler sei als Antipode zu Ritschl zu verstehen, der seine Zurechtbringungslehre als Gegenentwurf zu der Ritschls entwirft.7 Drittens: KÅhler ist von Ritschl unabhÅngig.8 Betrachtet man die Kontexte, in denen diese un-

Vgl. z. B. Ritschl, RuV 1, 291–314 u. a. Der mißlichen Situation, daß es u. a. aufgrund der Wertung Ritschls durch die Ritschlianer und Karl Barth kaum knappe und wirklich brauchbare Zusammenfassungen von Ritschls Theologie gab, ist jetzt durch die ausgewogene, sachliche und dennoch einen ºberblick verschaffende Darstellung Oberdorfer, Ritschl, ausgeglichen, in der auch das VerhÅltnis Ritschls zu Barth und die Bedeutung von Ritschls Theologie fÛr Fragestellungen der zeitgen×ssischen Theologie zu Beginn des 21. Jh. angesprochen sind. 4 Vgl. die briefliche Korrespondenz nach Seiler, Entwicklung, 145–158. 5 Das gilt z. B. fÛr Tillich, dessen Problematisierung der Vers×hnungslehre in ST 2, 183–189 von KÅhler beeinflußt sein dÛrfte, aber auch z. B. fÛr Althaus, Kerygma und Althaus, Wahrheit, §45–47. 6 Vgl. SchÅfer, Rechtfertigungslehre. 7 Vgl. Seiler, Entwicklung, 145–158. 8 Vgl. Link, Geschichte, 333–344. 2 3

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terschiedlichen VerhÅltnisbestimmungen entstanden sind, verwundert diese DiversitÅt nicht, denn es fehlt bis heute sowohl eine Arbeit, die sich den theologischen Vergleich Ritschls mit KÅhler zum Ziel gesetzt hÅtte als auch eine Arbeit, die den traditionsgeschichtlichen Einfluß Ritschls auf KÅhler untersuchen wÛrde. Sieht man von dem GesamtÛberblick Ûber die Vers×hnungslehren der Neuzeit von Wenz9 ab, gibt es nur Arbeiten, die sich entweder mit Ritschl oder mit KÅhler beschÅftigen und den jeweils anderen nur zum Vergleich heranziehen. Das extreme Urteil, KÅhler sei als Ritschl-SchÛler zu verstehen, stammt von dem Ritschlspezialisten SchÅfer, wÅhrend das andere extreme Urteil, KÅhler sei von Ritschl unabhÅngig, von dem KÅhlerspezialisten Link stammt.10 Wir nehmen uns hier explizit des ersten der beiden Desiderate an, des theologisch-konzeptionellen Vergleichs, da sich dies der systematischen Gesamtfragestellung als adÅquat erweist. Wir halten uns daher primÅr an die wichtigsten Schriften als Untersuchungsmaterial. Dies ist im Falle Ritschls der Unterricht , die Christliche Vollkommenheit und natÛrlich RuV , wo die zweite Auflage herangezogen wird, sofern nichts Gegenteiliges vermerkt ist. Die zweite Auflage ist weitgehend die Basis fÛr die spÅteren Auflagen und hier hat Ritschl schon wichtige Selbstkorrekturen an der ersten Auflage angebracht. Ferner werden nach Bedarf verschiedene kleinere, auch posthum ver×ffentlichte Schriften herangezogen. Bei KÅhler dient als Grundlage primÅr die Wissenschaft , die Einleitung zur Vers×hnungslehre von 1869 und deren Ausgestaltung von 1898 in den Dogmatischen Zeitfragen, wobei auch hier gelegentlich andere, auch erst posthum ver×ffentlichte Schriften sowie Briefliteratur herangezogen wird.11 Der zweiten Frage, inwieweit KÅhler durch eine direkte Rezeption Ritschls geprÅgt ist, kann hier nicht nachgegangen werden. Es sei aber eine Vermutung ausgesprochen: Es sieht so aus, als wÅre von den drei genannten VerhÅltnisbestimmungen heute eher die Links favorisiert, nach der KÅhler von Ritschl weitgehend unabhÅngig ist. Diese VerhÅltnisbestimmung paßt nÅmlich am besten zu KÅhlers SelbstverstÅndnis. Schon zu KÅhlers Lebzeiten begriffen die Ritschlianer, etwa Herrmann, KÅhler als einen RitschlschÛler, der ungerechter Weise seinen geistigen Lehrer verleumde. KÅhler selbst hatte sich dagegen verwahrt und beansprucht, von Ritschl unabhÅngig zu sein, da er bereits 1869 seine Zurechtbringungslehre in GrundzÛgen entworfen, nicht aber ver×ffentlicht hÅtte. Viele seiner polemischen Šußerungen seien zudem nicht gegen Ritschl, sondern gegen Schleiermacher u. a. gerichtet gewesen. Herrmann hat diese SelbsteinschÅtzung KÅhlers explizit akzeptiert.12 KÅhlers Theologie trÅgt nÅmlich die Eigenart, sich nicht explizit auf die theologische Debatte der Gegenwart zu beziehen, zumindest nicht durch Namensnennung. Nun zeigen aber briefliche Šußerungen KÅhlers und Cremers,13 sowie erst posthum Ver×ffentlichtes,14 daß KÅhler Ritschl doch verbittert als Antipode empfunden haben dÛrfte, wenn er seine UnabhÅngigkeit auch stets betonte. Rechnen wir nun noch den Ertrag

Vgl. Wenz, Geschichte, Bd. 2, 63–131+132–192. Vgl. SchÅfer, Ritschl; Link, Geschichte; wenig ergiebig ist G×ll, Vers×hnung. 11 KÅhler, Vers×hnung. 12 Vgl. Link, Geschichte, 334, Anm. 256. 13 Vgl. Seiler, Entwicklung, 145 ff. 14 Vgl. KÅhler, Geschichte, 240 ff, bes. 252. 258 f. 9

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unseres konzeptionellen Vergleichs hinzu, der hier nicht vorweggenommen zu werden braucht, legt sich der Verdacht nahe, daß auch rezeptionsgeschichtlich KÅhler stÅrker von Ritschl geprÅgt sein dÛrfte als Link und KÅhler selbst angenommen haben. Dies ist freilich nur eine Vermutung. Sie wÅre nur literarisch zu ÛberprÛfen, indem alle schriftlichen Šußerungen KÅhlers auf EinflÛsse Ritschls untersucht werden wÛrden. Auf diese Weise k×nnte man feststellen, welche Elemente der KÅhlerschen Theologie erst nach 1869 zu finden sind und in welchem VerhÅltnis sie jeweils zu Ritschl stehen. Freilich ist eine solche Arbeit durch den gegenwÅrtigen editorischen Stand sowohl Ritschls als auch KÅhlers nur erschwert zu leisten, und der theologische Gewinn wÅre auch Åußert gering.

2.2.1 Die Zurechtbringungslehre Albrecht Ritschls 2.2.1.1 Die Grundlegung der Soteriologie Ritschls in der Gotteslehre Ritschls Theologie versteht sich als Offenbarungstheologie, die sich aufgrund des religi×sen Werturteils15 innerhalb der vers×hnten Gemeinde rekonstruieren lÅßt. Der Ûbliche Ansatz, Ritschls Theologie von seiner Erkenntnislehre aus zu rekonstruieren,16 wird hier umgekehrt. Von Ritschls Theologie, d. h. der speziellen Gotteslehre aus betrachtet, wird seine Vers×hnungslehre rekonstruiert, die die Basis von Ritschls Theorie religi×ser Erkenntnis ist. Beide Verfahren entsprechen sich und dÛrfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.17 Der hier gewÅhlte Ansatz dÛrfte aber einige Sachverhalte deutlicher ins Licht treten lassen. Zwar wurde wiederholt beobachtet, daß gemÅß Ritschls Selbstaussage in der dritten Auflage von RuV18 seine Erkenntnislehre von Lotzes Philoso-

15 ºber Ritschls Grundlegung der Theologie in Werturteilen, d. h. in Aussagen, die neben ihrem Gegenstandsbezug auch immer durch das GefÛhl der Lust oder Unlust einen Wert fÛr das Subjekt beinhalten (vgl. RuV 3,194), ist seit Ûber einem Jahrhundert viel gestritten worden (vgl. SchÅfer, Ritschl, 170–173. Einzelne Streit- und Interpretationsthesen sind zugÅnglich in Slenczka, Glaube, 150, Anm. 53). Dieser Streit verliert aber an Brisanz, wenn man berÛcksichtigt, daß Ritschl ein absolut wertneutrales Urteil auch im Bereich der Naturphilosophie gar nicht zulÅßt, (RuV 3,195), denn hier finden sich immer „begleitende Werturteile“, die von „selbststÅndigen Werturteilen“ unterschieden werden (vgl. auch Slenczka, Glaube 172 f). Letztere finden sich in den Bereichen des Sittlichen wie des Religi×sen, die in ihrer Einheit Gegenstand der Theologie sind. Insgesamt kann mit Slenczka, Glaube, 164 ff diagnostiziert werden, daß Ritschl den Werturteilsbegriff nicht univok verwendet. 16 Vgl. Wrzecionko, Wurzeln. Zur Kritik vgl. Timm, Praxis, 17. 17 Ein Åhnliches Verfahren hat auch SchÅfer, Ritschl, 69 gewÅhlt. Slenczka, Glaube, 128–149 hat den Zusammenhang der in der vers×hnten Gemeinde beginnenden Erkenntnisordnung und deren kohÅrentistische Verifikation in der materialen Darstellung Ritschls prÅzise herausgearbeitet. 18 Vgl. Ritschl, RuV 3, 20 ff.

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phie, genauer deren ontologischer Grundlegung, abhÅngig ist19, jedoch wird selten darauf hingewiesen, daß sich dieser Einfluß auch material in Ritschls Gotteslehre bemerkbar macht. Die Grundkategorie von Lotzes relationaler Ontologie ist die Kategorie der Wechselbeziehung. Sein ist Wechselwirkung zwischen Relaten. Dies gilt zunÅchst fÛr die natÛrliche Welt, in der die Wechselwirkung nÅher durch den KausalitÅtsbegriff, genauer durch den Begriff der VerÅnderung und Bewegung bestimmt wird. Aber auch in der personalen Welt des Geistes ist Wechselwirkung der Grundbegriff, der hier nÅher durch den teleologischen Zweckbegriff bestimmt wird.20 Erkenntnis ist ebenfalls eine Wechselwirkung, z. B. zwischen Relaten aus beiden Bereichen, dem des Geistes und dem der natÛrlichen Welt. WÅhrend Lotze Kant inhaltlich recht nahe kommt,21 unterscheidet Lotzes System sich von Kant durch die Explizierung seines ontologischen Fundaments, das bei Kant nur implizit erscheint. Dieser teleologisch-relationale Ansatz in der Ontologie, nicht deren systemimmanente Spezifikationen, findet sich deutlich in allen Bereichen von Ritschls Soteriologie, zu der die Gotteslehre der SchlÛssel ist. Anstelle der systemimmanenten Spezifikationen Lotzes nimmt Ritschl eigene Spezifikationen vor, die z. T. in der Forschung noch nicht hinreichend berÛcksichtigt sind. Nicht verschleiert werden darf allerdings, daß es Ritschl gerade nicht um eine eklektische ºbernahme zeitgen×ssischen philosophischen Gedankenguts geht. Die Probleme, deren L×sung Ritschl in G×ttingen durch Einfluß von Lotzes relational-teleologischer Ontologie fÅhig wird, sind genau die soteriologischen Fragestellungen, die ihn seit den 40er Jahren des 19. Jh. beschÅftigten und dessen L×sung bei Baur ihn nicht befriedigen konnte.22 Kennzeichnend zur Bestimmung von Ritschls Gottesbegriff sind die Begriffe der Pers×nlichkeit , der Liebe und damit korreliert der des Reiches Gottes sowie der der Ewigkeit. 2.2.1.1.1 Pers×nlichkeit Ausgehend von der Existenz Gottes, wird Gott zunÅchst als Pers×nlichkeit bestimmt.23 Unter deutlicher Absetzung des die Fichtesche Kritik am Be-

Vgl. Wrzecionko, Wurzeln. Vgl. Wrzecionko, Wurzeln, 78 ff. 21 Vgl. Wrzecionko, Wurzeln, 102 ff. 22 Vgl. Wenz, Vers×hnungslehre, Bd. 2, 110, Timm, Praxis, 30. 23 Durch den Ansatz beim Werturteil ist die Existenz Gottes zwar schon gegeben, so daß Ritschl bekanntlich die Gottesbeweise im Gefolge Kants, bzw. Tieftrunks, ablehnen kann (vgl. RuV 3; 201–215), dennoch kommt es bei Ritschl faktisch zu einer FÛhrung eines an Kant angelegten moralischen Gottesbeweises. Dies gilt nicht nur, wie Kuhlmann: Ethik, 95 f meint, fÛr die erste Auflage von RuV, sondern hÅlt sich in den weiteren Auflagen durch. Denn auch hier wird deutlich Ûber Kants Folgerung der Existenz Gottes als Postulat der praktischen Vernunft 19 20

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griff eines personalen Gottes aufnehmenden Pers×nlichkeitsverstÅndnisses von Strauß24 bestimmt Ritschl die kreatÛrliche Pers×nlichkeit explizit mit Lotze als ein „Erzeugnis des Wechselverkehrs unseres Ich mit der gegebenen Welt“25. Diese Wechselbeziehung ist in der einen Richtung genauer durch die teleologische Struktur des Zweckgedankens bestimmt, so daß eine Person etwas ist, was einen Zweck zu verwirklichen sucht. Zwar wirkt umgekehrt in der Konversrelation auch die Welt auf die Person ein, doch ist dies nicht das Proprium der Pers×nlichkeit, sondern „Hemmung“. Daher ist die Anwendung des Begriffs der Pers×nlichkeit auf Gott „ohne Widerspruch denkbar“, denn als „Ursache alles desjenigen, was wird, wird Gott nur durch solche Reize afficirt, mit welchen er seine Gesch×pfe ausstattet, und welche er als die Wirkungen seines eigenen Willens durchschaut [. . .] vielmehr ist alles, was die Welt fÛr ihn bedeutet, im Grunde Ausdruck seiner eigenen SelbstbethÅtigung“26. Der Begriff der Pers×nlichkeit ist also dadurch bestimmt, daß ein Relat auf ein anderes Relat als Zweck in der Beziehung einer Verwirklichung dieses Zweckes bezogen ist.27 2.2.1.1.2 Liebe und Reich Gottes Der formale Pers×nlichkeitsbegriff ist noch keine Wesensbeschreibung Gottes, da hier noch alle m×glichen inhaltlichen Zwecke angenommen werden k×nnten.28 Aus der Offenbarung lÅßt sich aber eine weitere intentionale Bestimmung als Wesensbestimmung Gottes entnehmen, die des Willens der Liebe.29 Ritschl beschreibt das Modellrelat Liebe als stetige, Affekte einschließende primÅr voluntative Beziehung eines Relats zu einem Objekt,

hinausgegangen, indem das teleologische Leben des Geistes einschließlich der Sittlichkeit nicht in der praktischen, sondern in der theoretischen Vernunft verortet wird (vgl. RuV 3, 211; Geisler, Gottesbeweis, bes. 29 f). Diese Folgerung ist n×tig, wenn man bedenkt, daß Ritschl das kant'sche BedingungsverhÅltnis von Sittlichkeit und Religion umdreht. Damit kann Ritschl zwar, wie Slenczka, Glaube 156, Anm. 66 bemerkt, den Beweisbegriff selbst ablehnen. Umstritten bleibt, ob damit eine natÛrliche Theologie vorliegt (vgl. Geisler, Gottesbeweis, bes. 33 ff). Man kann den Beweis kohÅrentistisch so verstehen, daß er die Sittlichkeit und daher die bereits vers×hnte Gemeinde als empirische Gegebenheit voraussetzt, so daß trotz der ValiditÅt der Beweisstruktur auf Basis der PrÅmissen diese natÛrliche Theologie keine solche wÅre. 24 Vgl. Ritschl, RuV 3, 217–222. 25 Ritschl, RuV 3, 222. 26 Ritschl, RuV 3, 224. 27 Im Unterricht geht Ritschl sogar soweit, daß er die Ehe als Fall einer Verbindung zweier Personen, die auf einen gemeinsamen Selbstzweck bezogen sind, als Konstitution einer Person beschreiben kann. Vgl. Ritschl, Unterricht, §58, 47. Hier wird die ontologische PrÅvalenz der Relation vor den Relaten schon in der Sprache deutlich. 28 Vgl. Ritschl, RuV 3, 261. 29 Vgl. Ritschl, RuV 3, 260.

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d. h. als eine Haltung30, die „aus dem Motive des GefÛhls vom Werthe eines Objectes sich entweder auf dessen Aneignung oder auf dessen F×rderung in seiner Art des Daseins“ richtet. Weitere Bestimmungen sind die ReziprozitÅt der Liebe, die ein ebenfalls geistiges, d. h. personales Objekt erfordert, die Absicht der F×rderung des Selbstzweckes der geliebten Person, die mit dem eigenen Selbstzweck zusammenfÅllt.31 Auf Gott angewendet bedeutet dies, daß Gott als Selbstzweck eine Gott gleichartige, d. h. geistige oder personale Welt in einer filialen Liebesbeziehung bezweckt. Da dieses Zweitrelat faktisch eine Vielheit von Geistern, d. h. Personen, ist, ist deren kollektive Einheit, soweit sie im Sittengesetz verwirklicht ist, Gegenstand, d. h. Zweitrelat, der g×ttlichen Liebe. Diese „sittliche Vereinigung“ ist das Reich Gottes.32 Diese Argumentation erm×glicht es, die IdentitÅt des Selbstzweckes Gottes und der Menschen im Reich Gottes zu sehen. Erm×glicht ist ferner die Einbeziehung der natÛrlichen Welt bzw. deren Sch×pfung als Mittel zum Zweck der Hervorbringung einer personalen Welt. Letztlich ist darauf hinzuweisen, daß Ritschls angeblicher Kollektivismus33 – d. h. der Ansatz bei der Gemeinde, nicht beim individuellen Subjekt – genau hier seine sachlich-notwendige BegrÛndung findet und nicht einfach pragmatisch auf eine besondere Kirchlichkeit Ritschls zurÛckgefÛhrt werden kann. Ritschl bestimmt das Objektrelat der Liebe Gottes, das Reich Gottes, nicht primÅr extensional, sondern intensional. Das Reich Gottes ist nicht einfach mit der Kirche koextensiv, noch mit einem feststehenden numerus praedestinatorum. Aber auch die intensionale Bestimmung ist, vor allem im Vergleich mit Kant, auffÅllig. WÅhrend Kant das Reich Gottes so mit dem h×chsten Gut34 identifiziert, das so als Koinzidenz von Tugendhaftigkeit und GlÛckseligkeit beschrieben wird, daß die Tugendhaftigkeit mit der PflichterfÛllung des Sittengesetzes identifiziert wird, welches material in den bekannten Formulierungen35 intensional erfaßt wird, hÅlt sich Ritschl hier zurÛck. Ritschl spricht vom Sittengesetz, ohne dieses mit prÅzisen Be-

Zum Begriff der Haltung vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 277. Vgl. Ritschl, RuV 3, 263 f. Vgl. Kuhlmann, Ethik, 186 f. 32 Vgl. Ritschl, RuV 3, 266 f; Unterricht, §5, 2 f. Biblisch gewinnt Ritschl das Korrelat des Reiches Gottes aus den Motiven des alten, bzw. neuen Bundes, vgl. Ritschl, RuV 2, 157 ff; SchÅfer, Ritschl, 64. Zwar ist es richtig, wenn Oberdorfer, Ritschl 188 das Reich Gottes als Leitbegriff in Ritschls Theologie beschreibt, aber es ist ein Leitbegriff neben anderen, der konzeptionell von Ritschls GottesverstÅndnis abgeleitet ist und von diesem abhÅngig bleibt, nicht umgekehrt. 33 Vgl. SchÅfer, Ritschl, 140 f. 34 Vgl. Ritschl, Unterricht, §10, 6–8. Der Begriff des h×chsten Guts ist dabei von Schleiermacher beeinflußt, vgl. SchÅfer, Ritschl, 48 f. 35 Vgl. Kant, KpV, §7, 54, ders., Metaphysik der Sitten, 421. 429. 436 ff. Vgl. dazu jetzt HÅrle, weltanschauliche Voraussetzungen jeder normativen Ethik, 23 f. 30 31

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schreibungen zu definieren. Er spricht vom allgemeinen Liebesgebot36, bzw. in biblischer Terminologie vom Doppelgebot der Liebe, wobei hier noch deutlich die PrioritÅt der NÅchstenliebe betont wird.37 Eine philosophische, konkrete Definition findet sich aber nicht. Dies ist kein Zufall, sondern in Ritschls Berufsethik begrÛndet, wie noch zu sehen sein wird. Die partikulare Aufgabenstellung im Beziehungsgeflecht des Reiches Gottes ist jeweils so spezifisch, daß sich eine allgemeine Definition nicht empfiehlt.38 Ritschl kann sogar sein Verfahren umdrehen und das Sittengesetz seinerseits extensional mit Verweis auf das Reich Gottes beschreiben: „Das Sittengesetz ist das System der Gesinnungen, Absichten und Handlungen, welche aus dem allumfassenden Zwecke des Reiches Gottes und aus dem subjektiven Motive der allgemeinen Liebe notwendig folgen“.39 D.h., als konkrete Pflicht erkennbar ist das Sittengesetz dem Menschen erst unter den jeweiligen partikularen Bedingungen der Vers×hnung (s. u.). 2.2.1.1.3 Ewigkeit Die dritte grundlegende Eigenschaft Gottes ist die Ewigkeit. Dem Ewigkeitsbegriff wird in der Ritschlforschung wenig Aufmerksamkeit geschenkt; man sieht hier in der Regel nur eine Variation der Zweckrelation.40 Diese SehschwÅche der Forschung ist verhÅngnisvoll, denn aus Ritschls Ewigkeitsbegriff lassen sich viele Probleme und Eigenheiten seiner Theologie verstehen, wie noch zu sehen sein wird. Der Ewigkeitsbegriff ist gleichsam die Brille zum VerstÅndnis u. a. von Ritschls Christologie, der Lehre vom Zorn Gottes, der Eschatologie41 u.v. a.m. Klassische VerstÅndnisse der Ewigkeit als Zeitlosigkeit, unendlicher Progress in der Zeit, aber letztlich auch implizit als absolute Gleichzeitigkeit,42 werden von Ritschl ad absurdum gefÛhrt und abgelehnt.43 Ritschls Ewigkeitsbegriff ist vielmehr durch eine Reduktion auf die perfekte Zweckrelation gekennzeichnet. Dieser Reduktionsprozess bringt es mit sich, daß der Zeitbegriff aus dem Ewigkeitsbegriff herausgekÛrzt wird, indem auch der Zeitbegriff als Funktion der Vgl. Ritschl, Unterricht, §6, 3. Vgl. Ritschl, RuV 2, 371 ff. 38 Vgl. Ritschl, RuV 3, 630 f. 39 Ritschl, RuV 3, 240. 40 Vgl. Wrzecionko, Wurzeln, 238, mit explizitem Verweis auf die Ewigkeit: „Es ist bezeichnend, daß Ritschl andere Eigenschaften nicht mehr ausfÛhrlich behandelt, und wenn sie auch gelegentlich erwÅhnt werden, so geht ihre Interpretation nicht Ûber eine Wiederholung des vorgegebenen Schemas hinaus.“ 41 Unter dem Begriff der Ewigkeit kann die kulturprotestantische, d. h. perfektibilistische Deutung des Begriffs des Reiches Gottes, wie sie sich noch bei Weyer-Menkhoff: Doppeldeutigkeit, 67 findet, nur als MißverstÅndnis erscheinen. 42 Vgl. BrÛmmer, beten, 40 ff. 43 Vgl. Ritschl, RuV 3, 282 ff. 36 37

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Zweckrelation erklÅrt wird. In der perfekten Zweckrelation der Liebe Gottes auf das Reich Gottes, in der alle kreatÛrlichen EntitÅten und Ereignisse Mittel sind, gibt es keine Ereignisse oder EntitÅten, die nicht auf Gottes Willen zurÛckgehen, so daß Gott von nichts affiziert werden kann, was nicht von ihm geschaffen ist. Aus diesem Grund ist der Einsatz der gesch×pflichen Mittel nicht einfach zweckmÅßig, sondern derart perfekt zweckmÅßig, daß zwischen der Erreichung des Zweckes und dem Ziel keine Differenz besteht. Die Erreichung des Zweckes Gottes ist absolut sicher und Gott im Wissen gegeben und immer koprÅsent. Der Begriff der Ewigkeit bezeichnet nun exakt diese Sicherheit oder KoprÅsenz von Zweck und Ziel.44 Der Ritschl'sche Ewigkeitsbegriff kann so verstanden werden als Reformulierung der thomasisch-aristotelischen Auffassung Gottes als actus purus. Signifikant ist an diesem Vergleich dann, daß die Differenzlosigkeit zwischen Akt und Potenz klassisch streng auf Gottes Sein, nicht auf dessen WeltverhÅltnis bezogen ist, wÅhrend die Differenzlosigkeit in Ritschls EwigkeitsverstÅndnis zwischen Absicht und Ereigniseintritt gerade auf das WeltverhÅltnis, bzw. auf das Reich Gottes, bezogen ist. Der Begriff der Zeit ist eine Funktion dieser Zweckrelation, insofern aus der Perspektive der geschaffenen Geister keine Durchsichtigkeit der KoprÅsenz von Zweck und Ziel besteht. Denn die einzelnen Geister k×nnen sich als Selbstzweck auch an anderen Zwecken als ihrem eigentlichen Selbstzweck, dem Reich Gottes, orientieren, bzw. erfahren, wenn sie an diesem korrekten Zweck orientiert sind, in der Wahl ihrer Mittel mannigfache Hemmungen durch ºbel. Daher erleben sie so gerade keine KoprÅsenz, sondern vielmehr eine Differenz von Zweck und Ziel. Diese Differenz begrÛndet das Zeiterleben.45 Dabei bedeutet Ritschls Reformulierung der Ewigkeit keinen boethianischen Ewigkeitsbegriff der absoluten Gleichzeitigkeit. Denn obwohl im Wissen Gottes absichtlicher Zweck und Vollendung koprÅsent sind, gilt das nicht fÛr die gesamte Spanne gesch×pflichen Zeiterlebens, die ja fÛr Gott nicht Zweck oder Vollendung des Zweckes, sondern Mittel ist. Folglich gibt es im Bereich des mediatorischen Seins das Konzept einer von Gott geschaffenen oder geduldeten objektiven Zeit, das Ritschl auch positiv nutzt. Zum einen erlaubt nÅmlich die zeitliche Einzigartigkeit Christi auf dessen ontische Einzigartigkeit zu schließen.46 Zum anderen kennt Gott keine PrÅszienz individueller gesch×pflicher, d. h. mediatorischer Ereignisse.47

Vgl. Ritschl, RuV 3, 284. 475; Unterricht, §14, 10 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 286. 46 Vgl. Ritschl, RuV 3, 438. 47 Ritschl, RuV 3, 116 f: „Die Wirklichkeit der Welt fÛr Gott, wie wir es nicht anders vorstellen k×nnen, ist dadurch bedingt, daß in dem Ganzen auch das Einzelne, was verÅnderlich ist, von ihm gewollt ist. Dann hat aber auch das Schema der Zeit fÛr ihn seine Geltung. Nun hÅngt 44 45

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Ritschls Ewigkeitsbegriff und Ritschls Reduktion oder Funktionalisierung des Zeitbegriffs erlaubt eine kohÅrente Darstellung vieler Problemkomplexe in Ritschls System. Allerdings tritt dann auch eine Problemverschiebung auf den Ewigkeitsbegriff, der nun eine SchlÛsselstellung erhÅlt, ein. Voraussetzung von Ritschls Verfahren ist nÅmlich, daß der Begriff der Zweckrelation selbst schon zeitlos ist, wenn die genannten Ableitungen m×glich sein sollen. Eine Zweckrelation ist aber letztlich nichts anderes als eine Handlungsrelation, in der, allgemein ausgedrÛckt, personal konstituierte Handlungssubjekte A mit einem spezifischen Handlungswissen B unter Beachtung von Handlungsregeln C und unter Einsatz von Handlungsmitteln D ein Handlungsziel E absichtlich verfolgen und so zumindest notwendige Bedingung zum Ereigniseintritt des Zieles F sind.48 Diese Relation scheint aber den Zeitbegriff implizit schon zu enthalten. FÛr Ritschl ist diese Reduktion m×glich, weil fÛr ihn mit Lotze nach Kant Raum und Zeit letztlich nur Anschauungsformen, nicht aber GegenstÅnde sind.49 Die GegenstÅndlichkeit von Raum und Zeit scheint aber in der modernen Physik weitgehend unaufgebbar zu sein.50 Sollte irgendeine Reduktion Ûberhaupt m×glich sein, dÛrfte diese aber den Charakter der Zeit als Ordnungsrelation, also gerade die implizit in der Handlungsrelation enthaltene Struktur51 der Zeit aufgrund der geordneten Differenz von absichtlichen Zwecken, Mitteln und verwirklichtem, zielhaften Ereignis nicht antasten.52 An der faktischen Valenz von Ritschls Ewigkeitsbegriff hÅngen daher viele SchlÛsselprobleme seines Systems. Als Beispiel sei zunÅchst das VerstÅndnis Jesu Christi im Zusammenhang der Liebe Gottes, kurz, das VerstÅndnis der TrinitÅt, genannt. Nach dem Deuteschema der Einreihung der Eigenschaften unter den Zweckgedanken werden noch die Eigenschaften Gottes der Allmacht, Weisheit, Gerechtigkeit, Gnade und Wahrhaftigkeit gedeutet, die hier nicht mehr explizit zu besprechen sind.53

das einzelne menschliche Individuum von einer Reihe von Mittelursachen ab; Gott also kann dasselbe auch nur in der Zeit vorstellen; ewige Vorherbestimmung von Individuen zum Heil [. . .] ist Ûberhaupt widersinnig.“ Vgl. auch RuV 3, 286 f. 48 Vgl. MÛhling, Art. Handeln II. Dogmatisch, in: RGG4, Bd. 3, 1420; ders., Gott ist Liebe, 277. 284. 49 Vgl. Wrzecionko, Wurzeln, 83–90. 50 Vgl. MÛhling, GegenstÅndlichkeit Gottes. 51 Vgl. Swinburnes Distinktion zwischen Struktur und Metrik der Zeit in Swinburne, God, 72–80; ders., Space and Time, 32 f. 172–211. 52 Vgl. MÛhling, GegenstÅndlichkeit Gottes. 53 Vgl. SchÅfer, Ritschl, 78–81; Wrzecionko, Wurzeln, 235–239.

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2.2.1.1.4 Ritschls Lehre von der TrinitÅt Jesus Christus ist notwendiges Mittel zum Reich Gottes in mehrfacher Hinsicht, wie in der materialen Soteriologie und Christologie noch zu sehen sein wird. Das VerhÅltnis Gottes als Vater zu seinem Sohn ist aber auch alleiniger Erkenntnisgrund Gottes als Liebe zur Gemeinde, so daß der Name Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist eine „compendiarische Bezeichnung“ seiner Offenbarung ist.54 Das VerhÅltnis Gottes zur Gemeinde entspricht also dem VerhÅltnis Gottes zum Sohn. Damit ist zunÅchst deutlich, daß Ritschl gezwungen ist, eine TrinitÅtslehre zu entwickeln, die freilich in Entsprechung zu Ritschls Ewigkeitsbegriff nur als ×konomische TrinitÅt beschrieben werden kann. Ritschl prÅfiguriert damit die IdentitÅtsthese Rahners.55 Der kompendiarische Charakter ist fÛr Ritschl Anlaß, die TrinitÅtslehre Åhnlich Schleiermacher, ans Ende der Darstellung zu setzen.56 Interessant ist, daß Ritschls TrinitÅtslehre zwar ausdrÛcklich das augustinische Modell der TrinitÅt als intentionaler Selbstrelation ablehnt, jedoch den Geist als Selbsterkenntnis Gottes, bzw. Teilhabe an der Erkenntnis Gottes seiner Selbst deutet (s. u.) und so den Geist als intentionale Relation, nicht als Relat, exakt nach dem augustinischen Modell deutet.57 Dies hat, wie noch zu sehen sein wird, fatale Folgen bei der Vers×hnungsaneignung (s. u.). Die Behauptung, Vater, Sohn und Geist seien gemÅß der Zustimmung zur klassischen trinitarischen Formel hypostatisch unterschieden,58 ist daher in Hinsicht auf den Geist nicht verifizierbar, wÅhrend in Hinblick auf Jesus Christus als Sohn dessen durch die HypostasizitÅt ausgesagte Besonderheit, wie noch zu sehen sein wird, gerade in der menschlichen Seite liegt (s. u.).

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Ritschl, RuV, 3, 259. Vgl. Ritschl, RuV 3, 259 f; 268; Unterricht, §11, 8 f; §21, 17. Ritschl, Kolleg, 204: „Aber von diesem Standpunkt aus ist die theologische Distinktion zwischen OffenbarungstrinitÅt und WesenstrinitÅt unfruchtbar. Denn eine Erkenntnis des Wesens Gottes, welche von seiner Offenbarung abstrahierte, ist ein zielloses Unternehmen. Wenn nun Gott in dem dreifachen Namen vollstÅndig offenbar ist, so ist er auch dann offenbar, so wie er ewig ist.“ Ritschl ebd. verbindet damit freilich einen nicht problemlosen Ausschluß der Kontingenz der Offenbarung, die Ritschl problematischerweise mit dem auch von ihm abgelehnten Sabellianismus verbindet. Vgl. Rahner, Urgrund, 328. 56 Vgl. Ritschl, Kolleg, 203. 57 Vgl. Ritschl, Kolleg, 203. 58 Vgl. Ritschl, Kolleg, 205. Vgl. auch SchÅfer, Ritschl, 151 f. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die von Kuhlmann: Ethik, 116, Anm. 38 diagnostizierte Šhnlichkeit der TrinitÅtslehre Ritschls zu Barth noch weiter geht, als diese annimmt, da die dort gebotene Beschreibung der immanenten TrinitÅtslehre Barths auf eine immanent-trinitarische Gemeinschaft distinkter Personen hinauszulaufen scheint, die bei Barth so nicht vorliegt. Vgl. MÛhling: Gott ist Liebe, 99–111. 55

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Ferner ist schon jetzt deutlich, daß Ritschl nicht einfach der exemplarische Vertreter einer „Christologie von unten“ ist,59 sondern die Gottheit des Sohnes sachlich voraussetzt, bevor sie erkenntnistheoretisch „von unten“ rekonstruiert wird, wie noch zu sehen sein wird (s. u.). Der SchlÛssel fÛr die M×glichkeit dieses Verfahrens liegt im Ewigkeitsbegriff, der es erlaubt, die g×ttliche Heils×konomie und damit den Sohn schon immer in Gott prÅsent sein zu lassen. Mit den genannten Bestimmungen sind die GrundzÛge von Ritschls GottesverstÅndnis beschrieben. Deutlich geworden sein dÛrfte, daß eine vollstÅndige Gotteslehre aufgrund der Relation des Liebeswillens Gottes zum Reich Gottes, vermittelt im filialen VerhÅltnis Gottes zu seinem Sohn sowie aufgrund des teleologischen Ewigkeitsbegriffs im strengen Sinne erst koextensiv mit einer ausgefÛhrten Soteriologie – also mit dem gesamten Thema dieses Kapitels – sein kann. Ritschls Gotteslehre ist aber von verschiedener Seite immer wieder angegriffen worden.60 Als Kernproblem scheint sich herauszukristallisieren, daß Ritschl die Pers×nlichkeit Gottes in solcher Weise als Liebe denkt, daß der Begriff des Reiches Gottes – und damit der Begriff der Gemeinde sowie der Begriff der Welt als Mittel zum Zweck des Reiches Gottes – konstitutiv zum Gottesbegriff geh×ren, der aufgrund des teleologischen Ewigkeitsbegriffs nur eine ×konomische, nicht aber eine immanente TrinitÅt zulassen kann. Gott kann nicht ohne die Welt, bzw. korrekter, das Reich Gottes, gedacht werden, die Welt kann nicht ohne Gott gedacht werden. Dies bringt Ritschl in den Verdacht pantheisierender Tendenzen, in dem Sinne, daß er der Annahme einer Notwendigkeit der Welt kaum entgehen kann.61 Positiv gewendet kann man sagen, daß Ritschl den Gedanken Pannenbergs, daß Gottes Herrschaft nicht seiner Gottheit Åußerlich ist, prÅfiguriert.62 Erstaunlich ist, daß Ritschl dieses am GottesverstÅndnis Schleiermachers erscheinende Problem63 und seine soteriologischen Implikationen, wie sie schon Ritschls erster Lehrer Carl Immanuel Nitzsch64 ge-

59 Zur Kennzeichnung dieses Schlagwortes im Zusammenhang mit der Theologie Pannenbergs vgl. Schw×bel, Pannenberg, 244. 60 Frank, Dogmatik, 308 f meinte, die Liebe mÛsse durch Gottes Absolutheit ausgeglichen werden, was Ritschl, RuV 3, 225 ff und ders., Metaphysik, 43 aber strikt ablehnt, da dies zu einer WillkÛrlichkeit, bzw. Verborgenheit in Gott fÛhre, so daß Gott nicht als Relat des vertrauenden Glaubens der Gemeinde gedacht werden k×nne. Vgl. auch Kuhlmann, Ethik, 116 u. besonders Slenczka, N., Glaube, 175 f. 186 f. 214–218. 61 Nun lehnt Ritschl selbst „Pantheismus“ eindeutig ab, allerdings benutzt Ritschl nur einen engen Begriff von „Pantheismus“, in dem das geordnete, aber unpers×nliche Universum als koextensiv mit Gott verstanden als dem Absoluten begriffen wird. Vgl. Ritschl, RuV 3, 200 f; 218; 261 f. Die Besonderheiten Gott und Welt gehen mit Wrzecionko, Wurzeln 229 f nicht verloren. 62 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 214. 63 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 124–127. 64 Vgl. Nitzsch, Dreieinigkeit, 340 f.

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sehen hat und welche von Sartorius65 und Liebner66 systematisch herausgearbeitet worden sind, nicht ein einziges Mal anspricht. Dies ist um so erstaunlicher, weil die genannten Theologen als soteriologische Implikationen pelagianisierende Soteriologien betrachten, und Ritschl der Vorwurf des Pelagianismus gemacht wurde.67 2.2.1.2 Die Stellung des Menschen Der Mensch steht in einer doppelten Beziehung, die aus zwei unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen werden kann. Einerseits steht der Mensch in Relation zu Gott. Dies ist die religi×se Relation des Menschen. Andererseits steht der Mensch in Beziehung zum Mitmenschen in der Welt. Dies ist die sittliche Dimension des Menschen. Beide Relationen k×nnen je unter zwei verschiedenen Aspekten betrachtet werden. Zum einen ist der Mensch in beiden Relationen Handelnder, SelbsttÅtiger, Subjekt in Hinsicht faktisch ausgefÛhrter Handlungen wie auch in Hinsicht auf intentionale, etwa semiotisch-deutende, symbolisierende Handlungen. Dies ist die ethische Dimension. Zum anderen k×nnen beide Relationen, die Gottesbeziehung, wie die sittliche Beziehung unter dem Aspekt betrachtet werden, daß sie Verwirklichung g×ttlicher ZwecktÅtigkeit sind, daß in ihnen das Handeln Gottes zum Ausdruck kommt. Dieser bei Ritschl sowohl mit dem Begriff „religi×s“ als auch „dogmatisch“ bezeichnete Aspekt kann mit SchÅfer als dogmatischer Aspekt bezeichnet werden.68

Vgl. MÛhling, Selbstbewußtsein. Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 188–197. 67 Der Grund liegt natÛrlich in Ritschls streng an Lotze orientierter Erkenntnistheorie, die den Begriff des Dinges immer mit dem der Erfahrung in Wechselwirkung verbunden sieht, weil Sein eben Wechselwirkung ist (vgl. Slenczka, N., Glaube, 182 f. 214 f). Aus diesem Grund aber nicht nach den Bedingungen der M×glichkeiten der spezifischen, vers×hnten Erfahrung zu fragen, bzw. diese mit jener zu identifizieren, scheint mir aber gerade den genannten soteriologischen Selbstwiderspruch zu erzeugen. Vgl. zum Vorwurf Barth, KD IV/1, 423 und Brunner, Dogmatik, Bd. 2, 110. 134. Zum Problem vgl. Kuhlmann, Ethik, 168 ff. 68 Vgl. SchÅfer, Ritschl, 67–59. Die Bezeichnung des ethischen Aspekts dÛrfte nach SchÅfer, Ritschl, 68 von Schleiermacher beeinflußt sein. Dagegen scheint es mir nicht sinnvoll zu sein, mit Kuhlmann, Ethik, 278 f noch die dritte PolaritÅt individuell/sozial hier als Aspekt einzutragen, denn zum einen gewinnt Kuhlmann diesen Aspekt zunÅchst lediglich aus der Ethik, zum anderen dÛrfte diese Differenzierung auf einer anderen, noch grundsÅtzlicheren Ebene liegen, und zum dritten scheint diese Differenzierung zwar das etwas einseitige Urteil des Kollektivismus bei Ritschl durch SchÅfer, Ritschl, 140 f ausbalancieren zu k×nnen, aber auf zu radikale Weise: Die individuellen und sozialen Elemente in Ritschls theologischer Ethik beruhen nicht einfach auf einer PolaritÅt, sondern auf der RelationalitÅt der Lotze'schen Wechselwirkung. 65 66

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2.2.1.2.1 Der nicht zurechgebrachte Zustand Obwohl SÛnde nicht selbst Mittel Gottes zur Erreichung des Endzwecks des Reiches Gottes sein kann und sie daher kein eigentlicher religi×ser Begriff, sondern nur indirekt ein religi×ser Begriff ist,69 kann Ritschl SÛnde als Terminus fÛr den nicht zurechtgebrachten, sondern beschÅdigten Zustand als negative Voraussetzung der Vers×hnung bezeichnen.70 Fragt man nun, wie dieser negative Zustand zu bestimmen ist, fragt man nach der Definition des SÛndenbegriffs. Bevor eine solche geliefert werden kann, ist es wichtig, eine Distinktion einzufÛhren: Ritschl unterscheidet zwischen allgemeiner Erfahrbarkeit der SÛnde und spezifischer Erkennbarkeit der SÛnde. WÅhrend SÛnde phÅnomenal in der allgemeinen Lebenswirklichkeit des Menschen erfahrbar ist, ist sie erkennbar nur aus christlicher Sicht, wobei gilt, daß sie hier nicht unter Absehung von Jesus Christus und des Vers×hnungsgeschehens verstehbar ist.71 Dennoch muß im Folgenden nicht erst die gesamte Vers×hnungslehre dargestellt werden, sondern die zuletzt vorgestellte Gotteslehre ist hinreichend zum VerstÅndnis. Wir werden dabei zunÅchst mit der SÛnde als spezifisch erkennbarer einsetzen, um Ritschls Definition zu rekonstruieren, den Begriff der SÛnde von dem des ºbels unterscheiden und anschließend nach der allgemeinen Erfahrbarkeit der SÛnde fragen. Ein letzter Abschnitt wird nach dem VerhÅltnis von SÛnde zu Liebe und Zorn Gottes fragen. 2.2.1.2.2 Die spezifisch erkannte SÛnde Die vollstÅndige Erkenntnis der SÛnde ergibt, daß SÛnde das Gegenteil des Guten, genauer des Reiches Gottes ist.72 In Anlehnung an CA 2 bestimmt Ritschl die SÛnde einerseits religi×s als Mangel an Ehrfurcht und Vertrauen gegen Gott, andererseits sittlich als Konkupiszenz, d. h. als ein Wille, der nicht am Zweck des Reiches Gottes ausgerichtet ist,73 sondern andere GÛter als h×chsten Zweck erstrebt. Die objektive Folge der SÛnde ist „die Trennung der SÛnder von Gott, die Aufhebung der bestimmungsgemÅßen Gemeinschaft“74. Religi×s Åußert sich solch mangelndes Vertrauen im Mißtrauen gegen Gott. Dieses Åußert sich u. a. darin, daß eine falsche Vorstellung Ûber Gott und dessen Beziehung zur Welt besteht, etwa die Vorstellung eines Gottes, der sein VerhÅltnis zur Welt als am ×ffentlichen Recht orientierte juridische Beziehung unterhÅlt und konsequenterweise den SÛn-

69 70 71 72 73 74

Vgl. Ritschl, RuV 3, 27. Vgl. Ritschl, RuV 3, 310. Vgl. Ritschl, RuV 3, 310. Vgl. Ritschl, RuV 3, 312. Vgl. Ritschl, RuV 3, 315–317. 363. 497 f. Ritschl, RuV 3, 41.

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der straft. So werden alle erfahrenen ºbel als juridische Strafen verstanden.75 Als Haltung entsteht bei dem SÛnder Mißtrauen oder gar Haß gegen einen so verstandenen Gott. Hinsichtlich der sittlichen Komponente gilt: Wie das Reich Gottes ist auch die SÛnde nichts individuelles, „Subjekt ist vielmehr die Menschheit als Summe aller Einzelnen“, Åhnlich wie bei Schleiermacher.76 Die handelnd sich zeigenden wie die habituellen SÛnden der einzelnen bilden in ihrer Gesamtheit das Reich der SÛnde.77 Individuelle SÛnde und Reich der SÛnde stehen dabei in einem WechselverhÅltnis. Einerseits trÅgt die einzelne SÛnde zur Summierung bei, andererseits begÛnstigt das Leben im Reich der SÛnde in derart deutlicher Weise die individuelle habituelle oder aktualisierte SÛnde, so daß SÛndlosigkeit (fast) unm×glich,78 genauer: unwahrscheinlich ist. Ritschl ersetzt auch konsequent die fÛr unbiblisch gehaltene ErbsÛndenlehre durch die Lehre vom Reich der SÛnde.79 Er m×chte dabei weder in einen einfachen Pelagianismus verfallen, noch eine vollstÅndige Unfreiheit des Willens lehren,80 denn schließlich besteht das Faktum der SÛndlosigkeit Jesu Christi. Dessen SÛndlosigkeit darf gerade nicht – etwa im Gegensatz zu KÅhler – der g×ttlichen Natur vorbehalten bleiben,81 was sich zwar aus der communicatio idiomatum ergibt, aber zu Problemen mit der Anhypostasie der menschlichen Natur fÛhrt, wie wir spÅter noch sehen werden (s.u). Was tatsÅchlich hier bei Ritschl vorliegt, ist eine Theorie der Reduktion der ModalitÅten der SÛnde um die Kategorie der Notwendigkeit (und der Unm×glichkeit) auf FaktizitÅt und M×glichkeit. Akzeptiert man dieses Verfahren, kann man Ritschl schwerlich Pelagianismus vorwerfen (s. o.), da in diesem Fall die Anliegen der ErbsÛndenlehre mit den zur VerfÛgung stehenden ModalitÅten FaktizitÅt und M×glichkeit ausgedrÛckt werden mÛssen. Genau dies scheint aber durch den Begriff des Reiches der SÛnde gewÅhrleistet zu sein. Faktisch sÛndigt eben jeder. Von dieser FaktizitÅt ist schon rein modallogisch82 nur auf die M×glichkeit, nicht aber auf die Notwendigkeit der SÛnde zu schießen. Die Allgemeinheit der SÛnde bestÛnde dann nicht in deren Notwendigkeit, sondern k×nnte wahrscheinlichkeitstheoretisch reformuliert werden, derart, daß die Wahrscheinlichkeit, nicht zu sÛndigen, gegen Null geht. Freilich k×nnte man versuchen nachzuweisen, daß das genannte Verfahren schon in sich theologisch zu Defizienzen fÛhrt.

75 76 77 78 79 80 81 82

Vgl. Ritschl, RuV 3, 337. Vgl. Ritschl, RuV 3, 317; RuV 1, 503. Vgl. Ritschl, RuV 3, 320. Vgl. Ritschl, RuV 3, 317 ff. Vgl. Ritschl, RuV 3, 317 ff. Vgl. Kuhlmann, Ethik, 168 ff. Vgl. Ritschl, RuV 3, 414. Zu modallogischen Fragen vgl. Hughes/Cresswell, Modallogik.

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2.2.1.2.3 ºbel und SÛnde ºbel selbst werden vom SÛndenbegriff und vom Begriff der Strafe deutlich getrennt, weil ºbel kein religi×ser Begriff ist.83 Denn ºbel werden nicht in Hinsicht auf den Gottesbegriff, sondern in Hinsicht auf die jeweilige pers×nliche Freiheit definiert als Empfindung von Hemmungen im Verfolgen partikularer Zwecke.84 Der Begriff des ºbels ist daher vom jeweiligen subjektiven Urteil abhÅngig, so daß die Distinktion Schleiermachers zwischen mittelbaren und unmittelbaren ºbeln eingezogen werden kann, indem alle personal oder sozial verursachten ºbel auf natÛrliche ºbel reduziert werden.85 ºbel sind relativ zum Auge des gesch×pflichen Subjekts. Wird der Begriff des ºbels hier als zweistellige Relation einer Hemmung eines Ereignisses auf den jeweils gewÅhlten Zweck verstanden, so kann der Begriff indirekt eine religi×se Bedeutung innerhalb einer auf drei Stellen erweiterten Relation gewinnen, wenn ein Ereignis als Hemmung eines selbst gewÅhlten Zweckes zum Endzweck des Sittengesetzes in Bezug gesetzt wird. Dies ist das Bewußtsein der Schuld: „Die Auffassung von Uebeln als Strafen ist vielmehr durch das specifisch religi×se Bewußtsein der Schuld bedingt; nicht blos durch das Urteil, daß man sich eine Freiheitshemmung durch die eigene That zugezogen hat, sondern durch das Urtheil, daß diese That im Widerspruch gegen das g×ttliche Sittengesetz gestanden hat.“86 Dies muß streng individuell verstanden werden: Aus dem SchuldgefÛhl k×nnen nur selbst empfundene ºbel als Strafen gedeutet werden, nicht aber ºbel, welche andere erfahren.87 2.2.1.2.4 SÛnde und Schuld – Die allgemeine Erfahrbarkeit der SÛnde Ritschl geht nicht phÅnomenal vor, sondern leitet die allgemeine Erfahrbarkeit der SÛnde aus systematischen Notwendigkeiten der christlichen Weltanschauung ab, genauer, aus dem VerhÅltnis der KontinuitÅt personaler IdentitÅt zur Erfahrung von ºbeln. Wenn nÅmlich der Vers×hnte ºbel als pÅdagogische Strafmaßnahmen versteht, die Pers×nlichkeit des Vers×hnten aber die gleiche Pers×nlichkeit sein soll wie vor der Vers×hnung, muß der „nachher Vers×hnte [. . .] im SÛndenstande sich des Strafwerthes der Uebel bewußt gewesen sein“.88 Hierbei wird der Strafwert der ºbel freilich falsch

83

Vgl. Ritschl, RuV 3, 335. Vgl. Ritschl, RuV 3, 333. 85 Vgl. Ritschl, RuV 3, 334. 86 Ritschl, RuV 3, 337. 87 Vgl. Ritschl, RuV 3, 337. 88 Ritschl, RuV 3, 48. Hier ist darauf hinzuweisen, daß Ritschl nur hypothetisch von einer Mittelstufe des Schuldbewußteins spricht, die beiden deutlich unterschiedenen Stufen, die Kuhlmann, Ethik, 157 vorschlÅgt, dÛrften dem entsprechen, was Ritschl selbst vorschlÅgt. 84

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empfunden, nÅmlich nicht als pÅdagogische Maßnahmen, sondern als juridische Strafe in dem Sinne, daß hier zwar korrekt eine „bestimmungswidrige Trennung der SÛnder von Gott“89 zum Ausdruck kommt, diese aber als Strafe im rechtlichen Sinne verstanden wird. „Die christliche Religion ist aber keine Rechtsgemeinschaft zwischen den Menschen und Gott. Also ist die Anwendung des rechtlichen Begriffs der Strafe auf gewisse Uebel innerhalb unserer religi×sen Weltanschauung nicht richtig.“90 Ritschl reduziert Schuld nicht auf SchuldgefÛhl, sondern geht davon aus, daß eine objektive Schuld nicht ohne SchuldgefÛhl m×glich ist.91 Eine objektive Schuld ist „im sittlichen Sinne [. . .] der Ausdruck derjenigen St×rung des bestimmungsgemÅßen WechselverhÅltnisses zwischen Sittengesetz und Freiheit, welche aus dem gesetzwidrigen Mißbrauch der Freiheit folgt, und als solche durch die begleitende Unlust des SchuldgefÛhls bezeichnet wird“.92 2.2.1.2.5 Vergebbare und nicht vergebbare SÛnde – Das VerhÅltnis der SÛnde zur Liebe Gottes und die Rede vom sog. Zorn Gottes Gott ist Wille zur Liebe, indem Gottes Selbstzweck und der Zweck seiner Sch×pfung im Reich Gottes koinzidieren. Aufgrund Gottes Zweck besteht seine Absicht der Verzeihung der SÛnde. Dennoch nimmt Ritschl nicht einfach eine Allvers×hnung an, sondern lehnt explizit den Gedanken des sonst hochgeschÅtzten Tieftrunk ab, nach dem der Endzweck des Reiches Gottes bestehend im Sittengesetz und eine gleichzeitige Nichtvergebung einzelner SÛnder einen Widerspruch implizieren.93 Vielmehr wÅre eine Vers×hnung dann ausgeschlossen, wenn es eine Form der SÛnde gÅbe, die sich zum Endzweck des Reiches Gottes kontravalent verhÅlt. Und tatsÅchlich unterscheidet Ritschl zwei Formen der SÛnde: Vergebbare SÛnde, die in Unwissenheit besteht und die unvergebbare verstockte SÛnde mit erhobener Hand, die ein expliziter, wissentlicher Widerspruch gegen den erkannten Endzweck des Reiches Gottes ist.94 Die unwissentliche SÛnde widerspricht dabei nicht dem Gedanken des allgemein erfahrbaren SchuldgefÛhls, sondern hier finden sich zwei Hinsichten, die einen Selbstwiderspruch ausschließen: SÛnde besteht ja in gewÅhlten Zwecken, die dem Endzweck des Reiches Gottes zwar widersprechen, die aber dennoch subjektiv fÛr gut gehalten werden oder tatsÅchlich fÛr partikulare Zwecke GÛter darstellen.95 Das aus der Erfahrung der ºbel entstehende SchuldgefÛhl unter der SÛnde kann daher als 89 90 91 92 93 94 95

Ritschl, RuV 3, 52. Ritschl, RuV, 3, 343. 435. Vgl. Ritschl, RuV 3, 54 f. Ritschl, RuV 3, 56. Vgl. Ritschl, RuV 3, 302. Vgl. Ritschl, RuV 2, 149 f. 155. 241–6; RuV 3, 303. 356 ff. 362. Vgl. Ritschl, RuV 3, 482.

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RealitÅtsprinzip interpretiert werden, das zwar den objektiven Zweck zur Geltung bringt, nicht aber die Wirklichkeit der SÛnde aufhebt und zu deren voller Erkenntnis fÛhrt.96 Entscheidend fÛr die unvergebbare SÛnde ist, daß es sich um eine intensionale Bestimmung handelt, ohne daß damit eine Angabe Ûber die Extension gemacht wÅre. Ritschl lehnt eine doppelte PrÅdestination eindeutig ab,97 hÅlt an der lutherischen Einsicht fest, daß Jesu Christi vers×hnendes Lebenswerk sich zwar auf die GrÛndung der Gemeinde des Gottesreiches bezieht, aber universal ausgerichtet ist98 und betont, daß es keine Erkenntnism×glichkeit gibt, wer ein verstockter SÛnder sein k×nnte99. Faktisch betont Ritschl, daß es keine Erkenntnism×glichkeit gibt, ob die Extension der Klasse „verstockte SÛnder“ Ûberhaupt ein Element enthÅlt oder nicht.100 Damit ist die entsprechende Frage nach der Extension einfach keine theologische Frage.101 Es ist nun umstritten, ob es eine eschatologische Verwerfung gibt oder nicht. Ritschl liefert fÛr die fÅlschliche Annahme einer eschatologischen Verwerfung selbst Evidenz durch seine Rekonstruktion der Rede vom Zorn Gottes.102 Systematisch wie exegetisch schließt Ritschl nÅmlich zunÅchst aus, daß es sich dabei um einen Affekt handeln k×nnte,103 um darauf die Rede vom Zorn Gottes strikt nach paulinischer Exegese104 auf die intensionale Bestimmung des (Selbst-)Ausschlusses der verstockten SÛnder vom Endzweck zu beziehen, also auf den hypothetischen doppelten Gerichtsausgang. Diese Argumentation dient vor allem dazu, den Zorn Gottes in keiner Weise mit der Liebe zu verbinden, ihn ihr auch nicht etwa als pÅdagogischen Zorn Gottes zu subordinieren, wie dies bei Sartorius, Sch×berlein und anders bei KÅhler u. a. geschieht.105 Vielmehr ist der „Zorn Gottes“, Åhnlich wie Heiligkeit,106 Ûberhaupt keine Eigenschaft Gottes, sondern nur ein Ausdruck fÛr die eschatologische Verwerfung.107 Nun findet sich bei Ritschl in RuV 3 in keiner der Auflagen ein Eschatologiekapitel, so daß Anlaß zu Spekulationen zu bestehen scheint, 96

Vgl. Ritschl, RuV 3, 52–57. Vgl. Ritschl, RuV 3, 303. 307. 348 ff. 363. 98 Die ErwÅhlung zum Heil gilt universal der gesamten menschlichen Gattung, nicht einzelnen Individuen, die kein Gegenstand der ErwÅhlung sein k×nnen. Vgl. Ritschl, RuV 3, 123; 131. Dahinter verbirgt sich eine interessante Variante eines „soteriologischen“ Universalienrealismus. 99 Vgl. Ritschl, RuV 3, 363. 100 Vgl. Ritschl, RuV 3, 359 f. 363. 101 Vgl. Ritschl, RuV 3, 348. 102 Zur Rede vom Zorn Gottes bei Ritschl vgl. die detaillierten Untersuchungen von Volkmann, Zorn Gottes, 135–172. 103 Vgl. Ritschl, RuV 2, 124–138. 104 Vgl. Ritschl, RuV 2, 138–156. 105 Vgl. Ritschl, RuV 3, 304 ff. 106 Vgl. Ritschl, RuV 2, 89–102; SchÅfer, Ritschl, 81–85. 107 Vgl. Ritschl, RuV 3, 306. 97

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wie Ritschl zu interpretieren ist. Dem ist aber mitnichten so. Beachtet man nÅmlich Ritschls Reduktion sowohl des Ewigkeits- als auch des Zeitbegriffs auf den Zweckbegriff (s. o.), wird man anerkennen mÛssen, daß es ein Kapitel zur futurischen Eschatologie nicht geben kann. Aus Gottes Perspektive fallen Zweck und Verwirklichung nie auseinander, so daß die Frage nach der Extension der Klasse der Verworfenen aus der Perspektive Gottes immer schon entschieden ist, wÅhrend sie aus gesch×pflicher Perspektive prinzipiell nicht, auch zu keinem m×glichen Zeitpunkt oder zu keinem m×glichen Status gesch×pflichen Seins erkennbar wÅre. Die Frage nach der Intension ist eine theologische Frage, die nach der Extension nicht. 2.2.1.3 Die objektive Grundlage der Vers×hnung in Christus Unterscheidet man seit der altprotestantischen Orthodoxie innerhalb der Christologie die LehrstÛcke von der Person Christi und vom Amt Christi bzw. in Ritschls Terminologie die Lehre vom Lebenswerk Christi, bindet Ritschl beide LehrstÛcke zwar eng aneinander, l×st die Lehre von der Person Christi aber nicht als eine Funktion des Amtes Christi auf. PrÅzise kann die These verifiziert werden, daß Ritschl die klassische Zwei-Naturen-Lehre innerhalb des LehrstÛcks von der Person Christi mit Hilfe der drei-munera Lehre, bzw. einer eins-plus-zwei-Šmter-Lehre remodelliert und so auch der drei-munera -Lehre eine neue Bedeutung und damit auch eine neue Referenz verleiht. 2.2.1.3.1 Der Begriff des Berufs Christi Die zunÅchst zu klÅrende Frage ist, was ein munus ist. Terminologisch kommen hierfÛr nicht die deutschen Begriffe des Amtes oder des GeschÅftes in Frage, sondern der Begriff des Berufs.108 Dieser Begriff findet sich schon bei den Reformatoren, bekommt aber seit Schleiermacher andere Konnotationen, indem er nun auch in der Christologie gebraucht wird und bekommt schließlich Ende des 19./Anfang des 20 Jh. langsam die Bedeutung, die er heute hat im Sinne alleiniger ErwerbstÅtigkeit.109 Ritschl schreibt also zu einer Zeit einer allgemeinen Bedeutungsverschiebung des Begriffs. FÛr Ritschl ist wesentlich, daß die beiden Verwendungsweisen des Berufsbegriffs als vocatio und ErwerbstÅtigkeit Aspekte eines einheitlichen Gegenstandes sind, bzw. sein k×nnen: Ritschl unterscheidet den rein bÛrgerlichen Beruf, d. h. die ErwerbstÅtigkeit, vom sittlichen Beruf, der den vocatio -Aspekt bezeichnet. Sittliche Berufe k×nnen bÛrgerliche Berufe sein, mÛssen es aber nicht. BÛrgerliche Berufe sind (im Idealfall) sittliche Berufe.

108 109

Vgl. Ritschl, RuV 3, 409. Zur Geschichte des Begriffs vgl. Kuhlmann, Ethik, 193 ff.

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Ritschl gliedert sittliche Berufe nach deren natÛrlichen Ursprung in Berufe der Familie, ×konomische Berufe, d. h. Berufe zur der Stillung der Leibesnotdurft des Menschen, in Berufe des politischen Systems, des Religionssystems, dem gesellschaftlichen Gebiet der Wissenschaft und dem der Kunst.110 Charakteristisch ist fÛr Ritschl aber nicht primÅr diese Extensionsbestimmung, sondern die intensionale Bestimmung des sittlichen Berufs. Ein Beruf ist nÅmlich die TÅtigkeit zur regelmÅßigen ErfÛllung des Endzwecks des Sittengesetzes, d. h. des Reiches Gottes in der Grenze bestimmter begrenzter Bereiche der jeweiligen Relationen der Lebenswelt.111 Auf Christus Ûbertragen bedeutet dies, daß sein sittlicher Beruf der denkbar umfassendste der GrÛndung der Gemeinde des Reiches Gottes ist. Aufgrund dieses pers×nlichen Zweckes, der identisch mit dem g×ttlichen Selbstzweck ist, hat Christus keine anderen sittlichen Berufe mit diesem Beruf kombiniert.112 Die drei munera bezeichnen streng verstanden Aspekte dieses einen Berufs Christi, wenn auch Ritschl diese Aspekte selbst mit dem Berufsbegriff belegen kann.113 Dies ist freilich eher eine terminologische UnschÅrfe als ein Widerspruch. 2.2.1.3.2 Die Gottheit Christi als regnum Christi Ritschl geht von der Gottheit Jesu Christi aus, die bereits feststeht, wenn auch nicht dogmatisch, wie in der darum abzulehnenden Zwei-NaturenLehre114, sondern religi×s. Wenn die Gemeinde Jesus Christus als ihren GrÛnder und gegenwÅrtigen Herrn anerkennt und ihm vertraut, ist hiermit die G×ttlichkeit Christi mitgesetzt, „weil ein solches Vertrauen allein auf Gott gerichtet werden kann“115. Die Gottheit Jesu Christi ist daher mit Luther eng mit seinem Heilswert verknÛpft.116 Diese G×ttlichkeit gilt es nun rekonstruktiv zu eruieren aus dem zunÅchst nur offenbar liegenden status exinanitionis , nicht in seiner PrÅexistenz oder im status exaltationis , so daß gilt: „Jede Wirkung Christi aber muß ihren Maßstab in der geschichtlichen Gestalt seines Lebens finden. Also muß die Gottheit oder die Weltherrschaft Christi in bestimmten ZÛgen seines geschichtlichen Lebens, als At-

110 Vgl. Ritschl, RuV 3, 420. Ritschl teilt also die gesellschaftliche Welt im Gegensatz zu etwa zu der von Schleiermachers Ethik inspirierten Vierteilung bei z. B. Herms, Ordnung, in der heutigen Zeit, in fÛnf Bereiche mit dem Bereich der Kunst als eigenem Bereich. 111 Vgl. Ritschl, RuV 3, 420. 112 Vgl. Ritschl, RuV 3, 421 f. 113 Vgl. Ritschl, RuV 3, 422. Hier ist nebeneinander sowohl vom einen Beruf Jesu die Rede als auch vom Beruf des k×niglichen Propheten, dem logisch der des k×niglichen Priesters koordiniert sein mÛßte. 114 Vgl. Ritschl RuV 3, 377. 115 Ritschl, RuV 3, 370. 116 Vgl. Ritschl, RuV 3, 372.

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tribut seiner zeitlichen Existenz begriffen werden.“117 Diese Gottheit wird mit der Weltherrschaft Christi identifiziert, fÛr die direkt das regnum Christi und damit das k×nigliche munus steht. Dieses darf ebenso nicht zunÅchst auf den status exaltationis bezogen werden, sondern auf den status exinanitionis.118 Das bedeutet, daß Ritschl die im Luthertum des 19. Jh. so beliebte Rede von der Kenosis119 strikt ablehnen muß.120 Damit ist herausgearbeitet, was nachzuweisen ist: Im religi×sen Urteil steht die Gottheit Jesu Christi fest, die in dessen Leben zu verifizieren ist. Dies geschieht in der Evaluation des sittlichen Handelns Christi, auf welches sein religi×ser Wert sich grÛndet.121 Ritschl fÛhrt diesen Nachweis, indem er zeigt, daß der Selbstzweck Jesu Christi identisch mit dem Selbstzweck Gottes ist, nÅmlich mit der GrÛndung der Gemeinde des Reiches Gottes. Christi Leben bewÅhrt sich nicht nur in vollkommener NÅchstenliebe, die die Liebe Gottes selbst ist122, sondern das Korrelat seiner Liebe ist wie bei der Liebe Gottes das Reich Gottes. Ferner besteht die Weltherrschaft darin, daß Christus in der AusÛbung dieses Zweckes nicht von den nur medial verstandenen EntitÅten und Ereignissen der Welt gehemmt wird. Christus ist sÛndlos und ihn treffen ºbel, wie etwa sein Tod,123 zwar infolge seiner Treue zu seinem Selbstzweck, aber seine SÛndlosigkeit zeigt sich daran, daß er diese nicht mit einem SchuldgefÛhl verbindet und als juridische oder pÅdagogische Strafe wertet.124 Von diesem Nachweis der Gottheit Jesu Christi herkommend kann mithilfe des Ritschlschen Ewigkeits- und ZeitverstÅndnisses zum einen Christi PrÅexistenz reinterpretiert werden: Da Christus einerseits das Sittengesetz vollstÅndig verwirklicht und so perfektes Korrelat der Liebe Gottes ist, andererseits aber selbst die Gemeinde des Reiches Gottes – also den g×ttlichen Endzweck – grÛndet, ist „Christus der Mittelgrund und der Zweck [. . .] durch welchen und zu welchem alles geschaffen ist“125. In Ewigkeit ist Christus der Sohn fÛr Gott, fÛr den es keine Differenz zwischen Wollen und Vollbringen gibt. Šhnlich kann andererseits der status exaltationis nur als Fortsetzung des geschichtlichen Wirkens Christi verstanden werden, genauer, als dessen permanente Wirkung.126 Signifikant ist

117

Ritschl, RuV 3, 383. Vgl. ebd., 384. Vgl. Ritschl, RuV 3, 399. 119 Vgl. Breidert, Christologie. 120 Vgl. Ritschl, RuV 3, 388: „Es ist nichts Anderes als Mythologie, was unter dem Titel der Kenosis des g×ttlichen Logos gelehrt wird.“ Vgl. Ritschl, Unterricht, §23, 18. 121 Vgl. Ritschl, RuV, 3, 390–393. 122 Vgl. Ritschl, RuV 3, 414. 123 Der Tod hat keine besondere Bedeutung, es sei denn als Probe der Berufstreue Christi, so daß sein Tod als Lebensvollendung zu deuten ist, vgl. Ritschl, Unterricht, §43, 34. 124 Vgl. Ritschl, RuV 3, 451. 541. 125 Ritschl, RuV 3, 380. Vgl. Kuhlmann, Ethik, 138. 126 Vgl. Ritschl, RuV 3, 408; 442–444. 118

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in diesem Zusammenhang, daß fÛr Ritschl mit ganz wenigen Ausnahmen127 die Auferstehung Christi keine explizite Rolle spielt. Sie ist nur Durchgangspunkt bzw. mit der Erh×hung identisch,128 so daß Ritschls Reinterpretation des status exaltationis die ausfÛhrlichsten Šußerungen zu diesem Thema sind. Damit ist sie natÛrlich nicht geleugnet, sondern vielmehr – schon mit der Existenz der Gemeinde – vorausgesetzt, aber nicht weiter explikabel. Allerdings verwundert dieses Faktum nicht besonders, da der Gedanke der Auferstehung bei Ritschls Ewigkeits- und Zeitbegriff auch nicht besonders wichtig ist, wird doch der Terminus „Ewiges Leben“ allgemein redefiniert als „Erhaltung des pers×nlichen Selbstzweckes“129. Die Gottheit Jesu Christi wird also religi×s vorausgesetzt, theologischsystematisch mit dem regnum Christi identifiziert, theologisch-historisch im Leben Jesu nachgewiesen und mittels des Ewigkeitsbegriffes verallgemeinert.130 Dieses Verfahren hat zunÅchst den Vorteil, daß es die Gottheit in der Geschichte nachweisen kann. Das nun entstehende Problem ist aber, daß kaum noch Aussagen Ûber die Menschheit Christi m×glich scheinen. Wenn diese nur darin bestÛnde, daß Ritschl Jesus Christus dem Beziehungsgeflecht der gesch×pflichen Welt, also den ºbeln, ausgeliefert sieht, wÅre seine Lehre – gut lutherisch – eine Reformulierung der Anhypostasie der menschlichen Natur. Kann dann aber die Vers×hnungsÛbertragung erfolgreich sein? Ritschl stellt sich diesem Problem und l×st es auf eine Ûberraschende Weise: „Also wenn unser religi×ses Urtheil dahin lautet, daß Gott nicht blos mit ihm [. . .], sondern in ihm ist [. . .], daß seine charakteristischen Wirkungen Gottes Wirkungen sind, seine Liebe zu den Menschen als Motiv seines gesammten Handelns identisch mit Gottes Liebe ist, so haben wir es n×thig, mit Urtheilen abzuwechseln, in welchen die ethische SelbstÅndigkeit Christi im Schema der menschlichen Freiheit ausgedrÛckt

127 Auch die Auferstehung wird mittels des Zweckgedankens reinterpretiert, bzw. auf diesen reduziert. Vgl. Ritschl, Unterricht, §23, 18: „Denn dadurch [d. h. den Tod] hat er die Gegenwirkung der Welt gegen seinen Lebenszweck zum Mittel seiner eigenen VerklÅrung umgebogen, d. h. der Gewißheit, gerade durch die momentane Unterwerfung unter die Macht der Welt sie zu Ûberwinden und den Ûberweltlichen Bestand seines Lebens zu sichern. DemgemÅß ist seine Auferweckung durch die Macht Gottes die dem Werthe seiner Person durchaus entsprechende, folgerechte Vollendung der in ihm erfolgenden Offenbarung, welche endgÛltig ist in Hinsicht des wirklichen Willens Gottes und in Hinsicht der Bestimmung der Menschen“. Vgl. auch die etwas ausfÛhrlicheren Šußerungen in Ritschl, Kolleg, 197–199. 128 Vgl. Ritschl, Kolleg, 197 f. Die „supranaturalistische“ Interpretation von SchÅfer, Ritschl, 57. 59–62 scheint mir demgegenÛber nicht richtig zu sein. Bedeutet „ewiges Leben“ das Festhalten am sittlichen Endzweck entgegen aller Widernisse, so bedeutet die Sterblichkeit der nicht vers×hnten Menschen einfach die Aufgabe des Selbstzwecks. 129 Ritschl, RuV 3, 365. Vgl. Ritschl, RuV 3, 472. 474. 130 Es ist inkorrekt, wenn SchÅfer, Ritschl, 108 der Auffassung ist, die Lehre von der Gottheit Christi fehle.

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wird“.131 Hier ist angedeutet, daß die Leistung der ErfÛllung des Sittengesetzes, das Ausdruck der Gottheit Christi ist, nun gerade nicht der Pers×nlichkeit der Gottheit zuzuschreiben ist, sondern im „Schema der menschlichen Freiheit ausgedrÛckt wird“. Bedeutet dies nun, daß es gerade Jesus als Mensch wÅre, der die sittliche Leistung erbringt, wÅre im Gegenteil mit der Annahme einer Hypostasie der menschlichen Natur eine Trennungschristologie impliziert. Ritschl selbst sieht das Problem gel×st, weil fÛr ihn Gottheit und Menschheit keine kontravalenten Begriffe sind, sondern Gottheit in der perfekten Pers×nlichkeit besteht132 und daher mittels des Handlungs- bzw. des Zweckbegriffs zu definieren ist (s. o.). Diese L×sung ist aber nur eine Scheinl×sung, denn wir werden sehen, daß sich das Problem in der ausgefÛhrten Soteriologie wiederholt und hier in der Lehre von der Person Christi seine Wurzeln hat. Ritschl setzt Christus von allen anderen geistigen Wesen nicht nur durch die Art seines Berufs und durch die Vollkommenheit seiner BerufserfÛllung ab, die theoretisch auch anderen m×glich wÅre, sondern auch durch den Zweck der GrÛndung der Reich-Gottesgemeinde. Christus ist so nicht nur Haupt der Gemeinde, sondern der Aspekt der GrÛndung macht ihn zeitlich prÅvalent zum geschichtlichen Urheber, so daß er „nothwendig der Einzige in seiner Art ist.“133 Die Einzigkeit Christi liegt also nicht in seiner Gottheit, sondern letztlich in einer raumzeitlichen Identifikation, von der auf eine in einzigartiger Weise vorhandene Individuation geschlossen wird. 2.2.1.3.3 Das VerhÅltnis von K×nigtum, Prophetentum und Priestertum zueinander Der Nachweis der Gottheit Christi durch den Nachweis des regnum Christi in dessen geschichtlichen Lebenswerk hat ergeben, daß das regnum Christi keinen Teilbereich dieses Lebens umfaßt, sondern dieses als gesamtes. Daher ist das k×nigliche den anderen beiden munera nicht gleichgeordnet, sondern so beigeordnet, daß es sich auf diese bezieht, so daß korrekterweise von einer eins-plus-zwei-munera Lehre, bzw. Ûberhaupt nur von einer zweimunera- Lehre die Rede sein mÛßte: Ritschl unterscheidet ein k×nigliches Prophetentum vom k×niglichen Priestertum. Diese beiden sind jedoch irreduzibel, denn das Prophetentum geh×rt dogmatisch, d. h. unter dem Ge131 Ritschl, RuV 3, 414. Vgl. auch die Ablehnung der leiblichen Auferstehungshoffnung in Unterricht, §77, 61 f. 132 Ritschl, RuV 3, 428: „Sofern die g×ttliche Offenbarung oder das Wort Gottes in dieser Person wirkt, oder als die Form ihres Wirkens begriffen werden soll, kommt es eben auf die Wesensbestimmung Gottes an. Das Wesen Gottes, da es Geist und Wille und insbesondere Liebe ist, kann in einem Menschenleben wirksam werden, da der Mensch Ûberhaupt auf Geist, Wille, Liebe angelegt ist.“ 133 Ritschl, RuV 3, 438.

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sichtspunkt der actio dei – als Mittel der vollstÅndigen Selbstoffenbarung Gottes134 –, zur sittlichen Relation Jesu Christi, wÅhrend das Priestertum ethisch, d. h. unter dem Gesichtspunkt der actio hominum , zur religi×sen Relation Christi geh×rt.135 Es wird sich zeigen, daß diejenigen Elemente aus Christi Leben, die zum Aufweis seiner Gottheit zÅhlen, primÅr dem k×niglichen Prophetentum zuzuordnen sind. Auch die Erkenntnis von Christi k×niglichem Priestertum ist von der Erkenntnis seines k×niglichen Prophetentums abhÅngig. Ontologisch gilt das Umgekehrte.136 2.2.1.3.4 Das k×nigliche Prophetentum Christi Das k×nigliche Prophetentum besteht in der Aufgabe Christi der Selbstoffenbarung Gottes, indem Christus die Gemeinde des Reiches Gottes grÛndet. Dies geschieht, indem Christus in der NÅchstenliebe das Sittengesetz selbst vollkommen erfÛllt und so der Gemeinde nicht nur das Reich Gottes als Korrelat der Liebe Gottes offenbart, sondern diese selbst offenbart.137 Dies ist der Aspekt der Gnade Christi als Attribut seiner Gottheit.138 Die traditionelle Lehre vom passiven und aktiven Gehorsam wird damit reinterpretiert in der Rede von Christi Berufstreue: Christus lÅßt sich von der Verwirklichung des Zweckes weder aktiv noch passiv abbringen. In den Leiden, besonders im Tod, kommt zum Ausdruck, daß Christus die ºbel der Welt als Hemmungen des sittlichen Endzwecks in Geduld ertrÅgt.139 Nur in dieser Weise haben Leiden sittlichen Wert und soteriologische Valenz.140 Das bewußte, freiwillige Erleiden des Todes ist somit gerade Ausdruck von Christi Gottheit und Herrschaft Ûber die Welt und hat den offenbarungspraktischen Charakter zu zeigen, daß jedes individuelle geistige Leben eines Menschen in der religi×sen Relation mehr Wert als die gesamte Welt hat, also Ûberweltlich ist.141 Dies ist der Aspekt der Treue Christi als Attribut seiner Gottheit.142 Christi k×nigliches Prophetentum besteht also in der Offenbarung der Liebe Gottes und der Freiheit Ûber die Welt. Diese Elemente sind nahezu identisch mit den Elementen, die Ûberhaupt zum Aufweis von Christi Gottheit dienten.143

Vgl. Ritschl, RuV 3, 411 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 408 f; Unterricht, §44, 35. 136 Vgl. Ritschl, RuV 3, 453 f. Ritschl 3, 520 subordiniert nach dem epistemologischen Schema die priesterliche Dimension Christi der prophetischen. 137 Vgl. Ritschl, RuV 3, 425 f. 138 Vgl. Ritschl, RuV 3, 427 f. 436 f. 139 Vgl. Ritschl, RuV 3, 423. 140 Vgl. Ritschl, RuV 3, 536 f. 141 Vgl. Ritsch: RuV 3, 431 mit Verweis auf 1. Kor 3,21–3 und R×m 8, 38 f und RuV 3, 434 f. 142 Vgl. Ritschl, RuV 3, 427 f. 436 f. 143 Vgl. Ritschl, RuV 3, 444. 134 135

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2.2.1.3.5 Das k×nigliche Priestertum Christi Ritschl liefert nach eigenem Anspruch eine „vollstÅndige Umarbeitung“144 der Lehre vom Priestertum und Opfer Christi. ZunÅchst koinzidieren in der Person Christi scheinbar traditionell Priester und Opfer. Dies hat aber einen tieferen sachlichen Grund, denn das k×nigliche Priestertum Christi reprÅsentiert Christi religi×sen Aspekt. Ein Opfer ist, sachlich und exegetisch richtig verstanden, keine Gabe zur Umstimmung Gottes von Zorn auf Gnade, keine stellvertretende Strafsatisfaktion, ja ein Opfer hat zunÅchst gar keine direkte Bedeutung fÛr Gott selbst.145 Ein Opfer ist vielmehr nach Ritschls Exegese etwas, was den Menschen an Gott heranbringt, Gemeinschaft mit Gott aufbaut oder wiederherstellt; kurz, es geht um die religi×se Beziehung des Menschen. Ritschl gewinnt dieses OpferverstÅndnis u. a. aus einer Interpretation des Vollzugs des altisraelitischen Ritus am Vers×hnungstag: Hier wird nÅmlich (von dem Priester) das Blut des Tieres, das die Gemeinde reprÅsentiert, auf die H×rner des Altars, der Gott reprÅsentiert, gespritzt, d. h. sachlich w×rtlich: das Blut, also die Gemeinde, wird dem Altar, also Gott, nahegebracht.146 Auf Christus Ûbertragen bedeutet dies, daß er als Opfer derjenige ist, der ein Relat Gott (freiwillig) nahebringt. Dieses Relat ist aber zunÅchst nicht die Gemeinde, sondern Christus selbst in seiner Gottesbeziehung,147 wie sie in seinem Selbstbewußtsein, daß er als „Sohn Gottes zu Gott als seinem Vater in der unvergleichlichen Gemeinschaft steht, welche ihm in der Erkenntniß Gottes, in der Ergebung des Willens in Gottes FÛgung, in der Sicherheit der begleitenden GefÛhlsstimmung gegenwÅrtig ist“148, vorliegt. Diese besondere NÅhe zu Gott drÛckt sich handelnd in besonderem Maße in Christi Geben aus, aber auch „die BerufsthÅtigkeit und die BewÅhrung der pers×nlichen Tugend bei Christus [fÅllt] unter den Gesichtspunkt seines priesterlichen Nahens zu Gott“.149 Inwieweit Christi priesterliche Stellung auch fÛr andere gilt, d. h. ein Nahen der Gemeinde zu Gott intendiert, kann Ritschl im LehrstÛck Ûber Christi Person und Beruf noch nicht zeigen; dazu bedarf es vielmehr der Theorie der Aneignung der Zurechtbringung.150 WÅhrend uns epistemisch Christi k×nigliches Prophetentum prÅvalent gegenÛber Christi k×niglichem Priestertum erscheint, gilt umgekehrt ontisch, daß „diese AnknÛpfung seines sittlichen Zieles an den Gedanken von Gott nur m×glich durch seine religi×se Praxis in Weltanschauung, Selbstbeurtheilung und Gottesverehrung 144 145 146 147 148 149 150

Ritschl, RuV 3, 445. Vgl. Ritschl, RuV 3, 446. Vgl. Ritschl, RuV 2, 181 f. 193 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 446 f; Unterricht, §41–42, 32 f. Ritschl, RuV 3, 448. Ritschl, RuV 3, 448. Vgl. Ritschl, RuV 3, 454.

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[ist]. Oder die Gewißheit seiner Berufsaufgabe in der bestimmten Form setzt nothwendig voraus, daß er seine Selbstbeurtheilung als des Sohnes Gottes immer durch die AusÛbung seines religi×sen VerhÅltnisses, oder die Verehrung Gottes als seines Vaters vermittelt“151. Inwiefern handelt es sich bei Ritschls Christologie nun um eine Reformulierung der Zwei-Naturen-Lehre mit neuen Mitteln? Die Zwei-Naturen-Lehre selbst kann als Mittel zur L×sung eines soteriologischen Problems gesehen werden. Die Rede von der g×ttlichen Natur Christi bezieht sich traditionell auf die unverzichtbare soteriologische PrÅmisse, daß nur Gott Urheber der Zurechtbringung sein kann.152 Die Rede von der menschlichen Natur Christi bezieht sich darauf, daß das, was nicht angenommen ist, auch nicht zurechtgebracht ist. Menschen k×nnen also nicht zurechtgebracht werden, wenn ihre Natur nicht vom Logos angenommen ist. Bei Ritschl taucht nun die erste soteriologische PrÅmisse implizit auf im Zusammenhang des Nachweises der Gottheit Christi Ûber Christi k×nigliches Prophetentum.153 Die Rede von Christi k×niglichem Prophetentum ersetzt damit die Rede von der g×ttlichen Natur Christi. Die zweite soteriologische PrÅmisse erscheint nirgends direkt, ebensowenig wie sich lÅngere AusfÛhrungen zur Menschheit Christi fÅnden. Diese scheint vielmehr vorausgesetzt zu sein, wenn man bedenkt, daß sich Ritschl gegen den Vorwurf zu verteidigen hat, er lehre, Christus sei ein bloßer Mensch.154 Implizit erscheint diese PrÅmisse aber: Ritschl geht davon aus, daß Christi sittliche Verwirklichung seines Endzwecks in Einklang mit den allgemein menschlichen voluntativen FÅhigkeiten stehen muß (s. o.). Ferner wird sich in der Lehre der Zurechtbringungsaneignung zeigen, daß auch Christi religi×ses VerhÅltnis auf die dem Reich Gottes angeh×renden Menschen Ûbertragen werden kann. Im Zusammenhang mit unserer Rekonstruktion der Gotteslehre kann nun Ritschls Christologie folgendermaßen bewertet werden: Im Rahmen von Ritschls teleologischer Systembildung gelingt ihm der Nachweis der Gottheit Christ mÛhelos. Dies ist m×glich zum einen, weil Gottheit und Menschheit nicht kontravalent verstanden werden, zum anderen Ûber den Gedanken des Korrelats der Liebe Gottes als Reich Gottes. Der Vorwurf einer defizienten Gottheit in Christus ist daher unberechtigt. Das Problem verschiebt sich aber in die Gotteslehre: Hier ist nÅmlich die Gemeinde des Reiches Gottes und indirekt sogar die Welt ontisch notwendig fÛr das Wesen Gottes. Dies bringt panentheisierende Gefahren mit sich. Zwar ist Christus Gott, aber ist er darin auch einzigartig und von anderen geistigen Krea151 152 153 154

Ritschl, RuV 3, 453 f. Vgl. Wiles, Unhealed. Vgl. Ritschl, RuV 3, 414. 442 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 375 f.

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turen unterschieden? Diese Einzigartigkeit kann Ritschl nicht Ûber den Begriff der Gottheit sichern, sondern nur Ûber Christi zeitliche PrÅvenienz. Ein weiteres Problem kann schon angedeutet werden: Ritschl wurde der Vorwurf gemacht, seine Vers×hnungslehre liefe auf puren Pelagianismus hinaus.155 Wir werden noch sehen, daß auch dieser Vorwurf weitgehend unberechtigt ist. Allerdings geschieht dies um den Preis einer weiteren Problemverschiebung in die Christologie: Wir sahen, daß Ritschl, um einer Anhypostasie der Menschheit Christi zu entkommen, die sittliche Leistung Christi in dessen menschlichem Verm×gen verorten muß. Ritschl kann, im Gegensatz zur klassischen Zwei-Naturen-Lehre, eine Anhypostasie der Menschheit nicht annehmen, da der Mensch nur durch das pers×nliche Verm×gen der handelnden Zweckverfolgung bestimmt ist. Damit koinzidieren gewissermaßen Usia und Hypostasis: Des Menschen Natur ist, daß er Person ist. In diesem Fall fÛhrt eine Anhypostasie des Menschen aber zu einer Verletzung der eingangs genannten zweiten soteriologischen PrÅmisse; der Mensch wÅre in den Vers×hnungsvorgang nicht aufgenommen. Die Verortung der sittlichen Leistung in den menschlichen FÅhigkeiten kann aber die Gefahr einer Trennungschristologie mit sich bringen. Diese Gefahr sieht in Ritschls System nicht so aus, daß Christus in zwei ontisch nebeneinander bestehende Handlungssubjekte gespalten wÛrde, sondern es handelt sich eher um die Gefahr eines „christologischen Pelagianismus“, der darin bestÛnde, daß Christus mittels seiner menschlichen voluntativen FÅhigkeiten diejenigen Leistungen erbringt, die ihn zum ewigen Sohn Gottes machen. 2.2.1.4 Der Zurechtbringungsvorgang Ritschl kann den Zurechtbringungsvorgang auf folgende einfache Formel bringen: Der positive Ausdruck der Rechtfertigung als einem „synthetische[n] Urteil“ Gottes, wobei bei Ritschl trotz der kantisch klingenden Terminologie nichts anderes als einfach eine „willentliche Handlung“ Gottes gemeint ist,156 ist Åquivalent und koextensiv dem Begriff der SÛndenvergebung , der wiederum koextensiv mit der Erlassung der Strafe der SÛnde ist,157 d. h. der Aufhebung der Trennung von Gott,158 die als Aufhebung des Schuldbewußtseins und der damit verbundenen Schuld in einer bestimmten Hinsicht verstanden wird,159 die wiederum Åquivalent mit der Verzeihung durch Gott ist, einer aus familiÅren VerhÅltnissen gewonnenen Deutung des GottesverhÅlt-

155 156 157 158 159

Vgl. z. B. Brunner, Dogmatik, Bd. 2, 110. 134. Vgl. Ritschl, RuV 3, 78. Vgl. Ritschl, RuV 3, 41. Vgl. Ritschl, RuV, 3, 52. Vgl. Ritschl, RuV 3,55 f.

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nisses als einer filialen Beziehung.160 Davon zu unterscheiden ist der Begriff der Vers×hnung, der die Wirkung der Rechtfertigung unter dem Aspekt ihres Erfolges bezeichnet161 und der selbst koextensiv mit dem Begriff der Adoption , der Aufnahme in ein filiales GemeinschaftsverhÅltnis zu Gott ist162 und mit den Begriffen der Neuzeugung oder Wiedergeburt 163 benannt werden kann. Vers×hnung bezeichnet daher bei Ritschl primÅr einen Zustand. Von einem Vers×hnungsprozeß, ein Terminus, den Ritschl selbst nicht gebraucht, k×nnte nur retrospektiv die Rede sein. Vers×hnung ist so immer ein Erfolgswort. Ist Rechtfertigung ein rein dogmatischer Begriff, weil hier nur die actio dei beschrieben wird, ist Vers×hnung ein dogmatischer und ethischer Begriff, da hier auch der Erfolg der Rechtfertigung im SÛnder und damit die actio hominum in den Blick kommt.164 Die Vers×hnung bezieht sich demgemÅß auf zwei Relationen des Menschen: direkt auf die religi×se Dimension, dann auch auf die sittliche Dimension.165 2.2.1.4.1 Rechtfertigung Die Rechtfertigung (=SÛndenvergebung=Verzeihung) in ihrer intensionalen Bestimmung als Aufhebung des Schuldbewußtseins und der Schuld ist dabei nicht so zu verstehen, daß SchuldgefÛhl und Schuld an sich aufgehoben werden k×nnten. Dies ist aus WahrhaftigkeitsgrÛnden und aus GrÛnden der IdentitÅt des SÛnders und spÅter Vers×hnten (s. o.) nicht m×glich. Vielmehr wird die objektive Schuld in der Hinsicht aufgehoben, daß deren gemeinschaftstrennende Wirkung aufgehoben wird.166 Das subjektive Schuldbewußtsein wird in der Hinsicht aufgehoben, daß der SÛnder von seinem Mißtrauen befreit wird.167 Dies geschieht, indem die „Unlust Ûber die begangene SÛnde auch nach empfangener Vergebung in der Erinnerung aufbewahrt wird“.168 Grund fÛr die Absicht der Rechtfertigung ist der Wille der Liebe Gottes, der es erm×glicht, „daß Gott die GlÅubigen trotz ihrer SÛnde und ihres Schuldbewußtseins in die Gemeinschaft mit sich aufnimmt“.169

Vgl. Ritschl, RuV 3, 61 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 76; vgl. Kuhlmann, Ethik, 144. 162 Vgl. Ritschl, RuV 3, 92 f. 163 Vgl. Ritschl, RuV 3, 566 f; Unterricht, §37, 29. 164 Es ist also nicht richtig, wenn SchÅfer, Ritschl, 133 f Vers×hnung nur als ethischen Begriff innerhalb der religi×sen Dimension deutet. 165 Vgl. Ritschl, RuV 3, 77. 166 Vgl. Ritschl, RuV 3, 77. 167 Vgl. Ritschl, RuV 3, 61 f. 168 Vgl. Ritschl, RuV 3, 77. 169 Vgl. Ritschl, RuV 3, 103. Vgl. ebd. 104. 115. 160 161

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2.2.1.4.2 Vers×hnung Die Vers×hnung (=Adoption) hat unmittelbar eine religi×se und davon abgeleitet eine sittliche Dimension. Wir behandeln hier zunÅchst die religi×se Funktion. Sie bedeutet die Partizipation der Gemeinde an Christi k×niglichem Priestertum, das damit eine inklusive Stellvertretung bedeutet.170 Objektiv wird hier mit der SÛndenvergebung erstens das ewige Leben als Zweck Gottes fÛr die Rechtfertigung171 und zweitens die Empfindung der Seligkeit verliehen.172 Schon der Begriff des Lebens an sich bezieht sich auf die geistige, d. h. zweckhafte Selbstbestimmung des Menschen, nicht aber auf dessen sinnliche Selbsterhaltung.173 Ewiges Leben bedeutet entsprechend, „daß man in der wirklichen Gemeinschaft mit dem wahren geistigen Gott sich als ein Ganzes Ûber der Welt erlebt, indem man den geistigen Wert seiner IndividualitÅt an der Herrschaft Ûber alle m×glichen Hemmungen aus der getheilten und natÛrlichen Welt erprobt“174, oder kurz die „Erhaltung des pers×nlichen Selbstzweckes“175. Diese Definition leuchtet anhand Ritschls Ewigkeitsbegriff ein. Das ewige Leben ist daher in der Stetigkeit der Willensrichtung auf den sittlichen Endzweck176 eine Analogiebildung zur Ewigkeit Gottes, in der es keine Differenz zwischen Absicht und Ereigniseintritt gibt (s. o.), und schließt eine neue Stellung der Vers×hnten Ûber die Welt ein, eine WeltÛberlegenheit, die Christi k×niglichem regnum entspricht und sich als religi×se Freiheit im Vertrauen auf Gottes Vorsehung in Geduld Åußert.177 Das Reich Gottes ist daher innergeschichtlich im Verwirklichungsprozeß immer schon da, aber derart, daß es keinen innergeschichtlichen Vollendungsprozeß geben kann, der unter der Bedingung des VerstÅndnisses von Ewigkeit auch nicht n×tig anzunehmen ist.178 Subjektiv ist der Glaube eine Folge der Vers×hnung. Er ist eine neue affektive freudhafte und voluntative intentionale Relation zu Gott, die, nun im Gegensatz zum Mißtrauen des SÛndenstandes, im Vertrauen auf Gottes Gnade und auf Christus besteht.179 Die Vers×hnung beinhaltet daher einen affektiven Wandel von der mit dem SchuldgefÛhl des SÛndenstandes verVgl. Ritschl, RuV 3, 161. 515 f Vgl. Ritschl, RuV 3, 470. 503 f. 172 Vgl. Ritschl, RuV 3, 95. 115. 160; Unterricht, §76, 61. 173 Vgl. Ritschl, RuV 3, 472. 174 Ritschl, RuV 3, 474. 175 Ritschl, RuV 3, 365. 176 Vgl. Ritschl, RuV 3, 475. 177 Vgl. Ritschl, RuV 3, 161. 169. 468. 178 Vgl. Ritschl, Unterricht, §22, 17 f; Kuhlmann, Ethik 123 f. Allerdings sollte man beachten, daß auch Ritschls Charakterisierung des Reiches Gottes als zukÛnftig unter der Ritschl’schen Transformation des Zeitbegriffs eine neue, zeitlose Bedeutung erhÅlt. 179 Vgl. Ritschl, RuV 3, 97 f. 159. 558. Hier wird man Oberdorfer, Ritschl, 194 vorsichtig korrigieren mÛssen, da der Glaube nicht nur ein Willensakt ist. 170 171

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bundenen Unlust zum GefÛhl der Lust, die sich in Beruhigung, innerer Befriedung und Trost Åußert.180 Dieser Glaube als Vertrauen fÅllt unter die Gattung der Liebe, so daß Glaube als Vertrauen Liebe ist, wenn auch eine spezifische, asymmetrische Art, die die Unterordnung und Anerkennung – hier der Herrschaft Christi – beinhaltet.181 Dennoch geh×ren wiederkehrende Verschuldungen zum vers×hnten Dasein, Ûber die Reue besteht.182 Diesem Glauben ist die Gewißheit des Heils inne, ohne welche Vertrauen nicht denkbar ist. Diese Gewißheit unterliegt quantitativen Schwankungen.183 Sie ist eine subjektive Funktion der Vers×hnung und ist nicht Gegenstand expressiver Prahlerei.184 Sie ist dem Glauben in allen seinen Formen, also auch dem angefochtenen und schwachen Glauben eigen185 und Åußert sich nicht in affektiven Bekehrungserlebnissen und wird in der methodischen Steigerung des SchuldgefÛhls im Bußkampf eher unm×glich gemacht.186 Vielmehr Åußert sich die Gewißheit im Vertrauen auf Gott selbst und in der neuen Weltstellung des GlÅubigen, der nun nicht mehr von dieser abhÅngig ist, sondern Gottes Vorsehung (s. u.) vertraut.187 „DemgemÅß wird die individuelle Heilsgewißheit aus der Rechtfertigung in dem Vertrauen auf Gott in allen Lagen des Lebens, insbesondere in der Geduld, von dem erlebt, welcher sich durch seinen Glauben an Christus in die Gemeinde der GlÅubigen einreiht.“188 2.2.1.4.3 Das VerhÅltnis der religi×sen Dimension der Vers×hnung zur sittlichen Dimension Die Vers×hnung bezieht sich primÅr auf das GottesverhÅltnis, denn die Rechtfertigung bewirkt noch keine direkte moralische VerÅnderung, denn Willenshandlungen im religi×sen Bereich sind nicht identisch mit solchen in der sittlichen Beziehung.189 Dennoch begrÛndet das vers×hnte religi×se VerhÅltnis der Menschen deren sittliches Tun.190 Nach Ritschl ist das vers×hnte religi×se VerhÅltnis nicht hinreichende, sondern notwendige Bedin-

180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190

Vgl. Ritschl, RuV 3, 135. Vgl. Ritschl, RuV 3, 560. Vgl. Ritschl, RuV 3, 160. Vgl. Ritschl, RuV 3, 135 f. Vgl. Ritschl, RuV 3, 145. Vgl. Ritschl, RuV 3, 147. Vgl. Ritschl, RuV 3, 160. Vgl. Ritschl, RuV 3, 167. Ritschl, RuV 3, 183. Vgl. RuV 3, 545. Vgl. Ritschl, RuV 3, 78; 101 f. 491. Vgl. Ritschl, Unterricht, §46, 36 f.

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gung des sittlichen Handelns.191 Da das vers×hnte GottesverhÅltnis die Anerkennung des Endzwecks Gottes im Reich Gottes mit einschließt, ist auch die Zustimmung zu dessen Heilsabsicht mit eingeschlossen und die ºbernahme des sittlichen Endzwecks als eigenen Selbstzweck. Insofern kann auch von einer Notwendigkeit der sittlichen TÅtigkeit im Christentum gesprochen werden.192 Rein formal wÅre dann aber an Ritschl folgende Anfrage heranzutragen: (A) Ist das religi×se VerhÅltnis notwendige Bedingung des sittlichen Handelns, wÅre letzteres hinreichende Bedingung fÛr ersteres. (B) Sind aber sittliche Handlungen notwendig fÛr das religi×se VerhÅltnis,193 mÛßte umgekehrt das religi×se VerhÅltnis doch eine hinreichende, keine notwendige Bedingung fÛr das sittliche VerhÅltnis sein. (C) So wÅre aber Sittlichkeit genau dann gegeben, wenn in religi×ser Hinsicht Vers×hnung vorliegt und umgekehrt: Sittlichkeit und ReligiositÅt wÅren nur intensional unterschieden, tatsÅchlich aber Åquivalent.194 Dieser zwingenden Schlußfolgerung (C) kann Ritschl nur entgehen, wenn sich fÛr die beiden SÅtze (A) und (B) verschiedene Hinsichten, verschiedene Referenzpunkte finden lassen. Ritschl selbst benennt diese nicht, aber entsprechende Hinsichten sind aufzeigbar: Nach Satz (B) ist die religi×se Vers×hnung hinreichende Bedingung der Gesinnung 195 der Sittlichkeit, die die entsprechende Hinsicht darstellt. Hier ist der Endzweck der Sittlichkeit, das Reich Gottes oder das Sittengesetz gemeint, das nicht nur bekannt sein muß, sondern das nur dann als Handlungsmaxime dienen kann, wenn die affektive Ausstattung die des ewigen Lebens ist: Man bedarf der „freudigen Stimmung, welche den lÅhmenden und beschrÅnkenden Eindruck der Uebel aufhebt, [. . .] der Sorglosigkeit Ûber die Zukunft [. . .] Umgekehrt ist das Handeln auf den Endzweck [. . .] nothwendig, um [. . .] zu bewÅhren, daß das ewige Leben auch in dem direct religi×sen SelbstgefÛhl kein passiver Besitz ist“.196 Nach Satz (A) ist die gesuchte Hinsicht nicht die Gesinnung der Sittlichkeit, sondern ausgefÛhrte partikulare Handlungen, die immer eine partikular-empirische Komponente beinhalten, die einen automatisierten Fluß guter Werke

191 Ritschl, RuV 3, 101: „Also wenn Gott der Grund der Åchten NÅchstenliebe ist, welche auf die Vollkommenheit und Seligkeit des Anderen ausgeht, die er in Gott finden wird, so wird jeder Act der NÅchstenliebe auch Act der Liebe gegen Gott sein; aber nicht umgekehrt wird jeder Act der Liebe zu Gott sich auf die Menschen ausdehnen.“ 192 Vgl. Ritschl, RuV 3, 83. 481. 491 193 Vgl. Ritschl, RuV 3, 529. 194 Genau das darf aber nicht sein. Vgl. Ritschl, RuV 3, 491. Daher scheint mir auch die VerhÅltnisbestimmung von SchÅfer, Ritschl, 145 zu einfach zu sein, der hier Lotzes Wechselwirkung als Deutungsschema nutzt. 195 Vgl. Ritschl, RuV 3, 495: „sittliche Autonomie ist [. . .] nothwendig, weil das allgemeine Gesetz der NÅchstenliebe [. . .] in erster Linie nicht auf Handlungen, sondern auf die Gesinnung gerichtet ist“. 196 Ritschl, RuV 3, 488. Vgl. ebd., 488 f. 496.

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aus der Vers×hnung unm×glich machen: „Wenn nun auch die in der Vers×hnung empfangene allgemeine Richtung des Willens auf Gott als das Hauptmotiv fÛr die Entwicklung des guten Charakters wirksam wird, so geh×ren dazu doch noch die besonderen sittlichen VorsÅtze und EntschlÛsse, welche eben nicht logisch oder von selbst aus dem Vers×hnungsglauben folgen, sondern immer durch den Willen als besondere gefaßt werden mÛssen. [. . .] Allein ebenso wenig wie aus dem Gattungsbegriff die Erkenntnis der Arten ohne deren besondere Beobachtung folgt, folgt die Anwendung des im Allgemeinen guten Willens auf die besonderen FÅlle von selbst aus dem Vorhandensein der allgemeinen Gesinnung.“197 Das religi×se VerhÅltnis Åußert sich in der religi×sen Freiheit Ûber die Welt, die im Vertrauen zu Gott eine Befreiung von den AbhÅngigkeiten der Welt bedeutet. „Durch diese VerÅnderung religi×ser Art [. . .] wird weiterhin der Gewinn pers×nlicher sittlicher SelbstÅndigkeit erst m×glich gemacht.“198 Damit ist das ewige Leben Voraussetzung der sittlichen TÅtigkeit, nicht aber umgekehrt.199 Wichtig sind hier zwei Differenzen zu Kant200: Zum einen wird die menschlich-sittliche Autonomie nur durch Vers×hnung im religi×sen Bereich – und daher immer offenbarungsabhÅngig201 – instand gesetzt und ist kein natÛrlicher Fakt. Zum anderen ist menschliche Freiheit nicht bloß als regulative Idee ein Postulat der praktischen Vernunft, sondern tatsÅchlich erfahrbar, und zwar in der Ausbildung spezifischer affektiver Tugenden.202 Ja, letztlich ist fÛr Ritschl auch das h×chste Gut, nÅmlich das Leben in Vers×hnung, d. h. das ewige Leben in der Gemeinde des Reiches Gottes, nicht wie bei Kant ein entsprechendes Postulat, sondern ebenfalls erfahrbar! Ein bloß auf die „sittengesetzliche Gesinnung“ gerichtetes Pflichtethos ist daher nach Ritschl nur durch die Ausbildung spezifischer Tugenden denkbar. 2.2.1.4.4 Das Objekt der Vers×hnung – Ritschls soteriologischer Universalienrealismus und das Problem der individuellen Heilsaneignung Obwohl wir sahen, daß es bei der Vers×hnung um die Generation von ZustÅnden geht, die mit Begriffen wie Glaube, Vertrauen, Liebe, Seligkeit, Weltherrschaft etc. beschrieben werden, ist nicht der einzelne Glaubende

Ritschl, RuV 3, 526 f. Ritschl, RuV 3, 169. 199 Vgl. Ritschl, RuV 3, 478 f. 497. 200 Ritschl, RuV 3, 499 selbst ist Ûberzeugt, daß Šhnlichkeiten seines Systems mit dem Kants nicht auf diesen zurÛckgehen oder durch Einfluß von Tieftrunk, T×llner oder Lotze vermittelt sind, sondern nur darauf beruhen, daß Kant diese Ideen dem Christentum „nachgebildet“ hat. 201 Vgl. Ritschl, RuV 3, 487. 202 Vgl. Ritschl, RuV 3, 484–486. 496. 197 198

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Gegenstand der Rechtfertigung und Vers×hnung, sondern die durch Jesus Christus gestiftete Gemeinde.203 Dies ist m×glich, weil sich Gottes ErwÅhlung weder „reformiert“ auf einen numerus praedestinatorum , eine Summe vorherbestimmter Individuen bezieht, noch Gott „lutherisch“ sein Vers×hnungsangebot zwar fÛr alle gelten lÅßt, aber die spÅter zu Verwerfenden in seiner PrÅszienz bereits voraussieht. Der Fehler beider Ansichten besteht darin, daß es aufgrund der zugelassenen mediatorischen objektiven Zeit (s. o.) keine PrÅszienz oder PrÅdetermination von Individuen geben kann.204 Vielmehr bezieht sich Gottes ErwÅhlung zum Heil universal auf die Gattung der Menschen, aus der die Gattung der neuen Kreatur hervorgeht.205 FÛr Ritschl ist das individuelle menschliche Sein nÅmlich durch den objektiv zeitlich-mediatorischen Charakter der Welt bedingt, der selbst keine soteriologische Valenz hat. Erkenntnis von Individuen kommt durch Beobachtung der Naturdinge zustande.206 Korrelat der Liebe Gottes und daher Gegenstand der ErwÅhlung ist aber eine Gattung, nÅmlich die Gattung der Gemeinde des Reiches Gottes. Folglich kommt Gattungen eine letztlich h×here ontische oder zumindest soteriologische Valenz zu. Diese Position Ritschls kann als „soteriologischer“ Universalienrealismus bezeichnet werden, der Ûbrigens einen universalienrealistischen Heilsuniversalismus impliziert. Wichtig ist dieser soteriologische Universalienrealismus aber nach Ritschl gerade fÛr die Vers×hnungsaneignung des Individuums: Ist die Gemeinde TrÅgerin der Vers×hnung und des Wortes Gottes, kann nur in ihr Vers×hnung empfangen werden. Das Individuum kann sich die SÛndenvergebung nur aneignen, wenn mit dem Glauben auch die Absicht verbunden ist, „der Gemeinde der GlÅubigen anzugeh×ren“.207 Auf andere Weise kommt das Individuum nicht in Kontakt mit der Offenbarung. Die Ritschl einzig denkbare Alternative wÅre, daß das Amt der WortverkÛndigung diese Mittlerfunktion einnehmen wÛrde. Dann „aber wÅre auf diesem Punkt kein wesentlicher Unterschied zwischen Luthertum und Katholicismus nachweisbar“.208 Das Leben im Beziehungsgeflecht der Gemeinde ist also notwendig, damit die Heilsaneignung des Individuums glÛcken kann. ºber diese wird aber sehr wenig gesagt und hier liegt die große SchwÅche Ritschls. Ja Ritschl

203 Vgl. Ritschl, RuV 3, 105. 517–9. 545. Die falsche Ansicht, daß das Individuum primÅrer Gegenstand der Rechtfertigung wÅre, fÛhrt Ritschl, RuV 3, 517 auf Melanchthon zurÛck. 204 Vgl. Ritschl, RuV, 3, 115–117. 205 Vgl. Ritschl, RuV 3, 123. 131. 206 Vgl. Ritschl, RuV 3, 127. 207 Ritschl, RuV 3, 107. 208 Ritschl, RuV 3, 519. Ritschls Betonung der Gemeinde stellt also keine katholisierende Tendenz dar.

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verweigert explizit eine Theorie der Konstitution von Glauben in der partikularen Person: „Wie dieser Zustand bewirkt wird, entzieht sich ebenso aller Beobachtung, wie die Entwicklung des individuellen Geisteslebens Ûberhaupt“.209 Alles Ûber Person und Werk Christi gesagte, prÅfiguriert zwar das Leben der Gemeinde des Reiches Gottes, klÅrt aber dann nicht das Problem der Vers×hnungsaneignung, wenn es nicht bloß um eine Offenbarung als einer wissentlichen Mitteilung von Sachverhalten, sondern um die Generation von Vertrauen gehen soll. Identifiziert Ritschl hier gar verbum externum und testimonium internum ? DafÛr spricht einiges. Der Grund dÛrfte in einem Ausfall der Pneumatologie zu suchen sein. Zwar bedauert Ritschl selbst die Pneumatologievergessenheit seiner Zeit zwei Mal,210 liefert aber hier selbst keine sinnvolle Alternative. Der Geist, der in der Gemeinde wirkt, ist vielmehr nach Ritschl nichts anderes als Teilhabe am Geist Gottes selbst und dies bedeutet lediglich Teilhabe an der Selbsterkenntnis Gottes und daher auch eingeschlossen an dessen Endzweck des Reiches Gottes als Korrelat seiner Liebe.211 Der Heilige Geist wird also mit der vollstÅndigen Erkenntnis Gottes identifiziert, dient aber nicht zur Explikation der Konstitution der Erkenntnis, sondern zur ErlÅuterung ihres Inhalts und faktischen Bestehens. Der Grund hierfÛr dÛrfte in einem trinitÅtstheologischen Fehler Ritschls liegen: Ritschl bietet zwar keine immanente TrinitÅtslehre im vollen Sinne, aber seine vorhandene ×konomische TrinitÅt kennt keine PersonalitÅt des Geistes, der Geist ist hier – nach dem augustinischen Modell – lediglich eine intentionale (Selbst)Relation, nÅmlich nicht wie bei Augustin die der Liebe, sondern die des Wissens.212 Als solche kann der Geist aber fÛr eine Theorie der Konstitution von Glauben in der partikularen Person nicht in Anspruch genommen werden. 2.2.1.5 Ritschls Theorie des Handelns in Vers×hnung Ritschl entfaltet seine Ethik der Vers×hnung als eine Theorie der Charakterbildung213 des Lebens in der christlichen Vollkommenheit.214 Sie ist nichts, was besonderen Gruppen innerhalb der Christenheit vorbehalten wÅre und

Ritschl, RuV 3, 573. Vgl. Ritschl, RuV 3, 501. 569. 211 Vgl. Ritschl, RuV 3, 501 f. 568–573; Unterricht, §46, 37; Kolleg, 205. Vgl. auch Oberdorfer, Ritschl, 190. 212 Zur augustinischen TrinitÅtslehre und zur Klassifikation von TrinitÅtslehren allgemein vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 260–279. Lange, Offenbarung, bes. 58 diagnostiziert lapidar aber zutreffend ein pneumatologisches Defizit sowohl bei Ritschl als auch bei Barth. 213 Vgl. Ritschl, Unterricht, §49, 39 f. In diesem Kapitel kommen nur die fundamentalethischen Problemkomplexe in den Blick; zur materialen Ethik vgl. Kuhlmann, Ethik, 193 ff. 214 Vgl. Ritschl, Unterricht, § 50, 40 f. 209 210

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nichts, was die Grenzen gesch×pflichen Daseins sprengen wÛrde.215 Die Vollkommenheit ist aber dennoch mit der Vollkommenheit Gottes vergleichbar, und zwar dadurch, daß jeder einzelne Christ in religi×ser und sittlicher Hinsicht „ein Ganzes seiner Art sein oder werden soll“216 und so ein einheitliches Lebenswerk vorweisen kann.217 Alle affektiven Komponenten der einzelnen Tugenden der Vollkommenheit (s. o.) werden vom GefÛhl der Freude bestimmt.218 Die ethische Betrachtung des Christen ist damit keine Sozialethik, sondern eine Personalethik, die die individuelle Glaubensaneignung innerhalb der Gemeinde voraussetzt. Sie ist auch nicht primÅr eine Pflichtethik, sondern eine Tugendethik, die auf PflichtgrundsÅtze nur mittelbar reflektiert, obwohl oder gerade weil das Reich Gottes einschließlich des Sittengesetzes die normierende Mitte bildet. Diese zerfÅllt in die religi×se und sittliche Funktion des Charakters.219 2.2.1.5.1 Die religi×se Funktion Der religi×se Aspekt beschreibt das Leben der Gotteskindschaft in der Herrschaft Ûber die Welt. Es Åußert sich in den drei bzw. vier Bereichen des Vertrauens auf Gottes Vorsehung, der Demut und Geduld sowie des Gebets. Der Vorsehungsglaube als die auf die Erkenntnis bezogene Seite der religi×sen Dimension bezeichnet den Sachverhalt, daß der Vers×hnte seine jeweilige partikulare Lage zur Welt, wir k×nnten sagen, seine Lebenswelt, nach der Erkenntnis des g×ttlichen Endzwecks des Reiches Gottes und daher nach der WeltÛberlegenheit jedes Vers×hnten als Kind Gottes beurteilt und so sieht, daß ihm als Kind Gottes alle Dinge zum Guten dienen. Eingeschlossen ist darin eine neue Wertung der ºbel, die ihren Charakter als Freiheitshemmungen oder juridische Strafen zugunsten einer Deutung als pÅdagogischer PrÛfungsmittel verlieren. Der Mensch als Teil der Welt gewinnt die Einsicht, daß „der Wert seiner geistigen Pers×nlichkeit den des ganzen Naturzusammenhanges Ûberbietet.“220 Die Demut als primÅre religi×se Tugend ist der affektive Zustand, die aus dem Vorsehungsglauben entspringende Stimmung. Sie Åußert sich darin, daß Welterfahrungen als „FÛgungen Gottes zu betrachten sind, und uns weder niederdrÛcken noch zur Ueberhebung veranlassen“.221 Daher ist sich der DemÛtige in der Regel der

215

Vgl. Ritschl, Vollkommenheit, 46–50. Ritschl, Vollkommenheit, 51. 217 Vgl. Ritschl, Vollkommenheit, 54; RuV 3, 610–624. 218 Vgl. Ritschl, RuV 3, 615. 219 Vgl. Ritschl, Unterricht, §48, 38 f. 220 Ritschl, RuV 3, 585; Vgl. Ritschl, Unterricht, §51, 41 f; Vollkommenheit, 58–61; RuV 3, 583–590. 221 Ritschl, Unterricht, §52, 43 f, Vollkommenheit, 61 f; RuV 3, 597–605. 216

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eigenen affektiven Stimmung der Demut selbst oft nicht bewußt.222 Sie ist die Tugend der Unterordnung gegenÛber Gott. Die (nicht apathische) Geduld ist die andere religi×se Tugend, die verschuldete ºbel als pÅdagogische Maßnahmen, unverschuldete als PrÛfungen erdulden lÅßt. So ist sie die die Demut ergÅnzende Tugend der Herrschaft Ûber die widerstrebende Welt. Beide, Demut und Geduld, sind als Tugenden handlungsmotivierend.223 Ihre affektive Komponente besteht dabei prÅzise im GefÛhl der Freude.224 Als ausgefÛhrte voluntative Handlung ist innerhalb der religi×sen Beziehung fÛr den Vers×hnten das Gebet kennzeichnend, das Probe der Anerkennung und Unterordnung unter Gott ist. Es ist primÅr Dankgebet als Dank, Lob und Bekenntnis angesichts von Gottes Gnade und zur Vers×hnung fÛhrenden Liebeswillen.225 Das Bittgebet ist als „Abart des Dankgebets“226 diesem deutlich untergeordnet, um unrechte Bitten, die nicht in Einklang mit dem sittlichen Endzweck stehen, als Gebet ausschließen zu k×nnen. Damit sieht Ritschl auch das Problem der Gebetserh×rung gel×st, das sich genau betrachtet so nicht stellt:227 „In der Freude aber haben wir keine WÛnsche, keine Spannung auf etwas, was erst erfÛllt werden soll; oder wenn doch WÛnsche sich regen, haben wir sie in der Freude ohne die Unlust Ûber ihre noch nicht eingetretene ErfÛllung.“228 Vorsehungsglaube, Demut und Geduld, sowie Gebet bezeichnen damit die religi×sen intentionalen Beziehungen der drei Seelenverm×gen; des denkenden Erkennens, des GefÛhls und des Willens.229 WÅhrend Vorsehungsglaube und Geduld der k×niglichen WÛrde der Christen entsprechen, entsprechen Demut und Gebet der priesterlichen.230 2.2.1.5.2 Die sittliche Funktion Die sittliche Funktion ist die AusÛbung der allgemeinen NÅchstenliebe bzw. des Sittengesetzes im geregelten, ordentlichen Vollzug.231 Unterschieden werden hier zwei Bereiche, der Bereich des pflichtgemÅßen Handelns (im Beruf) und der Bereich der sittlichen Tugendbildung. Eine GÛterethik Vgl. Ritschl, RuV 3, 600. Vgl. Ritschl, Unterricht, §53, 44 f; Vollkommenheit, 61 f; RuV 3, 592–597. 224 Vgl. Ritschl, RuV 3, 608. 225 Vgl. Ritschl, Vollkommenheit, 62; Unterricht, §54–55, 45 f; RuV 3, 605–610. 226 Ritschl, Unterricht, §78, 63. 227 Vgl. Ritschl, Vollkommenheit, 63; Unterricht, §78–81, 62–66. 228 Ritschl, RuV 3, 608. 229 Vgl. Ritschl, RuV 3, 606. 230 Vgl. Ritschl, RuV 3, 610. Hier ist freilich eine Spannung zur Christologie festzustellen, in der ja vom k×niglichen Prophetentum und vom k×niglichen Priestertum die Rede ist. Das Prophetentum scheint so keine Entsprechung in den Vers×hnten zu haben, zumindest nicht in den Einzelnen. Wahrscheinlich wÅre es der Gemeinde zuzuordnen. 231 Vgl. Ritschl, Unterricht, §56, 46. 222 223

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als eigenen Bereich kennt Ritschl meist nur indirekt; das h×chste Gut ist das Reich Gottes, relative GÛter – Familie, Staat – haben immer medialen Charakter. Relative GÛter werden meist in der materialen Berufsethik thematisiert.232 Im Bereich des pflichtgemÅßen Handelns werden mehrere Berufsgruppen und Liebespflichten thematisiert, im Bereich der sittlichen Tugendbildung liefert Ritschl eine vollstÅndige Tafel der Tugenden. 2.2.1.5.3 Die Berufsethik Die Aufgabe der Pflicht des sittlichen Endzwecks ist rÅumlich und zeitlich unbegrenzt. Aus der Vollkommenheit ergibt sich aber die Aufgabe, daß der Mensch ein Ganzes im sittlichen Handeln bilden soll.233 „Der Begriff der sittlichen Vollkommenheit im christlichen Leben darf um keinen Preis mit dem vergeblichen Haschen nach effectiver UnsÛndlichkeit des Handelns in allen Einzelheiten in Verbindung gesetzt werden. Vielmehr hat er den Sinn, daß die sittliche Leistung oder das Lebenswerk im Zusammenhange des Reiches Gottes bei aller quantitativen BeschrÅnktheit unter der QualitÅt eines Ganzen in seiner Art begriffen werden soll.“234 Damit hier kein Widerspruch entsteht, verwendet Ritschl den Begriff der PflichterfÛllung im Beruf. Ein Beruf ist, wie bereits erwÅhnt, die TÅtigkeit zur regelmÅßigen ErfÛllung des Endzwecks des Sittengesetzes, d. h. des Reiches Gottes in der Grenze bestimmter begrenzter Bereiche der jeweiligen Relationen der Lebenswelt.235 Als ordentliche Liebespflicht ist der Beruf daher von außerordentlichen Pflichten unterschieden.236 „Damit ist jede sittliche Nothwendigkeit zum Guthandeln auf solche Zwecke hin ausgeschlossen, welche zu dem Berufe [oder der Kombination von Berufen] des Einzelnen nicht passen.“237 Der Begriff des Berufs instantiiert das allgemeine Sittengesetz, lÅßt dies erst real erkennbar werden. So instantiiert der Berufsbegriff die sittliche Autonomie. „Unter dieser Bedingung aber ist kein allgemeines statutarisches Sittengesetz denkbar [. . .]. Vielmehr entwickelt man aus der Gesinnung, welche in dem Felde des besonderen Berufes sich zum Handeln auf den h×chsten gemeinsamen Endzweck bestimmt, die GrundsÅtze, nach welchen man einzelne Gruppen des sittlichen Handelns regelt, und bildet im Einklang mit ihnen die einzelnen Pflichturteile [. . .] in dieser Form erzeugt der Einzelne das Sittengesetz aus seiner Freiheit“.238 „Das sittliche Handeln 232 Eine Ausnahme bilden die Ethikvorlesungen Ritschls, die tatsÅchlich eine Dreiteilung kennen. Vgl. SchÅfer, Ethik-Kolleg. 233 Vgl. Ritschl, RuV 3, 626 f. 234 Ritschl, RuV 3, 629. 235 Vgl. Ritschl, RuV 3, 420; Unterricht §57, 46 f; §70, 55 f. 236 Vgl. Ritschl, Unterricht, §70, 55. 237 Ritschl, RuV 3, 630. 238 Ritschl, RuV 3, 330 f.

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in dem Beruf ist also die Form, in welcher eine TotalitÅt des Lebenswerkes als der Beitrag zu dem Reiche Gottes hervorgebracht und zugleich die Bestimmung der geistigen Pers×nlichkeit zu einem Ganzen seiner in ihrer Art erreicht wird.“239 Der Begriff des sittlichen Berufs ist immer schon eine theologische Metapher, die Ritschl im engen Zusammenhang mit der Verwendung des bÛrgerlichen Berufs als ErwerbstÅtigkeit verwendet (s. o.). Der einzelne Mensch wird Christus konform, indem er dessen Selbstzweck der Bef×rderung des Reiches Gottes an der jeweiligen Stelle des Beziehungsnetzes, an der der Einzelne steht, Ûbernimmt, nicht indem er einzelne Handlungen Christi zu imitieren sucht.240 Die eigene Berufstreue ist daher ErfÛllung des Vorbilds Christi.241 Ritschl unterscheidet verschiedene Berufe bzw. Berufsgruppen, die aber unterschiedlich gruppiert werden. In RuV gliedert Ritschl sittliche Berufe nach deren natÛrlichen Ursprung in Berufe der Familie, ×konomische Berufe, d. h. Berufe zur Stillung der Leibesnotdurft des Menschen, in Berufe des politischen Systems, des Religionssystems, des gesellschaftlichen Gebiets der Wissenschaft und des Gebiets der Kunst.242 Im Unterricht werden Ehe, Erziehung, Recht und Staat genannt als Berufe bzw. Gattungen von Berufen, also Berufe, die dem politischen System und der Familie angeh×ren, keine weiteren. In der Ehe vereinigen zwei Personen ihren jeweiligen Selbstzweck zu einem einzigen, so daß die Ehe die „gesteigerte und beseligende Probe“243 der NÅchstenliebe ist. Im Bereich der Erziehung thematisiert Ritschl Åhnlich Luther sowohl den Beruf der Erziehenden als auch den der zu Erziehenden.244 Das Recht ist das System der Reglementierung von allgemeiner oder auf Einzelzwecke bezogener Interaktionen, d. h. Handlungen, nicht der voluntativen FÅhigkeiten, die vom Sittengesetz geregelt werden, selbst. Daher impliziert das Sittengesetz das Recht, das medialen Charakter erhÅlt, nicht aber umgekehrt.245 Der Staat als Rechtsgemeinschaft ist zwar aus eigener Perspektive von keiner religi×sen Valenz, ist aber aus christlicher Sicht „nothwendiges

239 Ritschl, RuV 3, 632. Ritschl geht im VerstÅndnis menschlicher Freiheit hier einen interessanten Weg zwischen Luther und Kant, der inhaltlich entgegen Ritschls Lutherkritik wohl eher an Luther, sprachlich eher an Kant angelegt ist. Eine Wahlm×glichkeit des Willens wird nicht geleugnet, sittliche Autonomie aber nur durch Vers×hnung instantiiert gedacht. Vgl. auch Kuhlmann, Theologische Moral, 98 ff. 109 ff. 240 Vgl. Ritschl, RuV 3, 630 und gegen u. a. Franz v. Assisi RuV 3, 552–557. 241 Vgl. Ritschl, Unterricht, §57, 46. 242 Vgl. Ritschl, RuV 3, 420. Ritschl teilt also die gesellschaftliche Welt im Gegensatz etwa zu der von Schleiermachers Ethik inspirierten Vierteilung z. B. bei Herms, Ordnung in der heutigen Zeit, in fÛnf bzw. sechs Bereiche mit dem Bereich der Kunst als eigenem Bereich. 243 Ritschl, Unterricht, §58, 47 f. Vgl. dazu Kuhlmann, Ethik, 203 ff. 244 Vgl. Ritschl, Unterricht, §59, 48. 245 Vgl. Ritschl, Unterricht, §60, 48 f.

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Mittel zur Sicherung der sittlichen Freiheit“.246 Faktisch werden hier relative GÛter beschrieben. Ritschls Berufsethik wurde immer schon, trotz oder gerade aufgrund ihrer Geschlossenheit, als problematisch beurteilt, da sie die gesellschaftliche Welt seiner Zeit nicht treffe.247 Wichtig zu sehen ist aber, daß Ritschl hier das reformatorische Problem des Gottesdienstes im Alltag zu l×sen versucht, das nach wie vor – und unter den Bedingungen der gegenwÅrtigen Gesellschaft noch deutlicher – ungel×st ist. 2.2.1.5.4 Die Liebespflichten Liebespflichten sind allgemeine PflichtgrundsÅtze, die der F×rderung des sittlichen Endzwecks in jedem Beruf dienen. Ritschl selbst behandelt die Liebespflichten erst nach den Tugenden, mit denen sie untrennbar verbunden sind.248 Z. T. werden Sie auch als Tugenden bezeichnet.249 Ritschl gruppiert sie in Pflichten der liebevollen Achtung, der liebevollen UnterstÛtzung und der liebevollen Nachsicht. Die liebevolle Achtung bezieht sich auf andere Mitglieder der Gemeinschaft als geistige Personen. Zu ihr geh×ren Bescheidenheit und Aufrichtigkeit.250 Die liebevolle UnterstÛtzung bezieht sich auf die F×rderung der berechtigten Zwecke anderer Personen. Zu ihr geh×ren Rechtlichkeit, Dienstfertigkeit, WohltÅtigkeit und Wahrhaftigkeit.251 Die liebevolle Nachsicht bezieht sich auf den Mangel an Tugend anderer. Zu ihr geh×ren VertrÅglichkeit und Vers×hnlichkeit.252 2.2.1.5.5 Die sittliche Tugendbildung Tugenden k×nnen als dauerhafte affektive Haltungen des einzelnen Menschen verstanden werden, die den sittlichen Zweck bef×rdern. Tugenden und pflichtgemÅßes Handeln bedingen einander und lassen sich nicht voneinander trennen. Zum einen werden Tugenden durch stetiges pflichtgemÅßes Handeln erworben, zum anderen werden sie schon in der „Bildung der richtigen Pflichtbegriffe“253 geÛbt und gefestigt und motivieren so zu sittlichen Handlungen. Sie k×nnen gruppiert werden in Tugenden der Ehren-

Ritschl, Unterricht, §61–62, 49 f. Bereits Troeltsch, Gesammelte Schriften 2, 287 konnte Ritschls Berufsethik als „beste altpreußische Moral“ apostrophieren, die mit christlicher nichts zu tun habe. 248 Vgl. Ritschl, Unterricht, §71–72, 56–58. Zur Vers×hnlichkeit vgl. auch RuV 3, 617. 249 Vgl. Ritschl, RuV 3, 602. 250 Vgl. Ritschl, Unterricht, §73, 58 f. In RuV 3, 602 f begreift Ritschl Bescheidenheit als die der religi×sen Tugend der Demut entsprechende Tugend im sittlichen Bereich. 251 Vgl. Ritschl, Unterricht, §74, 59 f. 252 Vgl. Ritschl, Unterricht, §75, 60. 253 Ritschl, Unterricht, §64, 51. Vgl. auch ebd., §63, 50 f; RuV 3, 632. 246 247

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haftigkeit des Charakters, in Tugenden der Klarheit des Charakters und in Tugenden der LiebenswÛrdigkeit des Charakters. Zu den Tugenden der Ehrenhaftigkeit des Charakters zÅhlen Selbstbeherrschung und Gewissenhaftigkeit. Sie reprÅsentieren die FÅhigkeit der voluntativen Selbstbestimmung des Charakters. Zu den Tugenden der Klarheit geh×ren Weisheit, Besonnenheit, Entschlossenheit und Beharrlichkeit. Sie reprÅsentieren die FÅhigkeit, den sittlichen Endzweck mit angemessenen Mitteln verwirklichen zu k×nnen. Zu den Tugenden der LiebenswÛrdigkeit oder des GemÛtswerts des Charakters geh×ren GÛte, Dankbarkeit und Gerechtigkeit. Sie verhindern, daß auf den sittlichen Endzweck bezogene Handlungen mit RÛcksichtslosigkeit gegen andere Personen ausgefÛhrt werden und so einem Selbstwiderspruch verfallen.254 Trotz der Wechselwirkung zwischen Tugendlehre und Pflichtenlehre wird man bei Ritschl im Gegensatz zur KoextensivitÅt der drei Ethikbereiche etwa bei Schleiermacher eine PrÅvalenz der Tugendlehre gegenÛber der Pflichtenlehre feststellen k×nnen: Nur der vers×hnte, d. h. religi×se und sittliche Charakter hat die Autonomie zur Erkenntnis der jeweiligen Pflichten. Dem vers×hnten Charakter ist in der BegrÛndungsstruktur das h×chste Gut des Reiches Gottes prÅvalent, nicht aber irgendein relatives Gut.255

2.2.2 Die Zurechtbringungslehre Martin KÅhlers 2.2.2.1 Die strukturierende Grunddistinktion der „Soterologie“ Obwohl auch Ritschl von der gerechtfertigten Gemeinde ausgeht, hat sich doch fÛr Ritschls Theologie deutlich stÅrker die Gotteslehre, konkret das VerstÅndnis von Ewigkeit und Zeit in der teleologischen Relation Gottes zum Reich Gottes als strukturbildend erwiesen. Dies ist bei KÅhler anders. Hier kommt der Gotteslehre nicht diese strukturbildende Rolle zu, sondern die strukturbildende Funktion wird durch folgende Prinzipien bestimmt, die sowohl erkenntnistheoretischen, als auch ontologischen Gehalt haben, wie zu sehen sein wird: KÅhler unterscheidet das protestantische Formalprinzip vom protestantischen Materialprinzip, die beide ihre Einheit im protestantischen Realprinzip finden. Der Distinktion Formalprinzip/Materialprinzip entspricht die Unterscheidung geschichtlich/Ûbergeschichtlich, dem Realprinzip entspricht der Vers×hner.

Vgl. Ritschl, Unterricht; §65–68, 51–54. Daher wird man dem Urteil von SchÅfer, Ethik-Kolleg, 91 f. Ûber das BegrÛndungsverhÅltnis der drei Bereiche bei Ritschl nur mit EinschrÅnkungen zustimmen k×nnen. 254 255

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2.2.2.1.1 Materialprinzip und der Ûbergeschichtliche Christus Das Materialprinzip ist die Rechtfertigung allein aus Glauben. D.h. Ausgangspunkt aller Theologie ist der Christ, der sich durch Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott gewiß ist. Das Materialprinzip spiegelt den sog. evangelischen Subjektivismus, der im Vertrauen, der fiducia besteht, die den religi×sen Empirismus kennzeichnet.256 Der rechtfertigende Glaube besteht dabei prÅzise darin, daß sich der SÛnder als Vers×hnter nicht nur mit Gott in Gemeinschaft, sondern auch von Gott als abhÅngig erfÅhrt.257 Die rechtfertigende Wirkung beruht dabei nicht auf der fiducia als Akt und das Heilsbewußtsein des Glaubenden ist nicht wie bei Schleiermacher258 relatlos,259 sondern die Rechtfertigung beruht auf der Wirkung des Glaubensgegenstandes, d. h. des erh×hten und dem Glaubenden prÅsenten Christus,260 der selbst gegenwÅrtig und handelnder Hervorbringer partikular menschlichen Glaubens ist. Dieser Christus ist der „Ûbergeschichtliche“ Christus.261 2.2.2.1.2 Formalprinzip und geschichtlicher Christus Das formale Prinzip ist das Schriftprinzip (sola scriptura ). Damit ist kein literalistischer Biblizismus gemeint, denn die Schrift ist Formalprinzip nur, insofern sie Evangelium, Wort Gottes ist. Das Evangelium ist aber immer auf ein partikulares vergangenes historisches Ereignis, das Christusereignis, d. h. auf das Vers×hnungswerk Christi in Leben, Tod und Auferstehung bezogen.262 Dies ist der geschichtliche Aspekt Christi. Die Schrift ist also Prinzip, weil sie das Glauben zeugende Wort der offenbarenden Vers×hnung ist. Der rechtfertigende Glaube ist Prinzip, weil er die religi×se Dimension, d. h. die Gottesbeziehung, ist, in der die Vers×hnung angeeignet ist.263 2.2.2.1.3 Das Realprinzip und der Vers×hner Die Schrift als Formalprinzip bezieht sich auf den geschichtlichen Christus und dessen Vers×hnungswerk, der rechtfertigende Glaube bezieht sich auf dieses Ereignis und auf den Ûbergeschichtlich gegenwÅrtigen Christus praesens. Beide sind aber identisch, denn beides ist der biblische oder reale Christus, der Vers×hner. Dieser selbst ist deswegen das Realprinzip des Pro256 257 258 259 260 261 262 263

Vg. KÅhler, Vers×hnung, 43 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 46; ders., Wissenschaft, 120 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 112–127. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 158 f. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 92 f. 188. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 217 f. 222. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 46–51. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 54.

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testantismus. Dogmatik als wissenschaftliche Aussage Ûber den christlichen Glauben264 findet folglich ihr Materialprinzip in der „Soterologie“, in der Lehre vom Vers×hner. Diese beinhaltet die Aspekte des Werkes Christi (geschichtlicher Aspekt) und der Aneignung des Werkes Christi (Soteriologie, Ûbergeschichtlicher Aspekt), sowie davon abgeleitet auch die Lehre von der Person Christi. Entscheidend ist nun, daß nicht einer der beiden Aspekte, material oder formal, Ûberbetont wird. Geschieht dies doch, so kommt es sofort zu IrrtÛmern auch des Realprinzips, d. h. des VerstÅndnisses der Gottesbeziehung und damit der Grundlage der Dogmatik.265 2.2.2.1.4 Funktionen der KÅhlerschen Grunddistinktion und die Definition von „Vers×hnung“ und „Rechtfertigung“ Die soeben explizierte KÅhlersche Grunddistinktion hat verschiedene Funktionen und wirkt in verschiedener Hinsicht strukturbildend. In der Hinsicht, daß es sich um Formal- und Materialprinzip der Dogmatik handelt, wird sie zur Strukturierung Ûber Aussagen des Glaubens genutzt. In der Hinsicht der VerschrÅnkung von Schriftzeugnis und Rechtfertigungsbewußtsein bietet diese Grunddistinktion eine Theorie der Konstitution von Glauben, die auf den ersten Blick mit der reformatorischen Grunddistinktion von verbum externum und testimonium internum Åquivalent zu sein scheint. Unter der Hinsicht des durch Leibniz gestellten Problems, wie die Vermittlung von Universalem und Geschichtlich-partikularem gelingen kann, stellt die Grunddistinktion von geschichtlich und Ûbergeschichtlich und ihre Verbindung in der realen Person Christi einen – zur hegelschen L×sung konkurrierenden266 –, expliziten L×sungsversuch267 dar. Eine besondere Bedeutung besitzt diese Grunddistinktion, die nichts als die Verwirklichung des Allgemeinen im Partikularen bedeutet, dann auch fÛr das ethische Handeln, wie noch zu sehen sein wird (s. u.), besonders fÛr die Mission, was KÅhler auch exegetisch zu stÛtzen trachtet.268 Diese Grunddistinktion dient aber auch zur ErklÅrung der Begriffe Vers×hnung und Rechtfertigung. Vers×hnung kann nach 2.Kor. 5 zweierlei meinen: Zum einen die Zurechtbringungsbedeutung von Jesu Leben, Sterben und Auferstehen („Gott hat die Welt vers×hnt“), andererseits das Ûbergeschichtliche Wirken in der Situation der Zurechtbringungsaneignung („laßt euch vers×hnen mit Gott . . .“). Kommt dieser Ruf beim einzelnen Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 58. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 62. KÅhler nennt hier Schleiermacher und Menken als Beispiele fÛr jeweils gegenteilige IrrtÛmer. 266 Die Bildung des Ansatzes KÅhlers in Auseinandersetzung mit Hegel wurde lÅngst erkannt; vgl. Wirsching, Geschichte, 72 ff. 267 Vgl. Link, Geschichte, 147 f. 268 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 95–114 f. 264 265

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zur Wirkung, handelt es sich um Rechtfertigung.269 KÅhler ist sich bewusst, damit ungefÅhr die umgekehrte Definition der Begriffe Rechtfertigung und Vers×hnung vorzunehmen wie Ritschl (s. o.), dem hier (zu recht) vorgeworfen wird, nicht dem Ûblichen Sprachgebrauch zu folgen.270 Die Grunddistinktion wirkt aber noch weiter strukturbildend, z. T. durch mehrfache Anwendung. Aufgrund der Distinktion geschichtlich/Ûbergeschichtlich verwirklicht sich das Allgemeine nur im Partikularen, oder, wie KÅhler sagt, der christliche Universalismus ist nur durch den christlichen Individualismus vermittelt.271 FÛr den Terminus Rechtfertigung bedeutet dies, daß er sich immer auf einzelne Personen bezieht, nicht wie der Terminus „Rechtfertigung“ bei Ritschl auf die Gemeinde als Ganze. Freilich werden hier verschiedene Sachverhalte benannt. Man muß also „Vers×hnung“ bei Ritschl mit „Rechtfertigung“ bei KÅhler vergleichen und den „Beruf“ Christi bei Ritschl mit dem versÛhnenden Aspekt der Vers×hnung bei KÅhler. Aber auch dann ist klar, daß von einem Kollektivismus, wie er angeblich bei Ritschl zu finden ist,272 auch bei KÅhler nicht die Rede sein kann. Die strukturbildende Funktion hat auch Ûberraschende Konsequenzen fÛr das GottesverstÅndnis. 2.2.2.2 Die Konsequenzen fÛr die Gotteslehre 2.2.2.2.1 Gottes Wesen KÅhler bietet gemÅß seines Ansatzes, vom gerechtfertigten SÛnder auszugehen, in seiner „Wissenschaft“ keinen locus „de deo “, sondern entfaltet die Gotteslehre als Voraussetzung der Rechtfertigung an unterschiedlichen Stellen. Deren drei wichtigste sind allgemeine Grundlagen Ûber Wesen und Existenz Gottes als Implikat der allgemeinen AbhÅngigkeitsbeziehung des Menschen von Gott, noch in der „Apologetik“, die spezifisch christliche Gestalt der Gotteslehre als Voraussetzung von Gottes Heilsrat und die TrinitÅtslehre innerhalb der Vers×hnungslehre als eine deren Voraussetzungen. Dabei ist nicht nur die Existenz Gottes als eigenes Relat Implikat der Gewißheit des Vers×hnten Ûber die wirkende Gottesbeziehung auf den Menschen273, sondern hier ist auch eine Ahnung seines Wesens mitgesetzt.274 Die Grundeigenschaft wird von KÅhler daher auch als „wirksame Wirklichkeit “ benannt,275 was nichts als eine andere Beschreibung der Gewißheit 269 270 271 272 273 274 275

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 332. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 32 f. 413. 416 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung 114 f. Vgl. SchÅfer, Rechtfertigung. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 150–157. Vgl. KÅhler, 158 f. Vgl. KÅhler, 160–163.

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Ûber diese Relation ist. Aus ihr ergeben sich Gottes Einzigkeit , die die IdentitÅt des Wesens Gottes sicherstellen soll,276 Gottes SelbststÅndigkeit , die den „Ausschluß jeder AbhÅngigkeit von unserer Welt“277 bezeichnet, die Pers×nlichkeit Gottes, die primÅr die bewußte Selbstbedingung Gottes zum Ausdruck bringen soll, so daß der univoke Kern zwischen menschlicher PersonalitÅt und g×ttlicher im Bewußtsein liegt.278 Abgerundet werden diese Eigenschaften mit Gottes Lebendigkeit , mit der er in Geschichte und unmittelbar Ûbergeschichtlich im Inneren eines Menschen wirken kann.279 Dieser g×ttlichen Pers×nlichkeit eignet ein „unwandelbares Wollen“280, eine Gesinnung gegenÛber der Menschenwelt, die Liebe oder die Freiheit der Gnade ist, Macht und Ewigkeit Gottes.281 In diesem Bereich, den KÅhler in der ErwÅhlungslehre behandelt, findet sich innerhalb der Gotteslehre die stÅrkste Šhnlichkeit zu der Ritschls. In beiden FÅllen geht es um die Liebe Gottes, in beiden FÅllen ist diese Liebe auf den Menschen bezogen, in beiden FÅllen ist sie mit dem Zweckgedanken einschließlich des Begriffs des Reiches Gottes verbunden282 sowie als eine unwandelbare Gesinnung beschrieben. Auch bei KÅhler ist daher die Liebe Gottes Voraussetzung des Vers×hnungsgeschehens. Unterschiede ergeben sich im Objekt, das bei Ritschl das Reich Gottes als Kollektiv ist, bei KÅhler aber als Beziehung einer individuellen Person zu anderen individuellen Personen verstanden wird,283 sowie bei der positiveren Aufnahme des Begriffs des Zornes Gottes, der sich nicht wie Gottes Liebe auf Gottes Handeln und Gottes Gesinnung, sondern nur auf Gottes Handeln bezieht, so daß WidersprÛche zumindest formal vermieden werden.284 Damit ist Ûber das Wesen Gottes das Wesentliche gesagt. 2.2.2.2.2 Die ×konomische BinitÅt Die TrinitÅtslehre wird als Implikat der „ThatsÅchlichkeit und Art der Gottheit Christi“285 angesehen, womit zunÅchst nur die ×konomische TrinitÅt und erst von dieser abgeleitet die immanente TrinitÅt gemeint ist.286 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 163 f. KÅhler, Wissenschaft, 165. 278 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 167–169. 279 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 169 f. 160. 280 KÅhler, Wissenschaft, 227. 281 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 227–235. 241–247. 282 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 231. 283 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 232. 284 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 363–366. 285 KÅhler, Wissenschaft, 325. 286 KÅhler, Wissenschaft, 326: „Die Unterschiedenheit von dem unsichtbaren Gott, in welcher diese darstellende pers×nliche Offenbarung bei Christo heraustritt, veranlaßte eine entsprechende Anschauung von dem Geist und die Ausbildung der Lehre von einer Selbstunter276 277

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KÅhler sagt explizit, daß sich das pers×nliche Leben Gottes in einer dreifachen Selbstunterscheidung vollziehe.287 Die Unterscheidung des Sohnes vom Vater ist aufgrund der Vermittlung der Liebe Gottes in die geschichtliche Welt erkennbar.288 Hinsichtlich der ×konomischen TrinitÅt ist erkennbar, daß KÅhler ein einheitliches Wirken Gottes, das zwar eine Geschiedenheit, nicht aber eine Unterschiedenheit des hypostatischen Wirkens ausschließt, annimmt und so eine dreifaltige Wirkung Gottes auf die Menschenwelt postuliert.289 Faktisch kollabiert aber das Wirken des Geistes zum Wirken Christi, denn der Geist ist nichts anderes als die oben genannte Ûbergeschichtliche Wirksamkeit Christi. Da sich KÅhler aber in der immanenten TrinitÅt einer sinnvollen Definition des Person- oder Hypostasenbegriffs verweigert (s. u.), ist der Verdacht eines apersonalen, dynamistischen GeistverstÅndnisses schnell erhÅrtet. Innerhalb der ×konomischen TrinitÅt kennt KÅhler daher eine BinitÅt, die Christus praesens und Geist identifiziert.290 Diese trinitarische scheidung Gottes fÛr seine stete unterschiedene Wirkung auf die Welt (transcendente TrinitÅt). Ist aber das Heilswerk als die bestimmende Mitte jener Wirkung erkannt und damit die Gottesgemeinschaft als ihr Zweck [. . .], dann wird dem Nachdenken der RÛckschluß auf eine dem entsprechende Bestimmtheit der Gottheit oder des Wesens Gottes (hypostatische, ontologische oder immanente TrinitÅt) aufgen×tigt.“ 287 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 326. 330 ff. 288 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 327 f. 289 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 329. 290 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 222: „Das Heil [. . .] wird ihm nur durch eigne unmittelbare Beziehung auf Christum und in ihr zu eigen.“, ebd., 381: „Das Handeln Gottes, in welchem er die Vers×hnung zueignet [. . .], vollzieht sich durch den heiligen Geist [. . .] Wenn die Soteriologie Soterologie sein muß [. . .], so gilt das auch fÛr die Zueignung der Vers×hnung [. . . Der Gerechtfertigte wird] auch dessen gewiß, daß seine Beziehung auf den erh×hten Christus [. . .] nicht bloß in seiner Vorstellung und eignen Seelenrichtung vorhanden sei.“; ebd. 431: „Gott vollzieht das in der Rechtfertigung er×ffnete VerhÅltnis des SÛnders zu ihm, indem er den Geist seines Sohnes [443] zum tragenden und treibenden Grunde fÛr das pers×nliche Leben des Gerechtfertigten macht“; ebd. 382 f, bes. 383: „[. . .] und weist sich dadurch zugleich als der Geist Christi aus.“; ebd. 510: „Erst durch die zueignende Vers×hnung, welche der Geist Christi auf Grund der Vers×hnung vollzieht [. . .] erst durch den ‚Christus in uns‘ kommt es zu der wirkungskrÅftigen inneren Zusammenstimmung mit dem Gesetz [. . .].“ Vgl. auch KÅhler, Vers×hnung, 423. 425 u. ×.; auch KÅhler, Wissenschaft, 372 f. Man wird daher Link, Geschichte Jesu, 388 u. Å. nicht darin zustimmen k×nnen, KÅhler korrigiere die von ihm selbst so genannte (vgl. KÅhler, Vers×hnung, 359, Anm. 1) enthusiastische Gefahr der „VerselbstÅndigung der Wirkung des heiligen Geistes“. Vgl. auch KÅhler, Historischer Jesus, 68 f. Wimmer, Geistestheologie, 109 verfehlt das Anliegen der Theologie KÅhlers, wenn er schreibt: „der heilige Geist ist als Person von der Person des geschichtlichen Christus durchaus abgehoben“; ebd. 116 f: „Die ×konomisch-personale Differenz Gottes steht seiner soteriologischen IdentitÅt nicht entgegen, sondern diese gewÅhrleistet, daß der Geist nicht bloß als eine Funktion Gottes oder Christi erscheint, sondern als die dritte Person der Gottheit.“ V×llig unverstÅndlich ist auch, wie Wimmer seine Auffassung mit folgendem Zitat aus KÅhlers unver×ffentlichtem „Geist“-Manuskripts belegen will, vgl. KÅhler, Geist, 89 zit. n. Wimmer, Geistestheologie, 109: „Wissenschaftlich ist der Sohn der Geist und der Geist der Sohn; aber der Geist geht aus vom Sohn,

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SchwÅche ist wesentlich durch KÅhlers Grunddistinktion (s. o.) bedingt und ist wichtig fÛr das VerstÅndnis von KÅhlers Zurechtbringungsvorstellung (s. u.). 2.2.2.2.3 Die monopersonale immanente „TrinitÅt“ Diese Schwierigkeiten der ×konomischen TrinitÅt werden noch durch die mangelhafte Explikation der immanenten TrinitÅt verstÅrkt. Denn KÅhler sieht die TrinitÅtslehre nur als Mittel der Abwehr von HÅresien; sie „hat aber fÛr die glÅubige Aneignung des Heiles nur bedingten Wert“.291 Aufgrund dieses Urteils verwundert es auch nicht, daß sich keine wesentlichen Besprechungen der Begriffe der TrinitÅtslehre, etwa des Personbegriffs, finden. Hier findet sich nur die stark modalistische, vielleicht unter Dorners Einfluß292 gebildete Aussage, „daß das einzige gottheitliche Wesen sein Leben in den drei Hypostasen (Personen) mittels dreifacher pers×nlicher RÛckbeziehung auf sich selbst vollziehe“.293 Damit erscheinen die Hypostasen als nichts anderes als notwendigerweise lediglich intensional, nicht aber extensional unterscheidbare reflexive Relationen eines Relats. Der Unterschied zu den Eigenschaften des Wesens ist dann zeichentheoretisch nicht mehr begrÛndbar.

Bedenkt man, daß KÅhler auch die ×konomische TrinitÅt nur als PhÅnomen in via betrachtet, nicht aber des Eschatons294 und daß sich KÅhler privat diund es geht die Kraft aus vom Wort“. Das Zitat belegt damit das Gegenteil dessen, was Wimmer sagen will. Schlecht beraten ist Wimmer, Geistestheologie, 11 dann auch, seinem Buch als Motto ein Schaederzitat zu geben, in dem dieser KÅhler eine „‚Geistes‘-Theologie“ diagnostiziert (vgl. Schaeder, Theologie, 91). Eine solche findet sich bei KÅhler nur in dem Sinne, daß die Soterologie die Funktion der Pneumatologie erfÛllt. Die Ursache dieses Zuges KÅhlerscher Theologie liegt in den AnfÅngen seines theologischen Denkens. Link, Geschichte, 36–44 hat sehr sch×n gezeigt, daß KÅhler den Geistbegriff als ontologische Grundkategorie als immaterielle, dynamistisch-vitalistische Lebenskraft des Menschen sieht, die ihm von Gott verliehen ist. Infolgedessen wird durch einen eine analogia entis voraussetzenden und hoch problematischen Schluß von der Wirkung auf die Ursache diese Geistbestimmung dem Wesen Gottes selbst zugeschrieben. Beide sind wesensÅhnlich, und es besteht zwischen beiden eine Unmittelbarkeitsrelation, kraft derer Gott direkt im Menschen wirken kann. Wenn KÅhler sich, wie gesagt, spÅter von der VerselbstÅndigung des Geistes in seiner frÛhen Theologie distanziert, bedeutet dies nur, daß er das GeistverstÅndnis an den geschichtlichen Christus rÛckbindet. WÅhrend der frÛhe KÅhler quasi nur die Kategorie des ºbergeschichtlichen kannte, tritt nun das Geschichtliche hinzu. 291 KÅhler, Wissenschaft, 330. 292 Nicht nur, daß KÅhler gelegentlich den Dornerschen Terminus „Seinsweise“ fÛr die Personen benutzen kann; auch die Ablehnung der Personen als „Vollpersonen“ findet sich bei Dorner; dies verwundert freilich nicht, bedenkt man, daß KÅhler trotz expliziter Distanznahme auch in der Lehre von der Person Christi von Dorner beeinflußt bleibt, vgl. Seiler, Entwicklung KÅhlers, 119 und s. u. 293 KÅhler, Wissenschaftslehre, 330. 294 KÅhler, Wissenschaft, 462: „Mit der Beseitigung des Gegensatzes innerhalb der Gotteswelt fÅllt auch der Anlaß fÛr die Herausstellung der Selbstunterscheidung in der Gottheit.“

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rekt fÛr eine monopersonale Gottesvorstellung ausgesprochen hat,295 erkennt man, wie wenig die Aufspaltung der Gotteslehre in verschiedene loci letztlich bringt. Der Kollaps der drei Hypostasen in das Wesen Gottes ist sehr sch×n auch daran zu erkennen, daß KÅhler das Wesen Gottes als Liebe ×konomisch so allen drei Personen zuspricht, daß fÛr eine ×konomische Identifikation der Personen kein Raum bleibt.296 KÅhler dÛrfte nicht gesehen haben, daß – trotz der Ableitung der ×konomischen TrinitÅt aus der Rolle des Vers×hners – seine Vorstellung der immanenten TrinitÅt jedenfalls mit seiner christomonistischen Soterologie und dessen ×konomischer BinitÅt inkompatibel ist.297 Auch mit der Eigenschaft der SelbstÅndigkeit Gottes (s. o.), die Gottes nicht notwendige AbhÅngigkeit von der Welt zum Ausdruck bringen soll, gerÅt dieses TrinitÅtsverstÅndnis in Widerspruch.298 Eine begrifflich geschlossene Behandlung der Gotteslehre hÅtte hier vielleicht SensibilitÅten wecken k×nnen. 2.2.2.3 Der nicht zurechtgebrachte Zustand des Menschen 2.2.2.3.1 Das Wesen der SÛnde Obwohl der nicht zurechtgebrachte Zustand und die SÛnde schon unter dem Gesetz erkennbar sind, vollendet sich die Erkenntnis der SÛnde erst fÛr den Gerechtfertigten in der Vers×hnung,299 da erst nach dem Gericht Ûber die SÛnde im Christusereignis diese vollstÅndig offen liegt.300 Die SÛnde bezieht sich auf eine schuldhafte St×rung des GottesverhÅltnisses des

295 Brief KÅhlers an Witte vom 23.12.1864, zit. n. Seiler, Entwicklung KÅhlers, 118 f: „DÛrfte man sagen, daß die g×ttlichen Hypostasen, weil keine IndividualitÅt, d. h. beschrÅnkte, ergÅnzende EigentÛmlichkeiten haben, sie eben nicht in unserem Sinne Vollpersonen sind – daß es mehr ideelle, bewußte Energien des von der Kirche immer laut Einpers×nlich bekannten Gottes sind.“ In KÅhler, Wissenschaft, 271 wird dies auch deutlich, wenn die Gottebenbildlichkeit sich auf die einzelnen Personen bezieht. 296 Vgl. KÅhler, Die Liebe Gottes, 1906 DZ II, 40 f: „Habe ich in Christo die Liebe Gottes und Christum in mir wohnend in der Liebe des Geistes – darf ich fortfahren: Christus ist Liebe und der Geist ist Liebe, so wie Gott Liebe ist, dann stehen wir vor dem offenbaren Geheimnis der Dreifaltigkeit.“ 297 Erstaunlich ist auch, daß Link, Geschichte, 387 f diese InkompatibilitÅt nicht gesehen hat. KÅhler gelangt jedenfalls nicht zu „einem neuen trinitarischen VerstÅndnis des christlichen Gottesbegriffs“. Hier deutete Link KÅhler zu deutlich von den staurozentrisch-trinitarischen AnsÅtzen des 20. Jh. (Steffen, MÛhlen, Moltmann, JÛngel) her. Wenn man diese Traditionslinie schon ziehen will, dann geht dies nur so, daß sich bei KÅhler ein Problem findet, daß im 20. Jh. erneut bearbeit wird. 298 Einen entsprechenden sachlichen Nachweis hatten bereits Sartorius und Liebner gefÛhrt, vgl. MÛhling, Selbstbewußtsein, 201. 205 f und ders., Gott ist Liebe, 188–197. 299 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 279. 282. 300 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 202.

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Menschen.301 Sie ist formal Ungehorsam gegen den g×ttlichen Willen, material „Versagung von Glaube und Liebe“ und daher Feindschaft gegen Gott.302 Das VerhÅltnis des Menschen zu Gott und das VerhÅltnis des Menschen zu anderen Menschen entsprechen dabei dem VerhÅltnis von Zweck und Mittel. Daher ist eine einzelne b×se Handlung in der Weltbeziehung „zuerst Verfehlung gegen Gott selbst“.303 Damit ist Unsittlichkeit Gottlosigkeit, so daß prinzipiell mit jeder einzelnen ºbertretung das ganze Gesetz gebrochen wird.304 2.2.2.3.2 Allgemeine SÛnde, AktualsÛnde, HabitualsÛnde und personale KommunitÅrsÛnde Die M×glichkeit zur SÛnde besteht in der PersonalitÅt des Menschen. Da Gott den Menschen zur liebenden Gemeinschaft mit sich geschaffen hat, mußte er die M×glichkeit der Wahl des Widerspruchs in Kauf nehmen, wenn Liebe in diesem Sinne Freiheit beinhaltet. Damit ist die M×glichkeit der SÛnde erklÅrt; einen hinreichenden Grund fÛr ihre FaktizitÅt kann es nicht geben.305 Auch die Lehre von der ErbsÛnde will nur erklÅren, daß die SÛnde zur Wirklichkeit, nicht aber zum Wesen des Menschen geh×rt.306 KÅhler arbeitet hier mit einer Analogie. Er geht davon aus, daß die SÛnde mit einer geschichtlichen Tat durch VerfÛhrung des vorgeschichtlichen B×sen307, das letztendlich personal als Teufel vorgestellt wird308 und nicht in ein VerhÅltnis zu Gott gesetzt wird, entstanden ist. Dieses VerfÛhrungsoder TÅuschungsschema wiederholt sich in jeder geschichtlichen Situation aufs neue aufgrund der Verfassung des Menschen. Der Mensch ist nÅmlich in seiner IndividualitÅt auf andere menschliche Personen bezogen, die eine pers×nliche „Zusammengeh×rigkeit aller Glieder der Menschheit“309 bilden. Mit Hilfe dieses Gedankens der „allseitigen AbhÅngigkeit der einzelnen“310 setzt KÅhler anstelle des generativ-traditiven VerstÅndnisses der Allgemeinheit der SÛnde ein kommunitÅr-traditives VerstÅndnis: Die sÛndhaft gest×rte kommunitÅre Umwelt des einzelnen Menschen Ûbernimmt die Rolle des vorgeschichtlichen B×sen, indem der Mensch hier durch Verkehrung der Zweck-Mittel-Relation versucht wird, und sich so der SÛndenfall in der Ak-

301 302 303 304 305 306 307 308 309 310

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 313. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 284. KÅhler, Wissenschaft, 285. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 285 f. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 288. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 301. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 302 f. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 307. KÅhler, Wissenschaft, 305. KÅhler, Wissenschaft, 304.

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tualsÛnde wiederholt.311 Jede AktualsÛnde ist aber durch Habitualisierungstendenzen mit der ZustandssÛnde eines Menschen verbunden. Der Unterschied zwischen einer noch nicht habitualisierten AktualsÛnde und einer habitualisierten AktualsÛnde (ZustandssÛnde) besteht dabei prÅzise darin, daß in einer noch nicht habitualisierten SÛnde der SÛnder durch Zwang, TÅuschung oder VerfÛhrung sÛndigt und so noch die M×glichkeit besitzt, sich von seiner Tat zu unterscheiden. In der habitualisierten SÛnde liegt faktisch eine Koinzidenz von IdentitÅtsansprÛchen312 des Menschen und sÛndhaftem Handeln vor, die eine M×glichkeit der Selbstunterscheidung von SÛnder und SÛnde unterbindet.313 Dies hat eine wichtige Konsequenz, denn durch diese Habitualisierung wird das VerhÅltnis von personal kommunitÅrer AllgemeinsÛnde und SÛnder zu einem symmetrischen VerhÅltnis, so daß die ethische Tatsache einer Gesamthaftbarkeit und damit die M×glichkeit der Schuldzuschreibung auch der allgemeinen SÛnde fÛr den einzelnen Menschen besteht.314 Auf diese Weise begrÛndet KÅhler gewissermaßen den Gedanken einer personal-relationalen KommunitÅrsÛnde und KommunitÅrschuld,315 der anstelle des traditionellen ErbsÛndengedankens gesetzt wird. Eine fÛr die Vers×hnungslehre, insbesondere fÛr den Stellvertretungsgedanken wichtige, nicht zu unterschÅtzende Folge ist, daß damit der u. a. durch Kant konzeptualisierte, durch D.F. Strauß propagierte und schon auf sozinianische Kritik zurÛckgehende316 Gedanke einer UnÛbertragbarkeit von personaler, ethischer Verantwortung und Schuld unterlaufen, bzw. außer Kraft gesetzt wird. Wir werden sehen, daß dies sowohl fÛr das VerstÅndnis von Christi Werk als auch Christi Person bedeutende Folgen hat. 2.2.2.3.3 Die geschichtlich sittliche Weltordnung und die Folgen der SÛnde Die SÛnde stellt in all ihren Formen einen Bruch der sittlichen Weltordnung dar; diese wird als real-geschichtlich verstanden. Der Bruch zieht eine Folge

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 305. Zu dem Begriff und dessen Bedeutung vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 273. 313 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 309. 314 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 399. 315 Dies sind deskriptive, von KÅhler selbst nicht verwandte AusdrÛcke, die ich als AbkÛrzung dieses bei KÅhler immer kompliziert dargestellten Sachverhalts verwenden m×chte. 316 Kant, Religion, 94 f (91): „Diese ursprÛngliche [. . .] vor jedem guten [. . .] vorhergehende Schuld, die auch dasjenige ist, was [. . .] wir unter dem radikalen B×sen verstanden haben [. . .], kann aber auch [. . .] nicht von einem andern getilgt werden; denn sie ist keine transmissible Verbindlichkeit, die etwa, wie eine Geldschuld, (bei der es dem GlÅubiger einerlei ist, ob der Schuldner selbst, oder ein anderer fÛr ihn bezahlt) auf einen andern Ûbertragen werden kann, sondern die allerpers×nlichste, nÅmlich eine SÛndenschuld, die nur der Strafbare, nicht der Unschuldige, er mag auch noch so großmÛtig sein, sie fÛr jenen Ûbernehmen zu wollen, tragen kann.“ Vgl. auch Wenz, Geschichte, Bd. 1, 124 f. 227; vgl. Ritschl, RuV 1, 454. 311 312

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nach sich, die als Strafe verstanden wird, denn „Strafe nennt man die Folge einer Handlung, in welcher der durch sie vollzogene Bruch einer Ordnung sich ihrem Urheber selbst zum Nachteile wendet.“317 Die Strafe besteht dabei prÅzise im Tod, der als Vereinzelung des pers×nlichen Daseins definiert ist, als Herausl×sung aus den Lebensbedingungen der Person,318 d. h. letzten Endes als Bruch der Gottesbeziehung. Der Strafbegriff ist damit intensional so einfach, daß er eine weite Extension in sich schließt. Zum einen handelt es sich einfach um die natÛrliche Folge der SÛnde,319 quasi um das Siegel dessen, was SÛnde als Bruch der Gemeinschaft mit Gott ist. Ist SÛnde falsche Zuwendung zu Endlichem, ist der Tod dann als Verendlichung des SÛnders verstanden.320 KÅhler prÅzisiert den Begriff aber noch. Denn die SÛnde wird immer personal verstanden. Die Strafe ist daher nicht einfach eine mechanische Folge des Bruchs, sondern von Gott personal verhÅngt, d. h. sie ist Ausdruck des Zornes Gottes. Der Zorn Gottes ist dabei prÅzise die Relation eines Handelns Gottes zur Welt; Sie ist keine Haltung oder Gesinnung. Daher kommt es nach KÅhler zu keinem Konflikt zwischen Gottes Liebe, die seine Gesinnung ist und sich im Handeln realisiert und zwischen Gottes Zorn, der sich nur auf das Handeln bezieht.321 ºber eine affekthafte Komponente, die in KontinuitÅt zum umgangssprachlichen Zornesbegriff Gott zu- oder abzusprechen wÅre, verliert KÅhler kein Wort. Wahrscheinlich ist jede affekthafte Komponente vom Begriff des Zorns Gottes auszuschließen. Entscheidend ist aber, daß der Zorn Gottes als Handlung aus seiner Liebeshaltung kommt.322 Damit ist keine Reduktion auf ein pÅdagogisches Element gemeint, sondern der Zorn ist die notwendige Anerkennung, daß es sich in der Gottesbeziehung um eine personale Beziehung, nicht um eine Sachbeziehung handelt. Gerade weil Gott den Menschen als Person achtet und anerkennt, ist Zorn im Verletzungsfall die einzig adÅquate Handlung.323 Hinsichtlich des Weltlaufes gilt dabei, daß die Welt mitnichten perfektibel ist, sondern den Zorn Gottes sich zunehmend zuzieht.324 Die sofortige KÅhler, Wissenschaft, 292. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 293, ders. Vers×hnung, 313. 319 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 251. 320 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 293. 321 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 366. 372 f. 322 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 300. 323 KÅhler, Wissenschaft, 293 f: „Legt nun Gott auf das Verhalten der Person zu ihm selbst Wert [. . .], so muss sich diese Wertlegung zufolge seiner Unwandelbarkeit auch bei der Abweisung von seiten jener zeigen; Gottes pers×nliche Beziehung auf den Boshaften kann nicht als GleichgÛltigkeit gedacht werden; man hebt das Pers×nliche in ihr hervor, wenn man von Gottes Zorn spricht [. . .] Die Erkenntnis der Strafe als der BetÅtigung des g×ttlichen Zornes vollendet erst die inhaltliche Bestimmung darÛber, was Tod sei.“; ders. Wissenschaft, 299: „[D]enn als Zorn wird Gottes Verhalten bezeichnet, um einzuprÅgen, daß keine Person, auch wenn sie von seiner Gemeinschaft ausgeschlossen wird, in seiner SchÅtzung auf den Wert einer Sache herabsinkt.“ 324 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 299. 317 318

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Straffolge des Todes ist lediglich gebremst von Gottes Langmut.325 Dennoch gibt es fÛr KÅhler, hier deutlich Ûber Ritschl hinausgehend, einen (von ihm allerdings nicht so benannten) eschatologischen Zorn und eine eschatologische Strafe, d. h. keine apokatastasis panton. Der Gedanke der Vollendung des Reiches Gottes schließt ein, daß alles Widerg×ttliche und zwar in personaler Form (!) ausgeschlossen ist.326 Diejenigen (nicht: dasjenige), die die Vers×hnung nicht angenommen haben, bleiben eschatologisch das, was sie sind: von Gott getrennt und fallen endgÛltig dem Tod anheim.327 Es gibt also einen doppelten Gerichtsausgang, der aber nicht eindeutig beschrieben wird. Zwar wird gegen Schleiermacher die Vorstellung, die Seligkeit der Seligen sei aufgrund des MitgefÛhls getrÛbt, falls es keine apokatastasis panton gÅbe, widerlegt mit dem Argument, in diesem Fall sei von Gott die Entscheidung der Verstockten und damit deren personaler Wert nicht respektiert. Aber KÅhler spricht sich nicht einfach fÛr eine annihilatio der Verstockten aus, was an sich in der Konsequenz seines StrafverstÅndnisses lÅge, sondern lehnt auch diese zugunsten „ewiger H×llenstrafen“328 ab, ohne daß die Semantik dieses Ausdrucks geklÅrt wÛrde. Freilich gibt es auch Aussagen bei KÅhler, die diese Meinung etwas abmildern k×nnten, daß die Liebe Gottes nicht den JÛngern und der Kirche, sondern der Welt, einschließlich ihrer Natur und Leiblichkeit gelte und daß Christi Vers×hnungswerk bÛrgend eine abschließende eschatologische Offenbarung erwarten lasse.329 Inwieweit dieser dann aber ein Totalerfolg beschieden ist, ist schwer zu sagen. An vollstÅndigen kohÅrenten Aussagen fehlt es in diesem eschatologischen Bereich. 2.2.2.3.4 Die Unm×glichkeit einer menschlichen Schuldabstattung Hinsichtlich der nicht zurechtgebrachten Gottesbeziehung fehlen nun noch zwei fÛr das VerstÅndnis des Zurechtbringungsvorgangs wesentliche Elemente, die Unm×glichkeit einer menschlichen Schuldabstattung und die Unm×glichkeit einer Erlassung durch Gott ohne objektive BeziehungsÅnderung, die formal Anselms Satisfaktionslehre entlehnt sind,330 material

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 296 ff. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 449. 662; ders., Vers×hnung, 456. 327 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 457. 460. 328 KÅhler, Wissenschaft, 462: „Dieser Einsicht entspricht die AnkÛndigung ewiger H×llenstrafen fÛr die Personen, denen die Erscheinung Christi den Eintritt in die Gemeinschaft mit Gott nicht hat erschließen k×nnen, enthÅlt aber zugleich die Folgerung, daß die Vollendung als Abschluß der Vers×hnung [. . .] nicht den gesamten Bestand des Geschaffenen umspannen werde.“ 329 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 443. 330 Abgesehen von dieser StrukturÅquivalenz hat sich KÅhler auch bewußt auf Anselm bezogen, der fÛr ihn die richtige Frage gestellt hat. Vgl. Link, Geschichte, 328. 325 326

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sich aber prÅzise dadurch unterscheiden, daß sie bei Anselm im Modus einer Sach- oder Handelsbeziehung gedacht sind, wÅhrend sie bei KÅhler im Modus einer personalen Beziehung gedacht sind (s. o.). Wir behandeln hier zunÅchst den ersten Aspekt. Eine einzelne AktualsÛnde stellt einen Bruch des ganzen Gesetzes dar, wie schon gesagt wurde. Da aber das Gesetz die Hingabe des ganzen menschlichen Willens – also der ganzen menschlichen Person – fordert, kann ein Bruch dieser Beziehung nicht mehr ausgeglichen werden, nicht weil einzelne Akte gefordert wÅren, sondern weil sich die IdentitÅt der Person in deren geschichtlichen Leben realisiert. Daher ist die menschliche Schuld eine unbedingte Schuld, die KÅhler gegen Ritschl (s. o.), diesen aber wie Ûblich nicht nennend, als unendliche Schuld bezeichnet.331 2.2.2.3.5 Die Unm×glichkeit einer Erlassung der Schuld durch Gott ohne objektiv-geschichtliche VerhÅltnisÅnderung KÅhler wird nicht mÛde zu betonen, daß eine Zurechtbringung, die nur im Modus einer menschlichen BewußtseinsÅnderung verstanden wird, indem eine mißverstÅndliche Ansicht Ûber Gott korrigiert wird, nÅmlich daß Gott nicht allein Liebe sei und ihm daher mit Mißtrauen zu begegnen sei, nicht ausreichend ist, sondern daß vielmehr eine objektiv-geschichtliche VerhÅltnisÅnderung vonn×ten ist. KÅhler sieht dabei durchaus, daß auch eine Šnderung nur eines Relats, d. h. des Menschen, im strengen Sinne bereits eine BeziehungsÅnderung ist, auch wenn dieser Selbsteinwand nur einmal erscheint332 und nicht zu einer Šnderung der Terminologie fÛhrt. Die sachlichen EinwÅnde sind folgende: Nur eine Berichtigung des Bewußtseins des SÛnders ist nicht ausreichend, da die Rechtfertigung dann mit Ritschl gegen Ritschl gerade kein synthetisches Urteil, sondern ein analytisches Urteil wÅre und der SÛnder zu dem Schluß kÅme: Der SÛnder ist ewig von Gott gerechtfertigt, also ist der SÛnder ein Gerechter. Jetzt erkenne ich: Ich bin ein SÛnder; also bin ich gerecht.333 Der sachliche Hintergrund dieses Einwandes besteht darin, daß eine bloße Mitteilung auf intellektiver Ebene noch keine WillensÅnderung vom Mißtrauen zum Vertrauen mit sich bringt.334 Eine Explikation der AbhÅngigkeit des Voluntativen vom Affektiven wird nicht geliefert. Die Hauptargumentation ist folgende: Gott kann nicht einfach Ûber die SÛnde hinwegsehen, ohne die real geschichtliche, sittliche Weltordnung zu zerst×ren. Ein solches ºbergehen der Weltordnung wÅre aber nicht – wie Anselm zugeschrieben – primÅr eine Verletzung der Ehre Gottes um Gottes willen, sondern eine Verletzung von Gottes lieben-

331 332 333 334

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 291 f, ders., Vers×hnung, 382. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 337. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 338. 416 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 385.

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der Gesinnung dem Menschen konkret als SÛnder gegenÛber, da andernfalls dessen personaler Wert, der in des Menschen Relation zu Gott und zu den anderen menschlichen Personen in der Geschichte besteht, von Gott nicht respektiert und damit zerst×rt wÛrde. Es ist also fÛr Gott nicht an sich oder um seiner selbst willen unm×glich, die Schuld der SÛnde ohne objektive Schuldabstattung zu erlassen, sondern es ist Gott um des Gutes des Menschen selbst willen unm×glich, die Schuld der SÛnde ohne objektive Schuldabstattung zu erlassen. Daher ist eine objektiv-geschichtliche Schuldabstattung notwendig. Sie bedeutet (wie bei Anselm) keine Šnderung der Gesinnung Gottes, sondern gerade deren AusfÛhrung. Umgekehrt wÛrde eine solche Šnderung sowohl der personalen Beziehung Gottes zu den Menschen zu einer manipulativen Sachbeziehung als auch der Gesinnung Gottes zur Welt als Liebe zur GleichgÛltigkeit vonstatten gehen, wenn auf eine objektive Schuldabstattung verzichtet wÛrde. Nur insofern die Absicht Gottes mit der Welt mit dem Selbstzweck des Menschen koinzidiert, kann davon gesprochen werden, daß eine solche Verletzung auch eine Verletzung der doxa theou wÅre.335 Damit ist die Rekonstruktion des nicht zurechtgebrachten Zustands im VerstÅndnis KÅhlers abgeschlossen. Mit der FormalÅquivalenz zur Argumentation Anselms erreicht KÅhler exakt das Dilemma Anselms: Aufgrund der menschlichen SÛnde kann dem Menschen nicht einfach vergeben werden, noch kann dieser eine Schuldabstattung leisten. Die Konsequenz der Strafe des Todes jedoch wÛrde Gottes Absicht ebenso verhindern. Die bedenklichen materialen Konsequenzen einer Deutung der Gottesbeziehung als manipulativer Beziehung oder als Sach- oder Handelsbeziehung sind jedoch vermieden. 2.2.2.4 Die geschichtliche Tat des Vers×hners als kumulatives Modell eines bÛrgenden stellvertretenden Strafopfers zur VerhÅltnisÅnderung der Gottesbeziehung Weder kann sich der sÛndige Mensch von sich aus in ein rechtes GottesverhÅltnis setzen, noch kann Gott einfach Ûber die SÛnde hinwegsehen, oder kraft seiner FÅhigkeit, unmittelbar im Inneren eines einzelnen Menschen zu wirken, bei diesem eine GesinnungsÅnderung im Herzen herbeifÛhren. Vielmehr bedarf es zur Zurechtbringung um des Menschen selbst willen einer geschichtlichen Tat, die die Bedingung eines neuen Umgangs Gottes mit den Menschen ist. KÅhler schließt sich damit Nitzschs Diktum an, daß die Schrift „in der Vers×hnung eine VersÛhnung“ lehre.336 Dieser geschichtliche Vorgang, das Werk Christi, wird mit verschiedenen Metaphern be335 336

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 362–369. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 34.

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schrieben, die eine unterschiedliche begriffliche Funktion haben und als Modelle zum VerstÅndnis des Werkes Christi verwendet werden. Es handelt sich dabei im wesentlichen um das Teilmodell des Opfers, um das Teilmodell der Strafe und um das Teilmodell der bÛrgenden Stellvertretung. Geschickt verbindet KÅhler diese Modelle zu einem kumulativen Modell des bÛrgenden stellvertretenden Strafopfers, das im folgenden durch eine Explikation seiner Teilmodelle beschrieben sei. 2.2.2.4.1 Die geschichtliche Tat als richtendes und offenbarendes Opfer Die erste dieser Metaphern ist der Opferbegriff. Ein Opfer ist nicht im Sinne eines heidnischen propitiatorischen Opfers zu verstehen; es ist auch keine freiwillige Verzichtsleistung, wie es die Umgangssprache nahelegt. Opfer sind nach der Schrift von Gott geordnete und eingesetzte Mittel zur Zurechtbringung der Gottesbeziehung. Daher sind sie eine Pflichtleistung.337 Auf Christus Ûbertragen bedeutet dies, daß sein Opferdienst zu seiner Berufspflicht geh×rt und keinen supererogatorischen Wert hat.338 Nun scheint es zwar, als lehre KÅhler, ein Opfer k×nne zurechtbringende Wirkung haben, einfach weil es von Gott zu diesem Zweck eingesetzt sei, d. h. weil es sich um ein in Gottes potentia absoluta gesetztes Mittel handele, aber KÅhler lehnt explizit diesen voluntaristischen Gedanken, der die Wirksamkeit des Opfers in Gottes WillkÛr verankert, ab.339 Mit dieser Ablehnung steht KÅhler vor der Aufgabe, die Funktionsweise eines Opfers und speziell des Opfers Christi zu erklÅren. Die Pflichtleistung, die erbracht werden muss, ist letztlich identisch mit der gelebten korrekten Gottesbeziehung, d. h. mit der Hingabe der ganzen Person an Gott.340 WÅhrend der alttestamentliche Opferbegriff dies quasi symbolisch darstellt, indem das Dargebrachte ein StÛck des Lebens, z. B. Blut, zu sein hat,341 ist der Vollbegriff des Opfers folgendermaßen zu verstehen: „Gehorsam gegen den bekundenden Gotteswillen ist das Eigentliche des Opfers. Das ist aber die Hingabe des Willens an das Wollen Gottes; Hingabe dessen, was den Kern des pers×nlichen Lebens ausmacht und unser Eigenstes ist“.342 Die christologische IdentitÅt von Opferndem und Opfer ist damit keine Ausnahme des Opferbegriffs, sondern geh×rt zu dessen Vollbegriff.343 Das Opfer wird damit zum Modell des Lebens und willigen 337

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 380. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 362 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 383. 339 Vgl. KÅhler, 382. 340 Vgl. KÅhler, 380. 341 Vgl. KÅhler, 380 f. 342 KÅhler, 381. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 362. 343 Dieses OpferverstÅndnis ist freilich nicht neu, vgl. z. B. wesentliche GrundzÛge bei Sartorius, Liebe, 135 ff. 338

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Sterbens als ºbernahme des Gerichts und Zornes Gottes.344 Damit findet sich bei KÅhler schon hier – bei der Deutung des Werkes Christi als Opfer – eine Remodellierung der Vorstellung von der oboedientia activa und der oboedientia passiva.345 Dies ist aber etwas, was der Mensch gerade faktisch nicht zu leisten vermag, wie wir im letzten Abschnitt sahen. Indem nun Christus mit seinem Leben und Sterben seinen Willen und – im Rahmen von KÅhlers voluntaristischen PersonverstÅndnis – seine gesamte Person als Berufspflicht Gott darbringt, geschieht fÛr den SÛnder ein Doppeltes: Erstens : Indem der Vers×hner Opfer ist, hat er nicht seinen eigenen, sondern Gottes Willen zur Geltung gebracht und so den Tatbeweis geliefert, daß der Wille Gottes unter den Menschen faktisch ausfÛhrbar ist.346 Damit ist Ûber KÅhlers explizite Šußerungen hinausgehend zunÅchst die Aufgabe gestellt, zwei ModalitÅten in zwei Hinsichten zu unterscheiden. Denn einerseits ist es faktisch dem Menschen unm×glich das Opfer zu bringen, andererseits ist es unter den Menschen m×glich, das Opfer zu bringen. Damit ist nur eine formale KlÅrung des Problems erreicht. Eine semantische KlÅrung ist notwendig, erfolgt bei KÅhler aber nicht. Zwar bringt der Vers×hner das Opfer kraft seiner Berufspflicht, aber nicht einfach aufgrund seiner Gottheit, denn die Funktion, die diese ErfÛllung des Willens Gottes unter den Menschen erfÛllt, ist damit zunÅchst einmal die Funktion des Gerichts und damit die oben angesprochene vollstÅndige Erkenntnis der SÛnde.347 Zweitens : Die andere Funktion, die das Opfer Christi pro nobis erfÛllt, ist die Offenbarung der liebenden Gesinnung Gottes, die in der Hingabe bis zum Tod anschaulich wird, denn der SÛndlose stirbt aus SÛnderliebe heraus.348 Diese Funktion ist aber weitgehend identisch mit dem VerstÅndnis der Bedingung der M×glichkeit der Zurechtbringung bei Ritschl. KÅhler erkennt also ausdrÛcklich an, daß eine Offenbarung Ûber die liebende Gesinnung Gottes notwendig ist, um das Herz des SÛnders fÛr die Liebe zu ×ffnen, damit von der erfahrenen Liebe das GottesverhÅltnis vom SÛnder als KindschaftsverhÅltnis verstanden werden kann.349 Er bestreitet aber – implizit gegen Ritschl350 –, daß eine g×ttliche ErklÅrung dafÛr auch hinrei-

344

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 363. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 364. Interessant ist, daß auch bei KÅhler die oboedientia passiva und activa so zu Christi Beruf geh×ren, daß es sich nicht um einen stellvertretenden Gehorsam fÛr uns handelt, sondern daß sie zunÅchst fÛr Christus selbst gelten. Vgl. dazu Ritschl, s. o. 346 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 381 f. 347 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 359–361. 362: „Dieses Widerfahrnis Jesu trÅgt den wesentlichen Zug des Opfers an sich“. 348 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 383 f; KÅhler, Wissenschaft, 354–356. 349 Vgl. KÅhler, Vers×hnung 384. 350 Namentlich nennt KÅhler nur Theodor HÅring, wenn er den Offenbarungsbegriff als Leitbegriff in der Vers×hnungslehre ablehnt, vgl. KÅhler, Vers×hnung, 349 ff. Dies ist besonders signifikant, weil HÅring in HÅring, Christus, 83 ff als RitschlschÛler Ritschls Vers×hnungsver345

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chend sei, das im Schuldbewußtsein verankerte Mißtrauen gegen Gott zu beseitigen.351 Verbindet man diese Einsicht mit KÅhlers voluntaristischen Personbegriff, der als Personzentrum faktisch das voluntative Verm×gen des Menschen betrachtet, sieht man, daß es bei KÅhler nicht das intellektive Verm×gen des Menschen ist, das dieses voluntative Verm×gen steuert. Es bleibt abzuwarten, ob sich bei KÅhler auch positive Aussagen Ûber eine Willenssteuerung rekonstruieren lassen. KÅhlers AusfÛhrungen zum VerstÅndnis des Werkes Christi als Opfer k×nnen damit als weitgehend kohÅrent verstanden werden. Sie gehen aber gegen KÅhlers Anspruch, eine geschichtliche Bedingung der M×glichkeit zur VerhÅltnisÅnderung zu bringen,352 nicht Ûber das u. a. von Ritschl vorgeschlagene Modell hinaus. Da der Opferbegriff damit nach KÅhlers eigenen AnsprÛchen nicht das leistet, was er leisten mÛßte, muß nun untersucht werden, ob dies ein anderes von KÅhler verwendetes Teilmodell zu leisten vermag. 2.2.2.4.2 Die geschichtliche Tat als Strafe Wir haben schon gesehen, daß die Verletzung der geschichtlichen Weltordnung um des Menschen willen Strafe nach sich zieht, die ein „Verfahren zur Behauptung einer Ordnung im Leben der Personen“353 ist. Da die Menschheit einen sÛhnenden Ersatz um ihrer selbst willen nicht zu leisten vermag, verfÅllt sie (a) der Strafe des Todes als Vereinzelung und Herausl×sung aus der Gemeinschaft Gottes.354 Der eigentliche Vollzug der Strafe im ethischen Sinne, im Gegensatz zum rechtlichen Sinne (s. o.), geschieht im Gewissen, d. h. Strafe setzt (b) das Schuldbewußtsein des Bestraften voraus. Im Gegensatz zur alleinigen Besserung, die eine Schuld nicht aufhebt, vermag die ethische – d. h. mit Besserung einhergehende (c) und im Gewissen aktiv bejahte – Strafe die Schuld aufzuheben, weil sie v×llige Anerkennung der geschichtlichen Weltordnung, die dem Menschen zugute besteht, mit sich bringt.355

stÅndnis sanft korrigieren will, indem er dem Tod Jesu doch eine objektivere Bedeutung als Ritschl selbst beimessen will. In der 2. Auflage von RuV 3, 513 ff hatte Ritschl HÅring deswegen aber scharf angegriffen. 351 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 385. 352 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 381. KÅhler geht hierbei soweit, daß er behauptet, daß dies fÛr die VerÅnderung des GottesverhÅltnisses selbst dann relevant wÅre, wenn Jesus Christus mit der ErfÛllung des Willens Gottes einsam geblieben wÅre. 353 KÅhler, Vers×hnung, 392. 354 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 181. 392 f. 355 KÅhler, Vers×hnung, 409 geht soweit zu behaupten, daß Schwerverbrecher, die zur SinnesÅnderung gelangt sind, selbst den Vollzug der Strafe als ihr Recht fordern.

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Soll Jesu Tod mit der kirchlichen Tradition als Strafe verstanden werden, muß gewÅhrleistet sein, daß die genannten Kennzeichen (a) bis (c) auch auf ihn zutreffen. Damit ist schon gewÅhrleistet, daß andere Deutungen der Strafe, etwa der des Strafexempels, abgelehnt sind. Aus Sicht der auch unabhÅngig vom Strafmodell feststehenden Erkenntnis Jesu kann gesagt werden, daß Jesus kein Vorbild ist, wie man zu sterben hÅtte, denn viele Christen sind in der Nachfolge in ihrem Herzen friedlicher gestorben als Jesus selbst.356 Wichtig ist ferner, daß daran festzuhalten ist, daß der Tod nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern zu Jesu Leben geh×rt. Leben und Tod sind aber nicht gleichgeordnet, sondern Jesus hat gelebt, um am Kreuz zu sterben.357 Dabei gilt freilich, daß mit „Leben“ hier nicht einfach die geschichtlichen Ereignisse vor Jesu Tod gemeint sind, sondern alle Jesus betreffenden Tatsachen einschließlich Auferweckung und ºbergeschichtlichkeit Christi.358 Mit Hilfe dieser Qualifikanten kann das Strafmodell auf Jesu Tod angewandt werden unter Bejahung der drei genannten Kennzeichen (a) bis (c): (a) Steht Jesu Tod im Zusammenhang mit Jesu Leben, in dem er eine untadelige, d. h. sÛndlose Gottesbeziehung gelebt hat, steht fest, daß nicht erst Jesu Tod, sondern schon das Ausbleiben einer Antwort am Kreuz die vollstÅndige Erfahrung der Gottverlassenheit und damit der Strafe ist, noch ehe es zum biologischen Tod kommt.359 (b) Nun scheint es mit der positiven Zuschreibung von Kennzeichen (a) der Strafe als Gottverlassenheit und Vereinzelung aber gerade unm×glich zu sein, Kennzeichen (b) des Schuldbewußtseins im Gewissen zuzuschreiben. Denn die RadikalitÅt der Gottverlassenheit Jesu besteht ja exakt darin, daß er sich selbst keiner Schuld im Gewissen bewußt ist. Christus ist sÛndlos und zwar in einem radikalen Sinne: Weil andernfalls die Verwirklichung des g×ttlichen Heilswerks ungewiß wÛrde, „deshalb muß fÛr den Messias ein Unterliegen in der Versuchung von vorn herein ausgeschlossen sein (non potuit peccare)“360. Christus hat nicht nur faktisch nicht gesÛndigt, sondern es war fÛr Christus unm×glich zu sÛndigen. Also scheint er auch kein Schuldbewußtsein besessen zu haben und mußte auch nicht fÛr sich selbst einen Straftod sterben.361 KÅhlers L×sung dieses Problems besteht darin, daß sich diese scheinbare RadikalitÅt der SÛndlosigkeit Jesu nur auf die Aktual- und HabitualsÛnde bezieht. Die SÛnde hat aber auch noch einen anderen Aspekt, den der personalen KommunitÅrschuld (s. o.), die die ethische

356 357 358 359 360 361

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 396 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 387. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 357. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 401. KÅhler, Wissenschaft, 337. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 395.

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Gesamthaftbarkeit einschließt: „War unser Heiland Mensch [. . .] so kann der Einzige nicht einsam bleiben, sich nicht individual pers×nlich in abstractem Ethicismus mit der Toga der SÛndlosigkeit decken. Er muß die Gesamthaftbarkeit bewußt und pers×nlich Ûber sich nehmen. Und das hat er gekonnt“.362 Weil Jesus also Mensch ist, ist er in den relationalen Gesamtzusammenhang der Menschheit eingefÛgt und empfindet daher die KommunitÅrschuld als reale, d. h. es handelt sich nicht um ein sentimentales Mitleid mit den sÛndigen Menschen des selbst sÛndlosen Jesus.363 Die eindeutigen Konsequenzen dieser L×sung hat KÅhler nicht expliziert und wahrscheinlich auch nicht gesehen: WÅhrend Jesus im Gewissen kein Schuldbewußtsein hinsichtlich der Aktual- (und HabitualsÛnde) hatte, hatte er ein Schuldbewußtsein hinsichtlich der personalen KommunitÅrschuld. WÅhrend es ihm unm×glich war, eine AktualsÛnde zu begehen, war er notwendig der allgemeinen SÛnde in Gestalt der KommunitÅrsÛnde unterworfen, die bei KÅhler explizit die ErbsÛnde ersetzt. Zwar geh×rt die KommunitÅrsÛnde nicht notwendig zum Menschsein; wenn die Menschheit aber gefallen ist, ist es unm×glich, daß es ein Exemplar der Gattung Mensch gibt, das nicht der KommunitÅrschuld unterliegt, weil „Mensch“ nicht einfach eine Gattung, sondern ein relationaler Zusammenhang ist, der es erfordert, daß Eigenschaften eines Relats in relationaler Weise auch allen andern Relaten zugeschrieben werden mÛssen. (c) Die Zuschreibung des letzten Kriteriums des Strafbegriffs, die aktive willentliche ºbernahme der Strafe, stellt nun als Folge kein Problem mehr dar. Jesus erleidet die Gottverlassenheit des Todes nicht einfach, sondern Ûbernimmt sie absichtlich, handelnd und lebt so das Recht des Urteils Ûber die SÛnde vor.364 Dies ist entscheidend, denn damit ist die Schuld aufgehoben und KÅhler sieht hier u. a. die ZweckmÅßigkeit der Strafe als ein fÛr allemal vollzogene Vers×hnung der Welt mit Gott.365 An dieser Stelle verschmelzen auch das Opfermodell des Todes und das Strafmodell des Todes Christi. Denn wenn das Opfer die Hingabe der Person und ihres Personzentrums, des Willens, an den Willen Gottes bedeutet, die Strafe aber der von Gott um des Gut des Menschen willen geordnete Wille ist und Christus die Strafe willentlich als im Erleiden der Strafe Handelnder erlebt, ist die Strafe Opfer. Konsequenterweise kann KÅhler auch vom „Strafopfer“ sprechen.366 Unter der Voraussetzung, daß dieses nun vereinigte Modell des Opfers und der Strafe auch den Menschen zugute kommen kann, sei hier schon ei362 363 364 365 366

KÅhler, Vers×hnung, 399. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 400. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 400. 405 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 407 f. Vgl. etwa KÅhler, Vers×hnung 407; KÅhler, Wissenschaft, 358, u. ×.

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ne wichtige Konsequenz genannt, die KÅhler leider auch nicht expliziert: Wenn die Strafe aufgrund des Schuldbewußtseins Jesu hinsichtlich der KommunitÅrschuld m×glich ist, bezieht sich die geschichtliche Vers×hnungstat, also die Bedeutung des Satzes „also hat Gott in Christus die Welt mit sich vers×hnt“, auch nur auf die KommunitÅrsÛnde des Menschen, die nun schuldfrei ist, nicht aber auf die AktualsÛnde. Aufgrund des gegenseitigen Bedingungszusammenhangs von KommunitÅrsÛnde, HabitualsÛnde und AktualsÛnde (s. o.) ist damit noch klÅrungsbedÛrftig, was dies fÛr die Schuld der HabitualsÛnde bedeutet. Zwar meint KÅhler, damit sei nicht nur eine VerhÅltnisÅnderung Gottes zur ganzen Menschheit eingetreten, sondern auch die M×glichkeit einer VerÅnderung der Beziehung zu den einzelnen Menschen.367 Dies ist aber zweifelhaft, da das Modell des Strafopfers nur die KommunitÅrschuld aufzuheben vermag, die Unm×glichkeit der menschlichen Schuldabstattung aber nicht einfach mit der Verstrickung des Einzelnen in die KommunitÅrsÛnde erklÅrt wurde, sondern gerade davon ausgegangen wurde, daß jede AktualsÛnde ein Verstoß gegen das ganze Gesetz ist (s. o.). Die L×sung dieses Widerspruchs kann im Gedanken der Stellvertretung gesehen werden (s. u.). Das Modell KÅhlers funktioniert nur, wenn es tatsÅchlich zweckmÅßiges Mittel zur Er×ffnung der Gemeinschaft mit Gott ist und dies ist nur m×glich, wenn das Teilmodell des Todes als Strafe tatsÅchlich unsere KommunitÅrschuld tilgt, d. h. wenn es tatsÅchlich pro nobis geschieht. Dies ist bisher noch nicht rekonstruiert worden. Wir wenden uns daher im Folgenden der ºbertragbarkeit der Wirkung dieses Modells zu, die KÅhler mit dem Teilmodell der bÛrgenden Stellvertretung erfaßt. 2.2.2.4.3 Die geschichtliche Tat als bÛrgende Stellvertretung Die Strafe, bzw. das Strafopfer kann seine Leistung nur erbringen, wenn es tatsÅchlich pro nobis geschieht. Dies bedeutet, daß eine Stellvertretung stattfinden muß. Diese ist nur m×glich, wenn es zwischen Vertredendem und Vertretenen einen pers×nlichen Zusammenhang gibt. Dies ist tatsÅchlich der Fall, weil Jesus Christus die Zusammenfassung der Menschheit ist in der aufgrund der KÅhlerschen Grunddistinktion begrÛndeten VerschrÅnkung von Universalismus und Individualismus.368 Faktisch handelt es sich dann nicht um eine exklusive Stellvertretung, die die Erbringung des Strafopfers, d. h. die Hingabe des pers×nlichen Willens an Gott, ÛberflÛssig machen wÛrde, sondern um eine Vertretung, die genau diese erm×glichen soll. Ersatz findet also nur hinsichtlich des kommunitÅren Aspekts der Schuld 367 368

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 365. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 389 f.

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statt: „Die Vers×hnung der Welt mit Gott bietet den Ersatz fÛr eine religi×se Gesamtentwicklung, welche die Menschheit Gott und ihren Gliedern schuldig bleibt.“369 Infolgedessen muß die „bÛrgende Vertretung [. . .] einen Ersatz der fÛr die SÛnder unm×glichen Schuldabstattung leisten; aber nicht einen Ersatz, der die Hingabe des eignen Willens an Gott ÛberflÛssig, sondern einen solchen, der sie m×glich macht; nicht einen solchen Ersatz, durch welchen der SÛnder der Bindung an Gottes Willen ledig, sondern einen solchen, durch welchen er zur Aneignung dieses Willens befÅhigt und veranlaßt wird. Es muß ein Ersatz sein, in dessen Beschaffung ihm dieser Ersatz Ûberwindend und gewinnend entgegenkommt“370 Diese, oft inklusiv genannte Stellvertretung hat wesentlich bÛrgenden Charakter, d. h. in Christus ist garantiert, daß sein Schicksal auch unser Schicksal sein wird: „Diese Person ist die SÛhne, sofern in ihr selbst zugleich die BÛrgschaft liegt, daß sie nur der Erstgeborene unter vielen BrÛdern sein kann“.371 Dieses Konzept ist somit nicht ohne den Gedanken der Auferstehung denkbar.372 Mit diesem Konzept ist auch der im letzten Abschnitt diskutierte Widerspruch gel×st, daß Christi Strafopfer nur die Schuld der KommunitÅrsÛnde aufl×st, nicht jedoch die Schuld der AktualsÛnde, denn das Strafopfer als bÛrgender Ersatz macht in seiner InklusivitÅt das Strafopfer jedes einzelnen Menschen nicht ÛberflÛssig, sondern soll dieses gerade erm×glichen, d. h. letztlich die willentliche, aktive Erfahrung des Zorns Gottes.373 Der Ersatz ist damit nur ein Zug der geschichtlichen Vers×hnungstat Christi und bezieht sich nicht auf diese in ihrer Gesamtheit.374 Damit ist die Beschreibung der geschichtlichen Vers×hnungstat Christi abgeschlossen, die die FaktizitÅt der VerÅnderung der Gottesbeziehung der gesamten Menschheit und die M×glichkeit der VerÅnderung der Gottesbeziehung einzelner Menschen375 mit sich bringt. Man k×nnte auch sagen, Christus ist faktisch pro nobis gestorben, nicht aber pro me. Die nun zu klÅrende Frage ist, in welcher Weise aus der M×glichkeit der VerÅnderung der Gottesbeziehung einzelner Menschen auch FaktizitÅt wird. Dies ist die Frage nach der Aneignung der Vers×hnung, bzw. die Frage nach der Rechtfertigung, die dem Ruf entspricht: „Laßt euch vers×hnen mit Gott“.

369 370 371 372 373 374 375

KÅhler, Wissenschaft, 368. KÅhler, Wissenschaft, 369; vgl. KÅhler, Vers×hnung, 412. KÅhler, Vers×hnung, 409. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 372. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 371 f. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 369. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 98.

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2.2.2.5 Die Rechtfertigung als Aneignung der geschichtlichen Vers×hnungstat Christi 2.2.2.5.1 Die Rechtfertigung als Ûbergeschichtliches Handeln Christi Die Rechtfertigung ist nicht die einzige Folge der Vers×hnung, denn an sich muß auch die eschatologische Wirkung der Vollendung bei der Wiederkunft beachtet werden, aber sie ist jetzt die wesentliche.376 Die Rechtfertigung ist also die Aktualisierung oder Zueignung377 der in der Vers×hnung erworbenen M×glichkeit, daß jeder einzelne SÛnder in eine korrekte Gottesbeziehung versetzt werden kann. KÅhler muß hier mit ModalitÅten in verschiedener Hinsicht arbeiten: Die absolute M×glichkeit der SÛndenvergebung ist auch ohne Vers×hnungswerk vorhanden und in Gottes unwandelbarer Liebe begrÛndet. Die AktualitÅt der Vergebung der Schuld der KommunitÅrsÛnde und die „wirksame M×glichkeit“ fÛr den einzelnen, die Gnade zu ergreifen, ist relativ zu der dem Menschen zugute kommenden sittlichen Weltordnung erst nach dem Vers×hnungswerk Christi vorhanden. So ist zwar Offenbarung vorhanden, die bei KÅhler kein Erfolgswort ist, aber noch nicht die Wirklichkeit, Gotteskind zu sein.378 Das Vers×hnungswerk als geschichtliche Tatsache der Vergangenheit ist also notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung der Rechtfertigung.379 Der wirkliche hinreichende Grund der Wirklichkeit der Rechtfertigung kann kein vom Vers×hner getrenntes Prinzip sein, d. h. es handelt sich auch hier um Christus, der Ûbergeschichtliches Subjekt der Vers×hnungsaneignung ist. Dies geschieht durch Christi Geist, der damit nichts anderes als der Modus des Ûbergeschichtlichen Handelns Christi ist, d. h. desjenigen Handelns, kraft dessen Christus aufgrund seiner Gottheit fÅhig ist (s. o.), in der Innenseite von Personen selbst zu wirken380 und so in direkter Ûbergeschichtlicher Beziehung zu jeder Person zu stehen vermag.381 WÅhrend dabei im Dienst der Vers×hnung durch Menschen die Kunde des geschichtlichen Vers×hners

376 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 373. KÅhler versucht z. T. zumindest von einem sachlichen ordo salutis zu sprechen, der aber nur selten expliziert wird. In KÅhler, Vers×hnung, 418 nimmt er die g×ttliche °konomie in folgende Aspekte auseinander: Vers×hnung durch SÛhne, Stiftung des Dienstes am Wort, Berufung, Rechtfertigung und Aneignung der Vers×hnung durch Glauben, Ankindung und Befreiung, Verherrlichung. 377 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 428; KÅhler, Wissenschaft, 420 f. 378 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 419–422. 379 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 376. 380 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 373. Interessanterweise ergÅnzt KÅhler hier noch die himmlische intercessio beim Vater fÛr die einzelnen SÛnder als verborgene Wirksamkeit Christi, um auch das hohepriesterliche Amt vollstÅndig zu explizieren. Der Sache nach handelt es sich hier aber um eine InkohÅrenz, denn mit der intercessio wird bestritten, daß das Vers×hnungswerk tatsÅchlich hinreichende Bedingung zur M×glichkeit der Vers×hnung des einzelnen ist. 381 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 376; Vers×hnung, 425.

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und seiner Tat verkÛndet wird und so die intellektive Seite des Menschen angesprochen wird, wird der fiduziale Aspekt der Gewißheit der Gnade, der das menschliche Wollen direkt anspricht,382 unmittelbar vom Ûbergeschichtlichen Vers×hner (in IdentitÅt mit der Ausgießung des Geistes) hervorgebracht.383 Die erste Wirkung der AktualitÅt der Rechtfertigung des einzelnen – und damit der geschichtlich zu beobachtende Erfolg der Vers×hnung384 – ist, daß dieser nun selbst die geschichtliche Tat im Dienst der Vers×hnung verkÛndet, das Wort Gottes, das somit neben der geschichtlichen Tat weitere notwendige Bedingung der dann in der Summe hinreichenden Ûbergeschichtlichen Wirksamkeit zur Glaubenskonstitution durch Christus ist.385 Der Erfolg der Vers×hnung in der Rechtfertigung besteht – wenn man vom Individuum absieht – darin, daß „die neue Menschheit innerhalb der alten zur Erscheinung und Einfluß“386 gelangt. KÅhler fÛhrt in der Wissenschaft dieses Geisthandeln des Ûbergeschichtlichen Christus u. a. zur L×sung zweier Dilemmata ein, die z. T. den Aufbau der „Wissenschaft“ bestimmen, spÅter in der „Lehre von der Vers×hnung“ aber nicht mehr diese bestimmende Rolle spielen: Beide Dilemmata ergeben sich aus der Rekonstruktion von KÅhlers Ausgangspunkt des individuellen vers×hnten SÛnders: „denn nur der vers×hnte SÛnder kann erneuert werden und nur der erneuerte SÛnder vermag, sich vers×hnen zu lassen“.387 Mit Erneuerung ist hier nichts anderes als die Aneignung der Vers×hnung gemeint. Mit der direkten Wirkung Christi auf die Innenseite des Menschen erledigt sich dieses Dilemma. Das zweite Dilemma lautet: „Geht aber der Weg zu dem einzelnen Menschen durch seine Gliedschaft am Menschheitsk×rper, so erhebt sich ein andrer Widerspruch; denn das BedÛrfnis nach Vers×hnung ist allumfassend und darum muß auch ihre Abzielung das sein; ihr Vollzug jedoch kann nur geschichtlich gedacht werden und muß deshalb auch beschrÅnkt gedacht werden.“388 Auch hier liegt die L×sung des Problems in der VerschrÅnkung zwischen geschichtlichem und Ûbergeschichtlichem Handeln Christi. KÅhler scheint mit diesem Dilemma primÅr den „garstigen Graben“ zwischen der historischen Person Jesu und den spÅteren Christen im Auge gehabt zu haben, weniger vorchristliche SÛnder oder solche, die nie mit der Vers×hnungstat durch den Dienst der Vers×hnung in BerÛhrung kommen. Denn fÛr diesen Fall bereitet das auch bei KÅhler stets auf den Geschichtlichen bezogene Ûbergeschichtliche Handeln Christi keine L×sung.

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 378. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 376. Hier verbindet KÅhler das hohepriesterliche Amt Christi nicht mit der intercessio , sondern mit seiner unmittelbaren Wirksamkeit auf die Innenseite des Menschen, also nicht mit einer Relation zum Vater, sondern mit einer Relation zum Menschen; Vgl. KÅhler, Vers×hnung 423. 384 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 398; KÅhler, Vers×hnung, 423. 385 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 385 ff. 394. 386 KÅhler, Wissenschaft, 398. 387 KÅhler, Wissenshaft, 316. 388 KÅhler, Wissenschaft, 316. 382 383

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Der Vorteil dieses unmittelbaren Ûbergeschichtlichen Handelns ist nach KÅhler weiterhin, daß damit die fides specialis als Vertrauen in die Liebe Gottes dem Menschen unverfÛgbar bleibt, also nicht eine berechenbare, mechanische Folge der einmaligen geschichtlichen Tat ist, aber dennoch erwartet werden darf.389 Damit geschieht die Rechtfertigung wirklich sola gratia : unverfÛgbar, aber nicht willkÛrlich. 2.2.2.5.2 Die Rechtfertigung aus Sicht der Innenseite des gerechtfertigten SÛnders Wir betrachten nun noch die Innenseite der rechtfertigenden Wirkung des Vers×hners im einzelnen SÛnder. Kraft des bÛrgend vertretenden Strafopfers Christi – genauer: dessen richtender Funktion – kann der SÛnder aufgrund der unmittelbaren Gewißmachung durch den Ûbergeschichtlichen Christus gewahr werden, daß er selbst dem Tod verfallen ist und dieses g×ttliche Urteil auch als sein eigenes willentliches Urteil verstehen. Auf diese Weise wird schon das b×se Gewissen zum Prediger der Heilsgewißheit.390 KÅhler begreift diese Wirkung in der Innenseite des Menschen als eine notwendige Etappe im Gange des Rechtfertigungsvorgangs und reformuliert damit den klassischen Gedanken der Notwendigkeit der contritio zur Rechtfertigung. Die weitere Ûbergeschichtliche Wirkung besteht nun darin, daß der SÛnder wieder fÅhig wird, sich selbst von seiner SÛnde zu unterscheiden.391 Dieser Sachverhalt ist hoch bedeutsam: Der SÛnder akzeptiert damit das Urteil Gottes, das zwischen SÛnder und sÛndhafter Tat unterscheidet aufgrund der L×sung der Schuld im Vers×hnungswerk. Da im Vers×hnungswerk aber letztlich nur die Schuld der KommunitÅrsÛnde getilgt wird, die Unm×glichkeit der Selbstunterscheidung des SÛnders von seiner SÛnde aber gerade darin liegt, daß die AktualsÛnde zur HabitualsÛnde geworden ist, kann gefolgert werden, daß mit der L×sung der Schuld der KommunitÅrsÛnde auch eine L×sung der Schuld der HabitualsÛnde (nicht aber der AktualsÛnde) verbunden ist. Wir kommen an dieser Stelle der vollzogenen Rechtfertigung tatsÅchlich zu dem von KÅhler prognostizierten tieferen VerstÅndnis der SÛnde. WÅhrend im Abschnitt Ûber die SÛndenlehre nur gesagt werden konnte, daß die KommunitÅrsÛnde die AktualsÛnde anregt, die sich zur HabitualsÛnde verfestigt, so ist nun zu sehen, daß KÅhler die HabitualsÛnde prÅzise als subjektive Innenseite der objektiven personalen KommunitÅrsÛnde verstehen muß, wenn dieses Verfahren funktionieren soll.

389 390 391

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 434 f. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 438–440. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 421.

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Damit kann nun prÅzise benannt worden, worin das Vers×hnungswerk Christi und dessen Effekt besteht. Durch das Vers×hnungswerk des geschichtlichen Christus als bÛrgendes, vertretendes Strafopfer sowie durch den Dienst der Vers×hnung und durch die Gewißmachung im einzelnen SÛnder durch das Handeln des Ûbergeschichtlichen Christus in seinem Geist wird der einzelne SÛnder gerechtfertigt, d. h. er wird sich gewiß, daß er dem Tod verfallen ist und dennoch nicht aus der unwandelbaren Liebe Gottes herausfÅllt, daß Christus seine Schuld der KommunitÅrsÛnde getilgt hat und somit seine HabitualsÛnde durchbrochen ist, mit der Folge, daß der SÛnder seine AktualsÛnde von sich selbst als Person unterscheiden kann.392 Dies ist die Rechtfertigung in der Konsequenz des VerstÅndnisses KÅhlers, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie bedeutet noch keine Befreiung von der AktualsÛnde, weder in dem Sinn, daß der Gerechtfertigte nicht mehr kÛnftig AktualsÛnden begehen k×nnte, noch in dem Sinne, daß er von der Schuld der AktualsÛnde befreit wÅre, fÛr die er inklusiv mit Christus noch den Straftod als sein eigenes Recht auf sich nimmt.393 2.2.2.6 Exkurs: Das Problem der Lehre der Person Christi Hatte KÅhler zu Beginn seines theologischen Denkens weitgehend der Christologie Dorners zugestimmt,394 so distanziert sich KÅhler in der „Einleitung zur Vers×hnungslehre“ von 1869 in gewissem Maße davon. Nicht die Person Christi habe im Mittelpunkt der Dogmatik zu stehen, wie bei Dorner, Liebner und Thomasius, sondern die Christologie spiele nur insofern eine Rolle, als sie die Voraussetzung fÛr die Soteriologie biete.395 Zentral ist die Frage: „BedÛrfen wir eines Vers×hners und haben wir ihn?“396 Andererseits darf die Soteriologie aber auch nicht von der Lehre von der Person Christi gel×st werden, so daß KÅhler programmatisch von der Einheit beider LehrstÛcke als Soterologie spricht. In der praktischen AusfÛhrung sieht das so aus, daß KÅhler entgegen seiner Darstellung in der „Wissenschaft“ die Lehre von der Person Christi vor der Darstellung des Werkes bietet und in der „Vers×hnung“ die Frage, wer der Vers×hner sei, scheinbar ebenfalls vorordnet. Betrachtet man aber nicht allein die Disposition, sondern den Inhalt der entsprechenden StÛkke, fÅllt auf, daß in der „Wissenschaft“ sich eher allgemeine AusfÛhrungen finden, die nicht ins Detail gehen, in der „Vers×hnung“ sich dagegen unter der genannten ºberschrift Voraussetzungen der Gotteslehre und der Prinzipienlehre finden, wÅhrend die Lehre von der Person Christi vollstÅndig ausfÅllt. Auch der „sogenannte historische Jesus“ trÅgt trotz der BerÛhmtheit dieser Schrift wenig zur KlÅrung der Sachfrage bei. Dennoch dÛrfte bei KÅhler hier weitaus weniger eine sachliche Entwicklung stattfinden, als anzunehmen ist, denn einerseits heißt es schon in der Wis-

392 393 394 395 396

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 513 f; 518. S. o. und KÅhler, Wissenschaft, 520. Vgl. Seiler, Entwicklung, 117 ff. Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 39 f. KÅhler, Vers×hnung, 40.

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senschaft: „Das Mittel fÛr diese erneuernde Vers×hnung erkennt der Glaube in der Person des Vers×hners“397 und KÅhler sagt auch hier, daß es der christologischen Explikation eigentlich nicht bedÛrfe: „Eben jener Vorgang der Ineinanderbildung in seiner Geschichtlichkeit ist zugleich der Vollzug der Vers×hnung der Welt mit Gott und kann daher nur in der Erkenntnis dieser Thatsache v×llig verstÅndlich werden.“398 Andererseits zeigt sich aber, daß auch der spÅtere KÅhler diese Voraussetzung noch nach Dorner’schem Muster denken dÛrfte.399 Wir gehen nun im folgenden so vor, daß wir versuchen, dem Anspruch KÅhlers gerecht zu werden und rekonstruieren die Lehre der Person Christi als Voraussetzung des bis jetzt dargestellten Heilswerks, um dann noch offene Fragen durch briefliche PrivatÅußerungen des frÛheren KÅhler zu ergÅnzen, die – wie sehr oft – eine klarere Sprache als KÅhlers ×ffentliche Šußerungen sprechen.

Am Ende von Teilabschnitt 3 hatten wir gesehen, daß KÅhler mit Anselms Dilemma schließt: weder kann Gott einfach vergeben und vergessen, noch kann der Mensch von sich selbst aus zu Gott gelangen. Der Vers×hner muß – wie bei Anselm – also sowohl Mensch als auch Gott sein und damit einzigartig.400 Die Details ergeben sich aus der ausgefÛhrten Vers×hnungslehre: Einerseits muß der Vers×hner vollstÅndig Mensch sein, um die Menschheit vertreten zu k×nnen. Dies ist gewÅhrleistet, weil der geschichtliche Jesus als Mensch vollstÅndig an der relationalen KommunitaritÅt menschlichen Personseins partizipiert, bis hin zur Anwendung der KommunitÅrsÛnde. Andererseits darf die KommunitÅrsÛnde aber kein Anlaß zur AktualsÛnde oder gar HabitualsÛnde werden. Dies ist m×glich aufgrund von Christi G×ttlichkeit, bzw. Gottesbeziehung.401 Einerseits partizipiert Christus also an der Allgemeinheit der SÛnde der Menschheit, andererseits ist er aufgrund seiner G×ttlichkeit schon der M×glichkeit zur AktualsÛnde vollstÅndig entnommen.402 KÅhlers AusfÛhrungen sind hier schon fast doketisierend, da die Versuchung letztlich fÛr Christus nicht real ist. Aber hier handelt es sich durchaus um ein notwendiges Element in der gesamten Vers×hnungslehre. Der Gerichtscharakter des Teilmodells des Opfers, der darin besteht, daß in der Geschichte vom Menschen der Wille Gottes getan werden kann, setzt also beides, Gottheit und Menschheit voraus. Betrachten wir nun den Of397

KÅhler, Wissenschaft, 346. KÅhler, Wissenschaft, 342. 399 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 442. 400 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 346; ders., Vers×hnung 79. 401 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 334. 402 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 119; ders., Wissenschaft, 335. 336. Ebd., 337: „[D]eshalb muß fÛr den Messias ein Unterliegen in der Versuchung von vorn herein ausgeschlossen sein (non potuit peccare) [. . .] Denn sogleich mit dem Erwachen des Bewußtseins und bei den ersten erforderlichen EntschlÛssen hatte er der verziehenden Einwirkung seiner Umgebung einen Widerstand entgegenzusetzen, der es bei ihm verhinderte, daß die wahrhaft sittliche Entwicklung von vorn herein beeintrÅchtigt wurde; dazu war er nur im stande, weil er in einem einzigartigen, innigen und wirksamen VerhÅltnisse zu Gott stand.“ 398

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fenbarungscharakter des Teilmodells des Opfers, stellen wir fest, daß hier nur die Gottheit vorausgesetzt ist, denn Christus erschließt das Wesen Gottes als unwandelbare Liebe. Die Gottheit manifestiert sich dabei im Bewußtsein: „Die heilige Liebe Gottes zur Menschheit bildet den Inhalt seines Bewußtseins.“403 WÅhrend fÛr das Teilmodell der Strafe und der Vertretung wieder die Partizipation am gesamtmenschlichen BeziehungsgefÛge wichtig ist, beruht der bÛrgende Charakter derselben wieder auf seiner einzigartigen Gottesbeziehung. FÛr Christi Wirksamkeit in der Vers×hnungsaneignung des Menschen in seinem Ûbergeschichtlichen Geisthandeln ist nun aber wieder ausschließlich der g×ttliche Aspekt verantwortlich,404 speziell die g×ttliche Eigenschaft der Lebendigkeit, mittels derer er unmittelbar die Innenseite eines Menschen zu transformieren vermag (s. o.). Klar ist damit, daß der g×ttliche und der menschliche Aspekt jeweils n×tig sind. Unklar ist die EntitÅt, auf die sich G×ttlichkeit und Menschlichkeit beziehen: Die Rede ist von Relationen (GottesverhÅltnis, Stellung zu den Menschen) und vom Bewußtsein405, aber auch von Gottheit und Menschheit, lediglich der Substanzbegriff tritt stark zurÛck. KÅhler kritisiert auch die klassische Zwei-Naturenlehre, weil sie nicht in der Lage sei, eine adÅquate VerhÅltnisbestimmung zu bieten: Denn hier kÅme es unweigerlich entweder zu einer Trennungschristologie oder zu einer Verschlingung der menschlichen in der g×ttlichen Natur, weil nicht deutlich zwischen Person und Natur unterschieden werden k×nne.406 Unterschiedliche kenotische EntwÛrfe hingegen seien abzulehnen, weil sie die „Unwandelbarkeit und die Einheitlichkeit des dreifaltigen Gottes“407 kompromittieren. KÅhlers L×sung des Problems der unio personalis schließt sich auch in der „Wissenschaft“ noch explizit Dorner an: „Deshalb kommt die Gottheit nur in ihrer Dreifaltigkeit, mithin in der Beweglichkeit ihres pers×nlichen Lebens [. . .] in Betracht und die Menschheit gleichfalls als pers×nliches Leben, und dieses dann selbstverstÅndlich also in seiner gesch×pflichen Bestimmtheit, also in seiner religi×sen EmpfÅnglichkeit [. . .] wie in seiner Anlage auf Entwicklung [. . .]. In diesen Bestimmungen sind die Voraussetzungen fÛr ein Ineinandergreifen gegeben; g×ttlicherseits ist es die im Heilsrate kundgewordene Selbstbestimmung, sich zum Mittel fÛr die Menschheit zu machen [. . .]; menschlicherseits beginnt es mit der einzigartigen Anlage [. . .], welche die BÛrgschaft fÛr die Verwirklichung der Personeinheit in sich trÅgt, und vollendet sich, indem die pers×nliche Entwicklung ihr Ziel erreicht, nÅmlich die v×llige Aneignung des sinnlichen Lebens

KÅhler, Wissenschaft, 349. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 333. 335. 405 KÅhler, Vers×hnung: „In aller Bescheidenheit soll hier der Versuch gemacht werden, das innere Handeln unseres Herrn und Heilands zu zeichnen.“ 406 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 340 f. 407 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 341. 403 404

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[. . .] und die Umsetzung des Werkzeugs fÛr den irdischen Gemeinschaftsverkehr in ein Mittel geistigen Zusammenwirkens [. . .]. Also ist die Vereinigung von der einen Seite ein in sich fertiges Gotteswerk, sofern mit der Setzung der leibhaften Pers×nlichkeit Jesu Gott sich diese so aneignet, daß ihre Vollendung zum pers×nlichen Werkzeuge der Offenbarung verbÛrgt ist. Dieselbe Vereinigung ist aber von der anderen Seite ein geschichtlicher Verlauf, in welchem die Gottheit im Anschluß an den Fortschritt der pers×nlichen Entwicklung die ErfÛllung der Menschheit als pers×nlicher Form mit ihrem Leben als Inhalt vollzieht (I.A. Dorner).“408

Wie Dorner geht KÅhler also davon aus, daß sich die Inkarnation zumindest aus geschichtlicher Perspektive sukzessive im Verlaufe des pers×nlichen Lebens Jesu vollzieht. Wie weit die ºbernahme der Dorner’schen Christologie tatsÅchlich geht, wird in brieflichen Šußerungen KÅhlers deutlich. Der g×ttliche Logos wird als apersonales, d. h. nicht „vollpersonales“ „pneuma “ verstanden, als „Offenbarungsenergie“, die die menschliche „psyche “ in sich aufnimmt und prÅgt.409 Trotz des sprachlichen Ausdrucks, das pneuma nehme die psyche in sich auf, ist der Nachteil dieses Konzepts eindeutig: KÅhler muß wie Dorner die Anhypostasie des Logos, d. h. der zweiten Person der TrinitÅt annehmen. Personbildend und individuierend wirkt daher nicht der Logos, sondern der Mensch Jesus. Dies paßt zu KÅhlers faktisch monopersonaler TrinitÅtslehre (s. o.), letztlich aber nicht zu seiner Vers×hnungslehre. Diese setzt nÅmlich ein personales Geschehen zwischen Jesus und Gott in Jesu geschichtlichem Leben voraus, was noch unproblematisch ist, weil hier die Person des Menschen als Relat in Frage kommt. Sie setzt aber besonders in der Vers×hnungsaneignung ein personales, Ûbergeschichtliches Geschehen zwischen Jesus und jedem einzelnen Menschen voraus. Ein solches wÅre aber nur m×glich, wenn (a) zumindest der Sohn neben dem Vater von Ewigkeit her eine Vollperson wÅre, was KÅhlers TrinitÅtslehre ausschließt (s. o.), oder wenn (b) aufgrund von Inkarnation und Erh×hung der Ûbergeschichtliche Vers×hner als eine weitere Vollperson etabliert wÛrde, was KÅhler aufgrund der Unwandelbarkeit der Dreieinigkeit Gottes nicht vertreten kann, oder wenn (c) der geschichtliche Vers×hner und der Ûbergeschichtliche nicht eine, sondern zwei Personen wÅren, nÅmlich der Mensch Jesus und der monopersonale Gott oder die „Vollperson“ Gottes des Heiligen Geistes, was aber aufgrund der IdentitÅt des Geschichtlichen mit dem ºbergeschichtlichen auszuschließen ist. Damit ist gezeigt, daß KÅhlers Lehren vom Werk Christi und von der Person Christi aufgrund einer mit der Vers×hnungslehre inkompatiblen TrinitÅtslehre nicht miteinander vertrÅglich sind.

408 409

KÅhler, Wissenschaft, 441 f; vgl. ebd. 349. Vgl. einen Brief KÅhlers an Witte vom 23. 12. 1864 Seiler, Entwicklung, 118 f.

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Zu klÅren bleibt nun nur noch, warum KÅhler einerseits alle „theanthropologischen“ EntwÛrfe ablehnt, andererseits sich in der Sache immer noch deutlich Dorner anschließt. Die L×sung, auf die schon Seiler aufgrund eines umfangreichen Briefstudiums aufmerksam gemacht hat, ist relativ einfach und verbindet sich bei KÅhler mit dessen Programmbegriff Soterologie: Dieser betont nicht nur die Einheit von Werk und Person, sondern ist gegen die „Theanthropologen“ oder „Christologen“ Dorner, Liebner, Sch×berlein, Rothe, Martensen u. a. gerichtet, die davon ausgingen, der Grund der Menschwerdung sei schon mit der Sch×pfung einer menschlichen Natur aus dem einen oder anderen Grunde notwendig zur Erkenntnis Gottes. Die Soterologen dagegen halten im Gefolge von KÅhlers Lehrer Julius MÛller410 daran fest, daß die Menschwerdung als freie Tat Gottes nur aufgrund der SÛnde des Menschen notwendig sei.411 Wir werden zu KÅhlers Beurteilung dieses Problems hier keine Stellung beziehen, das Sachproblem aber im dritten Teil des Buches bearbeiten (s. u.).

2.2.2.7 Handeln in Vers×hnung Fragt man, in welcher Weise der mit Gott Vers×hnte handelt, gilt es folgende Teilaspekte zu untersuchen: In welcher Weise handelt der Vers×hnte in der Gottesbeziehung? Dieser Aspekt zerfÅllt in zwei Teilaspekte. Denn zum einen geh×rt das der Vers×hnung folgende Handeln noch zur Aneignung der Vers×hnung selbst (2.2.2.7.1), zum anderen folgt es dieser (2.2.2.7.2). Darauf ist die Frage zu stellen: In welcher Weise handelt der Vers×hnte sittlich in seinen welthaften Beziehungen? Auch hier lassen sich zwei Teilaspekte unterscheiden: Der Aspekt der (Re)konstitution menschlichen Handelns (2.2.2.7.3) und die Frage nach GrundzÛgen der materialen Ethik (2.2.2.7.4). 2.2.2.7.1 Das Handeln des vers×hnten SÛnders in der Aneignung der Vers×hnung als Rechtfertigung Die ºberschrift dieses Kapitels mag Ûberraschend anmuten: Ist die Rechtfertigung nicht ein rein passives Geschehen, in der der SÛnder gerade nicht zu handeln hat, sondern in welchem an dem SÛnder gehandelt wird? Nun ist aber zu beachten, daß bei KÅhler die geschichtliche Tat der Vers×hnung zwar die Schuld der Allgemeinheit der KommunitÅrsÛnde tilgt, so daß im Handeln des Ûbergeschichtlichen Christus die Selbstidentifikation des individuellen SÛnders mit seiner SÛnde, d. h. der Zusammenhang von HabitualsÛnde und AktualsÛnde aufgehoben wird, nicht aber die AktualsÛnde selbst. Der Bereich des Menschen, der von der AktualsÛnde und von der HabitualsÛnde betroffen ist – also einzelne menschliche Handlungen und die Habitualisierung im Bereich der Charakterbildung –, bleibt also Gegen-

410 411

Vgl. MÛller, Julius, Untersuchung. Vgl. Seiler, Entwicklung, 137–139.

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stand menschlich aktiver Gestaltung. Im Bereich der Gottesbeziehung bedeutet dies, daß KÅhler in Hinsicht einer „fortschreitenden Bekehrung“ durchaus von einer „wirkungskrÅftigen inneren Zusammenstimmung“ des Geistes Christi als Christus in uns und unserem „sittlichen Mut“ sprechen kann.412 Dabei bleibt die KlÅrung der VerhÅltnisbestimmung von Handeln Gottes und menschlichem Handeln in der Glaubenskonstitution nicht eindeutig; die Šußerungen KÅhlers sind im Rahmen einer orthodoxen assensus-Interpretation, die nur besagt, daß auch der Wille in den Glauben eingebunden ist, bis hin zu semipelagianisierenden Tendenzen interpretierbar.413 KÅhler kann hinsichtlich dieser Zusammenstimmung von den „in das Bewußtsein fallenden ZÛge[n] der Bekehrung oder der Entstehung desjenigen Glaubens“ sprechen, „welcher die Bedingung fÛr die Rechtfertigung ist“.414 Diese Aussage ist doppeldeutig, denn einerseits k×nnten „die in das Bewußtsein fallenden ZÛge der Bekehrung“ die „Zusammenstimmung“ in ihrer Einheit sein; dann wÅre Ûber die VerhÅltnisbestimmung nichts weiter gesagt. Andererseits k×nnte damit aber auch eine Aussage Ûber die menschliche AktivitÅt gemacht sein, die dann vom Glauben als Menschenwerk als Bedingung der Rechtfertigung in einer ganz problematisch synergistischen Weise sprechen wÛrde. Gibt es Hinweise, die den einen oder anderen Fall annehmen lassen? Deutlich ist, daß die Selbstunterscheidung des SÛnders von seiner SÛnde zwar durch die Aneignung der Vers×hnung erm×glicht wird, sich aber auch bewußt unter voluntativer Entscheidung des Menschen vollzieht.415 WÅhrend dies noch als Reformulierung der orthodoxen Auffassung vom assensus -Aspekt des Glaubens verstanden werden kann, sind andere Šußerungen problematischer: Denn KÅhler kann das Geistwirken Christi auch als Berufung beschreiben, der als Antwort des Einzelnen der willentliche Entschluß zum Glauben entsprechen muß, freilich um sogleich zu betonen, daß, wiewohl „nun ein solcher Glaube Sache des Entschlusses ist, ihm das doch nicht die Bedeutung einer eignen Leistung gibt, da er ja nur die Wirkung der zuvorkommenden Berufung“416 ist.

2.2.2.7.2. Das Handeln des vers×hnten SÛnders aufgrund der Aneignung der Vers×hnung als Rechtfertigung in der Gottesbeziehung Im Bereich des der Vers×hnung folgenden Handelns in der Gottesbeziehung sind die Aussagen KÅhlers eindeutiger. So wie sich das ganze Handeln unter dem Aspekt zusammenfassen lÅßt, „den Fußstapfen Christi“ zu fol-

412

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 510. KÅhler, Wissenschaft, 534: „und deshalb faßt sich die Aufgabe des Christen im Innersten dahin zusammen, den ihm in Christo durch das Geistwort angebotenen Glauben glauben zu wollen [. . .] ebenso gewiß kommt es zu keinem wirklichen Glauben ohne Entschluß“. KÅhler spricht auch hier von „erneuter Entschließung“ und „Selbstbestimmung“. 414 KÅhler, Wissenschaft, 517; vgl. ebd., 524. 415 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 518. 416 KÅhler, Wissenschaft, 524. 413

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gen,417 so auch dieser Aspekt. Im neuen KindschaftsverhÅltnis handelt der Vers×hnte, indem er betet und dem Tod durch Freude trotzt. Hinsichtlich des Gebetes findet sich aufgrund der Verflechtung des Gerechtfertigten mit der Welt im Gegensatz zu Ritschl (s. o.) keine Abwertung des Bittgebets. Die Freude als affekthafte Begleitung gilt gerade auch angesichts des Wissens, den in Christus inkludierten Straftod sterben zu mÛssen und in Versuchung und Anfechtung418 einem fortwÅhrendem Glaubenskampf ausgesetzt zu sein.419 Das Glaubensleben vollzieht sich in Demut, Furcht oder Scheu und Vertrauen als Tugenden des Glaubens, der ein „erneutes Entschließen“ und eine Selbstbestimmung im Angesichte von Zweifeln bedeutet,420 es ist begleitet von der Hoffnung und deren Tugenden des Mutes und des Eifers421 sowie von der kindlichen Liebe. „Liebe aber ist ein Verhalten, in welchem die Personen in ihrer gegenseitigen Beziehung jede die andre sich zum Zweck setzen“. Infolgedessen kann unter innerer Freiheit, d. h. in Freimut und Hingabe und kindlicher Dankbarkeit oder Scheu, sowohl Gott geliebt werden422, als auch die handelnde Hinwendung zur Welt erfolgen. Damit kommen wir zum nÅchsten Abschnitt. 2.2.2.7.3 (Re)konstitution des sittlichen Handelns des vers×hnten SÛnders WÅhrend sich Vers×hnung und Rechtfertigung nur auf die Gottesbeziehung beziehen, so ist die FÅhigkeit zum sittlichen Handeln von der Rechtfertigung abhÅngig. Da einzelne Handlungen und die Charakterbildung schon im Bereich der Rechtfertigung als Aneignung der Vers×hnung nicht menschlicher AktivitÅt entnommen sind, kann es sich bei dem VerhÅltnis zwischen Rechtfertigung und Sittlichkeit nicht um einen Automatismus handeln. Glaube und Sittlichkeit sind unterscheidbar, aber nicht scheidbar.423 Eine weitere KlÅrung der VerhÅltnisbestimmung bleibt bei KÅhler undeutlich. Die Tatsache, das „Daß“ der vorgÅngigen Vers×hnung durch

Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 514. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 546: „die Versuchungen, den Åußeren Menschen fleischlich zu betÅtigen, werden immer mehr zu Anfechtungen des innern Menschen“. 419 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 431 ff. 420 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 434 f. 421 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 536. 422 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 537 ff. KÅhler kann auch eine Korrektur an der reformatorischen und typisch Ritschlianischen (s. o.) Polemik gegen den Liebesbegriff im Rahmen der Gottesbeziehung vornehmen: KÅhler, Wissenschaft, 541: „[I]m Neuen Testamente [heißen] die, innerhalb der mittelbaren Beziehung auf Gott an den NÅchsten betÅtigten, Erweisungen der GlÅubigen kurzweg ‚Liebe‘ [. . .], wÅhrend die ausdrÛckliche ErwÅhnung der Gottesliebe zurÛcktritt; damit hÅngt es auch zusammen, wenn man in freilich sehr ungenauem und bedenklichem Sprachgebrauch einerseits Liebe und Sittlichkeit, andererseits Glaube und Fr×mmigkeit einssetzt.“ 423 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 540. 417 418

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Gottes Handeln ist ethisch relevant, nicht aber das „Wie“. Es findet sich kein Hinweis, daß das Modell des g×ttlichen vers×hnenden Handelns in irgendeiner Weise die (Re)konstitutiuon menschlichen Handelns in dieser Vers×hnung bestimmen wÛrde. An dieser VerhÅltnisbestimmung versucht sich KÅhler in folgender Weise: Der Rechtfertigung folgt der Erwerb der Tugend in der Selbstbildung424, der die allseitige ºbung der Tugend folgt,425 so daß hier – implizit im Tugendbegriff – auch die positive AffektivitÅt des Menschen erscheint.426 Im Modell zweier Liebesbeziehungen kann das VerhÅltnis von Glaube und Sittlichkeit mit Hilfe des Dankesbegriffs verbunden werden: Der Dank fÛr die gnadenhafte Vaterliebe Gottes ist Motivation der Bruderliebe.427 Im Laufe der genaueren VerhÅltnisbestimmung zeigt sich bei KÅhler noch ein Problem, das nicht gel×st wird. In der christlichen Tradition wird, 1.Joh 4 folgend, das VerhÅltnis von Glaube und Sittlichkeit in der Regel als ein ImplikationsverhÅltnis bestimmt. D.h. daß aus dem rechten Glauben positiv die rechte Sittlichkeit folgt, wÅhrend die rechte Sittlichkeit umgekehrt nur notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung des Glaubens ist. Damit kann vom Nichtvorhandensein der rechten Sittlichkeit zwar auf das Nichtvorhandensein des Glaubens geschlossen werden („Wer spricht, Ich liebe Gott, haßt aber seinen Bruder, der ist ein LÛgner“), nicht aber umgekehrt von rechter Sittlichkeit auf den rechten Glauben. WÛrde nÅmlich von der rechten Sittlichkeit auch auf den rechten Glauben geschlossen werden k×nnen, lÅge zwischen Glaube und Sittlichkeit ein logisches ŠquivalenzverhÅltnis oder eine KoextensivitÅt vor. In diesem Fall k×nnten Glauben und Sittlichkeit aufeinander reduziert werden. Diese Reduktion des Glaubens auf Sittlichkeit ist aber KÅhlers Hauptvorwurf an Ritschls Theologie. KÅhler geht also davon aus, daß nach dem genannten Schema die beiden Brennpunkte der Ritschlschen Ellipse zum Mittelpunkt eines Kreises, bestehend in der Sittlichkeit kollabieren.428 Ironischerweise findet sich exakt der gleiche Widerspruch bzw. Fehler in einer Aussage KÅhlers: „Als Kennzeichen, aus welchem auf das Vorhandensein des neuen Lebens mit Recht zurÛckgeschlossen wird, darf demgemÅß die befriedigende Gestaltung der grundlegenden VerhÅltnisse gelten, in denen das pers×nliche Leben verlÅuft.“429

2.2.2.7.4 GrundzÛge der materialen Ethik Wie schon bemerkt, geht KÅhler zwar davon aus, daß Sittlichkeit ohne Rechtfertigung unm×glich ist und infolgedessen alle Ethik – wie jedes theologische LehrstÛck – aus der Rechtfertigung zu erwachsen habe,430 aber ein 424 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 544 f: „aus der Erneuerung folgt [. . .] auch die Verbindlichkeit zur entschlossenen fortgehenden Arbeit am eignen Selbst“. 425 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 515. 426 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 457, wo von der Freudigkeit an der sittlichen Arbeit die Rede ist. 427 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 539. 428 Vgl. KÅhler, Geschichte, 258 ff. 429 KÅhler, Wissenschaft, 528. 430 Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 469.

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Einfluß von KÅhlers Vers×hnungsmodell im materialen Handeln des Menschen ist kaum zu sehen. Deutlich ist, daß auch hier die KÅhlersche Grunddistinktion (s. o.) sich durchsetzt: So wie der christliche Universalismus sich nur durch den christlichen Individualismus verwirklicht, so muß die christlich allgemeine Ethik als Individualethik gestaltet werden.431 Zwar bietet deren materialer Teil durchaus Inhalte, die um ihrer selbst willen interessant sind,432 doch nur in einem Fall findet eine VerknÛpfung mit der Vers×hnungslehre statt. Weil sittliches Handeln die Rechtfertigung voraussetzt, die wiederum als notwendige Bedingung die geschichtliche Tat der Vers×hnung des Vers×hners und deren Kommunikation im Dienst am Wort hat, leitet KÅhler aus diesem Aspekt der Vers×hnung, nicht freilich aus dem Modell des VerstÅndnisses der geschichtlichen Tat des Vers×hners, den einzigen kategorischen Imperativ ab, der ihm dieses Namens wert ist: „Die Vers×hnung der Welt mit Gott begrÛndet Recht und Pflicht zur Åußeren und inneren Mission in den mannigfachsten Formen.“433 Mission ist „kein bloßes Experiment, vielmehr trotz alles scheinbaren Wiederspieles das einzige Unternehmen, welches seines Sieges unbedingt gewiß ist. Darauf ruht der kategorische Imperativ des Missionsbefehles, darauf die Zuversicht der Arbeit.“434 Inhaltlich bedeutet dies, Vers×hnung zu predigen, Schulderlaß anzubieten, „damit jedermann es versuche, ob er in kraft des Gottesfriedens mit seinem tiefsten Schaden fertig werden k×nne.“435 Auch hier zeigt sich wieder die KÅhlersche Grunddistinktion, in der der Universalismus des Evangeliums fÛr die Welt durch individualethisches Handeln vermittelt ist. 2.2.3 Die Zurechtbringungslehren Ritschls und KÅhlers im kritischen Vergleich Ausgangspunkt beider Zurechtbringungslehren ist der jeweils zurechtgebrachte Zustand, so daß man sagen kann, daß sowohl Ritschl als auch KÅhlers Theologie als AusfÛhrung des melanchthonischen Programms „hoc est Christum cognoscere, beneficiis eius cognoscere “ verstanden werden kann.436 Der Unterschied, daß Ritschl von der vers×hnten Gemeinde ausgeht, wÅhrend KÅhler das Individuum im Blick hat, kann mit Recht als se-

431

Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 473. So z. B. die Partizipation des menschlichen Zornes am Zorne Gottes. Ersterer hat sich nur auf die Handlungen des SÛnders, nicht aber auf seine Person zu richten. Vgl. KÅhler, Wissenschaft, 604. 433 KÅhler, Vers×hnung, 449. 434 KÅhler, Vers×hnung, 450. 435 KÅhler, Vers×hnung, 453. 436 Vgl. Link, Geschichte, 337 f. 432

Ritschl und KÅhler im Vergleich

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kundÅr bezeichnet werden;437 wir werden auch sehen, daß sich dieser Unterschied letztlich relativiert. Betrachten wir zunÅchst die jeweils strukturbildenden Elemente. Bei Ritschl handelt es sich um die Gotteslehre, d. h. um das mit Hilfe eines spezifischen Ewigkeitsbegriffs verstandene VerhÅltnis Gottes zum Reich Gottes, bei KÅhler hingegen ist seine Grunddistinktion zwischen Formal- und Materialprinzip strukturbildend. 2.2.3.1 Vergleich der Gotteslehre In der Gotteslehre als Voraussetzung des Zurechtbringungsvorgangs wird bei beiden Gott wesentlich Liebe zugesprochen, die auf die Welt, d. h. im einen Fall auf das Reich Gottes, im anderen Fall auf die einzelnen Personen, bezogen ist.438 Damit ist die Gnade Gottes bei beiden unwandelbar auf den Menschen gerichtet, was auch KÅhler selbst erkannte.439 Das nichtpersonale, welthafte Sein erhÅlt bei Ritschl deutlich und bei KÅhler implizit sekundÅre, mediatorische Bedeutung. WÅhrend Ritschl ×konomische TrinitÅt und immanente TrinitÅt explizit identisch setzt, will KÅhler hier eine Differenz in Form einer Voraussetzung gewahrt wissen, die aber durch das defizitÅre, monopersonale VerstÅndnis der immanenten TrinitÅt nicht geklÅrt wird. In beiden Gottesvorstellungen wird der Geist mangelhaft expliziert, bei KÅhler, indem er mit dem Inhalt des Wissens Gottes von sich selbst identifiziert wird, an dem auch die Glaubenden partizipieren, bei KÅhler indem er mit dem Ûbergeschichtlichen Christus identifiziert wird. Infolgedessen kommt es bei beiden zu deutlichen Problemen in der ErklÅrung der Glaubenskonstitution an der einzelnen Person, die durch unterschiedliche Ersatzkonstruktionen gel×st werden; bei Ritschl durch die Weigerung, etwas Ûber intentionale ZustÅnde des Menschen zu sagen, bei KÅhler durch die FÅhigkeit Gottes, unmittelbar auf intentionale ZustÅnde wirken zu k×nnen. Bei beiden ist die Relation Gottes zur Welt, bzw. zu Teilen der personalen Welt wechselseitig konstitutiv: Der Begriff kreatÛrlicher Personen bei KÅhler, bzw. der des Reiches Gottes bei Ritschl setzt nicht nur den Gottesbegriff voraus, sondern umgekehrt setzt auch der Gottesbegriff die jeweils korrelierten Begriffe voraus. Beide haben vermutlich aufgrund ihrer Abneigung gegen die spekulative Theologie der Mitte des Jahrhunderts nicht

Vgl. Link, Geschichte, 336. Die Behauptung von KÅhler, Geschichte, 259, Ritschl gehe von einem abstraktem Liebesbegriff aus, wÅhrend er selbst von der erst in Christus offenbarten Liebe ausgehe, verzeichnet die Ritschlsche Theologie. 439 Vgl. KÅhler, Vers×hnung, 37. Freilich sieht sich KÅhler hier in der Nachfolge Schleiermachers; vgl. Link, 338. 437 438

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deutlich genug gesehen, daß dieses begrifflich wechselseitig konstitutive VerhÅltnis auch zu einem ontologisch wechselseitigen VerhÅltnis fÛhrt, mit fatalen Folgen fÛr Sch×pfungslehre und Soteriologie. Denn in der Sch×pfungslehre ist damit eine creatio ex nihilo ausgeschlossen und in der Soteriologie eine wirklich voraussetzungslose justificatio sola gratia. Beide haben auch nicht deutlich genug gesehen, daß die Lehre von der creatio ex nihilo und die von der Rechtfertigung zwei Beschreibungsmodi des grundlegenden Handelns Gottes in Bezug auf die Welt darstellen. 2.2.3.2 Vergleich der Explikation des nicht zurechtgebrachten Zustands Betrachten wir nun die SÛndenlehre. Beide gehen davon aus, daß eine vollstÅndige SÛndenerkenntnis erst im Lichte der Zurechtbringung erfolgen kann, eine partielle SÛndenerkenntnis ist aber jeweils dem SÛnder m×glich. Beide ersetzen die traditionelle ErbsÛndenlehre; Ritschl durch die Vorstellung vom Reich der SÛnde, KÅhler durch den Gedanken einer relationalen Konstitution des Menschengeschlechts, der zu dem von uns als KommunitÅrsÛnde bezeichneten Sachverhalt fÛhrt. Beide Vorstellungen Åhneln sich zwar stark, sind aber nicht identisch. Vielmehr gibt es eine, bzw. zwei wesentliche Differenzen, die die weiteren Unterschiede der Zurechtbringungsvorstellungen bestimmen und die in der Forschung nicht deutlich genug hervorgehoben worden sind. Bei KÅhler wird die KommunitÅrsÛnde als volle Schuld dem einzelnen angerechnet, bei Ritschl nicht. Infolgedessen sieht der Zusammenhang zwischen der Allgemeinheit der SÛnde und der AktualsÛnde so aus, daß in KÅhlers Modell der gefallene Mensch notwendig AktualsÛnden begeht, wÅhrend Ritschl die Rede von den ModalitÅten der SÛnde in eine Wahrscheinlichkeitslogik ÛberfÛhrt: ºber Notwendigkeit oder M×glichkeit der SÛnde ist nichts auszusagen, vielmehr muß man sich damit begnÛgen festzustellen, daß die Wahrscheinlichkeit, keine AktualsÛnden zu begehen, gegen Null geht. Konsequenterweise kann KÅhler im Gefolge Anselms von einer Unm×glichkeit menschlicher Schuldabstattung sprechen und auch der Vorstellung der Unendlichkeit der SÛnde zustimmen, wÅhrend Ritschl diese Vorstellung ablehnt und keine Unm×glichkeit der menschlichen Schuldabstattung lehrt, sondern das Auftreten einer trotz der SÛnde korrekten sittlichen Beziehung des Menschen als Unwahrscheinlichkeit deuten muß. ºber die weiteren Vorstellungen bzgl. des nicht zurechtgebrachten Zustands ist folgendes zu diagnostizieren: Beide subordinieren den Zorn Gottes gegen den SÛnder bzw. die SÛnde deutlich der Liebe Gottes. Bei KÅhler handelt es sich um einen Modus des Handelns Gottes, nicht der Gesinnung Gottes, die notwendig ist, um den personalen Wert des SÛnders anzuerkennen. Bei Ritschl geschieht dies, indem der „Zorn“ Gottes letztlich aus der Gotteslehre ausscheidet und nur versteckt als eschatologisch intensionale

Ritschl und KÅhler im Vergleich

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Verwerfung erscheint: Das, was dem Sittengesetz widerspricht, also der verstockte SÛnder, der bewußt mit erhobener Hand sÛndigt, kann nicht dem Reich Gottes zugeh×ren. Infolgedessen muß Ritschl eine apokatastasis panton intensional ausschließen, wÅhrend extensional aufgrund der strukturierenden Verwendung des Ewigkeitsbegriffs hier keine Aussagen getroffen werden k×nnen. Auch KÅhler lehnt eine apokatastasis panton ab, allerdings auch extensional. Beide werten im Leben erfahrbare ºbel bzw. den Tod primÅr als SÛndenstrafe. Bei KÅhler geschieht dies, indem sie dem Zorneshandeln Gottes selbst zugeschrieben werden, bei Ritschl geschieht dies, indem der SÛnder in seinem Bewußtsein sie fÅlschlicherweise als juridische Strafen Gottes versteht. Šhnlich werden ºbel auch im zurechtgebrachten Zustand von beiden letztlich als pÅdagogische Erziehungsmittel in Anfechtung, Versuchung und PrÛfung verstanden. In beiden FÅllen treten hier mit externen Anforderungen verglichen die gleichen SchwÅchen auf. Ritschl und KÅhler beziehen ºbel und Tod jeweils nur auf die SÛnde, sehen aber nicht, daß ºbel und Tod auch ohne menschliche SÛnde wesentlich zur kreatÛrlichen Welt zu geh×ren scheinen. Diese defiziente Deutung der ºbel und des Todes geht einher mit der mangelnden Bestimmung der nichtpersonalen Welt und der mangelnden Beachtung einer nicht bloß historischen, sondern auch theologischen VerhÅltnisbestimmung zwischen Vers×hnungsvorstellungen und altkirchlichen Erl×sungs- und Vollendungsvorstellungen. Wir sahen schon, daß bei KÅhler eine menschliche Schuldabstattung unm×glich ist, bei Ritschl aber nicht. Diese Differenz wird aber erst dadurch bedeutsam, daß KÅhler wieder im Gefolge Anselms die Unm×glichkeit einer einfachen Vergebung ohne geschichtliche Tat durch Gott lehrt und Ritschl genau dies entschlossen verneint. Dies scheint nun das auffÅlligste Kennzeichen zu sein, das letztlich fÛr die weiteren Differenzen der Zurechtbringungslehren entscheidend ist. Wichtig zu sehen ist aber, daß auch dieses Kennzeichen auf dem unterschiedlichen Charakter des VerhÅltnisses zwischen der Allgemeinheit der SÛnde und der AktualsÛnde beruht. 2.2.3.3 Vergleich der Lehre von der Person Christi Hinsichtlich der Lehre von der Person Christi ist festzuhalten, daß beide die Zwei-Naturenlehre explizit ablehnen, aber in verschiedenem Maße um funktionale Šquivalenzkonstruktionen bemÛht sind. Erfolgt in der klassischen Zwei-Naturenlehre die Individuation Ûber die zweite Person der TrinitÅt, so erfolgt die Individuation bei beiden in verschiedener Weise Ûber den Menschen Jesus. Bei Ritschl ist die Tatsache, daß Jesus historisch der erste (und einzige) ist, der die GrÛndung des Reiches Gottes als ausschließlichen Beruf kennt, hinreichend zur Individuation, aber aufgrund der Koinzidenz von immanenter und ×konomischer TrinitÅt kann nicht davon ge-

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sprochen werden, daß er so etwas wie eine Anhypostasie des Logos lehre. Genau diese muß aber KÅhler im Gefolge Dorners letztlich annehmen. Ein wesentlicher Unterschied in den Christologien besteht darin, daß KÅhler die SÛndlosigkeit Christi auf dessen G×ttlichkeit zurÛckfÛhren muß, um, gemÅß der allgemeinen Unm×glichkeit des Menschen, nicht zu sÛndigen, an Christi Unm×glichkeit, aktual zu sÛndigen, festhalten zu k×nnen. Ritschl hingegen geht von einer realen Versuchlichkeit Christi aus und betont, daß die SÛndlosigkeit Christi nicht ohne dessen menschliche Seite erfolgen konnte. Wir sahen weiter, daß der Nachweis der G×ttlichkeit Christi mit Hilfe seiner menschlichen Natur geschieht, so daß man fast von einem „christologischen Pelagianismus“ sprechen kann, der aber nicht zu einem soteriologischen Pelagianismus fÛhren muß. Die unterschiedlichen Deutungen der SÛndlosigkeit Christi korrespondieren damit den unterschiedlichen Deutungen des VerhÅltnisses der Allgemeinheit der SÛnde zur AktualsÛnde, die KÅhler modal, Ritschl aber wahrscheinlichkeitstheoretisch beschreibt. Festzuhalten ist, daß die verbreitete Ansicht, Ritschl lehre nur eine Menschlichkeit Christi, nicht aufrechtzuerhalten ist. ºberraschend ist auch, daß Ritschls Christologie insgesamt als stÅrker durchreflektiert erscheint als die KÅhlers, der den Anspruch vertritt, eine Soterologie zu liefern. 2.2.3.4 Vergleich der Basis des Zurechtbringungsvorgangs im Werk Christi Kommen wir nun zum Vergleich des Kernes der Zurechtbringungslehren, zum Zurechtbringungsvorgang im Werk Christi selbst. Im allgemeinen vertritt man – wie auch KÅhler selbst – die Meinung, Ritschl kehre die Ûbliche Reihenfolge – erst Vers×hnung, dann Rechtfertigung – schon programmatisch im Titel seines Buches – erst Rechtfertigung, dann Vers×hnung – aufgrund seiner „elliptischen“ Theologie um. Damit liefere er eine Integration des dogmatischen Vers×hnungsverstÅndnisses in die Ethik und laufe Gefahr, Theologie auf Ethik zu reduzieren und der Mediatisierung des Gottesbegriffs fÛr anthropologische Ziele Vorschub zu leisten.440 Umgekehrt versuche KÅhler eine Integration der Ethik in die Vers×hnungslehre.441 Unsere Untersuchung hat gezeigt, daß diese Vorstellung ein Vorurteil mit einer particula veri ist. ZunÅchst handelt es sich um eine terminologische Differenz. Ritschl bezeichnet die FÅhigkeit Gottes, die SÛnde zu vergeben, als Rechtfertigung und die Aneignung der Rechtfertigung als Vers×hnung. KÅhler hingegen verwendet den Vers×hnungsterminus primÅr fÛr die geschichtliche Tat, aufgrund der Gott befÅhigt ist, dem einzelnen Menschen Zurechtbrin-

440 441

Vgl. KÅhler, Geschichte, 258 ff. Vgl Link, Geschichte, 339 f.

Ritschl und KÅhler im Vergleich

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gung anzubieten, und bezeichnet die erfolgreiche Zurechtbringung als Rechtfertigung. Vergleicht man „Vers×hnung“ bei KÅhler mit „Vers×hnung“ bei Ritschl und „Rechtfertigung“ bei KÅhler mit „Rechtfertigung“ bei Ritschl, kommt man zwangslÅufig zu Fehlurteilen. Wir vergleichen hier also zunÅchst nur die Bedeutung des Werkes Christi und darauf die Zurechtbringungsaneignung. Beide isolieren, wie auch KÅhler selbst bewußt war,442 die Zurechtbringungsbedeutung Christi nicht auf seinen Tod, zentrieren aber Christi Lebenswerk auf diesen. Trotz KÅhlers Polemik gegen den Offenbarungsbegriff wird nicht nur bei Ritschl, sondern auch bei KÅhler der Tod Christi faktisch – und zwar mithilfe des Opferbegriffs – als Offenbarung der Liebe Gottes gedeutet. Beide verstehen das Werk Christi daher als reale VerhÅltnisÅnderung der Beziehung Gott-Mensch, weil auch bei Ritschl erst aufgrund der Offenbarung Christi eine VerhÅltnisÅnderung vom Mißtrauen zum Vertrauen m×glich ist. Eine Beziehung Åndert sich nÅmlich auch, wenn sich nur ein Relat Åndert.443 Der Unterschied besteht vielmehr prÅzise darin, daß das geschichtliche Werk Christi bei KÅhler auch das g×ttliche Relat Åndert, nicht nur das menschliche. Dabei wird nicht die unwandelbare Liebes- oder Gnadengesinnung geÅndert, sondern es sollen dem g×ttlichen Relat neue Handlungs m×glichkeiten erschlossen werden. Dies geschieht bei KÅhler freilich nicht durch die Offenbarungswirkung Christi, sondern durch die Deutung des Todes Jesu als Strafe. Diese fehlt bei Ritschl und ist bei ihm auch ÛberflÛssig. Diese Differenz korrespondiert damit der Unm×glichkeit einer einfachen Vergebung von Seiten Gottes bei KÅhler und der Ablehnung dieses Gedankens bei Ritschl, die beide wiederum mit den unterschiedlichen SÛndenauffassungen korrespondieren. Die Art der Vertretung Christi wird von beiden wieder als inklusive Stellvertretung gedeutet. 2.2.3.5 Vergleich der Aneignung der Zurechtbringung Vergleicht man nun die Zurechtbringungsaneignung im Individuum fÅllt auf, daß bei beiden der heilige Geist als Person ausfÅllt. Bei KÅhler tritt das Handeln des Ûbergeschichtlichen Christus an diese Stelle, bei Ritschls soteriologischem Universalienrealismus die Gemeinde. Bei beiden erstreckt sich die Wirkung der Zurechtbringung nur sehr bedingt auf die AktualsÛnde: Bei Ritschl ist die Wirkung der Vers×hnung die sittliche Gesinnung, die einzelne Tat bleibt unberÛhrt. Bei KÅhler gewinnt der SÛnder mit der Aufhebung der Schuld der KommunitÅrsÛnde die M×glichkeit, sich von seiner SÛnde zu unterscheiden, d. h. der Teufelskreis von HabitualsÛnde (als Innenseite der KommunitÅrsÛnde) und AktualsÛnde ist derart gebrochen, daß 442 443

Vgl. Link, Geschichte, 338; KÅhler, Vers×hnung, 37. Vgl. zu diesem sog. Cambridge Change BrÛmmer, beten, 35 f.

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Historische und analytische Untersuchungen

die Unm×glichkeit, nicht zu sÛndigen, aufgehoben wird. Erstaunlich ist, daß bei KÅhler der menschlichen EntscheidungsfÅhigkeit – und damit der actio hominum – schon bei der Annahme der Vers×hnung in der Rechtfertigung in einigen seiner Šußerungen eine erstaunliche Mitwirkung zugeschrieben wird, so daß man den Verdacht von inkohÅrenten soteriologischen semipelagianisierenden Tendenzen bei KÅhler nicht ganz los wird. Solche gibt es bei Ritschl hingegen aufgrund seines soteriologischen Universalienrealismus und seines Agnostizismus bezÛglich der intentionalen Innenseite des menschlichen Individuums weniger. 2.2.3.6 Vergleich der ethischen Implikationen Damit kann nun auch das VerhÅltnis von der zurechtgebrachten Gottesbeziehung zum menschlichen Handeln in welthaften Beziehungen, also zur Sittlichkeit, in den Blick genommen werden. Bei beiden ist das zurechtgebrachte religi×se VerhÅltnis letztlich nur notwendige Bedingung zur Sittlichkeit. Einzelne Handlungssituationen sind nicht direkt von der Vers×hnung betroffen. Dennoch besteht hier ein Unterschied in der Problembearbeitung. Beide mÛssen sich mit folgendem Problem auseinandersetzen: (A) Nach der reformatorischen Rechtfertigungslehre und etwa auch 1.Joh.4 falsifiziert falsches menschliches Handeln den Glauben eines Menschen, wÅhrend richtiges menschliches Handeln noch nicht auf richtigen Glauben schließen lÅßt. Das bedeutet, daß der Glaube hinreichende Bedingung zur Sittlichkeit ist, wÅhrend das Vorhandensein von Sittlichkeit nur notwendige Bedingung zu dem Schluß ist, daß ein Mensch auch glaubt. Mit dieser VerhÅltnisbestimmung kollidiert aber die Beobachtung, daß auch ein Glaubender nicht unfehlbar zu handeln scheint. Dann k×nnte aber umgekehrt der Glaube h×chstens notwendige Bedingung der Sittlichkeit sein (B), was den Šquivalenzschluß nach sich ziehen wÛrde, daß das Vorhandensein von Sittlichkeit hinreichende Bedingung fÛr den Schluß auf Glauben wÅre. (A) und (B) schließen sich zwar nicht kontradiktorisch aus, wenn aber beide behauptet werden, behauptet man eine Šquivalenz zwischen (A) und (B). Eine solche Šquivalenz ist aber die Grundlage jeder Reduktion von Sittlichkeit auf ReligiositÅt oder jeder Reduktion von ReligiositÅt auf Sittlichkeit. Ritschl l×st dieses fundamentalethische Grundproblem durch die genannte Unterscheidung zwischen sittlicher Gesinnung und aktualem sittlichen Handeln und damit durch zwei Hinsichten der genannten beiden SchlÛsse und hat das Problem damit konzeptionell im Griff, d. h. er lehrt nicht die Šquivalenz von (A) und (B), weswegen auch ein Reduktionismus von ReligiositÅt auf Sittlichkeit bei Ritschl ausgeschlossen ist. KÅhler hingegen verstrickt sich in den Widerspruch zwischen (A) und (B) (s. o.). Implizit scheint seine L×sung weitaus eher eine Šquivalenz von (A) und (B) und damit die Grundlage fÛr einen vielleicht umgekehrten Reduktionismus, wie

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man ihn Ritschl vorwirft, zu bieten, fÛr die Reduktion von Ethik auf ReligiositÅt. Als Beleg kann hier dienen, daß der Missionsbefehl der einzig kategorische Imperativ KÅhlers ist. Beide verwenden zur Beschreibung des Handelns in Vers×hnung das Konzept der conformitas Christi. Aber wÅhrend KÅhler dieses Konzept eher unreflektiert verwendet, entwickelt Ritschl daraus seine vollstÅndige Berufsethik und seine Tugendethik. Die entscheidende Differenz besteht nun konkret darin, daß die Art und Weise der Modellierung der Grundlage der Zurechtbringung im Werk Christi bei KÅhler keine Bedeutung fÛr die Konzeptualisierung menschlichen Handelns in Vers×hnung besitzt, wÅhrend genau das Gegenteil bei Ritschl der Fall ist! Bei Ritschl lÅßt sich ein konzeptioneller Zusammenhang von vers×hnendem Handeln Gottes und menschlichem Handeln in Vers×hnung erkennen, bei KÅhler hingegen nicht. Die Modellierung der Berufsethik erfolgt am Modell von Christi k×niglichem Prophetentum, die Modellierung der Tugendethik am Modell von Christi k×niglichem Priestertum. Betrachtet man die affektive Grundstimmung der Tugenden der Vers×hnten, sieht man, daß bei beiden hier die Freude genannt wird, die sich bei beiden, wie schon genannt, auch in der Erfahrung von weltlichen Widernissen durchsetzt. Bei Ritschl bedeutet dies aber in dem Gedanken der christlichen Vollkommenheit eine Inklusion der Vers×hnten in Christi eschatologisches Dasein, was nur konsequent seinem Ewigkeitsbegriff entspricht. Dieses Konzept ist freilich nicht ganz unproblematisch, weil man, bewußt etwas Ûberzeichnet, feststellen k×nnte, daß bei Ritschl der Glaubende eigentlich immer im Paradies lebt, egal wie die Welt um ihn herum aussieht. Damit ist eine Reduktion der Kontingenz der Welt verbunden. Das Dasein von Kontingenz wird nicht geleugnet, aber nur ihr „Daß“ ist wichtig: Es fÛhrt zu Hemmungen des pers×nlichen Daseins, die aber in der Partizipation an Christi k×niglichem Priestertum Ûberwunden sind. Die konkrete Gestalt dieser Kontingenzen spielt aber keine Rolle, so daß man fragen kann, ob bei Ritschl nicht ein versteckter Akosmismus vorliegt, weil die (nichtpersonale) Welt keinen Eigenwert hat. Bei KÅhler ist das Dasein des Vers×hnten deutlich vom eschatologischen Dasein unterschieden. Konsequenterweise kann KÅhler den Konzepten der Anfechtung und des Zweifels im Glaubensstand wie auch dem Bittgebet einen gr×ßeren Stellenwert einrÅumen als Ritschl. Bevor wir zu einer Gesamtcharakterisierung der beiden Zurechtbringungslehren kommen, sei noch auf eine Kleinigkeit hingewiesen. Versucht man, die Zurechtbringungslehre des einen jeweils (hypothetisch) mit der Zurechtbringungstypologie des anderen zu erfassen (s. o.), zeigt sich, daß Ritschl nach KÅhlers Schema nicht in die gleiche Klasse fÅllt, wÅhrend KÅhler nach Ritschls Schema in die gleiche Klasse eingeordnet werden mÛßte: Nach dem KÅhlerschen Schema wÅre seine eigene Soteriologie als pers×nlich, subjektiv und objektiv zu bezeichnen, die Ritschls aber als per-

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s×nlich, subjektiv, aber (nach KÅhler) nicht objektiv.444 Nach Ritschls Schema fallen aber beide Soteriologien in das sittliche Modell.

2.2.3.7 Vergleichende Beurteilung der EntwÛrfe als Ganzer Betrachten wir die EntwÛrfe als Ganze und sehen von Kritiken hinsichtlich spezieller Probleme ab, die wir schon in den analytischen Rekonstruktionen erwÅhnt hatten, fÅllt bei Ritschl vor allem die hohe systematische Geschlossenheit des Entwurfs und dessen erhebliche immanente KohÅrenz auf. Die meisten Detailfragen, die man an Ritschl richten kann, wie etwa die Frage nach einem eschatologischen Zorn Gottes entpuppen sich letztlich als externe Anfragen, denn die interne Widerspruchslosigkeit ist durch Ritschls Teleologie gesichert. Obwohl Ritschl nicht sehr systemorientiert schreibt, sondern seine Erkenntnisse in lange geschichtliche Exkurse und polemische Auseinandersetzungen einbettet, handelt es sich doch um einen wirklich systematischen Theologen. Sein Entwurf besticht nicht dadurch, daß es einen einzelnen genial-innovativen Leitgedanken gÅbe, sondern es handelt sich um eine eklektische Konzeption, die in ihrer Gesamtheit immerhin derart genuin spezifisch ist, daß sich keiner der Ritschlianer wirklich diesem Entwurf angeschlossen hÅtte. Ritschls Zurechtbringungslehre erweist sich als insgesamt strenges GedankengebÅude, daß nicht nur erklÅren kann, daß wir gerechtfertigt sind, sondern auch, auf welche Weise das Werk Christi dazu notwendig ist und wie sich das vers×hnende Handeln Gottes auf das Handeln in Vers×hnung des Menschen auswirkt. Ritschls Deutung auch der zurechtbringenden Bedeutung des Todes Jesu steht an KohÅrenz letztlich nicht der Anselmschen Satisfaktionslehre nach, wenn sie auch nicht so sprachlich elegant erscheint. Viel stringenter als Abaelard oder Schleiermacher kann Ritschl selbst den Vers×hnungstod Jesu erklÅren. Allerdings lassen sich auch hier externe Infragestellungen erwÅhnen, die den gleichen Punkt aus je unterschiedlicher Perspektive betreffen. Zum einen kann man leugnen, daß eine korrekte religi×se Relation notwendig zur Sittlichkeit ist. In diesem Fall verlieren auch Leben und Tod Jesu ihre offenbarende und instandsetzende Wirkung. Ist eine ErfÛllung des Sittengesetzes nicht auch ohne Offenbarung, ja selbst ohne den Gottesbegriff m×glich, und ist nicht genau dies das Anliegen Kants gewesen? Mit Ritschl mÛßte man gegen diesen Gedanken der aufklÅrerischen autonomen Moral nicht nur einfach sagen, daß Kant historisch vom Christentum abhÅngig war, wovon Ritschl zutiefst Ûberzeugt war,445 sondern man mÛßte vor allem

444

In KÅhler, Geschichte, 261 spricht dieser Ritschl sogar ab, ein pers×nliches Modell zu lie-

fern. 445

Vgl. Ritschl, RuV 1, 429 ff.

Ritschl und KÅhler im Vergleich

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darauf hinweisen, daß Ritschl stets bestritten hat, daß eine autonome Moral kohÅrent sein k×nne. Genau dies ist das Anliegen der FÛhrung eines moralischen Gottesbeweises in der ersten Auflage von RuV : Ritschl schließt sich hier nicht Kant an, sondern er zeigt, daß der Gottesbegriff notwendigerweise anzunehmen ist, nicht lediglich als Postulat der praktischen Vernunft. Auch in den spÅteren Auflagen distanziert sich Ritschl vom moralischen Gottesbeweis nicht so stark, daß dies Anliegen, das sich auch in Ritschls Vorstellung der christlichen Vollkommenheit zeigt, aufgehoben wÅre (s. o.). Dennoch bleibt die Sachfrage: Ist ein moralisches Handeln nur dem zuzutrauen, der offenbart bekommen hat, daß Gott Liebe ist? Man wird diese Frage nicht einfach bejahen k×nnen, aber vielleicht kann eine solche Position in der postmodernen Gegenwart nicht mehr ganz unplausibel erscheinen. Zum anderen kann man zwar behaupten, daß ReligiositÅt und Sittlichkeit nicht zu separieren sind, aber man k×nnte immer noch sagen, daß eine geschichtliche Offenbarung in Jesus Christus unn×tig sei, um erkennen zu lassen, daß Gott Liebe ist, so daß man vom Mißtrauen zum Vertrauen kommt. Finden sich solche Gedanken in unterschiedlicher Weise nicht in vielen Religionen? WÛrde man diese Anfrage weiter ausgestalten, kÅme man entweder zu einer spekulativen Position wie die Baurs (s. o.), fÛr den Vers×hnung der Grundbegriff von Religion selbst ist, oder zu einer historistischen Sicht, die das Christentum in einer Reihe mit den Religionen sehen wÛrde und nur von einer faktischen oder relativen ºberlegenheit ausgehen wÛrde. Dieser Weg wÛrde gewissermaßen zu Troeltsch fÛhren.446 Zum dritten kann man im Gegensatz zu den ersten beiden Positionen sagen, daß eine Bekanntmachung der Liebe Gottes den Menschen nicht vom Mißtrauen zum Vertrauen umstimmen kann und infolgedessen auch nicht dessen sittliche Relation instandsetzen kann. Diese Anfrage KÅhlers (s. o.) an Ritschls Position ist nicht zu unterschÅtzen, denn wenn sie valid ist, mÛssen die ersten beiden Anfragen nicht mehr gestellt werden. Wenn richtiges Wissen nicht vor SÛndhaftigkeit schÛtzt, wenn ich das Gute, das ich kenne, eben nicht tue, ist notitia allein noch nicht fiducia. Das ist der gr×ßte Einwand gegen Ritschl. Die genannte Problemanalyse verbietet eine einfache ºbernahme der Ritschlschen Zurechtbringungslehre. Wie sieht es aber mit der Ethik Ritschls aus? Hier sei nur eine kurze Bemerkung angefÛhrt: Am leistungsfÅhigsten dÛrfte Ritschls oft geschmÅhte Berufsethik sein, und diese dÛrfte auch fÛr die Gegenwart mehr Potential besitzen als es auf den ersten Blick scheint. Vorteilhaft ist hier nÅmlich, daß die einzelne Person personale Orientierung erhÅlt, die PersonalitÅt und Sittlichkeit oder Rechtfertigung und Handeln eng aneinander bindet, aber gleichzeitig die partikulare Person

446

Troeltsch, Absolutheit.

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nicht nur nicht Ûberfordert, sondern deren personale und christliche AuthentizitÅt in deren alltÅglichem Leben sichert. Handeln und Sein der Person fallen so nicht auseinander, die Person ist nichts hinter ihren welthaften Relationen, aber sie ist auch nicht mit diesen identisch, so daß die Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werke gewahrt ist. Gerade in der heutigen Zeit der Individualisierung und Merkantilisierung aller Lebensbereiche wÅre eine neue christliche Berufsethik unter UmstÅnden ein hilfreiches Konzept. Dies kann aber nicht einfach Ritschls Berufsethik sein, denn diese hat einen entscheidenden Nachteil, der auch fÛr das abschÅtzige Urteil von Ritschls Zeitgenossen verantwortlich sein dÛrfte: Ritschls Berufsethik ist im Grunde eine Individualethik, die eben nicht sozialethisch darauf reflektiert, wie sich einzelne gesellschaftliche Institutionen sowohl zueinander verhalten als auch welche Rolle sie fÛr das Leben des Christen spielen. M.a.W.: Ritschl liefert keine sozialethische Theorie der Berufe oder Berufstypen, sondern geht davon aus, daß die gesellschaftliche Welt derart gestaltet ist, daß faktisch ein sinnvoller Zusammenhang von gesellschaftlichen Institutionen besteht, der es erm×glicht, die jeweilige Lebensaufgabe, welche es auch sei, als Beruf zu deuten. Ritschls Berufsethik trifft damit nicht nur einfach nicht die sozialen Probleme seiner oder unserer Zeit, sondern es fehlt ein entscheidender konzeptioneller Reflexionsgang, der prinzipiell von einer Berufsethik zu erwarten wÅre. Betrachtet man nun den Entwurf KÅhlers als ganzen, fÅllt auf, daß zwar die Geschlossenheit der Konzeption Ritschls fehlt, dafÛr aber ein hohes Reflexionsniveau in Detailproblemen besteht. KÅhlers StÅrke ist die kritische Analyse von Problemen, weniger die Problembearbeitung. An KÅhlers Zurechtbringungslehre ist positiv die schon genannte Anfrage an Ritschl, ob denn Offenbarung suffizient fÛr eine VerhÅltnisÅnderung sei, festzuhalten. Desweiteren muß positiv gewertet werden, daß KÅhler zwar nicht zu einer befriedigenden Beschreibung des Zornes Gottes gelangt, aber im Gegensatz zu Ritschl sieht, daß diesem Begriff eine wichtige, d. h. unentbehrliche Funktion fÛr jedes personale VerhÅltnis, d. h. auch und gerade innerhalb der Gottesbeziehung zukommt. Die Tragik an KÅhlers Entwurf ist, daß er – trotz eines gegenteiligen Anspruchs – nur soweit funktioniert wie Ritschls Konzeption, bzw. nicht wirklich Ûber diese hinausfÛhrt. Dies sei an zwei Punkten des VerstÅndnisses des Werkes Christi konkretisiert: Der Charakter des Lebens und Todes Christi als Opfer fÛhrt nicht Ûber Ritschls Offenbarungskonzeption hinaus, sondern ist funktionsÅquivalent. Erst die Erweiterung des Opfermodells durch das Teilmodell der Strafe zum Strafopfer fÛhrt scheinbar Ûber Ritschl hinaus. Aber eben nur scheinbar. Denn die reale VerhÅltnisÅnderung des g×ttlichen Handelns, die hier erm×glicht wird, ist nur aufgrund des anderen VerstÅndnisses von SÛnde n×tig. Ritschl lehrt nur eine gegen Null gehende Unwahrscheinlichkeit der SÛndlosigkeit, KÅhler

Ritschl und KÅhler im Vergleich

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deren Unm×glichkeit, bedingt durch die auch individuelle Verschuldung der KommunitÅrsÛnde. Ist diese aber beseitigt, steht der nun Gerechtfertigte nicht anders da als Ritschls Vers×hnter. Die Deutungen des Zurechtbringungsvorganges bei KÅhler und Ritschl geh×ren damit entgegen der Ûblichen Meinung nicht einfach in zwei verschiedene Klassen. Sie verhalten sich zueinander wie zwei BrÛche in einer Gleichung, von denen einer eine Erweiterung des anderen ist, und der in ZÅhler und Nenner noch um einen Faktor gekÛrzt werden kann. Die notwendige Verschuldung der KommunitÅrsÛnde und die ObjektivitÅt des Vers×hnungswerkes kÛrzen sich so gegenseitig heraus. Damit ist nicht gesagt, daß hier nicht jeweils wertvolle oder sogar z. T. aufzunehmende Gedanken vorlÅgen. Es kann aber gezeigt werden, daß alle drei Anfragen an Ritschl auch KÅhler treffen. Dies gilt zum einen fÛr die Anfrage aus der Perspektive der sittlichen Moral, wie auch zum anderen fÛr die Anfrage aus der Perspektive der Religionsgeschichte. Aber – und das ist entscheidend – dies gilt auch fÛr KÅhlers eigene Anfrage: Eine bloß offenbarende Bekanntmachung mag gegen Ritschl nicht hinreichend fÛr die Generation von Vertrauen sein, aber ein bÛrgend-vertretendes Strafopfer ist dafÛr ebenfalls nicht hinreichend, zumindest kann KÅhler nicht erklÅren, warum es das sein sollte. Und damit erreichen wir zwei Kritikpunkte, die fÛr KÅhler und Ritschl gleichermaßen gelten: Die Generation von Vertrauen wird bei Ritschl in Zusammenhang mit der gerechtfertigten Gemeinde gebracht, bei KÅhler in Zusammenhang mit dem unmittelbaren Handeln auf die Innenseite des Ûbergeschichtlichen Christus. Diese L×sungen k×nnen freilich nicht befriedigen, schon reformatorische Theorien447 der AffektabhÅngigkeit des Willens dÛrften hier wesentlich aussagekrÅftiger sein, und auch das Mittelalter kennt hier elaboriertere und auch fruchtbarere Theorien.448 Der gemeinsame Fehler kann hier jeweils in einem ×konomisch trinitarischen Mangel gesehen werden – im Ausfall einer pneumatologischen Bestimmung des Seins und Handelns Gottes des Geistes. Der letzte Grund, der eine einfache ºbernahme beider Vers×hnungskonzepte verbietet, besteht in der simplen Tatsache, daß eine monopersonale TrinitÅtslehre bei KÅhler, bzw. eine Identifikation von immanenter und ×konomischer TrinitÅt und die damit jeweils verbundene einfache Anwendung des VerstÅndnisses Gottes als lediglich Liebendem im VerhÅltnis zur Welt, nicht aber als relationale Liebe selbst, den Anforderungen christlicher Sch×pfungslehre und Soteriologie nicht genÛgen kann.449

447 448 449

Vgl. Herms, Luthers Auslegung des Dritten Artikels, 77–79. So z. B. bei Richard von St. Viktor, VC. Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 325 ff, Th.1, 2, 4 u. 5.; ders. Selbstbewußtsein, 205 f.

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Interessant ist insgesamt auch, daß bei beiden das VerhÅltnis zwischen dogmatischer Vers×hnungslehre und Ethik an einem Punkt keine KlÅrung bietet: Zwar findet sich bei Ritschl eine starke Beeinflussung der Ethik durch das dogmatische Vers×hnungsverstÅndnis, was bei KÅhler nicht der Fall ist, bei beiden finden sich aber keine Imperative zur Vers×hnung zwischen verfeindeten Menschen oder Gruppen, geschweige denn eine Theorie darÛber.450 Es besteht jeweils kein Interesse fÛr ein dem vers×hnenden Handeln Gottes folgendes vers×hnendes Handeln der Menschen, sondern nur fÛr ein menschliches Handeln in der Vers×hnung durch Gott.

2.3 Vers×hnung in der deutschsprachigen r×m.-kath. Theologie des 19. Jh. 2.3.1 Die Zurechtbringungslehre Anton GÛnthers 2.3.1.1 Leben, Charakter der Konzeption und Forschungsstand GÛnthers Hauptanliegen ist die Vermittlung oder Vers×hnung von Glauben und Wissen, von Theologie und Philosophie. Seine Philosophie ist dabei in materialer wie in formaler Hinsicht eklektisch. Anton GÛnther, geb. am 17.11.1783 in Lindenau (Nordb×hmen), 1803 Studium der Philosophie in Prag bei B. Bolzano, Studium der Jura dortselbst, 1810 durch Kontakt zu J. Hofbauer zum Theologiestudium (Raab) angeregt, 1821 Priesterweihe, anschließend abgebrochenes Noviziat in der Societas Jesu, seit 1824 Privatgelehrter in Wien, finanziert von Lehrern, Freunden und SchÛlern, gest. 1863 in Wien, lehnte Zeit seines Lebens sÅmtliche Berufungen auf LehrstÛhle ab, beeinflußte aber dennoch den vorvatikanischen Katholizismus in Deutschland und °sterreich erheblich, so daß er als einer der wichtigsten r×m.-kath. Philosophen des 19. Jh. gelten kann. Aufgrund von GÛnthers Skeptizismus gegen die langsam erstarkende Neuscholastik wurde er von ultramontanistischer Seite geÅchtet. Am 08.01.1857 erging ein BÛcherverbot, und seine Schriften sind in den Syllabus errorum von 1864 aufgenommen. GÛnther selbst unterwarf sich seiner Kirche, wÅhrend viele seiner SchÛler in den Altkatholizismus auswanderten.1 Material ist er von Descartes, Kant, J.G. Fichte, G.W.F Hegel, I.H. Fichte, Ûber Vermittlung Schlegels, den er pers×nlich kannte, auch von Schleiermacher u.v. a.m. beeinflußt, bleibt aber selbst immer in einem distanzierten VerhÅltnis zum deutschen Idealismus. Denn einerseits nimmt er dessen Anliegen, beim Selbstbewußtsein ein-

450 Ritschl kennt nur die Tugend der Vers×hnlichkeit als eine unter vielen Folgen der Zurechtbringung, s. o. 1 Zu GÛnthers Leben vgl. die Darstellung von Knoodt, GÛnther, in die die Autobiographie GÛnters eingearbeitet ist. Zur kirchlichen Ablehnung vgl. Schwedt, Verurteilung.

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zusetzen auf, andererseits schließt er sich aber keinem Denker an, sondern versucht, unter dem Paradigma einer Philosophie des Bewußtseins, theologische Anliegen eigenstÅndig zur Geltung zu bringen. GegenÛber Hegel, I.H. Fichte aber auch Schleiermacher u. a. zeichnet ihn dabei insbesondere seine schroffe Ablehnung jeglicher pantheisierender Tendenzen aus. Formal Åußert sich GÛnthers Eklektizismus in einem poetischen, rezensionistischen, ja „humoristischen“2 Stil. GÛnther schrieb eine Reihe von Buchbesprechungen, die neben den Besprechungen der jeweiligen Werke seine eigene Position zum Ausdruck kommen lassen. Seine systematischen Werke orientieren sich an der antiken Dialogform oder bestehen, wie im Falle der „Vorschule zur spekulativen Theologie“, aus einem fiktiven Briefwechsel zwischen einem Oheim und seinem studierenden Neffen. Auch in diesen Werken bietet GÛnther viele Diskussionen um zeitgen×ssische Publikationen. Im Gegensatz zu Platons Dialogen sind allerdings die Rollen des Lehrers und des Belehrten nicht eindeutig verteilt, die Rollen wechseln vielmehr, so daß GÛnthers Stil als tatsÅchlich dialogisch beschrieben werden kann. Diese Eigenart des Theologietreibens GÛnthers sowie die Verurteilung seiner Schriften erklÅrt vielleicht auch zum Teil den Stand der GÛntherforschung. Im 19. Jh. wurde GÛnther vor allem von seinen SchÛlern im Raum des Altkatholizismus traktiert, sowohl in biographischer3 als auch in systematischer4 Hinsicht, oder von seinen Gegnern.5 Die eigentlich wissenschaftliche BeschÅftigung mit GÛnther hat noch keine Gesamtdarstellung seiner Theologie hervorgebracht, sondern sich in allen Publikationen im Wesentlichen auf ein Themenfeld beschrÅnkt, auf die Erforschung des VerhÅltnisses von Glauben und Wissen, von Philosophie und Theologie.6 Die Zurechtbringungslehre GÛnthers wurde, abgesehen von einem kurzen Kapitel in einer Gesamtdarstellung Ûber die kath. Erl×sungslehre im 19. Jh.7, die zudem nicht GÛnther selbst als Hauptquelle, sondern einen seiner SchÛler zugrundelegt,8 noch gar nicht behandelt. Wir werden unsere Untersuchung auf GÛnthers Soteriologie und deren Voraussetzungen in Gotteslehre, Protologie und Hamartiologie konzentrieren und uns nicht der bereits bearbeiteten VerhÅltnisbestimmung von Theologie und Philosophie widmen. Dennoch sei hier die These gewagt, daß die VerhÅltnisbestimmung von Theologie und Philosophie, von Glauben und Wissen nur im Rahmen von GÛnthers Soteriologie und deren Voraussetzungen, d. h. im Rahmen seines theologischen Ansatzes, erfolgen kann, wenn man GÛnther gerecht werden will. Zumindest entsprÅche ein solches Verfahren GÛnthers Anliegen, denn dieser behandelt keine der thematischen Bereiche gesondert von den anderen.

So Pritz, Glauben und Wissen, 106–109; Wenzel, Anliegen, 177. Vgl. z. B. Knoodt, GÛnther 4 Vgl. z. B. Baltzer, Briefe; Baltzer, Verteidigung. 5 Vgl. z. B. Oischinger, Philosophie; Michelis, Kritik. 6 Vgl. z. B. Wenzel, Anliegen; und Pritz, Glauben und Wissen. Das zuerst genannte Werk legt aber nur Briefe GÛnthers zugrunde, das zweite ist hauptsÅchlich eine Zitatensammlung zu einzelnen Themen. Zu nennen sind hier auch die einleitenden Teile aus Pritz, Wegweisung, 7–63. 7 Vgl. Heuser, Erl×sungslehre, 72–79. 8 Papst, Mensch. 2 3

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Die folgende Untersuchung orientiert sich in erster Linie an GÛnthers frÛhem Hauptwerk „Vorschule zur spekulativen Theologie des positiven Christentums in Briefen“9 und zieht sekundierend GÛnthers weitere Schriften heran.

2.3.1.2 Das GottesverstÅndnis 2.3.1.2.1 Immanente TrinitÅt – Gottes Offenbarung ad intra Alle Aussagen Ûber Gott beruhen auf einem Anthropomorphismus, der durch den Theomorphismus der Kreatur gerechtfertigt ist.10 Umgekehrt aber ist Gott ontisch Bedingung der M×glichkeit welthaften Seins; Gott muß als dreieiniger im ewigen Selbstbewußtsein begriffen werden, ansonsten ist die kreatÛrliche Welt (einschließlich ihres Geist-Natur-Dualismus) nicht zu verstehen.11 Gott ist absolute Substanz, unbedingtes Sein, er setzt sein Selbst, wÅhrend die Sch×pfung ein Akt der Freiheit ist.12 Schon frÛh erkannte man in anthropologischem Zusammenhang, daß GÛnther einen vom „herk×mmlichen Substanzbegriff“13 verschiedenen verwendet. Dies geschieht bei GÛnther explizit, denn er identifiziert die traditionelle Substanz-Akzidenz-Distinktion mit der Kant’schen Distinktion von Noumenon und PhÅnomenon. Dabei wird die Substanz/das Noumenon als unwandelbar, die Akzidentien/die PhÅnomene als wandelbar bezeichnet. Das eigentliche Sein ist daher Substanz/Noumenon, die PhÅnomene, d. h. das Erscheinende, sind im Werden.14 Hinsichtlich Gottes als absoluter Substanz bedeutet dies hier nur, daß Gott akzidenzfreie Substanz ist. Wir werden aber im Abschnitt Ûber die Sch×pfung noch sehen, daß die genannten Distinktionen auch dort eine Rolle spielen.

Da Gott also Sein durch sich selbst ist, ist er auch Erkennen durch sich selbst. Daher liegt eine Šquivalenz zwischen Gottes Selbstsetzung und Gottes Selbsterkennen vor, so daß sich Gott im Akt seiner unmittelbaren Selbsterkenntnis setzt. So ist er absolutes Selbstbewußtsein, d. h. sein Ich wird als Substanz unmittelbar Anschauungsobjekt, wÅhrend in der kreatÛrlichen Welt das Ich nie unmittelbar Anschauungsobjekt wird.15 Dieses Selbsterkennen aber geschieht im Bewußtsein, bzw. im Selbstbewußtsein. Das Bewußtsein als Form des Geistes setzt ein Vorstellendes voraus, das auf ein Vorgestelltes bezogen ist, die beide in der Vorstellung als Einheit verbunden sind. Das Selbstbewußtsein ist nichts anderes als ein h×herer Grad von Bewußtsein, in dem der Geist auf sich selbst, nicht auf anderes bezogen GÛnther, Vorschule, 1 & 2. Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 117; GÛnther, Euristheus, 367. 482. 11 Vgl. GÛnther, Vorschule 1 f. 91 f. 12 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 16.24 f. 13 Werner, Geschichte, 286. 14 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 63. 15 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 94. 92 f. 9

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ist.16 In Gott gilt nun, daß sich Gott in seiner Selbsterkenntnis real unterscheidet als Substanz zum Objekt seiner Anschauung. Auch das dritte Element der Selbstobjektivierung Gottes ist n×tig, und auch dieses dritte Element ist absolute Substanz, so daß Gott zu einem Wissen seiner Selbst durch eine Potenzierung seiner Selbst gelangt. Dies ist eine Potenzierung seiner Substanz, wÅhrend es sich bei dem Bewußtsein der Kreaturen nur um eine Potenzierung der Erscheinung handelt17. Das g×ttliche Selbstbewußtsein besteht damit aus der Synthese der Antithese von Subjekt und Objekt im Erkenntnisakt, so daß das Selbstbewußtsein in Gott nur trinitarisch denkbar ist.18 Aufgrund dieser Šquivalenz von Sein und Erkennen in Gott ist Gott immer personal zu denken; wird seine trinitarische PersonalitÅt geleugnet, wird Gott selbst negiert.19 Das Selbstbewußtsein Gottes ist ewiges Faktum, so daß Gott ohne es undenkbar ist. Das eine g×ttliche Wesen enthÅlt drei Momente des Selbstbewußtseins, die jeweils Substanzen involvieren.20 Diese Wiederholung der einen g×ttlichen Substanz bedeutet aber nach GÛnther mit Berufung auf Augustin und Leibniz keinen Tritheismus.21 Diese VollzÛge des g×ttlichen Selbstbewußtseins sind Gottes Offenbarung ad intra. Der Unterschied zur augustinischen TrinitÅtslehre besteht dabei in folgendem Sachverhalt: WÅhrend Augustin das eine g×ttliche Wesen nach dem Modell des Geistes in dreifacher Weise in lediglich intentionalen Relationen auf sich als letztlich einziges Relat bezogen sieht,22 bedeutet die Potenzierung bei GÛnther im Erkenntnisakt eine Setzung real extensionsdistinkter Relate, so daß es sich bei den VollzÛgen des g×ttlichen Selbstbewußtseins um reale Relationen handelt. Der Unterschied zu einer hegelianisierenden TrinitÅt hingegen besteht darin, daß diese VollzÛge des g×ttlichen Selbstbewußtseins streng ohne kreatÛrliches Element gedacht werden. Die Welt ist kein Akt im Bewußtsein Gottes,23 so daß jegliche pantheisierende Tendenzen abgewiesen werden. Diese stellen Ûberhaupt einen von GÛnthers Hauptgegnern dar. Der Fehler des Pantheismus ist, die relative SubstantialitÅt in der absoluten aufgehen zu lassen, so daß das VerhÅltnis von Gott und Welt kein Åußeres mehr ist.24 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 92. Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 95. 18 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 96. 19 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 37. 20 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 112. 21 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 104. 22 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 66–99. 23 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 112. 24 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 24–26; GÛnther, Gastmahl, 358 f. Der Pantheismus nimmt in der Auseinandersetzung auch quantitativ einen hervorragenden Platz ein. Wir gehen hier nicht weiter darauf ein. Ein wichtiges Argument GÛnthers gegen den Pantheismus sei aber noch er16 17

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2.3.1.2.2 °konomische TrinitÅt: Gottes Offenbarungshandeln ad extra Die Sch×pfung ist ein freier Akt Gottes, der Selbstoffenbarung Gottes ad extra ist.25 Als Sch×pfer kann er kein ihm gleiches setzen, d. h. er setzt nicht sein eigenes Wesen. Dies ist wichtig, denn ad extra kann sich Gott nur offenbaren, wenn die Sch×pfung wesensverschieden ist, wÅhrend er ihrer zur Selbstoffenbarung an sich, wie gesehen, nicht bedarf.26 Die Sch×pfung geschieht daher frei, nicht notwendig, aus der Motivation der Liebe, die als Leben in anderen und Leben fÛr andere beschrieben wird. Die Liebe ist damit der M×glichkeitsgrund der Sch×pfung, wÅhrend Gottes Allmacht und Allweisheit deren Wirklichkeitsgrund sind.27 Dabei ist die Liebe nicht nur Grund, sondern auch Ziel der Sch×pfung, so daß Grund und Ziel koinzidieren: Gott teilt nÅmlich seine Liebe andern mit und ist so Leben in anderen.28 Dennoch bedeutet die Schaffung anderer Wesen keine Steigerung der Seligkeit Gottes, sondern die Mitteilung der Seligkeit Gottes an die Kreatur.29 GÛnther illustriert dies mit dem Beispiel eines Planetensystems: So wie Planeten am Lichtglanz einer Sonne durch Reflexion teilnehmen k×nnen, ohne daß die Sonne etwas von ihrem Lichtglanz einbÛßt, so verhalten sich auch Sein und Seligkeit der Kreaturen zu Sein und Seligkeit Gottes.30 Es wird noch zu sehen sein, daß GÛnther dieses Reflexionsbild detailliert ausbaut. Der Zweck der Sch×pfung ist damit das Setzen anderer Wesen, so daß sich Kreation und Manifestation nach außen wechselseitig bedingen, in folge dessen es auch RÛckwirkungen der Offenbarung ad extra auf die Offenbarung ad intra gibt.31 Damit aber ist die Offenbarung ad extra nur vollendet, wenn sie Reflex der Selbstoffenbarung ad intra ist. Dies wiederum ist nur m×glich, wenn sich die trinitarische Struktur des Selbstbewußtseins auch dort findet.32 Innerhalb der Welt findet sich ein trinitarischer Reflex auf zweifache Weise: einmal in der Relation Gottes zur Welt, d. h. im Handeln Gottes selbst, ein-

wÅhnt: Wenn freie Geister zu einem Widerspruch gegen Gott fÅhig sind, wÅre dies ein Widerspruch in der Wesenheit Gottes selbst. Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 68. 25 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 29. 26 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 29. 53. 96. 27 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 113. Andere Kennzeichen der Liebe sind, GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 1, 177–179: „Liebe ist die Indifferenz von Notwendigkeit und Freiheit [. . .] Die Liebe Gottes manifestiert sich in einem Leben in anderen, die ein wesentlich anderes sind als er selbst ist“. 28 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 76. 29 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 143. 30 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 142 f. 31 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 139; GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 1, 177–179. 32 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 96 f.

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mal im Relat der Sch×pfung als Ergebnis dieses Handelns. FÛr GÛnther selbst ist letzteres wichtiger. Nur die Sch×pfung selbst als Reflex des trinitarischen Selbstbewußtseins kommt in den Prolegomena in den Blick, wÅhrend das trinitarisch strukturierte Handeln Gottes erst nachtrÅglich im Verlauf der materialen Entfaltung der Vers×hnungslehre nachgeliefert wird. Wir fassen die Aussagen zu diesem trinitarisch strukturierten Handeln hier vorab zusammen: 2.3.1.2.3 Gottes trinitarisch strukturiertes Handeln Jede Offenbarung der Gottheit ad extra ist nicht nur eine Operation des Dreieinigen, sie reflektiert auch diese Dreieinigkeit oder ist deren Siegel.33 So mÛssen sich in der Manifestation Gottes ad extra die Momente seiner Manifestation ad intra wiederholen, wenn sie Ûberhaupt Anspruch auf g×ttlichen Ursprung geltend machen wollen.34 Die Arbeit im Erl×sungswerk Gottes ist daher so zu teilen,35 daß bestimmte Aspekte des Handelns Gottes nach außen je einer bestimmten Person und keiner anderen zukommen, weil Gott ganz pers×nlich ist, und die Offenbarung Gottes auch nach außen pers×nlich ausfallen muß.36 Diese Passagen k×nnen als BestÅtigung fÛr die Deutung der GÛntherschen immanenten TrinitÅt als reale Relationen dreier Relate gedeutet werden. GÛnther appropriiert die Sch×pfung selbst dem Sohn als dem absoluten Objekt des Vaters,37 wÅhrend die Arbeit im Werk der Zurechtbringung geteilt ist, wie noch zu sehen sein wird. Sie kommt in einer Hinsicht dem Sohn, in einer anderen Hinsicht dem Geist zu. 2.3.1.2.4 Die Welt als Reflex der immanenten TrinitÅt Von Gott als unbedingtem Sein ist die Welt als bedingtes Sein zu unterscheiden. Sie zerfÅllt zunÅchst in zwei Bereiche: In Geist und Natur. Beiden, Geist und Natur, kommt SubstantialitÅt und AkzidentialitÅt, bzw. Noumenon und PhÅnomenon zu, hinsichtlich der Akzidentien kann noch zwischen PassivitÅt und AktivitÅt unterschieden werden.38 Bei beiden sind innerhalb der Sch×pfung unmittelbar nur die Erscheinungen, die PhÅnomene, erkennbar, das Sein der Substanzen ist nur indirekt erkennbar.39 Gott als dritte SubstantialitÅt hat mit dem Geist im Unterschied zur Natur die

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 367. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 368. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 364. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 369. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 369. Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 16. Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 63.

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ImmaterialitÅt gemeinsam.40 Entscheidend ist nun, daß der Geist im Gegensatz zur Natur nicht deshalb unterschieden wird, weil er Bewußtsein hÅtte, das die Natur nicht hÅtte, sondern weil er Bewußtsein in Freiheit ist, d. h. Selbstbewußtsein hat.41 Auch die Natur entwickelt ein Bewußtsein (in den Tieren), aber noch kein Selbstbewußtsein, wenn sie auch zu diesem strebt, es aber nicht erreichen kann.42 Dies bedeutet, daß die Natursubstanz durchaus ein Wissen von ihrem Sein als Erscheinung haben kann, aber im Gegensatz zum Geist kein Wissen von sich selbst als Sein, was nur im Selbstbewußtsein gegeben ist.43 Nun gilt dies, analog zur g×ttlichen SubstantialitÅt, nicht nur fÛr das Erkennen, sondern ebenso fÛr das Sein der Substanzen selbst: Im Gegensatz zum Geist geht die Natur bzw. die Substanz der Natur nicht nur in die Erscheinung Ûber, sondern in ihr auf. Und dies ist auch der ontologische Grund fÛr die epistemische Unm×glichkeit der Natur, zu Selbstbewußtsein zu gelangen.44 WÅhrend bisher der Geist positiv, die Natur nur in Abgrenzung dazu negativ charakterisiert wurde, gilt es nun, auch die Natur positiv zu charakterisieren. Der Natur, und nur der Natur, kommt ein Leben in Gattungen, im formalen Genus, zu. Diesem kommt ontische Valenz zu, nicht den Individuen, die nur Mittel zum Zweck sind (im Gegensatz zum Geisterreich)45. Dieses formale Genus ist nun mit der realen Geschlechtlichkeit identifiziert: Die Gattungen erhalten sich nur mittels Begattung.46 Entsprechend geh×ren Werden und Vergehen zum Naturleben, da die Substanz ja in der Erscheinung aufgeht. Dies bedeutet auch, daß das Vergehen in der Natur keine Strafe sein kann, genausowenig, wie Zeugung ein Verbrechen ist.47 Entsprechend ist umgekehrt das Sexualleben keine EigentÛmlichkeit des Geisterreichs. Im Geisterreich ist vielmehr die PrioritÅt des Individuums kennzeichnend48. WÅhrend die SubstantialitÅt zwischen Natur und Geist (und Gott als dritter SubstantialitÅt) verschieden ist, kommt ihnen doch die gleiche Form zu, nÅmlich jeweils Bewußtsein (in der Natur als Wissen

40

Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 102. Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 147. 42 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 13; GÛnther, Gastmahl, 488 f; GÛnther, Philosophie in Deutschland, 252; GÛnther, SouverÅnitÅt, 55. 43 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 111. 337; GÛnther, Janusk×pfe, 97–100. 44 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 140. 160; GÛnther, Gastmahl, 536 f. Man kann schon hier sehr sch×n sehen, daß GÛnther Ontologie immer als Epistemologie, bzw. Epistemologie immer als Ontologie entwickelt. 45 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 339. 46 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 112 f. 47 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 113. 48 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 148. 41

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um die Erscheinung), bzw. Selbstbewußtsein (im Geist und in Gott als Wissen vom Sein).49 Mit all dem ist aber noch nicht gezeigt, wieso die Welt als Reflex der Selbstoffenbarung Gottes ad intra anzusehen ist, warum sie also Selbstoffenbarung Gottes ad extra werden kann. Dazu bedarf es noch einer dritten Seinsart in der Welt als Sch×pfung und dies ist der Mensch. Der Mensch hat eine doppelte SubstantialitÅt, er besteht aus Geist und Natur. Damit gipfelt die Sch×pfung im Menschen,50 der das Vereinswesen von Geist und Natur ist. Und eben damit ist die Welt, genauer, der Mensch Ebenbild Gottes, ohne Gott zu sein. Denn wÅhrend Gottes Wesen seine Einheit ist, die Dreiheit sich aber in der wesentlichen Form des Selbstbewußtseins zeigt, ist es in der Welt umgekehrt: Die Kreatur besteht aus der Dreiheit der SubstantialitÅt von Geist, Natur und Mensch, wobei der Mensch als Einheit von Geist und Natur zu verstehen ist, analog zum g×ttlichen Geist, der als Vorstellung die Einheit von Vorstellendem (Vater) und Vorgestelltem (Sohn) ist. Ihre Einheit besteht in der Form.51 Damit ist die Kreatur in ihren beiden gegensÅtzlichen Gliedern einschließlich deren Synthese im Menschen der kontraponierte Gott und somit Reflex der Offenbarung Gottes ad intra.52 2.3.1.2.5 Exkurs: Gottes Eigenschaften GemÅß der Unterscheidung von Gottes Offenbarung ad intra und ad extra unterscheidet GÛnther zwischen Eigenschaften in Gott selbst und solchen, die im VerhÅltnis zur Welt ausgesagt werden. Erstere sind allgemein und notwendig, letztere besonders und zufÅllig.53 Die letzteren mÛssen sich dabei zu den ersteren konkordant verhalten, so daß sie Modifikationen der Eigenschaften ad intra sind, aus dem ReaktionsverhÅltnis zur Kreatur gewonnen. Im Folgenden sagen wir nur etwas zu den Eigenschaften, die in der Zurechtbringungslehre eine Rolle spielen werden. Gott ist ad intra wesentlich Liebe und h×chste Seligkeit.54 Nach außen ist diese Liebe allmÅchtig, zeigt sich aber aufgrund des SÛndenfalls des Menschen, bzw. der reinen Geister, die nicht erl×sbar sind, wie wir noch sehen werden, je nach ReaktionsverhÅltnis unterschiedlich, bei den reinen Geistern als Gerechtigkeit, beim Menschen

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 77. Vgl. GÛnther, Gastmahl, 472. 51 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 102. Erstaunlicherweise erlÅutert GÛnther den Gedanken der Einheit in der Kreatur nur nÅher dadurch, daß er hier angibt, die Einheit bestehe in der Form oder in den Akzidentien. Was darunter genauer zu verstehen ist, bzw. ob damit gemeint ist, daß allen Bewußtsein bzw. Selbstbewußtsein zukommt, bleibt zunÅchst offen (Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 77). Vgl. auch GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 2, 9. 52 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 102. GÛnther, Vorschule 2, 337. 53 vgl. GÛnther, Vorschule 1, 114. 54 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 113. 49 50

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als Erbarmung.55 Gottes Seligkeit ad intra teilt Gott seinen Kreaturen ad extra in teleologischer Liebe mit. Dazu ist die Anerkennung der Ehre Gottes notwendige Bedingung, denn die Ehre Gottes ad extra bedeutet fÛr die Kreaturen Seligkeit ad intra. GemÅß der Endabsicht von Gottes Liebe ist damit das, was Ehre Gottes genannt wird, seiner Liebe subordiniert.56 Das VerhÅltnis von Gottes Seligkeit ad intra und ad extra entspricht dabei Gottes Rolle als summum bonum. Denn bevor Gott summum bonum fÛr andere sein kann, ist er es fÛr sich selbst. Ebenso ist Gott in seiner reinen Liebe personal differenzierte Selbstliebe, um Liebe fÛr andere sein zu k×nnen.57

2.3.1.3 GrundzÛge der Anthropologie im status integritatis Der Mensch ist also Ebenbild Gottes als Vereinswesen von Geist und Natur und als solcher Schlußstein der Sch×pfung und SchlÛssel zur Erkenntnis der Sch×pfung wie auch Gottes.58 Da die Geistkomponente nicht an der Vererbung der Gattung in der Natur partizipiert, die Natur aber andererseits nicht aus sich selbst den Geist hervorbringen kann, ist der Mensch in seiner Synthese teils mittelbare Sch×pfung Gottes, sofern er Natur ist, teils unmittelbare Sch×pfung Gottes, sofern er Geist ist. Dies gilt fÛr den Urmenschen wie fÛr alle anderen Menschen. GÛnther lehrt m.a.W. einen Kreatianismus.59 Dabei koinzidiert das Kreationsmoment von Seiten Gottes mit dem Zeugungsmoment von Seiten der Natur des Menschen. Natur und Geist bilden in jeder partikularen Person eine communicatio idiomatum , geben sich wechselseitig an ihren Eigenschaften in GÛtergemeinschaft Anteil.60 Entsprechend kann nun individuell Pers×nliches, eigentlich Sache des Geistes, vererblicht werden und Vererbliches, eigentlich Sache der Natur, pers×nlich werden.61 Wichtige Konsequenzen der natÛrlichen Seite des Synthese sind folgende Sachverhalte: Aufgrund dieses WechselverhÅltnisses zwischen Geist und Natur bildet die menschliche Gesamtheit nicht nur eine Gattung, sondern einen Organismus. Der Begriff des „Menschen“ ist also weder der eines Individuums, noch der einer Gattung, sondern der eines organischen, holistischen Ganzen, in dem alle Mitglieder in reziproken Relationen zueinander stehen, die fÛr alle und das Ganze wesentlich sind.62 Dieser Menschheitsorganismus ist in der Idee Gottes vom Menschen63 absichtsvoll und vorgÅn55 56 57 58 59 60 61 62 63

Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 114. GÛnther, Vorschule 2, 136–140. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 330. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, XIXf. 51. 86. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 71 f. 130. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 160 f. 334; GÛnther, Lydia 1, 117 f; GÛnther, Lydia 2, XIf. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 341; GÛnther, Lydia 1, 122. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 160 f. 345. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 173, GÛnther, SÛd- und Nordlichter, 101 f.

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gig in der Menschheit realisiert. Gott erkennt den einzelnen Menschen in der Gattung und in der Gattung den einzelnen Menschen.64 Entsprechend kann auch ein einzelner Mensch die Gattung reprÅsentieren. GÛnther nutzt diesen Gedanken, um die M×glichkeit eines doppelten ReprÅsentanten oder eines doppelten Anfangs der Menschheit im ersten und zweiten Urmenschen zu begrÛnden.65 Dieser menschliche Organismus ist im Prinzip zeitlos, erster und zweiter Urmensch sind bei Gott gleich prÅsent: Weil Gott den Gehorsam des zweiten Urmenschen voraussah, ließ er den ersten ins Sein kommen.66 Der Organismusgedanke erm×glicht dabei den Begriff einer Vererbung der an sich pers×nlichen Begriffe sowohl der Schuld als auch des Verdienstes67. Die ReziprozitÅt von Teil und Ganzem erm×glicht so eine ethische ReversibilitÅt freier Handlungen.68 Relationslogisch ist der Organismusgedanke mit dem Gedanken eines doppelten ReprÅsentanten nicht unproblematisch. Zwar ist ein Organismus als feldkonstitutive69 Relation deutbar und erm×glicht durch das holistische Prinzip eine ReprÅsentation des Ganzen durch einen Einzelnen. Aber solange keine funktionale Asymmetrie hinsichtlich der VorzÛglichkeit der ReprÅsentation besteht, sind alle Teile potentielle ReprÅsentanten. GÛnthers Organismusgedanke leistet hier mehr als er dÛrfte: Er legitimiert, zumal durch die Bestreitung einer zeitlichen Asymmetrie und einer zeitlichen VorzÛglichkeit, zwar sowohl einen ersten als auch einen zweiten Urmenschen und damit einen doppelten Anfang des Ganzen, aber es ist nicht ersichtlich, warum nur von einer doppelten ReprÅsentation und nicht auch von einer multiplen ReprÅsentation gesprochen werden kann.

Wichtige Konsequenzen der geistigen Seite der Synthese sind folgende Sachverhalte: Die geistige Komponente erm×glicht das Selbstbewußtsein des Menschen. Hier ist ein quantitativer Aspekt von einem qualitativen Aspekt zu unterscheiden. Der quantitative Aspekt des Selbstbewußtseins, ein von GÛnther nicht ganz treffend gewÅhlter Name, bezeichnet die Tatsache, daß das Selbstbewußtsein als endliche, d. h. relative Freiheit Ûberhaupt von Gott geschaffen und gesetzt ist und damit das bloße Faktum, daß der Geist ontologisch Ûberhaupt zum Selbstbewußtsein vordringt.70 Soweit ist das Selbstbewußtsein aber noch ein abstrakter Begriff. Der qualitative Aspekt bezeichnet die Beschaffenheit dieses relativ freien Selbstbewußtseins und macht den bisher abstrakten Begriff zu einem konkreten. WÅhrend der quantitati-

64 65 66 67 68 69 70

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 342 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 343; GÛnther, Lydia 1, 121–128. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 343. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 160 f; GÛnther, SÛd- und Nordlichter, 104 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 345. Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 336 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 142 f.

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ve Aspekt rein passiv ist – das Selbstbewußtsein und die Freiheit werden einfach gesetzt – bezeichnet der qualitative Aspekt eine reaktive Seite, nÅmlich die spontane Kraft des Menschen, sich in Relation zum Sch×pfer zu Åußern, sei es im Entsprechen oder im Widersprechen, sei es im HÅngen an oder im Entfernen von der Lebensquelle.71 Freiheit bleibt nÅmlich abstrakt, wenn ihr Zweck nicht die Liebe ist.72 Ethisch ist der Mensch so im Selbstbewußtsein zur Selbstbestimmung berufen.73 Damit ist der Mensch zwar nicht Mitsch×pfer seines Seins, aber doch Mitsch×pfer seines Daseins in Seligkeit: „Der Du mich geschaffen hast ohne mich, kannst mich nicht selig machen ohne mich“.74 Der kreatÛrliche Geist ist Mitkreator seines Himmels.75 Gott hat sich also mit dem Setzen der freien Kreatur in gewisser Weise seiner Allmacht entÅußert. Die Kreatur trÅgt in der Freiheit das Muttermal g×ttlicher Liebe, das im Widerspruch des kreatÛrlichen Geistes zum Brandmal werden kann.76 Im ersten Urmenschen war der Mensch im Urzustand zwar vollkommen, aber noch unvollendet.77 Eine BetÅtigung des qualitativen Aspekts des Urmenschen setzt voraus, daß es ein Relat gibt, an dem sich die Freiheit orientieren kann. Dies kann es nur geben, wenn Gott als positiver Wille fÛr den Willen der Kreatur offenbar war. Dies Åußert sich fÛr GÛnther biblisch im Verzehrverbot in der Paradiesgeschichte: Weil Gott absolutes Sein und daher absolutes Handeln ist, kann die Kreatur nur relatives Sein und daher nur relatives Handeln sein. Relatives Handeln unterscheidet sich aber von absoluten Handeln dadurch, daß es auch Nicht-Handeln, d. h. Unterlassung ist. Entsprechend mußte sich Gott dem ersten Urmenschen prohibitiv offenbaren.78 WÅhrend nun die Setzung des menschlichen Geistes, d. h. der quantitative Aspekt des Selbstbewußtseins, als Reflex der Selbstobjektivierung im g×ttlichen Erkennen dem Sohn appropriiert wird, ist die Setzung mit dem Einssein vom menschlichen Geist mit seinem Urgrund, also der qualitative Aspekt des Selbstbewußtseins, dem Heiligen Geist zuzuschreiben, und zwar im Urmenschen wie in den Zurechtgebrachten.79 Aufgrund der Zusammenwirkung gesch×pflicher Freiheit und des Handelns des Heiligen Geistes hatte der Urmensch damit die M×glichkeit, dem g×ttlichen Prohibi-

71 Vgl. GÛnther, Vorschule 1, 99; GÛnther, Vorschule 2, 53; GÛnther, Rez. zu L. A. KÅhler, Teil 1, 172 f; GÛnther, Rez. zu L. A. KÅhler, Teil 1, 173 f; GÛnther, Symboliker, 27 f. 72 Vgl. GÛnther, Rez. zu D.K. HÛllmann, 204. 73 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 142 f. 74 GÛnther, Vorschule 2, 77. 75 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 141. 76 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 77–79. 77 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 78 f. 78 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 74 f; GÛnther, Lydia 2, 171. 79 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 370; GÛnther, Rez. zu L. A. KÅhler, Teil 1, 192.

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tiv und damit Gott selbst wie auch seinem eigenen Selbst als relatives Sein zu entsprechen.80 In diesem Urzustand wie in der Aufgabe der Realisierung gesch×pflicher Freiheit kommt dem Menschen die absolute Herrschaft Gottes Ûber die Natur ebenfalls als absolute Herrschaft, wenn auch als delegierte absolute Herrschaft, zu.81 Dies bedeutet aber, daß aufgrund der communicatio idiomatum die Pers×nlichkeit des ersten Urmenschen unvertilgbar war, trotz des Prinzips des Vergehens in der Natur zugunsten der Gattung.82 2.3.1.4 GrundzÛge der Anthropologie im nicht zurechtgebrachten Zustand GÛnther unterscheidet hinsichtlich der SÛnde wesentlich zwei Aspekte, Schuld und Strafe.83 Bevor diese jedoch dargestellt werden, ist etwas Ûber die Voraussetzungen der SÛnde und Ûber die Tat des ersten Urmenschen zu sagen. 2.3.1.4.1 Voraussetzungen der SÛnde Das B×se selbst ist ein Faktum und als solches in der FaktizitÅt nicht hinreichend erklÅrbar. Die M×glichkeit liegt im Selbstbewußtsein, das Freiheit involviert.84 Die M×glichkeit stellt aber keine Anlage zum B×sen dar, so daß nicht Gott dafÛr verantwortlich zu machen ist, sondern konkret der Mensch, bzw. der kreatÛrliche Geist.85 Es wird aber noch zu sehen sein, daß es einen Scheingrund gibt, der darin besteht, daß das B×se letztlich blind ist: eritis sicut deus.86 Der Mensch steht in der Orientierung seiner Freiheit nÅmlich zwischen Gott (bzw. dem g×ttlichen Prohibitiv) Ûber ihm und der Natur unter ihm. Die SÛnde selbst ist wesentlich Widerspruch.87 Was dies im einzelnen zu bedeuten hat, wird im folgenden entfaltet.

80 GÛnther, Vorschule 2, CCI: „Die Menschennatur samt dem VerhÅltnis ihrer Koeffizienten vorausgesetzt, ist die Union des Geistes zu Gott ein donum superadditum , ein Geschenk von Seiten Gottes, aber auch zugleich ein donum concreatum , weil sie ein Geschenk Gottes fÛr den von ihm soeben geschaffenen Geist ist [. . .]“. 81 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 109 f; GÛnther, Symboliker, 27 f. 82 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 114. 83 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 132 f. 362 f. 84 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 8 f; GÛnther, SÛd- und Nordlichter, 103 f. 85 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 51 f. Hier ist GÛnther durchaus nicht eindeutig, denn einerseits sagt er, das B×se sei durch und im Menschen, andererseits rechnet er aber auch mit einem SÛndenfall des nichtmenschlichen, kreatÛrlichen Geistes, d. h. der Engelwelt. 86 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 54 f. 87 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 69 f. GÛnther grenzt sich mit dem Begriff des Widerspruchs von zwei anderen Bestimmungen ab, von der Bestimmung der SÛnde als Gegensatz, denn in einem Gegensatz (von Natur und Geist) besteht der Mensch ja immer, und von der Bestimmung der SÛnde als Beraubung, denn diese Bestimmung erfaßt nur das, was im folgenden als Strafe beschrieben wird.

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2.3.1.4.2 SÛnde als Schuld und die mißlungene Feuerprobe der Freiheit Der Urmensch hat mit dem quantitativen Aspekt des Selbstbewußtseins das Muttermal der g×ttlichen Liebe und mit Hilfe des Heiligen Geistes im qualitativen Aspekt auch die FÅhigkeit, die Freiheit zu gebrauchen. Damit steht er zwischen dem g×ttlichen Prohibitiv als direkter Offenbarung Ûber ihm, denn der Gehorsam setzt letztlich das Wissen von Gut und B×se voraus,88 und der Natur unter ihm.89 Der Urmensch verfehlt aber diese Freiheitsprobe, er richtet sich in seiner Blindheit, wie Gott sein zu wollen, nun gerade nicht an Gott aus, sondern an der Natur unter ihm,90 was sich im Essen der Baumfrucht versinnbildlicht und manifestiert. Mit der mißlungenen Freiheitsprobe wird das Muttermal der g×ttlichen Liebe schließlich zum Brandmal.91 Die Schuld dieser verfehlten Freiheitsprobe ist nun ein Produkt des Widerspruchs gegen den g×ttlichen Willen und der Affirmation des eigenen Willens.92 Dabei ist die Schuld gleichzeitig Selbstwiderspruch des Menschen,93 da dieser die Aufgabe der Vervollkommnung seiner Pers×nlichkeit hatte. Die Schuld ist das „ungeratene Kind von reiner und unreiner Liebe“94 aufgrund von Gottes sich in Freiheit erm×glichender und das Gesetz implizierender Liebe. Da der Mensch als Vereinswesen von Natur und Geist aber auch ein organisches Ganzes bildet, ist diese eigentlich geistige Schuld aufgrund der naturhaften Komponente der menschlichen Synthese Ûbertragbar. Damit ist erklÅrbar, wie Schuld vorhanden sein kann, ohne rein oder streng pers×nlich zu sein.95 Dennoch sind Erbschuld und pers×nliche Schuld zu unterscheiden: Die Erbschuld ist als wirklicher Zustand eine wirkliche Schuld, ist aber noch keine pers×nliche, denn zwischen der Gattung und ihrem ReprÅsentanten besteht eine Differenz.96 Die Erbschuld wird aber zur pers×nlichen Schuld in der AktualsÛnde, die eine Bejahung des ererbten Zustands von Seiten des freien Geistes ist.97 GÛnther entfaltet den Gedanken der Erbschuld, wie spÅter den des Erbverdienstes des zweiten Adam,98 in Differenz

88 89 90 91 92

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 82 f; GÛnther, Rez. zu J. Salat, 154. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 87. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 82 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 78 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 134; GÛnther, Rez. zu J. Widmer, 117; GÛnther, Gastmahl,

358 f. 93 94 95 96 97 98

Vgl. GÛnther, Lydia 1, 316. GÛnther, Vorschule 2, 135. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 157. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 163. 179; GÛnther, Symboliker, 69 f. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 192. Erbverdienst und Erbschuld verhalten sich nicht nur parallel, sondern GÛnther kann auch

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zu den reinen kreatÛrlichen Geistern. Auch bei diesen gibt es eine mißlungene Freiheitsprobe, auch diese k×nnen einander nachahmen, aber die Schuld vererbt sich nicht, weil es bei diesen kein natÛrliches Gattungswesen einschließlich Zeugung oder einer Geschichte in der Zeit gibt und daher auch keine ReprÅsentationsm×glichkeit. Damit gibt es bei diesen aber auch keine Weitergabe eines m×glichen Erbverdienstes, sie sind nicht erl×sbar. Die Reaktion der g×ttlichen Liebe auf die gefallene Menschheit kann daher Erbarmung genannt werden, die Modifikation auf die gefallenen reinen kreatÛrlichen Geister jedoch nur Gerechtigkeit. Weiter werden diese jedoch nicht verfolgt.99 2.3.1.4.3 SÛnde als Strafe und die Folgen der mißlungenen Feuerprobe der Freiheit Die unmittelbaren Folgen des Falls sind die VerÅnderung im Gleichgewicht der menschlichen Synthese und die Trennung des g×ttlichen vom menschlichem Geist: Der Charakter der menschlichen Synthese verÅndert sich. War vor dem Fall die Herrschaft des Geistes Ûber die menschliche Natur als delegierte gegeben, fÅllt diese nun wieder Gott anheim, mit der Folge, daß die Natur nun allein ihren Gesetzen folgt, die Natur also Ûber den Geist in gewissem Sinne PrioritÅt erhÅlt. Dies entspricht der Entscheidung des Menschen, hat aber negative Folgen. GemÅß des Gesetzes der Natur vergeht das Individuum und nun auch der Geist als Personzentrum. Das Vergehen bekommt nun den Charakter des Todes, der als Verwesung (Ver-wesung), als ein Aufl×sen des Wesens des partikularen Menschen, beschrieben wird.100 Der qualitative Aspekt menschlicher Freiheit wird geschÅdigt, d. h. auch das Willensverm×gen des Menschen wird depraviert. Dies geschieht, indem der kreatÛrliche Geist nicht mehr den Beistand des Heiligen Geistes erfÅhrt, es kommt, auch hier nur als Realisierung der Absicht des Menschen, zur Trennung von menschlichem und g×ttlichem Geist.101

die BegrÛndungsstruktur vertauschen in GÛnther, Symboliker, 106: „Unser Geschlecht steht unter einer Erbschuld, weil es ein Erbverdienst besitzt.“ 99 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 130 f. 273. 333 f. 340. 342. Es ist Åußerst schwierig zu sagen, inwieweit GÛnther in der Sch×pfung Ûberhaupt mit einem realem Vorhandensein der reinen Geister rechnet, oder ob es sich nur um eine theoretische M×glichkeit handelt. Die Konsequenz der Unerl×sbarkeit der gefallenen reinen Geister wÛrde aber sein, daß diese aufgrund der Gerechtigkeit Gottes als Modifikation seiner Liebe dem Tod verfallen, da dieser schon beim gefallenen Menschen nur wegen des 2. ReprÅsentanten ausgeschlossen ist. Infolgedessen kann es gefallene reine Geister in actualitas nicht geben. 100 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 109 f. 112 f; GÛnther, Gastmahl, 411–413; GÛnther, SÛd- und Nordlichter, 175; GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 1, 192 f; GÛnther, Gastmahl, 358 f. 101 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 104. 191. 371 f.

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Dennoch kommt es nicht zum absoluten Tod des Menschen. Dieser bestÛnde sowohl im vollstÅndigen Verwesen des ersten ReprÅsentanten als auch in der Annihilation des ganzen, bisher nur als Idee angelegten Organismus. Der Grund dafÛr, daß Gott den Lebensverkehr mit dem Menschen nicht vollstÅndig einstellt, ist, daß er den Gehorsam als bestandene Freiheitsprobe des zweiten Urmenschen und dessen erwirktes Erbverdienst voraussah.102 Infolgedessen sind die mittelbaren Folgen eine VerÅnderung des Lebensverkehrs Gottes mit dem Menschen und die Vererbung der Schuld: Um den Lebensverkehr Ûberhaupt aufrecht erhalten zu k×nnen, muß sich Gott weiterhin dem Menschen offenbaren, obwohl der Mensch nun vom Geist getrennt ist. Diese modifizierte Offenbarung geschieht in allen Menschen als Uroffenbarung im subjektiven Gewissen, prÅziser im kategorischen Imperativ, worauf alle Religionen der Weltgeschichte grÛnden.103 An anderer Stelle, im Kontext der Gotteserkenntnis, fÛllt GÛnther die modifizierte allgemeine erste Uroffenbarung inhaltlich nicht mit dem in kantscher Tradition stehenden kategorischen Imperativ, sondern mit dem in schleiermacherscher Tradition stehenden Begriff des GefÛhls schlechthinniger AbhÅngigkeit,104 ohne daß beide Begriffe irgendwie vermittelt wÛrden. Eine solche Vermittlung wÅre aber n×tig, da Kant und Schleiermacher damit die Allgemeinheit der Religion in zwei v×llig verschiedenen Bereichen ansiedeln, die zwei unterschiedliche anthropologische Konzepte voraussetzen. Dominant – und eher zur GÛntherschen dualistischen Anthropologie passend – ist freilich die inhaltliche Bestimmung mit dem Begriff des kategorischen Imperativs.

Ebenso muß der Mensch im Geist diese Offenbarung noch erkennen k×nnen. Auch dies geschieht in modifizierter Weise: im Widerwillen gegen den kategorischen Imperativ. Damit ist das Gesetz Stachel der SÛnde.105 Dieser Widerwille Åußert sich als subjektives Moment der vererbbaren SÛnde in der Abneigung gegen den g×ttlichen Willen, in der Hinneigung zum natÛrlichen, in Selbstsucht, im B×sen, im Stolz und der Genußsucht.106 Neben dieser allgemeinen Uroffenbarung gibt es im organischen Geschichtsverlauf noch ein zweites Moment des Protevangeliums, nÅmlich die zweite Uroffenbarung

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 129. 240. 343; GÛnther, Symboliker, 304. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 105. 216; GÛnther, Rez. zu J. Rust, 248–250. Eine basalere Definition von Religion liegt vor in GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 2, 67 f.: „Diesen Widerspruch zu l×sen, ist der Mensch entweder auf sich angewiesen oder auf h×here und zugleich dargebotene Hilfe. Das Streben, die WidersprÛche zu l×sen, ist Religion: natÛrliche, wo der Mensch auf sich angewiesen; geoffenbarte, wo der Mensch auf h×here Gabe und Hilfe angewiesen ist. Die Gabe aber ist immer der Geber, Gott selbst.“ 104 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 86. 105 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 106 f. 128 f. 106 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 161 f. 102 103

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im expliziten Gesetz Israels. GÛnter versucht dies – wie auch den Zeitpunkt des Erscheinens des Erl×sers in der Weltgeschichte – als notwendig darzustellen, indem er die Fortpflanzung der SÛnde im Organismus der Menschheit mit dem Verlauf einer Krankheit eines individuellen Organismus vergleicht, der Årztliches Eingreifen zum rechten Zeitpunkt, verlaufsabhÅngig, erfordert.107

Das Entscheidende ist nun aber, daß die Schuld der SÛnde und die Folgen der SÛnde vererbt werden k×nnen auf den ganzen Organismus der Menschheit und daß sich infolgedessen auch die folgenden partikularen Menschen Erbschuld und Erbstrafe pers×nlich aneignen k×nnen. Der Organismusgedanke ist dazu freilich nur eine notwendige Bedingung. Denn GÛnther bekommt aufgrund der Konzeption des Menschen als Vereinswesen von Geist und Natur nun folgendes Problem: Zwar erm×glicht dieser Gedanke eine communicatio idiomatum in einem partikularen Menschen von Geist und Natur und somit die ºbertragung der Schuld des Geistes auf die Natur des Menschen, die ihrerseits den Organismusgedanken sichert, aber der Geist selbst wird nicht zur Natur. Er bleibt Geist und ist damit nicht vererbbar. Vielmehr wird er im Rahmen von GÛnthers Kreatianismus im Zeugungsakt unmittelbar dazuerschaffen. Aber der Geist selbst ist ja in jedem Teil der Gattung in Folge der SÛnde im Willen depraviert. Ist damit Gott der Urheber der FolgesÛnde? Diese Konsequenz muß natÛrlich vermieden werden. GÛnther l×st das Problem auf folgende Weise: In der Tat ist der unmittelbare Kreationsakt Gottes hinsichtlich des Geistes beim ersten Urmenschen ein anderer als bei den folgenden Menschen. Gott erschafft deren Geister in modifizierter Weise und in der Tat in defizienter Weise. Dennoch trifft Gott nicht die Verantwortung dafÛr. Vielmehr geschieht diese Modifikation aus der Treue Gottes zu seinen Gesch×pfen. Denn die Sch×pfung des Menschen bedeutet in erster Linie die Sch×pfung eines Organismus, der in den ReprÅsentanten, und d. h. hier im ersten Urmenschen, reprÅsentiert wird. WÛrde Gott trotz der verfehlten Freiheitsprobe des ersten Urmenschen alle Folgeglieder mit den gleichen geistigen FÅhigkeiten ausstatten, wÛrde er den Gedanken des menschlichen Organismus zerst×ren. Andernfalls wÛrde er mit sich selbst und seiner Sch×pfungsabsicht in Widerspruch geraten, was ausgeschlossen ist. Daher teilt das Individuum das Schicksal der Gattung, und verantwortlich bleibt der Mißbrauch des freien kreatÛrlichen Willens.108 Diese Argumentationsfigur ist Åußerst wichtig, denn genau das ist der Grund, warum Gott nicht einfach Ûber die SÛnde hinwegsehen kann. Sie ist das FunktionsÅquivalent fÛr die Notwendigkeit einer objektiven Zurechtbringung.109

107 108 109

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 236–240. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 160 f. 182–185. Hier ist es so, daß frÛhe Šußerungen GÛnthers noch nÅher an der traditionellen Argu-

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GÛnther kann nun systematisch den qualitativen Unterschied zwischen der SÛnde des ersten Menschen und der SÛnde der Folgeglieder des menschlichen Organismus anfÛgen: Bei Adam ist die Schuld Freiheitsfrevel, weil das Selbstbewußtsein erst durch die Freiheitsprobe zu seinem Abschluß kommen sollte. Bei den Folgegliedern ist es MajestÅtsverbrechen, weil das volle Gottes- und Selbstbewußtsein vorausgesetzt sei.110

2.3.1.5 Die Vers×hnung und ihre anthropologische Funktion ZerfÅllt die SÛndenlehre in die Aspekte der Begriffe der Schuld und der Strafe, so korrespondieren dem in der Zurechtbringungslehre, von GÛnther in Einklang mit der r×m.-kath. Tradition Erl×sungslehre genannt, die Begriffe der Genugtuung, d. h. der eigentlichen Zurechtbringungstat, die dem Sohn zukommt, und der Heiligung, d. h. der Aneignung der Zurechtbringung, die dem Heiligen Geist zukommt.111 Beide zerfallen in die Teilaspekte von opus operatum und opus operantis , „jenes als Setzung und Werk Gottes, dieses als Setzung und Werk des Menschen in einer und derselben IndividualitÅt (das eigentlich G×ttliche und das Menschlich-Freie).“112 Wir bieten hier den Aufbau, wie er in den meisten Schriften GÛnthers Anwendung findet und sich daraus rekonstruieren lÅßt. Es gibt jedoch auch Šußerungen GÛnthers, die sich mit diesem Aufbau nicht so einfach verbinden lassen, so z. B. die – allerdings selten erscheinende – dreifache Unterscheidung des Zurechtbringungswerks in frÛhen Schriften in einen genugtuenden, einen erl×senden und einen vorbildlichen Aspekt.113 Allerdings sind diese Šußerungen auch nicht inkohÅrent mit den folgenden.

2.3.1.5.1 Der Grund der Zurechtbringung als opus operatum In der Lehre von der Zurechtbringung als Genugtuung geht es um die Aufhebung der menschlichen Schuld. Im Teilaspekt des opus operatum geht es um das, was dazu von Seiten Gottes getan wird. Dies korrespondiert der Lehre von der Person Christi. Christus ist der vers×hnende Mittelpunkt der Menschheit, der Vers×hner sittlicher GegensÅtze und der Wiederhersteller des korrekten Gottesver-

mentationsfigur der Satisfaktionstheorie stehen, wenn betont wird, daß auch eine vollstÅndige ErfÛllung des Gesetzes durch einen Menschen keine kompensatorische Genugtuung bringen kann, da alles Menschenm×gliche auch das geforderte ist und daher auch nicht das sein kann, was nach der Anselmschen Theorie die Zurechtbringung erst erm×glicht, nÅmlich das Supererogatorische. Vgl. GÛnther, Rez. zu L. A. KÅhler, Teil 2, 20–24. 110 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 146. 111 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 132 f. 372 f. 112 GÛnther, Janusk×pfe, 384. Vgl. GÛnther, Lydia 2, XIIf; GÛnther, Resonanzen, 270 f; GÛnther, Symboliker, 150 f. 113 Vgl. GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 2, 20–24.

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hÅltnisses. Als solcher tritt er nach Gesetzen114 als Resultat des dynamischen Lebensverkehrs Gottes mit der Menschheit in die Weltgeschichte ein, nachdem die beiden vorbereitenden Offenbarungen in Heidentum und Judentum voll ausgebildet waren.115 Um dies leisten zu k×nnen, sind zwei Aspekte in der Person Christi zu unterscheiden, die Reformulierungen der klassischen Zwei-Naturen-Lehre sind: Einerseits mußte das UrverhÅltnis in der Person Christi faktisch wiederhergestellt werden. Insofern ist er zweiter Adam und wie der erste unmittelbare Position Gottes.116 Er ist damit eine Sch×pfung des dreieinigen Gottes ad extra, die Realisierung ist Werk des Logos als zweiter Person der TrinitÅt. Andererseits geschieht dies nicht fÛr ihn selbst, sondern um der Menschen willen, daher muß er auch an der Natur und dem Geist der Menschheit als Organismus teilhaben um zu deren ReprÅsentanten werden zu k×nnen, d. h., um ein Erbverdienst fÛr alle Teile des Organismus bewirken zu k×nnen.117 Damit beides m×glich ist, ist eine hypostatische Union von Gottheit und Menschheit n×tig, die in einer Durchdringung des g×ttlichen Bewußtseins im Logos und des menschlichen Selbstbewußtseins des Menschen Jesus besteht. Diese hypostatische Durchdringung geschieht, Åhnlich Dorner,118 sukzessive und ist erst mit der Himmelfahrt vollendet.119 Denn dies konnte erst vollstÅndig nach der Erreichung des Ziels des Werkes Christi, Weg fÛr seine menschlichen BrÛder zu sein, geschehen.120 In dieser hypostatischen Vereinigung wird nun nicht der Geist des Menschen durch den Logos ersetzt, weil es sich im Werk der Person sonst nicht um eine wiederholte menschliche Freiheitsprobe handeln wÛrde.121 Dies ist nach GÛnther m×glich, weil sich ein Bewußtsein aus mehreren zusammensetzen kann. Dies ist schon bei jedem Menschen der Fall, denn in der communicatio idiomatum von Geist und Natur ist die Natur zwar ohne Selbstbewußtsein, nicht aber ohne Bewußtsein, d. h. der menschlichen Psyche.122 Nun ist es so, daß dem Inhalt nach das Selbstbewußtsein des Menschensohns nicht das des Logos

114 Gesetze werden definiert als Exponenten des dynamischen Lebens und bilden sich dort, wo VerhÅltnisse sich gestalten. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 236; GÛnther, Rez. zu J. Widmer, 122; GÛnther, Symboliker, 152. 115 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 254; GÛnther, Gastmahl, 397 f. 116 Vgl. GÛnther, Symboliker, 217 f; GÛnther, Lydia 4, 466–468; GÛnther, Rez. zu J.J. Wagner, 147–152. 117 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 254. 289; GÛnther, Rez. zu J.J. Wagner, 155; GÛnther, Gastmahl, 359 f. 118 Vgl. zu Dorners Christologie Axt-Piscalar, Grund des Glaubens, 231–246. 119 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 255 f; GÛnther, Rez. zu J. Rust, 271 f. 120 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 258. 121 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 291. 122 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 292.

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ist, aber in jedem Moment mit diesem unzertrennlich verbunden ist.123 Dies ist m×glich, weil das Selbstbewußtsein Moment der Form, nicht der Substanz ist.124 In einer absoluten Person ist es primitiv und unmittelbar, in jeder kreatÛrlichen Person nachfolgend und mittelbar. Die Vereinigung einer absoluten mit einer kreatÛrlichen Person ist damit immer eine pers×nliche Vereinigung, aber die kreatÛrliche muß nicht an dem Selbstbewußtsein der absoluten partizipieren,125 wohl aber umgekehrt. Die Bedingung der M×glichkeit der Vereinigung ist damit der gemeinsame Nenner des Selbstbewußtseins. Aufgrund der Asymmetrie zwischen absolutem und kreatÛrlichem Selbstbewußtsein kann die Vereinigung selbst aber nur Werk des absoluten Selbstbewußtseins sein.126 Dabei bleibt der Logos trotz seiner Immanenz gleichzeitig transzendent, da er den Himmel nie verlassen mußte um eine pers×nliche Einigung einzugehen.127 Eine so aus mehreren Pers×nlichkeiten hierarchisch zusammengesetzte Pers×nlichkeit wird in der Gegenwart auch von Thomas V. Morris angenommen, der das VerhÅltnis von menschlichem Bewußtsein und g×ttlichem Bewußtsein in Christus mit dem VerhÅltnis von Betriebssystem und Anwendungsprogramm erklÅrt. Das Betriebssystem eines Computers muß mit den Spezifika des Anwendungsprogramms vertraut sein, um dieses ausfÛhren zu k×nnen, nicht aber umgekehrt.128 Christus wird bei GÛnther und Morris gewissermaßen zur hierarchisch gestaffelten, multiplen Pers×nlichkeit. Der Grund fÛr diese Denkfigur ist in beiden FÅllen der gleiche: Der Logos muß sich seiner g×ttlichen Eigenschaften wie Allmacht, Allwissen, UnverÅnderlichkeit etc. nicht entÅußern, so daß es sich um nicht-kenotische AnsÅtze handelt, andererseits kann das menschliche Selbstbewußtsein seinen BeschrÅnkungen und einer Entwicklung unterworfen sein, bis es in der Himmelfahrt durch die vollstÅndige communicatio idiomatum verklÅrt wird. Gleichzeitig versuchen diese Modelle, die typischen SchwÅchen einer Trennungschristologie, nÅmlich den Zerfall der Pers×nlichkeit Christi in zwei Personen zu vermeiden. FÛr GÛnther ist aber zentral, daß das menschliche Selbstbewußtsein erhalten bleibt, weil ansonsten das Werk Christi als opus operantis nicht zu leisten ist.

2.3.1.5.2 Der Grund der Zurechtbringung als opus operantis Christus ist von Seiten Gottes damit als opus operatum zweiter Urmensch, der auch die Aufgabe des ersten Urmenschen hat, nÅmlich das korrekte GottesverhÅltnis, wie es in ihm selbst als opus operatum ersichtlich ist, zum frei gewÅhlten VerhÅltnis und damit zum sittlichen Verdienst zu steigern.129 123 124 125 126 127 128 129

Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 295. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 297. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 296. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 297. Vgl. GÛnther, Lydia 1, 258–260. Vgl. Morris, Logic of God Incarnate, 153–162. Vgl. GÛnther, Symboliker, 126; GÛnther, Lydia 1, 315 f.

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Dies ist der Beruf Christi als Wiederhersteller der Menschheit. Die ErfÛllung dieses Berufs geschieht in der bestandenen Freiheitsprobe im Zurechtbringungshandeln: Das „ist die Aufgabe des Katholizismus in unserer Zeit, die Idee der Willensfreiheit [. . .] auch fÛr den Menschensohn als kooperierenden Faktor in der Welterl×sung zu retten und allseitig geltend zu machen.“130 Will man aus Leben und Geschick Jesu eine paradigmatische Narration herausgreifen, wird dies in erster Linie die Versuchungsgeschichte, nicht die Passionsgeschichte sein.131 Die Freiheitsprobe besteht dabei in der freien, also aktiven ºbernahme der SÛndenfolgen, bzw. Strafen.132 Damit kann auch GÛnther den Tod Jesu nur von seinem Leben her und nicht als Ausnahme von diesem deuten,133 umgekehrt darf aber auch die Wirksamkeit von Jesu Tod nicht in seinem Leben aufgehen.134 Das ganze Menschenleben Christi war Stellvertretung, ReprÅsentation, um seine Gottesnatur an Stelle unserer sÛndhaften Natur zu bringen.135 Dennoch gibt es im Tod einen wichtigen Aspekt, der den Gedanken der Freiheitsprobe Ûbersteigt. Denn in der Freiheitsprobe leistet gerade die menschliche Freiheit das Verdienst. Der Tod ist nur einerseits Vollendung dieses Aspekts. Andererseits geschieht hier aber gerade ein umgekehrtes VerhÅltnis, denn in seinem als BÛßen beschriebenen Leiden zahlt nicht der Mensch an Gott, sondern Gott zahlt aus seinem Schatze zum Ausgleich des menschlichen Defizits mit Hilfe einer realen Mitteilung, so daß der zweite ReprÅsentant zum Kanal eines realen g×ttlichen Krafteinflusses wird.136 Dies geschieht, indem Christus als heiliger Mensch freiwillig seinen Leib des Todes und der SÛnde als ein Opfer Gott hingibt, nicht formaliter, um ein g×ttliches Recht zu befriedigen, sondern dieses Opfer wird als Mittel eines uns zugute kommenden Zieles beschrieben. Der Tod wird dabei prÅzise als UmgebÅrung beschrieben. Im Tode, und zwar in Christi Tod als Mittel wie auch in unserem Tod als Zweck, wird durch den Geist Gottes und durch den heiligen Willen des Menschen in Verbindung mit jenem diese UmgebÅrung vorgenommen, die die Aufhebung des falschen VerhÅltnisses zwischen Fleisch (bzw. Natur) und Geist bedeutet, so daß die Person nicht mehr aufgrund der Herrschaft der Natur Ûber sie verwest, sondern bestehen bleibt.137 130 GÛnther, Symboliker, 132; Vgl. GÛnther, Rez. zu J. Salat, 186 f. In der Folge gilt dies natÛrlich auch fÛr den sich das Zurechtbringungswerk aneignenden Menschen. GÛnther sieht den Katholizismus als Mittelweg zwischen der „protestantisch-calvinistischen“ Gnadendetermination und der absoluten Freiheit des Pelagianismus. Vgl. GÛnther, Symboliker, 20. 131 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 255. 132 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 344 f. 133 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 311. 134 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 312. 135 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 311. 136 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 311. 137 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 312 f; GÛnther, Rez. zu J. Widmer, 149.

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Diese Deutung des Todes Jesu als UmgebÅrung Ûberrascht doch in einer Hinsicht: zwar wird damit dem Zurechtbringungswerk als Freiheitsprobe ein zusÅtzliches Element hinzugefÛgt, aber es handelt sich doch nicht um eine Deutung einfach des Todes Jesu, sondern von Tod und Auferstehung Jesu, was GÛnther aber kaum erwÅhnt. Interessant ist freilich, daß sich hier mit dem Element der Freiheitsprobe und dem Element der UmgebÅrung zwei unterschiedliche Traditionen mischen. Denn das Element der Freiheitsprobe stammt aus der Tradition der westlichen Zurechtbringungslehren, in der protestantischen Tradition „Vers×hnungslehren“ genannt, wÅhrend das Element der UmgebÅrung aus der eher ×stlichen Tradition der altkirchlichen Erl×sungslehren stammt. FÛr einen r×m.-kath. Theologen Ûberrascht dies freilich insofern nicht, weil der entsprechende locus dort „Erl×sungslehre“ heißt und damit nicht eine so strikte Distinktion zwischen Vers×hnung und Erl×sung aufgemacht wird, wie dies in protestantischer Tradition z. T. geschieht.138 Dies ist interessant, weil sich Vers×hnung und Erl×sung hier nicht als einander ausschließend darstellen, eher im Gegenteil, als einander ergÅnzend im Zurechtbringungswerk, wenn auch auf verschiedene Aspekte bezogen. Dies Element tauchte bei beiden besprochenen lutherischen Theologien, der Ritschls und der KÅhlers, nicht auf.

Damit dreht GÛnther fast die Richtung des Opfers als Hingabe nicht des Menschen an Gott, sondern Gottes an den Menschen um und konsequenterweise auch die Motivation. Es ist nicht so, daß der Opfertod Christi auf irgendeiner Eigenschaft im Wesen Gottes grÛndet, die fÛr uns unergrÛndlich bleibt, wie etwa auf der des Zornes Gottes, denn Gott ist Liebe. Vielmehr grÛndet sie auf einer Eigenschaft der menschlichen Natur und diese ist es, die wir hier und jetzt nie v×llig begreifen. Damit werden in gewissem Sinne die Eigenschaft des Zornes Gottes und der Strafgedanke abgelehnt. Die Rede vom Zorn Gottes hat vielmehr nur Sinn als konsekutive oder reaktive Modifikation der Liebe Gottes. Insofern handelt es sich um eine passio , die aber keine EinschrÅnkung von Gottes absolutem Tun ist, weil Gott den Mißbrauch menschlicher Freiheit vorhersah und die menschliche Freiheit doch ins Dasein rief.139 Das Opfer Christi ist damit eine wirkliche Vertretung, aber nicht coram foro judici cujusdam divini , sondern in mediationem salutis nostrae , d. h. nicht um Gottes willen, sondern der Creatur wegen.140 Zusammenfassend lÅßt sich damit sagen, daß Christus opus operatum und opus operantis ist, Leben in Wahrheit durch Gott und durch sich selbst.141 Die Folgen dieser Zurechtbringung sind ein Ausgleich der fehlgeschlagenen Freiheitsprobe des ersten ReprÅsentanten der Gattung in der erfolgreichen Freiheitsprobe des zweiten. Damit ist die Schuld aufgehoben, so wie sich mathematisch minus und plus aufheben, und Christi Verdienst vererbt sich als Erbverdienst auf alle Teile des Organismus, unabhÅngig von deren 138 139 140 141

Vgl. exemplarisch HÅrle, Dogmatik, 322, Anmerkung 18. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 315. GÛnther, Vorschule 2, 316. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 256.

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spatiotemporaler Lokation nach allen Dimensionen von Raum und Zeit, genauso wie die Erbschuld. Allen Gliedern des Organismus kommt somit Erbschuld wie auch Erbverdienst zu, und die Menschheit als ganze steht ohne Widerspruch vor Gott da.142 2.3.1.5.3 Die Aneignung der Zurechtbringung als opus operatum Das Zurechtbringungswerk des zweiten ReprÅsentanten bewirkt also, daß sowohl dieser wie der Gesamtorganismus ohne Schuld vor Gott stehen. Die Frage bleibt aber, wie dieses Zurechtbringungswerk von den einzelnen Gliedern des Organismus angeeignet werden kann. Dies geht nur, wenn die Zurechtbringung nicht nur eine Vorbildung ist, sondern eine wesentliche Mitteilung oder Einpflanzung des Heiligen Geistes bedeutet.143 Die Vollendung der Erl×sung ist damit erst in der Ausgießung des Heiligen Geistes, in dessen Inkarnation, erreicht.144 Dieses Element ist das Werk der Heiligung, die nicht der Schuld, sondern der Strafe der SÛnde als deren Aufhebung korreliert ist.145 Auf diese Weise sind der Geist des Menschen und der Geist Gottes, das Schlußmoment im Selbstbewußtsein Gottes, wieder miteinander verbunden. Dies ist das opus operatum als g×ttliche Tat im partikularen Menschen, das das opus operantis der mitzuwirkenden Kreatur induziert.146 Infolgedessen werden die Folgen des ersten und des zweiten ReprÅsentanten bei jedem Menschen sichtbar; die des ersten durch Weitergabe in der natÛrlichen Geburt, die des zweiten durch die ÛbernatÛrliche Geburt in Sakrament und Taufe, in der eine wesentliche, aber keine hypostatische Einigung von Heiligem Geist und partikularem Menschen stattfindet.147 Da Christus nÅmlich in seinem Zurechtbringungswerk den Heiligen Geist erwirkt hat, konnte er auch den Modus und die Bedingungen der Sendung bestimmen.148 Dies sind: die Bindung des Heiligen Geistes an die Verwaltung der Sakramente, besonders die Taufe, die VerkÛndigung des Evangeliums und die Gesetzgebung und Rechtspflege als Leitung der Gemeinde.149 Mit diesen Bestimmungen ist zugleich die Kirche konstituiert. Das VerhÅltnis von Gottesgeist zur Kirche wird damit als dem von Menschengeist und Menschenleib (Natur) analog angesehen.150

142 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 164. 257. 334. 340. 343–345; GÛnther, Lydia 1, 121–128; GÛnther, Symboliker, 59. 143 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 311. 144 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 362. 370. 145 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 362 f. 372 f. 146 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 370. 147 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 344 f. 383. 148 Vgl. GÛnther, Gastmahl, 395. 149 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 373. 377. 150 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 385.

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2.3.1.5.4 Die Aneignung der Zurechtbringung als opus operantis Das opus operantis in der Aneignung der Vers×hnung besteht nun darin, daß der Mensch zur Erl×sung seine Freiheit betÅtigen muß. Denn genau so, wie Erbschuld und pers×nliche Schuld nicht identisch sind, sind auch Erbverdienst und pers×nliches Verdienst nicht identisch. Und ebenso wie durch eine freie TÅtigkeit des kreatÛrlichen Geistes der einzelne Mensch die Erbschuld zur pers×nlichen Schuld macht, kann der Mensch nun das Erbverdienst durch Nachahmung zum pers×nlichen Verdienst steigern. Der Mensch wird damit kraft der Verbindung von kreatÛrlichem Geist und Geist Gottes als opus operatum zu dem fÅhig, wozu Christus kraft des Logos als opus operatum fÅhig war, und von ihm wird als opus operantis ebenso der Verdienst in sukzessiver Form gefordert.151 Der Grund fÛr die freie, instandgesetzte Verdienstlichkeit des Menschen ist die Liebe Gottes.152 Erbverdienst und ErbsÛnde bestehen dabei nur zusammen. Betrachtet man die Wirkung des Zurechtbringungswerks soweit, kann man sagen, daß jedes Glied der Menschheit durch das Zusammenwirken von erstem und zweitem ReprÅsentanten sowie durch den Heiligen Geist eigentlich ethisch neutral dasteht und frei zum Guten wie zum Schlechten ist. Die sittliche Aufgabe des Menschen, d. h. die welthaften Relationen des Menschen, werden so zum Gottesdienst, d. h. zum Mittel der Vers×hnung in der MenschGott-Relation.153 In der Folge scheint das Zurechtbringungswerk damit keinen großen Unterschied zu einer typisch aufklÅrerischen Position auszumachen. Der Unterschied besteht nur darin, daß die BefÅhigung zu dieser ethischen NeutralitÅt abhÅngig ist von der Bedingung der Gabe des Heiligen Geistes, wie sie der zweite ReprÅsentant festgelegt hat. Und diese Bedingungen machen den kirchlich-sakramentalen Charakter der Zurechtbringung aus.154 Hier entsteht nun die wichtige Frage, was seit der Inkarnation des Geistes im Leben der Kirche Produkt des Handelns des Heiligen Geistes ist und was Produkt der Kirche und des menschlichen Geistes ist.155 An dieser Stelle fÛhrt GÛnther den Begriff des Priesteramts ein: In der Priesterweihe wird zwar nicht das GrundverhÅltnis zwischen menschlichem Geist und Heiligem Geist als opus operatum , wie es in der Taufe gegeben war, geÅndert, aber gesteigert, so daß zusÅtzliche Macht und zusÅtz-

151 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 345; GÛnther, Lydia 1, 121–128; Vgl. GÛnther, SÛd- und Nordlichter, 174. 194 f. 275; GÛnther, Rez. zu J. Salat, 186; GÛnther, Symboliker, 107–112. 152 GÛnther, Rez. zu L.A. KÅhler, Teil 2, 68: „Gott will die freien Geister nicht zwingen, weil er nicht kann, und er kann nicht, weil er nicht will. Denn er als ewige Liebe will nur Liebe, um in Liebe selig zu machen, und erzwungene Liebe ist keine.“ 153 Vgl. GÛnther, Symboliker, 150. 154 Vgl. GÛnther, Symboliker, 212 f. 218. 155 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 389.

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liche Kraft verliehen werden.156 Damit ist das Priestertum der reale Reflex des menschlichen Elements im Erl×sungswerk und daher ist es vererblich, freilich ohne Geschlechtsvermittlung, sondern durch den in Sukzession konstituierten Stand.157 Das Amt in seiner Funktion als Apostolat, d. h. in seiner VerkÛndigungsfunktion ist in der unvollkommenen Gemeinde Gesetz fÛr dieselbe, in dem vollkommenen Produkt ihres Handelns.158 Als Fazit der GÛnther’schen Zurechtbringungslehre lÅßt sich zusammenfassend sagen: Christi „Erl×sungswerk aber als Anstalt ist keine Zwangsanstalt; sie ist Anstalt fÛr die abgefallene Freiheit zur Wiederherstellung derselben, und deshalb selbst im Kampfe mit der Freiheit begriffen. Der Kampf aber muss zur Entscheidung, diese zur Scheidung und Ausscheidung fÛhren.“159 Folglich gilt: Christus „selbst ist in Person Weltrichter“160.

2.3.2 Die Zurechtbringungslehre Matthias Joseph Scheebens WÅhrend GÛnther deutlicher im Idealismus denn im r×mischen Katholizismus beheimatet ist, kommen wir mit Scheeben nun zu einem Denker, der oft dem Neuthomismus zugeordnet wird. Darin erweist sich Scheeben allerdings als außerordentlich fruchtbarer und kreativer Geist. Matthias Josef Scheeben, geb. 1.3.1835 in Meckenheim bei Bonn, gest. 21.7.1888 in K×ln, seit 1852 Studium der r×m.-kath. Theologie an der Gregoriana in Rom, vor allem unter Carlo Passaglia, Clemens Schrader und Johann Baptist Franzelin als Vertretern der r×mischen Schule, z. T. auch Joseph Kleutgen, Promotion zum Doktor der Theologie und Philosophie 1859, lehrte seit 1860 Dogmatik am K×lner Priesterseminar. Scheeben schloß sich den Entscheidungen des 1. Vatikanums an und wurde zum vielleicht wichtigsten, wohl aber kreativsten Vertreter der Neuscholastik, sofern man diesen Begriff weit faßt. Inhaltlich bezieht sich Scheeben oft nicht nur auf Thomas von Aquin und die Barockscholastik, u. a. auf Francisco Su€rez S.J. (gest. 1617) und in besonderer Weise auf Juan Eusebio Nieremberg S.J (gest. 1658)161, sondern vor allem auf die Alte Kirche und hier besonders auf Kyrill von Alexandrien. Aus seiner Gegenwart bezieht er sich positiv auf die TÛbinger Schule, die Mainzer Schule

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Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 383. Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 380 f. 158 Vgl. GÛnther, Vorschule 2, 386. 159 GÛnther, Vorschule 2, 397. 160 GÛnther, Vorschule 2, 397. 161 Vgl. z. B. das Lob Niermbergs und das umfangreiche Referat dessen Werk, „ºber den unschÅtzbaren Wert der g×ttlichen Gnade, die uns der Sohn Gottes mit seinem kostbaren Blute erkauft hat“ in Scheeben, Moral, 36–39. 157

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und z. T. auch die WÛrzburger Schule.162 Auch EinflÛsse der franz×sischen Theologie und der Mystik lassen sich nachweisen.163 Aus der idealistischen und romantischen Tradition Deutschlands des 19. Jh. Ûbernimmt Scheeben den organologischen Gedanken, ohne freilich detailliertere Kenntnisse aufzuweisen.164 Dieser Zug der Theologie Scheebens k×nnte aus seiner Auseinandersetzung mit seinen Gegnern entstanden sein. Im Rahmen der Diskussion um das 1. Vatikanum handelt es sich dabei vor allem um D×llinger, theologisch stellt in vielerlei Hinsicht die Theologie Anton GÛnthers ein wichtiger, negativer Bezugspunkt dar.165 Unter seinen zahlreichen Schriften, die zum Teil auch aus Finanznot entstanden sind,166 ragen vor allem drei Werke heraus: Seine frÛhe theologische Programmschrift „Natur und Gnade“ von 1860/1,167 „Die Mysterien des Christentums“168 sowie das drei- bzw. vierbÅndige „Handbuch der Katholischen Dogmatik“, das Scheeben selbst 1874–1882 nicht vollenden konnte und 1898 durch Leonhard Atzberger abgeschlossen wurde.169 Unter diesen drei Werken kommt wiederum den „Mysterien“ eine besonders herausragende Stellung zu, sowohl fÛr Scheebens Theologie im allgemeinen, als auch fÛr den Fokus der soteriologischen Zurechtbringung im Besonderen. Die „Mysterien“ entstanden in der ersten Auflage 1865 und k×nnen als materiale Entfaltung des in „Natur und Gnade“ gegebenen Programms gelten. Scheeben selbst hat unmittelbar vor seinem Tod im Jahre 1887 eine umgearbeitete zweite Auflage angefertigt, die in der von Scheeben vorgesehenen Form erst im Rahmen der „Gesammelten Schriften“ 1941 erschien. Die zweite Auflage der Mysterien kann insofern als theologisches Testament Scheebens gelten und bringt seine reife Theologie zum Ausdruck.170 Unsere folgende Rekonstruktion der soteriologischen Zurechtbringungslehre Scheebens legt daher primÅr die Mysterien zu Grunde und greift ergÅnzend zu anderen Schriften Scheebens, vor allem zu den entsprechenden Abschnitten der „Dogmatik“. Die Theologie Scheebens als ganze hat sich einer wechselnden Rezeptionsgeschichte erfreut. Eine Schule im eigentlichen Sinne hat Scheeben nicht hervorgebracht. Nach seinem Tod vollzog sich die Rezeption vor allem unter dem Gesichtspunkt der kreativen Aneignung in neuscholastischer Tradition. WÅhrend der Scheeben-Renaissance im zweiten Drittel des 20. Jh. entstand eine kritische Ausgabe

162 Zum ºberblick Ûber die theol. r×m.-kath. Landschaft Deutschlands zur Zeit Scheebens vgl. MÛller, W.W., Gnade Christi, 37–73. 163 Vgl. MÛller, W.W., Gnade Christi, 91–95. 164 Vgl. MÛller, W.W., Gnade Christi, 77. Freilich ist die Zeit des Idealismus schon vorÛber – Scheeben ist Zeitgenosse Ritschls. Zum VerhÅltnis Scheebens zur Romantik vgl. Paul, Denkweg, 308–315. 165 Scheeben kannte dabei GÛnther hauptsÅchlich durch die Brille der Polemik Kleutgens, vgl. Paul, Denkweg, 319. 166 Vgl. MÛller, W.W., Scheeben, 206. 167 Scheeben, Natur und Gnade. 168 Scheeben, Mysterien. 169 Scheeben, Dogmatik. 170 Zur Bedeutung aber auch Schwierigkeit der wissenschaftlichen Edition der zweiten Auflage letzter Hand der „Mysterien“ durch J. H×fer vgl. E. Paul, Denkweg, 5–7.

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seiner Schriften171 und zu dieser Zeit erschienen Untersuchungen zu seinem gesamten Ansatz oder zu einzelnen Aspekten seiner Theologie, wÅhrend im letzten Drittel mit der patristischen Wende der r×m.-kath. Theologie die Rezeption wieder abnimmt, aber bis in die Gegenwart nicht abbricht. Dieser Sachverhalt lÅßt sich wahrscheinlich auf den patristischen Einfluß innerhalb der Theologie Scheebens selbst zurÛckfÛhren. WÅhrend der Einfluß Scheebens auf die deutsche katholische Theologie der ersten HÅlfte des 20. Jh., z. B. in den Theologien von Grabmann und Schmaus deutlich ist, wies W.W. MÛller darauf hin, daß die EmpfÅnglichkeit der Natur fÛr die ºbernatur ein Gedanke ist, der auf Scheeben zurÛckgeht, so daß auch Rahners Lehre vom „ÛbernatÛrlichen Existential“ in der Tradition Scheebens steht, genauso wie H.U. von Balthasar im Entwurf seiner Šsthetik den Lebensbegriff Scheebens aufnimmt.172 Im Gegensatz zu anderen Themen oder der Gesamtkonzeption Scheebens ist dessen Zurechtbringungslehre und die soteriologische Deutung des Todes Jesu leider so gut wie gar nicht untersucht.173

2.3.2.1 Die Grunddistinktion Scheebens von Natur und ºbernatur, bzw. Vernunft und Geheimnis Entscheidend fÛr Scheebens Theologie in allen Bereichen ist eine Grunddistinktion, die – in thomistischer Tradition stehend, aber eigenstÅndig entwickelt – im wesentlichen in einer epistemologischen, sprachtheoretischen und einer ontologischen Variante erscheint: Die Unterscheidung von Natur und Gnade. In epistemologischer und sprachtheoretischer Hinsicht erscheint diese Unterscheidung als die Distinktion von Vernunft und Mysterium. Mysterium oder Geheimnis bezieht sich dabei auf einen Sachverhalt, von dem es erstens nicht m×glich ist, daß er durch die geschaffene Vernunft allein erkannt werden k×nnte, sondern der notwendig nur durch g×ttliche Offenbarung erkannt werden kann und der zweitens, wenn er erkannt ist, notwendigerweise auf analoge Rede angewiesen bleibt.174 Damit ist formal klar: Geheimnis und Vernunft stehen nicht in kontradiktorischem Gegensatz,

Scheeben, Schriften. Vgl., MÛller, W.W., Scheeben, 217. 173 Auch hier findet sich außer dem letztlich nur zusammenfassenden Kapitel in Heuser, Erl×sungslehre, 141–150 wenig. Selbst die sch×ne Untersuchung Paul, Denkweg, kennt ein Kapitel Ûber die Lehre vom Werk Christi. Einen schnellen LiteraturÛberblick gibt Lachner, Art. Scheeben. 174 Vgl. Scheeben, Mysterien, 9: „Zwei Elemente sind nach dem Gesagten wesentlich bei demselben: erstens, daß die Wirklichkeit der vorgelegten Wahrheit durch keine natÛrlichen Erkenntnismittel erreichbar ist, außerhalb der Tragweite der geschaffenen Vernunft liegt; zweitens, daß der Inhalt dessselben nur durch analoge Begriffe erfaßt werden kann.“; ebd., 11: „Das christliche Mysterium ist eine durch die christliche Offenbarung uns kundgewordene Wahrheit, die wir mit der bloßen Vernunft nicht erreichen und, nachdem sie durch den Glauben erreicht, mit den Begriffen unserer Vernunft nicht ausmessen k×nnen.“ Vgl. Scheeben, Natur und Gnade, 181. 171 172

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ein Geheimnis ist weder das, was nicht erkannt oder begriffen werden kann, noch das, was nicht-vernÛnftig ist. Entscheidend ist aber, daß mit dem zweiten von Scheeben genannten Kriterium fÛr den Geheimnischarakter nicht nur die Erkenntnis in zwei fundamentale Bereiche eingeteilt wird, sondern eben auch die Sprache: in w×rtliche und analoge Rede. Ob etwas ein Geheimnis ist oder nicht, hÅngt insgesamt von einer dreistelligen Relation zwischen uns, dem geheimnisvollen oder eben nicht geheimnisvollen Sachverhalt und Gott ab. Damit ist aber die epistemologische Unterscheidung von den Sachverhalten selbst abhÅngig und beruht auf einer ontologischen Unterscheidung. Bevor wir uns der ontologischen Unterscheidung zuwenden, sollen noch einige Beispiele genannt werden. Material nennt Scheeben als nicht geheimnisvolle Sachverhalte der christlichen Lehre z. B. die Lehre von der Existenz und den Eigenschaften Gottes, denn diese k×nnen – gemÅß Thomas und Vatikanum I – durch die Vernunft erkannt werden. Damit erfÛllen sie nicht das erste Kriterium.175 Aber auch die Lehre von den Institutionen der sichtbaren Kirche ist strenggenommen kein Geheimnis. Diese ist zwar nur durch Offenbarung einsehbar, aber den ×ffentlichen Institutionen so Åhnlich, daß es keiner analogen Rede bedarf.176

In ontologischer Hinsicht erscheint diese Unterscheidung als die Distinktion von Natur und ºbernatur, bzw. als die Distinktion von Natur und Gnade. Die allgemeine und grundlegende Bedeutung von Natur ist die der Klasse: Natur bezeichnet alle Sachverhalte, die das gemeinsame Gattungsbestimmende der Individuen einer Klasse ausmachen, also alles, was durch genus proximum und differentia specifica bestimmt wird und insofern mit dem koinzidiert, was notwendigerweise von den individuellen Sachverhalten einer Klasse ausgesagt werden muß.177 Dazu geh×ren auch alle FÅhigkeiten, die den entsprechenden Individuen aktual und potentiell zukommen, also auch ihre ihnen inhÅrenten Entwicklungsm×glichkeiten und ihre ihnen als Anlage beigegebenen Ziele.178 Das ºbernatÛrliche oder die Gnade ist nun ein relativ zum NatÛrlichen gebildeter Begriff. Der kontravalente Gegensatz zur Natur ist das, was nicht natÛrlich ist. Aber auch das nicht NatÛrliche kann den Individuen einer Natur zukommen, insofern es alles bezeichnet, was den Individuen nicht notwendig, wesenhaft zukommen muß, um zu einer bestimmten Natur zu geh×ren. Dies sind im weiteren Sinne alle zufÅllig zukommenden Eigenschaften und Sachverhalte, aber auch die konkret individuierenden Eigenschaften. Nun geht Scheeben aber davon aus, daß die unterschiedlichen Naturen nicht nur einfach begrifflich, wie in der arbor

175 176 177 178

Vgl. Scheeben, Mysterien, 10. Vgl. Scheeben, Mysterien, 10. Vgl. Scheeben, Natur und Gnade, 17. Vgl. Scheeben, Natur und Gnade, 18.

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porphyriana , geordnet sind, sondern daß es eine ontische Ordnung der Naturen gibt, so daß es jeweils Naturen unter einer bestimmten Natur und Naturen Ûber einer bestimmten Natur gibt. Das ºbernatÛrliche bezeichnet damit alle Sachverhalte aus einer einer bestimmten Natur Ûbergeordneten Natur, die aber den Individuen jener Natur oder jener Natur als ganzer zukommen kann, aber eben weder aus ihrem eigenen Verm×gen noch rein zufÅllig, sondern nur durch Einwirkung und Veranlassung dieser h×heren Natur. Es handelt sich daher um Sachverhalte, die der jeweils niederen Natur nur als Gnade zukommen k×nnen.179 Obwohl es sich um begrifflich streng relative Begriffe handelt, hat Scheeben letztlich zwei bestimmte Naturen im Blick: die geschaffene Natur und deren ºbernatur, die nicht-geschaffene, g×ttliche Natur. Diese ontologische Unterscheidung wirft nun Licht auf die epistemologische: Vernunft ist eben einfach alles, was der geschaffenen Natur an Erkenntnisverm×gen wesenhaft zukommt. Damit ist die epistemologische und sprachtheoretische Unterscheidung in der ontologischen aufgehoben. Die ontologische Unterscheidung ist die umfassendere. In bestimmter Hinsicht spezifiziert, ergibt sich daraus die epistemologische Unterscheidung.180 2.3.2.2 Der trinitarische Gott als Voraussetzung und Zusammenfassung der Zurechtbringung Unter den Voraussetzungen der Zurechtbringungslehre spielt die Gotteslehre als TrinitÅtslehre in der Theologie Scheebens eine eminente Rolle, weswegen sie hier in GrundzÛgen zu rekonstruieren ist. Scheeben versucht ausfÛhrlich nachzuweisen, daß es sich bei der TrinitÅt und ihrer Erkenntnis um ein Mysterium im oben genannten Sinne handelt, daß sie also insbesondere nicht aus Vernunftnotwendigkeit zu erkennen ist. Zu diesem Zwecke fÛhrt er eine ausfÛhrliche Diskussion mit GÛnther, dem eben dies vorgeworfen wird. In dem Moment, wo die TrinitÅt aus VernunftgrÛnden zu erkennen sei, und aus VernunftgrÛnden heißt immer aus den Wirkungen Gottes in der Welt, sei die Welt ein „notwendiger Nachsatz des Unendlichen“181. Damit wirft er GÛnther genau das vor, was dieser zu vermeiden trachtet: pantheisierende Tendenzen. Mit diesem Zugang rein aus Offenbarung, die von Gottes Handeln an der Welt unterschieden gedacht wird, betont Scheeben, daß die trinitarischen Personen nach außen nicht formell durch ihre Wirksamkeit und TÅtigkeit hervortreten.182 Die trinitarischen VerhÅltnisse, gedacht als Produktionen, treten vielmehr nach außen durch

179 180 181 182

Vgl. Scheeben, Natur und Gnade, 18–23. Vgl. auch Scheeben, Mysterien, 11–16; 169. Scheeben, Mysterien, 105 f. Vgl. Scheeben, Mysterien, 111.

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FortfÛhrung, Nachahmung und Reproduktion sowie durch RÛckkehr hervor.183 Dieser Sachverhalt ist fÛr Scheebens gesamte Theologie entscheidend. Was besagt er? Dazu muß zunÅchst kurz die immanente TrinitÅt dargestellt werden. Die Personen werden als Hypostasen bestimmt. Eine Hypostase ist mit der Tradition zunÅchst eine individua substantia , im Sinne einer „unverteilbaren“, nicht einer unteilbaren Substanz184, der in ErgÅnzung zur Tradition aus der neuzeitlichen Debatte um den Personbegriff noch das zusÅtzliche Merkmal des Selbstzwecks185 zukommt. Die innerg×ttlichen Relationen werden als Produktionen aus Liebe bestimmt,186 einschließlich filioque und Unterscheidung zweier Produktionen, der Zeugung des Sohnes und der Hauchung des Geistes.187 Die Einheit der g×ttlichen Natur ist damit nicht kompromittiert, weil die Unterschiede rein hypostatisch sind, so daß sie auf unterschiedliche Weise dieselbe Natur besitzen188 und die Personen einen unteilbaren lebendigen Organismus bilden.189 Mit der Aufnahme des Organismusbegriffs Ûbernimmt Scheeben einen Gedanken, wie er unter Einfluß des deutschen Idealismus in der TrinitÅtslehre, z. B. in der GÛnthers, erscheint (s. o.). WÅhrend der Sohn aus der Liebe des Vaters durch Zeugung hervorgeht, ist der Geist, in augustinisch-bernhardinischer Tradition, das – hier allerdings hypostatisch verstandene – Band der Liebe zwischen Vater und Sohn, bzw. korrekter, deren osculum, Kuß in der Ekstase der Liebe.190 Die immanente TrinitÅt entspricht damit dem klassischen westlichen, augustinischen Typus, der durch ein besonderes BemÛhen um das VerstÅndnis des Geistes leicht modifiziert bzw. korrigiert wird. Besonders in seinen FrÛhschriften kann die TrinitÅt auch mithilfe des romantischen Lebensbegriffs beschrieben werden. So gilt nach Scheeben: „Der dreieine Gott als Ur-Leben meint h×chste Immanenz in ungeschiedener Einheit von Lebensgrund, LebenstÅtigkeit [. . .] und Ziel. [. . .] Die totale Immanenz erm×glicht zugleich die h×chste Transeunz, d. h. jede m×gliche Šußerung in Freiheit“191 Entscheidend ist nun, daß diese so verstandene immanente TrinitÅt Bedingung der M×glichkeit der ×konomischen TrinitÅt und damit letztlich der Gnade, also der ºbernatur, in jeglicher Form ist. Nicht Gott der Sch×pfer

183 184 185 186 187 188 189 190 191

Vgl. Scheeben, Mysterien, 116. Scheeben, Mysterien, 60. Vgl. Scheeben, Mysterien, 62. Vgl. Scheeben, Mysterien, 63–69. Vgl. Scheeben, Mysterien, 71–80. Vgl. Scheeben, Mysterien, 69. Vgl. Scheeben, Mysterien, 122. Vgl. Vgl. Scheeben, Mysterien, 80–90, 137. MÛller, W.W., Scheeben, 211.

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ist Voraussetzung der Adoptivkindschaft, sondern Gott der Vater als Zeuger des Sohnes, so daß die wahrhaft natÛrliche Kindschaft des Sohnes Voraussetzung der Adoptivkindschaft des Menschen ist.192 Damit aber erscheinen die Sendungen der TrinitÅt nach außen als Reproduktionen der innerg×ttlichen Produktionen, als deren VerlÅngerung und Nachahmung. WÅhrend die Reproduktion des Sohnes im Menschen dessen Gottebenbildlichkeit begrÛndet, so stellt die Eingießung des Geistes selbst des Menschen LiebesfÅhigkeit und durch des Geistes osculum -Funktion dessen BefÅhigung zur Gemeinschaft, koinonia, sowohl mit Gott als auch untereinander,193 dar.194 Die Reproduktionen der Hypostasen in der Welt werden als reale und substantielle Gabe an die Seele verstanden, so daß sich Gott in seinem eigenen Wesen der Welt als Genuß gibt.195 Diese ×konomische TrinitÅt wÅre unvollstÅndig, wenn ein wesentlicher Gedanke unerwÅhnt bliebe. Die AusgÅnge oder Sendungen, die sich in den Reproduktionen der Produktionen konkretisieren, blieben unvollstÅndig, wenn nicht erwÅhnt wÛrde, daß dem Gedanken des Ausgangs logisch der Gedanke des Ziels und der RÛckkehr der gesandten Hypostasen entsprechen wÛrde. In dieser rÛcklÅufigen Bewegung werden die Menschen mit zum Vater hinaufgefÛhrt.196 Die so verstandene VerschrÅnkung von immanenter und ×konomischer TrinitÅt klingt soweit zwar nicht besonders spektakulÅr oder originell, auch steht sie trotz ihrer Polemik gegen GÛnther bzgl. der Erkenntnisbedingungen der TrinitÅt material diesem durchaus nicht fern, aber es wird zu sehen sein, daß hier tatsÅchlich GÛnthers Zurechtbringungslehre in nuce enthalten ist, diese aber in wesentlichen Punkten Ûberboten wird. 2.3.2.3 Der Mensch 2.3.2.3.1 Die wesenhafte Ausstattung der Natur des Menschen Die menschliche Natur ist wesenhaft hinsichtlich dessen, was ihr notwendig zukommt, dadurch gekennzeichnet, daß sie aus Geist und Materie zusammengesetzt ist. Damit ist sie abgeleitetes, natÛrliches Leben. Aufgrund dieser Zusammensetzung ist die menschliche Natur nicht vollkommen, da sie gemischt ist; sie ist insofern defektibel.197 Aber gerade diese Zusammensetzung ist aus verschiedenen GrÛnden wichtig: So erm×glicht das materielle Element die M×glichkeit der Zeugung, denn 192 193 194

Vgl. Scheeben, Mysterien, 120. Vgl. Scheeben, Mysterien, 146 f. Vgl. Scheeben, 132. Vgl. auch des Geistes Bestimmung als domum hypostaticum in ebd.,

139 ff. 195 196 197

Vgl. Scheeben, Mysterien, 136. Vgl. Scheeben, Mysterien, 152. Vgl. Scheeben, Mysterien, 218.

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ein reiner Geist kann nicht zeugen, und somit den Gedanken der gesamten Menschheit auch in der Zeitlichkeit als eines lebendigen Organismus.198 In diesem sind alle Glieder miteinander verbunden. Ihr natÛrliches Einheitsprinzip ist die Abstammung von Adam als Stammvater.199 In dieser Weitergabe durch Zeugung wird durch Adam jeweils nur der materielle, leibhafte Aspekt der menschlichen Natur fortgepflanzt, wÅhrend der geistige, seelische Aspekt fÛr jedes folgende Relat des Organismus nach der materiellen Weitergabe durch Gott unmittelbar geschaffen wird, so daß sich Scheeben hier Åhnlich wie GÛnther als Kreatianist erweist.200 Ferner ist der Mensch durch seine BipolaritÅt von Materie und Geist der ReprÅsentant der gesamten Sch×pfung, ist Mikrokosmos des Makrokosmos, so daß sich in ihm, nicht etwa in der rein geistigen Welt der Engel, der Weltplan Gottes konzentriert und in ihm die GegensÅtze zusammenfließen.201 WÅhrend auch diese ErklÅrung an GÛnther erinnert, wird die trinitarische Analogie allerdings anders, nicht zum Geist, gezogen: Denn die menschliche Natur nimmt mit ihrer Doppelstellung zwischen Materie und Geist in der geschaffenen Welt eine analoge Stellung zu dem Sohn innerhalb der nichtgeschaffenen Welt der TrinitÅt ein, der insofern eine Mittelstellung einnimmt, als er aus dem Vater hervorgeht und den Hl. Geist aus sich hervorgehen lÅßt.202 Auf natÛrliche Weise entsprechen dem Menschen aber nicht nur relathafte Kennzeichen und relationale im VerhÅltnis zu den Menschen, sondern auch relationale im VerhÅltnis zu Gott: Das natÛrliche GottesverhÅltnis ist dabei das der Knechtschaft.203 Damit dieses VerhÅltnis tatsÅchlich aktual sein kann, ist dem Relat des Menschen mit Sitz in dessen Vernunft in ethischer Hinsicht von Natur aus ein der Knechtschaftsstellung entsprechendes moralisches Gesetz eingeschrieben, das zur Natur des Menschen geh×rt.204 Damit ist der Mensch zwar von Natur aus frei, aber er besitzt doch auf natÛrliche Weise ein Streben nach der Unterwerfung unter Gott.205

198

Vgl. Scheeben, Mysterien, 192. Vgl. Scheeben, Mysterien, 193. Die Nutzung der paulinischen Adam-Christus-Terminologie wird umfassend von Lengsfeld, Adam und Christus, 128–162 untersucht. Allerdings handelt es sich bei Lengsfelds Untersuchung eher um eine wirkungsgeschichtliche Studie des pln. Textes als um eine systematische Untersuchung der Theologie Scheebens. 200 Vgl. Scheeben, Mysterien, 249. 201 Vgl. Scheeben, Mysterien, 296. 299; ders., Dogmatik II, 481. Vgl. auch Lengsfeld, Adam und Christus, 133. 202 Vgl. Scheeben, Mysterien, 300. 203 Vgl. Scheeben, Mysterien, 104 f. 204 Vgl. Scheeben, Mysterien, 207. 205 Vgl. Scheeben, Mysterien, 217. 199

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2.3.2.3.2 Der Mensch als Mittelwesen im status integritatis Im Urstand ist der Mensch durch zweierlei Zugaben gekennzeichnet, die nicht wesentlich fÛr die Natur des Menschen sind und die zusammen die iustitia originalis bilden,206 durch die IntegritÅt, die zur natÛrlichen Ausstattung des Menschen geh×rt, und durch die Heiligkeit, die zur ÛbernatÛrlichen Ausstattung geh×rt.207 Die Heiligkeit verhÅlt sich dabei zur IntegritÅt wie die Form zur Materie oder die Seele zum Leib, ist aber, gemÅß der Definition der ºbernatur, nicht wesentlich fÛr den Menschen.208 Beide werden dem Menschen zugleich verliehen und die IntegritÅt stellt eine Disposition zur Heiligkeit dar, allerdings keine notwendige Disposition, ohne die die Heiligkeit nicht bestehen k×nnte.209 2.3.2.3.3 Der Mensch gemÅß seiner Natur: die IntegritÅt GemÅß seiner Natur besitzt der Mensch die IntegritÅt oder Unversehrtheit, d. h. die Freiheit vom Tod und die bedingte Freiheit von sinnlicher Begierde. Damit unterdrÛckt die IntegritÅt die in der menschlichen Natur aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Geist und Materie enthaltene Unvollkommenheit.210 UrsprÛnglich sollte die IntegritÅt auf natÛrlichem Wege, d. h. durch Zeugung, weitergegeben werden.211 Damit ist Adam Prinzip des ganzen menschlichen Organismus als Ursache und Quelle der Natur und ihrer IntegritÅt.212 Nur aufgrund des Verlustes handelt es sich bei der IntegritÅt erkenntnistheoretisch um ein Mysterium.213 Da die IntegritÅt verloren geht, betrifft auch sie zwar die Natur des Menschen, nicht aber wesentlich. 2.3.2.3.4 Der Mensch gemÅß seiner ÛbernatÛrlichen Bestimmung: die Heiligkeit Schon im status integritatis hatte der Mensch eine ÛbernatÛrliche Ausstattung einschließlich einer ÛbernatÛrlichen Bestimmung, die seine rein kreatÛrliche Bestimmung als Geheimnis Ûbersteigt, indem die Natur Ûber ihre eigene Natur erhoben wird und der Natur Gottes teilhaftig gemacht wird. Dies geschieht, indem die immanenten Produktionen Ûber die Kreatur aus-

Vgl. Scheeben, Mysterien, 240; ders., Dogmatik II, 495 f. Vgl. Scheeben, Mysterien, 180 f. Die Darstellung von Lengsfeld, Adam und Christus, 138 ist zumindest ungenau, da hier sowohl Heiligkeit als auch (fÅlschlich) IntegritÅt der ÛbernatÛrlichen Ausstattung zugeordnet werden. 208 Vgl. Scheeben, Mysterien, 186. 209 Vgl. Scheeben, Mysterien, 190. 192. 210 Vgl. Scheeben, Mysterien, 192, 222; ders., Dogmatik II, 441 f. 211 Vgl. Scheeben, Mysterien, 192. 212 Vgl. Scheeben, Mysterien, 196. 213 Vgl. Scheeben, Mysterien, 180 f; 183. 206 207

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gebreitet werden.214 Diese Teilnahme an der g×ttlichen Natur kann selbst dann, wenn sie der Mensch besitzt von diesem nicht durch die natÛrliche Vernunft erkannt werden.215 Die ºbernatÛrlichkeit der Heiligkeit als Gerechtigkeit impliziert nun zwei Sachverhalte: Einerseits kommt sie dem Menschen nicht natÛrlich zu, kann daher auch nicht auf natÛrliche Weise, d. h. vermittels Zeugung, weitergegeben werden. Andererseits ist sie aber auch kein pers×nliches Verdienst des ersten Menschen, das nicht nicht weitergegeben werden k×nnte.216 Positiv kann vielmehr gesagt werden, daß sie ausschließlich auf dem Handeln Gottes beruht, ohne Mitwirkung des menschlichen Willens und als solche dem Menschen als Mitgift des ersten Menschen zukommt, so daß sie Gnade ist. Kraft g×ttlicher Anordnung sollte sie den Nachkommen nicht auf natÛrlichem, sondern auf juridischem Wege, als Erbschaft in Anschluß an die natÛrliche Weitergabe der IntegritÅt durch Zeugung, weitergegeben werden, so daß die Heiligkeit als iustitia originalis insofern auch als Erbgerechtigkeit betrachtet werden kann.217 Ihre Weitergabe ist ein Fortwehen des Geistes in der Kreatur, das sich der Fortpflanzung der Natur nicht notwendig anschmiegt.218 So ist Adam nicht nur Prinzip des menschlichen Organismus, d. h. der Natur des Menschen, sondern er ist auch Prinzip der Gnade, aber nun nicht als Ursache und Quelle, sondern als erster EmpfÅnger und Ausgangspunkt des Handelns Gottes.219 Fragt man nach dem relationalen VerhÅltnis des Menschen zu Gott kraft seiner ÛbernatÛrlichen Stellung, so ist dies das VerhÅltnis der Kindschaft, freilich genauer das der Adoptivkindschaft.220 Auch hier entspricht dem Relat des Menschen in dieser Beziehung eine bestimmte ethische FÅhigkeit, die diese Beziehung erm×glicht: die Liebe als caritas.221 Mit Hilfe der caritas, die eine Bestimmung des Willens ist, wird der Wille an Gott gefesselt. Die Hemmung der sinnlichen Begierden durch die IntegritÅt wiederum bÛndelt alle KrÅfte der Seele auf den Willen.222

214 215 216 217 218 219 220 221 222

Vgl. Scheeben, Mysterien, 171–173. Vgl. Scheeben, Mysterien, 174. Vgl. Scheeben, Mysterien, 191. Vgl. Scheeben, Mysterien, 191; ders., Dogmatik III, 351. Vgl. Scheeben, Mysterien, 193 f. Vgl. Scheeben, Mysterien, 196. 248. Vgl. Scheeben, Mysterien, 206. 320. Vgl. Scheeben, Mysterien, 207. Vgl. Scheeben, Mysterien, 230.

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2.3.2.4 Die SÛnde 2.3.2.4.1 Allgemein Die SÛnde223 selbst als Verwirrung, Privation des Guten und Wahren, ist Widerspruch gegen die von Gott gesetzte moralische Ordnung und daher widernatÛrlich.224 Dieser Widerspruch im GottesverhÅltnis zerfÅllt in zwei Aspekte, zum einen ist sie Widerspruch im Sinne von Beleidigung und Emp×rung im natÛrlichen KnechtschaftsverhÅltnis der Menschen zu Gott. Zum anderen ist sie dies im gnadenhaften, ÛbernatÛrlichen KindschaftsverhÅltnis zum Vater. Beide Verletzungen sind nicht einfach Verletzungen gegen Gott den Vater, sondern Selbstverletzungen des Menschen, denn im natÛrlich-kreatÛrlichen VerhÅltnis widerspricht das Gesch×pf seinen eigenen ihm natÛrlich innewohnenden Anlagen und Neigungen des sittlich Guten, und im ÛbernatÛrlich-gnadenhaften widerspricht es der ihm durch den hl. Geist eigenen Heiligkeit bzw. filialen caritas.225 In dieser Verletzung des ÛbernatÛrlichen filialen VerhÅltnisses wird die SÛnde auch als Bosheit charakterisiert.226 2.3.2.4.2 Ursprung Die SÛnde hat streng genommen keinen Grund, sondern einen Ungrund, eine causa deficiens.227 Die Natur ist zwar von Natur aus frei, hat aber einen Hang zum Guten und ist demnach defektibel. Damit ist die Abwendung des Gesch×pfes m×glich.228 Andererseits ist der Gnadenzustand schon im Urstand vorhanden, aber noch nicht in Form der eschatologischen Teilhabe an der g×ttlichen Natur.229 Urgrund des Abfalls ist nun, daß sich der Mensch an der ÛbernatÛrlichen Gnade in Stolz „berauscht“ und deren Segnungen, die er nicht aus sich selbst besitzen kann, aus sich selbst besitzen und verfÛgbar haben will, womit er der Versuchung, wie Gott sein zu wollen, erliegt.230 Der Fall der Engel, der dÅmonische Gotteshaß des Teufels, ist Åhnlich zu denken, denn die Engel waren eifersÛchtig darauf, daß der Mensch als Mittelwesen von Natur und Geist dazu bestimmt war, TrÅger 223 Die SÛnde selbst setzt sich aus geheimnisvollen und nichtgeheimnisvollen Elementen zusammen, gemÅß Scheebens gebrauchter Terminologie. Insgesamt hat sie aber geheimnisvollen Charakter, auch wenn sie natÛrliche Sachverhalte mit betrifft. Vgl. zur Argumentation Scheeben, Mysterien, 252–255. 224 Vgl. Scheeben, Mysterien, 203. 225 Vgl. Scheeben, Mysterien, 204–207. 226 Vgl. Scheeben, Mysterien, 207. 227 Vgl. Scheeben, Mysterien, 203. 228 Vgl. Scheeben, Mysterien, 217 f. 229 Vgl. Scheeben, Mysterien, 218. 230 Vgl. Scheeben, Mysterien, 219 f.

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der Inkarnation zu werden, so daß sie nach ihrem eigenen Fall zu verhindern trachteten, daß der Mensch ihren Platz einnehmen k×nne.231 An dieser Stelle zeigt sich die Aufnahme des alten Gedankens, daß der Mensch als Ersatz fÛr die nichtvers×hnbaren Engel geschaffen ist, da es eine perfekte Zahl eschatisch Seliger geben mÛsse.232 2.3.2.4.3 Folgen Die Folgen der SÛnde betreffen die natÛrlich-kreatÛrliche genauso wie die ÛbernatÛrlich-gnadenhafte Ausstattung des Menschen. Hinsichtlich der Natur tritt ein Schaden, aber keine Vernichtung der menschlichen Natur als des Wesens des Menschen ein, denn der Mensch kann nicht seine eigene Natur aufheben. Dies ist m×glich, weil die aus Geist und Materie bestehende menschliche Natur selbst defektibel ist und daher teilweise mit der SÛnde kompatibel ist.233 Dieser Schaden besteht im Verlust der IntegritÅt. Hinsichtlich der ÛbernatÛrlichen Ausstattung wird die Heiligkeit der Seele, die sich in der filialen Liebe eigenen GÛte und in Gerechtigkeit Åußerte, effektiv und vollstÅndig aufgehoben. Daher ist die SÛnde in dieser Hinsicht TodsÛnde oder Selbstmord.234 Der SÛnder fÅllt aber nicht einfach auf das natÛrliche Niveau herab,235 sondern soweit unter das natÛrliche Niveau zurÛck, wie er zuvor Ûber diesem stand. So wie er zuvor in der filialen Beziehung die Liebe Gottes erfuhr, erfÅhrt er jetzt dessen Zorn und Haß als Reaktion.236 Die Privation der Heiligkeit ist der formale und wesentliche Moment im Privationsgeschehen, die Privation der IntegritÅt ist das materiale, nachfolgende Element.237 Dabei geht mit dem Verlust der Heiligkeit auch der der IntegritÅt einher, da die IntegritÅt als Disposition zur Heiligkeit ursprÛnglich auf natÛrliche Weise um der ÛbernatÛrlichen Heiligkeit willen gegeben war. Das Umgekehrte gilt freilich nicht: Die Heiligkeit kann auch ohne die IntegritÅt bestehen.238

Vgl. Scheeben, Mysterien, 221–223. Vgl. z. B. Anselm, Cur Deus Homo, I, 16–19, 50–71. 233 Vgl. Scheeben, Mysterien, 208. 234 Vgl. Scheeben, Mysterien, 208 f. 235 Auch hier ist Lengsfeld, Adam und Christus, 145 etwas ungenau. 236 Vgl. Scheeben, Mysterien, 209 f. 212 f. 214. 216. In ders., Dogmatik III, 339 u. ×. kann dann auch von der BesÅnftigung, placatio des Hasses und Zornes Gottes gesprochen werden. Trotz dieser drastischen Worte versteht Scheeben aber Haß und Zorn als nichtaffekthafte Sachverhalte, die sich auf Gottes Strafgerechtigkeit beziehen, vgl. ders., ebd., 340. 237 Vgl. Scheeben, Mysterien, 242 f. 238 Vgl. Scheeben, 248. 231 232

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Nach der aktualen SÛnde besteht eine weitere Folge darin, daß die SÛnde zur HabitualsÛnde wird: „Die habituelle SÛndhaftigkeit ist hier eben der Abdruck des sÛndhaften Aktes in der Seele des SÛnders, eine aus ihm entspringende habituelle Verkehrtheit“239, die die SÛnde verewigt, sowohl in der Beschaffenheit des sÛndhaften Relats, als auch in der Reaktion Gottes.240 Die Verkehrtheit drÛckt sich dadurch aus, daß der Abwendung von Gott nun eine Hinwendung zur Kreatur in falscher Weise entspricht. Beides sind zwei Aspekte desselben Aktes.241 Da nun Adam der ReprÅsentant des ganzen Geschlechts ist, ist die Gerechtigkeit fÛr alle Folgeglieder ausgeschlossen242 Die AktualsÛnde Adams, fÛr die dieser allein verantwortlich ist,243 wird uns dabei nur imputiert, so daß der Mensch insofern kein pers×nlicher, sondern ErbsÛnder ist. Die Vererbung der SÛnde ist somit nicht physisch zu deuten, sondern juridisch.244 Die Folge der ErbsÛnde als SÛndenhabitus, einschließlich Verkehrtheit und Schuld, kommt aber allen Folgegliedern real zu.245 2.3.2.4.4 Schuld Die Schuld der SÛnde ist schon in der natÛrlichen Hinsicht unendlich, weil Gott selbst unendlich ist. In der ÛbernatÛrlichen Relation ist die Schuld noch bedeutender, denn erstens hat das Gesch×pf hier der Unendlichkeit Gottes nÅher gestanden, und zweitens zerst×rt der SÛnder hier ein VerhÅltnis, das er nicht aus eigenem Verm×gen hatte noch hÅtte haben k×nnen.246 Die Schuld bezieht sich dabei sowohl auf den Akt der SÛnde als auch auf die habituelle SÛnde.247 2.3.2.4.5 Die Bedingungen fÛr die Zurechtbringung FÛr Scheeben ist die Inkarnation Christi ein Mysterium, d. h. sie darf in natÛrlicher Hinsicht nicht mit notwendigen rationalen Mitteln beweisbar sein. 239 Scheeben, Mysterien, 211. In Mysterien, 229 bringt Scheeben noch ein Baumgleichnis zur Habitualisierung: Ein junger Baum muß entweder einmal mit Gewalt gebogen werden, um gebogen zu bleiben oder bestÅndig in sanfter Weise. 240 Vgl. Scheeben, Mysterien, 209 f., 212 f. 214. 241 Vgl. Scheeben, Mysterien, 236 f. 242. Diesem Sachverhalt entspricht z. B. auch, daß der Mensch nun in die (partielle) Sklaverei unter den Teufel gelangt, vgl. Scheeben, Mysterien, 256 f. 242 Vgl. Scheeben, Mysterien, 239. 243 Vgl. Scheeben, Mysterien 239. 244 Vgl. Scheeben, Mysterien, 24. Vgl. auch Lengsfeld, Adam und Christus, 149 f. 245 Vgl. Scheeben, Mysterien, 235–237. Scheeben entwirft hier die Imputation der AktualsÛnde Adams in strikter Analogie zur melanchthonischen Impuationstheorie der Gerechtigkeit Christi. 246 Vgl. Scheeben, Mysterien, 213. 247 Vgl. Scheeben, 212 f.

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Scheeben widmet dem Mysteriumaufweis, wie in allen Loci, viel Raum; wir beschrÅnken uns hier auf die Widergabe der wichtigsten Ergebnisse. Explizit gegen den GÛntherianismus wird betont, daß sich aus der gesamten Welterfahrung keine Notwendigkeit der Inkarnation ableiten lÅßt, indem die Inkarnation nicht als Zweck der kreatÛrlichen Ordnung beschrieben werden kann. Dies gilt sowohl fÛr die kreatÛrliche Bestimmung des Menschen,248 als auch fÛr die Verherrlichung Gottes durch die Kreatur.249 Eine umfangreiche Stellung nimmt hier die Besprechung der Satisfaktionslehre ein. Scheeben gesteht deren Argumentation zu, daß nur ein Gottmensch genugtuende Leistung erbringen k×nnte, aber er leugnet, daß eine genugtuende Leistung n×tig war, d. h. Gott hÅtte andere M×glichkeiten der Zurechtbringung gehabt.250 Aber auch der Mensch nach dem Fall kommt entgegen augustinischer Tradition nicht in den Status der Unm×glichkeit der Wiederzuwendung zu Gott aus eigenem Verm×gen. Denn die Abwendung brachte zwar in natÛrlicher Hinsicht den Verlust der IntegritÅt mit sich, nicht aber die Vernichtung der Natur des Menschen selbst, der aber das Gesetz des servilen VerhÅltnisses in der Vernunft eingeschrieben ist. Damit wÅre eine Zurechtbringung des natÛrlichen VerhÅltnisses durch den Menschen allein im Gegensatz zu allen bisher beschriebenen Positionen zwar „unendlich schwer“, aber nicht unm×glich.251 Faktisch verlangt Gott zwar eine Genugtuung, die die Inkarnation erfordert, aber diese bezieht sich erstens nicht auf die Zurechtbringung der natÛrlichen, sondern der ÛbernatÛrlichen Ordnung der Adoptivkindschaft.252 Aber auch hinsichtlich der ÛbernatÛrlichen Ordnung wÅre eine genugtuende Leistung durch die Inkarnation nicht notwendig zur Schuldvergebung. Auch durch einfache Interzession des Erl×sers hÅtte die Schuld vergeben werden k×nnen.253 Mit dieser Beschreibung ist Scheeben Åußerst konsequent: Einerseits gibt es keine direkten Ableitungsm×glichkeiten der ÛbernatÛrlichen aus der natÛrlichen Ordnung. Andernfalls ergÅbe diese Distinktion keinen Sinn. Aber auch innerhalb der ÛbernatÛrlichen Ordnung versucht Scheeben, so weit wie m×glich jede Notwendigkeit zugunsten der Gnade auszuschließen. Dies bedeutet fÛr Scheeben aber nicht den Verzicht auf sÅmtliche Argumentation: Zwar gibt es weder in der geschaffenen noch in der ÛbernatÛrlichen Ordnung ein BedÛrfnis, das notwendig nur durch die Inkarnation gestillt wÛrde,254 ja die Ansicht, Gott sei durch die Not des

248 249 250 251 252 253 254

Vgl. Scheeben, Mysterien, 282 ff. Vgl. Scheeben, Mysterien, 284 ff. Vgl. Scheeben, Mysterien, 285. Vgl. Scheeben, Mysterien, 288. 292. Vgl. Scheeben, Mysterien, 286 f. 288 f. 317. Vgl. Scheeben, Mysterien, 293. Vgl. Scheeben, Mysterien, 294.

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Menschen zur Inkarnation gezwungen, wird gar als „kategorisch unhaltbar“ bezeichnet,255 aber die Inkarnation bietet die M×glichkeit der Beteiligung der menschlichen Natur selbst am Zurechtbringungsgeschehen, so daß der Mensch, durch den der Fall zustande kam, auch an der Zurechtbringung sowohl der natÛrlichen Gerechtigkeit als auch der ÛbernatÛrlichen Gnade beteiligt ist. Damit aber erfÛllt die Inkarnation das BedÛrfnis nach Zurechtbringung nicht nur nicht notwendig, sondern hinreichend, und darÛber hinaus auch mehr als hinreichend; d. h. es geht nicht einfach nur um Zurechtbringung eines vormaligen status , sondern die Wirkungen des Zurechtbringungswerkes werden keine einfache restitutio sein.256 2.3.2.5 Die Zurechtbringung 2.3.2.5.1 Das VerhÅltnis von Person und Werk Christi Die Zurechtbringungsbedeutung Christi zerfÅllt in zwei Aspekte: In die physische oder besser substantiale Mittlerschaft und in die tÅtige Mittlerschaft Christi. Die substantiale Mittlerschaft bezieht sich dabei auf die Wirkungen Christi, die dem Gottmenschen kraft seiner WÛrde als Person zukommen, unabhÅngig von seinem Handeln. Die tÅtige Mittlerschaft Christi ist die Mittlerschaft, die ihm aufgrund seines Handelns zukommt. Dabei gilt, daß es einerseits gerade die WÛrde der Person ist, die den Werken der Person ihren Wert gibt.257 Andererseits ist aber die substantiale Mittlerschaft insofern abhÅngig von der tÅtigen Mittlerschaft, als Gott erstens die Wirkung der substantialen Mittlerschaft von der tÅtigen abhÅngig gemacht hat,258 aber auch insofern man auch bei Scheeben zeigen kann, daß die substantiale Mittlerschaft nur aus der tÅtigen erkennbar ist, so daß der Beruf Christi als Aktualisierung und Ausdruck seines Wesens gelten kann. FÛr Scheeben drÛcken sich diese beiden Aspekte auch im Namen des Gottmenschen aus: WÅhrend sich „Jesus“ primÅr auf die Funktion, d. h. die tÅtige Mittlerschaft bezieht, bezieht sich „Christus“ primÅr auf das Wesen der Person.259 Als substantialer Mittler begrÛndet der Gottmensch einen Bund, der aber durch die tÅtige oder moralische Mittlerschaft befestigt und besiegelt wird. Die Vers×hnungstat ist daher objektiv notwendig.260

255

Vgl. Scheeben, Mysterien, 349. Vgl. Scheeben, Mysterien, 293 f. 317. 257 Vgl. Scheeben, Mysterien, 321 f. 258 Vgl. Scheeben, Mysterien, 322. 259 Vgl. Scheeben, Mysterien, 277. 383. 260 Vgl. Scheeben, Mysterien, 341 f. Vgl. ders., Dogmatik III, 314 f in Abgrenzung gegen den Socinianismus und rationalistischen Protestantismus. Scheeben schließt sich hier der kirchlichen Definition Christi als Mittelursache des Heils an. 256

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2.3.2.5.2 Die Lehre von der Person Christi als Voraussetzung der substantialen Mittlerschaft In einer rein pers×nlichen hypostatischen Einheit kann die g×ttliche Natur des Sohnes die geschaffene zu sich ziehen, ohne ihre EigenstÅndigkeit zu verlieren. Der Begriff der rein hypostatischen Einheit ist dabei mit dem Begriff des rein hypostatischen Unterschieds korreliert, der in der TrinitÅtslehre verwandt wird. Auf diese Weise erscheinen keine WidersprÛche, zumal Scheeben Menschheit und Gottheit aufgrund des VerhÅltnisses von kreatÛrlicher Natur und ºbernatur sowieso nicht als kontradiktorischen Gegensatz konstruieren kann:261 So wie alle Menschen gnadenhaft verg×ttlicht werden, so wird auch die Menschheit Christi verg×ttlicht.262 Dabei gibt es zwischen dem Menschen und Christus zwei Unterscheide: Der erste Unterschied zwischen Adam und Christus besteht darin, daß Adam die ºbernatur nur gnadenhaft, ohne Recht der Person besaß, wÅhrend sie Christus eben aus dem Recht seiner Person von Natur aus besitzt.263 Der zweite Unterschied besteht darin, daß Adam auch im status integritatis nur auf einer ºbergangsstufe zwischen servialem und filialem VerhÅltnis zu Gott stand, das seiner Vollendung harrte, wÅhrend es fÛr die Menschheit Christi keinen status viae wie fÛr Adam oder den gerechtfertigten Christen gibt: Seine Menschheit ist immer am Ziel des Weges der Verg×ttlichung,264 was freilich nicht wundert, weil Scheeben hier in kyrillischer Tradition stehend den Sohn und damit die Gottheit als personales Prinzip der Einheit Christi betrachtet. Dies hat Konsequenzen fÛr die beiden Aspekte der IntegritÅt und Heiligkeit Christi: Hinsichtlich der Heiligkeit gilt, daß es Christus unm×glich war zu sÛndigen, da SÛnde andernfalls der g×ttlichen Person zugeschrieben werden mÛßte, Gott selbst aber bei Scheeben nicht die M×glichkeit des Selbstwiderspruchs hat.265 Dieser Aspekt ist interessant, weil Scheeben hier auch die tÅtige Mittlerschaft Christi in dessen Opfer in einem gÅnzlich anderen Licht sieht als GÛnther, von dem er sich abgrenzt: Christus hatte nicht die Freiheit zu sÛndigen, was seine Freiheit nicht einschrÅnkt, denn seine Freiheit erklÅrt sich aus der Freiheit Gottes. Jede freie Tat Gottes geht hervor aus dessen notwendiger Liebe zu sich selbst, d. h. zu den jeweils anderen Personen der TrinitÅt. So liebt auch der inkarnierte Sohn den Vater notwendigerweise, aber er ist frei, diese Liebe in unterschiedlichen Weisen zu betÅtigen. Da-

261 Vgl. Scheeben, Mysterien, 265–267. Paul, Denkweg, 129 sieht zwar die Lehre von der Person Christi erst in der Dogmatik vollendet, jedoch sind die GrundzÛge ausreichend in den Mysterien erwÅhnt. 262 Vgl. Scheeben, Mysterien, 268. 263 Vgl. Scheeben, Mysterien, 269. 264 Vgl. Scheeben, Mysterien, 270 f. 265 Vgl. Scheeben, Mysterien, 271.

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mit kann die tÅtige Mittlerschaft, wie noch zu sehen sein wird, gegen GÛnther auf alle FÅlle nicht in einer wiederholten Freiheitsprobe bestehen. FÛr eine solche wÛrde es auch gar keines Gottmenschen, sondern nur eines bloßen Menschen bedÛrfen. Die dennoch vorhandene Freiheit erm×glichte es aber Christus, seine Liebe in freier Weise zu betÅtigen, so daß seine tÅtige Mittlerschaft durchaus supererogatorischen und verdienstlichen Charakter haben k×nne, was einigermaßen zweifelhaft erscheint.266

Hinsichtlich der IntegritÅt gilt, daß Christus sie besessen hat, d. h. der Gottmensch hatte das Recht und die M×glichkeit, die IntegritÅt vollstÅndig zu verwirklichen,267 aber auch die M×glichkeit, dies nicht zu tun. In diesem Zusammenhang spricht Scheeben einerseits von einer SelbstentÅußerung des Logos, andererseits betont er, die IntegritÅt bestehe nur darin, daß der Besitzer der IntegritÅt nicht gegen seinen Willen von der defektiblen menschlichen Natur affiziert werden k×nne.268 Die M×glichkeiten der IntegritÅt werden von Christus nicht in Anspruch genommen, wenn es darum geht zu leiden und zu sterben, sie werden aber in Anspruch genommen, wenn es darum geht, sich von der defektiblen Natur zu Begierden hinreißen zu lassen, die in Widerspruch zur Heiligkeit stÛnden.269 Hier finden wir eine – allerdings kleine – Inkonsistenz im Sprachgebrauch Scheebens. Der eine IntegritÅtsbegriff ist aktualistisch verstanden, so daß Christus in bestimmten Teilen sich der IntegritÅt entÅußert, der andere IntegritÅtsbegriff ist modal an die M×glichkeit angelehnt, so daß sich Christus, wenn er sich freiwillig von der natÛrlichen Welt affizieren lÅßt, sich gar nicht der IntegritÅt entÅußert. Da sachlich der zweite IntegritÅtsbegriff der umfassendere ist, dÛrfte aber trotz sprachlicher Šquivokation kein sachlicher Widerspruch entstehen.

Scheeben faßt die Lehre von der Person Christi in einer eigenen Art der communicatio idiomatum zusammen, die quasi drei „genera “ kennt, die als drei Arten der Verg×ttlichung Christi beschrieben werden: Die hypostatische Einigung mit der Person des Logos, die VerklÅrung der menschlichen Natur durch Gnade und die instrumentale Nutzung der menschlichen Natur durch den Logos.270 Insgesamt gilt, daß die menschliche Natur den realen Leib Christi bildet.271

266 267 268 269 270 271

Vgl. Scheeben, Mysterien, 369–372; ders., Dogmatik III, 340. Vgl. Scheeben, Mysterien, 272. Vgl. Scheeben, Mysterien, 273. Vgl. Scheeben, Mysterien, 274. Vgl. Scheeben, Mysterien, 275. Vgl. Scheeben, Mysterien, 306.

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2.3.2.5.3 Die zurechtbringende Wirkung der Inkarnation: Die substantiale Mittlerschaft Christi Kommen wir nun direkt zur Beschreibung der substantialen Mittlerschaft Christi. Die Inkarnation ist die Reproduktion, d. h. FortfÛhrung und Offenbarung der inneren Produktionen der Gottheit nach außen. Damit wird das SohnschaftsverhÅltnis des Vaters zum Sohn auch auf den Menschen ausgedehnt.272 Dabei wird aufgrund des innertrinitarischen filioque auch der Geist mitgesandt (wÅhrend bei einer Inkarnation des Geistes der Sohn nicht mitgesandt worden wÅre).273 Das g×ttliche Leben tritt so vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf uns Ûber.274 Hinsichtlich des VerhÅltnisses zwischen Adam und Christus gilt, daß ersterer das umgekehrte Bild des Gottmenschen des neuen himmlischen Adams ist.275 Der Gottmensch ist somit Haupt der Sch×pfung und des Menschengeschlechtes. Er ist Glied des menschlichen Organismus, aber im Gegensatz zu Adam geht er nicht in diesem auf, weil seine Person nicht Zeugerin des Organismus, sondern dessen Sch×pferin ist.276 Dies bedingt drei Sachverhalte. Damit ist erstens schon die gnadenhafte Aufnahme in den Stand der Adoptivkindschaft im status integritatis durch Christi Inkarnation bedingt.277 So bildet die Menschheit (nicht speziell die Kirche!) den mystischen Leib Christi.278 Diese Analogie zur Menschheit der Person Christi als realem Leib bringt auch eine Lehre der communicatio idiomatum zwischen dem Logos und den Menschen mit sich, die auch mit der Ehemetapher279 beschrieben werden kann: Verletzungen und SchÅndungen menschlicher Leiblichkeit sind immer auch Verletzungen der Leiblichkeit Christi, so daß Christus in unserem Leiden mitleidet, wie er auch an seinem realen Leib ge-

Vgl. Scheeben, Mysterien, 296 f. Vgl. Scheeben, Mysterien, 298. 274 Vgl. Scheeben, Mysterien, 324 f. 275 Vgl. Scheeben, Mysterien, 260 f. 276 Vgl. Scheeben, Mysterien, 301–304. 277 Daher ist Heuser, Erl×sungslehre, 143. 146 auch nicht zuzustimmen, die ÛbernatÛrliche Ordnung sei von der Inkarnation unabhÅngig. Scheebens Šußerungen sind hier zwar scheinbar verwirrend und nach Er×ss, Die Lehre von der Erl×sung im 19. Jh., 3, immer verschieden gedeutet worden, tatsÅchlich aber kohÅrent und eindeutig. 278 Vgl. Scheeben, Mysterien, 306 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Relativierung des Sakraments der Eucharistie in Scheeben, Mysterien, 324 f: „Durch den Genuß des Fleisches Christi werden wir in der innigsten Weise mit ihm zu einem Leibe vereinigt; aber da wir auch ohne diesen Genuß ein Leib mit ihm sind, so gilt der Ausspruch des Heilandes auch ohne diese besondere Bedingung“. 279 Vgl. Scheeben, Mysterien, 309. Šhnliche Gedanken einer communicatio idiomatum nicht nur zwischen den beiden Naturen Christi, sondern auch zwischen Gott in Christus und den Menschen finden sich auch in der altlutherischen Orthodoxie, besonders in der TÛbinger Schule. Vgl. dazu die instruktiven AusfÛhrungen von NÛssel, Allein aus Glauben. 272 273

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litten hat. Aufgrund des Gedankens der Asymmetrie zwischen dem Haupt des Organismus und dessen sonstigen Gliedern gilt aber, daß nicht alle menschliche TÅtigkeit Christus zuzuschreiben ist.280 Aber zweitens tritt auch eine VerÅnderung ein, denn es handelt sich nicht um eine bloße Wiederherstellung der Kindschaft als Adoptivkindschaft, sondern nun um eine Versetzung des Menschen in das VerhÅltnis der wahren Sohnschaft, so daß die Liebe des Vaters zu den Menschen nun die gleiche wie zum Sohne wird. Von Freunden Gottes werden wir zu Verwandten Gottes, unseres nun auch natÛrlichen Vaters.281 Die Folge ist, daß der Mensch nun die ÛbernatÛrliche Gnade so besitzt wie sie der Sohn selbst besitzt, rechtmÅßig und nicht ohne Recht der Person.282 Damit hat die substantiale Mittlerschaft nicht nur die Wirkung einer physischen BrÛcke oder eines Kanals, sondern sie ist eine wechselseitige, reale VerpfÅndung Gottes und der Kreatur hinsichtlich deren Liebe.283 Scheeben kann mit Tertullian die Mittlerschaft Christi in diesem Sinne auch als die eines Pfandverwesers beschreiben.284 Man muß sich klar machen, daß es hier um zwei unterschiedliche metaphorische Beschreibungsmodi geht, die die Wirkung der substantialen Mittlerschaft Christi Ûber die Wirkung der Wiederherstellung der Adoptivkindschaft hinaus beschreiben sollen, die aber modellhaft nicht einander entsprechen: Das Bild der natÛrlichen Sohnschaft korrespondiert nicht ohne weiteres mit dem juridischen Bild des h×heren Rechtsanspruchs. Diese Diskrepanz wird noch ×fters zu sehen sein.

Drittens bezieht sich damit die verg×ttlichende Wirkung auf die ganze kreatÛrliche Welt – einschließlich der Engel -,285 da der Mensch die GegensÅtze von Geist und Materie vereinigt.286 Damit ist der Gottmensch nicht nur Bringer ÛbernatÛrlicher GÛter, sondern auch ºberwinder allen ºbels, BegrÛnder menschlicher immortalitas 287 und Vervollkommner des Universums, das insgesamt so der Verherrlichung288 Gottes fÅhig wird.289 Christus ist damit nicht nur der Vers×hner oder Auss×hner zwischen Mensch und

Vgl. Scheeben, Mysterien, 308. Vgl. Scheeben, Mysterien, 312, 317–320. 329, bes. 313: „‚Quod homo est ‘, sagt der hl. Cyprian, ‚esse Christus voluit, ut homo possit esse, quod est Christus esse ‘“ 314: „Augustin: ‚Deshalb ist Gott Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde.‘“ 282 Vgl. Scheeben, Mysterien, 317. 283 Vgl. Scheeben, Mysterien, 338. 284 Vgl. Scheeben, Mysterien, 339. 285 Vgl. Scheeben, Mysterien, 300. 333. Dieser Sachverhalt ist bedeutsam, denn er zeigt, daß der Neid der Engel auf den Menschen, der zu deren Fall fÛhrte, unberechtigt war. 286 Vgl. Scheeben, Mysterien, 299 f. 332. 334. 337. 287 Vgl. Scheeben, Mysterien, 322. 288 Vgl. Scheeben, Mysterien, 328 f. 289 Vgl. Scheeben, Mysterien, 330 f. 280 281

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Gott, sondern in pers×nlicher Einheit das substantial h×chste Band, das die GegensÅtze einander nahebringt.290 2.3.2.5.4 Der Zweck von substantialer und tÅtiger Mittlerschaft Christi Der Zweck der tÅtigen und der substantialen Mittlerschaft (Inkarnation) scheint klar zu sein: Sie bewirken die Zurechtbringung des Menschen. Macht man sich aber klar, daß es dabei weder um die Wiederherstellung der natÛrlichen, noch um die Wiederherstellung der ursprÛnglichen Gnadenordnung geht, sondern um eine gegenÛber der ursprÛnglichen Verg×ttlichung der Kreatur noch gesteigerte Verg×ttlichung – letztlich um die Vollendung der Welt –,291 wird deutlich, daß es sich bei dem Wiederherstellungsaspekt der Zurechtbringung gewissermaßen um einen Nebeneffekt handelt, nicht aber um den letzten Zweck. Zwar ist der genannte Nebeneffekt durchaus ein objektiver Zweck, neben dem noch subjektive Zwecke fÛr Gott – das zur-Geltung-bringen seiner Macht, Weisheit, GÛte, Heiligkeit und Gerechtigkeit292 – wie fÛr den Menschen – der Erwerb von Glaube und Liebe293 – bestehen, doch der letzte objektive Hauptzweck besteht gar nicht im Mitleid mit den Kreaturen, sondern in der Liebe Gottes zu „sich“ selbst, d. h. der Liebe zwischen Vater und Sohn.294 Und dies ist ein Selbstzweck, bzw. gar kein Zweck: „Ja eben dann wÛrdigen wir den Gottmenschen herab, wenn wir die in seiner Menschwerdung und seinem Tode liegende Erniedrigung nur als Mittel zur Erreichung von Zwecken betrachten“295. Damit darf die Frage „Cur deus homo?“ strenggenommen aber nur dann gestellt werden, wenn man sie auch in der korrekteren Form stellt: „‚Cur‘ oder ‚Ad quid mundus?‘ – Welche Bestimmung erhÅlt die Welt durch die Inkarnation?“296 Nicht der Mensch oder die Kreatur, sondern Christus selbst ist Endzweck der Welt, Gott konnte die SÛnde zum Erweis der Offenbarung seiner Herrlichkeit in Kauf nehmen.297 Scheeben faßt diesen Sachverhalt prÅgnant in einem Gleichnis zusammen: „Dem Augenscheine nach und im praktischen Leben sehen wir die Sonne nur als eine zum Wohle der Erde bestehende Hilfsquelle an, und so pflegen wir auch Christus aufzufassen als den uns von Gott gesandten Helfer und Befreier, als unseren Jesus, von welchem wir alles zu hoffen haben. Wie aber im Laufe der Zeit die Wissenschaft nachgewiesen hat, daß nicht die Erde die Sonne anzieht, sondern die Sonne die Erde:

290 291 292 293 294 295 296 297

Vgl. Scheeben, Mysterien, 336 f. Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 366. 372. Vgl. Scheeben, Mysterien, 342 f. Vgl. Scheeben, Mysterien, 345. Vgl. Scheeben, Mysterien, 346–355. Scheeben, Mysterien, 353 f. Scheeben, Mysterien, 354. Vgl. Scheeben, Mysterien, 355; ders., Dogmatik III, 375.

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so muß die wissenschaftliche Theologie, um die ganze Bedeutung Christi zu erfassen, dazu vordringen, daß sie ihn als den Schwerpunkt der ganzen Weltordnung betrachtet, und so den vollen Sinn des Wortes versteht: ‚traham omnia ad me ipsum‘“.298

Wird Gottes Liebe zu den Kreaturen betont, so ist dies nur ein Ausdruck dafÛr, daß Gott in Beziehung zur Welt nicht notwendig oder bedÛrfnishaft handelt.299 Dies hat eine interessante Konsequenz: Gott war nicht durch die Kreatur oder das Leid der Kreatur zur Inkarnation gezwungen, die SÛnde machte substantiale und tÅtige Mittlerschaft nicht notwendig, wie zu sehen war, denn die Zurechtbringung hÅtte auch anders erfolgen k×nnen. Aber gerade weil die Zurechtbringung nicht der h×chste Zweck der Inkarnation war, hÅtte die Inkarnation faktisch auch ohne die SÛnde stattfinden k×nnen, da gerade dann ihr h×chster Zweck erreicht worden wÅre.300 2.3.2.5.5 Die zurechtbringende Wirkung des Handelns Christi: die tÅtige Mittlerschaft Christi Wir kommen nun zur Beschreibung der tÅtigen Mittlerschaft Christi. Scheeben selbst gibt eine parallele Darstellung von substantialer und tÅtiger Mittlerschaft Christi, seine inhaltlichen AusfÛhrungen dÛrften aber zu erkennen geben, daß es sich nicht um zwei parallele VorgÅnge handelt, auch nicht um zwei Aspekte, sondern daß es bei der tÅtigen Mittlerschaft um die Instantiation oder Konkretion der substantialen Mittlerschaft geht. Die Hauptaufgabe der tÅtigen Mittlerschaft Christi ist, zwischen Gott und der Kreatur zu vermitteln, d. h. die TÅtigkeit Gottes in Bezug auf die Kreatur und die TÅtigkeit der Kreatur in Bezug auf Gott darzustellen.301 In beiden Richtungen der Relation zwischen Gott und Mensch kann die mittelnde TÅtigkeit Christi zwar als Prophet, K×nig und Priester302 dargestellt werden,303 aber die gesamte Mittlerschaft konzentriert sich derart im Priestertum, daß Scheeben nur dieses zu beschreiben braucht, und es in Christi irdi298 Scheeben, Mysterien, 355. Interessant ist hier, daß Scheeben damit einerseits exakt mit der Theologie Ritschls Ûbereinstimmt, fÛr den ja ein einzelnes Korrelat der Liebe Gottes in Christus theoretisch, wenn auch kontrafaktisch fÛr das Reich Gottes genÛgt hÅtte, vgl. o., andererseits ist mit diesem Gleichnis quasi das Programm der Theologie des spÅteren Karl Barth vorweggenommen. 299 Vgl. Scheeben, Mysterien, 348. 300 Vgl. Scheeben, Mysterien, 350. 301 Vgl. Scheeben, Mysterien, 339. 302 Zu der jedes menschliche Priestertum instantiierenden und konstituierenden Funktion des Priestertums Christi vgl. Scheeben, Dogmatik III, 419–433. 303 Vgl. Scheeben, Mysterien, 340; ders., Dogmatik III, 378. 381. 383 ff. In ebd. 385 erkennt Scheeben den historischen Primat der Protestanten hinsichtlich der Lehre vom munus triplex unbefangen an, glaubt aber in der BeschrÅnkung dieser Šmter exklusiv auf die Person Christi eine christologische Verarmung zu erkennen.

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sche und himmlische, interzessorische TÅtigkeit zerfÅllt.304 Und auch innerhalb der priesterlichen TÅtigkeit gibt es einen Schwerpunkt, wir k×nnten sagen, ein SchlÛsselmodell, das geeignet ist, die gesamte irdische TÅtigkeit des Gottmenschen zusammenfassend darzustellen: Die Kulmination der priesterlichen Mittlerschaft im Kult – d. h. im Opfer – im Namen der Kreatur, die – quasi als Nebenwirkung – die Einheit mit Gott erkauft und vom Himmel herabzieht.305 Diese kultische Mittlerschaft ist, wie noch zu sehen sein wird, nur dem Gottmenschen m×glich. Sie trÅgt zwar den Charakter der Vers×hnung, weil die aufgel×ste Einheit mit Gott wiederhergestellt wird, begrÛndet aber einen neuen Bund und ist daher selbstverstÅndlich ÛbernatÛrlich und geheimnisvoll.306 In seinem latreutischen Opfer erwirkt Christus dem Menschen quasi als Nebeneffekt Vers×hnung von Seiten Gottes und Begnadigung in einer Weise der inklusiven Stellvertretung. Der Hauptzweck seiner TÅtigkeit ist die unendliche Verherrlichung Gottes in sich selbst und mit seinem realen Leib. Die Inklusion besteht darin, daß sich die Menschen als sein mystischer Leib aufgrund seiner TÅtigkeit diesem verherrlichenden Handeln anschließen k×nnen und sollen.307 2.3.2.5.6 Die tÅtige Mittlerschaft Christi in ihrer Kulmination als latreutisches Opfer a) Der Begriff des latreutischen Opfers. Das latreutische Opfer ist die vollkommenste Form der Verherrlichung Gottes; es schließt alle anderen Opfer mit ein und ist die einzige Form, die der Deutung des Christusgeschehens angemessen ist. Es ist primÅr um seiner selbst willen, bzw. um der Verherrlichung Gottes willen da, schließt aber propitiatio , d. h. Vers×hnung oder Auss×hnung hinsichtlich des defekten natÛrlichen Zustandes, und impetratio , d. h. Begnadigung im Sinne von Erwirkung der ÛbernatÛrlichen Gnade, nicht nur logisch und real mit ein, sondern diese k×nnen ausschließlich vom latreutischen Opfer her verstanden werden.308

304

Vgl. Scheeben, Mysterien, 340–342; ders. Dogmatik III, 316 f. Vgl. Scheeben, Myssterium, 341 f; ders. Dogmatik III, 319. 343. 387. In der Dogmatik geht Scheeben in der Darstellung anders vor: Er geht von der Satisfaktion als propitiatio aus und zeigt, daß das Zurechtbringungsgeschehen mehr als satisfactio bedeutet, wÅhrend er in den Mysterien zeigt, daß das kultische OpferverstÅndnis satisfactio beinhaltet. 306 Vgl. Scheeben, Mysterien, 342. 307 Vgl. Scheeben, Mysterien, 356 f. In Dogmatik III, 341 wendet Scheeben diese Auffassung pauschal gegen die Lehre der „alten Protestanten“, wobei aber faktisch nur radikale Auslegungen eines rein imputativen RechtfertigungsverstÅndnisses getroffen werden. 308 Vgl. Scheeben, Mysterim, 356 f. In der Scheeben, Dogmatik III, 310 ff. 350 heißt der negative Aspekt „Erl×sung“, redemptio, lytrosis, der positive „Vers×hnung“, Auss×hnung, reconciliatio, katallaxis. Aber auch in Dogmatik III, 316 f ist der Sprachgebrauch nicht einheitlich. 305

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Scheeben beschreibt als Opfer im weitesten Sinne die Hingabe einer Sache an einen anderen, um diesem Liebe und Achtung zu erweisen. Dies ist auch in der Relation des Menschen zu Gott der Fall. Da in dieser Beziehung der Mensch als das eine Relat in seinem ganzen Wesen von Gott abhÅngig ist und Gott als das andere Relat unendlicher Liebe wÛrdig ist, soll sich der Mensch selbst hingeben. In diesem Sinne ist jeder Akt der Anerkennung der AbhÅngigkeit des Menschen von Gott als Opfer zu verstehen.309 Zu dem latreutischen Opfer im engeren Sinne geh×ren drei Kennzeichen: Erstens : Es muß einen realen Unterschied zwischen Opferndem (offerens) und Gabe (hostia) geben, damit sich das Opfer als Ausdruck der Opfergesinnung erweisen kann.310 Zweitens : die Opfergabe muß sich im Vollzug der Opferung real und sichtbar verÅndern (Immolation). Diese Immolation besteht darin, daß der zu opfernde Gegenstand der VerfÛgbarkeit des Menschen real entzogen wird und eine Inbesitznahme durch Gott stattfindet.311 Innerhalb dieses Aspekts sind drei Teilaspekte zu unterscheiden: Zum einen findet man bei Opfern die Åußere Widmung; sie ist fÛr die Immolation selbst nicht notwendig, vielmehr ist das Opfer um so realer, je realer dadurch die Hingabe an Gott ausgedrÛckt oder vollzogen wird.312 Zum zweiten wird der Aspekt der EntÅußerung der Gabe von Seiten des Menschen Ûblicherweise mit der Destruktion, der Vernichtung der Gabe ausgedrÛckt. Auch im latreutischen Opfer geh×rt die Vernichtung dazu. Wichtig ist aber zu sehen, daß sie keinen anderen Sinn hat, als zu veranschaulichen, daß die Gabe der VerfÛgungsgewalt des Opfernden entzogen werden soll.313 Deutungen des Opfers, die die destructio allein in den Mittelpunkt stellen, werden von Scheeben als mangelhaft abgelehnt. Die destructio ist nur angemessen, wenn sie notwendig mit dem folgenden Aspekt verknÛpft ist: Zum dritten ist der Aspekt der Besitznahme der Sache durch Gott zu erwÅhnen. Sie wird weniger durch die Vernichtung als durch die VerklÅrung der Opfergabe ausgedrÛckt, so z. B. im Falle von Brandopfern oder Lichtopfern durch Feuer, Flamme und Rauch.314 Die destructio muß in der Besitznahme durch Gott

Vgl. Scheeben, Mysterien, 357; ders., Dogmatik III, 394. Vgl. Scheeben, Mysterien, 358. 311 Vgl. Scheeben, Mysterien, 358. Eine ausfÛhrliche historische ErlÅuterung dieser Kennzeichen des Opferbegriffs unter besonderer BerÛcksichtigung des VerstÅndnisses des Opferbegriffs in der Barockscholastik, der z. T. als Ausweitung des Modells der Transsubstantiationslehre gedeutet werden kann, vgl. Scheeben, Dogmatik III, 399–403. In der Dogmatik verwendet Scheeben hier auch nicht den Immolationsterminus, sondern den Terminus der Immutation, vgl. z. B. Scheeben, Dogmatik III, 434. 312 Vgl. Scheeben, Mysterien, 358. 313 Vgl. Scheeben, Mysterien 358; ders., Dogmatik III, 388–391. 314 Vgl. Scheeben, Mysterien, 359. 309 310

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kulminieren, die Besitznahme durch Gott setzt voraus, daß die Gabe dem Menschen entzogen ist. Drittens : Der Wert des Opfers selbst ergibt sich ausschließlich aus der Gesinnung des Opfernden. Da das Opfer nicht nur symbolisch sein soll, sondern einen realen Wert haben soll, muß die Gabe (hostia ) in des Opfernden VerfÛgungsrecht315 stehen, am besten eins mit ihm sein, so daß hostia und offerens in einer Person vereinigt sind. Auf diese Weise wird erreicht, daß der Åußere reale Vollzug nicht nur Symbol der inneren Opfergesinnung ist, sondern tatsÅchlich die konkrete DurchfÛhrung des inneren Opfers ist.316 b) Die Unm×glichkeit des latreutischen Opfers fÛr einen bloßen Menschen. Wir hatten gesehen, daß Scheeben die Satisfaktionslehre Anselms ablehnt, wenn angenommen wird, daß ausschließlich auf die von Anselm beschriebene Art und Weise eine Zurechtbringung stattfinden k×nne, daß Scheeben Anselm aber zustimmt, wenn dieser die Menschenunm×glichkeit einer Zurechtbringung betont. Die Argumentation fÛr diese Menschenunm×glichkeit der Genugtuung ist aber fÛr Scheeben gar keine Unm×glichkeit der Genugtuung , da nicht die Satisfaktion das primÅre Modell der TÅtigkeit Christi ist, sondern das des latreutischen Opfers. Obwohl Scheeben die Bedeutung von Leben und Tod Jesu als Satisfaktion durchaus anerkennen kann, ist sie fÛr ihn doch ein Nebeneffekt. Entsprechend bildet auch nicht das Modell der juridischen, bzw. korrekter des merkantilen Opfers den Hintergrund der Menschenunm×glichkeit der TÅtigkeit Christi, sondern das Modell des personalen latreutischen Opfers. Betrachtet man dieses in seinem Begriff, lÅßt sich nÅmlich feststellen, daß es einem Menschen nicht m×glich ist, ein solches darzubringen. Dies gilt es hier zu entfalten. ZunÅchst ist sichtbar, daß sich das erste Kennzeichen, die reale Unterscheidung von offerens und hostia , und das dritte Kennzeichen, die reale IdentitÅt von offerens und hostia , direkt zu widersprechen scheinen, zumindest aus menschlicher Sicht. Ein Mensch hat nichts, was diese Bedingungen gleichzeitig erfÛllen k×nnte. Aber selbst wenn man das erste Kennzeichen des Opfers ausklammern wollte, scheitert ein rein menschliches Opfer an einem Konflikt zwischen dem dritten und dem zweiten Kennzeichen: Das einzige, was real mit der Person eines Menschen identisch ist, ist dieser selbst. Der Mensch mÛßte also sich selbst opfern. Dies k×nnte zwar geschehen, indem der Mensch sein Leben t×tet. Aber selbst das Leben des Menschen geh×rt diesem nicht in

315 316

Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 395. Vgl. Scheeben, Mysterien, 359.

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dem Sinne, daß er ein VerfÛgungsrecht darÛber besitzt,317 sondern dieses kommt ja sowieso schon Gott zu. Praktisch drÛckt sich dies darin aus, daß der Mensch sich zwar t×ten k×nnte, um damit die destructio zu vollziehen, aber er kann sein Leben damit eben nicht als Leben dem Besitz Gottes Ûbergeben. Eine bloße T×tung wÅre aber kein Opfer, denn Gott ist ein Gott der Lebendigen.318 Strenggenommen bezieht sich dieser Sachverhalt auf alle Opfer, weil letztlich alle Opfergaben trotz des dominium terrae nicht vollstÅndig in der VerfÛgungsgewalt des Menschen sind. Damit erfÛllt letztlich gar kein durch menschliche Priester dargebrachtes Opfer die Anforderungen des Opferbegriffs.319

Damit ist fÛr Scheeben das FunktionsÅquivalent zum Erweis der Menschenunm×glichkeit der Zurechtbringung im Rahmen der Satisfaktionslehre erbracht. c) Das latreutische Opfer des Gottmenschen. Damit ist der Gottmensch der einzige, der tatsÅchlich ein latreutisches Opfer darbringen kann.320 Er hat durch die unendliche Kraft seiner Person die Macht, sein Leben abzugeben und es wieder zu nehmen.321 Hier ist zu fragen, ob Scheeben nicht eine kleine InkohÅrenz erzeugt. Bedeutet „das Leben ablegen“ nicht, daß keine Person, die Handlungssubjekt sein k×nnte, mehr existiert und daß es damit ein logischer Widerspruch ist, sein Leben wieder zu nehmen?322 Auch theologisch scheint diese Figur ersetzbar zu sein, wenn nicht der Sohn als Subjekt seiner eigenen Auferstehung begriffen wird, sondern Vater und Geist.

Wie immer dem sein mag, Christus hat als Gott im Gegensatz zum Menschen tatsÅchlich VerfÛgungsgewalt Ûber sein Leben, so daß er es hingeben kann, bzw. darf. Im Hinblick auf Christus kommen die beiden Teilmomente der Immolation, im Kreuzestod einerseits, in Auferstehung und VerklÅrung andererseits, nicht nur wie beim Tieropfer symbolisch zum Ausdruck, sondern werden real vollzogen.323 Ist damit das zweite Kennzeichen der

Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 395. Vgl. Scheeben, Mysterien, 360. 319 Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 433. 320 Damit sind im Opfer Christi auch alle at. Opfer zusammengefaßt, vgl. Scheeben, Dogmatik III, 441. 321 Vgl. Scheeben, Mysterien, 360 f, ders., Dogmatik III, 435. 322 Freilich handelt es sich dabei um eine klassische Annahme, die sich auf Joh 10,17 f bezieht und sich auch z. B. bei Anselm, Cur Deus Homo, II,11, 112 f findet. 323 Vgl. Scheeben, Mysterien, 360 f; ders., Dogmatik III, 328 f. Eine detailierte Beschreibung des Kreuzestodes Christi als Opfer, einschießlich at. Parallelisierungen findet sich in Scheeben, Dogmatik III, 438–441. 317 318

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Immolation und das dritte Kennzeichen der realen IdentitÅt von offerens und hostia in Christus erfÛllt, so wird das erste Moment des realen Unterschieds zwischen offerens und hostia in anderer Weise erfÛllt: Durch die Annahme der menschlichen Natur nimmt der Sohn nicht einfach ein Abstraktum an, sondern den ganzen Organismus der Menschheit als seinen mystischen Leib. Damit ist aber ein realer Unterschied zwischen offerens und hostia gegeben, wenn als hostia nicht nur Christi realer Leib, sondern auch sein mystischer Leib verstanden wird. „Das Opfer Christi ist jedoch kein bloß pers×nliches, sondern ein wahrhaft priesterliches; es ist das Opfer des Hauptes des ganzen Menschengeschlechtes und des geborenen Mittlers zwischen Gott und den Menschen.“324 Als Priester ist Christus von Gott eingesetzt und tatsÅchlich zum opfern befugt. Als Haupt der Menschheit vertritt er nicht nur die Gesamtheit, indem er aus ihr hervorgeht, sondern die Gesamtheit geh×rt zur hostia dazu. Das impliziert den inklusiv-stellvertretenden Charakter des Opfers: Die Gesamtheit der Menschheit muß durch Teilnahme am Opfer Christi die Opferung ihrer selbst darstellen.325 Dies bedeutet die Verwandlung des Todes fÛr die Menschen: Der Tod ist keine Naturnotwendigkeit oder Strafe mehr, die der Mensch zu erdulden hÅtte, sondern die Menschen lassen sich in ihrem Tod durch Christus zur Ehre Gottes immolieren, so daß der Tod Mittel der h×chsten Verherrlichung der Natur wird.326 Jeder Mensch wird dazu fÅhig, weil er mit dem ubiquitÅren Christus als Haupt der Menschheit in einem realen physischen, bzw. hyperphysischen Kontakt steht. Dieser allgemeine Kontakt der Glieder mit dem Haupt ist die Bedingung der M×glichkeit des sakramentalen Kontakts, nicht umgekehrt.327 Die Eucharistie kann daher „virtuelle Fortsetzung“ oder „stete lebendige Recapitulation“ des Opfers des realen Leibes Christi genannt werden, die an der seit der Auferweckung andauernden fortgesetzten „lebendigen Darbringung“ des mystischen Leibes Christi partizipiert. Falsch ist es dagegen, von einer Wiederholung, Erneuerung oder Reproduktion zu sprechen.328

Freilich ist damit zunÅchst nur der Destruktionsaspekt der Immolation erfÛllt, noch nicht der Aneignungsaspekt. Dieser vollzieht sich in der allgemeinen eschatologischen Auferstehung. Erst mit dieser ist auch der mystische Leib Christi vollstÅndig immoliert, und das Opfer Christi ist das vollkommene „holocaustum“ und Christus wird einschließlich realem und

324 325 326 327 328

Scheeben, Mysterien, 361. Vgl. Scheeben, Mysterien, 361 f; ders., Scheeben, Dogmatik III, 437. Vgl. Scheeben, Mysterien, 362. 375. Vgl. Scheeben, Mysterien, 376–383; ders. Dogmatik III, 352. Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 445.

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mystischem Leib durch den Hl. Geist, der im amor sacerdos prÅsent ist, dem Vater prÅsentiert.329 Die ErwÅhnung des hl. Geistes ist hier durchaus bedeutsam, denn mit ihm als Immolationssubjekt wird der oben diagnostizierte Widerspruch, daß Christus selbst sein Leben hergeben und wieder nehmen kann, vermieden. Dies geht freilich nur, wenn in einer sanften Korrektur der Hl. Geist nicht erst Subjekt des Ûbereignenden Aspekts der Immolation im Falle von Christi mystischem Leib, sondern bereits im Falle seines realen Leibes ist.

Das Opfer Christi ist damit der h×chste Ausdruck der TrinitÅt nach außen.330 Das Herzblut Christi ist das Band zwischen Gott und der Welt, wie in der TrinitÅt der Geist das Band zwischen Vater und Sohn ist. So wie die Inkarnation selbst Reproduktion der ewigen Zeugung ist, so ist die opfernde Hingabe der vollkommene Ausdruck der g×ttlichen Liebe, die in der Ausgießung des Hl. Geistes betÅtigt wird.331 d) Der Wert des latreutischen Opfers des realen Leibes Christi als Pfand des Gesamtopfers. Das vollstÅndige Opfer Christi ist mit dieser Konzeption nicht allein auf Christi Passion und Auferstehung beschrÅnkt, ja selbst eine Ausweitung auf Leben und Geschick Christi wÅre noch zu wenig. Das vollstÅndige Opfer Christi umfaßt seinen ganzen mystischen Leib, d. h. den geschichtlichen Organismus der Menschheit und, da dieser die GegensÅtze von Geist332 und Materie des ganzen kreatÛrlichen Kosmos vereinigt, den ganzen Weltprozeß als Opfer, so daß das Opfer des realen Leibes auch zeitlich retrokausale, bzw. ewige Wirkung besitzt, durch keine raumzeitliche Dimension eingeschrÅnkt.333 Dabei ist das Opfer letztlich aufgrund seiner Selbstzweckhaftigkeit ein ewiges, himmlisches Opfer in Gottes trinitarischem Leben.334 Dennoch muß hier kurz geklÅrt werden, inwiefern die beiden Aspekte des Opfers, der partielle des Opfers des realen Leibes und der totale des mystischen Leibes, zusammenhÅngen. Das Opfer des realen Leibes Christi hat den Charakter eines wechselseitigen Pfandes oder einer BÛrgschaft: FÛr Gott ist es das Pfand, daß ihm auch der mystische Leib Christi geopfert werden wird, fÛr die Menschen ist es das Pfand, daß Gott auch sie annehmen und Christus gleichgestalten wer-

Vgl. Scheeben, Mysterien, 363. 367; ders., Dogmatik III, 447 f. Vgl. Scheeben, Mysterien, 367. 331 Vgl. Scheeben, Mysterien, 368. 332 Damit ist das Opfer Christi auch der Grund des Besitzes der ºbernatur fÛr die Engel, vgl. Scheeben, Mysterien, 367; ders., Dogmatik III, 365. 375 f. 333 Vgl. Scheeben, Mysterien, 366; ders., Dogmatik, 355 f. 452. 334 Vgl. Scheeben, Mysterien, 449. 329 330

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den wird. Damit ist das Opfer das reale Pfand oder der reale Kaufpreis335 aller ÛbernatÛrlichen GÛter, denn die Nachlassung der SÛnde (propitiatio ) und die folgende Bewirkung der Heiligung (impetratio ) sind nun als Retribution Gottes fÛr das dargebrachte Opfer zu verstehen: Mit der Annahme des realen Leibes Christi verpflichtet sich Gott, alle Menschen anzunehmen.336 Obwohl diese beiden Aspekte, der Loskauf von der SÛnde und der Einkauf der Gnade, im VerhÅltnis zum Hauptmoment des Selbstzweckes als Nebenwirkungen des Opfers betrachtet werden k×nnen, ist zwischen diesen beiden Aspekten der Einkauf der Gnade von deutlich h×herem Wert.337 Das Opfer als Kaufpreis erklÅrt damit, warum die Gnade nun im Gegensatz zur Gnade Adams h×herwertig ist: Der Mensch hat nun Gott zum Schuldner und ein Recht auf die Gnade, nicht bloß in Adoptivkindschaft, sondern in realer Kindschaft.338 2.3.2.6 Die ethischen Implikationen fÛr den homo viator 2.3.2.6.1 Das Handeln des Menschen im Zusammenhang der Aneignung der Zurechtbringung Auch wenn das ganze Opfer den gesamten kosmischen Prozeß umfaßt, so ist doch zu fragen, was das Opfer des realen Leibes Christi fÛr den status viatoris des Menschen post Christum bedeutet. Scheeben entfaltet dies in der Lehre von der Rechtfertigung, die eigentlich Lehre von der Heiligung heißen mÛßte. Darunter versteht Scheeben, sich in Einklang mit dem Tridentinum wissend,339 die Versetzung des Menschen in die Gnade der Kindschaft Gottes mit der in ihr liegenden, ihr entsprechenden Freiheit von der Schuld sowie die Lebensverbindung mit Gott.340 Wir werden im folgenden nicht alle AusfÛhrungen Scheebens zur Heiligung oder zur Ethik betrachten, sondern nur diejenigen, die unmittelbar mit der Zurechtbringung, besonders der tÅtigen Mittlerschaft Christi, zusammenhÅngen. Scheeben hat dabei Ûbrigens den Anspruch, die ausgewogene Mitte zwischen „Pelagianismus“ einerseits und „Calvinismus“ andererseits gefunden zu haben.

Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 320 ff. 437. Vgl. Scheeben, Mysterien, 364 f; ders., Dogmatik III, 313. 332. Damit wird natÛrlich eine doppelte PrÅdestination streng abgelehnt. Christus ist fÛr alle Menschen gestorben und Außer den gefallenen Engeln (vgl. Scheeben, Dogmatik III, 364, auch hier mit Anspielung auf den menschlichen Ersatz fÛr die gefallenen Engel, vgl. Anselm, Cur Deus Homo, I, 16–19, 50–71) sind nur solche ausgeschlossen, die in der SÛnde sterben. Vgl. Scheeben, Dogmatik III, 356 f. 363. 337 Vgl. Scheeben, Mysterien, 376; ders., Dogmatik III, 319. 338 Vgl. Scheeben, Mysterien, 373 f. 375. 339 Vgl. Scheeben Mysterien, 514 f. 340 Vgl. Scheeben, Mysterien, 515 f. 335 336

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Die unmittelbare Folge der Zurechtbringung ist also in gleichursprÛnglicher Weise die Vergebung der Schuld und die Wiederherstellung der ÛbernatÛrlichen Heiligkeit, ja einer gr×ßeren Heiligkeit als Adam sie besaß. Nicht wiederhergestellt wird allerdings die IntegritÅt; sie bleibt eschatisch bis zur Vollendung des Opfers Christi vorbehalten.341 Diese Konzeption des zurechtgebrachten Zustandes hat interessante Konsequenzen: Die Vergebung der Schuld wird gleichursprÛnglich mit der Gnadengabe der Heiligkeit verstanden. Dies bedeutet, daß Scheeben die Rechtfertigung effektiv versteht und jeden reinen Imputationsgedanken scharf ablehnt. Der sÛndhafte Wille wird geÅndert, denn solange der Mensch diesen behÅlt, kann Gott ihn nicht als unschuldig betrachten.342 Zu der Erneuerung des Willens kommt so die Eingießung der theologischen Tugenden, insbesondere der Liebe.343 Diese Gerechtigkeit ist nicht einfach eine Gerechtigkeit, die Gott in uns hervorbringt, sondern sie ist die Gerechtigkeit, durch die Gott selbst gerecht ist.344 Dies ist m×glich aufgrund des umstrittenen Gedankens der inhabitatio des Hl. Geistes im Menschen.345 Interessant ist nun die ethische Frage, d. h. die Frage nach der Mitwirkung des Menschen in doppelter Hinsicht: Gibt es einerseits ein menschliches Handeln in der Aneignung der Heiligung als Aneignung der Zurechtbringungstat Christi? Welchen Wert hat andererseits das Handeln des Menschen im Zustand der Heiligung? Kommen wir zur Behandlung der ersten Frage des menschlichen Handelns, zur Aneignung der Heiligung. Scheeben sieht dies in drei Punkten am Werk: Der Mensch kann der Heiligung, gedacht im Modell der VermÅhlung mit Gott, in dreifacher Weise entgegengehen, so daß eine dreifache Disposition der Seele zur Gnade bestehen kann: Durch Verlangen, durch vorgÅngiges (!) Vertrauen und durch Ergebenheit.346 Erstens: Der Mensch kann die Gnade nicht verdienen, aber er kann sie impetrieren, indem er ein aufrichtiges Verlangen nach ihr hat, indem er die Freundschaft Gottes aufrichtig sucht. In diesem Falle hat der Mensch aufgrund des Opfers Christi eine Berechtigung seines Wunsches auf ErfÛllung.347 Zweitens: Dieses Verlangen fÛhrt, noch bevor Gott der Seele entgegenkommt, zum Vertrauen, 341 Vgl. Scheeben, Mysterien, 186, 189. 248. 291 f. 520. Falsch ist daher die Analyse von Heuser, Erl×sungslehre, 144, die Gnade k×nne nur zurÛckkehren, wenn auch die IntegritÅt zurÛckkehre. 342 Vgl. Scheeben, Mysterien, 510. 343 Vgl. Scheeben, Mysterien, 511. 344 Vgl. Scheeben, Mysterien, 518. 345 Zur Entwicklung der inhabitatio -Lehre, zu der sich Scheeben erst durch Beschwerde Kleutgens durchringen konnte, und die ihn in Auseinandersetzung mit Granderath trieb, gibt es zahlreiche Untersuchungen, z. B. Er×ss, Verbindung; Paul, Denkweg, 83 ff. 346 Vgl. Scheeben, Mysterien, 529. 347 Vgl. Scheeben, Mysterien, 527.

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d. h. zum Glauben. Umgekehrt setzt das Vertrauen das Verlangen voraus. Der Mensch vertraut dabei aus Liebe zu Gott darauf, daß Gott nicht lÅnger zurÛckbleiben werde.348 Drittens: So wie Verlangen und Vertrauen logisch und real einander implizieren, impliziert das Vertrauen auch die Ergebenheit. Sie besteht in der Bereitwilligkeit des Menschen, der erhofften Gnade auch zu entsprechen in seinem Handeln.349 Diese drei AusprÅgungen der Seele, Verlangen, Vertrauen (Glaube) und Ergebenheit sind die Dispositionen der Seele zum Gnadenempfang. Wird die Gnade daraufhin gestiftet, erhÅlt der Mensch die ÛbernatÛrliche Liebe, die nun zur forma der zur VermÅhlung mit Gott fÛhrenden Dispositionen wird.350 Diese vorgÅngigen Dispositionen k×nnen einerseits als Verdienst beschrieben werden, das aber andererseits keine zu belohnende Leistung darstellt und so die Gnade nicht aufhebt.351 Interessant ist die umgekehrte Testfrage: Was geschieht, wenn die Dispositionen menschlicher Mitwirkung ausbleiben? In diesem Fall wird Gott dem Menschen nicht gleich entgegenkommen, aber auch wenn der Mensch aus anderen GrÛnden als reiner Liebe, wie sie mit den drei Dispositionen beschrieben sind, sich nur nach der Vereinigung mit Gott sehnt, kann Gott ihm auf halbem Weg entgegenkommen und den Liebeshabitus seiner Gnade schenken.352 Damit ist folgendes klar: die Mitwirkung des Menschen in Form der Seelendispositionen ist keine notwendige Bedingung fÛr den Gnadenempfang, sondern diese spielen die Rolle eines Beschleunigungsfaktors oder Katalysators. Eine notwendige Bedingung von Seiten des Menschen zur Gandengabe besteht nur in dem Wunsch, Ûberhaupt die Gnade zu erhalten, aus welchen Motiven auch immer. 2.3.2.6.2 Das Handeln des Menschen in Folge der Aneignung der Zurechtbringung Kommen wir nun zur zweiten Frage, wie das Handeln des Menschen nach der Gnadengabe aussieht. Scheeben selbst beklagt, daß die christliche Ethik nicht scharf von der natÛrlichen oder philosophischen Moral getrennt wird, was den Grund darin hat, daß sie gerade nicht im Zusammenhang der Dogmatik gesehen wird. Um diesem Mißstand abzuhelfen, ist vielmehr das Modell von Natur und ºbernatur auch auf die Ethik anzuwenden.353 FÛr den Stand der Kindschaft Gottes, die gnadenhafte Teilhabe an dessen Natur ist, gilt dann:

348 349 350 351 352 353

Vgl. Scheeben, Mysterien, 528. Vgl. Scheeben, Mysterien, 528. Vgl. Scheeben, Mysterien, 529. Vgl. Scheeben, Mysterien, 528. Vgl. Scheeben, Mysterien, 527. 529. Vgl. Scheeben, Moral, 33.

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„Wir werden begreifen, daß durch diese Erhebung uns das Anrecht auf GÛter, ReichtÛmer und GenÛsse gegeben wird, von denen wir in unserer Niedrigkeit keine Ahnung hatten. Wir werden auch einsehen, daß wir dadurch in ganz neue, erhabenere VerhÅltnisse eintreten, die uns h×here Pflichten auflegen und ein ganz neues Leben von uns verlangen, als jenes war, das unserem natÛrlichen Zustand entspricht.“354

Der neue Stand des Christen bedeutet, daß der Mensch in der gnadenhaften Teilhabe an Gottes Natur Gott nun auf Åhnliche Weise erkennt und liebt, wie er sich selbst erkennt und liebt.355 Dies hat sofort Konsequenzen fÛr die christliche Sozialethik,356 denn die christliche NÅchstenliebe liebt nun im Gegensatz zur HumanitÅtsliebe den NÅchsten als ein Glied Christi, das sich im selben status befindet: „Und deshalb liebt er ihn mit einer gewissen heiligen Ehrfurcht und Innigkeit, die keinen bloßen Menschen, sondern etwas Himmlisches und Heiliges, G×ttliches in ihm sieht. Dieses Heilige und G×ttliche, das dem glÅubigen Auge aus seinen Mitmenschen entgegenstrahlt, was ist es anders als die Gnade der Kindschaft Gottes, als jene Teilnahme an der g×ttlichen Natur [. . .]?“357

Freilich bedeutet dies strenggenommen eine Interpretation der NÅchstenliebe im Lichte der johanneischen Bruderliebe. Scheeben muß deswegen eine Unterscheidung einfÛhren, so daß die Unterscheidung von Natur und Gnade zu einem FunktionsÅquivalent etwa zur Zwei-Regimenten-Lehre wird: „Steht unser NÅchster uns bloß in seiner natÛrlichen Geistigkeit, als BÛrger des Weltreiches Gottes, gegenÛber, Ûben wir eine natÛrliche Gerechtigkeit; eine ÛbernatÛrliche aber, wenn wir ihn so betrachten, wie er durch die Gnade zu einer h×heren, gleichsam g×ttlichen WÛrde erhoben, ein BÛrger des himmlischen Hauses ist.“358

Diese Unterscheidung gemÅß Natur und ºbernatur gilt nicht nur fÛr die Liebe des Menschen, sondern fÛr alle Tugenden, wie Gerechtigkeit, ReligiositÅt, Klugheit, Tapferkeit, MÅßigkeit, Demut, etc. und fÛr Gerechtigkeit, ReligiositÅt, Heiligkeit und Geistlichkeit wird diese Unterscheidung auch exemplarisch vorgefÛhrt.359 Problematisch dabei ist, daß sich der Unterschied primÅr hinsichtlich der Konstitution oder hinsichtlich des Zieles der

354

Scheeben, Moral, 34. Vgl. auch ders., Dogmatik II, 303–313. Vgl. Scheben, 39. 356 Scheeben, Moral, 40 erwÅhnt auch Konsequenzen fÛr die Individualethik. Diese Konsequenzen bestehen im Prinzip in asketischen ºbungen der Abt×tung der Natur, nicht weil diese B×se ist, sondern nicht mehr dem Stand des Christen entspricht. 357 Scheeben, Moral, 40 f. 358 Scheeben, Moral, 41. 359 Vgl. Scheeben, Moral, 41 f. 355

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entsprechenden Tugend festmachen lÅßt, daß Scheeben aber keinen konkreten materialen Unterschied zwischen einer weltlichen oder einer christlichen Ethik angeben kann. Widerspricht er damit seinem Programm, die christliche Ethik dÛrfe nicht in einen humanistischen Moralismus verwÅssert werden?360 Nun, auch fÛr die Ethik gilt die Unterscheidung von Natur und ºbernatur nicht nur als ontische, sondern auch als epistemologische, und dies bedeutet, daß letztlich kein Widerspruch vorhanden ist, denn wenn die christliche Ethik als ÛbernatÛrliche eine solche sein soll, darf das christliche Leben der Vernunft gar nicht einsehbar sein: „Und eben darum ist das christliche Leben in jedem wahren Christen ein mystisches, d. h. verborgenes und geheimnisvolles fÛr den natÛrlichen Menschen. [. . .] Es ist verborgen vor der natÛrlichen menschlichen Vernunft, weil seine erhabene himmlische ÛbernatÛrliche Quelle und Richtschnur ganz unbekannt und nur in der ebenso ÛbernatÛrlichen Offenbarung erkannt werden kann.“361

Dieser h×here Anspruch und diese h×heren Pflichten k×nnen offensichtlich auch verfehlt werden, denn Scheeben erwÅhnt auch „furchtbare Strafen“, die die Verfehlung dieser DignitÅt mit sich bringt.362 Um nun die Frage zu klÅren, warum das dem Kindschaftsstand entsprechende Leben verfehlt werden kann, mÛssen wir auf die ethischen Implikationen des latreutischen Opfers Christi zurÛckkommen. Dieses ist ja erst mit der Opferung auch des mystischen Leibes Christi abgeschlossen, und diese Unabgeschlossenheit Åußert sich darin, daß dem Menschen zwar die Heiligkeit, nicht aber die IntegritÅt zurÛckgegeben wird. Weil dem Menschen nicht die IntegritÅt zurÛckgegeben wird, werden auch dessen Seelenverm×gen nicht geordnet, so daß deren unordentliche Begehrlichkeit nicht unterdrÛckt wird. Dies geschieht aber gerade um der im Vergleich mit Adam h×herwertigen Heiligkeit und deren Gerechtigkeit willen: Diese offenbart ihre FÛlle gerade darin, daß der Mensch nun mit den Begierden seiner Natur kÅmpfen soll, um sie zu Ûberwinden. Die Konkupiszenz ist gerade, auch hier weiß sich Scheeben in tridentinischer Tradition stehend, zum Kampf und Verdienst zurÛckgeblieben.363 Freilich ist damit noch nicht geklÅrt, wie dieser ethische Kampf sich vollzieht, bzw. wer Subjekt dieses Kampfes ist. Einerseits mÛßte es der in der Seele des Menschen wohnende Hl. Geist sein, denn die Gabe der Heiligkeit ist ja Aufnahme in die reale Kindschaft zum Vater, Verg×ttlichung, die die Adoptivkindschaft Adams Ûbersteigt. Andererseits ist das Opfer Christi, das genau diese Einwohnung des Geistes bewirkt, erst eschatisch ohne Abfallm×g-

360 361 362 363

Vgl. Scheeben, Moral, 33. Scheeben, Moral, 42. Vgl. Scheeben, Moral, 35. Vgl. Scheeben, Mysterien, 520 f.

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lichkeit364 vollendet, so daß der Mensch viator bleibt. Ist dann doch der Mensch das primÅre Subjekt im status viatoris ? Genau dies scheint Scheebens Gedanke zu sein, der auf dem unvollstÅndigen latreutischen Opfer beruht. Dieses ist erst vollstÅndig, wenn auch der mystische Leib geopfert ist. Und die communicatio idiomatum zwischen Christus und seinem mystischen Leib wird im Modell der VermÅhlung gedacht, so daß die personale Transzendenz der einzelnen Menschen am mystischen Leib Christi sowohl gegeneinander als auch gegenÛber Christus gewahrt bleibt. So wie Christus uns die Heiligkeit erkauft, erkaufen wir sie mit365: FÛr Adam war der „Himmel mehr geschenkt als gekauft, solange er ihn selbst nichts kostete. Der neue Adam hingegen hat schon die Gnade selbst uns durch ein wahres Opfer erkauft, und wenn wir durch ihn nicht mit der Gnade auch die IntegritÅt zurÛckerhalten, so werden wir eben dadurch gleichfalls zum Kampfe und zum Opfer berufen, um uns den Himmel zu erstreiten und zu erkaufen. Ist dieser Kampf und dieses Opfer nicht wunderbarer, herrlicher, erhabener als der friedliche Zustand Adams, indem er bloß von der GÛte seines Sch×pfers zehrte, ohne sie in der Hinopferung seiner selbst durch eine wÛrdige Gegenleistung zu verdienen?“366

2.4 Vers×hnung in der englischsprachigen reformierten Theologie des 19. Jh. 2.4.1 Die Zurechtbringungslehre Thomas Erskines of Linlathen 2.4.1.1 Einleitung Der schottische Laientheologe Thomas Erskine of Linlathen ist zu Unrecht so gut wie unbekannt. Seine Theologie ist hinsichtlich der Frage nach der Vers×hnung jedoch kaum zu unterschÅtzen. Thomas Erskine (*13. 10. 1788 Edinburgh, †20. 03. 1870 Edinburgh), ein Enkel von John Erskine of Carnock, studierte nach der High School (Edinburgh und Durham) in Edinburgh Jura und praktizierte von 1810–1816 als Anwalt.1 1816 erbte er uner-

Vgl. Scheeben, Mysterien, 218. Scheeben, Dogmatik III, 349 setzt sich explizit gegen die Vorstellungen ab, daß das Opfer Christi unvollstÅndig und ergÅnzungswÛrdig sei, wie auch, daß es den menschlichen Verdienst nicht n×tig mache. Vielmehr ist es Bedingung der M×glichkeit menschlichen Verdienstes. 366 Scheeben, Mysterien, 375. 1 Zu Erskines Leben und Schriften vgl. Hart, Erskine, 1–25; Logan, Erskine; Henderson, Erskine; The Growth of Liberal Theology, §4. Erskine of Linlathen, The Cambridge History of English and American Literature in 18 Volumes (1907–1921), Vol. 12. The Romantic Revival, http://www.bartleby.com/222/1304.html; Winslow , Erskine vom 03.04.2003. 364 365

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wartet das Familienanwesen Linlathen in der NÅhe Dundees, worauf er sich fortan den Pflichten eines Gutsherren widmete und seiner Leidenschaft, der Theologie, nachging. Erskine war befreundet mit Thomas Chalmers (1780–1847), mit Frederick Denison Maurice (1805–1872) und fÛr unser Interesse besonders wichtig, seit 1828 mit John McLeod Campbell. Erskine publizierte neben einigen Einleitungen zu verschiedenen religi×sen BÛchern in einer ersten Schaffensperiode von 1820–1831/37 selbst zahlreiche Monographien, deren Stil sofort ins Auge fÅllt. Ein im Grunde systematisches Denken, in dem alles mit allem in Beziehung steht und das auch durch die Jahre hindurch weitgehend kohÅrent geblieben sein dÛrfte, und eine sehr lebendige und erfrischende Sprache verbinden sich mit einem in der groben Disposition eher assoziativen, redundanten Stil, der z. T. von typologischen Exegesen vorgegeben ist. 1820 erschien „The Remarks on the Internal Evidence for the Truth of Revealed Religion “,2 ein z. T. von Chalmers beeinflußtes Werk, das 1825 ins Franz×sische und ins Deutsche3 Ûbertragen wurde, ohne in der deutschen theologischen Szene eine nennenswerte Rezeption erfahren zu haben. 1822 folgte „The Essay on Faith “ und 1828 „The Unconditional Freeness of the Gospel “,4 die ºbertragungen ins Franz×sische erfuhren und ºbertragungen der franz×sischen Versionen ins Deutsche.5 FÛr die Vers×hnungslehre entscheidend wurde „The Brazen Serpent or Life Coming Through Death “6 publiziert 1831, im Jahr von McLeod Campbells Entlassung. Formal handelt es sich hier um eine typologische Exegese des johanneischen NikodemusgesprÅchs (Joh. 3,14) unter RÛckriff auf Num. 21,9. Nach einer lÅngeren Pause folgte 1837 noch „The Doctrine of Election “,7 danach stellte Erskine seine schriftstellerische TÅtigkeit ein, um sich ganz der brieflichen Korrespondenz zu widmen. Zu seinen Korrespondenzpartnern geh×rten McLeod Campbell, Maurice, Thomas Carlyle, A.J. Scott, Lord Rutherford, Bischof Alexander Ewing, Madame Vernet, die jÛngere Madame de Stael, Vinet of Lausanne, Edward Irving u. a. Nach seinem Tod erschienen posthum noch „The Spiritual Order and Other Papers“ sowie von Alexander Ewing und William Hanna herausgegebene Briefsammlungen.8 Im Gegensatz zu McLeod Campbell entspann sich um Erskines ZurechtbringungsverstÅndnis nur ein kurzer Streit, der sich auch auf den rein schriftstellerischen Gebrauch von Rezensionen als Mittel beschrÅnkte. Die deutlichste Ablehnung Erskines Theologie findet sich dann auch erst spÅter in einer Notiz bei John Henry Newman.9 Erskines Denken steht 1820 noch im Kontext der Diskussion mit der AufklÅrung, um darauf stÅrker auf den Kontext der calvinistischen schottischen Theologie einzugehen. Da als „Laientheologe“ Erskines Kenntnis der Dogmengeschichte beschrÅnkt ist, und Erskine aufgrund eines Augenleidens MÛhe mit dem Lesen hatte,

Erskine, Evidence. Erskine, GrÛnde. 4 Erskine, Faith; Erskine, Unconditional Freeness. 5 Erskine, Glauben; Erskine, Unbedingte Freiheit. 6 Erskine, Serpent. 7 Erskine, Election. 8 Erskine, Spiritual Order; Erskine, Letters; Erskine, Some Letters; Erskine, Some Further Letters. 9 Vgl. Winslow, Erskine, 9. 2 3

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sind die EinflÛsse seiner Theologie nur schwer zu rekonstruieren. Eindeutig zu nennen sind EinflÛsse der Mystik und der praktischen ReligiositÅt, vermittelt durch die LektÛren Robert Leightons (1611–1684) und William Laws (1686–1761). Von der deutschen Theologie blieb Erskine unbeeinflußt. Erskine beansprucht keine besondere OriginalitÅt seiner Theologie, im Gegenteil. Er versucht nur, Fehler in der theologischen Rekonzeptualisierung zu beheben und er versteht dies nicht primÅr als wissenschaftliche Aufgabe, sondern als religi×se: „Etwas neues ist in diesem kurzen Abriß der christlichen Lehre nicht aufgestellt. In der That halte ich einen Versuch, in einem solchen Gegenstande etwas neues vorzutragen, mit einem Versuche zu irren in gleichem Werthe; allein ich glaubte, dass die hier aufgestellte Ansicht nicht genÛgend als ein Grund zum Glauben an die Offenbarung benutzt worden sey; denn wiewohl das Ganze eine Art von indirectem Beweise bildet, so scheint es mir denn doch geeignet zu seyn, einen UnglÅubigen vorzubereiten und aufzumuntern, sich mit Theilnahme der PrÛfung des directeren Beweises zu unterziehen, welchen das geschichtliche Zeugniss giebt.“10 Erskine hielt sich zur Zeit des aufkommenden Streites um die Vers×hnungslehre McLeod Campbells bei diesem in Row auf.11 Schon 1828 in „The Unconditional Freeness of the Gospel“ ging Erskine gegen Aspekte des schottischen F×deralcalvinismus vor, und seit spÅtestens 1831 ist er sich bewußt, daß seine Theologie keine Privatsache ist. Schließlich hatte McLeod Campbell sie Ûbernommen und war im Begriff, von der Kirche von Schottland verurteilt zu werden. Aus einigen Šußerungen Erskines ist zu entnehmen, daß er die Situation der Kirche seiner Zeit insgesamt als Probe und Anfechtung der ganzen Kirche von Schottland verstand: Anhand der Frage der UniversalitÅt des Vers×hnungshandelns in Christus und anhand der Frage der Heilsgewißheit wÛrde sich zeigen, ob die Kirche seiner Zeit selbst Jesus verwirft oder nicht.12 Die starke Wertung, zu der Erskine kommt, ist dabei die folgende: Der Calvinismus habe den besten Freund des Menschen, die Gerechtigkeit Gottes, zu dessen Feind gemacht.13 Um dies verstehen zu k×nnen, mÛssen die historischen HintergrÛnde vergegenwÅrtigt werden. Das Hauptdatum der Dogmatisierung der ErwÅhlungslehre in Gestalt der doppelten PrÅdestination ist bekanntlich die Dordrechter Synode 1618. Weitaus wichtiger fÛr die schottische Situation ist jedoch die Entstehung des F×deralcalvinismus. Der F×deralcalvinismus hat nach neueren Untersuchungen offensichtlich mehr als eine

10 „There is nothing new in this cursory sketch of Christian doctrines. Indeed, I should conceive a proof of novelty on such a subject as tantamount to a proof of error. But I think that the view here taken has not been sufficiently pressed as an argument in favour of the credibility of revelation; for, although an indirect kind of evidence in itself, it seems well fitted for preparing and disposing an unbeliever to examine with candour the more direct proof which arises from historical testimony’“ Erskine, Evidence, 209 (dt.: Erskine, GrÛnde, 249). 11 Vgl. Logan, Erskine, 27. 12 Vgl. Erskine, Serpent, 203: „[. . .] God manifest in the flesh, and the love of God therein revealed to every man. It is a solemn trial for the Church of Scotland, it is the trial of the Church of Scotland. It is her trial, whether she wills deny the Lord that bought her, or not. This is just another voice in the wilderness, proclaiming the coming judgment.“ 13 Vgl. Erskine, Some Further Letters, 34.

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Wurzel und hat VorlÅufer in den Theologien des CalvinschÛlers Kaspar Olevianus (1536–1587) und des MelanchthonschÛlers Zacharias Ursinus (1534–1583), fÅrbt aber kaum auf deren „Heidelberger Katechismus“ ab. TatsÅchlich explizierte F×deralschemata findet man dann bei Johannes Cocceius (1603–1669) und unabhÅngig von diesem u. a. bei den Schotten John Cameron (1579–1625), Thomas Cartwright (1535–1603), Robert Rollock (1555–1599), William Perkins (1558–1602), William Ames (1576–1633) und schließlich in der Westminster Confession.14 Im Dreierschema von Cameron wird der Bundesbegriff zur EinfÛhrung einer bedingten, hypothetischen Gnadengabe (foedus hypotheticum) genutzt. Im foedus naturale, dem Bund der Werke oder Bund des Gesetzes, schließt Gott mit Adam als berechtigtem BundesreprÅsentanten der gesamten Menschheit einen Bund, bzw. einen Vertrag, in dem die Gabe des Heils konditional an die GesetzeserfÛllung gebunden ist. Da aber Vater und Sohn in Ewigkeit vorhergesehen haben, daß Adam diesen Vertrag brechen wÛrde, schließen sie in Ewigkeit den foedus gratiae, einen Bund der Erl×sung, in dem der Sohn zustimmt, fÛr die SÛnde des Menschen in Form einer Strafsatisfaktion zu zahlen und so den positiv ErwÅhlten Gnade zu verdienen. Von diesem zweiten Bund abhÅngig ist ein dritter Bund, der foedus gratiae subserviens. Mit Hilfe dieses Vertrages treten die ErwÅhlten in die durch den foedus gratiae garantierte Heilsgabe zu der Bedingung ein, daß sie Heil erlangen, wenn sie Reue und Glauben erweisen. Dieses Schema weist einen ambivalenten Modellcharakter als eines Handels- oder Vertragsmodells einschließlich eines Strafrechtmodells auf.15 Die F×deraltheologie trÅgt fÛr den Lutheraner ungewohnt nomistische ZÛge, aber deren Entstehen dÛrfte sich aus der Opposition gegenÛber modernistischen und antinomistischen Tendenzen erklÅren. Ein solcher Streit wird durch den „MarrowStreit“ markiert, der erwÅhnenswert ist, weil der Streit um McLeod Campbell hier wenn auch nicht prÅfiguriert wird, so doch einen VorlÅufer findet. 1645 ver×ffentlichte wahrscheinlich Edward Fisher anonym ein Buch namens „The Marrow of Modern Divinity “16, in dem in poetischer Form eine Unterredung zwischen Nomista, Antinomista und Evangelista einerseits und Neophytus, einem jungen Christen geschildert wird, der Ûber das richtige VerhÅltnis von Glaube, Werke (Gesetz) und Heil aufgeklÅrt werden will. Evangelista weist dabei darauf hin, daß die Bekehrungserfahrung nicht glaubensbegrÛndend sein k×nne. Obwohl die Pointe des Buches nicht klar ist, da die Werke der Glaubenden zwar nicht der Grund des Glaubens sein k×nnen, aber zugestanden wird, daß diese immerhin epistemologische Hinweise auf die ErwÅhlung sein k×nnen, wurde das Werk antinomistisch verstanden. Der F×deraltheologe Thomas Boston, Pfarrer von Ettrick 1707–1732 empfahl dieses Buch James Hogg of Carnock, der es 1718 neu herausgab und darauf hinwies daß hier nachgewiesen werde, daß das Evangelium jede Gesetzlichkeit ausschließe. In der nun einsetzenden verstÅrkten Rezeption bildeten sich zwei streitende Parteien, eine legalistische, die sich auf der Generalversammlung 1720 durchsetzen konnte und das Buch verdammte, sowie die „Marrow Men“, zw×lf Pfarrer, die sich 1721 fÛr das

14 Vgl. Weir, Foedus Naturale; McGiffert, from Moses to Abraham; Jinkins, Comparative Study, 422. 403–407. 15 Vgl. Torrance, James B., Covenant or Contract? 16 Fisher, The Marrow of Modern Divinity.

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Buch einsetzten und nun ihrerseits wegen antinomistischer Tendenzen abgesetzt wurden.17 Der Einfluß Erskines auf die Theologie Schottlands und Englands zu seiner Zeit steht in deutlichem Gegensatz zur nur spÅrlichen Erforschung seiner Theologie. Betrachtet man den angelsÅchsischen Sprachraum, lÅßt sich die Erforschung Erskines schnell zusammenfassen. Im 19. Jh. erscheint eine von Henderson herausgegebene Kompilation von Erskine-Zitaten, erweitert um einen biographischen Abschnitt, sowie ein kurzer vorstellender Aufsatz von Machar.18 Danach muß man fast hundert Jahre warten, bis man sich Erskine erneut zuwendet. In den achtziger Jahren des 20. Jh. erscheint erneut ein Erskine vorstellender Aufsatz, diesmal von Logan, und im Jahrzehnt darauf erscheint erneut eine um einleitende theologische GrundzÛge erweiterte Zitatsammlung, diesmal von Hart.19 In einer kleinen Monographie widmet sich schließlich Winslow der gesamten Person Erskines.20 Unter die Rubrik der Spezialuntersuchungen hingegen fÅllt ein Aufsatz zu einem Vergleich des Gottesbegriffs bei Erskine und Charles Hartshorne.21 Betrachtet man den deutschen Sprachraum, kann man nur diagnostizieren, daß trotz des Vorhandenseins deutscher ErskineÛbersetzungen schon aus den 20er Jahren des 19. Jh. keine Rezeption in der wissenschaftlichen Theologie stattgefunden hat. In den verschiedenen Debatten um die Vers×hnungslehren im 19. Jh. einschließlich der Schriften Ritschls und KÅhlers finden sich keine Hinweise auf Erskine. Sieht man von einer pauschalen Notiz Pfleiderers ab,22 gibt es im 19. und 20. Jh. im deutschen Sprachraum keinen Hinweis auf Erskine. Wir wenden uns im Folgenden der Vers×hnungslehre Erskines zu und fragen zunÅchst nach den Voraussetzungen seiner Vers×hnungslehre im Rahmen der Frage nach dem VerhÅltnis von Vernunft und Offenbarung, den Fragen nach der Gotteslehre, nach dem Menschen- und SÛndenverstÅndnis. Der Hauptteil Ûber die Vers×hnungslehre behandelt die Fragen nach der Person Christi, Gottes Vers×hnungshandeln in Jesus Christus sowie die Frage, wie dieses Handeln dem Menschen zugute kommt. Nach der Frage der spezifischen ethischen Implikationen von Erskines Vers×hnungslehre schließt dieses Kapitel mit einer Besprechung interner Probleme. Nach der Vorstellung der Vers×hnungslehre McLeod Campbells im nÅchsten Kapitel erfolgt noch ein historisch-genetischer und systematischer Vergleich der beiden Konzeptionen Erskines und McLeod Campbells. Zur Rekonstruktion verwenden wir primÅr die Hauptquelle der Vers×hnungslehre Erskines, „The Brazen Serpent “ von 1831 sowie sein Erstlingswerk „The Remarks on the Internal Evidence for the Truth of Revealed Religion “ von 1820, das vor der Bekanntschaft mit McLeod Campbell erschien und einen inhaltlich weiteren Charakter als Erskines spÅtere Unter-

17 Zur Marrowkontroverse vgl. Lachman, The Marrow Controversy; Dyk, Desire, 20 f; Jinkins, Comparative Study, 424–426. 18 Vgl. Henderson, Erskine; Machar, Erskine. 19 Vgl. Logan, Erskine; Hart, Erskine. 20 Vgl. Winslow, Erskine. 21 Vgl. Devenish, Divinity and Polarity. 22 Vgl. Pfleiderer, Entwicklung, 468.

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suchung aufweist. Die Ûbrigen Schriften Erskines sowie seine Briefe werden gelegentlich assistierend hinzugezogen.23

2.4.1.2 Die Voraussetzungen des Vers×hnungsverstÅndnisses 2.4.1.2.1 Das VerhÅltnis von Vernunft und Offenbarung Erskine schreibt zwar noch vor dem historischen Hintergrund des Streites zwischen Rationalismus und Suprarationalismus, kommt aber selbst zu L×sungen, die ihn nicht einer der beiden Richtungen zuordnen lassen.24 Er ist nÅmlich der Auffassung, daß die natÛrliche Religion durchaus wahr ist,25 aber unzureichend und daher auf Offenbarung angewiesen ist. Die Bedingung der M×glichkeit der Wahrheit sowohl der natÛrlichen Religion als auch der Offenbarung besteht darin, daß das Handeln Gottes als Ausdruck seines Wesens gesehen wird.26 Das Besondere an seiner VerhÅltnisbestimmung ist, daß die notwendigen Kriterien, nach denen sich eine jede Religion messen lassen muß, der Vernunft entnommen sind, daß aber gerade diese Kriterien die Vernunftreligion als unzureichend erweisen und die Notwendigkeit der Offenbarung erfordern. Die Offenbarung ist – und das ist zu beachten – kein Ausgangspunkt theologischer Theoriebildung. Vielmehr ist sie, wie etwa bei Dale (s. u.), eine Funktion des Vers×hnungs- bzw. Zurechtbringungshandelns Gottes.27 Worin besteht nun die Wahrheit der natÛrlichen Religion? Sie besteht darin, daß der Vernunft der moralische Unterschied zwischen Gut und B×se einsehbar ist.28 Entsprechend hat jede Religion sittliche Implikatio-

23 Dabei wird hinsichtlich Erskine, Evidence, wenn ein deutscher Text angegeben wird, die deutsche Fassung von 1825, Erskine, GrÛnde, verwendet. Die beiden Ûber den Umweg des Franz×sischen angefertigten deutschen Ausgaben, Erskine, Glauben und Erskine, Unbedingte Freiheit werden nicht herangezogen. 24 Vgl. Erskine, Election, 303: „I do not oppose natural religion to supernatural, but assume that all religion, in so far as it is true, must be supernatural, being the incomprehensible, though conscious meeting of the spirit of God with the spirit of man. I do not oppose it to supernatural religion, but to conventional religion – that is, religion adopted on external authority without any living consciousness within our hearts corresponding to it.“ 25 Vgl. Erskine, Evidence, 12 f: „Is the character of the Great Being [. . .] entirely unknown to us, except through the medium of this revelation? Far from it. [. . .] The man who adopts this scheme of natural religion, which, though deficient in point of practical influence over the human mind, as shall be afterwards explained, is yet true“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 14 f). 26 Vgl. Erskine, Evidence, 20: „I mean to show that there is an intelligible and necessary connexion between the doctrinal facts of revelation and the character of God (as deduced from natural religion), in the same way as there is an intelligible and necessary connexion between the character of a man and his most characteristic actions“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 24). 27 Vgl. Erskine, GrÛnde, 118 d. i. ders., Evidence, 101 f. 28 Vgl. Erskine, Evidence, 21: „The duties of justice and benevolence are acknowledged to

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nen,29 d. h. die Erkenntnis des Guten, aber auch die Liebe zur GÛte und deren Praxis. Diese drei Elemente des Sittlichen, d. h. das Element der Erkenntnis, das der Liebe und das der Praxis, bezeichnet Erskine als moral perfection.30 Da Religion also Sittlichkeit impliziert, ist umgekehrt Sittlichkeit notwendige Bedingung, bzw. notwendiges Kriterium einer jeden Religion.31 Damit die Sittlichkeit aber dieses Kriterium sein kann, ist es notwendig, daß sie vollstÅndig 32 in Anschlag gebracht werden kann. Dies aber ist der natÛrlichen Religion unm×glich, weil sie nur die Einsicht in Gut und B×se gewÅhren kann, nicht aber die Liebe und die Praxis zum Guten anregen kann, weil sie zwar Einsicht schenken kann, nicht aber die Affekte33 handlungsleitend wandelt.34 Hier kommt also die anthropologische Einsicht be realities altogether independent of the enforcements of any inspired revelation“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 25). 29 Vgl. Erskine, Evidence, 13 f: „He who holds this scheme of natural religion will believe in its truth (and I conceive justly)“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 16). 30 Vgl. Erskine, Evidence, 14: „Whatever principle of belief tends to promote real moral perfection, posesses in some degree the quality of truth. By moral perfection, I mean the perception of what is right, followed by the love of it and the doing of it“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 17). 31 Vgl. Erskine, Evidence, 22: „A system of religion which is opposed to these moral obligations, is opposed also to right reason. This sense of moral obligation, then, which is the standard to which reason instructs man to adjust his system of natural religion, continues to bet he test by which he ought to try all pretensions to divine revelation“ (dt. Erskine, GrÛnde, 26). Dieses rationalistische Erbe wird jedoch, wie zu sehen sein wird, sofort gebrochen. 32 Vgl. Erskine, Evidence, 23: „This then, is the first reasonable test of the truth of a religion – that it should coincide with the moral constituion of the human mind“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 26 f). 33 Vgl. Erskine, Evidence, 15 f: „We cannot feel anger, or love, or hatred, or fear, by simply endeavouring so to feel. In order to have the feeling, we must have some object present to our minds which will naturally excite the feeling. Therefore, as moral perfection consists of a combination of moral feelings (leading to correspondent action), it can only have place in a mind which is under the impression or has a present view of those objects which naturally produce that combination of feelings“ (dt.: Erskine, GrÛnde 18 f). 34 Vgl. Erskine, Evidence, 17 f: „According to this theory of the mode in which a rational judgement of the truth and excellence of a religion may be formed, it is not enough to show, in proof of its authenticity, that the facts which it affirms concerning the dealings of God with his creatures do exhibit his moral perfections in the highest degree; it must also be shown, that these facts, when present to the mind of man, do naturally, according to the constitution of his being, tend to excite and suggest that combination of feelings which constitutes his moral perfection“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 20 f). Erskine, Evidence, 52: „Natural theology, therefore, becomes almost necessarily rather a subject of metaphysical speculation than a system of practical principles. It marks the distinctions of right and wrong; but it does not efficiently attach our love to what is right, nor our abhorrence to what is wrong. We may frequently observe real serious devotedness, even amongst the professors of the most absurd superstitions; but it would be difficult to find a devoted natural religionist. The reason is, that these superstitions, though they have no relation to the true character of God, have yet some applicability to the natural constitution of man“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 59 f). Damit ist Erskines Auffassung der natÛrlichen Religion gebrochen und er setzt sich auch explizit von Joseph Butlers AusfÛhrungen ab, vgl. Erskine, Evidence, 20 (dt.: Erskine, GrÛnde, 23).

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zum Tragen, daß der menschliche Wille von den menschlichen Affekten abhÅngig ist und insofern gebundener Wille ist. Die Affekte aber sind relational verfaßt, sie ben×tigen ein sie steuerndes externes Relat35. Damit ist der Mensch auf seine Welt bezogen. In dieser erfÅhrt er aber nicht nur sittliches Handeln, sondern auch UnglÛck und sittliches ºbel36, das durch die natÛrliche Religion ebenfalls nicht gedeutet werden kann aber aus deren BedÛrfnissen heraus gedeutet werden muß. Aus den genannten Sachverhalten gewinnt Erskine nun drei Kriterien der Wahrheit einer Religion: 1. Sie muß der moralischen Beschaffenheit des Menschen entsprechen.37 2. Sie muß den natÛrlichen Anlagen menschlicher AffektivitÅt entsprechen.38 3. Sie sollte zu den UmstÅnden passen, in denen sich der Mensch in der Welt vorfindet.39 Erskine denkt bei der Anwendung dieser Kriterien zwar primÅr immer an die AffektabhÅngigkeit des Menschen, aber auch an VernunftabhÅngigkeit im Sinne von Widerspruchsfreiheit. Das, was widersprÛchlich ist, kann kein Vertrauen erzeugen, bzw. h×chstens LeichtglÅubigkeit. Glauben lÅßt sich nur, was verstehbar ist.40 Erskines Kriterien prÅsentieren sich daher im wesentlichen als Kriterien semiotischer (d. h. hier syntaktischer) und affektiver KohÅrenz. Erskine wendet einen aufklÅrerischen Gedanken zur BegrÛndung der M×glichkeit von Offenbarung, den Akkommodationsgedanken, so an, daß er nicht eine g×ttliche Akkommodation an menschliche Erkenntnis, sondern eine g×ttliche Akkommodation an menschliche AffektivitÅt und die relationale Verfassung menschlicher SozialitÅt bedeutet.41 Damit wird aber 35 Vgl. Erskine, Evedence, 23 f: „But [. . .] we know, that [. . .] our minds, by their natural constitution, are liable to receive certain impressions from certain objects when present to them. Thus [. . .] they are liable to the impressions of love and hatred, and fear and hope, when certain corresponding objects are presented to them“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 27). 36 Vgl. Erskine, Evidence, 24: „But, farther, there is much moral evil and much misery in the world“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 28 f). 37 Vgl. Erskine, GrÛnde, 26 f d. i. ders., Evidence, 22 f. Dies schließt auch ein, daß menschliche Sprache und menschliches Denken Gottes Offenbarung verstehen k×nnen, vgl. Erskine, GrÛnde, 121 d. i. ders., Evidence, 104. 38 Vgl. Erskine, Evidence, 24: „But if they can be shown to be such as have a necessary tendency to excite these natural emotions on the behalf of goodness [. . .] because we may presume that God would suit his communications to the capacities and instincts of his creatures. The second test, then, of the truth of a religion, is – that it should coincide with the physical constitution of the human mind“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 28). 39 Vgl. Erskine, Evidence, 25 (dt.: Erskine, GrÛnde, 29). 40 Vgl. Erskine, GrÛnde, 220 f. 229 f d. i. ders., Evidence, 186 f. 193–195. 41 Vgl. Erskine, Evidence, 54 f: „In the same way, the abstract views of the Divine character, drawn from the observation of nature, are in general rather visions of the intellect than efficient moral principles in the heart and conduct; and however true they may be, are uninteresting and unexciting, when compared with the vivid exhibition of them in a history of definite and intelligible action. To assist our weakness, therefore, and to accommodate his instructions to the principles of our nature, God has been pleased to present to us a most interesting series of acti-

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nicht einfach die M×glichkeit von Offenbarung, sondern deren unhintergehbare Notwendigkeit aufgewiesen und so der aufklÅrerische Gedanke transzendiert. Beachtet man, daß Erskine davon ausgeht, daß eine Offenbarung immer Selbstoffenbarung bzw. Wesensoffenbarung sein muß42, ist zu sehen, daß der aufklÅrerische Akkommodationsgedanke nur als Werkzeug dient, gleich jener Wittgensteinschen Leiter, die nach Benutzung weggeworfen wird, denn letztlich handelt es sich zwar darum, daß die Offenbarung auch ihrer Form nach43 zu dem Menschen als EmpfÅnger paßt, aber um keine Anpassung, die dem Wesen Gottes nicht vollstÅndig entsprÅche: Die Offenbarung paßt zur conditio humana , ohne an sie an gepaßt zu werden. Erskines Verfahren weist also mit Mitteln der Vernunft deren eigene UnzulÅnglichkeit und die Notwendigkeit von Offenbarung nach. Ferner gewinnt er mit den Mitteln der Vernunft44 Kriterien, um den Wahrheitsanspruch von Offenbarung messen zu k×nnen. Freilich ist Erskine Ûberzeugt, daß keine andere Religion als die christliche diese AnsprÛche zu erfÛllen vermag,45 so daß der Maßstab jeglicher Religion letztlich die christliche Offenbarung ist.46 Damit hat Erskine erstaunlicherweise mit den Mitteln der Vernunft und ohne Rekurs auf den materialen Gehalt christlicher Offenbarung, lediglich ausgehend von den beiden PrÅmissen, daß ReligiositÅt Sittlichkeit impliziert und daß ein Teil der Sittlichkeit in der Erkenntnis des Guten und des B×sen besteht, die christliche Offenbarung zum eigentlichen Kriterium gemacht. Es wÅre falsch, hier einen bemerkenswerten Optimismus in die Kraft der Vernunft oder besondere OriginalitÅt zu sehen. Zu beachten ist nÅmlich, daß Erskine unter Vernunft nicht primÅr ein Verm×gen des Menschen versteht, sondern einen relationalen „natÛrlichen“ Zusammenhang zwischen Religion und HandlungsbefÅhigung47 und daß

ons, in which his moral character, as far as we are concerned, is fully and perspiciously embodied“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 63). 42 Vgl. Erskine, GrÛnde, 24 d. i. ders., Evidence, 20; ebd. 26: „I am very far from meaning any thing like a mere semblance of action without the substance. In fact, nothing can be a true manifestation of the Divine character, which is not, at the same time, a direct and necessary result of the Divine principles, and a true narration of the Divine conduct“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 30). 43 Vgl. Erskine, Evidence, 57 f: „What then is this universal language? It cannot be the language of metaphysical discussion, or what is called abstract moral reasoning [. . .] Its argument consists in a relation of facts [. . .] It presents a history of wondrous love, in order to excite gratitude; of high and holy worth, to attract veneration and esteem: It presents a view of danger, to produce alarm; of refuge, to confer peace and joy; and of eternal glory, to animate hope“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 66 f). 44 Hierbei beruft sich Erskine, GrÛnde, 66 d. i. ders., Evidence, 57, ausdrÛcklich auf Hume. 45 Vgl. Erskine, GrÛnde, 29 d. i. ders., Evidence, 25. 46 Vgl. Erskine, GrÛnde, 34 d. i. ders. Evidence, 29. 47 Vgl. Erskine, Evidence, 59: „The reasonableness of a religion seems to me to consist in

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auch menschliches Denken und kohÅrentes Sprachhandeln unter Beachtung bestimmter Grenzen fÅhig zur Erfassung der Offenbarung sind.48 Die Bedingungen der M×glichkeit fÛr diese Konsonanz bestehen letztlich darin, daß uns in der Offenbarung der ontische Charakter Gottes als Liebe vollstÅndig49 erschlossen wird und auch der ontische Charakter des Menschen als Bild Gottes Liebe ist: „Liebe ist die Religion der Ewigkeit; und die Religion der Ewigkeit ist die einzige Religion fÛr uns, die wir nach dem Bild des ewigen Gottes geschaffen sind.“50 2.4.1.2.2 Gott Die Absicht des Vers×hnungsgeschehens ist nicht allein die Aufhebung der Strafe der SÛnde, auch nicht die Aufhebung der Schuld der SÛnde, sondern die ºberwindung der SÛnde selbst, und d. h. letztlich, den Charakter des Menschen in Harmonie mit dem Wesen oder Charakter51 Gottes zu bringen.52 Dies impliziert sofort eine enge Verbindung von Vers×hnungslehre und Gotteslehre: Die Vers×hnung erfordert notwendig Kenntnis des Wesens oder Charakters Gottes als Liebe53 (wie auch aller anderen christlichen LehrstÛcke54). Obwohl damit deutlich ist, daß es sich bei Dale nicht um eine radikal objektive Vers×hnungslehre handelt, die unabhÅngig von der Kenntnis des Menschen vom Vers×hnungsgeschehen bedeutungsvoll ist, zeigt Dale doch, daß die Selbstmitteilung Gottes bildungsunabhÅngig ist.55

there being a direct and natural connexion between a believing the doctrines which it inculcates, and a being formed by these to the character which it recommends“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 68). 48 Vgl. Erskine, GrÛnde, 121 d. i. ders., Evidence, 104. 49 Vgl. Erskine, Serpent, 219, d. i. ders., Evidence, 186. 50 „Love is the religion of eternity; and the religion of eternity is the only religion for us, who are made in the image of the eternal God“, Erskine, Unconditional Freeness, 133. 51 Vgl. Erskine, Faith, 122. 52 Vgl. Evidence, Evidence, 49: „The object of Christianity is to bring the character of man into harmony with that of God. To this end, it is evidently necessasry that a just idea of the Divine character should be formed. The works of creation, the arrangements of providence, and the testinomy of conscience, are, if thoroughly weighed, sufficient to give this idea“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 56). Vgl. Erskine, GrÛnde, 64 d. i. ders., Evidence, 55. 53 Vgl. Erskine, Serpent, 239. 54 Dies verdeutlicht Erskine an einem Planetengleichnis: K×nnte ein Planet von seiner Bahn um die Sonne abkommen, wÛrde jeder Versuch, ihn wieder auf seine Bahn zu bringen, die Kenntnis der gesamten Astronomie voraussetzen. Vgl. Erskine, GrÛnde, 242 f d. i. ders., Evidence, 204 f. 55 Vgl. Erskine, Evidence, 56 f: „There is a divine beauty and wisdom in the form in which God has chosen to communicate the knowledge of his character which, when duly considered, can scarcely fail of exciting gratitude and admiration. The object of the gospel is to bring man into harmony with God: The subject of its operations, therefore, is the human heart in all ist various conditions. It addresses the learned and the unlearned“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 65).

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Kommen wir zunÅchst zu den Voraussetzungen in der Gotteslehre, innerhalb derer wir Gottes Selbstidentifikation in der TrinitÅt, daraus abgeleitet Gottes Charakter oder Wesen und schließlich Gottes Handeln der Welt gegenÛber besprechen werden. a) Gottes trinitarisches Sein. Gott selbst ist trinitarisch zu verstehen. Die TrinitÅtslehre bildet den Rahmen des Vers×hnungsgeschehens, das Zurechtbringungsgeschehen bildet das Zentrum und ist die Bedingung der M×glichkeit der Erkenntnis Gottes als TrinitÅt.56 Die Lehre von der TrinitÅt ist damit eine ungemein praktische Lehre. Wenn sie auch das Wesen Gottes zunÅchst nicht ontologisch offenbart, so doch moralisch.57 Sie ist eine notwendige Bedingung um Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu verstehen; sie ist deshalb auch eine notwendige Bedingung, um Gottes Zurechtbringungshandeln zu verstehen und letztlich auch eine notwendige Bedingung, um HandlungsbefÅhigung zu erhalten.58 Diese Bedingung bezieht sich dabei exakt auf die umfassende Verstehbarkeit jener Sachverhalte, die zu allen menschlichen Geistesverm×gen paßt. Erskine unterscheidet aber von der TrinitÅt, wie sie biblisch59 bezeugt ist, die Lehrformulierung der TrinitÅtslehre der altkirchlichen Symbole und der ihr aufruhenden Systematisierung. Dieser steht er in ihrer FaktizitÅt kritisch gegenÛber,60 leugnet 56 Vgl. Erskine, Evidence, 101: „The doctrine of the atonement is the great subject of revelation. God is represented as delighting in it, as being glorified by it, and as being most fully manifested by it. All the other doctrines radiate from this as their centre. In subservience to it, the distinction in the unity of the Godhead has been revealed“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 118). 57 Vgl. Erskine, Evidence, 74: „The distinction of persons in the Divine nature, we cannot comprehend; but we can easily comprehend the high and engaging morality of that character of God which is developed in the history of the New Testament. God gave his equal and well-beloved Son, to suffer in the stead of an apostate world; and through this exhibition of awful justice, he publishes the fullest and freest pardon“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 86); Erskine, Evidence, 96 f: „Our metaphysical ignorance of the Divine essence is not indeed in the slightest degree removed by this mode of stating the subject; but our moral ignorance of the Divine character is enlightened“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 112). Erskine bezieht sich hier auf Joh 3,16; 14, 26 u. a. Erskine, Evidence, 97: „The knowledge communicated by revelation is a moral knowledge, and it has been communicated in order to produce a moral effect upon our characters; and a knowledge of the Divine essence would have as little bearing upon this object, as far as we can see, as a knowledge of the elementary essence of matter“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 113). 58 Vgl. Erskine, Evidence, 95: „The doctrine of God’s combined justice and mercy in the redemption of sinners, and of his continued spiritual watchfulness over the progress of truth through the world, and in each particular heart, could not have been communicated without it, so as to have been distinctly, and vividly apprehended“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 110 f). 59 Vgl. Erskine, GrÛnde, 110 d. i. ders., Evidence 94 f. 60 Vgl. Erskine, Evidence, 95: „In these summaries, the doctrine in question is stated by itself, divested of all its scriptural accompaniments; and is made to bear simply on the nature of the Divine essence, and the mysterous fact of the existence of Three in One. It is evident that this fact, taken by itself, cannot in the smallest degreee tend to develop the Divine character, and therefore cannot make any moral impression on our minds“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 110).

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aber nicht, daß es Ûberhaupt eine Rekonzeptualisierung des Wesens Gottes geben muß, weil implizit bestimmte begriffliche Vorstellungen immer unser Gottesbild bestimmen, wenn die Verbindung zwischen Offenbarung des Wesens Gottes, dem Zurechtbringungswerk und der Ethik so eng vorgenommen werden, wie Erskine dies tut. Systembildung ist notwendig, muß aber kohÅrentistisch-ethischen Kriterien genÛgen.61 Zwar finden wir bei Erskine keine Konzeptualisierungsversuche vieler klassischer Termini der TrinitÅtslehre, aber das Kernproblem des TrinitÅtsverstÅndnisses, des Zusammenhangs von Einheit und Vielheit, ist bei Erskine klar und deutlich erfaßt und gel×st: „Wenn wir uns Gott vor der Sch×pfung denken, falls wir einen solchen Zustand in unserem Vorstellungsverm×gen realisieren k×nnen, dann werden wir ÛberwÅltigt sein und verloren, denn es scheint nichts als trÛbselige depressive Einsamkeit zu sein. Von Ewigkeit an ist Gott und Gott ist Liebe. Sein Leben besteht in Liebe; wen aber hatte er, den er lieben konnte? Der Begriff der Liebe in Handlung schließt den Begriff der Einzigkeit aus; Einheit ist nicht Einzigkeit – Einheit ist VollstÅndigkeit. In dieser VollstÅndigkeit aber kann es keine absolute Gleichheit geben; denn Ordnung setzt immer Ungleichheit voraus; – ‚Mein Vater ist gr×ßer als ich.‘ Es gibt die Ordnung von Geben und Erhalten, Bestimmen und Gehorchen, Segnen und Vertrauen. Die kleinere HemisphÅre ist der Sohn, der bestÅndig die Liebe des Vaters erhÅlt und zurÛckgibt, indem er eine Ûbereinstimmende Antwort auf jeden Gedanken und auf jedes GefÛhl im Bewußtsein des Vaters gibt.“62

LÅßt man die leicht subordinationistische Tendenz dieser Passage außer acht, so ist hier dennoch die immanent differenzierte Liebe Gottes zwischen extensional distinkten Personen korrekt als notwendige Bedingung der Freiheit der Liebe Gottes zu seinen Gesch×pfen erfaßt, wie es auch aus der lutherischen Tradition bekannt ist.63

61 Vgl. Erskine, Evidence, 98: „In order to understand the facts of revelation, we must form a system to ourselves; but if any subtility, of which the application is unintelligible to common sense, or uninfluential on conduct, enters into our system, we may be sure that it is a wrong one“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 114). Vgl. zur Bedeutung innerer KohÅrenz als Widerspruchsfreiheit auch Erskine, GrÛnde, 220 f d. i. ders., Evidence, 103 f. 62 „When we contemplate God before creation – if we can realise such a state in our imaginations – we are sometimes overwhelmed and lost in the sense of a dreary depressing solitude. From everlasting God had been, and God is love. His life consists in love, yet whom had He to love? The idea of love in action excludes the idea of singleness; oneness then is not singleness – oneness is completeness. Then in this completeness there cannot be absolute equality; order always supposes inequality; – ‚My Father is greater than I.‘ There is the order of giving and receiving, governing and obeying, blessing and trusting. This lower hemisphere is the Son, continually receiving and returning the Father’s love, giving a sympathising response to every thought and feeling in the Father’s mind“, Erskine, Letters, 436 f. 63 So z. B. im 19. Jh. bei Sartorius, vgl. MÛhling, Selbstbewußtsein.

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b) Gottes Charakter als gerechte Liebe. Gott wird also im Zurechtbringungshandeln als trinitarisch identifiziert. Dabei offenbart Gottes Zurechtbringungshandeln auch Gottes Wesen als Koinzidenz von Gesetz und Liebe: „dies ist der Gott, mit welchem wir zu thun haben. Dies ist sein Wesen, gerechter Gott und dennoch Erl×ser“.64 Gerade in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit (bzw. Heiligkeit) ist Gott Liebe,65 so daß Gerechtigkeit bzw. Gesetz und Liebe in Gott nichts anderes als intensional unterschiedliche Beschreibungen exakt desselben sind.66 Dabei ist Gott die Liebe und die Liebe ist Gott. Dies bedeutet nicht, daß alles, was Menschen unter Liebe verstehen, Gott ist, sondern, daß Menschen z. T. am Wesen Gottes teilhaben k×nnen, wie zu sehen sein wird, z. T. aber auch vieles mit dem Terminus Liebe erfassen, was nicht Liebe ist.67 Damit ist auch die Liebe offenbarungsbedÛrftig. c) Gottes Handeln der Welt gegenÛber in gerechter Liebe. In seiner Relation zur Welt ist Gott Regent des Weltalls und handelt nach den GrundsÅtzen seines Wesens oder Charakters,68 so daß durch dessen Kenntnis auch die QualitÅt aller sich ereignenden zukÛnftigen Ereignisse als Liebe einsehbar ist.69 Auch in dieser Beziehung zeigt sich Liebe und sie schließt Heiligkeit und Allmacht ein und daher auch die FÅhigkeit, alles B×se zu hassen.70 Gott liebt die Welt nicht, weil sie seine Liebe attrahieren wÛrde, sondern weil er selbst Liebe ist.71 Diese seine Liebe Åußert sich aktual in jedem Ereignis der Welt. Erskine lehrt eine Allwirksamkeit des g×ttlichen liebenden Handelns, aber keine Alleinwirksamkeit. Dies ist im Gedanken pÅdagogischer Liebe begrÛndet.72

64 „This is the God with whom we have to do. This is his character, the Just God and yet the Saviour“, Erskine, Evidence, 104 (dt.: Erskine, GrÛnde, 121). 65 Vgl. Erskine, GrÛnde, 135. 163, d. i. ders., Evidence, 116. 139; Erskine, Serpent, 39. 112 f. 129–132. 66 Vgl. Erskine, Letters, 427. 67 Vgl. Erskine, Serpent, 112. 68 Vgl. Erskine, GrÛnde, 242 d. i. ders., Evidence, 204. 69 Vgl. Erskine, Serpent, 220 f. 70 Vgl. Erskine, GrÛnde, 136, d. i. ders., Evidence, 116 f. 71 Vgl. Erskine, Serpent, 250: „He loves, not because any object attracts His love, but because He is love.“ Die negative Seite erinnert an die erste HÅlfte der 28. These der Heidelberger Disputation, WA 1, 365 („Amor Dei non inuenit suum diligibile“.). Die zweite, positive Aussage unterscheidet sich freilich von Luther. Beide schließen sich aber nicht aus, sondern Erskine benennt prÅzise, warum es Gott m×glich ist, in Relation zur Welt das geliebte Objekt erst hervorzubringen („sed creat suum diligibile“): weil Gott selbst in sich schon Liebe ist. Damit wird eine konzeptionelle LÛcke, die sich bei Luther an dieser Stelle noch findet, geschlossen. 72 Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 139–141: „This is surely the great purpose of our Father in His providential dealings. Not a sparrow falleth to the ground without God, and not an event happens without a particular reference to the state and character of the person to

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2.4.1.2.3 Anthropologie a) Die imago dilectionis des Menschen als Gesamtorganismus. Gott ist Liebe, und der Mensch ist Gottes Ebenbild. Daher ist auch des Menschen Natur (vor dem Fall) Liebe. Diese Liebe, die der Mensch ist, ist ontisch zu verstehen, sie konstituiert den Menschen. Sie ist ihm aber auch als Gesetz der Liebe aufgetragen, und insofern auch deontisch zu verstehen. Im Doppelgebot sind Liebe zu Gott und zum NÅchsten konstitutiv miteinander verbunden: Nicht weil Gott auch unseren NÅchsten liebt, sollen wir ihn lieben, sondern so wie Gott den NÅchsten liebt, sollen wir ihn lieben, d. h. mit der Liebe Gottes, die Gott in uns ist. Damit fordert das Doppelgebot letztlich etwas, was nicht zu fordern ist, nÅmlich die °ffnung fÛr die Teilhabe an Gott selbst.73 Erskine kann auch sagen, daß Liebe Leben bedeutet.74 Wie sich in Gott Liebe und Gesetz nicht widersprechen, so widersprechen sie sich auch im Menschen nicht. Beides sind aufeinander bezogene AusdrÛcke fÛr die RelationalitÅt menschlichen Daseins. Das Gesetz erscheint dabei als Kommunikationsmedium der Liebe, durch das Gott alle unterschiedlichen Formen des Segens der Liebe mitteilt.75 Der Mensch ist damit Beziehungswesen, und die gesamte Beziehung bildet einen Organismus, der funktionell hierarchisch gestaffelt ist. Erskine nutzt hier das Bild der Wurzel und der BlÅtter, wobei in die Wurzelfunktion des alten Menschen Adam der neue Adam, Christus, eintritt.76 Die Einheit des Organismus des Menschen ist wichtig, weil damit gezeigt werden kann, daß es keine isolierten Handlungen einzelner Menschen gibt und entsprechend keine Verantwortungsabgabe fÛr Handlungen anderer Menschen. Da jeder Mensch als Mikrokosmos den ganzen Organismus abbildet, inhÅrieren Mensch und Menschheit sowie die einzelnen Menschen whom it happens. We have thus, every day of our lives, many direct and special messages from God to our souls, and surely we show Him small respect if we treat His messages as trifling things. They are full of importance, they are opportunities given to us of dying to self, and living to God, and holding communion with Him. In every one of them God is saying, ‚Seek my face,‘ and we ought to be ever ready with our answer, ‚Thy face, Lord, will we seek.‘ With what an awakedness of attention should we live, if we really believed that every event is a voice from God, and an opportunity of dying to self! My dear reader, allow me to repeat this to you. Every event that happens to ourselves or those around us, strengthens either the love to God or the principle of self within us, because on every event we exercise our judgment or our feelings, and this we must do either according to the will of God, or according to our own will“. 73 Vgl. Erskine, Serpent, 249–258. 74 Vgl. Erskine, Serpent, 42 f. 75 Vgl. Erskine, Serpent, 39: „Before the fall, God and man were united by the law of love. This was the bond – this was the medium of communication [. . .] because love is God’s nature and whilst man continued faithful, it was his nature. And through this medium, God communicated, and man received all blessings [. . .] and all these blessings were but different forms of love.“ 76 Vgl. Erskine, Serpent, 46. 83.

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einander.77 Allerdings sind die Menschen auch durch ihre Individuation, die in der individuellen PersonalitÅt ihrer menschlichen Natur liegt, voneinander separiert, so daß sie diesen Zusammenhang nicht verstehen oder affektiv empfinden k×nnen.78 b) Die Struktur der intentionalen FÅhigkeiten des Menschen. Erskine vertritt eine dreistellige Anthropologie, nach der die Seelenverm×gen in Erkenntnis, Willen und Affekte geteilt sind. Dabei herrschen folgende VerhÅltnisse: Der Wille ist abhÅngig sowohl von der Erkenntnis79 als auch von den Affekten80. Die Affekte sind nicht unabhÅngig von der Erkenntnis, aber auch nicht vom Denken und der Erkenntnis allein,81 nicht jedoch einfach vom Willen.82 Dabei sind alle diese Seelenverm×gen nicht monadisch abgeschlossen, sondern relational verfaßt. Die AffektivitÅt ist so z. B. abhÅngig von GegenstÅnden, welche sie in unterschiedlicher Weise zu erregen vermag, sofern die GegenstÅnde sich der AffektivitÅt vergegenwÅrtigen und die so letztlich auch den Willen und die Handlungen steuern.83 Dies bedeutet hinsichtlich des Willens, daß es keinen autonomen, nur reflexiv auf sich selbstbezogenen Willen gibt, und es bedeutet auch, daß es keinen Willen gibt, der nicht intentional an externe Relate gebunden ist. Konsequenterweise ist der Wille immer bestimmt, entweder in Liebe von Gott, oder in letzter Konsequenz vom Satan.84 Damit wÅre ein radikaler Verstoß gegen das Gesetz der Liebe, wie er in einer nahezu egozentrischen Selbstbezogenheit zum Ausdruck kommt, als pragmatischer Selbstwiderspruch entlarvt, da das affektive Subjekt hier gegen die eigenen Konstitutionsbedingungen lebt. Notwendig in dieser Konzeption enthalten ist eine Willensbegabung des Menschen, wenn dieser zur filialen Liebe bestimmt ist, die durch Erziehung ausgebildet wird und die dem Menschen die M×glichkeit des Widerspruchs sowie Gott als Erzieher das Risiko des Kummers lÅßt.85

Vgl. Erskine, Serpent, 84. Vgl. Erskine, Serpent, 53: „We are all of one flesh, but we are kept separate, and walled off, from each other, by our being individual persons. This individual personality gives us that feeling of distinct responsibility which, in a great measure, detaches us from the actions of others, as if we had nothing to do with them.“ 79 Dies geht daraus hervor, daß Erskine, GrÛnde, 25 d. i. ders., Evidence, 21 der Erkenntnis das Verm×gen der Einsicht in Gut und B×se zubilligt. 80 Vgl. Erskine, GrÛnde, 18 f. 27 d. i. ders., Evidence, 15 f. 23. 81 Vgl. Erskine, GrÛnde 118. 178–183 d. i. ders., Evidence, 101. 151–156. 82 Vgl. Erskine, GrÛnde, 196 d. i. ders., Evidence, 166. 83 Vgl. Erskine, GrÛnde, 18 f. 27, d. i. ders., Evidence, 15 f. 23. 84 Vgl. Erskine, Serpent, 161. 188. 85 Vgl. Erskine, Letters, 444. 77 78

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2.4.1.2.4 SÛnde Nachdem nun anthropologische Grundaussagen getroffen sind, werden wir uns nun einer Beschreibung der SÛnde zuwenden. ZunÅchst ist zu betrachten, was SÛnde ist, um darauf deren Folgen und deren Verbindung mit dem Leiden zu beschreiben. Ein letzter Abschnitt zeigt, daß die SÛnde kein Unfall, sondern Anlaß fÛr einen Erziehungsprozeß ist. a) SÛnde als verletzte Liebe und Misstrauen. SÛnde ist Rebellion gegen die Gottesherrschaft als der Liebe Gottes.86 Der Wille Gottes kommt nÅmlich im Doppelgebot der Liebe zum Ausdruck, und der Grund der Rebellion des Menschen gegen den Willen Gottes besteht letztlich darin, daß der Mensch diese von ihm geforderte Liebe nicht als im Wesen Gottes, das selbst Liebe ist, begrÛndet sieht. So wie Heiligkeit Liebe ist, ist SÛnde damit Feindschaft.87 Erskine beschreibt die SÛnde – Åhnlich wie spÅter Ritschl in Deutschland – als Mißtrauen88, dessen Wurzel ein MißverstÅndnis des Wesens oder Charakters Gottes ist.89 Die SÛnde konzentriert sich in „Satans großer Zerst×rungswaffe“90 in der Abwesenheit von Heilsgewißheit und konkret im Glauben, Gott hÅtte dem Menschen nicht vergeben. SÛnde besteht also darin, nicht zu glauben, daß Gott den NÅchsten liebt und damit nicht zu glauben, daß Gott den SÛnder liebt.91 Die Abwesenheit von Heilsgewißheit bedeutet daher, Gott fÛr einen LÛgner zu halten.92 Da Heilsgewißheit aber die Kenntnis des Charakters Gottes voraussetzt, kann SÛnde nach der Offenbarung in Jesus Christus auch als Ignoranz und Vergessenheit beschrieben werden.93 Liebe ist aber nicht nur Gottes Wesen und Wille, sondern Liebe ist auch, wie wir sahen (s. o.), die Natur des Menschen. Da das Gesetz das Kommunikationsmittel fÛr Gottes Liebe ist, ist SÛnde als Rebellion gegen den Willen Gottes St×rung und BeschÅdigung der Kommunikation zwischen Gott und Mensch und den Menschen untereinander und damit eine SelbstbeschÅdigung der Liebe als Natur des Menschen selbst.94 Da Liebe auch Le-

Vgl. Erskine, Serpent, 7. Vgl. Erskine, Serpent, 249–252. 88 Vgl. Erskine, Serpent, 258. 89 Erskine, Serpent, 23: „The disease of his soul consisted in believing a false suggestion concerning God’s Character.“ 90 Erskine, Serpent, 222. 242. 91 Vgl. Erskine, Letters, 110. 92 Vgl. Erskine, Serpent, 253 f. 93 Vgl. Erskine, Serpent, 256–260. 94 Vgl. Erskine, Serpent, 39: „But when man fell, this bond of love was broken, and there was no longer a medium of communion between God and man.“ 86 87

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ben bedeutet, bedeutet die SÛnde somit auch eine Selbstverletzung, bzw. sogar Selbstzerst×rung.95 b) SÛnde als Leiden und Leiden als Folge der SÛnde. Erskine geht davon aus, daß es einen ontischen Zusammenhang von sittlicher SÛnde und Leiden bzw. Wohlergehen gibt, ohne daß ein ungebrochener Tun-Ergehens-Zusammenhang angenommen werden mÛßte.96 WÅhrend aber die Erfahrung gelungenen Lebens wenige Probleme bereitet, sieht Erskine auch die Notwendigkeit, die Erfahrung mißlungenen Lebens angemessen zu verstehen.97 Da Gerechtigkeit und Liebe gleich extensional sind und des Menschen ontische Konstitution bilden, ist es klar, daß die SÛndenfolge in Leiden oder Unheil besteht. Diesen Zusammenhang k×nnte Gott also nicht Åndern ohne aufzuh×ren, Gott zu sein, bzw. ohne daß der Mensch aufh×rte, der Mensch zu sein. In seiner Treue hÅlt Gott aber am Menschen fest. Wie groß das Leiden auch sein mag, Gott, der selbst Liebe ist, begeht kein Unrecht.98 Im Gegenteil. Da die Strafe als Leiden nur zum Besten des SÛnders ist, kÅme ein Erlaß der Strafe gleich, einem Kranken die heilende Medizin zu entziehen.99 Dies ist m×glich, weil der Zusammenhang zwischen SÛnde und Strafe, bzw. Leiden zwar ontisch zu verstehen ist, nicht aber mechanisch100 und auch nicht der eines willkÛrlichen Zusammenhangs ist, wie im Strafrecht. Es ist ein wahrhaft ontisch-pers×nlicher Zusammenhang. Die SÛnde steht nicht einfach im Widerspruch zu Gottes Willen, sie steht in Widerspruch zu Gottes Wesen und ist daher nicht unaufhebbar.101 So wie in Gottes Wesen Liebe und Gerechtigkeit koinzidieren, koinzidieren idealiter hinsichtlich des Menschen Gehorsam und GlÛckseligkeit. Beide stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern vollkommene Seligkeit setzt Gehorsam voraus. Daher wÅre eine Erlassung des Gehorsams gar keine Wohltat fÛr den Menschen, weil sie nur als Verlust der Seligkeit gedacht werden k×nnte:102 95

Vgl. Erskine, Serpent, 42 f. 48. Vgl. Erskine, Evidence, 37 f: „We see, then how vicious men may be happy to a certain degree in this world, and yet be miserable in the next, without supposing any very great alteration in the general system of God’s government, and without taking into account any thing like positive infliction as the cause of their misery“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 42 f). 97 Vgl. Erskine, Evidence, 50: „We see on one side, life, health, happiness; and on the other, death disease, pain, misery. The first class furnishes us with arguments for the goodness of God; but what are we to make of the opposite facts?“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 57). 98 Vgl. Erskine, Some Letters, 59 f. 99 Vgl. Erskine, Letters, 423. 100 Vgl. Erskine, Serpent, 92. 101 Vgl. Erskine, Evidence, 74: „He thus teaches us, that it forms no part of his scheme of mercy to dissolve the eternal connexion between sin and misery. No; this connexion stands sure; and one of the chief objects of Divine revelation is to conceive men of this truth“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 86). 102 Vgl. Erskine, GrÛnde, 142 f d. i. ders., Evidence, 121–123. 96

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„Wir pflegen Bestrafung und Uebertretung als zwey getrennte und verschiedene Dinge zu betrachten, welche eine weltliche Macht mit einander in Verbindung bringt, und Vergebung ist nichts als die Aufhebung dieser willkÛrlichen Verbindung. So findet es unter den Menschen statt; aber so ist es nicht in der Welt der Geister. SÛnde und Bestrafung sind dort ein Gegenstand. SÛnde ist Krankheit des GemÛths, welche nothwendig Elend erzeugt; und daher kann Vergebung der SÛnde nicht vom Elend erl×sen, wenn sie nicht zugleich ein HÛlfsmittel fÛr diese Krankheit mittheilt.“.103

Der Zusammenhang zwischen SÛnde und schlechtem Ergehen kann so auf zwei Argumentationsfiguren zurÛckgefÛhrt werden: Zwar gibt es von Gottes Seite generelle Vergebung, aber wenn sie jemand aufgrund eigener Wahl nicht annimmt, leidet er aufgrund eigener Wahl, da die SÛnde selbst schon Leiden ist. Zum anderen ist die Strafe pÅdagogisch zu verstehen und beruht daher gerade auf der Liebe Gottes.104 Umgekehrt ist es dem Menschen aber gar nicht m×glich, die v×llige Strafe der SÛnde zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit und der Liebe zu tragen. Selbst wenn Gott den Menschen vernichten wÛrde, wÅre dem Gesetz der Liebe damit nicht GenÛge getan und die Gerechtigkeit selbst nicht ausgeglichen. Denn wenn die sÛndige Menschheit der Rebellion hier Strafe und Leiden zu erdulden hÅtte, geschÅhen diese Leiden genauso wie ihre SÛnden in der Haltung des Hasses gegen Gott und wÛrden die Feindschaft nur steigern.105 c) Die SÛnde als Anlaß eines Erziehungsprozesses. Dennoch ist der Fall des Menschen nicht einfach ein Unfall; Erskine deutet den Weltprozeß einschließlich des Falles im Modell filialer Liebe als Erziehungsprozeß. Damit erweist sich die Ebenbildlichkeit des Menschen als Liebe auch als Ziel oder Bestimmung in einem Prozeß, an dessen Ende heilige Liebe steht, die nicht ohne Mitwirkung des menschlichen Willens m×glich ist,106 wÅhrend es gerade die Pflicht Gottes als Vater ist, den Menschen zum Gerecht-sein in 103 „We are the habit of considering punishment and transgression as two distinct and separate things, which have been joined together by authority, and pardon as nothing more than the dissolution of this arbitrary connexion. And so it is amongst men; but so it is not in the world of spirits. Sin and punishment there are one thing. Sin is a disease of the mind which necessarily occasions misery; and therefore the pardon of sin, unless it be accompanied with some remedy for this disease, cannot relieve from misery“, Erskine, Evidence, 197 (dt.: Erskine, GrÛnde, 233 f). 104 Vgl. Erskine, Serpent, 30 f: „1st, by providing the fact of a general forgiveness, seeing no one died after the lifting up of the serpent, by the sentence of God, but by his own choice – 2dly, by showing that their sufferings did not proceed from any lack of love in God, for that the very infliction itself by which sin was punished, was in the purpose of God to become the source of new life“. 105 Vgl. Erskine, Serpent, 42. 52. 118 f. 106 Vgl. Erskine, Election, 168 f.

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Ewigkeit zu fÛhren.107 Erskine kann die Welt daher auch als Schule der Ewigkeit beschreiben.108 Auf der einen Seite steht die Versuchlichkeit der SÛnde, die den Fall und jede AktualsÛnde motiviert und die in ihrem Versprechen, Genuß zu gewÅhren, besteht.109 Nach dem Fall allerdings ist der Mensch unfÅhig, Gottes Willen zu tun und diese UnfÅhigkeit ist ein NichtWollen des Menschen.110 Die Vers×hnungstat wird sich daher als notwendiges Element in diesem Erziehungsprozeß erweisen. Obwohl mit dem Modell des Erziehungsprozesses menschliche Freiheit impliziert ist, ist diese nicht radikal verstanden, wie es bei der Deutung des Falles als Freiheitsprobe – ein Konzept das bei GÛnther oder Dale erscheint –, der Fall wÅre. Eine solche Freiheitsprobe wird explizit abgelehnt. Sie wÛrde eher zu einer Modellierung des GottesverhÅltnisses als rechtliches VerhÅltnis denn als VerhÅltnis filialer Liebe passen.111 Wenn aber, wie wir zusammenfassend sagen k×nnen, verletzte Liebe SÛnde ist und SÛnde daher Leiden ist, muß beachtet werden, daß das Ziel der Vers×hnung und Zurechtbringung effektiv verstanden werden muß: Nicht die Strafe der SÛnde oder die Schuld der SÛnde des Menschen gilt es zu Ûberwinden, sondern die SÛnde des Menschen selbst muß Ûberwunden werden. Eine bloße Erlassung der Strafen nach dem Motto „Gnade vor Recht“, bzw. eine Šnderung des Rechts kommt nicht in Frage,112 weil damit gerade nicht die SÛnde Ûberwunden wÅre. 2.4.1.3 Vers×hnung Erskine ist sich bewußt, daß es systematische Erfassungen der Zurechtbringungslehre geben muß. Nach Erskines Ansatz ist Gottes moralisches Wesen, d. h. Gottes Charakter, die Bedingung fÛr g×ttliches Zurechtbringungshandeln, das Åquivalent mit der Offenbarung des Wesens Gottes ist. Das

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Vgl. Erskine, Letters, 436 f. Vgl. Erskine, Letters, 250: „What a wonderful scene the world is, considered as a school in which God is educating immortal beings for eternity! Look to Africa, to Asia, to America, even to Europe, even to England, London, Manchester, Glasgow, Dundee as schools for eternity!“ 109 Vgl. Erskine, GrÛnde, 36 d. i. ders., Evidence, 31 f. 110 Vgl. Erskine, GrÛnde, 186 d. i. ders., Evidence, 158. 111 Vgl. Erskine, Some Letters, 50 f. 112 Vgl. Erskine, Evidence, 72 f: „A pardon without a sacrifice, could have made but a weak and obscure appeal to the understanding or the heart. It could not have demonstrated the evil of sin; it could not have demonstrated the graciousness of God; and threfore it could not have led men either to hate sin or to love God. If the punishment as well as the criminalty of sin consists in an opposition to the character of God, the fullest pardon must be perfectly useless, whilst this opposition remains in the heart“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 84). Erskine, Evidence, 128: „We are not called on to obey, in order to obtain pardon; but we are called on to believe the proclamation of pardon, in order that we may obey“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 149 f). 108

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Vers×hnungshandeln ist nichts anderes als eine Manifestation des g×ttlichen Charakters.113 Dem Zurechtbringungshandeln folgt aber logisch die HandlungsbefÅhigung, da genau diese Ziel des Zurechtbringungshandelns sein soll, weil die Zurechtbringung als Heilung von der SÛnde als Krankheit verstanden werden kann.114 Entsprechend geht Erskine davon aus, daß das Kriterium der Systembildung KohÅrenz und ethische ImplikativitÅt ist.115 Erst damit k×nnen die beiden Fehler, das MißverstÅndnis des Verstandes und der Stolz des Herzens,116 vermieden werden. Aus der Relation zwischen Gottes Wesen und Gottes Zurechtbringungshandeln gewinnt Erskine nun zwei Kriterien: Die „Uebereinstimmung der Lehren und des g×ttlichen Wesens, welches es darstellt; und [. . . die] Uebereinstimmung dieser Lehren und des Charakters, welchen sie dem menschlichen GemÛthe einzufl×ssen suchen“.117 Diese beiden Kriterien k×nnen dann noch konkret hinsichtlich der menschlichen Situation nach dem Fall formuliert werden, in dem gefragt werden muß, „welche Ansichten [. . . eine Religion] von Gottes Wesen in Betreff der SÛnder“ gibt und „welchen Einfluß [. . .] der Glaube daran auf den Charakter der Menschen ausÛben [kann].“118 Das zweite Kriterium impliziert dabei das erste: „Die erste Frage fÛhrt uns zur Betrachtung der Vers×hnung als einer Handlung, welche unumgÅnglich aus den Ansichten und GrundsÅtzen des g×ttlichen Wesens folgt und dieselben enthÛllt, ganz unabhÅngig von ihren Wirkungen auf die Herzen derer, welche daran Theil nehmen. Die zweyte fÛhrt uns zur Betrachtung, in wie fern die Geschichte der Vers×hnung, wofern sie Glauben findet, den BedÛrfnissen und FÅhigkeiten des menschlichen GemÛths angemessen sey. Die letze Betrachtung schließt wesentlich die erste in sich, weil wir nur nach den EindrÛcken auf unser GemÛth, welche irgend ein Wesen macht, von der Beschaffenheit dieses Wesens urtheilen k×nnen.“119

Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 87. Vgl. Erskine, GrÛnde, 234 d. i. ders., Evidence 197 f; Election, XXIIf. 115 Vgl. Erskine, GrÛnde, 114 d. i. ders., Evidence, 98. 116 Vgl. Erskine, Evidence, 97 f: „The doctrine of the atonement through Jesus Christ, which is the cornerstone of Christianity, and to which all the other doctrines of revelation are subservient, has had to encounter the misapprehension of the understanding as well as the pride of the heart“ (Erskine, GrÛnde, 113). 117 „The connexion between the doctrines and the character of God which they exhibit [. . .] the connexion between these same doctrines and the character which they are intended to impress on the mind of men“, Erskine, Evidence, 98 (dt.: Erskine, GrÛnde, 114). Vgl. ebd., 117 d. i. ders., Evidence, 99 f. 118 „What view does this doctrine give of the character of God, in relation to sinners? And secondly, What influence is the belief of it calculated to exercise on the character of man?“, Erskine, Evidence, 99 (dt.: Erskine, GrÛnde, 115). 119 „The first of these questions leads us to consider the atonement as an act necessarily resulting from and simply developing principles in the Divine mind, altogether independent of its effects on the hearts of those who are in it. The second leads us to consider the adaption of the 113 114

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Wie setzt Erskine diese Anforderungen nun in seiner Vers×hnungslehre konkret um? Um dies zu beantworten, mÛssen wir, nachdem wir uns GrundzÛge der Vorstellung Erskines von der Person Christi vergegenwÅrtigt haben, zunÅchst nach Erskines VerstÅndnis der vers×hnenden Bedeutung des Todes Jesu fragen, um darauf zu untersuchen, wie dieser dem Menschen zugute kommt. Abschließend wird nach den ethischen Implikationen des Vers×hnungsgeschehens gefragt. Insgesamt wird sich dabei zeigen, was keine ºberraschung mehr sein dÛrfte, daß das VerhÅltnis zwischen Gott und Mensch als VerhÅltnis einer filialen Liebesbeziehung zu deuten ist.120 2.4.1.3.1 Die Person Christi Das Subjekt Christi ist der Sohn als zweite Person der TrinitÅt, der ewige Logos121, womit die G×ttlichkeit 122 Christi impliziert ist. Leugnungen dieser wie im Sozinianismus123 mÛssen aus biblischen und praktischen GrÛnden abgelehnt werden: Ohne Christi G×ttlichkeit gÅbe es keinen natÛrlichen und notwendigen Zusammenhang zwischen dem Wesen Gottes, Christi Vers×hnungstat und dem Glauben im menschlichen Herzen.124 So aber ist Christi Person, die sich in ihrer Geschichte ausdrÛckt, ein immerwÅhrender Maßstab fÛr uns zur Erkenntnis von Gottes Handlungen gegen uns und daher auch von Gottes Wesen oder Charakter.125 WÅre Jesus nicht Gott, wÛrden Christen bestÅndig gegen das zweite Gebot verstoßen.126 Christus selbst ist, weil er der Logos ist, das lebende Gesetz der Liebe und damit das Kommunikationsmedium fÛr die Liebesgemeinschaft zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mensch, da Liebe ja sowohl das Wesen Gottes als auch des Menschen ist.127 Ebenso notwendig zur Vers×hnung ist aber auch die wahre Menschlichkeit Christi.128 Christus ist der ewige Logos, die zweite Person der TrinitÅt, die menschliche Gestalt annimmt, und dadurch zum ReprÅsentanten der menschlichen Gattung werden kann.129 Hier taucht wieder der Gedanke des Organismus als einer hierarchisch gestaffelten Relation auf, deren history of the atonement, when believed, to the moral wants and capacities ot the human mind“, Erskine, Evidence, 99 (Erskine, GrÛnde, 115). 120 Vgl. Erskine, Some Letters, 33. 121 Vgl. Erskine, Serpent, 32. 122 Interessanterweise benutzt Erskine, Serpent, 40. 185 u. ×. hier die alte Vokalisation Jahwes als „Jehovah“ als Ausdruck fÛr das g×ttliche Wesen, nicht als Ausdruck fÛr den Vater. 123 Vgl. Erskine, Letters, 194. 124 Vgl. Erskine, GrÛnde, 160 f d. i. ders., Evidence, 137. 125 Vgl. Erskine, Serpent, 32. 126 Vgl. Erskine, Letters, 191 f. 127 Vgl. Erskine, Serpent, 40. 128 Vgl. Erskine, Some Letters, 28. 129 Vgl. Erskine, GrÛnde, 120 d. i. ders., Evidence, 102 f; Serpent, 225; Faith, 107 f. 122 f.

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Haupt Christus ist.130 Dies hat fÛr Erskine einen Doppelaspekt. Zum einen bezieht sich Jesu ReprÅsentanz mit der Fleischwerdung auf alles Fleisch.131 Auf diese Weise wird er auch zum ReprÅsentanten der SÛnde des Menschen132, denn Jesus nimmt explizit die gefallene und erl×sungsbedÛrftige Natur an.133 Die Annahme der menschlichen Natur kann als eine Annahme der Gebrechlichkeit des Geschaffenen beschrieben werden.134 Unklar bleibt, in wie weit dies als kenotisches Motiv zu verstehen ist.135 Notwendig ist dabei die Anhypostasie von Jesu menschlicher Natur. Denn nur weil Jesus keine menschliche PersonalitÅt hat, ist er fÅhig, wirklich alle Menschen zu reprÅsentieren. Da nÅmlich die PersonalitÅt die Glieder des Organismus individuiert, ist Jesus jedem Menschen nÅher als dieser sich selbst, und Jesus kann das Tun und Erleiden des ganzen menschlichen Organismus und dessen Glieder verstehen und affektiv empfinden. Jeder Mensch ist Teil von Jesus, und Jesus ist Teil jedes Menschen136. So wie der Logos die menschliche Gattung annimmt, wird schließlich das Bewußtsein (mind) Gottes und damit der Charakter Gottes aufgrund der TÅtigkeit Jesu allen Menschen bekannt, bzw. angeboten.137 Weitere christologische AusfÛhrungen, etwa eine detaillierte Lehre von der communicatio idiomatum oder von den StÅnden Christi finden sich nur in rudimentÅren AusfÛhrungen. Faktisch dÛrften die bisherigen AusfÛhrungen zu Christi G×ttlichkeit und Menschlichkeit als Beschreibung des status exinanitionis zu verstehen sein. Zum status exaltationis finden sich nur rudimentÅre Angaben, so z. B. daß Christus als herrschender K×nig nach der Auferstehung in Freiheit beschrieben wird.138 2.4.1.3.2 Gottes Vers×hnungshandeln in Jesus Christus Ziel der Zurechtbringung ist nicht einfach die Vergebung der Schuld der SÛnde oder die L×sung der Befreiung von der Strafe, sondern die Befreiung

Vgl. Erskine, Serpent, 46. Vgl. Erskine, Serpent, 34: „that man is the man, the representative man, the head of the nature; and all that is done to his flesh is done to our flesh, to your flesh and my flesh, for there is but one flesh“. Erskine bezieht sich hier auf Hebr 2, 14. Vgl. Erskine, Serpent, 90: „The doctrine of the human nature of Jesus Christ, is just an exposition of the manner of God’s love to every man.“ 132 Vgl. Erskine, GrÛnde, 122 d. i. ders., Evidence, 104. 133 Vgl. Erskine, Serpent, 34 f. 40. 47. 114. 134 Vgl. Erskine, GrÛnde, 122 d. i. ders., Evidence, 104. 135 Vgl. Erskine, Serpent, 47. 136 Vgl. Erskine, Serpent, 53. 83; 55: „The crucified head was the head of the whole body – the whole flesh, so he was in every part of it, just as the natural head is by its nerves in every part of the body.“ Vgl. Erskine, Serpent, 114. 245. Vgl. Erskine, Letters, 184. 137 Vgl. Erskine, Serpent, 32 f. 138 Vgl. Erskine, GrÛnde, 178 d. i. ders., Evidence, 151; Serpent, 225. 130 131

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des Menschen von der SÛnde selbst, und das heißt positiv: Die Absicht ist die EffektivitÅt der Zurechtbringung in der Heiligung. Dabei weist Erskine darauf hin, daß eine einfache Begnadigung ohne Beseitigung des Mißstands der SÛnde gar keiner Offenbarung Gottes in der Geschichte bedurft hÅtte.139 Erskine sieht den Vers×hnungstod Jesu in striktem Zusammenhang mit Jesu Leben und deutet ihn mit unterschiedlichen Aspekten. Jesu Tod ist aber notwendig, weil er hier eine Tat vollbringt, die kein Mensch vollbringen konnte,140 wie im einzelnen noch zu sehen sein wird. a) Jesu Tod als Strafe durch Leiden? Daß es sich bei Jesu Tod um eine Strafe handelt, hÅlt Erskine fÛr exegetisch gesichert.141 Die Ûbliche reformatorische Strafsatisfaktionstheorie wird aber aus verschiedenen GrÛnden kritisiert: Zum einen muß dem sozinianischen und aufklÅrerischen Gedanken, daß es ungerecht wÅre, einen Unschuldigen fÛr Schuldige strafend leiden zu lassen, zugestimmt werden. Zum anderen widerspricht Jesu Aufforderung an den Menschen, sein Kreuz auf sich zu nehmen, einem exklusiven VerstÅndnis der oboedientia passiva.142 Ebenso kann nicht der reformatorische Gedanke der oboedientia activa vertreten werden, da dieser letztlich den Menschen von der GesetzeserfÛllung suspendieren wÛrde. Damit aber wÅre der Mensch gerade nicht zurechtgebracht und bliebe der SÛnde verhaftet. Um die Schwierigkeit zu l×sen, wird gezeigt, daß Jesu Tod keine substitutive, sondern eine reprÅsentative Funktion erfÛllt.143 Erskine identifiziert als Basismetapher der Satisfaktionstheorie anselmscher PrÅgung zu Recht ein ×konomisches Handelsmodell.144 Aber auch wenn im Modell der Strafsatisfaktion gedacht wird, und der Tod Jesu als Strafe im strafrechtlichen Sinne gedacht wird,145 tritt ein Fehler auf, der das Vers×hnungsgeschehen verzeichnet. Im Strafrecht werden nÅmlich ºbertretung des Gesetzes und Strafe willkÛrlich, wenn auch geregelt, miteinander verbunden, so daß ºbertretung und Strafe nicht in einer nicht wechselseitig konstitutiven Relation stehen, sondern nur in einer externen Re-

139 Vgl. Erskine, Evidence, 76 f: „If the ultimate object of God’s dealings with men had been to pardon their sins, this might have been done without giving them any information on the subject until they stood before the judgment-seat: But if his gracious object was, as the Bible represents it, to make men partakers of his own happiness, by communicating to them his own moral likeness, it was necessary that such an exhibition of his moral character should be made to them, as might convey to their understandings a distinct idea of it, and might address to their feelings of gratitude and esteem and interest“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 89). 140 Vgl. Erskine, Serpent, 38 f. 141 Vgl. Erskine, Serpent, 33: „Well, look at the cross. What do we see there? A man suffering a most agonising and shameful death between two thieves, to signify that his death is specially penal“. 142 Vgl. Erskine, Serpent, 37. 143 Vgl. Erskine, Serpent, 38. Erskine nutzt hier das Wurzel-BlÅtter-Gleichnis. 144 Vgl. Erskine, GrÛnde, 138 d. i. ders., Evidence, 118. 145 Vgl. dazu Erskine, Serpent, 37 f.

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lation bestehen. „Der Fehler liegt darinnen, dass man Gottes Handlungen und die Absichten trennt, in welchen jene den Menschen offenbar wurden.“146 Eine weitere Gefahr besteht darin, daß hier innerhalb der TrinitÅt eine NichtÛbereinstimmung des Willens eingetragen wird. Dies ist aus praktischen GrÛnden abzulehnen, denn eine fehlende WillensÛbereinstimmung zwischen Vater und Sohn bedeutet praktischen Sozinianismus und damit eine Leugnung der Gottessohnschaft auf praktischem Wege, weil hier das Vers×hnungsgeschehen nicht mehr so gedeutet wird, daß der Mensch Gott als Liebe erkennen kann, geschweige denn an dieser partizipieren kann.147 Ferner sind sÅmtliche semipelagianische oder synergistische Tendenzen als unbiblisch strikt abzulehnen.148

Strafe um ihrer selbst willen oder um des bloßen Leidens willen hat keine zurechtbringende Funktion. Im Gegenteil, am Leiden, selbst wenn es verdient wÅre, hÅtte Gott keinen Gefallen.149 Der Mensch sÛndigt im unwilligen Erleiden von Leiden genauso wie in Taten.150 Damit lehnt Erskine die spÅter von Dale vertretene Ansicht (s. u.), strafendes Leiden sei notwendig, weil es an sich verdient sei, explizit ab.151 Erskine geht aber noch einen Schritt weiter: Leiden, das nicht von positivem Gehorsam begleitet wÅre, also Leiden, dem der Leidende nicht zustimmt, wÛrde der Forderung des Gesetzes nicht GenÛge tun und wÅre demnach gar keine Strafe im Sinne eines Gerechtigkeitsausgleichs, weil das Gesetz Gehorsam fordert.152 Dennoch soll Jesu Tod als Straftod verstanden werden.153 In gewissem Sinne hat auch der Vater Gefallen am Leiden Jesu. Worin bestehen dieser Gefallen und damit der Nutzen des Leidens?154 Es gelingt Erskine zwar, wie gleich zu sehen sein wird, diese Frage zu beantworten und dabei zu

146 „The error consists in separating the actions of God from the intention manifested in them towards men“, Erskine, Evidence, 119 (dt.: Erskine, GrÛnde, 139). 147 Vgl. Erskine, GrÛnde, 140 d. i. ders., Evidence 119 f. 148 Vgl. Erskine, GrÛnde, 144 f d. i. ders., Evidence, 122–124. 149 Vgl. Erskine, Serpent, 40: „Reader, do you understand the agreement of these two passages? God has no pleasure in the mere suffering of any creature, even although that suffering be merited infliction of righteous law.“ Vgl. Erskine, Serpent, 52. 150 Vgl. Erskine, Serpent, 54: „And therefore, no punishment ever accomplishes its object, until love is seen in it [. . .] And so the natural man sins in his sorrow, and displeases God in it, just as he does in his joy.“ Vgl. Erskine, Serpent, 118 f. 151 Vgl. Erskine, Letters, 415 f. 152 Erskine, Serpent, 42: „Were a man to suffer without either evil feelings or good, he could not even in that way exhaust a just penalty for even then he would be breaking the law which requires a positive obedience.“ Dieser Gedanke ist wichtig, denn er zeigt, daß ein faktisch doppelter eschatischer Gerichtsausgang gar nicht dem Gesetz genÛge tun wÛrde und eine ewige Strafe damit eschatologisch nicht widerspruchsfrei denkbar ist. Diesen Schluß zieht Erskine hier freilich nicht. 153 Vgl. Erskine, Serpent, 225; Faith 122 f. 154 Vgl. Erskine, Serpent, 41 „The Father’s pleasure in the sufferings of Jesus then did not arise from their being a just satisfaction of the law, in the sense of their meeting the law in its demand of so much punishment to answer so much sin.“

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ganz erstaunlichen Aussagen zu kommen. Dennoch treten hier InkohÅrenzen auf, denn Erskine kann zwar erklÅren, warum der Vater am Leiden des Sohnes gefallen hat,155 verlÅßt damit aber das Modell der Strafe nahezu vollstÅndig: Im Leiden Åußert sich nÅmlich die Liebe Gottes, die bereit ist, den Preis fÛr die Liebesverletzung des Menschen selbst zu Ûbernehmen, denn es ist der Sohn, der handelt. Da der Vater nun sein eigenes perfektes Bild in der menschlichen Natur, die revoltiert hat, sieht, findet er hier Gefallen. Die absichtsvoll in Kauf genommenen Leiden und der Kummer sind damit die Handlungen der heiligen Liebe unter den Bedingungen des Widerspruchs.156 Erskine wechselt hier zum Modell der Offenbarung und zum Modell des Opfers.157 Vom Strafgedanken bleibt nur dessen pÅdagogischer Wert im Rahmen dieser anderen Modelle, insbesondere des Opfers. b) Jesu Tod als nachhaltige Warnung und Offenbarung der SÛnde. Zwar ist dem Menschen kraft natÛrlichen Verm×gens der Unterschied zwischen Gut und B×se bekannt (s. o.), dennoch versteht er ohne Jesu Tod nicht den vollen Ernst der SÛnde, denn die Menschen sind voneinander separiert, weil sie menschlich individuiert sind. Jesus hingegen ist nicht menschlich individuiert, sondern g×ttlich, hat infolgedessen an der gesamten menschlichen Natur Anteil und kann damit die Schwere der SÛnde tatsÅchlich spÛren und den Menschen bekanntmachen.158 Dies leistet letztlich Jesu Tod, indem er eine fÛr die Menschen nachhaltige Warnung des Ernstes der SÛnde ist. Die SÛnde kann nÅmlich nur Jesus als Gottmensch, d. h. die Person des Logos, die eine menschliche, anhypostatische Natur annimmt, in ihrem Wesen verstehen und empfinden: „Aber Jesus hatte keine menschliche PersonalitÅt, er hatte eine menschliche Natur in der PersonalitÅt des Sohnes Gottes. Und so war seine menschliche Natur offener fÛr das Gemeinsame der Menschen, denn seine g×ttliche PersonalitÅt, obwohl sie ihn von den SÛndern trennte, vereinigte sie ihn hinsichtlich der SÛnde in Liebe. Und so waren die SÛnden anderer Menschen fÛr Jesus, was die Affektionen und LÛste des eigenen partikularen Fleisches fÛr jeden individuellen Glaubenden sind. Jeder Mensch war ein Teil von ihm und er fÛhlte die SÛnden eines jeden Menschen, genauso wie die neue Natur in jedem Glaubenden die SÛnde der alten Natur mit der

Vgl. Erskine, Serpent, 47 f. Vgl. Erskine, Serpent, 47 f. 157 Vgl. Erskine, Serpent, 45: „It could not have been declared except by God becoming man and dying for every man. It could not avail itself of omnipotence, and God’s love did not draw back from the proof. Jesus was God, and he declared this love by descending and condescending into the human nature, and in that nature tasting death for every man. The Father’s love rejoiced in its full manifestation. He was well pleased in the only begotten Son. He saw His own perfect image, and He saw it in that very nature which had revolted – He saw it, and was well pleased. Thus only could God’s love have been truly declared.“ 158 Vgl. Erskine, Serpent, 114. 155 156

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sie noch verbunden ist, fÛhlt, nicht in Sympathie, sondern in Kummer und Abscheu.“159

Jesu Tod, verstanden als der freiwillige Tod des Logos zeigt die Gefahr der SÛnde, die nicht geringzuschÅtzen ist, wenn ihr sogar Gott selbst im Tode erliegt.160 Dabei wird die Warnung nicht einfach theoretisch ausgesprochen, sondern so, daß sie die Affekte des Menschen ÛberfÛhrt und wandelt.161 Jesus als Sohn Gottes, der selbst frei von jeder SÛnde war, opfert sich selbst fÛr die Menschen.162 Erskine veranschaulicht dies am Bild einer Expedition an einem gefÅhrlichen Meeresstrand: „Stellen wir uns eine Gesellschaft am Meeresufer Reisender vor. Einer von ihnen, besser als die Ûbrigen mit der Gegend bekannt, warnt sie vor Treibsand, und macht sie auf ein Warnungszeichen aufmerksam, welches die Lage eines gefÅhrlichen Passes anzeigt. Sie finden jedoch keine Ursache, darauf zu achten; sie sind nur bedacht vorwÅrts zu kommen, und k×nnen sich nicht entschließen, einen bedeutenden Umweg zu machen, um einer ihnen eingebildet scheinenden Gefahr auszuweichen; sie verwerfen seine Warnung, und setzten ihren Weg geradewegs fort. Welchen Bewegungsgrund soll er in diesem Falle in Anwendung bringen? Welche Art von Ueberredung, k×nnen wir meinen, eigne sich kraftvoller, die Ueberzeugung vom Daseyn der Gefahr, so wie von dem uneigennÛtzigen Wohlwollen des Warnenden, in ihrem GemÛthe zu erzeugen? Seine Worte sind unwirksam; er muß etwas anderes versuchen; er muß handeln. Er thut es. Da er keinen anderen Ausweg, sie zu gewinnen sieht, so bittet er sie, einen Augenblick zu warten, bis sie die Wahrheit seiner Warnung durch sein eigenes Schicksal bestÅtigt sehen. Er geht voraus, setzt seinen Fuß auf anscheinend festen Sand, versinkt und erstickt. Diese Art der Ueberredung ist unwiderstehlich. Er war der thÅtigste und krÅftigste unter allen. Wenn irgend einer sich hier hÅtte helfen k×nnen, so war er es.“163

159 „But Jesus had no human personality, He had the human nature under the personality of the Son of God. And so His human nature was more open to the commonness of man, – for the divine personality, whilst it separated Him from sinners, in point of sin, united Him to them in love. And thus the sins of other men were to Jesus what the affections and lusts of his own particular flesh are to each individual believer. Every man was a part of Him, and He felt the sins of every man, – just as the new nature in every believer feels the sins of the old nature with which it is connected, – not in sympathy, but in sorrow and abhorrence“, Erskine, Serpent, 53. 160 Vgl. Erskine, Evidence, 66 f: „Could they hope to sustain that weight which had crushed the Son of God? Could they rush into that guilt that danger against which he had so pathetically warned them?“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 77). 161 Vgl. Evidence, 65 f: „the manifestation of the Divine character in creation and providence, and the testimony of conscience, had been in a great measure disregarded: It thus seemed necessary, that a stronger appeal should be made to their understanding and their feelings. The danger of sin must be more strikingly and unequivocally demonstrated“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 76). Vgl. Erskine, GrÛnde, 88 d. i. ders., Evidence, 75 f. 162 Vgl. Erskine, GrÛnde, 76, d. i. ders., Evidence, 66. 163 „Let us, then, present to ourselves a company of men travelling along the sea-shore. One of them, better acquainted with the ground than the rest, warns them of quicksands, and points

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Freilich ist diese Warnung vor der SÛnde nur ein Aspekt, der nicht verabsolutiert werden darf. Andernfalls b×te dieser Aspekt trotz oder gerade wegen seiner PlastizitÅt auch selbst Gefahren, denn er k×nnte fÅlschlicherweise suggerieren, es wÅre dem Menschen aus eigenem Verm×gen m×glich, sich vor der SÛnde und ihren Folgen zu retten. TatsÅchlich handelt es sich nÅmlich nicht nur um eine Bekanntgabe der SÛnde, sondern auch um eine Verdammung164 und ºberwindung der SÛnde, wie zu sehen sein wird. c) Jesu Tod als Offenbarung der Liebe Gottes durch Leiden. Wie schon im Gleichnis der am Meeresufer Reisenden ansichtig wurde, wird in Jesu Tod nicht nur eine ernste Warnung Ûber die Folgen der SÛnde ausgesprochen, sondern auch die bedingungslose Liebe in Gestalt des Wohlwollens Gottes offenbart, denn der Sohn Gottes ist der handelnde.165 Diesen Doppel- bzw. Dreifachaspekt des Todes Jesu als Offenbarung der SÛnde und der Liebe Gottes, bzw. Gottes als „nachsichtsvollem Vater“ und „gerechtem Richter“,166 sowie hinsichtlich der EffektivitÅt167 der Zurechtbringung, faßt Erskine verdeutlichend noch in einem weiteren Bild zusammen, dem Bild des gerechten, k×niglichen Vaters und des ehebrecherischen Sohnes: „Die alte Geschichte erzÅhlt uns, dass ein K×nig ein Gesetz gegen den Ehebruch gab, nach welchem der Uebertreter durch den Verlust beyder Augen bestraft werden sollte. Der erste Uebertreter war sein eigener Sohn. Der Fall war h×chst unglÛcklich; denn der K×nig war ein eben so liebevoller Vater, als gerechter Richter. Nach langem Ueberlegen und innern StrÅuben befahl er endlich, das eine Auge ihm selbst, das andere seinem Sohne auszustechen. Es ist leichter zu denken als zu beschreiben, wel-

out to them a landmark which indicated the position of a dangerous pass. They, however, see no great reason for apprehension; they are anxious to get forwards, and cannot resolve upon making a considerable circuit in order to avoid what appears to them an imaginary evil: they reject his counsel, and proceed onwards. In these circumstances, what argument ought he to use? What mode of persuasion can we imagine fitted to fasten on their minds a strong conviction of the reality of their danger, and the disinterested benevolence of their adviser? His words have been ineffectual; he must try some other method; he must act. And he does so; for, seeing no other way of prevailing on them, he desires them to wait only a single moment, till they see the truth of his warning confirmed by his fate. He goes before them; he puts his foot on the seemingly firm sand, and sinks to death. This eloquence is irresistible: He was the most active and vigorous amongst them; if any one could have extricated himself from the difficulty, it was he“, Erskine, Evidence, 64 f (dt.: Erskine, GrÛnde, 74 f). 164 Vgl. Erskine, Serpent, 114 f. 221. 165 Vgl. Erskine, Evidence, 75: „But the croß of Christ does not merely show the danger of sin; it demonstrates an unwearied compassion“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 86 f). 166 Vgl. Erskine, GrÛnde, 82 d. i. ders., Evidence, 71; Erskine, Serpent, 46. 167 Die EffektivitÅt der Zurechtbringung besteht dabei in der Absicht Gottes, den Charakter Gottes auch in das Herz der Menschen einzufl×ßen, vgl. Erskine, GrÛnde, 88 d. i. ders., Evidence 75 f.

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che GefÛhle der Sohn in dieser ihn so sehr angreifenden Lage gehabt habe. Sein Verbrechen erschien ihm in einem neuen Lichte, nicht sowohl als die Ursache eigner Pein, sondern als die Ursache von des Vaters Leiden und als Verbrechen gegen des Vaters Liebe. HÅtte der K×nig zu Gunsten des Sohnes das Gesetz gar nicht in AusÛbung gebracht, so hÅtte er keine Achtung fÛr Gerechtigkeit, und eine gegen die gegebene sehr niedrige Probe von Liebe gezeigt. Wir messen die Liebe nach dem Opfer, welche sie zu bringen fÅhig ist, und nach dem Widerstande, welche sie zu Ûberwinden findet. HÅtte der K×nig den letzten Ausweg gewÅhlt, auf diese Weise auch ein Opfer gebracht, und in seinem Herzen den Widerstand im Stillen siegen lassen; so hÅtte dieses nur einen schwachen Beweis vom wahren Daseyn seiner GrundsÅtze und Liebe geliefert; und der Sohn hÅtte wohl mit Recht denken k×nnen, seine Begnadigung sey von Seiten des Vaters mehr Folge der Nichtachtung des Gesetzes als Folge seiner Liebe zu ihm. Ja selbst, wenn auch der Sohn der Gerechtigkeit und der Liebe des Vaters, welche bey seiner Lossprechung gegenseitig kÅmpften, vollen Glauben beigemessen hÅtte, so konnte diese blos ideale Ansicht von dem Benehmen des Vaters auf keinen Fall nur zur HÅlfte jenen krÅftigen, ergreifenden und ÛberwÅltigenden Eindruck auf das Herz des Sohnes machen, als jene oben erzÅhlte einfache, unzweydeutige und praktische BethÅtigung wahren moralischen Verdienstes. Wenn man annimmt, daß das LebensglÛck des jungen Mannes davon abgehangen hatte, dieser verbrecherischen Neigung zu entsagen, so lÅßt sich nicht leicht denken, wie der K×nig krÅftiger und weiser diese wohlthÅtige Wirkung erlangen konnte.“168

Erskine ist Ûberzeugt, daß damit sowohl Gott als Gerechtigkeit und Liebe spannungslos und wirkungsvoll offenbart ist, als auch die EffektivitÅt der

168 „Ancient history tells us of a certain king who made a law against adultery, in which it was enacted that the offender should be punished by the loss of both eyes. The very first offender was his own son. The case was most distressing, for the king was an affectionate father as well as a just magistrate. After much deliberation and inward struggle, he finally commanded one of his own eyes to be pulled out and one of his son’s. It is easier to conceive than to describe what must have been the feelings of the son in these most affecting circumstances. His offence would appear to him in a new light; it would appear to him not simply as connected with painful consequenses to himself, but as the cause of a father’s sufferings, and as an injury to a father’s love. If the king had passed over the law altogether, in his son’s favour, he would have exhibited no regard for justice, and he would have given a very inferior proof of affection. We measure affection by the sacrifice which it is prepared to make, and by the resistance which it overcomes. If the sacrifice had been made, and the resistance overcome secretly in the heart of the king, there could have been but little evidence of the real existence either of principle or of affection; and the son might perhaps have had reason to think, that his pardon was as much the effect of his father’s disregard of the law as of his affection to him; and at any rate, even if he had given the fullest credit to the abstracte justice and kindness which were combined in his acquittal, it is impossible that this theoretical character of his father could have wrought on his heart any impression half so energetic, or interesting, or overwhelming, as that which must have been produced by the simple and unequicoval and practical exhibition of worth which has been recorded. If we suppose that the happiness of the young man’s life depended on the eradication of this criminal propensitiy, it is not easy to imagine how the king could more wisely or more effectually have promoted this benevolent object.“, Erskine, Evidence, 67–69 (dt.: Erskine, GrÛnde, 77–79). Vgl. ebd. 87 d. i. ders., Evidence, 75 f.

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Zurechtbringung gewÅhrleistet ist.169 Im Leiden des Kreuzes zeigt sich die Liebe dabei zunÅchst in Form von Gottes Kummer Ûber die SÛnde der Menschen.170 Die Offenbarung dieser Liebe ist zur Vers×hnung notwendig,171 denn der Mensch ist in seiner AffektabhÅngigkeit objektbestimmt, und nichts kann menschliche Liebe hervorrufen als die wirkliche LiebeswÛrdigkeit des Objekts.172 Im Vers×hnungsgeschehen zeigt sich Gott so als wirklich liebeswÛrdig, weil er Liebe ist und in Liebe handelt. Dies bestimmt alles Handeln Gottes an der Welt.173 Die beiden Aspekte der Offenbarung des Ernstes der SÛnde und der Offenbarung der Liebe Gottes lassen sich darin zusammenfassen, daß Gott dem Vers×hnungsereignis vorgÅngig „SÛnde haßt und doch Gnade mit dem SÛnder empfindet“.174 d) Jesu Tod als Opfer. Jesu Tod wird an unterschiedlicher Stelle als Opfer beschrieben.175 Das Opfer ist dabei Ausdruck dafÛr, daß Gott selbst den Preis der menschlichen Selbstverletzung Ûbernimmt. Und damit seine Liebe als Hingabe an den Menschen erweist. Wir finden hier den folgenden sehr signifikanten und theologiegeschichtlich durchaus exzeptionellen Satz: „Diese Liebe hÅtte nicht anders mitgeteilt werden k×nnen, als durch ein personales Opfer von seiten Gottes“176. Damit ist auch erklÅrt, inwiefern sich das Sein Jesu Christi als personales Gesetz der Liebe, als Kommunikationsmedium zur Heilung der menschlichen Selbstverletzung in der SÛnde eignet. Nachdem damit das bestimmende Element in Erskines VerstÅndnis des Todes Jesu als Opfer herausgearbeitet ist, mÛssen nun im folgenden noch dessen Details bestimmt werden. Innerhalb des Opfers ist sowohl der, der opfert, als auch der Gegenstand des Opfers, d. h. das, was geopfert wird,177 Gott selbst. Nur so kann Gott als Liebe und Gerechtigkeit bzw. Heiligkeit offenbart werden, und nur so 169 Vgl. Erskine, Evidence, 73: „This act, like that in the preceding illustration, justifies God as a lawgiver in dispensing mercy to the guilty; it gives a pledge of the sincerity and reality of that mercy; and, by associating principle with mercy, it identifies the object of gratitude with the object of esteem, in the heart of the sinner“ (Erskine, GrÛnde, 85). 170 Vgl. Erskine, Serpent, 35; Erskine, Letters, 444: „The idea of a sorrowing God shocks the minds of many. It does not shock mine; I cannot conceive love being without sorrow“. 171 Vgl. Erskine, Some Further Letters, 34. 172 Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 53 f. 173 Vgl. Erskine, Faith, 29: „Now, there is a meaning in the Gospel, and there is declared in it the system of God’s dealings with men. This meaning, and this system, must be understood, before we can believe in the Gospel“. 174 ‚God hates sin and yet has mercy on the sinner‘, Erskine, Faith, 81. 175 Vgl. Erskine, GrÛnde, 122 d. i. ders., Evidence, 105; Serpent, 254 u. a.; Letters, 184–186. 176 „This love could not have been declared, except by a personal sacrifice on the part of God“, Erskine, Serpent, 45. Vgl. auch Erskine, Serpent, 47. 177 Vgl. Erskine, GrÛnde, 163. 176 d. i. ders., Evidence, 139. 150.

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kann der Doppelzweck, dem Menschen die Gefahr der SÛnde zu erschließen und menschliche Liebe zu erwecken, erreicht werden, so daß Befriedung und Heilung m×glich ist.178 Dies ist wichtig, denn nur durch diese IdentitÅt von Opfer und Richter k×nnen Fehlkonzeptualisierungen vermieden werden.179 Typologisch werden die alttestamentlichen Opfer vom Opfer Christi her gedeutet.180 Die alttestamentlichen Opfer versinnbildlichen im sinnlichen Ritus sowohl den Gegenstand des Opfers Christi als auch den inneren Grund des Opfers. Der Gegenstand ist Christi Tod um der Menschen SÛnde willen. Der innere Grund ist die Koinzidenz von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in Liebe. WÅhrend ein bloßer Vollzug ohne Kenntnis des Gegenstandes noch m×glich erscheint, so ist ein gleichzeitiger Verlust der Kenntnis des inneren Grundes als Fehlform des Opfers zu werten, die dann auch prophetischer Kritik anheimfÅllt.181 Umgekehrt ist z. T. auch die pragmatische Wirkung des alttestamentlichen Opfers Åhnlich, da auch dies zumindest partiell Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit und Heiligkeit zu erzeugen vermag.182

Man kann dieses Opfer Christi nun als Hingabe Gottes an seine Kreatur interpretieren, die durch Liebe impliziert wird. Wenn Liebe Hingabe impliziert, in dem Sinne, daß sich der Liebende dem Geliebten hingibt, indem er sich fÛr die Zwecke des anderen zur VerfÛgung stellt, erscheint Christi Opfer logisch und sinnvoll: Die Liebe, um die es hier geht, ist nicht nur die Liebe zum Vater, sondern ebenso die Liebe Christi zu allen Menschen als Geschwistern. Unter den Bedingungen der Verletzung des Gesetzes der Liebe durch die Menschen tritt aber nun folgendes Problem auf: Wenn sich Gott den Menschen so hingÅbe, daß er deren Ziele, die durch den Widerspruch, der letztlich Selbstzerst×rung bedeutet, kausiert sind, ÛbernÅhme, wÅre es gerade keine sich hingebende Liebe mehr, und er wÛrde die Selbstzerst×rung der Menschen bef×rdern und ihnen gerade darinnen untreu werden. Daher gilt umgekehrt, daß Jesu Liebe im Leiden und im hingebenden Opfer des Lebens Jesu endet, indem die Menschen Jesus gerade als ihren Bruder t×ten. Gerade darin aber kann die Liebe nicht zerst×rt werden.183 Erskine beansprucht, mit diesem Modell zu zeigen, daß selbst dort, wo der Widerspruch gegen das Gesetz der Liebe am stÅrksten ist, sich die Liebe als stÅrker erweist, weil sie nicht zerst×rt werden kann. Damit erweist sich nun,

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Vgl. Erskine, GrÛnde, 158 f. 163 d. i. ders., Evidence, 135.139. Vgl. Erskine, GrÛnde, 176 d. i. ders., Evidence, 150. 180 Vgl. Erskine, Serpent, 254. 181 Vgl. Erskine, GrÛnde, 152–158 d. i. ders., Evidence, 129–135. 182 Vgl. Erskine, GrÛnde 158 d. i. ders. Evidence, 135. 183 Vgl. Erskine, Serpent: „They killed him, but they could not kill His love, that was stronger than death, and stronger than hatred [. . .] For he was every man’s brother, and his condemnation was not the condemnation of a stranger, but of a brother“. 179

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daß gerade Gottes Hingabe an den Menschen im Widerspruch, d. h. Gottes Hingabe an die Ziele des Menschen, dazu fÛhrt, daß der Widerspruch gerade den Zielen von Gottes Liebe dient. Damit aber wird die Gnade sehr viel gr×ßer.184 Interessant an dieser Argumentationsfigur ist hier, daß Erskine zu dieser Aussage kommt, ohne die Auferstehung besprochen zu haben. Die Frage, wer fÛr Jesu Tod und Leiden verantwortlich ist, wird in der gegenwÅrtigen Theologie, besonders in der Debatte um das Opfer, kontrovers diskutiert. Dabei treten verschiedene Aporien zutage hinsichtlich der Bestimmung des Subjekts, hinsichtlich der Frage, wer Jesus t×tet (s. u.). Erskine kommt hier von vornherein zu einer Bestimmung, die Aporien konsequent vermeidet. Subjekte des T×tens Jesu sind sowohl Gott – und zwar im Sinne des allen drei Personen gemeinsamen Charakters Gottes als Liebe – als auch die Menschheit als ganze185, als gefallener, einheitlicher Organismus, der im Akt des Hasses der h×chsten Selbstzerst×rung und der h×chsten Rebellion186 sich von seiner Wurzel abzuschneiden trachtet: „Es war Gottes Liebe, die Jesus verletzte, aber es war nicht des Menschen Liebe, sondern des Menschen Haß, der kooperierte. Wir sehen so die Liebe Gottes und den Haß des Menschen, die zusammen ein Werk vollbringen. Was war dabei die Absicht von Gottes Liebe [. . .]? Die Absicht war, den Menschen von den Fesseln der SÛnde und des Todes zu befreien und sie dem Leben und der Freude Gottes teilhaftig werden zu lassen. Und was war des Menschen Absicht in dieser Handlung? Gott zu t×ten, falls sie k×nnten.“187

Die beiden Subjekte koinzidieren nun in der Person Jesu, die die Natur und PersonalitÅt des Logos besitzt und die Natur des Organismus des Menschen. In Jesus fallen somit letztlich die beiden Subjekte, die Jesus kreuzigen, zusammen.188 Damit wird auch noch einmal konkretisiert, worin Jesu Leiden und seine Darbringung des Opfers, das im Kreuz seinen h×chsten 184 Vgl. Erskine, Serpent, 49 f: „and that where sin had abounded, there grace had much more abounded, – but by showing that God could force the wrath of man and devils to praise him, and that he could make hatred subserve the purpose of his love.“ 185 Vgl. Erskine, Serpent, 51: „And who were the men that slew him? [. . .] they were the representatives of the flesh in their act, as Jesus was in his. They shared the flesh as it was and is. He slewed the flesh inhabited by the Spirit. It was our flesh that crucified Jesus, as it was our flesh was crucified in Jesus. We must see this oneness of the flesh before we can understand fully our connexion with the cross.“ Vgl. Erskine, Serpent, 50 f. 186 Vgl. Erskine, Serpent, 52. 187 „It was God’s love that bruised Jesus, but it was not man’s love but man’s hatred that cooperated; so we here see the love of God and the hatred of man, as it were, combining to do one thing. But what was the purpose of God’s love [. . .]? It was that man might be delivered from the bondage of sin and death, and be partaker of the life and joy of God. And what was man’s purpose in that act? It was to kill God if he could.“, Erskine, Serpent, 51. 188 Vgl. Erskine, Serpent, 53 f: „It was His flesh (for there is but one flesh) that was daring this evil, – and He felt and acknowledged that it was a righteous thing that the flesh which had so sinned, should suffer. [. . .] And therefore he suffered as a willing victim.“

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Ausdruck findet, besteht: Das Opfer als ganzes ist sein gesamtes Leben zwischen Krippe und Grab.189 Entsprechend leidet Jesus nicht primÅr am physisch verursachten Schmerz, sondern an dem Willen und der Absicht seiner BrÛder. Aufgrund der Anhypostasie seiner menschlichen Natur ist nur Jesus in der Lage, die Tat seiner Geschwister richtig zu verstehen und zu empfinden, wÅhrend diese dies so nicht k×nnen.190 Und nur Jesus ist daher in der Lage, das Gesetz der Liebe zu erfÛllen, denn sein Kummer und seine Leiden geschehen nicht in der Rebellion, sondern im vollsten VerstÅndnis der SÛnde.191 Die Folge der Kooperation von Gott und Mensch ist nun aber nicht das Eintreten des vom Menschen erwarteten Erfolges – Gott zu annihilieren –, da zwar der Sohn als Relat stirbt, nicht aber die Liebe, die Gott ist, sondern die Verdammung der SÛnde und die Erl×sung von ihr.192 Daß die SÛnde durch Jesu Opfer tatsÅchlich nicht einfach vergeben, sondern Ûberwunden ist, belegt Erskine an verschiedenen biblischen Beispielen. Von diesen sind vor allem zwei signifikant: Erskine deutet die Freilassung des Barrabas als exemplarischen M×rder als Vergebung und Rettung aus der SÛnde derer, die Jesus gekreuzigt haben, d. h. der gesamten Menschheit.193 Jesu Grab wird als GefÅngnis der SÛnde gedeutet, und Jesu Auferstehung als Freilassung aus diesem GefÅngnis.194 Dabei ist zu beachten, daß mit Jesus der ganze menschliche Organismus befreit wird.195 Dies ist eine der wenigen Stellen, in denen die Auferstehung explizit erwÅhnt wird. FÛr sie gilt, was auch fÛr das Leiden und den Tod Jesu galt: Es ist ein exemplarischer Tod, der Jesus als Haupt des menschlichen Beziehungsorganismus zukommt und daher allen zu gute kommt.196 e) Jesu Tod als Stellvertretung, FÛhrung und BefÅhigung. Der ewige Logos erfÛllt an unserer Statt das Gesetz der gerechten Liebe Gottes und verherrlicht es. Dabei ist das Gesetz herrlicher erfÛllt, als wenn die Vertilgung der 189

Vgl. Erskine, Serpent, 54. Vgl. Erskine, Serpent, 53. 191 Vgl. Erskine, Serpent, 53. 192 Vgl. Erskine, Serpent, 52: „The flesh was taken in the fact of attempting to annihilate God – and God, in the flesh, suffered the sentence, and so at once condemned and expiated the sin of the flesh.“ Vgl. Erskine, Serpent, 54: „God never was rightly glorified by the penal suffering of the fallen nature, until that suffering was undergone in the spirit of love, by one who partook of the fallen nature, and felt for all its sins as if they had been His own, and yet had not personally partaken of them. And here that thing was one, – and done by God in man’s nature, – and thus God was glorified in man, and by man, and yet God had all the glory. Now this is the expiation, – this is that which put away sin“. 193 Vgl. Erskine, Serpent, 57 f. 194 Vgl. Erskine, Serpent, 156. 195 Vgl. Erskine, Serpent, 60. Hier ist freilich wieder zu beachten, daß hier wieder das Modell der Strafe z. T. zum tragen kommt. 196 Vgl. Erskine, Serpent, 61. 190

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menschlichen Gattung vollzogen worden wÅre.197 Diese scheint damit immer eine M×glichkeit fÛr Erskine zu sein, wÅhrend in den meisten anderen Vers×hnungstheorien, einschließlich der Anselms, dies keine reale M×glichkeit ist, sondern diese M×glichkeit nur zur Konstruktion eines Dilemmas erwÅhnt wird. Diese Stellvertretung ist freilich keine exklusive, da Jesus ReprÅsentant und nicht Substitut ist.198 Substitut ist er nur fÛr Adam, dessen Rolle er im menschlichen Gesamtorganismus einnimmt.199 Auf einer anderen metaphorischen Ebene kann Erskine das Vers×hnungsgeschehen auch dramatisch durch einen Kampf zwischen Gut und B×se modellieren, in dem die menschliche Natur Christi die Axt ist, um im Krieg die dunklen MÅchte zu besiegen. Hier ist Jesus verstanden als „Captain of salvation“200, der die Christen als seine Soldaten oder Waffen anfÛhrt oder nutzt, weil er sie vorher dazu durch seine Tat befÅhigt hat.201 Das Motiv der BefÅhigung und der FÛhrerschaft ist dabei modellinvariant, denn es erscheint auch im Rahmen der anderen modellhaften Beschreibungen des Zurechtbringungshandelns. Jesu Tod ist nicht nur Ausdruck der g×ttlichen Gerechtigkeit, sondern er dient auch als FÛhrung, um uns den Weg zu weisen, daß sich die Heiligkeit unter den welthaften Bedingungen durchaus schmerzhaft erweisen wird.202 Jesu Tod ist damit FÛhrung und BefÅhigung, denn ein bloßer Mensch hÅtte die Vers×hnungstat nicht vollbringen k×nnen, ist aber dennoch aufgerufen, Jesus im Leiden und Kummer203, verstanden als Medizin,204 zu folgen,205 da die Heilgabe Gottes nicht in einer Vermeidung des Leidens angesichts der SÛnden besteht, sondern in der Gabe eines Heilsmittels.206 Aufgrund des BefÅhigungsgedankens liegt hier kein Widerspruch vor.207 Interessant ist, daß bei Erskine damit eine doppelte BefÅhigung in affektiver Hinsicht, sowohl zum Kummer als auch zur Freude vorliegt,208 so daß

Vgl. Erskine, GrÛnde, 120 d. i. ders., Evidence, 103. Vgl. Erskine, Serpent, 38 f. 199 Vgl. Erskine, Serpent, 85. 200 Erskine, Serpent, 219. 201 Vgl. Erskine, Serpent, 216–219. 202 Vgl. Erskine, GrÛnde, 204 d. i. ders., Evidence, 173; Erskine, Serpent, 38. 203 Vgl. Erskine, Serpent, 98; Letters, 215. 204 Vgl. Erskine, Election, XXIIf. 205 Vgl. Erskine, Serpent, 88. 119. 155. 158. 206 Vgl. Erskine, Serpent, 91 f. 207 Erskine, Serpent, 39 liefert hier auch noch ein Soldatengleichnis: „At first sight it may appear contradictory to say that man is called on to do what Christ did and yet to say that it is profanity to attempt to do what He did. But the meaning is this – a soldier is quite right to follow his general’s footsteps, when he is commanded so to do, and yet it would be a capital offence to do these things in the assumption of their general’s office. Now the exclusive character of Christ’s work lay in his personal Godhead“. 208 Vgl. Erskine, Serpent, 102 f. 197 198

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der Mensch gleich Christus zur Freude im Leiden und damit gerade zur ErfÛllung des Gesetzes der Liebe befÅhigt wird.209 Auch dieser Doppelaspekt erinnert an Ritschl, wenn dieser auch den affektiven Aspekt weniger stark achtet (s. o.). Wichtig ist die Verbindung der verschiedenen Metaphern in einem SchlÛsselmodell, denn nur so k×nnen Fehlkonzeptualisierungen vermieden werden. Insbesondere gilt dies fÛr die IdentitÅt Gottes als Opfer und Richter im Vers×hnungsgeschehen. Zusammenfassend lÅßt sich sagen, daß in Jesu Tod sowohl der Charakter von Gott als auch der Charakter der Rebellion der Menschheit gegen Gott zum Ausdruck kommt.210 Die Heilswirkung der ºberwindung der SÛnde wird effektiv verstanden. Diese EffektivitÅt der ºberwindung der SÛnde bezieht sich dabei auf beide zeitliche Richtungen des menschlichen Beziehungsorganismus: Sie vollzieht sich effizient retrospektiv und prospektiv.211 Damit ist eingeschlossen, daß ihre EffektivitÅt sich sowohl auf die UrsÛnde, als auch auf alle PersonalsÛnden bezieht.212 Wie exakt diese EffektivitÅt des Zu-Gute-Kommens der Zurechtbringung zu verstehen ist, wird nun zu sehen sein. 2.4.1.3.3 Die Effizienz der Vers×hnung Heil und Glaube als angeeignete Zurechtbringung verdanken ihre Wirkung ausschließlich der vorgÅngig gegebenen Vergebung, wie sie in der Vers×hnungstat am Kreuz zum Ausdruck kommt.213 Das Ziel der Wirkung der Zurechtbringungstat in Jesus Christus ist, daß sie Glauben im Menschen und Heilsgewißheit hervorruft, wobei sich diese inhaltlich exakt auf das Vers×hnungshandeln bezieht, das erinnert wird. Heilsgewißheit und universale Vers×hnung geh×ren konstitutiv zusammen.214 Wenn sich aber jemand der Vers×hnungstat gewiß erinnert, schließt dies auch ein, daß er das VerhÅltnis von Gottes Wesen als Liebe und Gerechtigkeit sowie der Vers×hnungstat bejahend anerkennt. Dies aber bedeutet, daß der Glaubende Gott als den, der die Vers×hnung erwarb, vertrauend lieben wird.215 Da der Glaubende ferner erkennt, daß diese Vers×hnungstat der einzige 216 Grund des Heils ist,

Vgl. Erskine, Serpent, 116 f. Vgl. Erskine, Serpent, 35. 211 Vgl. Erskine, Serpent, 60. 212 Vgl. Erskine, Serpent, 61. 213 Vgl. Erskine, Serpent, 25: „In both cases, the cure was effected by the diseases subject’s becoming apprized of a thing which already existed“. 214 Vgl. Erskine, GrÛnde, 128 f d. i. ders., Evidence, 109 f; Erskine, Serpent 253–255; Erskine, Letters, 122. 215 Vgl. Erskine, GrÛnde, 130 d. i. ders., Evidence, 111 f. 216 Vgl. Erskine, GrÛnde, 147 d. i. ders., Evidence, 126; Erskine, Serpent, 130. 209 210

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so daß allein Gott unbedingtes Vertrauen zukommt, wird der nun Glaubende seine alten und trÛgerischen AbhÅngigkeiten und Verblendungen verlassen haben.217 Ebenso ist der Glaube, verstanden als Zuneigung zu Gott,218 selbst der einzige Weg fÛr die Gesch×pfe, die Gnade zu erhalten und zu verstehen, weil der Glaube eine treue Abbildung des g×ttlichen Wesens ist, gleich einer Landkarte.219 WÅre daneben auch die Heiligung selbst Grund der Heilsgewißheit,220 wÅre das Vertrauen in Gott als Liebe geschmÅlert und mithin nicht unbedingtes Vertrauen.221 Dieses liebende Vertrauen ist aber letztlich nichts anderes als Teilhabe an Gottes Wesen als Gottes Charakter222 und damit an Christus223 und bildet die Heilung von der Krankheit der SÛnde.224 Die Heiligung bedeutet damit Teilhabe an der Liebe und damit am eigenen relationalen Leben Gottes selbst als Inkorporation des Fremden.225 Erskine wendet sich hier explizit gegen ein rein imputatives VerstÅndnis der Rechtfertigung, das aber nicht vollkommen falsch ist: Die Imputation als Nichtanrechnung der SÛnden betrifft nicht die Glaubenden, sondern alle Menschen.226 Das letzte Ziel der Aneignung der Vers×hnung ist die Aneignung der Liebe, die Gott ist und in der Teilhabe und Teilgabe an Christi VerhÅltnis filialer Liebe zum Vater realisiert wird.227 Im Wissen des Willens Gottes, der KonformitÅt mit ihm und der Bereitschaft, ihn zu tun, besteht die Liebe zu Gott, die es dem Menschen erm×glicht, im Zustand der Liebe, die Gott ist, unseren NÅchsten zu lieben wie Gott ihn liebt. Liebe und Heiligkeit sind damit Åquivalent.228 Jedes Ereignis in der Welt ist so Ausdruck von Gottes Handeln, und der Mensch kann sich in ºbereinstimmung mit dem Willen Gottes dazu verhalten oder aber gemÅß seines eigenen Wollens. Daher bietet jedes Ereignis dem Menschen Gelegenheit, erziehend in die Liebe gebildet zu werden.229

Vgl. Erskine, GrÛnde, 132 d. i. ders., Evidence, 113. Vgl. Erskine, GrÛnde, 246 d. i. ders., Evidence, 207. 219 Vgl. Erskine, GrÛnde, 235 f d. i. ders. Evidence, 198 f. 220 Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 102–104. 221 Vgl. Erskine, GrÛnde, 146 d. i. ders., Evidence, 124 f; Erskine, Serpent, 147. 222 Vgl. Erskine, GrÛnde, 134. 246 f d. i. ders., Evidence, 114 .207; Erskine, Serpent, 246. 223 Vgl. Erskine, Serpent, 86. 224 Vgl. auch Erskine, Serpent, 55 f. 225 Vgl. Erskine, Serpent, 93: „I believe that one of the physiological definitions of life is ‚the power in a thing of appropriating externeous or foreign matter, and converting it into its own substance‘. And so, when the love of God is believed, and through the door of faith enters into the heart as a life, it converts all matter, however foreign to it, into its own substance.“ Vgl. Erskine, Serpent, 98 f. 226 Vgl. Erskine, Serpent, 149. 227 Vgl. Erskine, Election, 232. 228 Vgl. Erskine, Serpent, 249–252. 229 Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 139–141. 217 218

218

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Zu fragen ist nun, wie dieser Zustand zu erreichen ist. Die Aneignung geschieht mit einem doppelten Band, im Fleisch und im Geist230. Das erste Band ist das des Fleisches: Hier ist der Sachverhalt zu nennen, der klassischerweise mit der VerkÛndigung des verbum externum benannt wird,231 denn das „Evangelium besteht in der VerkÛndigung von Begnadigung mittels des Vers×hnungsopfers Christi“.232 Bei bereits zum Glauben Gekommenen zeigt sich so die Liebesgabe des Geistes u. a. in der Predigt der VerkÛndigung.233 Darin eingeschlossen ist, daß das Evangelium in seiner VerkÛndung verstehbar, d. h. widerspruchsfrei ist234 und daß ihm Aufmerksamkeit gewidmet wird.235 Eine notwendige Bedingung der Aneignung der Vers×hnung sind die Kenntnis oder das Wissen zweier Sachverhalte, nÅmlich daß aufgrund Gottes Liebe die Vergebung universal ist, wenn dies auch noch keine IrresitibilitÅt impliziert, sondern – v×llig kohÅrent236 – die M×glichkeit des Selbstausschlusses aufgrund eigener Wahl, und daß die verbliebenen Leiden als pÅdagogische Strafen gedeutet werden, die gerade der Liebe Gottes entspringen und der Weg zum neuen Leben sind.237 Zu beachten ist bei Erskines Konzept der VerkÛndigung folgendes Spezifikum: Das eigentliche Band ist hier nicht einfach die VerkÛndigung, sondern die Gabe ewigen Lebens in Christus, die aufgrund seiner Zurechtbringungstat und seiner besonderen Rolle im Gesamtorganismus und damit in jedem Menschen vorhanden ist, die Selbstgabe Christi selbst,238 wÅhrend die VerkÛndigung nur darauf aufmerksam macht.239 Der Mensch erhÅlt damit eine Provision, zu der er sich verhalten muß,240 aber auch im Ablehnungsfall kann er die Gabe nicht zerst×ren.241

230

Vgl. Erskine, Serpent, 88 f. Dabei geht es um lebendige VerkÛndigung; jeder Biblizismus wird konsequent abgelehnt, vgl. Erskine, Some Further Letters, 55: „The bible is given to help me to know God as the righteous Father, attractive to my entire trust and love. And if I take a belief in the Bible as a substitute for that loving trust in God, I am a great loser.“ Erskine, Some Letters, 50: „For my own part, I feel that I believe the Bible because of the things that I find in it, rather than that I believe them because they are in the Bible.“ 232 Erskine, GrÛnde, 116 f d. i. ders., Evidence, 100: „The gospel consists in the proclamation of mercy through the sacrifice of Jesus Christ“. Vgl. Erskine, Serpent, 84. 233 Vgl. Erskine, Serpent, 175. 234 Vgl. Erskine, GrÛnde, 229 d. i. ders., Evidence, 193. 235 Vgl. Erskine, GrÛnde, 230 d. i. ders., Evidence, 194. 236 WÛrde nÅmlich eine universale Vergebung auch eine radikale Allvers×hnung implizieren, k×nnte die Kenntnis dieses Sachverhalts nicht notwendige Bedingung fÛr das neue Leben in der Vers×hnung sein. 237 Vgl. Erskine, Serpent, 30 f. 116 f. 238 Vgl. Erskine, Serpent, 120 f. 239 Vgl. Erskine, Serpent, 88–90. 240 Vgl. Erskine, Serpent, 111. 241 Vgl. Erskine, Serpent, 148. 231

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Das zweite Band ist das des Geistes: Subjekt der Aneignung ist das Handeln des Heiligen Geistes. Die Geistgabe ist dabei Åquivalent mit der Auferstehung Christi zu verstehen.242 Der Heilige Geist ist Subjekt der Einwirkung auf die AffektivitÅt der Christen und damit Quelle des neuen christlichen Lebens und der gewandelten Person.243 Er fÛgt dem Vers×hnungshandeln in Christus nichts Neues hinzu, sondern verleiht der geoffenbarten Wahrheit affektiven Nachdruck.244 Dies geschieht allerdings nicht durch eine unmittelbare Wirkung auf die AffektivitÅt, sondern Ûber den Umweg der Vernunft.245 Da die AffektivitÅt z. T. von der Vernunft abhÅngig ist, nimmt der heilige Geist diese zur Steuerung der Affekte in Dienst. Erskine verdeutlichte dies am Beispiel von Elisas Diener (2. K×n 6,8–17). Der Heilige Geist befreit diesen von Furcht nicht durch unmittelbare Tilgung der Furcht in dessen Herzen, sondern indem er ihm ein Beispiel der Sicherheit und Beruhigung gibt: Er lÅßt ihn in der Schlacht die verborgenen feurigen Rosse und Wagen sehen und gibt ihm so einen anschaulichen Grund zur Beruhigung, so daß Vernunft und affektive AusprÅgung Ûbereinstimmen k×nnen.246

Das Werk des heiligen Geistes ist so als Instandsetzung der gefallenen Vernunft zu verstehen, die selbst nicht selbstgenÛgsam ist, sondern eben relational verfaßt ist und der Erleuchtung bedarf.247 Auch diese Erleuchtung geschieht nicht widernatÛrlich, sondern nimmt die AbhÅngigkeit der Vernunft von personaler AutoritÅt in Dienst: „Wenn die GrÛnde des Evangelii das GemÛth ergreifen, ermuthigen und geruhigen, so zeigt sich der Heilige Geist gegenwÅrtig; und der Glaube an dessen Wirksamkeit gewÅhrt den GrÛnden unaussprechliche Kraft, – so wie wir oft bemerken, dass die Gegenwart und die Stimme eines Freundes GrÛnden Gewicht ertheilen, welche wir in seiner Abwesenheit nicht geachtet haben wÛrden.“248

Diese Inanspruchnahme der Vernunft ist notwendig, da – aufgrund der relationalen Zusammengeh×rigkeit von Vers×hnung und GottesverstÅndnis – die vers×hnende Liebe Gottes als dessen Charakter verstanden werden muß, damit Heil eintritt, da Glaube Verstehen impliziert, nicht aber umgekehrt.249

242 243 244

Vgl. Erskine, Serpent, 158. Vgl. Erskine, Serpent, 5. 160. 170 f. Vgl. Erskine, GrÛnde, 178 f. 191 d. i. ders., Evidence, 151 f. 162; Unconditional Freeness,

129. 245 246 247 248 249

Vgl. Erskine, GrÛnde, 180 d. i. ders., Evidence, 153. Vgl. Erskine, GrÛnde, 182 f d. i. ders., Evidence, 154–156. Vgl. Erskine, GrÛnde, 189 d. i. ders., Evidence, 160 f. Erskine, GrÛnde, 190 d. i. ders., Evidence, 161 f. Vgl. Erskine, Serpent, 23: „the life of his soul consisted in knowing the true character of

220

Historische und analytische Untersuchungen

Der Grund fÛr die Notwendigkeit dieses Wirkens des Geistes besteht darin, daß Liebe nicht vom Willen abhÅngig ist, sondern davon, daß ein externes Relat die Neigungen anzieht.250 Erskine kann dann das neue Leben auch als Teilhabe am Heiligen Geist beschreiben.251 Dieses neue Leben im Geist oder im Licht ist dem Glaubenden gewiß und bewußt.252 Diese Glaubensgewißheit ist keine Nebensache, sie ist eine logische Folge der Zurechtbringung und in diesem Sinne notwendig. Ein VerstÅndnis der Liebe Gottes ohne Gewißheit der eigenen Annahme ist undenkbar oder wÛrde auf ein falsches VerstÅndnis der Liebe Gottes schließen lassen.253 Interessant ist hier, daß der Heilige Geist nicht nur die Vernunft in Anspruch nimmt, sondern daß der Aussage der Teilhabe am Heiligen Geist auch die Aussage der Einheit mit Gottes Bewußtsein (mind ) entspricht.254 Denn diese zwar vor dem westlich-augustinischen Hintergrund leicht erklÅrbare Auffassung kann letztlich wieder als erstaunliche Parallele zu Ritschls spÅterer Auffassung gelesen werden, nach der der Heilige Geist Wissen Gottes von sich selbst ist, und das Handeln des Geistes Partizipation des Menschen an Gottes Wissen von sich selbst bedeutet, bzw. Partizipation am Bewußtsein (mind ) Christi255 und am ewigen Leben Gottes, an dem der Mensch schon hier teilhat, vollstÅndig aber erst, wenn der Mensch durch den Tod auch an Tod und Auferstehung Christi teilhat.256 Auf die hier beschriebene Weise ist das vertrauende Verstehen des Charakters Gottes das Heil257 und fÛhrt zu einem dem Charakter Gottes konformen Charakter.258 Damit sind wir bereits bei der Frage nach den ethischen Implikationen des Vers×hnungsgeschehens angekommen.

God’s love towards man“; Erskine, Faith, 28: „I may understand many things which I do not believe, but I cannot believe any thing which I do not understand“. 250 Vgl. Erskine, GrÛnde, 196 d. i. ders., Evidence, 166. 251 Erskine, Serpent, 5: „the source of their new life is the Spirit, and every stream from that source, in like manner, will partake of its nature“. 252 Erskine, Serpent, 8: „That new life is light and the old life is darkness. If you don’t know that the life is there, it is because it is not there [. . .]. And if it is not there, you are yet without God, without Christ, without hope.“ 253 Vgl. Erskine, Serpent, 28: „This is just personal assurance founded on the general forgiving love – and yet being absolutely necessary to the understanding of that general love“. 254 Erskine, Serpent, 24: „This is the life, and it is oneness with the mind of God“. 255 Vgl. Erskine, Serpent, 84. 104. 256 Vgl. Erskine, Serpent, 156. 257 Vgl. Erskine, Serpent, 24: „In the same way, as soon as the mental eye, which is faith of understanding, came in contact with the meaning of the serpent, or the character of God revealed in it, the life of the soul was healed.“ 258 Vgl. Erskine, Serpent, 131 f.

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2.4.1.4 Handlungsmotivation als Bildung zur CharakterkonformitÅt Bei Erskine ist der Zusammenhang von Zurechtbringung und ethischen Implikationen im Gegensatz etwa zu Dale (s. u.) kein Åußerlicher, sondern Religion und HandlungsbefÅhigung geh×ren von Anfang an zusammen.259 Ja, mit Erskine kann man eigentlich streng genommen nicht im modernen Sinne von „ethischen Implikationen“ der Lehre sprechen, da diese Redeweise eine Trennung von Lehre und Moral voraussetzen wÛrde, eine solche aber als h×chst nachteilig abgelehnt wird.260 Christus, wie er im Vers×hnungshandeln erschlossen ist, ist FÛhrer der Glaubenden, dementsprechend sie sich stufenweise veredeln, ohne daß die pers×nliche Heiligung die Glaubensgewißheit begrÛnden wÛrde.261 Ziel der Ethik Erskines ist menschliche Charakterbildung zur KonformitÅt mit dem Charakter Gottes als Liebe.262 In dieser Wissen voraussetzenden KonformitÅt mit dem Charakter Christi und Gottes ist es dem Menschen m×glich, durch die Gemeinschaft mit den Leiden Christi den NÅchsten zu lieben, nicht weil Gott ihn liebt,263 sondern wie Gott ihn liebt, und mit Christi eigener Liebe die SÛnde zu hassen. Auch hier ist das Subjekt letztlich Christus durch den Geist,264 durch den der Mensch berufen ist; und diese Berufung ist eine effektive Berufung.265 Der Zustand, aus dem der Christ handelt, ist Teilhabe an der Liebe Gottes als Charakter Gottes und Åquivalent mit Heiligkeit. Damit ist das Gesetz erfÛllt.266 Erskine versteht die ethische Aufgabe des Christen zwar auch deontisch als Pflicht,267 aber die Pflicht ist nur in Zusammenhang mit affektiven NebenumstÅnden realisierbar, die Kennzeichen der christlichen Lehren sind.268 Diese affektiven NebenumstÅnde sind aber nichts fÛr die Person NebensÅchliches, sondern deren Zentrum. Erst wenn die Person geÅndert ist, ist auch eine Šnderung des Handelns zu erwarten, ansonsten bleibt sittliche Anstrengung vergebens.269

259 Vgl. Erskine, GrÛnde, 68. 81. 149 f. 163. 166 d. i. ders., Evidence, 59. 70. 127 f. 139. 141; Faith, 81. 260 Vgl. Erskine, GrÛnde, 165 f d. i. ders., Evidence, 141. 261 Vgl. Erskine, GrÛnde, 133 d. i. ders., Evidence, 114. Dennoch kann die Heiligung wenigstens posthum das Vertrauen stÅrken, wie die wiederkehrende Gesundheit das Vertrauen der Kranken in die Arznei stÅrkt. Vgl. Erskine, Serpent, 110. 262 Vgl. Erskine, Serpent, 131 f. 263 Vgl. Erskine, Serpent, 249–252. 264 Vgl. Erskine, Serpent, 159. 265 Vgl. Erskine, Serpent, 177. 266 Vgl. Erskine, Serpent, 249–252. 267 Vgl. Erskine, GrÛnde, 99 d. i. ders., Evidence, 85. 268 Vgl. Erskine, GrÛnde, 197 d. i. ders., Evidence, 167. 269 Dies verdeutlicht Erskine, Serpent, 4 am Beispiel von Baum und Frucht: „A selfish and unholy nature cannot produce the fruits of holy love; a holy loving nature must be infused“.

222

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Die christliche Vers×hnung hat ethische Implikationen. Der sittliche Charakter lÅßt sich insgesamt mit dem Begriff der GlÛckseligkeit 270 beschreiben. Hier mag Ûberraschen, daß es sich um eine ethische Implikation handelt. Der Begriff GlÛckseligkeit wird dabei nicht so verwendet, daß er exzessiven Lebensgenuß bedeutet. Lebensgenuß selbst ist auch lasterhaften Menschen zu eigen.271 Aber GlÛckseligkeit als umfassender Lebensgenuß bedeutet immer, daß eine Konkordanz menschlichen Willens mit dem Willen Gottes vorhanden ist, da jeder Widerspruch des menschlichen Willens zu dem Ûberlegenen g×ttlichen Willen Mißbehagen bedeutet.272 Erskine geht hier also, was die FÅhigkeit von der Macht oder Gewalt des Willens anbelangt, von einem stark asymmetrischen VerhÅltnis aus. Bedenkt man, daß Erskine die Erkenntnis des Guten und des B×sen ohne affekthaftes Verstehen der Vernunft fÛr universal zugÅnglich hÅlt, so ist auch deutlich, daß es sich dabei um einen universal gÛltigen Sachverhalt handelt. Gehorsam und GlÛckseligkeit fallen daher idealiter zusammen, bzw. implizieren sich gegenseitig, so daß also, wie schon erwÅhnt, der Erlaß des Gehorsams mit dem Verlust der GlÛckseligkeit einherginge.273 Der Mensch kann daher beginnen, glÛckselig zu sein, indem er beginnt, heilig zu sein.274 Auf diese Weise wird jedes weltliche Ereignis zur Gelegenheit der Festigung des christlichen Charakters und wird Elemente der GlÛckseligkeit enthalten und im Falle schmerzlicher Erfahrung „Niedergeschlagenheit so wie den Uebermuth tilgen oder wenigstens mildern“.275 Dabei ist zu beachten, daß es nicht die leidvolle Erfahrung selbst ist, die den zurechtgebrachten Charakter erzeugt, sondern nur Gelegenheit dazu bietet.276 Der Geheiligte beDurch die Gesamtdarstellung dÛrfte deutlich sein, daß „infused“ nicht auf ein substantialistisches GnadenverstÅndnis hindeutet. Erskine, Serpent, 7: „Reader, let me press it on you – you must have a spiritual life in you, before you can do a single action which is not rebellion against the Kingdom of God“. 270 Vgl. Erskine, Evidence, 29: „If the Christian character ist he character of true and immortal happiness, the system must be true which necessarily leads to that character“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 33). 271 Vgl. Erskine, GrÛnde, 35 f d. i. ders., Evidence, 31 f. 272 Vgl. Erskine, Evidence, 46 f: „Supposing, then, that we were under such a supernaturally gifted government, and that this government was so strong that the idea of resisting or escaping it involved an absurdity, – it would evidently become a matter of the very highest importance, to make ourselves accurately acquainted with its principles, and to accomodate our own to them; because, till this were accomplished, we could never enjoy tranquility, but must continually suffer the uneasiness of being reluctantly borne down by the current of a will more powerful than our own“ (Erskine, GrÛnde, 53). 273 Vgl. Erskine, GrÛnde, 142. 149 f. 202 d. i. ders., Evidence, 121. 127 f. 171 f; 150: „and will produce in him a conformity to the character of Christ, which is another name for the happiness of heaven“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 177). 274 Vgl. Erskine, GrÛnde, 170 d. i. ders., Evidence, 144 f. 275 Erskine, GrÛnde, 203 d. i. ders., Evidence, 172 f. 276 Vgl. Erskine, GrÛnde, 205 d. i. ders., Evidence, 174.

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findet sich dabei in Gemeinschaft (fellowship ) mit Christi Leiden, die ihn immer weiter von der SÛnde separieren.277 Die so erreichte ºbereinstimmung mit Gottes Wesen meint nicht, daß der menschliche Charakter fehlerfrei ist, sondern sie meint nur eine ºbereinstimmung menschlicher AffektivitÅt, eine wesentliche VerÅnderung der affekthaft gesteuerten ºberzeugung des wahrhaft Guten.278 Durch Leichtsinn und konkurrierende Leidenschaften als Zeichen menschlicher SchwÅche wird es in via immer zu Fehlern menschlichen Handelns kommen, wÅhrend die Vollendung dem Eschaton vorbehalten bleibt.279 Damit ist pers×nliche und sozial-geschichtliche PerfektibilitÅt ausgeschlossen. Das Leben in der Welt wird im Modell der Erziehung fÛr die Ewigkeit, nicht als Modell der Erziehung zur Ewigkeit, gedeutet.280 Dabei tritt keine nachtrÅgliche KonditionalitÅt der Gnade ein. Die CharakterverÅnderung ist keine notwendige Folge von Vergebung und Vers×hnung. Daher bleiben diese freie Gaben, und sie bleiben auch dort erhalten, wo sie nicht auf Glauben oder Aufmerksamkeit stoßen.281 Fragt man, welche einzelnen Tugenden bei diesem Vorgang der menschlichen Charakterbildung ausgebildet werden sollen, erhÅlt man von Erskine eher wenig theoretische explizite Hinweise. ZunÅchst erzeugt Christi Vers×hnungstat in den Herzen der Menschen Reue, Bewunderung, Dankbarkeit, festes Vertrauen und Gewißheit der Erl×sung.282 Auf diese Weise wird vertrauende Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen bewirkt, da eben Christi Vers×hnungstat ebenso fÛr uns wie fÛr unsere Mitmenschen geschah.283 Die Charakterbildung durch diese Tugenden der Liebe, d. h. Reue, Bewunderung und Dankbarkeit, schließt umgekehrt lasterhafte „LÛste des Fleisches“ aus.284 Die SÛnde als Krankheit des GemÛts wird so durch den heiligenden Einfluß des g×ttlichen Charakters geheilt und findet so Gesundheit, d. h. Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen.285

Vgl. Erskine, Serpent, 116 f. 158 f. Vgl. Erskine, GrÛnde, 199. 212 d. i. ders., Evidence, 169. 180; 196: „eternity is every moment coming nearer; and our characters are hourly assuming a form more decidedly connected with the extreme of happiness or misery“ (dt.: Erskine, GrÛnde, 232). 279 Vgl. Erskine, GrÛnde, 200. 210 d. i. ders., Evidence, 169 f. 178. 280 Vgl. Erskine, GrÛnde, 201 d. i. ders., Evidence, 170. 281 Vgl. Erskine, GrÛnde, 209. 233 d. i. ders., Evidence, 177. 197. 282 Vgl. Erskine, GrÛnde, 163. 168 f. 209 d. i. ders., 139. 143 f. 177. 283 Vgl. Erskine, GrÛnde, 169 d. i. ders., Evidence, 144. 284 Vgl. Erskine, GrÛnde, 170, d. i. ders., Evidence, 144 f. 285 Vgl. Erskine, GrÛnde, 234 d. i. ders., Evidence, 197. 277 278

224

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2.4.1.5 Probleme von Erskines Konzeption Erskine hat sich als Autor erwiesen, der trotz des erbaulichen und eher religi×sen denn wissenschaftlichen Charakters seiner Schriften eine weitgehend kohÅrente Systembildung im Hintergrund seines Schreibens aufweisen kann. Wenn wir im Folgenden nach internen Problemen seiner Vers×hnungslehre fragen, handelt es sich lediglich um zentrale Probleme, die unmittelbar aus seinen Hauptanliegen erwachsen. Nicht behandelt werden also kleinere Teilprobleme, Probleme die sich aus „Leerstellen“ seines Systems ergeben, d. h. aus verglichen mit „Normaldogmatiken“ fehlenden loci , da dies bei Erskine aufgrund des Charakters seiner Schriften keinen sinnvollen Anspruch darstellen wÛrde, sowie extern an Erskines Position herangetragene Anfragen. Im einzelnen werden zunÅchst die verschiedenen Aspekte des UniversalitÅtsproblems besprochen, um darauf auf das Problem des freien Willens, des B×sen sowie der ErwÅhlung einzugehen. Zu sehen sein wird, daß es sich dabei um logisch zusammenhÅngende Probleme handelt, die z. T. als Problemverschiebungen, bzw. als Folgeprobleme von L×sungen anderer Probleme zu verstehen sind. 2.4.1.5.1 Das UniversalitÅtsproblem Gottes Vers×hnungshandeln in Jesus Christus ist universal und richtet sich einladend an alle Menschen.286 Die Liebe Gottes, wie sie hier offenbart ist, ist umfassend und schließt universale Vergebung ein.287 Damit stellt sich aber die Frage, warum nicht alle Menschen an dieser „Wohlthat“ teilnehmen, nur verstÅrkt.288 Erskine gelingt es, Modelle des Vers×hnungsgeschehens zu liefern, die durchweg personal sind und in direkter Verbindung mit einer ethischen HandlungsbefÅhigung stehen. Da in diesem Modell g×ttliche und menschliche PersonalitÅt gewahrt sind, stellt sich ein UniversalitÅtsproblem in mehrfacher Hinsicht: Zum einen muß Gottes Vergebungsabsicht betont werden. Sie ist dem Vers×hnungshandeln Gottes in Jesus Christus vorgÅngig, und, da Gott Liebe ist, universal auf alle Menschen bezogen. Zum zweiten ist Gottes Vers×hnungshandeln in Jesus Christus selbst zu nennen, dessen Geschenk Teilhabe an Christi filialem VerhÅltnis zum Vater ist.289 Auch dieses ist, da Christus Haupt des gesamten menschlichen Beziehungsorganismus ist, ebenfalls universal, retrospektiv und prospektiv, so daß auch hier niemand ausgeschlossen ist; in Christus hat ontisch

286 287 288 289

Vgl. sein Schiffbruchgleichnis in Erskine, GrÛnde, 137 d. i. ders., Evidence, 117. Vgl. Erskine, Serpent, 30 f. Vgl. Erskine, GrÛnde, 125 f d. i. ders., Evidence, 107 f. Vgl. Erskine, Election, 232.

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jeder ewiges Leben,290 und Christus starb vers×hnend fÛr die ganze Welt.291 Zum dritten ist Gottes Handeln in der Aneignung der Vers×hnung durch den Heiligen Geist zu nennen. Der Heilige Geist wirkt Ûber die Beglaubigung des Evangeliums von Gottes Zurechtbringungshandeln in Jesus Christus Ûber den Umweg der Vernunft auf die Affekte des Menschen. Auch dieses Handeln des Heiligen Geistes dÛrfte universal zu verstehen sein. Zum vierten ist die menschliche Annahme der Vers×hnung zu nennen. Hier ist keine UniversalitÅt gegeben. Gott liefert nÅmlich in all seinem Vers×hnungshandeln eine Zeit der BewÅhrung, eine Nicht-Imputation der SÛnde292 oder eine Provision293, in der auch der Ungerechte als gerecht angesehen wird. Dies hat pÅdagogische GrÛnde, da es sich um eine Zeit der Erziehung handelt. Bei all den Beispielen ist die Zeit dieser Erziehung begrenzt, und anschließend wird Bilanz gezogen.294 Diese Bilanz ist kein von außen kommendes Gericht, sondern Erskine rechnet mit der M×glichkeit eines willentlichen Selbstausschlusses des Menschen wider besseres Wissen und wider die bereits vorhandene Gabe ewigen Lebens, so wie man sich einem universal scheinenden Licht an keinem Ort und zu keiner Zeit entziehen kann, es sei denn man schließt die Augen, oder wie wenn man trotz einer offenen GefÅngnistÛr das GefÅngnis nicht verlÅßt:295 „‚Gott hat Dir ewiges Leben gegeben.‘ Und die Frage im Gericht wird sein, ‚Was hast Du damit gemacht?‘“296 Auch die Folgen dieses Selbstausschlusses sind dann als Konsequenz menschlicher Selbstverletzung zu verstehen,297 nun freilich als erfolgreicher, in Form eines andauernden Leidens.298 Erskine verdeutlicht

290 Vgl. Erskine, Serpent, 88–90. 221. Konsequenterweise bejaht Erskine, Letters, 420 auch die Kindertaufe: „I believe that the baptism of an infant means simply to declare God’s fatherly love and relation to the child, and His purpose to educate it for Himself. – this I believe to be true of every child born into this world. Baptism declares the truth, it does not make it.“ 291 Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 77–79; Letters, 110. 292 Vgl. Erskine, Serpent, 80. 148–151. 293 Vgl. Erskine, Serpent, 74 f. 83. 86. 98 f. 112. 120 f-123. 294 Vgl. Erskine, Serpent, 64 f. 295 Vgl. Erskine, Serpent, 68–70; Erskine, Faith, 111; Erskine, Letters, 117 f. 296 Erskine, Serpent, 87: „‚God hath given to us eternal life.‘ And the question in the judgment will be, What have you done with it?“ Vgl. Erskine, Serpent, 143. 297 Vgl. z. B. Erskine, Serpent, 80: „No doubt God condemned him [den sich verweigernden SÛnder] for not looking at it [der erh×hten Schlange als Symbol fÛr die UniversalitÅt von Christi Vers×hnungshandeln], but this condemnation was the disapproving love of a friend and not the sentence of a judge removing him from the serpent“. 298 Vgl. Erskine, Serpent, 260. Erskine spricht hier von „everlasting punishment“. ZunÅchst einmal ist zu sagen, daß es kohÅrent ist, wenn hier nicht von annihilatio oder erfolgreichem Selbstmord die Rede ist, denn die Gabe ewigen Lebens besteht von Seiten Gottes ja unkonditional weiter. Andauernde (everlasting) Leiden mag daher die Konsequenz sein. Eindeutig inkohÅrent ist hier allerdings Erskines Rede von Strafe. Strafe um der Strafe willen hat Erskine ja

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dies mit vielen Beispielen.299 Diese Figur erinnert an die L×sung, die Ritschl spÅter geben wird (s.o). In beiden FÅllen wird ein doppelter Gerichtsauschluß in intensionaler Hinsicht angenommen, Ûber dessen Extension zu Recht geschwiegen. Im Unterschied zu Ritschl ist aber die M×glichkeit deutlich realer, denn bei Ritschl handelt es sich um eine Rebellion des Menschen trotz Geistbesitz. Ob eine solche Ûberhaupt kohÅrent denkbar ist, blieb offen. Dies ist bei Erskine anders, hier ist diese M×glichkeit gegeben, wobei der Mensch durch seinen Stolz, selbst etwas fÛr sein Heil tun zu wollen, motiviert sein k×nnte,300 so daß Erskine hier konsequenter ist. M. E. ist Erskine hier aber kein Arminianismus vorzuwerfen; vielmehr erinnert Erskines L×sung an die L×sung der Konkordienformel.301 Allerdings entsteht aufgrund von Erskines System ein anderes, doppeltes KohÅrenzproblem, das zur Zeit von Erskines PublikationstÅtigkeit noch nicht gel×st wird: Erstens geht Erskine davon aus, daß Leiden, wie es Folge menschlicher Selbstzerst×rung ist, zwar eine Folge des Gesetzes der Liebe ist, aber dieser Gerechtigkeit als solches (d. h. ohne affekthafte Zustimmung) eben nicht genÛge tut. Damit kann gefragt werden, ob die M×glichkeit des doppelten Ausgangs nicht gerade bedeuten wÛrde, daß Gottes Gerechtigkeit hier eschatisch nicht zum Zug kÅme. Zweitens geht Erskine davon aus, daß der Mensch ein relationaler Organismus ist, in dem keiner vereinzelt ist. Unter dieser PrÅmisse wÛrde aber ein doppelter Gerichtsausgang gerade bedeuten, daß der menschliche Gesamtorganismus dauerhaft geschÅdigt bliebe. Auch dies ist nicht unproblematisch. Erst zur Zeit seiner KorrespondenztÅtigkeit, nachdem er nicht mehr publizierte, kommt Erskine hier zu einer anderen L×sung, die kohÅrenter, aber auch unorthodoxer ist: Da auch im Falle der Ablehnung der Gabe ewigen Lebens die Gabe als Gabe bestehen bleibt, ist dies nur kohÅrent denkbar, wenn der zur Nicht-Ablehnung fÛhrende Erziehungsprozeß gegebenenfalls nie ein Ende nimmt. Und so kommt Erskine dann auch zu dem Schluß, daß dieser Erziehungsprozeß filialer Liebe auch nach dem pers×nlichen Tod noch andauert.302 „Gottes Arme sind offen“.303

abgelehnt. Daher erscheint es sinnvoll, Erskine hier in seinem eigenen Sinne zu korrigieren und punishment mit Leiden zu Ûbersetzen. 299 Vgl. z. B. Erskine, Serpent, 64–80. 300 Vgl. Erskine, Unconditional Freeness, 65. 301 Vgl. BSLK 818 f. 302 Vgl. Erskine, Some Lettters, 50 f. 303 ‚God’s arms are open‘, Erskine, Unconditional Freeness, 84. Dieser letzte Satz stammt schon von 1828, so daß Erskines spÅtere Ansicht als Korrektur zugunsten von KohÅrenz zu werten ist.

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2.4.1.5.2 Das Willensproblem Erskine zeigt insgesamt sehr sch×n, wie der Wille von den Affekten abhÅngig ist, und diese nicht einfach ein gegebenes Grunddatum oder die Basis der menschlichen intentionalen Verm×gen sind, sondern zumindest z. T. vernunftfÅhig sind, da auch Affekte von Einsicht, Wissen und Erfahrung, die selbst Ûbrigens nicht weniger passiv-relational strukturiert sind, abhÅngen. Erskine geht, wie zuletzt gesehen, davon aus, daß die Gabe ewigen Lebens universal erfolgt und niemandem versagt wird, daß das ewige Leben aber nicht von allen angenommen werden muß. Damit scheint zum einen die Gnade in letzter Konsequenz deutlich nicht irresistibel zu sein, und der Mensch scheint arminianisch ein neutrales Willensverm×gen zu besitzen. Zumindest explizit verweigert sich Erskine dieser Folgerung. Denn er geht davon aus, daß eine UnabhÅngigkeit von Gott immer eine AbhÅngigkeit vom Satan bedeutet, zu dessen Werkzeug der Mensch wird,304 u. U. ohne es zu wissen. Dabei ist die Struktur der Aneignung des Abfalls die gleiche wie im Falle des Glaubens: Auch hier ist VerkÛndigung n×tig, die damit freilich falsche Prophetie ist.305 Selbst in diesem Zustand der Ablehnung ewigen Lebens erhÅlt Gott diese Gabe aufrecht.306 So etwas wie einen relationslosen, autonomen Willen, der sich an sich selbst orientieren k×nnte, gibt es damit bei Erskine nicht. Ist dies mit dem Gedanken der NichtirresistibilitÅt der Gabe des ewigen Lebens kohÅrent denkbar? Erskine geht davon aus und kommt zu folgender Auffassung: Glaube besteht in der Gabe ewigen Lebens; als Gabe ist er keine Handlung und damit kein gutes Werk des Menschen. Unglaube ist die Abgabe des vorgÅngig gegebenen Lebens. Damit ist Unglaube eine Handlung und zwar ein schlechtes Werk.307 2.4.1.5.3 Das Problem des B×sen Eine weitere L×sungsm×glichkeit im Rahmen einer Problemverschiebung wÅre hier denkbar, wenn ein dramatisches Erl×sungsmodell im Rahmen eines Kampfes zwischen Gott und dem Satan angenommen wÛrde, in dem dann die eigentliche Zurechtbringung bestÛnde. Einige Passagen bei Erskine deuten nun genau darauf hin.308 Dabei begeht er aber nicht den Fehler Vgl. Erskine, Serpent, 161. Vgl. Erskine, Serpent, 216. 306 Vgl. Erskine, Serpent, 162. 307 Vgl. Erskine, Serpent, 255 f. 308 Vgl. Erskine, Serpent, 188: „There are no neutrals in this conflict, and there can be none. Those that have not the life of God in them, are really the soldiers of Satan. Reader, are you aware to this awful truth? [. . .] You are engaged in a mighty controversy whether you know it or not.“ Erskine, Serpent, 217 f: „The bible is the book of the wars of the Lord [. . .] It contains the whole history of the world, and of the race – for there is no event which takes place in this world, or which has relation to any partaker to the one flesh, that does not form a part of the 304 305

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Aulens,309 die Kampfesmetaphorik rein auf das Subjekt Gottes im Vers×hnungshandeln zu beschrÅnken, sondern sieht in AdÅquanz zum biblischen Befund, daß die Kampfesmetaphorik den geheiligten Glaubenden mit einbezieht. Eine wichtige Folgerung der NichtneutralitÅt des Willens ist in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Heilsgewißheit. Diese ist unbedingt notwendig. Ist sie nicht vorhanden, ist dies ein hinreichendes Zeichen dafÛr, daß sich der Wille in der falschen Bindung, eben nicht an Gott und daher an den Satan, befindet.310 Eine weitere wichtige Folgerung ist auch, daß auf die Gabe des ewigen Lebens kontinuierliche Antwort in Zustimmung und Absage an den Satan zu erwarten ist. Es handelt sich nicht um ein einmaliges Geschehen.311 Freilich ist nun eine Bestimmung des VerhÅltnisses des Satans zu Gott erforderlich, wenn nicht eine weitere Problemverschiebung stattfinden soll. Warum lÅßt Gott das B×se zu? Diese Frage bezeichnet Erskine als RÅtsel, strikt im Gegensatz zu Gottes allmÅchtiger Liebe und – das ist wichtig – im Gegensatz zum Leiden in der Welt, die beide keine RÅtsel sind. Aber es ist freilich ein RÅtsel, das Gott l×sen kann. Und da Gott dem Menschen offenbar ist, ist auch dem Menschen eine Antwort m×glich. Am Kreuz wird zunÅchst offenbar, daß Gott nicht der Ursprung des B×sen ist, sondern mit dem B×sen inkompatibel ist.312 Dabei entsteht durch die Zurechtbringung in der ºberwindung des B×sen ein gr×ßeres Gut, das wir freilich zunÅchst nur als Hoffnung in dunkler Zeit kennen.313 Damit ist das ºbel von Gott zugelassen, damit es Ûberwunden wird und weil es Ûberwunden werden wird. 2.4.1.5.4 Das Problem der ErwÅhlung Nach Erskines Konzept ist klar, daß es eine ErwÅhlung gibt, aber dies ist eine ErwÅhlung von Klassen oder intensionalen Merkmalen, nicht eine ErwÅhlung von einzelnen Personen; jeder, der den fleischlichen Bindungen folgt, ist verworfen, jeder, der dem Geist folgt, ist erwÅhlt.314 Dieses Konzept ist kohÅrent. Da es sich aber aus dem Wesen oder Charakter Gottes als ontischer und daher auch gerechter Liebe ohnehin logisch ergibt, kann ge-

wars of the Lord [. . .] He has chosen the human nature to be his battle-axe and weapons of war“; Vgl. auch Serpent, 234. 309 Vgl. Aulen, Haupttypen. Auf diese Fehler weist Gunton, Atonement, 53 ff hin. 310 Vgl. Erskine, Serpent, 188: „You are a soldier either of God or of Satan, either of light or of darkness. Do you know which side you are on? If you don’t know, you pronounce sentence on yourself, you prove yourself to be on the side of darkness.“ 311 Vgl. Erskine, Serpent, 200. 312 Vgl. Erskine, Serpent, 204 f. 313 Vgl. Erskine, Serpent, 205–207. 314 Vgl. Erskine, Election, 23.

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fragt werden, ob der ErwÅhlungsbegriff nicht ein ÛberflÛssiger, weil redundanter Begriff ist, der nichts Neues hinzufÛgt.

2.4.2 Die Zurechtbringungslehre John McLeod Campbells 2.4.2.1 Leben und Schriften, historische HintergrÛnde und Forschungstendenzen Der Streit um die Vers×hnungslehre John McLeod Campbells zeigt, mit welcher Brisanz die Gedanken Thomas Erskines of Linlathen auch kirchengeschichtlich wirksam werden konnten. Denn im Streit um McLeod Campbells Theologie geht es um nichts anderes als um die Frage nach der UniversalitÅt des Heilswillens Gottes, wie er am Kreuz erschlossen ist, und um die Frage, wie die reformierte Kirche dazu steht. 2.4.2.1.1 Leben und Schriften John McLeod Campbell,315 geboren 1800 in Kilninver (Aryllshire, Schottland), gestorben am 27.02.1872 in Roseneath, Besuch der UniversitÅt Glasgow seit 1811, Graduierung 1821, anschließend weitere Studienjahre, war seit 1825 Pfarrer in Row (Dumbartonshire) am Gareloch in der NÅhe Glasgows. Hier lernte er zunÅchst einige Freunde kennen, die ihn theologisch beeinflussen sollten: Robert Story, Pfarrer an der gegenÛberliegenden Seite des Sees, Edward Irving und vor allem den Juristen Thomas Erskine of Linlathen, ein Laientheologe, mit dem McLeod Campbell seit 1828 Kontakt hatte und der die theologische Entwicklung McLeod Campbells derart beeinflußt hat, daß McLeod Campbell in seinem Gedankengut nahezu vollstÅndig von Erskine abhÅngig ist. Diesem signifikanten AbhÅngigkeitsgefÅlle, das in der bisherigen Literatur Ûber McLeod Campbell leider nicht hinreichend erkannt wurde, ist ein letzter Abschnitt in diesem Kapitel gewidmet. In seiner TÅtigkeit als Pfarrer beobachtete McLeod Campbell, daß unter seinen Gemeindegliedern eine Fr×mmigkeit verbreitet war, die die Aufmerksamkeit der Glaubenden auf sich selbst und deren Leben lenkte, damit diese anhand der FrÛchte der Heiligung erkennen k×nnten, ob sie zu den ErwÅhlten geh×ren. McLeod Campbell stellte fest, daß dieser unreformatorischen Fr×mmigkeit, basierend auf der calvinistischen ErwÅhlungslehre des in Schottland herrschenden F×deralcalvinismus, am besten zu begegnen sei, indem er in seinen Predigten vor allem nicht die Wirkungen der Heiligung, sondern Jesus Christus predigte. Dabei betonte er zwei Sachverhalte, die ihn in Mißkredit bei der Schottischen Kirche brachten und dazu fÛhrten, daß er 1831 von der Schottischen Synode mit 119 gegen 6 Stimmen entlassen wurde: Campbell predigte, daß Jesus Christus fÛr alle Menschen, nicht nur die ErwÅhlten

315 Zum folgenden Exkurs vgl. Jinkins, Comparative Study, 2–5; Dyk, Desire, 9–37; Campbell, Memorials, und http://18.1911encyclopedia.org/C/CA/CAMPBELL_JOHN_MCLEOD.htm vom 28.09.2002

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gestorben sei, und es daher keine limitierte Zurechtbringung gÅbe und er predigte die Notwendigkeit der Glaubensgewißheit zur Notwendigkeit der Heilserlangung.316 Z. T. war diese Entlassung McLeod Campbells auch von historischen ZufÅllen abhÅngig. So wirkte es sich fÛr ihn nachteilig aus, daß er zu keiner der beiden großen Fraktionen der damaligen Schottischen Kirche, den Moderaten und den Evangelikalen, geh×rte und seine Unterscheidung von Glaubensgewißheit und Heilssicherheit wurde nicht verstanden.317 Die Hauptursache war freilich die durch Erskine motivierte Ablehnung der Lehre von der auf die ErwÅhlten limitierten Zurechtbringung. Interessant ist, daß McLeod Campbell mit Berufung auf die Westminster Confession , den Westminster Assembly’s Shorter Catechism und die Confession von 1690 abgesetzt wurde, ein Sachverhalt, der besonders tragisch ist, da McLeod Campbell seine Theologie exakt als Entfaltung der Antwort auf die erste Frage dieses Katechismus verstand: Des Menschen Ziel ist, Gott zu verherrlichen und Gott fÛr immer zu genießen.318 Nachdem McLeod Campbell eine Einladung Edward Irvings, in dessen Kirche mitzuarbeiten, abgelehnt hatte, ging er zunÅchst in die Highlands um als freier Prediger Evangelisation zu betreiben und schließlich nach Glasgow, wo er seit 1843 fÛr 16 Jahre einer freien Gemeinde vorstand, die er aber nicht institutionell in eine separat organisierte Kirche ÛberfÛhrte. Hier begann er, mit 51 Jahren auch theologische Literatur mit erbaulichem und kontroverstheologischem Charakter zu publizieren: 1851 erschien, „Christ, the Bread of Life“319, ein erbauliches und polemisches Werk, das vor allem gegen ein romanistisches transsubstantialistisches AbendmahlsverstÅndnis gerichtet ist, wie es von der Oxford-Bewegung propagiert wurde. 1856 erschien „The Nature of Atonement and its Relation to Remission of Sins and Eternal Life “320, die Hauptquelle fÛr unsere Studie, ebenfalls zugleich erbaulich geschrieben aber auch polemisch gegen die im 18. und 19. Jh. herrschende Calvinistische Theologie gerichtet. Nach gesundheitlichen Problemen 1859 stellte er die Gemeindearbeit ein und wies seine Gemeindeglieder an, sich der Gemeinde Norman McLeods anzuschließen. 1861 erschien McLeod Campbells letztes Buch „Thoughts on Revelation “321, in dem er weniger erbaulich sowohl gegen die romanistische Unfehlbarkeitsvorstellung der Kirche als auch gegen skeptizistische Tendenzen argumentiert und damit eine direkte Antwort auf einen 1860 erschienen Sammelband „Essays and Reviews “322 gibt. Nachdem er 1868 von der UniversitÅt Glasgow den Ehrendoktortitel erhielt und er 1870 nach Roseneath umgezogen war, starb er 1872. Sein Sohn publizierte 1873 posthum seine Erinnerungen unter dem Titel „Reminiscences and Reflections.“323 Weitere Erinnerungen, die uns auch helfen, McLeod Campbells Bio-

316 Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 138–165. Vgl. auch The Whole Proceedings, 16. 317 Vgl. The Whole Proceedings, 44–46. 318 Vgl. McLeod Campbell, Reminiscenses and Reflections, 142. 319 McLeod Campbell, Christ the Bread of Life. 320 McLeod Campbell, Atonement. 321 McLeod Campbell, Thoughts on Revelation 322 Pattison, M. /Jowett, B. /Temple, F. (Hg.), Essays and Reviews, London 1860. 323 McLeod Campbell, Reminiscenses and Reflections.

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graphie zu rekonstruieren, wurden von seinem Sohn 1877 ver×ffentlicht.324 John McLeod Campbell verdankt den Einfluß, den er letztlich ausÛben konnte, der Pflege eines intensiven theologischen Freundeskreises, zu dem u. a. Thomas Erskine of Linlathen, Norman McLeod, Bischof Alexander Ewing, und F.D. Maurice zÅhlten.

2.4.2.1.2 Historische HintergrÛnde John McLeod Campbells Leben zeigt, daß seine Vers×hnungslehre aufgrund seiner GemeindetÅtigkeit noch stÅrker als die Erskines vor dem Hintergrund der Entwicklung der Theologie in reformiert-calvinistischer Tradition verstanden werden muß. FÛr diese Entwicklung, die den Calvinismus in McLeod Campbells Augen genauso reformbedÛrftig erscheinen ließ wie die r×mische Kirche zur Zeit der Reformation,325 gilt im wesentlichen das bereits im entsprechenden Abschnitt im Kapitel Ûber Erskine Gesagte (s. o.).

2.4.2.1.3 Der Charakter McLeod Campbells Theologie und ihr Einfluß auf Forschungstendenzen Die Diskussion um John McLeod Campbells Zurechtbringungslehre nimmt im englischen Sprachraum langsam eine Åhnliche Stellung ein wie die Diskussion um die Zurechtbringungslehren KÅhlers und Ritschls in der deutschen Theologie. Um so erstaunlicher ist es nicht nur, daß die beiden Diskussionen innerhalb der Theologie der Familie protestantischer Konfessionen nie zusammengefÛhrt wurden, sondern auch, daß selbst das Urteil Ûber McLeod Campbell schon in der Spezialforschung denkbar stark variiert. Aus deutscher Sicht wurde John McLeod Campbell nur zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20 Jh. in einem pauschalen Urteil Otto Pfleiderers326 wahrgenommen, der die McLeod Campbellsche Zurechtbringungslehre in einer ethisierenden Linie mit Kant und Schleiermacher sieht, freilich ohne daß McLeod Campbell Schleiermacher – aufgrund fehlender Sprachkenntnisse – gekannt haben k×nnte;327 das Urteil Pfleiderers wird dann von Bewekes328 bestÅtigt. DemgegenÛber sieht die neuere Forschung aus dem angloamerikanischen Sprachraum McLeod Campbell als einen VorlÅufer der trinitarischen Renaissance des letzten Viertels des 20. Jh.s und damit in einer Linie mit so unterschiedlichen Theologen wie Karl Barth, Thomas Torrance, Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, JÛrgen Moltmann, Eberhard JÛngel, J.D. Zizioulas oder C.E. Gunton.329 Das Ziel von Leanne van Dyk hingegen ist aufzuweisen, daß Campbells Zurechtbringungslehre, wenn auch nicht in calvinistischer, so doch in calvinischer Tradition steht.330 Wir werden sehen, daß insbesondere die gegenwÅrtige Haupttendenz der Forschung Ûber McLe-

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Campbell, Memorials. Vgl. McLeod Campbell, Reminiscenses and Reflections, 28. Vgl. Pfleiderer, Entwicklung, 468. Vgl. Dyk, Desire, 26 f. Vgl. Bewekes, Legacy, 148 ff. Vgl. Jinkins, Comparative Study, xiii, xix. Vgl. Dyk, Desire, 47. 137 ff.

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od Campbell, die ihn als VorlÅufer der trinitarischen Renaissance sieht, nicht haltbar ist. Stellt man die Frage, wie es kommt, daß in der Beurteilung der Vers×hnungslehre McLeod Campbells so divergente Urteile gefÅllt werden konnten, die von den jeweiligen prÅferierten theologischen Interpretationsrahmen der jeweiligen Interpreten abhÅngig sind, kann eine Reihe von Faktoren in McLeod Campbells eigenem Vorgehen genannt werden, die solche Interpretationen begÛnstigen. McLeod Campbell schreibt in einem erbaulichen Predigtstil einschließlich vieler an w×rtliche Rede erinnernder oder tatsÅchlich aus solcher entnommener rhetorischer Mittel. Seine Absicht ist aber nicht nur erbaulich, sondern auch polemisch-kritisch, was in der fÛr die Zurechtbringungslehre relevanten Hauptquelle, „The Nature of Atonement“, klar zum Ausdruck kommt. Neben einer erst in der zweiten Auflage hinzugefÛgten Einleitung und einem ersten Kapitel, in dem McLeod Campbell die GrundzÛge seiner Vers×hnungstheologie vorstellt, beginnt das Buch im zweiten Kapitel mit einer Beschreibung der Rechtfertigungslehre Martin Luthers, wie sie McLeod Campbell vor allem aus dem Galaterbriefkommentar, aber auch aus anderen Quellen entnimmt. Mit diesem Lutherkapitel steckt McLeod Campbell den Bereich ab, innerhalb dessen sich eine Zurechtbringungslehre bewegen kann, so daß die lutherische Rechtfertigungslehre den Maßstab der Beurteilung jeglicher Vers×hnungslehre bildet. Hinsichtlich der Zurechtbringung spitzt McLeod Campbell Luther folgendermaßen zu: Das Gesetz offenbart die SÛnde des Menschen, das Evangelium Gott.331 Christus hat einen Sieg Ûber das Gesetz, die SÛnde und den Teufel errungen, mit der Folge, daß der „fr×hliche Wechsel“ statt hat: Christus nimmt unsere SÛnde auf sich, wÅhrend wir an seiner Gerechtigkeit partizipieren; Christus identifiziert sich mit uns, auf daß wir uns mit ihm identifizieren k×nnen, mit einer doppelten Folge: Gott imputiert uns Christi Gerechtigkeit, legt aber gleichzeitig den Glauben in unsere Herzen, so daß die Rechtfertigung nicht rein imputativ erfolgt.332 WÅhrend Luther den Effekt der Zurechtbringung in der Rechtfertigung klar im wechselseitigen Identifikationsgeschehen und mit dem Hinweis einer effektiven Rechtfertigung expliziert habe, bleibt bei Luther selbst unklar, auf welcher Basis die Rechtfertigung aufliegt: Unklar ist, wie das die Rechtfertigung erm×glichende Werk Christi selbst zu verstehen ist. Damit gewinnt McLeod Campbell seine eigene Aufgabenstellung aus einer LÛcke in der lutherischen Theologie.333 Diese seine eigene Aufgabenstellung wird aber im folgenden zunÅchst rein kritisch entfaltet, d. h. McLeod Campbell zeigt in verschiedenen Kapiteln explizit, daß verschiedene Varianten eines juridischen ZurechtbringungsverstÅndnisses nicht haltbar sind. Ein langes Kapitel setzt sich mit den Zurechtbringungslehren von Jona-

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 58. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 53–60. 333 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 62 f: „As to my immediate subject – the nature of atonement – I have admitted that he does not offer much help towards a clear intellectual apprehension of it. Christ’s identifying of Himself with us, joining Himself to the company of the accursed, taking unto Him their flesh and blood’ [. . .] these are conceptions which he may have been content to hold as matters of revealed fact, but still mysteries which precluded clear intellectual apprehension. [. . .] Luther’s marvellous teaching of justification by faith alone is left a superstructure without a foundation.“ 331 332

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than Edwards und John Owen auseinander334, eines mit dem Calvinismus seiner Zeit in Gestalt der Theologien von Andrew Fuller, George Payne (1781–1858), Thomas W. Jenkyn († 1846), John Pye Smith (1774–1851), Ralph Wardlaw (1779–1853) und anderen und zeigt, daß deren „modifizierter Calvinismus“ letztlich auf den „Ålteren Calvinismus“ von Edwards und Owen zurÛckzufÛhren ist und dessen zu kritisierende SchwÅchen teilt.335 Erst dann stellt McLeod Campbell das GrundgerÛst seiner Vers×hnungslehre in drei kurzen Kapiteln vor,336 um dieses Schema in verschiedenen Kapiteln an verschiedenen biblischen und anderen Sachverhalten zu verdeutlichen.337 Aber auch sowohl in der Vorstellung des GrundgerÛstes seiner Zurechtbringungslehre als auch in deren Explikation Ûberwiegen nicht die konstruktiven Passagen, sondern die kritische Auseinandersetzung mit juridischen Modellen, vor allem mit Edwards. Nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern auch in argumentativer Hinsicht ist McLeod Campbell in dem, was er kritisiert, deutlicher und klarer als in dem, was er positiv als adÅquates Vers×hnungsverstÅndnis rekonstruiert. Da die genannten Interpreten McLeod Campbells aus der gegenwÅrtigen Forschung oft seinem Argumentationsgang folgen, indem sie Inhaltsangaben liefern, schlÅgt sich auch hier die kritische Kraft nieder, wÅhrend in der Beschreibung der Position Interpolationen erfolgen. Um diesen Fehler zu vermeiden und McLeod Campbells Position in ihrem eigenen Lichte zu sehen, werden wir hier versuchen, anders vorzugehen und gleich die Position, nicht aber vornehmlich McLeod Campbells Kritik darzustellen. Diese lÅßt sich z. T. aus der Darstellung dessen Typologisierung von Zurechtbringungslehren entnehmen (s. o.). Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Zurechtbringungslehren ist die Zurechtbringungslehre John McLeod Campbells nicht nur einfach ein zentrales LehrstÛck seiner Theologie, sondern zugleich deren Organisationsprinzip. Zwar setzt auch bei McLeod Campbell die Vers×hnungslehre Gotteslehre, Anthropologie und SÛndenverstÅndnis voraus, bzw. impliziert diese, doch werden diese im folgenden nicht vorgÅngig dargestellt. Denn wÅhrend McLeod Campbell inhaltlich deutlich von Erskine abhÅngig ist, zeigt sich in seinem Strukturierungsprinzip zwar kein Spezifikum, aber doch eine eigene Note. Wir setzen daher, McLeods Anspruch folgend, mit der Darstellung seiner Zurechtbringungslehre ein und werden diese anschließend auf ihre Implikationen fÛr die unterschiedlichen dogmatischen Loci sowie hinsichtlich einer EthikbegrÛndung und Instandsetzung menschlichen Handelns befragen. Die Hauptquelle bildet dabei fÛr unsere Zwecke „The Nature of Atonement“. Assistierend werden gelegentlich McLeod Campbells Erinnerungen, Briefe und Predigten, sowie Dokumente aus dem Lehrzuchtverfahren herangezogen.

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Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 65–80. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 81–104. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 105–172. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 173–264.

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2.4.2.2 Das ZurechtbringungsverstÅndnis Kommen wir zunÅchst zur Darstellung der Zurechtbringungslehre selbst. McLeod Campbell geht hinsichtlich des Erkenntnisprinzips der Zurechtbringung von vier PrÅmissen aus. Erstens: ArbitrÅre Handlungen k×nnen nicht den Charakter offenbaren.338 Zweitens: Weder die Person Jesu ist isoliert zu betrachten, noch Jesu Wirken und Sterben. Beide geh×ren zusammen, und der Tod ist die Vollendung von Jesu Leben.339 Dabei mÛssen die beiden Fehler vermieden werden, Christi Tod lediglich in seinem physischen Aspekt zu betrachten oder ihn zu marginalisieren, die beide ihren Ausdruck in einem falschen VerstÅndnis von Leiden als Strafe finden.340 Drittens: Die Gottesbeziehung, wie sie in Christi Sein, Leben und Geschick zum Ausdruck kommt, und das GottesverstÅndnis bedingen sich gegenseitig. Viertens: Unsere Gottesbeziehung, wie sie in Christi Sein, Leben und Geschick zum Ausdruck kommt, kurz also die Zurechtbringung, muß aus sich selbst heraus, „aus ihrem eigenen Licht“ verstanden werden.341 Sie ist selbstevident342 und damit nichts, das durch die Heranziehung anderer Interpretationsrahmen verstehbar gemacht werden k×nnte. Solche Verfahren fÛhren vielmehr ins Dunkel. Der primÅre Ausgangspunkt jeglicher theologischer Erkenntnis ist damit nicht primÅr die eigene Erfahrung des Christen, denn diese ist mehrdeutig und kann zu MißverstÅndnissen fÛhren, die Glaubensgewißheit gerade verhindern (s. u.). Die Zurechtbringung selbst wird bestimmt als das, „wodurch Gott die Kluft Ûberwindet zwischen dem, zu dem uns die SÛnde gemacht hat, und dem, was wir nach dem Wunsch der g×ttlichen Liebe werden sollen.“343 Das Ergebnis der Rekonstruktion der Zurechtbringung aus den biblischen Offenbarungsquellen strukturiert McLeod Campbell mit einer doppelten, in sich verschrÅnkten Distinktion: 1. Die Zurechtbringung besitzt einen retrospektiven und einen prospektiven Aspekt.344 Damit ist schon die Zurechtbringung als Quellpunkt der dogmatischen Urteilsbildung verstanden, denn der retrospektive Aspekt be-

338 McLeod Campbell, Atonement, 73: „nothing can be clearer to me than that an arbitrary act cannot reveal character.“ 339 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 200. 340 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 189–191. 341 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 105. 342 Vgl. Dyk, Desire, 41. 343 McLeod Campbell, Atonement, 127: „the atonement is to be regarded as that by which God has bridged over their gulf which separated between what sin had made us, and what it was the desire of the divine love that we should become.“, vgl. ebd., 27. Vgl. auch ders., Sermons and Lectures, Bd. 2, 85–87. 344 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 113. 36 f. 42. 50.

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zieht sich auf Gottes Handeln in Christus am Menschen in demjenigen Zustand, in dem die Gnade Gottes ihn vorfindet und der prospektive Aspekt bezieht sich auf denjenigen Zustand des Menschen, zu dem der Mensch emporgehoben wird.345 2. Die Zurechtbringung in Jesus Christus muß relational so verstanden werden, daß die Gottesbeziehung in ihren beiden Richtungen betrachtet wird. Zu fragen ist, was Jesu Sein und Handeln von Gott in Richtung des Menschen („His dealing with men on the part of God “346) und umgekehrt von den Menschen in Richtung Gottes („His dealing with God on behalf of men “347) bedeutet. Die sich daraus ergebende vierfache Strukturierung kann zwar nur getrennt nacheinander rekonstruiert werden, aber es handelt sich um ein identisches Beziehungsereignis, das aus je unterschiedlicher Perspektive betrachtet wird. 2.4.2.2.1 Der retrospektive Aspekt des Umgangs Christi mit den Menschen anstelle Gottes des Vaters: Perfektes Zeugnis Dieser Aspekt lÅßt sich zusammenfassend als perfektes Zeugnis fÛr Gott Vater oder als Offenbarung beschreiben. Das Zeugnis besteht darin, daß Christus in personaler Vollendung dem Vater in kindlicher Liebe hingegeben ist und den Menschen in brÛderlicher Liebe.348 Christi Tod ist daher die Vollendung seines Zeugnisses fÛr den Vater und die letztgÛltige Probe349 seiner Sohnschaft. Dieser Aspekt kommt sowohl im johanneischen „In deine HÅnde befehle ich meinen Geist“,350 als auch im Gebet nach Psalm 22, „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ zum Ausdruck, das gerade die Einheit mit dem Vater zum Ausdruck bringt.351 Diese perfekte ErfÛllung der doppelten Liebe zu Gott und der davon abgeleiteten Liebe zu den Menschen, die ein Teil von Christi Selbstopfer oder Selbsthingabe

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 50. McLeod Campbell, Atonement, 113. 347 McLeod Campbell, Atonement, 113. 348 McLeod Campbell, Atonement, 114: „This witness-bearing for God [. . .] was accomplished in the personal perfection that was in Christ, [. . .] that is to say, the perfection of His own following of the Father as a dear child, and the perfection of His brotherly love in His walk with men“. 349 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 204. 214 350 McLeod Campbell, Atonement, 200. 213. 351 Vgl. McLeod Campbell, 201–205. Vgl. auch Jinkins, Comparative Study, 339. Auch diese Argumentation erinnert an Schleiermacher, und Åhnlich wie Schleiermacher wurde McLeod Campbell hier kritisiert, ob es sich tatsÅchlich um eine angemessene Interpretation handele, vgl. Dyk, Desire, 105–109, oder ob nicht andererseits gerade die Gottverlassenheit ein wichtiges Element in der Zurechtbringung sein mÛsse, wie dies etwa bei KÅhler und Dale der Fall ist (s. o., s. u.). 345 346

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ist,352 brachte unter den Bedingungen der SÛnde Christi Leiden mit sich. Weil Christus den Vater ehrt, ehren ihn die Menschen gerade nicht.353 Dies hat zur Folge, daß Christus einerseits in seinen Leiden voller Kummer ist, andererseits aber, aufgrund seiner Einheit mit dem Vater, voller grundlegender Freude und Frieden, die tiefer als der Kummer reichen.354 Die Leiden Christi k×nnen daher nicht als Strafleiden verstanden werden – ein Konzept das schon deshalb abzulehnen ist, weil es den zurechtbringenden Charakter der Leiden gerade in den Leiden als Leiden sieht –, sondern sie beruhen auf dem VerhÅltnis von Christi heiliger Liebe zur menschlichen SÛnde. Und weil nur in Christi Tod dieser Gegensatz zwischen perfekter g×ttlicher WillenserfÛllung und Schuldbewußtsein der Menschheit bei pers×nlicher SÛndlosigkeit vorhanden ist, hat letztlich allein Christus den Tod wahrhaftig geschmeckt.355 Christus offenbart mit seinem Zeugnis dem Menschen mehreres: Den Menschen selbst und dessen SÛnde,356 Gott und Gottes Beziehung zum Menschen und zu dessen SÛnde als Schmerz und Zorn sowie als Zurechtbringungsabsicht in Liebe.357 Diese Zurechtbringung als Offenbarung Gottes ist dabei die einzig m×gliche Zurechtbringung.358. Indem Christi Leiden eine Folge des perfekten Zeugnisses fÛr den Vater sind, offenbart Christus verschiedenes: Er offenbart, daß Gott an dem Zustand der Menschheit leidet.359 Dies impliziert zum einen, daß der gegenwÅrtige Zustand des Menschen der der SÛnde ist, so daß Christus hier nicht nur Gott, sondern auch den Menschen, bzw. dessen SÛnde erschließt. Er erschließt aber auch das andere Relat, Gott, der bereit ist, zu einem erheblichen, eigenen pers×nlichen Preis am Menschen festzuhalten. Damit ist Gottes Liebe und die aus ihr resultierende Vergebungsbereitschaft offenbart als VerhÅltnis Gottes zum Menschen, wÅhrend das VerhÅltnis Gottes zu des Menschen SÛnde Gericht bzw. Zorn360 ist, was eben darin erschlossen wird, daß Christus mit Eifer an Gottes Sache festhÅlt und so die SÛnde verdammt.361 352 Mc Leod Campbell, Atonement, 114: „This witness-bearing for the Father wa a part of the self-sacrifice of Christ.“ Vgl. ders., Sermons and Lectures, Bd. 1, 304. 353 McLeod Campbell, Atonement, 114: „His honouring of the Father caused men to dishonour Him – His manifestation of brotherly love was repid with hatred“. 354 Vgl. Mc Leod Campbell, Atonement, 114 f. 134. 136. 355 Vgl. Mc Leod Campbell, Atonement, 215 f. 356 McLeod Campbell, Atonement, 136: „He who is the revealer of God to man is also the revealer of man to himself. Apart from Christ we know not our God, and apart from Christ we know not ourselves.“ 357 Vgl. auch McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 306 f; Bd. 2, 84. 358 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 240. 359 Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lecures, Bd. 1, 455 f. 360 McLeod Campbell, Atonement, 117: „But the wrath of God against sin is a reality, however men have erred in their thoughts as to how that wrath was to be appeased.“ 361 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 115–117.

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Damit wird hier, in diesem offenbarenden Aspekt der Zurechtbringung schon gezeigt, daß es vorgÅngig Vergebung362 in Gott gibt und diese Vergebung, die letztlich, wie noch detailliert zu sehen sein wird, im Sein Gottes als Liebe363 grundgelegt ist (s. u.), der Grund der Zurechtbringung ist, nicht umgekehrt die Zurechtbringung der Grund der Vergebung, so daß die Zurechtbringung als Manifestation der immer schon – auch wÅhrend der Feindschaft des Menschen mit Gott – vorhandenen Vergebungsabsicht verstanden werden muß.364 WÅhrend der ewige Liebeswille Gottes der letztgÛltige Grund der Gabe ewigen Lebens ist, ist die Zurechtbringung der unmittelbare Grund.365 Damit ist die Zurechtbringung aber keinesfalls nur ein Akt der AufklÅrung des Menschen Ûber einen unverÅnderlichen Sachverhalt; vielmehr ist sie das Mittel, die Vergebung effektiv werden zu lassen. 2.4.2.2.2 Der retrospektive Aspekt des Umgangs Christi mit Gott dem Vater zugunsten der Menschen: Perfektes Amen zu Gottes Urteil Ûber die SÛnde Wir haben bereits gesehen, daß im retrospektiven Aspekt des Menschen SÛnde und Gottes Zorn Ûber die SÛnde offenbart werden. McLeod Campbell schließt sich nun kritisch366 der Analyse von Jonathan Edwards an, nach der die SÛnde von Seiten des Menschen „entweder eine Åquivalente Strafe oder Åquivalente BetrÛbnis und Reue“367 erfordert. WÅhrend nun aber Edwards davon ausgeht, daß der zweite Teil der Alternative – die Gabe einer

Vgl. The Whole Proceedings, 32–37. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 46: „they represent the love of God as the cause, and the atonement as the effect“. 364 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 44 f: „the first demand which the gospel makes upon us in relation to the atonement is, that we believe that there is forgiveness with God. Forgiveness – that is, love to an enemy surviving his enmity, and whick, notwithstanding his enmity, can aft towards him for his good; [. . .] But if God provides the atonement, then forgiveness must precede atonement; and atonement must be the form of manifestation of the forgiving love of God, not its cause.“, vgl. ebd., 46. Vgl. auch McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 2, 76. 365 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 142. 366 Vgl. McLeodCampbell, Atonement119 „‚equivalent sorrow and repentence‘ of which the idea was in the mind of Edwards, though the fact of its realisation in Christ he did not see. [. . .] yet am I thankful that the conception of such an equivalent as the alternative to infinite punishment has been recognises by him.“ Vgl. ebd. 223. 367 Edwards, Satisfaction, II, 1–3. Dieses Hauptproblem sieht auch van Dyk nicht, die zwar kritisiert, es sei fehlerhaft zu meinen, Campbell entscheide sich einfach fÛr die andere von Edwards angegebene Alternative. TatsÅchlich stÛnden hinter dieser Alternative, wie sie von Campbell verwendet wird, zwei v×llig unterschiedliche Modelle, ein personales und ein mechanistisches, womit sie den von Campbell verwendeten Ausdruck „legalistisch“ noch steigert. Vgl. Dyk, Desire, 110 f. Hier ist van Dyk also v×llig von Campbells Verwendung der Edwards’schen Alternative abhÅngig. Wie dieser sieht sie nicht, daß die strikte Entgegensetzung eines legalen oder gar mechanistischen Modells eher irrefÛhrend ist. 362 363

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Åquivalenten Reue – nicht m×glich ist und so eine Åquivalente Strafe postuliert, die der Mensch freilich auch nicht abzuleisten vermag, so daß es Christi stellvertretenden Strafleidens bedarf, lehnt McLeod Campbell ein Strafleiden als legalistische Interpretation der Zurechtbringung, die nicht aus der Zurechtbringung selbst entnommen ist, aus verschiedenen GrÛnden – z. B. weil sie nur die Strafe der SÛnde, nicht aber die SÛnde selbst tilgen kann368 – rundweg ab.369 Damit bleibt die zweite Seite der Alternative Ûbrig: Der Mensch hat eine seiner SÛnde Åquivalente Reue zu Ûben, zu der er freilich nicht imstande ist, da er die Tiefe seiner SÛnde, abgesehen von der Offenbarung in Christus, ja gar nicht kennt.370 Daher bedarf es der Inkarnation371 Jesu Christi, der zwar pers×nlich sÛndlos ist, aber nichtsdestotrotz Bruder der Menschen ist und sich daher mit deren SÛnde identifizieren kann.372 In seinem Leiden Åußert sich BetrÛbnis und Reue Ûber die SÛnde des Menschen, so daß Christi Kreuzesleiden auch hier eine Probe angesichts der Stunde und Kraft der Dunkelheit darstellt.373 Da er ferner in vollstÅndiger Einheit mit dem Vater lebt, nimmt dieses perfekte SÛndenbekenntnis die Rolle einer vollstÅndigen Zustimmung, ein perfektes Amen in der Menschheit zu dem Gericht Gottes Ûber des Menschen SÛnde ein.374 Dieses stellvertretende Amen Jesu Christi fÛr den Menschen ist damit die adÅquate Antwort auf den g×ttlichen Zorn Ûber die SÛnde, der so absorbiert wird.375

368

Vgl.McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 374. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 118–126. 121: „The answer, that it was penal, is precluded by the nature of the suffering itself“. Zur Kritik McLeod Campbells an Edwards und am F×deralcalvinismus vgl. auch das Kapitel Ûber die Zurechtbringungstypologien (s. o.). 370 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 125: „It was not in us so to confess our own sins; neither was there in us such knowledge of the heart of the Father.“ 371 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 119: „A condemnation and confession of sin in humanity which should be a real Amen to the divine condemnation of sin, and commensurate with its evil and God’s wrath against it, only became possible through the incarnation of the Son of God.“ 372 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 131. 373 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 207. 214. 374 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 118: „That oneness of mind with the Father, which towards man took the form of condemnation of sin, would in the Son’s dealing with the Father in relation to our sins, take the form of a perfect confession of our sins. This confession, as to its own nature, must have been a perfect Amen in humanity to the judgment of God on the sin of man.“ 375 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 118: „He responds to it with a perfect response – a response from the depths of that divine humanity – and in that perfect response He absorbs ist. For that response has all the elements of a perfect repentence in humanity for all the sin of man – a perfect sorrow – a perfect contrition – all elements of such a repentence, and that in absolute perfection, all – excepting the personal consciousness of sin – and by that perfect response in Amen to the mind of God in relation to sin is the wrath of God rightly met, and that is accorded to divine justice which is its due, and could alone satisfy it.“ 369

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Leider expliziert McLeod Campbell nicht, was er sich darunter vorstellt, daß das perfekte Amen den g×ttlichen Zorn absorbiert. Daher wurde hier auch ein zentrales VerstÅndnisproblem in McLeod Campbells ZurechtbringungsverstÅndnis erblickt.376

Diese perfekte Reue erm×glicht nun ein perfektes Eintreten377 Christi fÛr den Menschen. Dieses Eintreten fÛr den Menschen geschieht freilich nicht gegen den Willen des Vaters, sondern im Einklang mit der in der Liebe zum Vater begrÛndeten Liebe Christi zu seinen BrÛdern und befindet sich auch im Einklang mit dem Zornesurteil Ûber die SÛnde, fÛr das Christus selbst eifert.378 Christi expiatorisches und propiatorisches379 Bekennen erm×glicht dabei nicht nur – wie es im juridischen Modell des Strafleidens h×chstens m×glich wÅre – einen Ausgleich des Zornes Gottes, sondern des Menschen SÛnde selbst. Da ferner Christi Zurechtbringung weiterhin stellvertretend380 bleibt – Campbells Theorie wurde hier sachlich richtig, wenn auch terminologisch so nicht bei McLeod Campbell anzutreffen, als eine Theorie der „stellvertretenden Reue“ charakterisiert381 –, k×nnen wir schon hier Erwartungen an McLeod Campbells AusfÛhrungen an den prospektiven Aspekt stellen: Zu erwarten ist, daß dort eine inklusive,382 keine exklusive Stellvertretung entwickelt wird und daß die Aneignung der Zurechtbringung nicht rein imputativ, sondern effektiv erfolgen wird.383 In Christi stellvertretendem Eintreten fÛr uns durch seine zurechtbringende Reue in seinem Leiden besteht ein weiterer Aspekt seines Lebens und Leidens als Selbstopfer und Hingabe, durch das Gott zeigt, daß ihm die Vers×hnung einen hohen Preis Wert ist und er sich als vertrauenswÛrdig erweist.384

Vgl. Dyk, Desire, 114 f. Vgl. Mc Leod Campbell, Atonement, 117 f. 378 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 124 f. 379 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 154. 174. 211. 219. 380 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 121: „Yet, that it was for sin is also implied in that very nature, and for the sin of others than the sufferer, for He was without sin; therefore was it vicarious, expiatory, an atonement“. 381 Vgl. Dyk, Desire, 63. 112. 382 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 217. 229. 236.255 f. Vgl. auch Dyk, Desire, 111, die hier feststellt, daß in Christus die Menschheit nicht ersetzt, sondern inkorporiert wird. Gegen ebd., 113 und gegen Tuttle, So Rich a Soil, 129 wird man aber einwenden mÛssen, daß die Heranziehung von Edwards Alternative nicht irrefÛhrend ist. Tuttle und van Dyk gehen davon aus, daß der Strafleidensgedanke exklusiv gemeint sei, der Reuegedanke aber inklusiv. Dem ist aber nicht zuzustimmen, denn auch der Gedanke des stellvertretenden Strafleidens konnte durchaus inklusiv verstanden werden, wie an KÅhlers Konzeption zu beobachten ist (s. o.). 383 Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 359. 384 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 46–49.125. 376 377

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2.4.2.2.3 Der prospektive Aspekt des Umgangs Christi mit den Menschen anstelle des Vaters: Teilgabe an der Sohnschaft Der retrospektive Aspekt der Zurechtbringung als Vergebung der SÛnde ist durch den prospektiven Aspekt zu ergÅnzen, der in der Richtung von Gott zum Menschen in der Gabe der Partizipation am ewigen Leben besteht, wÅhrend Straffreiheit nur eine sekundÅre Folge ist.385 Dieser praktische, nicht imputative Nutzen der Zurechtbringung tritt aber nicht in ferner Zukunft, sondern unmittelbar und direkt ein.386 Diese unmittelbare prospektive Folge ist m×glich, weil die Gabe ewigen Lebens letztlich in der Gabe der perfekten Gerechtigkeit des Sohnes Gottes in der Menschheit selbst besteht, an der wir real teilhaben. Damit geh×rt die Heiligung als Teilhabe an Christi Bewußtsein (mind ) der Sohnschaft und Leben als substantielle Gabe der Gerechtigkeit zur Zurechtbringung, die so eine VerÅnderung des spirituellen Zustandes bewirkt.387 Auf diese Weise partizipieren wir in Folge der Offenbarung des Vaters durch den Sohn vor allem an Christi Wissen um den Vater und an seiner Freude in dieser filialen Beziehung,388 was m×glich ist, weil schon das menschliche Bewußtsein des Inkarnierten zeigte, daß die Menschheit fÅhig ist, mit dem Leben der Liebe erfÛllt zu werden. Freilich erhalten wir in der Beziehung zum Vater nicht nur Wissen und Freude, so daß wir darauf vertrauen k×nnen, daß Gott Liebe ist389, sondern auch Wissen um uns selbst und die SÛnde des Menschen390 und damit auch Teilhabe und BefÅhigung am Selbstopfer bzw. der Selbsthingabe Christi.391 Damit ist nicht nur effektiv Gottesliebe im Menschen bewirkt, sondern auch Liebe des Menschen zum Menschen als seinem Bruder. 2.4.2.2.4 Der prospektive Aspekt des Umgangs Christi mit dem Vater zugunsten der Menschen Wir sahen schon, daß hinsichtlich des retrospektiven Aspektes in der Richtung des Menschen zu Gott die stellvertretende Reue Bedingung dafÛr ist, daß sich Christus in FÛrbitte fÛr uns einsetzt. Und in diesem fortgesetzten Eintreten fÛr den Menschen besteht eben der prospektive Aspekt des Um-

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 42. 128. 150. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 128. 387 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 129 f. 140. 388 Vgl. McLeod Campbell, Atonement: „Yet, in studying the manner of Christ’s witnessing for the Father, we have the conviction continually impressed upon us, that this revealing of the Father by the presentation to us of the life of sonship has as its object our participation in that life of sonship, and so our participation in that knowledge and enjoyment of the Father“. 389 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 138. 390 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 139. 391 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 196; ders., Sermons and Lectures, Bd. 1, 304. 385 386

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gangs Christi mit dem Vater zugunsten der Menschen.392 In diesem Eintreten, das ebenfalls in den Kreuzesleiden, besonders in der Vergebungsbitte fÛr seine Peiniger („Vater vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“), zum Ausdruck kommt,393 Åußert sich Christi Liebe zu seinen menschlichen BrÛdern. Auch dieses fortgesetzte Eintreten ist nicht gegen den Willen des Vaters gerichtet, sondern in ºbereinstimmung mit diesem.394 Zu dem filialen LiebesverhÅltnis der Sohnschaft geh×rt gerade die Kommunikation des Gebetes. Gott gibt nicht einfach ungebeten, um so den Menschen als seinen personalen Kindern die BetÅtigung ihrer personalen, freien Kindschaft zu erm×glichen. Da sie aber abgesehen von Christus kein Wissen von ihrem Wesen als Kinder Gottes haben, ist das Eintreten Christi fÛr den Menschen ein notwendiges und abschließendes Element der Zurechtbringung.395 Es enthÅlt auch den Aspekt unseres Dankes fÛr die Gabe, die Gott uns in Christus gegeben hat.396 Insgesamt wird der Teilaspekt der prospektiven Hinsicht der Zurechtbringung von McLeod Campbell nur sehr rudimentÅr beschrieben, so daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß McLeod Campbell hier seinem eigenen Systemzwang gefolgt ist. Innerhalb dieses Teilaspektes ist der Gedanke der eintretenden FÛrbitte dabei stÅrker entwickelt als der des Dankes, der nur beilÅufig erwÅhnt wird, der aber einen interessanten, weiterfÛhrenden Aspekt des Zurechtbringungsgeschehens darstellen dÛrfte. 2.4.2.3 Dogmatische Implikationen des ZurechtbringungsverstÅndnisses 2.4.2.3.1 Das GottesverstÅndnis Michael Jinkins sieht in McLeod Campbell einen VorlÅufer der trinitarischen Renaissance, der ein strikt trinitarisches GottesverstÅndnis vertrete und dabei auf die Einheit Gottes mehr RÛcksicht nehme als auf die DistinktizitÅt der Personen.397 Dieses Urteil bestÅtigt die LektÛre der Schriften McLeod Campbells nicht. McLeod Campbell geht davon aus, wie wir sahen, daß arbitrÅre Akte nicht den Charakter erschließen k×nnen und daß es sich bei der Zurechtbringung, wenn sie aus ihrem eigenen Lichte verstanden wird, um einen nicht arbitrÅren Akt Gottes handelt, der so Gottes Charakter als Liebe erschließt. Diese These hat eine Åhnliche Bedeutung wie Rahners Doppelthe-

392 393 394 395 396 397

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 142. 175. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 200. 207. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 173. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 175 f-176. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 143. Vgl. Jinkins, Comparative Study, xix.

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se der wechselseitig konstitutiven IdentitÅt von ×konomischer und immanenter TrinitÅt.398 Um diese enge Verbindung von Gotteslehre und Zurechtbringungslehre besser profilieren zu k×nnen, ist es sinnvoll, diejenige Position kurz zu referieren, von der sich Campbell absetzt: Ein legalistisches oder juridisches Zurechtbringungsmodell, in dem die Gottesbeziehung primÅr als Rechtsbeziehung gedeutet wird, hat zur Folge, daß die absolute Gerechtigkeit auch das primÅre GottesprÅdikat ist. Wird wie im F×deralcalvinismus das Werk Christi der Zurechtbringung als auf die ErwÅhlten beschrÅnkt verstanden, die ErwÅhlung aufgrund des absoluten Willens Gottes aber nicht weiter begrÛndet, ist die Zurechtbringung entweder als arbitrÅre Handlung Gottes zu verstehen. In diesem Fall erschließt sie Gott Ûberhaupt nicht, so daß Gott verborgen im Dunkel bleibt. Oder die arbitrÅre Handlung wird selbst als nichtarbitrÅre Handlung verstanden. In diesem Fall kann sie Gottes Wesen offenbaren, dessen vorzÛgliches PrÅdikat dann absolute WillkÛr wÅre. Versteht man aber die Zurechtbringung als moralisch und geistlich in einem filialen VerhÅltnis eingebettet und zeigt der retrospektive Aspekt in Richtung auf den Menschen, daß Gott dem SÛnder in Liebe verzeihen will, ist Gott selbst als Liebe zu bestimmen: Gott ist Liebe.399 Diese Liebe ist dann als Liebe des Vaters zum Sohne und des Sohnes zum Vater zu bestimmen, so daß hier zumindest eine binitarische Struktur vorliegt. Der Geist als Person des Heiligen Geistes erscheint bei McLeod Campbell entgegen der Paraphrasen bei Jinkins400 nicht, zumindest nicht in diesem Sinne. Der Begriff des Geistes (spirit ) wird von McLeod Campbell vielmehr in einem anderen Zusammenhang gebraucht: Wir sahen ja, daß die prospektive Wirkung der Zurechtbringung in der Wirkung auf den Menschen in der Teilgabe an der Sohnschaft Jesu Christi besteht, wie sie in dem retrospektiven Aspekt der Offenbarung erschlossen wird. Beides zusammen bildet die Zurechtbringung als nicht arbitrÅre Handlung Gottes, die Gottes Wesen erschließt und deren Wirkung zudem nicht auf eine Zahl ErwÅhlter beschrÅnkt ist, sondern auf alle Menschen anzuwenden ist. Konsequenterweise ist die filiale Beziehung der Sohnschaft in Gott nicht primÅr die Beziehung zwischen dem Sohn des Vaters und dem Vater des Sohnes, an der dann die Menschen gnadenhaft Anteil erhalten, sondern es ist die filiale Beziehung der Sohnschaft des Vaters zu allen Menschen. Wie die Zurechtbringung die notwendige Folge der notwendigen Inkarnation ist, so ist die Christenheit die notwendige Folge der Zurechtbringung und die g×ttliche 398

Vgl. Rahner, Urgrund, 328. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 26, u. ×. Vgl. auch ders. Sermons and Lectures, Bd. 1, 190–192. 418. 400 Vgl. Jinkins, Comparative Study, xiii. 232. 237. 240. 250. 309. 327. 329. 346. 377. 379 u. ×. 399

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Natur wird durch unsere Teilhabe an ihr nicht herabgesetzt, sondern begrifflich gesteigert.401 Dies wird besonders deutlich daran, daß Campbell den Vaternamen Gottes des Vaters als Beziehungsnamen mit dem Ausdruck „The Father of our Spirits “402 verwendet und daher semantisch, nicht rein deiktisch, als Ausdruck der Beziehung Gottes des Vaters zu den Menschen deutet403 und Vaterschaft und Sohnschaft, sowohl des Sohnes als auch der Menschen als streng korrelative, d. h. wechselseitig konstitutive Begriffe gebraucht.404 Denn wenn der „Wille Gottes zu uns als der Wille, was wir sein sollen, dadurch determiniert ist, was Gott ist“405, wenn also Gottes Heilswille eine Implikation seines Wesens ist, ist umgekehrt Gottes Heilswille fÛr die Welt und damit diese selbst notwendig zu seinem Wesen. Die Konsequenzen aus diesem GottesverstÅndnis sind folgende: Das GottesverstÅndnis ist ein den Geist vernachlÅssigendes „binitarisches“ GottesverstÅndnis, das Gott den Vater und den Menschen als wechselseitig konstitutiv aufeinander bezogen sieht. Man k×nnte dies treffend als ein panfilialistisches Gottesbild beschreiben. FÛr das VerhÅltnis des Sohnes zum Vater bedeutet dies nicht die Gefahr des Modalismus, wie Jinkins erwÅhnt,406 sondern die Gefahr des Subordinationismus. Das in McLeod Campbells Zurechtbringungslehre implizierte Gottesbild erm×glicht zwar den Ausschluß des Gedankens einer limitierten Zurechtbringung und den Gedanken der Glaubensgewißheit. Aber es tritt das Problem auf, daß die Liebe nun nicht mehr freie Liebe und Gnade sein kann. Da aber McLeod Campbell gerade dies betonen will, denn eine Heilssicherheit lehnt er im Gegensatz zu einer Glaubensgewißheit ab,407 ist hier ein deutlicher Selbstwiderspruch zwischen Absicht und AusfÛhrung zu diagnostizieren. McLeod Campbells Gotteslehre wird nicht einfach mit den in sich v×llig uneinheitlichen Vertretern der trinitarischen Renaissance zur Jahrhundertwende vom 20. zum 21 Jh. in KontinuitÅt gesehen werden dÛrfen. Wie McLeod Campbells Zurechtbringungslehre, so erinnert auch dessen Gotteslehre strukturell stÅrker an die Albrecht Ritschls. 2.4.2.3.2 Das VerstÅndnis des Menschen Das ZurechtbringungsverstÅndnis und infolgedessen auch das GottesverstÅndnis hat sofort Konsequenzen fÛr das MenschenverstÅndnis. Wir sahen 401

Vgl. Mc Leod Campbell, Atonement, 229. 232. McLeod Campbell, Atonement, 34. 240. 403 Vgl. McLeod Campbell, atonement, 243. 404 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 243. 405 „the will of God as to us is a will as to what we are to be, and is determined by what God is.“, McLeod Campbell, Thoughts on Revelation, 186. 406 Vgl. Jinkins, Comparative Study, 378. 407 Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 61. 329–330; Bd. 2, 361–375. 402

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schon, daß erst mit der Erschließung Gottes in der Zurechtbringungstat Jesu Christi auch der Mensch dem Menschen erschlossen wird, und zwar in doppelter Hinsicht: So, wie er in der SÛnde geworden ist, und so, wie es seine Bestimmung ist. Letzteres ist aber gerade die Wesensbestimmung des Menschen. Diese besteht darin, daß der Mensch Kind Gottes ist, daß Gott fÛr den Menschen das bestimmt, was er selbst ist: Liebe.408 Da es sich aber bei dem prospektiven Aspekt der Zurechtbringung nicht um eine legalistische Fiktion,409 sondern um eine ontologische RealitÅt handelt, und der Mensch in der Heiligung nur wird, was er ist, gilt, daß bei McLeod Campbell ein monistisches VerstÅndnis des Wesens des Menschen, bestehend in der Gotteskindschaft, vorliegt. Was ist damit gemeint? Betrachtet man den biblischen Sprachgebrauch und den Sprachgebrauch der Tradition, fÅllt auf, daß die Gotteskindschaft in Hinblick auf den Menschen, d. h. abgesehen vom VerhÅltnis Gottes des Sohnes zu Gott dem Vater, in zweifacher Weise gebraucht wird: Zum einen kann sie als Implikat der Sch×pfung verstanden werden, zum anderen kann sie als Implikat der Heiligung verstanden werden. Bei McLeod Campbell kollabieren diese beiden Aspekte in einen gemeinsamen Aspekt. Die Folgen sind erheblich: Da nÅmlich die Wirkung der Zurechtbringung als Partizipation an der Sohnschaft verstanden wird, die Sohnschaft aber sowohl schon sch×pfungstheologisch das Wesen des Menschen bezeichnet als auch das innere Leben Gottes, bleibt nur der Schluß Ûbrig, daß – im Gegensatz etwa zur ostkirchlichen Theosis-Tradition, die eine Teilgabe am g×ttlichen Leben rein gnadenhalber lehrt,410 – der Mensch von Natur aus wesentlich an Gott partizipiert und von g×ttlicher Abstammung ist.411 M.aW.: Sch×pfung (des Menschen) und Zeugung (des Sohnes) fallen zusammen und lassen sich nicht mehr unterscheiden. Ein VerstÅndnis der Gotteskindschaft des Menschen im adoptianischen Sinne oder ein solches, das erst durch die Taufe konstituiert wird, wird sogar explizit abgelehnt.412 Die conditio humana ist die Sohnschaft Christi.413 Genauso wie das GottesverstÅndnis ist damit auch das MenschenverstÅndnis als Panfilialismus zu kennzeichnen. 2.4.2.3.3 Das VerstÅndnis der SÛnde Wir sahen, daß McLeod Campbell den Anspruch hat, daß in der Zurechtbringung nicht nur Gott und der Mensch, sondern auch des Menschen SÛn-

408 409 410 411 412 413

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 26. Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 359. Vgl. Zizioulas, Communion, 49 f. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 240. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 243. 254. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 245.

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de als SÛnde offenbart wird, eben dadurch, daß die Zurechtbringung die Erl×sung vom B×sen der SÛnde ist,414 wÅhrend vorher nur die Dunkelheit der menschlichen Existenz dem Gewissen bekannt ist und als stiller Hilfeschrei zu dem fernen Gott dringt.415 Um so erstaunlicher ist es, daß sich nur wenige explizite Aussagen McLeod Campbells Ûber den sÛndhaften Zustand, aus dem die Zurechtbringung Befreiung bringt, finden lassen. SÛnde besteht darin, daß sie eine Verletzung der Liebe als Liebe ist.416 Es handelt sich dabei genauer um eine Verletzung der filialen Beziehung zu Gott und der brÛderlichen Beziehung der Menschen untereinander, fÛr die jeweils – wenn Ûberhaupt – nur der Mensch verantwortlich gemacht werden kann. Daher wird im sÛndigen Zustand die Gottesliebe und die NÅchstenliebe als Gebot oder Gesetz verstanden, und daher vermag das Gesetz im Anschluß an Luther ebenfalls eine Offenbarungsleistung zu erbringen: Es kann dem Menschen den faktischen Zustand des Menschen, d. h. die SÛnde z. T. offenbaren, nicht jedoch Gott und die Schwere der SÛnde als ganze.417 Erst in der Zurechtbringungsoffenbarung wird verstÅndlich, welchen Schmerz und welchen Kummer die SÛnde nicht nur fÛr den Menschen selbst, sondern auch fÛr Gott bedeutet. Obwohl die SÛnde in der Verantwortung des Menschen liegt, ist sie auch von ihm unterschieden, da sich der Zorn Gottes auf die SÛnde, nicht aber auf den sÛndigen Menschen richtet. Ursprung und Herkunft der SÛnde sind letztlich unergrÛndlich418, weswegen die SÛnde auch als Dunkelheit beschrieben werden kann, zumal sie eine Perversion der Sch×pfung insofern darstellt, als nun nicht nur des Menschen Natur, sondern auch Gott durch die SÛnde verborgen wird.419 Trotz dieser recht spÅrlichen Šußerungen McLeod Campbells Ûber die SÛnde selbst ist deren implikativ zu erschließende Bedeutung weit wichtiger, als man zunÅchst vermuten kann. Wir sahen nÅmlich, daß das GottesverstÅndnis und das MenschenverstÅndnis Ûber den Begriff der Sohnschaft derart stark aufeinander bezogen sind, daß die Sch×pfer-Gesch×pf-Distinktion als Interpretandum der Unterscheidung zwischen Gott und Mensch nicht verwendet werden kann. Freilich geht McLeod Campbell davon aus, daß der Mensch sich außerhalb der Zurechtbringung in Christus nicht selbst erl×sen kann und daß es Jesu Christi als g×ttlichen Erl×ser bedarf. Die ein-

414

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 37.42. 174. Vgl. ders., Sermons and Lectures, Bd. 1,

11 f. 415 416 417

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 38–40. 178. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 174. 198. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 58. Vgl. auch ders., Sermons and Lectures, Bd. 1,

340. 418 McLeod Campbell, Atonement, 262: „The existence of a contradiction between what man is, and what God wills him to be, is indeed a mystery“. Vgl. ebd., 263. 419 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 235.

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zige Distinktion, die als Interpretandum der Gott-Mensch-Distinktion im Rahmen von McLeod Campbells Aussagen Ûbrig bleibt, ist damit die Distinktion sÛndlos-sÛndig. WÅre dies nicht m×glich, mÛßte, aufgrund der starken Bezogenheit von Gott und Mensch, die SÛnde und deren ºberwindung als innerg×ttliches Drama gedeutet werden. 2.4.2.3.4 Das VerstÅndnis der Person Jesu Christi John McLeod Campbell hat die Absicht, Werk und Person Christi nicht auseinanderfallen zu lassen. In seinem Werk kommt seine Person zum Ausdruck, umgekehrt kann auch gesagt werden, daß die Zurechtbringung in seiner Person besteht.420 Dabei gilt, daß die Inkarnation nicht primÅr geschieht, um die SÛnde zu tilgen, sondern sie ist der primÅre und h×chste Fakt in Gottes Geschichte mit der Menschheit, in dem das Ziel des Menschen Ûberhaupt zum Ausdruck kommt. Die Sohnschaft Christi kann nicht anders als sich in der Menschheit realisieren.421 Entsprechend entfaltet sich die Inkarnation der Person des Sohnes notwendig und natÛrlich als Vers×hnung oder Zurechtbringung, so daß Vers×hnung und Inkarnation untrennbar zusammen geh×ren.422 Nimmt man nun den Gedanken hinzu, daß sich in der Zurechtbringung gerade der Charakter Gottes erschließt, ist es verstÅndlich, daß McLeod Campbell einer modalistischen Gefahr verdÅchtigt wurde,423 die hinsichtlich der Person Christi eher zu einem monophysitischen PersonverstÅndnis neigen mÛßte. Genau diese Erwartung wird aber nicht erfÛllt. McLeod Campbell nutzt nicht mehr die Terminologie der klassischen Substanzmetaphysik, um die Person Christi zu beschreiben, sondern eine letztlich intentional-relationale Ontologie. Damit ist alles, was Ûber die Person Christi zu sagen ist, aber identisch mit dem, was Ûber das Werk Christi, wie es im doppelt verschrÅnkten BeziehungsgefÛge der Zurechtbringung beschrieben ist, gesagt wurde: Christi Bewußtsein muß als perfekte Sohnschaft zu Gott und perfekte Geschwisterlichkeit zu den Menschen verstanden werden,424 und Christi Bewußtseinszustand kann aus der Åußeren

Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 2, 191. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 245. 422 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 19 f. 22. 229. 423 Vgl. Jinkins, Comparative Study, 378. McLeod Campbell, Atonement, 34: „Christ has come to be contemplated simply as the mind of God become visible in humanity“. 424 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 19. Dies wird z. B. an dem Gethsemane-Ereignis deutlich, in dem der Wunsch, der Kelch m×ge vorÛbergehen, Christi menschliche Seite reprÅsentiert und veranschaulicht, daß es sich um reales Leiden handelt, wÅhrend der Wunsch „aber nicht so wie ich will, sondern wie Du willst“, den Aspekt der Sohnschaft reprÅsentiert, der stÅrker als ersteres ist. Vgl. ebd. 187. 420 421

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Form seines Lebens erschlossen werden.425 Denn die FÅhigkeit zum Bekenntnis der SÛnde setzt die Menschheit Christi voraus, die FÅhigkeit zur Erkenntnis der SÛnde die Gottheit.426 Fragen wir nun, ob die Personeinheit Christi gewahrt bleibt, oder ob sie zerfÅllt, mÛssen wir nach der Rolle Christi in diesem doppelten BeziehungsgefÛge fragen. Es zeigt sich, daß der Aspekt des Handelns Christi in Richtung Gottes zu den Menschen die Funktion einnimmt, die klassischerweise von der g×ttlichen Natur eingenommen wird, und daß der Umgang Christi mit Gott dem Vater um der Menschen willen die Funktion einnimmt, die klassischerseits von der menschlichen Natur eingenommen wird. Sind diese Aspekte in einer Person verbindbar? ZunÅchst muß positiv festgestellt werden, daß beide aufeinander positiv bezogen sind: Christus kann nur ein perfektes SÛndenbekenntnis abgeben, weil er den Vater den Menschen offenbart, und er kann den Vater den Menschen nur offenbaren, weil er selbst Mensch ist. Problematisch ist aber, wenn das Selbstopfer Christi in der ErfÛllung der Gottesund NÅchstenliebe mehrfach als Probe oder Test (trial ) bestimmt wird,427 weil hier nur die menschliche Dimension eine Rolle spielt. Wie bei Anton GÛnthers Freiheitsprobe (s. o.) wird hier deutlich, daß die Funktion, die klassischerweise die menschliche Natur einnimmt, stark Ûberbetont ist. Im Gegensatz zu GÛnter handelt sich McLeod Campbell hier aber weniger Probleme ein, weil Gott und Mensch sowieso viel weniger deutlich unterschieden sind, so daß die Person Christi gerade nicht auseinanderfÅllt, dafÛr aber dem Vater deutlich subordiniert ist. Die Differenz, die zwischen Christus und seinen menschlichen BrÛdern besteht – und damit letztlich die Gott-Mensch-Distinktion – reduziert sich, da die Sch×pfer-Gesch×pf-Distinktion hier nicht verwendet werden kann, auf die Unterscheidung sÛndlos-sÛndig.428 2.4.2.3.5 Eschatologische Implikationen Die direkte Folge der Zurechtbringung, ja ein Aspekt dieser selbst, ist die Gabe des Ewigen Lebens und dessen unmittelbare Wirkung in der Heiligung. Zu dieser geh×rt nach McLeod Campbell Glaubensgewißheit, jedoch keine Heilssicherheit. Der damit bezeichnete Unterschied ist wichtig, denn es entsteht nun die Frage, ob McLeod Campbell mit der abgelehnten limitierten Zurechtbringung auch eine eschatologische Allvers×hnung lehrt

425 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 181. Diese Bewußtseinschristologie dÛrfte das Element sein, das Pfleiderer, Entwicklung, 468 an Schleiermacher erinnert. 426 Vgl. Åhnlich Dyk, Desire, 55. 427 Vgl. z. B. McLeod Campbell, Atonement, 204 f. 207. 209. 214. 428 Dieser Befund zeigt, daß das Urteil von Dyk, Desire, 64, Campbells Christologie sei einfach unklar, zu kurz greift.

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oder nicht.429 Der junge McLeod Campbell selbst lehnt dies im Zuge der Verteidigung in seinem HÅresieprozeß ab: Zwar stirbt Jesus am Kreuz fÛr alle Menschen und nicht nur fÛr die ErwÅhlten, aber der Vers×hnungstod Christi muß vom Menschen auch angenommen werden. Wird er dies nicht, wird er auch nicht wirksam. Daher ist eine Glaubensgewißheit zwar heilsnotwendig, eine solche impliziert jedoch keine Heilssicherheit und keine Allvers×hnung.430 Rein begrifflich ist diese Unterscheidung des jungen McLeod Campbell durchaus sinnvoll, jedoch bringt sie das Problem der Frage mit sich, warum einige Menschen den Vers×hnungstod Christi annehmen, andere jedoch nicht. Liegt dies im Verm×gen des Menschen oder ist dies Gottes Werk? Die naheliegende L×sung, hier ein Handeln oder Nichthandeln Gottes des Geistes am Werk zu sehen, erscheint nicht, so daß sich schon hier McLeod Campbells Geistvergessenheit zeigt.431 Diese immer noch Fragen aufwerfende L×sung kann aber nicht mehr die L×sung des Ålteren McLeod Campbell sein. Denn dieser rechnet die Gabe ewigen Lebens ja nicht zu den Folgen der Zurechtbringungstat Christi, sondern betont, daß es sich dabei um einen Aspekt derselben handelt, nÅmlich um deren prospektiven Aspekt. Damit ist zunÅchst die Frage nach dem

429

Auf diese Differenz weist zurecht auch Jinkins, Comparative Study, 277 f hin. Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 61. 329–330; Bd. 2, 361–375. 431 Ein sehr großes Problem der Zurechtbringungslehre McLeod Campbells, das diese freilich in unterschiedlicher Weise mit den Zurechtbringungslehren Ritschls und KÅhlers teilt, besteht in der nahezu1 v×lligen Absenz und Nichtbeachtung der Person und des Handelns des Heiligen Geistes. WÅhrend dies Dyk, Desire, 169 f richtig gesehen hat, ist es nicht verstÅndlich, warum Jinkins, Comparative Study, xiii. 232. 237. 240. 250. 309. 327. 329. 346. 377. 379 u. ×. dieses Faktum nicht nur nicht beachtet, sondern in der stark nacherzÅhlenden Beschreibung von Campbells Theologie bestÅndig den Heiligen Geist, von dem kaum die Rede ist, interpoliert. Damit kann McLeod Campbells Theologie nicht nur einfach nicht als trinitarische Theologie bezeichnet werden (Diesen Fehler begeht sowohl Dyk, Desire, 170, die eine latente oder potentielle Pneumatologie in McLeod interpolieren will, um diesen so dennoch als trinitarischen Theologen bezeichnen zu k×nnen, als auch Jinkins, Comparative Study, xiii u. ×.), sondern McLeod Campbell fÅngt sich die Schwierigkeit ein, daß er einerseits, Åhnlich KÅhler, die Heiligung nicht dem Geist, sondern dem Sohn zuweist, andererseits aber dieselbe Schwierigkeit an anderer Stelle produziert, die er vermeiden will: Er kann nicht erklÅren, warum einige Menschen den fÛr alle gÛltigen Vers×hnungstod Christi nicht annehmen und begibt sich so entweder in die Gefahr des Semipelagianismus, bzw. Heilssynergismus oder in die Gefahr, die Nichtannahme des Glaubens doch wieder durch eine ErwÅhlungslehre auf Gott – und zwar einen v×llig im Dunkeln handelnden Gott – zurÛckfÛhren zu mÛssen (Jinkins, Comparative Study, 290 hÅlt dann auch fest, McLeod Campbell habe die ErwÅhlungslehre selbst nicht angetastet, sondern sachlich im Rahmen einer Pneumatologie vertreten. Von letzterer findet sich an den von Jinkins angegebenen Belegen keine Spur. Richtig ist freilich, daß das entsprechende Problem im Rahmen der Pneumatologie zu behandeln wÅre). Dies aber erm×glicht gerade nicht das Vertrauen auf Gott. Ferner wird man in der Absenz des Geistes auch die Ursache von Campbells Panfilialismus sehen k×nnen. Dieser kommt nÅmlich dadurch zustande, daß das VerhÅltnis des Menschen allgemein zum Vater das VerhÅltnis des Sohnes zum Vater ist. WÛrde hier der Geist und dessen Handeln betrachtet, ließe sich Campbells Panfilialismus vermeiden. 430

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Handlungssubjekt geklÅrt; es handelt sich um Jesus Christus als den Sohn des Vaters und den Bruder der Menschen und nicht um den Geist, wie vielleicht zu erwarten wÅre. Nun entsteht aber ein altes Problem auf neue Weise. Wie lÅßt sich die Tatsache erklÅren, daß nicht alle Menschen post Christum als geheiligte auftreten? Die M×glichkeit, dies zwar nicht auf Gottes prÅdeterminierendes erwÅhlendes Handeln vor den Zeiten, sondern auf Gottes zurechtbringendes Handeln im prospektiven Aspekt zurÛckzufÛhren, ist verschlossen, da damit die PrÅmisse, daß arbitrÅre Handlungen keine Charakteroffenbarungen sein k×nnen, verletzt wÅre und nun die gleichen Konsequenzen wie im F×deralcalvinismus zu ziehen wÅren: Gott wÅre nicht Liebe, sondern WillkÛr. Daher scheint eschatologisch nur eine M×glichkeit zu bleiben, zu der sich McLeod Campbell freilich nicht Åußert: In McLeod Campbells Modell der nicht limitierten Zurechtbringung in Christus, die die Gabe des ewigen Lebens mit einschließt, ist eine Allvers×hnung ein notwendiges Implikat der KohÅrenz des Vers×hnungsverstÅndnisses. 2.4.2.4 Ethische Implikationen des ZurechtbringungsverstÅndnisses Obwohl McLeod Campbell nicht mÛde wird zu betonen, daß die Zurechtbringung unmittelbare, direkte Effekte habe und so die Heiligung bewirke, wird diese – Åhnlich wie die SÛnde – merkwÛrdig rudimentÅr beschrieben, so daß sich nur wenig ethische Explikationen bei McLeod Campbell finden. Dies Ûberrascht um so mehr, als Gott und Mensch bei McLeod Campbell ja eng aneinanderrÛcken, so daß die Ethik des Menschen im Sinne seiner HandlungsbefÅhigung auch fÛr Gottes Sein nicht irrelevant ist. Schauen wir uns nun Campbells explizite Šußerungen an: Grundlage der Ethik ist das Doppelgebot der Liebe, das freilich in der Gottesliebe seine einheitliche Basis hat: Das Gebot der Gottesliebe ist vorgeordnet: Der Gehorsam zum zweiten Gebot der NÅchstenliebe fließt aus dem Gehorsam zum ersten Gebot der Gottesliebe.432 Das Gebot der Gottesliebe ist dabei hinreichende Bedingung des Gebotes der NÅchstenliebe.433 Damit wird das NÅchstenliebegebot freilich nicht abgewertet.434 Dabei handelt es sich strenggenommen gar nicht um Gebote im rechtlichen Sinne,435 sondern um Entsprechungen zu dem, was die Menschen sind: Kinder Gottes und untereinander BrÛder. Das ontologisch filiale VerhÅltnis bedingt ontologisch ein geschwisterliches VerhÅltnis. Beides ist aber dem

Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 197. Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 265: „In the full clear light of life, the first and great commandment – love to God – is seen as such; and the second – love to man – which ‚is like unto it‘, is seen as a corollary to it, a necessary development of it.“ 434 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 266. 435 Vgl. McLeod Campbell, Sermons and Lectures, Bd. 1, 319 f. 432 433

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Menschen unter der SÛnde unbekannt und das bloße Doppelgebot als Gebot kann dieses ontologische, hierarchisch strukturierte DoppelverhÅltnis nicht offenbaren. Daher ist auch epistemologisch die Offenbarung des filialen GottesverhÅltnisses notwendige Bedingung der Offenbarung des geschwisterlichen VerhÅltnisses der Menschen untereinander.436 Indem Christus in der Zurechtbringung das VerhÅltnis Gottes zum Menschen zurechtbringt, bringt er auch das VerhÅltnis der Menschen untereinander zurecht.437 Die Offenbarung Gottes aber geschieht in der Zurechtbringung, in der Christus gerade Gottes- und NÅchstenliebe in seinem Selbstopfer Ûbt. So wird in Christus nicht nur unsere eigene Sohnschaft oder Kindschaft erschlossen, sondern Christus ruft auch den Menschen zum Selbstopfer auf und befÅhigt ihn zur Hingabe an Gott und Hingabe an den Menschen, so daß es zur Gemeinschaft seines Selbstopfers kommt.438 Umgekehrt ist aber auch die Praxis der geschwisterlichen Liebe notwendige Bedingung des filialen GottesverhÅltnisses: Weisen Menschen zurÛck, in Christus BrÛder der Menschen zu sein, k×nnen sie auch nicht in Christus S×hne Gottes sein.439 Diese Teilhabe am Selbstopfer Christi schließt einerseits die Teilhabe an den Leiden ein. Notwendig ist die Bereitschaft, fÛr das eigene Selbst zu sterben in der Gemeinschaft des Todes Christi, um fÛr Gott zu leben. Leben wir aber fÛr Gott, leben wir auch untereinander.440 Auf diese Weise lebt der Mensch in Gemeinschaft mit Christi Liebe und daher auch mit Christi Kummer aufgrund der SÛnde.441 Andererseits bewirkt die Zurechtbringung aber auch, daß wir zu K×nigen und Priestern Gottes werden und mit Christus regieren.442 Dies Åußert sich darin, daß wir auch an Christi Freuden der Kindschaftsbeziehung teilhaben.443 In der Struktur erinnert McLeod Campbells Ethik durchaus, wie z. T. auch dessen Zurechtbringungslehre, an die Ritschls und in geringerem Maße an die Erskines. Allerdings findet sich hier im Vergleich zu Ritschl nur

436 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 254: „The light of truth in which I see God as my Father is the light in which I see men as my brethren. If on the other hand, the gospel does not reveal God to me as my Father, neither does it reveal men to me as my brethren.“, ebd., 255: „Therefore, as it is true that until we know God as our Father we cannot love Him with all our heart, and mind, and soul, and strength; so is it also true that until we know men as our brethren we cannot love our neighbours as ourselves.“ 437 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 257. 438 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 255. 439 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 256. 440 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 256. 441 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 257. 442 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 236. 443 Vgl. McLeod Campbell, Atonement, 257.

McLeod Campbell und Erskine of Linlathen im Vergleich

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eine rudimentÅre Explikation, ganz zu schweigen im Vergleich zu Erskine. McLeod Campbell begrÛndet die Ethik mit der Teilhabe an Christi Selbstopfer, die durch Christi Zurechtbringungswerk erm×glicht wird. Dies Åhnelt Ritschls BegrÛndung seiner Berufsethik im Beruf Christi. Šhnlich wie bei Ritschl spielt auch bei McLeod Campbell weder das simul – simul noch die Anfechtung eine besondere Rolle. Der Unterschied zu Ritschl und Erskine besteht aber vor allem darin, daß Ritschl nicht nur seine Berufsethik begrÛndet, sondern auch die BefÅhigung des Menschen im Rahmen seiner Tugendethik zu erklÅren versucht, und daß Erskine die HandlungsbefÅhigung mit einer Theorie der Affektsteuerung zu erklÅren versucht, wÅhrend die HandlungsbefÅhigung bei McLeod Campbell nicht erklÅrt wird. Es scheint so, als wÅre diese mit dem Offenbarungsaspekt, der letztlich ein Aspekt des Wissens oder der notitia, nicht aber des Willens oder des Affektes ist, bereits erklÅrt. 2.4.3 McLeod Campbell und Erskine of Linlathen im kritischen Vergleich Dem Leser der beiden Abschnitte Ûber Erskine und McLeod Campbell dÛrfte die NÅhe ihrer Konzeptionen deutlich aufgefallen sein. Im folgenden werden noch einmal entscheidende Gemeinsamkeiten aufgefÛhrt, die sich sowohl in McLeod Campbells Konzeption, besonders in „The Nature of Atonement “ von 1856, als auch in Erskines „The Brazen Serpent “, erschienen 1831, im Jahr von McLeod Campbells Verurteilung, finden. Beide vertreten die entscheidenden Gedanken einer UniversalitÅt der Vers×hnung und einer Notwendigkeit der Heilsgewißheit fÛr die angeeignete Zurechtbringung. Beide sehen die Vers×hnungstat Jesus Christi in Leben und Tod als Einheit. Beide verstehen die Wirksamkeit der Vers×hnung retrospektiv und prospektiv, wenn auch diese Unterscheidung bei Erskine noch nicht systembildend ist. Das Vers×hnungshandeln wird als Offenbarung der Liebe Gottes als dessen Wesen verstanden. Beide sprechen auch vom Kreuz als Ausdruck fÛr Gottes Kummer der Liebe angesichts der menschlichen SÛnde (sorrow; grief ). Die Vers×hnungstat wird bei beiden als Stellvertretung gedeutet im nicht exklusiven, also nicht substitutiven, sondern im reprÅsentativen Sinne. Schließlich verstehen beide die Rechtfertigung als nicht-imputativ und als Gabe ewigen Lebens. Beide teilen auch deutliche terminologische Gemeinsamkeiten: Zu nennen sind hier die auffÅllige Bezeichnung von Gottes Wesen als Gottes „Charakter“, die Licht-Dunkel-Metaphorik, und die Bezeichnung Jesu als FÛhrer (leader ) u. a.

Wie erklÅren sich nun diese Gemeinsamkeiten? Obwohl verschiedene ErklÅrungen erwogen wurden,444 fehlt bislang eine detaillierte, eindeutige Er-

444

Vgl. Tuttle, So Rich a Soil, 67.

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klÅrung. Die StandarderklÅrung besagt, daß Erskine und McLeod Campbell befreundet waren und in stÅndigem wechselseitigen Austausch standen. Dabei handele es sich aber nicht um die AbhÅngigkeit McLeod Campbells von seinem Ålteren Freunde, sondern eher um eine wechselseitige Befruchtung im Rahmen einer kooperativen Arbeitsgemeinschaft.445 Beachtet man ferner, daß sich McLeod Campbell zwar in Briefen sehr l×blich Ûber Erskines religi×se QualitÅten Åußert446, aber sich in „The Nature of Atonement “ nicht auf Erskine beruft, wird deutlich, warum die Forschungsmeinung bisher die o.a. Ansicht vertrat und die EinflÛsse von McLeod Campbells Theologie anders, etwa als aus der Auseinandersetzung mit Jonathan Edwards entstanden, erklÅrte. Diese ErklÅrung ist nicht richtig. Der Haupteinfluß fÛr McLeod Campbells Theologie ist die Theologie Erskines. Dabei ist McLeod Campbell, ob primÅr literarisch oder mÛndlich447, eindeutig von Erskine abhÅngig, wÅhrend von einer wechselseitigen Befruchtung nicht die Rede sein kann. Man wird schließlich sogar so weit gehen mÛssen zu sagen, daß 1831 nicht nur McLeod Campbell, sondern indirekt auch Erskine, der freilich kein kirchliches Amt bekleidete, verurteilt wurde. Dies werden wir im folgenden einfach aufzeigen, indem wir diejenigen Theologumena auffÛhren, die fÛr beide Positionen entscheidend sind, aber bereits 1820 von Erskine in „Remarks on the Internal Evidence for the Truth of Revealed Religion “ publiziert waren; zu einer Zeit, zu der sich beide noch nicht kannten, denn dies war erst seit 1828 der Fall, und zu der McLeod Campbell noch nichts publiziert hatte und nicht pastoral tÅtig war. Zu nennen sind hier: Der strikte Zusammenhang von Gottes Offenbarung und Gottes Wesen als Charakter; die volle Erkenntnis der menschlichen SÛnde erst durch das Zurechtbringungswerk; das Ziel der effektiven Zurechtbringung als ºbereinstimmung des menschlichen mit dem g×ttlichen Charakter; die Beschreibung des Charakters Gottes als Liebe; die vollstÅndige Offenbarung dieser Liebe in Gottes Vers×hnungshandeln; der Zweck der Vers×hnung als effektive Begnadigung der Gesch×pfe; die Beschreibung der Wirkung der Vers×hnung als Teilgabe an Gottes Wesen und die Ablehnung einer strikten Trennung von Dogmatik und Ethik. In formaler Hinsicht findet sich auch hier schon die Ansicht, daß die Vers×hnungslehre der Mittelpunkt aller dogmatischer loci ist und daß insbesondere die Gotteslehre als TrinitÅtslehre um der Vers×hnung willen offenbart wurde. Vor allem finden sich aber bereits die beiden Hauptanliegen McLeod Campbells, wegen derer er verurteilt wur-

445 Vgl. Dyk, Desire, 25. 35; Logan, Erskine, 27. Bei Jinkins, Comparative Study, wird diese Ansicht durch ein nahezu vollstÅndiges Fehlen der Besprechung des Einflusses Erskines bestÅtigt. 446 Vgl. Campbell, Memorials, 226: „I meet in no one the same full realization of the gift of God as Eternal Life – the Life of Christ to be our life – that I see in Mr. Erskine“. 447 Zur Zeit des Streites hielt sich Erskine in den Sommern 1829 und 1830 in Row bei McLeod Campbell auf, vgl. Logan, Erskine, 27.

McLeod Campbell und Erskine of Linlathen im Vergleich

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de, bereits 1820 in Erskines Ver×ffentlichungen: die UniversalitÅt der Vers×hnung und die Notwendigkeit der Heilsgewißheit.448

Nachdem diese Frage geklÅrt ist, stellen sich nun zwei weitere Fragen: Welche Elemente hat McLeod Campbell nicht von Erskine Ûbernommen, und welche Elemente hat er seiner eigenen Theologie hinzugefÛgt? Nur bei Erskine findet sich die starke Betonung des menschlichen Seins als Beziehungsorganismus und die damit verbundene Beschreibung Jesu Christi als Haupt des Organismus, bzw. die Beschreibung des einzelnen Menschen als Mikrokosmos und die gegenseitige InhÅrenz der einzelnen Menschen und Christi. Nur bei Erskine wird das Opfer Jesu Christi eindeutig als Opfer Gottes an die Menschen beschrieben. Die Leidenserfahrung als Bef×rderung der Sittlichkeit wird bei Erskine stÅrker betont, ebenso spielt hinsichtlich der Aneignung der Vers×hnung der Heilige Geist im Rahmen einer Theorie der Affektsteuerung des Willens eine deutlich stÅrkere Rolle als bei McLeod Campbell, und die Betonung der immanenten TrinitÅt als ontisch notwendige Bedingung der ×konomischen TrinitÅt (und damit die einseitige AbhÅngigkeit der Welt von Gott, nicht aber umgekehrt) ist hier vorhanden. Die ErklÅrung, warum eine bloße Strafe ohne Zustimmung nicht der Gerechtigkeit genÛge tun kann, ist bei Erskine deutlicher, aber Erskine nutzt insgesamt den Strafgedanken positiv. Nur bei Erskine (in der Phase seiner PublikationstÅtigkeit) findet sich auch eine Beschreibung der Zeit zwischen Vers×hnung in Jesus Christus und letztem Gericht als Zeit der BewÅhrung und als Gabe einer Provision. Die strikte Ablehnung der Deutung der Vers×hnung als Strafe hingegen findet sich nur bei McLeod Campbell. Auch die Beschreibung von Jesu Tod als Freiheitsprobe (trial) findet sich nur bei McLeod Campbell. Auch eine strikte IdentitÅt von ×konomischer und immanenter TrinitÅt (bzw. BinitÅt) und damit eine wechselseitige AbhÅngigkeit Gottes und der Welt finden sich nur bei McLeod Campbell.

Die ErklÅrungen fÛr diese Šnderungen sind z. T. einfach, z. T. lassen sich nur Vermutungen aufstellen. McLeod Campbell Ûbernimmt von Edwards den Gedanken, eine SÛhne fÛr die SÛnde sei durch Strafe oder durch Reue zu geben und nutzt diesen in der logischen Form einer Kontravalenz: Eine SÛhnung der SÛnde ist entweder durch Strafe oder durch Reue m×glich.449 Damit schließen sich Strafe und Reue aus, und mit der Ablehnung der Strafe muß Ûber diese nicht weiter gesprochen werden. Erskine dagegen versteht dieses VerhÅltnis nicht als sich gegenseitig ausschließendes VerhÅltnis und will am Strafbegriff positiv festhalten. Zwar gelingt ihm dabei faktisch nur eine positive Deutung des Gedankens pÅdagogischer Strafe; aber er kommt zu einer wesentlich reich-

Vgl. zu den einzelnen Belegen Erskine, GrÛnde, 115. 118 126. 129. 134. 164 u. a. Schon frÛh fragte man sich, ob McLeod Campbells Konzept der stellvertretenden Reue wirklich begreifbarer sei als das traditionelle Konzept der stellvertretenden Schuldabstattung, indem man die Hauptschwierigkeiten in Kritik von unitarischer Seite am Stellvertretungsgedanken sah. Vgl. Martineau, Mediatorial Religion, 168. 448 449

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haltigeren und differenzierteren Betrachtung und Wertung des Leidens, die bei McLeod Campbell fehlt. Man wird also sagen k×nnen, daß die Auseinandersetzung mit Edwards hier McLeod Campbell zwar zu einer systematischeren Auffassung, aber auch zu einigen KurzschlÛssen gefÛhrt hat. Mit der starken Betonung der Reue und der durch die Ablehnung des Strafgedankens bedingten, eher rudimentÅr zu nennenden Betrachtung des Leidens erklÅrt sich auch, warum McLeod Campbell nicht den strikten Gedanken des Todes Jesu als ein Opfer Gottes an die Menschen Ûbernehmen kann und statt dessen zu einer stÅrkeren Betonung des Handelns der menschlichen Natur in Form der Freiheitsprobe gelangt. Damit erklÅren sich auch zwanglos die deutlich arminianischeren Neigungen McLeod Campbells im Vergleich zu Erskine. Zwar findet sich bei McLeod Campbell nicht so deutlich wie bei Erskine eine Beschreibung der Zeit bis zum jÛngsten Gericht als Zeit der BewÅhrung, aber dies kann als KohÅrenzkorrektur gedeutet werden, zu der schließlich Erskine zu spÅterer Zeit auch vordringt. Betrachtet man die Quellen, auf die sich McLeod Campbell bezieht, sieht man, daß es sich dabei fast durchgehend um mehr oder weniger orthodox calvinistische Quellen und Luther handelt. Daraus k×nnte sich eine ZurÛckhaltung gegen platonisches Gedankengut erklÅren und aus dieser wiederum eine ZurÛckhaltung gegen den Organismusgedanken und den darin bei Erskine enthaltenen strikten Auffassungen der wechselseitigen InhÅrenz der Menschen und Christi. Zwar ist der Organismusgedanke nicht genuin platonisch, aber Ûber den Umweg der Romantik bzw. des Idealismus finden sich auch platonische EinflÛsse in ihm. FÛr das im Vergleich zu Erskine nur rudimentÅr erscheinende Handeln des Geistes einschließlich der fehlenden ErklÅrung der Handlungsmotivation des Menschen, etwa durch eine Theorie der Affektsteuerung, und fÛr die deutlich anders gestaltete TrinitÅtslehre, die hinsichtlich des GottesverstÅndnisses und hinsichtlich des VerhÅltnisses zwischen Gott und Welt beachtliche (negative) Konsequenzen hat, k×nnen hier keine genetischen ErklÅrungen geboten werden.

2.4.4 Die Zurechtbringungslehre Robert William Dales 2.4.4.1 Einleitung Wir gehen im folgenden nun so vor, daß zunÅchst unter den Voraussetzungen von Dales ZurechtbringungsverstÅndnis dessen VerstÅndnis von Gott, Mensch und SÛnde besprochen wird, um darauf die Zurechtbringungslehre Dales selbst darzustellen, wobei wir Christi Person und Werk getrennt dargestellt besprechen. Abschließend wird nach den ethischen Implikationen von Dales ZurechtbringungsverstÅndnis gefragt. ZunÅchst sollen aber ein-

Robert William Dale

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leitend ein paar Worte zu Dales Leben, Werk, den EinflÛssen Dales und der Rezeption Dales in besonderem Zusammenhang mit den in diesem Buch verhandelten protestantischen Positionen fallen. Robert William Dale,450 Kongregationalist, wurde am 1.12.1829 in London geboren und wurde nach seiner Ausbildung in London (1853 M.A.) und Birmingham 1853 zunÅchst zweiter Pastor an der Carr’s Lane Chapel in Birmingham und 1859 dort Hauptpastor. 1869 wurde er Vorsitzender der Congregational Union , 1891 erster PrÅsident des International Congregational Council. Dale war im industriell aufblÛhenden Birmingham vor allem mit sozialethischen Problemen beschÅftigt und engagierte sich im Rahmen der Bildungspolitik. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse galt neben der Vers×hnungslehre der Geschichte des Kongregationalismus, zu der er ein umfangreiches Manuskript hinterließ, das durch seinen Sohn A.W.W. Dale vervollstÅndigt und publiziert wurde.451 Unter seinen zahlreichen religi×sen Ver×ffentlichungen sind fÛr unser Thema zwei von Bedeutung: 1875 hielt Dale eine Reihe von 10 VortrÅgen zur Vers×hnungslehre als Congregational Union Lectures. Dieses Buch erfuhr eine breite Aufmerksamkeit, so daß 1878 Dale die siebte Auflage mit zahlreichen Šnderungen und Repliken auf Kritiken abdrucken konnte. Bis 1905 erfuhr das Buch 24 Auflagen.452 Die siebte Auflage wurde 1880 ins Deutsche Ûbertragen und die ºbersetzung wurde vom Autor autorisiert, und 1883 erfolgte eine ºbersetzung ins Franz×sische.453 Das zweite hier zu nennende Werk ist Dales Dogmatik „Christian Doctrine “454, die er 1894 in 19 Jahren Abstand zu seinen Congregational Union Lectures ver×ffentlichte und die aus Predigten kompiliert ist. Interessant ist hier der Aufriß: Die ersten 9 loci, bzw. Lehrpredigten sind, wenn man von der Tatsache, daß Christologie und Pneumatologie vor der TrinitÅtslehre behandelt werden, absieht, recht traditionell gehalten: The Existence of God I-II, The Humanity of our Lord, The Divinity of our Lord Jesus Christ I-II; The Holy Spirit, The Trinity, Man, Sin. ºberraschend ist hingegen der Ort und der Umfang, der der Vers×hnungslehre eingerÅumt wird: Die letzten(!) drei(!) loci sind alle der Vers×hnungslehre gewidmet (The Atonement I-III ). Ein Vergleich beider Werke zeigt, daß Dales Auffassung im Laufe dieser 19 Jahre Ûberraschend kohÅrent geblieben ist. WÅhrend die Lectures mehr ins Detail gehen, stellen die Lehrpredigten die Vers×hnungslehre in einen gr×ßeren dogmatischen Gesamtzusammenhang. Der Charakter von Dales Vers×hnungslehre ist dadurch bestimmt, daß er die Notwendigkeit einer SÛndenvergebung durch eine objektive Zurechtbringungstat Christi am Kreuz nachweisen will. Damit wendet er sich vor allem gegen die unitarische Infragestellung der Vers×hnungslehre seiner Zeit und vor allem gegen die ethisierende Vers×hnungslehre des Amerikaners Horace Bushnell455 (1802–1876). Šhnlich der Vers×hnungslehre McLeod Campbells liegt dieser Behandlung ein pastorales

450 Vgl. zu den Lebensdaten den Artikel Ûber Dale in The 1911 Edition Encyclopedia auf: http://74.1911encyclopedia.org/D/DA/DALE_ROBERT_WILLIAM.htm vom 01.01.2003. 451 Vgl. Dale, History. 452 Vgl. Dale, Atonement. 453 Vgl. Dale, Vers×hnungstod und Dale, La r³demption. 454 Dale, Doctrine. 455 Vgl. Bushnell, Sacrifice.

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Problem zu Grunde, wenn auch ein v×llig anderes: Zu Dales Zeiten verließen viele Kongregationalisten vor allem in Amerika, aber auch in England und Wales, ihre Religion, um sich dem Unitarianismus anzuschließen. Dales AusfÛhrungen gerade zur Vers×hnungslehre k×nnen hier so gelesen werden, daß sie darzustellen versuchen, daß der Unitarianismus keine tragfÅhige ErklÅrung der Vers×hnung bieten kann. Fragt man nach EinflÛssen der Theologie Dales, zeigt sich, daß Dale umfassend Ûber die Theologie seiner Zeit im angelsÅchsischen wie im deutschen Raum informiert ist. Als europÅische EinflÛsse k×nnen Schelling, Dorner und der erste Band von Ritschls „Rechtfertigung und Vers×hnung“ identifiziert werden, der dritte Band dÛrfte Dale bedauerlicherweise unbekannt geblieben sein, da sich in den Lehrpredigten zwar eine Aufnahme von Ritschls Darbietung der Geschichte der Zurechtbringungslehre, aber keine Aufnahme der systematischen Position Ritschls zeigt. Die Bezugnahme auf angelsÅchsisches Schrifttum spiegelt nahezu die ganze Bandbreite der Theologie seiner Tage wieder. Fragt man hingegen nach Ålteren EinflÛssen, zeigt sich, daß er McLeod Campbell gekannt hat, dessen Buch zur Vers×hnungslehre auch geschÅtzt haben dÛrfte, aber nur gelegentlich und nur verhalten auf McLeod Campbell eingeht, um diesen von ihm aus religi×sen GrÛnden geschÅtzten Autor nicht zu stark kritisieren zu mÛssen. Thomas Erskine of Linlathen hingegen dÛrfte Dale nicht gekannt haben, da er zum einen nicht die nahezu vollstÅndige AbhÅngigkeit McLeod Campbells von Erskine kennt, andererseits in einigen konzeptionellen Gedanken, die auch als Korrektur an der Vers×hnungslehre McLeod Campbells gelesen werden k×nnen, nicht Erskines Argumentationen, die z. T. seine eigenen Anliegen erheblich gestÅrkt hÅtten, verwendet. Angesichts der Bedeutung und der Aufmerksamkeit, die Dale in seiner Heimat sowie in der gesamten englischsprachigen Welt einschließlich Australiens erlebte und angesichts der Tatsache, daß seine Vers×hnungslehre bereits 1880 in Deutschland in deutscher Sprache publiziert wurde, verwundert es um so mehr, daß sich in der Debatte um die Vers×hnungslehre in Deutschland bei Ritschl und KÅhler keine Spuren finden, und Dale offensichtlich nicht rezipiert wurde. Mag dies im Falle Rischls noch verstÅndlich erscheinen, da die erste Auflage des dritten, systematischen Bandes von Ritschls „Rechtfertigung und Vers×hnung“ bereits 1874, ein Jahr bevor Dale die Lectures hielt, erschien und erst seit der zweiten Auflage (1882) dazu Gelegenheit gewesen wÅre, so verwundert dies im Falle KÅhlers besonders. Denn zum einen lassen sich zwischen Dale und KÅhler zahlreiche und deutliche konzeptionelle Šhnlichkeiten und ºbereinstimmungen finden, und zum anderen publiziert KÅhler seine Aufsatzsammlung „Zur Lehre von der Vers×hnung“ erst 1898.456

456 Bedenkt man, daß sich KÅhlers theologischer Stil nicht gerade durch explizite Referenzen auf Theologien oder Theologen seiner Zeit ausweist, KÅhler aber gegenÛber Ritschl z. T. Erstentdeckungsanspruch zahlreicher Theologumena beansprucht hat, wie es aus dem Briefwechsel KÅhlers mit Cremer und aus der Diskussion KÅhlers mit Herrmann hervorgeht, lÅßt dies auf eine Åußerst verwirrende Lage der Fakten schließen: Denn einerseits k×nnte damit gezeigt werden, daß KÅhler seine Vers×hnungslehre im wesentlichen tatsÅchlich vor Ritschl ausgearbeitet hat und nur gr×ßtenteils spÅter publiziert hat, weil sich kein Bezug auf Dale findet. Nun hat freilich KÅhler nur einen Teil seiner Schriften zur Vers×hnungslehre schon vor 1870/74 ausgearbeitet, einen großen Teil freilich erst danach. Dies lÅßt wiederum die M×glichkeit zu anzunehmen, daß KÅhler einfach Dale aufgrund eines Bildungsdefizits Ûberhaupt nicht gekannt

Robert William Dale

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Zu bedenken ist freilich, daß Dale zwar ein religi×ser, nicht aber im engeren Sinne ein akademischer Lehrer war. Dies k×nnte auch die Tatsache erklÅren, daß sich die theologische Forschung Dales kaum angenommen hat. Zwar ver×ffentliche Dales Sohn 1898 eine Biographie seines Vaters,457 aber abgesehen von nur wenigen GelegenheitsaufsÅtzen458 zu einzelnen Aspekten und einer kleinen Aufsatzsammlung anlÅßlich Dales hundertsten Todestages459 gibt es bis heute keine Arbeit zu dessen Vers×hnungstheologie.

2.4.4.2 Voraussetzungen des ZurechtbringungsverstÅndnisses 2.4.4.2.1 Gott Die Kenntnis des Menschen von Gott ist, ebenso wie das Wissen um die Welt und das Wissen um sein Selbst einschließlich seiner moralischen Freiheit und um die AutoritÅt des moralischen Gesetzes, nicht einfach wie bei Kant ein Postulat der praktischen Vernunft, sondern selbstevidente Wahrheit,460 deren Evidenz aber die Tradition in den Gemeinschaften sowohl der Kirche als auch der nationalen Tradition voraussetzt.461 Das Aufwachsen in einer kirchlichen oder nationalen Tradition, wir k×nnten mit heutiger Terminologie sagen, in einer zivilreligi×sen Tradition, bewirkt den Glauben des Menschen im Sinne von to believe , wÅhrend die Gewißheit, im Sinne von to know auf einer Erfahrung (experience ), die eine Entdeckung (discovery ) ist, beruht. Nicht der Mensch findet dabei Gott, sondern Gott findet den Menschen.462 Dies ist m×glich, weil wir letztlich so gemacht sind, daß wir diese Erfahrungen machen k×nnen.463 Die Besprechung der Gotteslehre ist keine Nebensache im Rahmen der Vers×hnungslehre, denn „jede vollstÅndige Vers×hnungslehre muß eine Bestimmung Ûber die ewigen Beziehungen zwischen dem Gottessohne und dem Vater enthalten.“464 Dieser Gott, der sich so entdecken lÅßt , ist der trinitarische Gott. D.h. es handelt sich um drei Personen, die ein Gott sind. hat. Eine dritte M×glichkeit bestÛnde darin anzunehmen, daß KÅhler Dale gekannt hat, und seine eigene Vers×hnungslehre maßgeblich von Dale beeinflußt ist, ohne daß KÅhler dies irgendwo angeben wÛrde. Dies freilich verwundert wieder angesichts des Pathos, mit dem KÅhler auf seiner eigenen OriginalitÅt besteht (s. o.). 457 Dale, Alfred William Winterslow, The Life of R.W. Dale of Birmingham, London 1898. 458 Zu nennen sind hier Gunton, Cross; und Mikolaski, Atonement. Die restliche Literatur beschÅftigt sich mit anderen Aspekten von Dales Wirksamkeit: Thompson, „Civic Gospel“; Bishop, Evangelical Truth; Mikolaski, Theology; Hough, Dale. 459 Binfield, Cross. 460 Vgl. Dale, Doctrine, 3 f. 461 Vgl. Dale, Doctrine, 6. 462 Vgl. Dale, Doctrine, 9–16. 22 f. 40. 44. 463 Vgl. Dale, Doctrine, 23. 464 Dale, Vers×hnungstod, 3 f, d. i. Dale, Atonement, 5. Vgl. auch Mikolaski, Atonement, 203.

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Die TrinitÅtslehre ist damit nicht primÅr ein spekulatives Unternehmen, sondern beruht auf der Erfahrung selbst,465 auf der Erfahrung, daß der Mensch Jesus Christus Gott ist, indem die Erfahrung des moralischen Gewissens Christus als Herrn eben Ûber dieses Gewissen und somit als Gott ausweist,466 und der Erfahrung des Heiligen Geistes nicht nur als Kraft Gottes sondern als distinkter Person.467 Der TrinitÅtslehre fÅllt nun die Aufgabe zu, zu zeigen, daß es sich dabei um den gleichen Gott handelt. Auch wenn Dale sich Ûber den Vater gar nicht Åußert, und Ûber die Erfahrung der G×ttlichkeit Christi nur in der Christologie und der G×ttlichkeit und PersonalitÅt des Geistes nur in der Pneumatologie, kann dieses Verfahren in Analogie zu der These Pannenbergs gelesen werden, nach der menschlicher Erfahrung primÅr die Dreiheit Gottes zugÅnglich ist und nach der die Einheit epistemisch sekundÅr ist.468 Im Rahmen des verstehenden Nachvollzugs der Einheit Gottes wird zunÅchst aufgrund der Basis des Evangeliums korrekt Modalismus und implizit das darauf basierende augustinische TrinitÅtsmodell abgewiesen, und die Relationen zwischen den Personen werden als nicht rein intentionale Beziehungen gesehen: „Die Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Geist sind analog den Beziehungen, wie sie zwischen verschiedenen Personen bestehen; sie sind nicht analog den Bezie-

465

Vgl. Dale, Doctrine, 148 f. 153. Vgl. Dale, Doctrine, 110. 467 Vgl. Dale, Doctrine, 124–148. Dale argumentiert hier zweifach, aus der Schrift und aus der konzeptionell begriffenen Erfahrung. Aus der Schrift ist im Alten Testament der Geist primÅr als Kraft sichtbar, was ein Metaphernfeld darstellt, das auch im Neuen Testament nicht aufgegeben wird, aber durch die personale Redeweise Ûberboten wird. Diese kommt in den johanneischen Schriften besonders darin zum Ausdruck, daß der Geist vom Sohn als „anderer FÛrsprecher“ angekÛndigt wird. Damit ist aber eine Parallele zur personalen Existenz Christi gezogen. Aus der Erfahrung hingegen lÅßt sich des Geistes PersonalitÅt aus dessen FÛhrerschaft der Kirche und des christlichen Individuums entnehmen. Denn wo eine Kraft Gottes spÛrbar ist, muß diese Kraft von einer Person ausgehen. Vater und Sohn kommen hierfÛr aber nicht in Betracht, weil sich diese Kraft auf diese als Objekt bezieht und diese insofern nicht Urheber sein k×nnen, vgl. Dale, Doctrine, 143: „But where there is a divine Power there must always be a divine person; this is not an inference from experience but a part of experience; when a divine power is acting upon us we know, we are conscious, that it is a divine Person that is acting upon us. And the divine Person in whose power we trust in the Father as revealed in the Son, rejoice in the grace of the Father as revealed in the Son, is surely Another than the Father, and Another than the Son. He is a distinct centre and source of divine activity.“ 468 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 326 ff. Zwar steht Pannenbergs These im Zusammenhang seiner geschichtstheologischen Konzeption nach der die Wahrheit der Einheit Gottes ein eschatologisches Faktum am Ende der Geschichte ist, aber Konzeptionen wie die Dales und anderer, die sich nicht in diesem geschichtshermeneutischen Horizont bewegen, k×nnen als Ausweis dafÛr verstanden werden, daß mit dieser These Pannenberg ein christliches Fundamentalaxiom formuliert, das weitgehend theorieinvariant ist. 466

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hungen, wie sie zwischen verschiedenen Formen der AktivitÅt derselben Person bestehen.“469

Diese Beziehungen sind offenbart im Erl×sungswerk und die Tatsache, daß sie offenbart sind, zeigt, daß sie faktisch bestehen, denn anderenfalls wÅre die Offenbarung keine Offenbarung. Hier setzt Dale deutlich das auch spÅter von Barth u. a. auf Hegel zurÛckgefÛhrte Konzept der Offenbarung als Selbstoffenbarung ein.470 Die Beziehungen zwischen den Personen sind aber nicht nur nicht rein intentional und damit real, sondern auch wechselseitig konstitutiv: „Von Ewigkeit zu Ewigkeit – dies ist die TrinitÅtslehre – ist Gott Vater, Sohn und heiliger Geist. Der Vater ist Gott – aber nicht abgesehen von dem Sohn und dem Geist. Der Sohn ist Gott – aber nicht abgesehen vom Vater und vom Geist. Der Geist ist Gott – aber nicht abgesehen vom Vater und vom Sohn. Es gibt nur einen Gott, aber in der Gottheit sind, gemÅß der technischen Sprache der Theologie und der Bekenntnisse, drei Personen. Es gibt nicht drei G×tter, sondern im Leben und Sein des einen Gottes gibt es drei Zentren von Bewußtsein, Wille und AktivitÅt; und diese sind uns bekannt als der Vater, der Sohn und der Heilige Geist“.471

Die Einheit Gottes wird nun von Dale konsequenterweise als ewige und gesegnete Liebesbeziehung gesehen,472 aber nicht weiter expliziert. Ja, der Versuch intellektuellen Verstehens wird bedauerlicherweise mit dem Hinweis, die TrinitÅtslehre mÛsse ein Geheimnis bleiben, abgewiesen oder zumindest stark eingeschrÅnkt.473 Damit reißt Dale Erfahrung und Verstehen von Erfahrung auseinander. Bedenkt man nun, daß sich im 20 Jh. die Einsicht durchsetzt, daß Erfahrung und Verstehen immer zusammengeh×ren, daß es keine Erfahrung gibt, die nicht theoriegetrÅnkt wÅre,474 dÛrfte deut469 „The relations between Father, Son, and Spirit are analogous to those which exist between different persons; they are not analogous to the relations which exist between different forms of the activity of the same person“, Dale, Doctrine, 150. 470 Vgl. Dale, Doctrine, 151. 471 „From Eternity to Eternity – this is the Trinitarian Doctrine – God is Father, Son, and Holy Spirit. The Father is God-but not apart from the Son and the Spirit. The Son is God – but not apart from the Father and the Spirit. The Spirit is God – but not apart from the Father and the Son. There is one God, but in the Godhead there are, according to the technical language of theology and the creeds, three Persons. There are not three gods, but, in the life and being of the one God, there are three Centres of consciousness, volition and activity; and these are known to us as the Father, the Son, and the Holy Spirit“, Dale, Doctrine, 152. Diese bemerkenswert klaren Worte zum VerstÅndnis der Personen Gottes als Zentren von Bewußtsein, Wille und AktivitÅt werden erst wieder so klar von Pannenberg in dessen These der Personen als AktivitÅtszentren formuliert, vgl. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 347. 472 Vgl. Dale, Doctrine, 154: „[. . .] as an eternal and blessed fellowship of love“. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 38, d. i. Dale, Atonement, 105. 473 Vgl. Dale, Doctrine, 154. 474 Vgl. Zum Begriff der Theoriekontaminiertheit von Erfahrung u. a. Hanson, Patterns of Discovery.

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lich werden, daß Dale gegen seine eigene Intention, die empirische Basis der TrinitÅtslehre zu sichern, bedauerlicherweise mit dieser Denkfigur in jene christliche Tradition geh×rt, die gerade die PlausibilitÅt der Empirie der TrinitÅt herabsetzt. Haben wir bisher gefragt, wie sich Gott erkennen lÅßt und welcher Gott sich erkennen lÅßt, haben wir also die Frage nach der Erkenntnis und Identifikation Gottes, die Frage, wie sich Gott erkennen lÅßt und wer Gott ist, gestellt, so fehlt noch ein Schritt: Die Frage, was Gott ist, der Dale in genau dieser Reihenfolge einen eigenen Abschnitt widmet: Da Gott nicht zu einer Klasse von Seiendem geh×rt, kann diese Frage nicht direkt beantwortet werden, so daß in der Tradition meist die via negativa beschritten wurde, indem letztlich gesagt wurde, wofÛr das Wort Gott nicht steht.475 Diese via negativa bringt einen wichtigen Punkt im GottesverstÅndnis, die Transzendenz Gottes, zum Ausdruck. Die Frage nach dem Wesen Gottes muß nun einerseits die durch die Inkarnation gegebene Immanenz Gottes unter gleichzeitigem Abweis von pantheisierenden Gefahren,476 andererseits die Transzendenz Gottes zum Ausdruck bringen. Dies gelingt nach Dale nur, wenn diese Frage, was Gott ist, unter strengem RÛckgriff auf die Frage, fÛr wen „Gott“ steht, beantwortet wird.477 Die Antwort auf diese Frage einschließlich der Anerkennung von Immanenz und Transzendenz Gottes ist mit der TrinitÅtslehre aber bereits schon erfolgreich gegeben:478 Gott, erkennbar im Vater, ist SouverÅn Ûber alle physischen Gesetze, vor allem aber Ûber das moralische Gesetz. Gleichzeitig ist Gott dem moralischen Gesetz selbst unterworfen, in Gestalt des Sohnes, so daß auch darin G×ttlichkeit besteht. Im Geist, der den Menschen gegeben ist und durch den der Mensch freien Zugang zu Gott hat, erkennt der Mensch dieses ewige Gesetz der Gerechtigkeit an.479 Gott ist letztlich mit dem Gesetz, das inhaltlich das Gesetz der Liebe480 ist, koextensiv.481 Transzendenz und Immanenz kommen so spannungslos zusammen, indem Gott im Vater pers×nlich Leben und Denken der Menschen transzendiert, im Sohn Gott pers×nlich den Menschen erschlossen ist und im Geist Gott immanent im h×heren Leben der Menschen ist.482 Zusammenfassend lÅßt sich daher die Frage, was Gott ist,

Vgl. Dale, Doctrine, 155. Vgl. Dale, Doctrine, 162 f. 477 Vgl. Dale, Doctrine, 155. 478 Vgl. Dale, Doctrine, 157–159. 479 Vgl. Dale, Doctrine, 159–163. 480 Hier weist Gunton, Cross, 5 zu recht darauf hin, daß Dales Gesetzbegriff nichts mit einem quantitativen Gesetzbegriff zu tun hat. 481 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 336 u. ×., d. i. Dale, Atonement, 450 f. u. ×. 482 Vgl. Dale, Doctrine, 164. 475 476

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beantworten: Gott ist Gesetz , weil Gott Liebe ist, weil Gott Vater, Sohn und Geist ist. 2.4.4.2.2 Des Menschen Natur Zwei Aspekte mÛssen am Menschen unterschieden werden: Des Menschen Natur und des Menschen Charakter.483 Des Menschen Natur ist die imago Dei. Sie besteht darin, daß der Mensch eine freie, intelligenzbegabte, selbstbewußte und moralische Pers×nlichkeit ist.484 Die mit diesen Eigenschaften beschriebene PersonalitÅt ist auch unverlierbar und sie schließt nicht moralische und spirituelle Vollkommenheit ein, sondern nur die M×glichkeit, diese zu erreichen.485 Da SÛnde keine defiziente Beschaffenheit, einer Krankheit gleich, sein kann, da eine solche nicht vergebungsbedÛrftig wÅre,486 setzt die SÛnde die Eigenschaft der Freiheit und Verantwortlichkeit als zum Menschen selbst geh×rig, nicht einfach zu dessen Willen geh×rig, voraus. Die Freiheit des Menschen bezieht sich daher nicht nur auf den Willen, sondern auch auf die menschlichen Affekte und Passionen. Auch hier wird diese Freiheit ex negativo erschlossen: Weil sich SÛnde auch auf die Affekte, nicht nur auf den Willen bezieht, muß sich die Freiheit als fundamentalanthropologische Kategorie auch darauf beziehen.487 Der Mensch ist im strengen Sinne kein Individuum, sondern insofern ein Beziehungswesen, als er zur Rasse der Menschheit geh×rt, die hier mit dem organischen Gedanken gedeutet wird. Damit ist auch die ºbertragbarkeit von SÛnde und Schuld gewÅhrleistet.488 Der Mensch erweist sich so nach dem „Prinzip der wechselseitigen Interdependenz“489 als multidimensionales Beziehungswesen und ist in je unterschiedlicher Weise in direkter Beziehung abhÅngig von Christus und indirekt von seinesgleichen, besonders in on-

483 Hier liegt auch ein konzeptioneller Grund zur Unterscheidung von der Vers×hnungslehre Bushnells, der eben nicht zwischen Natur und Charakter des Menschen unterscheide und damit den Fall unterschiedslos auf die Natur des Menschen als nicht von dessen Charakter unterschieden beziehen mÛsse, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 289, d. i. Dale, Atonement, 396. 484 Vgl. Dale, Temple, 51; dazu auch Mikolaski, Atonement, 135. 485 Vgl. Dale, Doctrine, 178. 486 Vgl. Dale, Doctrine, 179. 487 Vgl. Dale, Doctrine, 181–183. Vgl. ebd. 184: „All this, I repeat, implies that man is responsible not merely for his volitions but for his affections; that man is, therefore, a free spontaneous, selfdetermined force, not merely in his volitions, but in his love and hatred, his generosity and his selfishness, his reverence and his scorn, his pity for suffering and his indifference to it. Man himself – every man – is ethically and spiritually free.“ 488 Vgl. Dale, Doctrine, 185: „But it is also true that our life is the life of the race, and that we share the sin of the race.“ 489 Diese Formulierung stammt von Mikolaski, Atonement, 137–139.

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tologisch-moralischer Hinsicht, und auf einer weiteren Stufe von der natÛrlichen Welt.490 Šhnlich wie die klassische Rede von den zwei Naturen in der Christologie (s. u.) wird auch die Rede von Leib und Seele in der Anthropologie positiv aufgenommen, aber mit der Bemerkung, es handele sich bei der Verbindung von Leib und Seele um eine „komplexe Einheit“491, die auch in der Auferstehung nicht aufgehoben werde,492 biblisch-kritisch relativiert.

Besteht die imago in der ethisch-spirituell freien PersonalitÅt des Menschen, der im Rahmen der Rasse als Beziehungswesen gedeutet wird, wÅhrend aber nicht notwendig ethisch-spirituelle Vollkommenheit eingeschlossen ist, schließt die imago notwendigerweise eine Bestimmung ein: Die Bestimmung, das Leben Gottes zu teilen, in Liebe zu Gott und zu seinem NÅchsten.493 2.4.4.2.3 SÛnde Von der Natur ist der Charakter des Menschen als dessen aktueller Zustand zu unterscheiden. Der Charakter des Menschen im status integritatis wird von Dale so verstanden, daß dessen intellektuelle und moralische FÅhigkeiten nicht vollkommen waren. Vielmehr befand sich der Mensch, in irenÅischer Tradition stehend, im Stande der Kindheit. Die Versuchung der Schlange wird als ein Reifetest der menschlichen Gerechtigkeit verstanden.494 SÛnde wird zunÅchst biblisch mit 1. Joh. 3, 4 als Gesetzlosigkeit, bzw. prÅziser als GesetzesÛbertretung verstanden.495 Diese Definition ist zunÅchst deswegen wichtig, weil SÛnde hier durch das Gesetz, das material im Doppelgebot der Liebe besteht, definiert ist. Das Gesetz der Gerechtigkeit aber ist ewig496 und kann nicht vollkommen folgenlos verletzt werden, wenn es sich auch nicht selbst, einem Naturgesetz gleich, durchsetzt, sondern Gottes als ReprÅsentant und Verteidiger bedarf.497 Dieses ewige Gesetz der Gerechtigkeit kann nicht einfach willkÛrlich sein. Das Gerechte ist

490 Vgl. Dale, Funeral, 23 f.; ders., Discourses, 67 f; ders., Fellowship, 306 f.; ders., Saviour, 28; ders., Doctrine, 217. 491 Dale, Doctrine, 187. 492 Vgl. Dale, Doctrine, 189. 493 Vgl. Dale, Doctrine, 193. 494 Vgl. Dale, Doctrine, 177. 495 Vgl. Dale, Doctrine, 198–200. 496 Nach Dale, Vers×hnungstod, XXVIIf, d. i. Dale, Atonement, 37 f besteht die UnverÅnderlichkeit und Ewigkeit des Sittengesetztes analog zum Fall eines mathematischen Gesetzes, so daß alles, was sittlich recht ist zu einer Zeit an einem Ort, auch zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort recht sein wird. 497 Vgl. Dale, Doctrine, 242. 246.

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nicht gerecht, weil Gott es befiehlt, sondern Gott befiehlt Gerechtigkeit, weil sie gerecht ist.498 Die Gerechtigkeit als Regel oder als Gesetz ist aber Ûberhaupt nur als solche vorhanden, ja ist Ûberhaupt nur als solche erkennbar, wenn die ºbertretung der Gerechtigkeit Strafe nach sich zieht, wenn auch eine personal verhÅngte Strafe. Dennoch ist Gott Ûber, bzw. dem Gesetz gleich, nicht unter dem Gesetz. Ja es gibt sogar eine KoextensitivitÅt zwischen dem Sittengesetz und Gott.499 Er ist frei. Diese Freiheit Gottes ist ontisch Bedingung der M×glichkeit der SÛndenvergebung, wÅhrend epistemologisch die Tat der Vergebung der SÛnde durch das Vers×hnungsgeschehen am Kreuz Bedingung der M×glichkeit der Erkenntnis der Freiheit Gottes ist.500 Dennoch ist diese Definition problematisch, denn ºbertretungen sind immer Willensakte, nicht jedoch SÛnde: Auch beispielsweise die Eltern oder die Kinder nicht zu lieben, ist SÛnde, aber kein Willensakt.501 Ferner stehen einzelne menschliche Handlungen bzw. Verhaltensweisen als Ausdruck oder Offenbarung fÛr habitualisierte permanente moralische QualitÅten, die den Charakter des Menschen bilden.502 FÛr die Bildung des Charakters ist der Mensch z. T. selbst verantwortlich, indem er frei Affekten und Passionen zustimmt, bis diese derart habitualisiert sind, daß sie auch ohne oder sogar gegen die Zustimmung des Willens handlungsaktualisierend sind, weil sie den Charakter des entsprechenden Menschen ausmachen.503 Z. T. kann Dale des Menschen Freiheit Ûber die SÛnde Ûberzogen stark betonen, etwa, indem er nicht nur davon ausgeht, daß des (ersten?) Menschen eigene Selbstbestimmung dessen FÅhigkeit, Gott und den NÅchsten lieben zu k×nnen, ausschloß, sondern auch davon ausgeht, daß diese UnfÅhigkeit nur solange andauere, wie die entsprechende Selbstbestimmung andauere.504 Dennoch geschieht der Anstoß zu solchen Habitualisierungsprozessen nicht

Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 312. 315–317, d. i. Dale, Atonement, 422. 425–428. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 318 ff, d. i. Dale, Atonement, 429 ff, ebd., 431 f: „His relation to the law is not a relation of subjection but of identity. Hence ‚He cannot be tempted of evil.‘ In God the law is alive; it reigns on His throne, sways His sceptre, is crowned with his Glory [. . .] But apart from the authority of the eternal Law of Righteousness as expressed in the Divine will, it is not possible to conceive of God [. . .] If [. . .] He is to be my God I must recognize His absolute sovereignty over my moral and spiritual life; and God, as al living Person, must have the same authority over my will that conscience acknowledges in the eternal Law of Righteousness“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 320 f). 500 Vgl. Dale, Doctrine, 261–265. 501 Vgl. Dale, Doctrine, 201. 502 Vgl. Dale, Doctrine, 201 f. 503 Vgl. Dale, Doctrine, 203. 504 Vgl. Dale, Doctrine, 193: „If he cannot love God and his neighbour, it is because he has by his own self-determination excluded from his life the power of the divine life, which is necessary to his perfection. His inability remains as long as he excludes it. He can cease to exclude it, and then all things are possible to him.“ 498 499

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durch den Willen, sondern der Mensch ist mit Affekten und z. T. b×sen Affekten geboren, die so zu Versuchungen und Anlaß zur Charakterbildung werden.505 Diese b×sen Affekte verbinden nicht nur die zu einem Zeitpunkt untereinander lebenden Menschen, sondern gerade die geschichtlich durch die Zeit existierende Rasse der Menschheit und sind daher Ausdruck der Allgemeinheit der SÛnde, die das BeziehungsgefÛge der ganzen Rasse betrifft.506 Konsequenterweise bildet die gesamte Menschheit eine Gemeinschaft des moralischen Lebens, die freilich mit dem Hinweis, daß sie geheimnisvoll sei, nicht weiter erklÅrt wird.507 „Es gibt eine SolidaritÅt der Rasse in der SÛnde; und wenn ich andere Menschen verdamme, dann gibt es Zeiten, in denen ich fÛhle, daß ich mich selbst verdamme, denn wir alle sind organische Glieder aneinander.“508

Genau diese Beziehungsstruktur erm×glicht aber auch das Vers×hnungsbzw. ZurechtbringungsphÅnomen, denn wenn wir die SÛnde der Rasse teilen, teilen wir auch deren Erl×sung.509 Dales SÛndenlehre besticht sowohl durch die konsequente Anwendung des Gedankens des Menschen als Beziehungswesen in Form der SolidaritÅt der Rasse als auch durch den Hinweis, daß sich SÛnde nicht allein auf den Willen, sondern auch auf die Affekte des Menschen bezieht. Wenn er aber hieraus schließend die menschliche Freiheit z. T. so stark darstellt, als k×nne diese auch Ûber die menschliche UnfÅhigkeit oder FÅhigkeit zum Guten oder zur SÛnde entscheiden, begibt er sich in kontradiktorische Redeweise, denn eine UnfÅhigkeit, etwas zu tun, mag Folge einer menschlichen Wahl sein, aber gerade nicht – schon sprachlogisch nicht – durch eine erneute menschliche Wahl einfach aufgehoben werden, wenn noch sinnvolle, d. h. nicht widersprÛchliche Aussagen gemacht werden sollen. An dieser Stelle bleibt uns daher nichts anderes Ûbrig, als ungel×ste Spannungen zwischen der Beschreibung der Allgemeinheit der SÛnde und der menschlichen Freiheit bei Dale zu diagnostizieren.

Vgl. Dale, Doctrine, 204. Vgl. Dale, Doctrine, 209. 507 Vgl. Dale, Doctrine, 208. 213: „There is a mysterious community of moral life between men of all countries and all ages. Individual men cannot stand absolutely alone and apart – isolated from the life of the rest of mankind. Within limits every man is morally free, but we are members one of another; and in the life which is shared by the whole race, whatever other and nobler elements there may be – and there are many – there is a power which makes for unrighteousness. This is what theologians mean when they speak of the race as a fallen race. The race itself has fallen – not merely individual men; and from this fall the race needs redemption.“ 508 „There is a solidarity of the race in sin; and when I condemn other men, there are times when I feel that I am condemning myself; for we are all members one of another“, Dale, Doctrine, 216. 509 Vgl. Dale, Doctrine, 217. 505 506

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2.4.4.3 Das ZurechtbringungsverstÅndnis der objektiven Vers×hnung 2.4.4.3.1 Christi Person Zum einen betont Dale die IntegritÅt der menschlichen Natur Christi. Diese Åußert sich nicht nur darin, daß Christus einen menschlichen K×rper hatte, sondern vor allem darin, daß Christi geistige FÅhigkeiten menschlich sind. D.h. insbesondere, daß seine emotionale und moralische Natur der unseren entsprach, fÅhig, Hoffnung und Angst zu empfinden sowie menschliche Freundschaften eingehen zu k×nnen.510 Dies schließt fÛr Dale nicht nur die auf einem beschrÅnkten Wissen511 beruhende FÅhigkeit, ºberraschung zu empfinden, ein,512 sondern vor allem auch die FÅhigkeit, wahrhaft versucht werden zu k×nnen, und die FÅhigkeit, sÛndigen zu k×nnen, die fÛr Dale besonders wichtig ist.513 Dale betont auch die volle G×ttlichkeit Christi , die den Aposteln aus direkter Erfahrung zugÅnglich war.514 Diese Erfahrung besteht wesentlich in der Erfahrung der Auferstehung Christi515, wÅhrend sie vorher nicht m×glich war. Ebenso ist diese Erfahrung in der Gewißheit des Glaubens eines jeden Christen gegeben.516 WÅhrend die Wahrheit der G×ttlichkeit Christi der Erfahrung und Offenbarung sicher ist, war sie fÛr die Spekulation auf Basis der natÛrlichen Theologie fÛr alle Zeiten ein Problem und fÛhrte jeweils, wenn natÛrlicher Theologie axiomatischer Status zugeschrieben wurde, zum Arianismus.517 Der Fehler dieser Zuschreibung von axiomatischem Status zur natÛrlichen Theologie bzw. zum Theismus besteht darin, daß damit ausgeschlossen wird, daß sich Ûber das, was Gott ist , also ebenso Ûber die Eigenschaften Gottes, neue Erfahrungen und Entdeckungen machen ließen. Genau dies aber behauptet das Evangelium: In Christus entdecken wir

Vgl. Dale, Doctrine, 64–67. 75. Vgl. Dale, Doctrine, 287–292. 512 Vgl. Dale, Doctrine, 62–64. 513 Vgl. Dale, Doctrine, 50–52. 68. 293. In diesem Zusammenhang wird die Alternative des posse non peccare und des non posse peccare als nicht ausschließende Alternative gedeutet, die metaphysisch, nicht aber moralisch zu verstehen sei und eine Abstraktion des Lebens darstelle. Damit scheint Dale letztlich beides gleichzeitig sagen zu wollen: Christus hÅtte metaphysisch nicht sÛndigen k×nnen, wohl aber moralisch. Dieser Harmonisierungsversuch mag formal etwas Richtiges erfaßt haben, indem verschiedene Hinsichten unterschieden werden, berÛcksichtigt aber nicht, daß es zwischen dem Metaphysischen und dem Moralischen einen Zusammenhang, und zwar den einer Inklusion, gibt, die auch durch den Abstraktionsgedanken vorausgesetzt und in Anspruch genommen wird. Der Harmonisierungsversuch Dales kann an dieser Stelle nur als deutlich mißglÛckt beschrieben werden. 514 Vgl. Dale, Doctrine, 77. 515 Vgl. Dale, Doctrine, 77. 83. 516 Vgl. Dale, Doctrine, 90. 517 Vgl. Dale, Doctrine, 90. 95. 510 511

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ein erweitertes VerstÅndnis des Ewigen.518 Nun k×nnen diese g×ttlichen Eigenschaften, die es hier zu entdecken gilt, nicht einfach mit den genannten menschlichen zusammenfallen. Dale nennt dann auch anderes: Christi einzigartiges GottesverhÅltnis, das eine Vertrautheit und Bekanntschaft umfaßt, wie sie Menschen unm×glich ist: „Er kannte Gott wie andere Menschen ihren Lebensraum zwischen Himmel und Erde kennen“.519 Diese Vertrautheit mit Gott fÅllt nun in den Bereich des Wissens, von dem Dale behauptet hatte, daß er, wie auch der menschliche Bereich des Wissens, aufgrund Christi menschlicher Natur beschrÅnkt sei. Um hier einen Widerspruch zu vermeiden, bezieht Dale das Wissen auf Christi Wollen: „Er wußte alles, was er wissen wollte.“520 Die G×ttlichkeit Christi Åußert sich weiterhin in dessen AutoritÅt, nicht einfach in dessen AutoritÅtsanspruch. Dale geht davon aus, daß jeder Christ die moralische AutoritÅt Christi anerkennt, weil das Gewissen den, der Ûber dem Gewissen steht, erkennt.521 Christus ist so das h×chste und ungeschaffene sittliche Oberhaupt und hat in dieser Funktion auch die Aufgabe, die SÛndenstrafen zu verhÅngen.522 Aufgrund dieser moralischen und spirituellen AutoritÅt und SupremitÅt Christi kann auch auf seine Herrschaft Ûber den physischen Bereich geschlossen werden, weil beide SphÅren zusammengeh×ren und das, was Ûber dem spirituellen Bereich ist, nicht im physischen Bereich eine abgeleitete Bedeutung haben kann.523 Dies bedeutet in letzter Konsequenz auch, daß Christus das gesamte Haupt des Kosmos ist, indem er Sch×pfer und Ziel der Sch×pfung ist.524 Bedauerlicherweise wird daraus kaum eine Kon-

Vgl. Dale, Doctrine, 99. „He knew God as other man know the face of the earth and the sky“, Dale, Doctrine, 106. Vgl. ebd., 312. 520 „He knows all that He wants to know. In all these respects, our Lord stands apart. He is not as other men“, Dale, Doctrine, 107. 521 Vgl. Dale, Doctrine, 110: „it would be truer to say that in discovering His authority we discover that He is divine. Only God can have the power over life which He asserts, and to which we find ourselves obliged to submit. We Christian people can no more doubt the authority of Christ than we can doubt the authority of Conscience. The soul recognises its Master and Lord when once it really sees Him.“ Vgl. Dale Vers×hnungstod, XVIII (Atonement, 26 f). 522 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 309–311, d. i. Dale, Atonement, 418–421; ebd.: 421 f: „In the argument for the Divinity of Christ these claims have a great place. It is inconceivable that God should invest a creature with His function of Judging the world, and that He should transfer to a creature the moral allegiance due to Himself“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 311). Vgl. Gunton, Cross, 7. 523 Vgl. Dale, Doctrine, 120. 524 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 346–349 (Atonement, 462–465). Eine weitere Konsequenz dieses Gedankens ist, daß, wenn die physische Welt um der Moralischen willen da ist, Gott als koextensiv mit dem Sittengesetz gesehen wird und der Mensch Ebenbild Gottes ist, die physische Welt, d. h. der ganze Kosmos, um des Menschen willen da ist. Vgl. Dale, Temple, 49 und dazu Mikolaski, Atonement, 134. 518 519

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sequenz fÛr einen Gedanken einer kosmischen Vers×hnung oder Zurechtbringung gezogen. Eine kleine, aber sehr beachtenswerte Besonderheit findet sich bei Dale in der ErklÅrung der Beziehung Christi im menschlichen Gesamtorganismus der Rasse der Menschheit. Dabei ist sich Dale durchaus bewußt, in romantischer Tradition, wie sie in England u. a. durch F.D. Maurice im Gefolge Schellings vertreten wurde, zu stehen.525 Die ganze Menschheit bildet einen zusammengeh×rigen Organismus, Christus kommt darin eine besondere Rolle zu. Normalerweise wird diese Rolle mit der Beschreibung Christi als zweiten Urmenschen, als systematische Entfaltung der paulinischen Adam-Christus-Typologie geboten oder als systematische Entfaltung der deuteropaulinischen Rede vom Haupt526 und den Gliedern. Damit wird erreicht, daß es innerhalb der Gesamtbeziehung der Menschheit eine hierarchische Struktur gibt und Christus in besonderer Weise herausgehoben ist. Noch nicht erklÅrt ist damit aber etwa im Falle GÛnthers (s. o.), in welcher Weise Christus herausgehoben ist, in welcher Weise seine Partialrelation innerhalb des menschlichen RelationsgefÛges zu beschreiben ist. Dale erreicht genau dies, indem er das Bild Christi Åhnlich wie z. B. Erskine (s. o.) als Weinstock und das der einzelnen menschlichen Personen als BlÅtter (Joh. 15,5), bzw. Christus als Wurzel unseres Lebens527 konzeptionalisiert: Christi Partialrelation innerhalb des menschlichen BeziehungsgefÛges ist ontologisch so zu beschreiben, daß zwischen Christus und jedem Menschen eine direkte Relation besteht, wÅhrend zwischen den einzelnen Menschen, auch denen, die in spatiotemporal unmittelbarer NÅhe (zusammen)leben, nur eine indirekte Relation besteht und uns Christus nÅher ist als wir einander sein k×nnen. WÅhrend sich dieser signifikante Fakt ontisch als Voraussetzung der Vers×hnungstat erweisen wird, wie sie den, mit Luther gesprochen, „fr×hlichen Wechsel“ zwischen Schuld und Gerechtigkeit erm×glicht, handelt es sich epistemologisch doch um eine Folge der Vers×hnungstat Christi am Kreuz, weil wir erst hier, am Kreuz, erkennen k×nnen, daß uns Christus nÅher ist als wir einander.528 Dabei ist sich Dale bewußt, auch hier treu in paulinischer Tradition zu stehen.529 ºberraschend an den AusfÛhrungen Dales zur Person Christi ist, daß sie das eigentliche christologische Problem, wie nÅmlich beide Naturen intakt sein k×nnen, aber dennoch eine Personeinheit gewahrt werden kann, Ûber-

Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 345 f (Atonement, 461 f). Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 345 (Atonement, 461). 527 Vgl. Mikolaski, Atonement, 27. 528 Vgl. Dale, Doctrine, 258–261. 529 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 349–351 (Atonement, 466–468). Hier interpretiert Dale u. a. R×m. 14, 7 f (Keiner lebt sich selber und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn). 525 526

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haupt nicht stellen. Der Nachweis der G×ttlichkeit Christi geh×rt nÅmlich strenggenommen nicht in die Christologie, sondern in die Erkenntnis Gottes oder in die TrinitÅtslehre und steht bei Dale faktisch auch dort, denn er behandelt die Christologie vor der TrinitÅtslehre. Die Betonung der vollen Menschlichkeit Christi hat bei Dale mit der Betonung von Christi PeccabililitÅt durchaus eine eigenstÅndige Note, nimmt aber die christologische Frage nicht in den Fokus. Dale nimmt sich ihr explizit nicht an, sondern setzt das Problem als gel×st voraus, was daran ersichtlich ist, daß er gelegentlich die Vereinbarkeit der beiden Naturen in einer Person voraussetzt, etwa im Fall des Beweises, daß Christus gleichzeitig ein den Menschen Ûberlegenes Wissen Gottes hatte, aber in Weltdingen ein beschrÅnktes Wissen aufwies, weil er nur wußte, was er zu wissen begehrte. Bedenkt man jedoch, daß Dale mit der christologischen Reflexion seiner Zeit bestens vertraut ist, kennt er doch etwa Schriften I.A. Dorners,530 so fÅllt die Nichtexplikation der christologischen Fragestellung deutlich auf. Faktisch und implizit findet sich freilich eine Antwort auf die Frage nach der Personeinheit, denn Dale geht davon aus, daß der g×ttliche Logos Subjekt der Zurechtbringungstat am Kreuz ist, nicht die menschliche Natur wie etwa bei Anselm.531 Das aber dÛrfte nichts anderes bedeuten, als daß Dale der klassischen L×sung, nach der die menschliche Natur anhypostatisch ist, weil die Hypostase des Logos das personbildende Prinzip ist, zustimmen dÛrfte. Freilich ist das Problem der Personeinheit nicht einfach implizit gel×st, sondern es bestehen auch echte Spannungen. Wie wir sahen, lehrt er aufgrund der wahren Menschlichkeit Christi dessen PeccabilitÅt. Aufgrund Christi G×ttlichkeit lehrt er aber auch andererseits Christi Erhabenheit Ûber das Sittengesetz, die letztlich eine KoextensitivitÅt mit dessen G×ttlichkeit ist.532 Der Frage, ob dies beides kohÅrent denkbar ist, hÅtte sich Dale annehmen mÛssen, was aber nicht geschieht.

Vgl. Dale, Doctrine, 309–312. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 338 (Atonement, 452 f). Darauf weist auch Gunton, Cross, 12 hin, sieht diese Tatsache aber als bedenklich, weil Dale dadurch die Bedeutung der Menschheit Christi fÛr die Vers×hnung herabsetze und nicht den Gedanken der Rekapitulation in Jesus Christus deutlich genug zur Geltung bringe. Dazu ist folgendes zu sagen: Zum einen kennt Dale auch den Aspekt des Vers×hnungswerkes Christi als Test, der den Rekapitulationsgedanken, wenn auch nur implizit und am Rande, enthÅlt. Zum anderen geraten Theorien, die besonders die Menschheit Christi im Vers×hnungshandeln betonen, leicht in das Problem, eine Trennungschristologie annehmen zu mÛssen, was im Falle der Vers×hnungslehre Anselms von Canterbury deutlich zu sehen ist. 532 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 336 (Atonement, 450). 530 531

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2.4.4.3.2 Christi Werk als Selbstopfer, stellvertretende Strafe und Test Dales Hauptanliegen ist es zu zeigen, daß Christi Vers×hnungswerk objektiv und nicht rein subjektiv ist, d. h. daß in Christus Gott offenbart wird, indem wir erl×st werden, nicht daß wir erl×st werden, weil in Christus Gott offenbart wird, so wie ein Vater seinem in Lebensgefahr geratenen Sohn seine Liebe erweist, indem er ihn rettet, nicht aber ihn rettet, indem er ihm versichert, er liebe ihn.533 Wichtig ist dieser Unterschied fÛr Dale noch aus einem anderen Grund: Nur wenn es der Fakt der Vers×hnung durch den Tod Christi ist,534 nicht aber dessen VerstÅndnis , kann die Vers×hnung fÛr alle Menschen geschehen und nicht exklusiv nur fÛr einige erfolgen.535 Konsequenterweise versucht Dale nicht zunÅchst eine ErklÅrung der Vers×hnung zu geben, sondern im Bewußtsein der Konkordanz zum Verfahren in den Naturwissenschaften536 zu beweisen, daß es sich dabei tatsÅchlich um ein objektives Faktum handelt.537 Zu diesem Zweck nimmt Dale umfangreiche Schriftbeweise vor538 und zeigt, daß das Faktum des Vers×hnungstodes auch den unterschiedlichen Konzeptionalisierungsversuchen der Theologiegeschichte als sicher galt.539 Dabei hÅlt er den Erweis des Fak533 Vgl. Dale, Doctrine, 218–221; Dale, Vers×hnungstod, 8 f (Atonement, 73) und den Abschnitt Ûber Dales Klassifikation der Vers×hnungslehren (s. o.). 534 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 1 (Atonement, 65). Vgl. auch Mikolaski, Atonement, 199. 535 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, LIV (Atonement, 64). Vgl. auch Dale, Vers×hnungstod, 2 (Atonement, 66). 536 Vgl. Dale, Doctrine, 223. 537 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 17 (Atonement, 81 f). Vgl. auch Gunton, Cross, 6. 538 Vgl. Dale, Doctrine, 224–231. Schon Jesus selbst ist das vers×hnende Faktum von Beginn seines Auftretens an als Zweck sicher, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 45 (Atonement, 112), und deutete in seinem Wirken und Worten seinen Tod als Vers×hnungsfaktum, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 57–83 (Atonement, 126–156). Ebenso geschieht es in den Petrus zugeschriebenen Briefen, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 84–125 (Atonement, 157–209), in der johanneischen Literatur und im Jakobusbrief, vgl. Dale Vers×hnungstod, 126–161 (Atonement, 210–250) und schließlich bei Paulus, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 162–226 (Atonement 251–326). 539 Vgl. Dale Vers×hnungstod, 227 ff (Atonement, 327 ff). Hier gibt Dale einen umfassenden ºberblick Ûber die Geschichte von Vers×hnungs- oder Zurechtbringungstheorien. Obwohl oder gerade weil es ihm hier nur um den Nachweis der VorgÅngigkeit des Faktums des Vers×hnungtodes Jesu Christi geht, handelt es sich um eine durchaus mit Gewinn lesbare Darstellung, die inhaltlich von Ritschl abhÅngig ist, was Dale, Vers×hnungstod, 245 f (Atonement, 348 f) u. a. indirekt auch zu erkennen gibt, dabei Ritschls Darstellung aber elementarisiert und gut zusammenfaßt. Dales Ertrag Ûber die Besprechung der Vers×hnungslehre in der alten Kirche lautet dann, zu finden in Dale, Atonement, 338: „In the earliest ages Christian men were quite sure that Christ died to deliver them from some great objective evil, and that deliverance from this evil was the immediate effect of His Death. They were willing to accept even this preposterous explanation of the manner in which His Death delivered us, if no better could be found“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 237). Es folgt eine Besprechung der anselmschen Vers×hnungslehre, und besonderer Aufmerksamkeit erfreut sich natÛrlich Abaelard, der in seinem R×merbriefkommentar zwar fast jede objektive Bedeutung des Vers×hnungstodes Jesu ausschloß, aber an anderen Stellen, so Dale, Atonement, 346 Anm., „however, recognised the objective value of

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tums der zurechtbringenden Bedeutung des Todes Christi fÛr so deutlich, daß dies selbst dann GÛltigkeit habe, wenn es dem verstehenden Nachvollzug nicht gelÅnge, eine konzeptionelle Verbindung zwischen der menschlichen SÛnde und dem Vers×hnungstode Christi zu finden,540 weil auch hier das faktische Bestehen einer realen Beziehung zwischen der menschlichen SÛnde, g×ttlicher Vergebung und dem Tode Christi von einer Deutung dieser Beziehung unabhÅngig ist und auch so in der Erfahrung der Kirche verifiziert wird.541 Insofern k×nnte die Vers×hnungstat auch als Geheimnis bezeichnet werden, aber dies ist sie nicht nur: Vielmehr ist es notwendig, daß ein verstehender konzeptioneller Nachvollzug m×glich ist, weil jede Tat Gottes eine Offenbarung seines Seins darstellt.542 Aber auch selbst wenn

Christ’s intercession“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 244, Anm.) und auch mit seinem R×merbriefkommentar, so Dale, Atonement, 346, „exerted only a transient and disturbing influence on the development of the theory of the Atonement in the Middle Ages“ (dt. Dale, Vers×hnungstod, 244). AnlÅßlich der Besprechung der Vers×hnungslehre der Reformatoren, zweifelt Dale, Vers×hnungstod, 245 f (Atonement, 347 f) daran, ob Ritschls Modellierung, die auf Anselm zurÛckgehende Vers×hnungslehre der Scholastiker sei nach dem Privatrecht modelliert, die reformatorische aber nach dem ×ffentlichen Strafrecht, stimme, weil Anselm Gott sehr wohl nicht nur als Inhaber von Privatrechten gekannt hÅtte. Hier ist Dale Ûbrigens zuzustimmen. Dennoch sieht Dale auch, daß der Gegensatz zwischen Anselmscher und reformatorischer Vers×hnungslehre mit Ritschl aus anderen GrÛnden schÅrfer kaum gefaßt werden kann: Denn nach Anselm vollbringt Christus mit seinem Tod eine supererogatorische Leistung, fÛr die Gott ihn belohnt, nach den Reformatoren handelt es sich um eine ºbernahme der Strafleiden. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 248 f (Atonement, 351 f). In der folgenden Beschreibung der Geschichte der Vers×hnungslehre werden ausfÛhrlich die sozinianischen EinwÅnde, Hugo Grotius’ Antwort etc. besprochen. Da Dale Ritschl folgt, verwundert es auch hier nicht, daß Dale auf die weitere Entwicklung in der r×m.-kath. Theologie nicht eingeht. Aus der gesamten Besprechung der Theologiegeschichte zieht Dale, Atonement, 360 f dann folgenden Ertrag: „But the faith of the great body of the Church in the fact that Christ’s sufferings came upon Him because of our sin, and that on the ground of His sufferings we are delivered from the penalties of sin, has survived the theories which were intended to illustrate it. The Idea of an objective Atonement invented by theologians to satisfy the exigencies of theological systems! It would be almost as reasonable to maintain that the apparent motion of the sun was invented by astronomers in order to satisfy the exigencies created by astronomical theories [. . .] The history of the doctrine is a proof that the idea of an objective Atonement was not invented by theologians“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 257). Der Abschluß des ganzes Beweises aus dem Leben Jesu, der Schrift und der Theologiegeschichte lautet dann nach Dale, Atonement, 371: „But what we have to account for is the universal prevalence of the idea that, while those who put Christ to death committed the greatest of human crimes, His Death was the Propitiation fort the sins of the world. I can account for the prevalence of that idea in one way, and only in one way. It was a great and essential element in the original gospel which the Apostles were charged to preach to all nations. The Church received it from the Apostles. The Apostles received it from Christ“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 266). 540 Vgl. Dale, Doctrine, 230 f. 541 Vgl. Dale, Doctrine, 231–233. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 267 f (Atonement, 372 f). 542 Vgl. Dale, Doctrine, 255–258.

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man sich einer ErklÅrung des Vers×hnungstodes enthalten wollte, wird man implizit unwillkÛrlich eine solche vertreten.543 Bei der eigentlichen ErklÅrung544 der RealitÅt einer Beziehung zwischen dem Tode Jesu Christi und der Vergebung der SÛnde geht Dale so vor, daß er zunÅchst die EinwÅnde gegen eine solche ErklÅrung widerlegt und dann eine positive ErklÅrung versucht. Der Einwand, eine Vergebung der SÛnden sei nicht m×glich, weil sowohl das Sittengesetz als auch die Naturgesetze Ausdruck des Willens Gottes seien und exakt gleich funktionieren, so daß der GesetzesÛbertretung unweigerlich und unvermeidlich die Strafe folge, verkenne den Unterschied zwischen moralischen Gesetzen und Naturgesetzen, der letztlich auf einer Šquivokation des Gesetzesbegriffs beruhe; er verkenne die durch Gott als SouverÅn Ûber das Sittengesetz diesem gegebene Freiheit; und er verkenne vor allem das Erleben menschlicher PhÅnomenalitÅt, das eben nicht diese Erfahrung eines ungebrochenen Tun-Ergehens-Zusammenhanges mache.545 Der Einwand, Gott k×nne seine Vergebungsbereitschaft nicht an eine Bedingung knÛpfen, da er von den Menschen bedingungslose Vergebungsbereitschaft fordere, uns aber an GÛte weit Ûbertreffe, ist nicht gÛltig, da keine menschliche Beziehung die Beziehung zwischen Gott und Mensch adÅquat abbilden kann. Aber selbst innerhalb menschlicher Beziehungen sind private Beziehungen von ×ffentlich-rechtlichen Beziehungen zu unterscheiden, und wÅhrend ein Mensch als Person bedingungslos vergebungsbereit sein soll, kann es sein, daß er als Amtsperson dies nicht sein darf, da unterschiedliche Beziehungen unterschiedliche moralische Pflichten mit sich bringen.546 Gott ist der ReprÅsentant und Verteidiger des ewigen Gesetzes der Gerechtigkeit und kann als solcher Ûber die Verletzung desselben nicht einfach hinwegsehen.547 Zu beachten ist ferner, daß Menschen einander Schuld vergeben k×nnen, nicht aber SÛnde,548 die eben wieder in einer Verletzung des ewigen Gerechtigkeitsgesetzes besteht. Der Unterschied zwischen der menschlichen und der g×ttlichen Vergebung besteht dabei prÅzise darin, daß es sich bei der Aufforderung an den Menschen, vergebungsbereit zu sein, wie sie sich etwa in der Vergebungsbitte des Vaterunsers Åußert, um eine Umstimmung der Haltung des schließlich Vergebenden handelt, der seinen Schuldigern nun nicht mehr mit Mißfallen, sondern mit neuem

Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 12 (Atonement 76 f). WÅhrend dies den Einstieg Dales in dessen Vers×hnungslehre markiert, ist zu beachten, daß Dale zwar selbst eine Zusammenfassung seiner Vers×hnungslehre in Dale, Vers×hnungstod, 369 f (Atonement, 488–490) gibt, die hier aber nicht den Aufriß bestimmen kann, weil Dale hier wesentliche und entscheidende Punkte seiner eigenen Theorie gar nicht erwÅhnt, sondern eher ein Fazit, aber keine Zusammenfassung gibt. 545 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 268–287 (Atonement, 373–395). Hier setzt sich Dale mit einem Einwand von Young, Life and Light, 79 ff auseinander. Vgl. auch Mikolaski, Atonement, 196. 202. 546 Vgl. Dale, Doctrine, 238. 240. Hier beruft sich Dale auf Whately, Dangers 89 u. auf Mill, Hamilton’s Philosophy, 101. 547 Vgl. Dale, Doctrine, 236–242. 548 Vgl. Dale, Doctrine, 242–246. 543 544

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Wohlwollen begegnen soll. Eine solche Umstimmung der Haltung ist bei Gott nicht notwendig, da er dem SÛnder wohlwollend gesonnen ist. Bei Gott geht es vielmehr um eine Šnderung des objektiven, durch das ewige Gesetz bedingten Schuld- und StrafverhÅltnisses von Seiten Gottes, kurz um SÛnde. So etwas aber ist im Falle zwischenmenschlicher Vergebung nicht erforderlich, weil es nicht m×glich ist.549 Gegen den Vorwurf, es sei ungerecht, den Unschuldigen anstelle des Schuldigen leiden zu lassen, macht Dale geltend, daß dies nicht fÛr den Fall der freiwilligen LeidÛbernahme gelte. Im Gegenteil, gerade dies sei Ausdruck der h×chsten Liebe und der h×chsten moralischen FÅhigkeiten des Menschen und nicht nur des Menschen allein, weil die FÅhigkeit zum Selbstopfer im Selbstopfer Christi begrÛndet sei und dem ewigen Gesetz der Liebe, das Gott fÛr sich selbst ebenso akzeptiert habe, wie er es uns auferlegt habe, entspreche.550 Der Einwand, die SÛndenvergebung sei zwar angesichts des Wohlwollens Gottes gegen die SÛnder nicht ÛberflÛssig, aber doch nur eine „Art FormalitÅt“551, ruft Dales gesammelten Zorn hervor, weil dieser Einwand die Notwendigkeit und RealitÅt des Zornes Gottes und der Feindschaft Gottes gegen den SÛnder , nicht nur gegen die SÛnde , verkenne: „EmpfÅnde Gottes Herz keinen gerechten Zorn gegen die SÛnde, so wÅre eine Vers×hnung seitens Christi ohne Sinn und Bedeutung. Einer der HauptgrÛnde, daß die Menschen nicht auf Christum zu ihrer Erl×sung vertrauen wollen, ist der, daß sie Ûberhaupt das BedÛrfnis zu einer solchen Erl×sung oder Befreiung gar nicht anerkennen.“552

Eine wichtige Voraussetzung der positiven ErklÅrung der Vers×hnungstat Christi besteht darin, daß die Menschheit nicht nur ein organisches Ganzes bildet, sondern daß Christus darin eine besondere Rolle zukommt: Er ist nicht nur Haupt, sondern er hat zu jedem Menschen eine direkte Beziehung, wÅhrend die Menschen untereinander nur eine indirekte Beziehung haben. Diese direkte Beziehung erm×glicht es, daß Schuld und Gerechtig-

549 Vgl. Dale, Doctrine, 246–248. Vgl. auch Dale, Atonement, 442: „The easy solution of all difficulties about the Remission of sins, suggested by the obligation resting on ourselves to forgive those who have sinned against us, ignores the fundamental distinction between the relations of individual men to each other and their common relation to God. As individuals, we have no right to punish other men for their sins against us, because we have no authority over them. The right to punish is inseperable from the obligations of authority, and the obligations inseparable from authority may sometimes make the infliction of punishment a duty“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 329). 550 Vgl. Dale, Doctrine, 248–251. In Dale, Vers×hnungstod, 85 f (Atonement, 159–161) exemplifiziert Dale die beiden VorwÛrfe an Martineau, Studies, 186. 551 Hier setzt sich Dale, Vers×hnungstod, 290 (Atonement, 396 f) mit einer Beschreibung der SÛndenvergebung durch Bushnell, Sacrifice, 359 auseinander. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 289–303 (Atonement, 396–412). 552 „if there had been no righteous anger in the heart of God, the propitiation which He made for the sins of the world had no significance or value. One of the chief reasons why men do not trust in Christ to save them, is that they do not believe that there is anything from which they need to be saved“, Dale, Atonement, 409 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 300).

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keit, um mit Luther zu sprechen, in einem „fr×hlichen Wechsel“ ausgetauscht werden k×nnen.553 Eine zweite Voraussetzung ist die folgende: Die Haltung der g×ttlichen Liebe ist die Ursache der propitiatorischen Tat Christi, nicht umgekehrt.554 Nicht die g×ttliche Gnade wird durch die Zurechtbringung kausiert, sondern die g×ttliche Gnade bewirkt die Zurechtbringung.555 Hier ist Dale, obwohl er sich nicht auf Ritschl556 beruft, mit diesem einer Meinung. Dale hÅlt aber im Unterschied zu diesem entschieden daran fest, daß der gerechte Zorn dieser VorgÅngigkeit des Wohlwollens Gottes gerade nicht widerspricht, und im Unterschied zu Ritschl betrachtet er den Zorn Gottes auch nicht als affektlos.557 Der Zorn Gottes ist deswegen mit dessen Wohlwollen kohÅrent vereinbar, weil beide Teilaspekte personaler Liebesbeziehungen sind, um es mit Stefan Volkmann558 zu formulieren und wie es auch auf Da-

Vgl. Dale, Doctrine, 258–261. Vgl. Gunton, Cross, 6. 555 Vgl. Dale, Doctrine, 248. Dies schließt nicht die positive Rede vom Zorn Gottes aus, der nach Dale aber schon alttestamentlich nie im Sinne eines willkÛrlichen Zornes zu verstehen ist, sondern im Sinne von Gottes gerechter Ablehnung der SÛnde, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 136–140 (Atonement, 222–227). Hier dÛrfte eine Deutung vom ZornesverstÅndnis Pauli her vorgenommen worden sein, vgl. Dale, Vers×hnungstod, 179. 192. 196–200. 202–206 (Atonement, 270 f. 286. 290–302). 556 Interessanterweise beruft sich Dale in seiner Vorlesung Ûber Vers×hnung auf Ritschl, freilich nur auf dessen ersten Band von „Rechtfertigung und Vers×hnung“, wÅhrend ihm der systematische dritte Teil noch unbekannt ist, weil er gerade eben erst erschienen war. Dies aber ist zur Zeit des „Christian Doctrine“ nicht mehr der Fall, hier wÅre nun bereits der ganze Ritschl rezipierbar gewesen; eine solche Rezeption erfolgt aber gerade nicht. Da auch ansonsten hinsichtlich des Vers×hnungsverstÅndnisses bei Dale keine VerÅnderungen auszumachen sind, ist anzunehmen, daß die drei schließenden Vers×hnungskapitel aus „The Christian Doctrine“ sachlich ohne neue Forschung aus den Vorlesungen Ûbernommen sind. 557 Vgl. Dale, Atonement, 399: „The Remission of sins is regarded as ‚a kind of formality‘ only because it is believed that in no sense is God hostile to those whose sins are unforgiven, and because the Divine ‚wrath‘ is supposed to be a mere figure of speech. Perhaps the principal origin of the modern tendency to reject the idea of an objective Atonement is to be found in that temper of mind which indisposes us to believe that there is any anger against sinful men in the heart of God to be allayed, and in that conception of His character which excludes the possibility of His being hostile even to those who are guilty of the worst offences. It is partly because sin does not provoke our own wrath that we do not believe that sin provokes the wrath of God. It appears to be one of the results of modern civilisation that men are very rarely kindled to a fiery passion of any kind. This is perhaps especially true of modern Englishmen. Neither in love nor in hatred, neither in admiration nor in anger, are we so intense and vehement as some other races)“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod 291). Ebd., 402: „and for a moment, or for an hour, we know something of what it is for wrath to be kindled against sin. The feeling is a right one. We are angry, and sin not. We should sin if we were not angry. We sin because we are not angry in this way oftener. Anger provoked by moral evil is a just and noble emotion. It is the attribute of the strongest and most generous natures)“ (dt.: Ebd., 293 f) 558 Vgl. Volkmann, Zorn Gottes, 242 f. 553 554

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le559 zutrifft: Der Zorn Gottes ist ein Teilmodell des SchlÛsselmodells von Gott als Liebe. Dale gibt freilich nicht den konzeptionellen Grund fÛr diese KohÅrenz von Liebe und Zorn an, die darin besteht, daß es sich bei Liebe um personale Beziehungen handelt, in denen es um die Kommunikation wechselseitiger und rÛckbezÛglicher IdentitÅtsansprÛche geht, nicht um von den involvierten Personen abl×sbare GÛter.560 Eine weitere Voraussetzung der Vers×hnungstat besteht in der besonderen Rolle des Gesetzes der Gerechtigkeit. Das moralische Gesetz ist gerecht in sich selbst, deswegen verlangt es im ºbertretungsfall Strafe. Dieser Satz hat axiomatischen Status. Dennoch ist Gott nicht unter dem Gesetz, sondern frei, weil er SÛnden vergeben kann, wie es im Kreuzesgeschehen sichtbar wird. Daraus folgt auch die besondere Bedeutung der Strafe: Die Strafe darf nicht einfach pÅdagogisch erklÅrt werden, zur Besserung des SÛnders561 oder als Abschreckungsmaßnahme fÛr andere SÛnder, wie dies etwa bei Grotius geschah,562 sondern die Strafe ist notwendig, wenn nicht um ihrer selbst willen, so doch um des Gesetzes als Gesetz willen: Der schlechte Mensch verdient es, zu leiden. [. . .] Muß Gott nicht, indem er Strafe verhÅngt, seine Mißbilligung der SÛnde offenbaren? Wenn dies notwendig ist, wie kann er vergeben? Die christliche Vers×hnung [. . .] erschließt die Wahrheit, daß die Freiheit Gottes nicht durch das Ewige Gesetz der Gerechtigkeit unterdrÛckt ist.563

559 Vgl. Dale, Atonement, 403 f: „Anger within certain limits is not inconsistent with love. Indeed, measure of our love for others is often the measure of our anger against them when they do wrong [. . .] That God should be angry with us though He loves us, is perfectly intelligible; and we may even find it possible to believe that His anger may at last become so great that, if it were revealed, the revelation would utterly consume and destroy us)“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 295). 560 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 269–293; Volkmann, Zorn Gottes, 238–242. 561 So spricht sich Dale, Vers×hnungstod, 321 f (Atonement, 432 f) auch strikt dagegen aus, das Strafmaß nach der BesserungsfÅhigkeit des ºbeltÅters denn nach der Tat zu bemessen, da dies den Zusammenbruch der Gerechtigkeit zur Folge habe. Dennoch spricht Dale auch eine pÅdagogische Wirkung der Strafe nicht ab. Er ringt sich zwar nicht zu der Auffassung KÅhlers durch, nach welcher ein reuiger ºbeltÅter auf der Strafe als seinem Recht bestehe (s. o.), aber er betont, daß die Strafe Anlaß und Gelegenheit zur Reue in Form von Demut, Geduld und bußfertiger Unterwerfung ist, wenn sie auch verhÅngt wurde, nicht weil sie dies ist, sondern weil der ºbeltÅter sie verdient. Zeigt sich ein ºbeltÅter aber unter Strafeinfluß nicht reuig, Ûbertritt er das Gesetz erneut und verdient erneut Strafe. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 332 (Atonement, 445 f). Reue wird hier zur Pflicht. 562 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 321–342 (Atonement, 432–457). 563 „The bad man deserves to suffer [. . .] Must He not, by inflicting them, reveal His condemnation of sin? If He must, how can He forgive? The Christian Atonement [. . .] discloses the truth that the Freedom of God is not suppressed by the Eternal Law of Righteousness“, Dale, Doctrine, 264 f. Vgl. Dale, Atonement, 434 f: „The theory was utterly rotten. Society has no right to send a man to a gaol, to feed him on bread and water, and to make him pick hemp or work the treadmill, merely because society thinks that a discipline of this kind would do him good. He must deserve to be punished [. . .] but it is the fact that the criminal deserves to

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Aus diesen Sachverhalten folgt, daß Christi Tod als stellvertretendes Strafleiden gedeutet werden muß. Wichtig ist, dabei zu sehen, worin die Strafe material besteht. Dale spricht meist nur abstrakt von Strafen und SÛndenstrafen, so daß dieser wichtige Punkt kaum ins Auge fÅllt: Die Leiden Christi treten besonders in der Gottverlassenheit am Kreuz zu Tage.564 Damit wird der Ausspruch „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“, etwa im Unterschied zu McLeod Campbell aber in Šhnlichkeit zu KÅhler, w×rtlich verstanden als schmerzliche Trennung vom Vater, die viel leidvoller als der physische Tod selbst ist.565 Die Strafe fÛr den Bruch des Gesetzes, das material Liebe zu Gott und den NÅchsten bedeutet, ist die Gottverlassenheit, also das, was der Tat des SÛnders entsprÅche und dies ist offensichtlich die h×chst denkbare Bestrafung.566 Abgewiesen wird explizit die Ansicht McLeod Campbells, daß die Propitiation in einem stellvertretenden SÛndenbekenntnis oder in Kummer Ûber die SÛnde bestehe, wenn auch McLeod Campbell aus PietÅtsgrÛnden geschont wird.567 Dabei ist zu beachten, daß die Notwendigkeit einer stellvertretenden Reue und eines stellvertretenden SÛndenbekenntnisses Christi gar nicht bestritten wird, sondern durchaus als notwendig behauptet wird, damit auch wir den Ernst der SÛnde erkennen k×nnen und selbst den Reueakt vollziehen k×nnen.568 Bestritten wird, daß ein solches zur Vers×hnung hinreichend sei: „Er, durch den wir wieder Zugang zu Gott haben, hat nicht nur unsere SÛnden mit einem Kummer und einer Selbsterniedrigung bekannt, weit intensiver, als uns selbst das m×glich wÅre, er hat faktisch fÛr sie gelitten.“569 Interessant ist an dieser Stelle, daß Dale sich zwar inhaltlich deutlich auf McLeod Campbell bezieht, daß aber dessen AbhÅngigkeit von Erskine of Linlathen vollstÅndig vergessen ist. Denn McLeod Campbell Ûbernahm von Erskine den Gedanken der stellvertretenden Reue, konnte aber den bei Erskine noch erscheinenden Gedan-

suffer which constitutes the ultimate foundation of criminal law [. . .] But when we consider sin as a transgression of the eternal Law of Righteousness, this principle that the transgression deserves punishment reappears. [. . .] it is the suffering which has been deserved by past sin. To make it anything else than this, is to destroy its essential character“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 323 f). Vgl. auch Gunton, Cross, 6 und Mikolaski, Atonement, 202, der die entscheidende Folgerung aus Dales Gedanken zieht, nÅmlich daß Strafe, wenn sie nicht verdient ist, amoralisch ist. 564 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, XXIX-XXXIII (Atonement, 39–43). 565 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 52–56. 308 f. 364 (Atonement, 120–125. 418 f. 482 f). 566 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 371 (Atonement, 491). 567 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, XLV. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 364 (Atonement, 482 f). 568 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, XLVII-XLIX (Atonement, 56–58). 569 „He in whom we approach God has not only confessed our sins with a grief and a humiliation far deeper and more intense than is possible to ourselves, He has actually suffered for them“, Dale, Doctrine, 267.

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ken des Todes Christi als Strafe nicht Ûbernehmen, weil er den Satz von Jonathan Edwards, SÛnde k×nne durch Strafe oder Reue getilgt werden, historisch zu recht oder unrecht, sachlich aber sicherlich zu unrecht als ausschließende Alternative im Sinne eines „entweder-oder“ deutete und zu einem anderen Schluß als Edwards kam. Die Tatsache, daß Dale die Theologie Erskines unbekannt ist, ist deutlich, weil Dales eigene Reflexion Ûber den Strafbegriff nicht auf Erskines Reflexionen Ûber den Strafbegriff eingeht. Auch Erskine hÅlt den Strafbegriff bei, denkt aber Strafe pÅdagogisch, was Dale ablehnen muß. Da Erskine aber gute GrÛnde hat, eine Strafe um ihrer selbst willen als Ûberhaupt nicht zurechtbringungsf×rdernd oder als fÅhig, dem Gesetz genÛge zu tun, anzusehen, Dale aber auf diese EinwÅnde nicht eingeht, unterbietet er Erskines Problematisierungsniveau. Dales oft umstÅndliche BemÛhungen um die Rehabilitierung einer objektiven Vers×hnungslehre im Sinne des Strafbegriffs erscheinen so z. T. als Wiederaneignung eines vor kurzem aus dem Bewußtsein geratenen Gedankenguts.

Gott hat die Freiheit, den Menschen von den notwendigen Strafen des ewigen Gesetzes zu befreien, ohne selbst das ewige Gesetz, daß mit ihm koextensiv ist,570 zu brechen, weil Christus das Strafleiden auf sich genommen hat. Die Freiheit, die Strafe zu erlassen, weil nur Gott selbst verletzt wÅre, ist davon zu unterscheiden. Diese Freiheit hat Gott nicht, denn sie wÅre letztlich ein Selbstwiderspruch im Wesen, ja im Sein Gottes.571 So kommt Dale zu folgendem Schluß: „Man muß vielmehr die SÛndenstrafen in erster Linie als einen Ausfluß des Grundsatzes ansehen, daß der SÛnder ein Strafleiden verdient; und wird nun die Strafe erlassen, so wird es sich darum handeln, ob dieser Grundsatz gebrochen ist, oder ob er in einer andren Form doch zu seinem Rechte kommt.“572

Daraus wiederum ergibt sich: „Ist die SÛndenstrafe eine g×ttliche Handlung, in welcher die Einheit Gottes und des Sittengesetzes hervortritt, so mÛßte nun, falls die SÛndenstrafe ’mal erlassen wird, eine andre g×ttliche Handlung von wenigstens gleichem Nachdruck dafÛr ein-

570 Vgl. Dale, Atonement, 443 f: „That the suffering inflicted is deserved is a necessary element in the conception of punishment. We have now to determine God’s relation to the ill-desert of a man who has transgressed the eternal Law of Righteousness, and to the suffering which may justly come upon him for his transgression. God cannot be separated, even in idea, from the Law which has been violated, and which affirms the principle that sin deserves to be punished. It is necessary, or is it not, that this principle should be asserted, and asserted by God Himself? [. . .] God would cease to be God if His Will were not a complete expression of all the contents of the eternal Law of Righteousness“ (dt.: Vers×hnungstod, 330 f). Vgl. auch Gunton, Cross, 7. 571 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 326–329 (Atonement, 438–442). 572 „It is necessary to remember that the penalties of sin are primarily an expression of the principle that the sinner deserves to suffer, and if the penalties are remitted, we have to inquire whether it is possible for this principle to be suppressed, or whether it must be asserted in some other form“, Dale, Atonement, 438 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 326).

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treten, worin das Unrecht der SÛnde mit wenigstens gleicher Kraft zum Ausdruck gebracht wÛrde [. . .]. BekrÅftigt Gott den Grundsatz, daß die SÛnde auch Strafe verdient, nicht durch die Bestrafung selbst, so muß Er ihn auf andre Weise bestÅtigen. Irgend eine g×ttliche Handlung muß eintreten, welche an sittlicher Macht und Bedeutung genau derjenigen gleichkommt, welche die verdienten Strafen Ûber den SÛnder verhÅngt hÅtte.“573

Eine solche Tat ist in Jesu Leben und Sterben zu sehen. Dabei ist im folgenden besondere Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Detail zu richten. Obwohl Dales AusfÛhrungen zur Christologie nur rudimentÅr waren (s. o.), sieht er die Personeinheit gewahrt, indem er indirekt eine Anhypostasie der menschlichen Natur annimmt, wenn im folgenden Gott der logos Subjekt der Vers×hnungstat ist, nicht etwa wie bei Anselm die menschliche Natur: „Er, von dessen Lippen das ewige Verdammungsurtheil des Sittengesetzes Ûber die der Finsterniß und dem Tode Verfallenen hÅtte kommen [. . .] mÛssen [. . .], starb am Kreuz. Er mußte bestÅtigen durch selbsteigne That, daß das Leiden der gerechte Lohn der SÛnde ist; und Er bestÅtigt es nicht dadurch, daß Er dasselbe dem SÛnder, sondern dadurch, daß Er es sich selbst auferlegt.“574

Dieses Ertragen der Strafe ist aber nicht einfach eine Šquivalenz des VerhÅngens von Strafe, sondern von h×herer Valenz: „Es war eine h×here sittliche Handlung, solcher Pein [. . .] sich selbst zu unterwerfen, als ihre VerhÅngung Ûber die SÛnder.“575 Damit wird deutlich, daß es Gott ist, gegen den sich die SÛnde richtet, der die Kosten der Zurechtbringung zu tragen hat.576 Deutlich ist ferner, daß Dale hier keine inklusive Stellvertretung, wie etwa bei KÅhler, lehrt, sondern eine exklusive Stellvertretung in dem Sinne, daß der Mensch die Leiden der SÛndenstrafe nicht mehr zu erleiden hat:577

573 „But if the punishment of sin is a Divine act – an act in which the identity between the Will of God and the eternal Law of Righteousness is asserted and expressed – it would appear that, if in any case the penalties of sin are remitted, some other Divine act of at least equal intensity, and in which the ill-desert of sin is expressed with at least equal energy, must take its place [. . .] If God does not assert the principle that sin deserves punishment by punishing it, He must assert that principle in some other way. Some Divine act is required which shall have all the moral worth and significance of the act by which the penalties of sin would have been inflicted on the sinner“, Dale, Atonement 450 f (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 336 f). 574 „He through whose lips the sentence of the eternal Law of Righteousness must have come [. . .] dies on the cross [. . .] It belonged to Him to assert by His own act, that suffering is the just result of sin. He asserts it, not by inflicting suffering on the sinner, but by enduring suffering Himself“, Dale, Atonement, 452 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 337 f). Vgl. auch Gunton, Cross, 8. 575 „It was a greater act to submit to such suffering as Christ endured than to inflict it“, Dale, Atonement, 454 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 339). Vgl. auch Gunton, Cross, 7. 576 Vgl. auch Mikolaski, Atonement, 25. 577 Vgl. Dale, Atonement, 489: „The sufferings, indeed, were His, that they might not be ours“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 369), vgl. ebd., 489 f (dt.: ebd, 370).

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„Er ward von Gott verlassen, damit wir nicht von Gott verlassen wÛrden. Er hat nicht gelitten, um rein bloß Theil zu nehmen an unseren SÛndenstrafen, sondern damit uns die SÛndenstrafen ganz erlassen wÛrden.“578

Auf diese Weise wird nicht nur der aufgrund des Gesetzes notwendige Zorn Gottes, sondern sogar dessen Feindschaft579 gegen den sÛndigen Menschen von diesem abgewendet.580 Da Gott freilich schon vorher dem Menschen wohlgesonnen war, bedeutet dies, daß die Feindschaft Gottes sich nun durch die Vers×hnungstat auf die SÛnde, nicht mehr auf den SÛnder richtet. Wir k×nnen daher Dales Betonung des objektiven Charakters der Vers×hnung darin sehen, daß trotz der aufgrund des Bestehens menschlicher Freiheit dem Menschen zuzuschreibenden Verantwortlichkeit fÛr dessen SÛnde, die die Identifikation von SÛnder und SÛnde mit sich bringt, nun eben objektiv die Dissoziation von SÛnde und SÛnder bewirkt wird, wobei objektiv hier heißt: aus der Perspektive Gottes. Warum freilich diese stellvertretende ErfÛllung der Folgen des Gesetzes diese objektive Dissoziation in den Augen Gottes bewirkt, erklÅrt Dale nicht. Diese stellvertretende ºbernahme der Strafleiden wiederum ist m×glich aufgrund der ausgezeichneten Stellung Christi zu allen Menschen, indem er nicht nur das Haupt der menschlichen Rasse ist, sondern eine direkte Beziehung zu allen menschlichen Personen unterhÅlt, die intimer als die indirekten Beziehungen der Menschen untereinander, die schon fÛr diese konstitutiv sind, ist. Dies zeigt sich auch schon daran, daß Christus, noch bevor er die Straf leiden Ûbernimmt, schon im Kummer Ûber die menschliche SÛnde leidet,581 ein Gedanke, der an Erskine und McLeod Campbell erinnert. Damit beansprucht Dale letztlich, ein Faktum erklÅrt zu haben, das die Tradition zwar konstatiert und beschrieben hatte, nicht aber wirklich erklÅren konnte, was Dale an Luthers Auffassung des fr×hlichen Wechsels veranschaulicht:

578 „He was forsaken of God, that we might not have to be forsaken. He did not suffer that He might merely share with us the penalties of our sin, but that the penalties of our sin might be remitted“, Dale, Atonement, 491 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 371). 579 Vgl. Dale, Atonement, 403 f: „Although the temper of our times makes it difficult for us to believe that the anger of God against sin, and against those that are guilty of sin, can ever become a ‚consuming fire‘, it is perhaps easier for us to believe that He is angry with the sinful and the impenitent than to believe that, in any real sense, He is hostile to them [. . .] That He should be hostile to men on account of sin, is not so easy to believe; but unless we believe it we must suppress and reject a large part of the teaching of the New Testament“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 295). Ebd., 406: „But for the transcendent work of mercy consummated by Christ on Calvary, God would be not only hostile to sin, but hostile to those who take sides with sin, from the first moment of their revolt against the eternal law of righteousness. For sin is a personal act; it has no existence apart from the sinner“ (dt.: ebd., 297 f). 580 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 225 (Atonement, 324). 581 Vgl. Dale, Ephesians, 85 (Anm.) und auch Mikolaski, Atonement, 24. 29.

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„Kaum lÅßt sich [. . .] ein Ûberraschenderer Satz denken, als wie Luther ihn bei ErklÅrung von Gal. 3,12 [. . .] ausspricht. ‚[. . .] Das heißt, da unser barmherziger Gott und Vater uns so unter dem Druck und Gewalt des Fluches des Gesetzes sah, daß wir uns nie wieder davon mit eigner Kraft befreien konnten, sandte Er Seinen eingeborenen Sohn in die Welt und warf auf Ihn alle SÛnde der Welt und sprach: ‚Sei du Petrus, der mich verleugnet hat; Paulus, mein Verfolger, Verspotter und grausamer UnterdrÛcker; David, der Ehebrecher; der SÛnder, der den Apfel im Paradiese aß; kurz sei Du mir der, der alle SÛnde der Menschen begangen hat, und siehe wohl zu, daß Du Mir dafÛr zahlest und GenÛge leistest.‘ Hier kommt nun das Gesetz und spricht: ‚Ich sehe, daß Er ein SÛnder ist und als solcher alle SÛnden der Welt auf sich genommen hat, und sehe auch außer Ihm sonst nirgend keine SÛnde mehr, darum soll Er sterben am Kreuz. So macht es sich an Ihn und t×tet Ihn. Und das bedeutet, daß nun die ganze Welt von SÛnden rein gewaschen und so befreit ist vom Tode und allem Uebel.‘ [. . .] Luthers Beredsamkeit zeigt aber auch nur Luthers Glaubensbekenntnis und den Flammenschein der Einbildungskraft und Leidenschaft. Worte, wie diese, als die buchstÅbliche und wissenschaftlich formulierte Ansicht Luthers Ûber den Tod Christi aufzufassen, wÛrde gegen die allgemeinsten GrundsÅtze der SpracherklÅrung verstoßen.“582

Mit dieser Vers×hnungstat erreicht Gott ferner eine Befreiung des menschlichen Gewissens, denn indem er in Christi Tod auf adÅquate Weise die SÛnde verdammt, muß das menschliche Gewissen, welches nichts anderes als Gottes Vollstrecker ist, seinen TrÅger nicht weiter verdammen, sondern kann zur Ruhe kommen, ohne daß die Notwendigkeit menschlichen SÛndenbekenntnisses geleugnet wird.583 Diese ºbernahme der Strafleiden fÛr die SÛnden hat freilich nur Wert, wenn sie freiwillig584 geschieht, was unterschiedlich gedeutet wird. Einer582 „‚The doctrine of the gospel [. . .] speaketh nothing of our works or of the works of the law, but of the inestimable mercy and love of God towards most wretched and miserable sinners: to wit, that our most merciful Father, seeing us to be oppressed and overwhelmed by the curse of the law, and so to be holden unto the same, that we could never be delivered from it by our own power, sent His only Son into the world, and laid upon Him the sins of all men, saying, Be Thou Peter, that denier; Paul that persecutor, blasphemer, and cruel oppressor; David, that adulterer; that sinner which hath did eat the apple in Paradise; that thief which hanged upon the cross; and, briefly, be Thou the person which hath committed the sins of all men. See, therefore, that Thou pay and satisfy for them.‘ Here now cometh the law, and saith, I find Him a sinner, and that such a one as hath taken upon Him the sins of all men, and I see no sins else but in Him, therefore let Him die upon the cross; and so he setteth upon Him the sins of all men, and I see no sins else but in Him, therefore let Him die upon the cross; and so he setteth upon Him, and killeth Him. By this means the whole world is purged and cleansed from all sins, and so delivered from death and all evils’. [. . .] But Luther’s rhetoric is only Luther’s creed set on fire by imagination and passion. To take words like these as though they were a literal and scientific statement of what Luther believed about the Death of Christ, would be to violate the most ordinary principles which must govern the interpretation of language“, Dale, Atonement, 350 f (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 247 f) mit Bezug zu Gal. 3,12. 583 Vgl. Dale, Doctrine, 268–271. 584 Zu beachten ist hier auch, daß es Christus als Herr Ûber das Sittengesetz ist, der selbst

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seits gilt: Christi Werk besteht, Åhnlich der Freiheitsprobe GÛnthers, zum einen in einem Test. Da Christus aufgrund seiner menschlichen Natur wahrhaft versuchbar ist, kommt es zum Gewissenskampf von Gethsemane, der selbst doppelte soteriologische Valenz bekommt, durch das Leiden der Todesangst585 und das Festhalten an der Freiwilligkeit des Todes: „Wenn er stÛrbe, mußte er frei sterben, aufgrund seiner eigenen Wahl. Dies geschah: die letzte Versuchung war gemeistert; und die Welt ist gerettet!“586 Zum anderen aber wird diese Freiwilligkeit als Selbstopfer 587 gedeutet, d. h. gerade als exemplarische Anwendung des ewigen Gesetzes der Gerechtigkeit bzw. der Liebe: „Der Tod Christi war eine willentliche Handlung. [. . .] Es war eine Handlung von h×chster moralischer Wirkung und ein immenses Selbstopfer.“588 Da die Vers×hnungstat als Selbstopfer aber gerade Ausdruck der Liebe und Anwendung dieser selbst ist, ist die Vers×hnungstat aber auch die ºberwindung und Zerst×rung589 der SÛnde und zwar ein fÛr alle mal, wenn auch Dale dieses Faktum nicht erklÅren kann590 und wenn es sich auch bei den Christen nur sukzessive umsetzt: „Was in Christus ein fÛr alle mal erreicht ist, muß nun graduell in den Leben individueller Christen verwirklicht werden, so wie deren Vereinigung mit Christus graduell vervollkommnet wird.“591 Mit der Frage der graduellen Aneignung der Einheit mit Chri-

freiwillig aufgrund des Gesetztes leidet, so daß nach Dale, Atonement, 63, gilt: „He endured the penalty instead of inflicting it“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, LIII). Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 308 (Atonement, 418). 585 Vgl. Dale, Atonement, 123: „Surely this supreme anguish must have a unique relation to the redemption of mankind“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 54). 586 „If He dies He must die freely – die by his own choice. He stands fast: the final temptation is mastered; and the world is saved“, Dale, Doctrine, 70. 587 Vgl. Dale, Doctrine, 250 f: „Self-sacrifice, painful and dishearting labour on the part of the innocent, appears to be the irrevocable condition of every effective endeavour to rescue men from the just results of their folly, their indolence, and their vice. The brightest pages in the history of our race are precisely those which are covered with the story of suffering and of exhausting labour, voluntarily undertaken and endured, by the noble for the base, by the righteous for the unrighteous, by the innocent for the guilty. The moral order of the world is a revelation of the life of God. The law of service imposes upon us, is the law which God has accepted for Himself; we have to serve and to save the unworthy by suffering for them; God has served and saved us by suffering for us. Underlying all the self-sacrifice to which men are called for each other, is the supreme self-sacrifice which the son of God has made for us.“ 588 „The Death of Christ was a voluntary act [. . .] It was an act of supreme and awful moral Energy and of immense self-sacrifice“, Dale, Doctrine, 272. 589 Vgl. Dale, Doctrine, 271–274. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, LII (Atonement, 62). 590 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 368. 591 „What was accomplished once for all in Christ has been gradually realised in the lives of individual Christian men as their union with Christ has been gradually perfected“, Dale, Doctrine, 273 f.

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stus und der Frage der graduellen Aneignung der Wirksamkeit der Zerst×rung der SÛnde aber stellen wir schon die Frage nach den ethischen Implikationen des Zurechtbringungsgeschehens, zu der wir im nÅchsten Abschnitt kommen werden. Zuvor muß noch einiges Ûber das VerhÅltnis der einzelnen Modelle der ErklÅrung des Todes Jesu zueinander gesagt werden. Indem die Freiwilligkeit der ºbernahme des Strafleidens als Test und Selbstopfer beschrieben wird, sind Test und Selbstopfer Deutekategorien zweiter Ordnung, die sich auf die Deutung des Todes als Strafopfer als Deutekategorie erster Ordnung beziehen. Wie aber verhalten sich diese beiden Kategorien des Tests und des Selbstopfers zueinander? Hierauf gibt Dale keine Antwort und er stellt auch diese Frage nicht, weil er hier kein Problem gesehen haben dÛrfte. Dennoch mÛssen wir hier fragen, ob sich der Begriff eines Selbstopfers aus Liebe tatsÅchlich mit dem Begriff des Tests vereinbaren lÅßt oder ob der Begriff des Testes vor dem Hintergrund reformatorischer Theologie nicht fragwÛrdig ist, weil er neben Leiden und Opfer implizit eine weitere Kategorie einfÛhrt, die Kategorie der Leistung: Wenn Christi Tod als Test verstanden wird, wird bei dem erfolgreichen Abschluß des Testes eine Leistung diagnostiziert, aufgrund derer die SÛnden dann erlassen werden k×nnen. Damit wÅre aber gerade die Kreuzestat Christi als Werkgerechtigkeit gedeutet. Freilich stellt dies ein KohÅrenzproblem dar, das die reformatorische Vers×hnungslehre seit Melanchthon belastet.592 Dale ist durchaus bewußt, daß die Vers×hnungslehre mit einem multimetaphorischen Modell arbeiten muß, dessen einzelne Metaphern unterschiedlich gewichtet werden. Hier Åhnelt Dale durchaus KÅhler. KÅhler sieht auch, daß nicht alle biblisch bedeutsamen Metaphern, wie die des L×segeldes, des Opfers, der Vers×hnung etc. kohÅrent zueinander passen. Daraus erklÅrt sich wohl auch, daß bei Dale die Teilmodelle auf z. T. ganz anderen Metaphern aufbauen, als er selbst expliziert.593 Die biblischen Metaphern haben nach Dale die Funktion der negativen Korrektur der eigenen Theoriebildung, die eben nicht auf den biblischen Metaphern, sondern auf dem Faktum selbst aufzuruhen hat.594 Positiv nutzt er sie dann auch nur zum Aufweis der KohÅrenz seiner Vers×hnungstheorie mit den biblischen Metaphern.595 Freilich ist die Unvereinbarkeit der biblischen Metaphern mit einem holistischen Gesamtmodell nach Dale auch Programm, denn die

Vgl. NÛssel, Allein aus Glauben, 31–60. Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 304–307 (Atonement, 413–416). 594 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 308 (Atonement, 417 f). 595 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 371 f (Atonement, 491–493). Daher ist die Auffassung von Mikolaski, Atonement, 23, es gÅbe nach Dale eine direkte Relation zwischen biblischen Metaphern und Konstruktion der Vers×hnungstheorie, falsch. 592 593

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„Thatsache selbst steht ganz einzig da in ihrer Art. Unsere Aufgabe ist’s nun, eine ErklÅrung des Todes Christi zu geben, welche in einfach natÛrlicher Weise all diesen verschiednen Darstellungen GenÛge leistet und doch nicht erst aus der Uebertragung dieser vergÅnglichen, aus den Beziehungen der Menschen untereinander entnommenen VerhÅltnisse in die SphÅre der Gottheit, welcher das große Geheimnis angeh×rt, ihren Nachweis findet.“596

Hier wird aber nicht einfach die VorgÅngigkeit des Faktums beschrieben, sondern Fakt und (erklÅrende) Sprache auch deutlich auseinander gerissen. Dies ist nicht ganz unproblematisch, weil es dem sich offenbarenden Gott nicht zutraut, sich wirklich dem Menschen angemessen zu offenbaren. Hinsichtlich des Sprach-, Metaphern- und ModellverstÅndnisses wird man also große Korrekturen anzubringen haben. 2.4.4.4 Gibt es ethische Implikationen des ZurechtbringungsverstÅndnisses? In Auseinandersetzung mit Bushnell betont Dale, daß die subjektive Leistung im Sinne der ethischen Wirksamkeit eines Vers×hnungsverstÅndnisses um so gr×ßer ist, je objektiver es verstanden ist.597 Stimmt diese Behauptung? LÅßt sich eine Ethik der Vers×hnung aus Dales Vers×hnungslehre gewinnen und gibt es fundamentalethische Auswirkungen? Obwohl Dale fÛr sein sozialethisches Engagement bekannt ist, finden sich im Rahmen seiner Besprechung der Vers×hnungslehre leider nur wenige Hinweise: Eine Folge der Vers×hnungstat fÛr die Menschheit ist, daß Christi direkte Beziehung, die aufgrund seiner besonderen Stelle im Gesamtorganismus der Menschheit besteht, nun wieder zurechtbringend verÅndert wird. Im Idealfall ist diese direkte, intime Beziehung nÅmlich eine asymmetrische Beziehung, die des Besitzes.598 Auf diese Weise werden wir der Sohnschaft Christi teilhaftig und partizipieren an dessen VerhÅltnis zum Vater.599 Daraus formuliert Dale zwei „Grundgesetze unserer Stellung zu Christo“:

596 „The fact is absolutely unique. The problem before us is to form some conception of the Death of Christ which shall naturally account for all these various representations of it; and no solution of the problem is to be found by attempting to translate these representations, derived from transient human institutions and from the mutual relations of men, into the Divine and eternal sphere to which this great Mystery belongs“, Dale, Atonement, 416 f (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 307). 597 Vgl. Mikolaski, Atonement, 200. 598 Vgl. Dale, Atonement, 468 f: „They appeal to the Death of Christ, as investing His claims upon them with an infinite and most pathetic urgency. But had the race never sinned the race would have been His. By His Death He did but recover what He had lost. [. . .] Not the Church merely, but the human race was created ‚for Him‘“ (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 351). 599 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 359 f (Atonement 476 f). Gunton, Cross, 12 sieht hier Dale in pantheisierender Gefahr, der Dale, wenn er sich auch der Gefahr bewußt sei, nicht ganz entkommen k×nne. Hier regen sich mir doch einige Zweifel. Die Gefahr, pantheisierende Implika-

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„1. Die Kraft und TÛchtigkeit unseres sittlichen und geistigen Lebens ist eine bestÅndige Offenbarung der Kraft und Vollkommenheit des Lebens Christi. Wir besitzen keine heilige Tugend, die wir nicht Ihm verdanken. Da das Leben Christi in uns sich in immer reicheren und volleren Formen offenbart, so ist die sittliche und geistliche Herrlichkeit Christi selbst das h×chste Ideal, dem wir uns bestÅndig nÅhern und das wir doch nie erreichen. 2. Unser VerhÅltnis zum Vater wird bestimmt durch das VerhÅltnis Christi selbst zum Vater. Nicht durch eine bloß in der Vorstellung bestehende Zurechnung oder kÛnstliche Uebertragung, sondern verm×ge der factischen Einheit des Lebens Christi und des unsrigen wird Seine Stellung zum Vater auch die unsrige, und das unter genau denselben VerhÅltnissen, wie sein Leben. In Ihm bestehn unser Leben und unsre Stellung zu Gott in ÛbernatÛrlicher Gestalt.“600

Diese unsere Christi verdankte Stellung zum Vater wÅre auch unsre ursprÛngliche Stellung gewesen, durch Christi Vers×hnungstat wird sie uns wieder angeeignet, und zwar auf folgende Weise: „Bei jeder Auffassung von der SÛndenvergebung besteht auf Seiten des SÛnders die sittliche Nothwendigkeit, frei und aufrichtig die Gerechtigkeit der Strafen anzuerkennen, von denen er befreit wird. So lange wir noch irgend wie die Gerechtigkeit des strafenden Gesetzes bemÅngeln, bleibt unser Widerwille gegen Gott, dessen Wille von diesem Gesetz unzertrennlich ist, besteht.“601

Dabei gilt, daß Christi Vers×hnungstat Grundlage unserer Reue ist: „Was nicht in unserer Macht stand zu thun, hat Er getan; und durch unsre Einheit mit Ihm wird auch unsre UnterwÛrfigkeit erm×glicht.“602 Die Aneignung der Vers×hnungstat geschieht dabei durch zwei Aspekte: Einerseits geschieht sie durch die Struktur des Menschen als organisches, interdependentes Beziehungswesen: „wir sind einander notwendig und die

tionen zu beinhalten scheint mir bei Dale weitaus nicht so groß zu sein, wie bei vielen anderen Konzeptionen des 19. Jh., etwa in der Vers×hnungslehre Ritschls. 600 „1. The power and perfection of our moral and spiritual Life are a perpetual revelation of the power and perfection of the life of Christ. There is no element of holiness in us that is not derived from Him. As the life of Christ is being perpetually revealed in us in richer and nobler forms, the moral and spiritual glory of Christ is the ultimate ideal to which we are continually approaching, but which we shall never reach. 2. Our own relation to the Father is determined by the relation of Christ to the Father. By no fictitious imputation or technical transfer, but by virtue of a real union between the life of Christ and our own life, His relation to the Father becomes ours. It is ours with the same qualifications with which His life is ours. In Him both the life and the relation exist in a transcendent form“, Dale, Atonement, 478 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 360). 601 Dale, Vers×hnungstod, 361 (Atonement, 479). An dieser Stelle HÅtte sich fÛr Dale Anlaß geboten, das Argument Erskines aufzunehmen, nach dem Strafe an sich dem Gesetz nicht genÛgen kann (s. o.). Da dies nicht geschieht, ist anzunehmen, daß Dale Erskine nicht kannte. 602 „What we had no force to do, He has done; and through our union with Him, His submission renders our submission possible“, Dale, Atonement, 481 (dt.: Dale, Vers×hnungstod, 363).

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Gaben Christi Gnade erreichen uns durch das Amt der brÛderlichen Zuneigung.“603 Andererseits geschieht die Aneignung, in Analogie zu einem Nebenaspekt der Deutung des Vers×hnungswerkes Christi, aufgrund unseres eigenen freien Verm×gens: Christi Bestehen der Versuchung als Test entspricht unsere eigene Situation der Wahl zweier Wege, eines niedrigen und eines hohen der selbstopfernden Liebe.604 Neben diesen beiden positiven Faktoren der Aneignung kennt Dale noch ein negatives Kriterium, nach dem gemessen werden kann, ob die Aneignung geglÛckt ist: Es handelt sich um die praktische Gotteserkenntnis, die zumindest ein negatives ethisches Kriterium ist, wenn Dale ausdrÛcklich Thomas a Kempis zustimmt, daß der ethische Wandel Falsifikation der TrinitÅtserfahrung sein kann.605 Fragen wir, wie sich die angeeignete Vers×hnung material im Handeln und Leben der Christen auswirkt, erhalten wir zwei kurze Hinweise: Einerseits bewirkt Christi Vers×hnungstat ein stÅrkeres und tieferes Vertrauen auf die g×ttliche Barmherzigkeit, als es vorher der Fall hÅtte sein k×nnen.606 Hier ist eine interessante Parallele zu Ritschl zu erblicken, wenn auch Ritschl hier nicht quantifizieren wÛrde, so daß nach Ritschl Vertrauen nur aufgrund der Vers×hnungstat m×glich ist. Wie bei Ritschl ließe sich auch erwarten, daß mit dieser Wandlung der Affekte, bzw. im Falle Dales der Affektsteigerung, auch eine Wandlung, bzw. sittliche Steigerung, des handlungsleitenden Charakters des Menschen und seiner habitualisierten Tugenden einhergeht. Betrachtet man nun andererseits das faktisch vollzogene Handeln des Menschen in kultureller Kooperation, ist festzustellen, daß die sittlichen und kulturellen Leistungen des Menschen AusprÅgung des vollkommenen Lebens Jesu in unseren pers×nlichen Leben sind, das durch den Geist vergegenwÅrtigt wird.607 Kommt man nun zu einer Gesamtbetrachtung, fÅllt auf, daß zwar die Vers×hnung handlungsleitende Effekte hat, diese aber konzeptionell mit der Basismetapher des stellvertretenden Strafleidens gerade nicht verbunden sind. Die konzeptionelle Verbindung beruht vielmehr auf zwei anderen mo603 „We are largely necessary to each other, and the gifts of Christ’s grace often reach us through the ministry of brotherly affection“, Dale, Saviour, 28. 604 Vgl. Dale, Doctrine, 70: „For Christ, as for us, there were the two paths – the lower and the higher, the path of ease and the path of resolute righteousness, of renunciation, of self-sacrificing love. He had to make His election between them. His moral nature was like our own.“ 605 Vgl. Dale, Doctrine, 169, nach De imitatione Christi, 1,3: „’What will it profit thee to be able to discourse profoundly on the Trinity if thou art wanting in humility an so art displeasing to the Trinity.’“ 606 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 35 (Atonement, 101). 607 Vgl. Dale, Vers×hnungstod, 357 f (Atonement, 474–476).

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dellierten Metaphern: im Hauptaspekt im Modell des Organismus bzw. der Interdependenz und der besonderen Stellung Christi zu den einzelnen Menschen. Dieses Organismusmodell ist aber eine Voraussetzung der Vers×hnungstat, nicht diese selbst. Und der Nebenaspekt ist die Anwendung der die Basismetapher des stellvertretenden Strafleidens interpretierenden Metapher des Tests und die Anwendung der das Modell zusammenfassenden Metapher des Selbstopfers. Es ist aber kein Wunder, daß in Dales Vers×hnungslehre immer wieder ethische Implikationen behauptet werden, die nicht nachgewiesen werden k×nnen, bzw. die zur Zentralmetapher des stellvertretenden Strafleidens als Beschreibung des objektiven Fakts der Vers×hnungstat in keinem Zusammenhang stehen. Denn wenn man die objektive Vers×hnungslehre derart stark betont, wie Dale es macht, mit der Absicht, daß die Zurechtbringungstat auch fÛr diejenigen wirksam sein muß, die sie nicht intentional verstehen , kann sie keine direkte ethische Folge haben, weil sich Ethik eben mit intentionalem Handeln beschÅftigt. Es scheint so, als k×nne man entweder nur das eine oder das andere besitzen: Entweder eine ethisch wirksame, exklusive Vers×hnungslehre, die dann auf alle FÅlle unbeschadet eventueller ObjektivitÅt auch subjektiv sein muß, oder eine Vers×hnungslehre, die nicht subjektiv ist und deren ObjektivitÅt InklusivitÅt verspricht, aber nicht ethisch wirksam sein kann. Dale hat dies auch erkannt, zwar nicht bzgl. seiner eigenen Theologie oder im Zuge systematischer Gedanken, sondern hinsichtlich der Theologie Pauli: „Aber davon, daß wir heilig wÛrden, ist kein Wort gesagt. Die SÛnden sÛhnende Wirkung des Todes Christi ist so unmittelbar, so unabhÅngig von irgend welcher Aenderung unseres Charakters, daß der Apostel jetzt eine neue BeweisfÛhrung er×ffnen muß dafÛr, daß ein Fortfahren in SÛnden mit dem Stande der Rechtfertigung sich nicht vertrÅgt.“608

2.5 Vergleich der Soteriologien Im folgenden werden die analysierten Positionen kurz und bÛndig miteinander verglichen. Die Einteilung gliedert sich in Voraussetzungen der Zurechtbringung, die Zurechtbringung selbst und Folgen der Zurechtbringung.

608 „But of our restoration to holiness he has said nothing. The effect of the Death of Christ in atoning for human sin is so immediate, so independent of any change in human character, that he has now to enter on a new line of argument, in order to show that those who are justified cannot continue to sin“, Dale, Atonement, 309 (Dale, Vers×hnungstod, 212).

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2.5.1 Vergleich der Gottes- Menschen- und SÛndenverstÅndnisse als Voraussetzungen der Zurechtbringung Ritschl denkt Gott streng relational, allerdings dergestalt, daß diese reale Relation zwischen zwei personalen Relaten besteht: Gott (dem Vater) und der Gemeinde des Reiches Gottes, das somit an Stelle des Logos tritt. Damit ist zum einen Gott nicht denkbar etsi mundus non daretur , indem die immanente in die ×konomische TrinitÅt kollabiert, zum anderen ist der Geist nicht relathaft gedacht, sondern fÅllt als Wissen Gottes von sich selbst oder Partizipation an diesem fast aus. Die Welt erhÅlt rein medialen Charakter, indem sie als Mittel auf den Zweck Gottes geordnet ist. Das MenschenverstÅndnis, insbesondere hinsichtlich der inneren RelationalitÅt der Menschen untereinander ist durch Ritschls Reich-Gottes Gedanken ethisch gefaßt. Entsprechend besteht keine Unm×glichkeit zur SÛnde nach dem Fall, sondern nur eine gegen Unendlich gehende Unwahrscheinlichkeit. Die SÛnde selbst Åußert sich konkret im Mißtrauen gegen Gott, indem ºbel als Zweckhemmungen des Menschen nun fÅlschlich als Strafen Gottes gedeutet werden und Gott entsprechend nicht als Liebe, sondern als strafend verstanden wird. Auch KÅhlers GottesverstÅndnis weist Åhnliche Defizite auf: Auch hier ist Gott nicht unabhÅngig von der Welt denkbar, auch hier fÅllt der heilige Geist aus, sogar noch stÅrker als bei Ritschl, da an dessen Stelle Christi FÅhigkeit, auf die Innenseite der Menschen zu wirken, tritt. Der Mensch ist im Unterschied zu Ritschl stÅrker relational verstanden: Es besteht eine wechselseitige AbhÅngigkeit aller und entsprechend ist die SÛndenlehre stÅrker entwickelt: ºber den Gedanken der KommunitÅrsÛnde kann KÅhler zeigen, daß Schuld Ûbertragbar ist. Entsprechend besteht nach dem Fall eine Notwendigkeit zur SÛnde. Ganz anders versucht GÛnther von Anfang an konsequent trinitarisch zu denken, wenn auch in stark idealistischen Bahnen. Der Mensch entspricht als Bild Gottes dieser trinitarischen Offenbarung ad extra, er ist als Vereinwesen von Natur und Geist die Vermittlung zwischen Gott und apersonaler Sch×pfung. Durch den Organismusgedanken der Menschheit erscheint ferner auch hier die M×glichkeit der ºbertragbarkeit der SÛnde, die als menschlicher Wunsch, relative gegen absolute Freiheit eintauschen zu wollen verstanden wird und die sich vom ersten Adam auf alle anderen Menschen ausbreitet. Auch Scheeben denkt konsequent trinitarisch, gewinnt die Gotteserkenntnis aber im Gegensatz zu GÛnther aus der ÛbernatÛrlichen Offenbarung. Damit kann er GÛnther trotz dessen elaborierter TrinitÅtslehre immer noch Panentheismus und damit eine AbhÅngigkeit Gottes von der Welt unterstellen, die er selbst ausschließen kann. Der Mensch ist primordial nicht nur mit natÛrlichen, d. h. zu seiner Gattung geh×rigen Gaben ausgestattet – der IntegritÅt –, sondern auch mit ÛbernatÛrlichen Gaben, d. h. mit Eigen-

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schaften, die an sich ihm Ûbergeordneten Gattungen zukommen: der Heiligkeit. Abgesehen davon erinnert Scheeben in seiner dualistischen Konzeption vom Menschen und der Aufnahme des Organismusgedankens GÛnther in großem Maße. Entsprechend bereitet auch hier die ºbertragbarkeit der Allgemeinheit der SÛnde kein Problem, sie wird im Modell juridischer Vererbung als Rechtsnachfolge gedacht mit der Folge des Verlusts von IntegritÅt und Heiligkeit. Erskine denkt Gott streng trinitarisch als Gemeinschaft dreier extensionsdistinkter Relate in gerechtigkeitseinschließender Liebe, die Gottes Charakter – ein Ausdruck, der anstelle des klassischen Wesensbegriffs gebraucht wird – ist. Der Mensch ist entsprechend als imago dei wesentlich Liebe, die in der SÛnde geleugnet wird, so daß es zu einer Selbstverletzung und Selbstverkenntnis kommt: Der Mensch post lapsum sieht sich als Individuum und Liebe nur noch als ethischen, denn als ontischen Sachverhalt. Da auch Erskine den Menschen als Beziehungswesen denkt, bedeutet die ºbertragbarkeit der SÛnde auch hier kein Problem. McLeod Campbell Ûbernimmt Erskines Rede vom Charakter Gottes als Liebe, ist durch seine noch stÅrkere Frontstellung gegen den F×deralcalvinismus aber im Gegensatz zu Erskine geneigt, diese Liebe gegen die Gerechtigkeit Gottes auszuspielen. Da aber im Unterschied zu Erskine die TrinitÅtslehre unterentwickelt ist, indem es fast zu einem Panfilialismus kommt, erscheint auch kaum eine Reflexion Ûber den Menschen als Beziehungswesen. Entsprechend ist die SÛndenlehre erstaunlich wenig entwikkelt. Fast scheint es, als reduziere sich der Unterschied zwischen Gott und Mensch auf des letzteren SÛndhaftigkeit. McLeod Campbell zum VorlÅufer der trinitarischen Renaissance stilisieren zu wollen, wie in der Forschung zu weilen geschehen, kann durch die TextlektÛre nicht bestÅtigt werden. Bei Dale wird Gott als Liebe wieder stÅrker mit dem Gerechtigkeitsaspekt verbunden, nun aber fast so, daß letzterer Ûberbetont wird: Liebe ist als Gesetz zu verstehen. Der Mensch ist strikt relational gedacht und bildet in seinem Wesen eine Rasse, die die ºbertragbarkeit der Schuld der SÛnde erm×glicht, deren Folge die Strafe ist, nicht als pÅdagogische Strafe wie bei Erskine, sondern als verdiente Strafe.

2.5.2 Vergleich der Zurechtbringung in Jesus Christus Bei Ritschl geschieht die Zurechtbringung durch Jesus Christus, der sich als der Sohn dadurch auszeichnet, daß er faktisch der GrÛnder des Reiches Gottes ist, d. h. historisch der erste, der in der angemessenen Relation zu Gott steht, indem er seinem einzigartigen Beruf auch gegen alle Zweckhemmungen treu bleibt. Auf diese Weise kommt er nicht nur selbst Gott nahe, sondern offenbart Gottes wahres Wesen als Liebe.

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KÅhler steht, obwohl sich sein Modell metapherntheoretisch stark von Ritschl unterscheidet, diesem nahe. KÅhler nutzt das polymetaphorische Modell des stellvertretend bÛrgenden Strafopfers Christi, das in seinem Effekt aber letztlich nicht viel anderes leistet als das, was bei Ritschl geschieht: eine Offenbarung der Liebe Gottes. Dagegen erscheinen die von KÅhler namhaft gemachten Unterschiede, die Bedeutung des Zornes Gottes und der Wunsch, im Gegensatz zu Ritschl eine reale BeziehungsÅnderung zu vertreten, stark vernachlÅssigbar, zumal auch Ritschls Konzeption auf eine reale BeziehungsÅnderung hinauslÅuft. Im Mittelpunkt von GÛnthers Vers×hnungskonzeption steht die Freiheitsprobe oder der Test Christi als des zweiten Adam, womit er die mißlungene Freiheitsprobe des ersten Adam auszugleichen vermag. Damit steht der Organismus der Menschheit als ganzer ethisch neutral vor Gott. Hier zeigt sich, daß GÛnthers Konzeption schon in der Vers×hnungslehre stark semipelagianisch gefÅrbt ist. Ganz anders betrachtet Scheeben das Vers×hnungsgeschehen, das fast ein Nebenaspekt des Christusgeschehens darstellt: Die Inkarnation wie das Opfer Christi sind zunÅchst fÛr Gott selbst sinnvoll, wÅhrend die Zurechtbringung kontrafaktisch auch auf andere Weise hÅtte geschehen k×nnen. Scheeben versteht ein latreutisches Opfer im Sinne einer vollstÅndigen Hingabe einer Person an Gott. Ein solches Opfer schließt ein, daß das zu Opfernde der VerfÛgungsgewalt des Opfernden entzogen wird, genauso wie das zu Opfernde zunÅchst dessen VerfÛgungsgewalt unterstehen muß. Da kein Mensch Besitzer seines Lebens ist, ist diese Hingabe keine menschliche M×glichkeit. Indem der inkarnierte Christus seine ganze Person einschließlich deren menschlichen BeziehungsgefÛges an Gott hingibt, vollzieht er ein holocaustum, ein Totalopfer, zu dem nicht nur die Hingabe des eigenen Leibes im Kreuz und dessen Annahme durch den Vater in der Auferstehung geh×rt, sondern auch das Versprechen der Hingabe des geistigen Leibes, d. h. der Hingabe aller Menschen an Gott, und die BÛrgschaft von Seiten Gottes, eschatisch an der gesamten Menschheit zu handeln. Unter den zahlreichen Metaphern, die Erskine zur Beschreibung des Vers×hnungsgeschehens nutzt, ragt das Opfer Christi heraus, das als Opfer oder Hingabe Gottes des Sohnes an die Menschheit gedacht ist. Dieses Opfer von Seiten Gottes offenbart einerseits den Ernst der SÛnde, die die Menschen in ihrer Verblendung nicht mehr einsehen konnten und es offenbart andererseits die Liebe Gottes und zwar in einer Tatsache, die geeignet ist, die Affekte der Menschen zu wandeln. McLeod Campbell sieht die Vers×hnungstat Christi primÅr in einer stellvertretenden Reue, die er etwas schematisch mit einer VerschrÅnkung zweier Aspekte ausdeutet: Sie besitzt einerseits eine Wirkung in die Vergangenheit und in die Zukunft und andererseits wird die Wirkung fÛr Gott und fÛr den Menschen bedacht. Daneben erscheint aber auch hier der Gedanke des

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Tests mit allen seinen Gefahren. Eine stellvertretende Strafe wird strikt abgelehnt. Dale hingegen bejaht die stellvertretende Strafe. Entscheidend ist fÛr Dale dabei, daß er auf diese Weise die ObjektivitÅt der Vers×hnung gesichert sieht. Jede funktionierende Vers×hnungslehre darf nach Dale nicht nur subjektiv, sondern muß auch objektiv sein, da nur eine ObjektivitÅt der Vers×hnung die SubjektivitÅt sichern kann: GeschÅhe am Kreuz nichts weiter, als daß Gott seine Liebe im Gewalttod seines Sohnes den Menschen zeigen wolle, wÅre dies unverstÅndlich. Damit nimmt Dale zu Recht moderne Kritiken, wie sie etwa von feministischer Seite geÅußert werden, vorweg, kommt aber zu ganz anderen Konsequenzen.

2.5.3 Vergleich der Folgen der Zurechtbringung einschließlich deren ethischer Implikationen Indem in der Konzeption Ritschls Christus durch seine Berufstreue die Liebe Gottes offenbart, inkorporiert er SÛnder in das Reich Gottes, indem sie nun am Geist als am Wissen Gottes von sich selbst partizipieren, also nun wissen, daß ºbel als Zweckhemmungen keine Strafen Gottes darstellen. Auf diese Weise wird nach Ritschl sowohl Vertrauen in Gott erm×glicht als auch die direkte ethische Implikation der m×glichen Berufstreue der nun Glaubenden. DarÛber hinaus findet sich bei Ritschl auch eine entfaltete Tugendethik. Die konzeptionelle Verbindung zwischen Gotteslehre, Vers×hnungslehre und Ethik ist bei Ritschl damit erstaunlich stark ausgeprÅgt. Es erscheint lediglich fraglich, ob diese EffektivitÅt der Vers×hnung nicht doch etwas Ûberzogen ist, zumal Ritschl aufgrund seiner defizitÅren Pneumatologie nicht den Affektwandel des Menschen erklÅren kann. Immerhin ist Ritschls Vers×hnungslehre das Paradigma einer Vers×hnungslehre, die primÅr subjektiv, inklusiv stellvertretend und gerade deswegen exklusivistisch, aber effektiv ist. Auch bei KÅhler bleibt die Aneignung der Zurechtbringung letztlich offen und auch hier ist ein pneumatologisches Defizit dafÛr verantwortlich: Der Ûbergeschichtliche Christus kann kraft seiner G×ttlichkeit auf die Innenseite der Menschen wirken. Diese ErklÅrung der Aneignung der Vers×hnung, bzw. des Wandels des Menschen im Modell der creatio ex nihilo ist aber hoch problematisch: Zum einen wird damit die personale Transzendenz des Menschen verletzt, zum anderen bleibt letztlich offen, warum eine solche Wirkung auf die Innenseite des Menschen nicht dauernd erfolgt, auch ohne die Zurechtbringungstat Christi. Unter den ethischen Implikationen nennt KÅhler nur den kategorischen Imperativ der Mission. Bei GÛnther sind die Folgen der Zurechtbringung deutlich, aber erschreckend: Aufgrund der nach allen Seiten des menschlichen Organismus

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wirksamen verfehlten Freiheitsprobe Adams und der bestandenen Freiheitsprobe Christi steht der Gesamtorganismus in ethischer NeutralitÅt. Dem opus operatum Christi und des Geistes folgt das opus operantis des Menschen, das letztlich in der Pflicht der ErfÛllung der Sittlichkeit besteht. GÛnthers eindrucksvolle Theologie erscheint somit fast als Štiologie einer aufklÅrerischen Ethik. Bei Scheeben sind die Folgen der Zurechtbringung deutlich mit Christi Zurechtbringung verbunden. Genaugenommen erm×glicht es der Gedanke des holocaustum sogar, nicht zwischen Zurechtbringung Christi und deren Aneignung unterscheiden zu mÛssen. Das hat nicht nur Vorteile: Bekommt nun der priesterliche Nachvollzug in der Eucharistie und unser ethisches Handeln nicht auch zu starke soteriologische Valenz? Ferner finden sich einige konzeptionelle Unausgewogenheiten: Warum bekommt der Mensch sofort die ihm qua Natur nicht zugeh×rige Heiligkeit zugesprochen, nicht aber die IntegritÅt? Positiv hervorzuheben ist allerdings, daß Scheeben in der Ethik gemÅß der Unterscheidung Natur/ºbernatur nun ebenfalls zwei Bereiche unterscheidet: den Bereich des allgemein einsehbaren Sittengesetzes und den Bereich einer speziell nur den Vers×hnten einsehbaren Ethik. Erskines Ziel ist es, die Zurechtbringung so zu begreifen, daß nicht nur die Schuld der SÛnde, sondern auch die SÛnde selbst beseitigt werden kann. Aufgrund seiner elaborierten TrinitÅtslehre ist ihm dies auch m×glich: Gleich einem Freund setzt der Heilige Geist dem Glaubenden das Opfer Christi als Tatsache vor Augen. Damit ist der Affektwandel des Menschen und die Generation von Vertrauen in Gott erm×glicht, aber nicht mehr notwendig. Die Gnade ist nicht mehr irrisistibel. Um diese SchwÅche auszugleichen, entwickelt Erskine seine Ethik im Modell eines Bildungs- oder Erziehungsprozesses und daher im Modus einer Tugendethik. Erskine will an der UniversalitÅt der Zurechtbringung und an ihrer EffektivitÅt strikt festhalten. WÅhrend ihm letzteres zwanglos gelingt, ist ersteres letztlich nur m×glich, weil er zu dem kÛhnen Gedanken einer postmortalen Erziehung greift. Beachtet man, daß es zu McLeod Campbells Programm geh×rt, im Gefolge Erskines die Wichtigkeit der Heilsgewißheit zu betonen, ist man erstaunt, Ûber die Aneignung der Zurechtbringung und Ûber die Generation von Gewißheit durch den nahezu vollstÅndigen Geistausfall so gut wie nichts zu finden. Ebenso wird die mit starken Worten ausgesprochene Forderung nach ethischen Implikationen kaum eingel×st. Bei Dale finden sich keine direkten ethischen Implikationen des Zurechtbringungsgeschehens. Um die Sittlichkeit beschreiben zu k×nnen, bedarf es vielmehr eines Neuansatzes mittels anderer Begriffe. Dies verwundert freilich nicht. Denn Dale hat den Anspruch, die Zurechtbringungstat Christi in dem radikalen Sinne exklusiv und objektiv zu verstehen, daß sie auch ohne menschliche Aufnahme – und das heißt: konkret ohne Einbezug der inten-

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tionalen FakultÅten des Menschen – sinnvoll und effektiv ist. Da Ethik aber gerade die korrekte Anwendung der intentionalen Verm×gen des Menschen betrifft, muß jedes ZurechtbringungsverstÅndnis, das dieser Anforderung genÛgen will, ohne direkt-konzeptionelle ethische Implikationen bleiben und ben×tigt dafÛr einen eigenen Argumentationsgang mit eigener Axiomatik. Damit sind wir am Ende des Kurzvergleichs der hier behandelten Zurechtbringungskonzeptionen und zugleich am Ende des zweiten Hauptteils dieses Buches angelangt. Es wÅre verfrÛht, an dieser Stelle ein Fazit zu ziehen. Vielmehr gilt es nun, das Problem der Zurechtbringung und ihrer Implikationen unter besonderer BerÛcksichtigung der Frage nach ethischen Implikationen systematisch-synthetisch zu behandeln. Zu diesem Zweck sind die positiven Einsichten der behandelten Positionen aufzunehmen und die Probleme der jeweiligen Positionen zu bedenken.

3. Systematische Rekonstruktion Wir kommen nun zur systematischen Erarbeitung eines Vorschlags des christlichen VerstÅndnisses von Vers×hnung und deren ethischer Implikationen. Dabei gilt es, die Einsichten der besprochenen Positionen aus dem 19. Jahrhundert aufzunehmen, die dabei eruierten Probleme zu behandeln und auf die gegenwÅrtigen Debatten zu beziehen. Der systematische Aufriß dieses synthetischen Teils entspricht weitgehend den Dispositionen, wie sie auch im historisch-analytischen Teil verwandt wurden. Demnach werden zunÅchst die HintergrÛnde des Vers×hnungsgeschehens in der Gotteslehre und der Anthropologie einschließlich der SÛndenlehre dargestellt, um darauf die Vers×hnung in Jesus Christus selbst zu thematisieren. Abschließend wird nach den ethischen Implikationen des Vers×hnungsgeschehens gefragt.

3.1 Die HintergrÛnde der Zurechtbringung Geht man davon aus, daß das WirklichkeitsverstÅndnis des christlichen Glaubens ein kohÅrentes Ganzes bildet, das nicht auf basalen SÅtzen oder Themen beruht, sondern dessen Einzelteile jeweils gleich notwendig zum VerstÅndnis des Ganzen sind,1 verbietet sich eine Verwendung der Bezeichnung „Voraussetzungen der Zurechtbringung“ in einem strikten Sinne. Es ist nicht so, daß das GottesverstÅndnis, das MenschenverstÅndnis oder das SÛndenverstÅndnis basaler als das ZurechtbringungsverstÅndnis wÅren. Einerseits lÅßt sich epistemologisch das GottesverstÅndnis – genauso wie das Welt-, Mensch-, und SÛndenverstÅndnis – erst aus dem Vers×hnungsgeschehen erkennen. Andererseits ist ontisch betrachtet das GottesverstÅndnis dem Vers×hnungsverstÅndnis prÅvalent. Wir gehen im folgenden nach der Sachordnung vor, weisen aber ausdrÛcklich darauf hin, daß mit dieser Darstellung keine deduktive BegrÛndung verbunden ist. Die Darstellung wird sich verschiedener Einsichten bedienen, die aus den neueren Diskussionen um Metaphern- und Modelltheorien entstammen: Metaphorische Sprache und begriffliche Sprache bilden keine absolute Di-

1 Vgl. die ºberlegungen von Schw×bel, Being Rational zur theologischen RationalitÅt und die Aufnahme derselben von Grube, UnbegrÛndbarkeit Gottes, 210 ff unter der Entfaltung eines kohÅrentistischen Holismus.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

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stinktion, sondern eine relative Distinktion. Wie es einen quantitativ-pragmatischen ºbergang von nahezu literaler Rede zu nahezu unverstÅndlicher Rede gibt, so gibt es auch nur eine relative Unterscheidung von Modellen und Theorien. Theorien sind immer theoretische Modelle. Im theologischen Zusammenhang gilt es darÛber hinaus grundsÅtzlich zu betonen: Es ist nicht so, daß sÅkulare Metaphern oder VorverstÅndnisse an religi×se Sprache herangetragen wÛrden, um dann die theologischen Sachverhalte zu erhellen.2 Es ist aber auch nicht einfach umgekehrt so, daß die theologische Begrifflichkeit den Maßstab fÛr eine sÅkulare, quasi gottlose sprachliche Erfassung der Wirklichkeit mittels Begriffsbildung bilden wÛrde. Vielmehr gilt auch hier, daß Gott als alles bestimmende Wirklichkeit letztlich auch der bestimmende Faktor aller menschlichen Sprachverwendung ist. Im Rahmen unserer Darstellung der Zurechtbringungslehre hat dies eine entscheidende Pointe: Wir leben in einer Welt, die mit Gott vers×hnt ist , die von Gott zurechtgebracht ist. Alle sprachliche Konzeptualisierung, die wir vornehmen k×nnen, stammt aus eben dieser Welt. Dies bedeutet positiv, daß eine christliche Darstellung der Zurechtbringung weder konstruktiv die Vers×hnung noch ein innovatives VerstÅndnis der Vers×hnung hervorbringen k×nnte. Es bedeutet negativ, daß bei dieser Rekonstruktion auch keine allzu großen ºberraschungen erwartet werden dÛrfen.

3.1.1 Das GottesverstÅndnis Die hier folgenden Beschreibungen des GottesverstÅndnisses beziehen sich auf die individuierte TrinitÅt, d. h. auf das, was klassisch in den Diskussionen des 20. Jh. immanente TrinitÅt genannt wurde. Die erfahrbaren und Gott identifizierenden Beziehungen Gottes zur Welt, die Ûblicherweise mit dem Terminus „×konomische TrinitÅt“ zusammengefaßt werden, sind Gegenstand aller anderen Abschnitte dieses Kapitels. Die immanente, bzw. prÅziser, die individuierte TrinitÅt ist ontologisch notwendige Bedingung der M×glichkeit der ×konomischen TrinitÅt, d. h. desjenigen Handelns Gottes in Bezug auf die Welt, das in Sch×pfung, Vers×hnung und Vollendung sowohl Gott erfahrbar (empirische TrinitÅt) als auch identifizierbar macht ([selbst]identifizierende TrinitÅt)3. Umgekehrt ist die ×konomische TrinitÅt, also das Handeln Gottes in Bezug zur Welt epistemologisch hinreichende Bedingung der Erkenntnis der immanenten, bzw. individuierten TrinitÅt.

2 Dies ist paradigmatisch in dem von Crystal, Generieren theologischer Sprache entwickelten Verfahren der Fall. 3 Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 293 ff.

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Systematische Rekonstruktion

Diese doppelte VerhÅltnisbestimmung ist Åußerst wichtig, weil sie einerseits die Einsicht der Bezogenheit von Gott und Welt, wie sie in Rahners IdentitÅtsthese von immanenter und ×konomischer TrinitÅt und der Debatte um diese These zum Ausdruck kommt,4 affirmativ behaupten kann und weil sie andererseits den kategorialen Unterschied zwischen Gott und Welt, bzw. Sch×pfer und Gesch×pf nachhaltig einschÅrfen kann. Dieser Unterschied konkretisiert sich darin, daß Gottes Handeln an der Welt als Handeln zu bestimmen ist, das in keinen welthaften Voraussetzungen ruht,5 sondern nur in Gott selbst. Theologumena, die diese Bezogenheit und Unterschiedenheit in unterschiedlichen ZusammenhÅngen festhalten, sind die Rede von der creatio ex nihilo im Rahmen des christlichen Sch×pfungsverstÅndnisses und die Rede von der justificatio sola gratia im Rahmen des ZurechtbringungsverstÅndnisses.6

3.1.1.1 Gott ist Liebe Dieser Satz versteht sich als allgemeine Zusammenfassung dessen, was und wer Gott ist. Es handelt sich dabei um eine Vollbestimmung Gottes. Gemeint ist damit eine dreistellige reale, wechselseitig konstitutive, ereignishafte Relation zwischen drei Relaten – Vater, Sohn und Heiliger Geist – so daß die Relation der Liebe als Wesen Gottes und die Personen gleichursprÛnglich, d. h. wechselseitig konstitutiv oder feldkonstitutiv sind. Diese Relation Ûbersteigt ein affektives VerstÅndnis von Liebe und schließt den Ereignis-, Verhaltens- und den Handlungsbegriff ein, so daß Liebe als Interaktion gekennzeichnet werden kann. So ist Gott schon in sich selbst Ereignis, Handeln und Interaktion. Diese Interaktion ist noch zu spezifizieren. Gemeint ist eine Interaktion in der jeweils ein Liebender in Treue, Wahrhaftigkeit und Vertrauen durch einen Mitgeliebten als gemeinsames „Projekt“7 auf einen Geliebten so bezogen ist, daß er das Gut des Geliebten zu realisieren beabsichtigt. Dabei sind die Rollen des Liebenden, Geliebten und Mitgeliebten nicht einfach auf Vater, Sohn und Geist zu verteilen, sondern diese sind jeweils einander Liebender, Mitgeliebter und Geliebter. Die Teilbestimmung der Liebe als Absicht, das Gut des anderen realisieren zu wollen, lÅßt sich dabei am besten mit Eberhard JÛngel als Hingabe charakterisieren.8 Diese knappen Hinweise m×gen an dieser Stelle genÛgen.

Vgl. Rahner, Urgrund, 328. Zur Diskussion vgl. u. a. JÛngel, VerhÅltnis. Diese Interpretation versteht sich als Interpretation der creatio-ex-nihilo -Formel. Die Konkretion der Voraussetzungslosigkeit durch den Zusatz, daß es sich um keine welthaften Voraussetzungen handelt, verdanke ich einem GesprÅch mit Wilfried HÅrle. 6 Vgl. dazu die Einsicht von Sartorius, Liebe I, 21 f. 7 Der Begriff des gemeinsamen Projekts hat gerade den Vorteil, daß es sich dabei um ein drittes personales Relat handeln kann, aber nicht handeln muß, so daß sich die triadische Grundstruktur trinitarischer Liebe auch umfassender auf den gesch×pflichen Bereich anwenden lÅßt. 8 Vgl. JÛngel, Geheimnis, 434. 439 f. 444. 4 5

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

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3.1.1.2 Gott ist (nicht ohne) Logik Dieser zunÅchst vielleicht Ûberraschend klingende Satz ist eine abstrakte Minimalbestimmung dessen, was Gott auch ist. Mit „Logik“ ist hier nicht ein bestimmtes logisches System gemeint, sondern nur die GÛltigkeit des IdentitÅtssatzes und des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch als notwendige Bedingung jeglicher Kommunikation und Zeichenverwendung. Hat Gott eine Welt geschaffen, in der Logik in diesem Sinne gÛltig ist und deren Gebrauch von Gottes personalen Gesch×pfen durchaus unter den Bedingungen des Falls ambivalent ist und so Spielraum fÛr konstruktive TÅtigkeit lÅßt, so kann gezeigt werden, daß Gott diese „Logik“ nicht kraft seiner potentia absoluta geschaffen hat und auch eine Welt hÅtte schaffen k×nnen, in der diese „Logik“ nicht gÛltig wÅre, weil diese Alternative selbst sich nur innerhalb der so verstandenen „Logik“ und des Ûberhaupt sinnvoll Bezeichenbaren aufstellen lÅßt. Daher ist zu schließen, daß Gott in der Sch×pfung eine Logik geschaffen hat, die seiner eigenen Logik entspricht. Wenn Gott sich seinen Gesch×pfen kommunikativ offenbart und dies aufgrund seiner Treue zu sich selbst Selbstoffenbarung ist, ist Gott trinitarisch als Kommunikationsgeschehen dreier g×ttlicher Personen zu verstehen,9 die diese Kommunikationen konstituieren und durch diese Kommunikation konstituiert werden. Da auch diese immanent-trinitarischen kommunikativen Relationen „Logik“ in dem beschriebenen Sinne implizieren, geh×rt die Logik zum Sein Gottes selbst. 3.1.1.3 Gott ist regulierte Ordnung Zwischen der vollstÅndigen Bestimmung Gottes als Liebe und der abstrakten Minimalbestimmung Gottes lassen sich noch weitere Bestimmungen Gottes finden, von denen einige – wie Kommunikationsgeschehen, Ereignis10 und Interaktion – bereits genannt wurden. Es geht hier nun nicht darum, alle m×glichen Metaphern oder Begriffe aufzuzÅhlen, die ebenfalls auf Gott angewandt werden k×nnen. Es geht vielmehr darum, hier diejenigen Metaphern zu nennen, die in ErgÅnzung zueinander ein kohÅrentes SchlÛsselmodell des VerstÅndnisses Gottes einschließlich klarer Distinktionen ergeben. Die Auswahl folgt dabei pragmatischen Kriterien. WÅhrend die Bezeichnung Gottes als Logik nicht mehr besagt, als daß die Beschreibung Gottes als Liebe keinen Ausschluß von RationalitÅt bedeutet, zeigt sich aufgrund der Diskussion in dieser Arbeit, daß diese Liebe, die Gott ist, noch zu einer weiteren begrifflichen Erfassung, die aus der Metaphernwelt des Rechts stammt, in Beziehung gesetzt werden muß.

9 10

Vgl. Luther, WA 46, 60,4. Zur philosophischen Bedeutung des Ereignisbegriffs vgl. Runggaldier, Handlungen, 34 ff.

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Systematische Rekonstruktion

Der Befund der historischen Analyse legt den Entwurf einer solchen VerhÅltnisbestimmung dringend nahe. Denn es zeigte sich, daß McLeod Campbell Liebe und Rechtskategorein auseinanderhÅlt und beides als strikte Alternative betrachtet und damit z. T. Ritschl nahesteht. Diese VerhÅltnisbestimmung findet sich aber gerade bei Erskine of Linlathen nicht und wird von Dale und KÅhler ausdrÛcklich geleugnet.

Begriffe, die sich zur Modellierung dieses Aspekts des GottesverstÅndnisses nahelegen, sind in unterschiedlicher Weise die Begriffe des Gesetzes, der Ordnung und der Regel. Eine detaillierte Betrachtung zeigt dabei, daß der Begriff der Regel der leistungsfÅhigste ist. Der Begriff des Gesetzes legt sich nahe, da er in der Tradition bereits auf Gott angewandt wird. Der in der Stoa auf Zeus angewandte Begriff der lex aeterna 11 wird von christlicher Seite, besonders von Augustin, auf Gott selbst bezogen.12 Ferner b×te sich der Gesetzesbegriff an, weil er durch den Bezug der lex naturalis und der lex positiva auf die lex aeterna die Relation von Gott und Welt bzw. menschlicher Sozialgestalt in einem Modell aussagen kann.13 Dieses Verfahren ist dabei nicht lediglich der Tradition vorbehalten, sondern es gelang Herms zu zeigen, daß auch eine entsprechende Ableitung einer Minimalbestimmung der lex naturalis in der Gegenwart fruchtbar verwandt werden kann.14 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzesbegriff bereits in einigen der analysierten Positionen, an hervorragender Stelle in der Dales, die Doppelfunktion in der Gotteslehre wie zur Erfassung der Welt und der Soteriologie einnimmt (s. o.). Auch die metaphorische Verwendung des Gesetzesbegriffs im Rahmen der Naturwissenschaften als Naturgesetz ist zwar nicht ganz unproblematisch,15 wÛrde aber auch eine Erfassung der nichtsozialen Wirklichkeit der Welt unter dem Modell des Gesetzes prinzipiell zulassen. Diesen Vorteilen stehen aber auch gewaltige Nachteile gegenÛber: Zum einen ist der neuzeitliche Anschluß des Gesetzesbegriffs an den SouverÅnitÅtsbegriff nicht ganz unproblematisch, vor allem dann, wenn das Gesetz auf den verschiedenen Theorien vom Gesellschaftsvertrag aufruht,16 weil hier SozialitÅt und deren Organisation sekundÅre und abgeleitete Gr×ßen sind. Zum zweiten ist darauf hinzuweisen, daß innerhalb des genuin theologischen Gebrauchs der Rede vom Gesetz das Gesetz z. T. im interkonfessionellen Dialog aber auch in der innerprotestantischen °kumene, etwa in der Verwendung des Terminus Gesetzlichkeit, negativ konnotiert ist. Das Gleiche ist in Bezug auf die Verwendung des Gesetzesbegriffs bei einigen in dieser Arbeit untersuchten Positionen zu bemerken. Zum dritten ist ein Einwand zu nennen, der konzeptioneller Natur ist: Der Gesetzesbegriff hat seine theologisch prominenteste Verwendung im Rahmen der Rede von Gesetz und Evangelium. Unbeschadet der Wir-

11 12 13 14 15 16

Vgl. Cicero, De natura deorum I, 15,40. Vgl. Augustin, De vere Rel. 31 CSEL 77, 42. Vgl. Wieland, Gesetz, ewiges. Vgl. Herms, Kosmologische Aspekte des Gesetzesbegriffs. Vgl. Evers, Gesetz/Naturgesetz. Vgl. Sparn, Gesetz IV.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

297

ren um dieses Begriffspaar im 20. Jh.17 ist festzuhalten, daß mit Hilfe der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium die schlichtweg fundamentale Unterscheidung von opus hominum und opus dei vorgenommen werden kann. Diese Unterscheidung muß zwar ihrerseits wieder auf den Gottesbegriff bezogen werden, so daß eine Modellierung nicht ganz erfolglos sein dÛrfte. Bei einer nÅheren Bestimmung der Distinktion Gesetz/Evangelium in der Theologie Luthers zeigt sich jedoch, daß der Gesetzesbegriff eine vollstÅndig andere Intension erhÅlt, welche seine Verwendung fÛr unsere Zwecke ausschließt: WÅhrend Luther als Evangelium das bestimmt, was Gott fÛr den Menschen tut, bestimmt er als Gesetz das, was Gott vom Menschen getan haben will.18 Bezeichnet aber Gesetz das, was der Mensch zu tun hat, kann der Gesetzesbegriff nicht univok auf Gott angewandt werden, weil gerade dann die basale Unterscheidung und Bezogenheit von immanenter TrinitÅt und ×konomischer TrinitÅt (s. o.) zerst×rt werden wÛrde. Auch der Begriff der Ordnung legt sich aus verschiedenen GrÛnden nahe. Im Rahmen der kappadozischen TrinitÅtslehre wurde der Begriff der taxis direkt auf die Gotteslehre bezogen, indem er die Relationen der trinitarischen Personen zusammenfaßt.19 Im Westen wandte Augustin den ordo -Begriff zwar nur analog auf Gott an,20 weil seine TrinitÅtslehre die personae als lediglich intensional distinkt, nicht aber extensionsdistinkt betrachtet,21 jedoch ist bei Augustin der Begriff des ordo gerade als BrÛckenbegriff zur gesch×pflichen Welt zu werten, deren EntitÅten in einem ontologischen ordo geordnet sind, auf die das menschliche Verlangen gerichtet ist, das damit ebenso mit dem ordo -Begriff zu erfassen ist, wie es der ordo amoris zeigt.22 Im frÛhen Mittelalter verbindet schließlich Richard von St. Viktor innerhalb einer TrinitÅtslehre mit extensionsdistinkten Personen den ordo- Begriff direkt mit dem Liebesbegriff, wenn er darauf hinweist, daß es innerhalb Gottes keine ungeordnete Liebe gÅbe.23 Damit wird zum ersten Mal der Gedanke sowohl eines ordo amoris in der Welt als auch in Gott gedacht. Im 19. Jh. schließlich wird der Gedanke eines ordo amoris in der lutherischen Theologie von Ernst Christian Wilhelm Sartorius aufgenommen und spezifisch variiert, indem der Liebesbegriff weniger im Gefolge Augustins als Streben aufgrund einer egestas gedacht wird,24 sondern mit Luther nun als die Ordnung einer Liebe als Hingabe verstanden wird. Auch unabhÅngig vom Konzept einer expliziten Liebesordnung kann der Ordnungsbegriff als BrÛckenbegriff zwischen Gotteslehre und christlichem WeltverstÅndnis verwandt werden, was im freilich auch hoch umstrittenen Begriff der Sch×pfungsordnung zum Ausdruck kommt. Auch dieser Begriff wurde in der Gegenwart von Eilert Herms fruchtbar aktualisiert, indem er die Sch×pfungsordnung als Ordnung des Bestehens der Praxissituation endlicher Freiheit deutet, aus der sich die bekannten hermsianischen Interaktionsbereiche des Wirtschaftssystems, des Wissenschafts-

17 18 19 20 21 22 23 24

Vgl. Schw×bel, Gesetz und Evangelium. Vgl. Luther, WA 36, 26,6. Vgl. Zizioulas, Cappadocian Contribution; Beyschlag, Grundriß, Bd. 1, 289 ff. Vgl. Augustin, De ordine, II, 1,2. Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 66 ff. Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 66 ff. Vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 165 ff. Vgl. Augustin, trin 13,5 (8), CChr.SL 50A, 392,29.

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Systematische Rekonstruktion

systems, des politischen Systems sowie des religi×sen Systems ergeben.25 Ferner hat schon Colin Gunton erfolgreich im Rahmen der Zurechtbringungslehre gezeigt, daß sowohl beim soteriologischen Satisfaktionsgedanken einer Theorie anselmscher PrÅgung als auch bei Verwendung der Opfermetapher der Aspekt der Verletzung und Wiederherstellung einer Ordnung oft Ûbersehen wird und so deren Leistungspotential unterschÅtzt wird.26 Aber auch der Ordnungsbegriff hat problematische Konnotationen. Zum einen suggeriert der Begriff der Ordnung, wenn nicht explizit eine dynamische Ordnung genannt wird, etwas Starres und Unbewegliches. Zum anderen wird mit dem Begriff der Ordnung oft eine hierarchische Ordnung verbunden. Diese beiden Assoziationen k×nnen innerhalb der TrinitÅtslehre einen wenn auch sanften Subordinationismus erscheinen lassen und innerhalb der sozialen Welt zu problematischen Ordnungstheologien fÛhren. Ferner gibt es innerhalb der Relationslogik eine sehr spezifische Verwendung des Ordnungsbegriffs, wenn mit einer Ordnungsrelation eine Relation gemeint ist, die sowohl transitiv als auch asymmetrisch ist. Dieser Begriff der Ordnungsrelation lÅßt sich hervorragend auf ein Grundproblem der Gotteslehre anwenden, nÅmlich auf das Problem der Individuation der g×ttlichen Personen, genauso wie auf eine L×sung des Problems der Relation von Zeit und Ewigkeit und auf das Problem der Gegenstandskonstitution generell bei ontologischen Fragen. Dieser spezifische Ordnungsbegriff ist fÛr die genannten Probleme so leistungsfÅhig, daß auf ihn nicht verzichtet werden kann. Der gr×ßte Nachteil ergibt sich schließlich daraus, daß der Ordnungsbegriff ein Begriff zweiter Ordnung ist, der auf etwas anderes bezogen sein muß, wenn er sinnvoll verwandt werden soll. Aus den genannten GrÛnden werden wir auch den Ordnungsbegriff nicht als Leitmetapher verwenden, sondern ihn als vom Begriff der Regel abhÅngig verwenden: Dabei kann eine Menge von Regeln ein Regelwerk bilden, fÛr das wiederum die Bezeichnung Ordnung verwandt werden kann.

3.1.1.4 Der Begriff der Regel Wir wenden uns nun dem Begriff der Regel zu und werden, bevor wir den Regelbegriff zur theologischen Modellbildung verwenden, und das heißt letztlich, ihn inhaltlich zu klÅren, ihn zunÅchst formal bestimmen. Zuvor ist jedoch der theoriegeschichtliche Hintergrund des Regelbegriffs, so wie wir ihn hier verwenden wollen, offenzulegen. Der Regelbegriff hat, vor allem im Rahmen der Geschichte der speziellen Gotteslehre, keine so prominente Stellung wie der Ordnungs- oder der Gesetzesbegriff. Gerade dies ist aber ein Vorteil, da er sich so wesentlich unbefangener zur Modellierung eignet. Freilich ist die Verwendung des Regelbegriffs innerhalb der Gotteslehre auch keine Innovation. Zwar verwenden ihn sowohl Augustin als auch Thomas nicht an exponierter Stellung innerhalb der Gotteslehre, sondern vor allem in anderen ZusammenhÅngen,27 aber vereinzelt genießt er diese Stellung dann doch. So geht Augu-

25 26 27

Vgl. Herms, Sch×pfungsordnung, bes. 446 f. 448. Vgl. Gunton, Actuality, 115 ff. Vgl. Kible, Regel I.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

299

stin in platonischer Weise davon aus, daß die Regeln die ewigen Ideen und Wahrheit sind und insofern in Gott selbst kulminieren.28 Bei Bonaventura schließlich ist Gott selbst die regula , in der allein Regel und Geregeltes koinzidieren, was Gottes Irrtumslosigkeit erm×glicht.29 Diese Einsicht Bonaventuras wird auch in unserer Modellbildung positiv zur Geltung zu bringen sein. Im Gegensatz zu diesem VerstÅndnis Bonaventuras steht die via moderna des spÅtscholastischen Voluntarismus, der sich auch Luther anschließt, wenn er betont, daß Gottes potentia absoluta Ûber jeder Regel stehe, so daß es fÛr jede Regel eine Ausnahme gebe.30 Dabei ist freilich zu beachten, daß in dieser Konzeption Luthers der Regelbegriff gerade nicht auf Gott selbst bezogen ist, sondern Interpretament des Gesetzes ist. Unsere eigene folgende Explikation des Regelbegriffs schließt sich vor allem der Forschung der analytischen Philosophie und der Rechtstheorie an. Einige der im folgenden vorzunehmenden Distinktionen finden sich bereits bei Antonio Pagliaro, J.D. Mabbot, Max Weber, Czeslaw Znamierowski, Ernst Mally u. a.31 Konzeptionell gilt es dann in besonderer Weise Einsichten von Wittgensteins „Philosophischen Untersuchungen“, von John R. Searle32, sowie der italienischen Rechtstheoretiker Gaetano Carcaterra33, Riccardo Guastini34 sowie vor allem Amado G. Contes aufzunehmen.35 In den Ver×ffentlichungen des letzteren finden sich die klarsten Distinktionen zum Regelbegriff, die leider nicht einheitlich sind. Conte hat die erweiterten Einsichten seiner Forschung immer wieder in seine Terminologie einfließen lassen, so daß sich im Laufe der Zeit seine Terminologie verÅndert und der Distinktionsreichtum deutlich zunimmt. Die im Folgenden vorzunehmende Explikation des Regelbegriffs wird sich dabei vor allem an Searle und Conte orientieren, ohne jedoch deren Terminologie und Distinktionsschemata vollstÅndig zu Ûbernehmen, da fÛr unsere Zwecke einige der dort vorzufindenden Distinktionen ausreichen und an einigen Punkten – auch aus theologisch-sachlichen GrÛnden – Korrekturen anzubringen sind. Interessant ist auch, daß festgehalten werden muß, daß sich bei den genannten Autoren zwar ein Distinktionsreichtum hinsichtlich des Regelbegriffs findet, der Regelbegriff selbst aber nicht definiert wird. Wir werden daher im Folgenden mit einer stipulativen Definition des Regelbegriffs beginnen und dann einige Distinktionen einfÛhren. Aufgrund unseres pragmatischen Zweckes, der Verwendung des Regelbegriffs im Rahmen der Gotteslehre und Soteriologie, bleiben einige Fragen, die hier keine oder nur eine untergeordnete Frage spielen, wie z. B. die Frage nach dem Grund der GÛltigkeit von Regeln, d. h. die Frage nach der RegelautoritÅt, unberÛcksichtigt.

28 29 30 31 32

Vgl. Augustin, De trin, 14,15 CChr.SL 50A. Vgl. Bonaventura, 1. Sent. D. 35, a. un., qu 1, ad 4, Opera omnia 1, 602b. Vgl. Luther, WA 42, 21 und 43, 62. Vgl. Conte, Idealtypen, 244. Hier ist vor allem der klassische Aufsatz Searle, How to Derive ‚Ought‘ from ‚Is‘ zu nen-

nen. 33

Vgl. Carcaterra, Le norme. Vgl. Guastini, Six Concepts. 35 Vgl. exemplarisch Conte, Idealtypen; ders., Variationen; ders., Konstitutive Regeln. FÛr weitere von Conte themenrelevante Literatur vgl. Guastini, Six Concepts, 267. 34

300

Systematische Rekonstruktion

Was ist eine Regel? Eine Regel liegt vor, wenn ein Regelbereich (das Geregelte) A durch einen Regelinhalt B zu einem Regelergebnis C in einer Regelbeziehung R steht, bzw. etwas formaler ausgedrÛckt: Eine Regel ist eine Regelbeziehung R zwischen einem Regelbereich A, einem Regelinhalt B und einem Regelergebnis C. Im folgenden gilt es, die einzelnen Relate und die Relation selbst zu erklÅren. Der Regelbereich A oder das Geregelte und der Applikationsbereich der Regel oder die GegenstÅnde, fÛr die diese Regel gilt. Dabei handelt es sich prÅzise um Klassen von Ereignissen. Es handelt sich um Klassen, weil eine Regel sich auf das Allgemeine bezieht, auf eben gleichf×rmige Ereignisse. Dieser Sachverhalt wird besonders von Wittgenstein hervorgehoben, wenn er bemerkt, daß das Erlernen der Verwendung des Regelbegriffs in Einklang mit der Verwendung des Begriffs „gleich“ geschehe.36 Als philosophische Konsequenz dieser Tatsache ist herauszustellen, daß die Verwendung des Regelbegriffs im Rahmen der Gotteslehre und im Rahmen der Soteriologie und deren HintergrÛnde so die Entscheidung fÛr eine universalienrelevant realistische Position einschließt. Die Verwendung des Regelbegriffs schließt die Option fÛr einen radikalen Nominalismus aus.37 Es handelt sich um Ereignisse im weiten Sinne. Zu diesen geh×ren sowohl Handlungen als auch nicht personale Ereignisse. Ereignisse sind dynamische oder prozessuale Relationen zwischen Relaten. Welthafte Ereignisse haben eine spatiotemporale Struktur, die sowohl die Ereignisse als auch deren Relate identifizierbar erscheinen lassen und auf deren Identifikation schließen lassen. Dabei lÅßt sich zeigen, daß der Begriff raumzeitlicher Lokalisation fÛr den Ereignisbegriff nicht konstitutiv ist, sondern nur die Funktion einer Ordnungsrelation erfÛllt und daher auch durch eine andere relationale Struktur ersetzt werden kann, was in Form der trinitarischen Relationen bei Gott auch der Fall ist. Rein abstrakt betrachtet sind Handlungen eine Teilklasse von Ereignissen, die sich durch Absichtlichkeit38 oder PersonalitÅt39 auszeichnet. Im Rahmen eines christlichen WirklichkeitsverstÅndnisses wird sich jedoch konkret zeigen, daß alle welthaften Ereignisse als Ergebnisse des Handelns Gottes oder der Kooperation Gottes mit geschaffenen EntitÅten, die ebenfalls als Ereignisergebnisse des Handelns Gottes verstanden werden mÛssen, zu verstehen sind, so daß sich in konkreter Weise der Handlungsbegriff dem Ereignisbegriff ontisch vorgÅngig erweist. Der Vorteil der einheitlichen Erfassung durch den Ereignisbegriff ist aber zunÅchst, daß er es erlaubt, sowohl soziale Regeln als auch apersonale RegelmÅßigkeiten unter dem Regelbegriff zu erfassen. Der Regelinhalt B ist eine formlose intensionale Beschreibung, nach welcher ein partikulares Ereignis der Klasse der Ereignisse des Regelbereichs zu folgen hat oder folgt. Mit „formlos“ ist gemeint, daß der Regelinhalt noch keine spezifische Form einer Sprechhandlung bildet, also weder konstativ, noch imperativisch oder sonstwie zu verstehen ist. Z. B. k×nnte „rechts abbiegen“ ein Regelinhalt sein. Dabei ist noch

36 37 38 39

Vgl. Wittgenstein, PU, 225. Vgl. Zum Nominalismusproblem ist immer noch lesenswert StegmÛller, einst und jetzt. Vgl. Runggaldier, Handlungen 88 ff; Schw×bel, God: Action and Revelation, 23–45. Vgl. Runggaldier, Handlungen, 144 ff.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

301

v×llig offen, ob es sich um einen propositionalen Gehalt handelt („Alle Wasserteilchen biegen an dieser Kurve des Flusses rechts ab“), einen hypothetischen Gehalt („Wenn sich Wasser auf dieser Straße befindet, wird es der Rechtskurve folgen und rechts abbiegen“) oder einen deontischen Gehalt (Etwa im Sinne des blauweißen Verkehrsschildes „biege rechts ab!“). Das Regelergebnis C ist eine Instantiation von Klassen von Ereignissen oder Handlungen und zwar exakt eine Instantiation, die der Regelung des Regelbereichs A durch den Regelinhalt B entspricht oder ihm nicht entspricht. In diesem Falle handelt es sich um den KomplementÅrbereich des durch die Regel erfaßten. Auf diese Weise ergeben sich regelgemÅße Ereignisse, regelgemÅßes Verhalten und regelgemÅße Handlungen, bzw. regelwidrige Ereignisse, regelwidriges Verhalten und regelwidriges Handeln. Im Falle von RegelmÅßigkeiten im apersonalen Bereich koinzidieren Regelbereich A und Regelergebnis C stets. Die Regelbeziehung R ist die eigentliche Regelung, bzw. die Form, in der der Regelinhalt erscheint und die vom Regelinhalt begrifflich zu unterscheiden ist. Oftmals ist es diese Regelbeziehung, die mit dem Terminus „Regel“ gemeint ist, so etwa in den schon erwÅhnten Forschungen Searles und Contes (s. o.). Deren Einsichten sind nun in modifizierter Form geltend zu machen: ZunÅchst lassen sich mit Searle, der diese Terminologie von Kant Ûbernimmt,40 konzeptionell aber anders gebraucht, regulative Regeln von konstitutiven Regeln unterscheiden, bzw. genauer regulative Regelbeziehungen von konstitutiven Regelbeziehungen. Regulative Regelbeziehungen regeln dabei Ereignisse, deren Existenz von diesen Regeln selbst unabhÅngig ist. Als Beispiel fÛr solche Regelbeziehungen nennt Searle z. B. Tischsitten, weil die AktivitÅt des Essens von diesen unabhÅngig ist. Konstitutive Regelbeziehungen konstituieren und regulieren Ereignisse, deren Existenz logisch von diesen Regelbeziehungen abhÅngt.41 Als Beispiel fÛr konstitutive Regeln wird in der Philosophie das Standardbeispiel des Schachspiels genannt, da das Schachspiel einschließlich seiner Spielfiguren und des Brettes durch die (meisten42) Schachregeln konstituiert wird und nicht von diesen unabhÅngig ist. Betrachten wir nun die konstitutiven Regelbeziehungen, lassen sich diese weiter in deontisch-konstitutive Regelbeziehungen und thetischkonstitutive (adeontisch-konstitutive) Regelbeziehungen unterteilen.43 Deontisch-

Vgl. Searle, How to Derive ‚Ought‘ from ‚Is‘, 112. Vgl. Searle, How to Derive ‚Ought‘ from ‚Is‘, 112. 42 Diese EinschrÅnkung ist wichtig, weil sich auch hinsichtlich des Schachspiels regulative Regeln denken lassen, etwa partikulare Bestimmungen bei einem Schachturnier, etc. 43 Diese Distinktion findet sich z. B. noch in Conte, Variationen, wird dann in Conte, konstitutive Regeln zugunsten einer Dreiteilung in deontische, thetische und ontologische KonstitutivitÅt aufgegeben. In Conte, Regel IV hingegen wird die thetische und ontologische KonstitutivitÅt unter dem Begriff der adeontischen KonstitutivitÅt zusammengefaßt. Dieses letztere entspricht in etwa unserer Distinktion zwischen deontisch und thetisch, bzw. adeontisch. Wir nehmen diese Modifikation vor, weil sich fÛr unsere Zwecke die Distinktion dessen, was Conte, Konstitutive Regeln, als thetisch und ontologisch benennt, unerheblich erweist und daher der Distinktionsreichtum nicht unpragmatisch komplizierter als n×tig werden soll, und weil andererseits der Terminus ontologische KonstitutivitÅt im Rahmen eines christlichen WirklichkeitsverstÅndnisses nicht im Sinne Contes verwandt werden kann, weil sich letztlich alle Re40 41

302

Systematische Rekonstruktion Regelbeziehung

regulativ

konstitutiv

deontisch

notwendig

thetisch/adeontisch

notwendig & hinreichend h

hinreichend

konstitutive Regelbeziehungen enthalten deontische Bestimmungen wie „sollen“, „mÛssen“, „verboten“, „dÛrfen“, „erlaubt“, etc. und lassen sich z. T. durch die deontische Logik erfassen.44 Deontisch-konstitutive Regelbeziehungen haben die Eigenart, daß sie nicht befolgt werden mÛssen, bzw. gebrochen werden k×nnen. Sie beziehen sich daher auf Handlungen und Verhalten, d. h. auf die soziale Welt. Ein Beispiel fÛr eine deontische Regel wÅre: „Wenn sich der K×nig im Schach befindet, soll er sich aus dem Schach bewegen oder soll gedeckt werden.“ Thetisch-konstitutive Regelbeziehungen oder adeontisch-konstitutive Regelbeziehungen haben keine deontische Form. Sie k×nnen nicht gebrochen werden. Sie beziehen sich auf alle Ereignisse einschließlich Handlungen, d. h. auf die personale (soziale) Welt genauso wie auf die apersonale Welt. Ein Bespiel fÛr eine thetisch-konstitutive Regelbeziehung ist: „Wenn sich ein K×nig nicht dem Schach entziehen kann, ist er schachmatt“. Beide, deontisch-konstitutive Regelbeziehungen als auch thetisch-konstitutive Regelbeziehungen, lassen sich weiter unterscheiden, je nachdem ob sie hinreichend, notwendig, oder hinreichend und notwendig einen Regelbereich mit einem Regelergebnis verbinden.45 Ein Beispiel fÛr eine notwendige Regelbeziehung wÅre wieder „Wenn der K×nig sich im Schach befindet, soll er sich aus dem Schach bewegen oder gedeckt werden“, weil diese Regel allein fÛr das Regelergebnis, d. h. den Verlauf des Spiels nicht hinreichend ist. Der Spieler muß vielmehr seine Figuren bzw. den K×nig nach anderen Regeln regelgemÅß bewegen, um dieser Regel nachkommen zu k×nnen. Ein Beispiel fÛr eine hinreichende Regelbeziehung ist: „GeschÅftsfÅhige sind volljÅhrig“, denn jeder der geschÅftsfÅhig ist, ist auch volljÅhrig. Es handelt sich aber nicht um geln, die im Rahmen der Gotteslehre und Soteriologie sowie deren Vorhaussetzungen gebraucht werden, als ontologisch erweisen. 44 Die deontische Logik wurde vor allem durch Wright, Deontische Logik, vorangetrieben. 45 Auch in der Verwendung dieser Unterscheidung lassen wir uns von Conte anregen. Aber auch hier ist unsere Distinktion nicht mit der Contes identisch. Denn dieser verbindet in Conte, Konstitutive Regeln, eine dreifache Distinktion von thetischen Regeln, deontischen Regeln und alethischen Regeln definitorisch mit hinreichender Bedingung (thetisch), notwendiger Bedingung (deontisch) und hinreichender und notwendiger Bedingung (alethisch). Obwohl diese Unterscheidung intuitiv einleichtend ist, k×nnen wir sie hier nicht verwenden, weil wir im Gegensatz zu Conte mit einer zweifachen Distinktion arbeiten.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

303

eine auch notwendige Bedingung, weil es durchaus VolljÅhrige gibt, die nicht geschÅftsfÅhig sind, etwa EntmÛndigte. Ein Beispiel fÛr eine notwendige und hinreichende Regelbeziehung wÅre: „Personen gelten mit Erreichen des 18. Lebensjahres als VolljÅhrig“, weil jeder der volljÅhrig ist, das 18. Lebensjahr erreicht hat und jeder, der das 18. Lebensjahr erreicht hat, volljÅhrig ist. Das hier verwandte Distinktionsschema lÅßt sich im Schaubild auf dieser Seite zusammenfassen.

Einige formale Bestimmungen und BegriffsklÅrungen k×nnen nun schon vorgenommen werden: Eine Menge von Regeln bildet ein Regelsystem, ein Regelwerk oder eine Ordnung. Regeln k×nnen ferner selbst Gegenstand von Regeln werden, d. h. sowohl der Regelbereich oder das Geregelte A als auch das Regelergebnis C sind dann selbst Regeln oder Regelsysteme. In diesem Falle handelt es sich um rekursive Regeln, die auch ein mehrfach gestuftes Transformationssystem zulassen. In allen diesen FÅllen wÅre die Ordnung, die durch die Regeln gebildet wird, auf mindestens einer ihrer Stufen eine dynamische Ordnung, weil sich die Regeln selbst verÅndern.46 3.1.1.5 Der Regelbegriff im Rahmen der Gotteslehre Wenden wir nun den Regelbegriff, wie er zuletzt entwickelt wurde, auf Gott an, lÅßt sich folgendes sagen: Bei dem Regelbereich handelt es sich um die innertrinitarischen Beziehungen einschließlich deren Relate, die Personen. Dieser Regelbereich ist identisch mit dem Regelergebnis, das ebenfalls die trinitarischen Personen und deren Beziehung ist. Der Regelinhalt ist die g×ttliche Liebe mit ihren Eigenschaften, bzw. Partial- oder Teilrelationen der Treue, des Vertrauens und der Wahrhaftigkeit. Betrachtet man die Regelbeziehung lÅßt sich auf alle FÅlle, die Einsicht Bonaventuras (s. o.) aufnehmend, in moderner Sprachform sagen, daß Gott eine konstitutive Regel ist. Die Regel der Liebe konstituiert die trinitarischen Personen und deren Relation der Liebe zueinander. Da die Regel der Liebe aber nichts von Gott unterschiedenes bezeichnen kann, gilt umgekehrt, daß die trinitarischen Personen und deren liebende Beziehung zueinander ebenso die Regel konstituieren. Es handelt sich um ein wechselseitig konstitutives VerhÅltnis. Daher lÅßt sich auch genauer sagen, daß es sich um eine hinreichende und notwendige Regelbeziehung handelt. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob es sich dabei um eine deontische oder ob es sich um eine thetische Regel handelt. Deontische Regeln k×nnen gebrochen werden und beinhalten daher ein Moment der Freiheit. Ein Moment der Freiheit scheint aber fÛr den Regelinhalt der Liebe unentbehrlich zu sein. Andererseits wÛrde

46 Dieser Charakter der Regel kommt sehr sch×n in dem von Peter Suber entwickelten Spiel „Nomic“ zum Ausdruck, das darin besteht, daß Regeln nach bestimmten Regeln verÅndert werden k×nnen, die ihrerseits wieder verÅndert werden k×nnen. Zu den Spielregeln vgl. Suber, Nomic. Zu den philosophischen Implikationen vgl. Hofstadter, Nomic.

304

Systematische Rekonstruktion

Gott aufh×ren, Gott zu sein, wenn er die Regel brechen wÛrde. MÛßte Gott dann nicht als thetische Regel verstanden werden? Die Frage, ob Gott eine deontische oder eine thetische Regel ist, ist somit nichts anderes als die traditionelle Frage, ob Gott sÛndigen kann, bzw. ob Gott etwas seinem Wesen widersprechendes tun kann, oder, um es mit den Worten I.U. Dalferths zu sagen: Kann denn Liebe SÛnde sein?47 Halten wir uns vor Augen, daß wir hier mit einem Modell arbeiten, mÛssen wir keine Entscheidung treffen, sondern k×nnen auch davon ausgehen, daß es sich um eine neutrale48 Analogie zwischen Regel und Gott handelt. Vielleicht lÅßt sich die Analogie aber in gewagter Weise doch aufl×sen: Gehen wir davon aus, daß es sich um eine deontische Regel handelt, bleibt der Freiheitscharakter der Liebe erhalten und damit auch die sinnvolle Nutzung der Begriffe Treue, Vertrauen, Wahrhaftigkeit und Hingabe. Als perfekte Hingabe, als perfekte Wahrhaftigkeit, als perfektes Vertrauen und als perfekte Treue wird die Regel der Liebe aber faktisch einfach nicht gebrochen werden, obwohl es nicht unm×glich ist. Dies bedeutet, daß Gott, bzw. die g×ttlichen Personen die theoretische Freiheit zum Selbstmord hÅtten. Oder anders ausgedrÛckt: Gott in sich selbst ist kein notwendiges Sein. Da Gott aber im VerhÅltnis zur Welt als notwendiges Sein derart zu charakterisieren ist, daß Gottes Welthandeln49 hinreichende Bedingung fÛr die Existenz welthaften Seins ist und notwendige Bedingung jeglicher welthafter Ereignishaftigkeit,50 Gottes Welthandeln aber von Gottes immanentem Handeln, das mit Gottes Sein identisch ist, abhÅngig ist, k×nnen wir aus der Existenz der Welt schließen, daß diese M×glichkeit eine abstrakte, nicht aktualisierte M×glichkeit ist. Eine Regelverletzung Gottes wÛrde unweigerlich die Nichtexistenz der Welt bedeuten. 3.1.1.6 Die Eigenschaften Gottes Unter Eigenschaften Gottes sollen hier Wesenseigenschaften verstanden werden, d. h. Eigenschaften, die Gott nicht nicht zukommen k×nnen. Es wird sich dabei um Eigenschaften handeln, die sich aus Gottes Wesen als spezifisch geregelter Interaktion, nÅmlich aus Gottes Wesen als Liebe, ergeben. Diese Eigenschaften sind zu großen Teilen bereits genannt; es handelt sich um perfekte Hingabe, perfekte Treue und perfektes Vertrauen sowie um perfekte Wahrhaftigkeit. Aus dem Begriff dieser perfekten Liebe, die als

Vgl. zu diesem Problem die instruktive Analyse von Dalferth, Gott und SÛnde. Vgl. Hesse, Models, 9 f. 49 Mit „Welthandeln“ ist hier immer, anders als in Ratschow, Der angefochtene Glaube, 233 ff, Gottes gesamtes Handeln an und in der Welt im Gegensatz zu Gottes innertrinitarischem Handeln gemeint. 50 Vgl. W×lfel, Welt als Sch×pfung, 20–35. 47 48

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

305

deontische Regel identifiziert wurde, ergibt sich ferner Gottes Freiheit, die aber nicht die Freiheit einer potentia absoluta ist. Der Begriff der potentia absoluta ist, wenn er sich auch darauf bezieht, das logisch Unm×gliche verwirklichen zu k×nnen, ein selbstwidersprÛchlicher und daher sinnloser Begriff. Bezieht er sich nur darauf, das logisch M×gliche, aber dem Wesen Gottes als regulierter Liebe widersprechendes aktualisieren zu k×nnen, handelt es sich um einen abstrakten und daher ebenfalls abzulehnenden Begriff. Es ist zwar nicht so, daß Gott das nicht k×nnte, aber es ist so, daß Gott dies nicht aktualisiert. Aufgrund der IdentitÅt von Regelbereich, Regelinhalt, Regelergebnis und Regelbeziehung in Gott kann ferner mit Bonaventura Gott die Eigenschaft der Irrtumslosigkeit logisch zugesprochen werden. Aus dem Charakter der Liebe als geregelter Liebe ergibt sich die Eigenschaft der VerlÅßlichkeit, die traditionell mit dem Begriff von Gottes Gerechtigkeit wiederzugeben ist. Aus dem Begriff der Liebe als Interaktion ergibt sich ferner der Begriff der Macht Gottes, die als HandlungsfÅhigkeit der g×ttlichen Personen zu verstehen ist. Aus dieser HandlungsfÅhigkeit ergeben sich weiterhin die Eigenschaften der Absichtlichkeit und der Selbstbewußtheit der trinitarischen Personen. Spannender als die Frage, welche Eigenschaften Gott zuzusprechen sind, ist die Frage, welche Eigenschaften Gott nicht zuzusprechen sind, zumindest nicht als Wesenseigenschaften im hier gebrauchten Sinne. Hier gilt es, die Einsicht von Gottfried Thomasius51 mit Entschiedenheit aufzunehmen, daß die klassischen Eigenschaften der Allmacht, der Allwissenheit und der Allgegenwart keine Wesenseigenschaften Gottes sind, weil sie sich auf die Relation Gottes zur Welt beziehen, die Welt aber als Gesch×pf nicht zum Wesen Gottes geh×rt und daher Gott auch zu denken wÅre etsi mundus non daretur. Ist diese Einsicht richtig, handelt es sich bei Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart nicht um Wesenseigenschaften, die Gott unm×glich nicht zukommen k×nnen. Diese Eigenschaften sind dann konsequenterweise auch nicht im Rahmen der Gotteslehre zu besprechen, sondern im Rahmen der Besprechung des Welt-Gott-VerhÅltnisses, d. h. in allen anderen Teilen der Dogmatik. 3.1.2 Gottes kosmische, soziale und personale Sch×pfung als Regel der Liebe Wir modellieren nun die Sch×pfung als Regelwerk oder Ordnung. Dabei nehmen wir an, daß Gott aus der Liebe, die er selbst ist, in Liebe ex nihilo , d. h. in keinen welthaften Voraussetzungen verankert, anderes Sein sein lÅßt

51

Vgl. Thomasius, Christi Person und Werk, Bd. 1, 47–54.

306

Systematische Rekonstruktion

und dieses nach unterschiedlichen Arten von Regeln oder Regelsystemen ordnet. Dabei sind die Regeln der Sch×pfung nicht identisch mit der Regel der Liebe, die Gott selbst ist, aber es ist zu erwarten, daß die gesch×pflichen Regeln der Regel Gottes entsprechen. Daher ist auch das gesch×pfliche Regelwerk als Ganzes als Ordnung der Liebe zu verstehen. Zu nennen sind hier kosmische RegelmÅßigkeiten, soziale und personale thetische Regeln und soziale und personale deontische Regeln. Die folgenden Explikationen k×nnen als Reformulierung des klassischen Gedankens der lex naturalis bzw. der Sch×pfungsordnung verstanden werden. Die Entscheidung, auch die geschaffene Welt mit dem Regelbegriff zu erfassen, bedeutet letztlich auch hier die Entscheidung fÛr eine universalienrelevant realistische Position. 3.1.2.1 Thetisch-konstitutive personale gesch×pfliche Regeln der Liebe Wenn Gott sich zu einer Sch×pfung aus Liebe entschlossen hat, die seiner eigenen Liebe entsprechen soll, bedeutet dies, daß Gott beabsichtigt, liebesfÅhige und durch Liebesbeziehungen konstituierte Gesch×pfe, d. h. Personen hervorzubringen und dafÛr die notwendigen Bedingungen bereitstellt. Dieses dauerhafte Sch×pfungshandeln Gottes kann als die Setzung von thetisch-konstitutiven Regeln verstanden werden, die von den Gesch×pfen, weil es sich um thetisch-konstitutive Regeln handelt, nicht verletzt werden k×nnen. Es handelt sich um personale Regeln, weil der Regelbereich letztlich zum Wohl gesch×pflicher Personen besteht. Dieses Handeln Gottes ist mit der Regel der Liebe, die Gott selbst ist, durch die Treue Gottes zu sich selbst, also durch die Wahrhaftigkeit der g×ttlichen Personen verbunden. Dies bedeutet auch, daß Gottes regelsetzendes Welthandeln selbst regelgerecht ist, weil es ansonsten einen Selbstwiderspruch Gottes bedeuten wÛrde. FÛr die Gesch×pfe bedeutet dies eine radikale Asymmetrie in ihrem VerhÅltnis zu Gott, nÅmlich dergestalt, daß die Konstitutionsbedingungen ihres eigenen Daseins, ihrer Existenz, diesen nicht vollstÅndig Ûberlassen sind, sondern zu einem großen Teil unverfÛgbar sind. Oder konkret: Auch die Menschen als personale Gesch×pfe haben nicht die vollstÅndige FÅhigkeit, ihre Konstitutionsbedingungen aufzuheben, selbst nicht im Widerspruch der SÛnde. Um es mit den Worten Luthers zu sagen: „Wo also und mit wem Gott auch immer spricht, sei es in Zorn, sei es in Gnade, derjenige ist gewiß unsterblich.“52

Dieses thetisch-konstitutive Regelsetzen Gottes zerfÅllt nun in zwei Bereiche: zum einen in den Bereich der thetisch-konstitutiven kosmischen Re-

52 WA 43, 481,32 f: „Ubi igitur et cum quocumque loquitur Deus, sive in ira, sive in gratia loquitur, is certo est immortalis “.

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gelmÅßigkeiten der Liebe und zum anderen in den Bereich der Setzung deontisch-konstitutiver Regeln der Liebe. Diese beiden Bereiche gilt es nun zu betrachten. 3.1.2.2 Thetisch-konstitutive kosmische RegelmÅßigkeiten der Liebe Unter den Regelbereich und entsprechend dann auch unter das Regelergebnis fÅllt hier die gesamte apersonale und nichtsoziale geschaffene Welt. Regelergebnis und Regelbereich koinzidieren hier, d. h. es handelt sich um thetische, d. h. nicht-deontische RegelmÅßigkeiten. Der Vorteil gegenÛber dem nicht ganz unproblematischen Begriff des Naturgesetzes besteht darin, daß der Regelbegriff es leichter erlaubt, von einer Ordnung auszugehen, die durchaus dynamisch ist. Der Regelinhalt der natÛrlichen RegelmÅßigkeiten soll mit Liebe benannt werden. Damit ist eine weitaus stÅrkere These verbunden als die bloße Feststellung, daß das Handeln Gottes und damit die Regelsetzung als Liebe zu beschreiben ist. Dies gilt es nun zu zeigen. Zum einen setzt Liebe voraus, daß Beziehungshaftigkeit und AlteritÅt nicht nebensÅchlich sind, sondern zum Sein der Personen dazugeh×ren. Dies bedeutet nicht, daß die gesamte Sch×pfung als eine Relation verstanden werden muß, so daß alle Relationen interne Relationen wÅren53, sondern daß es sowohl interne als auch externe Relationen zwischen den Gesch×pfen gibt, die nach den natÛrlichen RegelmÅßigkeiten als Ergebnis des regelhaften Handelns Gottes verstanden werden k×nnen. Der Liebesbegriff beinhaltet zweitens, daß das Regelsystem Freiheit erm×glicht oder zulÅßt. Im Falle der apersonalen Kreatur ist hier freilich eine Modifikation vorzunehmen, da der Freiheitsbegriff IntentionalitÅt impliziert, die per definitionem Kennzeichen der personalen Kreatur ist und daher dem apersonalen Regelsystem gerade nicht zuzusprechen ist. Hier k×nnen wir aber in Analogie zur Freiheit mit Colin Gunton von Kontingenz sprechen.54 Die natÛrliche Ordnung beinhaltet Kontingenz, die als Vorstufe von Freiheit zu verstehen ist. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen des Liebesbegriffs ist mit dem Begriff der Hingabe zu benennen und besteht darin, daß ein Liebender das Gut des anderen will, bzw. sich selbst dem Geliebten als Mittel anbietet. Nun ist klar, daß mit dem fehlenden IntentionalitÅtsbegriff diese Analogie nicht vollstÅndig erhalten bleiben kann. Die spannendere Frage ist allerdings, ob sie Ûberhaupt erhalten werden kann. WÅhrend sich die Beziehungshaftigkeit gesch×pflichen Seins kaum leugnen lÅßt und breit anerkannt wird, ist hier doch zunÅchst zuzugeben, daß diese Beziehungshaftigkeit in der Neuzeit

53 Zur Debatte um den von Bertrand Russel gegen den hegelianischen Gedanken, daß alle Relationen interne Relationen seien, geltend gemachten Sachverhalt vgl. MÛhling, Gott ist Liebe, 46–48. 54 Vgl. Gunton, Relation and Relativity, bes. 152 ff.

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sehr oft gerade nicht mit dem Liebesmodell erfaßt wird, sondern eher mit dem Modell des Raubes, so als bestÛnde gerade in der apersonalen Welt die Regel des „Fressens-und-Gefressen-Werdens“, das gerade mit Leid und Zwang verbunden ist.55 Nun hat aber gerade Martin Luther den Mut besessen, diese natÛrliche Beziehungshaftigkeit als Regelsystem oder Ordnung der Liebe zu bestimmen: „Keine Kreatur lebt fÛr sich selbst oder dient sich selbst (außer der Mensch und der Teufel). Die Sonne leuchtet nicht fÛr sich, Wasser fließt nicht fÛr sich, usw. So dient jede Kreatur dem Regelwerk der Liebe und ihr ganzes Wesen ist im Regelwerk des Herrn konstituiert; sogar die Glieder des menschlichen K×rpers dienen sich nicht selbst“.56

Luther beschreibt hier die Beziehungshaftigkeit des Daseins der Kreaturen untereinander nicht mit der QualitÅt des Lebens auf Kosten anderer, sondern als Sein fÛr anderes Sein. Das natÛrliche Regelsystem ist im apersonalen Bereich eine Wohlordnung des Daseins von Seiendem fÛr anderes Seiende. Freilich ergibt sich auch hier eine phÅnomenale Anfrage: Auch Beutetiere haben Leid zu ertragen und geben sich nicht ohne weiteres bereitwillig den JÅgern hin, sondern weisen in der Regel ein Fluchtverhalten auf. Wir k×nnen dieser Schwierigkeit aber entgegnen, indem wir diese apersonale kreatÛrliche Liebesordnung als dynamisches Regelwerk verstehen, das noch nicht vollendet ist, sondern erst seiner Vollendung bedarf. Dann stellt sich aber die Frage, warum diese Ordnung nicht sofort vollendet ist. Eine klassische biblische Antwort auf diese Frage findet sich bei Paulus: Das Leiden der apersonalen Kreatur ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern letztlich um der personalen Kreatur willen und es wird durch den Heiligen Geist Ûberwunden werden, nÅmlich dann, wenn die „Kinder Gottes offenbar werden“.57 Ein großer Teil der Auslegung versteht diesen Sachverhalt so, daß Paulus hier bewußt auf Gen 3,15 f anspielt und das Leiden der Kreatur um der SÛnde der Menschen willen besteht.58 Damit steht diese Auslegung in der breiten christlichen und paulinischen Tradition, die auch den natÛrlichen Tod als „Sold der SÛnde“ begreift. Aufgrund unserer Welterkenntnis ist diese Auslegung aber kaum m×glich, denn es lÅßt sich nicht leugnen, daß auch vor und ohne den Menschen in der apersonalen Kreatur Leiden und Tod besteht und dieser u. U. sogar eine wichtige evolutive Funktion er55 Zu diesem vor allem mit der Lebensphilosophie Nietzsches verbundenen Modell vgl. Welker, Konzepte von Leben. 56 WA 5, 38: „Nulla creatura sibi vivit aut servit (praeter hominem et diabolum). Sol non sibi luvet, aqua non sibi fluit etc. Ita omnis creatura servat legem caritatis, et tota substantia sua est in lege domini; set et humani corporis membra non sibi ipsis serviunt “. Vgl. auch WA 36, 428 f; WA 40II, 79, 27 f; BSLK 648, 12–32. 57 Vgl. R×m 8, 18–25 58 Vgl. Wilckens, U., Der Brief an die R×mer, EKK VI/2, ZÛrich u. a. 1980, 154 f.

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fÛllt.59 Aber diese Deutung ist keinesfalls notwendig. Denn betrachtet man R×m. 8, 18–25 genauer, erweist sich, daß hier von der SÛnde Ûberhaupt nicht die Rede ist. Das Leiden der apersonalen Kreatur erfÛllt eine Funktion fÛr die personale Kreatur und wird Ûberwunden werden. Dies ist zunÅchst alles. Wir werden nun versuchen, eine konzeptionelle Antwort auf die Frage zu finden, warum die apersonale RegelmÅßigkeit der Liebe gerade nicht sofort vollendet ist, oder konkret, warum Leiden und Tod n×tig sind, und zwar ohne diese als SÛndenfolge charakterisieren zu mÛssen. Hierauf eine Antwort zu geben bedeutet aber, eine Funktion der Unvollendetheit der kosmischen RegelmÅßigkeiten fÛr die personalen und sozialen Regelsysteme angeben zu k×nnen. Bevor dies m×glich ist, ist daher zunÅchst dieses personale und soziale Regelsystem zu beschreiben. Und daher haben wir uns nun zunÅchst diesem Bereich zuzuwenden. 3.1.2.3 Deontisch-konstitutive Regeln gesch×pflicher Liebe Zielt Gottes Sch×pfungsabsicht auf das Hervorbringen einer gesch×pflichen Liebe, die seiner Liebe entspricht, zielt es auf das Hervorbringen personaler Gesch×pfe und das heißt auf die Setzung deontisch-konstitutiver Regeln der Liebe. Bedingt durch die Sch×pfer-Gesch×pf Distinktion und durch die Vielheit der Gesch×pfe in der konstitutiven RelationalitÅt ihres Seins ist hier der Regelinhalt zweifach zu verstehen: Zum einen ist in Relation zum Sch×pfer der Regelinhalt in christlicher Tradition mit Liebe zu Gott, d. h. mit einem filialen asymmetrischen aber dennoch reziproken LiebesverhÅltnis filialer Liebe zu benennen und zum anderen zwischen den personalen Gesch×pfen untereinander mit dem Regelinhalt der NÅchstenliebe, d. h. der Forderung nach geschwisterlichen LiebesverhÅltnissen. Das Doppelgebot der Liebe bildet daher den Regelinhalt. Es ist selbst Regelergebnis von Gottes thetisch-konstitutiven regelgerechtem sch×pferischen Liebeshandeln und insofern fÛr die personalen Gesch×pfe nicht aufhebbar. Das Doppelgebot der Liebe kann somit als Teil der lex naturalis aufgefaßt werden. Der Regelinhalt ist also paradigmatische, filiale Liebe im VerhÅltnis zu Gott (d. h. aus der Sicht des Menschen unbedingtes, existenzbestimmendes Vertrauen) und geschwisterliche Liebe der Gesch×pfe untereinander. Diese Liebesbeziehungen sind zwar auch als Interaktion zu verstehen, aber es handelt sich dabei um eine Interaktion, in die die interne Struktur menschlich-personaler IntentionalitÅt in einer besonderen Weise involviert ist. Diese interne Struktur menschlicher IntentionalitÅt beschreiben wir hier, wie

59 Auf die UnabhÅngigkeit der ºbel einschließlich des Todes wies vehement schon Schleiermacher, CG2, Bd. 1, §76,2, 416 f und Ritschl (s. o.) hin. Eine ausgezeichnete Er×rterung der Thematik findet sich in Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 303–314, bes. 310.

310

Systematische Rekonstruktion

externe ereignishafte Relate

voluntatives Vermögen

intellektives Vermögen

externe ereignishafte Relate

affektives Vermögen

externe ereignishafte Relate

es schon im Mittelalter bei Richard von St. Viktor geschieht,60 in einer trichotomischen Weise als interne spezifisch gerichtete Relationen des voluntativen Verm×gens, des intellektiven Verm×gens und des affektiven Verm×gens. Dabei ist der Wille extern in der intentionalen Relation der Absichtlichkeit auf externe Ereignisse gerichtet, die im Falle der Realisation von Handlungen zu aktiv realen Relationen werden. Intern besteht jedoch die interne Relation einer partiellen AbhÅngigkeit des Willens vom affektiven Verm×gen. Das affektive Verm×gen ist am besten so zu beschreiben, daß es sich ebenfalls um eine intentional auf GegenstÅnde gerichtete Relation handelt, die in der AffektivitÅt unter der Disjunktion von Lust und Unlust steht. Solche intentional auf externe Relate gerichteten Relationen, wie zum Bsp. GefÛhle des Verlangens, k×nnen sich jedoch (mit der Ausnahme von Reiz-Reaktionsmechanismen), nicht direkt in aktive reale Beziehungen umwandeln, sondern diese Umwandlung geschieht dadurch, daß der Wille von der AffektivitÅt in Anspruch genommen wird. Hingegen entstehen die affektiven intentionalen Relationen auf externe GegenstÅnde nicht einfach spontan, sondern stehen ihrerseits in einer doppelten AbhÅngigkeitsbeziehung. Zum einen ist hier eine unmittelbar und passiv auf die AffektivitÅt gerichtete Relation von externen Relaten zu benennen. Diese regen intentionale affektive TÅtigkeit unmittelbar an. Dies gilt fÛr alle GegenstÅnde, die die Triebhaftigkeit des Menschen anregen, so wie ein Duft warmen Essens im BedÛrfnisfalle des Hungers unmittelbar das von einer lustvollen Empfindung begleitete GefÛhl des Appetits nach dieser Speise ausl×st. Zum ande60

Vgl. Richard von St. Viktor, VC, Kap. 13, 30 f.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

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ren, und weitaus wichtiger, ist hier aber die interne AbhÅngigkeit des affektiven Verm×gens vom intellektiven Verm×gen zu nennen. Das intellektive Verm×gen, womit in nicht rationalistischer Weise FÅhigkeiten gemeint sind, die etwas als etwas verstehbar erscheinen lassen, steht seinerseits in einer passiven realen Relation zu externen Relaten (Erfahrung) und in einer intentionalen Relation zu externen Relaten, die sich z. B. in spezifisch gelenkter Aufmerksamkeit Åußert. Die weitaus meisten Sachverhalte und Ereignisse wirken so nicht unmittelbar auf die AffektivitÅt ein, sondern die Triebstruktur ist durch die bewußt oder unbewußt intentionale TÅtigkeit des intellektiven Verm×gens unterbrochen. Wenn jemand z. B. inmitten eines Waldes ein Unwohlsein verspÛrt, das seinen Willen zur Absicht des Verlassens des Waldes anregt, so wirkt hier das Vorhandensein des Waldes nicht unmittelbar auf die AffektivitÅt, sondern diese wird erst durch die Integration des Waldes in die Lebenserfahrung des spezifischen Menschen mittels des intellektiven Verm×gens, das sich damit als nicht unbedingt explizit erweist, bewirkt. Diese beschriebenen AbhÅngigkeitsverhÅltnisse zwischen den drei intentionalen FÅhigkeiten des Menschen sind nicht die einzigen und vielleicht nicht die wichtigsten, aber es handelt sich um solche, die sich fÛr unser soteriologisches Modell als entscheidend erweisen werden. WÅhrend reformatorisch die AbhÅngigkeit des Willens vom affektiven Verm×gen eine Standarderkenntnis darstellen dÛrfte, wird auf die AbhÅngigkeit des Affekts vom intellektiven Verm×gen weniger deutlich hingewiesen, was z. T. zu soteriologischen Unterbestimmungen gefÛhrt haben dÛrfte. Der VollstÅndigkeit halber sind auch die anderen Wechselbeziehungen zu nennen: Z. T. besteht auch eine intentionale AbhÅngigkeit des Affekts vom Willen, nÅmlich immer dann, wenn sich ein Mensch absichtlich externen Relaten entzieht, von denen er kraft der durch das intellektive Verm×gen vermittelten Impulsen erwarten kann, daß sie mit bestimmten (i.d.R. mit Unlustempfindungen hervorrufenden) Affekten verbunden sein k×nnten. Hier wirkt also der Wille Ûber das intellektive Verm×gen auf das affektive Verm×gen ein. Ebenso gibt es eine direkte intentionale Verbindung des intellektiven Verm×gens auf den Willen, nÅmlich immer dann, wenn es zu absichtlichen Handlungen kommt, die der Affektsteuerung zuwiderlaufen. Ob es auch eine direkte Beeinflussung des Affektes durch den Willen oder eine direkte Beeinflussung des Intellekts durch das affektive Verm×gen gibt, muß hier offen bleiben. Diese AbhÅngigkeiten k×nnen durch nebenstehendes Schaubild verdeutlicht werden.61 Wichtig fÛr den Regelinhalt sozialer Regeln ist nun, daß die meisten sozialen Regeln einen Regelinhalt besitzen, der Verhalten und Handlungen, nicht aber die interne Struktur menschlicher IntentionalitÅt regeln soll. Das

61

Dabei sind reale Relationen fett, intentionale Relationen normal gedruckt.

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Systematische Rekonstruktion

fÛhrt dazu, daß diese Regeln, etwa Verkehrsregeln, wenn sie einmal bekannt sind, die Relation betreffen, die unmittelbar vom intellektiven Verm×gen zum voluntativen Verm×gen besteht: Verkehrsregeln sollen auch dann eingehalten werden, wenn die Einhaltung Unlust erwarten lÅsst. Interessanterweise erreichen viele soziale Regeln dieses ºbergehen der AffektivitÅt durch eine kontrÅre Nutzung der AffektivitÅt, nÅmlich dadurch, daß mit der Nichteinhaltung der Regel eine andere Regel verknÛpft ist, die durch Zwang ein gr×ßeres UnlustgefÛhl verspricht. Die Doppelregel der Liebe geh×rt nicht zu diesen Regeln, weil deren Regelinhalt nicht nur reale Interaktionsrelationen beinhaltet, sondern gleichursprÛnglich sich auf die intentionalen FÅhigkeiten dergestalt bezieht, daß der Regelinhalt nur dann eingehalten ist, wenn die Willensmotivation unter expliziter Einbeziehung des affektiven Verm×gens dergestalt geschieht, daß der Wille durch eine Lustempfindung motiviert ist: Ziel ist „Lust und Liebe“ zu Gottes Geboten.62 Dies hat sofort zwei Konsequenzen: Zum einen kann die Nichteinhaltung nicht mit einer anderen sozialen Regel verknÛpft sein, die durch Zwang eine Unlustempfindung verspricht. Zum anderen reicht die einmalige Kenntnis der Doppelregel der Liebe nicht aus, weil die AffektivitÅt durch die passiven Relationen direkt (Trieb) oder indirekt durch die reale Erfahrung des intellektiven Verm×gens von externen Relaten abhÅngig ist. Alles in allem bedeutet dies, daß mit der Einbeziehung des affektiven Verm×gens in den Regelinhalt gleichursprÛnglich auch die passive, je und je aktuale und reale Gerichtetheit des Menschen von externen Relaten (Ereignissen) erscheint. Bei der Doppelregel der Liebe handelt es sich um eine deontische Regel, d. h. sie beinhaltet nicht nur Kontingenz, sondern auch Freiheit, und zwar in einem doppelten Sinne. Zum einen schließt diese Freiheit SpontaneitÅt und AffektivitÅt ein, zum anderen auch Wahlfreiheit in einem spezifischen Sinne, wie noch zu sehen sein wird. ZunÅchst gilt es festzuhalten, daß die Regel der Liebe fÛr die personalen Gesch×pfe zwar nicht aufhebbar, aber verletzbar ist. WÅre die Regel der Liebe nicht verletzbar, wÅre es eben keine Liebe. Nun kann gefragt werden, welche Bedingungen logisch m×glich sein mÛssen, damit diese Verletzbarkeit der Liebesregel und damit deren deontischer Charakter gegeben sein k×nnen. Wir verknÛpfen die Beantwortung dieser Frage mit der Beantwortung der Frage nach der Unvollendetheit der kosmischen RegelmÅßigkeiten, indem wir folgende These aufstellen: Die Unvollendetheit der kosmischen RegelmÅßigkeiten ist notwendige Bedingung fÛr den deontischen Charakter der Doppelregel gesch×pflicher Liebe. Diese These lÅßt sich nicht vollstÅndig beweisen, aber fÛr ihre PlausibilitÅt kann durch ein Gedankenexperiment geworben werden: Das kosmische Regelsystem beinhaltet Kontingenz, Leiden und Tod. Kontingenz bedeutet

62

Vgl. Luther, BSLK 661, 36; WA 5, 18–20 u. a.

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fÛr empfindungsfÅhige Gesch×pfe notwendigerweise auch die Distinktion von Lust und Leiden. Stellen wir uns nun eine natÛrliche Welt vor, in der es keine Kontingenz, kein Leiden und keinen Tod gÅbe. K×nnten in einer solchen Welt einige der Gesch×pfe als personale Gesch×pfe verstanden werden, die die Regel der Liebe auch Ûbertreten k×nnten? Mir scheint die plausibelste Antwort eine negative Antwort zu sein: In einem kosmischen Regelzusammenhang ohne Kontingenz und ohne Leid k×nnten sich keine Gesch×pfe ausbilden, die die M×glichkeit hÅtten, nicht zu lieben. Diese Gesch×pfe wÅren konstitutiv in einen kosmischen Regel(mÅßigkeits)zusammenhang eingebunden, in dem sie immer nur Gutes erfahren wÛrden und hÅtten auf diese Weise gar keine Vorstellung, keinen Begriff einer negativen Wahl. Der Begriff einer solchen Wahlm×glichkeit oder einer solchen Freiheit, wÅre damit ein leerer, wenn nicht sogar selbstwidersprÛchlicher Begriff und damit ebenso das VerstÅndnis von Liebe; es k×nnte die gebrochene Analogie der Liebe im kosmischen Bereich nicht Ûbersteigen. Die Doppelregel der Liebe ist aber nicht nur als deontische Regel zu verstehen, sondern auch als konstitutive Regel und nicht nur als regulative Regel. WÅre sie nur eine regulative Regel, wÅre sie nicht konstitutiv fÛr das Sein der personalen Gesch×pfe. Ist sie nicht konstitutiv fÛr das Sein der Gesch×pfe, wÛrde Gottes Sch×pferabsicht, eine gesch×pfliche Liebe in Entsprechung seiner eigenen Liebe hervorzubringen, nicht gegeben und damit wÅre letztlich ein Selbstwiderspruch Gottes angenommen: Zwar hat Gott die Freiheit, eine Sch×pfung hervorzubringen oder nicht hervorzubringen, gerade weil Gott selbst in sich Liebe ist. Mit der Wahl einer Sch×pfung in Entsprechung zu seiner eigenen Liebe muß die deontische Regel gesch×pflicher Liebe aber gerade ebenfalls als konstitutiv fÛr diese Gesch×pfe verstanden werden. Dieser konstitutive Charakter der Regel der Liebe personaler Gesch×pfe fÛr diese selbst hat freilich nur den Charakter einer notwendigen Bedingung, der erst hinreichend unter Einschluß des zu differenzierenden Handelns Gottes ist. Dennoch handelt es sich um einen fÛr das Sein der Gesch×pfe konstitutiven Charakter und dies hat drei nicht unerhebliche Implikationen: Zum einen ist gegen eine breite Tradition christlicher Theologie standhaft daran festzuhalten, daß sich nicht nur bei Gott Handeln und Sein nicht scheiden lassen, sondern daß dies aufgrund der KonstitutivitÅt der Doppelregel der Liebe auch fÛr die gesch×pflichen Personen gilt. Um es noch deutlicher zu formulieren: Das Handeln von gesch×pflichen Personen lÅßt sich nicht von deren Sein und deren IdentitÅt trennen. Der Mensch ist, was er tut. Dies gilt zunÅchst auch fÛr die Perspektive Gottes. Um den vielleicht schon aufgebrachten Leser zu beruhigen, ist darauf hinzuweisen, daß dies nicht das letzte Wort in dieser Hinsicht sein wird und daß unter soteriologischem Gesichtspunkt hierzu noch etwas zu sagen sein wird. ZunÅchst gilt es aber, den fundamentalanthropologischen Vorteil dieses Sachverhaltes

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Systematische Rekonstruktion

festzuhalten: Soweit es sich bei den personalen Gesch×pfen um Menschen handelt, erweist sich in diesem Sachverhalt die theologische Anthropologie als anschlußfÅhig an Anthropologien wie sie aus der Sozialpsychologie George Herbert Meads und dem symbolischen Interaktionismus Erving Goffmans und T. Shibutanis bekannt sind. Wir k×nnen hier auf diese Theorien nicht weiter eingehen und mÛssen zu deren Vorstellung auf externe Literatur verweisen,63 k×nnen aber auf einige Implikationen hinweisen: Das Selbst von Menschen bildet sich in interaktionellen ZusammenhÅngen und hinter den unterschiedlichen Rollen von Personen gibt es keine verborgene Personsubstanz. Konkret k×nnen wir sagen: Das Selbst bildet sich in seiner IdentitÅt durch die in interaktionellen ZusammenhÅngen gestellten IdentitÅtsansprÛche und -zuschreibungen von Personen sowie deren Akzeptanz und ZurÛckweisung. Die zweite Implikation besteht darin, daß SozialitÅt und PersonalitÅt als wechselseitig konstitutiv oder feldkonstitutiv verstanden werden mÛssen. Dies ist letztlich nichts anderes als die positive Reformulierung des klassischen Begriffs der Menschheit als Organismus, wie er uns im analytischenhistorischen Teil mannigfach begegnete (s. o.), bzw. auch der Menschheit als (gesch×pflicher) Liebe. Personen sind keine einsamen Individuen, sondern so wie sich Handlungen nicht vom Sein der Personen trennen lassen, sind die gesch×pflichen Personen, konkret die Menschen, auch einander wechselseitig konstitutiv. Da dies eine Implikation der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe ist, bedeutet dies auch zugleich: Handlungen partikularer Personen sind nicht radikal privatisierbar. Und dies bedeutet auch: Verantwortung und daher auch Schuld sind keine individuellen PhÅnomene oder unÛbertragbar, sondern Schuld ist sehr wohl Ûbertragbar, doch dazu mehr im Bereich der Explikation der SÛnde. Noch weit signifikanter ist die dritte Implikation. Dabei handelt es sich um eine Implikation, die sich aus der Verwendung des Regelmodells als ganzem ergibt. John Searle weist darauf hin, daß es unterschiedliche Arten von Fakten gibt und daß die klassische Argumentation des naturalistischen Fehlschlusses nicht fÛr institutionelle Fakten gelte. Institutionelle Fakten werden durch ein System konstitutiver Regeln gebildet. Einige dieser konstitutiven Regeln beinhalten Gebote, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten. Daher kann innerhalb dieses Bereiches ein „sollen“ direkt formal logisch aus einem „ist’“ erschlossen werden.64

63 Vgl. Mead, Mind, Self and Society, 135–226; Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 465 f; ders., Anthropologie, 151–235; ders., Person und Subjekt, in ders., Grundfragen, Bd. 2, 80–95; Diekmann, PersonalitÅt, 66–104; Rohls, Person; Goffman, Stigma, bes. 9 ff und 67 ff; Vate, Romantic Love; MÛhling, Gott ist Liebe, 269–293; Volkmann, Zorn Gottes, 30–34; Vgl. Shibutani, Tamotsu, Reference Groups; ders., Human Agency. 64 Vgl. Searle, How to derive ‚Ought‘ from ‚Is‘, 113 f.

Die HintergrÛnde der Zurechtbringung

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Als Beispiel fÛhrt Searle den folgenden Schluß an:65 (1) Jones Åußert die Worte: ‚Hiermit verspreche ich Dir, Smith, fÛnf Dollar zu zahlen‘. (1a) Unter bestimmten Bedingungen B gilt, daß jeder, der den Satz ‚Hiermit verspreche ich Dir, Smith, fÛnf Dollar zu zahlen‘ Åußert, Smith verspricht, fÛnf Dollar zu zahlen. (1b) Diese Bedingungen B treffen zu. (2) Jones verspricht Smith, ihm fÛnf Dollar zu zahlen. (3) Jones setzt sich selbst unter die Verpflichtung, Smith fÛnf Dollar zu zahlen. (3a) Jeder, der sich selbst einer Verpflichtung unterzieht, steht unter dieser Verpflichtung, vorausgesetzt, daß andere Sachverhalte nicht zutreffen. (3b) Andere Sachverhalte treffen nicht zu. (4) Jones steht unter der Obligation, Smith fÛnf Dollar zu zahlen. (5) Jones soll Smith fÛnf Dollar zahlen. Dieser Schluß ist formal korrekt. Erst in der letzten conclusio (5) erscheint ein „sollen“, zuvor handelt es sich ausschließlich um „ist“-Aussagen. Um Searles Argumentation hat sich nun eine breite Debatte entsponnen. Am gewichtigsten ist der Einwand von Hare,66 daß Searles Argumentation letztlich von der Akzeptanz der Institutionen und deren konstitutiven Regeln, die sie bilden, abhÅngig ist. Und in dieser Akzeptanz der Institutionen seien eben schon deontische Termini versteckt.

FÛr unseren Gebrauch der gesamten Sch×pfung als Regelsystem und insbesondere fÛr die thetisch gesetzte, deontisch konstitutive Doppelregel der Liebe fÛr gesch×pfliches personales Sein, gilt dieser Einwand aber nicht. Hares Einwand ist nÅmlich letztlich davon abhÅngig, daß nackte Fakten von institutionellen Fakten unterschieden werden und damit letztlich von einer radikalen Distinktion zwischen dem Reich der Natur als Reich der Notwendigkeit und dem personalen und sozialen Bereich als Reich der Freiheit. Unter der Annahme eines christlichen WirklichkeitsverstÅndnisses, das die gesamte Sch×pfung ontologisch als Handlungsresultate des Handelns Gottes so erfaßt, daß die Sch×pfung insgesamt ein thetisch-konstitutives und deontisch-konstitutives Regelwerk ist, ergibt sich diese Distinktion nicht. Letztlich gibt es nur einen Bereich, den Bereich g×ttlichen und gesch×pflichen Handelns und Interagierens sowie dessen Handlungsresultate. Ein „sollen“ muß nicht erst von einem „ist“ abgeleitet werden, weil die Wirklichkeit als Ganze eine ethische Wirklichkeit ist: Eher mÛßte gezeigt werden, wie ein „ist“ aus einem „sollen“ abgeleitet werden kann und dies ist immer dann unproblematisch, wenn deontische Regeln erfÛllbar sind, d. h. wenn die prinzipielle M×glichkeit zur RegelerfÛllung besteht. Und dies ist in der Tat gegeben, denn einerseits verliert der Begriff einer deontischen Regel seinen Sinn, wenn die Regel nicht erfÛllbar ist, zum anderen ist darauf

65 66

Vgl. Searle, How to Derive ‚Ought‘ from ‚Is‘, 102–104. Vgl. Hare, The Promising Game.

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hinzuweisen, daß eine prinzipielle ErfÛllbarkeit genÛgt, es muß sich nicht um eine faktische ErfÛllbarkeit handeln, da es UmstÅnde geben kann, die unter faktischen Bedingungen eine ErfÛllung gerade verhindern. Von solchen UmstÅnden weiß auch der christliche Glaube und diesen UmstÅnden haben wir uns im folgenden zuzuwenden.

3.1.3 SÛnde als Regelverletzung der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe in Aberglaube, Funktionalisierung und Pseudopersonalisierung SÛnde ist unter dem formalen Aspekt des Regelmodells in erster Linie als Verletzung der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe zu verstehen. Das Åußert sich nicht darin, daß SÛnde Lieblosigkeit wÅre, sondern darin, daß SÛnde (objektiv gesehen) eine ungeregelte Liebe ist oder (subjektiv) eine Liebe, die ihre eigene Regelgabe sein will. Soweit damit die Liebesregel zu Gott gemeint ist, bedeutet dies, daß an Stelle Gottes nun mannigfache andere EntitÅten oder Sachverhalte treten k×nnen, an die der Mensch sein Herz hÅngt.67 Dies ist die Grundform der SÛnde als Aberglaube oder falsches Vertrauen, die sich dann hinsichtlich der Gottesbeziehung mit gar keinem Vertrauen oder aber mit Ritschl und Erskine als Mißtrauen Åußert. Aber auch innerhalb der Forderung nach geschwisterlicher Liebe zwischen den Menschen Åußert sich die SÛnde, und zwar primÅr in zwei weiteren Grundformen: Deren erste ist die Funktionalisierung von Personen, indem Personen zu anderen Personen Beziehungen unterhalten, die nicht primÅr einer personalen Liebesbeziehung entsprechen, sondern einer merkantilen oder Handelsbeziehung. Die zweite Grundform ist das spiegelbildliche Fehlverhalten der Pseudopersonalisierung, indem zu nicht personalen EntitÅten und Sachverhalten eine quasi-personale Beziehung unterhalten wird. 3.1.3.1 SÛnde als BeziehungsschÅdigung des Gesamtorganismus des Menschen Da die Menschheit einen Gesamtorganismus bildet, der durch die deontisch-konstitutive Doppelregel der Liebe mitkonstituiert wird, ist SÛnde zunÅchst ein Sachverhalt, der das ganze menschliche BeziehungsgefÛge betrifft und sich nicht auf die Relate beschrÅnkt. SÛnde ist prinzipiell nicht so vorstellbar, daß sie nur ein Relat betrifft. Vielmehr gilt: Ist ein Relat betroffen, gleichgÛltig, welches dies ist, ist das ganze BeziehungsgefÛge betroffen. Daher sind SÛnde und Schuld Ûbertragbar. Dieser Sachverhalt findet seinen Ausdruck in der St×rung menschlicher SozialitÅt, darf aber empirisch nicht auf diese beschrÅnkt werden. Da die deontisch-konstitutive Doppelregel

67

Vgl. Luther, BSLK, 560.

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der Liebe eben mitkonstitutiv fÛr das Sein des menschlichen Beziehungsorganismus ist, wird dieser nicht einfach nur moralisch, sondern in seinem Sein geschÅdigt. 3.1.3.2 SÛnde als SchÅdigung einzelner menschlicher Relate und die Unm×glichkeit, nicht zu sÛndigen Da es sich zwischen menschlicher PersonalitÅt und menschlicher SozialitÅt um einen wechselseitig konstitutiven Sachverhalt handelt, bedeutet die SchÅdigung des gesamten Organismus auch eine SchÅdigung der einzelnen Relate. Dies zeigt sich auch in der einzelnen u. U. beobachtbaren AktualsÛnde der partikularen Person, mehr aber noch in deren HabitualsÛnde. Dieser Terminus, der sich als nicht ganz exakt erweisen wird, ist zunÅchst erklÅrungsbedÛrftig. Wir haben gesehen, daß die Doppelregel der Liebe aufgrund deren Regelinhalts der Liebe nicht einfach Interaktion regelt, sondern direkt auf die interne RelationalitÅt der intentionalen FÅhigkeiten des Menschen bezogen ist. Dies hat sofort Konsequenzen fÛr das SÛndenverstÅndnis: Normale Habitualisierungsprozesse sind eben als Prozesse zu beschreiben, die einzelne aktuale Handlungen durch Wiederholung nicht mehr reflektierungsbedÛrftig erscheinen lassen und zu inneren Haltungen als Handlungsdispositionen fÛhren. Dies ist im Falle der SÛnde nicht so, da die Doppelregel der Liebe nicht einfach den korrekt ausgerichteten Willen fordert, sondern diesen von der korrekt ausgerichteten AffektivitÅt abhÅngig macht. Da aber die AffektivitÅt eine wesentlich passive Struktur besitzt, die darin besteht, daß sie Ûber die Vermittlung des intellektiven Verm×gens von einem externen Sachverhalt in einer realen Relation regiert wird, kann sich die AffektivitÅt nicht selbst und nicht durch die Initiative des intellektiven oder voluntativen Verm×gens wieder selbst korrekt ausrichten, wenn erst einmal eine falsche Ausrichtung erfolgt ist. Diese falsche Ausrichtung ist aber mit der Regelverletzung gegeben. Dies steht im Gegensatz zu Regeln, deren Regelinhalt lediglich Verhalten und nicht die TotalitÅt der Person ist. Bei diesen Regeln ist eine intellektiv oder voluntativ gesteuerte Selbst- oder Fremdkorrektur m×glich, weil ihre Bekanntschaft zur ErfÛllung reicht und weil auf diese Weise habitualisiertes Verhalten durch Gegenhabitualisierungsprozesse korrigiert werden kann. Aus diesem SÛndenverstÅndnis ergeben sich sofort zwei wichtige Konsequenzen: Zum einen: Die Tatsache des Bestehens der SÛnde im menschlichen Beziehungsorganismus bedeutet, daß jede personal erscheinende SÛnde bereits habitualisiert ist und durch Gegenhabitualisierungen nicht rÛckgÅngig gemacht werden kann. Die IdentitÅtsansprÛche einer Person Åußern sich darinnen, daß sich eine partikulare Person mit der SÛnde identifiziert oder an sie herangetragene sÛndige IdentitÅtsforderungen akzeptiert. Zwar k×nnen in dieser sozialen Kommunikation von IdentitÅt durch wechselseitige Ak-

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zeptanz und ZurÛckweisung von IdentitÅtsansprÛchen durch Personen durchaus einzelne IdentitÅtsansprÛche abgelehnt und durch andere ersetzt werden, aber es ist nicht m×glich, dabei nicht sÛndige IdentitÅtsansprÛche ins Spiel zu bringen. Dieser Prozeß erscheint somit als Versuch, selbst deontisch-konstitutive Regeln des menschlichen Seins zu setzen, der nicht gelingen kann, da der Mensch als Nichtsch×pfer nicht die Macht dieser Regelsetzung hat und die Doppelregel der Liebe insofern in Kraft bleibt. Damit gilt unter den Bedingungen des Falls: Der Mensch ist, was er tut, und zwar SÛnder. Dies gilt auch fÛr die Perspektive Gottes. Zum anderen: Die bei weitem wichtigere Konsequenz besteht darin, daß der Mensch, sowohl hinsichtlich des Beziehungsorganismus als auch hinsichtlich des einzelnen Personseins samt deren intentionalen FÅhigkeiten nicht von alleine rekonstituiert werden kann, weil die Regelverletzung weder durch die Person selbst noch durch deren SozialitÅt behoben werden k×nnte. Mit anderen Worten: Durch die beschriebene intentionale Struktur des Menschen erweist es sich unter den Bedingungen des Falls als nicht m×glich, nicht zu sÛndigen. Man kann den Doppelaspekt, der sowohl gleichursprÛnglich die SchÅdigung des gesamten Beziehungsorganismus der Menschheit betrifft als auch die einzelnen personalen Relate der Menschen sehr sch×n zusammenfassend und einheitlich ausdrÛcken, wenn man sich das menschliche BeziehungsgefÛge im Modell rÅumlicher Beziehungen vorstellt. Dann erscheint die SÛnde als Dislokation, die im Zurechtbringungshandeln der Relokation bedarf.68 3.1.3.3 Die SÛndenfolge fÛr den Menschen als Regellosigkeit in Orientierungslosigkeit und chaotischem Leiden Die Rede von den Folgen der SÛnden ersetzt hier programmatisch die Rede von der Strafe der SÛnde. Obwohl ×fters darauf hingewiesen wird, daß auch die Rede von Strafe, zumal von der pÅdagogischen Strafe, ihr relatives Recht hat,69 verbietet sich im Modell der regulierten Liebe der Strafbegriff aus konzeptionellen GrÛnden: Eine Strafe bedeutet, daß das Ereignis einer Verletzung einer Regel denjenigen Regelbereich einer weiteren Regel darstellt, deren Regelinhalt durch Zwang Sanktionen regelt und so die erste Regel schÛtzt. Wir sahen aber, daß dieses Verfahren nur bei Regeln m×glich ist, deren Regelbereich ausschließlich Handeln oder Verhalten ist unter Absehung von den intentionalen FÅhigkeiten des Menschen, konkret der AffektivitÅt. Da genau dies bei Liebe nicht der Fall ist, kann es sich bei der Regel der Liebe nicht um eine durch eine andere Regel sanktionierte Regel han68 69

Vgl. Schw×bel, Gott in Beziehung, 204–208. Vgl. z. B. HÅrle, Dogmatik, 485.

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deln: Liebe ist nicht erzwingbar. Daher sprechen wir im folgenden konsequent von den Folgen der Regelverletzung der Liebe, nicht von deren Strafen. Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß diese Folgen auch ohne den Strafbegriff eine pÅdagogische Wirkung haben k×nnten. Wir sahen, daß SÛnde eine Regelverletzung der Doppelregel der Liebe ist, die sich in dem Versuch des eigenen Aufstellens deontisch-konstitutiver Regeln Åußert, was zum Scheitern verurteilt ist. In dieser Hinsicht, d. h. in der aufgrund ihrer dem Menschen unverfÛgbaren Unersetzbarkeit, bleibt die Doppelregel der Liebe weiterhin in Kraft. Da aber andererseits eine Straffolge ausgeschlossen ist, besteht die einzig m×gliche Folge der Regelverletzung darin, daß des Menschen Versuch, die Doppelregel der Liebe zu verletzen ganz einfach Erfolg hat, und zwar exakt darin, daß sowohl die soziale als auch die personale Folge ist, daß der Mensch nun der Regellosigkeit Ûberlassen ist. Da es sich aber um eine deontisch-konstitutive Regel fÛr das ontische Sein des Menschen handelt, wÅre zu erwarten, daß damit der Mensch – und zwar sowohl hinsichtlich dessen personaler als auch sozialer Existenz – dem Nichtsein verfÅllt. Dem ist aber nicht so. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, daß die Setzung der deontisch-konstitutiven Doppelregel der Liebe nicht Gottes einziges personales Regelsetzungshandeln ist, sondern daß die thetisch-konstitutiven RegelmÅßigkeiten vom Menschen nicht gebrochen werden k×nnen. Erweisen sich nun aber letztere als notwendige Bedingung menschlichen Seins, nicht aber erstere, kann der Mensch selbst im Widerspruch gegen ihn Deontisch-konstituierendes sein Sein nicht aufheben. Dies ist auch notwendig, denn wÅre dies der Fall, wÅre auch Gottes regelgemÅßes und regelsetzendes Welthandeln insofern verletzt, als Gott mit der Zulassung der Selbstvernichtung des Menschen auch die Absicht seiner sch×pferischen Liebe verleugnen wÛrde, was sofort einen auszuschließenden Selbstwiderspruch im Wesen Gottes implizieren wÛrde. Die Folge der SÛnde besteht also in partieller Regellosigkeit, insofern nur noch das thetisch-konstitutive Regelwerk menschliches Dasein reguliert. Dieses hat aber zwei Aspekte: Zum einen erweist es sich als das Bestehen bloßer RegelmÅßigkeiten, zum anderen besteht es aber auch in der Kontingenz, Leiden und Tod eingeschlossenen Nicht-vollendetheit dieses Regelwerkes. Die Folgen der SÛnde sind also so zu benennen, daß nun ontisch dieser Teilbereich des g×ttlichen Sch×pfungshandelns in seinen beiden Aspekten ungebremst fÛr den Mensch zum Tragen kommt. Dies Åußert sich zunÅchst in zwei Aspekten, epistemisch aus der Sicht des Menschen und ontisch: Epistemisch aus der Sicht des Menschen ist eine Folge der SÛnde Orientierungslosigkeit oder Mißorientierung. Dies gilt zum einen ethisch hinsichtlich der Versuche des Menschen, in der Ausbildung eines Ethos ein eigenes deontisch-konstitutives Regelwerk zu schaffen, weil die Doppelregel der Liebe nun nicht mehr einsehbar und erfahrbar ist. Dies gilt darÛber hin-

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aus aber auch fÛr das gesamte intellektive Verm×gen des Menschen und kommt darin zum Ausdruck, daß der Mensch nun versucht ist, die beiden Aspekte der thetisch-konstitutiven RegelmÅßigkeiten isoliert zu verabsolutieren. Dies kann geschehen, indem der RegelmÅßigkeitsaspekt betont wird. Dies ist der Fall bei deterministisch-naturalistischen Anthropologien. Dies kann auch geschehen, indem der unabgeschlossene, kontingente Aspekt des thetisch-konstitutiven Regelwerks betont wird. Dies ist der Fall in konstruktivistischen oder skeptizistischen Anthropologien. Ontisch hingegen drÛckt sich die Regellosigkeit im chaotischen Leiden aus. Der ganze menschliche Organismus und dessen einzelne personale Relate erfahren nun gerade die Kontingenz in ungebremstem, chaotischem Zustand und dies impliziert die Erfahrung chaotischen Leidens. Die SÛndenfolge besteht damit gerade nicht in der Erfahrung eines ungebrochenen Tun-Ergehens-Zusammenhanges, nach dem es dem SÛnder schlecht ergehen wÛrde, dem Gerechten aber gut. Vielmehr muß die Konstruktion eines solchen Tun-Ergehens-Zusammenhanges als menschlicher, zum Scheitern verurteilter Versuch einer Regelgabe gewertet werden. Das Leiden trifft den Menschen nun, von Gott zugelassen, in chaotischer, rein zufÅlliger Form. Damit wird aber auch der biologische Tod des Menschen fÛr diesen zur Belastung. Denn der Tod kann nun zwar nicht mehr als Sold der SÛnde gedeutet werden, aber als Siegel der SÛnde: In ihm vollzieht sich das h×chste Maß an Regellosigkeit: Der partikulare Mensch ist im Tod vollstÅndig allein, von Gott und den Mitmenschen verlassen: Nur im Tod unter sÛndhaften Bedingungen ist der Mensch Individuum im radikalen Sinne. 3.1.3.4 Die SÛndenfolgen fÛr Gott Es scheint ungew×hnlich zu sein, von den Folgen der SÛnde fÛr Gott selbst zu sprechen. Aber dies ist in unserem Modell der Verflechtung unterschiedlicher Ebenen regulierter Liebe unumgÅnglich. Wenn der Mensch die Doppelregel der Liebe verletzt, verletzt er nicht nur sich selbst und seines Gleichen, sondern immer auch Gott selbst. Wenn nÅmlich Gott die Welt einschließlich deren personaler Gesch×pfe, zu denen der Mensch geh×rt, aus Liebe schafft, Liebe aber eine personale Beziehung ist und keine merkantile Beziehung, in der es nicht um die wechselseitige Kommunikation von GÛtern geht, die den Relaten Åußerlich bleiben, muß auch von Folgen fÛr Gott gesprochen werden. Diese Folgen bestehen darin, daß auch Gott nicht einfach Ûber die zunÅchst untrennbare Einheit von Sein und Handeln des Menschen hinwegsehen kann und sich nicht Ûber die personale Transzendenz menschlicher Gesch×pflichkeit hinwegsetzt. D.h., daß auch in der Perspektive Gottes SÛnder und SÛnde nicht zu trennen sind. Dieser Sachverhalt Åußert sich in der theologischen Begrifflichkeit zu recht in der Rede von Gottes Zorn. Denn Zorn ist das paradigmatische Zeichen verletzter, personaler

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Beziehungen (Liebesbeziehungen). Gerade die Abwesenheit von Zorn spricht im Verletzungsfalle dafÛr, daß es sich bei der Beziehung der involvierten personalen Relate nicht um eine Liebesbeziehung gehandelt haben kann.70 Nahe verwandt dem Begriff des Zornes scheinen die Begriffe des Hasses, der Wut und auch in gewisser Weise der des Schmerzes zu sein. Alle diese Begriffe scheinen geeignet zu sein, im Rahmen eines Modells Gottes als Liebe anzudeuten, daß Gott durch die ºbertretung in der SÛnde affiziert und nicht gleichgÛltig ist. Der Begriff des Schmerzes ist im Unterschied zu den anderen genannten Begriffen keine intentionale Relation, sondern bezeichnet einen affektiven Zustand. Ob und in welcher Weise ein Schmerz zu bestimmten Handlungsdispositionen und Intentionen fÛhrt, bleibt v×llig offen. Daher eignet sich der Begriff des Schmerzes wenig fÛr unsere Zwecke. Der Begriff der Wut zeigt nicht nur wie der des Schmerzes eine Verletzung an, sondern hat schon eher einen intentional-relationalen Charakter. Beim Menschen ist Wut mit deutlichen physischen Kennzeichen verbunden und gew×hnlich tendiert Wut auch, sich im Verhalten zu Åußern. Hier Ûberwiegt aber die affektive und auch irrationale Komponente noch derart stark, daß das auf Wut basierende Verhalten kaum berechenbar ist und oft keinem anderen Zweck als dem Abbau der Wut dient. Hier hat die Rede von Affekthandlungen ihren Ort. Wut hat damit kaum handlungsorientierende Funktion. In ihrem Charakter leitet Wut gerade zu einem nicht geregelten, sondern chaotischen Verhalten an. Daher kommt auch der Wutbegriff nicht in Frage. Der Begriff des Hasses ist ebenfalls in der Lage, eine Verletzung anzuzeigen. Der Haßbegriff hat eine deutlich intentional-relationale Struktur, indem er auf ganz bestimmte und auch regelmÅßige Handlungsdispositionen fÛhrt. Mit Stefan Volkmann wird man aber sagen k×nnen, daß diese Handlungsdispositionen rein negativ sind: Haß zielt auf die Vernichtung des gehaßten Objekts. Daher eignet sich der Haßbegriff nicht als Teilmodell der Liebe. Dies ist beim Begriff des Zornes anders. Zorn kann als eine aufgrund einer verletzten realen Relation der Liebe hervorgerufene intentionale Relation verstanden werden, die auf die ºberwindung dieser Verletzung zielt: Zorn zielt damit auf unterschiedliche Weisen auf die Zurechtbringung von realen Liebesbeziehungen oder auf den Interaktions- und Kommunikationsabbruch. Wenn wir hier vom Zorn Gottes als Teilmodell des Modells der Liebe Gottes sprechen, so meinen wir nur die zuletzt genannten positiven Analogien: Zorn ist hier genau das, was in einem Relat eine Verletzung einer Liebesbeziehung aufweist und auf deren ºberwindung zielt. Alle anderen m×glichen Kennzeichen eines umgangssprachlichen oder psychologischen Zornesbegriffs, insbesondere damit verbundene weitere affektive Beschreibungen, werden hier aus pragmatischen GrÛnden als negative Analogien betrachet.71

70 Vgl. HÅrle, Die Rede von der Liebe und dem Zorne, bes. 53 f und Volkmann, Zorn Gottes, 242–254. 71 FÛr eine detaillierte Besprechung vgl. Volkmann, Zorn Gottes, 16–29.

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3.1.3.5 Die Frage nach dem Ursprung der SÛnde Die Frage nach dem Ursprung der SÛnde wird in den meisten der von uns untersuchten Positionen in biblischer Tradition mit Hilfe des um den Gedanken der doppelten ReprÅsentation ergÅnzten Organismusgedankens gedeutet. Dieser Gedanke ist aber problematisch, weil er einen realen ersten Urmenschen postulieren muß, der innerhalb des Organismus eine reprÅsentative Funktion hat, die alle anderen Menschen, mit Ausnahme des zweiten Urmenschen Christus, nicht haben k×nnen. Geht man aber mit dem Stand der gegenwÅrtigen biologischen Anthropologie davon aus, daß ein solcher Ursprung der Menschheit nicht nur nicht einsehbar ist, sondern die Menschheit unter UmstÅnden nicht zwangslÅufig vom Erscheinen eines einheitliche Ursprungs in einem ersten als homo sapiens zu brennenden Paares abhÅngig ist,72 kann diese Annahme nicht fÛr die SÛndenlehre in Anspruch genommen werden. Das ist aber auch gar nicht n×tig. Der Gedanke des Menschen als Beziehungsgeflecht kommt nÅmlich auch ohne diese hierarchisch herausgehobene ReprÅsentationsfunktion aus. Und damit wird der Gedanke des Beziehungsgeflechts noch leistungsfÅhiger. In dem Falle, in dem ein einzelnes Relat, gleichgÛltig an welcher Stelle des Beziehungsgeflechts es lokalisiert ist, fÅllt, ist der ganze Beziehungsorganismus gefallen. Damit entfÅllt der Sinn der Frage nach einem historischen Ursprung der SÛnde genauso wie der Sinn der Frage, ob sich die Allgemeinheit der SÛnde Ûber biologische Vererbung fortpflanzt. Festgehalten werden kann aber: Die M×glichkeit zur SÛnde ergibt sich daraus, daß das thetisch-konstitutive Regelwerk aufgrund der Ausbildung von PersonalitÅt und Liebe, wie sie im deontisch-konstituierten Regelwerk erforderlich sind, nicht-vollendet ist und damit fÛr den Menschen Versuchlichkeitscharakter erhÅlt. Damit nimmt Gott aus Liebe in Entsprechung zur Liebe, die er selbst ist, die M×glichkeit zur SÛnde als Bedingung zur Sch×pfung einer von ihm unterschiedenen Liebe, die seiner Liebe entsprechen kann, in Kauf. Die FaktizitÅt der SÛnde hingegen und damit die Verantwortung der SÛnde ist dem Menschen zuzuschreiben, und zwar in dem radikalen Sinne, daß der SÛndenfall des Gesamtorganismus letztlich jeder partikularen menschlichen Person zuzuschreiben ist. Der Fall des Menschen stellt keine Harmlosigkeit dar, geht es doch um nichts anderes als um eine Verletzung der Konstitutionsbedingungen des Menschen. Der Fall des Menschen ist aber dennoch nicht mit einem Kapitalverbrechen zu vergleichen. Er gleicht eher der Regelverlet-

72 Die beiden bislang konkurrierenden Hypothesen Ûber den Ursprung des Homo sapiens, die „Out of Africa “ Hypothese und die Multiregionale Hypothese scheinen gegenwÅrtig zu einer multiregionalen „Out of Africa “ Hypothese zu verschmelzen, die freilich das entscheidende Merkmal der ersteren trÅgt; vgl. Schrenk, FrÛhzeit des Menschen.

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zung eines Kindes, die dessen Bildungsprozeß auf einen falschen Weg bringt. 3.1.3.6 Die Notwendigkeit g×ttlicher Intervention als Fazit der SÛndenlehre Eine Zurechtbringung in Form einer g×ttlichen „Intervention“, d. h. eines zurechtbringenden Handelns, dessen Subjekt Gott ist, erscheint somit aus drei GrÛnden erforderlich: Erstens: Die noch unvollendete Ordnung des thetisch-konstitutiven Regelwerkes bedarf, auch v×llig unabhÅngig von der Tatsache der SÛnde, noch Gottes zurechtbringenden oder/und vollendenden Handelns. Zweitens: Des Menschen aufgrund der SÛnde als Regelverletzung geschÅdigtes Handeln und Sein bedarf eines Zurechtbringungshandelns eines g×ttliches Subjekts, da der Mensch sich als dazu nicht in der Lage erweisen kann. Daß es dem Menschen unm×glich ist, nicht zu sÛndigen, heißt insofern nicht, daß alles, was der Mensch tatsÅchlich tut, in SÛnde geschieht. Eine RegelerfÛllung einschließlich „Lust und Liebe“ ist zufÅllig und partikular durch einzelne welthafte Sachverhalte m×glich, aber eben nur dann, wenn keine voluntative Intention dazu vorliegt. Liegt eine solche vor, wird das Ziel verfehlt. Drittens: Die SchÅdigung der Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch bedarf der Zurechtbringung. Dies Åußert sich darin, daß einerseits der Sachverhalt, der mit der Rede vom Zorn Gottes erfasst wird, der Bearbeitung bedarf, andererseits aber auch gerade darin, daß die Rede vom Zorn Gottes der konzeptionelle Ausdruck gerade fÛr das Erfassen der Motivation Gottes zu dessen Zurechtbringungshandeln ist.

3.2 Vers×hnendes Handeln – Die Zurechtbringung der Welt in Jesus Christus Im folgenden beschÅftigen wir uns mit dem Zentrum des systematisch-synthetischen Teils, dem Zurechtbringungshandeln in Jesus Christus. Sachlich gilt hier genauso wie in der Gotteslehre und in der Anthropologie, soweit sie bis jetzt behandelt wurde, daß auch hier Handeln und Sein nicht getrennt werden dÛrfen, so daß jegliche eventuelle Distinktion des Problemfeldes in die Lehre von der Person Christi und in die Lehre vom Werk Christi nur als begrifflich-pragmatische Trennung, nicht aber als sachliche Trennung aufgefaßt werden kann. Im folgenden soll versucht werden, auch eine solche pragmatische Distinktion nicht zu wÅhlen, sondern die Aspekte, die die Person Christi betreffen, sachlich dann darzustellen, wenn sie zur ErlÅuterung des Zurechtbringungshandelns erforderlich sind. Die Zusammengeh×rigkeit von Handeln und Sein hat noch eine zweite Implikation, die fÛr

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den Aufriß dieses Kapitels wichtig ist: Wenn sich Sein, Handeln und Erleiden nicht trennen lassen, muß das Vers×hnungshandeln Jesu Christi einheitlich in seinem Leben, Sterben und Auferwecktwerden zum Ausdruck kommen. Eine isolierte Betrachtung des Kreuzestodes als Heilsereignis wÅre demnach verfehlt. Es wird sich aber zeigen lassen, daß dem Kreuzestod zumindest eine reprÅsentativ-paradigmatische Funktion zukommt, insofern sich hier das Heilsereignis bÛndelt und leichter erschlossen werden kann. 3.2.1 Der Sohn (logos ) als zweite Person der TrinitÅt als Handlungssubjekt der Zurechtbringung Nach allem, was bisher an HintergrÛnden gesagt wurde, kann sich die Zurechtbringung des Menschen und der Welt nur als Handeln Gottes vollziehen. Dabei ist, da der Mensch seine Situation der SÛnde nicht beheben kann, von einer g×ttlichen Intervention zu sprechen, die aber ihrerseits gerade nicht als Intervention im Sinne eines Regelbruchs verstanden werden darf. Dies bedeutet zunÅchst, daß das primÅre Handlungssubjekt im Vers×hnungsgeschehen in Jesus Christus der Sohn (logos ) als zweite Person der TrinitÅt ist. Wir setzen dies hier als Voraussetzung, weisen aber darauf hin, daß sich aus dem Vers×hnungshandeln selbst quasi aposteriori auch zeigen lÅßt, daß das primÅre Handlungssubjekt der Sohn ist. Es gibt noch einen zweiten wichtigen Grund, warum als Handlungssubjekt in strengem Sinne der Sohn zu denken ist und dieser Grund entstammt dem Koordinatensystem des christlichen Glaubens, genauer der Achse, die die Rechtfertigungslehre markiert. Auf dieser Achse wird die korrekte Zuordnung von opus dei und opus hominum thematisiert. Das Heil, in welchem Sinne auch immer, lÅßt sich nur ohne menschliche Voraussetzungen sola gratia verwirklichen. Im letzten Abschnitt Ûber die Notwendigkeit einer g×ttlichen Intervention angesichts der SÛnde sahen wir auch, warum dies strikt gedacht werden muß. An dieser Stelle ergibt sich aber ein Problem in der Lehrbildung der reformatorischen Theologie. WÅhrend nÅmlich diese Zuordnung von opus dei und opus hominum betreffs des sÛndigen Menschen in der Rechtfertigungslehre stark betont wird, geht sie in den Voraussetzungen der Rechtfertigungslehre, in der Lehre von Christi Werk, schon bei Melanchthon und der ihm folgenden Lehrtradition verloren. Dies zeigt sich, worauf u. a. Reiner Preul hinweist,73 schon in CA 4: „Ferner lehren sie, daß Menschen vor Gott nicht gerechtfertigt werden k×nnen aus eigenen KrÅften, Verdiensten oder Handeln, sondern geschenkt gerechtfertigt werden aufgrund Christi im Glauben, wenn sie glauben, daß sie die Gnade erhalten und

73

Vgl. Preul, Kirchentheorie, 78.

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die SÛnden erlassen bekommen aufgrund von Christus, der durch seinen Tod fÛr unsere SÛnden Satisfaktion leistete.“74

Hier ist der Anstoß zur Entwicklung der Lehre von der stellvertretenden doppelten ErfÛllung der Gerechtigkeit des Gesetztes in der oboedientia activa und passiva , d. h. in der stellvertretenden ErfÛllung des Gesetzes zu Lebzeiten Christi und im Tod, verstanden als Strafsatisfaktion, gesetzt. Dieser Gedanke deutet aber letztlich das Zurechtbringungshandeln Christi primÅr als Tat des Menschen in Jesus Christus im GegenÛber zu Gott. Dies bedeutet dann, daß die Fundamentaldistinktion von opus dei und opus hominum gerade in der Voraussetzung der Rechtfertigungslehre durchbrochen ist, indem sie geradezu gegensÅtzlich aufgefaßt ist: Dem Menschen wird sola gratia Heil gewÅhrt, gerade weil ein einzelner reprÅsentativer Mensch die Doppelregel der Liebe, interpretiert als Gesetz, erfÛllt und daher eine stellvertretende Leistung erbringt. Gerade damit ist aber, an der Wurzel der Rechtfertigungslehre ein christologischer Semipelagianismus festgeschrieben worden. Diese InkohÅrenz in der Bildung der Dogmengeschichte gilt es hier zu wehren, indem streng der Sohn (logos) als zweite Person der TrinitÅt als Handlungssubjekt angenommen wird. Daneben ist noch darauf hinzuweisen, daß sich der Verwendung des Begriffs der Strafe im Rahmen des soteriologischen Handelns Christi aufgrund des spezifischen Charakters der Doppelregel der Liebe, die aufgrund ihres Inhalts nicht durch eine weitere, strafandrohende Regel geschÛtzt sein kann, ohnehin verbietet. 3.2.2 Das Zurechtbringungshandeln Jesu Christi als Selbsthingabe des Sohnes an die Welt Die historischen Analysen haben ergeben, daß das Vers×hnungsgeschehen in Jesus Christus nicht eindimensional mit Hilfe eines Begriffs theoretisch erfaßt werden kann, sondern daß die Basis der Theoriebildung, durch eine ErgÅnzung und VerschrÅnkung verschiedener Metaphern erfolgt. Diese Metaphern k×nnen durchaus verschiedene Aspekte des Vers×hnungsgeschehens verdeutlichen, wÅhrend es sich bei anderen Aspekten der Metaphern um neutrale oder negative Analogien handeln mag. Dabei ist die Erforschung der Interdependenz der einzelnen Metaphern zwar ein Aspekt, der in den verschiedensten Bereichen mittlerweile sehr weit gediehen ist,75 aber es handelt sich eben nur um ei-

74 Melanchthon, BSLK, 56: „Item docent, quod homines non possint iustificari coram Deo propriis viribus, meritis aut operibus, sed gratis iustificentur propter Christum per fidem, cum credunt se in gratiam recipi et peccata remitti propter Christum, qui sua morte pro nostris peccatis satisfecit.“ 75 Vgl. z. B. Gunton, Actuality.

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nen Aspekt, neben dem die Modellbildung noch andere zu berÛcksichtigen hat. Hier sind vor allem zwei zu nennen: Einerseits ist es wichtig, bei jeder Teilmetapher eines solchen polydimensionalen Modells das Teilmodell m×glichst weitgehend begrifflich zu entfalten, um dessen tatsÅchliche LeistungsfÅhigkeit beurteilen zu k×nnen. Andererseits sind in der Regel nicht alle Metaphern einander gleichgeordnet, sondern sie k×nnen mehrfach hierarchisch gestaffelt sein.

Die Ergebnisse des historisch-analytischen Teils lassen den Verdacht aufkommen, daß sich der Begriff des Opfers oder der Hingabe als Leitmetapher der Soteriologie erweisen k×nnte. Er kÅme dabei als Leitmetapher in Frage, weniger als SchlÛsselmetapher. Der Unterschied besteht darin, daß als SchlÛsselmetaphern die Metaphern der Liebe und der Regel in Form von geregelter Liebe bereits verwandt werden und damit den Rahmen der Theoriebildung kennzeichnen. Obwohl sich der Opferbegriff aufgrund der Ergebnisse der Untersuchungen des historisch-analytischen Teils nahelegt, ergeben sich doch zahlreiche Schwierigkeiten: Der Opferbegriff ist in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Perspektiven des 20. Jh. derart breit traktiert worden, daß von einer univoken Erfassung des Begriffs keine Rede mehr sein kann. WÅhrend die Verwendung des Regelbegriffs im GegenÛber zum Gesetzes- oder Ordnungsbegriff gerade den Vorzug enthielt, noch frisch und unverbraucht, d. h. ohne allzu große st×rende Konnotationen aus anderen Debatten, verwendet werden zu k×nnen, zeigt sich beim Opferbegriff genau diese Schwierigkeit: Der Opferbegriff wurde so oft in den verschiedensten Kontexten76 diskutiert, daß eine positive Modellbildung mit Hilfe des Opferbegriffs es unbedingt voraussetzt, ihn stipulativ exakt zu definieren, denn eine Analyse der gegenwÅrtigen Diskussionen um den Opferbegriff wÛrde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dennoch ist auf einige Ergebnisse einer der wohl anspruchsvollsten Untersuchungen zum Opferbegriff, den Studien S. Brandts, einzugehen, um zu zeigen, warum deren Opferbegriff fÛr die Zwecke der Vers×hnungslehre hier nicht einfach Ûbernommen werden kann.77 Zu nennen ist sowohl Brandts formaler Opferbegriff als auch ihre soteriologische Hauptthese. Zum ersten: Brandts Theorie ist vor allem durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Zum einen aktualisiert sie eine relationale Analyse des Opferbegriffs durch Augustin, indem sie fÛnfstellig zwischen (a) Opferspender,

76 Vgl. fÛr das OpferverstÅndnis der Kulturanthropologie Girard, Das Ende der Gewalt; ders., Mimetische Theorie und Theologie; Schwager, Brauchen wir einen SÛndenbock?; Baudler, Jesus – Der vollkommene SÛndenbock und Schweiker, Heilige Gewalt und der Wert der Macht. FÛr den feministischen Kontext liefern erste Hinweise Moltmann-Wendel, Kreuzestheologie, 548; S×lle, Gott und das Leiden; Strobel, Gekreuzigt fÛr uns – zum Heil der Welt? Die Kritiken unterschiedlicher Provenienz sind sehr Ûbersichtlich dargestellt, analysiert und kritisiert bei Dalferth, Opfer VI, 287–289; ders., Der auferweckte Gekreuzigte, 283–292; Janowski, „Hingabe“ oder „Opfer“, 17–26. 77 Vgl. Brandt, Opfer als GedÅchtnis; dies., Hat es sachlich und theologisch Sinn; dies., War Jesu Tod ein „Opfer“?

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(b) Opfervollzieher, (c) OpferempfÅnger, (d) Geopfertem („victima “) und (e) Opfernutznießer unterscheidet.78 Zum anderen grenzt Brandt das Opfer scharf von der Gabe ab, indem sie davon ausgeht, daß es bei Opferbeziehungen immer um Sozialbeziehungen oder Lebensbeziehungen geht, in denen Leben auf Kosten anderen Lebens einen Lebensgewinn erhÅlt.79 Dazu ist folgendes anzumerken: 1. Die Abgrenzung des Opferbegriffs gegenÛber dem Begriff der Gabe entspricht nicht der Verwendung des Opferbegriffs in der Umgangssprache, die wesentlich breiter ist. 2. Die Verwendung des Opferbegriffs gegenÛber dem Begriff der Gabe entspricht nicht der Reflexion der im historischen Teil analysierten Konzeptionen Ûber den Opferbegriff, die gerade diese Abgrenzung nicht vornimmt. Insofern ließen sich insbesondere die Opferbegriffe KÅhlers, Scheebens und Erskines nur verzerrt durch Brandts Sprachgebrauch erfassen. 3. Das Modell Brandts geht letztlich davon aus, daß sich personale Beziehungen und Sozialbeziehungen in zwei Grundtypen scheiden lassen: Erstens in merkantile Handelsbeziehungen, zu denen der Begriff der Gabe geh×rt und zweitens in Beziehungen in denen Leben auf Kosten anderen Lebens lebt, zu denen der Begriff des Opfers geh×rt. Der gesamte Bereich, der mit Goffman und van de Vate als primÅre Sozialbeziehungen oder Liebesbeziehungen verstanden werden kann, die fÛr die IdentitÅt der Partner wichtig sind,80 wird auf diese Weise nicht thematisiert, bzw. kann keinen basalen Status erhalten. Wir werden jedoch sehen, daß genau dies der Bereich ist, in dem die Sprache der Hingabe und des Opfers im Rahmen der Vers×hnungslehre anzusiedeln ist. 4. Der letzte eher nebensÅchliche Einwand betrifft die Strukturformel. In der Regel sind relationale Begriffsanalysen pragmatisch zu betrachten: Es hÅngt von der Entscheidung dessen, der die Analyse betreibt, ab, ob Sachverhalte Relatposition erhalten oder unter der Relation thematisiert werden. Je nachdem werden solche Begriffsanalysen n-stelling ausfallen. Bei Brandt nun ist auffÅllig, daß der klassisch-traditionelle Gedanke der Immolation, wie er z. B. von Scheeben thematisiert wird, gar keine eigene Relatposition erhÅlt. Brandt thematisiert ihn vielmehr im Rahmen einer Partialrelation, wenn sie davon ausgeht, daß die Opfergabe die MachtsphÅren oder -bereiche wechselt.81 Dies ist aus Sichtweise einer pragmatischen Relationsanalyse auch v×llig in Ordnung. Dann ist es aber auch zweckmÅßig, nicht auf einer unhintergehbaren FÛnfstelligkeit zu insistieren. Zum zweiten: Brandts soteriologische Hauptthese besteht darin, daß Jesu Hingabe an die Welt nun zwar von Gott als Opfer im Sinne von „sacrifice “, nicht aber dessen Kreuzestod im Sinne von „victim “ gewollt gewesen sei. Letzteres sei vielmehr aufgrund der SÛnde der Welt eingetreten, aber zu deren ºberwindung nicht notwendig gewesen.82 Zwar wird man in der Tat daran festhalten mÛssen, daß der Kreuzestod aufgrund der SÛnde besteht, aber man wird darauf hinweisen mÛssen, daß es gerade die

Vgl. Brandt, Hat es sachlich und theologisch Sinn, 251–253. Vgl. Brandt, Hat es sachlich und theologisch Sinn, 249 f. 80 Vgl. Vate: Love, 19–22; Goffman: Interaction Ritual, 47–95. 81 Vgl. Brandt, Hat es sachlich und theologisch Sinn, 255 f. 82 Vgl. Brandt, Opfer als GedÅchtnis, 433 f: „Verzerrt wurden und werden christliche Opfervorstellungen: [. . .] wo behauptet wird, das Leiden und der Tod Jesu Christi seien gottgewollt; wo erklÅrt wird, Erl×sung sei nur durch Opfer und Leiden m×glich, bzw. m×glich gewesen.“; ebd. 458: „Das ‚Opfer‘ von Christinnen und Christen zielt ebensowenig auf die ‚Aufhebung‘, d. h. ‚Aufopferung‘ des Leibes wie das ‚Opfer‘ Jesu Christi auf das Kreuz zielte“. Abgesehen da78 79

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Systematische Rekonstruktion

Einheit von Leben und Kreuzestod Christi ist, die soteriologisch relevant ist. WÅre der Kreuzestod nicht mehr als ein mehr oder weniger kontingentes Nebenprodukt der sÛndhaften Welt, so wÛrde dies eine gefÅhrliche UnterschÅtzung der SÛnde oder eine gefÅhrliche Restriktion des Handelns Gottes implizieren, das nun zu einem Bereich menschlicher Erfahrung, zu dem Bereich der grausamsten Gewalterfahrung, nichts mehr, zumindest nichts mehr erl×sendes, zu sagen hat. Diese GrÛnde m×gen genÛgen, um zu erklÅren, warum man sich der sorgfÅltigen Untersuchung Brandts nicht vollstÅndig anschließen wird.83 Jedoch dÛrfte es m×glich sein, ihr Anliegen zu wahren: Sagen wir, „Der Vater habe den Kreuzestod seines Sohnes gewollt“, kann „wollen“ in einem doppelten Sinne verstanden werden: Einerseits kann „wollen“ nach Harry G. Frankfurt84 im Sinne eines Wunsches erster Ordnung gebraucht werden, also im Sinne einer Intention, die handlungswirksam ist. Andererseits kann „wollen“ im Sinne eines Wunsches zweiter Stufe gebraucht werden, mit dem sich Personen auf ihre handlungswirksamen WÛnsche erneut in Zu- oder Ablehnung beziehen k×nnen und deren Existenz fÛr Personsein nicht zu unterschÅtzen ist. Kurz: „Wollen“ kann „intendieren“ bedeuten oder „von ganzem Herzen wÛnschen“. Wenn die Rede davon ist, daß der Vater den Tod des Sohnes gewollt habe, wird man dies im zweiten Sinne genauso standhaft verwerfen mÛssen, wie man es im ersten standhaft vertreten wird. Wenn wir nun zur positiven Entfaltung des Modells schreiten, so ist mit Dalferth festzuhalten,85 daß es sich dabei nicht um die einzige M×glichkeit der Modellbildung handelt. Beachten wir aber, daß in dieser Modellbildung der Opferbegriff streng von der Sache her, d. h. von der Heilsbedeutung des Lebens, Sterbens und Auferstehens Christi her gedeutet werden muß und nicht umgekehrt , so wird sich zeigen, daß der Begriff des Opfers und der Begriff der Hingabe den entscheidenden Vorteil besitzen, m×glichst viele Aspekte des Zurechtbringungshandelns integrativ erfassen zu k×nnen.

Der Opferbegriff im eigentlichen und strengen Sinne ist im Kontext der perfekten, geregelten trinitarischen Liebesbeziehung, die Gott selbst ist, zu deuten. Dazu bietet sich der Begriff der Hingabe an: Eine Person opfert sich, indem sie sich selbst einer oder mehreren anderen Person hingibt, d. h. ihre eigene Person als Mittel der anderen Person zur Erreichung deren Guts hingibt. Dieser Opferbegriff gilt im strengen Sinne nur fÛr die g×ttlichen Personen untereinander, aber er ist anschlußfÅhig an eine breitere Verwendung, die von sind gegen Brandts weitere in ebd., 433 f formulierten Anathemata kaum EinwÅnde zu erheben. 83 Ferner sei noch darauf hingewiesen, daß bei Brandt leicht dualistische Tendenzen im Gottesbild erscheinen: Vgl. Brandt, Opfer als GedÅchtnis, 7: „ Sicher, daß Gott Liebe ist [. . .] wird niemand leugnen“; ebd., 8: „wo Gottes Liebe als Feindesliebe verstanden und gedacht wird, verliert sie die Inkonsistenzen [. . .] Ferner macht die kriteriologische Bestimmung der Liebe Gottes als Feindesliebe das Spezifikum christlich verstandener Liebe allererst deutlich [. . .].“ Folglich geh×rt der Feind zu Gottes Wesen und die Einsicht der ex nihilo schaffenden Liebe bei Luther, WA 1, 365 wird verfehlt. 84 Vgl. Frankfurt, Willensfreiheit und der Begriff der Person. 85 Vgl. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 300–306.

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dann lautet: Eine Person A gibt ein dem Bereich ihrer VerfÛgungsgewalt B unterstehendes und fÛr ihre IdentitÅt oder ihr Sein wesentliches Gut C in einen Bereich der VerfÛgungsgewalt D einer oder mehreren anderen Personen E zur Verwirklichung deren Guts und erweist ihnen so Achtung und Liebe. Der Begriff VerfÛgungsgewalt deutet dabei an, daß es sich bei der Liebesbeziehung, innerhalb derer das Opfer, bzw. die Hingabe geschieht, um eine interaktionelle Beziehung handelt. Von den Bereichen von VerfÛgungsgewalt B und D ist die Rede, weil in einem weiten Sinne, die ºbertragung durchaus nicht vorbehaltlos erfolgen muß, sondern fÛr bestimmte Handlungsbereiche geschehen kann. In diesem Falle ist das Opfer aus der Intention des Opfernden nicht absolut zweckfrei. Das geopferte, bzw. hingegebene Gut C muß dabei tatsÅchlich der VerfÛgungsgewalt B des Hingebenden A unterstehen und es muß sich dabei um ein fÛr diese Person wesentliches, d. h. ihr Sein oder/und ihre IdentitÅt konstituierendes Gut handeln. Das Opfer oder die Hingabe hat primÅr, in Konkordanz zu KÅhler und zu Scheebens latreutischem Opfer, nichts mit einem Verzicht zu tun, es kann in einem solchen bestehen, entscheidend ist allein, daß es sich dabei um eine Handlung handelt, die, wie auch in der Doppelregel gefordert, die intentionale FÅhigkeit der AffektivitÅt nicht zu Ûberspringen versucht.86 Dies kommt in der Definition darin zum Ausdruck, daß mit Scheeben davon die Rede ist, daß das Opfer eine Erweisung von Liebe und Achtung ist. Mit KÅhler ist ferner weiterhin zu betonen, daß ein Opfer in dem hier gebrauchten Sinne keine freiwillige oder supererogatorische Leistung ist, sondern das Opfer oder die Hingabe geh×rt zum ganz normalen, zum regelgemÅßen Vollzug jeglicher Liebesbeziehung und beschreibt Liebesbeziehungen letztlich nur aus der Sichtweise eines einzigen personalen Relats. Mit Ritschl k×nnte dieser Aspekt auch mit dem Begriff des Berufs widergegeben werden. Wie kann nun dieser Hingabe- bzw. Opferbegriff zur Deutung des Zurechtbringungshandelns Christi verwandt werden? Hinsichtlich der Zurechtbringung des Menschen gilt es, zwei Aspekte oder Aufgaben zu beachten: Zum einen muß die noch unvollendete thetisch-konstitutive Ordnung von naturhaften RegelmÅßigkeiten vollendet werden. Zum anderen gilt es, die deontisch-konstitutive Doppelregel der Liebe, die dem Menschen zwar in Form des Gesetzes, wenn Gesetz im Gegensatz zu Evangelium verwandt wird, noch hier und da bekannt sein mag, aber unerfÛllbar ist, wieder so zu instantiieren, daß der Mensch dieser seiner seinskonstitutiven Regel folgen kann. Wir sahen, daß ein Mensch diese BefÅhigung des Menschen nicht vollbringen kann, sondern daß es dazu einer g×ttlichen Intervention des Sohnes bedarf. Diese darf aber nun gerade keine Intervention in dem Sinne

86 Ein Opfer, das nicht freiwillig geschieht, ist gar keines. Insofern k×nnen auch nicht Personen durch andere in einem Opfer viktimisiert werden. Vgl. Dalferth, GlÛcksfall des Lebens.

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Systematische Rekonstruktion

sein, daß sie der Doppelregel der Liebe und der geregelten Liebe, die Gott selbst ist, widerspricht, sondern es muß sich gerade um einen Anwendungsfall dieser Regel handeln und daher, aus der Perspektive des vers×hnenden Relats des Sohnes, um Hingabe bzw. ein Opfer. Diese Hingabe vollzieht sich zunÅchst darin, daß sich der Sohn den Menschen zu deren Gut hingibt, indem er Mensch wird, d. h. in das BeziehungsgefÛge des Gesamtorganismus der Menschheit eintritt.87 Dies stellt keinen Verzicht auf die Gottheit, also keine Kenosis dar, und ist im Ûbrigen unproblematisch, denn die Eigenschaften wie Allmacht, Allwissenheit, etc., die den klassischen Konflikt zwischen menschlichen und g×ttlichen Eigenschaften bewirken, haben sich Ûberhaupt nicht als Wesenseigenschaften erwiesen. Die Inkarnation stellt damit, wie es schon Sartorius im 19. Jh. beschrieb, nichts anderes denn als einen Perspektivenwechsel dar: „Das Auge, welches Himmel und Erde mit den Strahlen seines Blicks umfaßt, entÅußert sich nicht der Sehkraft, wenn es sich ins Dunkel begiebt oder das Augenlied schließt, sondern nur ihrer mitherrschenden Wirksamkeit; so senkt der Sohn Gottes auf Erden sein allumfassendes Auge und begiebt sich ins menschliche Dunkel und ×ffnet darin als ein Menschenkind sein Auge als das allmÅhlig aufgehende Licht der Menschenwelt, bis er es zur Rechten des Vaters leuchten lÅßt in v×lliger Herrlichkeit“.88

Der Logos steht nun nicht mehr zur Klasse aller gesch×pflichen EntitÅten als ganzer in Beziehung, sondern er steht zur Sch×pfung nun durch Eintritt in das menschliche BeziehungsgefÛge einschließlich dessen relathafter PartikularitÅt an einer konkreten spatiotemporalen Lokalisation in Beziehung. Dabei bleibt Jesus in einem prÅzisen Sinne sÛndlos, nÅmlich darin, daß er selbst aktiv durch Hingabe an der Doppelregel der Liebe festhÅlt. In einem anderen Sinne bleibt Jesus aber nicht sÛndlos: Da die SÛndenfolgen aufgrund der Menschheit als Beziehungsorganismus alle treffen, ist auch der inkarnierte Logos chaotischem Leiden ausgesetzt. Zwar ist in diesem Zusammenhang der Gedanke Erskines, daß gerade die Individuation mittels des Logos es Jesus erm×glicht, die tatsÅchliche SchÅdigung der gesamten Menschheit zu empfinden, weil er durch die fehlende menschliche Individuation allen menschlichen Relaten gleich nahe steht, nicht strikt nachweisbar, aber dieser Gedanke dÛrfte sowohl innerhalb der hier vorgenommenen Modellbildung sowie aus religi×sen GrÛnden einige PlausibilitÅt besitzen. Diese Hingabe zeigt sich ferner darin, daß Jesus in seinem Handeln das Reich Gottes als Herrschaft des Vaters, d. h. letztlich nichts als die sch×pferische Liebe Gottes, in seinen Gleichnisreden als performativer Rede, in seinem vollmÅchtigen Zuspruch der SÛndenvergebung, in seiner WundertÅtig87 88

Vgl. Schw×bel, Gott in Beziehung, 289. Sartorius, Liebe, neue Auflage, 126 f.

Vers×hnendes Handeln

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keit, wie immer man diese beurteilen mag, und seinen Tischgemeinschaften zum Erscheinen kommen lÅßt89 und es so zur partikularen RegelerfÛllung der Doppelregel der Liebe kommt. Diese Hingabe zeigt sich letztlich darin, daß Jesus auch im stÅrksten Widerspruch gegen seine Hingabe an die Menschen, d. h. im Mißbrauch der Menschen des ihnen Selbsthingegebenen fÛr deren partikulare, nicht regelgemÅße Zwecke, an seiner Hingabe festhÅlt und so konsequent einen Gewalttod erleidet. Dies ist nÅher zu erklÅren: ZunÅchst einmal besteht ein theoretischer Konflikt: Gibt jemand sich selbst als Mittel ganz einem anderen zur Verwirklichung dessen Guts hin, kann das zweierlei bedeuten. Einerseits k×nnte damit gemeint sein, daß sich Jesus als Werkzeug dem Willen beliebiger Menschen zur VerfÛgung stellt, was immer dieser sein mag und was immer die Menschen fÛr ihr eigenes Gut halten m×gen. Andererseits kann gemeint sein, daß sich Jesus dem tatsÅchlichen Gut, d. h. der Konstitution des Menschen durch Liebe, wie es in der Doppelregel ausgedrÛckt wird, hingibt, auch wenn dies bedeuten mag, sich partikularen, vom Menschen selbst gewÅhlten und nicht orientierten Zielen nicht als Werkzeug zur VerfÛgung zu stellen. Die erste Alternative kommt hierbei nicht in Frage, denn sie ist selbstwidersprÛchlich: Sich Zielen hinzugeben, die nicht dem wirklichen Gut des Menschen entsprechen, sondern nur deren eingebildeten GÛtern, wÛrde bedeuten, gerade die Doppelregel der Liebe zu brechen, SÛnde zu begehen und so keine Hingabe und kein Opfer zu Ûben. Daher ist die zweite Alternative anzunehmen. Auf diese Weise kann der Tod Christi in der Tat mit Erskine als Kooperation zwischen Gott und Mensch gewertet werden, allerdings als eine Kooperation, der unterschiedliche Absichten oder Motivationen zugrunde liegen: Auf Seiten Gottes regelgemÅße Liebe, auf Seiten des Menschen Verblendung als Regellosigkeit oder falsche, selbstgesetzte Regelgabe, wenn nicht sogar mit Erskine Haß. Der Tod Christi selbst ist dabei nicht nur als der aufgrund der Offenheit des Naturzusammenhanges bestehende biologische Tod zu verstehen, sondern er ist als Folge des chaotischen Leidens tatsÅchlich als absoluter Tod oder Ganztod, d. h. als Beziehungslosigkeit oder VerhÅltnislosigkeit90 aller realen Beziehungen, insbesondere der Beziehung zum Vater, zu werten, unabhÅngig von der exegetischen Deutung des Schreies am Kreuze.91 Mit der Verlassenheit am Kreuz kann sich der Verlassene selbst in der Verlassenheit nur noch auf Vater und Geist verlassen. Damit ist auch das Ende der Beschreibung desjeni-

Vgl. Becker, Urchristentum, 20–23. Vgl. JÛngel, Tod, 145. 91 Die Alternative besteht nicht darin, ob man in Mk 15,34 eine Anspielung nur auf Ps 22,1 oder auf den ganzen Psalm 22 sieht. Mit Gnilka, Das Evangelium nach Markus, II/2, 322 ist vielmehr festzuhalten, daß eine Anspielung auf den ganzen Ps 22 aus der selbstverstÅndlichen Sicht Osterns zitiert ist und das Faktum der Beziehungslosigkeit im Kreuz nicht abschwÅcht. 89 90

332

Systematische Rekonstruktion

gen Teilaspektes des Zurechtbringungswerks erreicht, das als Handeln des Sohnes, als dessen Selbsthingabe oder Opfer beschrieben werden kann. Fassen wir soweit das Zurechtbringungshandeln Jesu noch einmal zusammen: ZunÅchst einmal ist festzuhalten, daß perfekte Hingabe einem bloßen Menschen nicht m×glich ist, sondern daß es dazu des Handlungssubjekts des logos als zweiter Person der TrinitÅt bedarf: Im Falle eines perfekten Opfers koinzidieren nÅmlich der Hingebende A und das hingegebene Gut C, d. h. es handelt sich um Selbsthingabe. Eine solche Selbsthingabe ist aber, Einsichten Scheebens aufnehmend, Gesch×pfen nicht m×glich, da ihr eigenes Selbst gemÅß dem thetisch-konstitutiven und deontisch-konstitutiven Regelwerk gesch×pflicher Liebe gerade nicht in deren VerfÛgungsgewalt steht: Keine geschaffene Person geh×rt sich selbst. Eine Selbsthingabe in diesem Sinne durch eine gesch×pfliche Person wÅre damit gerade kein Opfer als Hingabe im Rahmen einer Liebesbeziehung, sondern gerade ein Zeichen der SÛnde. Das Zurechtbringungshandeln Jesu Christi in dessen Leben und Sterben lÅßt sich daher folgendermaßen zusammenfassen: Gott der Sohn gibt sich selbst den Menschen zur Erreichung deren Guts als Mittel hin. Es handelt sich bei der Zurechtbringung also um ein Opfer Gottes an die Menschen. Diese Opferrichtung ist biblisch breit belegt,92 geh×rt zu den reformatorischen Grundgedanken93, ist aber erstaunlicherweise im Jahrhundert der Vers×hnung, d. h. im 19. Jahrhundert, ein eher exzeptionell ausgesagter Sachverhalt. Er erscheint im Rahmen unserer historisch-analytischen Untersuchung ausschließlich bei Erskine und wird dann im 20. Jh. in verschiedener Weise breit neuentdeckt und in der Gegenwart ganz selbstverstÅndlich vertreten.94

92 Vgl. z. B. Joh 3,16; R×m 8, 32; 1.Joh 4,9; Mk 10,45; Gal 2,20; Eph 5,25 etc. Diese Aussagen kollidieren Ûbrigens nicht mit all den Aussagen, in denen wie z. B. in der Gethsemane-Perikope Mk 14,32–42parr. davon die Rede ist, daß sich Jesus Christus Gott dem Vater oder dessen Willen hingegeben oder geopfert hat. Da das Handlungssubjekt in Jesus Christus der Logos als zweiter Person der TrinitÅt ist, gilt dies selbstverstÅndlich immer. 93 Dies kommt sehr sch×n in Luthers Beschreibung des Handelns Gottes als Selbstgabe in Sch×pfung, Zurechtbringung und Vollendung zum Ausdruck, vgl. BSLK 650, 27–33; 651, 13–15; 660, 34–38. 94 Zu den neueren Ver×ffentlichungen, die dieses mittlerweile beliebte Theologumena auf hohem Niveau vertreten, geh×ren u. a. Dalferth, GlÛcksfall des Leben, ders., Der auferweckte Gekreuzigte, 304, der zurecht das Ende der SÛhnopfervorstellung durch die Person Jesu Christi betont und Gestrich, Opfer in Systematisch-theologischer Perspektive; ders., Urchristentum und Stellvertretung, 347–391.

Vers×hnendes Handeln

333

3.2.3 Die Auferweckung als Selbsthingabe des Geistes an die Welt Mit dem bisher gesagten ist das Zurechtbringungshandeln Christi beendet, nicht aber das Zurechtbringungsgeschehen des Christusereignisses. WÅhrend die Sendung des Sohnes in die Hingabe bis zum Kreuz so zu verstehen ist, daß sich Vater und Geist auf Christi Hingabe auch unter den sÛndhaften Bedingungen der Inkarnation verlassen und Christus seiner Sendung treu bleibt, so verlÅßt er sich in der Verlassenheit des Kreuzes auf den Vater. Mit dem Tod Christi, der als Tod der zweiten Person der TrinitÅt zu werten ist, tritt in das innertrinitarische Leben damit eine ernsthafte St×rung und GefÅhrdung. Vater und Geist stehen zwischen Karfreitag und Ostern zu dem Sohn nicht in einer realen Liebesbeziehung, sondern in einer rein intentionalen Beziehung. Aus dem condilectus von Vater und Geist wird nun ein Projekt, nÅmlich das gemeinsame Projekt der Auferweckung des Sohnes durch Vater und Geist. Zu diesem Zweck gibt sich nun der Geist seinerseits vorbehaltlos in regelgemÅßer Liebe an den gekreuzigten Christus hin und knÛpft so an die reale Liebesbeziehung wieder an und fÛhrt zur Auferwekkung Christi. Dabei ist zu beachten, daß der auferweckte Gekreuzigte nun nicht mit dem logos asarkos zu verwechseln ist. Es handelt sich um die zweite Person der TrinitÅt als Inkarnierter, der sich der Geist hingibt. Da die Inkarnation aber nicht bedeutet, daß der Sohn eine zweite Substanz, die von anderem geschieden wÅre, annimmt, sondern den Eintritt in das reale BeziehungsgefÛge aller menschlichen Relate des menschlichen Beziehungsorganismus, geh×ren nun diese Beziehungen untrennbar zur zweiten Person der TrinitÅt dazu. Damit geschieht die Auferweckung des Sohnes durch den Geist so, daß dieses kreatÛrlich-menschliche BeziehungsgefÛge mitauferweckt wird. Die Auferweckung Christi durch den Geist bedeutet fÛr den Geist, sich nicht nur Christus, sondern allen Menschen dauerhaft hinzugeben und diese genauso zu vollenden wie es an Christus in dessen Auferwekkung geschieht. Die Auferweckung ist damit nicht unbedingt als historisches Ereignis zu verstehen, sofern damit ein Ereignis gemeint ist, das mit Mitteln der historischen Wissenschaft ÛberprÛfbar wÅre. Die Auferweckung ist aber ein faktisches Ereignis mit eschatologischer QualitÅt.95 Betrachtet man zusammenfassend Tod und Auferweckung, so wird man sagen k×nnen, daß hier eine Einheit von Liebe und Verblendung oder Haß zugunsten der Liebe vorliegt, bzw., um es mit Eberhard JÛngel zu formulieren: Im Christusereignis als Leben, Kreuzestod und Auferweckung des menschgewordenen Sohnes wird die Liebe als Einheit von Leben und Tod zugunsten des Lebens erschlossen.96

95 96

Vgl. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 76–84. Vgl. JÛngel, Geheimnis, 434 u. a.

334

Systematische Rekonstruktion

An dieser Stelle mÛssen noch einige Worte Ûber den Geist als Subjekt der Auferstehung Christi gesagt werden. Aus konzeptionellen GrÛnden ist deutlich, daß die biblischen Aussagen, nach denen der tote Christus selbst Handlungssubjekt seiner Auferstehung ist,97 nicht w×rtlich zu verstehen sind und durch die passivische Formulierung zu reformulieren sind. Soweit Gott (theos ) als Subjekt der Auferstehung genannt wird,98 liegt zwar eine Identifikation mit dem Handlungssubjekt des Vaters nahe, ergibt sich aber nicht zwingend daraus, da sich diese Aussagen auch auf die reale Relation von Vater und Geist beziehen lassen. Da die Auferweckung als gemeinsames Projekt von Geist und Vater beschrieben wurde, ist der Vater genauso verantwortlich Handelnder wie der Geist. Es gibt aber eine Reihe von Belegen, die auch exegetisch dafÛr sprechen, daß als Haupthandelnder der Geist in seinem Opferhandeln angenommen werden kann. Zum einen sind diejenigen Aussagen und Traditionen zu nennen, nach denen der Geist Handlungssubjekt der Auferweckung ist.99 Zum zweiten ist darauf hinzuweisen, daß die Auferweckung Christi und die Gabe des Geistes an die Menschen Åquivalent sind: Erst mit Christi Auferweckung finden sich Aussagen, die von begeisterten Menschen ausgehen, und dies in geradezu inflationÅrer Form.100 Zum dritten ist darauf hinzuweisen, daß insbesondere Paulus eine KontinuitÅt zwischen der Auferweckung des Sohnes als Bedingung der M×glichkeit der eschatologischen Auferweckung des Menschen kennt, gleichzeitig aber die eschatologische Auferweckung dem Handlungssubjekt des Geistes zuschreibt. Somit wird man rÛckschließen dÛrfen, daß der Geist auch das Handlungssubjekt der Auferweckung Christi ist. Die Zuschreibung Pauli der eschatologischen Auferwekkung zum Handlungssubjekt des Geistes zeigt sich vor allem in Pauli Rede vom soma pneumatikon. Peter Lampe hat Ûberzeugend nachgewiesen, daß die Angabe pneumatikon nicht auf einen nichtstofflichen K×rper in mittelplatonischer Tradition oder andersstofflichen K×rper in stoischer Tradition zielt, sondern daß sie prÅzise so zu verstehen ist, daß es sich bei dem eschatologischen Leib um einen rein durch Gott den Geist geschenkten und erhaltenen K×rper handelt.101

3.2.4 Folgen des Zurechtbringungshandelns fÛr Gott Wir hatten gesehen, daß die menschliche SÛnde als Regellosigkeit nicht einfach nur Folgen fÛr den Menschen oder die Kreatur hat, sondern daß Gott selbst davon affiziert ist und dies mit dem Begriff des Zornes Gottes als eines Teilmodells im Rahmen des SchlÛsselmodells Gottes als Liebe ausgedrÛckt. Zuletzt sahen wir, daß die Zurechtbringung des Menschen eine Hingabe oder ein Opfer des Sohnes und des Geistes bedeutet, das der in97

Vgl. z. B. 1.Thess 4,14; 1.Kor 15,4; Vgl. auch Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2,

388. Vgl. exemplarisch R×m 4,25. Vgl. R×m 1,4; R×m 8,11; 1.Tim 3,11 u. a. Eine entsprechende Deutung findet sich auch bei Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 342. 100 Vgl. Becker, Urchristentum, 29–38. 101 Vgl. Lampe, Spiritual Body, 108–110. 98 99

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nertrinitarischen Liebesbeziehung nicht Åußerlich ist. Wenn der tote Sohn durch Geist und Vater auferweckt wird, handelt es sich dabei nicht um eine Zurechtbringung der trinitarischen Beziehung? Wenn es sich aber um eine Zurechtbringung der innertrinitarischen Beziehungen handelt, handelt es sich dann auch um eine innertrinitarische Vers×hnung? Nun hat jÛngst Robert W. Jenson den Vers×hnungsbegriff innertrinitarisch verwandt.102 Bei Jenson ist diese innertrinitarische Verwendung des Vers×hnungsbegriffs sogar gegenÛber der Vers×hnung von Gott und Welt prÅvalent: Der Geist vers×hnt auf spezifische Weise Vater und Sohn, der Sohn vers×hnt auf spezifische Weise Vater und Geist, der Vater vers×hnt auf spezifische Weise Sohn und Geist. Dieses innertrinitarische Vers×hnungsgeschehen, streng mit dem Begriff reconciliation benannt, ist nun Bedingung der M×glichkeit der Vers×hnung von Gott und gefallener Welt, die zur Unterscheidung mit atonement benannt wird. Jensons Modell ist in gewissem Sinne der Schlußstein seiner TrinitÅtslehre und erschließt diese noch etwas deutlicher, so daß man es nur bedauern kann, daß diese Gedanken des innertrinitarischen Vers×hnungsgeschehens erst nach seiner „Systematischen Theologie“103 in ausgearbeiteter Form erschienen sind. Jenson hat auch den Anspruch, daß mit dieser °ffnung des Vers×hnungsbegriffs Aporien der klassischen Vers×hnungslehre vermieden werden k×nnen, ohne dies freilich auf dem ihm zur VerfÛgung stehenden Raum aufzeigen zu k×nnen. Dennoch k×nnen wir uns Jenson aus folgenden GrÛnden nicht anschließen: Jensons Vers×hnungsbegriff ist, wie der Baurs, nicht primÅr an verletzten Beziehungen orientiert, sondern bezeichnet in einem viel umfassenderen Sinne ein Vermittlungsgeschehen. Jensons Vers×hnungsbegriff steht damit explizit in Hegelscher Tradition.104 ºber Hegel hinausgehend ist hier nur der Sachverhalt, daß nicht nur der Geist als Vermittler von Vater und Sohn angesehen wird, sondern die Vermittlung allen Personen zukommt, so daß es scheint, alle Personen k×nnten nicht nur Relatposition, sondern auch Relationsposition einnehmen. Damit meint aber Vers×hnung etwas anderes als in unserem Sprachgebrauch. In unserem Sprachgebrauch wÛrde der Begriff der Vers×hnung voraussetzen, daß eine innertrinitarische Beziehungsst×rung vorliegt, die als Konflikt von handlungsleitenden und seinskonstitutiven Intentionen angenommen werden mÛßte. Genau dies ist aber innertrinitarisch bei der Beschreibung der Zurechtbringung nicht der Fall. Wir hatten bisher den Vers×hnungsbegriff mit dem Begriff der Zurechtbringung Åquivalent gebraucht und den Zurechtbringungsbegriff eingefÛhrt, weil er zum einen einen Verfremdungseffekt beim Leser bewirken soll und weil er zum anderen

102 103 104

Vgl. Jenson, Vers×hnung in Gott. Jenson, Systematic Theology, Bd. 1+2. Vgl. Jenson, Vers×hnung in Gott, 2.

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Systematische Rekonstruktion

m×glichst weit, wenn auch enger als der Hegelsche Vers×hnungsbegriff, gefaßt werden soll. Daher zeigt sich an dieser Stelle, daß der Zurechtbringungsbegriff weiter als der Vers×hnungsbegriff gefaßt ist. Wenn es auch Sinn machen mag, von einer innertrinitarischen Zurechtbringung, die durch Gottes auf den Menschen zielendes Zurechtbringungshandeln inauguriert ist, zu sprechen, so macht es doch keinen Sinn von einer innertrinitarischen Vers×hnung zu sprechen. Innerhalb des innertrinitarischen Zurechtbringungshandelns ist es nun entscheidend, daß der Zorn Gottes Ûberwunden wird. Dies hat insofern nichts Anst×ßiges an sich und ergibt sich folgerichtig aus dem Zurechtbringungshandeln Gottes und aus dem Zornesbegriff, wie wir ihn verwandt hatten: Als Kennzeichen dafÛr, daß eine Beziehungsst×rung zwischen Gott und Mensch vorliegt, die Gott so wichtig ist, daß sie von Gott aus intentional zu Ûberwinden ist. Mit der realen Relation der vollzogenen Hingabe des Sohnes und des Geistes ist aber die Zurechtbringung des Menschen geschehen, so daß fÛr das, was wir Zorn genannt hatten, kein Grund mehr besteht. Mit dem Begriff des Zornes Gottes war aber ein anderer wichtiger Sachverhalt korreliert, den es hier aufzunehmen gilt, und der bereits die Folgen der Zurechtbringung fÛr den Menschen anspricht. Der Zorn Gottes war dadurch wachgerufen, daß es rein sch×pfungsanthropologisch verstanden keinen Grund gibt, zwischen einer kreatÛrlichen Person und ihren Handlungen sowie ihrem Erleiden zu unterscheiden. Damit war auch in der Perspektive Gottes keine Trennung von SÛnder und SÛnde denkbar. Diese Trennung vollzieht sich nun genau im Zurechtbringungshandeln in Kreuz und Auferstehung. Diese Distinktion vollzieht sich nun nicht in der Art und Weise, als wÛrde nun eine Trennung zwischen Handeln und Erleiden einerseits, und einem substanzhaften Personkern andererseits, der etwa im Zurechtbringungsgeschehen erst geschaffen werden mÛßte, eintritt. Es verhÅlt sich vielmehr so: Da der Geist sich an Christus hingibt, indem er sich auch an die partikularen menschlichen Relate hingibt, indem er deren eschatologische Vollendung inauguriert, tritt nun einerseits eine Distinktion zwischen dem, was eine menschliche Person aktual handelt und erleidet und andererseits dem, was eine Person im Lichte des eschatologischen Handelns des Geistes an ihr sein wird, ein. Und genau dies erm×glicht die Distinktion von SÛnde und SÛnder in der Perspektive Gottes.

3.2.5 Folgen des Zurechtbringungshandelns fÛr den Menschen Inwiefern ist aber das so beschriebene Opfer des Sohnes und des Geistes tatsÅchlich Zurechtbringungshandeln, d. h. Handeln, das die Zurechtbringung des Menschen und der Welt bewirkt und dafÛr ausreicht? Wir beantworten diese Frage, indem wir nach den Folgen der Zurechtbringung fragen

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und unterscheiden hier den kosmischen, sowie den personalen und sozialen Aspekt. 3.2.5.1 Der kosmische Aspekt ZunÅchst ist festzustellen, daß mit der Selbsthingabe des Sohnes und der Selbsthingabe des Geistes der Tod, und zwar auch als biologischer Tod, in einem Fall Ûberwunden ist. Die Zurechtbringung ist in dieser Hinsicht zunÅchst die einmalige partikular raumzeitliche Vollendung der thetisch-konstitutiven Ordnung von RegelmÅßigkeiten und aufgrund der Selbsthingabe des Geistes an die Gesch×pfe zugleich die Antizipation der eschatologischen Vollendung dieses Regelwerkes, insbesondere der eschatologischen ºberwindung des Todes. Dieser Sachverhalt ist signifikant, denn das thetisch-konstitutive gesch×pfliche Regelwerk bedurfte der Vollendung unabhÅngig von der SÛnde. Damit ist die Zurechtbringung nicht nur ein kosmisches Ereignis des fortgesetzten Sch×pferhandelns Gottes, sondern man wird zu folgendem Schluß kommen: Auch ohne die SÛnde bedurfte die Welt des Zurechtbringungshandelns des Sohnes und des Geistes. Diese Auffassung wird noch durch ein weiteres Faktum gestÛtzt: Da Gottes personale Gesch×pfe raumzeitliche Gesch×pfe sind, bedurfte es auch einer raumzeitlichen Selbsterschließung Gottes, wenn sich Gott seinen Gesch×pfen offenbaren will. Auch dieser Sachverhalt spricht dafÛr, daß das Zurechtbringungswerk auch ohne die SÛnde erfolgt wÅre. ºber die genaue Gestalt eines solchen hypothetischen Zurechtbringungshandelns lÅßt sich freilich nichts sagen. Man kann vermuten, daß in einer solchen Selbsthingabe des Sohnes und Geistes an die Welt auch Tod und Auferstehung involviert sein k×nnten, daß es sich aber bei dem Tod um keinen Gewalttod handeln wÛrde. WÅhrend diese Gedanken Spekulation bleiben, so lÅßt sich daraus ein wichtiges konzeptionelles Merkmal entnehmen: Die Zurechtbringungsfolgen, wie sie soweit beschrieben sind, sind in der (altkirchlichen) Tradition vor allem mit dem Begriff der Erl×sung erfaßt. Man wird daher festhalten mÛssen, daß Zurechtbringung beides enthÅlt, Erl×sung und Vers×hnung aufgrund der SÛnde. Beides geschieht gleichursprÛnglich in Christi und des Geistes Zurechtbringungshandeln und darf nicht voneinander getrennt werden. Geschieht dies vor allem in der westlichen Tradition zuweilen doch,105 so lÅßt sich vermuten, daß damit eine Vorentscheidung fÛr die Rekonzeptualisierung der Zurechtbringung erfolgt.

105

Dies z. B. ist der Fall bei Ritschl, s. o.

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3.2.5.2 Der personale und soziale Aspekt Faktisch interessanter und bedeutender sind die Folgen der Zurechtbringung soweit sie die ºberwindung der SÛnde als Regellosigkeit bedeuten, d. h. die WiederbefÅhigung des Menschen zur ErfÛllung des sich in der Doppelregel der Liebe ausdrÛckenden deontisch-konstitutiven Regelwerkes. Da Personen immer Personen in Beziehung und Beziehungen immer Beziehungen mit personalen Relationen sind, ist es sinnvoll, personale und soziale Aspekte der Folgen der Vers×hnung unter einer gemeinsamen ºberschrift zu behandeln. Dabei ist zu berÛcksichtigen, daß hier nicht alle Folgen der Zurechtbringung genannt werden, da die im engeren Sinne ethischen Folgen in einem getrennten Kapitel behandelt werden (s. u.). Hier sind vor allem elf Sachverhalte zu nennen. Erstens: Selbst wenn man nur das Zurechtbringungshandeln in der Selbsthingabe Jesu Christi bis zum Kreuzestod als aufgrund der Regellosigkeit der SÛnde eintretende Verlassenheit betrachtet, d. h. noch ohne die Auferweckung Christi durch die Selbsthingabe des Geistes, ergibt sich ein signifikanter Sachverhalt: Eine SÛndenfolge ist, daß der biologische Tod aufgrund der Regellosigkeit und des chaotischen Leidens zum absoluten Tod der Beziehungslosigkeit wird. Stirbt aber die Person Christi als Person des g×ttlichen inkarnierten logos , zu dem als Bruder der Menschen die Beziehungen zu allen partikularen Menschen dazugeh×ren, diesen Tod der Verlassenheit, verwandelt sich der Tod der Verlassenheit fÛr alle anderen Menschen, denn fÛr diese ist in dieser Verlassenheit nun Christus aufgrund seines menschlichen BeziehungsgefÛges nun auch als Gott der Sohn anwesend, so daß der sÛndige Mensch den Tod nicht mehr allein zu erdulden hat. Insofern kann Christi Zurechtbringungshandeln im Tod, noch v×llig ohne Beachtung der Auferstehung, als exklusive Stellvertretung beschrieben werden. Nun stirbt der Sohn aber in seiner Hingabe an den Menschen, indem er – m×glicherweise trotzt ausbleibender Antwort – auf Vater und Geist vertraut und sich auf sie verlÅßt und dies geschieht, wie in der Selbsthingabe des Geistes deutlich wird, auch nicht umsonst. Der Tod bedeutet daher, sich der Verlassenheit und als Abbruch aller Handlungsm×glichkeiten der puren PassivitÅt auszusetzen. Damit aber bedeutet der Tod der zurechtgebracht sterbenden Menschen in KonformitÅt zum toten Christus die Konfirmation des Rechtfertigungsglaubens.106 In dieser Hinsicht ist Christi Tod, noch ohne Auferweckung aber schon in Hoffnung auf diese, als inklusive Stellvertretung zu verstehen. Zweitens: Die Hingabe des Sohnes an die Welt in der SÛnde bis zum Tod erschließt inhaltlich die SÛnde des Menschen und deren Ernst. Zwar mag 106 Der Sache, wenn auch nicht der Terminologie nach, verdanke ich diese Einsicht HÅrle, Dogmatik, 632–634.

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die Doppelregel der Liebe durchaus auch ohne Christi Zurechtbringungshandeln erkennbar sein, aber nicht in ihrem vollen Ernst, d. h. in ihrem tatsÅchlich umfassenden seinskonstitutiven Charakter. Der Mensch in der Regellosigkeit und epistemischen Verblendung erkennt zwar, daß es sich um eine deontische Regel handelt, die unter sÛndhaften Bedingungen Gesetzescharakter erhÅlt, aber er erkennt weder, daß es sich dabei um eine fÛr sein Sein konstitutive Regel handelt, noch, daß die Regelverletzung derart Ernst zu nehmen ist, daß die unter sÛndhaften Bedingungen geltende Unm×glichkeit der RegelerfÛllung anzunehmen ist. Mit Erskine kann nun festgehalten werden, daß dieser Ernst der SÛnde in Christi Leben bis zum Kreuz vollstÅndig offenbar wird: Die Regellosigkeit der SÛnde kann kaum unterschÅtzt werden, wenn sie Gott selbst t×ten kann. Daraus ist zu folgern, daß es sich dabei tatsÅchlich um eine deontisch-konstitutive Regel fÛr personales Sein handelt und daß eine ºberwindung fÛr den Menschen unm×glich ist, wenn es einer g×ttlichen Intervention in dieser Form bedarf. Drittens: Inhaltlich erschließt sich im Vers×hnungshandeln des Sohnes und des Geistes Gott als Liebe: In der Hingabe des Sohnes kommt Gottes Liebe als Mitleid zum Ausdruck. Dies ist an dem Sachverhalt sichtbar, daß Gott auch in aller Feindschaft und Regellosigkeit den Menschen nicht aufgibt und ihm selbst im Verderben treu bleibt und „nachlÅuft“. In der Hingabe des Geistes zur Auferweckung kommt ferner zum Ausdruck, daß die Liebe Gottes stÅrker als die Regellosigkeit der SÛnde ist: Hier erschließt sich Gottes Liebe als Einheit von Leben und Tod zugunsten des Lebens oder als Liebe, die ihr Liebenswertes nicht nur erst, sondern immer wieder hervorbringt.107 FÛr den Menschen bedeutet dies mit Ritschl, daß sich Gott als perfekt vertrauenswÛrdig erschließt. Viertens: Mit der in der Perspektive Gottes durch das Vers×hnungsgeschehen in Kreuz und Auferweckung inaugurierten Trennung zwischen SÛnde und SÛnder, d. h. zwischen dem Handeln des Menschen einerseits und dem eschatologischen Handeln Gottes an ihm andererseits, kann der Mensch auch dieses Urteil Gottes fÛr sich selbst annehmen: Der zurechtgebrachte Mensch erfÅhrt inmitten der Welterfahrung der Zerrissenheit seiner Person in verschiedene Rollen im Rechtfertigungsglauben die Einheit seiner Person als ihm durch das Handeln des Geistes ver- und zugesprochene Einheit, d. h. als durch die reale, asymmetrische Relation der g×ttlichen Kommunikation extern und eschatologisch konstituierte Einheit. FÛnftens: Die bisher erwÅhnten Sachverhalte der Folgen der Zurechtbringung betreffen allesamt intelligible Sachverhalte, die in klassischer Terminologie unter den Begriff der notitia eingeordnet werden k×nnten. Eine solche notitia reicht aber noch nicht zur Generation von Vertrauen und damit zur

107

Vgl. JÛngel, Geheimnis, 434 und Luther, WA 1, 365.

340

Systematische Rekonstruktion

Reinstantiierung der Doppelregel der Liebe aus. Es gilt nun zu zeigen, daß das Zurechtbringungshandeln des Sohnes und des Geistes auch dafÛr hinreichend ist, so daß das hier entwickelte Modell die entsprechende SchwÅche, wie sie etwa bei Ritschl diagnostiziert wurde, nicht teilt. Das fÛnfte Kennzeichen beschÅftigt sich daher mit der intern-relationalen Struktur menschlicher IntentionalitÅt. Wir sahen, daß die Doppelregel der Liebe aufgrund ihres Regelinhalts nur befolgt werden kann, wenn nicht versucht wird, unter Umgehung der AffektivitÅt aufgrund der Kenntnis des Inhalts den Willen direkt zu beeinflussen, d. h. wenn die RegelerfÛllung mit „Lust und Liebe“ und damit ohne gesetzlichen Charakter geschieht. Wir sahen aber, daß dies dem Menschen nicht m×glich ist, da die AffektivitÅt nicht direkt intentional angeregt werden kann, sondern von einer externen Relation zu externen Relaten, oder um mit Erskine zu sprechen, von Tatsachen abhÅngig ist. Gott der Heilige Geist wird sich in seiner Treue entgegen der Ansicht KÅhlers108 nicht gegen diese interne Struktur der von ihm geschaffenen menschlichen intentionalen FÅhigkeiten hinwegsetzen, sondern vielmehr die personale Transzendenz der Menschen wahren. Um die menschliche AffektivitÅt anzuregen, muß also eine Tatsache geboten werden, die dies leistet. Diese Tatsache ist aber mit der Hingabe des Sohnes gegeben. Um das Bild Erskines aufzugreifen: Wie der Diener Elisas alle Furcht verliert und zum Vertrauen kommt, als er ganze Heerscharen mit Elisa streiten sieht, so fÛhrt auch die Hingabe des Sohnes bis in den Tod und seine Auferweckung die menschlichen, raumzeitlich unmittelbaren Osterzeugen fÛr diese freilich unverfÛgbar zum Vertrauen auf Gott, wie er sich in dieser Zurechtbringung erschließt und damit zur ErfÛllung der ersten Seite der deontisch-konstititutven Doppelregel der Liebe und letztlich auch zur ErfÛllung der zweiten Seite dieser Regel, wie noch zu sehen sein wird. Sechstens: Direkt wirksam zur Affektwandlung ist die Hingabe Christi freilich nur fÛr die direkten raumzeitlichen Zeugen. Alle anderen Menschen k×nnen diese Tatsache nur durch das Medium menschlicher Kommunikation erfahren. Die Tatsache, die die AffektivitÅt anregen soll, steht hier nicht mehr in einer realen Relation zu den entsprechenden menschlichen Relaten. Indem sie durch Kommunikation vermittelt ist, unterliegt sie der Beurteilung durch die intelligiblen FÅhigkeiten des Menschen und dessen gesamter zugrundeliegender Lebenserfahrung. Diese Beurteilung ist auch einerseits sinnvoll, da die durch menschliche Kommunikation erzÅhlte Tatsache der Zurechtbringung in Christus auch inhaltlich so erzÅhlt werden kann, daß sie eben nicht mehr den Inhalt des Evangeliums enthÅlt. Andererseits verliert die somit nur noch mediale zugÅngliche Tatsache zunÅchst ihre Unmit-

108 Bei KÅhler ist das Subjekt des unmittelbaren Eingriffs in die menschliche IntentionalitÅt freilich nicht der Geist, sondern der Ûbergeschichtliche Christus, s. o.

Vers×hnendes Handeln

341

telbarkeit und damit ihre FÅhigkeit zur Affektsteuerung. Nun geh×rt zu dem Zurechtbringungswerk des Geistes nicht nur, daß er den toten Jesus auferweckt, sondern auch, daß er sich so, wie er sich Jesus hingegeben hat, auch den Menschen hingibt. Dieser Sachverhalt kommt nun hier zum tragen: Der Geist bewirkt im Menschen durch das, was klassisch mit Calvin das testimonium internum genannt werden kann, die Evidenz und Unmittelbarkeit, die zur Affektsteuerung n×tig ist. Dabei handelt es sich nicht um einen abzulehnenden direkten Eingriff in die menschliche AffektivitÅt, denn der Geist macht nichts anderes als daß er die Tatsache des Christusereignisses, d. h. dessen Hingabe im Zurechtbringungshandeln, dem Menschen koprÅsent werden lÅßt. Damit aber werden Tod und Auferstehung Christi fÛr den sÛndigen Menschen zu Relaten einer asymmetrischen realen Relation und die zur Affektsteuerung n×tige Unmittelbarkeit ist zwar hergestellt, bleibt dem Menschen selbst aber unverfÛgbar. Auf diese Weise werden auch raumzeitlich nicht mit Christus bekannte Menschen Kreuzes- und Osterzeugen und hinreichend zum Vertrauen auf Gott und damit zur RegelbefÅhigung der Doppelregel gefÛhrt. Siebtens: Indem der Geist dem Menschen Christus vergegenwÅrtigt, vergegenwÅrtigt auch er sich selbst in seinem Handeln dem Menschen. So wie der Geist sich Christus hingibt und bei ihm bleibt und ihn auferweckt, wird er auch bei dem zurechtgebrachten Menschen bleiben und sich diesem hingeben, indem er Christus weiter vergegenwÅrtigt bis zur eschatologischen Integration des Menschen in das trinitarische BeziehungsgefÛge aus Gnade. Diesen Sachverhalt kann man mit KÅhler als Pfand oder BÛrgschaft bezeichnen, muß dann aber auch beachten, daß er sich zum einen gegen KÅhler primÅr auf den Geist bezieht, zum anderen ist zu beachten, daß Pfand oder BÛrgschaft hier nicht im rechtlichen Sinne zu verstehen sind. Es handelt sich vielmehr einfach wieder um eine dem Menschen unmittelbare Tatsache, die vertrauens- und hoffnungsgenerierend ist. Indem der Geist dem Menschen Christus vergegenwÅrtigt, gilt letztlich fÛr beide, Christus und Geist: „Siehe, ich bin bei euch bis an das Ende der Tage“. Achtens: Auch der zurechtgebrachte Mensch bleibt in einer Welt, in der ihm zum einen die Vollendung der thetisch-konstitutiven Ordnung der RegelmÅßigkeiten nur antizipativ und d. h. in Hoffnung bekannt ist und in der er zum anderen in einem fÛr sein Sein konstitutives personales BeziehungsgefÛge steht, das immer noch unter der SÛnde als Regellosigkeit und daher unter Verblendung genauso wie unter chaotischem Leiden steht. WÅhrend der erste Sachverhalt immer wieder Grund zu Versuchungen werden kann, wird insbesondere der zweite Sachverhalt, die Erfahrung chaotischen Leidens, zur Anfechtung. WÅhrend die Versuchung darin besteht, die offene, unvollendete thetisch-konstitutive Ordnung von RegelmÅßigkeiten fÛr die einzige Art von Regeln zu halten, die existent sind, so daß infolgedessen der Mensch versucht ist, nicht dem wahren, dreipersonalen Gott zu vertrau-

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Systematische Rekonstruktion

en, sondern eben Instanzen dieser thetisch-konstitutiven Ordnung selbst, d. h. welthaften EntitÅten, besteht die Anfechtung vor allem bei inhaltlicher Kenntnis der deontisch-konstitutiven Doppelregel in einer Mißdeutung des chaotischen Leidens, indem der Mensch den chaotischen Charakter dieses Leidens als Regellosigkeit verkennt und hier einen geregelten Zusammenhang sieht, so daß fÛr ihn die Anfechtung besteht, aufgrund eines falschen Gottesbildes Gott selbst zum G×tzen zu machen und zu mißtrauen. Damit macht der Mensch trotz effektiver Zurechtbringung weiterhin die Erfahrung der Zerissenheit seiner Person in aufgrund seines Handelns und Erleidens bestehenden verschiedenen Rollen, die nicht rational integrierbar sein mÛssen. Der zurechtgebrachte Mensch bleibt simul justus et peccator. Beides gilt dabei effektiv. Neuntens: Die beschriebene Zurechtbringung des Menschen wahrt sowohl die IrresistibilitÅt der Gnade als auch die Freiheit des Menschen, in dem Sinne, als sich die Gnade nicht als deterministisch erweist: Wenn der Geist Christus als unmittelbare, die Affekte steuernde Tatsache vergegenwÅrtigt, ist jede dieser VergegenwÅrtigungshandlungen fÛr den Menschen unwiderstehlich und gleichzeitig nicht deterministisch, da die menschlichen intentionalen FÅhigkeiten einschließlich des Willens vollstÅndig intakt bleiben. Allerdings gilt dies nur fÛr einzelne VergegenwÅrtigungshandlungen des Geistes. Unter den Bedingungen von Versuchung und Anfechtung bleibt dem Menschen u. U. Spielraum, ungewollt etwas zu tun, was ein Zutragenkommen des VergegenwÅrtigungshandelns des Geistes erst gar nicht zulÅßt.109 Ist diese Annahme richtig, dann mÛßte die Zurechtbringung des Menschen als Zurechtbringungsprozeß mit Erskine in Analogie zu einem Bildungs- oder Erziehungsprozeß gedeutet werden, in dem Gott nicht zwingt, sondern motiviert und lockt: „Gott streckt wohl tÅglich seine HÅnde aus. Aber er zwingt nicht: Non cogit sed trahit“110 Zehntens: Bleibt der Mensch aber simul justus et peccator, muß die Frage gestellt werden, ob es partikularen Menschen m×glich ist, „mit erhobener Hand“ zu sÛndigen, bzw. eine „SÛnde wider den Heiligen Geist“ zu begehen. Es gibt m.E. keine M×glichkeit, diese Frage zu entscheiden. Aber diese Frage impliziert eine zweite Frage: [A] Was geschieht mit den hypothetischen partikularen Menschen, die in dieser SÛnde wider den Heiligen Geist stehen? Eine Åhnliche Frage wird durch die leichte Beobachtung, daß nicht zu allen Zeiten und RÅumen das Evangelium durch menschliche Kommunikation weitergetragen wird, impliziert: [B] Was geschieht mit denen, die keinen kommunikativen Kontakt zum Zurechtbringungsereignis bekom-

109 Vgl. dazu die instruktiven Einsichten in HÅrle, Der Glaube als Gottes- und/oder Menschenwerk. 110 Ratschow, Der Angefochtene Glaube, 18.

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men? Diese beiden Fragen sind nicht identisch und wurden in der Tradition verschieden gel×st; beide zielen unter der Voraussetzung spezifischer Antworten auf die weitere Frage nach einer Zurechtbringung aller. Diese Frage nach einer apokatastasis panthon , die gegen Ende des 20. Jh. verschiedentlich erforscht wurde,111 kann hier nicht behandelt werden. In der Form, in der die Frage hier gestellt wurde, bedÛrfte es einer eigenen eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung zur personalen Eschatologie. Dennoch seien hier einige M×glichkeiten, die das hier vorgestellte Zurechtbringungsmodell zulÅßt bzw. verwerfen muß, genannt: Frage B kann so beantwortet werden, daß es dem Heiligen Geist auch ohne menschlich-vorgÅngige Kommunikation m×glich ist, das Christusereignis direkt zu vergegenwÅrtigen. Diese M×glichkeit k×nnte die „schwÅrmerische“ M×glichkeit genannt werden, weil sie die Notwendigkeit des verbum externum letztlich leugnet. Diese M×glichkeit scheint mir mit reformatorischer Theologie unvereinbar zu sein. Eine andere M×glichkeit wÅre, auf diejenigen Elemente des Zurechtbringungshandelns Christi hinzuweisen, die objektiv, d. h. unabhÅngig von menschlicher Kenntnis der Zurechtbringung sind, und die aufgrund der Tatsache der ganzen Menschheit als Beziehungsorganismus auch fÛr alle Menschen zum Tragen kommen. Diese M×glichkeit erscheint schon plausibler. Allerdings beschrÅnkt sich nach unserem Modell das, was objektiv, d. h. ohne Kenntnis der Zurechtbringungstat, wirksam werden kann, ohnehin nur auf den Tod und dessen Bedeutung. Damit aber ist zumindest keine Relevanz fÛr das Leben dieser Menschen im Hier-und-Jetzt verbunden. Auch auf die Frage [A] gibt es verschiedene Antworten. Zum einen k×nnte von einer eschatologischen oder protologischen Verwerfung der hartnÅckigen SÛnder, in welchem Sinne auch immer, ausgegangen werden. Damit ist gemeint, daß eine Verwerfung sowohl als annihilatio als auch als ewiges Leiden gedeutet werden kann und daß sich die Verwerfung sowohl eschatologisch als Gericht Ûber Personen als auch protologisch als doppelte ErwÅhlung oder doppeltes Voraussehen durch Gott vollziehen k×nnte. Weder eine protologische noch eine eschatologische Verwerfung lÅßt unser Modell Gottes als geregelter Liebe und der Zurechtbringung als regelgemÅßer Hingabe m.E. zu. Die andere M×glichkeit, die Frage zu beantworten wÅre, davon auszugehen, daß ein eschatologisches Gericht Ûber das Handeln der Personen und somit Ûber die SÛnde besteht, nicht aber Ûber den SÛnder, der die Einheit seines Seins von Gott zugesprochen real erhÅlt. Eine eschatologische Untersuchung im Rahmen des hier vorgestellten Modells hÅtte den Gerichtsgedanken in der Tat in dieser Hinsicht zu untersuchen. FÛr unser Problem hÅtte er aber einen entscheidenden Nachteil: Je mehr welthafte Handlungen einer Person negativ gerichtet wÛrden, desto schwÅcher wÅre

111

Vgl. z. B. Rosenau, Allvers×hnung; Janowski, J. Christine, Allerl×sung.

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Systematische Rekonstruktion

der Aspekt der KontinuitÅt personaler IdentitÅt ausgebildet. M.E. gibt es nun auf beide Fragen [A] und [B] eine L×sung, die vorsichtig erwogen werden sollte, fÛr die entschieden einzutreten aber aufgrund zweier Sachverhalte schwerfÅllt: Denn zum einen handelt es sich um eine L×sung, die eine bestimmte Art einer Zurechtbringung aller impliziert, und zum anderen handelt es sich um eine hochspekulative L×sung, fÛr die es m.E. keine weiteren EntscheidungsgrÛnde gibt. Dies ist die L×sung des spÅten Erskine: Wie wÅre es, wenn unser prÅmortales und prÅeschatologisches Leben nicht unser einziges wÅre? Wie wÅre es, wenn mit dem Tod nicht alles prÅeschatologische aus wÅre, sondern gewissermaßen der g×ttliche Erziehungsprozeß postmortal andauern wÛrde und erst eschatologisch vollendet wÅre? Wie wÅre es, wenn sich unser gesamtes Leben bis ins Eschaton als Bildungsprozeß erweisen wÛrde, der gleich den uns bekannten Erziehungsprozessen nicht kontinuierlich verliefe, sondern graduell in Stufen und in dem die Beschreibung des Todes als Konfirmation des Rechtfertigungsglaubens noch eine andere Bedeutung bekÅme, die Bedeutung einer Stufe dieses Bildungsprozesses, nach deren Durchlaufen v×llig andere und u. U. gÛnstigere Bedingungen fÛr den weiteren Bildungsprozeß bestÛnden? Elftens: Die Selbsthingabe des Sohnes und des Geistes konstituiert gleichursprÛnglich mit den vers×hnten partikularen Menschen die Gemeinschaft der Kirche. Denn zum einen ist das christusvergegenwÅrtigende Handeln des Geistes an die menschliche mediale Kommunikation von Christi Vers×hnungswerk gebunden, so daß die Glaubenskonstitution als Vertrauenskonstitution im Einzelnen voraussetzt, daß der Glaube von anderen bezeugt wurde. Andererseits drÅngt es den Zurechtgebrachten und nun im Vertrauen auf den dreieinigen Gott die erste HÅlfte der Doppelregel der Liebe ErfÛllenden seinerseits Zeugnis in den primÅren und sekundÅren konkreten Sozialbeziehungen, in denen er steht, abzulegen und so die zweite HÅlfte der Doppelregel zu erfÛllen. Genaueres dazu wird unter den ethischen Implikationen der Zurechtbringung zu untersuchen sein. Zwar gibt es auch Folgen fÛr den Beziehungsorganismus der Menschheit, die das thetisch konstitutive Regelwerk betrafen und insofern von menschlichem Verstehen und menschlicher Interaktion unabhÅngig sind, wie es hinsichtlich der Bedeutung des Todes zu sehen war, doch diese Folgen betreffen nicht im eigentlichen Sinne die die IntentionalitÅt voraussetzende SozialitÅt und PersonalitÅt des Menschen und wurden daher unter den kosmischen Aspekten der Zurechtbringung behandelt. Das aufgrund der Zurechtbringung erfolgende Handeln der Kirche kann durch die Charakterisierung der Kirche als Kommunikationsgemeinschaft, Interpretationsgemeinschaft, Handlungsgemeinschaft und Sozialisationsgemeinschaft zusammengefaßt werden.112

112

Vgl. Schw×bel, Gott in Beziehung, 429–435.

Vers×hnendes Handeln

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3.2.6 Das VerhÅltnis der Metapher der Hingabe bzw. des Opfers zu anderen Metaphern Wir haben hier versucht, im Rahmen des SchlÛsselmodells der geregelten Liebe das Zurechtbringungshandeln mit Hilfe der Leitmetapher der Hingabe bzw. des Opfers zu deuten. Im Vordergrund stand bei dieser Betrachtung, dieses Modell bis in die Einzelheiten zu entfalten und weniger, dieses mit anderen Metaphern explizit in Verbindung zu bringen. Dennoch ist auch letzteres eine wichtige Aufgabe, der wir uns hier nicht genÛgend annehmen k×nnen. FÛr detaillierte Untersuchungen zu diesem Zweck ist vor allem auf die Forschungsergebnisse Colin Guntons zu verweisen.113 Da aber auch im Rahmen der hier vorgestellten Modellbildung andere Metaphern durchaus eine Rolle spielen, ist es hier sinnvoll, einige kleinere Explikationen vorzunehmen. Da das GottesverhÅltnis nicht einfach als Liebe, sondern als filiale Liebe vorgestellt wurde, ist die Modellierung mit Hilfe der Metapher der Zurechtbringung als einem Erziehungs- oder Bildungsprozeß durchaus sinnvoll. Dabei zeigt sich aber im Unterschied zum Erziehungsgedanken der AufklÅrung ein wichtiger Unterschied. WÅhrend dort der Mensch zuerst abhÅngig ist und sich zunehmend aus der MÛndigkeit befreit, bis er individuell selbststÅndig und autonom ist, verlÅuft hier der Erziehungsprozeß umgekehrt. Der Mensch unter der SÛnde und Regellosigkeit lebt vereinzelt und Ziel des Bildungsprozesses ist es, ihn in Gemeinschaft und Regelbefolgung zu fÛhren, bis zur eschatologischen Vollendung in die trinitarische Gemeinschaft aus Gnade. Es handelt sich daher bei dem Zurechtbringungsprozeß als Erziehungs- oder Bildungsprozeß um eine stÅrker gebrochene Metapher als in der Verwendung durch die AufklÅrung. Durch den Gedanken der eschatologischen Inkorporation in die trinitarische Gemeinschaft aufgrund der Zurechtbringung wÅre auch schließlich der ostkirchliche Gedanke der Theosis aufzunehmen, freilich nicht ohne Modifikation. Auch der altkirchliche Gedanke der Erl×sung, wie sie in den Redemptionsvorstellungen begegnet, ist aufgrund der Bedeutung der Zurechtbringung des thetisch-konstitutiven Regelwerkes positiv aufzunehmen, bedarf aber Modifikationen, wenn Befreiungsmetaphern oder Metaphern des Machtwechsels aufgenommen werden, denn es handelt sich nicht um eine Befreiung aus einer Knechtschaft durch eine dem Menschen gÅnzlich fremde Macht. Positiv kann auch der Berufsgedanke, wie ihn Ritschl entwirft, aufgenommen werden. In diesem Fall bestÛnden die positiven Analogien darin, daß es sich sowohl bei Christi und des Geistes Zurechtbringungshandeln als auch bei des Menschen Handeln aufgrund dieser Zurechtbringung um regelgemÅßes Handeln handelt. Eine positive Analogie besteht auch darin, daß es sich bei der Regel um eine durch Gottes kommunikatives Handeln gesetzte Regel handelt.

113

Vgl. Gunton, Actuality.

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Systematische Rekonstruktion

Der primÅr von KÅhler verwandte BÛrgschaftsbegriff hat seine positive Entsprechung innerhalb dieses Modells vor allem durch den Begriff der Treue. Der Begriff der Liebe als geregelter hat auch gezeigt, daß Rechtsmetaphern und damit natÛrlich die reformatorische Zentralmetapher der Gerechtsprechung positiv aufzunehmen sind. Auch die Begriffe des Gesetzes und der Ordnung haben ihre Berechtigung. Liebe ist mitnichten von Verbindlichkeiten frei. Freilich muß bei Rechtsmetaphern beachtet werden, daß es eine notwendige Bedingung von Recht ist, daß es sich um soziale Regeln handelt, die durch andere Regeln sanktions- und strafbewÅhrt sind. Hier wÅre wohl vor allem eine eher negative Analogie zu sehen, da der Regelinhalt der Liebe, wie zu sehen war, den Strafbegriff ausschließt. Der Begriff eines stellvertretenden Strafleidens kann daher nicht aufgenommen werden, genausowenig wie der Begriff der Strafe an sich. Man kann freilich den Begriff der Strafe pÅdagogisch reinterpretieren, dann ist er zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht unbedingt erforderlich. Bei der Besprechung des Erskineschen Strafbegriffs zeigte sich nÅmlich, daß der pÅdagogische Wert der Strafe nicht an der Strafe selbst, sondern an dem mit ihr verbundenen Leiden hÅngt. Auch der Satisfaktionsbegriff ist im Rahmen dieses Modells eher mit ZurÛckhaltung zu betrachten. Er ist entweder, wie in der altprotestantischen Orthodoxie, mit dem Strafbegriff eng korreliert oder, wie bei Anselm, letztlich Bestandteil eines merkantilen Modells. Dennoch ist hier darauf hinzuweisen, daß zumindest in der anselmschen Variante der Satisfaktionslehre auch der Ordnungsbegriff und daher indirekt auch der Regelbegriff eine positive Rolle spielt. Auch die Begriffe des Tests und der Probe k×nnen kaum in das Modell integriert werden. Eine solche Integration wÅre nur Ûber den Umweg des Erziehungsbegriffs m×glich, aber wir sahen schon, daß der Erziehungsbegriff selbst nur deutlich gebrochen verwandt werden kann. Die semipelagianische Gefahr ist bei einer Verwendung dieser Begriffe m.E. doch sehr hoch. Positiv aber k×nnen vor allem die Begriffe der Erschließungserfahrung, bzw. der Offenbarung verwandt werden. WÅhrend wir uns der Darstellung gemÅß der Seinsordnung bedient haben, so daß der Offenbarungsbegriff notwendigerweise erst am Ende erscheint, so wÅre es doch denkbar, das gesamte Modell auch von der Erkenntnisordnung her zu beschreiben. In diesem Falle wÅre die SchlÛsselmetapher die der offenbarenden Liebe und der Regelbegriff erschiene am Ende der Darstellung. Unsere Untersuchung dÛrfte gezeigt haben, daß es sich bei der oft begegnenden Disjunktion zwischen objektiven und subjektiven Zurechtbringungslehren, wobei im Rahmen letzterer der Offenbarungsbegriff angesiedelt wird, um eine falsche Alternative handelt. Schließlich ist auf den Begriff der Beziehung oder Relation einzugehen. Hier handelt es sich weniger um eine Metapher, die semantisch das Zurechtbringungsgeschehen erschließt, sondern um einen durchgÅngig innerhalb des Modells syntaktisch verwandten Begriff. Veranschaulicht man den Beziehungsbegriff mit Hilfe rÅumlicher Relationen, ist der SÛnde als Dislokation die Zurechtbringung als Relokation bzw. sogar als Neolokation korreliert.114

114 Der von Schw×bel, Gott in Beziehung, 204. 217. 252 eingefÛhrte Begriff der Relokation k×nnte insofern mißverstanden werden, als man damit fÅlschlicherweise die reine Wiederher-

Handeln in Vers×hnung

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SelbstverstÅndlich ist auch der Vers×hnungsbegriff selbst zu nennen. Letztlich versteht sich das gesamte Modell als eine Interpretation des christlichen Vers×hnungsbegriffs. Insofern ist auch der Vers×hnungsbegriff durchaus leistungsfÅhig. Dies beweist schon seine Geschichte. Paulus fÛhrte diesen Begriff wohl aus der Sprache des „profanen“ Griechisch in die theologische Sprache ein.115 Da der Vers×hnungsbegriff zumindest in der deutschsprachigen protestantischen Theologie aber zum terminus technicus fÛr die gesamte Zurechtbringungslehre avanciert ist, dÛrfte er seine distinktive Kraft weitgehend eingebÛßt haben. Dies schließt freilich nicht aus, diese wiederzugewinnen. Der anstelle des Vers×hnungsbegriffs hier verwandte Zurechtbringungsbegriff soll diese rein technische Bedeutung behalten und m×glichst nicht semantisch-metaphorisch verwandt werden.

Aufgrund des metaphorischen Charakters der Sprache k×nnte diese Untersuchung prinzipiell ad infinitum fortgesetzt werden. Dabei wÅren nicht nur BanalitÅten, sondern u. U. echte Erkenntnisgewinne zu erwarten. Da dies aber die Zielsetzung dieser Arbeit Ûbersteigen wÛrde, sei diese Untersuchung hier abgebrochen.

3.3 Handeln in Vers×hnung – Ethische Implikationen der Zurechtbringung Bevor wir zur Beschreibung der ethischen Implikationen der Zurechtbringung schreiten, seien hier einige Warnhinweise ausgesprochen, um die Erwartungen in das rechte Licht zu rÛcken. In der gegenwÅrtigen Theoriediskussion hat sich weitgehend die Distinktion Individualethik-Sozialethik durchgesetzt.116 Vor dem Hintergrund des hier vorgestellten Modells erscheint diese Begrifflichkeit problematisch. Da es keine Individuen unabhÅngig von ihren sozialen Beziehungen gibt, mÛßte jede Individualethik auch als Personalethik charakterisiert werden. Der tatsÅchliche Bestand von Individualethiken thematisiert dann auch im allgemeinen immer Personen im Rahmen ihrer Sozialbeziehungen, zumindest ihrer primÅren Sozialbeziehungen, wÅhrend Sozialethiken es mit gr×ßeren sozialen Gebilden und Institutionen zu tun haben. Wir verwenden daher fÛr den ersten Bereich eher die Bezeichnung Personalethik und halten an dem Begriff Sozialethik fÛr den zweiten Bereich fest. Thematisieren wir hier unter der ºberschrift, „Handeln in Vers×hnung“ ethische Implikationen, so ist ferner darauf hinzuweisen, daß es sich nur in stellung eines Urzustandes assoziieren k×nnte. Um dies auszuschließen, ist m.E. der Begriff der Neolokation prÅziser. 115 Vgl. Breytenbach, Vers×hnung, 187–192. 116 Vgl. dazu exemplarisch die Ûblichen LehrbÛcher, wie z. B. Andersen, Ethik, 10; Fischer, Theologische Ethik, 57 ff; Honecker, EinfÛhrung in die theologische Ethik, 8 ff.

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Systematische Rekonstruktion

einem formalen Sinne um ethische „Implikationen“ handelt. Denn das Zurechtbringungsmodell der geregelten Liebe arbeitet von vornherein mit dem Handlungsbegriff als primÅrer ontologischer Kategorie in der Unterscheidung und Bezogenheit von actio dei und actio hominum. Wir sahen, daß es Searle gelang, mittels des Begriffs konstitutiver Regeln fÛr in seiner Sicht partikulare welthafte Bereiche zu zeigen, daß der Vorwurf eines naturalistischen Fehlschlusses selbst ein Fehlschluß ist und daß es fÛr diese Bereiche m×glich ist, ein Sollen aus einem Sein abzuleiten. Aufgrund der umfassenden Verwendung dieses Regelbegriffs im Rahmen eines christlichen WirklichkeitsverstÅndnisses, wie es mit Hilfe unseres Modells interpretiert wird, war außerdem zu sehen, daß Searles Argumentation prinzipiell so auszuweiten ist, daß sie nicht mehr auf einzelne Bereiche von Fakten beschrÅnkt ist, sondern idealiter universal gilt. Folgt daraus eine Wiederaufnahme des Gedankens einer einsehbaren lex naturalis oder einer konkreten Sch×pfungsordnung? Dies ist m.E. nicht der Fall. Zwar konstituieren das thetisch-konstitutive Regelwerk wie auch die deontisch-konstitutive Doppelregel der Liebe ontische Fakten, die aufgrund der Setzung dieser Regeln im Handeln Gottes und in der Kooperation Gottes mit der Welt gleichursprÛnglich ethische Relevanz besitzen. Aber in Hinsicht auf die konkreten Beschreibungen der partikularen Ereignisse der Welt sowie ihrer Typen muß notwendig dreierlei angenommen werden: 1. Unter den nicht zurechtgebrachten Bedingungen der Regellosigkeit der SÛnde sind die konkreten Einzelregeln logisch notwendig nicht einsehbar. 2. Auch im zurechtgebrachten Zustand des Menschen verbleibt die SÛnde unter der Bestimmung des simul iustus et peccator real. Daher ist auch hier faktisch eine fehlerfreie Einsicht in die Einzelregeln nicht m×glich. 3. Der Regelinhalt der deontisch-konstitutiven Doppelregel als Liebe schließt darÛber hinausgehend eine fehlerfreie Einsichtnahme auch prinzipiell aus. Die Zurechtbringung ist nÅmlich gemÅß diesem Regelinhalt von der dem Menschen unverfÛgbaren VergegenwÅrtigung der Tatsache der zurechtbringenden Selbsthingabe des Sohnes durch den Geist abhÅngig, die sich je und je in einzelnen Ereignissen des Lebens von Menschen vollzieht. In einem gewissen Sinne wird das christliche Ethos daher tatsÅchlich immer situativ sein, nÅmlich insofern es auf das Handeln Gottes dauerhaft angewiesen bleibt. Daher k×nnte man mit Luther tatsÅchlich formulieren, daß der Zurechtgebrachte in der Tat spontan neue Dekaloge entwerfen k×nnte,117 eben weil sein Handeln als Handeln im Vertauen auf Gott gar nichts anderes als die ErfÛllung der Doppelregel sein kann. Allerdings wird man bemerken mÛssen, daß sich diese „Dekaloge“ nicht kodifizieren lassen, ja wahrscheinlich nicht einmal formulieren lassen. Wir werden aber auch sehen, daß eine reine

117

Vgl. Luther, WA 39I, 47,27.

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SituativitÅt aufgrund des ontischen Charakters des Regelwerkes der Welt ebenfalls nicht m×glich ist.

3.3.1 Personalethische Aspekte Das Grundmuster der Ethik ist innerhalb unseres Modells die Doppelregel der Liebe. Wir gehen davon aus, eine einzelne menschliche Person sei zurechtgebracht worden, indem ihr der Geist durch seine Hingabe an sie die Tatsache der Selbsthingabe des Sohnes vergegenwÅrtigt hat und so die AffektivitÅt der Person derart gewandelt hat, daß sie im rechten Vertrauen auf den dreieinigen Gott den ersten Teil der Doppelregel der Liebe erfÛllt, der den zweiten Teil impliziert. Die ErfÛllung des zweiten Teils der Doppelregel der Liebe wird sich nun im Zurechtgebrachten primÅr so ausÛben, daß er das Gut seiner NÅchsten mit „Lust und Liebe“ zu verwirklichen sucht. Da aber dieses Gut letztlich nichts anders als deren Zurechtbringung selbst sein kann, wird der bereits Zurechtgebrachte in seinem kommunikativen und sonstigen Handeln Zeugnis der Selbsthingabe Christi als Basis des Zurechtbringungshandelns ablegen. Daher kann mit KÅhler durchaus formuliert werden, daß der „Imperativ der Mission“, wobei Mission hier als Zeugnisgabe zu verstehen ist, der grundlegende materiale Imperativ ist, den die Regel der NÅchstenliebe faktisch enthÅlt. Dieses zeugnisgebende Handeln des Zurechtgebrachten wiederum kann nur notwenige Bedingung derer, die noch nicht zurechtgebracht sind, sein, da es auf das unverfÛgbare Handeln des Geistes angewiesen ist. Hat beides Erfolg, wandelt sich die intentionale Relation der Haltung NÅchstenliebe in die reale Relation der christlichen Geschwisterliebe. Damit ist aber die zurechtgebrachte Gottesbeziehung eines Christen in Form geregelter Liebe ebenfalls dreistellig zu interpretieren: Sie besteht zwischen Gott (Vater, Sohn und Heiligem Geist), dem partikular Zurechtgebrachten und dem Gemeinsamen Projekt beider, die noch nicht Zurechtgebrachten zurechtzubringen und so Geschwisterliebe hervorzubringen. Dabei kann durchaus Ûberlegt werden, ob zwischen dem gemeinsamen Projekt der Auferweckung des Sohnes durch Vater und Geist einerseits und dem gemeinsamen Projekt der Konstitution von Glauben bei noch nicht Zurechtgebrachten durch Gott (Vater, Sohn und Geist) und dem oder den schon Zurechtgebrachten andererseits nicht eine positive Analogie besteht. Dieser hier beschriebene Vorgang hat idealtypischen Charakter und damit primÅr heuristischen Wert, denn faktisch ist ein einzelner Zurechtgebrachter nicht denkbar, da dieser ebenfalls schon immer auf die Gemeinschaft der Zurechtgebrachten als der Kirche angewiesen ist. Ferner bleiben die Zurechtgebrachten auch untereinander immer auf ihre gegenseitige Zeugnisgabe angewiesen, so daß die Unterscheidung zwischen „schon Zu-

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rechtgebrachten“ und „noch nicht Zurechtgebrachten“ notwendig abstrakt bleibt. M. E. eignet sich aber dieses Grundmodell, um einige fundamentalethische KlÅrungen vorzunehmen. Erstens: Die Wandlung der Affekte fÛhrt also nicht nur zur Generation von Vertrauen als Ausdruck der realen Relation der filialen Liebe zwischen Mensch und Gott, sondern bewirkt auch die ErfÛllung der auf Geschwisterliebe zielenden NÅchstenliebe. Diese ist dabei als intentionale Relation der Bereitschaft zur Hingabe des Christen an seinen NÅchsten zu charakterisieren. Das Zeugnis der NÅchstenliebe kann damit in allen seinen Formen in conformitas mit der Selbsthingabe Christi als Selbsthingabe mit „Lust und Liebe“ des Glaubenden an die Welt gedeutet werden. Dabei ist weiter zu beachten, daß die SÛnde als Verletzung der Doppelregel nicht primÅr in Lieblosigkeit besteht, sondern in einer falsch ausgerichteten Liebe, wie es durch die Grundformen der SÛnde der Pseudopersonalisierung und Funktionalisierung zum Ausdruck kommt. Eine das christliche Ethos beschreibende Theorie wird daher die Aufgabe haben, einen ordo amoris mittels des Liebesbegriffs zu nutzen.118 Zweitens: Um diese Selbsthingabe allgemein beschreiben zu k×nnen, wird christliche Ethik nicht umhinkommen, eine Tugendethik zu nutzen. HierfÛr stehen die Zeichen in der gegenwÅrtigen ethischen Diskussion einerseits durchaus gÛnstig119, andererseits zeigte unsere historische Untersuchung daß auch traditionelle „neuprotestantische“ Ethiken, die im Verdacht einer erstaunlichen neukantianischen NÅhe stehen, am Beispiel Ritschls, daß auch hier der Tugendbegriff eine wichtige Rolle spielt. Wir k×nnen uns hier nur auf Andeutungen beschrÅnken: Der Begriff der Hingabe in Kooperation mit der Selbsthingabe Gottes des Geistes und Sohnes als Leitmetapher dÛrfte in diesem Zusammenhang folgende Tugenden implizieren: Christliche Hingabe erfordert Geduld, da die Hingabe an das Gut des NÅchsten nicht dessen Realisierung erzwingen kann. Sie erfordert Leidensbereitschaft, da der NÅchste durchaus nicht sein Gut als dieses erkennen muß. Aus demselben Grund erfordert die Hingabe auch den Mut der Bestimmtheit, an dem im Glauben erkannten Gut des NÅchsten auch festzuhalten, da eine Aufgabe desselben eine Untreue gerade gegenÛber diesem NÅchsten implizieren wÛrde. Sie erfordert auch Zuversicht und Hoffnung hinsichtlich des sinnvollen Charakters der Selbsthingabe, die in dem Vertrauen auf Gott wurzelt und daher in der Gewißheit, mit der eigenen Selbsthingabe nicht alles selbst tun zu mÛssen. Angesichts des Wissens, selbst auf die Selbsthingabe des Geistes dauerhaft angewiesen zu sein, und des Wis118

Einen solchen neueren Entwurf hat Stock, Liebe, 195 ff vorgelegt. Stellvertretend seien hier fÛr die Protestantische Theologie, jeder auf seine spezifische Art, im amerikanischen Bereich Hauerwas, Die Kirche in einer zerrissenen Welt und fÛr den deutschen Kontext Stock, Tugendlehre genannt. 119

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sens, daß die allgemeine Doppelregel der Liebe mit der Erkenntnis und Bewertung konkreter Handlungssituationen zu vermitteln ist, erfordert die Selbsthingabe ferner Sorgfalt. Diese AufzÅhlung soll nicht den Charakter eines vollstÅndigen Tugendkataloges haben. Wahrscheinlich wÅre die Aufstellung eines solchen sogar verfehlt und wÛrde dem Charakter der Liebe widersprechen. Vielmehr soll hier nur angedeutet werden, wie eine Konkretion der Hingabe aussehen k×nnte. Dabei ist ein Einwand aufzunehmen. Selbsthingabe an Menschen kann im Unterschied zur Hingabe der g×ttlichen Personen untereinander immer mißbraucht werden. In diesem Zusammenhang betont die feministische Kritik, daß die mit der Hingabe verbundenen Tugenden wie Geduld und Leidensbereitschaft auch gefÅhrlich sein k×nnen und ihrerseits nicht vor SÛnde gefeit sind.120 Diese Kritik erfaßt zwar etwas richtiges, ist aber als grundsÅtzliche Kritik verfehlt. Dies sieht man, wenn man die aristotelische Tradition des Tugendbegriffs hier durchaus ernst nimmt und darauf verweist, daß es sich bei Tugenden um Mittelbegriffe handelt, denen jeweils auch zwei Verfallsformen korreliert sind, deren ºbergÅnge fließend sein m×gen.121 Auch in diesem Zusammenhang dÛrften sich ºberlegungen im Rahmen eines ordo amoris als sinnvoll erweisen. Drittens: Tugenden k×nnen allgemein als durch Habitualisierung bestehende Handlungsdispositionen verstanden werden. Diese Tatsache machte die Ausbildung einer protestantischen Tugendethik oft verdÅchtig, weil hier semipelagianische Gefahren gesehen werden k×nnen. Denn Habitualisierungsprozesse beruhen auf der Wiederholung menschlichen Handelns, Verhaltens und Nachahmens, kurz auf Sozialisationsfunktionen. Gegen diesen Einwand kann aber geltend gemacht werden, daß all diese Sozialisationsfunktionen keineswegs als hinreichend, sondern nur als notwendig zur Ausbildung der entsprechenden Tugenden oder Charaktereigenschaften gesehen werden k×nnen, zu der das Christus- und SelbstvergegenwÅrtigende Handeln des Geistes hinzukommen muß. Dies entspricht einer Ausweitung des reformatorischen Gedankens des verbum externum auf alle Sozialisationsprozesse und -funktionen. Ferner ist geltend zu machen, daß selbst die Ausbildung der Summe der entsprechenden Tugenden noch nicht die konkrete Hingabe selbst ausmacht. FÛr diese gilt das gleiche: Auch sie bleibt auf die SelbstvergegenwÅrtigung des dreieinigen Gottes in der AffektivitÅt des Hingebenden angewiesen. Viertens: Der Raum, in dem diese die HandlungsfÅhigkeit ausbildenden Bildungsprozesse geschehen, ist die Kirche als Narrations-, Handlungs-

120

Vgl. z. B. Strobel, Gekreuzigt fÛr uns, dazu die Antwort von Dalferth, GlÛcksfall des Le-

bens. 121

Vgl. Aristoteles, EN 1106b, 36.

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und Bildungsgemeinschaft und zwar gleichursprÛnglich mit den partikularen Personen. In diesen kirchlichen Bildungsprozessen geschieht letztlich nichts anderes, als daß die erzÅhlten Geschichten des Evangeliums mit den fragmentarischen Geschichten der konkreten Menschen verschrÅnkt werden. In diesen ErzÅhl- und Erlebnistraditionen und -prozessen geschieht gleichursprÛnglich zum einen die Selbsterschließung Gottes in der VerschrÅnkung von identifizierender und empirischer TrinitÅt und der Zuspruch der Einheit der IdentitÅt des Menschen. Damit erweist sich letztlich Gott als der Autor der konkreten Geschichten von der IdentitÅt der Menschen. In diesem narrativ-kommunikativen Zuspruch erfÅhrt sich der Zurechtgebrachte aber gerade angesichts seiner fragmentarischen SelbsterzÅhlungen als einheitliche Person und erhÅlt so Handlungsorientierung, die je und je situativ aktualisiert werden kann.122 FÛnftens: Diese Bildungsprozesse der Zurechtgebrachten schließen auch im zurechtgebrachten Zustand Konflikte nicht aus. Konflikte bestehen aufgrund von zunÅchst unterschiedlichen Handlungszwecksetzungen und tragen durchaus zur Bildung von HandlungsfÅhigkeit von Personen bei.123 Der Begriff des Konfliktes ist daher nicht per se auf die Seite der SÛnde und des zu ºberwindenden zu rechnen, sondern gerade Konflikte k×nnen nicht nur Anlaß, sondern auch konkretes Mittel der Zurechtbringung sein. Man wird freilich innerhalb des Konfliktbegriffs eine Distinktion zwischen sÛndhaften und nichtsÛndhaften Konflikten eintragen mÛssen. Sechstens: Die bisher genannten Punkte betreffen fÛr sich alleine genommen eine h×chst situative Ethik. Gerade dies ist aber nicht alles, was christliche Ethik zu sagen hat. Der Christ hat konkrete Handlungssituationen zu bewerten. Aufgrund des Lebens in via stellt sich nun aber das Problem, daß eine solche Bewertung konkreter Situationen Åußerst schwierig ist: Wenn ein Handlungssubjekt nicht sicher sein kann, was das konkrete Gut seines NÅchsten in bestimmten Situationen in Relation zum Gut der Zurechtbringung ist, bringt dies die Gefahr der „KlÛgelei“ mit sich: Der Handelnde kann in eine Dauerreflexion Ûber seine Handlungssituationen geraten. Eine solche hat aber zwei entscheidende Nachteile: zum einen gefÅhrdet sie wieder die HandlungsfÅhigkeit, da es zu einem Handlungsmoratorium kommen kann, zum anderen lenkt sie die Aufmerksamkeit tendenziell auf eine Umgehung der AffektivitÅt der Handlung und fÛhrt somit in Gesetzlichkeit zurÛck. Um dies zu vermeiden, scheint eine Standardisierung oder Typisierung von Handlungssituationen unumgÅnglich. Wie kann eine solche konkret aussehen? Hier erweist sich eine Aufnahme des Ritschlschen Be-

122 Als Beispiel fÛr eine entsprechende Ethik kann Hauerwas, Die Kirche in einer zerrissenen Welt, dienen. 123 Vgl. Mead, Mind, Self and Society, 303–311.

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rufsbegriffs als vorteilhaft. So wie der Handelnde nach Ritschl nicht stÅndig nach seiner Pflicht zu fragen braucht, weil er seine konkrete Berufspflicht erfÛllt, so kann argumentiert werden, daß der Begriff des Berufs es auch erm×glicht, Berufshingabe zu erm×glichen, die eben nicht auf rein singulÅre GÛter der NÅchsten zielt, sondern nur auf solche, die der konkreten Berufung des Handelnden entsprechen. Ferner hat der Berufsbegriff den Vorteil, die RegelgemÅßheit sittlicher Hingabe zu betonen und einen supererogatorischen Charakter auszuschließen. Siebtens: Dieser Berufsbegriff erweist sich freilich als erklÅrungsbedÛrftig. Dazu kann der biblische Begriff des Charismas dienen, wenn ein Charisma verstanden wird als geistgegebene, partikulare Gabe einer auf spezifischer Anlage beruhenden Haltung, die zur AusÛbung einer Funktionsposition innerhalb einer Gemeinschaft als Hingabe befÅhigt. Die spezifische Anlage wird durch die genetisch-biologischen Vorgaben, die den Sozialisations- und Bildungsprozeß konstituiert, im Rahmen von Gottes sch×pferischem Handeln und damit im Rahmen der thetisch-konstitutiven RegelmÅßigkeiten interpretiert werden mÛssen. Als Haltung erscheint ein intentional-personales Moment, das darin besteht, daß die Person die entsprechende Anlage auch in der ErfÛllung der deontisch-konstitutiven Doppelregel nutzen will. Dieser Wille wiederum ist von der Gabe durch die Selbsthingabe des Geistes abhÅngig und von der Person daher nicht frei wÅhlbar. Ferner ist entscheidend, daß es sich dabei tatsÅchlich um eine Haltung handelt, die eine Funktionsposition der Bildungsgemeinschaft der Kirche ist. Dies kann bedeuten, daß es sich um eine Funktion fÛr die Kirche handelt, es kann aber auch bedeuten, daß es sich um eine Funktion handelt, die aus der Kirche kommt und auf die Welt zielt, sei es in Kooperation mit Gottes erhaltendem oder zurechtbringendem Handeln. Achtens: WÅhrend deutlich geworden sein dÛrfte, wie der Begriff des Berufs, der Berufung oder des Charismas eine positive Funktion fÛr die HandlungsbefÅhigung der handelnden Person hat – gerade auch mit seiner neuzeitlichen Konnotation der ErwerbstÅtigkeit – so ist doch auch hinsichtlich des Berufsbegriffs ein dringendes Desiderat anzumelden. An Ritschls Berufsethik erwies sich als problematisch, daß hier eine sozialethische Reflexion Ûber die Strukturen und Arrangements aller Berufe bzw. Berufungen innerhalb einer Gesellschaft weitgehend fehlte. Angesichts der pluralistischen Gesellschaften der Gegenwart stellt die Ausbildung einer christlichen, sozialethisch reflektierten Berufsethik ein dringendes Desiderat dar. GelÅnge eine solche, wÅre der Begriff des Berufs besonders geeignet, um Personalethik und Sozialethik miteinander zu verschrÅnken.

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3.3.2 Sozialethische Aspekte 3.3.2.1 Zurechtbringung und Pluralismus Wir kommen nun zur sozialethischen Bedeutung des ZurechtbringungsverstÅndnisses und fragen hier nach der gesellschaftlichen Bedeutung. Wir werden uns hier noch einmal des Doppelcharakters der zurechtbringenden Hingabe erinnern mÛssen: Zum einen hat sich der Sohn der Welt hingegeben und diese zurechtgebracht, zum anderen basiert auf diesem Zurechtbringungswerk des Sohnes die Hingabe des Geistes, die die Welt fortwÅhrend zurechtbringt und so die eschatologisch-umfassende Zurechtbringung antizipiert. Dies bedeutet aber, daß wir eine Distinktion zwischen zurechtgebracht und nichtzurechtgebracht annehmen mÛssen, die doppelt anzuwenden ist: Zum einen lÅuft diese Distinktion durch jeden einzelnen Christen, insofern er simul iustus et peccator ist. Zum anderen lÅuft diese Distinktion durch die Gesellschaft. Dies drÛckt sich darin aus, daß die Kirche ein Teil der Gesellschaft ist, aber nicht nur funktional von anderen Bereichen unterschieden ist, sondern auch inhaltlich: Die Kirche ist nicht die ganze Gesellschaft. Dies Åußert sich in der Gegenwart in der grundsÅtzlich weltanschaulich-pluralistischen Situation. In dieser Situation ist es die Aufgabe der Kirche, Mission zu betreiben, indem sie von der Tatsache der Selbsthingabe des Sohnes an die Welt ×ffentliches Zeugnis abgibt und so in Entsprechung zur Selbsthingabe des Sohnes fÛr die ganze Gesellschaft da ist. Diese Mission bedeutet aber auch, ebenfalls in Entsprechung zur Selbsthingabe des Sohnes, daß die Kirche darauf verzichtet, die Zurechtbringung der Gesellschaft zu vollenden oder nur in Teilen zu verwirklichen trachtet, sondern sich in diesem Aspekt gleich wie der Sohn auf das zurechtbringende Handeln des Geistes in dessen Hingabe verlÅßt. Daher wird die Kirche nicht nur den deskriptiv feststellbaren weltanschaulichen Pluralismus der Gegenwart begrÛßen, sondern auch fÛr einen prinzipiellen Pluralismus eintreten.124 Eine weltanschaulich-pluralistische Gesellschaft ist auf diese Weise der denkbar beste gesellschaftliche Rahmen fÛr die Existenz der Kirche in via , weit besser als weltanschaulich uniforme Gesellschaften, wenn nicht sogar ein prinzipieller Pluralismus eine notwendige Bedingung fÛr die Kooperation von Gott und Mensch innerhalb des Handelns in Zurechtbringung ist. 3.3.2.2 Zurechtbringung und Zwei-Regimentenlehre Ist aber ein prinzipieller Pluralismus schon aus dem christlichen WirklichkeitsverstÅndnis heraus eine wichtige Bedingung fÛr den Dienst an der Zu-

124

Vgl. Herms, Pluralismus aus Prinzip.

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rechtbringung der Kirche, dann gilt es, diesen prinzipiellen weltanschaulichen Pluralismus zu schÛtzen und fÛr diesen Schutz die geeigneten Mittel zur VerfÛgung zu stellen. Eine anarchistische Gesellschaft eines Krieges aller gegen aller gefÅhrdet nicht nur den Pluralismus, sondern auch die VerkÛndigung der Kirche. Dasselbe gilt auch fÛr den totalitÅren Staat: Auch in einem solchen ist weder Pluralismus noch die freie ×ffentliche VerkÛndigung der Tatsache der Zurechtbringung durch die Kirche m×glich. Man wird sich daher theologisch dafÛr einzusetzen haben, daß es eine gesellschaftliche SphÅre gibt, in der deontische Regeln, die durch andere Regeln sanktionsbewehrt sind, die pluralistische Gesellschaft und die M×glichkeit der Mission schÛtzen. Dies heißt aber nichts anderes, als daß die Kirche eine relative SelbststÅndigkeit des Staates, in der Gegenwart also die relative SelbststÅndigkeit eines demokratischen Staates einschließlich Legislative, Judikative und Exekutive, grundsÅtzlich begrÛßen muß, solange ein Staat nicht seinerseits zum Totalitarismus neigt, indem er zum Gesetzgeber, Anwalt und Polizisten einzelner partikularer Religionen oder Weltanschauungen wird. Die geeignete theologische Figur, die genau diese BegrÛndungsleistung erbringen kann, ist die Zwei-Regimentenlehre: Das Regiment Gottes zur Linken ist notwendig und durch den Gedanken des Regiments, d. h. durch den Gedanken der Kooperation mit Gottes erhaltendem Handeln,125 nicht einer Eigengesetzlichkeit unterworfen, sondern besteht in relativer SelbststÅndigkeit. Die BegrÛndung der Zwei-Regimentenlehre und damit die BegrÛndung relativer Eigengestaltlichkeit126 des Staates und des wirtschaftlichen Systems ist theologisch daher als Implikation nicht der Sch×pfungslehre, sondern der Zurechtbringungslehre zu verstehen. Dies bedeutet aber auch, daß darin eine BegrÛndung des Rechtes als deontischer Regeln, die sanktionsbewehrt sind, eingeschlossen ist, so daß menschliche Gesetzgebung nun nicht mehr ausschließlich als sÛndige Konkurrenz zur g×ttlichen Regelsetzung verstanden werden muß. Eingeschlossen in dieser soteriologischen BegrÛndung in via der Zwei-Regimentenlehre ist daher auch, daß der Staat geeignete Mittel der Gewaltandrohung und -durchsetzung bereitstellt, an denen selbstverstÅndlich auch Christen sich in ihrem Handeln zu beteiligen haben. Eine wichtige Implikation dieser BegrÛndungsfigur ist, daß der Gewaltbegriff nicht grundsÅtzlich zu verteufeln ist: Versteht man Gewalt grundsÅtzlich als die FÅhigkeit von Personen und Institutionen, Zwecke handelnd verfolgen zu k×nnen, zeigt sich, daß es notwendig ist, innerhalb des Gewaltbegriffs Distinktionen einzuziehen. So wird der Staat als Regiment zur Linken die Aufgabe haben, zwischen legitimer Gewalt und il-

125 126

Vgl. HÅrle, Luthers Zwei-Regimenten-Lehre. Vgl. BrunstÅd, Gesetz und Evangelium, 52 f.

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legitimer Gewalt zu unterscheiden, die sich rein formal dadurch ergibt, daß hinsichtlich der sanktionsbewehrten Regeln nur der Staat das Gewaltmonopol besitzen kann. Diese Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Gewalt ist nicht identisch mit der Sicht der Kirche als Regiment zur Rechten: Hier ist die Unterscheidung von sÛndloser und sÛndhafter Gewalt wesentlich. Diese Unterscheidung deckt sich zumindest dann nicht mehr mit der staatlichen Gewaltdistinktion, wenn die materiale Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Gewalt innerhalb des staatlichen Bereiches material so gestaltet wird, daß das staatliche Gewaltmonopol entweder selbst zu schwach wird, so daß eine anarchische Tendenz entsteht oder damit religi×se oder weltanschauliche Inhalte so durchgesetzt werden sollen, daß eine totalitÅre Tendenz entsteht. Die Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung besteht Ûbrigens nicht nur hinsichtlich der deutschen Sprache, da sich zeigen lÅßt, daß auch in anderen Sprachen, etwa im Englischen, die zur VerfÛgung stehenden Begriffsdistinktionen, wie violence , power oder force , weder mit der staatlichen Distinktion von legitim-illegitim, noch mit der christlichen Distinktion von sÛndhaft-nichtsÛndhaft identisch sind. Damit stehen wir vor dem Abschluß der grundsÅtzlichen ºberlegungen zu sozialethisch relevanten Implikationen des christlichen ZurechtbringungsverstÅndnisses. Daher mag es hier angebracht sein, noch eine Warnung auszusprechen: Aus dem hier vorgestellten Zurechtbringungsmodell ergibt sich gerade kein Imperativ der Auss×hnung zwischen Personen, gesellschaftlichen Gruppen oder gar Staaten. Die Anwendung eines solchen kategorischen Imperativs wie „Vers×hnt euch untereinander!“ von christlicher Seite wÛrde im Gegenteil die Zurechtbringungsbotschaft verfehlen, weil damit der Regelinhalt der deontisch-konstitutiven Doppelregel als Liebe, die eben nicht sanktionsbewehrt sein kann, verfehlt wÛrde. Ein solcher kategorischer Vers×hnungsimperativ wÛrde im Gegenteil sogar die Vergesetzlichung des Evangeliums und damit gerade kein Zeugnis fÛr die Tatsache der Selbsthingabe Christi sein, sondern diesem diametral widersprechen. Freilich kann im Rahmen des durch die Zurechtbringung begrÛndeten weltlichen Regiments ein hypothetischer oder relativer Vers×hnungsimperativ durchaus sinnvoll sein, je nach Situation, nÅmlich immer dann, wenn anarchistische Tendenzen erscheinen.

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Vergleichstabelle

Frage

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5.

Offenbarung, Opfer, Beruf

inklusive Stellvertr., bÛrgendes Opfer

Opus operatum/ operantis, Freiheitsprobe, UmgebÅrung

selbsttÅtige Mittlerschaft, Opfer

Offenb. der SÛnde, Offenb. Gottes, Opfer Gottes an Menschen

Offenbarung, stellver tretende Reue, FÛrsprache

exklusives Strafleiden, Selbstopfer, Test

6.

pÅdagogisch, MißverstÅndniß

Ausdruck des Zornes Gottes

Tod als notw. Strafe der Verwesung

keine prominente Stellung

pÅdagogisch

wird abgelehnt

Strafe erfolgt, weil sie verdient ist

7.

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inklusiv

inklusiv

inkl./exkl.

inklusiv

inklusiv

inklusiv

exklusiv

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373

Vergleichstabelle

Frage

Ritschl

KÅhler

GÛnther

Scheeben

Erskine

McLeod

Dale

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1. 2. 3. 4.

Besitzt der Organismusgedanke innerhalb der Anthropologie Relevanz? Wird die SÛnde ernstgenommen? Ist eine g×ttliche Intervention notwendig? Ist das primÅre Handlungssubjekt im Zurechtbringungshandeln Christi der Logos? 5. Mit welchen Metaphern wird das Zurechtbringungsgeschehen primÅr erfaßt? 6. Welche Rolle spielt der Strafbegriff? 7. Wird das Vers×hnungsgeschehen auch als Freiheitsprobe oder Test verstanden? 8. Ist die Vers×hnung objektiv oder subjektiv gedacht. PrÅzisionen: 9. Ist das Vers×hnungsgeschehen objektiv als BeziehungsÅnderung verstanden? 10. Ist es objektiv, weil Offenbarung durch Zurechtbringung geschieht? 11. Ist es objektiv, weil es unabhÅngig von menschlicher Aufnahme verstanden wird? 12. Ist die Aneignung der Zurechtbringung problematisch? 13. Wird die Zurechtbringung inklusiv oder exklusiv verstanden? 14. Ist das VerhÅltnis zwischen Glaube und Sittlichkeit unproblematisch? 15. Hat das ZurechtbringungsverstÅndnis direkte ethische Implikationen? 16. Gibt es einen direkten Zusammenhang des VerstÅndnisses des Wesens Gottes mit dem Zurechtbringungsgeschehen? 17a. Hat das entsprechende VerstÅndnis eine personale Dimension? 17b. Hat das entsprechende VerstÅndnis eine soziale Dimension? 17c. Hat das entsprechende VerstÅndnis eine kosmische Dimension? 18a. Erscheinen pantheisierende Tendenzen? 18b. Erfolgt die Rechtfertigung sola gratia ? 18c. Gibt es akosmistische Tendenzen? 19a. Geschieht das Christusereignis nur wegen der SÛnde? 19b. Geschieht das Christusereignis wegen der Gesch×pflichkeit? 20. Spielt das VerstÅndnis des Todes in der jeweiligen Konzeption eine wichtige Rolle?

Register Abaelard 21, 34 Aberglaube 316 Absichtlichkeit 305 ad extra 132, 133 ad intra 132, 133 Adam und Christus 166 Adoption 73 Affekte 190, 197, 219, 261 affektive KohÅrenz 190 AffektivitÅt 223, 310, 340 Akkommodation 190 AktualsÛnde 93, 103, 107, 317 Akzidenz 130 Alleinwirksamkeit 195 Allgegenwart 305 AllgemeinsÛnde 93 Allmacht 305 Allvers×hnung 247, 249 Allwirksamkeit 195 Allwissenheit 305 AlteritÅt 307 Althaus, P 46 Altkatholizismus 129 Ambrosius 21 Ames, W. 186 analytisches Urteil 96 Andersen, S. 347 Aneignung 40, 41, 179, 218, 283 Anhypostasie 204, 214 annihilatio 95 Anselm v. Canterbury 23, 26, 28, 96, 174, 215, 268, 346 Anthropologie 38, 57, 135, 136, 196, 197, 244, 261 apokatastasis panthon 343 apokatastasis panton 95, 119 Apostolat 151 Arianismus 265 Aristoteles 351 Arminianismus 22, 226

Athanasius 21 Atonement 14 Atzberger, L. 152 AufklÅrung 345 Augustin 131, 169, 296, 297, 298 Aulen, G. 16, 20, 228 Autonomie 81 Axt-Piscalar, Chr. 145 Balthasar, H.U.v. 153, 231 Baltzer, J.B. 129 Barth, K. 14, 46, 55, 57, 171, 231, 259 Baur, F.Chr. 14, 24, 45, 49, 335 Becker, J. 331, 334 BefÅhigung 215 Befreiung 345 Begattung 134 Bekehrung 113 Beruf 63, 81, 82, 345, 353 Berufsethik 123, 125, 126, 353 Bewußtsein 134, 240 Beziehung 346 BeziehungsÅnderung 40, 96 Beziehungslosigkeit 331 Beziehungswesen 261 Bildungsprozeß 345 Binfield, C. 257 BinitÅt 89 Bishop, J. 257 Bolzano, B. 128 Bonaventura 299, 303, 305 B×se 139 B×ses 228 Boston, Th. 186 Brandt, S. 326, 327, 328 Breytenbach, C. 10, 347 Bruderliebe 115 BrÛmmer, V. 37, 52, 121 Brunner, E. 71 BrunstÅd, F. 355

Register

BÛhler, P. 11 Bultmann, R. 10 BÛrgschaft 177 Burkert, W. 11 Bushnell, H. 33, 255, 272, 282 Calvin, J. 341 Calvinismus 178 Cameron, J. 186 Campbell, D. 229, 231, 252 Carcaterra, G. 299 Carlyle, Th. 184 Cartwright, Th. 186 Chalmers, Th. 184 chaotisches Leiden 320, 341 Charakter 222, 262 Charakter Gottes 246 Charisma 353 Christi Geist 105 Christi Person 203, 265, 267 Christi Werk 269 Christologie 38, 63, 65, 66, 67, 68, 70, 71, 108, 110, 165, 166, 203, 246, 265 christologischer Semipelagianismus 325 Christus, geschichtlicher 85 Christus, realer 85 Christus, Ûbergeschichtlicher 85 Cicero 296 Clemens Alexandrinus 21 conformitas 350 Conte, A. 299, 301, 302 creatio ex nihilo 44, 118, 294 Cremer, H. 46, 47, 256 Cyprian 19 Dale, A.W.W. 255, 257 Dale, R. 37, 201, 206, 221, 285, 296 Dalferth, I.U. 10, 11, 304, 326, 328, 329, 332, 333, 351 Dekaloge 348 Demut 80 deontisch-konstitutive Regelbeziehungen 301 Deontisch-konstitutive Regeln 309 der Heidelberger Disputation 195 Descartes, R. 128 Destruktion 173

375

Devenish, P.E. 187 Diekmann, E. 314 Dilemma Anselms 97 Disposition 179 D×llinger, I. 152 Doppelgebot der Liebe 249, 309 Doppelregel der Liebe 312, 313 Dordrechter Synode 185 Dorner, I.A. 90, 108, 110, 112, 145, 256, 268 Duns Scotus, J. 35 Dyk, L. 32 Dyk, L.v. 187, 229, 231, 234, 239, 247, 248, 252 Edwards, J. 30, 233, 237, 252, 253, 276 effektive Zurechtbringung 201 EffektivitÅt 216 Eigenschaften Gottes 304 Einwohnung des Geistge 179 Endzweck 170 Erbschuld 140, 149 ErbsÛnde 92, 163 Erbverdienst 149 Erfahrung 258 Erkenntnis 197 Erl×sung 14, 337 Erl×sungslehre 148 Er×ss, A. 168, 179 Erschließungserfahrung 346 Erskine of Carnock, J. 183 Erskine of Linlathen, J. 267 Erskine of Linlathen, T. 229, 251, 254, 256, 275, 296, 316, 327, 330, 332, 340, 342 ErwÅhlung 228, 242 Erziehung 225, 226, 345 Eschaton 344 Ethik 178, 180, 182, 221, 249, 282, 285 Ethik, materiale 115 ethisch neutral 150 ethische ImplikativitÅt 202 ethische ReversibilitÅt 137 Ethos 350 Ethos, situatives 348 etsi mundus non daretur 305 Evers, D. 296

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Register

Ewigkeit 52, 53 Ewing, A. 184, 231 exegetischer Streit 10 ExklusivitÅt – InklusivitÅt 277 Fall 322 falsches Vertrauen 316 Feindschaft 198, 278 feministische Kritik 351 Fichte, I. 128 Fichte, I.H. 128 Fischer, H. 347 Fisher, E. 186 F×deralcalvinismus 185, 229, 242, 249 foedus gratiae 186 foedus gratiae subserviens 186 foedus hypotheticum 186 foedus naturale 186 Formalprinzip 85 Frank, F.H.R. 56 Frankfurt, H.G. 328 Franzelin, J.B. 151 Freiheit 138, 151, 201, 261, 305, 307 Freiheitsprobe 39, 140, 141, 145, 147, 148, 167, 253, 254, 280 Freude 79, 80 Friedrich, G. 10 FÛhrerschaft 215 Fuller, A. 233 Funktionalisierung 316 FÛrbitte 240 Ganztod 331 Gattung 143 Gebet 80 Geduld 80 Geheimnis 259 Gehorsam 199, 222 Geisler, R. 50 Geist 333, 334, 341 Geist und Materie 157 Geist und Natur 133, 135, 136 Gemeinde 127 gemeinsames Projekt 334 Gerechtigkeit 195, 199, 242, 305 Gerechtsprechung 346 Gericht 343

Geschwisterliebe 350 Gese, H. 10 Gesellschaft 354 Gesetz 142, 195, 198, 245, 260, 263, 274, 296 Gesetz der Liebe 203 Gesetz und Evangelium 296 Gesetzlichkeit 352 Gestrich, C. 332 Gewaltandrohung 355 Gewaltmonopol 356 Girard, R. 326 Glaube 115 Glaubensgewißheit 230, 243, 247 GlÛckseligkeit 222 Gnade 179 Gnilka, J. 331 Goffman, E. 314, 327 G×ll, H.P. 47 Gott ist Liebe 148 Gott, kontraponierter 135 Gottes Charakter 193 Gotteskindschaft 244 Gotteslehre 87, 117, 135, 192, 257 GottesverstÅndnis 43, 234, 241, 243, 257, 293 Grab 214 Grotius, H. 32, 274 Grube, D. 292 Guastini, R. 299 GÛnther, A. 30, 151, 152, 155, 157, 166, 201, 247, 267 Gunton, C. 20, 37, 228, 231, 257, 260, 266, 268, 269, 273, 275, 277, 298, 307, 325, 345 GÛterethik 81 Habitualisierung 93 HabitualsÛnde 103, 107, 163, 317 HandlungsbefÅhigung 42 Hanna, W. 184 Hanson, N.R. 259 Hare, R.M. 315 HÅring, Th. 99 HÅrle, W. 45, 51, 148, 294, 321, 338, 342, 355 Hart, T. 183, 187

Register

Hartshorne, Ch. 187 Hauerwas, S. 350, 352 Hegel, G.F.W. 14 Hegel, G.W.F. 86, 128, 259 Hegel, G.W.F: 335 Heilige Geist 219, 220, 225 Heiliger Geist 149, 242 Heiligkeit 159, 160, 221 Heiligung 178, 217, 249 Heilsgewißheit 107, 216, 251 Henderson, H.F. 183, 187 Hengel, M. 10 Herms, E. 13, 64, 127, 296, 297, 298, 354 Herrmann, R. 47 Herrmann, W. 256 Hesse, M. 304 Heuser, A. 14, 129, 168, 179 Hilarius 21 hilaskesthai 13 Hingabe 98, 212, 294, 304, 326, 328, 330, 331, 332, 334 Hippolyt 21 Hofbauer, J. 128 H×fer, J. 152 Hofius, O. 10 Hofmann, K. 14, 45 Hofstadter, D. 303 Hogg of Carnock, J. 186 holocaustum 176 Honecker, M. 347 hostia 173 Hough, L.H. 257 Hume, D. 191 hypostatische Union 145 Idealismus 128 IdentitÅtsansprÛche 93, 317 imago 262 Immolation 173 Imperativ der Mission 349 Imputation 217 Individualethik 116 Individualethik-Sozialethik 347 Individualisierung 126 Individualismus 87 Individuum 143

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infraslapsarisch-supralapsarisch 44 Inkarnation 111, 164, 165, 238, 246, 330, 333 inklusive Stellvertretung 338 IntegritÅt 159, 160, 167 Intellekt 311 interne Relationen 307 Intervention 38, 324 IntimitÅt 278 IrenÅus 21 IrresistibilitÅt 342 IrresitibilitÅt 218 Irving, E. 184, 229 Janowski, B. 326 Janowski, J.C. 343 Jenkyn, T.W. 233 Jenson, R.W. 335 Jinkins, J. 241 Jinkins, M. 32, 186, 187, 229, 241, 242, 243, 248 Johannes Damaszenus 21 Jowett, B. 230 JÛngel, E. 91, 231, 294, 331, 333, 339 JÛngel. E. 333 Justin 21 KÅhler, M. 13, 14, 28, 48, 59, 62, 128, 187, 256, 275, 277, 281, 296, 327, 329, 341, 349 Kaiser, Th.O. H. 12 Kant, I. 24, 49, 51, 54, 76, 93, 128, 142, 231, 257, 301 Kappadozier 21 KÅsemann, E. 10 katallassein 13 kategorischer Imperativ des Missionsbefehles 116 kategorischer Imperativ 142 kategorischer Vers×hnungsimperativ 356 Kenosis 330 Kindschaft 160, 178 KindschaftsverhÅltnis 114 Kirche 354 Kleutgen, J. 151 Kneifel, T. 12

378

Register

Knoodt, P. 128, 129 KohÅrenz 190, 202 Kommunikationsgeschehen 295 KommunitÅrschuld 101, 102 KommunitÅrsÛnde 102, 103, 107 Konfirmation des Rechtfertigungsglaubens 344 Konflikte 352 Konkordienformel 226 Konkupiszenz 182 Kontingenz 307, 312 Koordinatensystem des christlichen Glaubens 42 Kosmos 266 Krippe 214 Kuhlmann, H. 21, 49, 55, 57, 60, 78, 82 Kummer 211, 236 Kyrill 21, 151 Lachman, D.C. 187 Lampe, P. 334 Lange, D. 78 lateinischer Typus 19 latreutisches Opfer 172 Law, W. 185 legalistisches Modell 242 Leibniz 131 Leiden 201, 206, 250, 312 Leidensbereitschaft 351 Leighton, R. 185 Lengsfeld, P. 158, 159, 162, 163 lex naturalis 348 Liebe 50, 61, 88, 118, 125, 135, 138, 156, 160, 169, 170, 177, 192, 194, 195, 196, 199, 201, 207, 209, 212, 235, 242, 260, 262, 273, 280, 294, 295, 303, 339 Liebner, Th.A. 57, 91, 108, 112 limitierte Zurechtbringung 243 Link, H.G. 46, 47, 86, 91, 95, 117, 121 Logan, J.B. 183, 185, 187, 252 Logik 295 Logos 145, 146, 330 Lotze, H. 48, 49, 54 Lust und Liebe 350 Luther, M. 13, 19, 64, 195, 232, 245, 254, 273, 278, 295, 297, 299, 306, 308, 312, 316, 328, 332, 339, 348

Mabbot, J.D. 299 Machar, A.M. 187 Macht 305 Mally, E. 299 Mandela, N. 12 Marrow-Streit 186 Martineau, J. 253 Martineau, S. 272 Materialprinzip 85, 86 Maurice, F.D. 184, 231, 267 McGiffert, M. 186 McLeod Campbell, J. 32, 184, 185, 186, 187, 254, 256, 275, 296 McLeod, N. 231 Mead, G.H. 314, 352 Melanchthon 281, 324, 325 Mensch 135, 138, 157, 158, 196, 244, 261 Merkantilisierung 126 Metapher 281 Metaphern 39, 292, 325, 345 Meyer, H. 12 Mißtrauen 58, 96, 121, 125, 198, 316 MißverstÅndnis 198 Michelis, F. 129 Mikolaski, S.J. 257, 267 Mikrokosmos 253 Mill, J.S. 271 Mission 354 Missionsbefehl 123 Mitkreator 138 Modalismus 258 Modell 345 Modelle 293 M×glichkeit zur SÛnde 322 Moltmann, J. 231 Moltmann-Wendel, E. 326 Moltmann, J. 91 Morris, Th. V. 146 MÛhlen, H. 91 MÛller, J. 112 MÛller, W.W. 152, 153, 156 Mut, sittlicher 112 Mysterium 163 NÅchstenliebe 350 Natur und Gnade 154

Register

Natur-ºbernatur 153 naturalistischer Fehlschluß 314, 348 natÛrliche Religion 188 Neolokation 346 Neuscholastik 152 Newman, J.H. 184 Nietzsche, F. 308 Nitzsch, C.I. 13, 56, 97 Noumenon 130, 133 NÛssel, F. 168, 281 Oberdorfer, B. 46, 51, 73, 78 objektiv – subjektiv 255, 269, 278, 282, 285 oboedientia activa und passiva 325 oboedientia activa 205 oboedientia passiva 205 Offenbarung 26, 188, 191, 209, 235, 259, 346 Offenbarung ad intra 131 ×ffentliches Recht 23 Oischinger, J.N. 129 Olevianus, K. 186 Opfer 27, 69, 98, 99, 126, 148, 172, 174, 175, 176, 177, 183, 211, 212, 214, 253, 254, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 334 Opfer Gottes an die Menschen 332 Opfer, menschenunm×gliches 174 opus operantis 146, 148, 149, 150 opus operatum 144, 146, 148, 149, 150 Ordnung 297, 303 Ordnungsrelation 298 ordo amoris 350 Organismus 136, 137, 142, 143, 168, 196, 204, 226, 253, 267, 314 Origenes 21 Owen, J. 30, 233 Pagliaro, A. 299 Panfilialismus 244 Pannenberg, W. 45, 56, 258, 259, 309, 314, 334 Pantheismus 56, 131 Papst, J.H. 129 Passaglia, C. 151 Pattison, M. 230 Paul, E. 152, 166

379

Paulus 308, 334, 347 Payne, G. 233 PeccabililitÅt 268 PeccabilitÅt 268 Pelagianismus 57, 59, 120, 178 perfektes Amen 238 perfektes Zeugnis 235 Perkins, W. 186 Person 90, 156, 314 Person Christi 119, 144, 246 personal-sozial-kosmisch 43 personale Transzendenz 340 Personalethik 79 PersonalitÅt 131, 261, 314 Pers×nlichkeit 50, 261 Pfleiderer, O. 187, 231 Pflicht 81, 221, 353 Pflichtethik 79 PhÅnomenon 130, 133 Planeten 132 Platon 129 Pluralismus 354, 355 Pneumatologie 78 Preul, R. 324 Priesterweihe 150 Pritz, J. 129 Privatrecht 22 Prohibitiv 138 Promulgation und Ostentation 29 prospektiver Aspekt der Vers×hnung 234 Provision 225 Pseudopersonalisierung 316 Rahner 294 Rahner, K. 153, 231, 241, 242, 294 Rasse 261, 264, 267 Rationalismus 188 Ratschow, C.-H. 304, 342 RÅtsel 228 Rechtfertigung 44, 72, 86, 105, 107, 120, 179 Redemption 21 Redemtionslehre 19 Regel 296, 298, 300, 303 Regelbereich 300 Regelbeziehung 301

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Register

Regelergebnis 301 Regelinhalt 300 Regellosigkeit 319, 320, 339, 342 Reich Gottes 51, 52, 330 Relation 346 relative SelbststÅndigkeit des Staates 355 ReligiositÅt 75 retrospektiver Aspekt der Vers×hnung 234 Reue 238 Richard v. St. Viktor 127, 297, 310 Ritschl, A. 14, 24, 84, 87, 128, 187, 198, 216, 220, 226, 243, 250, 256, 273, 284, 296, 316, 329, 345, 353 Ritschlianer 124 Rohls, J. 314 Rollock, R. 186 Rosenau, H. 343 Rothe, R. 112 Runggaldier, E. 295, 300 Russel, B. 307 sachlich-pers×nlich 26 Sartorius, E.Chr.W. 24, 44, 57, 62, 91, 194, 294, 297, 330 Satan 228 Satisfaktion 26, 28, 174 Satisfaktionslehre 346 SchÅfer, R. 46, 48, 51, 54, 57, 62, 81, 87 Scheeben, M.J. 183, 327, 329, 332 Schelling, F.W.J. 256, 267 Schlegel, F. 128 Schleiermacher, F.D.E. 14, 25, 47, 60, 64, 84, 128, 142, 231, 309 Schmaus, M. 153 Schmid, K. 11 Sch×berlein, L. 24, 62, 112 Sch×pfung 132, 305 Sch×pfungsordnung 297, 306, 348 Schottland 185 Schrader, C. 151 Schriftprinzip 85 Schuld 61, 96, 140, 143, 163 Schuldabstattung 97 SchuldgefÛhl 61 Schule der Ewigkeit 201

Schwager, R. 326 Schwedt, H.H. 128 Schw×bel, C. 10, 42, 56, 292, 300, 318, 344 Schw×bel, W. 297 Scotismus 22 Scott, A.J. 184 Searle, J. 299, 301, 314, 315, 348 Seiler, Chr. 46, 47, 91, 112 Selbstbewußtheit 305 Selbstbewußtsein 130, 131, 134, 137 Selbsthingabe 332 Selbstliebe 136 Selbstmord 162 Selbstoffenbarung 132, 259 Selbstopfer 250, 280, 281 Selbstzerst×rung 199 Selbstzweck 51, 170 Seligkeit 199 Semipelagianismus 248 Shibutani, T. 314 simul justus et peccator 342 Sittengesetz 51, 52, 263 sittliches Modell 24 Sittlichkeit 75, 114, 115, 122, 124, 189 Slenczka, N. 48, 50, 56, 57 Smith, J.P. 233 Sohnschaft 240 sola gratia 118, 294 sola gratia 44 S×lle, D. 326 Soterologie 86, 108 Sozialethik 181 SozialitÅt 314 Sozinianismus 15, 22, 203, 206 Sparn, W. 296 status exinanitionis 204 status integritatis 136 stellvertretende Reue 32, 239 stellvertretenden Strafopfer 98 Stellvertretung 41, 103, 215 Stock, K. 350 Stolz 161 Story, R. 229 Strafe 27, 30, 39, 60, 61, 94, 100, 102, 103, 200, 205, 238, 253, 263, 274, 275, 276, 318, 346

Register

Strafleiden 275 Strafopfer 281 Strafsatisfaktion 325 Straftod 206 Strauß, D.F. 93 Strobel, R. 11, 326, 351 Stuhlmacher, P. 10 Su€rez, F. 151 Suber, P. 303 subjektiv-objektiv 25, 33, 34, 40, 41 Subordinationismus 243 substantiale Mittlerschaft 165, 168 Substanz 130 SÛdafrika 11 SÛhnopfer 10 Sukzession 151 SÛnde 38, 58, 59, 61, 91, 92, 93, 118, 139, 140, 143, 161, 162, 198, 200, 201, 236, 245, 262, 263, 264, 316, 317, 318 SÛndenfolgen 320 SÛndenlehre 118 SÛndenvergebung 72, 105 SÛndlosigkeit Christi 101, 120 Suprarationalismus 188 Sykes, S. 37 Synthese 137 Synthese, menschliche 141 synthetisches Urteil 96 tÅtige Mittlerschaft 165, 171 Temple, F. 230 Tertullian 19, 169 Test 40, 247, 262, 280, 281, 284, 346 Teufel 92 Theismus 265 Theopoiesis 21 Theorien 293 Theosis 345 Thetisch-konstitutive kosmische RegelmÅßigkeiten 307 thetisch-konstitutive Regelbeziehungen 301 thetisch-konstitutive Regeln 306 Thomas a Kempis 284 Thomas v. Aquin 28, 151, 298 Thomasius, G. 108, 305 Thompson, D.M. 257

381

Tieftrunk, L. 49, 61 Tillich, P. 46 Timm, H. 21, 48 Tod 45, 94, 101, 119, 142, 147, 226, 234, 236, 308, 312, 320, 331, 338 TodsÛnde 162 Torrance, J.B. 186 Torrance, T. 231 Treue 143, 294, 304, 346 TrinitÅt 55, 88, 89, 90, 91, 111, 117, 127, 131, 133, 145, 155, 156, 157, 177, 193, 194, 242, 258, 260, 293, 294, 297 Troeltsch, E. 83 Tugend 83, 84, 115, 179, 181, 223 Tugenden 351 Tugendethik 79, 123, 350 Tun-Ergehens-Zusammenhang 199 Tuttle, G. 239, 251 ºbel 60, 119 UmgebÅrung 147, 148 Ungrund 161 Universalienrealismus 77, 121 Universalismus 87 UniversalitÅt 224, 225, 230, 251 Unvollendetheit der kosmischen RegelmÅßigkeiten 309 Urmensch 140 Ursinus, Z. 186 Ursprung der SÛnde 322 Vate, D.v.d. 327 Vatikanum I 152 verbum externum 218 Verdienst 148 Vereinwesen 136 Vergebung 237 VerhÅltnisÅnderung 121 VerlÅßlichkeit 305 Vernunft 191, 219 Vernunft und Mysterium 153 Vernunftreligion 188 Vers×hnte Verschiedenheit 12 Vers×hnung 86, 120, 269, 337, 347 Vers×hnung-Begriffsgeschichte 13 Vertrauen 73, 96, 107, 121, 125, 179, 217, 284, 294, 304

382 Vertretung 27 Verzeihung 72 Volkmann, S. 62, 273, 314, 321 Vollkommenheit 79, 123 Vorsehung 79 Wahl 284 Wahrhaftigkeit 294, 304 Wardlaw, R. 233 Warnung 208, 209 Weber, M. 299 Weber, O. 15 Wechselwirkung 49 Weder, H. 11 Weir, D.A. 186 Welker, M. 308 Weltherrschaft Christi 65 Wenz, G. 45, 47, 49, 93 Wenzel, P. 129 Werbick, J. 14 Werner, K. 130 Wesen Gottes 294 Westminster Confession 186, 230 Whately, R. 271 Wilckens, U. 308 Wiles, M. 70

Register

Wille 197, 227, 261, 310 WillkÛr 29, 242 Winslow, D.F. 183, 184, 187 Wirsching, J. 86 Wittgenstein, L. 299, 300 W×lfel, E. 304 Wrzecionko, P. 48, 49, 52, 54 WÛstenberg, R. 12 Young, J. 271 Zizioulas, J. 297 Zizioulas, J.D. 231, 244 Znamierowski, C. 299 Zorn 238, 321 Zorn Gottes 62, 94, 118, 124, 148, 273, 320, 336 ZÛrcher Opferstreit 11 Zurechtbringung 120, 170, 324, 337 Zurechtbringung (Def.) 17 Zurechtbringungsaneignung 121 Zurechtbringungslehre 17, 144 ZustandssÛnde 93 Zweck 50, 53, 56, 62 Zwei-Regimentenlehre 354, 355

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Reinhard Slenczka und Gunther Wenz. Eine Auswahl:

Band 106: Magnus Schlette

Band 101: Claus Schwambach

Die Selbst(er)findung des Neuen Menschen

Rechtfertigungsgeschehen und Befreiungsprozess

Zur Entstehung narrativer Identitätsmuster im Pietismus

Die Eschatologien von Martin Luther und Leonardo Boff im kritischen Gespräch

2005. 384 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56333-7

2004. 397 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56239-X

Der Autor ist Identitätsmustern innerhalb der Frömmigkeitspraxis des Pietismus auf der Spur und beschreibt anhand von Beispielen aus der Literatur, wie sich diese Muster aus Erzählungen zusammensetzen.

Band 100: Per Lønning

Is Christ a Christian? On InterInter-Religious Dialogue and Intra-Religious Horizon Intra2002. 254 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56225-X

Band 105: Christoph Klein

Das grenzüberschreitende Gebet

Band 99: Eeva Martikainen

Zugänge zum Beten in unserer Zeit

Religion als Werterlebnis

2004. 222 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56334-5

Die praktische Begründung der Dogmatik bei Wilhelm Herrmann

Band 104: Karsten Lehmkühler

2002. 215 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56218-7

Inhabitatio Die Einwohnung Gottes im Menschen

Band 98: Heinrich Assel

2004. 365 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56331-0

Geheimnis und Sakrament

Band 103: Henning Theißen

Die evangelische Eschatologie und das Judentum Strukturprobleme der Konzeptionen seit Schleiermacher 2004. 328 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56256-X

Band 102: Dorette Seibert

Glaube, Erfahrung und Gemeinschaft Der junge Schleiermacher und Herrnhut 2003. 367 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56242-X

Die Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig 2001. XII, 412 Seiten, gebunden ISBN 3-525-56211-X

Ist die Rede vom Opfertod Jesu zeitgemäß? Der neue Band aus der erfolgreichen Reihe praxisbezogener Klärungen christlicher Grundaussagen gibt Anregungen, neu und sinnhaltig mit Jesu Leiden und Tod umzugehen. Gott kann nicht lieben und zugleich den eigenen Sohn hinschlachten lassen – so wurde lange Zeit auch im religiösen Unterricht argumentiert. Namhafte Autoren aus allen Fachgebieten der Theologie machen sich neue Gedanken zum Karfreitag und verknüpfen sie mit der Erfahrungswelt der Moderne: Ist die Rede vom Opfertod als Erlösungstat noch zeitgemäß? Ist sie anstößig? Oder gar abschreckend? Was hatte die Opfervorstellung Menschen des Alten Testaments zu sagen, warum übertrug man sie auf Jesu Tod am Kreuz? – Und warum kommt sie heute auf anderem Weg zurück – als moderner Mythos in Filmen wie „Titanic“ oder Romanen wie „Harry Potter“?

Werner H. Ritter (Hg.)

Erlösung ohne Opfer? Biblisch-theologische Schwerpunkte, Band 22. 2003. 248 Seiten mit 2 Abbildungen, kartoniert ISBN 3-525-61481-0