Verschiedene Ansichten des Christenthums: Ein Gespräch 9783111485430, 9783111118758

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Verschiedene Ansichten des Christenthums: Ein Gespräch
 9783111485430, 9783111118758

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Vorwort
Friedrich, Otto, Franz; später Bernhard
Beschluß
Verbesserungen

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Verschiedene

Ansichten des Christenthums. Ein Gespräch.

Herausgegeben von

Theodor Schwarz, Pastor zu Wiek auf Rügen.

Berlin igrg, gedruckt und vrrlegt

bei G. Reimer.

Vorwort. folgendes Gespräch über die herrschenden Ansich­ ten der Religion und de- Christenthum- vollen« bete ich schon im Jahre 1812, bi- auf die Letzte Stimme des Einsiedlers, welche aus der jüngsten Zeit stammet. Die Handschrift ward einigen Freun­ den mitgetheilt, welche dem Geiste des Ganzen beipflichteten und sie dem Drucke nicht unwerth achteten. Dann ruhete sie bisher unter meinen übrigen Papieren, indem mein Interesse davon abgezogen und durch die großen Ereignisse der folA 2

IV

genden Jahre, die ewig denkwürdigen Befreiungs­ kriege, fest gehalten wurde. — Nun in gestill­ ter Zeit, da das religiöse Leben der Deutschen diese herrliche Aussaat der Selbstverleugnung und des Heldenmuths zur gedeihlichen Frucht heiliger Verbrüderung treiben möchte, ja im positiven Glau­ ben unserer evangelischen Kirche, durch tieferes Studium der Quellen, dem eitlen anmaßenden Vernünfteln (was eben so unbürgerlich als un­ christlich ist) Damm und Gränze stellet; nun dürf­ ten auch diese Blätter nicht ohne Nutzen sein und wenn auch nicht befriedigen, doch manches anre­ gen, was zu beherzigen ist.

Die verschiednen

Stimmen, welche oft grell und schroff sich gegen­ über stehn, sind, wie ich meine, doch durch einen befreundeten Geist verbunden, welcher, im freie­ sten Aussprechen, auf einen Höheren Frieden zu­ rück weiset und allen Mißverstand vorbeugen mög« te. — Wünschet aber der Leser meine eigne

Ueberzeugung zu wissen, so suche er sie nicht in der Stimme eines Einzelnen, sondern vielmehr in der Zusammenstellung des Ganzen, im Geiste des Gesprächs und der eigenthümlichen Form, so wie im versöhnenden Beschlusse. — Manche Stimme, von der ich mich am weitesten entfernt fühlte, ha« be ich eben deshalb am entschiedensten ausreden lassen, damit die allgemeine Gerechtigkeit nicht ge­ fährdet würde, deren man grade gegen das Feind­ liche

am mehrsten

bedarf. —

Was Bernhard

spricht, könnte manchem befriedigend dünken und Ottos Gründe aufzuwiegen

scheinen,

doch auch

dafür muß ich warnen und auf die Winke des Waldbruders vielmehr hinweisen, der christliches Leben zur Bedingung einer christlichen Ueberzeu­ gung machet.

Uebrigens widme ich euch dieses

Büchlein, ihr Lieben, die ich nicht erst zu nennen brauche, da euer Herz euch zusagen wird, wie eS euch mit angehöre! — Seine Mangel sollet ihr

VI

«richt theilen, der Vorwurf derselben falle auf mich allein; sein Lob aber wollet ihr annehmen als un« fev Gemeingut und darinn meiner freundschaftlich gedenken! Wiek am 38. August 1818.

Friedrich, Otto, Franz; später Bernhard.

Friedrich ( hrreintretend).

S° finde

ich euch beide beisammen, die ich schon lange

einzeln gesucht habe? Der Tag ist mir mübseelig bei einer Kriminalsache verstrichen, und darum verlangte mich nach einem ruhigen Abend« mit euch. Otto. Wir redeten eben von dir: ob du wohl noch komme» mochtest, und was du dann als Jurist zu einem Streite sagen würdest, den wir schon lange, mit nicht geringer Leb­ haftigkeit fortsehea, und der allerdings von der wichtigsten Art ist. Franz. D» kömmst wie gerufen, Schiedsrichters.

denn wir bedürfen eines

Otto will schlechterdings nicht, als etwas

Erhebliches gelten lassen, was ich doch, als das Schönste und Ehrwürdigste ansehn muß, und er will mir statt defi sen etwas aufdringen, wovon ich nichts mit Zuverlaß weiß, und nach meiner Ueberzeugung auch niemals erfahren kann.

8 Friedrich. Das sieht gar nicht nach

einem ruhigen Abende aus,

wie ich ihn mir bei euch ausgerechnet hatte, und was das Schlimmste ist, so befürchte ich, nach dieser Anklage, daß ich nicht Richter seyn könne, sondern machen müsse.

eine

eigne Parthei

Doch will ichs darauf wagen, und euch ab­

hören , wenn ihr die Punkte eures Streites in fester Ord­ nung vortragen wollt. Otto. Franz mag anfangen, da er doch schon den Vorsprung genommen hat! Franz. Unser Streit, der wohl übrigens einen bessern Namen verdiente, entspann sich von Clodius allgemeiner Religions­ lehre, die hier aufgeschlagen auf dem Tische liegt.

Ich ta­

delte den Verfasser, daß er sich das Ansehn eines Gesalbten gebe, und doch nichts weniger, als den Frieden offenbare; das Ansehn eines Philosophen, und doch nichts weniger als ein

organisch zusammenhangendes Ganze,

wie jedes echte

System seyn soll, uns vorstelle; vielmehr behauptete ich: das Systematische darinn, welches übrigens so imponirend auftrete, sei nur auswendig und hergeholt, ein Gerüste ohne bindende Kraft; der religiöse Sinn aber äußre sich nur in einzelnen Blitzen,

wie glückliche Einfälle; nichts fei aus

einem Stück gearbeitet, und es fehle an ruhiger, durch­ stehender Gesinnung.

Otto stellte mir entgegen,

äußre antithetische Form,

wenn gleich

daß die

nicht befriedigend,

doch hier nicht die Hauptsache sei, der Gegenstand aber aus einem richtigen Gesichtspunkte aufgefaßt und mit einem tie­ fen, sehr allgemeinem Sinne entwickelt worden.

Er rühmte

9 besonder« de« Verfassers Ausgehen von der Erfahrung eine« entwickelten

religiösen BewusiseinS,

als

des

Gewissesten,

welche« sich durch sich selbst manifestire, und womit der Be­ griff einer Abhängigkeit des Menschen von Gott unmittel­ bar verbunden sei! diese Abhängigkeit lehre, wie wir jwar, im Wollen, Erkennen, Vorstellen und Denken, Gottes uns bewußt würden; doch

nur durch Verhältnißbegriffe, nicht

aber an sich; nur vermenschlicht nach unsern Bedürfnissen, und beschränkt durch unsern Verstand, nicht absolut.

Er

rühmte ferner die Kritik der philosophischen Systeme au« diesem Gesichtspunkte, indem alles in denselben ganz einfach auf den Irrthum zurück geführt worden, daß sie durch ab­ straktes Denken ergründen und abschließen wollten, was sich doch nur im Lichte de« Glaubens entfalte, und im Leben selbst für jeden einzelnen Fall offenbare.

Oder war es nicht

so? Otto. Ganz so. Franz. Dem begegnete ich denn, indem ich zwar zugab, daß wir de« Absoluten der Gottheit nie ganz absolut uns be­ wußt werden könnten, weil sie für jeden Menschengeist sich individualisire, behauptete aber: der Mensch habe eine Kraft der höheren Anschauung, wie auch Plato, Spinoza, Schelling und Andre nachgewiesen hätten, welche keinesweges ein Spiel subjektiver Begriffe sei, sondern eine Folge objektiver Gesetze, unmittelbar au« dem heiligen Leben der Natur ge­ schöpft, enthalte und construire. nigen

wahrhaften Systeme,

Was also wieder diese we­

welche

nicht

au«

logischen

Schlußrcihrn zusammengeflickt, sondern, wie eine Blume,

IO

lebendig aufgeschossen waren, mit Recht eingewandt wer­ den könnte, treffe mehr den mangelhaften Ausdruck dersel­ ben, und die Beimischungen der Eigenthümlichkeit des Phi­ losophen, als den höheren Geist jener Systeme, welcher eben so wohl durch Inspiration mitgetheilt worden, und aus dem Glauben hervorgegangen fein müsse, als jede hei­ lige That, und jedes prophetische Wort. Es sei daher sehr ungerecht und oberflächlich absprechend, wenn ElodiuS der Tcanzendentalphilosophie Schuld giebt, daß sie, durch die absolute Anschauungslehre der Natur, die Schranken mensch­ licher Vernunft überschreite, da das eben die Grundkraft der Vernunft fei, nicht bloß aus Erfahrungsprämissen zu schließen, und von dem Sinnlichen durch Abstraktion zum Uebersinnlichen hinauf zu steigen; sondern alles Dasein in Vereinigung mit Gott anzuschauen, und aus dieser höchsten Einheit, nach nothwendigen Gesetzen rekonstruiren zu kön­ nen. Einen Widerspruch durch bloße Begriffe auflösen zu wollen, sei nicht philosophisch; sondern Philosophie bestehe darinn, eine Stätte zu finden, wo noch kein Widerspruch herrsche, und von dieser Stätte des ewigen Friedens audie Welt, in ihren Widersprüchen und subordinirten Kon-trasten, vor unserem geistigen Auge gleichsam entstehn zu lassen. Wenn dieses noch keinem philosophischen Systeme vollkommen gelungen sei und auch wohl niemals ganz ge­ lingen werde, so müsse doch dies ganze Verfahren darum nicht als absurd verworfen werden, sondern vielmehr die vorhandenen Versuche uns aufmuntern, durch tieferes For­ schen und heiliges Leben den Nebel der Selbstheit mehr und mehr zu verdünnen, und dem Einflüsse des göttlichen Gei­ stes sich freier zu überlassen.

Otto. Hier nahm das Gespräch eine allgemeinere Richtung, indem ich einwandte, daß keine echte Begeisterung systematistre und generalistre, sondern immer einen ganz bestimm­ ten

Gegenstand

habe,

bei

besonderen scharf umgränzten

Thatsachen nur sich äußere, und allein durch die Verbin­ dung der Schicksale mit dem Charakter de« Individuums, frei werden könne.

Wie denn auch die Erfahrung aller Zei­

ten beweise, daß gottbegeisterte Menschen nicht sich in ih­ rer Kammer verschlossen, und Systeme aufgebauet hätten; sondern hinaus getreten wären unter das Volk, und dort, in den verschiedenartigsten Lagen, unter Drangsalen, Ge­ fahren und Freuden, unter Verfolgungen und in ruhiger Weile bei ihren Bvüdern, am Kreuze, und beim Gastmahle, das Göttliche in sich offenbaret, und ihre prophetische Gabe gebraucht hätten; und immer dann in der bestimmtesten An­ wendung auf Thatsachen.

Das Dogmatische unserer Reli­

gion fei daher zwar an sich eine« göttlichen Ursprungs» und beruhe auf Offenbarung, könne aber erst recht verstanden werden, an der Stelle, wo es vorkomme,

und müsse

nicht, aus diesem lebendigen und vielsagenden Zusammen­ hange gerissen, als abstraktes Dogma betrachtet «erden. Jede echte Offenbarung vor Gott, jede wahre Begeiste­ rung sei bestimmt, wie das Gewissen, und rede nur für den'Augenblick, und im beschränktesten Falle; aber hier auch mit unerschütterlicher Gewißheit und unendlicher Erleuch­ tung; — ja! man könnte sie ein verklärtes Gewissen nennen, weil das Gewissen uns

dann

wieder

in seinem

Grunde klarer würde; — darum, schloß ich, sei jeder syste­ matische Körper nur eitles Menschenwerk, ein Zauberkrei»

12

von Formeln, um darinn zu bannen den göttlichen Geist, der sich aber nicht bannen lasse, sondern dem Leben nach­ folge, und im reinen Herzen sich eine Stätte bereite. Was allein wahr an einem Systeme, sei der Geist des gläubigen und versöhnten Lebens, der es durchdringe; welcher aber (mit einem Dichter zu reden) durch Spalten und Verbinden, ,,wie eilt lebendiger Leib ans Kreuz geschlagen werde," und also über die Anstalten der Zweck untergraben. Weit besser sei es also, ihn gleich, wie ein köstliches Pfund, ins Le­ ben einzusehen, und dort ihn wuchern zu lassen, indem Je­ der ihn auf seinen bestimmten Beruf, als das Beseelende und Erleuchtende anwende, und jeder Moment durch ihn Gewißheit über sich selbst und sein Thun bringe. Das sei, fuhr ich fort, Religion und Lebensphilosophie, die einzige, welche nicht trüge, und nicht, wie ein Schaumbtld, ver­ schwinde; ihrer bedürfe der Staatsmann, wie der Künstler, der Gelehrte, wie der Landmann, der Soldat, wie der Prie­ ster; sie fei das Licht und der Verstand in allen Dingen, und ohne ihr Licht müßte endlich das ganze Leben zur Thorheit werden. Aus dieser Begeisterung auch breche alles Erhabne hervor, und sie senke die ewigen Ideale in alle Lcdenökreise ein; sie sei, wie eine sanft gereinigte Luft, die auch die niedrigsten Hütten durchziehe, die Dünste des To­ des zerstreue, das tiefste Elend erquicke, und Leben, That­ kraft, Geduld und Hoffnung, mit sich führe. Aber diese Religion sei nicht die sogenannte natürliche, sondern die aus der Schrift uns geoffenbarte, und in dem Glaubens­ bekenntnisse unsrer Kirche festgestellte; denn die natürliche Religion sei am Ende nichts, als er Geist kleinlicher, ein­ gebildeter Persönlichkeit, der sich nie zu den allgemeinen

15 Bedingungen der Menschheit

erhebt,

der in jugendlicher

Blüthe eine Zeit lang sich berausche, doch ohne Früchte verwelke und alternd wieder mit dem Staube sich menge dem er verwandt ist.

Sie verhalte sich etwa zum Christenthume,

wie jener Dichter singt: sie reden viel vom Geist der Zei­ ten, doch ists ihr eigner Geist, worin die Zeiten sich be­ spiegeln. — Franz. Auf diese entscheidenden Angriffe konnte ich nichts an­ dres erwiedern! als schaue einmal hinab in ein echtes Sy­ stem! überlasse dich seinem Zuge! verstecke dich nicht vor seinem Geiste! da wirst du finden, daß es Liebe fei, die es durchdringt, die eö gestaltet, die es, gleich wie eine schone Arabeske, künstlich trennt und verbindet.

Bald wirst du

vergessen, das Alappern der Begriffe, und den gekreuzigten Leib; diese Linien, diese

Zahlen,

diese seltsam gestellten

Worte, es sind lebendige Anschauungen einer werdenden Welt.

Die Werkstätte der Natur wird dir in diesen frem­

den Gedankenreihen aufgeschlossen, du hast nur das Hin­ schauen, und fragst nicht mehr warum? es ist so, es liegt dir alles daran, daß es so dir klar bleibe, daß dir der ge­ heime Organismus dieser Welt nicht wieder im Sinnli­ chen verschwinde, daß diese bedeutenden Linien sich nicht wieder verwischen, in gestaltloser Masse, daß diesen großen, erfreulichen Umsichten nicht wieder durch heterogene Man­ nigfaltigkeit vorgebaut werde.

Du und

der Lehrer haben

nur das Hinschauen; denn es ist nicht sein Werk; er hat nicht diese Gedanken verbunden, nicht diese Linien ge­ zogen, nicht diese Resultate ergründet; es ist vor seinem Geiste geworden, wie das Ideal vor dem Auge des Künst-

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ler« wird, es ist eine bet Weisen, wie Gotte» Geist sich nns offenbaret. Ob eS noch beßre Weifen gebe? darüber wollt ich nicht richte»; Andere gebe es, darinn fei ich mit ihm einig; doch müsse auch diese Weise wohl an ihrer rech­ ten Stelle sein, und jeder thue wohl, sie in Ehren zu halten. Ferner, was die natürliche Religion anlange, so ließ ich mich vernehmen, daß sie zwar keinen Streit mit dem Christenkhume aushalte, und oft bloß eigensüchtiger Jugend­ geist sei; doch oft auch etwas viel Besseres offenbare, und daß das Christenthum so wenig ihrer entbehren könne» daß es, ohne ihren Beistand, bald in todte Formulare (wie es uns denn nicht an solchen Beispielen fehle) zusammenfal­ len müsse. Ja! natürliche Religion und Christi Lehre wa­ ren im Grunde eins; nur, daß Letztere vollenden und fest stellen müsse, was Erstere ungeschlossen lasse; daß Letztere in That und Charakter verwandle» müsse, womit Erstere das Gefühl erfülle und den Sinn erleuchte. Wer also die Lehre Christi nicht auch als natürliche Religion empfun­ den, der verstehe sie noch gar nicht, so wie umgekehrt na­ türliche Religion, in ihrer wahren Richtung, von selbst auf einen Mittler und Erlöser hinführe. Die heilige Geschichte, fuhr ich fort, sei nur ein Hülfsmittel, aus der Natur Gott zu erkennen, und in der Gegenwart Ihn anzutreffen; ein Erleuchtungsmittel über dasjenige was nun und ewig da sei, und was unsre stumpfen Sinne nur nicht unbewaff­ net zu fassen vermögten, weshalb auch allein der reinmensch­ liche Inhalt, gleichsam das Gemüth der Bibel, von uns benutzt und verarbeitet werden könne; die Wunderseite aber, als ein Gewesenes zurück treten, als ein verschlossenes Buch

i5 liegen bleiben müsse, oder zu fanatischen Aberglauben ver­ leite, der die reine Wirklichkeit ganz überfliegt. Otto. Dieser Ansicht mußte ich grade zu widersprechen, und war eben im Begriffe, meine entgegengesetzte Ueberzeugung «US einander zu legen, als du zu uns Herrin tratst, und

wir dich zum Schiedsrichter erwählte».

Laß mich also, be­

vor du entscheidest, nachtragen, was mir noch auf dem Herzen blieb! Ich halte nemlich dafür, daß echte Religion mit der sichtbaren und sinnlichen Natur gar nichts gemein habe,

sondern

allein durch Erziehung und Geschichte im

Menschen geweckt,

und befestiget werden könne.

Ist sie

einmal da, so mag das Leben der Natur sie erfrischen, und individualisircn, aber sie entsteht nicht aus der Natur, son­ dern

würde

ewig Vielgötterei und Götzendienst bleiben,

wenn wir nicht einen bessern Führer hätten —.

Gott lehrte

den Menschen, erzählt eine der ältesten Urkunden; er re­ dete zu ihm, er gab ihm unmittelbar seinen Willen ins Herz.

Der Mensch sündigte, und ward gestraft, aber dies«

unmittelbar« Verbindung dauerte dennoch fort.

Sie ward

in heiligen Gemüthern öfters erneuert, umfassender, klarer und hoffnungsreicher; sonst aber pflanzte ft sich durch Ueber­ lieferung fort, als Wort der Offenbarung, als ein Gesetz Gottes.

Es war da» Fundament der Erziehung, diese

Gesetze zu kennen, diese heiligen Worte zu behalten.

Dom

Vater ging es auf Sohn, auf Enkel und Urenkel herab, und so erhöhte sich das Bewustsein des Menschen durch die ganze Reihe der Offenbarungen, die aus der Urzeit auf Ihn herab geflossen waren.

Er stand nicht mehr, wie der Wil­

de, allein und abgerissen in der äußern Natur da, er war

i6 nicht mehr auf ihre dunklen und trüglichen Lehren einge­ schränkt; nein! er war das letzte Glied der göttlichen Ver­ nunft, mit welcher er durch alle feine Vorfahren vereiniget ward, und die ihr unendliches Leben auf Ihn konzentrirte. Mochte dieses Leben nun freilich in Manchem nicht immer eigenthümlich werden, mochte es oft wie todter Buchstabe, von Hand zu Hand gehn, genug! es blieb aufbewahrt, ward fest gehalten durch die Schrift» es ward enthüllet durch Christus zu seiner ganzen umfassenden Bedeutung, und ist so auf uns, durch die Geschichte der Jahrhunderte, mannigfaltig gestaltet, herab geflossen —. Also: ohne hei lige Geschichte wäre unser Wissen von gestern; ohne das unmittelbare Wort Gottes, wie es von Geist zu Geiste geht, und wie es im Innern, wenn wir nichts' sehen, er­ wachet, wäre alles Gegenwärtige Räthsel und unauflösliche Verwirrung, und die höchste Begeisterung, entzündet aus dem Ringe der Natur, ist wie eine dunkle Erdflamme, ge­ gen dieses ewige nie zu trübende Licht—. Wer dieses Licht aber in sich trägt, wer es anbetet in Christi Person, der wird auch aller Arten Erleuchtungen finden in den Er­ scheinungen der Natur, der wird auch hier Gottes Finger bemerken; das sind aber nur Folgen, nicht Ursachen der Religion. Die Ursache ist in Schrift und Gewissen. Was Franz daher vom Wunderglauben sagte, muß ich gleichfalls widersprechen; er darf nicht, als ein Vergangnes, liegen bleiben, und nicht betrachtet werden, als ein verschloßnes Buch, so wenig, als die ganze Offenbarung; denn das Wunder ist die äußre Seite, so wie das Wort die innre derselben. Das Wunder ist gleich, wie der Leib, welcher von dem Geiste des Christenthums unzertrennlich ist, und orga-

i?

organisch mit ihm zusammen hängt. Wer an den Einen glaubt, muß auch an den Andern glauben, sonst steht er daS Christenthum nur dichterisch, nicht wirklich an; und wie weit diese dichterische Religion ausreiche, wie wenig sie Probe halte, wie sie aller Sinnlichkeit Thor und Thüre öffne, ist bekannt genug. Der Fanatismus aber, welcher sich öfters dem Wunderglauben zugesellen mochte, und von dem wir so viele Gräuelspuren in der Geschichte antreffen, entstand nicht aus jenem Glauben, sondern aus rohen Ge­ müthern, welche nicht durch Gewissenhaftigkeit zur Reli­ gion bereitet waren, vielmehr sie als Deckmantel ihrer Ei­ gensucht gebrauchten, und sich oft selbst überredeten, daß es recht und gut sei; daher bei ihnen das Ucberfliegen der Wirklichkeit, die Geringschätzung aller bürgerlichen Rechte, der Hohn gegen alle Ordnung und Sitte, und der uner­ trägliche Hochmuth, als Aftergeburten der Selbstheit und des geistlichen Dünkels. Der echte Wunderglaube hinge­ gen macht menschlich, sanft und gerecht; ja! er wecket erst die himmlische Menschheit in uns, und setzt die Wirklich­ keit in ihre vollen Rechte ein —. Nun Franz! bin ich am Ende, und du Friedrich! gieb deinen Spruch? Fri edrich. Es ist gekommen, wie ich vermuthete; ich kann nicht euer Richter sein, und muß eine eigne Parthci machen, womit vielleicht keiner von euch beiden zufrieden ist. Franz. Desto besser! so öffnet sich uns eine neue Ansicht, dir vielleicht auf beider Meinung ein unerwartetes Licht wirft. B

18

Friedrich. Ich habe euch gar nichts Neues zu sagen; vielmehr, was in jetziger Zeit, bei allen reellen Menschen das Bekannteste und Geläufigste ist.

Doch mag es gut sein, es

einmal auszusprechen, um dem Reiche der Ideen, worin ihr beide zu leben scheinet, einige Folie zu geben.

Hier ist

meine Meinung —: Praktische Religion (und die verdient nur

jenen

Schicksale,

ehrwürdigen Namen) durch

vielseitiges

muß

durch

mancherlei

Zusammenleben mit unsen

Nebcnmenschen, durch den Wechsel des Glücks, durch inverwartete Umstände, und in bedenklichen und gebildet werden.

Lagen erworben

Es hält schwer, daß man den ®in

nentraum verlasse, die schmeichelnden Bilder einer irdisch: überirdischen Welt handeln lerne.

aufgebe,

und strenge nach

Begriffen

Doch thut es Noth, wenn man Wahrheit

finden und ehrlich sich halten soll.

Zwar ist es bei abge-

stumpften Menschen nichts ungewöhnliches, an dürren Be­ griffen, wie an Stäben, sich zu stützen und so, verkrüppelt, dyrch die Welt zu holpern; bei beschränkten Menschen, die übrigens ordentlich erzogen sind, finden gewisse Grundsätze leicht Plah, und sie bewegen sich ganz bequem in diesem Fachwerke, doch, wie das Roß in bei Mühle, und ohne zu bemerken, daß sie immer auf den nemlichen Fleck wie­ der zurück kehren; sie glauben wunder, was für eine Strecke zurückgelegt zu haben, wenn sie noch auf der alten Stelle stehn.

Bei kräftigen Naturen hingegen, wo das Handeln

nach Begriffen, nicht aus Mangel, überwindung entsteht,

sondern aus Selbst­

fordert es durchaus eine innre

Macht, die höher ist, als die Weit, und aus einem Reiche der Freiheit und Gesetzmäßigkeit stammet.

*9 Diese Macht heißt Religion, von der wir eben wei­ ter nichts wissen, als daß uns wohl und getrost dabei wird, und daß wir unser enges, angstvolles Selbst dadurch erwei­ tert, verständiget, und mit namenloser Heiterkeit erfüllt fühlen.

Jedoch üben wir jene heilige Macht, nicht um der

Folgen angenehmer Empfindungen und innrer Glückseligkeit, sondern um ihrer selbst, weil sie da ist, und aus Achtung gegen uns selbst, in so ferne sie uns zu Theil ward.

Man­

ches kann jene Empfindungen stören, nichts diese Achtung gegen sich selbst, nichts das ruhige Bewustsein, gethan zu haben, was recht ist.

Das Gewissen (welches so oft ge­

nannt wird, ohne daß man recht weiß, was es bedeute) gewinnet erst Grund und Boden, und kann erst gesondert werden von dem trüglichen Herzen, dem verzognen Mutter­ kinde; wenn seine Aussprüche auf allgemeine Begriffe, zu­ rück geführt wurden,

und dadurch eine gewisse Uebersicht

und Einheit in unsre Lebensansichten kömmt.

Streitende

Pflichten, welche gar oft unschlüssig im entscheidenden Mo­ mente lassen, oder auch, in einem gewissen Heroismus des Herzens,

zum übereilten Zerhauen des verhängnißreichen

Knotens verleiten; fallen von selbst dann weg.

Es giebt

für den Mann von Grundsätzen nur eine Pflicht, sein Le­ ben hat nur eine Richtung, und scheint er oft hart und einseitig, so wohnet in dieser Härte doch eine viel höhere Liebe, als bei dem bloß Weichherzigen und Gutmüthigen anzutreffen ist.

Jener hat sich zur Richtschnur Ewiges

erwählet, und wenn er es auch einseitig verfolget, wenn er es auch mit Strenge durchsetzt, so steht er doch unendlich hoher, als dieser, der charakterlos von seinen Trieben sich bestimmen läßt, und, in einem Rausche schmeichelnder B r

20 fühle, nicht selbst handelt, sondern behandelt wird. Aber es kömmt alles darauf an, daß jene allgemeinen Begriffe von Recht und Unrecht, von Ehre und Schande nicht aus dem Egoismus, welcher durchaus unfruchtbar ist, sondern aus wahrer Andacht zum Unendlichen stammen.

Im erste­

ren Falle entstehn jene leeren Rubriken, welche das tiefsin­ nige Leben zu einer Klappermühle machen; im letzteren hin­ gegen jene festen Fugen, die in allen Stürmen nicht wei­ chen, und im tiefsten Drucke uns noch würdig auftreten lassen.

Ein solcher Begriff ist stärker, wie jede äußere

Macht, und sichert, gleich einem festen Damme, allein dir die Reinheit des Herzens.

Woher wir nun diese Begriffe

nehmen; ob aus der Lehre der Alten, oder auü dem Bei­ spiele unserer Aeltern, ob aus Sokrates oder Jesus, ob aus der Geschichte, ober aus dem Leben und dem eignen Schick­ sal: das gilt gleich, wenn sie nur echter Art sind, Glaube an den

lebendigen Gott ihr Fundament ist.

und Es

bewegt sich, möchte ich sagen, eine gewisse Masse von Ver­ nunft durch die Welt, woher sie stamme, ist schwer zu ent­ scheide»; daß die Bibel, und besonders das Christenthum, einen vorzüglichen Theil daran haben, ist nicht zu leugnen, doch trug auch das Indische Alterthum, und durch dieses, Egypten und Griechenland sehr vieles dazu bei. umgestaltet, in neue Verhältnisse

Vielfältig

gestellt, zu neuen Mi­

schungen verbunden, ward diese Masse der Vernunft durch die großen Bewegungen der wandernden Völker, durch das Steigen und Sinken der Universalmonarchieen, durch daAndrängen der Stämme aus den verschiedensten Zonen nach jenem Punkte hin, wo das größeste hatte.

Licht sich verdichtet

Jede Zeit fängt diese Masse von Vernunft gleich-

21

sam in ihrem Hohlspiegel auf, und wer dem Brennpunkte am nächsten steht, empfindet am kräftigsten auch ihre Wir-, kungen, er ist am höchsten davon begeistert, kann Wahrheit am reinsten verkünden, und am besten Gerechtigkeit pflegen. Er ist der Held seiner Zeit, wenn er auch nicht in ihr als der Erste erschiene, und wird, wenn das Glück gut ist, auch der Stifter einer bessern Zukunft werden. So war Je­ sus ein Held seiner Zeit, wenigstens seines Volkes, weil er sich in den Brennpunkt stellte, und die letzten Strahlen wal­ tender Vernunft in sich versammelte, und so ward er ein Stif­ ter besserer Zukunft, weil hellere Wahrheit durch diese Ver­ dichtung sich von neuem entzünden und verbreiten konnte. Was wir von seinen Wunderthaten lesen, mag wahr oder falsch sein, wer will es entscheiden? Was uns seine Worte bringen, thut unserem Herzen wohl; aber der Charakter, der Mensch, wird noch durch etwas Anderes gebildet: es ist die gegenwärtige Kraft und Thätigkeit der vernünftigen Natur, es ist das beste, gewissenhafteste Leben in der wirkli­ chen Welt, das zwar mehr und minder mit dem kirchlichen Glauben zusammen hängt, welcher in so ferne auch alle Achtung verdienet, aber seinem Wesen nach etwas ganz An­ deres ist, und eigentlich nichts als das höchste Resultat der abgelaufnen Weltgeschichte. — Was Christenthum, was Re­ ligion überhaupt, was Wahrheit sei? erfahren wir aus kei­ ner Schrift; die Brücke von dort zu uns ist unabsehbar, und wir können sie nicht zurück schreiten; nein! es offenbart sich viel heller aus dem gegenwärtigen Zustande der Welt, aus dem höchsten Streben in derselben, aus dem vielseitigen Forschen, und aus dem Charakter und Gemüthe der besten, geprüftesten Menschen. Zeige mir irgend etwas Großes oder

Schönes in der Gegenwart! und ich will dir das Christen­ thum besser daraus erklären, als aus der Bibel; denn du siehst hier, was es geworden, und noch ist, wie es leibet und lebt; in der Schrift aber nur, was es war im ersten Entstehen, und dämmrig durch den Nebel der Zeiten; hier stehst du gleichsam die Aehren, und dort nur den Keim. Darin also hatte der Katholicismus nicht so gar Unrecht, wenn er dem Volke und Laien das Buch verschloß, und den Priestern, wie den Litteraten die Vulgate nur offen stand; denn jene bedurften eine lebendige, durchaus prakti­ sche und angewandte Religion, welche ihnen aus dem Mun­ de der Geistlichen wenn sie es treu gemeint, und ihre Zeit verstanden hätten, besser gegeben werden konnte, als durch eine todte Schrift, die aus einer fremden Vorwelt, mit ganz verschiednen Sitten

und Meinungen,

herstammte.

Die Bibel ward erst ins Deutsche übersetzt, als der Miß­ brauch lebendiger Ueberlieferung

eintrat, damit auch der

Laie selbst prüfen und beurtheilen könne, wer recht habe? Sonst waren die Aussprüche der Concilien, als der erleuch­ tetsten Häupter der Nationen, und die Beschlüsse des Pap­ stes, als des Stellvertreters Christi auf Erden, ebenfalls gewählt durch die Ersten im geistlichen Reiche, der Glaube des Volkes, und gleichsam die Uebersetzung des Evangeliums für ihn.

Durch diese Organe ward ihnen erst das göttliche

Wort nahe gebracht, und gleichsam verwirklicht. Mischte sich auch manches Fremdartige, Dichterische mit ein, ward es auch oft mit dickem Aberglauben umzogen, gab es auch öfters die Veranlassung zum wildesten Fanatismus, wie zu den excentrischten Thorheiten, so bildete eö sich doch aus zu einem lebendigen Ganzen, hatte den wohlthätigsten Ein-

23 fluß auf Gesetze und Sitten, und ward die Mutter von vielem Schönen und Guten.

Durch den Protestantismus

ist nun zwar die lautre Quelle wieder aufgegraben, aber der volle Strom praktischer Frömmigkeit ist damit gebrochen; es fehlt der Religion am individuellem, lokalisirten Leben unter uns, es ist mehr (mit Luther zu reden) ein Lesewort, ata ein Lebewort geworden.

Statt dessen trat bei uns die

Moralphilosophie ein, das wissenschaftliche, systematjsirende und abstrahirende Streben, das tiefere Forschen im Reiche der Natur, die Liebe für die Griechen, als das Symbol sinnlich-gebildeter Menschheit, und auf der andern Seite der Hang zur bloßen Gelehrsamkeit, und zum ausgebreitetsten Wissen.

Aber die romantische Poesie entfloh bei dem

Bruch der Kirche, die schönste Blüthe ahndender Mensch­ heit siel ab, und der Sinn schien sich auf immer dem Be­ griffe entfremdet zu haben.

Doch auf einem ganz neuen

Wege, den wir jezt betreten, ward wieder eine Annäherung möglich.

Die Weltgeschichte mußte uns ihre Schätze auf-

ihun, ohne Unterschied, ob es heidnisch oder christlich sei? 5m Sinn für Universalität trat bedeutend

hervor, man

wollte alles aufsuchen und würdigen, was recht, schön und gut sei; von welchem Glauben, von welchem Volke es auch wäre.

Es war nicht die Rede mehr von Orthodoxie und

Ketzerei, ja, man schämte sich dieser Worte; es war nur

Die Rede von dem, was nach Begriffen wahr, was mensch­ lich, was mit der Vernunft übereinstimmend sei? Der Ge­ danke und die freie Prüfung erhoben sich über Alles, und mch das Heiligste mußte von ihnen sich beleuchten lassen. 2a fiel die ganze Zauberwelt der Symbole, alles Positive >er Religion ging unter; es ward bei dem Geistreichen, bei

dem Gebildeten so gut wie abgemacht, daß alles das nur Sinnentraum gewesen, und die Wahrheit allein im färb-losen Lichte der Vernunft, im Gewissen, und in der An­ betung des Unsichtbaren wohne.

Daraus entstand die Hoff­

nung alle Gegensätze im Geiste der Menschheit aufzulösen, und alle Religionen einst unter

einen Hut zu

bringen.

Wenigstens Hörte aller Streit auf, und man konnte nun­ mehr lächeln über die Kriege um einen bloßen Begriff. — Alles ward politisch, und ging grades Wegs auf den Besitz der Realität.

Der Mann ward gewogen nach der Treue in

seinem Berufe, nach der Energie seines Handelns, nach der Beharrlichkeit auf seinen Grundsätzen, nicht mehr nach sei­ nem Glauben und seiner mystischen Liebe.

Das Positive

des Christenthums blieb nur noch brauchbar für die Dich­ ter und für das abergläubische Volk; der aufgeklärte Welt­ mann ließ eö gleichgültig ruhen, oder trieb seinen Scherz damit.

Wie auch

einige der neusten Philosophen es in

Schuh nahmen, wie auch einige dichterische Köpfe es in rührenden Dramen erhoben und verherrlichten,

so war es

ihnen doch im Grunde nicht Ernst damit, sondern Jenen war es nur zu thun, die Flächen der Zeit zu bestreiten und ihre Phantasie mit Ideen zu erfrischen; diesen, ihre Kunst mit tiefsinnigem Stoff zu bereichern und die kindlichen Wai­ sen der Vorwelt in unsre Lbermündige Zeit zu verpflanzen. — Weder bei Philosophen noch bei Künstlern entstand im Ernste die Frage: ist es wirklich so geschehn? sondern sie blieben an der Bedeutung hängen, und nahmen bloß die Jdeenseite auf. Ich gestehe gerne, daß daraus sich ein höchst eigensüch­ tiges, anmaßendes Wesen bildete, daß der Mensch auf die-

25 fern Wege immer mehr vergaß, sich in einem Besseren als er selbst ist, zu verleugnen, daß demuthSvolle Liebe ein lee­ rer Namen ward; aber Rückschritt nach einem solchen Vor­ sprunge ist unmöglich—.

Vergeblich sucht ihr die entseel­

ten Symbole zu erwärmen, und mit lebendigem Odem sie zu erfüllen; es bleibt ein künstliches Leben, was gleich wie­ der nachläßt, und sie erkälten euch am Ende das eigne le­ bendige Herz! Kann der Mensch auch mit dem Verstände nicht alles ergründen, mit Begriffen nicht alles umfassen; so darf er doch auf der andern Seite auch nichts für wahr annehmen, was nicht der Verstand bekräftiget, und wozu sich das Gewissen nicht unmittelbar bekennet; es würde damit, wie Franz ganz recht sagte, allem Fanatismus und jeder Schwärmerei die Thüre geöffnet, und grade das Wich­ tigste, die Pflichten gegen den Nebcnmcnschen, versäumt. Wer kann aber beweisen, daß die Wundergeschichte unmit­ telbar aus dem Gewissen fließe, und der Verstand sie errei­ chen könne? Vielmehr ist höchstens die Unmöglichkeit dersel­ ben zu bestreiten, da wir die Kräfte der Menschheit, und ihr Verhältniß zur Natur nicht kennen;

es sei denn daß man

einen vagen Schluß von dem Innern auf das Aeußere, von dem Worte Christi auf die That machen wollte,

doch dazu

möchte sich niemand entschließen, der da weiß, wie wenig wir noch dieses Wort ergründeten, wie es fast in jeder Zeit eine neue Seite zeigte, und wie ein abergläubisches Volk, unter welchem Jesus auftrat,

alles Faktische entstelle, und alles

Natürliche in Wunder verwandle.

Auf der andern Seite

aber bin ich Ottos Meinung, daß Religion mit Natur wenig oder nichts gemein habe; sondern durch Geschichte oder viel­ mehr Erziehung auf uns herab komme, und besonders durch

die Wechselwirkung mit vernünftigen Wesen, in uns weiter entwickelt werde; daß also die sogenannte natürliche Reli­ gion, nicht vorbereitend, wie Franz behauptete, sondern nach­ folgend nur, wohlthätig, für jene Grundüberzeugungen wer­ den könne, und daß ästhetische Anschauungen und jene ver­ schönernde Sinnlichkeit keine Brücke zmn sittlichen Handeln werden, welches einzig auf ewigen Begriffen sich gründet. Kürzlich also, um es noch Mal zu sagen, ist dieses meine Meinung: daß wir das, was da ist,

nehmen sollen, wie es

eben ist, ohne ängstlich zu forschen, wie es gewesen sei, und wie eS werden solle; vielmehr, daß wir das Vernünftigste davon auswählen, das Edelste davon nachahmen, und das Nützlichste davon

befördern sollen.

Denn der höchste Geist

des Gegenwärtigen ist die Offenbarung Gottes in der Zeit, und die Art und Weise, wie Christus noch unter uns lebt. Ideen leiten irre, wie nothwendig sie auch oft zur neuen Be­ seelung, wie schon sie in ihren Andeutungen sind; nur, wer sich der tiefsten Wirklichkeit fest ansaugt, und von ihrem fein­ sten Marke sich nährt, wer das Auge recht hell und das Herz recht warm erhält für Alles, was da ist, nur der kann etwas Großes wirken, und ein Stifter besserer Zukunft werden —. Da habt ihr mein Bekenntniß! verzeiht, wenn ich et­ was weit ausholen mußte! es lag mir daran, meine Ueber­ zeugung von der Eurigen scharf abzusondern —.

Ihr seht,

daß ich nicht als Richter auftreten kann, denn ich stehe auf einem ganz andern Boden als ihr, mein Weg geht auch nicht durch euch hin, sondern zur Seite weg, und läßt noch Raunt für viele andere Wege.

Fahrt also fort, eure Gründe ge­

gen einander auszutauschen!

ich will fürs Erste zuhören,

und wenn es Zeit ist, auch das Meinige dazu beitragen.

Franz. Eine schlimme Bescheidenheit!

nachdem

bu «ns

die

Flügel gebrochen hast, ladest du uns freundlich zum Flie­ gen rin, und willst unseren Wettkämpfen mit zusehn.

Da­

rum thut es wohl Noth, daß wir uns Beide gegen dich verbünden, und mit den noch übrigen Kräften erst den ge­ meinschaftlichen Feind zu überwinden suchen, bevor wir un­ sre Sach« unter einander ausmachen. Otto. Ja! viel besser wäre e» gewesen, wenn du als Richter einem von uns beiden Unrecht gegeben hättest, als alle Idee zu verdammen, und statt dessen einen öden Jndifferenti«mus der Gegenwart auf den Thron zu sehen; darum trete ich Franzen bei, und bin mit ihm entschlossen, erst dich, den gefährlicheren Feind zu bekämpfen.

Halte dich also be­

reit zu deiner Vertheidigung. Friedrich. Hätte ich doch nicht gedacht, daß mein ruhiges Wort solche Flammen anfachen könne.

Aber das idealische Leben

ist wie ein Wespennest; sobald man daran rührt fliegt gleich ein ganzer Schwarm hervor, den Frevel zu züchtigen.

Sie

prüfen nicht erst, ob es in guter oder böser Absicht geschehn, das Berühren allein ist genug, um ihren Zorn zu reizen. Otto. Dein kluger Rückzug soll dir nicht» helfen.

Du mußt

uns Rede stehn. Franz. Nicht umsonst sollst schwächt haben.

du mir den Schönheitssinn ge­

Friedrich. Wenn es nicht anders fein kann, so muß ich mich be­ reit halten; doch hütet euch, du Otto! für kirchliche My­ stik, und Franz du! für ästhetische Andeutungen; ich kann nur auf deutliche Begriffe antworten. Otto. Ich habe also 1) einzuwenden gegen deinen geprieSnen Realismus, daß er gänzlich vom Zufalle abhange; von dem Orte, wo du lebst, von dem Menschen, mit denen du um­ gehst, von der früheren Erziehung,

die du genossen hast,

kurz! von tausend Umständen, die aus schwarz weiß, und aus weiß schwarz machen können. große

Anmaßung,

und

ein

Ja! es scheint mir eine

sündlicheS

Selbstvertrauen,

aus dem trüben, zerrißnen Bilde der Zeit, was mit Irr­ thum und Wahrheit unauflöslich durchwoben ist, und wo so viele Halbheiten den Schein der Tugend annehmen, das Echte heraus zu finden, und das Gewissenhafteste befolgen zu wollen.

Es bedürfte dazu schon einer höheren Norm,

die über aller Zeit stehet und nach welcher man das Wan­ delbare prüfen könnte.

Diese findest du aber nicht in dei­

nem Herzen, welches durch Gebräuche und

laufende Mei­

nungen, durch manchen eitlen Wahn schon frühe verseht und unsicher wurde; auch nicht in deinen, aus Gewissen­ haftigkeit und Vernunft gebildeten allgemeinen Grundsätzen, die, statt dein Innres zu erleuchten und zu ordnen, deiner Eigenliebe schmeicheln, und dich verleiten, statt deines Er­ lösers einen selbstgebildeten Götzen zu verehren. — Du fin­ dest diese höhere Norm für all dein Thun und Lassen allein in dem Urbilde Christus, wie die Evangelisten es uns vor­ stellen, und wie die Apostel mehr und minder davon erfüllt

29 sind.

Du würdest es nie finden, sondern hinweg genom­

men werden in deinem Dünkel von den Strömungen der Zeit, und nicht einmal zur Besinnung aus der trüben Flut auftauchen können, wenn du nicht, durch einen Zug der Liebe, das Leben Jesu dir zueignest, und, wie eine Rebe am Weinstock, durch Worte und Thaten ihm ähnlich wirst. 2) Ich halte es für schlechthin unmöglich, ohne Mitt­ ler zur wahren Anbetung deinen Geist zu erheben, Gott und seinen Willen zu erkennen.

Was rann für uns aber

ein Mittler werden, wenn es nicht der Sohn Gottes ist? Die Natur, wie ich schon gegen Franz gezeigt habe, erhebt sich nie aus ihrem Reiche, und kann also auch das Ewige, Ursprüngliche, nicht lehren; der Staat, auch der beste, ist eigentlich in seinen Gesetzen nur verneinend, deren Unrecht vorbauend, aber nicht das Rechte aufbauend.

Die Wahr­

heit kommt rein aus freiem innern Triebe; wer wecket aber diesen Trieb? Wer zieht ihn hervor? Wer läutert und bil­ det ihn? Etwa die Weltweisen unsrer Tage? Sie suchen nur sich selbst zu verherrlichen und jeder predigt sein eignes Individuum.

Etwa die großen Geschäftsmänner? Sie ha­

ben nur Ueberzeugungen, keine Ueberzeugung; sie kennen nur Rücksichten und Mittel für die nächsten Zwecke, nicht das, was diese Rücksichten verdiente, und diese Mittel hei­ ligte.

Es zerstückt sich ihnen das Leben in eine unbestimmte

Mannigfaltigkeit, indem die höhere Einheit, die allgegen­ wärtige, lebendige, darunter verloren geht.

Oder etwa die

Pädagogen? Zeige mir eine wahrhaft christliche Erziehungs­ methode; und dann zeige mir einen Erzieher, der fähig ist sie zu beseelen! Pestalozzi, der edle Märtyrer, der fromme, Getreue, hat nur die Natur im Menschen vereinfacht, ihre

Grundfunktionen heraus gehoben,

und sie mit keuschem

Sinne geübt; aber nicht dem Geiste die Flügel gelost, noch die Gesetze der unsichtbaren Welt uns enthüllet.

Seine

Zöglinge werden daher auch durch sichre Anschauungen und klare Begriffe für das Endliche, nicht aber durch das innre Licht göttlicher Ideen, und durch die höhere Einheit eines lebendigen Glaubens, sich auszeichnen.

Oder wird die gött-

liche Wahrheit geweckt, durch die Thaten der Helden? Sie sind höchstens nur Aufräumer des Schuttes, Ordner für den Nothbehelf durch militärische Disliplin, nicht Erbauer und heilige Gesetzgeber.

Die Natur ist zu allgewaltig in

ihnen, als daß mit jenen stürmischen Weltkräften der Frie­ de und das Licht des Christenthums sich verbünden konn­ ten.

Die Weltgeschichte zeigt uns noch keinen einzigen

Helden, der wirklich als Held ein Christ wäre, wenn gleich Manche eine christliche Sache verfochten, und mit religiö­ sen Gesinnungen die Lücken ihres Wesens auszufüllen such­ ten.

Uederhaupt also suchen wir in der wirklichen Welt

vergebens treue Abbilder von dem Borbilde Jesu.

Auch der

größeste ist uns wie ein Tropfen, und Lberdem wie ein sehr trüber versetzter Tropfen, aus dem klaren Meere seines Le­ bens, der Abstand ist unermeßlich, wenn du es recht prü­ fest.

Wollest du nun nicht lieber ans Meer gehn und selbst

schöpfen, so viel oder wenig du vermagst; al- mit jenem getrübten Wasser, welches du mühselig sammeln mußt, dich abspeisen lassen, und am Ende doch noch in Gefahr gera­ then darüber zu verdursten? 3) Muß ich dir widersprechen, daß keine Brücke zur Dergangenheit leite.

Zwar nicht jede vergangne Thatsache

kann uns verständlich werden, denn manche ist so sehr mir

3l Zufälligkeiten durchwebt, so wenig mit Ideen verknüpft, daß sie uns darum auf ihrer Stelle und in ihrer wahren Bedeutung dunkel bleiben muß. Aber Thatsachen, wir das Leben Jesu und seiner Apostel uns darbietet, stimmen ganz mit dem Wesen unserer höheren Natur überein, und sind eigentlich nur der Buchstabe von jenen Ueberzeugungen, de­ ren Geist wir aus ihren Worten empfangen, und deren Sinn und Bedeutung uns den gesammten Sinn der Menschheit er­ öffnen. Darum sind sie auch immer neu und gegenwärtig, liegen uns in allen Zeiten gleich nahe, wenn sie sich auch in jeder Zeit anders gestalten; denn sie sind das Zeitlose, wahr­ haft Ewige, in der Menschennatur, wtlches, wie die Bläue des Himmels, durch alle Jahrhunderte gleiche Farbe hält. Aber, das ist ein Glaubensartikel! und läßt sich nicht aus Begriffen demonstriren; es wird un« erst gewiß durch das gesammte religiöse Bewußtsein, und gleichsam der ganze Mensch» mit seinem Wollen, Denken und Empfinden muß sich dran setzen, um zu diesen himmlischen Wahrheiten hinauf zu reichen. „Ich bin nur von der Erde, sprach bw rechtschaffne, großherzige Johannes, darum rede ich nur ir­ dische Dinge; du aber bist vom Himmel, darum redest du himmlische Dinge." Jene irdischen Ding» lassen sich nun wohl willkührlich vornehmen und mit dem Verstände prüfen, dies« himmlischen nicht; denn diese sind es eben, die den Verstand erst verständig machen, und ihn schützen, daß er nicht auf alle möglichen Thorheiten verfalle; sie verlangen daher, daß die Vernunft für das Irdische sich ihnen gefangen gebe, damit dem Menschen, statt dessen, eine höhere himm­ lische Vernunft, ein klares Bewußtsein der göttlichen Dinge, ausgelöst werde. Ihm geht damit nichts verloren, er wird

32

dadurch nicht, wie ihr meinet, ein fanatischer Schwärmer, er verliert nicht seinen ruhigen, geübten Verstand für das Wirkliche und Momentane; nein! er kann vielmehr alle un­ tergeordneten Geisteskräfte nur freier dadurch entwickeln, nur umfassender anwenden lernen. Das christliche Wunder muß also immer ein Anstoß bleiben für die eigensüchtige Vernunft, nicht aber für die gläubige Vernunft. Wenn Jene alles aus natürlichen Gründen zu erklären sucht, und doch nur einen so kleinen Theil der Natur begreift, wenn Jene nicht ruhen kann, bis sie in ihre Endlichkeit herab gezogen, was doch un­ endlicher Art ist; so sucht diese vielmehr im Ganzen ein helle­ res Bewußtsein durch fromme Erhebung und durch inbrünsti­ ges Gebet, und findet in der Begeisterung Einsicht und Ueber­ zeugung von den göttlichen Thatsachen. Wort und Wunder ist dann ein Schlag, und fast begreift der Religiöse.nicht, wie man solches habe trennen wollen oder können. Friedrich. Er würde es begreifen, wenn er seine Begeisterung ehr­ lich anwendete auf das Werk feiner Hände, auf die Pflicht des Augenblicks; er würde eine gewaltige Lücke finden, zwi­ schen seinem Glauben und der Frucht; er würde beim Alltäg­ lichsten seine Kraft ermatten sehn, die doch, wenn es recht zuginge, Berge versetzen könnte. Möchten uns die schnei­ denden Mißtöne zwischen Ideen und Wirklichkeit endlich die Augen offnen, daß wir einer Se.itö nicht den neuen Wein in alte Schläuche gießen, anderseits nicht in neue Schläuche fchaaleö Wasser, statt Wein, fassen, denn so stehn Ortho­ doxen und Neologen einander gegenüber; möchten wir viel­ mehr uns überzeugen; daß die Vorsehung uns '.nicht umsonst in diese Zeitform, und auf diese Scholle stellte, und daß wir nichts

53 nicht» anderes mit Geist und Hand ergreifen sollen, al« was wir in dieser engen Fuge beleben,

«n« aneignen,

im täglichen Kreise wahr machen können.

und

Wahrhaftig­

keit in allen unsern Empfindungen, in unserm ganzen natür­ lichen Wesen, im Kleinsten wie im Größesten unserer Thätig­ keit, ist etwas viel Höhere» und Ehrwürdigere», al» der feste­ ste Wunderglaube, und »ft von diesem ganz getrennt. — Ja! dieser pofitive Glaube, wenn er da» Vorherrschende wird, und, als abgesonderte» Element, über alle» Menschliche sich erhebt, verleitet zu einer gewissen Jllufion, die da« Gemeinste, wie da» Außerordentlichste au» einem besondern GrfichtSpunkt« betrachtet, und allenthalben anstößt, alle« verschiebt und um­ kehrt, weil sie die Unbefangenheit und den Gradfinn der Na­ tur verlassen hat.

Sie pflanzet an die Stelle de» heiligen

Leben» der Wirklichkeit,

einen

«undrrthatigen Gesandten

au» der Schrift, sie will hier und dort Wunder sehn, und er­ blindet dagegen für da» große zusammenhängende Wunder der strebenden Menschheit;

sie legt auf da« Unbedeutendste oft

«inen mystischen Nachdruck, erhebt e» nach Laune,

in dem

Gewebe ihrer Jdeen e» verflechtend, und erblödet sich dagegen nicht die gewaltigsten Aeußerungen de» Menschengeistes mit Spott zu begrüßen.

Diese religiöse Illusion in ihrer über­

spannten Empfindungsweise, kann den Menschen, ohne daß er e» merkt, so verderben, daß keine ehrliche Faser an ihm bleibt, und er jede Lüge, jeden Betrug sich erlaubt, indem er seinen Nachbar nur al» blinde« Werkzeug für vorgeblich höhere Zwecke behandelt.

Genug der Beispiele au» der Ge­

schichte stünden mir zu Gebote, um diese» zu belegen.

Die

wenigsten Fanaten und Schwärmer wußten von ihrem Be­ trüge; sie hielten sich überzeugt, aber sie betrogen sich selbst

C

34 «nd Andre, allein, weil sie ein Vergangne« in die Gegen­ wart pflanzten, und wa« am Tage lag, noch mit Lampenschein beleuchten wollten.

Daß aber der kirchliche Glaube, wo er

geschlossen in Schrift blieb, vom Leben sich absondre und über den Moment sich erhöhe, daß er daher die Individua­ lität de« Menschen schwäche und im Grunde zerstöre, daß er ihn fortwährend illudire und ihm die beste Kraft, die theure Zeit für da» Nothwendigste raube, davon geben un» selbst würdige Gotteslehrer Proben, welche mit dem treu­ sten Eifer, jedoch ohne Weltverstand, ihr Amt verwalteten. Etwa« Anderes muß also noch hinzu kommen, gleichsam ein ganz neuer Faktor, um au« Leben und Schrift ein hö­ here« Produkt der Menschheit zu gewinnen.

E« muß rin

Mittler sein, zwischen der Idee de« positiven Glauben« in unserem gegenwärtigen Zustande, damit, wie du dich aus­ drückst, unser Verstand dadurch verständig werde; sonst fällt er auf viel großre Thorheiten,

als weltliche Dinge

veranlassen mögen, denn eine Idee des Unendlichen bethört ihn, und der Thorheit kaun also auch kein Ende sein. — Dieser Mittler ist nun zwar in neuer Dogmatik nicht ver­ gessen, der heilige Geist soll auch alle« lehren und erklären, er soll Dergang

heit und

Gegenwart, Offenbarung und

Natur zusammen knüpfen, und er würde e« auch, wenn ihr Ihm folgtet; aber dazu gehört, daß ihr Ihn aufsucht im Momente, daß ihr dem Leben, als seiner Sphäre, euch hingebet, und mit klaren unbefangenen Sinnen euch darauf heftet, wa« da ist; nicht aber durch den Zusah von Ideen einen Niederschlag bildet, welcher euch von einer Seite eben so sehr verdunkelt und starr macht, als es euch von der andern in ein helle« geistiges Wasser verwandelt.

SS Zhr würdet statt überschwenglicher Phantasten, in euch auf­ nehmen «a« eure Individualität vertrüge,

und euch zu

einer männlichen Wahrhaftigkeit verhülfe; kurz ihr würdet Charakter über alle« schätzen lernen. Franz. Der neue Faktor, welcher, nach deiner Meinung, zwi­ schen Leben und Schrift eintreten müßte, um au« beiden ein höhere» Produkt der Menschheit zu gewinnen, ist eben jene» ästhetische Gefühl, was seine Sphäre findet in einer irdisch-überirdischen Welt, und was du gleich ansang», als leeren Sinnestraum, so verachtend verwarfst.

Du sagtest:

um ehrlich zu bleiben, müsse man fich davon so bald, wie möglich frei machen, handeln,

und,

sich gewöhnen.

nach deutlichen Begriffen zu

Ich

hingegen halte dafür: um

rein zu bleiben und nicht freventlich jede» Band der Erde, mit dem Himmel zu zerreißen, um folgerecht und eigen­ thümlich zu bleiben, muß jenes Gefühl des Schönen, als finnlicher Harmonie, besonder« geschont und am sorgfältig­ sten entwickelt werden.

Denn wie das sinnliche Gefühl

Aeußrrrs und Znnerr« in Ein« verbindet, so daß ein ungetheilte» Bewußtsein darau» wird, und wir ohne diesen Taktus weder von uns selbst noch von der Korperwelt einen Begriff hätten, so verbindet da» Schönheitsgefühl wieder die Sinnlichkeit und den Begriff in Ein«, so daß ein freier, geistiger Organismus daraus wird, ohne den wir nicht» von dem wahren Verhältnisse der vorbildlichen zu der abbildli­ chen Welt

begr ifen.

Was du

handle»

nach Begriffen

nennst ist schon eine Profanation jene» heiligen Grfühlsvermögens, gleichsam eine Zersetzung von Geist und Sinn­ lichkeit; doch, wie da» edelste Metall legirt werden muß, C -

56 um als Münze um zu laufen, so mag auch das ästhetische Gefühl öfters durch Begriffe legirt «erden müssen, um auszuhalten und gültig zu «erden in allen einseitigen For­ men des Lebens. An sich selbst aber bedarf es keiner De griffsform und keines abgezo nen Grundsatzes, denn es trägt «ine viel höhere Form und Gesetzmäßigkeit in sich, die sei­ nem Wesen eingeboren ist, und gleichsam einen ununter­ brochenen göttlichen Grundsatz im Reiche der Natur offen­ baret. Alle echte Religion, alle echte Kunst und Wissen­ schaft bricht, wie aus ihrem fruchtbaren Schooße, aus die­ ser ästhetischen Gesetzmäßigkeit, aus dieser sinnlichen Ver­ herrlichung der göttlichen Liebe hervor, und wa» der Orient in heiligen Gedichten und ehrwürdigen Mythen umkleidet, was Christus in einfacher Pros« so schön ausspricht, ist nichts als jene schöpfrische, sinnlich-übersinnliche Liebe, dir, wie er es nennt, rin Strom ist, der in das ewige Leben hinüber strömet. Auch Plato, der Reine, erhebt dieses Ge­ fühl des Schönen, wie billig, zu der höchsten Stufe, wenn er von den heilig-geschonten Seelen redet, die allein fähig wären jenes göttlichen Wahnsinns, dem die Vernunft sich nicht nahen dürfe. Wie Otto sich ausdrückte über den Glauben, so möchte ich von diesem Wahnsinne sagen, daß er die menschliche Vernunft erst vernünftig mache. Alle wa» euch begeistert, verdanket ihr nur ihm, alle« was euch da» Herz erwärmet und zu den edelste» Aufopferungen fähig machet, ist aus seinem Strome geflossen; aber nur wenig schöne Naturen gelangen zu dieser Einheit von Geist und Sinnlichkeit, und die dazu gelangten gingen meisten» al» Virtuosen unter, indem sie das Uebermaß schöpfrischer Liebe nicht einzwängen

57 konnten in die Schranken der Sitte, und ihr Gewissen nicht stark genug

war den würdigen

dern von dem unwürdigen.

Stoff behutsam abzuson-

Die Ordnung, welche

durch

allgemeine Begriffe über das Leben verbreitet wird, sie mö­ gen au» der aufrichtigsten Religiosität geflossen sein, ist doch nur eine todte Ordnung, ein Gesetz des Buchstabens, ein Genrralisiren und Scheren über einen Kamm, auf Kosten je» nes heiligen Organismus, der einzig da« Menschliche im Menschen ausmachet. duelles

Gemüth;

Ganz anders verhält sich ein indivi­

durch

die

größte

Unmittelbarkeit

Gefühle weiß es auch die größte Klarheit und über das Ganz« zu verbreiten, es hängt

im

Ordnung

sich nicht, wie

du sagtest, der Wirklichkeit an, sondern es macht selbst die Wirklichkeit, durch seinen Gegensatz; sie bricht sich und gestaltet sich an demselben, wie die Meereswellen am Fel­ senriff.

Das Schönste und Beste, was die Zeit trägt, kannst

du erst durch Vermittlung

eine»

empfinden und schätzen lernen,

individuellen Gemüthe»

es bliebe sonst ein roher

Stoff, den du vergeben« durch «ine Kette von logischen Be­ griffen dir anzueignen suchst; immer nur wirst du ein ver­ zerrte» Abbild de« Urbildes wahrnehmen, einen Pegasus, im Pfluge dienstbar, denn du knüpfst jenes Beste an dein en­ ges Bedürfniß, stellst es in die Sphäre deiner kleinen Per­ son, und urtheilst darüber bloß, in wie ferne e« auf diese Sphäre einwirkt.

Ea ist wahr! ihr Begriffsmenfchen seid

au« dem Traume erwachet, ihr «ißt euch alle« gar deut­ lich zu sagen, was gut und schlecht sei, nur schade, daß ihr die Güte selbst nicht kennet; schade, daß ihr die Sün­ de selbst nicht verstehet! Vormals träumtet ihr vom Er­ wachen, nun seid ihr erwacht zu einem viel tieferen Schla. fe, das fromme Wähnen und Suchen habt ihr verlassen,

33 darum «erdet ihr auch nicht» finden; besitzt und «ist ihr doch schon alle»', wozu euch noch rin Himmel,

da ihr auf

Erden schon mündig geworden seid? Eure Begeisterung ist auch nur für den Nothbrdarf, gleich wie ein Wein, den ihr nachtrinkt, um bei dem üppigen Gastmale de» Leben» da» Gemisch von Speisen unschädlich zu machen» nicht aber ein Leben»brod, was euch nährt, nicht ein lebendige» Was­ ser, wa» euch den Durst stillet.

Ihr konnt nicht mehr träu­

men, wie Kinder von unschuldigen Spielen, darum fehlt euch die Kraft zum Wachen, der Ernst de» Leben»; denn Schlaf und Wachen, wie in der sinnlichen Sphäre, so in der geistigen, sind zwei Wechselbrgriff«,

und nähren sich,

Einer den Andern. — Friedrich. Genug von dieser Art! du vergißt die Bedingung. Zch kann nur auf Gedanken, nicht auf Bilder und Gleichnisse antworte«.

Was mein ist durch Gedanke und That, nicht

was mir anklingt durch den Reiz des Sinne« au» den «ei­ ten Reichen der Welt, nur davon darf ich reden, nur da» Wahrheit nennen.

Da» Gewebe, was di« sinnliche Schö­

pfung um uns her zieht, ist unauflöslich, dunkel und un­ ergründlich der Schlund der Natur; wer sich darauf ein­ läßt jene Fäden durch den Sinn zu entwirren, und die­ sen Schlund zu durchmeffen, der wird alsbald ein Spiel bewußtloser Kräfte, läßt sich einwiegen von ihrem süßen Si­ renengesänge, und giebt den Geist in seine alten Ketten ge­ fangen.

Der Mensch ist da zu denken und zu handeln, er

übersieht nur einen kleinen Raum, aber kann diesen Raum, Kraft seine« Geiste«, mit Klarheit durchschauen, er steht nur auf einer engen Scholle, aber kann von dieser Scholl«

39 au- Kraft seines Gewissen», da- Unendliche berühre». — Was er empfindet ist die Angabe nach der'That, welche um so schöner ausfällt» al- er mit Strenge überlegt und mir Ueberzeugung gehandelt hat, aber er kann von ihr nicht» hinwegthun, noch Hinz« fügen.

So entsteht da- wahrhaft

menschliche Gefühl, alle« Andre ist bloß ei» kranker Reiz, welcher von süßer Mystik genährt, von lieblichem Schatten verlockt, die Wurzeln der Menschheit löset und die Fuge» der Wahrheit aufreißt.

Denn alle» Schöne ist nicht- al»

momentane Wahrheit, gestellt in den Kreis der Sin­ ne, beschränkt durch Individualität und äußre Zufälligkeit. Wer diese» Lichtgewand der Unsterblichen für dir Wahrheit selbst nimmt, dem entflieht alsbald ihr heilige» Leben, und er sucht vergeblich ihr todte- Bild, wa« nur einen Augen­ blick durch fie lebte, und wie rin« bunte Schlangenhaut von ihr in dem Folgenden abgestreift wurde, durch Fantast« zu beseelen.

Darum ist es so schwer, ja unmöglich! eine

größre Vorzeit zu fühlen, wenn man nicht auch Kraft fühlt r- ihr gleich zu thun, und die herrlichsten Dichtungen der Alten werden wie erst recht verständlich nach einer schönen That, nach einer schweren Aufopferung, nach einer treuen Pflichtfolgt.

An sich ist da» Schöne gar nicht» und der

Sinn dafür ein Traum; e» wird erst etwa», wenn e» sich dem Bedürfniss« de» Augenblick» anschließet, und au» dem Kleinsten wie au» dem

Größten durch Gewissenhaftigkeit

aufstehet; denn da» Schöne ist gar nicht» Einzelne«, son­ dern immer nur die sinnliche Harmonie unsrer ganzen sitt­ lichen Natur, e» kann also auch nicht durch Virtuosität ge­ wonnen, sondern nur durch Moralität erzeugt werden. Der Pegasus im Pfluge ist da» rechte Bild der höheren Schön»

4o heit, hier erst erscheint sie in ihrer erhabensten Kraft; sie bäumt sich nicht unter dem Joche, sie sucht nicht zu flie­ gen, sie schreitet gelassen mit eingezognen Schwingen die dunkle Furche hinauf, und trägt grade das Haupt, was keine Geißel zu beugen vermag; das Tagewerk ist vollendet und nun entfaltet sie fröhlich die Flügel zu freieren Bah­ nen. — Der Glaube unsrer Kirche sagt eben dieses auf ei­ ne

sehr tiefsinnige Weise,

wenn es heißt:

„Gott selbst

ist, nachdem er gegeißelt und verspottet worden, unter die Schächer an» Kreuz geschlagen." Liebe zur Tiefe zurück,

So kehrt das Höchste voll

und fo einiget sich Himmel und

Erde. — Was nicht dienen kann, ist sicher nicht da» Höchste, und was nicht vom Nothwendigen ausgehet, zum Schönen reifen.

kann nicht

Was du aber vorbringst gegen die

strenge Drgriffsform, worauf wir uns stützen, und gegen da« mündige Wachen, was dir nur «in tieferer Schlaf dün­ ket, so kann ich dir nichts weiter darauf erwiedern, als: ver­ sucht e», ihr Menschenblumen! ihr Sänger am Ufer! und stürzt euch nur in den

Strom!

laßt

seine schäumenden

Wellen über eurem Haupte erst zusammenschlagen, arbeitet euch durch zu jenem Jenseits der Pflicht, wie ehrliche Wan­ drer, und dann seht zu, wie ea mit euch bestellt sei! und was euch von den heiligen Träumen noch übrig geblieben? redet ihr dann noch wie jetzt, so will ich euch glauben, und bi« Früchte sollen euch richten. Franz. Schon lange höre ich im Nebenzimmer gehn; wär« es Bernhard, so möchte un» allen geholfen sein. Bernhard (hereintretend). Ich wollte nicht stören, und ihr verzeiht mir, daß ich

4i euch ungesehn zuhörte, denn es hat mir ein ausnehmende» Vergnügen gemacht. Ihr habt die eine Sache durch eure verschiedene Ansichten so beleuchtet und gewendet, daß ein ganz Rundes vollkommen Bestimmtes Hera«» gekommen ist und ich wahrlich nichts hinzu zu setzen wüßte. Friedrich. So stehst btt es ganz anders an, als wir, denn wir stnd durch unsern Streit so in Verwirrung gerathen, daß wir we­ der ein noch aus wissen. Otto. Du lagst mir immer im Sinn, obgleich ich mir nicht bestimmt deine Person dachte; — mich verlangte nach deiner Ueberstcht. Franz. Vor ditsem zweiten Areopag, hoffe ich, werden wir bes­ ser fahren, als vor dem ersten, wenigstens müssen hier di« Gesetz« entscheiden, und e» gilt kein Machtspruch mehr. Freund Friedrich hat uns gar zu martialisch behandelt. Friedrich. Immerhin will ich mich den Gesetzen unterwerfen, wenn sie nur nicht bloß die eurigen stnd und un« allen angehören. — Sage uns also, theurer Bernhard! wie sich dir aus unserem Streit« ein friedlich,» Ganze zusammenstellen konnte? Bernhard. Zwar nicht au» eurem Streite, aber au« den verschie­ denen Eigenthümlichkeiten, die sich in demselben aussprachen. Jeder von euch hat eine Seite von dem Geiste de» Christen­ thum» verfochten, und wenn er durchseine individuelle Be­ hauptung die der Anderen in Dunkel zu stellen suchte, welche» ihm zwar niemals gelingen konnte, so zog er nur dadurch ein

42 schärfere« Licht auf ftin eignes Bekenntniß zusammen und hob e« in reiner Umfchränkung hervor.

Soll ich euch aber,

wie e» mir erschienen, da» Friedensband zeigen, so müsset ihr euch eine Weile selbst vergessen, und vor meine Anficht, wie vor einem Gemälde, unbefangen hintrrten, damit ihr frische Sinne und neue« Gemüth mitbringet.

Nachher möget ihr

prüfen, ob ihr euch damit gersönlich vereinigen könnet? Friedrich. Deine Bedingungen find rechtlich und billig, wer wollt« fit nicht annehmen? Franz. Fange nur an! Ich denke an keinen Streit mehr. Otto. Wenn du un« den Frieden bringst, so mögen wir gerne unsre Eigenthümlichkeit zum Opfer bieten. Bernhard. Aber auch ich, Freunde! bringe euch nicht« Unbekann­ te«, sondern denke nur zu ordnen, wa« ihr schon wisset und zum Theil schon gesagt habt. Da« Auszeichnende de« Ehristenthum« ist, daß es alle Formen der Menschheit zuläßt und in allen Gestalten de« Wissen« fich absetzt, so bald sie nur zum Ganzen fich neigen und nicht« Besonderes ausmachen «ollen. sonderte aber, so bedeutend e« auch sei,

Alles Abge­

ist ihm entgegen,

jede ausschließend« und fertige Form der Menschheit nennet e« Götzendienst.

Dadurch kündigt e« fich als echte Universal­

religion an, und wenn das auch nicht ganz in seinem histori­ schen Ursprünge fich darthun ließe, so beweiset es doch die Ge­ schichte aller folgenden Jahrhunderte und das Beste, was «och gegenwärtig unter den Menschen lebet.

Jede Einseitig-

45 ktit brachte ein Schisma hervor; aber wir aus göttlichem Saa» men entsprossen, warf es im Laufe der Zeiten, ohnrrachtet alles Hierarchischen Truges, jede Einseitigkeit au», und blüh­ te immer von neuem auf zu höherer, allgemeinerer Mensch­ heit.

Wir thun uns so viel )u Gute auf den gesunden

Menschenverstand; — woher haben wir ihn, al» durch da» Christenthum? Weder Griechheit noch Most» Gesetz, weder alte noch neue Weisheit hatten uns dazu verholfen, wenn nicht de» Nazarener» Lehre den Gesichtspunkt angegeben hätte.

Die ruhig prüfende Vernunft, in ihrer echten Be­

deutung, ist fein Werk; so wie auf der andern Seite der schönste Enthusiasmus für Vaterland und Richt, die still« Begeisterung des Künstler», da» überzeugende und erwär­ mende Wort de» Geistlichen, feine» Lebens Früchte sind.— Man würde also dem Christenthum« sehr zu nahe treten, wenn man e» in irgend einer positiven Form, wie unser Otto e« meinte, abschließen wollte.

So ehrwürdig auch di«

Dogmen unsrer Kirche sind, dürfen sie doch nur in ihrem Geiste und nicht in ihrem Buchstaben aufgefaßt werden. Man darf nicht sprechen: „Wer zweifelt, daß Zesus von den Todten auferstanden giebt noch

fei, der ist nicht Christ;" denn e«

viele andre Richtungen, wie eben auch Friedrich

und Franz deren Einige sehr treffend ausgesprochen haben, die, obschon außer der Form, nicht weniger christlich sind und au« höherer Lieb« ihren Ursprung nahmen. Auf der andern Seite aber scheint so sind sie doch nie Ern« und dasselbe in der Erfahrung, denn die menschliche Freiheit ist progres­ siv, die Gnade Gotte- aber unveränderlich, und das Wan­ delbare, wie allenthalben, muß an dem Beharrlichen auch hier sich entwickeln; die Gnade muß also, als ein Gesetz der Liebe, die Freiheit, al» ein Gehorsam au» Liebe angfsehn werden; Gesetz und Gehorsam bleibe», als die beiden Glieder des Gtundverhältniffe» de« Geschöpfes zum Schö­ pfer stehn.

Diese Grenz« aufheben und der Freiheit Er­

scheinung mit Gnade gleich stellen, hieße das Band ab­ schneiden, was den Menschen an Gott halt, obwohl es bei zunehmender Heiligung sich mehr und mehr löset, und in seltnen Momenten der Andacht fast ganz seine Straffheit verloren zu haben scheinet.

Aber das sind nur Momente,

auf welche kein Zuverlaß ist, und die bloß durch strengen Gehorsam und gründliche

Uederlaffung herbei geführt und

7tt wiederholt werden können.

Willst du diese Ueberlassung wie­

derum als negative Willensenergie, und diesen Gehorsam als Wirkung der Freiheit ansehn; so magst du es immer als Philosoph rechtfertigen können, aber, als praktischer Mensch, kömmt eS nicht zum Bewußtsein bei dir, und der religiöse Sinn nennet es Unterwerfung. — Ja! ich möchte sagen: erst, nachdem du dich selbst ganz vergessen hast, kannst du dich auf dich selbst ganz besinnen, erst nachdem du dich selbst ganz verloren hast, kannst du

dich

selbst

wieder finden;

sonst bleibt es immer nur ein scheinbares Besinnen, und Finden: der kühne Taucher springt gläubig in die ungemeßne Tiefe hinab, um das verlorne Kleinod in seine Ar­ me zu nehmen und ans Licht zu tragen! — Wer erst die Tiefe messen wollte, würde es nicht wagen hinab zu sprin­ gen und auch das Kleinod nicht gewinnen. Bernhard. Wohl! aber eben dazu bedarf es eines gleich großen Maaßes von Thätigkeit, als von Hingebung,

denn, um

dein Gleichniß fortzusetzen, es wird der Taucher, durch das bloße Hinabstürzen das Kleinod nicht Lewiunen, sondern er muß das Selbstgefühl haben, in der Tiefe es ergreifen und durch die wilde Brandung es emportcagen zu können;

er

muß bei sich selbst einen Zuverlaß haben, der mehr ist, wie er selbst und ihn über sich selbst erheben kann; das nenne ich das Wesen der Freiheit, welches eben sowohl hingebend als selbstthätig, eben sowohl demüthig

als anmaßend er­

scheinet. Aber freilich muß das Bewußtwerden

dieser höheren

Freiheit durch eine Thatsache nachgewiesen werden, irgend

79 ein Werk muß es dokumentären, und so komme ich denn endlich auf Franzens Ansicht von Religion zurück. Nicht die praktische Thätigkeit, was wir im engeren Sinne so nennen, erhebt uns über uns selbst, und läßt uns das eigne Thun als Gnade empfinden, jede Handlung vielmehr läßt dich unbefriediget und neue Sehnsucht treibt dich fort wie an einer unendlichen Kette, ohne in irgend einem deiner Werke Ruhe und Erfüllung

zu finden.

Es

dünkt dem Religiösen auf diesem Standpunkte alles eitel, was er auch vornehme, alles Thun nur ein Entfernen von Gott, ein Zerstreuen von dem Mittelpunkte des Lebens; er bedarf immer von neuem, wie du sagtest, der stillen Ueberlassung und des blinden Gehorsams im Glauben, um fich dem Ewigen zu versöhnen.

Das ist äußerst konsequent,

so lange die beiden Elemente des Lebens, Gnade und Selbst­ macht, getrennt bleiben; wie wir denn auch Beispiele an großen Geschäftsmännern, als an dem Kardinal Ximenes, Minister Carl des fünften, finden, die durch höhere Rich­ tung ihres Gemüthes bewogen, sich im Geheim der härte­ sten Buße, und der strengsten Enthaltsamkeit täglich unter­ warfen, um die entstandne Entzweiung dadurch zu heben, und die durch äußre Geschäfte getrübte Innerlichkeit wieder herzustellen.

Aber es giebt eine Stufe des Bewußtseins, wo

jene scheinbar getrennten Pole in Eintracht zusammen tre­ ten und nicht nur das Innere, sondern ein Werk zeuget von der Versöhnung des Individuums, und das ist die Kunst. Ihr seht wohl, daß ich hier Kunst im weitesten Sinne und in ihrem erhabensten Charakter betrachte.

Sie ist, von

dieser Seite angeschauet, überhaupt das Vermögen des Men­ schen^ ein göttliches über seine Person unendlich erhabnes

8o Werk, ein Werk, in seiner sinnvollen Zweckmäßigkeit 5tim lich dem unergründlichen Organismus der Natur, hervorzu­ bringen und so seinen Glauben mit Freiheit gleichsam zu ge­ stalten.—Hier allein ergänzt sich das Bewußtsein mit dem Un­ bewußten, der Verstand mit dem Gefühle die That mit dem Glauben; hier ist Aktives und Passives, Anmaßung und Demuth Eins; hier entsteht etwas unter deinen Händen, als Zeug­ niß eines Geistes, der mehr ist als du selbst, rin Buchstabe deine« innersten Gewissens.

Das ächte Kunstwerk ist eine

freundliche Fülle göttlicher Geheimnisse, ewig frisch und ein­ ladend dem sehnsüchtigen Herzen, tausend tiefsinnige Gedan­ ken, tausend wohlthätige Gefühle werden rege durch seine Gemeinschaft, man fühlt sich größer, ahndungSreicher und hoffnungsvoller in seiner Gegenwart;

es erhebt dich über

dich selbst, wie es den Künstler über sich selbst erhoben hat, und du gehst gebesserter hinweg, weil die Welt der Ideale dich in demselben berührte und der Friede über die Vernunft dir darinnen zugesprochen hat.

Ein echtes Kunstwerk ist das Do­

kument, daß der Glaube Natur geworden und die Sinnlich­ keit geheiligrt fei durch den Geist, und darum durchdringen sich in ihm auch immer zwei Welten und verklären sich einan­ der; das Irdische wird fromm und das Himmlische schön in demselben, und die Individualität rechtfertiget sich dadurch vor Gott. Hier haben wir den Gründ des Bilderdienstes aufzusu­ chen, welcher um so mehr sich rechtfertiget, je schöner das Idol ist, je mehr cs göttliche Gebcrde empfangen und den Frieden verkündiget.

So ist es wahrlich ein Mittler, e«

fei im Marmor oder im Worte, im Gemälde oder im Gesänge, in Prose oder in Liedern;

immer hebte- das verlangend« Herz

Herz aus irdischer Bedürftigkeit auf die Hohe der wahren Welt und erweckt bildlich Liebe und Vertrauen zum unbildli­ chen Vater. — Wahrlich! im Jupiter des Phidias verehrten die tief fühlenden Griechen nicht ihren höchsten Gott, aber diese erhabnen Züge leiteten sie zur Anbetung des unsichtbaren Weltherrschers, es waren gleichsam die letzten Linien der End­ lichkeit, welche das Unendliche fymbolisi'rten und ihre sinnli­ che Natur durch die Majestät der Schönheit dem Uebersinnlichen versöhnten.

Worinn sie aber, wie aller Pantheismus,

irrten, war die fatalistische Ansicht des Lebens.

Das Schick­

sal, eine dunkle unerbittliche Macht, herrschte über'Götter und Menschen, ewig und unwiderruflich waren seine Be­ schlüsse, die Loose, welche seinem Schooße entsanken, konn­ ten Seher und Orakel wohl vorher sagen, Niemand konnte sie abwenden.

Sein Wesen glich mehr einem blinden jWurfe,

als einem vernünftigen und liebenden Geiste, was dem Men­ schen das Vertrauteste sein sollte, ward ihm am mehrsten ent­ fremdet, und was ihm der höchste Zuverlaß fein sollte, ward ihm das Furchtbarste dadurch.

Hieraus erhellet, wie die

heidnischen Religionen nur eine Seite des Göttlichen auf­ nahmen, die der Natur; die des Geistes aber tiefer ins Dunkel zurück wich, und darum auch der Tod so trübe und hoffnungslos angesehen ward.

Das Judenthum, als der

Dienst des Unsichtbaren aus der ältesten Welt her, stellte die andere Seite ins Licht.

So viel

sinnliche

Begriffe

auch von ihrem ewigen Herrn und Könige vorkommen, sind es doch nur Allegorieen, nicht Symbole, darum sind diese Vorstellungen auch selten schön, bisweilen erhaben, gewöhn­ lich aber nur erschütternd und grausend.

Jede Verbildli­

chung ihres Theokraten ward als Götzendienst hart gestraft,

82

und selbst der steinerne Altar, den MoseS in der Wüste aufrichtete, durste von keinem Eisen verletzt werden,

es

war die Stimme Eottes, daß er ihn machen sollte von un­ behauenen Steinen. —

In

diesem merkwürdigen Volke

widerstreitet also das Religiöse gradezu der Kunst.

Es ist

durchaus unkünstlerisch in seiner ganzen Bildung, und dicht neben dem hohen Aufschwünge des Geistes finden wir nicht selten den größten Schmutz der Sinne.

Alle ihre heiligen

Propheten waren daher stoisch geläutert, strafend, richtend, Buße und Enthaltsamkeit predigend, wie sie selbst ein Bei­ spiel gaben, nicht scheuend das Häßliche zu nennen und den Gräuel aufzudecken in den grellsten Farben und oft un­ ter den ekelhaftesten Bildern, um die Verstockten zu erwei­ chen und den Blinden die Augen zu offnen.

Selbst da, wo

Schönheit sich aufthut, wie in den Psalmen Davids und Affaphs, in den Reden, Sprüchen und Liedern des Salo­ mo, zeigt sich deutlich die unkünstlerische Richtung in dem Hange zum

Gestaltlosen,

Ungeheuren;

an durchgehenden

Formsinn, wie bei den Griechen, ist gar nicht zu denken; obwohl im Einzelnen die höchsten Schönheiten sich zeigen, die, wie an den Grenzen der Gestaltung, eben deshalb ganz eigne hellkräftige Farbenblüthe entfalten.

Wenn das Wort

der Bibel schön ist, könnte man sagen, so ist es unaussprech­ lich schön, meistens aber geht es nur aus auf Wahrheit, be­ schränkt sich nuf bloße Wirklichkeit und kehrt nicht zurück in die Vollendung der Sinne. Diese sinnliche Vollendung aus dem Geiste zu erneuern und die beiden Pole, Zudenthum und Heidcnthum gleichsam durch die Are der Welt im Mittelpunkte zu verknüpfen ist die große, wenn nicht einzige, Bestimmung des Christenthums.

85 Das Geistliche soll in ihm natürlich, das Natürliche geistlich werden.

Es ist seinem Wesen nach ein fortgesetztes Mensch­

werden Gottes.

Zwar nicht mehr in Einem, wie Christus,

sondern in der Gemeinde, als Glieder dieses Einen, in jeden Christen anders versinnlichet, doch in allen der nemliche Geist. Das Christenthum schließet also auch die Kunst nicht aus, aber es schaffet eine ganz andre Kunst, als die der Griechen, Egypter und Inder.

Daß wir darinn den Alten so sehr noch

nachstehn, liegt nicht an unserer Religion, daß sie etwa zu wenig bildlich und dichterisch wäre,

wie

einige behaupten

wollen, sondern an uns, daß wir die ästhetische Seite der­ selben so wenig aufnahmen, und an unsere politischen Ver­ fassungen die so wenig Oeffentlichkeit zulassen und keine freie Conkurrenz gestatten.

Um die Kunst zu erheben muß sich

der einzelne Künstler in seinem Volke, wenigstens in einer Gemeinde, fühlen und begrenzen können; die Lorbeern, wel­ che-Akademien ihn aufs Haupt sehen,

der Lohn,

welchen

Fürsten ihm geben, ist nur eine Parodie auf den Kranz der Olympischen Spiele und auf den Beifall der Besten einer ganzen Nation, die dort sich versammelten.

Aus dem Volke

muß sie, als Dersinnlichung feines Glaubens und als Bild seines heiligsten Lebens aufsteigen; vor dem Kern des Volks, d. h. vor kindlichen Menschen, die bei höherer Bildung ein­ fach und tiefsinnig wie das Volk blieben, ihren Lohn finden. Die fromme Liebe des Künstlers kann nur durch Liebe vergol­ ten werden, und je weiter sich diese Liebe verbreitet, je wei­ ter sie selbst aus die Unmündigen und Bloden herab sinkt, desto mehr wird auch echte Religiosität gefördert, und Ver­ söhnung im Fleische geprediget.

Ja es ist Erfahrung, daß

fast alle großen Künstler, besonders Maler und Bildhauer,

8 2

84 di« «ohl am mehrste« Einfalt und Innigkeit bedürfen, aus dem Volke hervorgegangen sind; zwar nicht aus dem ganz rohtn, verdorbnen Volke, aber aus dem unbemerkte» Mit­ telstand«, der noch in der gemüthlichen Schranke drsVolkssinnes lebt und gleichsam aus diesem fetten Boden seine geistige Nahrung zieht.

Hier fanden sie die wohlthätige

Wiege ihrer heiligen Träume, die vorbildliche Welt fand noch einen klaren Spiegel in ihrem reinen Aug« und eine unentwrihte Stätte in ihrem schuldlosen Herzen; sie san­ gen, malten, bildeten überschwengliche Dinge, vor denen sie selbst oft anbetend niedersanken.

Ein geheimnißvoller

Trieb der innigsten Lust, nicht ihr Verstand, hatte sie sol­ ches vollenden gelehrt, weit über ihre Person erhaben stand das heilige Werk und ward rin Baum des Leben« selbst für die spateste Zukunft.

Was aber die christliche Kunst anlan­

get, so unterscheidet sie sich dadurch von jeder anderen, daß ihr Nationelles, wie scharf es auch umgrenzt scheine, sich immer dem Universellen anschließe und Frieden verkündige.

einen allgemeinen

E« ist nicht der Stoff, welcher sie un­

terscheidet, sondern die Form, die Behandlungsweise eines Borwurfs.

Der fromme Maler kann einen Gegenstand aus

dem Homer oder Ossian äußerst christlich behandeln, ohne daß nur irgend auf da« Evangelium

hingedeutet würde,

und nicht wenig dadurch zur Beförderung echter Religiosi­ tät mitwirken; e« liegt in der Auffassung des Gemüthes der dargestellten Menschen oder der Landschaft, wa« ein christ­ liches Gemälde bezeichnet; denn auch die Landschaft hat ihr tiefsinniges Gemüth, was eigentlich nur von einem christ­ lichen Künstler empfunden werden kann.

Umgekehrt auch

kann der Maler einen Vorwurf au« dem neuen Testament,

85 tetnn « sich gleich streng« a» der Geschichte hielte, sehr heidnisch und ungläubig behandeln, und bei aller Schönheit der formen, de« Auedruck«, der Gruppirung, de« Colorit« «. s. ro. doch einen, dem christlichen ganz entgegenge­ setzten, Eindruck hervorbringen; wovon tut« denn die ge­ genwärtige Kunst in

ihrem herbeigezognen

Effekt und in

ihrer utrirten Bedeutsamkeit, wie auf der andern Seite in ihrer

charakterlosen Jdealisirung

genug

Beispiele liefert,

Urbrigen«, wenn in der christlichen Kunst Form und Stoff zusammentreffen, kann eine viel höhere Stufe der Vollen­ dung erreicht werden, denn keine Geschichte hat in ihrer großen Einfalt «inen so tiefen Kunstgehalt, keine eine so vielseitige Bedeutung, als die Evangelische.

Diese« im Ein­

zelnen nachzuweisen würde mich zu weit von meinem Zwecke entfernen, da wir e« hier eigentlich nur mit der allgemei­ nen Idee der Kunst zu thun haben, in so ferne sie al« Derstnnlichung und Aneignung net.

de« Christenthum« erschei­

Diese große allgemeine Kunst fällt mit dem höheren

Leben de« Menschen innigst zusammen, ja!

diese« Leben

kann ohne sie nie zur Empfindung und individuellen Wahr­ heit gedeihen.

Ein christliches Leben, wa« individuell ge»

worden, muß rin künstlerische« Leben sein, «ine Ueberzeu­ gung de« Christenthum«, die recht dein eigen sein soll und der du dich ohne Illusion hingeben darfst, muß eine künst­ lerische Ueberzeugung sein; sonst bleibt e« entweder ein tod­ ter, herzloser Begriff, oder e« schwankt hinüber in Schwär­ merei,

Thorheit und Aberglauben.

Nur der künstlerisch

(nicht künstlich) Gebildete, sag« ich» kann christlich gebil­ det heißen, alle anderen bewegen sich in Roheit oder Urberfeinerung, in Schlaffheit oder Ueberspannung.

86 Damit ihr mich aber nicht, Otto und Friedrich (denn daß Franz mich verstehet, sehe ich an seinen Augen), damit ihr mich nicht etwa zu der Einseitigkeit derer hinwerfet, die alles Reale und Positive unserer Religion in einen poeti­ schen Schein verwandelten, und alles gethan zu haben mein­ ten, wenn sie dichterisch reizend die Dogmen unserer Kirche einkleideten, so muß ich meinen Begriff von dem Wesen der Kunst und ihrem Umfange schärfer bestimmen.

Ich

nenne alles Kunst, was einen organischen Zusammenhang der Menschen mit seinem Schöpfer darthut, d. h. einen Zu­ sammenhang unseres Geistes mit dem unendlichen Geiste, der, wie der leibliche Organismus, im kleinsten wie im größten Theile vollkommen bestimmt ist, eben so unergründ­ lich zweckmäßig und einfach, eben so nothwendig in seinen Verhältnissen und eben so eins mit dem allgemeinen Orga­ nismus des Universums wie dieser.

Kunst ist die Ver­

menschlichung Gottes, und daher die höchste Kunst, die Kunst des Lebens, wo der Mensch selbst ein göttliches Eben­ bild wird.

In der Kunst reget sich geistliche Schöpfungs­

kraft, so wie die sinnliche in der Natur, bildet eben so nothwendig fort von Geschlecht zu Geschlechte und ist der brütende Geist, welcher schwebet über die dunkle Oede und neue Zeugungen aufruft, immerdar. — Plato, welcher in diesem Sinne wohl den Namen eines Künstlers verdiente, obwohl er, wie fein erhabner Lehrer durch kontemplative Richtung begreklzt, nicht die höchste Kunst, die des Lebens, ergreifen konnte, Plato nennet nicht mit Unrecht die Leh­ ren eines Weltweisen seine geistlichen Kinder, die fester oft seinen Nachruhm begründen, als die leiblichen thun, und weshalb er sich viel feeliger preisen kann, als sonst ein Va-

87

ter unter feinen Kindern. Er meint das recht eigentlich so, und nicht nur gleichnißweife, wie manche Dichter e» benutzt haben. Kunst ist recht eigentlich die geistliche Zeugungskraft in uns, und wo sie hervor bricht, selbst in ihren gering­ sten Erscheinungen, immer jung, fruchtbar, tiefsinnig und unergründlich in ihrer Zweckmäßigkeit; man könnte sie ver­ gleichen einer höchst einfachen und naiven Abbreviatur der kolossalen Weltschrist, oder einem sehr wiegen Einfalle über die erhabensten unerforschlichsten Dinge; so wirkt sie wenigstens, denn oft rückt sie ins Licht und leget ans Herz, durch ein einziges Wort, durch einen einzigen Strich, durch einen einfachen Akkord, was längst der höchste Scharf­ sinn vergeblich versuchte und die höchste Denklrast uner­ reicht lassen mußte. Das kömmt daher: in der Kunst leh­ ret uns Gott und nicht wir uns selbst, es wirken dort nicht einzelne Seelenkräfte, als Verstand, Phantasie, Gefühl und Vernunft, nein! es handelt die heilige unzertrenn­ liche Seele selbst, geweckt durch höheren Einfluß. — Die Willkühr des Begriffs, von der es ausgehn mag, ist nur ein Punkt des Anknüpfen», nur ein Behälter der Materie, womit es erfüllt werden soll; eine ganz andre Gesetzmäßig­ keit zieht ihn bald in ihre Tiefe herab, er verschwindet oft ganz, oft bleibt er im Werke nur stehn, als ein Denkstein menschlicher Bedürfugkeit; — die Seele folget einem ganz anderen Zuge, worauf sie sich viel gewisser ist, als auf ih­ ren felbsterfsnnenen Wegen, und e« entstehet Etwas unter ihrem Thun, nicht gedacht und geordnet, wie eine Abhand­ lung, sondern liebevoll und ein«, wie ein schönes Kind, aus der frommen Liebe kräftiger Keltern. In der Kunst

88 ttmrnt erst da« innigste Gewissen de« Individuum« au den Tag, denn sie ist das rechte Kind seines Gewissens; Geist und Gewissen nennen sich seine Aeltrrn. Aber diese erhabne Lebenskunst trifft man oft am tet« nigsten bei den Künstlern von Profession an, sie entfernen sich vielmehr durch einseitige Wirkung gar leicht von der heiligen

Quelle

ihres höheren Lebens,

sie trüben diesen

Quell durch sinnliche Wildheit, oder lassen ihn versiegen durch geistliche Trägheit; wenn der Glaube von ihnen wei­ chet, des sie besonders ausgesetzt sind, so bleiben sie bloße Automaten, rühren die geschäftigen Glieder, als wenn noch Seele in ihnen wäre, und täuschen sich wie Andere durch die erworbnen Fertigkeiten, in Wahrheit aber ist ihr Leben dahin, und tob ihr Gewissen für die Kunst.

Ohne heili­

gen Glauben, der immer neu da« Sinnliche durchläutert und die alte Einfalt im Herzen fest hält, kann kein Künst­ ler entstehn, und wenn er ihn aufgab, entsagte er zugleich seiner ganzen Innigkeit und Tiefe in der Kunst.

Aber die­

ser Glaube, als Band mit der unsichtbaren Welt,

kann

im Künstler gar vielfach gestaltet sein, der Eine fasset da« Heilige so, der Andere anders, etwa« Heilige« muß aber in seiner Seel« wohnen, wenn er eine hoher« Welt dar­ stellen, ja! wenn er nur diese wirkliche in ihrer rechten Be­ deutung

auffassen

soll.

So

sieht man oft einen großen

Tonkünstler versinken in die gestaltlos« Flut leidenschaftli­ cher Gefühle und «ntergrhn in

dir tragische Tiefe seiner

musikalischen Natur, ohne daß er nur Einmal jene Sire­ nengesänge auf dir heitre Höhe de« inneren Himmel«, in Kraft, Unschuld und Liebe hätte versammeln können.

So

verliert eia vorzüglicher Dichter in eben dem Grade oft die

89 Poesie seines Lebens, als sich das Technische derselben aus­ bildet, und er erreichet nie mehr jene erste Tiefe der Empfin­ dung, nie mehr jene rührende Wahrheit der Individualitä­ ten, bis in die zartesten Züge, welche ihm anfangs zuflog in jugendlicher Ahnung und Fülle, wie ein glücklicher Traum, aber ihn nicht fromm genug fand, sein Eigenthum zu wer­ den.

So findet auch der treffliche Maler oft seinen Fall;

die göttlichen Geberden, welche sonst wie Blumen ihm aus dem frommen Herzen quollen, und in süßer Einfalt, an­ spruchslos zeugten von ihrem Dasein, von ihrer höheren Wahrheit, werden spater, nachdem die Lust des Irdischen den Geist überwachsen mehr herbei gezogen und zusammen­ gesetzter, es ist bei sonst viel reicherer Schönheit, und bei viel größeren Verdiensten im Technischen der Kunst, nicht mehr das Wirkliche und Tiefansprechende, nicht mehr das wahrhaft Heilige darinn, der verlorne Glaube blickt aus al­ len Gestalten und verrücket jede Figur aus ihrem eigensten Charakter.

Die Gefahr ist hier um so größer, als beson­

dres Talent sich sehr auf Routine verlassen kann, und nur wenige den Unterschied des vollen und leeren Herzens recht merken, nur wenige die Gaben des reinen oder befleckten Sinnes, wenn sie mit dem technischen Schmucke umkleidet sind, unterscheiden können. So wie nun aber überhaupt in dem Künstler, als Vir­ tuosen, sein heiliges Leben im Kunstwerke sich gleichsam ab­ fetzt, und aus der gefammten Masse seines natürlichen Le­ bens hinaus tritt, woher denn zwar ein frischer Reiz zu neuer,

höherer

Kunstproduktion in ihm entstehet,

welche

aber eben wieder wie Jene von seinem Geiste sich ablöset und außerhalb des Stroms fällt; so vereiniget hingegen die

So Jlmtfl de» Leben» jene getrennten Elemente und machet da« Leben selbst zum Ideale, den Geist aber zum Künstler des­ selben. Hier ist Werden und Vollendung immer Eines, hier ist keine Trennung der Wirklichkeit und de» Jdealischrn r.iehe, hier braucht man nicht mehr da» Gegenwärtige zu vergessen um sich an himmlischen Wonnen zu nähren und sich in den Frieden seeliger Zukunft zu tauchen. Der Geist ist hier ein König de» Leben» in Leid und Freude, im Dul­ den und Befehlen, in dem Stande der Erniedrigung, wie der Erhöhung. Hier erst gewinnet die Religion ihren Leib und jeder Moment ist der Ewigkeit voll; — hier erst tritt die wahre Freiheit mit ihrer hohen Nothwendigkeit und mit unantastbarer Einfalt in da» Gebiet der wirklichen Dinge, und erlöset da« Dasein au» hoffnungsloser Tiefe durch Lie­ be und Kraft; hier ist die Natur im Geiste erwachet und der Mensch von neuen geboren zum heiligen Jndividuo; und hier schließet sich die unermeßliche Kette praktischen Handelns in dem Dollgenusse künstlerischer Befriedigung und ewiger Gestaltung nach dem Urleben zusammen. Au« diesem Ringe des Dollgenusse», wenn ich so sagen darf, entfaltet sich die erfreuliche Spirale de» unendlichen Fort­ schritt», nicht mehr eine eintönige Linie in dem Joche der Pflicht, sondern ein sanfter geregelter Schwung, au» dem Kreise, al« der schönsten Figur, aufsteigend zur größeren Zukunft. Wer einmal erfahren hat, was es heiße, der Mensch ist «in Brod de« Leben»; ein himmlische» Brod, nach wel­ chem Genusse kein wilder Hunger mehr da ist, der kennet jene heilige Gestalt, der suchet ihre Eeberde im Leben, der fühlt sich noch lange erbauet und höher beseelet, wenn si,

9i

zu Zeiten in ihm aufsteigt, und seinem Geiste klar wird. Der verstehet nicht bloß den Menschen in der Kunst, son­ dern auch die Kunst im Menschen, die höhere Natur, die Gewalt der Freiheit Gottes, wie fit sich im sittlichen Geiste offenbaret und des Ewigen Herrlichkeit preiset. Wohl steht fest das große Wort: nicht mein, sondern — „dein Wille" — aber auch das andere noch größere Wort: „Ich und der Vater sind eins." Beide Worte er­ gänzen und tragen sich, und sind zwei Pole de« unsichtba­ ren Mittelpunkt«. Demuth und Srlbstmacht, Freiheit und Gehorsam, Hingebung und Thatkraft sind auf dieser Hohe ganz gleichbedeutende Dinge und liegen alle auf dem­ selben Balken des Gleichgewicht« — sie werden erst ver­ schiedenartig durch da« Schwanken der Wage, und zeugen so von aufgehobner Ruhe, die bald durch die eine, bald durch die andere jener Sinnesweisen sich wieder herzustellen suchet. Darum ist Buße nach Uebermuth, Hingebung nach Anmaßung, abgeschiedne Einkehr nach eitlem SinneSgegrnusse zwar nothwendig und heilsam, aber nur zu betrach­ ten als da« Auf- und Absteigen des Wagebalkens, und noch nicht dasjenige, was die Ruhe enthält. Dieses Heilige fällt zwischen allen jenen Extremen in die Mitte, ist gleich­ sam die Kunstgestalt aus Allem unzerleglich zusammenge­ schmolzen, keiner jener Sinnesweifen gleich, und doch auch keine vermissend. Edle Naturen erkennet man darum besonder« an der Art, wie sie sich bessern; wie sie bereuen; wie sie sich de­ müthigen; wie sie ihrer eignen Kraft und Freiheit ver­ trauen. Zrne getrennte» Elemente sind mehr bei ihnen ver­ einiget; in der Reue ist schon «in stiller Auverlaß, nicht

92 leichtsinnig, sondern kindlich, nicht, als wenn man schon gen g gethan, aber, daß man weiß, wie der alte Stegen so ferne nicht sei.

In der Hingebung und Einkehr ist ein

heiteres Naturleben offen, im Glauben stets die eigenthüm­ liche Selbstthätigkeit und sinnliche Zueignung ausgedrückt, Menschliches

und

Göttliches

wirket milder bei ihnen in

einander, und deutet eben dadurch auf eine nähere Versöh­ nung.

So wie der Dichter nicht Begriffe und bildlichen

Schmuck unterscheidet, sondern beides aus einer Quelle schöpfet, denn wer ea trenne» und durch den Begriff erst zum Bilde gelangen wollte, wäre kein echter Dichter; so schöpft auch der Lebenskünstler Glauben und Wissen, Hin­ gebung und Zueignung aus

einer

Quelle,

und daraus

entsteht ihm der individuelle Glaube, welcher, so weit er gereifet, ohne Täuschung ist, und zu seinem Gewissen wird. Aus diesem Glauben quillet das Gefühl der Unsterblichkeit, der Verklärung und Verwandtschaft mit Gott; es

bedarf

keiner andern Beweise dafür, als dieses eignen Zeugnisse», weil das vereinigte höchste Bewußtsein hier als Zeuge auf­ tritt, und jeder Vernunftschluß, als abgeleitetes Vermögen, selbst erst dadurch wieder begründet werden mußte. individuelle

Glaube

erscheinet zugleich

als

eine

Dieser erhabne

Kunst, welche das Wesen des Daseins in jeder Einzelnheit d rstellet, und jede Thatsache

im

Geiste de» Universums

anschauet; eine Kunst, die Vergangenheit und Zukunft pro­ phetisch verbindet und welche die Gegenwart zum Bewußt­ sein der Ewigkeit erhebt. So wir der Maler auf die Leinewand in sättigten For­ men die Sehnsucht seine» Lebens hinbildet, daß manches Auge davon naß, und manches Herz davon warm wird, so

93 bildet der Leben-künstler sie

unmittelbar auf dem Geiste,

in dem Worte der Lieb« und Kraft, schlicht von außen, doch innerlich unverwelkliche- Leben.

Die Welt ist ihm das

große Gemälde oder Drama, der große Choral oder da« hei­ lige Lied feiner Seele, die Welt, in ihrer tieferen Wahr­ heit und himmlischen Bestimmung; er stimmet nicht in da« Geschrei der Spötter,

wie

alle« so schlecht sei und zum

Schlechtesten hinneige, aber auch nicht in da« Getöse der Lobrrdner über die Jugendkraft de« Jahrhundert«, vielmehr sieht er wie tiefsinnig Gute« und Böses gemischt, und läßt eingewurzelte Dornen oft ungerugt, Waizen mit ihnen auszureißen.

um nur nicht guten

Stille ist oft sein Wirken,

eng der Kreis feine« Leben«, aber was er lehret, lebet und thut, ist vollkommen fein eigen, und trägt erweckend, be­ seelend, erwärmend, verbindend, höher« Zeugung-kraft in sich.

Seine Freund«, Schüler und Mitarbeiter, jede« sinn­

volle Gemüth, wa« ihm begegnet, Stimmen,

mit ihnen fühlt

er

sich

sind

di«

erweckrt,

begleitenden befriediget

und erhoben zu kühnerem Schwünge; oft aber tönt auch sein« Stimm« nur allein durch die Nacht, und r« wird grausend einsam in der Unruhe äußerer Sorgen; die begleitenden Stim­ men verstummten,

die Freund« sind schon in einer andern

Welt; aber e« finkt nicht der Muth, da« Herz wird nicht matt, die Leben-kunst bricht ihm neue Bahnen, und immer findet er seinen Kreis wo da« himmlisch« Saamenkor» in fruchtbare« Land fällt.

Oft muß er da« Auge schließen,

dann öffnet e« sich wieder hell« und ftöhlich, aber der Geist schließet sich nie,

er gehet durch Lichter und Schatten mit

gleicher Zuversicht, mit gleicher Lebenafülle, an dem Licht« saugend, wa« keine» Wechsel kennet.

94 Wem könnte mehr als dem Geistlichen dieser schone Be­ ruf zu Theil werden, dieser Beruf, das tiefsinnige Leben als heilige Kunst zu ergreifen, und mit dem hohen Ernste, mit der warmen Ruhe des echten Künstlers die unbefangne Ein­ falt des rechtschaffnen Bürgers zu verbinden.

Er hat seine

Gemeinde, wo immer, bei Einigen wenigstens, ein warmes Wort, eine warme Stelle findet — sein Amt berufet ihn schon aus Herzensgründe zu reden,

und das Wichtigste an

den Tag zu stellen, feine Wirksamkeit gehet nicht bloß auf Nebendinge, nicht auf angenommene Statuten und Rechte, sondern gradezu auf das Leben selbst, veränderlichen Geiste.

in seinem weniger un­

Ist ihm sonst auch die Oeffentlichkeit

entzogen und viel Herrliches damit versagt, hat er sie doch in seinen sonntäglichen Reden, und in manchen kirchlichen Handlungen, die voll heiligen Gehalts und tiefer Andeutung sind! Leuchtet ihm auch nur das Auge eines einfachen Land­ manns, dankt ihm auch nur das Herz einer beschrankten, doch treuen Hausmutter, oder regt sich im reifenden Jünglinge ein höheres Sehnen und Streben, durch sein ernst eindrin­ gendes Wort, so ist das Seegens genug, und oft der reinste gewisseste Seegen, welcher Jemanden zu Theil werden kann. Aber sorgfältiger achten muß er, wie jeder Andere, auf sei­ ne eigne fortschreitende Bildung, daß er nicht, von ungebil­ detem Stoffe umgeben, selbst zurück bleibe und mit vielen Todten sich genügen lerne; wachen muß er, daß nichts Fla­ ches, Kleinliches oder Rohes durch die nächste Umgebung in ihn eindringe und er wie Manche nicht durch geläufige Ent­ schuldigung seine Schwachheit bedecke;

wachen und beten,

daß er in der That und Wahrheit ein Geistlicher bleibe, wenn er sonst auch nichts anders sein könnte und manchem weltlichen

95 Einflüsse entsagen müßte.

Vielfach umfassend,

im großen

Ginne der Bibel muß die Bildung des Geistlichen fein, die Gründlichkeit der Wissenschaft und der Tiefsinn der Künste müsse« ihm glesch nahe stehn, den Menschen muß er lieben in seiner eigrnsten Natur, und da« Menschliche in allen Ver­ hältnissen, entkleidet von eitlem Anschein, mit dem Zartge­ fühl de« Künstlers hervor heben. Du erkennest diesen heiligen Lebenskünstler, einer besonder« vorspringenden

nicht an

Güte oder Vernünftigkeit,

nicht an einem ausgezeichneten Scharfsinn oder Eifer; son­ dern mehr an einer Richtigkeit des Gefühls und Innigkeit des Ausdruck«, an einem milden, klaren, tiefeindringrndrn Ge­ müth, wa« Liebe erweckt und mit Liebe belohnt, so wie auch jeder andre Künstler in seinem Fache daran zu erkennen ist. Ihm ist da« Leben in seiner «armen Kraftgrstalt auf immer vermählt, da« Uebersinnliche ist durch ihn sinnlich geworden; so erwärmet er die erkaltete Welt und tröstet da« zerrißne Herz.

Einen grundguten Menschen, oder sehr vernünftigen

Menschen, wie man zu sagen pfleget, wird man ihn schwer­ lich nennen, denn beides tritt in der Regel durch Mangel an ästhetischem Nerv und sinnlicher Klarheit so besonder« hervor; der grundgute Mensch heißet in der Regel nur darum so, «eil er kein ganz reiner Mensch ist, und der so vernünftige darum, weil ihm die zarteste Fühlbarkeit mangelt, und also Moral und Vernunft sich mehr, als ihnen zukommt, an­ maßen, um den Menschen zu stützen.

Darum sprach auch

Jesu« das selten - vrrstandne Wort: „nennet mich nicht einen guten Meister, denn Gott allein ist der Gute!" Bei dem Lebenskünstler erscheinet nicht« al« der Mensch, in seiner harmonischen Gestalt und zarten Vielseitigkeit.

Er hat die

96 Lugenden aber auch die tiefsinnigen Thorheiten der Menfchennatur, er hat oft manches seltsam Anziehende, wunder­ lich Eigne, was man gar nicht vernünftig nennen sann, nur nichts Thierisches,oder pedantisch Heiliges, denn so wie Er­ steres zeuget von roher Sinnlichkeit, so Letzteres von Man­ gel an Lebenssinn, und todter Gedankenkette, welches beides gleich ferne stehet dem wahren Künstler. Um aber diese heilige Lebenskunst nicht -u verkennen, um sie nicht mit der Außenseite anderer Künste zu verwechölen, muß man überhaupt von Kunst den würdigsten Begriff haben; denn dieser ethische Künstler, von dem ich geredet, ist nicht im Leben wie der Schauspieler auf den Brettern; es ist nicht ein bloßes Talent, wie oft bei Jenem, sondern es ist der wirkliche Mensch in seiner ganzen Gesinnung; er ist zugleich Dichter und Held des Dramas, sich selbst in der Aeußerung nur verständlich und nur vor dem produktiven Leben sein Richter.

Was dort in der abgesonderten Kunst

ein schöner Schein ist,

höhere Wirklichkeit symbolisirend,

wird hier wirklich; was dort auf der Oberfläche anmuthig sich beweget, wird hier Frucht und That.

Der ethische Künst­

ler hat darum den Sinn für jede andre Kunst, aber nicht im­ mer so der Tonkünstler, Dichter oder Maler für bse größere Kunst des Lebens; zu ihr dringt kein Anderer vor, als der vereinigte Mensch, er nur hält die Probe des Gleich­ gewichtes auf der schwankenden Wage des Schicksals. Doch ihr Freunde! ich habe lange geredet, die Nacht ist herbei kommen und noch immer vielleicht

ist der Gordische

Knoten ungelöst und es frägt sich, ob wir dem Ziele der Ber­ einigung, das wohl schwerer zu erreichen steht, als ich an­ fangs vermuthete, näher gerückt sind? Wenn es mir gleich,

was

97 was ihr euch rinander entgegen gestellet, als rin überein­ stimmendes Ganze erschiene, so erfordert «S doch mehr, um diese» Ganze in seinen ergänzenden Theilen darzustellen und jeder Ansicht ihr volles Recht zukommen zu lassen. Sagt mir also zuerst, ob ich euch begriffen und dann auch ob meine Ueberblicke euch einander näher gebracht haben? Friedrich. Wäre dein» Ansicht auch nur eigenthümlich, wie di« unsrige, so hat sie doch meine eignen Behauptungen in rin schönes Licht gestellet und die Ideen der Freunde, aus einem höheren Gesichtspunkte beleuchtet, wenn nicht über­ zeugend, mir doch ehrwürdig gemacht. Ich «riß wohl, daß ich einseitig bin, doch hat jede Einseitigkeit, welche Cha­ rakter wurde, auch ihr Recht, welche» wohl eingeschränkt, aber nicht verworfen werben darf. Franz. Meine Ahnung ist wahr geworden, du hast mir au» dem Herzen geredet, und mein Gefühl mit deinem Berstande vertreten. Ich kann nichts weiter sagen, al« daß ich mit deiner Entscheidung vollkommen zufrieden bin. Bernhard. Daß ich euch beide gewinnen würd«, darauf hab« ich halb und halb gerechnet, aber ander« ist e« mit Otto, bei dem ich e» mir viel angelegner sein ließ und dadurch selbst in manche Widersprüche gerathen sein mag. — Otto. Doch! ich erkenn« die hohe Würd« der Gerechtigkeit und Humanität, als Geist des Christenthum«. Wo sie sind ist der Glaube lebendig, wo sie fehlen, ist jeder Wunder» G

glaubt Trug ober Aberglaube. Kein Heide ober Jude kann so human, so gründlich gerecht gegen alle Eigenthümlichkeit sein als der Ehrist, denn in ihm nur wohnt der Friede und das Licht über die Vernunft. Auch ahne ich jene Verkla­ rung in den Sinnen, jene Versöhnung im Fleische, als eine neue Verherrlichung des Ehristenthums, welche du mit Recht eine ethisch« Kunst, und zwar die höchste aller Künste nrnnrst. Ich ahne den heiligen Organismus der Welt, der Sinnliches mit Ueberflnnlichem verknüpfet; aber bis die neuen Lebensorgane in mir anschießen, halte ich mich an der alten Erfahrung im stillen Gehorsam, indem ich Jeden auf seine eigenthümliche Erfahrung zurückweise. Ich halte dafür, das Wort Gottes ist etwas so Erhab­ nes, daß eines Menschen-Weisheit es weder umfassen noch ausschöpfen kann; doch schöpfet Jeder, der es ernstlich mei­ net, auf seine Weise, und nimmt seinen Theil von der Wahrheit. Durch Brudcrstnn kann diescS Gewonnene ver­ sammelt und zu einem größer» Ganzen vereiniget werden. Nicht der abgezogne Gedanke, der Sinn und das Lebendes Mitchrisien bereichert, erheitert und stärkt uns. So nimm du meinen Dank, theurer Bernhard für deine milden menschlichen Worte; sie erhalten Manches, was mir sonst dunkel war, und ich habe den Erlöser dadurch auf eine ganz neue Weise lieb gewonnen, er ist mit sinnlich naher und menschlich bekannter geworden, was mir zur besondern Freude gereichet — ich fühle wohl, daß der Mensch nicht nur um des Glaubens, sondern auch der Glaube um des Menschen sein sollte, daß'daher Inneres und Aeußeres sich burchdringen müssen, wenn man auf festem Boden stehn will. Sage uns aber noch, wenn es dir gefallt, wie du

99 jene

erhabne Kunst bet Derfianlichung des Christenthum«

in unsere gegenwärtigen Zritverhältnisse einzuführen mög­ lich achtest? Denn mir scheinet sich dem alle- zu wider­ setzen, wa« Staat und Kirche im Laufe der Geiste«rntwick» lung als da« Vernünftige gestempelt haben. Bernhard. Obwohl unser Jahrhundert durch seinen scharfen Pro» testantiSmu« in Gesetze Meinungen und Sitten am weite­ sten sich von dieser Kunst zu entfernen scheinet, so nähert e« sich

derselben auf einer anderen Seite

bedeutend und

mehr wie irgend eine frühere Zeit, indem höhere Freithätigkejt de« Geiste« und allgemeiner Sinn besonder« sich in demselben entwickelt haben.

Diese«

sind die Fundamente

gründlicher Frömmigkeit und wahrer Versinnlichung de« in­ nern Leben«.

Ihr Mangel ließ den Katholicismus sinken,

weil er z« materiel ward und, au« dem Gebiete der freien Ideale sich entfernend, in die gröbste Profanation versank. Man erinnere sich nur der Streitigkeiten über Tran-substantiation, so wird man begreifen, wie wenig ästhetischer Sinn, wie tiefe sinnliche Rohheit hier die Sachwalter wa­ ren; man wird begreifen,

wie da« Ideal de« Leben« in

Schimäre zurückschwinden mußte, da man von dem Stand­ punkte der gemeinsten Wirklichkeit au« die höchsten Symbole der Religio» beurtheilen wollte.

Die welche eine Stimme

gehabt hätten, durch gebildeten Sinn und künstlerische« Zart­ gefühl, fchwiegen über jene heiligen Mysterien, und ließen, wie e« oft geschieht, voll Widerwillen und Schaam, solchen Ungeweihten da« Wort» welche vor aller Welt Augen mit schaamloser Spitzfindigkeit den unsinnigen Streit ausführ­ ten.

Jede« Extrem aber hat im Laufe der Geschichte sei-

Gr

lOD nett Umschwung, so bildet« sich die bloße Derstandesform diese» Dogma al« Erinnerung und Gedächrnißzeichen in der protestantischen Kirche, besonder» aber unter den Reformirten au».

Da» große Wort, welche« Luther über da»

Abendmal sprach, betheuernd: „da« ist!" und nicht, „da» bedeutet;" umfaßte er vielleicht selbst nicht ganz mit seiner Empfindung; er wollte fich nur an dem Buchstaben der Schrift halten und an der Bibel nicht« gefälscht haben, er wollte in diesem Gebiete dem reflektirenden Geiste allen Zu­ gang abschneiden, fühlte aber wohl nicht deutlich, was er damit zugleich

dem höheren

produktiven Leben zufichere,

und welchen Schah der Begeisterung er damit un« aufbe­ wahrt habe.

Der große Mann mochte es ahnen, wie er

das Tiefste wohl au« einem gewissen Instinkte gethan und ge­ sprochen,

und rin kräftiger ästhetischer Sinn ihn zu den

herrlichsten Werken berufen hatte; wa» e« in feinem Um­ fange und in seiner Tiefe gelte, blieb für eine spätere Zeit, für eine Zeit, die da« Menschliche fromm und da« Kirch­ liche menschlich aufnehmen kann, die in Lebenslust und Jugendkrafl stch heiligen kann für eine höhere Welt.

Es fra­

get sich, ob e« die unsrigr werden könne, oder den Nach­ kommen vorbehalten bleibe? So viel aber ist gewiß, daß sich, obwohl unter Krieg und Blut, einige erfreuliche Zei­ chen blicken ließen, Zeichen eines echten höheren Lebensund der nahenden Aussöhnung des Geistes mit der Natur.

Un­

sre Philosophen, Dichter und Philologen haben freiere Dah­ nen gebrochen.

Ein großer Geschichtschreiber hat jüngst den

klassischen Geist des Alterthum«,

herrlich verpflanzet auf

das höhere Gebiet des Christenthums, sowohl in den Ge­ schichten seine« Vaterlandes, al« in der allgemeinen Völ-

lOl

kerhistorle. Naturwissenschaft und Kunst nahen sich aus ihrer Zersetzung immer mehr dem allgemeinen Schwerpunkte des Lebens, nur die Theologie erscheinet wie ein Skelet des Verstandes, oder wie ein mystisches Zauberbild in abentheuerlichen Gewändern, ohne ein menschliches Herz im Busen zu tragen, ohne Wahrheit und Geist. — Die ge­ lehrtesten, reichhaltigsten theologischen Schriften legt man weg, wie ein Zeitungsblatt, nachdem man ihren Inhalt durchgesehn, ehrend das Wissen, aber überdrüßig der Form, die so wenig den Theologen verkündet. Die mehrsten Er­ bauungsbücher sind vollends ungenießbar, weil sie unter pa­ thetischen Worten und feingebildeten Perioden, statt indi­ vidueller Erfahrungen Gemeinplätze, statt warmen Lebens kahle Reflektionen, statt mildem Gemüthes und erhebender Einfalt mystischen Schwulst enthalten. Der reine, milde Terstegen, vielleicht von Wenigen gekannt, von Andern vergessen, mag ihnen zum Beispiele dienen, wenn nicht zur Nachahmung, doch zum Aufmerken, wie Herz nur das Herz treffen und volle Ueberzeugung nur bei andere Ueberzeugung wecken könne? Denn ich kenne keinen unter allen Mysti­ kern, selbst Fenelon nicht ausgenommen, der so menschlich schön das geistliche Leben ausgesprochen, so einfältig die Liebe Jesu im Umgänge mit Menschen wie in der Natur empfunden habe. Die mystische Eintönigkeit kann nicht über ihn richten, e- ist ein volles, befriedigtes Leben, er hat in diesem Asyl seine höhere Menschheit ruhig entfaltet. Daß aber die Theologie in gegenwärtiger Zeit, wo Alles her­ vorbricht und Alles sich gestaltet, so zurück bleibet, daß hier der Weltgeist gleichsam zögert seinen geistigen Organismus zu eröffnen, scheint mir ein Zeichen, daß dort die tiefste

102 Kraft verborgen, daß dort da« Schönste un« erwarte, und erst au« allen jenen einzelnen Elementen der allgemeinen Bildung gereift zusammenstrahlen könne. — Die Verjün­ gung de« Christenthum« au« Wissenschaft, Kunst und Le­ ben ist auch die Verjüngung der Menschheit.

Scharfsinnige

Systeme der Dogmatik, sorgfältige Eregese, gründliche Kirchrnhistorie, sammt reichhaltiger theologischer Moral können vorarbeiten, wegräumen, da« Todte vollends tobten; aber das Leben kömmt nicht au« ihnen — frei und kräftig steigt es au« der lautern Quelle der Andacht, einig und saftvoll wächst e» auf, wie eine Blume Gotte», au« der magischen Welt de« liebenden Gemüthes; nüchtern eröffnet es, wa« die Orgie einst im Rausche that, und die Pythia im Wahn­ sinn gebahr, die Geheimnisse der Menschheit und Natur, mit ernstem Finger auf den Allliebenden deutend. dem Künstler nur Freiheit

quillet

au«

Wie

allen Elementen,

wie er in Gra« und Steinen nicht« al« Schöpferkraft füh­ let, und diese« Gefühl mit begeistertem Finger nachahmend auf« Papier kritzelt, und fröhlich dann da« Blatt betrach­ tet, al« Zeugniß und Denkmal seiner Andacht; so giebt e« auch ein Wort der Andacht, und wa« unmittelbar au« dem Leben hervor bricht, wa« da« lautgewordne Geheimniß der Gesellschaft, dir gestaltete Sehnsucht der Besten ist, wa« den Schöpfer in unserer Mitte offenbaret; rin

schöpferi­

sche« Wort, voll Liebe und Trost» wa« nicht dem Reden­ den allein, sondern un« allen gehört, aber in dem einen Erwählten zur Sprache gebracht ist.

Ein Wort wunder­

voller Wirkungen und unerschöpflicher Fülle,

in ethischer

Kraft und Lebendigkeit — so ahne ich die Erscheinung der «eurn Religion-------------- !

105

Wir haben rin rührende« Symbol in unserer Kirche, «a« die schönste Versinnlichung de« Christenthum« bezeichnet. Der Mittler begabte e« mit seinem eigensten Geiste, in der verhängnißvollen Stunde stiftete er da« Mahl der Sehnsucht «Nd Liebe. Da« Sakrament des Abendmahl« ist da» einzige Zeichen, was er selbst stiftete, zur ewigen Vergegenwärtigung und Aufnahme seine« tiefsten Leben«. Sein ethischer Zweck, daß Christi Geist in diesem Genusse unsern sündlichen Leib wie den seinigen lautre und sinnlich geheiliget un« darstelle, al« sein eigen Fleisch und Blut, wir in Ihm und Er in un«, wie Gott in Ihm und Er in Gott, Reben eine« Weinstock« und Glieder seine« himmlischen Leibe«. Weise knüpfte er da» Geistigste, die Zueignung de« Opfertode« Christi durch Liebe und Glauben, an den sinnlichsten Sinn, in dem Genusse von Speise und Trank, damit da« Gute ganz sinnlich in un« werde, damit e« nicht stehn bleib« im Verstände, sondern zu höheren Gefühlen und reineren Trie» den sich gestalten möge. E« ist in den Einsetzungsworten unmittelbar zu dem Gefühle, al« dem verbindenden von Geist und Sinn, geredet, für den Verstand hatte r« keine Bedeutung, wenigsten« nur eine «eit hergeholt« sehr abgeschwächte; aber die Empfindung wird tief davon ergriffen und in einem sanften Zuge zum unsichtbaren Erlöser, da« gerührte Gemüth unbegreiflich versöhnet. Diese sinnlichübersinnliche Leben wird von ihm selbst auch in manchen Gleichnissen gepriesen; er nennet e« einen klaren Sprudel, der in da« ewige Leben hinaus fließet; rin Brod vom Him­ mel, wa« allen Hunger stillet; sich selbst nennet er diese« Brod und diese« Wasser, wa« nicht nur angeschauet, son­ dern genossen «erden müsse, damit e« den Hunger und den

Durst stille, und warnet, da» ja nicht mißzuverstehn, weil diese Worte nicht« als Geist und Leben,

und da« todte

fleischliche Wesen keinen Nutzen bringe. So senkte der Mitt­ ler die tiefste Innigkeit und da« ganze warme Gemüth in diese« Symbol seine« Stobt« und eröffnete

dadurch, «a«

vor Allem Noth, nemlich, daß auch der natürliche Mensch Christi «erde. Ist un« damit denn nicht, theurer Otto! ein bedeu­ tender Wink gegeben, wo alle« hinaus solle? Ist eben da« nicht der Anfang und da« Ende jener Lebenskunst, die ich beschrieben habe? Darauf kömmt e« an, daß der Geist un­ ser eigen werde und die dunkle Macht der eigenthümlichen Natur durch ihn verklärt; darauf, daß wir

fühlen, und

nicht nur glauben, und daß e« un» durch Mark und Dein dringe: Gott ist unser Vater, wir seine« Blute«, die Natur jauchzet in un« auf als den Kindern des Allmächti­ gen, wir gehen zu ihm, von dem wir gekommen. — Chri­ stus, unser Bruder ist un« der Weg, da« Licht und da« eigne Leben. Aber hier eben haftet bei der Mehrzahl der Gebildeten der gröbst« Schmutz noch.

Religion und sinnliche Liebe ist

ihnen etwa« ganz Verschiedne«.

Jene ist düster und trok-

ken, diese üppig und wild, jene versagend und züchtigend, diese leichtsinnig gewährend und thierisch befriedigend; die ganze Natur wirkt darinn feindselig in ihnen, und e« bleibt für sie ein leere« Wort, daß durch die Taufe ihre leibli­ chen Kinder berufen werden» Kinder Gotte« zu sein.

Wie

Geschlechtslieb«, als die Quelle der Menschwerdung, da« Heiligste sei, wie da« Herrlichste «der da« Ruchloseste, je

io5

nachdem flr empfinden, im Menschen sich dadurch entwickle, wie eS Versöhnung oder Fluch, Leben oder Tod für ihn werde, davon haben sie gar keine Vorstellung, und können auch nie e» bekommen, weil sie die heilige Sinnlichkeit de« Christenthum«, al« die Kunstseite desselben ganz au« der Acht lassen. Aeußere Sitte und Anstand, verständige Mäßi­ gung, und zu Zeiten stille Abfcheidung zu ernsten Betrach­ tungen über Tod und Unsterblichkeit, sind von dieser Seite ihre höchsten Tugenden, womit sie denn auch freilich am be­ sten durchkommen, «eil sie unter den Wölfen zu heulen ver­ stehn ; der göttliche Lebenssinn aber ist ihnen ein gefährliches Ding, bald lächeln, bald zürnen sie seiner, bald thut er ih­ nen zu viel, bald zu wenig, und sie preisen den glücklich, wel­ cher au« dieser hochströmenden Fluth früher wir sie in den sichern Hafen de« Herkömmlichen eingelaufen ist; — so nemlich denken die Besten, die Schlechteren nehmen e« leicht­ sinnig, und e« kömmt ihnen wenig auf den Namen an, alle« ist ihnen gleichgültig, wenn sie ihrer rohen Sinnlichkeit nur den Zügel lassen können. Unbegreiflich selten noch ist in unsrer Zeit ein fromme« Kunstgefühl und reine Andacht für Natur. Darauf müßte die Erziehung besonders sich heben, denn hier sind die Wur­ zeln de« verjüngten Christenthums auf zu suchen. Neue Ge­ bräuche müssen eingeführt, neue Feste gestiftet werden, die da« auch im bürgerlichen Leben und gesellschaftlichem Kreise beförderten, «a« da« Abendmahl im Kirchlichen so tiefsinnig ausdrückt, wrshalb diese« auch da« heiligste Symbol unseres Glaubens bleiben muß. Da« Gesellschaftliche sollte dem Kirchlichen näher treten und diese« wieder jenem, so würd« beide« dadurch gewinnen. Da« kirchliche Lebe» würde

menschlicher» da« gesellschaftliche aber einiger, theilnehmen» der

und

reichhaltiger «erden.

Statt

Frivolität würde

Kunstgefühl, statt Zweideutigkeit heiterer Scherz und unbefang­ ner Witz, statt pedantischem Ernst wissenschaftlicher Geist und lebendiger Jdeenwechsel, statt de« Sinn« der Zerstreu­ ung,

der

eintreten.

Sinn freier Mittheilung

bei

allen

Gebildeten

Auch auf da« Volk würde ««, wenn gleich lang­

samer und einfacher, doch ähnlich wohlthuend wirken. Wie sein natürliche« Gefühl sich reinigte, seine Triebe sich ver­ edelten und die Religion bei ihm gesellschaftlicher würde, müßte e« auch froher zur Arbeit, treuer in seinem Berufe, tüchtiger zu allen Pflichten «erden. sich mehr einander nähern

durch

Die Stände würden

gründli

e Bildung de«

Herzen», und öfter au« der Masse de« Volk« ein außeror­ dentliche« Talent, ein kräftiger Charakter im Geiste seine« Vaterlandes sich entwickeln.

Es

dürften un« dann nicht

erst Revolutionen lehren, wa« der Mensch, auch im nie­ drigsten Stande, durch sich selbst vermöge; jede Kraft wür­ de ihre Stelle finden, wo sie sich ruhig entfalten, wo st« ungehindert reifen könnte zur Wohlfahrt der Gesellschaft; — der Große würde stark sein in seinem Volke und da« Volk froh und einig unter seinen Häuptern. — Dazu aber, sagte ich, bedürfte e« außer den kirchlichen noch besonderer bürger­ licher Gebräuche,

die

unsrer Zeit angemessen, besonderer

Feste, die da« gesellschaftliche Leben erhöhten.

So etwa

Feste der Jahr-zeiten, der Saat und der Erndte, Feste der Lebensalter,

Fest« zum Andenken

vorzüglicher Menschen,

als Wohlthäter und Befreier ihres Volke«, wie un« auch die Vorzeit genug Beispiele giebt und noch in einigen Län­ dern Aehnliche« bestehet.

Da«, verbunden mit dem Kirch-

i(>7 lichtn, würde von einer Seite den Ausbrüchen der Wild» heit, von der andern dem Dumpfsinne der Trägheit vorbau­ en, es würde mit einem heiteren Selbstgefühl, und mit den wohlthätigen Empfindungen der Ehre, welche immer im geordneten und durch Sitten befestigten gesellschaftli­ chem Vereine erwachen, auch wahre Religiosität gefördert «erden. Ich hab« den Glauben,

ihr Freunde! daß ein tiefver­

borgner doch unerschöpflicher Schah von Kraft und Geist in brr Masse eines jeden Volkes ruhe, daß rin originelles Leben in dieser Masse dunkel sich bewtgr, «ine uralte heilige Weis­ heit in einzelnen fast verfchollnen Lauten sich hier noch ver­ nehmen lasse, daß es nur darauf ankomme, diese» zu samm­ le«, zu vereinigen und zur Sprache zu bringen, um etwas ganz Außerordentliche», allgemein Gültiges und Unvergeßli­ che» an» Licht zu stellen. —

Da« Wort, was fo au» der

Masse aufsteht und eine Masse vernünftig ein« macht, ist ei« ganz anderes, als wa« der einzeln Gebildete in seinem Sin­ ne gutmeinend und verständig ausspricht. Diese» geht unter, «eil es vom Menschen, jene» bleibt, weil e» von Gott ist. So lehrte Jesu» im ewigen Geiste der Menschheit; so MoseS und Jesaia« im Geiste ihre» Volke»; so Luther im Geiste sei­ ner zerrißnen Zeit, «in Deutscher untrr Deutschen; so man­ cher edle Religiös« im engeren »btt weiteren Kreise, al« da« lautgewordne Wort einer Gemeinschaft, Herz der Einfachen und Reinen.

als da« verhüllte

Man wende nicht ein, daß

auch Schwärmer sich Parthei gebildet, wie Sand am Meere; nicht, daß der Pöbel oft zu Tausenden dem unsinnigsten Fan­ tasten, oder dem gewandtesten Betrüger nachgefolgt sei. — Leicht ist wohl da« Volk zu betrügen, wer e» -rwinnen will,

leicht zu lenken nach schlechten Absichten; am schwersten ist aber, seine Güte zu würdigen, bei seiner Wahrheit es zu er­ greifen, seinen Willen auf daS höhere zu heften und für fein Bestes treulich zu sorgen.

Das Gold wird nur aus den Tie­

fen gegraben, oder ist im Sande verweilet; — oben auf und blinkend liegt oft der Glimmer.

Mancher treffliche Mensch

ist an diesem herrlichen Bemühen zu Grunde gegangen, ohne Frucht und Spur! — Die mrhrsten Gebildeten schränken sich ein auf den Kreis der Freunde, oder auf das vage Publi­ kum der Schriftstellerei,

oder auf einsame Beschäftigungen

mit sich selbst und der vergangnen Welt, nur daran ihr höhe­ res Leben knüpfend; alles andere dünkt ihnen gemein, stö­ rend , flach für den äußeren Bedarf nur zu würdigen.

Der

Lehrer, der Erzieher, der Freund des Volkes hingegen, so wie der Volksdichter und Künstler, müssen ihr grsammte» Leben, ihr gesammter Mund werden,

das milde Gemüth,

was sich blöde und kindisch bei der Mehrzahl der Geringen nahe über dem Boden bewegt, aber eben deshalb geschwängert ist mit allen befruchtenden Düften der Erdkraft, was tausend Keime zum Leben und Gedeihen in sich schließet, aber, dem Zufalle Preis gegeben, nur wenige zur Reife bringet: dieses dunkle, kindische Gemüth, wie »s OertlicheS und Gebräuche bil­ deten, soll der Geistliche aufnehmen, sammeln, erhellen und geläutert in seinen ewigen Minen,

doch mit allen Launen

und Eigenheiten dem Volke, als ihr vereinigtes Selbst, vor Augen stellen; daraus soll ein Jeder sich wiedererkennen, daraus Warnung, Rath und Trost schöpfen. Echte Religiosität kann daher auch nur wahre Popula­ rität «erden und die höchste, gerechteste Idee der Mensch­ heit führt erst zu ihrem gründlichen Verständnisse.

Wenn

109

so aus den Wurzeln der Natur die heilige Pflanze de« Glau­ ben« aufwächst, wenn sie durchdrungen ist von den kräftigen Farben de« Boden«, der Berge und Ströme, wenn sie di« eigenthümlich« Fettigkeit heimatlicher Schollen, wo wir le­ ben und genießen, «ingefogen hat und so vollkommen na« tionalisirt und lokalisirt wurde, dann erst öffnet sich au« ihr die weltbürgerliche Blüte, und der Himmel tritt in unsre Sinne wie eine Braut, die in ihrer warmen Näh« aller Sehnsucht süße Erfüllung verheißet. Hier steht da« Bild de« ewigen Frieden« und an diesem Altare geläuterter Triebe knieen einst alle Völker, in fester Nationalität als Drüber sich umarmend. . . . Der geschichtliche Anfang de« Christenthum« vrrlaugnete billig alle« Nationale, der Geist sollte auögegossen «erden über die Masse der Völker, keine Einschränkung durfte hier eintreten, weil e« da« Licht der Welt ist, und seine ewigen Fundamente für Alle, al« Menschen, Gültigkeit haben. Diese Gültigkeit bleibet und im Geistigen ist gar kein Unterschied, der Christ ist unter allen Nationen, in allen Wrltgrgenden zu erkennen, er ist im Wesentlichen immer sich gleich. Man erkennet ihn, wo e« auch sei, an der höheren Liebe, an der Stille de« Innern, an der Demuth, Gerechtigkeit, Langmuth und Barmherzigkeit, al» Früchte de« himmlischen Geiste«; aber die Dersinnlichung diese« Geiste« ist sehr verschieden und muß e» bleiben, wenn da« Christenthum wahre Menschen­ bildung «erden soll. Diese Unterschiede, welche nicht allein bei den Nationen, sondern wiederum bei den Individuen jede« Volke« statt haben, müssen nicht verwischt, sonder» in ihren nothwendigen Charakteren vielmehr herausgehoben und befördert werden. Jeder Einzelne sollte so viel mög-

HO

lich eine besondre Erziehung genießen, auf eine besondre Weise im christlichen Glauben unterrichtet und zu einer ganz eignen Thätigkeit angehalten werden; denn nur auf einem einzigen Wege ist sein Herz dem Unendlichen offen und können seine Triebe rein und gut bleiben; nur auf ei­ nem einzigen Wege kann er als Christ Mensch und mit sich selbst zu einem höheren Leben vereiniget werden. Für einen Andern würde dieser Weg gar nicht anwendbar sein, ihn würde dasjenige zerstören und im Innersten unwahr ma­ chen, was Jenem nützlich und nothwendig ist; in ihm ist eine andere Sinnlichkeit und darum auch ein anderes Mit­ tel die Natur zu versöhnen. Statt also die sittliche Erzie­ hung in Masse zu behandlen, und den Umstanden und fer­ nern Schicksalen zu überlassen, wie Jeder den Weg finde, wobei denn mancher im Kampfe untergeht, der mächtigen Natur unterliegend, muß vielmehr das Religiöse und Sitt­ liche so eigenthümlich, wie möglich bei ihm entfaltet, und auf die allereinfachsten Bedingungen seines Gemüthes zu­ rückgeführt «erden. — Dadurch erst lernet er sich orientiren in allen Weltverhältnissen, und das Höchste ist ihm nicht zu hoch, das Fremdeste nicht zu fremd, um es mit einem geübten Auge zu messen, mit einem klaren Ver­ stände zu würdigen, und was ihm davon zukömmt, sich an­ zueignen. Sehet hier den religiösen Kosmopolitismus, den ein­ zigen, welchen ich verehre, weil er den ganzen Menschen, mit allen seinen vereinigten Kräften, nicht minder warmen Herzens, als erleuchteten Geistes, darstellet. Wüßten wir auch nur dieses von Christo, so müßte er schon dadurch un­ ser Mittler werden. —

111 Doch genug für

heute! Freunde,

lasset uns hinaus

grhn in die Natur! Wir haben über heilige Dinge fast zu viel geredet und bedürfen wohl ihrer Stille.

Beschluß. Au» den eingeschloßnen Gassen der volkreichen Stadt, wo da» Leben wie rin Jahrmarkt sich bewegte

und eine

ängstend« Nähe der Menschen die tieferen Gefühle zurück dränget», eilten die Freunde hinaus in die freiere Land­ schaft.

Hand in Hand längst dem herrlichen Strom, über

dampfende Wirsen,

erstiegen

sie «ine

nahe An öhe und

frrurten sich herzlich der im Mondlicht blitzenden Fluten, brr einsamen Sterne, und der im scheidenden Abrndroth lieblich dämmernden Fernen. — Ein mächtige« Waizenfeld wogte nebe« ihnen mit seinen schweren

bräunlichen Ach­

ten, — den Berg hinunter — und drängte da« Geheimniß der Natur näher an ihr Herz! — Sie schwiege»! drückten sich die Hände und fühlten was ihnen fehle: — das Un­ aussprechliche, die

groß« Wirklichkeit Gotte«,

welche über un» kommt wie

rin

Sturmwind und einen

neuen Geist giebt, damit «io thun, so wie Er will. — „Lasset un« den Bruder Claus befragen," sagte Bernhard endlich, „denn alle«, was ich von ihm horte ist echt evan­ gelisch und die

Bekanntschaft wird

bald

gemacht sein!"

Die Freunde waren de« zufrieden und bogen rechts durch «inen Hohlweg in den großen Wald, wo er nicht ferne von

112

der Stadt, an einem Waldsee seine Einsiedelei erbauet hatte. Noch nicht lange wohnte er daselbst; doch war er als Arzt in der ganzen Gegend schon sehr bekannt und hei­ lere mit Kräutersästen und einfachen Hausmitteln viele Menschen; zugleich predigte er das Evangelium, herzlich, und ohne Ansehn der Person, und das Volk liebte ihn, als seinen besten Freund; die Männer vom Fach aber waren übel auf ihn zu sprechen und nannten ihn einen Wunder­ doktor und Betbruder, dem das Handwerk gelegt werden mußte. Die Obrigkeit hatte bisher keine Notiz davon ge­ nommen, denn seine Aufführung war ohne Tadel. — Man wußte nichts weiter von seiner früheren Geschichte, als daß er ein Deutscher von Geburt und lange Missionar in Asien gewesen sei, von dannen er jüngst erst zurück gekehrt, um im Vaterlande sein Leben zu beschließen. Nach einer halben Stunde raschen Schrittes gelangten sie zu seiner Hütte, welche an einem Hügel gelehnt, nahe dem See, unter alten Buchen stand und von einem großen Waldring umkränzet war. Der Einsiedler saß vor der Thüre flocht an einem Korbe und sang ein geistlich Lied dazu. Eine Antilope lag neben ihm und hatte die Schnauze auf seinen Schuh gelehnt. Den Gruß der Gaste erwiederte er freundlich, als habe er sie lange schon gekannt, und ohne in seiner Arbeit sich stören zu lassen, entspann sich bald ein bedeutsames Gespräch, worin die Freunde ihm ihre obenge­ dachten Ansichten über das Christenthum nach einander kürz­ lich darlegten und der Waldbruder, zur Mittheilung seiner Glaubensmeinungen dringend aufgefordert, ließ sich endlich folgendermaßen vernehmen.

Claus.

Claus. Ach tfmttfe aus allem Gesagten, daß ihr nicht nur einsichtige Leute seid, sondern auch den ernstlichen Willen und einen wahren Herzensdrang habet, mit euren Meinun­ gen auf den Grund zu kommen.

So mag «in «armes Wort

eine warme Stelle bei euch finden und ich will unumwun­ den mein Glaubensbekenntniß ablegen. Alle«, dünkt mich, kömmt auf da« Wörtlein an, welche« Gottes Sohn zum Schriftgelehrten sprach: — „Thue das, so wirst Du leben." — Nun kömmt e« mir so vor, ihr Lieben, al« hättet ihr bisher wohl mancherlei Betrachtun­ gen angestellet, die förderlich und nützlich fein mögen, aber noch nicht recht Hand ans Werk gelegt, um das Leben Christi in der That zu empfangen.

Darum will es auch keine

feste Ueberzeugung bei euch werden, der ihr, wenn es Noth ist, Gut und Leben opfern möchtet; sondern e« bleiben eben Ansichten, wie ihr es selbst nennet, geistreiche Gedanken und tiefsinnige Betrachtungen, die viel Wahre» enthalten, aber keinen Anfang und kein Ende haben. — Der Anfang ,st immer Lhat, mit dem Worte, wie mit dem Werke; im verborgnen Wandel des Herzens, sowie in jedem Dienst der Barmherzigkeit Lhat; da« Leben Christi ist in seinen Glie­ dern wirksam immerdar und in jedem Gedanken ist des edlen Reise« Frucht! — der Erweckte redet nicht allein die Wahrheit, soudern er thut sie, indem er redet; feine Rede ist Wirklichkeit, seine Werke sind in Gott ge­ than, denn er ist an« Licht gekommen.

Darum legt un«

der Herr den Prüfstein in die Hand: Wenn wir thun nach seinen,Worten, so werden wir merken,

H

daß es nicht bloß

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Worte sind, sondern, daß et von Gott gesandt sei. Muß da» edle Reis doch erst gepfropft werden auf den wilden Stamm, wenn e» seine Früchte bringen soll; also muß auch der Mensch erst verbunden werden mit seinem Heilande, wenn er Ueberzeugung finden und seine Hoffnungen mit ihm theilen soll. — Diese wirkliche und wahr­ haftige Verbindung mit dem Sohn Gottes ist der Glau­ be» der Brunnen aller Wahrheit, der Prüfstein alles Ech­ ten. Die Vernunft muß sich erst gefangen geben, damit der Geist Gottes sie befreie; das natürliche Licht in dersel­ ben sich entzünde. Müssen wir doch durch die Nacht des Todes hindurch, um nach Hause zu kommen; so müssen wir auch durch die Nacht der Eigenheit hindurch, und erkennen, daß es eben Nacht fei in uns selbst, um erleuchtet zu wer­ den von Gott. Dahin gelangen wir besonders durch ge­ wissenhafte Prüfung der Wahrheit unter Buße und Gebet; die Hirten wenigstens sollten prüfen und sondern, wie Augustinus und Luther, wenn auch die Heerde es auf Treu und Glauben annimmt und den Unmündigen grade hier die hohe Offenbarung zu Theil werden mag. — Darum erscheinet mir, o Bernhard, dein ernstes Forschen in den heiligen Dingen sehr rühmlich und fördersam, weil es — auf der Grenze des Weltlichen und Geistlichen schwebend zur Verherrlichung Zesu, uns dienet und uns belehret, wie die Weisheit der Welt Gottes ewige Weisheit nicht mochte begreifen. — Du Franz bist mir nicht weniger werth, da du die sinnliche Verklärung des Ehristenthums an den Tag förderst und die schlimmen Bloßen des Super­ naturalismus bedeckst; — auch dir, Friedrich, kann ich meine Achtung nicht versagen, denn du bist der Israelit,

ii5 in dem kein Falsch wohnet. — Doch, lasset e« mit geste­ hen, Ihr Lieben, Otto ist der Freund meine« Herzen«; thue, wie du gesaget hast, so wirst du leben! Wenn du e» aber thust, so sage ich dir, wird sich noch viele« vor dei­ nen Augen verwandle«, der Tod dieser Welt wird hart mit dir ringen und du wirst erfahren, wie schwer e« sei, einzugehn mit dem Herrn de« Leben« in die enge Pfor­ te; nimm sein Kreuz und folge ihm nach! Otto. Dein Beifall machet mir große Freude und deine War» nungen fühle ich tief; doch sage uns, «a« du mit der christ­ lichen That recht eigentlich verstehest, da Luther schon ge­ gen da« eitle Verdienst der Werke so eiferte und bi« auf den heutigen Tag dieser Irrthum noch mit verbreitet ist. Der Glaube, denkeich, machet seelig, nicht die Wer­ ke, denn wenn wir alle« gethan haben, sind wir doch nur un­ nütze Knechte; — oder bist du eine« Bessern überzeuget? Clau«. Wie könnte ich? Aber ich fliehe jede Polemik, weil sie niemal« die Wahrheit gradezu giebt,

sondern immer nur

durch da« getrübte Glas des Widerstreit«; gewöhnlich haben beide recht, doch keiner ganz, und so verschlingt sich ein neuer Knoten des Irrthums, welchen zu lösen wir Jahrhunderte un« abmüden und der doch endlich mit dem Schwert zerschnit­ ten wird. — Ich mochte daher lieber sagen, weil Glaube und That ewig zusammen gehören, die Glaubensthat oder der Thatglaube machen «ns seelig.

Ist oft ein gan­

ze« Leben der Beschaulichkeit gewidmet, wie bei den heiligen Einsiedlern der thebaischen Wüste, und e« ist nur Glaube

H »

die Wurzel derselben und Liebe ihr Trieb, so ist eben diese stille Beschaulichkeit, welche der berührige Mensch ganz un­ nütz achtet, eine echte Christenthat, die uns stetig ma­ chet, eben

so

wohl, als ein rastloses Wirken nach außen

mit allen Opfern des frommen HeldeneiferS zur Wohlfahrt der Brüder.

Schreiet man dem nun entgegen: „an ihren

Früchten sollt

ihr

sie erkennen,

du

aber

bringest keine

Frucht!" — so ist es allerdings der Irrthum, welchen Pau­ lus und Luther bestritten und welchen immer die Kirche gegen die Welt bestreiten muß und wird. — Es sind eitel Gesetzes Werke welche sie fordern, die zwar der Zuchtmei­ ster gut heißet, welche aber kein Leben in sich selbst haben und des Heils Pforte uns nicht aufthun können. Bernhard. Ich hörte jüngst eine alt-indische Sage, wie ein Hei­ liger durch sein feurig Gebet und seine grimme Buße den untern Himmel erschüttert und den Gott des Luftkreises, der über alle sinnlichen Reizungen gebietet, bedrohet habe ihn herab zu stürzen von seinem Thron. — Dieser Gott sei durch die großen

Thaten des frommen Eremiten so in

Schrecken gesetzet worden, daß er eine unsterbliche Nymphe beredet, ihn zu befehden mit der Schönheit Reiz und so sei er,

des Gebets Gewaltiger,

von der Neigung Glut

überwunden und gefallen in der Begierden Macht! — Eben dasselbe meinest auch du wohl, wenn du von der Christen­ that der Beschaulichkeit zeugest und sie dem todten GesetzesWerke entgegen stellest, denn es ist nicht zu leugnen, daß es schlechthin innre Thathandlungen und Erweisun­ gen des Geistes und der Kraft giebt, die durch Buße und Gebet frei «erden und heilige, überschwenglich große, doch

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unsrem Luge verborgne, Wirkungen im Wettgange $em« bringen. — Diese« wäre die verhüllte mystische Seite de« Glauben«, welche z« gleichen Rechten gehet mit den offen­ kundigen und allgemein gepriesenen der guten Werke, die sich in einer Kette von äußerlichen Handlungen für die Wohlfahrt der Nebenmenschen darlegt. Wa« der Glaubens­ held auf dem Schlachtfeld« thut, indem et fein Leben für heilig Recht zum Opfer bietet, eben da« thut der Priester im Gebet am Altare und ringet mit den bösen Mächten im feurigen Geisteskampfe, im freudigen Aufruf, und drin­ get gleichsam mit Flügeln durch alle sinnliche Himmel hin­ durch zu betn einigen und lebendigen Gott, und flehet um seine Hülfe — und er hilft im Namen feine« Eingebornen, der den Weg bahnte. — Clau«. Wohl gesprochen, du weitsehender Bernhard! komm aber wieder zu «ns herab, die wir hier so einträchtig noch beisammen sihen, und bedenke, wo erst der Mensch auf fe­ sten Boden auftreten möge, um sich nicht zu verlieren in jene Höhen und Tiefen der Ideen! Ich habe in Asien den wilden Dolksstärnmen da« Evangelium de« Leben« geprediget, habe mich oft ertappt auf meiner Schwachheit und durch mancherlei Leiden mehr und mehr erfahren: worauf es ankomme um ein rechter Diener Christi zu fein. Da habe ich gefunden: wir mögen uns nicht freuen der Ge­ walt, die un« über die Geister gegeben ist, aber freuen mögen wir uns, wenn unsre Namen im Himmel ange­ schrieben sind; ob auch der beinige e« sei! da« erkennest du, wenn du die Hand an den Pflug legest und nicht zurück blickest; — wenn du nicht über dem Evangelio, sondern

in dem Evangelio lehrest, wenn du mit Freudigkeit deine» Herrn predigest und ihn bekennest vor den Menschen. Hier mußt du anfangen; den» es sind einmal der Vorberei­ tungen genug! Hier allein ist der feste Boden, wo du dei­ nen Fuß hinstellen kannst, um weiter zu gehn; daß du die Himmelshöhen stehest und die geflügelten Seher würdigest, bringt dich selbst noch nicht weiter; aber wenn du einmal die Sünden deines Mitmenschen auf dich ladest und sie im Namen Christi zu heben versuchst und ihm seine Bürde tragen hilfst, das fördert dich weiter und du erfährst, was deine Kräfte vermögen.

O! wunderlich, sind die We­

ge, welche wir geleitet werden, um uns einander zu hel­ fen und eine Gemein« des Herrn zu bilden! überschweng­ lich »ft ist die Weisheit, welche dir aus der herzlichen Annäherung zu deinen Mitbruder entgegen leuchtet, wenn du ihm die Erlösung Christi predigest. — Der Magnet übet seine Kraft, wenn ihm das Eisen nahe kömmt, welche sonst schlief. So übet erst Christus in dir seine Kraft, wenn du in seinem Namen den Nächsten aufnimmst und ihn zu helfen bemühet bist.

Da brauset e

auf in uns, wie che­

mische Mischungen nahverw ndter Stoffe und es zeiget sich ein todter Niederschlag, den wir die Welt nennen; wir aber treten in eine innigere Geistesdurchdringung und es entsteht ein Neues, jung und lebenskräftig, was wir nen­ nen die christliche Kirche.

Wie diese an aller Welt

Enden sich ausbreiten möge, das sei unser Augenmerk! Wie wir thätige Glieder derselben, ein jeder mit der Gabe, die ihm gegeben ward, bleiben mögen, das sei unser unver-

rücktrS Bemühen! Der Herr brauchet viel Arbeiter in fei­ ner großen Ernte; die Einen mähen, die Andern binden

HD «md noch Andere sammeln in die Scheune, jeder thut, wa« er kann und empfängt seinen Lohn; — was er aber thun könne und solle, lehret ih«n der Geist des Bundes, der fein -Gewissen erleuchtet und ihn bald zum gesellschaftlichen Leben mit Liebrswrrkea zur Rechten und zur Linken; bald wieder zur stillen Beschaulichkeit der Tiefen Gottes, mit Wachen und Beten, antreibt, so wie Gott will und r» am Besten ist. — Bernhard. Wie erkennest du diesen Geist, der die Kirche zusam­ men hält, der die Welt absondert als einen trüben Nieder­ schlag, der dir saget, wo du deinen Fuß hinsetzen und wie du

anfangen

sollst

das

Werk des

Herrn?

kömmt auf den Anfang und den Weg alles

Allerdings

an, und die

Ideen geben noch nicht den Handgriff dazu; — aber was giebt dir die Sicherheit, auf daß du sagen darfst: — „Mei­ ne Werke sind in Gott gethan? Claus. Der Anfang, der Weg, die Wahrheit und das Leben ist Christus Jesus, unser Herr; was du in ihm thust, ist in Gott, ist wohl gethan, was du nicht

in ihm thun

kannst, ist Sünde, welche dich aber durch seine Gnadenmittel reizet zur Buße, und mit reuigem Herzen die Ge­ meine der Heiligen wieder zu ihm führet; — denn auch in dem Heiligen ist Sünde mächtig, aber viel mächtiger ist die Gnade Gottes in ihm.

Jede» Unrecht wird ihm ein Feuer

der Läuterung, ein Licht des Selbsterkenntniß, was ihn im­ mer inniger mit dem Erlöser vereiniget und durchgreifen­ der die Ueberzeugung bei ihm feststellet, daß er ohne Ihn

ISO

nichts könne thun. Der Geist bleibet immer unser Lehrer und Führer, wenn wir glauben und Glieder der Kirche sind, — r« sei, daß er uns strafet, wenn wir sündigen und nicht thun, wie wir sollten, oder, daß er uns tröstet'und stärket, wenn wir thun, wie wir glauben; — denn des Gei­ stes Führung verbreitet sich über Gutes und Bose» und ist «in Schwert, oder ein Balsam,! so wie «« uns nütz ist. Fragst du aber, woran du diesen Geist erkennest und du wüßtest es noch nicht? so könnte ich dir ein klein Mcrkzei» chen sagen, was ihn unterscheidet von allem Schwarm- und Lügengeist; nemlich das Wörtlein Du, was du als rin« holde Gesellschaft in deiner Seele trägst und wa» dich zur steten Selbstverleugnung antreibt, so daß du nichts auf dein eigen Geheiß thun magst, auch nichts aus dir selbst redest, sondern gelehret und getrieben von jenem süßen, hei­ ligen, wohlbekannten Du! Dieses göttliche Du, wa» du gar zutraulich anreden kannst, weil es sich gleichsam dei­ nem Geiste vermählet hat, machet dich gewiß auf allen deinen Wegen und giebt dir Mund und Weisheit, daß dir nicht widerstehn mögen alle deine Widersacher; denn die Wahrheit von Gott sieget immer, wenn sie auch scheinbar untertreten und von denen, die Gewalt üben, an» Kreuz geschlagen wird. — „Man stößt sie zurück," sagt Fenelon, „aber indem man sie zurück stößt, dringet sie durch. Wa» dir aber dieses Du nicht in den Mund legt, dieser Geist der allmächtigen Wahrheit, darauf lege keinen Nachdruck, denn du hast es nur aus dir selber, und es sind nur eitle Menschenworte, die bald verhallen! Um uns zurecht« zu finden, wenn wir irrten mögen sie dienen, doch entschei­ den können sie nichts, auch nicht» Neues hervor chrin-

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gen, denn das thut nur der Geist Gottes. Manche Schwär­ mer haben feinen Namen gemißbrauchet und sind in einer Art von Raserei mächtig geworden über viele Herzen und haben, als Geistesbefeßne, viele verführet; auch sie wurden getrie­ ben von einem Geiste, doch von einem dosen, und das offen­ baret sich daran, weil sie wieder die heiligen zehn Gebote tha­ ten und nicht ihren Nächsten liebten, als sich selbst. — Hier entscheide die Frucht, denn ein guter Baum kann keine schlech­ te Frucht tragen; di« Früchte des Geistes aber sind allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und durch Ihn wird ausgegoffen die Liebe Gottes in unser Herz. — Da» sei unser Prüfstein für uns selbst und wider alle Schwärmer! — So ist im Wirken des heil. Geistes die Realwerdung aller Idee» und aller Weisheit Anfang und Ende begründet. Der Geist bauet die Kirche von lebendigen Steinen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht erschüttern. Der Geist leitet uns in alle Wahrheit, salbet unsre schonen Gottesdienste und giebt un» Zeugniß, daß wir Erben des Reichs und Kinder eine« himmlischen Vaters sind. Was wollen wir weiter? Lasset uns nur anfangen!! — Friedrich. So zeige mir den Anfang und leite mich auf den Weg, du evangelischer Mann, damit auch ich Weltling, der seine Schwachheit fühlt, aber auch allen Schein hasset und nur das Nächste suchet, nicht verdurste am Brunnen de« Le­ ben«! Denn daß du mehr, als diese meine Freunde besitzest, merke ich wohl, erkenne auch da« Gewicht deiner Worte, di« auf große Erfahrung sich gründen, weiß aber nicht, wie auch ich daran Theil nehmen konnt«?

122 Claus. Den Ruhm, welchen du mit beilegst, so fern« ich ihn verdiene, verdanke ich allein meinem Herrn, der mir im frem­ den Lande mancherlei Gnaden erwiesen und unter den wilden Hcidenvölkern die ersten Bedürfnisse der Seelen offenbaret hat, die dort wohl auffallender vorspringen, aber eigentlich unter uns allen die nemlichen sind. — Da lautet es denn im­ mer: „kommet Herrin! Versammlet euch im Namen des Herrn! Höret fein Wort! Glaubet an Ihn, trotz eurer Ver­ nunft, die noch dunkel ist, trotz der ganzen Welt, glaubet an Ihn!

Werdet wie die Kinder und verleugnet euch selbst!

Kommet, kommet herein, alle, die ihr hungrig und durstig seid nach der Gerechtigkeit Gottes und haltet mit Jesu das Abendmahl des Lebens! Wie oft hat ihn verlanget euch zu versammeln, wie die Henne ihr Küchlein unter ihre Flügel versammlet, wie oft hat er euch gelocket, aber ihr seid nicht gekommen? — So kommt denn nun herein, Er will euch erquicken in heiliger Gemeinschaft und aus dem Munde sei­ ner Diene , die seine Sakr mente verwalten! Verschmähet nicht den Bund unsrer Kirche und schlaget Gottes Zelt auf, wo ihr wollet, nur versammlet euch im Namen Gottes unsres Heilandes! Darauf kömmt alles an; hier beginne dei­ nen neuen Weg, wenn du mir dein Zutrauen schenkest, halte dich zur christlichen Kirche, wo du eine findest! Wie unvoll­ kommen auch ihre Gottesdienste sind, wie veraltet auch ihre Satzungen dir erscheinen, wie wenig auch der Prediger dich befriediget, wie schwer auch der Tod dieser Welt auf ihrer Ge­ meinschaft lastet, halte dich zu ihr! denn es ist dir besser, als wenn du alleine bleibest und nur in weltlichen Dingen mit deinen Nebcnmenschen verbunden bist.

Das Evangelium hö-

reff bu doch, bas Gebet des Herrn wird doch gesprochen, das Lied de« Glauben« wird doch gesungen in der Kirche, du hö­ rest doch von Gott und seiner Heilsordnung, wenn auch nur ein schwacher Menschenmund, der eS oft selbst nicht versteht, dir sie verkündiget. In der Kirche findest du den Anfang zu allem Guten; suche sie auf in den Tempeln und an den Land­ straßen, im traulichen Kreise der Freunde, und in großen Volksversammlungen, denn durch die Kirche wirst du ein Christ und der vollkommenste Staat mit seinen höchsten Bür­ gerpflichten ist uns ein trübes Abbild derselben, denn sie ist das Reich Gottes auf Erden. Friedrich. Ja, wo ist diese rein« göttliche Kirche? Zeige sie mir nur, so will ich hinein gehn und alles thun, was du mir auferlegst; aber ich muß dir gestehn, daß ich sie oft in der Kirche am we­ nigsten antreffe und in jeder andern Gesellschaft mehr verbin­ dendes und erweckendes Element finde, als eben hier, wo da« Siegel daraufgesetzt ist. Was soll man machen, wenn man statt biblischer Wahrheit moralische Tiraden oder schwächliche Mystik, statt Christi Wort voll Geist und Salbung eitel Menschenworte und natürliche Erklärung der Wunderwerke Jesu, wie der Heiland j. B. rin geschickter Arzt, kluger Kopf und geübter Psycholog gewesen sei, und wie wir's eben so genau nicht mit ihm nehmen müssen, da wir nun schon so viel wei­ ter sind und Er nur den Anfang machte mit dem, was uns jetzt die Vernunft viel besser lehrte. — Wie z. 35. das Dogma vom Teufel ein Aberglaube seiner Zeit war, den er freilich rheilte; oder auch eine leere orientalische Hyperbel, die wir nicht mehr gebrauchen können, und worüber uns die Ver­ nunft völligen Aufschluß giebt. — Und wenn nach dieser

124 hochmuthigen Rede dann rin paraphrasirte« Vaterunser folgt und bann, statt unserer alten rührenden Kirchengesänge, d« Lied eine« Neuern, was weder fält noch warm ist und wenn man den Reim wegnimmt, eine höchst prosaische Rede macht, — und wenn sogar das Gefühl in unsern Kirchen, welches so übereinstimmend dem Ganzen war» diesem fla­ chen Hochmuthsgeiste weichen mußte, die Beichtstühle ver­ worfen wurden, und der Hauptgang verbauet ward und man dort einem amphithratralischen Altar gegenüber, wie auf den Bänken in einem Schauspielhause, sitzet und das alte hohe Kreuzgewölbe gleichsam trauernd auf diesen Un­ fug herab sieht! — Wer wirft den ersten Stein auf mich, wenn ich baldmöglichst Hut und Stock ergreife und hin­ an» eile und bei einem meiner Freunde oder in der Natur mich zu erholen suche und fürs Erste nicht wieder in die Kirche komme? Claus. E« ist wohl eine harte Probe, wo so widerwärtige Elemente zusammentreffen; aber ich sage dir dennoch: hast du keine andere Kirche, wo es evangelischer zugeht, und Geist und Herz mehr Nahrung finden, so gehe in diese zu­ rück; höre hier da« Evangelium an, denn das wird doch noch verlesen, bete zusammen mit den Bürgern, denn da« thut dir noth, und denke nicht: ich kann das alles bes­ ser in meinem Hause, wo du es entweder gar nicht thust, oder doch nur alleine, oder, «enns hoch kommt, mit dei­ nen Hausgenossen und Freunden; denn der öffentliche Gottesdienst ist Bürgerpflicht, erhält das Band der Eintracht und ist gleichsam der Handschlag, den wir sonn­ täglich erneuern; — er ist von unschätzbarem Werthe, denn

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erst wenn wir zusammen gebetet und Gottes Wort zufam» nun gehäret haben, können wir leben zusammen, wie sich« gebühret — oder bist du nicht dieser Meinung? Friedrich. Du sagest mir eigentlich altbekannte Dinge und doch sind sie mir wunderbar neu, denn sie überzeugen mich und ich merke wohl, daß es nicht genug fei mit dem bloßen Anerken­ nen der Kirche, sondern daß man auch eben hineingehen und daran Theil nehmen müsse, um'ein ehrlicher Christenbürgrr zu bleiben, schlecht und recht, und nicht im Herzen zu verwildern. Claus. Wie freue ich mich, daß du diesen Punkt getroffen hast! Nun lasse ich dich nicht wieder los, nun bist du mein und mußt mit mir gehn! Siehe hier, du Aufrichtiger, deine Schwachheit, denn auch dich hat unter dem Namen edler Grundsätze und rechtschaffner Thätigkeit der Welthochmuth ergriffen; auch du willst gleichsam aus freier Faust dein Leben führen und — so wie viele kräftige Menschen in unsrer Zeit sich bedünken kaffen — mit Vernunft und Gewissen und mit gerechter Würdigung der Zeitgestalt, doch ohne die Hülfe des himmlischen Mittlers, die heilige Zukunft aufbauen! — Du willst es und greifst muthig an und hilfst organisiren und umgestalten als ein thätiges Mitglied des Staat» und man rühmt deine Brauchbarkeit, denn dein Heller Kopf hilft dir fort und alles was du thust hat Hand und Fuß! — Aber«» schlägt in deinem Werke das verborgne Herz? Wo wirds hier lebendig zum Guten? Wo knüpfen sich dein« ho­ hen politischen. Ideen — denn, daß auch du nur in Ideen

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lebst, obwohl du sie so scharf gegen Otto und Franzen ange­ fochten hast, ist nur zu klar —wo knüpfen sie sich an dem Evangelio der Armen, der Verehrung GotteS des Vaters und der Liebe des Nächsten? Wo wirst du, Volksvertreter, ein wahrer Volksfreund, der nicht nur die Vorurtheile bei Herren beleuchtet und ihre strafbare Willkür verdammet, son­ dern auch den Knechten wie den Herren das Dienen lehret, so wie wir alle dienen müssen, um

frei zu bleiben,

denn

der Größeste unter uns fei wie ein Diener und der Erste sei aller Knecht? — Wie würden deine Worte viel tiefer dringen und einen ganz anderen Nachdruck haben, wenn du aus diesem Elemente des

Glaubens deine Mitbürger belehrtest

und dem Herrn wie dem Knechte, zur gegenseitigen Sicherung ihrer Ansprüche, die Kirche zeigtest? Deine Ideen würden real, deine Wirksamkeit begründet sein, da jene nun, nur aufregend, mit Leidenschaft ergriffen

oder verworfen

werden, und bet aller lebendigen Darstellung kein Leben er­ zeugen können. — Erblickest du hier das geheime Triebrad, wo der Himmel wieder eingreifet in den Staat und ein Beschützer der Rechte und Sitten wird? Siehst du hier die Quelle alles Gemeinsinns,

aller Bruderliebe,

aller freudigen Aufopfe­

rung für die Freiheit, aller heiligen Ordnungen und Trie­ be? — Aber wo sind die Priester dieses Glaubens, fragst du? Sind nicht so viele unter ihnen nur Heuchler, die den Mantel nach dem Wind hängen, kein freies Wort reden und sich gute Tage machen? Sind es nicht Miethlinge, die ihre Heerden verlassen, wenn der Wolf kömmt? Sind es nicht jene Schriftgelehrten noch, welche die Schlüssel des Him­ melreichs hielten, nicht selbst hinein gehn und auch andere

127 Leute nicht hinein kaffen? Wo sind dir Priester, die uns führen sollen? — Frage dich selbst! Bist du und deines Gleichen nicht mit Schuld daran, wenn sie wirklich nur selten wären? Begehret ihr die Glaubenslehrer und Seel­ sorger in Wahrheit, oder würdet ihr