Vergaberecht im Wandel: Vorträge auf dem 4. Speyerer Wirtschaftsforum vom 29. bis 30. September 2004 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428521036, 9783428121038

Das öffentliche Beschaffungswesen und seine rechtliche Ordnung im Zeichen des wettbewerbsoffenen europäischen Binnenmark

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Vergaberecht im Wandel: Vorträge auf dem 4. Speyerer Wirtschaftsforum vom 29. bis 30. September 2004 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428521036, 9783428121038

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Vergaberecht im Wandel

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 176

Vergaberecht im Wandel Vorträge auf dem 4. Speyerer Wirtschaftsforum vom 29. bis 30. September 2004 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Rainer Pitschas und Jan Ziekow

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten p 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-12103-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band faßt die Vorträge zusammen, die auf dem 4. Speyerer Wirtschaftsforum „Vergaberecht im Wandel" vom 29. bis 30. Sept. 2004 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer gehalten wurden. Für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung danken die Herausgeber Frau Ass. iur. Stefanie Gille und Frau Michaela Busche, Frau Priv.-Doz. Dr. Annette Guckelberger , Frau Erika Kögel , Frau Ruth Nothnagel , Herrn Dr. Thorsten Siegel und Dr. Alexander Windoffer . Die sachkundige Formatierung des Bandes haben Frau Erika Kögel und Frau Ruth Nothnagel übernommen; hierfür sei ihnen gedankt. Speyer, im Oktober 2005

Rainer Pitschas /Jan Ziekow

Inhaltsverzeichnis

Die Vergabekoordinierungsrichtlinie im Überblick Von Nico Spiegel , Brüssel

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Der Stand der Umsetzung in das deutsche Recht und die Verschlankung des deutschen Vergaberechts Von Kirstin Pukall , Berlin

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Vergaberecht im Wandel: Die Sicht der Wissenschaft Von Meinrad Dreher , Mainz

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Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts Von Marek Brzeski , Warschau/Polen

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Volksbanken im Wettbewerb und Vergabewesen Von Gerhard Braun , Speyer

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Private Finanzierungsinitiativen und der Anwendungsbereich des konsolidierten Vergaberechts der Europäischen Union Von Heike Jochum , Saarbrücken

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Der Wettbewerbliche Dialog Von Martin Meißner , Frankfurt a. M

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Abschluss von Rahmenvereinbarungen Von Sandra Haak , Düsseldorf

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Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme Von Martin Müller , Braunschweig/Wolffenbüttel

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Vergabefremde Kriterien nach der Neufassung der Vergaberichtlinien Von Jan Ziekow , Speyer

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Inhaltsverzeichnis

Lockerung des Nachverhandlungsverbots? Von Thorsten Siegel, Speyer

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Interkommunale Zusammenarbeit im Spannungsfeld zwischen Organisationshoheit und Vergaberecht Von Lutz Horn, Frankfurt a. M Verzeichnis der Referenten

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Die Vergabekoordinierungsrichtlinie im Überblick Von Nico Spiegel

I. Vorgeschichte Die jetzt geltende Generation der Richtlinien stammt vom Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und etwa ab der zweiten Hälfte der 90er Jahre machte sich zunehmend das Bedürfnis bemerkbar, diese Rechtsmaterie zu vereinheitlichen und zu modernisieren. Bis jetzt bestanden drei Richtlinien, eine Richtlinie für Bauaufträge, eine Richtlinie für Lieferaufträge und eine Richtlinie für Dienstleistungsaufträge. Es bestehen zum Teil Diskrepanzen zwischen diesen Richtlinien und die Richtlinien sind vor allen Dingen nicht an die Erfordernisse der modernen Zeit, der elektronischen Kommunikation angepasst. Aus diesen Gründen legte die Kommission zunächst ein Grünbuch vor und präsentierte dann im Jahr 2000 einen ersten Vorschlag für die neuen Richtlinien. Über diesen Vorschlag wurde vier Jahre lang verhandelt, in einigen Punkten sehr kontrovers, sehr politisch aufgeheizt. Vor allem das Thema „Vergabefremde Aspekte" hat zu zahlreichen Kontroversen zwischen der Kommission und - vor allem - dem Parlament geführt. A m 31. März 2004 gelang es dann, diese Richtlinien mit einigen Kompromissen zu verabschieden. Die Veröffentlichung erfolgte erst etwas später im Amtsblatt und daraus ist als Umsetzungsfrist der 31. Januar 2006 geworden.

II. Ziele und Aufbau der Neuregelung Das erste Ziel der Neuregelung habe ich eben schon angesprochen: Vereinheitlichung und Vereinfachung der bestehenden Richtlinien. Das zweite Ziel war die Modernisierung und Flexibilisierung des Vergaberechts. Hier ging es darum, Dinge wie elektronische Vergabe zu berücksichtigen. Auch in anderen Aspekten wurde der Bedarf nach Flexibilisierung stärker gesehen. Und gewissermaßen logisch geht daraus das dritte Ziel hervor, nämlich sozusagen eine juristische Generalüberholung der Richtlinien. In den letzen Jahren gab es vor allem auf das Betreiben der österreichischen Gerichte hin, die zahlreiche Vor-

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Nico Spiegel

abentscheidungsverfahren nach Luxemburg gebracht hatten, eine Vielzahl von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes zu einzelnen Fragen des Vergaberechts. Eines der Ziele der Neuregelung musste natürlich darin bestehen, diese Erkenntnisse zu konsolidieren und soweit wie möglich in das System einzubauen. Dabei sind allerdings auch noch zahlreiche Baustellen, Großbaustellen sogar, offen geblieben, weil einfach die Rechtsprechung in einigen Bereichen noch sehr im Fluss ist. Es gibt Dinge, wo wir mit großer Spannung jedes neue Urteil des Gerichtshofs abwarten. Hauptthema ist dabei ein Wort, das nun schon seit einiger Zeit durch jede Diskussion zum Thema Vergabe geistert, nämlich das Wort der In-House-Vergabe. Es gab einen Versuch des Parlaments, hierzu eine Definition einzufügen, dem aber nicht gefolgt wurde, so dass die Frage in den Richtlinien offen geblieben ist. Eine andere große Baustelle ist das ganze Thema pacta sunt servanda, also die Pflicht zur Rückabwicklung, Pflicht zur Kündigung etc. Eine der Vereinfachungen, die angestrebt wurden, betrifft den Aufbau der Richtlinie. Die Richtlinie hat etwas über 80 Artikel - die restlichen Artikel sind Übergangsbestimmungen, Bestimmungen über das Inkrafttreten usw. - und besteht im Prinzip inhaltlich aus vier großen Titeln. Es gibt einen kurzen allgemeinen Teil mit Definitionen und allgemeinen Grundsätzen; das sind die Artikel 1 bis 3. Dann kommt das Herzstück der Richtlinie, die Artikel 4 bis 55, die den nichtssagenden Titel tragen: „Vorschrift für öffentliche Aufträge". Den Abschluss bilden zwei Titel für Spezialfragen, nämlich einerseits die öffentlichen Baukonzessionen, für die das vereinheitlichte Recht nur in sehr eingeschränktem Maße gilt, und die Wettbewerbe im Dienstleistungsbereich, die aus dem allgemeinen Block herausgenommen werden mussten, weil sie zu viele spezifische Fragen enthalten. Die Idee im Umgang mit den Artikeln 4 bis 55, die den Titel 2 der Richtlinie bilden, besteht darin, dass der Aufbau mehr oder weniger logisch dem zeitlichen Ablauf eines Vergabeverfahrens folgen sollte. Das heißt, Sie haben zunächst einen recht umfangreichen und auch inhaltlich durchaus komplizierten Block, der den Fragen des Anwendungsbereichs gilt und wo z. B. die Schwellenwerte geregelt sind. Wenn der Anwendungsbereich der Richtlinie feststeht, dann kommt zunächst ein Abschnitt über die Verdingungsunterlagen, also die Gestaltung technischer Spezifikationen usw. Daran schließen sich die Verfahrensarten an, mithin die Regelungen, welche Verfahrensarten unter welchen Voraussetzungen möglich sind. Es folgen die ganz wichtigen Regelungen, die das klassische Herzstück des europäischen Vergaberechts ausmachen, nämlich die Pflicht zur Veröffentlichung von Bekanntmachungen und zur Transparenz. Und schließlich, in den Artikeln 44 bis 55, haben Sie sozusagen im Kleinen den zeitlichen Ablauf des eigentlichen Vergabeverfahrens, also zunächst die Eignungsprüfungen, dann die Zuschlagskriterien und schließlich die Auftrags vergäbe. Allerdings werden Sie auch bemerken, dass dieser zeitliche Aufbau seine Grenzen

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hat; wenn man sich mit Fragen wie den vergabefremden Aspekten befasst, dann bemerkt man, dass man doch recht wild in diesem Korpus von Normen umherspringt.

III. Allgemeine Grundsätze Ich möchte kurz auf die allgemeinen Grundsätze in den Art. 1 bis 3 eingehen, weil diese Fragen in den alten Richtlinien zwar erwähnt wurden, aber nicht die Beachtung gefunden hatten, die sie heute haben und die im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der letzen Jahre zurückgeht. Die Kernnorm ist der Art. 2 mit dem Diskriminierungsverbot. Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nicht diskriminierend und gehen in transparenter Weise vor. Ergänzt und erläutert wird das durch die zweite Begründungserwägung in der Präambel, die in einer kondensierten Form diese Grundsätze, wie sie der Europäische Gerichtshof entwickelt hat, noch einmal wiedergibt. Dort wird auch auf den Zusammenhang mit den Grundfreiheiten, nämlich der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit und der Warenverkehrsfreiheit, hingewiesen, aus dem sich das Verbot der Diskriminierung einzelner Wirtschaftsteilnehmer ergibt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes folgt aus diesem Diskriminierungsverbot unmittelbar ein Transparenzgebot: Weil ich dafür sorgen muss, dass Wirtschaftsteilnehmer, potentielle Auftragnehmer aus anderen Mitgliedstaaten, nicht benachteiligt werden, muss ich für eine angemessene Öffentlichkeit meiner Vergabevorhaben Sorge tragen. Das gilt unzweifelhaft innerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie, weil die Veröffentlichungspflichten ja in der Richtlinie ganz genau niedergelegt sind. Nichts anderes gilt aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie, nämlich unterhalb der Schwellenwerte und zum Beispiel bei Dienstleistungskonzessionen. Diese Verpflichtung zur Transparenz unterhalb der Schwellenwerte klingt kurz an in der zweiten Begründungserwägung und ist auch eine kleine bis mittlere Baustelle, die in der Rechtsprechung noch der Aufarbeitung bedarf. Die Kommission ist grundsätzlich der Auffassung, dass eine Veröffentlichung stattfinden muss, die aber nicht notwendigerweise im Amtsblatt erfolgen muss, aber mindestens in Organen, die in einer hinreichenden Form auch einem ausländischen Unternehmen zugänglich wären. Aber die Einzelheiten sind sehr im Fluss und in den Zeiten des Internets sind es sehr naheliegende Fragen, ob es genügen würde, wenn ich meine Ausschreibung im Internet veröffentliche, und wenn ja in welcher Form das erfolgen müßte.

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Nico Spiegel

IV. Einzelne Regelungen Im Bereich der Schwellenwerte haben wir eine Modernisierung, die Richtlinie ist handlicher geworden. Denn wenn Sie die alten Richtlinien nehmen, dann sind die Schwellenwerte dort nicht in Euro und auch nicht in ECU sondern in Sonderziehungsrechten ausgedrückt. Das hängt damit zusammen, dass die Schwellenwerte auf das System des Government Procurement Agreement, d.h. des WTO-Übereinkommens über das Beschaffungswesen zurückgehen. Als Vertragspartei des WTO-Übereinkommens hat die EU Verpflichtungen nach diesem Übereinkommen. Zu diesen Verpflichtungen gehört unter anderem die Einhaltung der Schwellenwerte. Die Schwellenwerte werden alle zwei Jahre revidiert, d.h. sie sind in Sonderziehungsrechten ausgedrückt, weil die Sonderziehungsrechte einen Währungskorb darstellen, der praktisch die „Währung" für die WTO bildet, und alle zwei Jahre wird der Euro-Wert ermittelt, der diesem Betrag in Sonderziehungsrechten entspricht. Das hat zur Folge, dass sich alle zwei Jahre die Beträge der Schwellenwerte ändern. Das ist uns vom Government Procurement Agreement vorgegeben und bisher wurde diese Vorgabe in der Form befolgt, dass in den Richtlinien einfach die Zahlen aus dem Government Procurement Agreement, die Sonderziehungsrechte, standen und die Kommission alle zwei Jahre eine Bekanntmachung veröffentlichte, in der die Gegenwerte dieser Beträge bekanntgegeben wurden. Da dies nicht sehr benutzerfreundlich ist, hat man jetzt das System geändert. In der Richtlinie selbst stehen nun die Schwellenwerte in Euro-Beträgen. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie immer noch alle zwei Jahre geändert werden müssen. Die Kommission hat die Befugnis bekommen, diese Neufestsetzung alle zwei Jahre in Form einer Änderung der Richtlinie in Gestalt einer Verordnung der Kommission durchzufuhren. Allerdings halten es die meisten Staaten ähnlich wie die Bundesrepublik, indem sie in ihrem nationalen Recht sozusagen eine gewisse Reserve vorsehen. Denn die Schwellenwerte stellen nur Mindestanforderungen dar, d.h. Aufträge, die über den Schwellenwerten liegen, müssen auf jeden Fall nach den Regeln der Richtlinie behandelt werden. Die Mitgliedstaaten haben aber auch die Möglichkeit, Aufträge, die unter den Schwellenwerten liegen, der Richtlinie zu unterwerfen. Dies geschieht das in der Form, dass die Schwellenwerte im nationalen Recht etwas niedriger angesetzt werden, um eine Schwankungsreserve zu haben. Im Bereich der technischen Spezifikationen ist eine wichtige Änderung eingetreten in Gestalt einer sehr starken Orientierung an europäischen Normen. Nach den bisherigen Richtlinien war es so, dass, wenn für den Leistungsgegenstand eine europäische Norm existiert, die Ausschreibung anhand dieser europäischen Norm erfolgen muss. Wir wollten, dass die Ausschreibung in einer Form und anhand einer Norm ausgedrückt wird, die in ganz Europa gilt und die po-

Die Vergabekoordinierungsrichtlinie im Überblick

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tentiellen Bietern aus anderen Mitgliedstaaten leichter zugänglich ist, als wenn eine Ausschreibung zum Beispiel anhand einer DIN-Norm erfolgt. Allerdings hat man inzwischen auch die Nachteile dieses Systems gesehen, die sich daraus ergeben, dass die Arbeit des Europäischen Normen-Instituts dem Stand der Technik immer etwas hinterher hinkt. Und daher können nun nach Artikel 23 die technischen Spezifikationen alternativ entweder anhand europäischer technischer Normen oder anhand von Leistungs- und Funktionsanforderungen formuliert werden. Das gibt dem Auftraggeber eine größere Freiheit und entspricht einem wichtigen Grundgedanken der Neuregelung und des modernen Vergaberechts dass man nicht mehr so sehr en Detail regeln und lieber Leistungs- und Funktionsanforderungen geben möchte, um es den Bietern zu ermöglichen, kreativ Alternativlösungen für die Anforderungen des Auftraggebers zu finden. Die vergabefremden Aspekte waren ein großes Politikum. Hauptaspekte sind dabei umweltbezogene Aspekte einerseits und soziale Aspekte andererseits. Im Umweltbereich ist schon eine gewisse Abschichtung vorhanden, weil es europäische Umweltzeichen gibt, die nun in den Bestimmungen über die technischen Spezifikationen gewürdigt worden sind. Weiterhin gibt es die Rechtsprechung des EuGH zum Thema „Helsinki-Bus" und „Wienstrom", so dass ein gewisser Bestand an Lösungen vorhanden ist. Der soziale Bereich ist heikler; da wird man auch keine Lösungen aus der Richtlinie bekommen. Im Prinzip haben Sie in der Richtlinie zwei Orte, wo sich dieses Thema stellt: Einmal die Auswahl der Eignung, wo Sie zusätzliche Bedingungen für die Vertragsausführung einfügen können, und dann bei den Zuschlagskriterien. Grundsätzlich hat man versucht, das festzuschreiben und auf dem Niveau dessen zu bleiben, was der Gerichtshof gesagt hat, nämlich, so genannte vergabefremde Aspekte in einem begrenztem Maße zuzulassen, solange ein hinreichend vertretbarer Bezug zu dem konkreten Auftrag besteht und solange die Transparenz gegeben ist, vor allem im Bereich der Bekanntmachung die einzelnen Aspekte und ihre Gewichtung aufgenommen worden sind.

V. Besondere Verfahrensarten Die Richtlinie enthält nunmehr in Artikel 32 eine umfangreiche Regelung zu den Rahmenvereinbarungen. Sie sagt zunächst, dass man Rahmenvereinbarungen abschließen kann. Und zwar geschieht dies in der Form, dass für den Abschluss der Rahmvereinbarung ein vollständiges Vergabeverfahren durchgeführt wird. Die Rahmenvereinbarung wird mit einer Laufzeit von maximal vier Jahren abgeschlossen. Im Übrigen kommt es darauf an, ob Sie eine Rahmenvereinbarung mit einem oder mit mehreren Auftraggebern haben, wobei „mehrere" mindestens drei Auftraggeber sind. Sie können also entweder mit einem ab-

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schließen oder mit drei oder mehr Auftragnehmern, aber nicht mit zweien, es sei denn, Sie bekommen zwei Angebote. Wenn Sie nur einen Auftragnehmer haben, dann müssen einzelne Verträge entsprechend den Bedingungen der Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden, d.h. dann ist in der Rahmenvereinbarung schon der ganze Rahmen ausgefüllt. Haben Sie dagegen mehrere Auftragnehmer, dann können Sie in der Rahmenvereinbarung einzelne Punkte offen lassen und dann einen Aufruf zum Wettbewerb über diese Punkte durchführen. Hier hat man ein echtes zweistufiges Verfahren, wo die Bewerber zweimal miteinander in Wettbewerb treten. Der wettbewerbliche Dialog setzt bei dem Begriff des besonders komplexen Auftrags an. Wenn Sie einen Auftrag haben, der so innovativ und komplex ist, dass der Auftraggeber praktisch nicht in der Lage ist, vorher die einzelnen Parameter des Leistungsgegenstandes en Detail zu bestimmen - die Richtlinie nennt als Beispiel integrierte Verkehrsinfrastrukturprojekte, Computernetzwerke oder auch Vorhaben mit besonders komplizierter Finanzierung - , steht der Auftraggeber vor dem Problem, dass er zwar weiß, was er erreichen möchte, nicht aber, welche Lösung die beste ist, um das Ziel zu erreichen. Der wettbewerbliche Dialog soll ihm die Möglichkeit geben, das Know-How der Marktteilnehmer zu erfahren, um die Marktteilnehmer in einen Wettbewerb um die beste Lösung schicken zu können. Deshalb spielt sich der wettbewerbliche Dialog folgendermaßen ab: Er beginnt mit einer Bekanntmachung, dann kommt die eigentliche Auswahl der geeigneten Bewerber. Im Anschluss beginnt eine Dialogphase, d.h. der Auftraggeber wählt unter den geeigneten mindestens drei Bewerber aus, mit denen er in einen Dialog eintreten will. Da der Dialog im Vergabeverfahren eine heikle Sache ist, wird in der Richtlinie großer Wert auf die Gleichbehandlung und vor allem die Vertraulichkeit gelegt. Bei technisch innovativen Vorhaben besteht naturgemäß ein großes Interesse der Firma A, was sich denn die Firma B ausgedacht hat, um dieses Problem zu lösen. Dieser Dialog soll so lange dauern, bis der Auftraggeber sich Gewissheit verschafft hat, welche Lösung seinen Erfordernissen am besten entspricht und welche Lösung er verwirklichen möchte. Wenn dieser Punkt erreicht ist, kommt es zur Aufforderung zur Abgabe endgültiger Angebote, d.h. die Klammer wird geschlossen und theoretisch sollte man nun wieder in ein ganz normales Vergabeverfahren eintreten. Allerdings hat die Richtlinie auch hier noch einige offene Regelungen. Elektronische Vergabe ist eine der ganz wichtigen Neuerungen der Richtlinie. Eine möglichst optimale Nutzung der elektronischen Auftragsvergabe soll hier noch größere Vorteile haben als beim Verbrauchervertrag. Wenn die Vergabe elektronisch funktioniert, dann können sich auch Unternehmer einloggen, die in ganz verschiedenen Mitgliedsstaaten sitzen. Hierdurch haben Sie mehr Dialog, mehr Wettbewerb und bekommen mehr Angebote, es herrscht mehr Transparenz und, wenn es gut läuft, könnte am Schluss vielleicht ein günstigerer

Die Vergabekoordinierungsrichtlinie im Überblick

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Preis, ein besseres Preis-Leistungsverhältnis herauskommen. Der Art. 1 Nr. 12 zur Schriftlichkeit besagt zunächst nur: schriftlich ist auch elektronisch. Der Art. 42 zu elektronischen Kommunikationsmitteln ist demgegenüber wesentlich komplexer. Wegen des Erfordernisses der Vertraulichkeit sind die Papierverfahren so kompliziert: Es muss sichergestellt sein, dass die Angebote ankommen, dass die Angebote nicht geöffnet werden, dass es vorher keine Informationen untereinander gibt und dass später in einem kontrollierten, rechtsstaatlich fairen Verfahren die Angebote verglichen werden. Ein elektronisches Vergabesystem muss all das leisten können, d.h. Sie brauchen auf jeden Fall eine gute Verschlüsselung und eine qualifizierte elektronische Signatur, Sie müssen durch geeignete elektronische Mittel die Vertraulichkeit sicherstellen. Wenn wir das alles geschafft haben, dann haben wir ein hoch kompliziertes InternetComputer-System, wodurch wiederum der große Traum von der allgemeinen Zugänglichkeit gefährdet sein könnte. Die Bestimmungen sind im Einzelnen durchaus kompliziert: Sie haben die dynamischen Beschaffungssysteme, die komplett elektronisch abgewickelt werden und es erlauben sollen, auf längere Zeit einen Standardbedarf zu decken. Dann haben Sie die elektronischen Auktionen, die in jedes Vergabe verfahren eingebaut werden können. Das Verfahren führt zur Auswahl der Bewerber, die wie üblich Angebote machen, bevor die Auktionsphase losgeht, die sich elektronisch abspielt, wobei grundsätzlich jeder Bewerber während der Auktion erfährt, wo sein Rangplatz ist und was die anderen geboten haben. Durch diese Transparenz soll das Angebot ggf. ordentlich gedrückt werden können.

Der Stand der Umsetzung in das deutsche Recht und die Verschlankung des deutschen Vergaberechts Von Kirstin Pukall

I. Reformgründe Wir müssen das deutsche Vergaberecht ändern. Es ist zu komplex. Das Vergaberecht beinhaltet im Grunde ja nur die Regeln, wie ausgeschrieben und wie der Zuschlag erteilt werden soll, und ist trotzdem so umfangreich wie das ganze BGB. Es gibt verschiedene Gründe, das deutsche Vergaberecht zu reformieren: •

Im Jahr 2002 haben wir einen Bericht für den Bundesrat und für das Parlament darüber erstellen müssen, wie sich die Einführung des Rechtsschutzes durch die Reform im Jahre 1999 in der Praxis bewährt hat. Um diesen Bericht so fundiert wie möglich machen zu können, haben wir eine sehr umfangreiche und weiträumig gestreute Fragebogenaktion gestartet. Wir haben direkt Wissenschaftler, Vergabekammern und Vergabesenate an den Oberlandesgerichten sowie Wirtschafts- und Kommunalverbände angeschrieben, letztere mit der Bitte, den Fragebogen an ihre jeweiligen Mitglieder weiterzuleiten. Zusätzlich haben wir ihn auch in das Internet eingestellt und in der Tat mehr als 1.200 ausgefüllte Fragebögen zurück bekommen - auch von großen und kleinen Unternehmen, großen und kleinen Kommunen - mit Antworten auf diese doch durchaus komplizierten Fragen. Das zeigt, dass ein großes Interesse im Lande am Vergaberecht besteht und daran, wie man das vielleicht ein bisschen besser regeln könnte.



Dann gibt es die im Februar vergangenen Jahres mit einem Kabinettsbeschluss eingeläutete „Initiative Bürokratieabbau". Wichtig ist, dass schon beim ersten Kabinettsbeschluss, in dem eine Liste von erkanntermaßen übermäßig bürokratischen Gesetzen verabschiedet wurde, das Vergaberecht sehr weit oben stand.



Und natürlich müssen wir das EU-Recht umsetzen, das seit dem 30. April 2004 in Kraft ist - und zwar bis zum 31. Januar 2006. Die EU hat es uns vorgemacht: Da gab es bislang auch separate Richtlinien für Bau, für Lieferungen und für Dienstleistungen und - siehe da - man konnte sie zusammen-

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fassen. Auf EU-Ebene gibt es daneben jetzt nur noch die separate Sektorenrichtlinie, sonst nichts mehr. •

Die genannte Fragebogenaktion hat ergeben, dass im Grunde die meisten Anwender mit dem neu eingeführten Rechtsschutz sehr zufrieden sind. Die Vergaben würden sorgfältiger vorbereitet und durchgeführt, was auch die Qualität der Vergaben erheblich erhöht habe. Aber besonders kleine und mittlere Unternehmen und Kommunen haben gesagt, dass sie mit dem deutschen Vergaberecht nicht klar kommen. Sie verstehen dieses Kaskadenprinzip nicht. Wenn sie das dicke Buch anfassen, wissen sie nicht, welche Seite sie aufschlagen sollen, ob sie den § 3 oder 3 a anwenden sollen, die nebeneinander stehen und beide regeln, welche Vergabearten es gibt. Denn schließlich steht im § 3 etwas von einer öffentlichen Ausschreibung und in § 3 a von offenen Verfahren, und dann gibt es da freihändige Vergabe und Verhandlungsverfahren, alles steht nebeneinander - allerdings mit unterschiedlichen Konsequenzen. Außer spezialisierten Fachleuten weiß niemand so richtig, was gilt. Übrigens wird dieses Ergebnis, dass die Anwender, und zwar sowohl auf der Seite der öffentlichen Auftraggeber als auch auf der Seite der Auftragnehmer, unzufrieden sind mit der Kompliziertheit und Intransparenz des deutschen Vergaberechts, nochmals bestätigt in einer Studie, die der Wegweiser-Verlag und das Forum Vergabe in diesem Jahr durchgeführt haben.

Der Kabinettbeschluss zum Bürokratieabbau hat zum Ziel, dass alle Gesetze und Verordnungen der Bundesregierung vereinfacht werden. Verwaltungsabläufe sollen leichter gemacht, beschleunigt werden. Das bedeutet, dass alle Regeln auf den Prüfstand kommen. Alles, was unnötig ist, wird gestrichen. Und nur das, was man wirklich als Gesetz braucht (nicht etwa als Handlungsanweisung), soll auch als Gesetz geregelt sein. Die Komplexität des Vergaberechts ist hauptsächlich bedingt durch das Kaskadenprinzip. Das bedeutet zunächst, dass drei verschiedene gesetzliche Ebenen vorhanden sind (GWB, Vergabeverordnung und drei Verdingungsordnungen). Zusätzlich gibt es auf der untersten gesetzlichen Ebene, den Verdingungsordnungen, noch das Schubladenprinzip, das die VOL / A und die VOB / A noch in vier verschiedene Abschnitte teilt. Und im Grunde steht in jeder Verdingungsordnung und dort in jedem der vier Abschnitte immer das gleiche drin - nur mit geringen Abweichungen. Da fragt man sich, ob das irgendeinen Sinn hat. Meistens kann man diese Frage übrigens mit nein beantworten. Diese Komplexität des deutschen Vergaberechts führt zu Rechtsunsicherheit. Und diese Rechtsunsicherheit führt zu Rechtsstreitigkeiten. Denn wer nicht weiß, wie etwas funktioniert, macht sehr leicht Fehler oder macht gar nichts. Man wendet eben kein Vergaberecht an, was noch schlimmer ist als die falsche Anwendung, und was dann auch zu Rechtsstreitigkeiten führt. Und das wiederum führt zu Investitionshemmnissen, die wir natürlich vermeiden wollen.

Der Stand der Umsetzung in das deutsche Recht

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IL Das Reformprojekt Wir haben vor, das Vergaberecht einfacher und transparenter zu machen. Wir wollen, dass jeder, der es liest, auch die Chance hat, es zu verstehen und damit umzugehen. Wir wollen für die Unternehmen den Verwaltungsaufwand reduzieren. Wir wollen, dass sich die Unternehmen nicht mehr teuren Rechtsbeistand leisten müssen, bevor sie sich an einem öffentlichen Auftrag beteiligen. Kleine und mittlere Unternehmen haben in der Regel keine Rechtsabteilung, die in der Lage wäre, diese Regeln zu durchschauen; das haben eigentlich nur die Großunternehmen. Wir wollen, dass jedes Unternehmen, das bestimmte Leistungen erbringen kann, diese Leistungen ohne erheblichen Aufwand auch an staatliche Stellen verkaufen kann. Und wir wollen, dass dies nicht für die Unternehmen teuer wird, dass sie keinen besonderen Verwaltungsaufwand haben, sondern dass sie sich einfach an einer Ausschreibung des Staates genauso beteiligen können wie an Ausschreibungen von Privaten. Die Reform dient aber nicht nur den Unternehmen, sondern genauso den öffentlichen Auftraggebern, denn auch von Seiten der Kommunen und anderer öffentlicher Auftraggeber wurde uns in unserer Fragebogenaktion bescheinigt, dass man nicht richtig weiß, wie man eine Vergabe fehlerfrei tätigen soll. Das ist aufwändig und sehr teuer, denn auch Kommunen oder andere Vergabestellen müssen sich teuren Rechtsbeistand einkaufen. Dieses Geld könnte man effizienter einsetzen. Und: Durch ein transparentes, verständliches, anwenderfreundliches Vergaberecht wird natürlich der Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot wesentlich gestärkt. Was haben wir jetzt vor? Wir haben uns letztlich mit der Absicht durchgesetzt, auch das System als solches anzupacken und eine Bereinigung durchzuführen. Die Lösung, die nach langen Verhandlungen gefunden wurde, ist im Kabinettbeschluss vom 12. Mai 2004 mit den Eckpunkten für eine Verschlankung des Vergaberechts niedergelegt. Danach werden wir oberhalb der EUSchwellenwerte nur noch zwei gesetzliche Regelungsebenen haben: Einmal das GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) wie auch jetzt mit den Grundprinzipien und dem Rechtsschutz, und darunter nur noch eine einzige einheitliche Vergabeverordnung und sonst nichts. Es soll also in Zukunft oberhalb der Schwellenwerte keine Verdingungsordnung mehr geben, sondern diese einheitliche Vergabeverordnung wird alle Verfahren für alle Auftraggeber und für alle Auftragsarten regeln. Besonderheiten wie Architektenwettbewerbe, Eröffnungstermin im Baubereich und ähnliches können in einem „Besonderen Teil" berücksichtigt werden. Ansonsten sind die Verfahrensregeln einheitlich für jeden Anwender und für jede Art von Aufträgen. Unterhalb der Schwellenwerte bleibt es bei der haushaltsrechtlichen Konstruktion. Das bedeutet, Bundes- oder Landeshaushaltsrecht nimmt, so wie jetzt, auf die Vergaberegeln Bezug. Im Bereich der Dienstleistungen und Lieferungen

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wird das in Zukunft die Vergabeverordnung sein, so dass hier inhaltlich oberund unterhalb der Schwellenwerte materiell dieselben Regeln gelten - nur aufgrund verschiedener Anwendungsbefehle, die sich aber in der Vergabepraxis nicht auswirken. Im Baubereich ist das anders: Hier bleibt unterhalb der Schwellenwerte die V O B / A bestehen, die allerdings erheblich verschlankt werden soll. Sinn und Zweck dieser Aufteilung in Haushaltsrecht unterhalb der Schwellenwerte und Recht der Wirtschaft oberhalb der Schwellenwerte ist, dass vermieden werden soll, dass unterhalb der Schwellenwerte derselbe Rechtsschutz wie oberhalb der Schwellenwerte gilt. Wir wollen den Rechtsschutz mit Vergabekammer und Oberlandesgericht auf die großen Vergaben beschränken, weil wir nicht unnötige Investitionshemmnisse kreieren wollen. Wir möchten, dass Vergaben zügig durchgeführt werden können. Es ist wichtig, dass Investitionen, die getätigt werden sollen, auch getätigt werden können, und deswegen sind wir der Auffassung, dass es im Bereich der geringfügigen Aufträge nicht zweckmäßig ist, wenn jeder noch so kleine Auftrag vor Gericht landet. Es soll investiert und nicht prozessiert werden. Bei geringerwertigen Aufträgen sind wir der Auffassung, wie es durchaus auch schon gerichtlich bestätigt wurde, dass der Rechtsschutz, der auf Schadensersatz abzielt, hier ausreicht. Primärer Rechtsschutz soll - so wie jetzt - nur für Auftrags vergaben oberhalb der EUSchwellenwerte vorbehalten bleiben. Das neue Recht wird viel schlanker. Alle Doppelungen (im Moment haben wir ja nicht nur Verdoppelungen, sondern mindestens Verdreifachungen) fallen weg. Jede Vorschrift, jede Aussage, taucht nur einmal auf. Überflüssige Vorschriften, Selbstverständlichkeiten fallen weg. Wir schreiben zum Beispiel nicht mehr vor, dass Muster, Proben und Zeichnungen verlangt werden dürfen - das ist selbstverständlich. Vorgaben, dass Muster und Proben eine Unterschrift tragen sollen, sind genauso selbstverständlich und fallen deshalb ebenfalls weg. Solche Dinge kann man in Gebrauchsanweisungen (Vergabehandbücher) schreiben, aber nicht in Gesetze. Dadurch werden die Vergaberegeln schon drastisch reduziert. Wir wollen ein schlankes, transparentes Vergaberecht. Wir werden einheitliche Begriffe verwenden - und zwar die EU-Terminologie, zu der wir ohnehin verpflichtet sind. Wir werden sehr viel Flexibilität schaffen - vor allem unterhalb der Schwellenwerte, wo wir auf eine strenge „ H i e r a r c h i e der Vergabearten" verzichten wollen. Wir werden dafür aber sehr viel neue Transparenz einführen. Wir gehen nämlich davon aus, dass weniger Bürokratie und mehr Transparenz zu wesentlich effizienteren Vergabeverfahren führen. Wir wollen eine nachvollziehbare, transparente Vergabepraxis haben, ober- wie unterhalb der Schwellenwerte und dadurch auch die Korruption bekämpfen - und zwar intensiver, als das jetzt der Fall ist. Denn wir sind der Auffassung, dass diese Zie-

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le, also transparentes Verfahren, Nachvollziehbarkeit und Korruptionsprävention, nicht durch einen Wust von bürokratischen Regeln und Formalitäten erreicht werden können. Wir stellen uns vor, dass jeder öffentliche Auftraggeber vor jeder Vergabe auch unterhalb der Schwellenwerte (ggf. oberhalb einer Bagatell-Schwelle) bekannt gibt, welchen Auftrag er vergeben möchte - und zwar zu angemessener Zeit vorher, so dass sich die Bieter darauf vorbereiten können. Über das Medium muss man sich Gedanken machen. Unterhalb der Schwellenwerte könnte ich mir gut vorstellen, dass es ausreicht, wenn die Veröffentlichung im Internet, möglicherweise auf der Home-Page des Auftraggebers oder - besser - auf einer zentralen Homepage eines Verbandes oder einer Gebietskörperschaft erfolgt. Wir, von Seiten des Bundes, werden die Home-Page des Bundes (www.bund.de) auf jeden Fall für sämtliche Auftragsabsichten benutzen. Aber das soll noch nicht genügen, sondern wir stellen uns vor, dass auch die erfolgten Auftragsvergaben genauso veröffentlicht werden. Das ist neu, das hat es in diesem Umfang noch nicht gegeben. Aber wir glauben, die TransparenzVerpflichtung bedeutet, dass - nachdem der Zuschlag erteilt wurde - in demselben Medium bekannt gegeben werden muss, wer den Auftrag bekommen hat und zu welchem Preis. Das ist relativ unkompliziert, gibt aber sehr viel her in Sachen Transparenz und Korruptionsprävention. Denn dann kommt heraus, ob zufällig immer wieder der Schwiegersohn des Bürgermeisters die Aufträge bekommt. Dann wird man auch feststellen können, ob innerhalb des Bieterkreises wirklich gewechselt wird. Was nützt es sonst, fromme Ziele irgendwo aufzuschreiben, wenn niemand den Erfolg beurteilen kann? Wir haben einige Neuerungen im geltenden Recht vor. Wir beabsichtigen z.B., Präqualifikationssysteme zu ermöglichen. Es soll also möglich sein, dass ein Bieter seine Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Fachkunde durch den Eintrag in ein elektronisches Präqualifikationsregister nachweist. Dies bedeutet eine erhebliche Arbeitserleichterung, sowohl für die Bieter als auch für die Auftraggeber, die dann nicht mehr bei jedem einzelnen öffentlichen Auftrag dieselben Unterlagen immer wieder neu prüfen müssen. Wir beabsichtigen, mit unserem neuen Vergaberecht die Korruption besser zu bekämpfen. Nicht nur die Transparenzvorschriften, die ich eben nannte, sollen diesem Ziel dienen, sondern wir haben auch vor, ein Korruptionsregister einzuführen. Wir werden, weil das ein großes Manko im geltenden Recht war, eine ausdrückliche Regelung für De-facto-Vergaben einführen. Auch für solche Vergaben, bei denen gar kein Verfahren durchgeführt wurde, soll eine Nichtigkeitsregelung eingeführt werden. Wir wollen ebenso ein anderes missliches Thema ändern, nämlich dass das Fehlen jedweder Unterlage, Anlage oder von sonst irgend etwas gleich zum Ausschluss vom Vergabe verfahren fuhrt. Der jetzige groteske Formalismus

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muss geändert werden. Nur das Fehlen wesentlicher Unterlagen soll zum Ausschluss vom Wettbewerb fuhren. Es sollen auch Heilungsmöglichkeiten eingeführt werden. Wenn also irgendwo eine Unterschrift oder irgendein Formular vergessen wurde, darf das nicht mehr zu so unglaublichen Ergebnissen führen, wie das durch die Rechtsprechung jetzt verfestigt wurde. In der „Zeit" stand, Deutschland sei das Land der Formulare, wo ein Auftrag an ein Unternehmen gehen musste, dessen Angebot um 10.000 Euro teurer als das des wirtschaftlichsten Bieters war, nur weil dieser wirtschaftlichste Bieter irgendeine Bestätigung der Handwerkskammer nicht beigefügt hatte. Er hatte sie einfach nur vergessen. So etwas darf es in Zukunft nicht mehr geben. Schließlich wollen wir noch eine gesetzliche Definition für In-house-Leistungen einführen. Das ist ein gewagtes Unterfangen, aber wir sehen, dass hier ein großes Bedürfnis herrscht, Klarheit zu erhalten, was denn In-house-Leistungen sind. Wir müssen natürlich das Legislativpaket umsetzen, in dem etliche Neuerungen eingeführt wurden, die sich zum Teil als Optionen darstellen, die also nicht umgesetzt werden müssen, sondern von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden können. Dazu zählen der wettbewerbliche Dialog, die elektronischen Auktionen und auch die dynamischen Beschaffungssysteme. Wir haben uns überlegt, dass wir gerne diese Optionen bieten würden. Wir sehen eigentlich nicht, warum man etwas, das als Möglichkeit angeboten wird, von vornherein versagen soll. Wir beabsichtigen, eine Regelung für den wettbewerblichen Dialog in unsere neue Vergabeverordnung einzuführen. Wir werden eine Regelung für Rahmenvereinbarungen einführen, die sich sehr eng an die EU-Vorschrift anlehnt. Wir werden elektronische Auktionen ermöglichen, denn in diesem Bereich haben wir schon seitens der Bundesregierung praktische Erfahrung. Wir haben im Vorfeld bereits einige nachgeordnete Behörden des Bundes ermächtigt zu experimentieren. Und diese Experimente, die durchgeführt wurden (im unterschwelligen Bereich allerdings), haben bestätigt, dass in einigen Bereichen elektronische Auktionen durchaus sinnvoll sein können - aber nicht müssen. Elektronische Auktionen sind kein Allheilmittel für alle möglichen Vergabefragen, aber sie können ganz günstig sein. Ein interessantes Ergebnis der Experimente, die wir durchgeführt haben, ist, dass sich mittelständische Unternehmen sehr umfangreich daran beteiligt haben und auch in mehreren dieser Fälle den Zuschlag bekommen haben. In einem Fall war es sogar so, dass eine Auktion über ein großes Los durchgeführt wurde und dasselbe Produkt noch einmal auktioniert wurde, aber aufgeteilt in kleine Lose, und sich die Aufteilung in kleine Lose als wirtschaftlicher erwies als die Vergabe eines Großauftrags. Die Vorteile des neuen Systems, das wir anstreben, sind offensichtlich: Es wird viel weniger Gesetze geben, im Liefer- und Dienstleistungsbereich nur noch zwei (GWB und die Vergabeverordnung) - im Baubereich kommt unterhalb der EU-Schwellen noch die VOB / A hinzu. Die Regeln werden kürzer, transparenter, wesentlich anwenderfreundlicher, wesentlich lesbarer, und wir

Der Stand der Umsetzung in das deutsche Recht

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glauben, dass das erheblich der Korruptionsprävention dient. Und es werden Flexibilitäten eingeführt werden: Auftraggeber werden größere Entscheidungsfreiheiten haben als früher, was auch den bietenden Unternehmen zugute kommen soll. Wir werden keine Doppelungen mehr haben und wir werden einheitliche Begriffe verwenden. Wir werden nur das Notwendige regeln. Wir werden elektronische Medien verstärkt nutzen. Durch all diese Maßnahmen wird die Effizienz der Verwaltungen erheblich steigen. Verwaltungskosten werden sinken und wir glauben, dass wir mit diesem Konzept die Korruption erheblich besser bekämpfen können.

III. Resümee Wir müssen bis Ende des Jahres - so steht es in dem Kabinettsbeschluss einen Gesetzes- und einen Verordnungsentwurf vorlegen. Rechtzeitig vor dem 31. Januar 2006 ist mit dem Inkrafttreten zu rechnen. Einen ersten Arbeitsentwurf haben wir. Wir werden diese Texte ins Internet stellen1 mit der Absicht, dass sich eine möglichst breite Öffentlichkeit diese Texte ansehen und ihre Meinung dazu sagen kann. Wir möchten gerne die Meinung der Anwender, von Seiten der Verwaltung wie auch von Seiten der Unternehmen dazu hören. Wir möchten gerne ein anwenderfreundliches Gesetz machen und sind deswegen dankbar für Kommentare und Anregungen von Ihrer Seite.

1

Entwürfe zur Vergaberechtsreform sind seit Oktober 2004 in der jeweils aktuellsten Version auf der Homepage des BMWA (www.bmwa.bund.de) veröffentlicht.

Vergaberecht im Wandel: Die Sicht der Wissenschaft Von Meinrad Dreher

I. Die Neuordnung des deutschen Vergaberechts 1. Transparenz in der Rechtssetzung und Anwenderfreundlichkeit des Rechts als Ausgangspunkte Das deutsche Vergaberecht steht vor einer grundlegenden Neuordnung. Zwei Kriterien müssen dabei leitend sein: Transparenz in der Rechtssetzung und Anwenderfreundlichkeit des Rechts. Das erste betrifft also den Weg, auf dem die Neuordnung angestrebt wird, und das zweite deren Ergebnis. Allerdings ist bereits der Ruf nach dem Gesetzgeber im Vergaberecht keine Selbstverständlichkeit, werden doch dessen wesentliche Teile in Form von Verdingungsordnungen faktisch durch Verdingungsausschüsse, neuerdings in Vergabe- und Vertragsausschüsse umfirmiert, als private Ersatzgesetzgeber geformt. Dass diese Art der „Rechtssetzung" mit Blick auf das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip ein Auslaufmodell mit kurzer Restlaufzeit sein muss, lag und liegt auf der Hand.1 Der erste Ausgangspunkt, Transparenz in der Rechtssetzung, mag infolge des damit einhergehenden Machtverlusts beteiligter Kreise und der Preisgabe einer jahrzehntelang weithin unangezweifelt geübten Praxis gleichwohl nicht für jeden willkommen sein. Das Gegenteil hiervon sollte jedoch für den zweiten Ausgangspunkt, die Anwenderfreundlichkeit als Ziel des neuen Rechts, gelten. 1 Ausf. zuletzt Dreher, Initiative Bürokratieabbau versus Korporatismus und Kaskadenprinzip, Behörden Spiegel, September 2003, S. 19 m.z.Nw., abgedr. auch in forum vergäbe (Hrsg.), Neunte Badenweiler Gespräche 2003, 2003, S. 71 ff.; Broß, Die neuere Rechtsprechung des BGH zur Vergabe öffentlicher Aufträge, VerwArch 2000, 133, 148; dersDas Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26.08.1998, Ungereimtheiten und offene Fragen, in: FS Geiß, 2000, S. 570; Puhl, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, in: VVDStRRL 60 (2001), 456, 472; Gröning, Die neue Vergabeverordnung, WRP 2001, 1; a.A. Pietzcker, Vergabeverordnung und Kaskadenprinzip aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Sicht, NZBau 2000, 64, der sich jedoch - a.a.O., 65 - „aus rechtspolitischer Sicht" ebenfalls für eine einheitliche Vergabeverordnung ausspricht.

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Meinrad Dreher

2. Zweigeteiltes oder einheitliches Recht Vor diesem Hintergrund kam der Bericht der Bundesregierung vom Oktober 20032 zum Thema „Struktur des Vergaberechts" zu dem beachtlichen Ergebnis, es „muss nachgedacht werden, wie das Vergaberecht insgesamt praktikabel gehalten werden kann".3 Der Bundesrat hat auf den Bericht der Bundesregierung hin - reichlich undeutlich - gefordert, „bei der Neuordnung des Vergaberechts sollte unter Wahrung der unterschiedlichen Anforderungen an die Beschaffungsgegenstände und rechtsstaatlicher Rechtssetzung ein einheitliches System angestrebt werden". Konkret sei daher unter anderem die „Vereinheitlichung der Verdingungsordnungen" als Ziel zu verfolgen. 4 Ergebnis des Nachdenkens, das der Bericht der Bundesregierung angekündigt hatte, waren dann die „Eckpunkte für eine Verschlankung des Vergaberechts", die das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im April 2004 vorgelegt hat.5 Sie wurden von der Bundesregierung gebilligt und schlagen für die Zukunft ein Regelungsmodell mit folgenden Elementen vor: -

oberhalb der Schwellenwerte: Geltung einer einheitlichen Vergabeverordnung, d.h. Ersetzung der VgV mit dem Verweis auf die Verdingungsordnungen VOB / A, VOL / A und VOF durch ein einheitliches, vom Gesetzgeber selbst erstelltes Regelwerk.

-

unterhalb der Schwellenwerte: Fortgeltung der bisherigen haushaltsrechtlichen Lösung ohne primären Vergaberechtsschutz. Im Bereich der Bauleistungen soll das Haushaltsrecht auf eine erheblich verschlankte und im bisherigen Verfahren erstellte VOB / A verweisen. Im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen erfolgt ein Verweis auf die neue Vergabeverordnung mit Modifizierung für Kleinaufträge. Für den Bereich der freiberuflichen Leistungen schließlich sollen keine besonderen Regelungen gelten.

Auf dieser Grundlage soll - so die Eckpunkte weiter - bis Ende 2004 ein „Gesetz- und Verordnungsentwurf zu einer Verschlankung des Vergaberechtes"

2 BTDrucks. 15/2034 = BRDrucks. 851 /03; abgedr. auch in forum vergäbe, Monatsinfo 10/2003, Anl. 2. 3 Bundesregierung, Bericht (Fn. 2), bei III. 4 Bundesrat, Beschl. vom 12.3.2004 zu dem Bericht der Bundesregierung zum Vergaberechtsänderungsgesetz, BRDrucks. 851 / 03 (Beschl.) bei 6. und 7. 5 Veröffentl. z.B. in NZBau 2004, 317 f. und als Anl. 1 zu forum vergäbe Monatsinfo 4 / 2004.

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vorliegen. Eine im August 2004 vorgelegte Erläuterung 6 hat schließlich einige erste Detailfragen geklärt. Wäre mit dieser Konzeption die Forderung nach einem anwenderfreundlichen Recht erfüllt? Sind die Maßstäbe hierfür Rechtssicherheit, Transparenz und Einheitlichkeit,7 muss die Antwort differenziert ausfallen: oberhalb der Schwellenwerte ja; unterhalb der Schwellenwerte jedoch nein. Hier würde das künftige Vergaberecht auf Grund der Sonderwege im Bereich Bauleistungen und freiberufliche Leistungen und dem hier generell nicht vorgesehenen Primärrechtsschutz weder für die Anwender durchschaubar noch für die Bieter durchsetzbar sein. Die bisherigen Rechtsunsicherheiten über einen eventuellen und partiellen Vergaberechtsschutz blieben also erhalten. Ein „einheitliches Vergaberecht" im Sinne einer Gesamtlösung wäre das nicht. Eine solche Lösung war jedoch nicht erwartbar. Und eine Totalvereinheitlichung des gesamten Vergaberechts wäre auch nicht sinnvoll. Bedürfte es im Unterschwellenbereich für die kleinen Fälle doch ohnehin einiger Sonderregelungen. 8 Ein einheitliches Vergaberecht als Ziel meint damit immer nur ein oberhalb der Schwelle einheitliches Recht und unterhalb der Schwellenwerte ein dem gleichförmiges Recht, soweit nicht Sachgründe für Abweichungen sprechen. Gemessen daran gibt die jetzt geplante Reform kurzfristig mehr, als noch vor Jahresfrist zu hoffen war. Die Hoffnung, das Einheitsziel mittelfristig auch vollständig zu erreichen, ist zudem gerechtfertigt. Trägt doch das jetzige System des Unterschwellenbereichs den Keim der Zerstörung bereits in sich: eine fehlende tragfähige Begründung. Die Erläuterung des BMWA zu den Eckpunkten geht davon aus, es solle im Baubereich „bei der VOB / A bleiben, da die überwiegende Anzahl der Bauaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte liegt (ca. 90 %)". Die in dieser These enthaltene Parole „Massenphänomene rufen nach Sonderregelung, Grundregeln sollen nur für Restfälle gelten" mag im politischen Geschäft Kompromisse ermöglichen. Zu dauerhaft haltbarem Recht führt sie sicher nicht. Hinzu kommt, dass die Schwellenwerte künftig nicht unerheblich erhöht werden und daher bis zu 97 % der Bauaufträge weiter im Bereich der privaten Rechtssetzung verbleiben. Diese sachlich ungerechtfertigte Zweiteilung im Baubereich werden breite Kreise der Anwender eines im Übrigen künftig adressatenfreundlichen, im Wesentlichen einheitlichen Vergaberechts oberhalb und im Liefer- und Dienstleis6

BMWA, Aufzeichnung über Eckpunkte für eine Reform des Vergaberechts, 18.8.2004. 7 So Dreher (Fn. 1) und schon ders., Die Zukunft des untergesetzlichen Vergaberechtsschutzes - Zur Neuordnung von Vergabeverordnung und Verdingungsordnungen, NVwZ 1999, 1265 ff. 8 Vgl. insoweit zum Rechtsschutz Dreher, Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte, NZBau 2002, 419, 428 f.

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tungsbereich unterhalb der Schwellenwerte auf Dauer nicht hinnehmen wollen. Daneben nagen die bisher schon bestehenden rechtlichen, auch europarechtlichen9 Einwände weiter an dem Fortbestand der VOB / A und an der Haltbarkeit des vergaberechtlichen Status quo unterhalb der Schwellenwerte. Beides zusammen wird mittelfristig zu seiner Erosion führen und dadurch auch hier einer neuen Lösung den Boden bereiten. 3. Die Beteiligung der interessierten Kreise Der Hemmschuh schlechthin für eine Neuordnung des deutschen Vergaberechts war seit längerem die faktische Delegation der Rechtssetzung an die privaten Gremien „Verdingungsausschüsse". Derart weitgehende Einflüsse interessierter Kreise muss jedes neue Vergaberecht zwangsläufig beseitigen. Dagegen richtet sich allerdings der scheinbar harmlose Einwand, hier werde Sachverstand durch Verwaltungswissen ersetzt. Schon der Verweis auf die Rechtssetzung außerhalb des Vergaberechts muss genügen, um den Einwand zurückzuweisen. Wie überall bleibt es interessierten Kreisen auch im Vergaberecht überlassen, dem Gesetzgeber Regelungsvorschläge zu unterbreiten sowie dessen Entwürfe zu kommentieren. Vielfach existieren dafür sogar förmliche Verfahren, wie Verbände- oder Sachverständigenanhörungen im Gesetzgebungsverfahren. Selbst auf dem Weg zum neuen Recht waren Kritiker dieses Wegs in eine Arbeitsgruppe des B M W A eingebunden. Und in dem dem Vergabevolumen nach wichtigsten Bereich, dem der Bauvergaben unterhalb der Schwellenwerte, bleibt vorerst ohnehin alles beim alten. In den Worten des BMWA: „Damit wird in einem Teilbereich der Wunsch nach Beibehaltung der direkten Erarbeitung der Vergabevorschriften durch die Verbände der Beteiligten entsprochen." 10 Es überrascht nicht, dass auch in diesem Zusammenhang die durch Verbände nicht in dem Verdingungsausschuß nicht vertretenen deutschen Verkehrskreise und insbesondere potentielle ausländische Bieter keine Erwähnung finden.

4. Bürokratieabbau oder Bürokratieaufbau Um ihren Einfluss auch in Zukunft zu erhalten, haben interessierte Kreise die von der Bundesregierung unter das Motto „Bürokratieabbau" 11 gestellte Neu-

9 Diese beziehen sich auf die Geltung und fehlende Durchsetzbarkeit materiellen Europarechts, vgl. ausf. Dreher (Fn. 8), 421 ff. 10 BMWA, Aufzeichnungen (Fn. 6), bei V. 11 Vgl. Masterplan Bürokratieabbau der Bundesregierung vom Febr. 2003.

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Ordnung des Vergaberechts mit dem Schlagwort „Bürokratieaufbau" versehen. Denn anstelle der bisherigen Regelfindung durch die privaten Verdingungsausschüsse würden staatliche Festlegungen treten, also das Gegenteil einer Entbürokratisierung. 12 Dieser Einwand rührt an die Grundfeste des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips. Danach haben Bund und Länder nicht nur „Mitwirkungsrechte" 13 bei der Rechtssetzung. Diese Rechtssetzung hat vielmehr allein in den dazu vorgesehenen formalisierten Verfahren zu erfolgen. Der Gesetzgeber darf die Erarbeitung zentraler Bereiche der Sollensordnung nicht privaten Gremien mit dem Ziel bloßer späterer Akklamation überlassen.

II. Die Umsetzung des Legislativpakets in das deutsche Kartellvergaberecht 1. Die Verzahnung von Kartell- und Kartellvergaberecht Bei der Neuordnung soll an der Einbettung des Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte in das Kartellrecht festgehalten werden. 14 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Denn die zu Beginn der Implantation des Vergaberechts in das Kartellrecht zu befürchtenden Abstoßreaktionen haben sich nicht gezeigt. An deren Stelle sind vielmehr eher Integrationsbemühungen getreten. Diese sollten in der Praxis der Vergabekammern und -Senate verstärkt fortgesetzt werden. 15

2. Der Vergaberechtsschutz Der Primärrechtsschutz oberhalb der Schwellenwerte soll durch die Neuordnung grundsätzlich unangetastet bleiben. Ob er sich tatsächlich in vollem Um12 Vgl. z.B. die Wiedergabe entsprechender Charakterisierungen durch Vertreter der Bauwirtschaft in FAZ vom 7.2.2004 Nr. 32, S. 12; der Sache nach auch Roth, in: forum vergäbe (Fn. 1), S. 77, 78 ff. 13 So die Charakterisierung des gegenwärtigen Zustands durch Roth (Fn. 12), S. 79 zur Verteidigung der Erstellung der Verdingungsordnungen in den bisherigen Ausschüssen. 14 BMWA, Aufzeichnung (Fn. 6), bei 3. 15 Vgl. zum Ganzen Dreher, Konvergenz oder Divergenz von Kartellrecht und Kartell vergaberecht?, in: FIW (Hrsg.), Enforcement - Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, bei X. (im Druck); Stockmann, Die Integration von Vergaberecht und Kartellrecht, ZWeR 2003, 37 ff.; Opitz, Marktmacht und Bieterwettbewerb, 2004, S. 59 ff., 63 ff.

Meinrad Dreher

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fang bewährt hat, erscheint im Hinblick auf einige Tendenzen in der Entscheidungspraxis durchaus fraglich. Hierzu gehören etwa die Rechtsprechung zur Nichtigkeit bei de facto-Vergaben, 16 zum Rechtsschutz nachrangig plazierter Bieter, 17 zum fehlenden bieterschützenden Charakter von vergaberechtlichen Bestimmungen18 und zum Rechtsschutz bei Teilnahme an unterlassenen förmlichen Vergabeverfahren 19. Insgesamt lässt sich darin nicht nur eine partielle Unvereinbarkeit mit dem europarechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes, sondern auch eine gewisse Verkümmerung der im europäischen Vergaberecht angelegten objektivrechtlichen Funktion des Vergaberechtsschutzes 20 erkennen. Die von Seiten der EG-Kommission auf lange Sicht ins Spiel gebrachte Einrichtung unabhängiger Vergabeaufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten21 ist gleichwohl abzulehnen. Dies folgt schon aus der grundsätzlichen Geeignetheit des privaten Rechtsschutzes zur Erfassung von Vergabefehlern und von deren Folgen für den Wettbewerb. 22 Im Übrigen haben der Europäische Gerichtshof 23, das Bundesverfassungsgericht 24 und der Bundesgerichtshof 25 die Notwendigkeit eines effektiven vergaberechtlichen Rechtsschutzes vor kurzem in mehreren Entscheidungen noch einmal betont. Soweit hier Fehlentwicklungen auftreten, kann die Rechtsprechung diese also selbst beseitigen.

16 Vgl. nur OLG Düsseldorf NZBau 2004, 113 und dazu Dreher, de jure-Vergebung für de facto-Vergaben?, NJW 2004 Editorial in Heft 10, S. III. 17 Vgl. nur OLG Düsseldorf vom 14.5.2001 - Verg 19/01 für einen Bieter an dritter Rangstelle und OLG Koblenz vom 15.3.2001 - 1 Verg 1 / 01 für einen Bieter an vierter Rangstelle. 18 Vgl. z.B. OLG Frankfurt vom 30.3.2004 - 11 Verg 4 / 04 und 11 Verg 5 / 04; VK Bund vom 25.3.2004 - VK 2-138 / 03 und VK Bund vom 24.5.2004 - VK 2-22 / 04. 19 Vgl. nur OLG Brandenburg vom 10.2.2004 - Verg W 8 / 03. 20 Dazu näher Dreher (Fn. 15) bei VI. und VII. 21 Vgl. EG-Kommission, Binnenmarktstrategie für den Zeitraum 2003 bis 2006, Single Market News 31 (2003), S. III und für gemeinschaftsfinanzierte Vergaben schon EG-Kommission, Bericht über „Verwaltungszusammenarbeit bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Rahmen des Binnenmarkts", KOM (96) 20 endg., Ratsdok. 4870 / 96 = BRDrucks. 314 / 96, S. 19. Das Legislativpaket eröffnet mit Art. 81 Basisrichtlinie bzw. Art. 72 Sektorenrichtlinie lediglich die Möglichkeit zur Schaffung nicht näher konturierter „unabhängiger Kontrollstellen". 22

Ausf. Dreher (Fn. 15), bei VII. EuGH vom 19.6.2003 - Rs. C-249/01 „Hackermüller / BIG" = NZBau 2003, 509; EuGH vom 12.2.2004 - Rs. C-230/02 „Großmann Air Service / Österreich" = NZBau 2004, 221; EuGH vom 18.3.2004 - Rs. C-314 / 01 „Siemens / ARGE Telekom" = NZBau 2204, 340; EuGH vom 9.9.2004 - Rs. C-125 /03 „Kommission / Deutschland" Rdnr. 15 f. 24 BVerfG, 2 BvR 2248 / 03 vom 29.7.2004, Rdnr. 24 ff. 25 Vgl. BGH vom 18.5.2004 - XZB 7 / 0 4 „Rudower Höhe" = NZBau 2004, 457, 458 bei 3. 23

Vergaberecht im Wandel: Die Sicht der Wissenschaft

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Unterhalb der Schwellenwerte ist es um den Primärrechtsschutz dagegen dürftig bestellt. 26 Trotz künftig höherer Schwellenwerte und wesentlich größerer Freiheit in der Verfahrenswahl, 27 was im Hinblick auf die damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten nicht unbedenklich erscheint, soll es hier keinen primären Vergaberechtsschutz geben. Dies widerspricht sowohl der rechtsschutzrechtlichen lex lata, die durchaus etliche Ansatzpunkte für Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte enthält,28 als auch europarechtlichen Forderungen nach Rechtsschutz bei Verletzung europäischen Rechts außerhalb des Vergaberechts 29. Zwar ist dem Anliegen der Reform, Transparenz der Vergabeverfahren auch in diesem Bereich zu schaffen, um Missbräuchen und Fehlern vorzubeugen, mit Nachdruck zuzustimmen. Transparenz allein erfüllt die zuvor genannten rechtlichen Anforderungen jedoch nicht.

3. Die inhouse-Vergabe Die inhouse-Vergabe bietet seit ihrem Aufkommen Anlass zu Diskussionen. Da es sich dabei rechtlich um eine teleologische Reduktion des Auftragsbegriffs handelt, ist ein Streit um die Reichweite des sogenannten inhouse-Privilegs nur zu verständlich, wollen doch möglichst viele Vergabestellen hiervon Gebrauch machen. Aus den bekannten Gründen - z.B. enge Auslegung von vergaberechtlichen Ausnahmen und hohe Anforderungen aufgrund der Rechtsprechung des EuGH - ist dabei allerdings größte Vorsicht geboten.30 Erfreulicherweise hat jüngst auch die EU-Kommission in einem Verfahren vor dem EuGH diese Ansicht vertreten. 31 Und die Rechtsprechung hat sich diese Haltung sowohl im Falle der differenzierten Behandlung der Tätigkeit von Entsorgungsunternehmen nach § 16 Abs. 1 bzw. Abs. 2 KrW / AbfG 3 2 als auch

26 Vgl. schon Dreher, Die Neugestaltung des Vergaberechtsschutzes, NVwZ 1997, 343, 344: „willkürlich unterschiedliches und unnötig komplexes Rechtsschutzsystem". 27 Zur Möglichkeit des gestuften, erleichterten Zugangs zum Verhandlungsverfahren abhängig vom Auftragsvolumen vgl. Dreher (Fn. 8), 429. 28 Ausf. Dreher (Fn. 8), 424 ff. und Broß, Vergaberechtlicher Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte, ZWeR 2003, 270 ff.; Dörr, Das europäisierte Vergaberecht in Deutschland, JZ 2004, 703, 712. 29 Dazu Dreher (Fn. 8), 421 ff. und Erwägungsgrund 2 Basisrichtlinie. 30 Vgl. zuletzt Dreher, Das Inhouse-Geschäft, NZBau 2004, 14 ff. und Jaeger, in: FS J. F. Baur, 2002, 455, 460 ff. 31 Vgl. Bericht in forum vergäbe, Monatsinfo 5 / 2004, S. 87 f., wobei die Kommission über die vorliegend befürwortete Auslegung mit dem Ausschluss jeder Beteiligung Privater am Vertragspartner des Auftraggebers allerdings noch hinausgeht. 32 Vgl. OLG Düsseldorf NZBau 2004, 343 = NVwZ 2004, 510.

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im Falle der interkommunalen Zusammenarbeit 33 zu eigen gemacht. Nachdem der ursprüngliche Plan, in dem Legislativpaket einen neuen Tatbestand für das inhouse-Geschäft zu schaffen, nicht verwirklicht wurde, besteht auch national hierzu kein Anlass.

4. Die vergabefremden Kriterien Das Legislativpaket ermöglicht in Zukunft die Berücksichtigung von vergabefremden Kriterien, insbesondere von Umwelt- und Sozialkriterien, in grundsätzlich größerem Ausmaß als bisher. Dies gilt zwar kaum für die Eignungsprüfung. Hier kommt lediglich ein Ausschluss von Bietern in Betracht, die vergabefremde zusätzliche Bedingungen für die Auftragsausführung nicht erfüllen können. Im Übrigen bleibt es bei der abschließenden Regelung der Eignungskriterien. Daraus folgt, dass die bisher schon europarechtswidrige Regelung des § 97 Abs. 4 HS 2 GWB bei ihrer Fortgeltung auch nach Umsetzung des Legislativpakets insoweit europarechtlich problematisch bliebe. 34 Vergabefremde Kriterien können in Zukunft aber generell als „zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags" vorgesehen werden. 35 Weiter finden vergabefremde Kriterien Eingang in die technischen Spezifikationen der Leistungsbeschreibung. 36 Schließlich ermöglicht das Legislativpaket entsprechende Zuschlagskriterien, wenn sie „mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen".37 Diese Voraussetzung soll bereits dann erfüllt sein, wenn es um Produktionsfaktoren geht, die bei der Auftragsausführung eingesetzt werden - wie z.B. bei dem Einsatz Arbeitsloser, Behinderter oder bei einer Frauenquote für die mit der Ausführung Beschäftigten. Auf die zu beschaffende Leistung selbst müssten sich die Kriterien dann nicht mehr beziehen.38

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OLG Düsseldorf NZBau 2004, 398; OLG Frankfurt / Main vom 7.9.2004 - Verg 11 und 12/04. 34 Vgl. ausf. Dreher, in: Immenga / Mestmäcker (Hrsg.), GWB, 3. Aufl., 2001, § 97 Rdnr. 123 ff. und dem zustimmend zuletzt Fischer, Vergabefremde Zwecke im öffentlichen Auftragswesen, EuZW 2004, 492, 495 f. 35 Vgl. Art. 26 und Erwägungsgrund 33 Basisrichtlinie sowie Art. 38 und EG 44 Sektorenrichtlinie. 36 Vgl. insbesondere Art. 23 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 lit. b Basisrichtlinie und Art. 34 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 lit. b Sektorenrichtlinie. 37 Vgl. Art. 53 Abs. 1 und Erwägungsgrund 46 Basisrichtlinie sowie Art. 55 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 55 Sektorenrichtlinie. 38 So Opitz, Das Legislativpaket: Die neuen Regelungen zur Berücksichtigung umwelt- und sozialpolitischer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, VergabeR 2004, 421 f.

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Die Bundesregierung geht davon aus, dass „die Vorgabe sozialer oder bestimmter ökologischer Kriterien (...) das Verfahren komplizierter und bürokratischer machen würde". 39 Vor derartigen Appellen an die Vergabestellen steht für die Zukunft und damit für den Gesetzgeber die Aufgabe, nationale Regelungsspielräume zur Einschränkung der politischen Instrumentalisierung des Vergaberechts auszuloten. Um offensichtliche Mindestregelungen oder bloße mitgliedstaatliche Regelungsoptionen handelt es sich bei den fraglichen Richtlinienvorgaben zur Berücksichtigung vergabefremder Kriterien zwar nicht. Gleichwohl lassen sich im Hinblick darauf, dass der EuGH die Vergaberichtlinien bisher grundsätzlich nicht als einheitliches und erschöpfendes Gemeinschaftsrecht angesehen hat, 40 und sich die neue Basisrichtlinie nach Erwägungsgrund 1 „auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs gründet", gewisse Einschränkungen denken 4 1 In Betracht käme etwa die unveränderte Fortführung von § 97 Abs. 5 GWB oder ein Gesetzesvorbehalt für die Zulassung vergabefremder Ausführungs- und Zuschlagskriterien. Ebenso wäre im Rahmen der Umsetzung eine gesetzgeberische Begrenzung des - in Zukunft auszuweisenden - Gewichts eines vergabefremden Kriteriums bei der Zuschlagserteilung zu erwägen. 42

5. Die neuen Vergabeverfahren Das Legislativpaket bietet einen Strauß neuer Vergabeverfahren zur Umsetzung an: dynamische Beschaffung, wettbewerblicher Dialog und elektronische Auktion. Ob alle diese Verfahren zu einem Gewinn für Vergabestellen und / oder Bewerber sowie Bieter führen werden, erscheint fraglich. 43 Deshalb überzeugt die Absicht der Bundesregierung, diese Verfahren im deutschen Kartellvergaberecht als Optionen anzubieten. Die Wahl derartiger Verfahren bleibt damit nämlich „dem Markt" überlassen.

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BMWA, Aufzeichnung (Fn. 6), bei 2. EuGH vom 20.9.1988 - Rs. 31 / 87, Slg. 1988, 4657 Rdnr. 20 = NVwZ 1990, 355 „Beentjes". 41 So auch Fischer (Fn. 34), 495 f. und Recker, Bleibt alles beim alten?, Behörden Spiegel Juli 2004, S. 19. 42 Die Nichteinhaltung eines entsprechenden Ausfuhrungskriteriums nach Art. 26 Basisrichtlinie soll dagegen zwingend zum Ausschluss des Angebots fuhren. 43 Näher hierzu Rechten, Die Novelle des EU-Vergaberechts, NZBau 2004, 366, 368. 40

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Meinrad Dreher

6. Zentrale Beschaffung und Rahmenvereinbarungen versus Wettbewerb und Mittelstand Die EG-Vergaberichtlinien enthalten - jenseits der z.B. in Erwägungsgrund 32 und in Art. 25 Basisrichtlinie vorgesehenen Ermöglichung von Unteraufträgen - keine eigenen Mittelstandsschutzklauseln.44 Der deutsche Gesetzgeber hat bisher gleichwohl über § 97 Abs. 3 GWB gefordert, „mittelständische Interessen angemessen zu berücksichtigen". Der Bundesrat hat hierzu kürzlich festgestellt, 45 die „erhoffte angemessene Berücksichtigung des Mittelstandes bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (§ 97 Abs. 3 GWB) ist nicht in dem erwarteten Maße eingetreten. Besonders an großvolumigen und längerfristigen Beschaffungsverträgen konnten mittelständische Unternehmen nur eingeschränkt teilhaben." Vor diesem Hintergrund ist die Einführung von zentralen Beschaffüngsstellen und von Rahmenvereinbarungen durch das Legislativpaket46 kein mittelstandsfreundlicher und - je nach Reichweite - auch kein wettbewerbsfreundlicher 47 Akt. Gleichwohl sollte eine Umsetzung dieser Regelungen erfolgen. Den Konflikt mit dem Mittelstandsschutz des § 97 Abs. 3 GWB, von dessen Fortbestand trotz seiner Eigenschaft als vergabefremdes Kriterium auszugehen ist, müssen dann die Gerichte entscheiden. Sie haben bisher zwar schon anerkannt, dass § 97 Abs. 3 GWB zu subjektiven Rechten führen kann. Konkrete Rechtsfolgen außerhalb der zusätzlichen Legitimation für bestehende mittelstandsfreundliche Regelungen hat dies allerdings nicht gezeitigt. Die Reichweite der Norm als „Querschnittsklausel des Vergaberechts" 48 ist zudem durch das Tatbestandselement der lediglich „angemessenen Berücksichtigung" erheblich eingeschränkt.

III. Resümee Die Neuordnung des Vergaberechts in Deutschland hat - aufs Ganze gesehen - den richtigen Weg eingeschlagen. Dies folgt aus der künftigen Vereinheit-

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Näher Dreher (Fn. 34), § 97 Rdnr. 82. Bundesrat (Fn. 4) bei 4. 46 Vgl. z.B. Art. 11 und 32 Basisrichtlinie. 47 Zur Frage der Anwendung des Kartellrechts auf Einkaufsgemeinschaften der öffentlichen Hand vgl. zuletzt BGH WuW / E DE-R 1087 und dazu Westermann, ZWeR 2003, 481 ff. sowie EG-Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf Vereinbarung über horizontale Zusammenarbeit, Abi.EG 2001 Nr. C 3, S. 2, 17 ff. 48 Dreher (Fn. 34), § 97 Rdnr. 75. 45

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lichung des materiellen Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte und zusätzlich für Liefer- und Dienstleistungen unterhalb dieser Werte. Allerdings ist der richtige Weg noch nicht zu Ende beschritten. Für die restliche Wegstrecke steht einerseits die Sonderstellung der Bauaufträge unterhalb der Schwellenwerte. Sie ist Ergebnis politischer Kompromisse ohne jede sachliche Rechtfertigung. Der ihr anhaftende Irrationalitätsbazillus sollte sie angesichts fehlender Rechtfertigungsmedizin mittelfristig beseitigen. Soweit es andererseits um den vergaberechtlichen Primärrechtsschutz geht, bestehen Defizite derzeit vor allem unterhalb der Schwellenwerte. Die mit der Neuordnung des Vergaberechts beabsichtigte Schaffung von vergaberechtlicher Transparenz in dem Bereich unterhalb der Schwellenwerte ist zu begrüßen. Dieses Vorgehen allein kann jedoch die Rechtsschutzdefizite nicht ausgleichen. Dafür bedürfte es formalisierter Rechtsschutzmöglichkeiten. An die Stelle der bisher vielfachen Teilung des Vergaberechts tritt mit der geplanten Novelle im Ergebnis also eine partielle Zweiteilung. Auf dem Weg zu einem weitgehend einheitlichen Vergaberecht, dem eigentlich anzustrebenden und mittelfristig erreichbar erscheinenden Ziel, ist dies ein großer Schritt.

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts Von Marek Brzeski

I. Das Gesetz von 2004 und das umzusetzende Gemeinschaftsrecht In 2004 ist ein neues polnisches Gesetz, das die Vergabe der öffentlichen Aufträge regelt, in Kraft getreten1. Das Gesetz vom 29. Januar 2004 - Recht für öffentliche Aufträge (Dz. U. Nr 19, Pos. 1772) - ersetzte das Gesetz vom 10. Juni 1994 über öffentliche Aufträge 3 (Dz. U. Nr 76, Pos. 344), das seit dem 1. Januar 1995 galt und in der Zeit seiner Geltung mehrmals geändert wurde. Das neue Gesetz über öffentliche Aufträge sei eine völlig mit dem Europarecht vereinbare Komplexregelung, die der Entwicklung und der Befestigung der folgenden Grundsätze des polnischen Vergaberechts diene: Transparenz, Gleichbehandlung, Wettbewerb und Vorbeugung der Korruption. An der Bearbeitung dieses Gesetzes hätten auch Sozialpartner teilgenommen.4 Der Komplexcharakter des Gesetzes vom 29. Januar 2004 zeigt sich schon in seinem Namen - Recht für Öffentliche Aufträge. Gerade wegen des Strebens nach der Regelung der öffentlichen Aufträge in einem einzigen Rechtsakt hat das neue Gesetz den oben erwähnten Namen bekommen. Das Regelungen der Europäischen Union einführende Gesetz bezweckte:

1

In Polnisch: ustawa z dnia 29 stycznia 2004 r. - Prawo zamówieñ publicznych. Dz. U. bedeutet Dziennik Ustaw (Gesetzblatt der Republik Polen). Das Gesetz vom 19. Januar 2004 (Dz. U. Nr 19, Pos. 177) ist schon geändert worden; die veröffentlichten Änderungen dieses Gesetzes: Dz. U. 2004 Nr 96, Pos. 959, Nr 116, Pos. 1207, Nr 145, Pos. 1537 und Nr 273, Pos. 2703. 3 In Polnisch: ustawa z dnia 10 czerwca 1994 r. o zamówieniach publicznych Dz. U. 1994 Nr 76. Pos. 344 mit späteren Änderungen. 4 T. Czajkowski (Präsident des Amtes für Öffentliche Aufträge): Einfuhrung zum Kommentar „Prawo zamówieñ publicznych (Recht für Öffentliche Aufträge)", Hrsg.: Centrum Obslugi Kancelarii Prezesa Rady Ministrow (Bedienungszentrum der Ministerpräsidentskanzlei), Warszawa, 2004 (weiter als „AOA-Kommentar 2004" bezeichnet). 2

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Marek Brzeski

— Gewährleistung einer inhaltlich homogenen und - im Hinblick auf den Wert der öffentlichen Aufträge - Unterschiede zwischen Vergabeverfahren berücksichtigenden Komplexregelung, — völlige Anpassung des polnischen Rechts für öffentliche Aufträge an Erfordernisse der Europäischen Union, — Erweiterung und Befestigung der existierenden, Korruption begrenzenden Mechanismen, — Beseitigung unnötiger bürokratischer Last und Einführung von den Zugang zum Vergabemarkt erleichternden Regelungen.5 Im Rahmen der Harmonisierung des polnischen Systems der öffentlichen Aufträge mit dem europäischen (gemeinschaftlichen) Recht sind folgende Rechtsakte aus dem Bereich des acquis communautaire berücksichtigt: Richtlinie 93 / 37 / EWG, Richtlinie 93 / 36 / EWG, Richtlinie 92 / 50 / EWG, Richtlinie 9 7 / 5 2 / E W G , Richtlinie 8 9 / 6 6 5 / E W G , Richtlinie 9 2 / 1 3 /EWG, Richtlinie 9 3 / 3 8 / E W G , Richtlinie 9 8 / 4 / E G , Richtlinie 2001 / 7 8 / E G , Verordnung 2195 / 2002 / EG. Bei der Bearbeitung des Gesetzes vom 29. Januar 2004 sind auch manche Bestimmungen der zwei neuen, die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (COM 2000 / 275) sowie die Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (COM 2000 / 276) betreffenden Richtlinien berücksichtigt worden. 6 Die im Jahr 2004 verabschiedeten Richtlinien werden gute Wegweiser für die Bewertung des Standes und der Entwicklung des geltenden polnischen Vergaberechts sein, obwohl während des Gesetzverfahrens nur ihre Entwürfe bekannt waren und in Betracht gezogen worden sind. Das Amtsblatt Nr. L 134 vom 30 / 04 / 2004 enthält: Richtlinie 2004 / 17 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung und Richtlinie 2004/ 1 8 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom. 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge. Diese zwei Richtlinien, die am Tag ihrer Veröffentlichung, dem 30. April 2004, in Kraft getreten sind, sollen spätestens am 31. Januar 2006 durch die Mietgliedstaaten der Europäischen Union umgesetzt worden sein. Nach ihrem Wortlaut werden folgende Richtlinien aufgehoben: 92 / 50 / EWG, 93 / 36 / EWG, 93 / 37 / EWG, 93 / 38 / EWG. 7

5 6 7

AOA-Kommentar 2004, S. 81-83. AOA-Kommentar 2004, S. 81-82. Amtsblatt Nr. 134 vom 30 / 04 / 2004 S. 0001-0113 und S. 0114-0240.

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts

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II. Die Entwicklung des polnischen Vergaberechts bis zum Gesetz von 2004 Das durch das Gesetz vom 29. Januar 2004 aufgehobene und ersetzte Gesetz vom 10. Juni 1994 trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Das frühere Gesetz bestimmte Grundsätze, Formen und Verfahren der Vergabe der öffentlichen Aufträge, das zuständige Organ der Regierungsverwaltung, sowie Protest- und Berufüngsverfahren in Bezug auf öffentliche Aufträge. Für die Angelegenheiten im Bereich der öffentlichen Aufträge war der Präsident des Amtes für Öffentliche Aufträge, der weiter als , Amtspräsident' 4 auftritt, zuständig, der dem Ministerpräsidenten unterstand und unter anderem an der Wahl der Form mancher Vergabeverfahren teilnahm. Es war damals zwischen sechs Verfahrensformen zu unterscheiden: -

unbeschränkte Vergabe,

-

beschränkte Vergabe,

-

zweistufige Vergabe,

-

Verhandlungen unter Berücksichtigung des Wettbewerbs,

-

Preisanfrage,

-

freihändige Vergabe.

Unbeschränkte Vergabe war die Hauptform der Vergabe der öffentlichen Aufträge im früheren Gesetz. Seine Vorschriften verpflichteten die Auftraggeber, nationale und ausländische Bieter und Erbringer im Vergabeverfahren nach gleichen Regeln zu behandeln. Darüber hinaus wäre ein lauterer Wettbewerb zu berücksichtigen. 8 Unter zahlreichen aufgelisteten Aufraggebern waren insbesondere auch die staatlichen Haushaltseinheiten und Einheiten der Territorialen Selbstverwaltung. Der Ministerrat konnte diese Liste auf andere, über öffentliche Mittel verfügende Subjekte in einer Rechtsverordnung erweitern. 9 Das frühere Gesetz sah ein Protest- und Berufungsverfahren vor. Nach einer einen Protest betreffenden Entscheidung stand einem interessierten Lieferanten oder Erbringer das Recht auf Berufung zu. Unbeschadet der Bestimmungen des aufgehobenen Gesetzes erfolgte das Berufungsverfahren nach den Vorschriften des polnischen Zivilrechts. Laut seinen Vorschriften wurde eine Berufung durch ein Kollegium von Schiedsrichtern behandelt.10

8

Dz. U. 1994 Nr 76, Pos. 344 mit späteren Änderungen - Art. 14-18. Dz. U. 1994 Nr 76, Pos. 344 mit späteren Änderungen - Art. 4. 10 Dz. U. 1994 Nr 76, Pos. 344 mit späteren Änderungen - Art. 79-92.

9

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40

Das Gesetz vom 10. Juni 1994 wurde mehrmals geändert und es wurden zwei vereinheitlichende Fassungen veröffentlicht. 11 Beide Fassungen des früheren Gesetzes wurden auch geändert. Die letzten Änderungen der zweiten vereinheitlichenden Fassung traten am 1. Januar 2004 in Kraft. 12 In der beinahe ganzen neuneinhalbjährigen Geltungsperiode wurden die obenerwähnten sechs Vergabeformen angewandt. Die unbeschränkte Vergabe blieb die Hauptform. Was die Vergabeformen anbetrifft, fällt insbesondere in der Fassung des Jahres 2002 eine neue, erweiterte Regelung der beschränkten Vergabe auf. 13 Die eine unterschiedliche Behandlung der nationalen und ausländischen Lieferanten und Erbringer umfassenden Regelungen blieben. Es ist jedoch zu betonen, dass das Gesetz vom 22. Juni 2001 über Änderung des Gesetzes über öffentliche Aufträge das Streichen der Vorschriften betreffs der nationalen Präferenz vorsah, was am Tag des Beitritts der Republik Polen in die Europäische Union hätte erfolgen sollen. 14 In das frühere Gesetz wurden neue Vorschriften eingeführt, die insbesondere eine Klage auf ein Urteil eines Kollegiums von Schiedsrichtern betrafen. 15 Deren Adressat war ausschließlich das Bezirksgericht in Warschau. 16 In der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom Jahr 1994 konnte eine Klage nur im durch die Vorschriften des Zivilverfahrensgesetzbuches über das Schiedsgericht bestimmten Rahmen eingelegt werden. Nach dem eingefügten Art. 92h stand eine Kassation hinsichtlich eines Urteils des oben erwähnten Bezirksgerichts nicht zur Verfügung. 17

11

Dz. U. 1998 Nr 119, Pos. 773 und Dz.. U. 2002 Nr 72, Pos. 664. Dz. U. 2001 Nr 76, Pos. 813, Dz. U. 2003 Nr 165, Pos. 1591. 13 Vergl.: Dz. U. 1994 Nr 76, Pos. 344 - Art. 32-33; Dz. U. 2002 Nr 72, Pos. 664 mit späteren Änderungen - Art. 52a - 52g. 14 Vergl.: Dz. U. 1994 Nr 76, Pos. 344 mit späteren Änderungen - Art. 18: Dz. U. 2002 Nr 72, Pos. 644 mit späteren Änderungen - Art. 18; Dz. U. 2001 Nr 76 (geändert Dz. U. 2001 Nr 154, Pos. 1802), Pos. 813 - Art. 1 Nr 17 und Art. 4 Nr 3. 15 Dz. U. 2002 Nr 72, Pos. 664 - Art. 92a und weiter. 16 Dz. U. 2002 Nr 72, Pos. 664 - Art. 92a; Das Gesetz vom 17. November 1964 Zivil Verfahrensgesetzbuch Dz. U. Nr 43, Pos. 296 mit späteren Änderungen. In Polnisch: ustawa z dnia 17 listopada 1964 r. - Kodeks post^powania cywilnego Dz. U. Nr 43, poz. 296 z pözn. zm. 17 Dz. U. 2002 Nr 72, Pos. 664 mit späteren Änderungen. 12

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts

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III. Inhalt des Gesetzes aus dem Jahre 2004 Verglichen m i t dem Gesetz v o m 10. Juni 1994 über öffentliche Aufträge ( i n der Fassung v o m Jahr 2 0 0 2 1 8 ) ist der Inhalt des geltenden Gesetzes v o m 29. Januar 2004 grundsätzlich erweitert, geändert und neu gegliedert. Diese neue gesetzliche Gliederung dient einem besseren und übersichtlichen Vergabeverfahren. 1 9 Das Gesetz v o m 29. Januar 2004 ist i n neun Kapitel gegliedert und die meisten davon umfassen drei bis fünf Abschnitte. I m Gesetz sind folgende Kapitel ausgezeichnet worden: -

Kapitel I. Generelle Bestimmungen (Art. 1 - 1 3 ) ;

-

Kapitel II. Vergabeverfahren (Art. 14 - 98);

-

Kapitel I I I . Besondere Vorschriften (Art. 99 - 138);

-

Kapitel I V . Verträge i n den Vergabeangelegenheiten (Art. 1 3 9 - 1 5 1 ) ;

-

Kapitel V . Der Präsident des Amtes für Öffentliche Aufträge (Art. 152 178);

-

Kapitel V I . Rechtsschutzmittel (Art. 179 - 198); Kapitel V I I . Haftung für Verletzung der Gesetzvorschriften (Art. 199 — 203);

-

Kapitel V I I I . Änderungen der geltenden Vorschriften (Art. 204 - 219);

-

Kapitel I X . Übergangs- und Schlussbestimmungen (Art. 220 - 2 2 7 ) . 2 0

18

Dz. U. 2002 Nr 72, Pos. 664 mit späteren Änderungen. AOA-Kommentar 2004, S. 83. 20 Regelungsgegenstand, Grundsätze der Vergabe der Aufträge und Bekanntmachungen sind entsprechend die Titel der drei Abschnitte (1, 2, 3) des ersten Kapitels und bestimmen seinen Inhalt. Im Abschnitt 1. dieses Kapitels sind der Subjekt- und Sachbereich des Gesetzes sowie ein Vokabular dargestellt. Der Inhalt des zweiten Kapitels, was die Titel der fünf dort eingegliederten Abschnitte (1-5) bestätigen, betrifft folgende Fragen: Auftraggeber und Ausführender, Verfahrensvorbereitung, Vergabeformen, Auswahl des günstigsten Angebots und Verfahrensdokumentierung. Im dritten Kapitel befinden sich Vorschriften, die nach dem Kapiteltitel einen besonderen Charakter besitzen und sich auf folgende Sachverhalte erstrecken: Wettbewerbliches Verfahren, Vergabe und Konzessionen in Bezug auf Bauleistungen, Sektoraufträge, Verfahren nach besonderen Grundsätzen. Diese Sachverhalte entsprechen den vier Titeln der Abschnitte des dritten Kapitels. Nach dem den Verträgen in den Vergabeangelegenheiten gewidmeten Kapitel IV folgt Kapitel V unter dem Titel: Der Präsident des Amtes für Öffentliche Aufträge, in dem folgende vier Abschnitte ausgewiesen sind: Handlungsbereich (1), der Rat für Öffentliche Aufträge (2), Kontrolle der Vergabe der öffentlichen Aufträge (3), Schiedsrichter (4). Das aus vier Abschnitten zusammengefasste Kapitel VI. Rechtsschutzmittel bezieht sich auf: ausgegliederte (Abschnitt 1) gemeinsame Vorschriften, Protest, Berufung und Klage bei Gericht. Die in Abschnitte nicht gegliederten obenerwähnten Kapitel V I I - IX ergänzen das Gesetz. 19

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Marek Brzeski

1. Anwendungsbereich Der Gegenstand des Gesetzes vom 29. Januar 2004 sind öffentliche Aufträge. Nach dem Gesetz sind öffentliche Aufträge entgeltliche, zwischen einem öffentlichen Aufraggeber und einem Ausfuhrenden abgeschlossene Verträge, deren Gegenstand Dienstleistungen, Lieferungen oder Bauleistungen sind. 21 Als Auftraggeber tritt eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine organisierte Einheit ohne juristische Persönlichkeit, die zur Anwendung des Gesetzes verpflichtet sind, auf. 22 Ein Ausführender ist eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine organisierte Einheit ohne juristische Persönlichkeit, die sich um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags bewirbt, ein Angebot abgegeben hat oder im Hinblick auf einen öffentlichen Auftrag einen Vertrag abgeschlossen hat. 23 Nach dem Gesetz ist unter der Lieferung der Kauf von Sachen, Rechten und anderen Gütern, insbesondere aufgrund eines Verkauf-, Lieferungs-, Miet-, Pacht- und Leasingvertrags, zu verstehen. 24 Bauleistungen werden, in der gesetzlichen Definition, als Ausführung oder Planung und Ausführung (im Sinne des polnischen Baurechts) sowie als Ausführung (gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen) von Bauleistungen durch Dritte ausgelegt.25 Als

Zum Vergleich die Gliederung des Gesetzes vom 10. Juni 1994 über öffentliche Aufträge (in der geänderten und erweiterten Fassung vom Jahr 2002 - Dz.U. Nr 72, Pos. 664 mit späteren Änderungen): Abschnitt 1. Generelle Bestimmungen (Art. 1 - 6b); Abschnitt 2. Das Amt für öffentliche Aufträge (Art. 7 - 12); Abschnitt 3. Grundsätze der Vergabe der öffentlichen Aufträge (Art. 12a - 27d); Abschnitt 4. Unbeschränkte Vergabe (Art. 2 8 - 5 1 ) ; Abschnitt 4a. Beschränkte Vergabe (Art. 52a - 52g); Abschnitt 5. Zweistufige Vergabe (Art. 53 - 62); Abschnitt 6. Andere Verfahren der Vergabe der öffentlichen Aufträge (Art. 6 3 - 7 1 ) ; Abschnitt 7. Verträge in den Vergabeangelegenheiten (Art. 72 - 77); Abschnitt 8. Protest, Berufung und Klage (Art. 79 - 92h); Abschnitt 9. Änderungen der geltenden Vorschriften, sowie Übergangs- und Schlussbestimmungen (Art. 93 - 97). 21 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 2 Nr. 13. Das Adjektiv „öffentlich" im Zusammenhang mit dem Substantiv „Auftraggeber" tritt zwar direkt nicht in der gesetzlichen Definition auf, ihre Anwendung begründen jedoch der Titel und der Inhalt des Gesetzes. Vergl.: Richtlinie 2004 / 18 / EG - Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a. 22 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 2 Nr. 12. 23 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 2 Nr. 11. 24 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 2 Nr. 2. Vergl.: Richtlinie 2004 / 18 / EG - Art. 1 Abs. 2 Buchstabe c. 25 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 2 Nr. 8. Vergl.: Richtlinie 2004 / 18 / EG - Art. 1 Abs. 2 Buchstabe b.

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts

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Dienstleistungen treten hingegen alle Leistungen, deren Gegenstand weder Bauleistungen noch Lieferungen sind, auf. 26 Zur Anwendung der polnischen Vorschriften, die sich auf die Vergabe der öffentlichen Aufträge beziehen, sind vor allem Einheiten des Sektors des öffentlichen Finanzwesens im Sinne der Vorschriften über öffentliches Finanzwesen, die den Staat oder Gebietskörperschaften vertreten, verpflichtet. 27 Als Auftraggeber treten auch andere staatliche organisierte Einheiten (die Rechtspersönlichkeit nicht besitzen), von Einheiten des öffentlichen Finanzwesens oder anderen staatlichen Einheiten abhängige Subjekte sowie andere von den oben erwähnten öffentlichen Auftraggebern abhängige und im öffentlichen Auftragswesen tätige Subjekte auf. 28

2. Ausnahmen Den Sachbereich des Gesetzes vom 19. Januar 2004 - Recht für öffentliche Aufträge - begrenzen zahlreiche Ausschließungen. Erstens finden die Vorschriften des Gesetzes keine Anwendung auf die Aufträge (und Wettbewerbe), deren Wert 6 000 Euro nicht überschreitet. 29 Andere gesetzliche Ausschließungen beziehen sich auf: Gegenstand, Rechtsgrundlage oder Bereich der Aufträge. 30 Insbesondere fallen unter die Vorschriften des neuen polnischen Gesetzes nicht Aufträge, die aufgrund eines ausschließlichen Rechts vergeben werden. Ein ausschließliches Recht ist in einem Gesetz oder in einer Verwaltungsentscheidung zu bestimmen.31 Manche neuen polnischen Vorschriften, in Zusammenhang mit den entsprechenden Vorschriften der Europäischen Union, finden in ausgewählten Bereichen keine Anwendung. 32

26 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 2 Nr. 10. Vergl.: Richtlinie 2004 / 18 / EG - Art. 1 Abs. 2 Buchstabe d. 27 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 3 Abs. 1 Nr. 1. Ustawa z dnia 26 listopada 1998 r. o finansach publicznych, tekst jednolity, Dz. U. z 2003 r. Nr 15, Pos. 148, z pözn. zm. [Gesetz vom 26. November 1998 über öffentliches Finanzwesen, in der vereinheitlichenden Fassung der Bekanntmachung des Jahres 2003, Dz. U. 2003 Nr 15, Pos. 148, mit späteren Änderungen] - Art. 5. 28

Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 3 Abs. 1. Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 4 Nr. 8. 30 Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 4. 31 Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 4 Nr. 6. 32 Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 177, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 4; AOAKommentar 2004, S. 89-90; Richtlinie 92 / 50 / EWG, einschließlich ihrer Anhänger 1A, IB. 29

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Marek Brzeski

3. Vergabegrundsätze Aufgrund des Abschnitts 2. Grundsätze der Auftrags vergäbe (in dem allgemeinen Vorschriften gewidmeten Kapitel I.) des Gesetzes vom 19. Januar 2004 gelten als Grundsätze der Vergabe der Aufträge: -

lauterer Wettbewerb,

-

Gleichbehandlung von Ausführenden,

-

Unparteilichkeit und Objektivität,

-

Öffentlichkeit,

-

Schriftlichkeit. 33

Das neue polnische Gesetz, genauso wie frühere Regelungen, setzt eine Dezentralisierung des Systems der Vergabe der öffentlichen Aufträge voraus. 34 Eine Unabhängigkeit von Handlungen eines Auftraggebers in diesem Bereich veranlasst zur Anerkennung der Dezentralisierung als eines Grundsatzes und Ergänzung des oben dargestellten Grundsatzkatalogs. 35 Nach dem neuen polnischen Gesetzes ist der Vorsteher des Auftraggebers für die Vorbereitung und die Durchsetzung des Vergabeverfahrens verantwortlich. Der Amtspräsident, das Organ der Zentralverwaltung in Polen, der die staatliche Kontrolle im Bereich des öffentlichen Auftragswesens durchführt, kann nur unter im Gesetz bestimmten Voraussetzungen eingreifen. 36

4. Schwellenwerte Im Gesetz vom 19. Januar 2004 treten folgende Hauptschwellenwerte auf: 6.000, 60.000, 5.000.000 und 10.000.000 Euro. Im Hinblick auf die Regelungen der Europäischen Union kann es zweckmäßig sein, eventuell noch zwei ergänzende Schwellenwerte in der Höhe von 750.000 und 130.000 Euro in Betracht zu ziehen.

33

Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 7-10. Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 14 und weiter; M. Stachowiak / J. Jerzykowski : Prawo zamöwieri publicznych - projekt nowej ustawy [Recht für öffentliche Aufträge - der Entwurf des neuen Gesetzes], Finanse Komunalne 2004 Nr 1,S. 46. 35 Insbesondere: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 14 und weiter, Art. 152 und weiter; Art. Vergl.: AOA-Kommentar 2004, S. 90. 36 Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 14 und weiter, Art. 152 und weiter. 34

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts

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Der niedrigste Schwellenwert beträgt 6.000 Euro und entspricht der Grenze, oberhalb deren die Vorschriften des neuen polnischen Gesetzes Anwendung auf öffentliche Aufträge finden. 37 Diese Schwelle ermöglicht, im Rahmen dieser niedrigen Höhe reibungslos anzukaufen, ohne die Bestimmungen des Gesetzes berücksichtigen zu müssen.38 60.000 Euro ist nach der neuen polnischen Regelung die Schwelle, nach deren Überschreitung die Veröffentlichungspflicht im polnischen Bulletin für Öffentliche Aufträge, weiter als ,Auftragsbulletin" bezeichnet, entsteht.39 Der Wert von 60.000 Euro ist entscheidend im Hinblick auf: Vergabeform und Verlauf des Vergabeverfahrens, Antragsform, Verifikation von Ausführenden, Inhalt der Spezifikation, Fristen. Davon hängt ab, ob eine und unter welchen Bedingungen eine Vergabeform angewendet werden kann. Über dieser Schwelle entsteht die Pflicht, eine Vergabekommission zur Durchführung eines Vergabeverfahrens einzuberufen. Unter ihrer Höhe gelten mildere Erfordernisse hinsichtlich der Antragsform und des Inhalts der Spezifikation. Über diesem Wert werden eine Verifikation von Ausführenden, eine Kautionseinlage sowie die Übermittlung der Bekanntmachung an den Amtspräsidenten und der Angaben des Ausführenden und des Vergabepreises obligatorisch. Über dieser Grenze ist dem Amtspräsidenten nach dem Abschluss des Auftragsvertrags auch die Auftragsvergabe mitzuteilen. 40 Darüber hinaus ist sofort eine schriftliche Bestätigung zu übergeben. 41 Der Schwellenwert von 5.000.000 Euro betreffs der Lieferungen und Dienstleistungen und von 10.000.000 Euro betreffs der Bauleistungen verpflichtet -

zur Veröffentlichung in der im ganzen Staat zugänglichen polnischen Presse,

-

zu einer vorhergegangenen und obligatorischen Kontrolle des Amtspräsidenten und einer Kontrolle eines beauftragten Beobachters während des Vergabeverlaufs. 42

37

Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 4 Nr. 8. M. Stachowiak / J. Jerzykowski: Prawo zamöwien publicznych - projekt nowej ustawy [Recht für öffentliche Aufträge - der Entwurf des neuen Gesetzes], Finanse Komunalne 2004 Nr 1,S. 46. 39 Vergl. insbesondere: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 117 mit späteren Änderungen - Art. 40 Abs. 2, Art. 43 Abs. 2 und Abs. 4 Nr. 1, Art. 49 Abs. 2 und Art. 154 Nr. 3. 40 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen; vergl. unter anderen: Art. 19, 26, 28, 36, 43, 45, 49, 52, 55, 62, 67, 70, 74, 85, 92, 95, 116, 118. 41 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 27, 28. 42 Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen: Art. 40 Abs. 4, Art. 167, Art. 177. 38

46

Marek Brzeski

Diese Werte betreffen auch insbesondere nicht nur die Pflicht, dem Amtspräsidenten jährlich über in einem Jahr vergebene Aufträge zu berichten, sondern auch die Vorgabe, diesen Bericht in einer durch den Ministerrat der Republik Polen in einer Rechtsverordnung bestimmten Form abzufassen. 43 Die Schwelle von 5.000.000 Euro wird flankiert durch zwei andere Schwellen, die 750.000 oder 130.000 Euro betragen. 5.000.000 Euro für Bauleistungen sowie 750.000 Euro für Lieferungen und Dienstleistungen sind die Werte, bei deren Überschreitung eine Mitteilungspflicht gegenüber der Europäischen Union entsteht. Der Wert von 750.000 Euro ist ein summierter Wert von Lieferungen oder Dienstleistungen im Rahmen einer Gruppe, die das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge bestimmt. Jedes Jahr soll ein Ausführender einmal dem Veröffentlichungsamt der Europäischen Gemeinschaften Vorinformation, danach unverzüglich dem polnischen Amtspräsidenten, über die in den folgenden zwölf Monaten geplanten, diese Werte überschreitenden Aufträge übermitteln. 44 Dem Veröffentlichungsamt der Europäischen Gemeinschaft ist eine Auftragsbekanntmachung bei einer die Höhe von 5.000.000 Euro überschreitenden Vergabe von Bauleistungen und einer die Höhe von 130.000 Euro überschreitenden Vergabe von Lieferungen oder Dienstleistungen zu übermitteln. 45

5. Ausschreibung und Verfahren Ein Vergabeverfahren führt ein Auftraggeber durch, der für die Vorbereitung und die Ausführung des Verfahrens verantwortlich ist. Aufgrund besonderer Vorschriften können diese Aufgaben auch einem anderen Organ zugeschrieben sein. 46 Ein Auftraggeber kann die Vorbereitung oder die Ausführung eines Auftragsvergabeverfahrens einer eigenen Organisationseinheit oder einem Dritten übertragen. In diesem Fall handeln die obenerwähnten Subjekte als seine Bevollmächtigten. Eine gemeinsame Auftragsverfahrensausführung und -vergäbe sind auch aufgrund des Gesetzes möglich. Bei Vergaben über der obenerwähnten Schwelle von 60.000 Euro ist nicht nur die Einberufung einer Vergabekommission, sondern auch die Verifikation von Ausführenden und die schriftliche Form einzuhalten. Unterhalb dieser

43

Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 98. Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 13. Diese Informationspflicht betrifft auch Sektoraufträge, was in Art. 128 dieses Gesetzes steht. 45 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen: Art. 40 Abs. 3, Art. 49 Abs. 3, Art. 90 Abs. 4, Art. 95 Abs. 2. 46 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 14 und weiter. 44

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Grenze kann ein Auftraggeber eine Vergabekommission einberufen und eine Verifikation von Ausführenden durchfuhren. 47 Der Gegenstand der Vergabe ist eindeutig, ausführlich und insbesondere mittels technischer und qualitativer Eigenschaften darzustellen. Der Gegenstand ist auch unter Beachtung von existierenden Polnischen Normen, die europäische harmonisierte Normen übertragen, zu beschreiben. Bei der Beschreibung sind Namen und Codes des Gemeinsamen Vokabulars für öffentliche Aufträge anzuwenden und ein lauterer Wettbewerb durchzuführen. 48 Die Beschreibung einer Vergabe begleitet eine Spezifikation ihrer wesentlichen Bedingungen, die bei die Grenze von 60.000 Euro nicht überschreitenden Aufträgen weniger detailliert dargestellt werden kann. Eine Spezifikation ist generell gebührenfrei. 49 Grundlage der Feststellung des Vergabewerts ist das gesamte Schätzungsentgelt eines Ausführenden, das eine Mehrwertsteuer nicht erfasst. Im Hinblick auf die Bestimmung dieses Werts in Euro, der nicht Zahlungsmittel in der Republik Polen ist, ist ein Wechselkurs gegenüber der polnischen Währung (Zloty / PLN) festzustellen. Diese Aufgabe erfüllt der Ministerpräsident der Republik Polen in der Form einer Rechts Verordnung. Mindestens einmal in zwei Jahren ist dieser Wechselkurs unter Berücksichtigung des durch die Polnische Nationalbank während der letzten vierundzwanzig Monate bekannt gegebenen mittleren Eurowechselkurses festzusetzen. 50 Ein Ausführender kann nur ein Angebot abgeben. Ein Auftraggeber kann ein Variantenangebot zulassen, wenn der Preis nicht das einzige Auswahlkriterium ist. Ein Angebot ist in schriftlicher Form oder, mit Billigung des Auftraggebers, in der elektronischen mit einer sicheren, d.h. einem qualifizierten Zertifikat versehenen Unterschrift einzureichen. Sein Inhalt muss wesentlichen Auftragsspezifikationsbedingungen entsprechen. Der Auftraggeber wählt aufgrund einer Spezifikation bestimmter wesentlicher Auftragsbedingungen das günstigste Angebot aus.51

47

Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 19 - 28. Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 29 und weiter. 49 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 36 - 38. Vergl.: Art. 42 Abs. 2 (eventuell die Deckung der Druck- und Versandkosten). 50 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 32 Abs. 1, Art. 35 Abs. 3. 51 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel II. Vergabeverfahren, Abschnitt 4. Auswahl des günstigsten Angebots, Art. 82 - 95. 48

48

Marek Brzeski

Während des Verlaufs eines Auftragsvergabeverfahrens wird durch den Auftraggeber ein schriftliches Protokoll abgefasst. Jeder Auftraggeber fertigt einen Jahrbericht über die vergebenen Aufträge an. 52

6. Vergabeformen Aufgrund des Gesetzes vom 29. Januar 2004 können allgemeine und besondere Vergabeformen unterschieden werden. Allgemeine Vergabeformen umfassen: 1. unbegrenzte Vergabe, 2. begrenzte Vergabe, 3. Verhandlungen mit Veröffentlichung, 4. Verhandlungen ohne Veröffentlichung, 5. freihändige Vergabe, 6. Preisanfrage, 7. elektronische Auktion. Als besondere Vergabeformen treten -

Wettbewerb,

-

Bauleistungskonzession (Baukonzession),

-

Sektoraufträge,

-

Verfahren nach besonderen Grundsätzen (ausländischer Dienst außerhalb der Europäischen Union, eine Naturkatastrophe) auf.

Die obenerwähnten besonderen Vergabeformen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den allgemeinen Vergabeformen. Ihre Besonderheit besteht in der Ergänzung oder der Modifizierung der allgemeinen Vergabeverfahrensvorschriften. Bauleistungskonzessionen und Sektoraufträge werden generell nach den Vorschriften über unbegrenzte Vergabe, begrenzte Vergabe oder Verhandlungen mit Veröffentlichung vergeben. Eine Wettbewerbsausschreibung kann die Einladung zu Verhandlungen ohne Veröffentlichung oder zu Verhandlungen eines Vertrags im Rahmen einer freihändigen Vergabe vorsehen.

52

Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel II. Vergabeverfahren, Abschnitt 5. Verfahrensdokumentierung - Art. 96, Art. 98.

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts

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Die unbegrenzte Vergabe und die begrenzte Vergabe, die zwei Hauptvergabeformen im polnischen Gesetz, entsprechen dem offenen und dem nichtoffenen Verfahren in den Vorschriften der Europäischen Union. Genauso wie die EU-Gesetzgebung sieht das neue polnische Gesetz die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Verhandlungen mit Veröffentlichung, Verhandlungen ohne Veröffentlichung und elektronische Auktion vor. Eine ein- oder mehrstufige elektronische Auktion ermöglicht einem Ausfuhrenden eine direkte Abgabe von günstigeren Angeboten, die automatisch klassifiziert werden. Ein eingelegtes Angebot ist - unter Androhung der Nichtigkeit mit einer sicheren, verifizierten elektronischen Unterschrift zu versehen. Einen Auftrag bekommt der Ausführende, der - bei Vergaben bis 60.000 Euro - den niedrigsten Preis angeboten hat. 53 Eine Preisanfrage richtet der Auftraggeber an ausgewählte Ausführende (nicht weniger als fünf ) und lädt sie zur Einreichung von Angeboten ein. Dieses Vergabeverfahren betrifft allgemein zugängliche Lieferungen oder Dienstleistungen, deren Qualitätsstandards bestimmt sind und deren Wert nicht 60.000 Euro überschreitet. Keine Preisverhandlungen werden in Verfahren durchgeführt, wo der niedrigste Preis eine Auswahl entscheidet.54 Ein Preisanfragenverfahren sei ein weniger konkurrenzfähiges, weniger übersichtliches und weniger modernes Verfahren als eine elektronische Auktion. Deswegen solle es mit der Zeit durch elektronische Auktionen eliminiert sein.55 Eine freihändige Vergabe ist bei Vorliegen von folgenden Voraussetzungen zugelassen: -

die Durchführung kann nur von einem Ausführenden geleistet werden,

-

ein durchgeführter Wettbewerb,

-

,Angebotsmangel",

-

eine dringende, unvorgesehene Notwendigkeit (weswegen Fristen für andere Vergabeverfahren nicht eingehalten werden können),

-

zusätzliche Bau- oder Dienstleistungen eines bisherigen Ausführenden (in einem begrenzten Ausmaß),

53 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel II. Vergabeverfahren, Abschnitt 3.Vergabeformen, Unterabschnitt 7. Elektronische Auktion - Art. 74 -

81.

54 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel II. Vergabeverfahren, Abschnitt 3.Vergabeformen, Unterabschnitt 6. Preisanfrage - Art. 6 9 - 7 3 . 55 AOA-Kommentar 2004, S. 101 - 102.

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-

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ergänzende Angebote (begrenzte Frist und begrenztes Ausmaß) 56.

Auch in diesem Fall spielt der Wert eines Auftrags eine Rolle, und zwar hinsichtlich einer Einwilligung des Amtspräsidenten und der Notwendigkeit der Erfüllung von die Teilnahme an einem Vergabeverfahren ermöglichenden Bedingungen. Unbeschadet der obenerwähnten Bestimmungen findet diese Einwilligung des Amtspräsidenten in bezug auf Wasserlieferungen oder Abwässerabführungen, Elektrizitäts-, Gas- oder Wärmelieferungen, allgemeine Postdienstleistungen, Bahnforderungsdienstleistungen nicht statt.

7. Weitere Bestimmungen Verträge in Vergabeangelegenheiten unterstehen den Vorschriften des polnischen Zivilgesetzbuches, wenn die Vorschriften des Gesetzes vom 19. Januar 2004 diese Angelegenheiten nicht anders regeln. Diese Verträge werden öffentlich bekanntgemacht und sind mit den den Zugang zu öffentlichen Informationen betreffenden Vorschriften vereinbar. Die schriftliche Form ist einzuhalten, es sei denn, dass spezielle Vorschriften eine besondere Form fordern. 57 Im Grundsatz, der zahlreiche Abweichungen kennt (Wasser-, Abwasser-, Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeleitung), ist ein Vertrag auf eine bestimmte Zeit abzuschließen58. Außerdem erfasst das Kapitel Vorschriften, die die Nichtigkeit eines Vertrags vorsehen, wenn insbesondere dem Amtspräsidenten oder dem Veröffentlichungsamt der Europäischen Gemeinschaften keine Auftragsbekanntmachung übergeben worden ist. 59 Der Amtspräsident ist das Zentralorgan der Regierungsverwaltung im öffentlichen Auftragswesen, der aufgrund der Vorschriften des Gesetzes vom 19. Januar 2004 durch den Ministerpräsidenten der Republik Polen auf eine (nur einmal erneuerbare) Amtszeit von fünf Jahren berufen wird. Diese Berufung bezieht sich auf im Rahmen eines offenen Wettbewerbsverfahrens ausgewählte Kandidaten (polnische Bürger). In der Ausübung seiner Kompetenzen, die ins-

56 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel II. Vergabeverfahren, Abschnitt 3.Vergabeformen, Unterabschnitt 5. Freihändige Vergabe - Art. 69 73. 57 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel IV. Verträge in den Vergabeangelegenheiten - Art. 139 - 151. Vergl. Gesetz vom 23. April 1964 - Zivilgesetzbuch Dz. U. Nr 16, Pos. 93 mit späteren Änderungen. In Polnisch: ustawa z dnia 23 kwietnia 1964 r. - Kodeks cywilny Dz. U. Nr 16, poz. 93 z pözn. zm. 58 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 142 - 143. 59 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 146.

Stand und Entwicklung des polnischen Vergaberechts

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besondere in der Kontrolle bestehen, wird er durch einen Rat für Öffentliche Aufträge unterstützt. 60 An den Vergabefahren nehmen Schiedsrichter teil. Aus den Schiedsrichtern werden durch den Amtspräsidenten Beobachter ausgewählt, die Verfahren hinsichtlich den Wert von 10.000.000 Euro überschreitender Bauleistungen und den Wert von 5.000.000 Euro überschreitender Lieferungen oder Dienstleistungen obligatorisch kontrollieren. Im Rahmen des Rechtsschutzes stehen an einem Vergabeverfahren teilnehmenden Subjekten (Ausführender, Teilnehmer oder andere Subjekte im Hinblick auf ihre Rechtsinteressen) wie im früheren Gesetz vom Jahr 1994 Protest, Berufung sowie Klage auf ein Urteil eines Kollegiums von Schiedsrichtern zu. Eine Kassation auf ein Gerichtsurteil ist ausgeschlossen.61 Nach den neuen polnischen Vergabevorschriften können Proteste und Berufungen auch unter einem Wert von 60.000 Euro erfolgen. 62 Verglichen mit dem früheren Gesetz, ist die Übertragung der örtlichen Zuständigkeit von dem Bezirksgericht in Warschau auf die Bezirksgerichte, die im Hinblick auf den Sitz oder den Wohnort des Auftraggebers zuständig sind, zu betonen.63 Ein die Vorschriften des Gesetzes verletzender Auftraggeber ist zur Zahlung einer Geldstrafe verpflichtet, die der Amtspräsident in einer Verwaltungsentscheidung auferlegt. 64

IV. Zusammenfassung Das neue polnische Gesetz vom 29. Januar 2004 - Recht für öffentliche Aufträge - ist eine Komplexregelung, die mit der Gesetzgebung der Europäischen Union vereinbar sein sollte. Seine Vorschriften bestimmen Gegenstand, Subjekt- und Sachbereich, Grundsätze, Vergabe verfahren, Verträge in den Vergabeangelegenheiten, Aufsicht, Rechtsschutzmittel und Haftung für Verletzung der Gesetzvorschriften. Dieses Gesetz führt frühere polnische Regelungen, insbesondere im Hinblick auf Aufsicht und Rechtsschutz, fort. Änderungen, die

60 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel V. Der Präsident des Amtes für Öffentliche Aufträge - Art. 152 - 178. 61 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel VI. Rechtsschutzmittel - Art. 179 - 198. 62 Vergl.: Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 180 und weiter, Art. 184 und weiter; AOA-Kommentar 2004, S. 113. 63 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Art. 195. 64 Dz. U. 2004 Nr 19, Pos. 177 mit späteren Änderungen - Kapitel VII. Haftung für Verletzung der Gesetzvorschriften - Art. 199 - 203.

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vor allem im Zusammenhang mit dem Beitritt in die Europäische Union stehen, sind jedoch sichtbar. Eine Modifizierung der Vergabeformen erfolgte nach den geltenden und neuen, am 31. Januar 2006 in Kraft tretenden Richtlinien der Europäischen Union. Abgesehen von der freihändigen Vergabe und einer Preisanfrage entsprechen die polnischen allgemeinen Vergabeformen den EU-Richtlinienregelungen. Unter den allgemeinen Vergabeformen fällt die Ergänzung durch eine elektronische Auktion auf, die lange vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist eingeführt worden ist. Sie ist die einzige vollständig neue Vergabeform im polnischen Rechtssystem und soll in der Zukunft eine größere Rolle spielen. Die besonderen Vergabeformen sind generell nach dem Muster der EU-Richtlinien geregelt. Das gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge sowie europäische harmonisierte Normen sind zu berücksichtigen. Der Gegenstand, Subjekt- und Sachbereich sowie die Grundsätze des neuen polnischen Gesetzes spiegeln die EU-Gesetzgebung wieder. Mitteilungspflichten gegenüber dem Veröffentlichungsamt der Europäischen Gemeinschaften gelten seit dem Beitritt der Republik Polen in die Europäische Union. Die gesetzlichen Anwendungsschwellen sind in Euro angegeben.

Volksbanken im Wettbewerb und Vergabewesen Von Gerhard Braun

I. Einleitung: Volksbanken im Wettbewerb und Vergabewesen - 140 Jahre Partner in der Region Wenn man unter Vergabewesen versteht, dass mit den damit verbundenen Regelungen „Wettbewerb" gewährleistet werden soll, dann besteht zumindest zwischen den beiden Begriffen Volksbanken und Wettbewerb kein Widerspruch. Genossenschaften und speziell Kreditgenossenschaften fühlen sich dem Wettbewerb verpflichtet. Wir haben in diesem Jahr mit mehreren Veranstaltungen das 140. Jubiläum der Volksbank gefeiert. 140 Jahre sind kein typisches Jubiläum. Wir sahen es aber für den gegebenen Zeitpunkt, nach dem organischen und erfolgreichen Zusammenwachsen der verschiedenen Fusionspartner, diese 140 Jahre in einer Chronik zu dokumentieren und zu feiern. Die genossenschaftlichen Institute sind heute etabliert und gerade deshalb ist es wichtig, die Frage nach den Ursprüngen und der Entstehung der Organisation zu stellen. Die Ursprünge der Volksbank reichen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und müssen im Rahmen der gesellschaftspolitischen Gegebenheiten dieser Zeit gesehen werden: Welche wirtschaftlichen Verhältnisse haben zur Bildung genossenschaftlicher Zusammenschlüsse geführt? Welche sozialen Ursachen haben diese weltumspannende Bewegung ausgelöst? Welches sind die geistesgeschichtlichen Wurzeln, die sozialen, ethischen und kulturellen Elemente? Die Anfänge der modernen Genossenschaftsbewegung liegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit drang die Idee von der Freiheit des Menschen in das Bewusstsein ein. Nach der geistigen Freiheit, der Freiheit des Glaubens, hat mit der französischen Revolution der Kampf um die politische und soziale Freiheit begonnen. Die französischen Revolutionsheere trugen diese Ideale über die Grenzen Frankreichs hinaus. Mit dem „Hambacher Fest" steht 1832 Neustadt im Mittelpunkt des politischen Geschehens. Hier entluden sich die Proteste und Anklagen gegen die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im zersplitterten Deutschland. Im Jahr 1834 gab es einen neuen,

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aber sehr kleinen Schritt in Richtung deutscher Einheitsstaat: der Deutsche Zollverein. Er wurde 1834 von Hessen-Darmstadt, Bayern, Württemberg, Kurhessen, Sachsen, den Thüringer Staaten und Preußen gegründet. Der Deutsche Zollverein machte den Deutschen Bund zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Handelsstaat mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Einigung durch den Abbau von Zöllen und anderen wirtschaftlichen Widerständen innerhalb des Deutschen Bundes. Die unterschiedlichsten Gewichts-, Münz- und Maßeinheiten innerhalb des deutschen Bundes stellten weitere Einschränkungen dar. In der Mitte des 19. Jahrhunderts trachteten die Menschen nun auch nach Freiheit auf dem Gebiet der Wirtschaft. „Liberalismus" wurde das große Wort der Zeit. Wenn man bis dahin gewirtschaftet hatte um zu leben, wurde jetzt der Profit das Idol und auch zum Schicksal der Menschen. Technische Fortschritte - Dampfmaschine, Eisenbahn, elektrischer Strom und Telefon - haben gewaltsam die überkommenen sozialen Strukturen verändert. Die Menschen erlebten damals die Veränderungen, ähnlich wie wir heute, aus ihrer Sicht als Globalisierung. Zwischen dem schrankenlosen Liberalismus und dem Sozialismus entstand das genossenschaftliche Prinzip. Der Einzelne verband sich unter Wahrung seiner individuellen Verantwortlichkeit mit anderen zu einer wirtschaftlichen Gruppe. Damals entstanden die Grundprinzipien der Genossenschaftsidee, die bis heute Geltung haben: „Selbsthilfe - Selbstverwaltung - Selbstverantwortung" Der Wortteil „Selbst" steht für Freiheit, Eigenverantwortung und Wettbewerb. A m Beispiel der Volksbank bedeutet Selbsthilfe, dass 1864 mehr als 100 angesehene Bürger, Mittelständler würde man heute sagen, die Bank gegründet haben, angestoßen von der durch Hermann Schulze-Delitzsch in praktische Form gebrachten Idee der genossenschaftlichen Solidarität - keine Gründung durch einen hoheitlichen Verwaltungsakt. Heute dominieren bei der Rückbesinnung auf die Genossenschaftsgründer im Wesentlichen nur noch die Hauptpersonen Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich-Wilhelm Raiffeisen. Die vielen Initiatoren vor Ort sind häufig in Vergessenheit geraten. Im August 1864 lud der Speyerer Gewerbeverein SchulzeDelitzsch zu einer Versammlung nach Speyer ein. Durch die Initiative SchulzeDelitzsch fand am 15. September eine Generalversammlung zur endgültigen Festlegung der zuvor erarbeiteten Satzung statt. Weit über 100 Bürger trugen sich als Mitglieder in die aufliegenden Listen ein. Im Gründungsjahr des Vorschussvereins, 1864, hatte Speyer 12.190 Einwohner in 2.815 Familien. 1989 feierte die Bank ihr 125-jähriges Bestehen. Dieses besondere Jubiläum wurde unter den Leitspruch ,»Durch Leistung weiter" gestellt und bildete gleichzeitig auch die geschäftspolitische Zielsetzung für die kommenden Jahre. „Sie

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schreibt seit langem ein bedeutendes Stück Speyerer Wirtschaftsgeschichte mit", so begann der Jubiläumspressebericht vom 14.10.89 einer regionalen Tageszeitung. Zu dieser Zeit rangierte die Volkbank bundesweit unter mehr als 3.000 Kreditgenossenschaften unter den „Top 50", in Rheinland-Pfalz belegt sie mit einer Bilanzsumme von 832,3 Mio. D M zum 30.12.89 sogar die zweite Stelle. Der Wachstumskurs der Volksbank setzte sich auch in den folgenden Jahren fort. Die Volksbank fusioniert mit der Raiffeisenbank Speyer-West, mit der Raiffeisenbank Römerberg-Lingenfeld, mit der Neustadter Volksbank, mit der Raiffeisenbank Haßloch und mit der Volksbank Hockenheim. Die heutige Volksbank Speyer-Neustadt-Hockenheim ist damit eine Mischung von verschiedenen ländlichen und gewerblichen Genossenschaften in der Region zwischen Neustadt und Hockenheim.

II. Entwicklung der letzten Jahre Kredite und Einlagen haben sich in den letzten drei Jahren verhalten entwickelt. Bei diesem Thema muss ich etwas weiter ausholen, weil sich im Kreditgeschäft die besonderen Konturen der Volksbank zeigen. 80 % der Bilanzsumme sind Firmenkredite. Der Durchschnitt liegt bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken bei nur 63 %. Von dem gesamten Kreditvolumen der Bank entfallen fast die Hälfte, genau 45 %, auf gewerbliche Finanzierungen. Der Rest, 55 %, entfällt auf private, überwiegend Wohnbaufinanzierungen. Vor wenigen Jahren war das Kreditgeschäft noch vom Firmenkreditgeschäft bestimmt. Rund 60 % unseres Kreditvolumens waren Firmenkredite. Mittlerweile hat sich die Relation zugunsten der Privatkredite gedreht. Unser Kreditvolumen stieg 2003 um 13 Mio. Euro, ca. 1,2 % auf 1.080 Mrd. Euro. Im Firmenkreditbereich sind unsere Partner das Handwerk, speziell das Bauhandwerk, der Handel und das Dienstleistungsgewerbe. Betriebe, die sehr stark von der Binnenkonjunktur abhängen. Die wirtschaftliche Lage der Handwerksbetriebe ist nach wie vor sehr angespannt. Die harten Indikatoren, Umsätze, Aufträge und Beschäftigung signalisieren nur eine Verlangsamung der Abwärtsentwicklung. Wesentliche Impulse, die für einen großen Teil des Handwerks aus dem Geschosswohnungsbau (Bauträger) oder dem öffentlichen Bau kommen, fehlen nach wie vor. Die schlechte Verbraucherstimmung, die auf die von der Regierung in Angriff genommenen Strukturreformen zurückzuführen ist, trifft den Einzelhandel erneut. Der sehr gedämpft verlaufende Konsum hat sich noch nicht belebt. Durch die aufgezeigte Entwicklung war bei unseren gewerblichen Kunden die Investitionsneigung sehr verhalten. Die daraus resultierende geringe Kreditnachfrage konnte aber durch Marktanteilsgewinne im privaten Wohnungsbau mehr als kompensiert werden. Besonders im Transakti-

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onsmarkt, der Finanzierung gebrauchter Immobilien, spürten wir Aufwind. Hier waren vielleicht auch Vorzieheffekte zu spüren, weil sich viele Bauherren oder Käufer noch die Eigenheimzulage in voller Höhe sichern wollten.

1. Mittelstand Sparkassen und Volksbanken sind aus unterschiedlichen Zielsetzungen entstanden. Aber trotz der Betonung der Verschiedenartigkeit sind kaum mehr Unterschiede in den geschäftlichen Betätigungsfeldern gegeben, sieht man vom Kommunalkreditgeschäft ab. Beide Säulen der deutschen Kreditwirtschaft haben sich zum Hauptpartner des klassischen Mittelstandes entwickelt, nachdem sich die Großbanken aus Risiko- und Kostengesichtspunkten aus diesem Geschäftsfeld zurückziehen. Es gibt unzählige Versuche, Mittelstand zu definieren. Nach einer weiten Definition zählen dazu 95 % der Unternehmen mit 70 % aller Arbeitnehmer. Für unser Haus orientieren wir uns an einem Ratingsegment im „BVR-Rating", wonach der klassische Mittelstand einen Jahresumsatz von bis zu 5 Mio.Euro hat. Hier liegt der Schwerpunkt unseres Kreditgeschäftes. Selbstverständlich betreuen wir auch Kunden, die oberhalb dieser Umsatzgröße, im oberen Mittelstand, über 5 Mio.Euro Jahresumsatz liegen. Anhaltspunkt für die mittelständische Ausrichtung der Bank kann die Auswertung der Struktur des Gesamtkreditvolumens, der durchschnittlichen Engagementgröße und die Größenkonzentration der Kreditanträge bieten: •

Nach unserer Erfahrung kommen unsere Kunden im Regelfall mit einem Finanzierungsvolumen von bis zu 5 Mio.Euro zurecht. Das lässt sich an den 30 größten Engagements unseres Hauses ablesen, die im Durchschnitt bei etwa 3,0 Mio.Euro liegen.



Von den Kreditanträgen im gewerblichen Bereich, es waren 2004 bis einschließlich August 860 Anträge, darunter natürlich auch zahlreiche Umschuldungen und Prolongationen, entfielen etwa 85 % auf Krediteinräumungen, die unter 500 TEUR lagen. Aus dieser Struktur allein lässt sich erahnen, wie stückkostenintensiv dieses Kreditgeschäft geworden ist, insbesondere auch durch zahlreiche aufsichtsrechtliche Regelungen in den letzten Jahren.

2. Organisation der Bank Wegen der Bedeutung der Mittelstandsfinanzierungen in unserem Hause haben wir dies bei der Organisation der Bank berücksichtigt. 1.100 Firmenkunden

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mit einem Kreditvolumen von 250 TEUR aufwärts haben wir einer zentralen Firmenkreditbetreuung zugeordnet. Daneben werden in verschiedenen dezentralen Einheiten 3.300 Gewerbekunden betreut. Nur so ist gewährleistet, dass alle Problemstellungen unserer Kunden von der Existenzgründung, Investitionsfinanzierung bis zur Unternehmensnachfolge fachlich kompetent begleitet werden können. Hier spielen selbstverständlich auch die Kenntnisse um mögliche Förderkredite eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich verschließen wir uns der Vermittlung von öffentlichen Förderkrediten, ganz gleich welche Förderung damit bezweckt wird, nicht; im Gegenteil, wir sehen diese Beratung als direkten Ausfluss unseres Förderungsauftrages - seien es KfW-C02-Minderung, ERP-EKH-Darlehen, ISB-Ausbildungsplätze oder LR-Landwirtschafl/Junglandwirte. Im Jahr 2003 haben wir 114 Kredite mit einem Gesamtvolumen von ca. 7 Mio. € vermittelt, was einem Durchschnittskreditvolumen von ca. 61 T€ entspricht. 2004 bis Anfang August waren es 91 Kredite mit einem Volumen von über 9 Mio. € (Durchschnittsvolumen 102 T€). Dies ist beachtlich wenn man bedenkt, dass die Investitionsbereitschaft des Mittelstandes in den vergangenen Jahren drastisch gesunken ist. Es gibt jedoch auch Kreditprogramme, z.B. KfW- oder ISB-Mittelstand, mit denen Investitionen finanziert werden, die innerhalb von 10 Jahren zu tilgen sind. Der hieraus resultierende Liquititätsentzug übersteigt häufig den von den Unternehmen erzielbaren Cash-Flow. Deshalb wird in solchen Fällen bereits beim Finanzierungsgespräch angeraten, eine andere Finanzierungsform zu wählen, um später zwangsläufig erforderlich werdende Umschuldungen zu vermeiden. Um die Eigenkapitalbasis von Existenzgründern zu verbessern und um manche Existenzgründung überhaupt erst zu ermöglichen, haben wir uns an der VcV, der Venture Capital Gesellschaft Vorderpfalz, mit 491,0 TEUR beteiligt. Wegen der Bedeutung, die wir dieser Form der Aufbringung von Risikokapital beilegen, haben wir uns nach der ISB mit der höchsten Quote beteiligt.

3. Kundeneinlagen Unsere Einlagenentwicklung ist einerseits geprägt von dem niedrigen Zinsniveau. Die historisch längste Niedrigzinsphase hat viele Kunden zum Parken ihrer Gelder in sofort verfügbarer Form veranlasst. Daher hat sich die Verschiebung unserer Einlagen zu täglich verfügbaren Einlagen auch im vergangenen Geschäftsjahr fortgesetzt. Andererseits konkurrieren wir mit uns selbst, nämlich mit den von uns bewusst angebotenen und von unseren Kunden nachgefragten interessanten Produkten unserer Verbundpartner, z.B. Union Investment sowie im Wertpapierbereich. Diese Geldanlagen wirken sich im Bilanzvolumen nicht

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aus. Trotzdem sind die bilanziellen Einlagen um ca. 70 Mio Euro auf 1.073 Mrd. Euro angewachsen.

III. Volksbanken und Wettbewerb In dem kleinen Markt, an dem wir tätig sind, begegnen wir einer großen Anzahl von Mitbewerbern. Aus dem genossenschaftlichen Bereich sind dies die Liga, Regensburg, Evangelische Kreditgenossenschaft Kassel, Sparda-Bank, Post Spar- und Darlehensverein, dann die verschiedenen Sparkassen und von den privaten Banken die Deutsche, Dresdner Hypo-Vereinsbank und Commerzbank. Für unsere Organisation ist es ein besonderes Ereignis, das wir mit Genugtuung erwarten, wenn im kommenden Jahre die Haftung der öffentlichen Hand für die eine Säule der deutschen Kreditorganisation wegfällt, nämlich die Haftung für die Sparkassen. „Öffentliche Hand" hört sich anonym an, aber tatsächlich ist sie personifiziert in den Bürgern. Diese bemerken dieses Haftungsrisiko erst dann, wenn sie die Haftung tatsächlich trifft. Wie hat das demgegenüber die Genossenschaftsorganisation geregelt? Wenn eine Genossenschaftsbank in Schwierigkeiten gerät und saniert werden muss, dann steht die Organisation solidarisch zusammen. Die Sanierungsmittel werden aus einem Garantiefonds entnommen, den die einzelnen Genossenschaftsbanken jährlich mit ihren Garantiefondsbeiträgen speisen. Es handelt sich um Promillesätze, die auf das risikogewichtete Kreditvolumen erhoben werden. Unser Haus hat in den vergangenen 3 Jahren mehr als 4 Mio. EURO an Garantiefondsbeiträgen bezahlt. Die Satzung dieses Garantiefonds wurde im vergangenen Jahr geändert und berücksichtigt bei der Höhe der Beiträge nun auch das gruppeninterne Rating des einzelnen Instituts. Die Beiträge liegen je nach Rating zwischen 90 und 140 % des Regelbeitragssatzes. Wichtig ist mir die Feststellung, dass die Genossenschaftsorganisation also nicht die Hilfe der Allgemeinheit in Anspruch nimmt; sie greift nicht - auch nicht indirekt - auf die Kunden der anderen Bankengruppen zurück. Bei den Sparkassen ist dies anders, wie ein aktuelles Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit zeigt, nämlich der ganz aktuelle Fall einer Sparkasse in unserer direkten Nachbarschaft, in unserem Geschäftsgebiet, wo die Stadt als Gewährträger für eine Vielzahl von Kreditrisiken, wie der Presse zu entnehmen war, eine Garantie über 27 Mio. € übernehmen musste. Hier tragen die Lasten auch die Bürger, die überhaupt nicht Kunde der Sparkasse waren. Sie merken es wohl erst dann, wenn keine Mittel mehr vorhanden sind, und zum Beispiel Straßen nicht mehr gebaut oder repariert werden, Kindergärten und andere Gebäude nicht mehr instand gehalten werden können. Hier wird deutlich, dass gegen die Grundsätze

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des freien Wettbewerbs massiv verstoßen wird. Hinzu kommt noch, dass die Probleme solcher Institute die Folge einer über Jahre dauernden verfehlten Kreditpolitik sind, was zusätzlich noch wettbewerbsverzerrend gewirkt hat. Wir werden damit konfrontiert, dass man in unserem Hause zu hohe Anforderungen an die Kreditvergabe stellt, ich erinnere nur an die Einhaltung der Offenlegungspflichten nach § 18 KWG, was bei anderen Instituten großzügiger, kundenfreundlicher gehandhabt wird.

IV. Die Volksbank Speyer-Neustadt-Hockenheim als Bewerber um öffentliche Aufträge (Kommunalkredite) Die Volksbank gewährt an die öffentliche Hand oder an bestimmte Einrichtungen der öffentlichen Hand Kredite. Die Kreditnehmer fordern Angebote an und entscheiden danach über den Zuschlag. Der Vergleich der von der Kreisund Stadtsparkasse Speyer und der Volksbank Speyer gewährten Kommunalkredite anhand der Bilanz zum 31.12.2003 zeigt offensichtlich eine Wettbewerbsverschiebung. Das Kreditvolumen der Sparkasse von 671 Mio. EURO enthält 36 Mio. EURO Kommunalkredite, das der Volksbank mit 1.023 Mio. Euro nur 15 Mio. EURO Kommunalkredite. Worin liegt die Ursache? Die Sparkasse haben bisher bei der Beschaffung von Refinanzierungsmitteln einen Wettbewerbsvorteil, der sich aus dem Rating ergibt. Die Haftung der öffentlichen Hand für die Sparkassen verschafft diesen ein einheitliches gutes Rating.

1. Unsere Kunden als Auftragnehmer der öffentlichen Hand Wie wirkt sich die Teilnahme unserer Kunden an öffentlichen Ausschreibungen auf unser Haus aus? Das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern tätigt Einkäufe und Vergaben in nahezu allen denkbaren Produkten - von der Alarmtechnik, Büroverbrauchsmaterial, Geschirr, Waffen bis zu Zelten. Bisher haben wir in unserem Kundenkreis nur Auftragnehmer für Bauleistungen, im wesentlichen im Tiefbau, im Hochbau und den damit verbundenen Ausbaugewerken festgestellt. Die öffentlichen Auftraggeber kommen aus der Region. Das Auftragsvolumen, das über das Beschaffungsamt abgewickelt wird, ist mit über 500 Mio Euro beachtlich. Der Schwerpunkt beim Investitionsvolumen liegt bei Kraftfahrzeugen und Hubschraubern und Informationstechnik. Dass wir hier in unserem Kundenkreis kein Engagement feststellen liegt zum einen an der Art der Produkte und auch daran, dass unser Haus auf den typi-

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sehen kleineren Mittelstand konzentriert ist, was sich auch in unserem Kreditgeschäft niederschlägt. Die Zahlungsmoral in Deutschland sinkt generell. Das Handwerk in Deutschland hat speziell den öffentlichen Auftraggebern eine schlechte Zahlungsmoral und damit eine Mitschuld an zahlreichen Betriebsinsolvenzen vorgeworfen. Besonders heftig trifft die sinkende Zahlungsmoral das Baugewerbe. In ihrer Umfrage bezeichnet fast jedes sechste Inkasso-Unternehmen das Zahlungsverhalten des öffentlichen Sektors als besonders problematisch. Viele Gemeinden in Deutschland stehen selbst vor den finanziellen Kollaps und strecken fällige Zahlungen so weit hinaus, wie es nur möglich ist. Es ist also davon auszugehen, dass bei einer Intensivierung der öffentlichen Aufträge in unserem Kundenkreis die Liquiditätslage der Unternehmen tangiert wird, was sich auf das Kreditvolumen der Bank auswirken kann. 2. Stellung der Volksbank Während es 1990, nach der Wiedervereinigung, noch etwa 3.000 Genossenschaftsbanken in Deutschland gab, ist diese Zahl mittlerweile auf ca. 1.390 Institute geschmolzen. Diese 1.390 Volks- und Raiffeisenbanken sind kleine, in ihrer Region verwurzelte Institute. Die noch 1.390 Institute - die Zielgröße liegt in fünf Jahren bei etwa 800 Instituten - haben eine durchschnittliche Bilanzsumme von 407 Millionen Euro. Nur 370 Institute erreichen diesen Durchschnittswert überhaupt. Die VolksbankSpeyer-Neustadt-Hockenheim steht mit einer Bilanzsumme von 1,4 Mrd. Euro an 31. Stelle dieser Institute. Gemessen am Kreditvolumen steht unsere Volksbank an 18. Stelle. Dies zeigt unsere starke Verankerung im mittelständischen und privaten Kreditgeschäft. Dabei kommt uns die Konzentration auf die beiden Kerngeschäftsfelder Privatkunden und mittelständische Firmenkundschaft zugute. Wir sind vor Ort präsent, bieten eine flächendeckende Versorgung mit Bankdienstleistungen, verfügen über umfassende Kenntnisse der örtlichen und regionalen Gegebenheiten und besitzen aufgrund unserer kontinuierlichen Geschäftsstrategie das Vertrauen der Menschen vor Ort. Natürlich erleichtert diese Kenntnis und Nähe auch die Entscheidungsfindung. Neben diesem Nutzen für unsere Mitglieder und Kunden bieten wir auch einen hohen Nutzen für unsere Region; wir haben ein großes Angebot an Arbeits- und Ausbildungsplätzen, leisten Steuerzahlungen vor Ort und unterstützen das Gemeinwesen durch Spenden und Sponsoring. Schließlich betreiben wir ein konsequentes Kostenmanagement, das sich in den nächsten Jahren in einer weiter notwendigen Verbesserung der Kosten-Ertragsrelation zeigen wird. Wir haben starke Verbundunternehmen, die dank der Vertriebsleistung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in ihrer Sparte jeweils

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Marktführer sind oder mindestens zur Spitzengruppe zählen. Jedes dieser Merkmale für sich allein - aber verstärkt noch durch ihr Zusammenwirken begründet eine günstige Ausgangslage für unser Haus in der von vielen Experten vorausgesagten Konsolidierung des deutschen Bankensektors. Unsere Wirtschaftsregion, die Vorderpfalz und die Kurpfalz wird gemeinhin als Einheit wahrgenommen. In der Kreditwirtschaft, gerade bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken ist man von einer Einheit aber weit entfernt. Zunehmend vollzieht sich auch bei den Genossenschaftsbanken eine Verdichtung in den jeweiligen Wirtschaftsräumen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Relationen unserer Bank stimmen, daran müssen wir weiter arbeiten, damit wir bei möglichen künftigen Fusionen den entsprechenden Einfluss haben. Mit den Strukturfragen ist auch die Diskussion um die 3 Säulen des deutschen Kreditgewerbes angesprochen. Das deutsche Bankensystem ist in den vergangenen Monaten ins Gerede gekommen. Das bisher eigentlich geregelte Miteinander von •

Sparkassen,



Genossenschaftsbanken und



privaten Geschäftsbanken

wird als zu starr kritisiert. Angefangen hat mit dieser Diskussion der Internationale Währungs Fonds; verstärkt hat es das Wirtschaftsministerium (Staatssekretär Koch-Weser). Und die Eigeninteressen der Großbanken, die dieses Thema gerne aufgegriffen haben, waren aus deren Verlautbarungen deutlich herauszuhören. Gegenstand dieser Diskussion war, dass die deutschen Banken (die privaten, die großen) zu klein und dadurch übernahmegefährdet seien. Die notwendigen Größen müssen durch Übernahmen, Zukäufe oder Fusionen ermöglicht werden. Kernpunkt ist jedoch die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Sektor für private Anteilseigner geöffnet wird. Nach der Diskussion um die Sparkasse Stralsund haben sich nun die CDU und FDP in Schleswig-Holstein für diese Öffnung ausgesprochen. Die Risikovorsorge für das Kreditportfolio hat in den letzten Jahren unsere Erfolgsrechnung tangiert - wie bei anderen Banken auch. Für die Zukunft sehen wir eine Entspannung. Weniger aus der Konjunktursituation, mehr schon aus unserem Kreditrisikomanagement, das wir kontinuierlich aufgebaut haben, und das wirkt. Im Neukreditgeschäft versuchen wir durch unser Ratingverfahren das Risiko von vornherein zu minimieren. Was sind denn unsere Hauptproblemfelder in Deutschland? An erster Stelle sind wir es, die Menschen: Der Bevölkerungsrückgang bei gleichzeitiger Veränderung der demografischen Struktur, verbunden mit einer problematischen

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Gerhard Braun

Entwicklung der staatlichen Finanzsysteme, besonders derer, die bei Krankheit, Alter und Ruhestand für uns Menschen zur Verfugung stehen. Die Öffentlichkeit entdeckt die Probleme häufig erst, wenn sie angepackt werden. Aber diese notwendigen Reformen, im wahrsten Sinne des Wortes notwendigen Reformen, die zu lange aufgeschoben waren, treffen uns nun hart und reichen trotzdem nicht aus. Hinzu kommt, dass die Arbeit in Deutschland zu teuer ist und immer mehr Arbeit an ausländische Produktionsstandorte abwandert, so dass hier die Arbeitslosigkeit übrig bleibt. Aus diesem Problemfeld resultieren Einkommenseinbußen durch Rentenkürzungen, höhere Sozialabgaben und Arbeitslosigkeit.

V. Resümee Nach § 1 GenG sind Genossenschaften Gesellschaften, welche die Förderung ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes (Genossenschaften) bezwecken. Dass wir unsere Mitglieder fordern, habe ich anhand unseres Kreditgeschäftes aufgezeigt. Das Nachdenken über das Thema Vergabewesen hat jedoch ergeben, dass wir eine weitere Förderchance in Verbindung mit berufsständischen Organisationen wie IHK oder Handwerkskammern haben: nämlich unsere Kunden an dieses Thema überhaupt heranzuführen und in der technischen Umsetzung zu unterstützen. Eine Aufgabe über die wir nachdenken werden.

Private Finanzierungsinitiativen und der Anwendungsbereich des konsolidierten Vergaberechts der Europäischen Union Von Heike Jochum*

I. Zum Begriff „Private Finanzierungsinitiativen" Private Finanzierungsinitiativen und die Frage nach dem Anwendungsbereich des nun neugeordneten Vergaberechts der Europäischen Gemeinschaft das Thema verpflichtet zunächst zu einer Erklärung: Die Formulierung „Private Finanzierungsinitiativen" bedarf der Erhellung. Man mag damit den englischen Begriff der „Private Finance Initiatives (PFI)" assoziieren. Und in der Tat ist diese gedankliche Verknüpfung gewollt. Das Modell „Private Finance Initiative" wurde in Großbritannien mit einer Regierungsinitiative im Jahre 1992 geprägt und wird dort in vielen Bereich der öffentlichen Aufgabenerfüllung erfolgreich praktiziert. 1 Der Begriff „Private Finance Initiative" umschreibt die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand, wobei Private für die Entwicklung, Erstellung, Finanzierung und den Betrieb der jeweiligen Einrichtung für eine bestimmte Zeit verantwortlich sind.2 Insbesondere die Praktiker unter Ihnen werden möglicherweise einwenden, daß damit nichts anderes gemeint sei, als das in Deutschland gebräuchliche sogenannte „Betreibermodell" und daß es sich dabei lediglich um eine besondere * Die Verfasserin ist Oberassistentin am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Wirtschafts-, Finanz- und Steuerrecht von Prof. Dr. Rudolf Wendt an der Universität des Saarlandes. 1 Vgl. Practical guide to PFI for higher education institutions, hefce Higher Education Funding Council for England; Public Private Partnerships in the National Health Service, http://www.hefce.ac.uk, 9.9.2004; The Private Finance Initiative, guidance endorsed by the Treasury Taskforce, http://www.pfi.ogc.gov.uk, 9.9.2004. 2 Vgl. die Definition der The International Project Finance Association: „PFI is defined as the procurement of public services and assets by government and local authorities where the private sector is responsible for the design, building, financing and operation of an asset or service for a specified period of time after which it is transferred back into the public sector." http://www.ipfa.org/mediafiles/library254.pdf , 9.9.2004.

Heike Jochum

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Spielart von Public Private Partnership (PPP) handele. 3 U n d damit haben Sie natürlich v ö l l i g recht. A u c h i n Deutschland hat spätestens Anfang der neunziger Jahre eine heftige Debatte u m die Mobilisierung privaten Kapitals z u m Zwecke der Realisierung öffentlicher Vorhaben begonnen. 4 Beflügelt wurde die Diskussion durch den Beitritt der neuen Bundesländer und die dort herrschende „Ausnahmesituation". 5 Die Finanzierung des infrastrukturellen Nachholbedarfs der neuen Länder und die angespannte Haushaltslage erzwangen innovative Lösungen. Erwogen wurden verschiedenste Modelle, denen i m K e r n ein Z i e l gemeinsam war: die Beschaffung privaten Kapitals. Ich w i l l nur einige prominente Modelle schlagwortartig anführen: A l l e n voran natürlich das Betreibermodell, aber auch Leasingmodelle, kommunales Factoring, Fondsfinanzierungen, Kooperationsmodelle,

Beteiligungs- und Projektfinanzierungen

sowie

Konzessionsmodelle sind zu nennen. 6 Viele dieser Modelle und neue, aus ihnen heraus entwickelte, Mischformen sind heute etabliert. I c h verweise nur auf das

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Vgl. Harald Noack , Öffentlich-private Partnerschaften, ihre praktische Bedeutung und die vergaberechtliche Behandlung, verbunden mit einem Ausblick, ZVgR 2000, 189 ff.; vgl. auch Meinrad Dreher, Public Private Partnerships und Kartellvergaberecht, NZBau 2002, 245 (253); zum Immobilien-Leasing als Finanzierungsinstrument der öffentlichen Hand vgl. Klaus Feinen, Einfluß des Vergaberechts auf das (Immobilien-) Leasing-Geschäft mit der öffentlichen Hand, ZVgR 1998, Sonderbeilage 1 / 1998, 5 f. 4 Hannes Rehm, Neue Wege zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1991, 14 ff.; Rolf Krämer, Private Finanzierung kommunaler Infrastrukturinvestitionen - Königsweg oder Sackgasse?, Der Gemeindehaushalt, 1992, 241 ff.; Christof Eichert, Betreibermodell contra Kommunalwirtschaft - Eine Vergleichsrechnung auf dem Prüfstand, Finanzwirtschaft 1992, 126 ff.; Jürgen Backes, Privatfinanzierung öffentlicher Infrastruktur am Beispiel des Verkehrs - ein Weg für die Kommunen?, Stadt und Gemeinde 1992, 180 ff.; Peter Knopp, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen - Entlastung oder Gefährdung der Kommunalhaushalte?, Finanzwirtschaft 1992, 15 ff.; allerdings standen weniger die vergaberechtlichen sondern insbesondere finanzverfassungsrechtliche, haushaltsrechtliche und steuerrechtliche Aspekte im Zentrum der Diskussion; vgl. dazu den Bericht der Arbeitsgruppe „Private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur", Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Bonn 1991; aus haushaltsrechtlicher Perspektive Rudolf Wendt, Haushaltsrechtliche Probleme der Kapitalbeteiligung Privater, in: Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Private Finanzierung kommunaler Investitionen, 4. Bad Iburger Gespräche, hrsg. von Jörn Ipsen, Köln u.a. 1994, S. 37 ff.; Günter Püttner, Die Privatfinanzierung öffentlicher Vorhaben - Weg oder Irrweg?, in: Festschrift für Karl Heinrich Friauf, hrsg. von Rudolf Wendt u.a., Heidelberg 1996, S. 729 (732 ff.); zu den finanzverfassungsrechtlichen Grenzen Wolfram Höfling, Private Vorfinanzierung öffentlicher Verkehrsinfrastrukturprojekte-ein staatsschuldenrechtliches Problem?, DÖV 1995, 141 ff. 5 Vgl. Peter Knopp, Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen - Entlastung oder Gefährdung der Kommunalhaushalte?, Finanzwirtschaft 1992, 15 (17). 6 Einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten der Kommunen bieten Ulrich Kirchhoff / Heinrich Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, 6. Aufl., Stuttgart 1996.

Private Finanzierungsinitiativen

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Niedersächsische Betreibermodell für Kläranlagen, 7 das sogenannte „Thüringer Modell" 8 oder das „Mogendorfer Modell" des Landes Rheinland-Pfalz. 9 Und diese Modelle können unproblematisch dem Bereich des Public Private Partnership zugerechnet werden. 10 Public Private Partnership ist in zahlreichen Modifikationen und Anwendungsfeldern üblich und umfaßt sämtliche Formen der vertraglichen Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und Unternehmen der Privatwirtschaft. 11 Der Begriff „Private Finance Initiative" findet dabei auch in Deutschland gelegentlich Verwendung. Überwiegend wird er mit Public Private Partnership gleichgesetzt.12 Richtiger scheint mir allerdings, „Private Finance Initiative" als einen spezifischen Ausschnitt, als einen Unterfall der Public Private Partnership-Projekte zu begreifen, der zwar dem Public Private Partnership zugehört, aber doch in besonderer Weise auf die Beschaffung privaten Kapitals zugeschnitten ist, das heißt die Finanzierungsfunktion der zugehörigen Modelle in den Vordergrund stellt. 13 Damit schlage ich keine neue Begriffsdefinition vor. Eine klare Begriffsabgrenzung scheint mir ohnehin kaum möglich. Jedoch möchte ich Ihr Augenmerk darauf lenken, daß sich derzeit eine nach meinem Dafürhalten neu akzentuierte Entwicklung beobachten läßt: Die Bedeutung der Finanzierungsfünktion bestimmter Formen von Public Private Partnership nimmt außerordentlich zu. Es hat sich gezeigt, daß die Be7 Dazu Ulrich Kirchhoff /Heinrich Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, 6. Aufl., Stuttgart 1996, S. 95 ff. 8 Eine Darstellung des „Thüringer Modells" am Beispiel der Erweiterung der Fachhochschule Schmalkalden findet sich unter http://www.thueringen.de/de/tfhi/aktuell/ bauen/schmalkalden/print.html, 9.9.2004; zur privaten Vorfinanzierung der Sanierung von Polizeibauprojekten nach dem „Thüringer Modell", vgl. Broschüre des Freistaats Thüringen, Fünf Polizeiprojekte privat vorfinanziert, hrsg. vom Thüringer Finanzministerium, Erfurt 2004. 9 Eine wohl annähernd erschöpfende Darstellung bietet der von der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmer e.V. herausgegebene praxisorientierte Leitfaden „Private (Vor)Finanzierung öffentlicher Baumaßnahmen", Bonn 1999; ähnlich Ulrich Kirchhoff/ Heinrich Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle fur kommunale Investitionen, 6. Aufl., Stuttgart 1996, S. 91 ff. 10 Vgl. Peter J. Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, 764 (765 f.). 11 Zum Begriff des Public Private Partnership Peter J. Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, 764 (764 f.). 12 Thomas Nickel / Hannes Kopf, Public Private Partnerships: Ein Ausweg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand? Private Finanzierung öffentlicher Hochbaumaßnahmen in Deutschland, ZfBR 2004, 9 (10); ebenso die PPP-Task Force des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, Vergaberechtsleitfaden, Public Private Partnership im Hochbau, Düsseldorf 2003, S. 7. 13 Ähnlich Grünbuch der Europäischen Kommission zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften und den Gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen vom 30.4.2004, KOM(2004) 327, S. 9.

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strebungen, privates Kapital für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu mobilisieren, weder räumlich auf das Gebiet der neuen Länder beschränkt noch zeitlich auf die Phase unmittelbar nach der Vereinigung Deutschlands befristet ist. 14 Es handelt sich vielmehr um eine dauerhaft zu bewältigende Herausforderung. Dem „Kind" ist deshalb ein Name zu geben. Und da der Begriff „Private Finance Initiative" in Großbritannien eine durchaus spezifische Prägung erfahren hat, ist die deutsche Formulierung „Private Finanzierungsinitiativen" vielleicht doch Vorzugs würdig.

II. Sind Private Finanzierungsinitiativen vom Anwendungsbereich des neuen Vergaberechts noch umfaßt? Diskussionen um Begrifflichkeiten sind jedoch möglichst auf das unvermeidliche Maß zu beschränken. Deshalb will ich diesen Punkt nicht weiter vertiefen. Meine Aufgabe besteht darin, getreu dem Generalthema unserer Tagung „Vergaberecht im Wandel", zu den Veränderungen Stellung zu nehmen, die das nun neu strukturierte Vergaberecht der Europäischen Gemeinschaft in diesem Bereich, das heißt für die Mobilisierung privaten Kapitals zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, mit sich bringt. Und hier möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Satz lenken, korrekter sogar nur einen Halbsatz, der sich neuerdings in den Vergaberichtlinien findet: „... gehören ... Finanzinstrumente ..., insbesondere Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, nicht zu den finanziellen Dienstleistungen im Sinne der vorliegenden Richtlinie. ..."

Diesen Halbsatz enthält das neue Vergaberecht gleich an mehreren Stellen: Zunächst in Erwägungsgrund Nr. 27 der Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR) 1 5 und sprachlich leicht modifiziert in Art. 16 lit. d VKR; darüber hinaus in Erwägungsgrund Nr. 35 der Sektorenkoordinierungsrichtlinie (SKR) 1 6 sowie sprachlich angepaßt in Art. 24 lit. c SKR.

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Vgl. dazu nur die Beiträge „Alternative Finanzierungsmodelle in der Praxis", Behörden Spiegel, September 2004, S. 47; „Finanzierungsrisiko beim privaten Partner", Behörden Spiegel, September 2004, S. 24; „Streit um Mautrisiko belastet den privaten Autobahnbau", FAZ vom 17.8.2004, S. 13. 15 Richtlinie 2 0 0 4 / 1 8 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. Nr. L 134 vom 30.4.2004, S. 114). 16 Richtlinie 2 0 0 4 / 1 7 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren der Zuschlagserteilung durch Auftrag-

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Nun mögen bereits einige erleichtert aufatmen, die in der Vergangenheit mit überaus komplexen Vergabeverfahren im Zusammenhang mit der Beschaffung privaten Kapitals zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und insbesondere zur Realisierung öffentlicher Infrastrukturprojekte befaßt waren. Das aufwendige Ausschreibungsverfahren wird vielfach geradezu als „Abschreckung" empfunden. 17 Und wenn man der Einschätzung der Europäischen Kommission folgte, wäre diese Hoffnung wohl sogar berechtigt. Die Europäische Kommission hatte die Einfügung des genannten Halbsatzes in die neuen Vergaberichtlinien (zunächst) mit der Begründung vehement abgelehnt, dieser Ausschluß hätte zur Folge, daß jede Projektfinanzierung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, insbesondere regionaler Art, ohne Ausschreibung auf europäischer Ebene vergeben werden könnte. 18 Letztlich haben sich die Befürworter der Reglung, die auf einen Vorschlag des Europäischen Parlaments zurückgeht, 19 gegen den Widerstand der Europäischen Kommission durchgesetzt. Damit stellt sich die Frage, ob nun nach Inkrafttreten der neuen Richtlinien tatsächlich sämtliche Projektfinanzierungen 20 öffentlicher Auftraggeber und möglicherweise darüber hinaus jegliche oder zumindest bestimmte Formen privater Finanzierung öffentlicher Aufgabenerfüllung ohne Ausschreibung vergeben werden können. Dieser Frage wollen wir auf den Grund gehen.

geber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. Nr. L 134 vom 30.4.2004, S. 1). 17 Vgl. bereits den Bericht „Bonn will privates Engagement bei Kommunalinvestitionen fördern", FAZ 1993, S. 41; ähnlich die Bewertung der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmer e.V., Private (Vor)Finanzierung öffentlicher Baumaßnahmen, Bonn 1999, S. 14. 18 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge, 2000 / 0115(COD), Begründung zur Abänderung 37, S. 47 f. 19 Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates übe die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge (KOM(2000)275 C 5-0367 / 2000 - 2000 / 0115(COD)), Sitzungsdokument A5-0378 / 2001 Teil 1, Änderungsantrag 37 bezüglich Art. 18 Buchstabe d). 20

Mit dem Begriff der Projektfinanzierung werden Sachverhalte beschrieben, bei denen eine Bank oder ein Unternehmenskonsortium eine Projektgesellschaft finanziert, die zur Realisierung eines bestimmten Investitionsvorhabens gegründet wurde; vgl. Meinrad Dreher / Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002,413 (424).

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1. Bisherige Rechtslage Bevor ich darauf eingehe, welche Veränderungen die neuen vergaberechtlichen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft bezüglich der verschiedenen Formen privater Finanzierungsinitiativen enthalten, scheint es mir geboten, einen Blick auf die bisherige Rechtslage zu werfen. Sie werden mir nachsehen, daß ich mich dabei auf eine sehr grobe Skizzierung der wesentlichen Grundfragen beschränken muß. Auch werde ich darauf verzichten müssen, haushaltsrechtliche 21 oder steuerrechtliche Aspekte 22 zu erörtern. Fragen haushaltsrechtlicher und steuerrechtlicher Natur spielen natürlich bei der Entscheidung über die Finanzierung einer öffentlichen Maßnahme und ihre konkrete Gestaltung eine große Rolle. Und diese Gesichtspunkte treten nicht selten in ein schwierig aufzulösendes Spannungsverhältnis nicht allein zu vergaberechtlichen Aspekten. Aus Zeitgründen muß ich solche Überlegungen gleichwohl weitgehend aussparen. Werfen wir einen Blick auf die bisherigen Regelungen des europäischen Vergaberechts hinsichtlich der Behandlung von Finanzierungsgeschäften. In der bisher geltenden Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie (DKR) 2 3 war folgender Erwägungsgrund Nr. 13 enthalten: „Zu den finanziellen Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie gehören nicht Instrumente der Geld-, Wechselkurs-, öffentlichen Kredit- oder Geldreservepolitik sowie andere Politiken, die Geschäfte mit Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten mit sich bringen; Verträge über Emission, Verkauf, Ankauf oder Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten sind daher von dieser Richtlinie nicht erfaßt. Dienstleistungen der Zentralbanken sind gleichermaßen ausgeschlossen."

Art. 1 lit. a (VII) der DKR bestimmte, daß nicht als öffentliche Dienstleistungsaufträge im Sinne der Richtlinie galten:

21 Dazu instruktiv Rudolf Wendt, Haushaltsrechtliche Probleme der Kapitalbeteiligung Privater, in: Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Private Finanzierung kommunaler Investitionen, 4. Bad Iburger Gespräche, hrsg. von Jörn Ipsen, Köln u.a. 1994, S. 37 ff.; vgl. auch Günter Püttner, Die Privatfinanzierung öffentlicher Vorhaben - Weg oder Irrweg?, in: Festschrift für Karl Heinrich Friauf, hrsg. von Rudolf Wendt u.a., Heidelberg 1996, S. 729 (732 ff.); Thomas Nickel /Hannes Kopf, Public Private Partnerships: Ein Ausweg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand? Private Finanzierung öffentlicher Hochbaumaßnahmen in Deutschland, ZfBR 2004, 9(12 f.) 22 Vgl. dazu Ulrich Kirchhoff/Heinrich Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, 6. Aufl., Stuttgart 1996, S. 128 ff. 23 Richtlinie 9 2 / 5 0 / E W G des Rates vom 18.6.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsverträge (ABl. Nr. L 209 vom 24.7.1992, S. 1 ff.).

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„Verträge über finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, Verkauf, Ankauf oder Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten sowie Dienstleistungen der Zentralbanken."

Auf dieser Grundlage wurde kontrovers über den sachlichen Anwendungsbereich des europäischen Vergaberechts diskutiert. In Deutschland wurde die Debatte auf dem Boden der entsprechenden Umsetzungsvorschrift, § 100 Abs. 2 lit. m Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 2 4 , geführt. a) Formale Sichtweise Weitgehend Einigkeit bestand allein darin, wieweit die Ausnahmeregelung bezüglich der Dienstleistungen der Zentralbanken reichte. Die Zentralbankklausel erfaßte die Dienstleistungen, die die Deutsche Bundesbank und ihre Hauptgeschäftsstellen, die Landeszentralbanken, für öffentliche Auftraggeber erbringen. 25 Die Dienstleistungen der Landesbanken und Sparkassen waren demgegenüber nicht vom Vergaberecht befreit. 26 Im übrigen wurde zum Teil eine eher restriktive Auslegung der Norm befürwortet. Diese Auffassung stützte sich insbesondere auf Definitionen des Begriffs „Finanzinstrument" wie sie das übrige Gemeinschaftsrecht liefert. 27 So bestimmt Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten 28 unter Bezugnahme auf Abschnitt B des Anhangs der Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen 29 den Begriff „Finanzinstrument". In Ab-

24 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.8.1998 (BGBl. I S. 2546), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.11.2003 (BGBl. IS. 2304). 25 Meinrad Dreher / Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002, 413 (419); Kai Hailbronner, in Byok / Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, Heidelberg 2000, § 100 GWB Rdnr. 433. 26 Meinrad Dreher / Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002,413 (419); Heike Jochum, Die deutschen Landesbanken und Girozentralen am Ende einer langen Tradition?, NZBau 2002, 69 (70); differenzierend Thomas Noelle, Die Auftraggebereigenschaft öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute (Vortrag 2), in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 87 (96). 27 Meinrad Dreher / Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002, 413 (420 f.); Hinrich Thieme, in Lange / Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Aufl., Neuwied u.a. 2001, § 100 GWB Rdnr. 49; Theodor Müller, in: Daub / Meierrose / Eberstein, Kommentar zur VOL / A, 4. Aufl., Düsseldorf 1998, § 1 a Rdnr. 45. 28 Richtlinie 93 / 6 / EWG des Rates vom 15.3.1993 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (ABl. Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 1 ff.). 29 Richtlinie 93 / 2 2 / E W G des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen (ABl. Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 27).

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schnitt B des Anhangs der Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen werden unter anderem aufgelistet: Wertpapiere, Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen, Geldmarktinstrumente, Finanzterminkontrakte (Futures) einschließlich gleichwertiger Instrumente mit Barzahlung, Zinsterminkontrakte, Zins- und Devisenswaps sowie Kauf- und Verkaufsoptionen auf all diese Instrumente. Gegen diesen - einengenden - Interpretationsansatz ließe sich zum einen ein formaler Einwand erheben. Die Begriffsdefinitionen der beiden genannten Richtlinien sind zeitlich später als die vergaberechtliche Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie erlassen worden. Es ist daher zumindest nicht zwingend anzunehmen, daß der Begriff „Finanzinstrument" in der älteren Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie bereits in dem Sinne verwandt wurde, wie von den später erlassenen Richtlinien festgelegt. Zum anderen wurde bemängelt, daß diese restriktive Sichtweise der Ausnahmeregelung jede praktische Bedeutung nehme.30 Darüber hinaus wurde der Rückgriff auf die Definitionen des Begriffs des Finanzinstruments in den Richtlinien über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten 31 sowie der Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen 32 aus materiellen Erwägungen abgelehnt. Der Rückgriff gehe ins Leere, so wurde vorgebracht, weil sich unter den so definierten Begriff beispielsweise unverbriefte Anleihen ohnehin nicht subsumieren ließen.33 b) Das Kriterium

der „ Kapitalmarktbezogenheit

"

Vereinzelt wurde vertreten, daß der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift in erster Linie danach zu bestimmen sei, daß Geschäfte dem Geltungsbereich des Vergaberechts entzogen seien, denen ein besonderes Vertrauensverhältnis zugrunde liege. Daneben seien die Eigenarten des Kapitalmarktes zu berücksichtigen. 34 Eine starke Literaturmeinung stellte demgegenüber allein auf

30 Kai Hailbronner, in: Byok / Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, Heidelberg 2000, § 100 GWB Rdnr. 434. 31 Richtlinie 93 / 6 / EWG des Rates vom 15.3.1993 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (ABl. Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 1 ff.). 32 Richtlinie 93 / 2 2 / E W G des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen (ABl. Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 27). 33 Standpunkt der Kommissionsdienstellen der Generaldirektion Binnenmarkt, in der Mitteilung der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinien 9 2 / 5 0 / EWG und 93 / 38 / EWG auf Finanzdienstleistungen, namentlich auf Fälle der Kreditaufnahme vom 26.10.1999, CC / 99 / 69-DE, S. 7. 34 Rainer Bechthold, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 3. Aufl., München 2002, §100 GWB Rdnr. 18; zustimmend Fridhelm

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die Kapitalmarktbezogenheit der Geschäfte ab, fragte also danach, ob die Besonderheiten der Finanzmärkte eine Anwendung des Vergaberechts unmöglich oder unpraktikabel erscheinen ließen. Kapitalmärkte, so wurde argumentiert, zeichneten sich durch hohe Schnellebigkeit aus. Die Konditionen änderten sich bis zu mehrmals täglich. Insbesondere wurde auf die Volatilität der Finanzmärkte, das heißt die kontinuierliche Änderung der Gleichgewichtspreise zwischen Angebot und Nachfrage für Finanzprodukte abgehoben. Diese lasse die Anwendung des Fristensystems und der Verfahrensregeln des öffentlichen Auftragswesens mit Blick auf das Ziel eines transparenten, effizienten und fairen Wettbewerbs nicht sinnvoll erscheinen. 35 Das relativ schwerfällige Instrumentarium des öffentlichen Vergaberechts sei kaum geeignet, auf schnellebige Marktmechanismen im Wege einer europaweiten Ausschreibung zeitnah zu reagieren. 36 Jedenfalls, so wurde insbesondere in der Praxis vielfach angenommen, würde die förmliche europaweite Ausschreibung der Vergabe von Finanzdienstleistungsaufträgen nicht zu günstigeren Konditionen für die öffentliche Hand führen. 37 c) Interpretation

als „staatlicher Fiskalvorbehalt"

Nach anderer Auffassung war die Ausnahmeregelung im Sinne eines „staatlichen Fiskalvorbehalts " zu interpretieren. Die gesamte Finanzpolitik der Mitgliedstaaten sollte nach dieser Meinung vom Vergaberecht unbeeinflußt bleiben. Der Entscheidungsspielraum des demokratisch legitimierten parlamentarischen Haushaltsgesetzgebers in Fragen der staatlichen Kreditpolitik dürfe, so wurde gefordert, nicht durch vergaberechtliche Regeln beschränkt werden. 38 Marx, Anwendung des Vergaberechts auf Finanzdienstleistungen, in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 97 (99). 35 Sven Brandt, Kreditwirtschaftliche Aspekte des Vergaberechts, W M 1999, 2525 (2528 f.); vgl. auch Kai Hailbronner, Die Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts auf die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, W M 2002, 1674 (1681 f.). 36 Hinrich Thieme, in: Lange / Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Aufl., Neuwied u.a. 2001, § 100 GWB Rdnr. 50. 37 Manfred Nieland, Das Schuldenmanagement der öffentlichen Hand und die Vergabe von Finanzdienstleistungen (Vortrag 2), in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 7(16); andere gehen sogar von einer Erhöhung der Kreditkosten bei Anwendung des Vergaberechts aus; vgl. Wolfgang Kälberer, Die Vergabe von Finanzdienstleistungen aus der Sicht der Kreditwirtschaft, in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 17 (21). 38 Kai Hailbronner, Die Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts auf die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, W M 2002, 1674 (1677); gegen das Argument der kreditpolitischen Bedeutung, vgl. Standpunkt der

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Das Vergaberecht dürfe nicht zum „Hemmschuh staatlichen Handelns" werden, indem es die Finanzierung des Staates über die Kapitalmärkte beeinflußt. Finanzentscheidungen des Staates und öffentlicher Körperschaften müßten, soweit sie sich über den Kapitalmarkt finanzierten, vom Vergaberecht freigestellt werden. Nach diesem Ansatz sollte die Ausnahmevorschrift extensiv ausgelegt werden. Neben den Transaktionen mit Wertpapieren und anderen Finanzinstrumenten oder Darlehensgeschäften sollte die Norm danach alle vorbereitenden und begleitenden Dienstleistungen umfassen, die „mit den Finanzierungsgeschäften in einem solchen Zusammenhang stehen, daß sie die Durchführung des Geschäfts selbst beeinflussen" können. 39 d) Konsequenzen Welche Bedeutung kam diesem Meinungsstreit für die Finanzierung öffentlicher Projekte zu? I m Kern konzentrierte sich die Diskussion auf die vergaberechtliche Einordnung der Kommunalkredite , das heißt der klassischen Finanzierungsform der Gebietskörperschaften. 40 Die Befürworter einer extensiven Interpretation der Ausnahmeregelung des Art. 1 lit. a (VII) DKR gingen davon aus, daß die Kommunalkreditaufnahme von der Vorschrift erfaßt würde. Investitionsentscheidungen i m Kommunalkreditbereich würden, so wurde vorgebracht, regelmäßig nicht viele Wochen i m voraus getroffen, so daß diese Finanzdienstleistungen bei Anwendung der Fristen des Vergaberechts unmöglich gemacht würden. 41 Die Flexibilität des Instruments „Kommunaldarlehen" wür-

Kommissionsdienstellen der Generaldirektion Binnenmarkt, in der Mitteilung der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinien 92 / 50 / EWG und 93 /38 / EWG auf Finanzdienstleistungen, namentlich auf Fälle der Kreditaufnahme vom 26.10.1999, QC199169-DE, S. 6 f. 39 Kai Hailbronner, in: Byok / Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, Heidelberg 2000, § 100 GWB Rdnr. 436; derselbe, Die Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts auf die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, W M 2002, 1674 (1677 ff.). 40 Vgl. Fridhelm Marx , Anwendung des Vergaberechts auf Finanzdienstleistungen, in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 97 (100). 41 Hinrich Thieme, in: Lange / Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Aufl., Neuwied u.a. 2001, § 100 GWB Rdnr. 52; Kai Hailbronner, Die Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts auf die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, WM 2002, 1674 (1682); Sven Brandt, Kreditwirtschaftliche Aspekte des Vergaberechts, W M 1999, 2525 (2528 f.); Theodor Müller, in: Daub / Meierrose / Eberstein, Kommentar zur V O L / A , 4. Aufl., Düsseldorf 1998, § 1 a Rdnr. 46; Hannes Rehm, Die Umsetzung der EGRichtlinien zum öffentlichen Auftragswesen in nationales Recht, ZögU 1993, 322 (328 ff.); a.A. Meinrad Dreher / Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002,413 (426 f.).

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de im Fall starrer Vergaberichtlinien verloren gehen und damit den Anforderungen der öffentlichen Verwaltungen an eine wirtschaftliche Kreditaufnahme zuwiderlaufen. 42 Die Gegenauffassung sprach demgegenüber selbst der Darlehensfinanzierung des Bundes 43 jeden kreditpolitischen Charakter ab und ging daher davon aus, daß die Ausnahmevorschrift des Art. 1 lit. a (VII) DKR auf Kommunalkreditgeschäfte erst recht keine Anwendung finden könne. 44 Hinsichtlich der verschiedenen Formen projektgebundener Finanzierung, die der privaten (Vor-)Finanzierung öffentlicher Investitionen dienen, wurde die Anwendbarkeit des Vergaberechts seltener diskutiert. Selbst die Befürworter einer extensiven Auslegung der in Art. 1 lit. a (VII) DKR geregelten Ausnahmen gingen weitgehend übereinstimmend davon aus, daß diese Finanzierungsformen regelmäßig dem Vergaberecht unterfallen. Betrachten wir beispielsweise das Neubauleasing 45 oder auch Formen der Betreibermodelle im Bereich des Hochbaus. Dabei handelt es sich regelmäßig um Formen des Bauauftrags. Diese fielen in den Anwendungsbereich der Baukoordinierungsrichtlinie 46 und wurden daher von der Ausnahmeregelung des Art. 1 lit. a (VII) DKR nicht erfaßt. Die Einordnung solcher Modelle als Bauauftrag bleibt von deren nicht unerheblichen Finanzierungsfunktion in der Regel unberührt. 47 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist davon auszugehen, daß ein Vertrag, um als Bauauftrag bewertet zu werden, die hauptsächliche Errichtung eines Bauwerks zum Inhalt haben muß. Bauleistungen führen dagegen dann nicht zu einer Einordnung des Vertrags als öffentli42 Wolfgang Kälberer, Die Vergabe von Finanzdienstleistungen aus der Sicht der Kreditwirtschaft, in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 17 (21). 43 Zu den verschiedenen Formen der Geld- und Kapitalbeschaffung des Bundes vgl. Peter Jabcke, Das Schuldenmanagement der öffentlichen Hand und die Vergabe von Finanzdienstleistungen (Vortrag 1), in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001, S. 1 ff. 44 Vgl. Meinrad Dreher /Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002, 413 (424 f.); so auch der Standpunkt der Kommissionsdienstellen der Generaldirektion Binnenmarkt, in der Mitteilung der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinien 92 / 50 / EWG und 93 / 38 / EWG auf Finanzdienstleistungen, namentlich auf Fälle der Kreditaufnahme vom 26.10.1999, CC / 99 / 69-DE, S. 4, 6 f. 45 Zu den Grundzügen des Immobilien-Leasings eingehend Klaus Feinen, Einfluß des Vergaberechts auf das (Immobilien-)Leasing-Geschäft mit der öffentlichen Hand, ZVgR 1998, Sonderbeilage 1 / 1998, 5 f. 46 Richtlinie 93 / 37 / EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. Nr. L 199 vom 9.8.1993, S. 54 ff. 47 Vgl. Meinrad Dreher, Public Private Partnerships und Kartellvergaberecht, NZBau 2002, 245 (253 f.); Marc Opitz, Kontraktive Privatisierung und Kartellvergaberecht, ZVgR 2000, 97 (107 f.); Rainer Noch, Die Abgrenzung öffentlicher Bauaufträge von den Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, BauR 1998, 941 (946).

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eher Bauauftrag, soweit sie lediglich von untergeordneter Bedeutung sind und somit nicht den Inhalt des Vertrages ausmachen. Ein gemischter Vertrag, der sich sowohl auf die Durchführung von Bauarbeiten als beispielsweise auch auf eine Überlassung von Vermögensgegenständen bezog, fiel daher nur dann nicht in den Anwendungsbereich der Baukoordinierungsrichtlinie, wenn die Durchführung der Bauarbeiten gegenüber der Überlassung von Vermögensgegenständen von untergeordneter Bedeutung war. 48 Leasingvarianten mit ausschließlicher Finanzierungsfunktion, beispielsweise das Sale-und-lease-back-Verfahren oder das Lease-in-lease-out, 49 wurden demgegenüber zwar als Dienstleistungsaufträge dem Anwendungsbereich der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie zugeordnet. 50 Die Ausnahmevorschrift des Art. 1 lit. a (VII) DKR sollte diese jedoch nicht erfassen. 51 Aus Zeitgründen muß ich darauf verzichten, weitere konkrete Formen der projektgebundenen Finanzierung anzusprechen und deren vergaberechtliche Bewertung nach der bisherigen Rechtslage zu erörtern. Diese Ausführungen würden auch kaum weiterführen. Natürlich erfordert die Bandbreite der verschiedenen projektgebundenen Finanzierungsmodelle eine differenzierte Betrachtung. 52 Dennoch läßt sich stark verkürzt sagen: Es herrschte nach bisheriger Rechtslage - abgesehen von dem Streit um die Behandlung der klassischen Finanzierungsform des Kommunalkredits - weitgehend Einigkeit darüber, daß im Ergebnis sämtliche Finanzierungsvarianten dem hergebrachten Vergaberecht unterfielen. 53

48 EuGH, Urt. vom 19.4.1994 - Rs. C - 331 / 9 2 (Gestiön Hotelera), NVwZ 1994, 990 (991); vgl. dazu die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich der Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, 2000 / C 121, S. 1 (4). 49 Zur praktischen Gestaltung solcher Leasing-Modelle Klaus Feinen, Einfluß des Vergaberechts auf das (Immobilien-)Leasing-Geschäft mit der öffentlichen Hand, ZVgR 1998, Sonderbeilage 1 / 1998, 5 f. 50 Vgl. Marc Opitz, Kontraktive Privatisierung und Kartell vergaberecht, ZVgR 2000, 97 (108); differenzierend Klaus Eschenbruch, Immobilienleasing und öffentliche Vergabe, BB 1996, 2417 (2422). 51 Sven Brandt, Kreditwirtschaftliche Aspekte des Vergaberechts, W M 1999, 2525 (2529 f.). 52 Vgl. Harald Noack, Öffentlich-private Partnerschaften, ihre praktische Bedeutung und die vergaberechtliche Behandlung, verbunden mit einem Ausblick, ZVgR 2000, 189 ff. 53 Vgl. Sven Brandt, Kreditwirtschaftliche Aspekte des Vergaberechts, W M 1999, 2525 (2528 ff.), Otto Wiesheu / Timm R. Meyer, Vorwort, in: forum vergäbe (Hrsg.), Die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch die öffentliche Hand, Berlin 2001; auch bereits Lutz Horn, Public / Private Partnerships im Immobilienbereich aus vergaberechtlicher Sicht, LKV 1996,81 (83).

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2. Anwendung der neuen Vergaberichtlinien auf Private Finanzierungsinitiativen Wenden wir uns nun den Änderungen zu, die das neu strukturierte europäische Vergaberecht hinsichtlich seiner Anwendbarkeit auf Finanzierungsgeschäfte mit sich bringt. In der Literatur finden sich bereits erste Stimmen, die betonen, daß die bisherige Streitfrage um die vergaberechtliche Behandlung von Finanzdienstleistungen nun beantwortet sei. Nunmehr seien Geschäfte ausdrücklich vergaberechtsfrei, die der Geld- und Kapitalbeschaffung dienen.54 Damit sei nun geklärt, daß Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand nicht dem Vergaberecht unterlägen. 55 Richtig ist, daß die neuen Vergaberichtlinien der Europäischen Gemeinschaft um den eingangs vorgestellten Halbsatz ergänzt wurden. So wurde der Erwägungsgrund Nr. 27 VKR beispielsweise wie folgt gefaßt: „... gehören Instrumente der Geld-, Wechselkurs-, öffentlichen Kredit- oder Geldreservepolitik sowie andere Politiken, die Geschäfte mit Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten mit sich bringen, insbesondere Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, nicht zu den finanziellen Dienstleistungen im Sinne der vorliegenden Richtlinie...."

Korrespondierende Regelungen finden sich wie bereits erwähnt in Art. 16 lit. d VKR, in Erwägungsgrund Nr. 35 SKR sowie in Art. 24 lit. c SKR. Was bedeutet dies nun für den Anwendungsbereich der Richtlinien? Hat dieser Ausschluß tatsächlich zur Folge, daß nun - wie die Europäische Kommission gegen diese Neuregelung eingewandt hatte 56 - jede Projektfinanzierung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, insbesondere regionaler Art, ohne Ausschreibung auf europäischer Ebene vergeben werden kann? a) Wortlaut der Neuregelung Der weitgefaßte Wortlaut der Vorschrift könnte in der Tat zu dieser Annahme verleiten. Man könnte glauben, daß es allein auf die Funktion eines Geschäfts, nämlich darauf ankommen soll, daß dieses der Geld- oder Kapitalbe54 Andrea Kullack/Ralf Terner, EU-Legislativpaket, Die neue „klassische" Vergabekoordinierungsrichtlinie - 1. Teil, ZfBR 2004, 244 (245 f.) unter Hinweis auf Marc Opitz, Die Entwicklung des EG-Vergaberechts in den Jahren 2001 und 2002 - Teil 1, NZBau 2003, 183 (197). 55 Stephan Rechten, Die Novelle des EU-Vergaberechts, NZBau 2004, 366 (372). 56 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge, 2000 / 0115(COD), Begründung zur Abänderung 37, S. 47 f.

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Schaffung der öffentlichen Auftraggeber dient. Damit ließe sich begründen, daß sämtliche Formen der Privaten Finanzierungsinitiativen von dieser Ausnahme erfaßt werden, soweit sie nur im wesentlichen der Finanzierung öffentlicher Projekte dienen. Hervorzuheben ist jedoch, daß sich der neu eingefügte Halbsatz durch die einleitende Wendung „insbesondere" als eine Präzisierung des Begriffs „Finanzinstrument" darstellt. Dessen zutreffende Interpretation hatte nach bisheriger Rechtslage ganz erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Die Ergänzung der Regelung um den Hinweis auf die Geld- und Kapitalbeschaffungsfunktion solcher Geschäfte kommt somit, so läßt sich in einem ersten Schritt festhalten, zunächst klarstellende Bedeutung zu. b) Überlegungen zur Regelungssystematik Lassen Sie uns auch einen Blick auf die Regelungssystematik des neu strukturierten europäischen Vergaberechts werfen. Die bisherigen vergaberechtlichen Vorschriften über die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sind unter dem gemeinsamen Dach der Vergabekoordinierungsrichtlinie zusammengeführt worden. Die systematische Stellung der jetzt in Art. 16 lit. d VKR enthaltenen Ausnahmevorschrift ist dabei im Vergleich zu der vormals in Art. lit. a (VII) DKR normierten Ausnahme unverändert geblieben. Wie nach bisheriger Rechtslage erfaßt diese Ausnahmeregelung allein öffentliche Dienstleistungsdufträge. Damit ist jedenfalls hinsichtlich der Beurteilung von gemischten Verträgen, wie wir sie vor allem bei Betreibermodellen (z.B. dem „Thüringer Modell" oder dem „Mogendorfer" Modell) vorfinden, die Bestimmung des Hauptgegenstands des Vertrags von entscheidender Bedeutung (vgl. Erwägungsgrund Nr. 10 VKR). Sofern dieser in der Erbringung von Bauleistungen besteht, was häufig der Fall sein dürfte, handelt es sich um einen Bauauftrag, der von der Ausnahmeregelung des Art. 16 lit. d VKR nicht erfaßt wird. Ebenfalls unverändert geblieben ist die Regelung bezüglich des Kaufs oder der Miete vorhandener Gebäude. Art. 16 lit. a 1. Halbsatz VKR nimmt diese Geschäfte vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus. Art. 16 lit. a 2. Halbsatz VKR stellt demgegenüber klar, daß FinanzdienstleistungsVerträge jeder Form, die im Zusammenhang mit solchen Kauf- oder Mietverträgen geschlossen werden, dem Vergaberecht unterliegen. Diese Vorschriften entsprechen den bisher geltenden Bestimmungen des Art. 1 lit. a (III) DKR. Für unsere weiteren Überlegungen ergibt sich damit, daß das Augenmerk in erster Line auf Verträge gerichtet sein muß, die als Dienstleistungsverträge einzuordnen sind und die sich auf die Errichtung oder die wesentliche Neugestaltung öffentlicher Infrastrukturen beziehen. Die neugefaßte Ausnahmebestimmung ist damit jedenfalls für die vergaberechtliche Bewertung der klassischen

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Finanzierungsformen, allen voran des Kommunalkredits bedeutsam. Aber auch im Bereich des Leasing, des Miet-Kaufs, 57 der Fondsfinanzierung, ja sogar im Bereich der Betreibermodelle und der Projektfinanzierung stehen Finanzdienstleistungen mit Geld- oder Kapitalbeschaffungsfunktion nicht selten - und wie wir eingangs gesehen haben mit zunehmender Tendenz - im Mittelpunkt. Auch insoweit stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Neufassung der Ausnahmebestimmung für Finanzdienstleistungen zukommt. c) Wille des historischen Gesetzgebers und Telos der Norm Befragen wir den historischen Gesetzgeber, welche Bedeutung der Ergänzung der Ausnahmeregelung beigemessen werden soll, ergibt sich folgendes: Das Europäische Parlament begründete seinen Änderungsantrag, der zu der Ergänzung der Ausnahmevorschrift führte, damit, daß der Sinn dieser Änderung darin bestehe, Kreditaufnahmen vom Geltungsbereich des Vergaberechts auszunehmen. Kredite würden an transparent funktionierenden Geldmärkten aufgenommen, die von täglichen oder noch kurzfristigeren Zinssatzänderungen beeinflußt würden. Es sei daher nicht sinnvoll, solche Geschäfte den Bestimmungen des Vergaberechts zu unterwerfen. 58 Damit scheint die bereits auf dem Boden der bisherigen Rechtslage vertretene Auffassung bestätigt, daß es für die Freistellung von den vergaberechtlichen Vorschriften vorrangig auf die Kapitalmarktbezogenheit eines Finanzierungsgeschäfts ankomme.59 Nach dieser Meinung soll, wie ich bereits ausgeführt habe, auf die Besonderheiten der Finanzmärkte, insbesondere die Volatilität der Finanzmärkte, das heißt die kontinuierliche Änderung der Gleichgewichtspreise zwischen Angebot und Nachfrage für Finanzprodukte, abzustellen sein. 60 Es wurde betont, daß sich Kapitalmärkte durch hohe Schnellebigkeit auszeichneten und sich die Konditionen häufig mehrmals täglich änderten. Das relativ schwerfällige Instrumentarium des öffentlichen Vergaberechts sei daher kaum

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Vgl. Thomas Nickel /Hannes Kopf, Public Private Partnerships: Ein Ausweg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand? Private Finanzierung öffentlicher Hochbaumaßnahmen in Deutschland, ZfBR 2004, 9(11). 58 Europäisches Parlament, Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates übe die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge (KOM(2000)275 C 5 - 0 3 6 7 / 2 0 0 0 - 2 0 0 0 / Oll5(COD)), Sitzungsdokument A5-0378/2001 Teil 1, Änderungsantrag 37 bezüglich Art. 18 Buchstabe d). 59 Dazu oben II. l.b). 60 Sven Brandt, Kreditwirtschaftliche Aspekte des Vergaberechts, WM 1999, 2525 (2528 f.); vgl. auch Kai Hailbronner, Die Anwendbarkeit des öffentlichen Vergaberechts auf die Vergabe von Finanzdienstleistungen durch öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, W M 2002, 1674 (1681 f.).

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geeignet, auf schnellebige Marktmechanismen im Wege einer europaweiten Ausschreibung zeitnah zu reagieren. 61 Diese Auffassung ist in der Vergangenheit insbesondere dahingehend kritisiert worden, daß das Kriterium der Kapitalmarktbezogenheit wenig greifbar sei. 62 Die neuen Vergaberichtlinien bekennen sich mit der Einfügung des neuen Halbsatzes, der betont, daß insbesondere Geschäfte, die der Geld- und Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen vergaberechtsfrei sind, nun ausdrücklich zu diesem Ansatz. Dabei bringt die Neufassung der Ausnahmeregelung durch die Betonung der Finanzierungsfunktion zum Ausdruck, daß der Begriff des Finanzinstruments weniger formal , etwa im Sinne der Richtlinie über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten 63 und der Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen 64 zu verstehen ist. Vielmehr liegt der Neufassung der Regelung eine funktionale Betrachtungsweise zu Grunde. Abzustellen ist ganz vorrangig auf die Finanzierungsfunktion eines Geschäfts. Hinzuzunehmen sind die Besonderheiten der vom Europäischen Parlament in Bezug genommenen „transparent funktionierenden Geldmärkte". Es wird daher künftig darauf ankommen zu entscheiden, inwiefern diese - und insbesondere die vielfach angeführte Volatilität der Geldmärkte - einer angemessenen Geld- und Kapitalbeschaffung öffentlicher Auftraggeber tatsächlich und nicht nur vermeintlich entgegenstehen.65 Die kritikwürdige Weite des Kriteriums der Kapitalmarktbezogenheit erfährt damit eine sachdienliche Einschränkung. Es bleibt zu hoffen, daß diese genügen wird, um die Praktikabilität der Ausnahmevorschrift sicherzustellen. Eine gewisse Skepsis scheint mir insoweit allerdings angebracht. d) Konsequenzen Betrachten wir abschließend einige konkrete Finanzierungsmodelle, zunächst den klassischen Kommunalkredit. Soweit die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die Beschaffung von Kapital mittels Kommunalkredit bislang streitig war, spricht nun einiges dafür, diese Frage zu verneinen. Die Finanzie61 Hinrich Thieme, in: Lange / Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1,9. Aufl., Neuwied u.a. 2001, § 100 GWB Rdnr. 50. 62 Kai Hailbronner, in: Byok / Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, Heidelberg 2000, § 100 GWB Rdnr. 435. 63 Richtlinie 9 3 / 6 / EWG des Rates vom 15.3.1993 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (ABl. Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 1 ff.). 64 Richtlinie 93 / 2 2 / E W G des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen (ABl. Nr. L 141 vom 11.6.1993, S. 27). 65 Differenzierend Meinrad Dreher / Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, W M 2002,413 (426 f.).

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rungsfunktion dieser Geschäfte liegt auf der Hand und ihre Kapitalmarktbezogenheit scheint recht deutlich ausgeprägt. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang allerdings einige kommunal- und haushaltsrechtliche Besonderheiten. Einer ad hoc-Aufnahme von Kommunaldarlehen dürften regelmäßig kommunalrechtliche Bestimmungen und insbesondere aufsichtsrechtliche Genehmigungserfordernisse entgegenstehen. Die Volatilität der Kapitalmärkte ist insofern von bloß begrenzter Relevanz und kann daher eine Befreiung vom vergaberechtlichen Regime nur in Grenzen rechtfertigen. 66 Aus haushaltsrechtlicher Sicht läßt sich der praktische Bedeutungsverlust des Finanzierungsinstruments „Kommunalkredit" erklären. Die angespannte Haushaltslage vieler Kommunen läßt alternative Finanzierungsformen attraktiver erscheinen, die durch eine auch bilanzielle Verlagerung der Finanzierung auf Private, anders als der Kommunalkredit, den gemeindlichen Haushalt deutlich weniger stark belasten.67 Noch schwerer fällt die Antwort soweit Leasingmodelle zu beurteilen sind. Auch diese lassen einen starken Bezug zum Kapitalmarkt erkennen, da die Gesamtinvestitionskosten des Leasinggegenstandes in der Regel zu 100% durch Aufnahme von Darlehen auf dem Kapitalmarkt, gegebenenfalls beim FondsLeasing unter Einbindung von privatem Eigenkapital, refinanziert werden. 68 Für die vergaberechtliche Einordnung wird es auf die konkrete Ausgestaltung des jeweiligen Modells ankommen. Vor allem ist die Grenzziehung zu den Bauaufträgen zu beachten, wenn Verträge des Neubauleasings in Rede stehen. Das Leasing von Mobilien kann außer Betracht bleiben. Dabei handelt es sich um Lieferaufträge (Art. 1 Abs. 2 lit. c Satz 1 VKR). Eine Anwendung des Art. 16 lit. d VKR scheidet daher aus, da diese Norm auf Dienstleistungsaufträge beschränkt ist. Für Betreibermodelle und Baukonzession gilt ähnliches wie für die Modelle des Neubauleasings. Der Abgrenzung der Finanzierungselemente von den Bauaufträgen oder der sogar formalen Trennung zwischen Finanzierungsaufträgen einerseits und Bauaufträgen andererseits dürfte hier entscheidende Bedeutung zukommen. Zugleich wird diese große praktische Schwierigkeiten bereiten. Gegen eine Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 16 lit. d VKR auf Betreibermodelle und Baukonzessionen läßt sich allerdings auch ein grundsätzlicher Einwand anführen: Das neue Vergaberecht der Europäischen Gemeinschaft stellt mit dem neugeschaffenen Verfahren des „Wettbewerblichen Dialogs" (Art. 29 VKR) erstmals eine Verfahrensform bereit, die gerade auf 66 Vgl. Meinrad Dreher /Marc Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, WM 2002,413 (427). 67 Vgl. Klaus Feinen, Einfluß des Vergaberechts auf das (Immobilien-)LeasingGeschäft mit der öffentlichen Hand, ZVgR 1998, Sonderbeilage 1 / 1998, 5 (6). 68 Klaus Feinen, Einfluß des Vergaberechts auf das (Immobilien-)Leasing-Geschäft mit der öffentlichen Hand, ZVgR 1998, Sonderbeilage 1 / 1998, 5 (5).

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schwierige und komplexe Vorhaben dieser Art zugeschnitten ist. 69 Wichtig erscheint mir im vorliegenden Zusammenhang, daß das Verfahren des Wettbewerblichen Dialogs insbesondere die Bedeutung finanzieller Aspekte und ihrer sachgerechten Berücksichtigung im Rahmen von Vergabe verfahren betont. 70 Damit trägt das neue Vergaberecht in spezifischer Weise dem für Private Finanzierungsinitiativen häufig prägenden „ganzheitlichen Ansatz" 71 - auch als „Bauen und Finanzierung aus einer Hand" umschrieben 72 - Rechnung. Durch diesen ganzheitlichen Ansatz sollen Reibungsverluste an den Schnittstellen zwischen den einzelnen Projektbereichen vermieden werden. Die Aufspaltung in verschiedene Projektteile (zum Beispiel Planung, Bau, Finanzierung, Betrieb) im Bereich der Betreibermodelle ist jedoch - das will ich betonen - nicht ausgeschlossen. Die neuen Richtlinien bezwecken nicht, eine gemeinsame oder eine getrennte Vergabe vorzuschreiben (vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 VKR). Ähnliches muß für die Bewertung von Baukonzessionen73 gelten. Das bedeutet, daß eine isolierte Vergabe der Finanzierungsleistungen möglich ist. Und damit wäre dann auch grundsätzlich eine gesonderte Beurteilung dahingehend möglich, ob diese Leistungen dem europäischen Vergaberecht unterfallen oder nicht.

III. Fazit Es ist festzuhalten: Eine allgemeingültige Aussage darüber, inwiefern Modelle Privater Finanzierungsinitiative dem Vergaberecht unterfallen, ist auch nach neuer Rechtslage nicht möglich. Notwendig ist eine einzelfallbezogene Prüfung, die die konkrete Ausgestaltung des jeweiligen Finanzierungsmodells 69

Zu dieser neuen Verfahrensart Matthias Knauf, Neues europäisches Vergabeverfahrensrecht: Der wettbewerbliche Dialog, BauR2004, 287 ff.; derselbe, Die Reform des europäischen Vergaberechts, EuZW2004, 141 (142); Joachim Wuermeling, Recht vereinfacht und modernisiert. EU-Legislativpaket und kommunale Auftragsvergabe, Stadt und Gemeinde 2004, 61 (62), der zutreffend auf das mit dem Verfahren des „Wettbewerblichen Dialogs" verbundene Problem hinweist, Geschäftsideen und -geheimnisse der Bieter wirksam zu schützen. Diesem Aspekt kommt gerade mit Blick auf Private Finanzierungsinitiativen herausragende Bedeutung zu. 70 Vgl. Matthias Knaujf, Die Reform des europäischen Vergaberechts, EuZW 2004, 141 (142). 71 Vgl. Thomas Nickel / Hannes Kopf, Public Private Partnerships: Ein Ausweg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand? Private Finanzierung öffentlicher Hochbaumaßnahmen in Deutschland, ZfBR 2004, 9(10). 72 Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmer e.V., Private (Vorfinanzierung öffentlicher Baumaßnahmen, Bonn 1999, S. 12. 73 Vgl. Marc Opitz, Kontraktive Privatisierung und Kartell vergaberecht, ZVgR 2000, 97 (109 f.).

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berücksichtigt. Die Befürchtung der Europäischen Kommission, daß mit der Ergänzung des Art. 16 lit. d VKR um besagten neuen Halbsatz sämtliche Projektfinanzierungen öffentlicher Auftraggeber ohne europaweite Ausschreibung vergeben werden könnten, trifft in dieser Allgemeinheit jedenfalls nicht zu. Auf der Hand liegt jedoch, daß mit Inkrafttreten der konsolidierten Vergaberichtlinien insoweit neuer Argumentations- und Gestaltungsspielraum entstanden ist. Bezüglich der vielleicht prominentesten Form der Privaten Finanzierungsinitiativen, den Betreibermodellen, wird es häufig auf die Abgrenzung von Bau- und Dienstleistungsverträgen ankommen. Eine Aufspaltung in verschiedene Verträge, die zum einen die Bauleistungen und zum anderen die Finanzdienstleistungen zum Gegenstand haben, könnte dazu führen, letztgenannten Teilbereich dem Vergaberecht zu entziehen. Ob eine solche Aufspaltung trotz des für Betreibermodelle weithin prägenden Gedankens der „Leistung aus einer Hand" 74 praktisch sinnvoll ist, erscheint zweifelhaft. Auch haushaltsrechtlich scheinen die Handlungsspielräume der Kommunen 75 hier zumindest derzeit sehr begrenzt. Aus rechtspolitischer Sicht ist solchen Bestrebungen einer „Flucht aus dem Vergaberecht" jedenfalls kritisch zu begegnen. Jedoch läßt sich über diese Fragen sicher trefflich streiten.

74 Vgl. Thomas Nickel /Hannes Kopf, Public Private Partnerships: Ein Ausweg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand? Private Finanzierung öffentlicher Hochbaumaßnahmen in Deutschland, ZfBR 2004, 9(10) unter Hinweis auf Jan Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (PPP) im Verwaltungsverfahrensgesetz, 2001, S. 84. 75 Dazu Thomas Nickel /Hannes Kopf, Public Private Partnerships: Ein Ausweg aus der Finanzkrise der öffentlichen Hand? Private Finanzierung öffentlicher Hochbaumaßnahmen in Deutschland, ZfBR 2004, 9(12 f.).

Der Wettbewerbliche Dialog1 Von Martin Meißner

Seit Beginn der 1990er Jahre zerfällt das EG-Vergaberecht in zwei Richtlinien zum Recht der Nachprüfung von Vergabeentscheidungen2 und vier Richtlinien zum materiellen Vergaberecht für die klassischen Bereiche Bau 3 , Lieferung 4, Dienstleistung5 und für die Bereiche der Sektoren6 Wasser-, Energie-

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Prof. Dr. Martin Meißner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Partner von Latham & Watkins LLP., Frankfurt am Main. Großer Dank im Zusammenhang mit der Vorbereitung dieses Beitrags gebührt Julian Delbrück und Carsten Lindner. 2 Richtlinie 89/665 / EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts und VerwaltungsVorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, Amtsblatt EG Nr. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 33-35 und Richtlinie 92 /13 / EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Amtsblatt EG Nr. L 76 vom 23. März 1992, S. 14-20. 3 Richtlinie 93 / 37 / EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zu Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Amtsblatt EG Nr. L 199 vom 9. August 1993, S. 54-83, geändert durch die Richtlinie 97 / 52 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinien 9 2 / 5 0 / E W G , 93 / 36 / EWG und 93 / 37 / EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge, Amtsblatt EG Nr. L 328 vom 28. November 1997, S. 1-59. 4

Richtlinie 93 / 36 / EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zu Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Amtsblatt EG Nr. L 199 vom 9. August 1993, S. 1-53, geändert durch die Richtlinie 97 / 5 2 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinien 9 2 / 5 0 / EWG, 93 / 36 / EWG und 93/31/ EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge, Amtsblatt EG Nr. L 328 vom 28. November 1997, S. 1-59. 5 Richtlinie 92 / 50 / EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, Amtsblatt Nr. L 209 vom 24. Juli 1992, S. 1-24. geändert durch die Richtlinie 97 / 52 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinien 9 2 / 5 0 / EWG, 93 /36/ EWG und 93/31/ EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge, Amtsblatt EG Nr. L 328 vom 28. November 1997, S. 1-59.

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und Verkehrsversorgung sowie Telekommunikation. A m 30. A p r i l 2004 wurden i m EG-Amtsblatt zwei Richtlinien veröffentlicht, die Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge 7 ( i m folgenden „ V K R " ) und die Richtlinie zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber i m Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste 8 ( i m folgenden „ S K R " ) . Neben einer Reihe von neuen Regelungen w i r d für den Geltungsbereich der V K R ein neues Vergabeverfahren eingeführt, der Wettbewerbliche Dialog 9 . Das Verfahren des Wettbewerblichen Dialogs w i r d i m folgenden dargestellt.

I. Einführung A u c h i n Zukunft gilt weiterhin die Differenzierung zwischen den klassischen Bereichen, die i n der V K R geregelt sind, und den Sektoren, die in der S K R geregelt sind. Allerdings fasst die V K R diese klassischen Bereiche Bau, Lieferung und Dienstleistung in einer einzigen Richtlinie zusammen. Für den Bereich der Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gilt, dass die bisher i m Bereich der Sektoren geregelten Telekommunikationsdienstleistungen nunmehr den Regelungen der V K R unterfallen 1 0 , während Postdienste von der 6 Richtlinie 93 / 38 / EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Amtsblatt Nr. L 199 vom 9. August 1993, S. 84-138, geändert durch Richtlinie 9 8 / 4 / E G des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Änderung der Richtlinie 9 3 / 3 8 / EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Amtsblatt Nr. L 101 vom 1. April 1998, S. 1-16. 7 Richtlinie 2004 /18 / EG, Amtsblatt Nr. L 134 vom 30. April 2004 S. 0114-0240. 8 Richtlinie 2004 / 17 / EG, Amtsblatt Nr. L 134 vom 30. April 2004 S. 0001-0113. 9 Vgl. zum Wettbewerblichen Dialog Byok, NJW 2001, 2295 (2302); Jasper, in: Motzke / Pietzker / Prieß, VOB Teil A, § 3 a Rn. 9; Knauf EuZW 2004, 141 (142); Mader, EuZW 2004, 425 (426); Opitz, NZBau, 2003, 183 (191 f); Rechten, NZBau 2004, 366 (368 0; Werner / Freitag, NZBau 2000, 551 (551 ff); sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Begründung zur Richtlinie über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge vom 30.8.2000, KOM(2000) 275 endgültig / 2, Rn. 3. 10 Erw. 21 VKR. Grund für die Aufnahme der Telekommunikationsdienstleistungen in den Bereich der VKR war die zunehmende Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, welche eine stärker auf den offenen Wettbewerb ausgerichtete Vergabe rechtfertigt. Eine Ausnahme gilt nach Art. 13 VKR für öffentliche Aufträge, die hauptsächlich den Zweck haben, dem öffentlichen Auftraggeber die Bereitstellung oder den Betrieb öffentlicher Telekommunikationsnetze oder die Bereitstellung eines oder mehrerer Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeiten zu ermöglichen.

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SKR 1 1 erfasst werden. Eine Reihe von Neuerungen wurde eingeführt. Die Schwellenwerte wurden um ca. 25 % angehoben. Für Bau- und Baukonzessionsaufträge gilt ein Schwellenwert von € 6,242 Mio. 1 2 Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich der SKR gilt ein Schwellenwert von € 499.000 13 , während für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich der VKR ein Schwellenwert von € 162.000 gilt, wenn der Auftrag von einer zentralen Regierungsbehörde vergeben wurde, ansonsten von € 249.000.14 Daneben wird die Möglichkeit der Verwendung von Telekommunikationsmitteln im Vergabeverfahren geregelt. Das dynamische Beschaffungssystem 15 ist ein internetgestütztes Instrument im Vergabeverfahren, das einem bestimmten Kreis von Bietern die Möglichkeit gewährt, zunächst unverbindlich Angebote abzugeben und gegebenenfalls nachzubessern, welche erst in einer zweiten Phase endgültig und verbindlich erklärt werden müssen. Die elektronische Auktion 16 ist ein weiteres Instrument im Vergabeverfahren, bei dem auf elektronischem Wege die Angebote der Bieter innerhalb eines Zeitraums solange korrigiert werden können bis der Zuschlag erteilt wird. Schließlich erhalten vereinzelt bereits etablierte Verfahren eine Grundlage. Geregelt ist die Vergabe von Aufträgen aufgrund von Rahmenvereinbarungen mit einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern 17, die Einrichtung von zentralen Beschaffungsstellen 18, bei denen öffentliche Auftraggeber für (andere) öffentliche Auftraggeber Leistungen erwerben und / oder im Wege von Rahmenvereinbarungen Aufträge vergeben, sowie das Verhandlungsverfahren 19, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber an Wirtschaftsteilnehmer seiner Wahl wendet und nur mit einem oder mehreren von diesen verhandelt. Eine der wichtigsten Neuerungen ist ein neues Vergabe-

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Art. 6 SKR. Art. 7 Buchst, c, 56 S. 1, 63 Abs. 1 VKR und Art. 16 Buchst, b SKR. 13 Art. 16 Buchst, a SKR. 14 Art. 7 Buchst, a, b, 67 Abs. 1 VKR. 15 Art. 1 Abs. 6, 33 VKR, Art. 1 Abs. 5, 15 SKR. Das dynamische Beschaffungssystem eignet sich insbesondere für regelmäßig wiederkehrenden Bedarf des öffentlichen Auftraggebers an marktüblichen Leistungen, seine Laufzeit darf aber mit Ausnahme von Sonderfällen nach Art. 33 Abs. 7 VKR, Art. 15 Abs. 7 SKR vier Jahre nicht überschreiten. 16 Art. 1 Abs. 7, 54 VKR, Art. 1 Abs. 6, 56 SKR. Die elektronische Auktion setzt insbesondere voraus, dass der Bedarf des öffentlichen Auftraggebers präzis spezifizierbar ist und die Differenzierung der einzelnen Angebote anhand weniger Angebotskomponenten möglich ist, vgl. Art 54 Abs. 2 S. 3 VKR, Art. 56 Abs. 2 S. 3 SKR. 17 Art. 1 Abs. 5, 32 VKR und Art. 1 Abs. 4, 14 SKR. Der Abschluss von Rahmenvereinbarungen eignet sich insbesondere für regelmäßig wiederkehrenden Bedarf des öffentlichen Auftraggebers. Die Laufzeit der Rahmenvereinbarung darf aber mit Ausnahme von Sonderfällen nach Art. 32 Abs. 2 S. 6 VKR vier Jahre nicht überschreiten. 18 Art. 1 Abs. 10, 11 VKR und 1 Abs. 8, Art. 29 SKR. 19 Art. 1 Abs. 11 Buchst, c, 31 VKR, Art. 1 Abs. 9 Buchst, c, 40 Abs. 2, 3 SKR. 12

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verfahren 20 im Geltungsbereich der VKR. Art. 29 VKR fuhrt den Wettbewerblichen Dialog ein. 21 Der Wettbewerbliche Dialog ist definiert als ein Verfahren, bei dem sich alle Wirtschaftsteilnehmer um die Teilnahme bewerben können und bei dem der öffentliche Auftraggeber einen Dialog mit den zu diesem Verfahren zugelassenen Bewerbern fuhrt, um eine oder mehrere seinen Bedürfnissen entsprechende Lösungen herauszuarbeiten, auf deren Grundlage bzw. Grundlagen die ausgewählten Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. 22 Der Wettbewerbliche Dialog ist Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. 23

II. Voraussetzungen für den Wettbewerblichen Dialog Nach Art. 28 S. 3 VKR darf das Verfahren des Wettbewerblichen Dialogs unter den Voraussetzungen durchgeführt werden, die in Art. 29 VKR geregelt sind. Art. 29 Abs. 1 VKR definiert als Voraussetzung, dass der Wettbewerbliche Dialog bei besonders komplexen Aufträgen angewendet werden kann, wenn nach Erachten des öffentlichen Auftraggebers die Vergabe im Wege eines offenen oder nicht offenen Verfahrens nicht möglich ist. 1. Voraussetzung der besonders komplexen Aufträge Das Tatbestandsmerkmal „besonders komplex" ist definiert. Nach Art. 1 Abs. 11 Buchst, c VKR liegt besondere Komplexität vor, wenn der öffentliche Auftraggeber objektiv nicht in der Lage ist, die technischen Mittel, mit denen seine Bedürfnisse und Ziele erfüllt werden können, und / oder die rechtlichen und / oder finanziellen Konditionen des Vorhabens anzugeben. Damit ist ein Vorhaben besonders komplex, wenn aus objektiven Gründen die technischen, rechtlichen und / oder finanziellen Konditionen in den Vergabeunterlagen nicht bezeichnet werden können. 24 Kennzeichen der besonderen Komplexität wird 20 Jasper, in: Motzke / Pietzker / Pries, VOB Teil A, § 3 a Rn. 9; Knauf, EuZW 2004, 141 (142); Mader, EuZW 2004, 425 (426); Rechten, NZBau 2004, 366 (368). A.A. Kommission, KOM(2000) 275 endgültig / 2, Rn. 3.6. 21 Im Gegensatz zu anderen Neuerungen, etwa dynamische Beschaffungssysteme, elektronische Auktion, zentrale Beschaffungsstellen und Rahmenvereinbarung, ist die Umsetzung der Regelungen zum Wettbewerblichen Dialog nicht in das Ermessen der Mitgliedsstaaten gestellt, Erw. 16 VKR. ß Art. 1 Abs. 11 Buchst, c VKR. 23 Opitz, NZBau 2003, 183 (191). 24 Dazu Kommission, KC)M(2000) 275 endgültig/2, Rn. 3.3.; Rechten, NZBau 2004, 366 (368).

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demnach sein, dass es dem öffentlichen Auftraggeber vor der Vergabe nicht möglich ist, eine Vorstellung über eine Lösung zu erarbeiten, die man als Grundlage des Vergabeverfahrens verwenden könnte. Das wird man nicht für alle Verfahren einheitlich und bestimmt feststellen können. Vielmehr unterliegt die Feststellung der besonderen Komplexität einem Beurteilungsspielraum, auch wenn Art. 1 Abs. 11 Buchst, c VKR ausschließlich objektive Gründe verlangt. Anhaltspunkt könnte der Katalog von Beispielsfällen sein, den die VKR vorgibt, das sind integrierte Verkehrsinfrastrukturprojekte, große Computernetzwerke oder Vorhaben mit einer komplexen strukturierten Finanzierung. 25 Dabei handelt es sich vor allem um diejenigen Fälle, in denen sich öffentliche Auftraggeber bisher in entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 2 BHO mit Markterkundungs- oder Interessenbekundungsverfahren 26 behelfen. 27 Deshalb wird man vertreten können, dass für diejenigen Vergabeverfahren, bei denen derzeit ein vorgeschaltetes Markterkundungs- oder Interessenbekundungsverfahren angezeigt ist, das Tatbestandsmerkmal der besonderen Komplexität erfüllt sein dürfte.

2. Voraussetzung der Unmöglichkeit des offenen und nicht offenen Verfahrens Dem Tatbestandsmerkmal „Unmöglichkeit des offenen und nicht offenen Verfahrens nach Einschätzung des Auftraggebers" ist zu entnehmen, dass der Wettbewerbliche Dialog nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn das offene oder das nicht offene Verfahren nicht durchgeführt werden können. Daraus wird geschlossen, dass der Wettbewerbliche Dialog subsidiär zum offenen und zum nicht offenen Verfahren ist. 28 Für die Beurteilung, ob die Durchführung des offenen und nicht offenen Verfahrens unmöglich ist, soll die subjektive Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers maßgeblich sein. Reiner Unwillen, bloße Unkenntnis oder lediglich subjektive Unmöglichkeit beim öffentlichen Auftraggeber dürfte aber nicht ausreichend sein. 29 Deshalb müssen über die besondere Komplexität des Projektes hinaus weitere objektive Umstände

25

Erw. 31 S. 2 VKR. Markterkundungs- oder Interessenbekundungsverfahren werden gelegentlich dem eigentlichen Vergabeverfahren vorangeschaltet als formlose und unverbindliche Anfrage unter einer ausgewählten Zahl von Marktteilnehmern. Diese Anfrage hat das Ziel, dass die Marktteilnehmer Lösungen herausarbeiten, von denen eine oder mehrere zur Grundlage des sich anschließenden förmlichen Vergabenverfahrens gemacht werden. 26

27

Vgl. dazu Kommission, KC)M(2000) 275 endgültig / 2, Rn. 3.3. Knauff, EuZW 2000, 141 (142); Rechten, NZBau 2004, 366 (368). 29 Opitz, NZBau 2003, 183 (192, Fn. 95); Rechten, NZBau 2004, 366 (368); Werner /Freitag, NZBau 2000, 551 (551). 28

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hinzukommen, welche die Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers rechtfertigen, er könne ein offenes oder nicht offenes Verfahren unmöglich durchführen. Als ein rechtfertigender Umstand soll in Betracht kommen, dass der öffentliche Auftraggeber nicht abschätzen kann, welche Lösungen es überhaupt gibt, die ausgeschrieben werden könnten. 30 Anerkannt wird auch, dass der öffentliche Auftraggeber eine ausschreibungsfähige technische Lösung nur mit einem unverhältnismäßigen zeitlichen und / oder finanziellen Aufwand erstellen kann. 31 Für die Bewertung, ob solche objektiven Umstände die Einschätzung rechtfertigen, das offene oder das nicht offene Verfahren könne unmöglich durchgeführt werden, wird man dem öffentlichen Auftraggeber eine Einschätzungsprärogative einräumen müssen.

III. Verfahren des Wettbewerblichen Dialogs Der Wettbewerbliche Dialog verläuft in drei Phasen: •

Phase 1 umfasst den vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb, in dem die Teilnehmer aus dem Kreis der Bewerber ausgewählt werden,



Phase 2 umfasst die Dialogphase, in der mit den Teilnehmern die Optimierung der angebotenen Lösungen erarbeitet wird, und



Phase 3 umfasst die Bietphase, in der die optimierte Lösung ausgeschrieben und der Zuschlag unter den Teilnehmern erteilt wird. 1. Vorangeschalteter Teilnahmewettbewerb

Der vorangeschaltete Teilnahmewettbewerb beginnt mit der Veröffentlichung der Bekanntmachung. Nach Art. 35 Abs. 2 VKR weist die Bekanntmachung daraufhin, dass die Vergabe im Wege des Wettbewerblichen Dialogs erfolgt. Nach Art. 29 Abs. 2, 4 VKR werden die speziellen Bedürfnisse und Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers formuliert und in der Bekanntmachung und / oder der Beschreibung näher erläutert. Ferner werden Eignungsund Zuschlagskriterien angegeben, die für die Dauer des gesamten Verfahrens gelten. 32 In der Bekanntmachung sind nach Art. 29 Abs. 7 S. 1 VKR auch die 30

Erw. 31 VKR; Kommission, KOM(2000) 275 endgültig/2, Rn. 3.3.; Opitz, NZBau 2003, 183 (191). 31 Opitz, NZBau 2003, 183 (191, Fn. 95). 32 Der öffentliche Auftraggeber soll noch vor der Auswahl der Dialogteilnehmer von den Bewerbern vorläufige Lösungskonzepte und vorläufige Kostenschätzungen verlangen können {Opitz, NZBau 2003, 183 (191)). Als sachgerechtes Kriterium für die Be-

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Bewertungen der einzelnen Zuschlagskriterien anzugeben. Nach Art. 29 Abs. 4 S. 2 V K R muss i n der Bekanntmachung oder Beschreibung angegeben werden, wenn der öffentliche Auftraggeber v o n der Möglichkeit Gebrauch machen w i l l , nach Art. 29 Abs. 4 S. 1 V K R die Zahl der angebotenen Lösungen i m Verlauf des Verfahrens schrittweise zu verringern. 3 3 Nach Art. 44 Abs. 3 S. 2 V K R muss i n der Bekanntmachung auch angegeben werden, wenn nach Art. 44 Abs. 3 S. 1 V K R 3 4 die Zahl der Teilnehmer begrenzt sein soll. 3 5 Die Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge der Bewerber beträgt nach Art. 38 Abs. 3 Buchst, c V K R mindestens 37 Tage gerechnet ab dem Tag der Absendung der Bekanntmachung. Aus dem Kreis der Bewerber werden die Teilnehmer für die Dialogphase ausgewählt. Für die Auswahl gelten entsprechend Art. 29 Abs. 3 S. 1 V K R die angegebenen Eignungskriterien und die allgemeinen Regelungen zur Eignung nach Art. 44 - 52 V K R 3 6 .

2. Dialogphase Die ausgewählten Teilnehmer werden z u m Dialog aufgefordert. 37 I n der Dialogphase sollen nach Art. 29 Abs. 3 S. 1 V K R die Mittel, m i t denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können, ermittelt und festgelegt werden. Z i e l des Dialogs ist noch nicht die Auftragsver-

grenzung der Teilnehmer in der Dialogphase mag die Vorgabe der Entwicklung von Konzepten eventuell sinnvoll sein. Zu beachten ist aber, dass speziell die für den Wettbewerblichen Dialog vorausgesetzte Komplexität des Projekts in der Regel einen nicht unerheblichen Aufwand für die Konzeptentwicklung verlangt. Wenn allein der dadurch veranlasste Aufwand dazu führen kann, dass Bewerber vom Verfahren ferngehalten werden, könnte das in Art. 2 VKR angeordnete Verbot der Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Wirtschaftsteilnehmern verletzt sein. Deshalb sollte der öffentliche Auftraggeber im Rahmen des vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs seine Anforderungen an Lösungskonzepte begrenzen, Werner /Freitag, NZBau 2000, 551 (552). 33 Dazu auch Erw. 41, Art. 44 Abs. 4 VKR. 34 Dazu auch Erw. 40 VKR. 35 Im Wettbewerblichen Dialog muss die Zahl der Teilnehmer nach Art. 44 Abs. 3 S. 4 VKR mindestens drei betragen, es sei denn, dass ein echter Wettbewerb nicht eine größere Zahl von Teilnehmern erfordert. 36 Eignungskriterien sind persönliche Lage (Art. 44 VKR), Befähigung zur Berufsausübung (Art. 46 VKR), wirtschaftliche, finanzielle Leistungsfähigkeit (Art. 47 VKR), technische, berufliche Leistungsfähigkeit (Art. 48 VKR), Qualitätssicherung (Art. 49 VKR), Umweltmanagement (Art. 50 VKR), zusätzliche Informationen (Art. 51 VKR) und Zertifizierungen (Art. 52 VKR). 37 Nach Art. 40 Abs. 5 S. 2 VKR enthält die Aufforderung zur Teilnahme in der Dialogphase zumindest Hinweise auf die veröffentlichte Bekanntmachung, auf den Termin und Ort des Beginns sowie auf die Sprache der Verhandlung, auf gegebenenfalls weitere vorzulegende Unterlagen und auf die Gewichtung bzw. die Bedeutung der Zuschlagskriterien, soweit dies in der Bekanntmachung oder Beschreibung noch nicht erfolgt ist.

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gäbe, sondern die schrittweise Weiterentwicklung der angebotenen Lösungsvorschläge, um eine Lösung oder Lösungen zu definieren, die Grundlage einer Ausschreibung sein sollen. Zu diesem Zweck reichen die Teilnehmer Lösungsvorschläge ein, und der öffentliche Auftraggeber fuhrt mit den Teilnehmern darüber jeweils Einzelverhandlungen im Dialog. Es finden keine Verhandlungen unter allen Teilnehmern statt, sondern die einzelnen Verhandlungen mit den jeweiligen Teilnehmern werden strikt voneinander getrennt. 38 Im Rahmen der Dialoge kann der öffentliche Auftraggeber nach Art. 29 Abs. 3 S. 2 VKR alle Aspekte des Auftrags erörtern, was neben den technischen, finanziellen und juristischen Aspekten auch den Preis mit einschließt.39 Der öffentliche Auftraggeber ist nicht an die Lösungsvorschläge gebunden, die ihm die Teilnehmer anbieten. Vielmehr werden die Lösungsvorschläge im Verlauf des Dialogs fortentwickelt. Des weiteren kann der öffentliche Auftraggeber aus einzelnen Vorschlägen ihm passend erscheinende Teile zu einem neuen Lösungsmodell zusammensetzen und dieses zur Grundlage der weiteren Verhandlungen machen. 40 Zum Schutz der Teilnehmer sind allerdings bestimmte Verfahrensgrundsätze definiert. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 3 VKR sind alle Teilnehmer gleich zu behandeln. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 VKR dürfen Informationen aus Einzelverhandlungen nicht an Teilnehmer in anderen Einzelverhandlungen weiter gegeben werden, um bestimmte Teilnehmer zu begünstigen. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 5 VKR dürfen Lösungsvorschläge und vertrauliche Informationen von Teilnehmern ohne deren Zustimmung nicht an andere Teilnehmer weitergegeben werden. Dabei sind auch die jeweiligen nationalen Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums zu beachten.41 Nach Art. 29 Abs. 4 S. 1 VKR kann vorgesehen werden, dass die Dialogphase wiederum in sukzessiven Phasen durchgeführt und die Zahl der zu erörternden Lösungsvorschläge schrittweise verringert wird. Dadurch kann das Verfahren an Flexibilität gewinnen. Vor allem aber können durch die Konzentration der Verhandlungen auf wenige Lösungsvorschläge Aufwand und Kosten für den öffentlichen Auftraggeber reduziert werden. 42 Bereits in der Bekanntmachung oder Beschreibung sind allerdings nach Art. 29 Abs. 4 S. 2 VKR anzugeben, ob der öffentliche Auftraggeber von der Möglichkeit der Reduktion der Lösungsvorschläge Gebrauch machen möchte, und nach Art. 29 Abs. 4 S. 1 VKR, welche Kriterien dafür gelten. Sofern die Anzahl der geeigneten Lö-

38 39 40 41 42

Knauff, EuZW 2004, 141 (142). Knauff, EuZW 2004, 141 (142). Opitz , NZBau 2003, 183 (191); Werner / Freitag, NZBau 2000, 551 (551). Opitz , NZBau 2003, 183 (191). Erw. 41 S. 1 VKR.

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sungsvorschläge oder Teilnehmer es erlaubt, sollte die Reduzierung der verhandelten Lösungsvorschlage einen wirksamen Wettbewerb gewährleisten. 43 Ein fester Zeitrahmen für die Dialogphase ist nicht definiert. Nach Art. 29 Abs. 5 VKR dauert die Dialogphase so lange an, bis der öffentliche Auftraggeber die Lösung bzw. die Lösungen ermitteln kann, mit denen seine Bedürfnisse erfüllt werden können. Die Dialogphase ist beendet, wenn der öffentliche Auftraggeber die endgültigen technischen, finanziellen und / oder rechtlichen Spezifikationen entweder auf der Grundlage des Lösungsvorschlags eines Teilnehmers oder einer Kombination mehrerer Lösungsvorschläge definieren kann. 44 Nach Art. 29 Abs. 6 S. 1 VKR informiert der öffentliche Auftraggeber die Teilnehmer über das Ende der Dialogphase.

3. Bietphase Zu Beginn der Bietphase fordert der öffentliche Auftraggeber nach Art 29 Abs. 6 S. 1 VKR entweder alle oder eine begrenzte Zahl der Dialogteilnehmer 45 auf, auf der Grundlage der erarbeiteten Lösung bzw. Lösungen ein Angebot abzugeben.46 Keine Möglichkeit zur Angebotsabgabe erhalten die Bewerber, denen bereits die Teilnahme an der Dialogphase verwehrt wurde, sowie Interessenten, die an dem Verfahren bislang nicht teilgenommen haben. Zur Bietphase zugelassen sind nur die Teilnehmer der Dialogphase.47 Aber auch von diesen haben nicht alle Teilnehmer einen Anspruch auf Zulassung zur Bietphase, soweit der öffentliche Auftraggeber nach Art. 44 Abs. 3 S. 1 VKR von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Zahl der Teilnehmer zu beschränken und Teilnehmer auszuschließen, welche nach Art. 44 Abs. 3 S. 2 VKR die in der Bekanntmachung und / oder Beschreibung zu bezeichnenden objektiven Auswahlkriterien 48 nicht erfüllt haben. Nach Art. 44 Abs. 3 S. 4 V K R sind aber mindestens drei Teilnehmer für die Bietphase zuzulassen. Die einzureichenden Angebote müssen nach Art. 29 Abs. 6 S. 2 VKR alle zur Ausführung des Projekts erforderlichen Einzelheiten enthalten. Diese Angebote unterliegen dem Gebot der Vollständigkeit und sind grundsätzlich als endgültig und vollständig anzusehen. Auf Verlangen des öffentlichen Auftrag43 44

Erw. 41 S.2 VKR. Kommission, KOM(2000) 275 endgültig/2, Rn. 3.8.; Opitz, NZBau 2003, 183

(191). 45

Opitz, NZBau 2003, 183 (191). Knauff, EuZW 2004, 141 (142). 47 Kommission, KOM(2000) 275 endgültig / 2, Rn. 3.5., 3.8. 48 Werner /Freitag, NZBau 2000, 551 (551); Kommission, KOM(2000) 275 endgültig/2, Rn. 3.8. 46

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gebers nach Art. 29 Abs. 6 S. 3 VKR können jedoch Klarstellungen, Präzisierungen und Feinabstimmungen zu diesen Angeboten gemacht werden. Eine weitere Verhandlung oder gar ein Dialog finden in der Bietphase aber nicht statt. 49 Deshalb dürfen nach Art. 29 Abs. 6 S. 4 VKR nachträgliche Ausführungen zu einem Angebot nur in einem sehr engen Rahmen zugelassen werden, der sicherstellt, dass keine Wettbewerbsverzerrung oder Diskriminierung erfolgt. Die eingehenden Angebote werden nach Art. 29 Abs. 7 S. 1 VKR in der Reihenfolge und Bedeutsamkeit der bekannt gemachten Kriterien bewertet. 50 Den Zuschlag erhält nach Art. 29 Abs. 1 S. 2 VKR der Bieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot unterbreitet hat. Wirtschaftlich günstig ist nicht zwangsläufig mit preisgünstig gleichzusetzen. Maßgeblich ist der wirtschaftliche Wert des Angebots für den öffentlichen Auftraggeber, zu dessen Bestimmung nicht nur der Preis, sondern auch alle weiteren etwa in Art. 53 Abs. 1 Buchst, a bezeichneten Umstände einbezogen werden müssen. Der Bieter, dessen Angebot als das wirtschaftlich günstigste ermittelt wird, kann nach Art. 29 Abs. 7 S. 2 VKR von dem öffentlichen Auftraggeber ersucht werden, bestimmte Aspekte des Angebots näher zu erläutern oder im Angebot enthaltene Zusagen zu bestätigen. Damit besteht die Möglichkeit, vor der endgültigen Erteilung des Zuschlags vom Bieter zu verlangen, dass er die seinem Angebot zugrunde liegenden Strukturen jedenfalls teilweise umsetzt, um sicherzustellen, dass er den Auftrag tatsächlich erfüllen kann. Gedacht werden könnte beispielsweise an die Vorlage einer nur noch durch die Zuschlagserteilung bedingte Finanzierungszusage einer Bank oder an die Vorlage der Gründungsurkunde der Objektgesellschaft und Bestätigung der Erfüllung der Einlagepflicht ihrer Gesellschafter. Solche Erläuterungen und Bestätigungen dürfen aber nach Art. 29 Abs. 7 S. 2 VKR nicht dazu führen, dass wesentliche Aspekte des Angebots geändert werden, und die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen oder Diskriminierungen ist zu vermeiden.

IV. Verfahrensgrundsätze des Wettbewerblichen Dialogs Wie für die anderen Vergabeverfahren gelten auch für den Wettbewerblichen Dialog nach Art. 2 V K R die Gebote der Gleichbehandlung der Teilnehmer und der Transparenz des Verfahrens sowie das Verbot der Diskriminierung von Teilnehmern. 51 Für die Dialogphase normiert Art. 29 Abs. 3 VKR ein spezielles Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot. Nach Art. 29

49 50 51

Kommission, KOM(2000) 275 endgültig / 2, Rn. 3.8. Knauff, EuZW 2004, 141 (142). Dazu auch Erw. 31 S. 4,4, 33 S. 1, 39,40 S. 2,41 S. 2,46 S. 1, 2, 5 VKR.

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Abs. 3 S. 3 VKR hat der öffentliche Auftraggeber dafür Sorge zu tragen, dass alle Teilnehmer des Dialogs gleich behandelt werden. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 VKR dürfen in der Dialogphase keine Informationen an andere Teilnehmer weitergegeben werden, um diese zu begünstigen. Darüber hinaus ist für die Dialogphase eine besondere Vertraulichkeit vorgeschrieben, denn nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 VKR dürfen die öffentlichen Auftraggeber Lösungsvorschläge oder vertrauliche Informationen eines Teilnehmers nicht ohne dessen Zustimmung an andere Teilnehmer weiter geben. Für die Bietphase werden spezielle Verbote der Wettbewerbsverzerrung und Diskriminierung normiert. Diese gelten nach Art. 29 Abs. 6 S. 24 VKR für die Präzisierungen und Klarstellungen der eingehenden Angebote sowie nach Art. § 29 Abs. 7 S. 2 VKR für die Erläuterungen und Bestätigungen zum Angebot der favorisierten Bieters. Nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 VKR erfolgt der Zuschlag ausschließlich nach dem Kriterium des wirtschaftlichen Angebots. Nach Art. 29 Abs. 8 VKR kann vorgesehen werden, dass Prämien oder an die Teilnehmer der Dialogphase Zahlungen geleistet werden. Sinn und Zweck ist, dass der nicht unerhebliche Aufwand der Teilnehmer in der Dialogphase vergütet wird. Grund und Höhe der Preise bzw. Aufwandsentschädigungen sind in der VKR nicht definiert, sondern müssen durch den öffentlichen Auftraggeber im jeweiligen Verfahren nach objektiven Kriterien bestimmt werden. Es ist davon auszugehen, dass eine Zahlung nur dann einen Anreiz für die Teilnahme schafft, wenn der Aufwand der Teilnehmer zu einem jedenfalls nicht nur unerheblichen Teil erstattet wird. 52

V. Einordnung des Wettbewerblichen Dialogs Zwar differenziert die VKR grundsätzlich ohne Wertung das offene Verfahren 53 , das nicht offene Verfahren 54, den Wettbewerblichen Dialog 55 und das Verhandlungsverfahren 56. Gleichwohl ist dem Art. 28 VKR eine Hierarchie der Vergabe verfahren zu entnehmen. Während Art. 28 S. 2 VKR generalklauselartig das offene und das nicht offene Verfahren alternativ auf eine Stufe stellt, werden nach Art. 28 S. 3, 4 VKR jeweils weitere Voraussetzungen für den Wettbewerblichen Dialog sowie das Verhandlungsverfahren gesetzt. Der Wettbewerbliche Dialog ist nach Art. 29 Abs. 1 VKR von der Einschätzung des öf52 53 54 55 56

So auch Rechten, NZBau 2004, 366 (369). Art. 1 Abs. 11 Buchst, a, 39 ff VKR. Art. 1 Abs. 11 Buchst, b VKR. Art. 1 Abs. 11 Buchst, c, 29 VKR. Art. 1 Abs. 11 Buchst, d, Art. 30 VKR.

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fentlichen Auftraggebers abhängig, dass die Durchführung des offenen und des nicht offenen Verfahren unmöglich ist, und das Verhandlungsverfahren setzt etwa nach Art. 30 Abs. 1 Buchst, a VKR voraus, dass eines der anderen Vergabeverfahren ergebnislos durchgeführt wurde. Demzufolge kann vertreten werden, dass der Wettbewerbliche Dialog subsidiär zum offenen und nicht offenen Verfahren 57 und das Verhandlungsverfahren subsidiär zum offenen und nicht offenen Verfahren sowie zum Wettbewerblichen Dialog ist. Würde diese Hierarchie bei der Umsetzung in das deutsche Recht mit entsprechender Diktion übernommen, würde der Wettbewerbliche Dialog nachrangig gegenüber der öffentlichen Ausschreibung und der beschränkten Ausschreibung und vorrangig gegenüber der freihändigen Vergabe sein. Der Wettbewerbliche Dialog ist nicht in seiner Gesamtheit eine revolutionäre Neuerung, sondern setzt sich aus Einzelkomponenten der bisherigen und fortexistierenden Verfahren zusammen. Die Kommission bezeichnet den Wettbewerblichen Dialog als neu gestaltetes Verhandlungsverfahren bzw. Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung.58 Kombiniert werden primär Elemente der offenen und nicht offenen Verfahrens. 59 Die größte Parallele zum offenen und nicht offenen Verfahren besteht in der starken Regulierung des Wettbewerblichen Dialogs. Darüber hinaus hat, wie auch beim offenen und nicht offenen Verfahren, beim Wettbewerblichen Dialog eine öffentliche Bekanntmachung zu erfolgen 60. Ähnlichkeiten zum Verhandlungsverfahren ergeben sich vor allem aus der Subsidiarität des Wettbewerblichen Dialogs gegenüber den offenen und nicht offenen Verfahren 61. Zudem ist, wie auch beim Verhandlungsverfahren, beim Wettbewerblichen Dialog eine inhaltliche Verhandlung über die Angebote zulässig. Darüber hinaus erinnert der Wettbewerbliche Dialog an den öffentlichen Teilnahmewettbewerb, der in der Gestalt des Auslobungsverfahrens dazu dient, dem Auftraggeber einen Plan oder eine Planung zu verschaffen nach Auswahl durch ein Preisgericht mit oder ohne Verteilung von Preisen. 62 Schließlich wird im Wettbewerblichen Dialog eine gewisse Ähnlichkeit zur Variantenlösung nach Art. 24 VKR gesehen.63 Auch bei der Variantenlösung sind nach Art. 24 Abs. 1 VKR mehrere Lösungsvorschläge zugelassen, und der Zuschlag erfolgt nach den Kriterien des wirtschaftlich günstigsten Angebots. Anders als beim Wettbewerblichen Dialog ist der

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Knauff EuZW 2000, 141 (142); Rechten, NZBau 2004, 366 (368). Kommission, KOM(2000) 275 endgültig/2, Rn. 3.6., 3.8. A.A Rechten, NZBau 2004, 366 (369) „nicht offenes Verfahren mit vorgeschaltetem technischen Dialog". 59 Knauff EuZW 2004, 141 (142). 60 Siehe oben 3.1., Art. 29 Abs. 2 VKR. 61 Siehe oben 2.2, Art. 28 S. 3, Art. 29 Abs. 1 VKR. 62 Vgl. § 20 VOF. 63 Mader, EuZW 2004, 425 (429). 58

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öffentliche Auftraggeber bei der Variantenlösung aber an die vorgeschlagenen Varianten gebunden, ohne selbst Einfluss auf die Gestaltung der Lösungen nehmen zu können. Mit der Kombination der Förmlichkeit des offenen und nicht offenen Verfahrens und der Flexibilität des Verhandlungsverfahrens versucht der Wettbewerbliche Dialog den Spagat zwischen dem Formenzwang des Vergaberechts und der Passgenauigkeit einer technischen und kaufmännischen Lösung. 64 Entscheidendes Kriterium dafür ist die Dialogphase. Im Rahmen der offenen und nicht offenen Verfahren wäre ein Dialog zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einzelnen Bietern nicht zulässig.65 Darüber hinaus widerspräche es dem Grundsatz des gesunden Wettbewerbs, wenn sich an dem offenen und nicht offenen Vergabeverfahren auch diejenigen Wirtschaftsteilnehmer beteiligen könnten, die den öffentlichen Auftraggeber bei der Festlegung der Auftragsspezifikationen unterstützt haben.66 Im Rahmen des Wettbewerblichen Dialogs sind es aber gerade die Teilnehmer, die gemeinsam mit dem öffentlichen Auftraggeber die Lösungsmodelle entwickeln, die später Grundlage der Vergabe sind. Zwar verursachen gerade diese parallelen Verhandlungen mit mehreren Teilnehmern für den öffentlichen Auftraggeber einen gewissen organisatorischen Aufwand. Der Vorteil des Dialogs liegt aber vor allem darin, dass der öffentliche Auftraggeber mit kompetenten Marktteilnehmern flexibel und bedarfsgerecht die individuelle Lösung für seinen konkreten Bedarf entwickelt.

VI. Bewertung der Regelungen zum Wettbewerblichen Dialog Unter Beachtung der Rahmenbedingungen, welche für einen gerechten und transparenten Wettbewerb ohnehin unabdingbar sind, erhält der öffentliche Auftraggeber im Rahmen des Wettbewerblichen Dialogs einen erheblichen Einfluss auf die Angebote. Dies gilt bereits nach Art. 44 Abs. 3 S. 1 VKR für die Zahl der Teilnehmer und nach Art. 29 Abs. 4 S. 1 VKR für die Zahl der unterbreiteten Lösungen. Auch inhaltlich kann der öffentliche Auftraggeber auf die Angebote Einfluss nehmen. Im Rahmen der Dialogphase werden nach Art. 29 Abs. 3 S. 2 VKR alle Aspekte der unterbreiteten Lösungsvorschläge erörtert und die Lösungsmodelle nach der Vorstellung des öffentlichen Auftraggebers weiterentwickelt. Darüber hinaus können Lösungen oder Teile daraus mit anderen kombiniert werden. In den Grenzen der veröffentlichten und / oder bekanntgemachten Kriterien kann der öffentliche Auftraggeber auf diese Weise

64 65 66

Mader, EuZW 2004, 425 (426). Kommission, KC)M(2000) 275 endgültig / 2, Rn. 3.2. Opitz, NZBau 2003, 183 (191); Werner /Freitag, NZBau 2000, 551 (552).

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seine eigenen Konzepte und Planungen einbringen. Die Weiterentwicklung der unterbreiteten Lösungen, die Kombination von Lösungen sowie der Einfluss des öffentlichen Auftraggebers auf den Inhalt der Lösungen in der Dialogphase stellt den wesentlichen Vorteil des Wettbewerblichen Dialogs aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers dar. Aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers kann allerdings nachteilig sein, dass ein größerer organisatorischer Aufwand erforderlich sein wird, um mit mehreren Teilnehmern gleichzeitig zu verhandeln. Aus Sicht der Teilnehmer kann nachteilig sein, dass auch sie einen erheblichen Aufwand haben können, wenn sie an der Erarbeitung der ausschreibungsfähigen Lösung mitarbeiten. Dieser Nachteil wäre gegebenenfalls durch Prämienzahlungen und Aufwandsentschädigungen nach Art. 29 Abs. 8 VKR jedenfalls teilweise auszugleichen. Besonders problematisch aus Sicht der Teilnehmer dürfte sein, dass der Zeitlauf des Verfahrens und insbesondere die Dauer der Dialogphase nicht vorgegeben sind, wodurch eine Rechts- und Planungssicherheit nicht gegeben ist 67 . Nach Art. 29 Abs. 5 VKR erklärt der öffentliche Auftraggeber die Dialogphase erst dann für beendet, wenn er seiner Ansicht nach die Lösung bzw. Lösungen ermittelt hat, mit denen seine Bedürfnisse erfüllt werden können. Damit steht die Beendigung der Dialogphase einseitig im Entscheidungsermessen des öffentlichen Auftraggebers. Die Gefahr besteht, dass der öffentliche Auftraggeber die Dialogphase immer weiter hinauszögern und das Verfahren letztendlich „totlaufen" lassen kann, wenn die Ergebnisse nicht gewünscht sind oder auch nur ein politischer Wille sich zwischenzeitlich geändert hat 68 . Für die teilnehmenden Unternehmen der Privatwirtschaft hätte sich in einem solchen Fall die Situation gegenüber einem unverbindlich durchgeführten Markterkundungs- bzw. Interessenbekundungsverfahren nicht verbessert. Ungelöst ist schließlich das Problem der Vertraulichkeit. Zwar ist speziell für die Dialogphase eine besondere Vertraulichkeit vorgeschrieben. Nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 V K R dürfen Lösungsvorschläge oder vertrauliche Informationen eines Teilnehmers nicht ohne dessen Zustimmung an andere Teilnehmer weitergegeben werden, nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 VKR insbesondere nicht, um andere Teilnehmer zu begünstigen. An der Vertraulichkeit haben vor allem die teilnehmenden Unternehmen der Privatwirtschaft ein großes Interesse, soweit bestimmte konzeptionelle und / oder technische Lösungen nicht zur Kenntnis der anderen Teilnehmer und wirtschaftlichen Konkurrenten gelangen sollen. Wie dieses Verbot der Weitergabe von bestimmten Informationen in der Praxis umgesetzt werden kann, ist allerdings fraglich. Vielmehr ist geradezu zwingend, dass die Teilnehmer der Dialogphase bei ihren Einzelverhandlungen je-

67 68

Werner /Freitag,, NZBau 2000, 551 (552). Rechten, NZBau 2004, 366 (368).

Der Wettbewerbliche Dialog

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denfalls mittelbar Kenntnis zumindest von Teilen der Lösungsansätze der anderen Teilnehmer erhalten. Wenn der öffentliche Auftraggeber einen bestimmten Lösungsvorschlag fortentwickelt oder ein neues Lösungsmodell aus der Kombination verschiedener Lösungsvorschläge unterbreitet, weiß der betreffende Teilnehmer, welche Teile aus den Verhandlungen mit anderen Teilnehmern entwickelt wurden. Es stellt sich dann die Frage, ob die betreffende Information vertraulich ist oder den Lösungsvorschlag eines anderen Teilnehmers betrifft und deshalb nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 VKR nicht ohne dessen Zustimmung hätte weitergegeben werden dürfen. Weil weder die Vertraulichkeit einer Information noch deren Zugehörigkeit zu einem Lösungsmodell klassifiziert sind, bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten. Damit besteht auch für den öffentlichen Auftraggeber die Gefahr, dass er im Rahmen des Dialogs Informationen an die Teilnehmer weitergibt, obwohl dies mangels vorheriger Zustimmung unzulässig ist. Um für den öffentlichen Auftraggeber der Gefahr zu begegnen, dass das Verfahren wegen Verstoßes gegen das Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen rechtsfehlerhaft ist, könnte man daran denken, dass die Teilnehmer von vornherein nach Art. 29 Abs. 3 S. 4 VKR ihre Zustimmung zur Weitergabe der Informationen geben. Unabhängig davon, ob und gegebenenfalls auf welche Weise die Vertraulichkeit der Information gegenüber den anderen Teilnehmern in der Dialogphase gestaltet ist, erlangen die zur Bietphase zugelassenen Teilnehmer mit den endgültigen Verdingungsunterlagen Kenntnis von den Ergebnissen der Dialogphase und damit gegebenenfalls von den Lösungsvorschlägen der anderen Teilnehmer. 69 Schließlich besteht auch in den Grenzen des jeweils geschützten geistigen Eigentums kein Schutz davor, dass der öffentliche Auftraggeber die Lösungen der Teilnehmer für eine Eigenlösung nutzt. 70

VII. Ausblick Vertreten wird, dass der Wettbewerbliche Dialog nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gelangt und die öffentlichen Auftraggeber geneigt sein werden, weiterhin eher die traditionellen offenen und nicht offenen Verfahren durchzuführen. Begründet wird dies damit, dass der Wettbewerbliche Dialog ohnehin lediglich subsidiär zur Anwendung gelangen dürfe 71 , und dass angesichts der ungeklärten Tatbestände des Art 29 Abs. 1 VKR Unsicherheit bestehe, ob die Voraussetzungen des Wettbewerblichen Dialogs überhaupt gegeben sind 72 . Ob

69 70 71 72

Werner /Freitag, NZBau 2000, 551 (552). Rechten, NZBau 2004, 366 (368). Mader, EuZW 2004, 425 (426). Rechten, NZBau 2004, 366 (368).

Martin Meißner

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diese Argumentation durchgreift, wird sich unter anderem auch danach richten, wie groß der Beurteilungsspielraum und wie weitgehend die Einschätzungsprärogative sind, die den öffentlichen Auftraggebern bei der Beurteilung der Subsidiarität und der Voraussetzungen des Wettbewerblichen Dialogs zugestanden werden. Auf die Anwendung des Wettbewerblichen Dialogs könnte vor allem aber auch folgendes einen Einfluss haben. Der Wettbewerbliche Dialog steht insbesondere mit seinem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb in Konkurrenz zu Markterkundungs- oder Interessenbekundungsverfahren, die zu einem offenen oder nicht offenen Vergabeverfahren fuhren können. Im Gegensatz zum Wettbewerblichen Dialog sind Markterkundungs- oder Interessenbekundungsverfahren aber unverbindlich und können jederzeit abgebrochen werden. Soweit diese mangelnde Bindung der vorgeschalteten Verfahren im Interesse der öffentlichen Auftraggeber ist, könnte der Wettbewerbliche Dialog aus ihrer Sicht nachteilig sein und selten zur Anwendung gelangen. Entscheidend wird deshalb sein, ob es gelingt, die Vorteile des Wettbewerblichen Dialogs zur Geltung zu bringen. Ein entscheidender Vorteil des Wettbewerblichen Dialogs wird vor allem darin gesehen, dass der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Dialogphase mehrere Lösungen oder Teile davon zu einer Lösung optimieren kann. 73 Damit kann der öffentliche Auftraggeber unter Beteiligung von darauf spezialisierten Unternehmen der Privatwirtschaft die individuell auf sein Vorhaben abgestimmten Planungen durchfuhren. 74 Hauptanwendungsbereich des Wettbewerblichen Dialogs könnten PPP (public private partnership) Projekte werden, bei denen Wirtschaftsteilnehmer öffentliche Einrichtungen nicht nur erstellen, sondern auch betreiben und finanzieren, wenn es gerade Gegenstand der Vergabe ist, kreative individuelle Lösungen zu erarbeiten. 75 Die Bereitschaft der Unternehmen der Privatwirtschaft, sich an einem Wettbewerblichen Dialog zu beteiligen, wird entscheidend davon abhängig sein, ob ihr Aufwand jedenfalls teilweise vergütet wird und es gelingt, ihre unternehmerischen Ideen im Verfahren zu schützen.

73 74 75

Opitz, NZBau 2003, 183 (191); Werner /Freitag, Knauff, EuZW 2004, 141 (142). So auch Rechten, NZBau 2004, 366 (368).

NZBau 2000, 551 (552).

Abschluss von Rahmenvereinbarungen Von Sandra Haak

I. Einleitung Rahmenvereinbarungen werden abgeschlossen, um bei sich wiederholenden Beschaffungsvorgängen nicht für jeden Einzelauftrag erneut ein Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Führt der Auftraggeber für den Abschluss der Rahmenvereinbarung ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durch, kann er die nachfolgenden Einzelaufträge für einen längeren Zeitraum ohne Aufruf zum Wettbewerb vergeben. Zugleich bieten Rahmenvereinbarungen den Vorteil, dass Vertragsbedingungen, wie der Preis oder die Menge der zu liefernden Waren, bei Abschluss der Vereinbarung nicht schon letztverbindlich festgelegt werden müssen. Vielmehr erfolgt die endgültige Festlegung erst bei Abschluss der Einzelverträge. Rahmenvereinbarungen ermöglichen daher bei längerfristigen Beschaffungsvorgängen eine praxisgerechte Vergabe und kommen den Interessen des öffentlichen Auftraggebers an einer flexiblen Auftragsvergabe entgegen. A m 31. März 2004 haben Europäisches Parlament und Rat schließlich nach mehr als dreijährigem Gesetzgebungsverfahren die Richtlinien 2004 / 17 / EG und 2004/ 1 8 / E G erlassen, die anstelle der bisherigen Richtlinien über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge treten. Anstoß für die Reform waren Forderungen der öffentlichen Auftraggeber und Bieter sowie Bestrebungen des europäischen Gesetzgebers, die bisherigen vergaberechtlichen Bestimmungen klarer zu definieren, um so eine Vereinfachung und Modernisierung des Vergabeverfahrens zu erreichen. 1 Dabei hat der europäische Gesetzgeber erstmals auch den Abschluss von Rahmenvereinbarungen über den Sektorenbereich hinaus für alle Bereiche der Auftragsvergabe ausdrücklich geregelt. Ob dies aus deutscher Sicht tatsächlich eine Neuerung darstellt, ist fraglich, da bisher sowohl vergaberechtliche Recht-

1

Richtlinie 2004/ 17/EG, ABl. 2004 Nr. L 134/1 (1); Richtlinie 2004/ 18/EG, ABl. 2004 Nr. L 134/114(114).

100

Sandra Haak

sprechung als auch Literatur die Bestimmungen der Sektorenrichtlinie zu Rahmenvereinbarungen auch außerhalb der Sektoren zumindest entsprechend anwenden. Dieser Vortrag soll einen Überblick über die derzeit geltende sowie künftige Rechtslage beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen geben. Insbesondere wird untersucht, welche Vor- und Nachteile den Auftraggebern und Bietern aus den neuen Bestimmungen der Richtlinien 2004 /17 / EG und 2004 / 18 / EG erwachsen, was dies für die inhaltliche Gestaltung von Rahmenvereinbarungen bedeutet und was bei Umsetzung der Richtlinien in deutsches Recht hinsichtlich der Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen optimiert werden sollte.

II. Bisherige Rechtslage 1. Rechtsquellen Das Vergaberecht regelt den Abschluss von Rahmenvereinbarungen bislang ausdrücklich nur für den Sektorenbereich. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Vorschriften: •



Verdingungsordnung für Bauleistungen, Teil A (VOB / A) -

§ 5 b V O B / A , 3. Abschnitt

-

§ 4 VOB / A - Sektorenrichtlinie (SKR), 4. Abschnitt

Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A (VOL / A) -

§ 5 b V O L / A , 3. Abschnitt

-

§ 4 V O L / A - S K R , 4. Abschnitt

Die vorgenannten Vorschriften beider Verdingungsordnungen sind im Wesentlichen deckungsgleich. In Nr. 1 enthalten sie jeweils eine kurze Definition der Rahmenvereinbarung, Nr. 2 gibt jeweils verfahrensrechtliche Regelungen vor und Nr. 3 der vorgenannten Vorschriften lautet einheitlich: „Rahmenvereinbarungen dürfen nicht dazu missbraucht werden, den Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen."

Wie bereits einleitend erwähnt, finden nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur die vorgenannten Regelungen und Grundsätze zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen auch auf öffentliche Aufträge außerhalb des Sektorenbereichs Anwendung. Im Übrigen beurteilt sich die rechtliche Wirksamkeit von Rahmenvereinbarungen nach den allgemeinen vergaberechtlichen Bestimmungen, insbesondere den in § 97 des Gesetzes gegen Wett-

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

101

bewerbsbeschränkungen (GWB) genannten vergaberechtlichen Grundsätzen. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB zu. Hierzu führte das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 26.07.2002 aus: „In der Sache ist der Sektorenauftraggeber bei der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung in gleicher Weise wie bei der Vergabe eines Einzelauftrags an die vergaberechtlichen Grundsätze gebunden. Infolge dessen hat er (u. a.) das Transparenzgebot sowie die Pflicht zur Dokumentation des Vergabeverfahrens und der dort getroffenen wesentlichen Entscheidungen zu beachten. [...] Für ihn gelten überdies die Vorschriften über die Angebotswertung. Er muss folglich den Zuschlag auf dasjenige Angebot erteilen, welches unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte als das wirtschaftlichste erscheint [...]. Dies vorausgeschickt beanstanden die Antragstellerinnen nach dem derzeitigen Sachstand zu Recht sowohl eine unzureichende Dokumentation des Vergabeverfahrens als auch eine unzureichende Angebotswertung."2

Darüber hinaus finden sich weitere Regelungen zu Rahmenvereinbarungen in Spezialgesetzen, zum Beispiel in den §§ 93 d Abs. 1 S. 1, 93 b, 93 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz. Außerhalb von Spezialgesetzen richten sich Inhalt und Abschluss von Rahmenvereinbarungen grundsätzlich nach den zivilrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches.3 Gegenstand dieses Vortrages sind ausschließlich die vergaberechtlichen Bestimmungen zu Rahmenvereinbarungen.

2. Anwendungsbereich Das im 4. Teil des GWB geregelte Kartellvergaberecht ist dann zu beachten, wenn sowohl der subjektive als auch der objektive Anwendungsbereich eröffnet sind. Der subjektive Anwendungsbereich ist dann eröffnet, wenn es sich bei der Vergabestelle um einen öffentlichen Auftraggeber nach § 98 GWB handelt. Für den objektiven Anwendungsbereich ist ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB erforderlich, der die jeweils einschlägigen Schwellenwerte nach §§100 Abs. 1, 127 GWB in Verbindung mit § 2 der Vergabeverordnung (VgV) erreicht bzw. überschreitet. Für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen gilt im Einzelnen Folgendes:

2

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 26.7.2002, Verg 28 / 02. Vergabekammer Münster, Beschl. vom 28.5.2004, VK 10/04; Vergabekammer Brandenburg, Beschl. vom 9.4.2004, 2 VK 18 / 01. 3

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a) Öffentlicher

Auftrag

Die Rahmenvereinbarung ist als öffentlicher Auftrag im Sinne von § 99 GWB zu qualifizieren. Dies ergibt sich nach einhelliger Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Vergabekammern aus § 5 b Nr. 2 Abs. 1 VOB / A (VOL / A) und aus § 4 Nr. 2 Abs. 1 VOB / A (VOL / A)-SKR. So hat die Vergabekammer Arnsberg mit Beschluss vom 21.5.2002 ausdrücklich festgestellt: „Der Charakter der Rahmenvereinbarung als öffentlicher Auftrag ergibt sich aus § 5 Nr. 2 Abs. 1 des 3. Abschnitts der VOB / A und § 4 Nr. 2 Abs. 1 VOB / A 4. Abschnitt SKR." 4

Die vorgenannten Vorschriften haben einheitlich folgenden Wortlaut: „Rahmenvereinbarungen können als Auftrag im Sinne dieser Vergabebestimmungen angesehen werden [...]".

Auch außerhalb des Sektorenbereichs hat die 2. Vergabekammer des Bundes in ihrem Beschluss vom 19.6.2000 den Charakter von Rahmenvereinbarungen als öffentliche Aufträge nach § 99 GWB ausdrücklich bestätigt: „Auch Rahmenvereinbarungen sind entgeltliche Verträge im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB. Zwar findet sich eine ausdrückliche Regelung für Rahmenvereinbarungen nur für den Sektorenbereich (zum Beispiel § 5 b VOL / A), nicht dagegen für öffentliche Auftraggeber, die nicht Sektorenauftraggeber sind. [...] Aus der Tatsache, dass für die „klassische Vergabe" in den ersten beiden Abschnitten der VOL / A eine Bezugnahme auf Rahmenvereinbarungen nicht vorgenommen wurde, kann jedoch nicht geschlossen werden, dass solche Vereinbarungen durch diese Auftraggeber unzulässig wären."5

b) Schwellenwert Der Schwellenwert von Rahmenvereinbarungen wird auf Grundlage der geschätzten Höchstwerte aller für die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen geplanten Aufträge berechnet.6 Für die Berechnung des Schwellenwertes maßgeblich ist damit die Summe der jeweiligen Einzelaufträge. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) soll dadurch der Anwendungsbereich des Vergaberechts sichergestellt und Umgehungen der vergaberechtlichen Vorschriften vermieden werden. Der EuGH hat hierzu ausgeführt: „Zur Rechtfertigung der Nichteinhaltung der Bekanntmachungsvorschriften des Artikels 9 der Richtlinie trägt die griechische Regierung vor, der Rahmenvertrag stelle nur eine Struktur dar, innerhalb derer zahlreiche Lieferaufträge vergeben würden, de4 5 6

Vgl. Vergabekammer Arnsberg, Beschl. vom 21.5.2002, VK 7-10 / 2002. Vergabekammer des Bundes, Beschl. vom 19.6.2000, VK 2-10 / 00. Vgl. Vergabekammer Arnsberg, Beschl. vom 21.5.2000, VK 1-7-10 / 2002.

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

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ren Wert jeweils nicht den in Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a erster Gedankenstrich der Richtlinie festgelegten Schwellenwert von 200.000 ECU überschreite. [...] Diesem Vorbringen kann nicht zugestimmt werden. Zu dem auf den Wert der fraglichen Aufträge gestützten Argument ist festzustellen, dass der Rahmenvertrag die verschiedenen Aufträge zusammenfasst und dass der Gesamtwert dieser Aufträge 200 000 ECU übersteigt. Jede andere Auslegung des Artikels 5 Abatz 1 Buchstabe a erster Gedankenstrich der Richtlinie würde es den Wirtschaftsteilnehmern auch, wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, ermöglichen, die in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zu umgehen."7

Nach § 2 VgV gelten je nach Auftragsgegenstand und Auftraggeber auch für Rahmenvereinbarungen insbesondere die folgenden Schwellenwerte: •

für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Sektorenbereich € 400.000;



für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der obersten oder oberen Bundesbehörden [...]€ 130.000;



für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge € 200.000;



für Bauaufträge € 5,0 Mio.;



[-]

Eine Besonderheit gilt auch für Rahmenvereinbarungen bei der Berechnung des Schwellenwerts für langfristige Dauerschuldverhältnisse. Hier ist in der Regel der 48-fache Betrag der geschuldeten Monatszahlungen maßgeblich. Die konkrete Berechnung des Auftragswertes erfolgt durch Schätzung seitens der Vergabestelle, wobei die Umsatzsteuer nicht einbezogen wird. 8 c) Wahl der Verfahrensart Nach § 5 b Nr. 2 Abs. 1 VOB / A (VOL / A) bzw. § 4 Nr. 2 Abs. 1 VOB / A (VOL / A)-SKR „ können " Rahmenvereinbarungen als öffentliche Aufträge im Sinne der Vergabebestimmungen angesehen werden und aufgrund eines Verfahrens nach § 3 b Nr. 1 VOB / A (VOL / A) bzw. § 3 Nr. 2 VOB / A (VOL / A)-SKR abgeschlossen werden. Der öffentliche Auftraggeber ist also nicht dazu verpflichtet, für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung ein Verfahren nach diesen Vergabebestimmungen durchzuführen. Vielmehr ist es ihm freigestellt, ob er bereits für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung ein Vergabeverfahren durchführt. Dieses Wahlrecht ergibt sich aus dem Wortlaut der vorgenannten Regelungen, die

7 8

EuGH, Slg. 1995,1-1071 (1086 f.). Mader, EuZW 1999, 331 (336).

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nicht davon sprechen, dass ein Verfahren nach § 3 b Nr. 1 VOB / A (VOL / A) bzw. § 3 Nr. 2 VOB / A (VOL / A)-SKR durchgeführt werden „ muss ". 9 Führt der Auftraggeber zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung kein Verfahren nach den Vergabebestimmungen durch, ist er nach § 5 b Nr. 2 Abs. 3 VOB / A (VOL / A) bzw. § 4 Nr. 2 Abs. 3 VOB / A (VOL / A)-SKR aber verpflichtet, vor Vergabe der Einzelaufträge auf Grundlage dieser Rahmenvereinbarung nach § 17 b VOB / A (VOL / A) bzw. § 9 VOB / A (VOL / A)-SKR einen Aufruf zum Wettbewerb durchzuführen. 10 Entscheidet sich der Auftraggeber bereits für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens, richtet sich die Wahl der richtigen Verfahrensart nach allgemeinen Grundsätzen. Dies ergibt sich aus dem Verweis von § 5 b Nr. 2 Abs. 1 V O B / A ( V O L / A ) auf § 3 b Nr. 1 VOB / A (VOL / A) bzw. von § 4 Nr. 2 Abs. 1 VOB / A (VOL / A)-SKR auf § 3 Nr. 2 VOB / A (VOL / A)-SKR. Die §§ 3 b Nr. 1 VOB / A (VOL / A) bzw. 3 Nr. 2 VOB / A (VOL / A)-SKR sehen für die Durchführung des Verfahrens zur Vergabe von Rahmenvereinbarungen ebenso wie für die Vergabe sonstiger Verträge das Offene Verfahren, das Nichtoffene Verfahren oder das Verhandlungsverfahren vor. Die Hierarchie der Verfahrensarten bestimmt sich auch hier nach § 101 Abs. 5 GWB, der vorgibt, dass das Offene Verfahren vorrangig vor dem Nichtoffenen Verfahren und das Nichtoffene Verfahren vorrangig vor dem Verhandlungsverfahren anzuwenden ist. Schließt der Auftraggeber die Rahmenvereinbarung nach Durchführung eines den Vergabebestimmungen entsprechenden Verfahrens ab, können Einzelaufträge, die aufgrund der Rahmenvereinbarung geschlossen werden, nach § 5 b Nr. 2 Abs. 2 V O B / A ( V O L / A ) bzw. § 4 Nr. 2 Abs. 2 V O B / A (VOL / A)-SKR nach § 3 b Nr. 2 c) V O B / A ( V O L / A ) bzw. § 3 Nr. 3 e) VOB / A-SKR (§ 3 Nr. 3 g)) VOL / A-SKR „freihändig" ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb vergeben werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass bei Abschluss der Einzelaufträge die in der Rahmenvereinbarung definierten Rahmenbedingungen nicht geändert werden. Werden die Bedingungen geändert, dürfen die Einzelaufträge nur nach erneuter Durchführung eines Vergabeverfahrens geschlossen werden. 11

9 Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, Handkommentar zur VOB, 10. Auflage 2003, § 5 b Rn. 3; von Baum, in: Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen, 2001, § 5 b Rn. 12. 10 Keldungs , in: Ingenstau / Korbion, VOB Teile A und B, 15. Auflage 2004, § 5 b) Rn. 6 ff.; Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, a.a.O., § 5 b) Rn. 4. 11 Mader , EuZW 2004,425 (426).

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

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Damit hat der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich ein Wahlrecht: Entweder führt er bereits auf erster Stufe für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung ein förmliches Vergabeverfahren durch. Für diesen Fall darf er künftig abzuschließende Einzelaufträge auf Grundlage dieser Rahmenvereinbarung dann ohne erneute Durchführung eines Vergabeverfahrens abschließen. Schließt er demgegenüber eine Rahmenvereinbarung nicht in einem formlichen Vergabeverfahren ab, so muss er für den Abschluss eines jeden Einzelauftrages ein Verfahren durchführen. Damit ist sichergestellt, dass die aufgrund einer Rahmenvereinbarung zu erbringenden Leistungen im Wettbewerb vergeben werden. 3. Inhaltliche Gestaltung Nach §§ 5 b Nr. 2 Abs. 1 V O B / A ( V O L / A ) , 4 Nr. 1 Abs. 1 V O B / A (VOL / A)-SKR wird die Rahmenvereinbarung wie folgt einheitlich definiert: „Eine Rahmenvereinbarung ist eine Vereinbarung mit einem oder mehreren Unternehmern, in der die Bedingungen für Einzelaufträge festgelegt werden, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, insbesondere über den in Aussicht genommenen Preis und ggf. die in Aussicht genommene Menge."

Rechtsprechung und Vergabekammern haben diese Definition seit Umsetzung der Sektorenrichtlinie in das deutsche Recht in einer Vielzahl von Entscheidungen konkretisiert. Im Folgenden werden die wesentlichen Aspekte dargestellt, die bei der inhaltlichen Gestaltung von Rahmenvereinbarungen zu beachten sind. a) Wesentliche Vertragsbestandteile Eine Rahmenvereinbarung setzt zunächst den Abschluss einer Vereinbarung mit einem oder mehreren Unternehmern voraus. Die Vereinbarung muss bereits die wesentlichen Vertragsbestandteile enthalten. Dies sind insbesondere Angaben über den Vertragstyp, den Gegenstand der zu erbringenden Leistung und die Art der Vergütung. Die 2. Vergabekammer des Bundes hat hierzu in ihrem Beschluss vom 19.6.2000 ausgeführt: „Im vorliegenden Fall ist zwischen der VSt und der ... am 7. März 2000 eine wirksame Rahmenvereinbarung in Sachen ... zustande gekommen, die die wesentlichen Vertragsbestandteile enthält. Insbesondere sind bereits durch die Ausschreibungsbedingungen einschließlich der Leistungsbeschreibung der Vertragstyp, der Gegenstand der zu erbringenden Leistung und die Art der Vergütung festgelegt worden. [...] Der Auftragnehmer hat sich verpflichtet, für einen bestimmten Zeitraum zu einem festen Tages-...preis ein bestimmtes Schiff mit der festgelegten Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Die VSt hat sich durch den Abschluss des Rahmenvertrages auf eine bestimmte „Lieferquelle" festgelegt und sich zur Abnahme der Leistung unter Entrichtung des angebotenen Preises verpflichtet." 12 12

2. Vergabekammer des Bundes, Beschl. vom 19.6.2000, VK 2-10 / 00.

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b) Bedingungen für Einzelaufträge Des Weiteren muss die Rahmenvereinbarung die Bedingungen für die Einzelaufträge festlegen. Die Vereinbarung hat die Einzelaufträge hinreichend genau zu konkretisieren, etwa durch Angabe des Auftragsgegenstandes, der Auftragsbedingungen und des Zeitrahmens der Auftragsausführung. Hinsichtlich der Auftragsbedingungen hat das KG Berlin in seinem Beschluss vom 19.4.2000 festgestellt: „Selbst wenn aber die analoge Anwendung in Betracht käme, griffe die Bestimmung mangels Vorliegens einer Rahmenvereinbarung nicht ein. Eine solche setzt eine Konkretisierung der Einzelaufträge voraus. Sie ist definiert als eine Vereinbarung mit einem oder mehreren Unternehmen, in der Bedingungen für Einzelaufträge festgelegt werden, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, insbesondere über den in Aussicht genommenen Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge. Hier waren demgegenüber die Entwicklungsperspektiven eher vage aufgenommen. Weder war umrissen, wie die Einzelaufträge beschaffen sein würden, noch kann von einer Festlegung der Bedingungen für sie die Rede sein. Zudem fehlte der Zeitrahmen." 13

Ferner muss die Rahmenvereinbarung die Bedingungen für den Abschluss der Einzelaufträge festlegen. Das bedeutet, dass durch die Rahmenvereinbarung keine verbindlichen Abnahmepflichten des Bieters begründet, sondern lediglich entsprechende Optionen auf Abschluss von Einzelaufträgen eingeräumt werden. Dementsprechend stellte die Vergabekammer Düsseldorf in ihrem Beschluss vom 30.6.2000 fest: „Ein Rahmenvertrag setzt eine Leistungsbeziehung voraus, in die sich weitere Leistungserbringungen als Ausfüllung des Rahmenvertrages einbinden."14

Enthält eine Vereinbarung bereits rechtsverbindliche Regelungen bezüglich der abzuschließenden Einzelverträge, das heißt ergibt die Auslegung der Rahmenvereinbarung, dass bereits gegenseitige Rechte und Pflichten der Vertragsparteien begründet werden, so dass der Abschluss eines Einzelauftrages entbehrlich ist, ist die Vereinbarung nicht als Rahmenvereinbarung zu qualifizieren. Hierzu hat die Vergabekammer Münster in ihrem Beschluss vom 28.5.2004 ausgeführt:

13

KG Berlin, Beschl. vom 19.4.2000, KartVerg 6 / 00; Kulartz , NZBau 2001, 173

(179). 14 Vergabekammer Düsseldorf, Beschl. vom 30.6.2000, VK - 10 / 2000 - L; Boesen, Vergaberecht, 2000; Zur Kontroverse im Schrifttum, ob eine Rahmenvereinbarung zwingend als Optionsvertrag für den Auftraggeber ausgestaltet sein muss, vgl. von Baum, in: Müller-Wrede, a.a.O., § 5 b Rn. 6; Boesen, a.a.O., § 99 Rn. 38; Rusam in: Heiermann / Riedel / Rusam, a.a.O., VOB / A § 5 b Rn. 4; Müller , in: Daub / Eberstein, Kommentar zur VOL / A, 5. Auflage 2000, § 5 b Rn. 8, jeweils m.w.N.

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„Dabei handelt es sich auch nicht um eine Rahmenvereinbarung vergleichbar mit § 5 b Nr. 1 VOL / A, wonach in einer Vereinbarung die Bedingungen für die Einzelaufträge festgelegt werden, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen werden sollen, insbesondere im Hinblick auf die in Aussicht genommene Menge und Preis. Danach besteht keine bindende Abnahmeverpflichtung, sondern darüber müsste jeweils durch Einzelvertrag zwischen den Vertragsparteien entschieden werden. Die beabsichtigte Vereinbarung entfaltet aber Bindungswirkung und begründet gegenseitige Verpflichtungen zwischen den Vertragspartnern, weil ein weiterer Einzelauftrag nicht geschlossen werden muss."15

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass eine Rahmenvereinbarung sowohl die wesentlichen inhaltlichen Vorgaben (Auftragsgegenstand, Auftragsbedingungen, Zeitrahmen etc.) als auch die Bedingungen für den Abschluss der Einzelaufträge festlegen muss. Insbesondere zeichnet sich eine Rahmenvereinbarung gerade dadurch aus, dass sie keine bindende Abnahmeverpflichtung begründet, sondern diese erst durch den noch abzuschließenden Einzelauftrag zwischen den Vertragsparteien begründet wird. Ist dies nicht der Fall, liegt keine Rahmenvereinbarung im Sinne der vorgenannten Vorschriften vor. 4. Rechtliche Grenzen der Gestaltung Zwar unterliegt die konkrete inhaltliche Ausgestaltung von Rahmenvereinbarungen grundsätzlich der autonomen Vertragsgestaltung von Auftraggebern und Bietern. Aufgrund der bereits erörterten Besonderheiten für Rahmenvereinbarungen, insbesondere ihrer wettbewerbsbeeinträchtigenden Wirkung, haben die Parteien jedoch gewisse rechtliche Grenzen zu beachten. Diese werden im Folgenden anhand einiger praxisrelevanter Punkte dargestellt. a) Laufzeit

Nach bisherigem Recht wird angenommen, dass die Geltungsdauer der Rahmenvereinbarung den Zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten soll, so dass die regelmäßige Laufzeit der Rahmenvereinbarung je nach Art der Beschaffung zwischen ein und drei Jahren liegt. Die Laufzeitbegrenzung wird damit begründet, dass eine Rahmenvereinbarung für die Dauer der Laufzeit auf dem relevanten Markt die Nachfrage nach der vergebenen Leistung beseitigt und damit Bietern, die nicht den Zuschlag erhalten haben, den Marktzutritt erschwert. In diesem Sinne werden Rahmenvereinbarungen als Marktzutrittsschranken qualifiziert. Aus der potenziell wettbewerbsbeschränkenden Wirkung wird daher geschlossen, dass Rahmenvereinbarungen keine zu langen 15

Vergabekammer Münster, Beschl. vom 28.5.2004, VK 10 / 04.

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Laufzeiten haben dürfen, da sie andernfalls den Wettbewerb beschränken und damit gegen § 5 b Nr. 3 VOB / A (VOL / A) verstoßen. 16 Die Laufzeitbegrenzung gilt jedoch nicht für die auf Grundlage der Rahmenvereinbarung abgeschlossenen Einzelverträge. Denn eine derartige zeitliche Begrenzung der Einzelaufträge wird nicht vom Sinn und Zweck des § 5 b Nr. 2 VOB / A (VOL / A) bzw. § 4 Nr. 2 VOB / A (VOL / A)-SKR erfasst und würde zudem zu unpraktikablen Ergebnissen führen. Denn nach diesen Regelungen sollen Rahmenverträge nicht zu Wettbewerbsbeschränkungen führen. Die Regelungen zielen damit auf die vertragliche Besonderheit von Rahmenverträgen ab, für eine unbestimmte Vielzahl von Einzelverträgen die Rahmenbedingungen zu schaffen und damit für die Dauer der Rahmenvereinbarung die gesamte Nachfrage an den im Rahmenvertrag vorgesehenen Leistungserbringer zu binden. Um dies zu verhindern, soll die Laufzeit der Rahmenvereinbarung auf maximal drei Jahre begrenzt werden. Demgegenüber werden die jeweiligen Einzelaufträge, die in Folge der Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden, vom Regelungszweck dieser Vorschriften nicht berührt. Bestätigt wird dies durch § 3 Abs. 3 S. 2 VgV, wonach das Vergaberecht Einzelverträge mit einer Vertragslaufzeit von über drei Jahren ausdrücklich für zulässig erachtet. Nach dieser Vorschrift gilt: „Bei unbefristeten Verträgen oder bei nicht absehbarer Vertragsdauer folgt der Vertragswert aus der monatlichen Zahlung multipliziert mit 48."

Danach wäre es rechtlich nicht begründbar, dass Einzelaufträge, die in Folge einer Rahmenvereinbarung zustande gekommen sind, nur über drei Jahre abgeschlossen werden dürften, während die gleichen Verträge außerhalb einer Rahmenvereinbarung vergaberechtlich für zulässig erachtet werden. Auch aus praktischen Erwägungen ist eine Beschränkung der Einzelverträge auf drei Jahre vergaberechtlich nicht gewollt. Dies gilt insbesondere für Leistungen im IT-Bereich. Denn würden IT-Leistungen nach drei Jahren enden und im Rahmen einer erneuten Ausschreibung ein anderer Generalunternehmer mit einem neuen IT-System obsiegen, so würde dies dazu führen, dass alle bisher abgerufenen IT-Leistungen (Hardware, Software etc.) an das neue System angepasst werden müssten. Dies kann mit den vergaberechtlichen Vorschriften zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen jedoch nicht gewollt sein.

16 Keldungs , in: Ingenstau / Korbion, VOB, a.a.O., § 5 b Rn. 9; Müller , in: Daub / Eberstein, a.a.O., § 5 b Rn. 9; von Baum, in: Müller-Wrede, a.a.O., § 5 b Rn. 23 m.w.N.

Abschluss von Rahmenvereinbarungen b) Eindeutige

und erschöpfende

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Beschreibung

Weiter sind Leistungen i n Rahmenvereinbarungen nach § 9 Nr. 1 V O B / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 1 V O L / A eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung i m gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können. I n Vergabeverfahren z u m Abschluss v o n Rahmenvereinbarungen muss daher die Leistungsbeschreibung so eindeutig und erschöpfend sein, dass sich die Bieter eine zutreffende V o r stellung v o n den geforderten Leistungen machen und sich daher m i t der geforderten Leistung eingehend inhaltlich auseinander setzen können. 1 7 Daher verstoßen so genannte „Nullmengenverträge", das heißt Rahmenvereinbarungen, die zu keinerlei Abnahmemengen verpflichten, nach allgemeiner Ansicht gegen § 9 Nr. 1 V O B / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 1 V O L / A . Beispielhaft für diese Ansicht sind die Ausführungen der 1. Vergabekammer des Bundes i n ihrem Beschluss v o m 19.9.2001 zur Unzulässigkeit einer Rahmenvereinbarung für Transport- und Hausarbeiteraufgaben: „Die VSt hat mit der Leistungsbeschreibung keine Basis für die Abgabe miteinander vergleichbarer Angebote hergestellt. Dies gilt einmal in Bezug auf den Inhalt der nachgefragten Leistung. [...] Gleiches gilt für den Umfang der Leistungen. Die VSt beschränkt sich in diesem Zusammenhang darauf, einmal das Einsatzgebiet mit „ca. 10 Dienstgebäude" zu umschreiben, sowie des Weiteren von „bis zu 65 Transportarbeitern zu sprechen. Insbesondere für im Ausland ansässige Interessenten am Auftrag, die nicht mit... Gegebenheiten vertraut sind, wird mit diesen Angaben in keiner Weise deutlich, welche Grundstücksfläche hier insgesamt in Rede steht, wie groß die Dienstgebäude sind, wie viele Mitarbeiter die VSt beschäftigt etc. Aus solchen Rahmendaten ließen sich zumindest noch gewisse Rückschlüsse auf den Umfang der Arbeiten ziehen. Die von der VSt genannten „bis zu 65 Transportarbeiter" orientieren sich nicht am Regelfall, sondern geben nur den Personenbedarf in Extremsituationen wieder. Der ausschließliche Bezug auf den Extremfall ist jedoch nicht ausreichend, um den Bietern eine seriöse Kalkulationsbasis an die Hand zu geben, da für die Kalkulation eines Angebotes vorrangig der alltägliche Normalfall ausschlaggebend sein wird. Im Leistungsverzeichnis ist nicht vorgesehen, dass die Leistung, Personal für den Extremfall - 65 Personen - vorzuhalten, separat vergütet wird. Der Auftragnehmer wird also diese, laut Leistungsverzeichnis geforderte Vorhalteleistung bei seiner Berechnung des Stundenansatzes für das zum Einsatz gebrachte Personal mitberücksichtigen müssen. Um diese Rechnung mit Aussicht auf die Abgabe eines wirtschaftlichen Angebotes vornehmen zu können, ist die Kenntnis dessen, wie viele seiner Arbeitnehmer im Durchschnitt zum Einsatz kommen, von eminenter Bedeutung."18

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von Baum, in: Müller-Wrede, a.a.O., § 5 b Rn. 10; Noch, in: Müller-Wrede, a.a.O., § 8 Rn. 19. 18 1. Vergabekammer des Bundes, Beschl. vom 19.9.2001, VK 1-33/01; Vogel , Anm. zu Beschluss des OLG Düsseldorf vom 26.7.2002, Verg 28 / 02, VergabeR 2003, 90 (90) m.w.N. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf liegt in diesem Fall ein

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Zu beachten ist jedoch, dass die Vergabekammer des Bundes die Pflicht zur Konkretisierung der Leistungsmenge in einer Rahmenvereinbarung davon abhängig macht, dass es der Vergabestelle auch tatsächlich möglich gewesen wäre, die Kriterien näher zu bezeichnen. Hierzu fuhrt die 1. Vergabekammer des Bundes im oben genannten Beschluss weiter aus: „Eine weitergehende Konkretisierung dessen, was inhaltlich und in welchem Umfang nachgefragt wird, wäre der VSt auch durchaus möglich gewesen. Dies belegen die internen Vermerke der VSt aus dem Zeitraum Juni 2000 und Februar 2001, die sich unter anderem mit der Frage befassen, ob eine hausinterne Erledigung der bislang extern vergebenen Aufträge opportun sei. [...] Dort hat die VSt jedoch in Bezug auf beide Verträge mit der bisherigen Auftragnehmerin [...] unter Aufzählung der im Einzelnen aufgeschlüsselten Tätigkeiten eine detaillierte Beschreibung des IstZustandes vorgenommen. Beispielsweise werden dort bei den allgemeinen Hausarbeiten Tätigkeiten wie „Wechseln" von Schmutzstoppermatten", „Wässern von Grünanlagen", „Unkraut auf Verkehrsflächen entfernen" genannt. Ebenso ergibt sich aus diesen Vermerken, wie hoch der durchschnittliche Bedarf an Transportarbeitern ist. Es wird dort im Einzelnen aufgelistet, wie viele Mitarbeiter die bisherige Auftragnehmerin in jedem Dienstgebäude ganztägig einsetzt."

Damit ist für die Beurteilung der Vereinbarkeit der Rahmenvereinbarung mit den Vorgaben des § 9 Nr. 1 VOB / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A entscheidend, dass die Beschreibung der Leistung insgesamt, das heißt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, einen nachvollziehbaren Vergleich der zu erbringenden Leistungen ermöglicht. In diesem Sinne stellte die Vergabekammer des Bundes in ihrem Beschluss vom 19.9.2001 fest: „Um den Vorgaben von § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A Genüge zu tun und damit die Bieter in den Stand zu versetzen, sich genaue Vorstellungen über den Auftrag zu machen und kalkulieren zu können, hätte eine vergleichbare Auflistung der Tätigkeiten sowie zumindest die Angabe der Summe der in der Vergangenheit durch die bisherige Auftragnehmerin eingesetzten Mitarbeiter auch in der Leistungsbeschreibung erfolgen müssen."

Die Pflicht zur Konkretisierung der Menge dürfte somit ganz entfallen und Nullmengenverträge nicht gegen § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A verstoßen, wenn der Vergabestelle die erforderlichen Unterlagen zur Konkretisierung der Menge nicht zur Verfügung stehen. Gleichwohl ist zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten in der Praxis zu empfehlen, in der Leistungsbeschreibung zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung, stets - soweit möglich - Angaben zu Mindest- und Höchstmengen zu machen.

Vcrstoi3 gegen § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL / A vor, das heißt stellt die Vereinbarung einer Vergütung für den Nullmengenvertrag für den künftigen Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis dar, OLG Düsseldorf, Beschl. vom 5.10.2001, Verg 28/01.

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c) Darstellung aller Umstände der Preisermittlung Nach § 9 Nr. 1 VOB / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL / A sind in den Verdingungsunterlagen alle beeinflussenden Umstände des Preises anzugeben. Dabei ist zu beachten, dass § 5 b Nr. 1 VOB / A (VOL / A) für Rahmenvereinbarungen nur die Angabe des „in Aussicht genommenen Preises" verlangt. Folglich kann für Rahmenvereinbarungen nicht verlangt werden und ist oftmals auch nicht möglich, den endgültigen Preis sowie die ihn beeinflussenden Umstände zu benennen. Dies gilt umso mehr, als beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen die Preisentwicklung während deren Laufzeit in der Regel nicht vorhersehbar ist. Daher reicht es aus, dass in Rahmenvereinbarungen die Berechnungsart (zum Beispiel Einheits- oder Pauschalpreise), Richtpreise, Stundenlohnverrechnungssätze, die Höchstzahl zu leistender Stunden und andere preisbildende Faktoren aufgezählt werden. Ferner ist es zulässig, prognostizierte Preisschwankungen durch Preisgleitklauseln aufzufangen. 19 d) Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses Durch eine Rahmenvereinbarung darf dem zukünftigen Auftragnehmer nach § 9 Nr. 2 VOB / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL / A kein ungewöhnliches Wagnis für Umstände und Ereignisse aufgebürdet werden, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf den Preis und die Fristen im Voraus nicht abgeschätzt werden kann. Ob ein solches Wagnis vorliegt, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Entscheidend ist hierfür im Regelfall, ob dem Auftragnehmer das mit der Auftragsvergabe verbundene unternehmerische Risiko aufgebürdet werden darf. Dies richtet sich nach Art und Umfang der nachgefragten Leistung sowie nach der Branchenüblichkeit. 20 Eine Rahmenvereinbarung genügt den Anforderungen des § 9 Nr. 2 VOB / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL / A, wenn zwar der konkrete Leistungsumfang noch nicht feststeht, jedoch der Leistungsgegenstand und damit auch das unternehmerische Risiko hinreichend klar beschrieben werden kann. Dem zukünftigen Auftragnehmer ist in der Regel auch zumutbar, die mit dem Fehlen des konkreten Leistungsumfangs verbundenen Kalkulationsschwierigkeiten hinzunehmen. So stellt das Fehlen von Liefermengen gerade bei Rahmenvereinbarungen ein typisches Risiko dar, dem sich die Unternehmen im Wettbewerb mit anderen Bietern stellen müssen. Zudem besteht bei der Gestaltung

19 Keldungs , in: Ingenstau / Korbion, a.a.O., § 5 b Rn. 3; von Baum, in: Müller-Wrede, a.a.O., § 5 b Rn. 10. 20 Noch, in : Müller-Wrede, a.a.O., § 8 Rn. 38.

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von Rahmenvereinbarungen auch die Möglichkeit, derartige Risiken z u m Beispiel durch Preisgleitklauseln aufzufangen. 21 Fehlen dem Bieter dagegen Informationen über den Leistungsgegenstand, begründet der Abschluss einer Rahmenvereinbarung für den Auftragnehmer regelmäßig ein ungewöhnliches Wagnis nach § 9 Nr. 2 V O B / A bzw. § 8 Nr. 1 Abs. 3 V O L / A . So liegt beispielsweise ein ungewöhnliches Wagnis vor, wenn dem Bieter die Erklärung abverlangt wird, die Gewähr für das Funktionieren eines Softwaresystems auf künftig zu beschaffende Hardware des Auftraggebers zu übernehmen, wenn dem Auftragnehmer z u m Abschluss der Rahmenvereinbarung noch nicht bekannt ist, u m welche A r t von Hardware es sich dabei handelt. Die Vergabekammer Thüringen hat dies i n ihrem Beschluss v o m 30.11.2001 wie folgt begründet: „Gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL / A ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können. Dabei soll, nach Abs. 3 der Vorschrift, dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus einschätzen kann. Indem die Vergabestelle auf einen - im Übrigen, den Bietern unbekannten - Rahmenvertrag verwies und die o. g. Erklärungen abverlangte, stellte der Inhalt einer solchen Erklärung ein ungewöhnliches Wagnis für die Bieter dar. Hinzu kommt, dass diese Information erst gegeben wurde, nachdem eine entsprechende Anfrage eines Bieters erfolgte. Dabei wurde seitens der VSt selbst keine Aussage getroffen, sondern die Bieter an eine dritte Firma verwiesen, die selbst nicht Vertragspartner dieses Rahmenvertrages ist. Eine Erklärung solchen Inhalts durfte nicht abverlangt werden, weil weder bekannt ist noch bekannt sein kann, welche Hardware die Vergabestelle künftig beschaffen wird, noch über welche technische Ausstattung diese Hardware dann verfügen wird. Eine Garantie bzw. eine Gewährleistung kann nur im Hinblick auf solche Produkte bzw. der Funktionsfähigkeit eines Systems mit solchen Produkten übernommen und damit auch abverlangt werden, deren Ausstattung heute bereits bekannt ist." 22 V o n der Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses zu Lasten des Bieters ist daher auch b e i m Abschluss einer Rahmenvereinbarung auszugehen, wenn das jeweils übliche unternehmerische Risiko überschritten w i r d und nicht mehr kalkulierbar ist.

21 22

EF-S.

von Baum, in: Müller-Wrede, a.a.O., § 5b Rn. 9. Vergabekammer Thüringen, Beschl. vom 30.11.2001, Az. 216-4003.20-133/01-

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

e) Verfolgung

vergabefremder

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Zwecke

Rahmenvereinbarungen dürfen auch nicht für vergabefremde Zwecke missbraucht werden. Dies ergibt sich aus § 16 Nr. 2 VOB / A (VOL / A), die als allgemeine Vorschriften auch für Rahmenvereinbarungen gelten. Ob ein solcher Missbrauch gegeben ist, kann - ebenso wie das Vorliegen eines ungewöhnlichen Wagnisses - nur im Einzelfall beurteilt werden. Ein Beispiel ist die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung mit dem alleinigen Zweck, Ertragsberechnungen und Vergleichsvorschläge unterschiedlicher Bieter zu erhalten. Ferner liegt ein Missbrauch dann vor, wenn durch die Rahmenvereinbarung Einzelaufträge lediglich in Aussicht gestellt werden sollen. 23 f) Wahl der Rahmenvereinbarung als Vertragsform Nach der Entscheidungspraxis der Vergabekammern des Bundes unterliegt die Entscheidung der Vergabestelle, einen Auftrag als Rahmenvereinbarung und nicht als Einzelauftrag zu vergeben, ebenfalls der Überprüfung durch die Vergabekammern. Diese prüfen hierbei, ob die Ausschreibung als Rahmenvereinbarung sachgerecht ist. Dies ist einzelfallabhängig unter Einbeziehung sämtlicher Umstände zu beurteilen. So hat die 2. Vergabekammer des Bundes die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung für Einsatzleitsysteme der Polizei an mehreren Standorten als sachgerecht beurteilt. Die Vergabestelle habe sich bei der Wahl der Rahmenvereinbarung als Vertragsform davon leiten lassen, dass die Einführung eines einheitlichen Systems an allen Standorten sinnvoll sei. Hierzu führte die Vergabekammer aus: „Diese Einschätzung erscheint zutreffend, da andernfalls nicht nur höhere Kosten wegen geringerer Auftragsvolumina, sondern auch technische Schwierigkeiten bei der Vernetzung der Systeme, erhöhte Reparaturen und Anpassungsschwierigkeiten beim Wechsel des Bedienungspersonals zwischen mit unterschiedlichen Systemen ausgestatteten Standorten zu befürchten wären. Die Ausschreibung als Rahmenvertrag war bei dieser Sachlage die vergaberechtlich angemessene Konsequenz/"24

23

VÜA Thüringen, Beschl. vom 8.6.1999, 2 V Ü 3 / 99. 2. Vergabekammer des Bundes, Beschl. vom 31.5.2002, VK 2-20 / 02; Beschluss aus anderem Grunde aufgehoben durch Beschluss des OLG Düsseldorf vom 17.7.2002, Verg 30 / 02. 24

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III. Künftige Rechtslage Die neuen Vergaberichtlinien 2004 / 17 / EG und 2004 / 18 / EG enthalten zum Teil sehr ausfuhrliche Regelungen für Rahmenvereinbarungen, die nachfolgend im Überblick dargestellt werden sollen. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf die für das Vergabeverfahren und die inhaltliche Gestaltung von Rahmenvereinbarungen wesentlichen Regelungen.

1. Richtlinie 2004 / 1 8 / EG Die Richtlinie 2004 / 18 / EG fasst die bislang bestehenden Einzelrichtlinien zu Dienstleistungsaufträgen, Lieferaufträgen und Bauaufträgen außerhalb des Sektorenbereichs in einer Richtlinie zusammen. Erstmals sind nunmehr auch für den Bereich der „klassischen Vergabe" ausdrückliche Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen enthalten, die im Folgenden kurz dargestellt werden:

a) Anwendungsbereich / Verfahren Die zentralen Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen finden sich in Art. 32 der Richtlinie. Dieser regelt insbesondere das Verfahren zur Vergabe der Einzelaufträge bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer sowie bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern. Im Einzelnen: aa) Rahmenvereinbarung als Regelungsoption Zunächst stellt Art. 32 Abs. 1, Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 der Richtlinie den Mitgliedstaaten frei, den Abschluss von Rahmenvereinbarungen zuzulassen. Damit lässt der europäische Gesetzgeber ausdrücklich den Abschluss von Rahmenvereinbarungen außerhalb des Sektorenbereichs zu: „Art. 32 (1) Die Mitgliedstaaten können für die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen vorsehen. (2) Für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung befolgen die öffentlichen Auftraggeber die Verfahrensvorschriften dieser Richtlinie in allen Phasen

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bis zur Zuschlagserteilung der Aufträge, die auf diese Rahmenvereinbarung gestützt sind." bb) Schwellenwert Die Berechnung des Schwellenwertes wird nach Art. 9 Abs. 9 entsprechend des Gesamtwerts der nach der Rahmenvereinbarung abzuschließenden Einzelaufträge berechnet: „Art. 9

[...] (9) Der zu berücksichtigende Wert einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems ist gleich dem geschätzten Gesamtwert ohne MWSt aller für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung oder des dynamischen Beschaffungssystems geplanten Aufträge." cc) Verfahren bei der Vergabe der Einzelaufträge Nach Art. 32 Abs. 2 UAbs. 3 der Richtlinie dürfen die Vertragsbedingungen für Einzelaufträge nicht von den in der Rahmenvereinbarung festgelegten Rahmenbedingungen abweichen: „Art. 32 (2) [...] Bei der Vergabe der auf einer Rahmenvereinbarung beruhenden Aufträge dürfen die Parteien keinesfalls substanzielle Änderungen an den Bedingungen dieser Rahmenvereinbarungen vornehmen; dies ist insbesondere in dem in Absatz 3 genannten Fall zu beachten." Ferner werden in Art. 32 Abs. 2 UAbs. 2 der Richtlinie verfahrensrechtliche Regelungen hinsichtlich der Vergabe der auf der Rahmenvereinbarung beruhenden Einzelaufträge getroffen: „Art. 32 (2) [...] Aufträge, die auf einer Rahmenvereinbarung beruhen, werden nach den in den Absätzen 3 und 4 beschriebenen Verfahren vergeben. Diese Verfahren sind nur zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den Wirtschaftsteilnehmern anzuwenden, die von Anbeginn an der Rahmenvereinbarung beteiligt sind." Art. 32 Abs. 3 gibt das Verfahren für den Abschluss der Einzelaufträge bei einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer vor: „(3) Wird eine Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer geschlossen, so werden die auf dieser Rahmenvereinbarung be-

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ruhenden Aufträge entsprechend den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vergeben. Für die Vergabe der Aufträge kann der öffentliche Auftraggeber den an der Rahmenvereinbarung beteiligten Wirtschaftsteilnehmer schriftlich konsultieren und ihn dabei auffordern, sein Angebot erforderlichenfalls zu vervollständigen." Art. 32 Abs. 4 normiert Regelungen für die Erteilung der Einzelaufträge bei Beteiligung mehrerer Wirtschaftsteilnehmer an einer Rahmenvereinbarung: „(4) Wird eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern geschlossen, so müssen mindestens drei Parteien beteiligt sein, sofern eine ausreichend große Zahl von Wirtschaftsteilnehmern die Eignungskriterien und / oder eine ausreichend große Zahl von zulässigen Angeboten die Zuschlagskriterien erfüllt. Die Vergabe von Aufträgen, die auf einer mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern geschlossenen Rahmenvereinbarung beruhen, erfolgt - entweder nach den Bedingungen der Rahmenvereinbarung ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb -

oder, sofern nicht alle Bedingungen in der Rahmenvereinbarung festgelegt sind, nach erneutem Aufruf der Parteien zum Wettbewerb zu denselben Bedingungen, die erforderlichenfalls zu präzisieren sind, oder gegebenenfalls nach anderen, in den Verdingungsunterlagen der Rahmenvereinbarung genannten Bedingungen, und zwar nach folgendem Verfahren: a) Vor Vergabe jedes Einzelauftrages konsultieren die öffentlichen Auftraggeber schriftlich die Wirtschaftsteilnehmer, die in der Lage sind, den Auftrag auszuführen. b) Die öffentlichen Auftraggeber setzen eine hinreichende Frist für die Abgabe der Angebote für jeden Einzelauftrag; dabei berücksichtigen sie unter anderem die Komplexität des Auftragsgegenstands und die für die Übermittlung der Angebote erforderliche Zeit. c) Die Angebote sind schriftlich einzureichen, ihr Inhalt ist bis zum Ablauf der Einreichungsfrist geheim zu halten. d) Die öffentlichen Auftraggeber vergeben die einzelnen Aufträge an den Bieter, der auf der Grundlage der in den Verdingungsunterlagen der Rahmenvereinbarung aufgestellten Zuschlagskriterien das jeweils beste Angebot vorgelegt hat."

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dd) Bekanntmachungen Art. 35 der Richtlinie gibt Regelungen zur Veröffentlichung der Bekanntmachungen im EG-Amtsblatt vor. Speziell für Rahmenvereinbarungen normiert Art. 35 Abs. 4 UAbs. 2 abweichend von Art. 35 Abs. 4 UAbs. 1, dass: „bei Rahmenvereinbarungen im Sinne von Art. 32 brauchen die öffentlichen Auftraggeber nicht für jeden Einzelauftrag, der aufgrund dieser Vereinbarung vergeben wird, eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des jeweiligen Vergabeverfahrens abzusenden."

b) Inhaltliche Gestaltung aa) Definition Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie definiert die Rahmenvereinbarung wie folgt: „Eine Rahmenvereinbarung ist eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmer, die zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge."

bb) Laufzeit Die Höchstlaufzeit einer Rahmenvereinbarung wird in Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 grundsätzlich auf vier Jahre festgelegt, wobei hiervon in Sonderfällen eine Ausnahme gemacht werden darf: „Art. 32 (2) [...] Mit Ausnahme von Sonderfällen, in denen dies insbesondere aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt werden kann, darf die Laufzeit der Rahmenvereinbarung vier Jahre nicht überschreiten." cc) Missbrauchsverbot Schließlich normiert die Richtlinie in Art. 32 Abs. 2 UAbs. 5 ein allgemeines Missbrauchsverbot für die Verwendung von Rahmenvereinbarungen: „Art. 32 (2) [...] Der öffentliche Auftraggeber darf das Instrument der Rahmenvereinbarung nicht missbräuchlich oder in einer Weise anwenden, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht wird."

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2. Richtlinie 2 0 0 4 / 1 7 / E G Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Sektorenbereich bleibt weiterhin einer separaten Richtlinie vorbehalten. So enthält die Richtlinie 2004 / 17 / EG ebenso wie die bisherige Richtlinie 93 / 38 / EWG vom 14.06.1993 ausschließlich Regelungen zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste statt - wie bisher - des Telekommunikationssektors.

a) Anwendungsbereich / Verfahren Die Richtlinie regelt in Art. 14 Abs. 1 die Zulässigkeit von Rahmenvereinbarungen: „Art. 14 (1) Die Auftraggeber können eine Rahmenvereinbarung als Auftrag im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 ansehen und gemäß dieser Richtlinie schließen." In Art. 17 Abs. 3 bestimmt die Richtlinie, dass sich der Schwellenwert nach dem Gesamtwert der nach der Rahmenvereinbarung abzuschließenden Einzelaufträge bemisst. Die Regelung ist inhaltsgleich mit Art. 9 Abs. 9 der Richtlinie 2004/ 18/EG. Schließlich sieht die Richtlinie in Art. 14 Abs. 3, 40 Abs. 3 lit. i) vor, dass die aufgrund der Rahmenvereinbarung abgeschlossenen Einzelaufträge nur dann ohne weiteren Aufruf zum Wettbewerb geschlossen werden dürfen, wenn hinsichtlich des Verfahrens zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung die Bestimmungen der Richtlinie eingehalten werden: „Art. 14 (2) Haben die Auftraggeber eine Rahmenvereinbarung gemäß dieser Richtlinie geschlossen, so können sie bei der Vergabe von Aufträgen, denen diese Rahmenvereinbarung zugrunde liegt, Artikel 40 Absatz 3 Buchstabe i) in Anspruch nehmen. (3) Ist eine Rahmenvereinbarung nicht gemäß dieser Richtlinie geschlossen worden, so können die Auftraggeber Artikel 40 Absatz 3 Buchstabe i) nicht in Anspruch nehmen. Art. 40 (3) Die Auftraggeber können in folgenden Fällen auf ein Verfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zurückgreifen: [...]

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i) bei Aufträgen, die aufgrund einer Rahmenvereinbarung vergeben werden, sofern die in Artikel 14 Absatz 2 genannte Bedingung erfüllt ist; [...]." Abweichend von Art. 32 Abs. 2 UAbs. 3 der Richtlinie 2004 / 18 / EG regelt die Richtlinie 2004 / 17 / EG nicht ausdrücklich, dass die Vertragsbedingungen für die Vergabe der Einzelaufträge nicht von den in der Rahmenvereinbarung festgelegten Rahmenbedingungen abweichen dürfen. Auch werden keine Verfahrensregelungen zur Konsultation der Wirtschaftsteilnehmer bei der Vergabe von Einzelaufträgen bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung vorgegeben. 25 b) Inhaltliche Gestaltung Die Definition der Rahmenvereinbarung in Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004 / 17 / EG entspricht deijenigen der Richtlinie 2004 / 18 / EG. Gleiches gilt für das Missbrauchsverbot in Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie 2004 / 17 / EG. Anders als die Richtlinie 2004/ 1 8 / E G beschränkt die Richtlinie 2004/ 1 7 / E G die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen im Regelfall jedoch nicht ausdrücklich auf vier Jahre.

IV. Vergleich mit bisheriger Rechtslage 1. Richtlinie 2004/18 / E G a) Zulässigkeit von Rahmenvereinbarungen Im Gegensatz zu den bisherigen Richtlinien über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, Lieferaufträge sowie Bauaufträge enthält die neue Richtlinie 2004/ 18/EG nunmehr ausdrücklich Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen. Damit folgt der europäische Gesetzgeber der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, wonach auch außerhalb des Sektorenbereichs der Abschluss von Rahmenvereinbarungen zulässig ist. Gleiches gilt für die Regelungen zur Berechnung des Schwellenwerts. Art. 9 Abs. 9 der Richtlinie stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass für den Wert einer Rahmenvereinbarung der geschätzte Nettogesamtwert aller für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung abzuschließenden Einzelaufträge maßgeblich ist.

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Siehe oben III. l.a)dd).

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b) Vergabe der Einzelaufträge Die Regelung in Art. 32 Abs. 2 UAbs. 3 der Richtlinie entspricht der bisherigen allgemeinen Ansicht, nach der für die Vergabe der Einzelaufträge ein ordentliches Vergabeverfahren durchgeführt werden muss, wenn die Einzelaufträge von den in der Rahmenvereinbarung definierten Rahmenbedingungen abweichen.26 Jedoch wäre es im Sinne einer klaren Rechtslage wünschenswert gewesen, dass die Richtlinie zugleich auch die rechtliche Sanktion eines Verstoßes gegen Art. 32 Abs. 2 UAbs. 3, das heißt die Pflicht zur Ausschreibung der Einzelaufträge, mitgeregelt hätte. Ohne diese Regelung bleibt bis zu einer Befassung der vergaberechtlichen Rechtsprechungsorgane für die Beteiligten des Vergabeverfahrens die Rechtsunsicherheit, welche rechtliche Konsequenz an einen Verstoß gegen die Vorschrift geknüpft ist. Insbesondere sind die Regelungen des Art. 32 Abs. 3 UAbs. 2 und Art. 32 Abs. 4 2. Spiegelstrich lit a) über die Konsultation des bzw. der Wirtschaftsteilnehmer(s) und die Aufforderung zur Konkretisierung ihrer Angebote zweckmäßig und ermöglichen der Vergabestelle, die konkreten Vertragsbedingungen für die Einzelaufträge festzulegen. Zu begrüßen sind ferner die detaillierten Regelungen in Art. 32 Abs. 3 und Abs. 4 der Richtlinie zum Verfahren bei der Vergabe der Einzelaufträge bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen bzw. mehreren Wirtschaftsteilnehmern. Die Regelung des Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2, 1. Spiegelstrich entspricht den bisherigen Regelungen der § 5 b Nr. 2 Abs. 2 VOB / A (VOL / A) bzw. § 4 Nr. 2 Abs. 2 VOB / A (VOL / A)-SKR, nach denen ein Einzelauftrag, der mit einer ordnungsgemäß getroffenen Rahmenvereinbarung vereinbar ist, ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb abgeschlossen werden darf. Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2., 2. Spiegelstrich entspricht im Ansatz den bisherigen Vorschriften der § 5 b Nr. 2 Abs. 3 VOB / A (VOL / A) bzw. § 4 Nr. 2 Abs. 3 VOB / A (VOL / A)-SKR, nach denen Einzelaufträge infolge von Rahmenvereinbarungen, die nicht unter Beachtung der Vergaberegeln ausgeschrieben wurden, nur nach vorherigem Aufruf zum Wettbewerb geschlossen werden dürfen. Allerdings beschränkt Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2, 2. Spiegelstrich die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zum erneuten Aufruf zum Wettbewerb auf die Parteien der Rahmenvereinbarung. Eine entsprechende Beschränkung des Personenkreises enthalten die bisherigen Regelungen nicht. Sie verpflichten den Auftraggeber allgemein zur Durchführung eines Aufrufes zum Wettbewerb.

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Siehe oben, II. 2. b).

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Gleichwohl stellen sich bei der Neuregelung zwei Fragen. Erstens ist unklar, unter welchen Voraussetzungen nach Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2, 2. Spiegelstrich „nicht alle Bedingungen " in der Rahmenvereinbarung festgelegt sind. Zwar bestimmt Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie, dass in der Rahmenvereinbarung zumindest der Preis, der Zeitraum der vertraglichen Bindung und gegebenenfalls die in Aussicht genommenen Menge benannt werden müssen. Zudem dürfte feststehen, dass unter „alle Bedingungen" nicht alle Bedingungen der Einzelaufträge zu verstehen sein dürften, denn diese Bedingungen werden bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung typischerweise noch nicht geregelt. Jedoch bleibt offen, ob mit „alle Bedingungen" darüber hinaus weitere Kriterien genannt werden müssen, zumal Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie in diesem Zusammenhang die Wörter „insbesondere" und „gegebenenfalls" verwendet. Auch hier hätte der europäische Gesetzgeber die Gelegenheit nutzen können, eine inhaltlich präzisere Regelung zu treffen, indem Kriterien wie der Preis durch Angabe weiterer Faktoren (Berechnungsart, Richtpreise etc.) konkretisiert werden. Schließlich sieht Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2, 2. Spiegelstrich lit. a) vor, dass die Vergabe der Einzelaufträge nach erneutem Aufruf zum Wettbewerb in der Weise erfolgt, dass diejenigen Wirtschaftsteilnehmer konsultiert werden, die zur Ausführung des Auftrags „in der Lage sind". Hierbei lässt die Richtlinie offen, welche rechtliche Bedeutung dem Merkmal „in der Lage sind " zukommt. Das Merkmal ergibt vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtslage nur Sinn, wenn die Vergabestelle eine Art Vorbewertung und -auswahl der am Wettbewerb teilnehmenden Wirtschaftsteilnehmer treffen soll und diese dann nach Art. 32 Abs. 4 UAbs. 2, 2. Spiegelstrich lit. b) der Richtlinie schriftlich zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Nach der bisherigen Rechtslage verstößt eine Vorbewertung und -auswahl der Wirtschaftsteilnehmer für die Vergabe von Einzelaufträgen gegen das vergaberechtliche Diskriminierungsverbot, nach dem jedes Unternehmen, das Partei der Rahmenvereinbarung ist, die Möglichkeit zur Angebotsabgabe haben muss und sein Ausschluss erst aufgrund der Wertung seines Angebots erfolgen darf. Andererseits wird hierdurch der Wettbewerb unter den Wirtschaftsteilnehmern beschränkt, da die aufgrund einer Vorauswahl ausgeschlossenen Unternehmen nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert werden und ihnen damit der Zugang zum Wettbewerb um den Einzelauftrag verwehrt wird. Es bleibt daher abzuwarten, wie das Merkmal „in der Lage sind" insbesondere vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgebots von Rechtsprechung und Literatur ausgelegt werden wird. c) Inhaltliche Gestaltung Die Legaldefinition der Rahmenvereinbarung in Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 2004 7 18/ EG deckt sich mit der bisherigen Definition der Rechtsprechung und

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Entscheidungspraxis der Vergabekammern. Auch das in Art. 32 UAbs. 5 der Richtlinie festgelegte Missbrauchsverbot bringt keine Änderung der bisherigen Rechtslage. Neu ist dagegen nach Art. 32 Abs. 2 UAbs. 4 der Richtlinie 2004 / 18 / EG die ausdrückliche Festlegung der Höchstlaufzeit der Rahmenvereinbarung auf grundsätzlich vier Jahre. Während nach der bisherigen Rechtslage davon ausgegangen wurde, dass sich eine Rahmenvereinbarung nicht über einen längeren Zeitraum als drei Jahre erstrecken sollte, hat nun der europäische Gesetzgeber der Praxis eine klare zeitliche Vorgabe an die Hand gegeben, die insbesondere aufgrund der vorgesehenen Ausnahmeregelung für Sonderfälle eine praxisgerechte Handhabung ermöglichen wird. Auch insoweit hätte sich angeboten, die Sonderfälle abschließend oder zumindest beispielhaft zu regeln. 2. Richtlinie 2 0 0 4 / 1 7 / E G Im Gegensatz zu Art. 32 der Richtlinie 2004/ 1 8 / E G regelt Art. 14 der Richtlinie 2004 / 17 / EG das Vergabeverfahren nur rudimentär, das heißt nur hinsichtlich der Möglichkeit, die Einzelaufträge ohne Aufruf zum Wettbewerb zu vergeben. Angesichts der Tatsache, dass das Verfahren zur Vergabe von Rahmenvereinbarungen im Sektorenbereich gleichermaßen regelungsbedürftig ist, sollten die verfahrensrechtlichen Regelungen der Richtlinie 2004 / 18 / EG unter Berücksichtigung der oben geäußerten Kritik daher einheitlich auch finden Sektorenbereich umgesetzt werden. Im Hinblick auf die Gestaltung von Rahmenvereinbarungen hat die Richtlinie 2004 / 17 / EG im Vergleich zur bisherigen Rechtslage keine wesentlichen Neuregelungen gebracht. Die Definition der Rahmenvereinbarung stimmt im Wesentlichen mit der bisherigen Regelung überein. Anders als in der Richtlinie 2004 / 18 / EG hat der europäische Gesetzgeber die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen explizit nicht grundsätzlich auf vier Jahre beschränkt. Da jedoch auch nach bisheriger Rechtsprechung aufgrund der identischen Rechtswirkungen einer Rahmenvereinbarung für alle Bereiche der Auftragsvergabe von einem einheitlichen Zeitrahmen (drei Jahre nach herrschender Ansicht) ausgegangen wird, dürfte die Laufzeitregelung der Richtlinie 2004 / 18 / EG auch auf Rahmenvereinbarungen im Sektorenbereich anzuwenden sein. Denn auch dort erfordert die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs die Begrenzung der Laufzeit von Rahmenvereinbarungen. Gleiches dürfte für die Regelungen der Richtlinie 2004 / 18 / EG zum Ablauf des Verfahrens bei Vergabe der Einzelaufträge gelten.

Abschluss von Rahmenvereinbarungen

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V. Fazit Abschließend kann festgestellt werden, dass die Reform der Vergaberichtlinien hinsichtlich der Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen sowohl für Auftraggeber als auch Bieter zwar größere Klarheit sowie Rechtssicherheit bedeuten. Zum einen ist der Abschluss von Rahmenvereinbarungen nunmehr auch ausdrücklich außerhalb des Sektorenbereich zulässig. Zum anderen enthalten die Richtlinien detailliertere Regeln zum Vergabeverfahren, insbesondere zur Vergabe der Einzelaufträge sowie zur Höchstlaufzeit einer Rahmenvereinbarung. Zu kritisieren ist jedoch, dass die neuen Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen aufgrund ihres teilweise unklaren und uneinheitlichen Wortlauts Spielraum für unterschiedliche Auslegungsansätze lassen, was auf Seiten der Anwender zu Rechtsunsicherheit führt. Insbesondere wäre wünschenswert gewesen, dass der europäische Gesetzgeber die Regelungen zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen in beiden Richtlinien einheitlich normiert hätte, zumal für eine uneinheitliche Handhabung keine sachlichen Gründe ersichtlich sind. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere, dass die Richtlinie 2004 / 17 / EG für Aufträge im Sektorenbereich keine detaillierten Regelungen zum Verfahren bei der Vergabe von Einzelaufträgen enthält und die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen nicht begrenzt, zumal der Abschluss von Rahmenvereinbarungen bislang ausschließlich für den Sektorenbereich geregelt war. Schließlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn der europäische Gesetzgeber die Gelegenheit ergriffen und Aspekte der inhaltlichen Gestaltung von Rahmenvereinbarungen noch genauer definiert hätte. So geben die Richtlinien zwar vor, dass Preis, Laufzeit der Vereinbarung und gegebenenfalls Menge der zu erbringenden Leistung in der Rahmenvereinbarung genannt werden müssen. Jedoch wurde versäumt, diese Kriterien näher zu definieren, beispielsweise durch Angabe, welche preisbildenden Faktoren (Richtpreise, Berechnungsart etc.) zu benennen sind, ob die Nennung von Höchstpreisen ausreichend ist oder wie ein Angebot zu bewerten ist, das keine Angaben zur Menge der gelieferten Ware enthält. Denn die vergaberechtliche Rechtsprechung und die Entscheidungspraxis der letzten Jahre haben gezeigt, dass insbesondere hinsichtlich der an die Bezeichnung der Kriterien für die ausgeschriebene Leistung in den Ausschreibungsunterlagen und in der Rahmenvereinbarung zu stellenden Anforderungen erhebliche Unsicherheit besteht. Der deutsche Gesetzgeber ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nunmehr dazu verpflichtet, die Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen, wobei die Umsetzung der Richtlinien nach Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2004 / 18 / EG bzw. Art. 71 Abs. 1 der Richtlinie 2004 / 17 / EG spätestens bis zum 31.01.2006 erfolgt sein muss. Bei der Umsetzung gilt das „Gebot der voll-

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Sandra Haak

ständigen Umsetzung" der Richtlinien in das mitgliedstaatliche Recht. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 249 UAbs. 3 EG zwar einen Umsetzungsspielraum haben und grundsätzlich nur an das Ziel der Richtlinien gebunden sind. Jedoch sind sie aufgrund des „effet utile"-Grundsatzes dazu verpflichtet, den Richtlinieninhalt so wirksam wie möglich in das mitgliedstaatliche Recht umzusetzen. Dies hat der EuGH in seinem grundlegenden Urteil in der Rechtssache ,»Kommission / Belgien" vom 01.03.1983 im Zusammenhang mit der Frage der unmittelbaren Wirkung nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien ausdrücklich klargestellt. Angesichts der Lückenhaftigkeit und den teilweise unzureichenden Regelungen der neuen Vergaberichtlinien zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen sollte der deutsche Gesetzgeber daher bei Umsetzung der neuen Vergaberichtlinie in deutsches Recht die Gelegenheit nutzen, die bestehenden Lücken der Richtlinien richtlinienkonform durch praxisgerechte, detailliertere und klare Regelungen zu füllen und damit zur Rechtssicherheit der Anwender beizutragen. Nur so kann das Ziel der neuen Vergaberichtlinien, das Vergabeverfahren zu vereinfachen und zu modernisieren, auch für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen und deren inhaltliche Gestaltung optimal erreicht werden.

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme V o n Martin Müller*

I. Einführung Die Ansätze und Strategien zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung sind vielfältig 1 : Neben dem N e w Public Management 2 und Neuen Steuerungsmodellen 3 gerät zunehmend die elektronische Verwaltung i n den B l i c k . Zentraler Punkt ist hier der Einsatz moderner Medien wie Computer und Internet. A u f gemeinschaftsrechtlicher Ebene spricht man insoweit neudeutsch von eEurope 4 , auf nationaler Ebene von eGovernment 5 . Sektoral steht insbesondere das Vergaberecht i m Fokus der aktuellen Entwicklung: Unter den Schlagworten eProcurement 6 , eVergabe 7 , Online-Beschaffung, A 2 B 8 oder G 2 B 9 w i r d die Vergabe

* Der Verfasser ist Inhaber einer Professur für Wirtschaftsverwaltungsrecht an der Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel. Er ist Herrn Tobias Ernst vom Institut für Recht der Wirtschaft an der Universität Hamburg für die Hilfe bei der Materialbeschaffung zu Dank verpflichtet. 1 Siehe Eckpunktepapier der Bundesregierung für eine Verschlankung des Vergaberechts vom 12.5.2004, abrufbar unter http://www.staat-modern.de (15.9.2004). 2 Vgl. Wolff 7Bachof 7Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl. 1999, § 1 Rn. 20a m.w.N. 3 Vgl. Wolff 7Bachof 7Stober (o. Fußn. 2), § 2 Rn. 31 m.w.N. 4 Überblick über die Aktivitäten der EG unter http://europa.eu.int/informaton_socie ty/eeurope/2005/index_eu. htm (15.9.2004). 5 Vgl. Lücke 7Reinermann, Speyerer Definition von Electronic Government, 2000, S. 2, im Internet abrufbar unter http://foev.dhv-speyer.de/ruvii/SP-EGov.pdf (15.9. 2004), die eGovernment definieren als „Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (government) mit Hilfe von Informationsund Kommunikationstechniken über elektronische Medien." Ein Überblick zur Entwicklung findet sich bei Peters , CR 2003,68 ff. 6

Siehe http://europa.eu.int/ISPO/ida/jsps/index.jsp?fuseAction=showDocument& parent=crossreference&documentID=2048 (15.7.2004). Informationen zu einem IDA eProcurement Workshop am 11.5.2004 finden sich unter http://europa.eu.int.ISPO/ida/ jsps/doc.jsp?2368 (15.9.2004). 7 S. dazu M. Müller , NIP 2003, Heft 4, S. 24 ff.; ders. 7Ernst, NJW 2004, 1768 ff. Von der eVergabe streng zu unterscheiden ist der Begriff der IT-Vergabe, der die Ver-

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Martin M e r

öffentlicher Aufträge via Internet in vielen Mitgliedstaaten bereits praktiziert, allerdings mit einem bislang zumindest teilweise unzureichenden Rechtsrahmen. So finden sich etwa in Deutschland zwar einzelne Bestimmungen zur elektronischen Vergabe 10 , wo solche Bestimmungen jedoch fehlen, ist auf die allgemeinen Regelungen, insb. die Grundprinzipien des Vergaberechts, zurückzugreifen mit der Maßgabe, dass das herkömmliche Schutzniveau nicht unterschritten werden darf 11 . Der Rechtsrahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge befindet sich, bedingt durch zwei neue Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004, im Umbruch 12 . Im einzelnen handelt es sich um die -

Richtlinie 2004 / 18 / EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge 13 (im folgenden: VKR) sowie die

-

Richtlinie 2004 / 17 / EG zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste14 (im folgenden: SKR).

Mit der Zusammenführung von drei der bislang insgesamt sechs Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe 15 und der Neufassung einer weiteren Richtli-

gabe von IT-Leistungen durch die öffentliche Hand bezeichnet, s. dazu Heckmann, CR 2004, 401 ff. In diesem Zusammenhang ist hinzuweisen auf die für die öffentliche Hand existierenden Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen (EVB-IT), s. http://www.kbst.bund.de (15.9.2004), und dazu Feil / Lentzen, CR 2002, 407 ff., sowie die Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Pflege von Standardsoftware (EVB-IT Pflege S), und dazu Feil / Leitzen, CR 2003, 161 ff. 8 A2C = Administration to Business; vgl. dazu Ortün, Introduction, IDAeProcurement Workshop am 11.5.2004, abrufbar unter http://europa.eu.int/ISPO/ida/ jsps/doc.jsp?2368 (15.9.2004). 9 G2B = Government to Business; vgl. dazu Lücke /Reinermann (o. Fußn. 5), passim. 10 Siehe näher M.Müller /Ernst (o. Fußn. 7), 1769 f. 11 So ausdrücklich Ingenstau /Korbion, VOB, 15. Aufl. 2003, § 21 V O B / A Rn. 6 a.E. 12 Eine erste Bewertung findet sich bei Knauff, EuZW 2004, 141 ff.; zur Entstehungsgeschichte s. Opitz, NZBau 2003, 183 ff. 13 ABl. EU L 134/ 114 ff. 14 ABl. EU L 134/1 ff. 15 Richtlinie 93 / 36 / EWG, ABl. Nr. L 199, S. 1 ff. (sog. Lieferkoordinierungsrichtlinie); Richtlinie 93 / 37 / EWG, ABl. Nr. L 199, S. 54 ff. (Baukoordinierungsrichtlinie); Richtlinie 92 / 50 / EWG, ABl. Nr. L 207, S. 1 ff.; (Dienstleistungsrichtlinie); Richtlinie 8 9 / 6 6 5 / E W G , ABl. Nr. L 395, S. 33 ff. (sog. Rechtsmittelrichtlinie); Richtlinie 93 / 3 8 / E W G , ABl. Nr. L 199, S. 84 ff. (sog. Sektorenrichtlinie); Richtlinie 9 2 / 1 3 / EWG, ABl. Nr. L 76, S. 14 ff. (Rechtsmittelsektorenrichtlinie); jeweils mehrfach geändert.

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nie sowie jeweils ihrer Vereinfachung, Modernisierung und Flexibilisierung werden auch neue Instrumentarien des Vergaberechts etabliert und geregelt, nämlich insbesondere die elektronischen Auktionen, die dynamischen Beschaffungssysteme und die Rahmenvereinbarungen. Gleichzeitig ist damit der Rahmen der weiteren Ausfuhrungen abgesteckt. Denn die vorstehend aufgeführten Richtlinien - wie auch ihre noch ausstehende Transformation in das nationale mitgliedstaatliche Recht - gelten allein für die Vergabe öffentlicher Aufträge oberhalb der sog. Schwellenwerte, deren Höhe die Richtlinien neu festlegen 16. Nicht problematisiert werden soll auch der in einer aus dem Jahre 1999 stammenden Richtlinie determinierte, für die eVergabe primär technische Aspekt der elektronischen Signatur 17 sowie die allgemeinen Fragen der Einführung internetbasierter Vergabeverfahren 18.

II. Begriffsbestimmungen Die Begriffe der elektronischen Auktion und des dynamischen Beschaffungssystems sind in den neuen Richtlinien wie folgt umschrieben: 1. Elektronische Auktion Eine elektronische Auktion ist „ein iteratives Verfahren, bei dem mittels einer elektronischen Vorrichtung nach einer ersten vollständigen Bewertung der Angebote jeweils neue, nach unten korrigierte Preise und / oder neue, auf bestimmte Komponenten der Angebote abstellende Werte vorgelegt werden, und das eine automatisierende Klassifizierung dieser Angebote ermöglicht" 19 . 20

16

Vgl. Art. 7 VKR, Art. 16 f. SKR. Vgl. Richtlinie 1 9 9 9 / 9 3 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. Nr. L 13/2000, S. 12 ff. und das neu gefasste Signaturgesetz vom 16.5.2001, BGBl. I S. 876, sowie die Signaturverordnung vom 16.5.2001, BGBl. I S. 3074. 17

18

Z.B. die Zulässigkeit ausschließlich internetbasierter Vergabeverfahren - heute weitgehend anerkannt, vgl. KPMG (Hg.), Chancen und Risiken inverser Auktionen im Internet für Aufträge der öffentlichen Hand - Abschlußbericht 2001, S. 44 f., im Internet abrufbar unter www.bmwa.bund.de/Navigation/Service/Bestellservice/publikationeninformationsgesellschaft.html (15.9.2004). Zur Rechtslage in Österreich vgl Preise , NZBau 2004, 83; österr. BVergG, öBGBl. 2002 I Nr. 99, und österr. E-ProcurementVerordnung, abgedr. NZBau 2004, 318 ff. 19 Art. 1 Abs. 7 VKR, Art. 1 Abs. 6 SKR. 20 Im Privatrecht spricht man insoweit von „umgekehrten Versteigerungen" oder „holländischen Auktionen", vgl. BGH CR 2004, 290 m. Anm. Leible / Sosnitza.

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Martin Müller

Ausgenommen von diesem Verfahren sind „bestimmte Bau- und Dienstleistungsaufträge, bei denen eine geistige Leistung zu erbringen ist - wie z.B. die Konzeption von Bauarbeiten."

2. Dynamisches Beschaffungssystem Ein dynamisches Beschaffungssystem ist „ein vollelektronisches Verfahren für Beschaffungen von marktüblichen Leistungen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers genügen; dieses Verfahren ist zeitlich befristet und steht während der gesamten Verfahrensdauer jedem Wirtschaftsteilnehmer offen, der die Eignungskriterien erfüllt und ein erstes Angebot im Einklang mit den Verdingungsunterlagen unterbreitet hat." 21

3. Das Merkmal „elektronisches Verfahren" Die Legaldefinition der elektronischen Auktion enthält das Merkmal der elektronischen Vorrichtung, mittels derer Preise vorgelegt werden können, diejenige des dynamischen Beschaffungssystems spricht von einem elektronischen Verfahren. Die Termini dürften im Wesentlichen deckungsgleich sein. Ein elektronisches Verfahren ist ein solches, „bei dem elektronische Geräte für die Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten zum Einsatz kommen und bei dem Informationen über Kabel, über Funk, mit optischen Verfahren oder mit anderen elektromagnetischen Verfahren übertragen, weitergeleitet und empfangen werden." 22

4. Abgrenzung zur Rahmenvereinbarung Die Richtlinien führen neben dem dynamischen Beschaffungssystem auch allgemein die sog. Rahmenvereinbarung ein. Dies macht eine Abgrenzung beider Verfahrensformen notwendig. Unter einer Rahmenvereinbarung versteht das neue Recht „eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern, die zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitrau-

21 22

Art. 1 Abs. 6 VKR, Art. 1 Abs. 5 SKR. Art. 1 Abs. 13 VKR, Art. 1 Abs. 12 SKR.

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme

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mes vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge." 23 Der wesentliche Unterschied zwischen einer Rahmenvereinbarung und einem dynamischen Beschaffungssystem besteht darin, dass bei der Rahmenvereinbarung im Anschluß an das zunächst durchzuführende Vergabeverfahren ein Rahmenvertrag mit einem oder mehreren Bietern abgeschlossen wird und die spätere Vergabe der Einzelaufträge dann allein an die auf Bieterseite diesem Rahmenvertrag angehörenden Wirtschaftsteilnehmer erfolgen kann (sog. closed-shop). Demgegenüber gestattet das dynamische Beschaffungssystem ein jederzeitiges Hinzutreten weiterer Wirtschaftsteilnehmer durch Abgabe entsprechender Angebote 24 . Im Übrigen kann bei der Rahmenvereinbarung nach den Vorstellungen der europäischen Richtliniengeber das Vergabeverfahren zum Abschluß der Rahmenvereinbarung nicht auf elektronischem Wege durchgeführt werden, wohl aber die anschließende Durchführung der Rahmenvereinbarung, sofern ein erneuter Wettbewerb zu erfolgen hat und in diesem Fall beginnend mit dem erneuten Aufruf zum Wettbewerb 25. 5. Erkenntniswert der neuen Begriffe und ihrer Definitionen Die Begriffe sind in den neuen Richtlinien erstmals verbindlich definiert. Die Entscheidung über die Einführung elektronischer Auktionen sowie dynamischer Beschaffungssysteme ist in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Dies darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Verfahren bereits tatsächlich praktiziert werden: Online-Beschaffungen gibt es bereits seit einigen Jahren 26, auch ein - zumindest rudimentärer - Rechtsrahmen existiert 27 . Für die öffentliche Auftragsvergabe nicht wirklich neu oder erst in Zukunft einzuführen ist das iterative Verfahren der elektronischen Auktion: Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts gab es derartige Versteigerungen öffentlicher Aufträge mittels Unterbietens des letzten Angebots, die sog. Lizitation 28 . Dieses Verfah23

Art. 1 Abs. 5 VKR, Art. 1 Abs. 4 SKR. Opitz (o. Fußn. 12), S. 190. 25 Vgl. 12. Erwägungsgrund, S. 3, VKR, 20 Erwägungsgrund, S. 3, SKR. 26 Vgl. dazu die „Experimentierklausel zur Durchführung ausgewählter Beschaffungsvorhaben im Geltungsbereich des Bundesministeriums des Innern" vom 28.9.2001, BAnz. vom 31.10.2001, 22653, mit späteren Erweiterungen. 27 M. Müller/Ernst (o. Fußn. 7), S. 1768 ff.; Heckmann, K&R 2003, 97, 100 f. 28 Gandenberger, Die Ausschreibung - Organisierte Konkurrenz um öffentliche Aufträge, 1961, S. 22; H. Müller, Staatliche Preislenkung bei öffentlichen Aufträgen, 1970, S. 25; Lampe-Helbig, Praxis der Bauvergabe, 1991, Rn. 2; Riese, Vergaberecht, 1998, S.2f. 24

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ren der Absteigerung wurde jedoch wieder aufgegeben, nachdem die Erfahrung zeigte, dass die Lizitation zu einem ruinösen Bieterverhalten führte mit der Folge, dass der den Zuschlag erhaltende Bieter in der Folgezeit den Auftrag nicht ausfuhren konnte und sogar häufig in Konkurs ging 29 . Andererseits enthält auch § 6 Nr. 2 VOB / A bis heute eine Regelung zu sog. Auf- und Abgebotsverfahren 30.

III. Ziele An dieser Stelle sind kurz die Ziele der Einführung elektronischer Auktionen und dynamischer Beschaffungssystem darzustellen: Neben den allgemein für die Einführung elektronischer System in der Verwaltung gebräuchlichen Schlagworten Modernisierung, Vereinfachung, Kostensenkung stehen hier die Ausweitung des Wettbewerbs, die Steigerung der Markttransparenz 31 und eine Verbesserung der Effizienz, insb. durch eine Verringerung des Zeitaufwandes und technisch bedingte Einspareffekte 32 im Vordergrund. Insbesondere bei den elektronischen Auktionen steht die Reduzierung der Einkaufspreise im Vordergrund 33 . Der finanzielle Vorteil erscheint jedoch zweifelhaft, werden die Kosten für die Durchführung einer elektronischen Auktion doch auf ca. 25.000 Euro beziffert 34 .

IV. Vorgaben zur Ausgestaltung der Verfahren Wie bereits erwähnt, besteht nach der RL für die Mitgliedstaaten keine Pflicht zur Einführung elektronischer Auktionen und / oder dynamischer Beschaffungssysteme. Entscheiden sich die Mitgliedstaaten allerdings für deren Einführung, so enthalten die Richtlinien konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung 29 Huber, Das Submissionswesen in Deutschland, 1907, S. 19, zitiert nach Noelle, NZBau 2002, 197, Fußn. 4. 30 Die Regelung findet allerdings praktisch keine Anwendung, vgl. Noelle (o. Fußn. 29), S. 194; vgl. auch Schranner, in: Ingenstau/Korbion (o. Fußn. 11), § 6 V O B / A Rn. 6 ff. 31 KPMG (Hg.), (o. Fußn. 18), S. 16 ff. 32 12. Erwägungsgrund VKR, 20. Erwägungsgrund SKR; KPMG (Hg.), (o. Fußn. 18), S. 42 f., die mögliche Preisersparnisse in Deutschland auf 1-1,5 Mio. € p.a. schätzen, allerdings die Kosten für Vorbereitung und Durchfuhrung inverser Auktionen hierbei nicht berechnen. 33 M. Müller /Ernst (o. Fußn. 7), S. 1772. 34 Rechten, NZBau 2003, 609; ders., NZBau 2004, 366, 370.

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der Verfahren. Zur besseren Verständlichkeit sollen die Regelungen nachfolgend nach Verfahrensschritten betrachtet werden. 1. Elektronische Auktionen Für die Durchführung elektronischer Auktionen finden sich detaillierte Regelungen in Art. 54 V K R sowie in Art. 56 SKR. Folgende Punkte sind kennzeichnend für eine elektronische Auktion: a) Verfahrensarten,

Voraussetzungen für die Durchfuhrung

Das Instrument der elektronischen Auktion gilt für das offene, das nichtoffene und das Verhandlungsverfahren. Es kann auch angewandt werden bei bestehenden Rahmenvereinbarungen sowie dynamischen Beschaffungssystemen, soweit die Vergabe von einzelnen Aufträgen mittels eines Aufrufs zum Wettbewerb erfolgen soll. Voraussetzungen für die Durchführung einer elektronischen Auktion sind, dass (1) vorab ein offenes, nichtoffenes oder Verhandlungsverfahren durchgeführt wurde, (2) im Rahmen dieses Verfahrens keine ordnungsgemäßen Angebote oder nur (nach dem Recht des Mitgliedstaates) unannehmbare Angebote abgegeben wurden und (3) die Spezifikationen des Auftrags hinreichend präzise beschrieben werden können. Dieses letztgenannte Erfordernis steht in engem Zusammenhang mit dem für elektronische Auktionen notwendigen Inhalt der Verdingungsunterlagen sowie die möglichen Zuschlagskriterien. Die elektronische Auktion ist demgemäß ein nachgeschaltetes Verfahren. Es ist erst anwendbar, wenn zuvor ein „klassisches" Vergabeverfahren erfolglos durchgeführt wurde, weil keine oder keine annehmbaren Angebote abgegeben wurden. b) Vorbereitung

der elektronischen Auktion

aa) Beschluss zur Durchführung einer elektronischen Auktion Formell ergeht die Entscheidung über die Durchführung einer elektronischen Auktion durch Beschluss, der in der anschließenden Bekanntmachung der elektronischen Auktion ausgewiesen sein muß.

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bb) Inhalt der Verdingungsunterlagen Inhaltlich müssen die Verdingungsunterlagen Angaben enthalten zu den (1) Komponenten derjenigen Werte, auf die sich die elektronische Auktion bezieht, sofern diese in Ziffern oder Prozentangaben ausgedrückt werden können, sowie Wertobergrenzen, (2) Informationen, die den Bietern im Laufe der elektronischen Auktion zur Verfügung gestellt werden, sowie zum Zeitpunkt der Zurverfügungstellung, (3) relevanten Angaben zum Ablauf der elektronischen Auktion, (4) Bedingungen der Gebotsabgabe sowie zu eventuellen Mindestabständen der Gebote, (5) notwendigen Anforderungen und zur Ausstattung an Hard- und Software.

cc) Evaluierung der ersten Angebote Im Anschluß geben die Bieter ein erstes Angebot ab, welches sodann vom öffentlichen Auftraggeber evaluiert wird. Hier wird überprüft, ob die Angebote den Zuschlagskriterien (und ggf. ihrer Gewichtung) entsprechen. Nur bei einem positiven Ergebnis, d.h. bei einem zulässigen Angebot, nimmt der Bieter am weiteren Verfahren teil.

c) Beginn der elektronischen Auktion Erst jetzt beginnt die eigentliche elektronische Auktion. Alle Bieter, die ein zulässiges Angebot unterbreitet haben, werden gleichzeitig aufgefordert, neue Preise und / oder Werte vorzulegen. Diese Aufforderung muss enthalten (1) sämtliche Angaben zur elektronischen Verbindung zwischen dem Bieter und der vom öffentlichen Auftraggeber verwendeten elektronischen Vorrichtung; (2) Datum und Uhrzeit des Beginns der elektronischen Auktion; (3) die mathematische Formel, die Grundlage für die Bewertung der Angebote und die automatische Berechnung ihrer Reihenfolge ist. Bei einem Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot muss aus der Formel auch die Gewichtung der einzelnen Kriterien erkennbar sein. Sind Varianten zulässig, muß darüber hinaus für jede Variante eine mathematische Formel angegeben sein;

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(4) - sofern der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt das Ergebnis der Bewertung des ersten Angebots des jeweiligen Bieters. d) Durchführung der elektronischen Auktion Während der Dauer der elektronischen Auktion unterrichtet der öffentliche Auftraggeber die Bieter im Übrigen entsprechend den bereits in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Angaben. Die Informationen erstrecken sich zwingend auf den jeweiligen Rang des Bieters. Soweit die Verdingungsunterlagen dies vorsehen, werden Informationen auch über vorgelegte Preise und Werte erteilt. Der öffentliche Auftraggeber kann zudem jederzeit die Zahl der Teilnehmer bekannt geben. Ausdrücklich untersagt ist demgegenüber die Preisgabe der Identität der Bieter. e) Ende der elektronischen Auktion Die Richtlinien sehen drei Arten der Beendigung elektronischer Auktionen vor: (1) automatisch bei Fristablauf, sämtliche Angaben zur elektronischen Verbindung zwischen dem Bieter und der vom öffentlichen Auftraggeber verwendeten elektronischen Vorrichtung, (2) wenn keine neuen Preise oder Werte mehr eingehen, (3) wenn die in der Aufforderung zur Teilnahme angegebenen Auktionsphasen durchgeführt sind. Soll die elektronische Auktion automatisch per Fristablauf enden, müssen Datum und Uhrzeit des Abschlusses bereits in der Aufforderung zur Teilnahme vermerkt sein. Soll sie dann enden, wenn keine neuen Preise oder Werte mehr eingehen, muss in der Aufforderung zur Teilnahme die Frist ab dem Erhalt der letzten Vorlage bis zum Abschluss der elektronischen Auktion angegeben sein. Eines Eröffnungstermins bedarf es bei der elektronischen Auktion nicht. Die Vergabeentscheidung erfolgt hier sodann auf der Grundlage des Auktionsergebnisses. Für den abschließenden Vertragsschluss gelten keine Besonderheiten. 2. Dynamische Beschaffungssysteme Anders als bei den elektronischen Auktionen stellt sich für dynamische Beschaffungssysteme zunächst die Frage der Anwendbarkeit der europäischen

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Vorgaben mit Blick auf die Schwellenwerte. Wie in allen übrigen Fällen ist auch hier der geschätzte Auftragswert maßgeblich, wobei der zu berücksichtigende Wert eines dynamischen Beschaffungssystems sich aus dem geschätzten Gesamtwert (ohne MwSt.) aller für die gesamte Laufzeit des Systems geplanten Aufträge errechnet 35. Nähere Regelungen für die Einführung dynamischer Beschaffiingssysteme finden sich dann in Art. 3 3 3 6 VKR und Art. 15 SKR. Kennzeichnend für dynamische Beschaffungssysteme sind folgende Punkte: a) Verfahrens arten Wenn die Richtlinien formulieren, der öffentliche Auftraggeber sei an die Vorschriften des offenen Verfahrens für das gesamte Vergabeverfahren gebunden, bedeutet dies m.a.W., dass dynamische Beschaffungssysteme nur bei offenen Verfahren eingeführt und praktiziert werden können. b) Einrichtung des dynamischen Beschaffungssystems An die Einrichtung eines dynamischen Beschaffungssystems werden besondere Anforderungen gestellt: aa) Bekanntmachung Zunächst ist eine Bekanntmachung erforderlich, in welcher der öffentliche Auftraggeber darauf hinweist, dass es sich um ein dynamisches Beschaffungssystem handelt. Zusätzlich muss die Internet-Adresse angegeben werden, unter der die Verdingungsunterlagen sowie etwaige Zusatzdokumente abgerufen werden können. bb) Inhalt der Verdingungsunterlagen Inhaltlich müssen die Verdingungsunterlagen präzise Angaben enthalten hinsichtlich (1) der Art der in Betracht gezogenen Anschaffungen,

35 36

Vgl. Art. 9 Abs. 9 VKR, Art. 17 Abs. 3 SKR. Ferner Art. 35 Abs. 3 und 4 VKR.

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(2) von Informationen zum Beschaffungssystem selbst, zur verwendeten elektronischen Ausrüstung, zu den technischen Vorkehrungen und zu den Merkmalen der Verbindung.

c) Freier,

unmittelbarer

und uneingeschränkter Zugang

Der öffentliche Auftraggeber ist darüber hinaus verpflichtet, ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung jedermann freien, unmittelbaren und uneingeschränkten Zugang zu den Verdingungsunterlagen und allen zusätzlichen Dokumenten zu gewähren.

d) Befristung Dynamische Beschaffungssysteme sind grundsätzlich auf maximal 4 Jahre befristet. Mit dieser Regelung soll der Entwicklung eines sog. Hoflieferantentums vorgebeugt werden.

3. Durchführung des dynamischen Beschaffungssystems a) Zulassung zur Teilnahme Im Anschluß an die Bekanntmachung können die Wirtschaftsteilnehmer ein erstes (unverbindliches) Angebot abgeben. Der öffentliche Auftraggeber prüft sodann, ob der Bieter die Eignungskriterien erfüllt und sein Angebot den Verdingungsunterlagen (sowie etwaigen Zusatzdokumenten) entspricht. Diese Evaluierung muss grundsätzlich innerhalb von 15 Tagen ab dem Zeitpunkt der Vorlage des Angebots erfolgen; die Frist kann jedoch verlängert werden, sofern nicht zwischenzeitlich ein Aufruf zum Wettbewerb erfolgt. Bei einem positiven Ergebnis wird der Bieter zur Teilnahme am System zugelassen. In jedem Fall hat der öffentliche Auftraggeber den Bieter unverzüglich über seine Entscheidung zu unterrichten. Das Recht zur Abgabe eines ersten Angebots besteht während der gesamten Laufzeit eines dynamischen Beschaffungssystems (s. auch unten b)aa)).

b) Vergabe der Einzelaufträge Die Vergabe der Einzelaufträge erfolgt sodann über einen gesonderten Aufruf zum Wettbewerb. Hierbei handelt es sich um ein mehraktiges Verfahren:

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aa) Aufforderung zur Abgabe eines unverbindlichen Angebots Zunächst hat vor jedem Aufruf zum Wettbewerb innerhalb eines dynamischen Beschaffungssystems eine (erneute) Aufforderung an alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer zu Abgabe eines Angebots zu erfolgen. Ausreichend ist hier eine vereinfachte Bekanntmachung. Die Angebotsfrist muss insoweit wenigstens 15 Tage betragen, gerechnet ab dem Versand der vereinfachten Bekanntmachung. bb) Zulassung zur Teilnahme Auch die zur Vorbereitung der Vergabe eines Einzelauftrags von Bietern eingereichten Angebote werden vom öffentlichen Auftraggeber bewertet, der sodann über die Zulassung zur Teilnahme entscheidet. Insoweit gelten die allgemeinen Kriterien (s. oben a). c) Aufruf zum Wettbewerb Erst jetzt erfolgt der Aufruf zum Wettbewerb für den Einzelauftrag. Adressaten sind alle zur Teilnahme am dynamischen Beschaffungssystem zugelassenen Bieter. Besonders hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die Möglichkeit, im jeweiligen Aufruf zum Wettbewerb die Zuschlagskriterien zu präzisieren. Dies eröffnet dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit, den Leistungsgegenstand gegenüber den ursprünglichen Angaben bei der Einrichtung des Systems eingrenzend zu konkretisieren. Hinsichtlich des Eröffnungstermins, des Zuschlags und des abschließenden Vertragsschlusses gelten für dynamische Beschaffungssystem die allgemeinen Regeln. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die elektronische Auktion ist ein nachgeschaltetes, Internet-basiertes Verfahren, welches dem öffentlichen Auftraggeber immer dann eröffnet sein soll, wenn das vorangegangene „ordentliche" Vergabeverfahren mangels ordnungsgemäßer oder annehmbarer Angebote nicht zur Auftragsvergabe geführt hat. Die Entscheidung für die Durchführung einer elektronischen Auktion erfolgt hier nach Abschluss eines zunächst allein als klassisches Verfahren organisierten Vergabeverfahrens. Der Auftraggeber kann bei jeder Verfahrensart (offenes, nicht offenes oder Verhandlungsverfahren) auf die elektronische Auktion zurückgreifen 37.

37 Ablehnend für das offene und das nicht offene Verfahren Noelle (o. Fußn. 29), S. 198.

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Das dynamische Beschaffungssystem ist demgegenüber ein von Beginn an zum Einsatz kommendes, Internet-basiertes Verfahren, welches jedoch nur im Rahmen des offenen Verfahrens zur Anwendung kommen kann. Die Entscheidung für ein dynamisches Beschaffungssystem steht am Beginn des Vergabeverfahrens und gliedert dieses in einen ersten Verfahrensabschnitt, gerichtet auf die Zulassung von Wirtschaftsteilnehmern zur Teilnahme am System, und einen zweiten Verfahrensabschnitt, gerichtet auf die Durchführung eines Wettbewerbs für jeden Einzelauftrag. Ungeachtet ihrer konzeptionellen Unterschiede lassen sich beide Verfahren im übrigen kombinieren. So kann im Rahmen eines dynamischen Beschaffungssystems der Aufruf zum Wettbewerb für den Einzelauftrag als elektronische Auktion durchgeführt werden 38 .

V. Mögliche Konflikte mit Grundsätzen des Vergaberechts39 Den Maßstab und die Grenzen der Online-Beschaffung bilden dabei vor allem die sowohl auf Gemeinschaftsebene wie auch im nationalen deutschen Recht verankerten Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz sowie die Vorschriften der Richtli40

nien . 1. Rechtliche Probleme bei elektronischen Auktionen Im Rahmen von elektronischen Auktionen könnte insbesondere die Veröffentlichung des aktuell gültigen Angebotspreises vor Zuschlagserteilung dem Prinzip der Vertraulichkeit und dem Grundsatz des Verhandlungsverbots bei Ausschreibungen widersprechen 41.

38 Art. 54 Abs. 2, 2. UA, VKR, der eine vergleichbare Kombinationsmöglichkeit auch hinsichtlich Rahmenvereinbarung und elektronischer Auktion ermöglicht; Art. 56 Abs. 2, 2. UA SKR. 39 Zum gewerberechtlichen Problem der eventuellen Erlaubnispflicht elektronischer Auktionen gem. § 34b GewO vgl. zuletzt Probst, ThürVBl. 2002, 247. 40 12. Erwägungsgrund VKR, 20. Erwägungsgrund SKR. 41 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (Hg.), Elektronische Vergabe von Aufträgen der Bundesverwaltung - Leitfaden, S. 18, im Internet abrufbar unter www.bmwa.bund.de/Navigation/Service/Bestellservice/publikationen-informationsge sellschaft.html (15.9.2004).

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a) Prinzip der Vertraulichkeit aa) Geltung und Verankerung des Prinzips in Europa und in Deutschland Auf Gemeinschaftsebene ist das Vertraulichkeitsprinzip gegenwärtig in § 18 Abs. 2 BKR, Art. 15 Abs. 3 LKR und Art. 23 Abs. 2 DKR niedergelegt. Diese drei Richtlinien gelten noch bis zum 31.1.2006 fort 42 . Die genannten Bestimmungen sehen vor, dass der öffentliche Auftraggeber „die Vertraulichkeit" bzw. „den vertraulichen Charakter" der Angebote bis zum Eröffnungstermin zu wahren hat. Sie gelten sowohl für schriftliche wie elektronische Angebote. In der neuen VKR und SKR fehlt eine dem bisherigen Recht vergleichbare Regelung 43 . Zwar enthalten beide Richtlinien einen eigenen, mit „Vertraulichkeit" überschriebenen Artikel 4 4 . Inhaltlich geht es jedoch nicht um die Wahrung der Vertraulichkeit von Angeboten insgesamt, sondern lediglich um die Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, d.h. bestimmter Einzelangaben in Angeboten 45 . In Deutschland ist das Vertraulichkeitsprinzip niedergelegt in § 15 S. 1 VgV, wonach elektronische Angebote unter der Voraussetzung zugelassen werden können, „dass die Vertraulichkeit der Angebote gewahrt ist". Weitere Regelungen finden sich in §§ 18 Nr. 2, 22 Nr. 1 VOL / A, 22 Nr. 1 VOB / A. Das deutsche Recht betont mithin - zumindest gegenwärtig noch - die Vertraulichkeit als zentrales Verfahrenserfordernis gerade für die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge. bb) Legislativer Gestaltungsspielraum Damit stellt sich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang das Vertraulichkeitsprinzip zur Disposition des europäischen und nationalen Gesetzgebers steht.

42

Vgl. Art. 82 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 VKR, Art. 73 i.V.m. Art. 71 Abs. 1 SKR. Insb. findet das Vertraulichkeitsprinzip im 2. Erwägungsgrund VKR sowie im 9. Erwägungsgrund SKR keine Erwähnung; s. ferner auch 14. Erwägungsgrund VKR, 22. Erwägungsgrund SKR. 44 Art. 6 VKR, Art. 13 Abs. 2 SKR; vgl. auch 37. Erwägungsgrund VKR, 48. Erwägungsgrund SKR, die jedoch nur den elektronischen Eingang von Daten betreffen. 45 Anders, d.h. umfassend, noch Art. 5 im „Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rats über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge" vom 10.5.2000, KOM (2000), 275 endg.; vgl. auch Opitz (o. Fußn. 12), S. 199. 43

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme

(a) Gemeinschaftsrechtliche

139

Dimension

Im Gemeinschaftsrecht wurde mit Verabschiedung der RL 17 und 18 der europäische Rechtsrahmen - wie bereits erwähnt - schon umgestaltet und das Vertraulichkeitsprinzip schlicht gestrichen. Es hätte nähergelegen, für den einzigen Kollisionsfall der Durchführung elektronischer Auktionen eine Ausnahme vom Vertraulichkeitsprinzip zu statuieren, das Prinzip im übrigen aber beizubehalten und sogar zu stärken, indem man die Ausnahme vom Vertraulichkeitsprinzip ausdrücklich auf elektronische Auktionen und ebenso ausdrücklich auf die Preisangaben in den Angeboten beschränkt hätte. Ungeachtet dieser bestehenden, tatsächlich aber nicht gewählten Handlungsalternative stellt sich die Frage, ob der europäische Normgeber berechtigt war, das Vertraulichkeitsprinzip derart einzuschränken und z.T. sogar aufzuheben. (1) Gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum Zunächst ist festzuhalten, dass dem europäischen Gesetzgeber ungeachtet des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung, des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips ein weiter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum verbleibt , der es ihm gestattet, das Vertraulichkeitsprinzip alter Prägung einzuschränken oder aufzuheben. Das Vertraulichkeitsprinzip zählt darüber hinaus auf europäischer Ebene nicht zu den klassischen Prinzipien des Vergaberechts. So waren die Regelungen zur vertraulichen Behandlung von Angeboten in BKR, LKR und DKR nicht bereits beim Erlaß der Richtlinien in den Jahren 1992 und 1993 enthalten, sondern wurden erst später im Jahre 1997 eingefügt. Dies indiziert die Zulässigkeit eines nunmehrigen Verzichts auf dieses Prinzip, stellt es doch nur den Rechtszustand vor dem Jahre 1997 wieder her. (2) Transparenzgebot versus Vertraulichkeitsprinzip Man könnte die Streichung des Vertraulichkeitsprinzips in den Richtlinien auch als Stärkung des Transparenzgebots interpretieren 47, schließen sich doch Vertraulichkeit und Transparenz gegenseitig aus. Und das Transparenzgebot ist als ein Grundsatz für die Vergabe öffentlicher Aufträge in den neuen Richtlinien ausdrücklich festgeschrieben 48. Nach bisheriger Rechtslage herrschte Ei46 Vgl. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 515; ferner Bleckmann, in: ders., Europarecht, 6. Aufl. 1999, Rn. 389. 47 In diesem Sinne wohl Knauff (o. Fußn. 12), S. 142. 48 Art. 2 VKR, Art. 10 SKR.

140

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nigkeit, dass das Transparenzgebot lediglich auf eine umfassende Information der Bieter im Vergabeverfahren und dessen durchschaubare und nachvollziehbare Gestaltung abzielte, nicht hingegen auch auf den Inhalt der Angebote anderer Bieter 49 . Dass der europäische Richtliniengeber das so verstandene Verhältnis von Transparenzgebot und Vertraulichkeitsprinzip ändern wollte, ist nicht ersichtlich. (3) Fortgeltung des Vertraulichkeitsprinzips als Teil des Wettbewerbsprinzips Schließlich stellt sich die Frage der zumindest eingeschränkten Fortgeltung des Vertraulichkeitsprinzips als Teil des Wettbewerbsgrundsatzes auf europäischer Ebene. Der Wettbewerbsgrundsatz ist bislang vor allem in Art. 81 EGV verankert. Auch die neue VKR und SKR betonen an verschiedenen Stellen den Wettbewerb als Ziel und Maßstab für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Der Wettbewerbsgrundsatz findet seine Grundlage in den Grundfreiheiten, dem Gleichbehandlungs- und dem Nichtdiskriminierungsgebot, dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sowie dem Verhältnismäßigkeits- und dem Transparenzgrundsatz 50. Nach europäischem Verständnis garantiert der Wettbewerbsgrundsatz allen Wirtschaftsteilnehmern den freien und gleichen Zugang zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand. Den so verstandenen Wettbewerb gewährleistete bislang die generell und umfassend vertrauliche Behandlung aller Angebote bis zum Eröffnungstermin. Die auf diese Weise sichergestellte Ungewissheit der Wirtschaftsteilnehmer über ihre Stellung im laufenden Vergabeverfahren verhinderte unlautere Preiszugeständnisse oder Angebotsumgestaltungen51. Das Vertraulichkeitsprinzip ist folglich eine Konkretisierung des Wettbewerbsgrundsatzes. Die neue VKR und SKR bieten keine Anhaltspunkte, dass der Richtliniengeber mit ihnen den Wettbewerbsgrundsatz in seiner Ausgestaltung im Vertraulichkeitsprinzip aufheben wollte 52 . Hierfür besteht auch kein sachlicher Grund. Denn allein für die elektronischen Auktionen bedarf es einer Ausnahme vom Vertraulichkeitsprinzip, und dies auch nicht umfassend, sondern klar begrenzt.

49

Boesen, Vergaberecht, 2000, § 97 Rn. 17; Gröning , ZIP 1999, 52, 54; Probst (o. Fußn. 39), S. 248. 50 Vgl. z.B. RL 18, 2., 8., 41. Erwägungsgrund. S. auch Boesen (o. Fußn. 49), § 97 Rn. 6. 51 BGH NJW 1987, 1821, spricht insoweit vom Gebot des lauteren Vergabewettbewerbs. 52 In diesem Sinne Kabarakis , Legal framework and interoperability, S. 9, Vortrag auf dem e-Procurement Workshop am 11.5.2004, im Internet abrufbar http://europa.eu. int.ISPO/ida/jsps/doc.jsp?2368 (15.9.2004).

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme

141

Art. 54 Abs. 6 RL 18 bestimmt insoweit, dass der öffentliche Auftraggeber in jeder Phase unverzüglich zumindest die Informationen zu übermitteln hat, die es dem Bieter ermöglichen, jederzeit ihren jeweiligen Rang festzustellen. Darüber hinaus ist die Übermittlung zusätzlicher Informationen zu den vorgelegten Preisen oder Werten gestattet, sofern dies bereits in den Verdingungsunterlagen vorgesehen ist. Ferner darf die Zahl der Bieter bekanntgegeben werden. Untersagt ist lediglich die Preisgabe der Identität der Bieter. Die Vorschrift ist mit Blick auf das Vertraulichkeitsprinzip insgesamt restriktiv auszulegen. Die Bekanntgabe von Informationen, die über den Preis des jeweils aktuell niedrigsten Angebots hinausgehen, sind nur dann statthaft, wenn dies zur Bewertung des Angebots durch die (Mit-)Bieter erforderlich ist. Das wiederum ist nur der Fall, wenn der Zuschlag also nicht allein auf den niedrigsten Preis erfolgt. Die so umschriebene Fortgeltung des Vertraulichkeitsprinzips als Teil des Wettbewerbsgrundsatzes verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber bei der Durchführung elektronischer Auktionen darüber hinaus zu besonderen Sicherheitsmaßnahmen. Er hat zunächst und selbstverständlich sicherzustellen, dass tatsächlich allein der gegenwärtig günstigste Preis offen gelegt wird. Darüber hinaus muss er Schutzvorkehrungen treffen um sicherzustellen, dass für andere Wirtschaftsteilnehmer kein Rückschluß auf die Identität des gerade aktuell günstigsten Bieters möglich ist. Problematisch erscheint dieser Punkt insbesondere dort, wo es sich um geschlossene Märkte mit einigen wenigen Anbietern der ausgeschriebenen Leistung handelt 53 . (b) Nationale Dimension Mit Blick auf den nationalen, mitgliedstaatlichen Rechtsrahmen besteht in Deutschland zunächst Einigkeit, dass die Einführung elektronischer Auktionen mit Blick auf das Vertraulichkeitsprinzip gegen geltendes nationales Vergaberecht, insb. § 15 S. 1 VgV verstößt 54. Gleichzeitig hat die Politik offenbar keine Bedenken, das Vertraulichkeitsprinzip aufzuheben, jedenfalls soweit dies elektronische Auktionen betrifft 55 . Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum gestattet es auch dem deutschen Gesetzgeber, durch eine Änderung des nationalen Vergaberechts und die Aufhebung oder Einschränkung des gegenwärtig noch in § 15 S. 1 VgV verankerten Vertraulichkeitsprinzips elektronische Auktionen

53

So auch Rechten, NZBau 2004, 366, 371; aus den genannten Gründen insgesamt ablehnend Probst (o. Fußn. 39), S. 248 f. 54 BMWA (o. Fußn. 41), S. 18. KPMG (Hg.), (o. Fußn. 18), S. 16 ff. 55 BMWA (o. Fußn. 41), S. 18. KPMG (Hg.), (o. Fußn. 18), S. 33. Zur Rechtslage nach noch geltendem „alten" Recht Noelle (o. Fußn. 29), S. 199.

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zuzulassen. Hieran vermag die Tatsache nichts zu ändern, dass die Richtlinien die Entscheidung über die Einführung elektronischer Auktionen den Mitgliedstaaten überlassen 56. Auch die bereits für die europäische Ebene diskutierte Fortgeltung des Vertraulichkeitsprinzips als Teil des Wettbewerbsgrundsatzes führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland ist nämlich festzuhalten, dass der Wettbewerbsgrundsatz im deutschen Vergaberecht zwar eine lange Tradition hat. Allerdings hatte er - anders als auf europäischer Ebene - zunächst eine dienende Funktion in Gestalt des kostengünstigen Einkaufs der öffentlichen Hand 57 . Erst das europäische Vergaberecht hat hier zu einer stärkeren Betonung und Verselbständigung des Wettbewerbsgrundsatzes geführt mit der Folge, dass der Wettbewerb nunmehr primäres Ziel des Vergaberechts, der kostengünstige Einkauf sekundäres Ziel ist 58 . Diese europarechtliche Determination bedeutet aber auch, dass Änderungen in der Bewertung auf europäischer Ebene auch dann das mitgliedstaatliche, in diesem Fall deutsche Recht verändern, wenn eine den Schutzumfang reduzierende Neuregelung erfolgt. b) Grundsatz des Verhandlungsverbots aa) Geltung und Verankerung des Prinzips in Europa und in Deutschland In Europa ebenso wie in Deutschland ist das Verhandlungsverbot eine Ausprägung des Wettbewerbsgrundsatzes. So ist in den Verdingungsordnungen teilweise ausdrücklich das Verbot wettbewerbsverzerrender und -beschränkender Verhaltensweisen niedergelegt 59. Dieses Verbot konkretisiert sich für die öffentlichen Auftraggeber u.a. in der Pflicht, sich jeglicher Handlungen zu enthalten, die den Wirtschaftsteilnehmer zu Preisnachlässen veranlassen würden. Der öffentlichen Hand ist es insoweit untersagt, eine Senkung des in einem Angebot enthaltenen Preises zu initiieren 60 . Damit korrespondiert der im Vergaberecht - mit Ausnahme des Verhandlungsverfahrens - bislang anerkannte Grundsatz, dass jeder Bewerber nur ein Angebot abgibt 61 .

56

Art. 54 Abs. 1 VKR. Boesen (o. Fußn. 49), § 97 Rn. 7. 58 Boesen (o. Fußn. 49), § 97 Rn. 7. 59 So in § 2 VOB/A und § 2 VOL/A. Näher Rusam, in: Heiermann / Riedl / Rusam, Handkommentar zur VOB, 9. Aufl. 2003., § 2.1 Rn. 45. 60 Boesen, Das neue Vergaberecht, 1999, S. 45. 61 Demgemäß erachtet Noelle (o. Fußn. 29), S. 198, die elektronische Auktion nur bei Verhandlungsverfahren für zulässig. 57

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme

143

Im Rahmen elektronischer Auktionen stellt nun die Veröffentlichung des jeweils aktuell günstigsten Angebotspreises gerade die Aufforderung an die anderen Wirtschaftsteilnehmer dar, den aktuell niedrigsten Preis zu unterbieten. Auch wer bereits ein Angebot abgegeben hat, wird somit aufgefordert, ein weiteres, noch niedrigeres Angebot zu machen. Andererseits ist allen Bietern von vornherein bekannt, dass die Auftragsvergabe in Form einer inversen Auktion erfolgt. Die Aufforderung zum Unterbieten des aktuell niedrigsten Preises erfolgt auch nicht seitens des Auftraggebers, sondern wird letztlich durch einen Konkurrenten veranlasst. Damit finden tatsächlich weder - unzulässige - Verhandlungen zwischen Auftraggeber und Bieter statt noch nimmt der Auftraggeber sonst Einfluß auf das Bietverhalten 62. c) Gleichbehandlungsgrundsatz Weiter erscheinen der Gleichbehandlungsgrundsatz, niedergelegt in Art. 12 EGV, Art. 3 GG sowie § 97 Abs. 2 GWB 6 3 , und das ihm innewohnende Fairnessgebot bei elektronischen Auktionen mit Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten zur Bestimmung der Angebotsfrist gefährdet. Die neuen Richtlinien erlauben die Beendigung einer elektronischen Auktion (1.) automatisch bei Fristablauf oder (2.) wenn keine neuen Preise oder Werte mehr eingehen oder (3.) wenn die in der Aufforderung zur Teilnahme angegebenen Auktionsphasen durchgeführt sind. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet insbesondere die Bevorzugung wie auch die Benachteiligung einzelner Bewerber und Bieter und konkretisiert sich primär in der gleichmäßigen Gewährung von Informationen. Das ihm innewohnende Fairnessgebot erfordert die Gewährung der Chancengleichheit unter den Bietern bei der Abgabe von Angeboten. Die erste Alternative der Beendigung der elektronischen Auktion automatisch bei Ablauf einer vorab festgesetzten Frist begegnet rechtlichen Bedenken. Die Praxis bei privaten elektronischen Auktionen zeigt, dass Bieter in der Regel bis kurz vor Ende der Auktion warten, um ihre Angebote abzugeben. Die Möglichkeit zur Abgabe eines (oder eines weiteren) Angebots hängt in diesen Fällen häufig von der Abgabe des Angebots mittels Absendung per Mausklick in der letzten (Milli-)Sekunde der Angebotsfrist und damit vom Zufall („Schnelligkeit des Mausklicks" 64 ) ab. Verschärft wird dieses Problem noch durch die Möglichkeit des Einsatzes intelligenter Softwareagenten auf Bieterseite, die automa-

62 63 64

So auch KPMG (Hg.), (o. Fußn. 18), S. 28 f. Vgl. § 2 VOL / A, § 2 VOB / A, § 4 VOF. Opitz (o. Fußn. 12), S. 191.

144

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tisch den aktuellen Preis überwachen und nach vom Bieter voreingestellten Parametern automatisch neue, niedrigere Angebote abgeben65. d) Gebot der Einheit des Angebots Schließlich wird gegen die elektronische Auktion geltend gemacht, sie verstoße gegen das Gebot der Einheit des Angebots. Denn nach Abgabe des ersten (vollständigen) Angebots durch einen Bieter gebe dieser in der Folgezeit allein noch einen niedrigeren Preis an, ohne dass das Angebot insgesamt erneut abgegeben werde. Tatsächlich besteht aber bereits heute ein solches prinzipielles Gebot der Einheit des Angebots nicht 66 . Allenfalls handelt es sich hier um einen vergaberechtlichen Grundsatz, der jedoch Ausnahmen erfährt. Der Grundsatz der Einheit des Angebots lässt sich aus der Richtlinie 97 / 52 EG 6 7 herleiten. Danach muss ein digitales Angebot alle für seine Bewertung erforderlichen Angaben enthalten. Allerdings hat § 15 VgV diese Formulierung nicht wörtlich übernommen, sondern lediglich bestimmt, dass Angebote auch in anderer Form als schriftlich oder direkt abgegeben werden können. Und die neuen Richtlinien gestatten ausdrücklich, Unterlagen, Bescheinigungen und Erklärungen, welche die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bieter betreffen, auf einem anderen geeigneten Weg zu übermitteln.

2. Rechtliche Probleme bei dynamischen Beschaffungssystemen Was das Verhältnis vom klassisch schriftlichen Verfahren zum elektronischen Verfahren anbetrifft, so ist klar, dass elektronische Auktionen allein über das Medium Internet erfolgen können, d.h. schriftliche Angebote qua definitionem ausgeschlossen sind. Offen bleibt nach den neuen Richtlinien, ob auch dynamische Beschaffungssysteme als Internet-basierte Vergabeformen - wie bislang bereits möglich und rechtlich geregelt - parallel neben der schriftlichen Form in ein und demselben Vergabeverfahren Anwendung finden sollen oder ob die Vergabe des öffentlichen Auftrags bei Anwendung dieser neuen Vergabeformen zukünftig exklusiv über das Medium des Internet erfolgen soll 68 . Die Formulierungen in den Erwägungsgründen der Richtlinien („können Bieter ...

65

Dazu Denk /Paul /Rossnagel /Schnellenbach-Held, NZBau 2004, 131 ff., im Internet abrufbar unter http://www.uni-kassel.de/fblO/oeff_recht/publikationen/pubOrd ner/Beitrag%20NZBau.pdf ( 15.9.2004). 66 So aber Höfler, NZBau 2000,449, 453. 67 Vom 13.10.1997, ABl. EU L Nr. 328/ 1 ff. 68 So wohl Knauff (o. Fußn. 12), S. 143.

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme

145

ihr Angebot in Form ihres elektronischen Katalogs einreichen" 69 ) sprechen insoweit eher für eine Parallelität von Schriftform und elektronischer Form im Verfahren 70, die Formulierungen der Definitionen („ein vollelektronisches Verfahren" 71 ) dagegen für eine Beschränkung auf die elektronische Form.

VI. Fazit und Ausblick Der europäische Gesetzgeber eröffnet mit der erstmaligen Normierung der Instrumente der elektronischen Auktion und dynamischen Beschaffungssysteme den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Internet als Medium der öffentlichen Auftragsvergabe in einem gesicherten Rechtsrahmen zu nutzen. Die Bundesregierung hat angekündigt, hiervon Gebrauch zu machen. Im Prozess der Transformation wird zu entscheiden sein, in welchem Umfang dazu von den bisherigen Grundsätzen des Vergaberechts abgerückt werden soll. Es scheint insoweit nicht kühn zu behaupten, dass dem Ziel der Modernisierung hier der Vorrang vor etwaigen Bedenken eingeräumt werden wird. Der weite gesetzgeberische Gestaltungsspielraum schützt insoweit die Handelnden, es sollte gleichwohl beachtet werden, dass auch er nicht grenzenlos ist. Einstweilen bleibt die Vorlage einer entsprechenden Gesetzesinitiative abzuwarten.

69 70 71

Vgl. 12. Erwägungsgrund VKR, 20. Erwägungsgrund SKR. Vgl. RL 18, Art. Vgl. Art. 1 Abs. 6 VKR, Art. 1 Abs. 5 SKR.

Martin Müller

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Anhang 1

Übersicht zu den dynamischen Auktionen

Verfahrensschritt

Spezielle Regelungen für elektronische Auktionen

Zulässige Verfahrensarten

Offenes Verfahren, nichtoffenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, jeweils -

sofern die Spezifikationen des Auftrags hinreichend präzise beschrieben werden können

einschließlich Rahmenvereinbarung dynamische Beschaffungssysteme, wenn im Rahmen des jeweiligen Verfahrens keine ordnungsgemäßen Angebote oder nur (nach dem Recht des Mitgliedstaates) unannehmbare Angebote abgegeben wurden => eA ist NACHGESCHALTET Bedarfsermittlung Erstellen der Vergabeunterlagen Bekanntmachung Angebotsabgabe und Entgegennahme Angebotsaufbewahrung Eröffnungstermin

-

keine ordnungsgemäßen Angebote oder

Vergabeentscheidung

-

keine annehmbaren Angebote

Entscheidung für eA

durch Beschluss

Ergänzung der Vergabeunterlagen

Hinweis auf elektronische Auktion notwendige Informationen: a)

Komponenten, deren Werte Gegenstand der eA sein werden

b)

ggf. Obergrenzen der Werte, die unterbreitet werden können

c)

Informationen, die den Bietern im Laufe der eA zur Verfügung gestellt werden, sowie ggf. den Termin der Zurverfügungstellung

d)

relevante Angaben zum Ablauf der eA

e)

Bedingungen zur Abgabe von Angeboten, insb. Mindestabstände

f)

relevante Angaben zur verwendeten elektronischen Vorrichtung und zu technischen Modalitäten und Merkmalen der Anschlussverbindung

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme Übermittlung der Vergabeinformationen an das Vergabesystem (erneute) Bekanntmachung

mit Hinweis auf eA

Erste Angebotsabgabe Angebotsaufbewahrung vollständige Evaluierung der (ersten) Angebote

anhand der Zuschlagskriterien und -

der daftir festgelegten Gewichtung

Bekanntmachung / Unterrichtung der Bieter? Aufforderung an die Bieter (mit zulässigen Angeboten), neue Preise und / oder neue Werte vorzulegen

einschließlich -

Angaben betr. die individuelle Verbindung zur verwendeten elektronischen Vorrichtung

-

Datum und Uhrzeit des Beginns der eA (Beginn frühestens 2 Tage nach Versendung der Aufforderung)

-

bei Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot: - - Ergebnis einer vollständigen Bewertung des Angebots des betreff. Bieters - - mathematische Formel für die automatische Neureihung der Angebote

Angebotsaufbewahrung Abschluß der eA

-

automatisch bei Fristablauf (soweit Datum und Uhrzeit des Abschlusses bereits in der Aufforderung zur Teilnahme vermerkt sind)

-

wenn keine neuen Preise oder Werte mehr eingehen (soweit in der Aufforderung zur Teilnahme die Frist ab dem Erhalt der letzten Vorlage bis zum Abschluss der eA angegeben ist)

wenn die in der Aufforderung zur Teilnahme angegebenen Auktionsphasen durchgeführt sind Eröffnungstermin Vergabeentscheidung / Zuschlag

Vertragsschluss

(entfällt) entsprechend den Ergebnissen der eA als gesonderter Akt

147

148

Martin Müller Anhang 2

Übersicht zu den dynamischen Beschaffungssystemen

Verfahrensschritt

Spezielle Regelungen für dynamische Beschaffungssysteme

Zulässige Verfahrensarten

nur im offenen Verfahren

Bedarfsermittlung Erstellen der Verdingungsunterlagen

Präzisierung der Art der in Betracht gezogenen Anschaffungen, die Gegenstand dieses Systems sind -

Präzisierung aller erforderlichen Informationen betreffend das Beschaffungssystem

-

Präzisierung der verwendeten elektronischen Ausrüstung Präzisierung der technischen Vorkehrungen Präzisierung der Merkmale der Verbindung

Übermittlung der Vergabeinformationen an das Vergabesystem Bekanntmachung

-

ab Veröffentlichung der Bekanntmachung bis zur Beendigung des Systems

Gewährung freien, unmittelbaren und uneingeschränkten Zugangs zu den Verdingungsunterlagen und zu jedwedem Dokument auf elektronischem Wege

Hinweis auf dynamisches Beschaffungssystem im konkreten Fall Bekanntgabe der Internet-Adresse, unter der die Verdingungsunterlagen und sonstigen Dokumente abgerufen werden können

zur Abgabe eines unverbindlichen Angebots

Aufforderung an alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer Abgabe eines unverbindlichen Angebots

-

zunächst Abgabe eines unverbindlichen Angebots

Prüfung unverbindlicher Angebote

-

Prüfung des unverbindlichen Angebots (Evaluierung) (1) auf Übereinstimmung mit den (a) Verdingungsunterlagen und (b)

etwaigen zusätzlichen Dokumenten

(2) Erfüllung der Eignungskriterien Entscheidung über Zulassung des Bieters

Entscheidung über Zulassung zur Teilnahme am System idR binnen 15 Tagen Unterrichtung des Bieters über Zulassungsentscheidung

Elektronische Auktionen und dynamische Beschaffungssysteme Aufruf zum Wettbewerb für jeden Einzelauftrag

Vorab: -

(erneute) Aufforderung all alle interessier ten Wirtschaftsteilnehmer zur Abgabe eines Angebots innerhalb von 15 Tagen

Aufforderung an alle zugelassenen Bieter zur Einreichung von Angeboten

Prüfung der Angebote und Zulassung zum System

-

mit Festlegung hinreichend langer Frist

-

Aufforderung kann die Zuschlagskriterien nochmals präzisieren

Angebotsabgabe und Entgegennahme Angebotsaufbewahrung Eröffnungstermin Vergabeentscheidung/Zuschlag

„das beste Angebot"

Vertragsschluss Max. Laufzeit

149

4 Jahre

Vergabefremde Kriterien nach der Neufassung der Vergaberichtlinien Von Jan Ziekow

Aus Sicht politisch Verantwortlicher wird das Vergaberecht zuweilen „spannend", wenn es politische Gestaltung ermöglicht. Der Mechanismus ist bekannt: Wer der in das Vergabeverfahren eingebrachten politischen Zielvorstellung genügt, hat vergaberechtliche Vorteile. Hier geht es nicht - jedenfalls nicht primär - darum, das Einkaufsverhalten des Staates an dem Ziel der möglichst sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung zu orientieren, sondern um die Verfolgung anderer - und insoweit vergabefremder - Ziele. Als solches externes Ziel ist nahezu alles denkbar, was auf der Liste politischer Wünschbarkeiten stehen mag: von der Förderung von Betrieben, die Langzeitarbeitslose oder Behinderte beschäftigen, Lehrlinge ausbilden, Frauenförderpläne umsetzen oder Tariflöhne zahlen, über die Belohnung umweltfreundlicher Produktherstellung und -eigenschaften bis hin zur Förderung mittelständischer Unternehmen und regionalansässiger Betriebe. Wegen der komplexen Umbruchsituation, in der sich das Vergaberecht befindet, kann derzeit keine abschließende Bewertung präsentiert werden, wie sich das Schicksal der vergabefremden Kriterien in Deutschland in Zukunft darstellen wird. Denn dies hängt im Wesentlichen davon ab, wie sich das neue Vergaberecht zu diesem Problembereich verhalten wird. Dies gilt vor allem für die Aufträge, die unterhalb der gemeinschaftsrechtlich festgelegten Schwellenwerte vergeben werden. Aus diesem Grund konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf den gemeinschaftsrechtlichen Regelungsrahmen, wie er durch den EG-Vertrag und die Richtlinie zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge 1 bestimmt ist. Damit eventuelle Änderungen im Rechtszustand möglichst klar herausgearbeitet werden können, werde ich zunächst die konsolidierte Rechtsprechung des EuGH bis zum Urteil in der Rs. Nord-Pas-de-Calais zusammenfassen (I.). Anschließend werde ich untersuchen, ob - wie oft behauptet - die Urteile des EuGH in den Sachen Concordia Bus und Wienstrom neue Akzentsetzungen gebracht haben (II.). Auf dieser Grundlage werde ich mich dann der 1

Vom 31.3.2004, ABl. L 134 /114 vom 30.4.2004.

152

Jan Ziekow

Frage zuwenden, ob die Vergabekoordinierungsrichtlinie insoweit Neuerungen gebracht hat und wenn ja welche (III.).

I. Die Entwicklung bis zum Urteil des EuGH in der Sache Concordia Bus 1. Die früheren Vergaberichtlinien Nach der durch das Urteil in der Rs. Nord-Pas-de-Calais konsolidierten Rechtsprechung des EuGH standen die früheren Vergaberichtlinien der Verfolgung materiell vergabefremder Zwecke indifferent gegenüber. Entscheidend war die Zuordnung zu einer der drei Kriterienkategorien eignungsbezogene, zuschlagsbezogene und besondere zusätzliche Kriterien, für die jeweils unterschiedliche Zulässigkeitsanforderungen galten. Für die Beurteilung kam es allein darauf an, welcher Kategorie das Kriterium in der vom öffentlichen Auftraggeber konkret gewählten Form zuzuordnen war. Daß ein mit einem Kriterium verfolgter Zweck ggf. auch in der Form einer der beiden anderen Kriterienkategorien hätte verfolgt werden können, war ohne Belang.2 Dies entspricht dem Grundsatz, daß bieterbezogene Kriterien und Zuschlagskriterien getrennt zu prüfen sind.3 Nach der Systematik der Vergaberichtlinien wurden die Zuschlagskriterien erst dann relevant, wenn das Vorliegen von Ausschlußgründen und die finanzielle, wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit als bieterbezogene Kriterien geprüft wurden. Nichts anderes bringt nach ganz h. M. die Reihenfolge der Aufzählung in § 25 VOB / A bzw. VOL / A zum Ausdruck. 4 Diese Prüfungsreihenfolge ist also auch für die Wertung von Angeboten bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte vorgesehen. Als Beispiel kann die Tariftreueerklärung dienen: Führt die Weigerung des Bieters, eine Tariftreueerklärung abzugeben, zum Ausschluß vom weiteren Vergabeverfahren, so handelt es sich um ein bieterbezogenes Kriterium auf der Stufe der Eignungsprüfung. Auf dieser Stufe war die Tariftreueerklärung unzulässig. Der EuGH hat mehrfach entschieden, daß die in den Vergaberichtlinien 2 EuGH, Urt. vom 19.6.2003, Rs. C-315/01, Gesellschaft für AbfallentsorgungsTechnik GmbH / Österreichische Autobahnen und Schnellstraßen AG, Slg. 2003, S. 1-6351 Tz. 67; Jan Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, S. 72 (76). 3 Vgl. nur EuGH, Urt. vom 19.6.2003, Rs. C-315/01, Gesellschaft für Abfallentsorgungs-Technik GmbH / Österreichische Autobahnen und Schnellstraßen AG, Slg. 2003, S. 1-6351 Tz. 59; BGH NJW 1998, S. 3644 (3646). 4 Siehe nur Horst Dähne, in: Kapellmann / Messerschmidt (Hrsg.), VOB teile A und B, 2003, § 25 VOB / A Rdnr. 2.

Vergabefremde Kriterien nach der Neufassung der Vergaberichtlinien

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enthaltenen Kataloge der bieterbezogenen Kriterien der Ausschlußgründe und Eignungsnachweise als abschließend anzusehen waren. 5 Sofern andere Nachweise als die in der Richtlinie ausdrücklich genannten gefordert wurden, durften sie nur zum Nachweis der Leistungsfähigkeit dienen.6 Dies schloß es aus, auf der Stufe der Eignungsprüfung Nachweise zu fordern, die anderen Zwecken dienen.7 Ein solcher unzulässiger zusätzlicher Nachweis war aber die Tariftreueerklärung. 8 Statt als bieterbezogenes ließe sich die Tariftreueerklärung aber auch als zuschlagsbezogenes Kriterium fassen. Wurde diese Konstruktion gewählt, so stellte das Unterlassen der Abgabe der Erklärung nicht die Eignung des Bieters in Frage, sondern führte zur Nichtberücksichtigung beim Zuschlag. Zuschlagsbezogene Kriterien sind allerdings nur entweder der niedrigste Preis oder Kriterien, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. Das deutsche Vergaberecht hat sich dafür entschieden, daß das wirtschaftlichste Angebot maßgebend sein soll (§ 97 Abs. 5 GWB, § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB / A, § 25 Nr. 3 VOL / A). Damit bleibt dem öffentlichen Auftraggeber die Auswahl der Kriterien überlassen, auf die er für die Erteilung des Zuschlags abzustellen beabsichtigt.9 Allerdings mußte ein notwendiger Bezug der Kriterien auf den jeweiligen Auftrag in dem Sinne vorliegen, daß die Kriterien der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen mußten.10 Dies schloß es aus, vergabefremde Zwecke wie die Tariftreue als Kriterien des wirtschaftlich günstigsten Angebots einfließen zu lassen.11 Gemeinschaftsrechtlich war der Befund eindeutig: Die Vergaberichtlinien sahen die Berücksichtigung externer Zielsetzungen beim Zuschlag nicht vor. Allerdings konnte hieraus nicht der Schluß gezogen werden, daß die Vergabe5

EuGH, Urt. vom 3.6.1992, Rs. C-360/89, Kommission / Italien, Slg. 1992, S. 1-3401 Tz. 20 f.; Urt. vom 26.4.1994, Rs. C-272/91, Kommission / Italien, Slg. 1994, S. 1-1409 Tz. 35. 6 EuGH, Urt. vom 10.2.1982, Rs. 76/81, SA Transporoute et travauv / Ministère des travaux publics, Slg. 1982, S. 417 Tz. 9, 15. 7 Vgl. EuGH, Urt. vom 3.6.1992, Rs. C-360/89, Kommission/ Italien, Slg. 1992, S. 1-3401 Tz. 20; Urt. vom 17.11.1993, Rs. C-71 / 92, Kommission / Spanien, Slg. 1993, S. 1-5923 Tz. 41 f. 8 Jan Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, S. 72 (74). 9 EuGH, Urt. vom 20.9.1988, Rs. 3 1 / 8 7 , Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 Tz. 19; Urt. vom 19.6.2003, Rs. C-315 / Ol, Gesellschaft für Abfallentsorgungs-Technik GmbH / Österreichische Autobahnen und Schnellstraßen AG, Slg. 2003, S. 1-6351 Tz. 63 f. 10 EuGH, Urt. vom 19.6.2003, Rs. C-315/Ol, Gesellschaft für AbfallentsorgungsTechnik GmbH / Österreichische Autobahnen und Schnellstraßen AG, Slg. 2003, S. 1-6351 Tz. 64. 11 Zur Unzulässigkeit Christoph Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 138 ff.; ArnoldBoesen, Vergaberecht, 2000, § 97 Rdnr. 149.

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richtlinien die Zuschlagskriterien abschließend regelten und keinen Raum für die Einführung vergabefremder Zwecke durch die Mitgliedstaaten ließen. 12 Denn nach der Rechtsprechung des EuGH wurden Kriterien, die weder eignungs- noch zuschlagsbezogen sind, von der Koordinierungswirkung der früheren Vergaberichtlinien überhaupt nicht erfaßt. 13 Ein besonderes zusätzliches Kriterium, das nicht der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots diente, war daher am Maßstab der Vergaberichtlinien nicht unzulässig.14 D. h. auch hier kam es wieder auf die vom öffentlichen Auftraggeber konkret gewählte Form an. Hatte er etwa die Beispiele der für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots heranziehbaren Kriterien in § 35 Nr. 3 Abs. 3 S. 2 VOB / A um das Kriterium „Tariftreue" erweitert, so handelte es sich um ein unzulässiges, weil ohne Bezug auf den Auftrag bleibendes zuschlagsbezogenes Kriterium. Wurde es hingegen selbständig neben die Kriterien für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots gestellt, so handelte es sich um ein besonderes zusätzliches Kriterium, das von den Vergaberichtlinien nicht berührt wurde. Für die Zulässigkeit der besonderen zusätzlichen Kriterien galten folgende Anforderungen: 1. Die Verfahrensvorschriften der betreffenden Vergaberichtlinien, insbesondere die Publizitätsanforderungen, mußten beachtet werden. Das besondere zusätzliche Kriterium mußte also in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich angegeben werden, damit die Unternehmen vom Bestehen einer solchen Bedingung Kenntnis nehmen konnten.15

12 So aber Michael Brenner, Neuere Entwicklungen im Vergaberecht der Europäischen Union, 1997, S. 47 f.; Meinrad Dreher, Politische Vorgaben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus rechtswissenschaftlicher Sicht, ZVgR 1999, S. 289; Walter Götz, Die Zulässigkeit beschaffungsfremder Vergabekriterien nach Europarecht, EuR 1999, S. 621 (628 ff.); Peter M. Huber, Das öffentliche Auftragswesen als Beschaffungsvorgang oder Instrument der Wirtschaftslenkung und der Sozialgestaltung, ThürVBl. 2000, S. 193 (195); Jörg Karenfort / Ulrich von Koppenfels /Stefan Siebert, Tariftreueerklärungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge - vereinbar mit deutschem Kartellrecht und Europarecht?, BB 1999, S. 1825 (1831); Andrés Martin-Ehlers, Die Unzulässigkeit vergabefremder Kriterien, WuW 1999, S. 685 (692); Volker Neßler, Politische Auftragsvergabe durch den Staat?, DÖV 2000, S. 145 (149); Fritz Rittner, Die „sozialen Belange" i.S. der EG-Kommission und das inländische Vergaberecht, in: Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 87 (93). 13 Jan Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, S. 72 (75 f.). 14 EuGH, Urt. vom 26.9.2000, Rs. C-225 / 98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Tz. 50 f. 15 EuGH, Urt. vom 20.9.1988, Rs. 31 / 87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 Tz. 36; Urt. vom 26.9.2000, Rs. C-225 /98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Tz. 50 f.

Vergabefremde Kriterien nach der Neufassung der Vergaberichtlinien

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2. Die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, mußten beachtet werden. 16

2. Vorschriften des EG-Vertrags Die materiell-rechtlichen Maßstäbe für die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit von externen politischen Zielsetzungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ergaben sich nach der Rechtsprechung des EuGH allein aus dem EGVertrag. Bei den zu beachtenden Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts steht das Diskriminierungsverbot im Vordergrund. Die einschlägigen Vorschriften vor allem über die Warenverkehrs- (Art. 23 ff. EG) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG) verbieten sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit. Unmittelbare Diskriminierungen werden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge selten sein. A m ehesten in diesen Bereich hinein ragt die Bevorzugung ortsansässiger oder regional verwurzelter Unternehmen. Allerdings wird auch hier regelmäßig die Ansässigkeit und nicht die Staatsangehörigkeit als Unterscheidungskriterium gewählt. Verboten sind jedoch auch mittelbare Diskriminierungen, die durch Anlegung anderer Unterscheidungsmerkmale faktisch zu dem gleichen Ergebnis führen. 17 Eine solche mittelbare Diskriminierung stellt das Kriterium der Ortsansässigkeit dar. 18 Zu Recht verbieten die Verdingungsordnungen eine Beschränkung des Wettbewerbs auf Bewerber, die in bestimmten Regionen oder Orten ansässig sind (§ 8 Nr. 1 S. 2 VOB / A, § 7 Nr. 1 Abs. 1 S. 2 VOL / A). Eine Rolle kann die Ortsansässigkeit nur dann spielen, wenn sie einen unmittelbaren Leistungsbezug aufweist, sie beispielsweise notwendig ist, um bei komplexen technischen Anlagen einen Fehler sofort beheben zu können. 19

16

EuGH, Urt. vom 20.9.1988, Rs. 31/87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 Tz. 29 f.; Urt. vom 26.9.2000, Rs. C-225 / 98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Tz. 50 f. 17 Zur Unterscheidung unmittelbare / mittelbare Diskriminierung vgl. nur EuGH, Urt. vom 29.10.1980, Rs. 22 / 80, Boussac Saint Frères GA / Brigitte Gerstenmeier, Slg. 1980, S. 3427 Tz. 9; Urt. vom 5.12.1989, Rs. C-3 / 88, Kommission / Irland, Slg. 1989, S. 4035 Tz. 8; Urt. vom 3.6.1992, Rs. C-360/89, Kommission / Italien, Slg. 1992, S. 1-3401 Tz. 11. 18

Malte Müller-Wrede, Örtliche Präsenz, Ortsnähe und Ortsansässigkeit als Wertungskriterien - eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes?, VergabeR 2005, S. 32 (33 f.). 19 Malte Müller-Wrede, Örtliche Präsenz, Ortsnähe und Ortsansässigkeit als Wertungskriterien - eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes?, VergabeR 2005, S. 32 (35 f.).

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Typische weitere mittelbare Diskriminierungen, bei denen die betreffenden Bedingungen zwar auch von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten erfüllt werden können, jedoch nur unter größeren Schwierigkeiten als von den einheimischen Bietern 20 , sind beispielsweise •

die Vorgabe nationaler Normen für bei der Auftragserfüllung zu verwendende Produkte 21,



die Notwendigkeit, im Besitz einer Niederlassungsgenehmigung des den Auftrag vergebenden Staates zu sein, 22 oder



die Bezugnahme auf Klassifizierungen nationaler Berufsverbände für von den Bietern geforderte technische Spezifikationen, da es für die Bieter aus anderen Mitgliedstaaten schwerer ist, innerhalb der kurzen Frist Gebote abzugeben, weil sie sich bei den betreffenden öffentlichen Auftraggebern zunächst über Gegenstand und Inhalt der Klassifizierungen informieren müs0

23

sen . Für die primärrechtliche Bewertung der Einführung externer Zielsetzungen in Vergabeverfahren ist weiter zu beachten, daß Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit nicht nur unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch unterschiedslos in- und ausländische Bieter betreffende Maßnahmen verbieten. Voraussetzung ist, daß diese Maßnahmen den Handel bzw. die Erbringung von Dienstleistungen behindern und nicht aus zwingenden Erfordernissen zu rechtfertigen sind. 24 Wichtigstes Beispiel aus der Rechtsprechung des EuGH sind die sog. UNIXUrteile 25 . Sie betrafen ein niederländisches und ein österreichisches Vergabeverfahren, in denen den Bietern u. a. vorgeschrieben wurde, daß als Betriebs20 Zu diesem Begriff der mittelbaren Diskriminierung im Vergaberecht vgl. EuGH, Urt. vom 20.9.1988, Rs. 3 1 / 8 7 , Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 Tz. 30; Urt. vom 26.9.2000, Rs. C-225 / 98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Tz. 81 f. 21 EuGH, Urt. 22. 9. 1988, Rs. 4 5 / 8 7 , Kommission / Irland, Slg. 1988, S. 4929 Tz. 19 f. 22 EuGH, Urt. vom 10.2.1982, Rs. 7 6 / 8 1 , SA Transporoute et travaux / Ministère des travaux public, Slg. 1982, S. 417 Tz. 14. 23 EuGH, Urt. vom 26.9.2000, Rs. C-225 / 98, Kommission / Frankreich, Slg. 2000, S. 1-7445 Tz. 81 ff. 24 EuGH, Urt. vom 20.2.1979, Rs. 120 / 78, Rewe-Zentral-AG / Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, S. 649 Tz. 6 ff.; Urt. vom 26.6.1997, Rs. C-368 / 95, Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und -Vertriebs GmbH / Heinrich Bauer Verlag, Slg. 1997, S. 1-3689 Tz. 8; Urt. vom 9.2.1999, Rs. C-383 / 97, van der Laan, Slg. 1999, S. 1-731 Tz. 19. 25 EuGH, Urt. vom 24.1.1995, Rs. C-359/93, Kommission / Niederlande, Slg. 1995, S. 1-168; Urt. vom 28.10.1999, Rs. C-328/96, Kommission / Österreich, Slg. 1999, S. 1-7479.

Vergabefremde Kriterien nach der Neufassung der V e r g a b e r i c h t l i n i e n 1 5 7

system das in den USA entwickelte UNIX-System verwendet werden müsse. Der Gerichtshof beanstandete die Vorgabe als handelsbehindernd, da sie Interessenten, die ähnliche Systeme wie UNIX verwenden, davon abhalte, sich an der Ausschreibung zu beteiligen. 26 Als kurzes Zwischenresümee ist festzuhalten, daß das Primärrecht differenzierte Maßstäbe für die Beurteilung der Zulässigkeit vergabeexterner Zielsetzungen zur Verfügung stellt. Auch hier kommt es entscheidend darauf an, in welcher Weise der öffentliche Auftraggeber die Zielsetzung verfolgt. Die Beurteilung ist nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich. 27 Je nach der konkret gewählten Ausgestaltung kann die Verfolgung desselben Zwecks ebenso gut zulässig wie unzulässig sein. Dies kann nochmals am Beispiel der sog. Tariftreueerklärung demonstriert werden. Auch arbeitsmarkt- und sozialpolitisch intendierte Zwecksetzungen müssen diskriminierungsftei ausgestaltet sein. Eine Diskriminierung liegt etwa vor, wenn benachteiligte Gruppen, deren Beschäftigung gefordert werden soll, nur durch Verweis auf nationale Vorschriften beschrieben werden. Denn hierdurch ist den Bietern aus anderen Mitgliedstaaten eine Angebotskalkulation innerhalb der Angebotsfrist nur erschwert möglich. Dieser Gesichtspunkt ist auch bei der Tariftreueerklärung von Bedeutung: Eine Tariftreueerklärung, die ohne weitere Spezifizierung zur Einhaltung der am Ort der Auftragsausführung geltenden Tarifverträge verpflichtet - auf diese gleichsam dynamisch verweist wirkt mittelbar diskriminierend. 28 Es bedeutet für Bieter aus anderen Mitgliedstaaten eine Erschwerung gegenüber ihren deutschen Konkurrenten, sich mit den Einzelheiten des deutschen Tarifvertragssystems vertraut machen zu müssen. Dies gilt insbesondere bei größeren Aufträgen, bei denen u. U. verschiedene Tarifverträge einschlägig sind. Diskriminierungsfrei wäre hingegen eine Ausgestaltung, die für die bei der Leistungserbringung vorzunehmenden Arbei-

26

EuGH, Urt. vom 24.1.1995, Rs. C-359 / 93, Kommission / Niederlande, Slg. 1995, S. 1-168 Tz. 27; Urt. vom 28.10.1999, Rs. C-328/96, Kommission / Österreich, Slg. 1999, S. 1-7479 Tz. 68 ff. 27 EuGH, Urt. vom 20.9.1988, Rs. 31/87, Gebroeders Beentjes BV / Niederlande, Slg. 1988, S. 4635 Tz. 30. 28 Monika Böhm/Claudia Danker, Politische Zielvorgaben als Vergabekriterien, NVwZ 2000, S. 767 (768); Jörg Karenfort / Ulrich von Koppenfels / Stefan Siebert, Tariftreueerklärungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge - vereinbar mit deutschem Kartellrecht und Europarecht?, BB 1999, S. 1825 (1831 f.); Michael Kling, Tariftreue und Dienstleistungsfreiheit, EuZW 2002, S. 229 (232 ff.); Fridhelm Marx, Vergabefremde Aspekte im Lichte des europäischen und des deutschen Rechts, in: Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 77 (86).

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ten in den Vergabeunterlagen Mindestlöhne festlegt, die den Tariflöhnen entsprechen. 29

IL Die Urteile ..Concordia Bus" und ..Wienstrom" 1. „Concordia Bus" Das Urteil des EuGH in der Sache Concordia Bus 30 betraf ein finnisches Vergabeverfahren, mit dem der innerstädtische Busverkehr der Stadt Helsinki ausgeschrieben wurde. Zu den für die Vergabe zu berücksichtigenden Kriterien zählte auch das Qualitäts- und Umweltkonzept des bietenden Verkehrsunternehmers, wobei Zusatzpunkte für eine Gesamtheit von qualitativen Kriterien und ein zertifiziertes Umweltkonzept zugeteilt wurden. Ein unterlegener Bieter machte geltend, daß die Vergabe von Zusatzpunkten für Fahrzeuge, die gewisse Stickoxidemissionen und bestimmte Lärmpegel unterschritten, unzulässig gewesen sei. Zum einen sei faktisch nur der schließlich ausgewählte Bieter in der Lage gewesen, einen entsprechenden Fuhrpark einzusetzen, und zum anderen stünden diese Umweltkriterien in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gegenstand der Ausschreibung. Der EuGH wiederholte zunächst seinen Standpunkt, daß die einschlägige Vergaberichtlinie die Kriterien, die für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots festgelegt werden können, nicht abschließend aufzähle. 31 Auch die Feststellung des Gerichtshofs, daß es sich bei diesen Kriterien nicht um „wirtschaftliche" in einem engeren Sinne handeln müsse32, bringt in der Sache nichts Neues. Zur Begründung der Befugnis des Auftraggebers, Umweltschutzkriterien in die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots einzubeziehen, hätte es daher des Rekurses auf Art 6 EG 3 3 nicht bedurft. Dieser Hinweis darf keinesfalls so verstanden werden, daß über eine Wirtschaftlichkeit in einem engeren Sinne hinausgehende Kriterien nur dann einbezogen werden

29 Zur Vereinbarkeit der Festlegung von Mindestlöhnen mit den Grundfreiheiten vgl. EuGH, Urt. vom 23.11.1999, Rs. C-369 und 376/96, Arblade / Leloup, Slg. 1999, S. 1-8453 Tz. 41 f. 30 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki u.a.; Slg. 2002, S. 1-7213. 31 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 54. 32 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 55. EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / He singin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. .

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dürfen, wenn sie im gemeinschaftsrechtlichen Primärrecht oder dem vergabebezogenen Sekundärrecht ausdrücklich erwähnt sind. Denn wie der EuGH im folgenden richtigerweise ausführt, kommt es für die Zulässigkeit von Zuschlagskriterien allein darauf an, daß sie mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und dem öffentlichen Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen. 34 Die hierzu in der deutschen Literatur geführte Diskussion um die Art der „Faktoren, die nicht rein wirtschaftlich sind" 35 , beim Zuschlag aber berücksichtigungsfähig sind, ist nicht nachvollziehbar. Diese Diskussion leidet im wesentlichen unter der fehlenden Erkenntnis, daß der EuGH die Zulässigkeit eines Zuschlagskriteriums mehrschrittig prüft: 1. Auf der ersten Stufe kann der Auftraggeber alle - auch nicht-wirtschaftlichen - Faktoren heranziehen, die „sich auf den Wert eines Angebots für diesen Auftraggeber auswirken können" 36 . Durch die Formulierung „für diesen Auftraggeber" wird also ein Auftraggeberbezug hergestellt, der es ausschließt, ausschließlich bei anderen Personen oder Stellen eintretende Effekte einzubeziehen. Eine allgemeine Wohlfahrtspolitik mittels des Vergaberechts ist bereits auf dieser Stufe ausgeschlossen. Der Auftraggeber kann also beispielsweise keine dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienenden Kriterien einbeziehen, wenn er nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung für diesen Gesundheitsschutz nicht zuständig ist und insoweit auch keine Kostenlast trägt. Dies ändert nichts daran, daß der auf dieser Prüfungsstufe einsetzende Filter sehr grobmaschig ist. 2. In der Diskussion übersehen wird dann zuweilen, daß die Prüfung nicht auf der dargestellten ersten Stufe stehen bleibt, sondern anschließend der Zusammenhang des Kriteriums mit dem Auftragsgegenstand zu prüfen ist. Diesen Zusammenhang nicht aufweisende Kriterien scheiden als zulässige Zuschlagskriterien - denn nur diese betraf die Concordia Bus-Entscheidung - aus. Dies gilt beispielsweise für allgemeine sozial- und umweltpolitische Erwägungen. Diese Kriterien ohne Auftragsbezug werden damit aber nicht generell unzulässig. Es handelt sich vielmehr um besondere zusätzliche Kriterien, die als solche gekennzeichnet und den vom EuGH aufgestellten, be-

34 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 /99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 59 ff. 35 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab/Heisingin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 55. Aus der Diskussion Martin Beckmann, Die Verfolgung ökologischer Zwecke bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, NZBau 2004, S. 600 (602); Jens-Peter Schneider, EG-Vergaberecht zwischen Ökonomisierung und umweltpolitischer Instrumentalisierung, DVB1. 2003, S. 1186 (1188 f.). 36 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland Oy Ab / Heisingin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 55.

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reits genannten Zulässigkeitsanforderungen genügen müssen. In der Sache konnte man in der Tat keinen Zweifel daran haben, daß die Höhe der Stickoxidemissionen und der Lärmpegel der Busse Kriterien sind, die mit dem Gegenstand eines die Erbringung städtischer Busverkehrsdienstleistungen betreffenden Auftrags zusammenhängen.37 3. Die weiteren vom EuGH für die Zulässigkeit eines Zuschlagskriteriums genannten Voraussetzungen sind bekannt: Das Kriterium •

darf dem öffentlichen Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen; 38



muß im Leistungsverzeichnis oder der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich angegeben werden, wenn möglich in absteigender Reihenfolge gemäß der den Kriterien zugemessenen Bedeutung, damit die Unternehmer in der Lage sind, vom Bestehen und der Tragweite dieses Kriteriums Kenntnis zu nehmen;39



muß alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, beachten40.

Auch hier sollte nicht zuviel hineingeheimnist werden. Bei der Aufzählung dieser Voraussetzungen, insbesondere der letzten beiden, hat der EuGH zwar seine Urteile in den Sachen Beentjes und Nord-Pas-de-Calais zitiert, die gerade keine Zuschlagskriterien, sondern besondere zusätzliche Kriterien betrafen. Hieraus läßt sich jedoch nicht die Folgerung ziehen, daß die auftragsbezogenen Umweltkriterien, wie sie in der Sache Concordia Bus relevant waren, nicht als Zuschlagskriterien, sondern als besondere zusätzliche Kriterien oder gar als vierte Kategorie zwischen Zuschlagskriterien und besonderen zusätzlichen Kriterien eingestuft werden sollten. Bereits in den Urteilen Beentjes und Nord-Pas-de-Calais hatte der EuGH deutlich gemacht, daß es sich um Voraussetzungen handelt, die alle Kategorien von Kriterien erfüllen müssen, die in einem Vergabeverfahren Berücksichtigung finden sollen. Alle bisher dargestellten Erwägungen des EuGH in seinem Urteil Concordia Bus standen also strikt in der Linie seiner früheren Rechtsprechung. Dies gilt auch für die Passagen des Urteils, die die Vereinbarkeit unterschiedslos an37 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, singin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 65. 38 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, singin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 61. 39 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, singin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 62. 40 EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, singin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 63.

Concordia Bus Finland Oy Ab / HelConcordia Bus Finland Oy Ab / HelConcordia Bus Finland Oy Ab / HelConcordia Bus Finland Oy Ab / Hel-

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wendbarer Zuschlagskriterien mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung betreffen. Der unterlegene Bieter hatte nämlich geltend gemacht, daß die Zusatzpunkte für verringerte Stickoxid- und Lärmemissionen faktisch nur von einem einzigen Unternehmen erlangt werden konnten. Hintergrund dieser Rüge dürfte die skizzierte UNIX-Rechtsprechung des EuGH 41 gewesen sein. Anders als dort aber entschied das fragliche Zuschlagskriterium in der Sache Concordia Bus nicht über die Vergabe als solche, sondern ermöglichte nur die Vergabe von Zusatzpunkten, so daß sich die Chancen anderer Unternehmen, die diese Zusatzpunkte nicht erwerben konnten, zwar geringfügig verschlechterten, jedoch nicht ausgeschlossen wurden. Die nach der UNIXRechtsprechung erforderliche Marktbehinderung war deshalb nicht feststellbar. 42 2. „Wienstrom" Das Urteil des EuGH in der Sache „Wienstrom" 43 betraf ein österreichisches Vergabeverfahren, mit welchem die Republik Österreich die Lieferung von Elektrizität ausgeschrieben hatte. Zuschlagskriterium zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots sollte u. a. die Umweltgerechtigkeit der Leistungen dergestalt sein, daß der Energielieferant im Rahmen der technischen Möglichkeiten elektrische Energie aus erneuerbaren Energieträgern liefern sollte. Angebote, die keinen Nachweis dafür enthielten, daß der Bieter eine bestimmte Menge Strom aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt oder zugekauft hat bzw. erzeugen oder zukaufen wird, sollten ausgeschieden werden. Unter Anlegung der im Concordia Bus-Urteil entwickelten Maßstäbe hielt der EuGH das Kriterium, Strom aus erneuerbaren Energien zu liefern, für ein zulässiges Zuschlagskriterium. 44 Zu beachten ist, daß der Gerichtshof nicht für die Zulässigkeit dieses Kriteriums als solche, sondern erst für die Rechtfertigung von dessen hoher Gewichtung mit 45 % auf die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zur Bekämpfung der Emission von Treibhausgasen durch die Förderung erneuerbarer Energiequellen rekurrierte 45. Dies bestätigt die oben (II. 1.) gegebene Einschätzung, daß die Zulässigkeit als solche nicht von der Veranke41

Siehe o.I.2. EuGH, Urt. vom 17.9.2002, Rs. C-513 / 99, singin kaupunki u.a., Slg. 2002, S. 1-7213 Tz. 83 ff. 43 EuGH, Urt. vom 4.12.2003, Rs. C-448 / 01, blik Österreich, Slg. 2003, S. 1-14527. 44 EuGH, Urt. vom 4.12.2003, Rs. C-448 / 01, blik Österreich, Slg. 2003, S. 1-14527 Tz. 32 ff. 45 EuGH, Urt. vom 4.12.2003, Rs. C-448 / 01, blik Österreich, Slg. 2003, S. 1-14527 Tz. 40 f. 42

Concordia Bus Finland Oy Ab / HeiEVN AG, Wienstrom GmbH / RepuEVN AG, Wienstrom GmbH / RepuEVN AG, Wienstrom GmbH / Repu-

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rung des Kriteriums im Gemeinschaftsrecht abhängt. Ob das Zuschlagskriterium zur Erreichung des Ziels, zur Erhöhung der Mengen aus erneuerbaren Energieträgern erzeugten Stroms beizutragen, möglicherweise überhaupt nicht geeignet ist, ist dabei unerheblich. 46 Die Zulässigkeit des Zuschlagskriteriums scheiterte dann auf der zweiten Prüfungsstufe, der Prüfung des Zusammenhangs mit dem Gegenstand des Auftrags. Denn das Zuschlagskriterium bezog sich nicht auf die Lieferung der Menge Strom des im Rahmen des ausgeschriebenen Auftrags zu erwartenden jährlichen Verbrauchs, sondern auf die Mengen, die die Bieter anderen Abnehmern als dem Auftraggeber geliefert haben oder zu liefern beabsichtigen.47 Auch dieses Urteil fügt sich mithin nahtlos in das System ein, das der EuGH zur Prüfung der Zulässigkeit von Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge entwickelt hat. Es hat nochmals die bereits der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs entnehmbare Linie bestätigt, daß Umweltschutzkriterien auch als Zuschlagskriterien Berücksichtigung finden können, soweit sie einen Auftragsbezug aufweisen. Dies gilt beispielsweise nicht für die Anknüpfung an nicht spezifisch auf den Auftragsgegenstand bezogene Merkmale oder Verhaltensweisen des Bieters, etwa eine umweltfreundliche Bauweise des Produktionsstandorts oder die Erreichung einer bestimmten Produktionsquote als umweltfreundlich eingeschätzter Güter. Hierbei handelt es sich um besondere zusätzliche Kriterien, die als solche gefaßt sein müssen und den für sie formulierten Zulässigkeitsanforderungen genügen müssen.48

III. Vergabefremde Kriterien in der Systematik der Vergabekoordinierungsrichtlinie Die Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR) bemüht sich erkennbar, an die Fallgruppen anzuknüpfen, die in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH eine Rolle spielten. Bedauerlich ist dabei, daß die Systematik, wie sie in der Judikatur des EuGH entwickelt worden ist, nur bedingt aufgegriffen wurde. Die Vorschriften über die im Rahmen des Vergabeverfahrens zu berücksichtigenden und berücksichtigungsfähigen Kriterien sind in der Richtlinie nicht zusammengefaßt, sondern über zahlreiche Stellen verstreut worden.

46 EuGH, Urt. vom 4.12.2003, Rs. C-448 / Ol, EVN AG, Wienstrom GmbH / Republik Österreich, Slg. 2003, S. 1-14527 Tz. 53. 47 EuGH, Urt. vom 4.12.2003, Rs. C-448 / Ol, EVN AG, Wienstrom GmbH / Republik Österreich, Slg. 2003, S. 1-14527 Tz. 66 ff. 48 Wolfram Krohn, Umweltschutz als Zuschlagskriterium: Grünes Licht für „Ökostrom", NZBau 2004, S. 92 (95).

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Wie bisher bleibt es beim Grundsatz der getrennten Prüfung von bieterbezogenen Kriterien und Zuschlagskriterien. Art. 44 Abs. 1 VKR schreibt ausdrücklich vor, daß die Zuschlagskriterien erst dann zum Zuge kommen, wenn der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Wirtschaftsteilnehmer festgestellt hat.

1. Eignungsprüfung Die Eignungsprüfung ist nach den in den Art. 47 bis 52 VKR genannten Kriterien der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit sowie der beruflichen und technischen Fachkunde durchzuführen. Aus dem ausdrücklichen Verweis auf die Art. 47 bis 52 wird man schließen müssen, daß neben diesen Kriterien und den Ausschlußgründen der Art. 45 und 46 keine weiteren bieterbezogenen Kriterien statuiert werden dürfen. Art. 47 betrifft die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit, die in der Regel durch die in Art. 47 Abs. 1 genannten Nachweise belegt werden soll. Wie Art. 47 Abs. 4 deutlich macht kann der Auftraggeber allerdings auch andere Nachweise fordern, sofern diese in der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder in der Bekanntmachung angegeben sind. Aus dem Normzusammenhang wird man schließen müssen, daß es hier bei dem schon früher vom EuGH entwickelten Grundsatz bleibt, daß diese anderen Nachweise nur zum Nachweis der Leistungsfähigkeit dienen dürfen. Es ist daher weiterhin ausgeschlossen, auf der Stufe der Eignungsprüfung Nachweise zu fordern, die anderen Zwecken dienen. Zu beachten ist, daß Art. 44 Abs. 2 S. 3 die Anforderungen an vom öffentlichen Auftraggeber geforderte Leistungsfähigkeitsnachweise sogar noch verschärft. Sofern der Auftraggeber Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit formuliert, müssen diese Anforderungen mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein. Ein solcher Auftragsbezug war bisher vom EuGH explizit nur für Zuschlagskriterien gefordert worden. Diese Regelung betreffend die vom Auftraggeber vorgegebenen Mindestanforderungen gilt auch für die Bewertung der technischen und / oder beruflichen Leistungsfähigkeit nach Art. 48. Dabei ist zu beachten, daß es dem Auftraggeber - anders als bei der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit nicht freisteht, andere Nachweise als die in Art. 48 Abs. 2 genannten zu fordern. Art. 48 Abs. 6 läßt ausdrücklich nur das Verlangen nach Vorlage dieser Nachweise zu. Im vorliegenden Zusammenhang gesondert zu erwähnen ist, daß nach Art. 48 Abs. 2 lit. f zu den geforderten Nachweisen der technischen Leistungsfähigkeit „in den entsprechenden Fällen" auch die Angabe von Umweltmanagementmaßnahmen gehören kann. Auch hier ist ausdrücklich ein Auftragsbezug dergestalt gefordert, daß es sich nur um den Nachweis solcher Umweltma-

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nagementmaßnahmen handeln darf, die der Wirtschaftsteilnehmer gerade bei der Ausführung des Auftrags anwenden will. 4 9 Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn der Auftraggeber zum Nachweis der Erfüllung von Normen des Umweltmanagements die Vorlage von Bescheinigungen unabhängiger Stellen verlangt und dies gemäß Art. 50 durch Vorlage einer EMAS-Zertifizierung erfolgen soll. Hierzu wird häufig darauf hingewiesen, daß die EMAS-Zertifizierung als solche nicht den nach Art. 44 Abs. 2 VKR erforderlichen Zusammenhang zwischen der nachzuweisenden Umweltmanagementmaßnahme und dem Auftragsgegenstand vermittle, da die EMAS-Verordnung nur die Verpflichtung zur Verfolgung selbst gesetzter umweltpolitischer Ziele und bestimmter Maßnahmen der Umweltinformation verlange. 50 Dies ist allerdings nur bedingt richtig. Zunächst ist daraufhinzuweisen, daß der durch Art. 44 Abs. 2 für alle Anforderungen an die Leistungsfähigkeit geforderte Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand für das Verlangen der Angabe von Umweltmanagementmaßnahmen bei Bau- und Dienstleistungsaufträgen durch Art. 48 Abs. 2 lit. f speziell ausgeformt wird. Der Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand ist daher immer gegeben, wenn die Umweltmanagementmaßnahme bei der Ausführung des Auftrags angewendet werden soll. Daß ein Umweltmanagementsystem nach der EMAS-Verordnung bei der Ausführung eines Auftrags gerade nicht angewendet wird, dürfte dabei die Ausnahme darstellen. Denn nach Anhang I.A.5.1 zur EMAS-Verordnung 51 ist eine der Voraussetzungen für die EMAS-Eintragung ein Umweltmanagementsystem, in dessen Rahmen die betreffende Organisation maßgebliche Merkmale über Arbeitsabläufe und Tätigkeiten, die eine bedeutende Auswirkung auf die Umwelt haben können, regelmäßig überwachen und messen muß. Fällt daher die Ausführung des zu vergebenden Auftrags in den Bereich der durch das Umweltmanagementsystem nach der EMAS-Verordnung erfaßten Arbeitsabläufe und Tätigkeiten, so werden die Umweltmanagementmaßnahmen bei der Ausführung des Auftrags angewendet, wie es Art. 48 Abs. 2 lit. f VKR fordert. Daß ein EMAS-beteiligtes Unternehmen die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 lit. f nicht erfüllt, ist daher nur in seltenen Ausnahmefällen denkbar. Anderes gilt aber, wenn andere Nachweise für gleichwertige Umweltmanagementmaßnahmen vorgelegt werden, was nach

49 Siehe Martin Beckmann, Die Verfolgung ökologischer Zwecke bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, NZBau 2004, S. 600 (601). 50 Marc Opitz, Das Legislativpaket: Die neuen Regelungen zur Berücksichtigung umweit- und sozialpolitischer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, VergabeR 2004, S. 421 (426). 51 Verordnung (EG) Nr. 761 / 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABl. 2001 L 114/1.

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Art. 50 generell zulässig ist. In diesen Fällen muß im Einzelfall überprüft werden, ob der Nachweis auch die Ausführung gerade des konkreten Auftrags abdeckt.

2. Zuschlagskriterien Als Zuschlagskriterien kennt Art. 53 Abs. 1 wie bisher alternativ das wirtschaftlich günstigste Angebot oder das Kriterium des niedrigsten Preises. Die Ausgestaltung des Zuschlags auf das wirtschaftlich günstigste Angebot folgt den Grundsätzen, wie sie der EuGH in seiner Rechtsprechung vor Inkrafttreten der neuen Richtlinie entwickelt hatte: Die einzelnen Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung müssen in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen in der Beschreibung angegeben sein (Art. 53 Abs. 2 VKR). Zulässig sind nur solche Kriterien, die mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen, wobei zu den beispielhaft aufgezählten Kriterien neben Qualität, Preis, technischem Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Betriebskosten, Rentabilität, Kundendienst und technischer Hilfe, Lieferzeitpunkt sowie Lieferungs- und Ausführungsfrist nunmehr ausdrücklich auch die Umwelteigenschaften gehören. Insoweit hat die VKR also nichts Neues gebracht. In diesem Zusammenhang sind auch die Regelungen über technische Spezifikationen zu beachten, die die Merkmale der zu erbringenden Leistung und damit ein zuschlagsrelevantes Kriterium betreffen. Hier ist ausdrücklich vorgesehen, daß die in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen gefaßten technischen Spezifikationen auch Umwelteigenschaften umfassen können (Art. 23 Abs. 3 lit. b). Da dem Auftraggeber dabei aufgegeben wird, die Anforderungen so genau zu fassen, daß „sie den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln", wird man davon ausgehen müssen, daß die hier erfaßten Umwelteigenschaften solche des zu erbringenden Leistungsgegenstandes selbst sein müssen. Dies macht auch Art. 23 Abs. 6 deutlich, der auf die Spezifikationen in Umweltgütezeichen verweist, wenn sich diese zur Definition der Merkmale der Waren oder Dienstleistungen eignen, die Gegenstand des Auftrags sind. Nicht anders verhält es sich hinsichtlich der technischen Spezifikationen nach Art. 23 Abs. 3 lit. a, die in Anhang V I definiert sind. Ziff. 1 lit. a und b des Anhangs V I nennt als technische Spezifikationen ausdrücklich auch die „Produktionsprozesse und -methoden". Wie Erwägungsgrund 29 der VKR klarstellt, zählen hierzu auch bestimmte Produktionsmethoden mit Blick auf die Umweltauswirkungen. Dies liegt in der Logik des „Wienstrom"-Urteils des EuGH, aus dem sich gleichzeitig die Grenzen der Einordnung produktionsbezogener Umweltanforderungen als technische Spezifikationen ergeben dürften. Denn technische Spezifikationen sind laut Anhang V I Ziff. 1 der VKR nur sol-

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che Anforderungen und Vorschreibungen von Merkmalen, die an ein Erzeugnis, eine Leistung, ein Erzeugnis oder ein Material selbst gestellt werden. Gegenstand einer technischen Spezifikation kann also nur der Produktionsprozeß bzw. die Produktionsmethode des Auftragsgegenstandes sein. Allgemeine umweltbezogene Erwägungen wie die Vorgabe einer bestimmten Produktionsquote umweltverträglich hergestellter Produkte können nach wie vor nur unter den für besondere zusätzliche Kriterien geltenden Voraussetzungen in das Vergabeverfahren eingeführt werden. 52 Nicht ganz eindeutig ist, ob unter Produktionsprozeß bzw. -methode und damit unter die Zuschlagskriterien neben umweltbezogenen auch sozialpolitisch intendierte Anforderungen gefaßt werden können. Teilweise wird angenommen, daß dies dann zu bejahen sei, wenn etwa Langzeitarbeitslose, Behinderte oder Frauen in Führungspositionen bei der Auftragsausführung 53 oder sogar sonst im Betrieb des Bieters 54 eingesetzt werden sollen. Allerdings dürfte dem die Systematik der VKR widersprechen. Soziale Aspekte werden ausschließlich im Zusammenhang der zusätzlichen Bedingungen für die Auftragsausführung (Art. 26) erwähnt. Die Begründungserwägung 33 nennt hier ausdrücklich die Einstellung von Langzeitarbeitslosen, die Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer und Jugendliche und die Einstellung von behinderten Personen. Zur sozialen Dimension der Zuschlagskriterien verhält sich Begründungserwägung 46: Dabei geht es aber nur um die „Erfüllung sozialer Anforderungen" in dem Sinne, daß diese Kriterien sich an den Bedürfnissen benachteiligter Bevölkerungsgruppen hinsichtlich der Nutzung der Bauleistung, Lieferung oder Dienstleistung orientieren sollen. Ein Beispiel ist die in Art. 23 Abs. 1 S. 2 genannte Festlegung der technischen Spezifikationen in einer Weise, daß den Zugangskriterien für Behinderte Rechnung getragen wird. Diese Unterscheidung spricht dafür, soziale Kriterien, die sich nicht auf die Nutzung der erbrachten Leistung oder Lieferung beziehen, als zusätzliche Bedingungen für die Auftragsausführung zu verorten.

52

A.M. Christoph Leifer / Sven Mißling, Die Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien im bestehenden und zukünftigen Vergaberecht am Beispiel des europäischen Umweltmanagementsystems EMAS, ZUR 2004, S. 266 (267). 53 Marc Opitz, Das Legislativpaket: Die neuen Regelungen zur Berücksichtigung umweit- und sozialpolitischer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, VergabeR 2004, S. 421 (429). 54 Kristian Fischer, Vergabefremde Zwecke im öffentlichen Auftragswesen: Zulässigkeit nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, EuZW 2004, S. 492 (494).

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3. Zusätzliche Bedingungen für die Auftragsausführung Eine bemerkenswerte Korrektur der Rechtsprechung des EuGH findet sich in Art. 26 VKR, der der Sache nach die in der bisherigen Judikatur so bezeichneten besonderen zusätzlichen Kriterien aufgenommen hat. Nach dieser Vorschrift können die öffentlichen Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Bemerkenswert ist die Fassung dieser Vorschrift aus zwei Gründen. Zum einen hatte der EuGH die von der Kommission 55 und dem Generalanwalt Alber in seinen Schlußanträgen in der Sache Nord-Pas-De-Calais 56 vorgenommene Deutung der besonderen zusätzlichen Kriterien als Ausführungskriterien in seinem Urteil in der genannten Rechtssache deutlich zurückgewiesen. 57 Art. 26 VKR korrigiert diese Rechtsprechung durch die Verknüpfung der zusätzlichen Bedingungen mit der Ausführung des Auftrags und schafft die neben Eignungsund Zuschlagskriterien dritte Kategorie der zusätzlichen Bedingungen für die Auftragsausführung. Mitnichten handelt es sich also bei diesen zusätzlichen Bedingungen um Zuschlagskriterien. 58 Zum anderen - und das ist das Entscheidende - hat die durch die Herstellung dieser Verknüpfung vorgenommene Einordnung massive Folgen für die Zulässigkeit der zusätzlichen Bedingungen. Wie bereits der Ausschuß der Regionen in seiner Stellungnahme vom 13.12.2000 zu den Kommissions Vorschlägen erkannte (und kritisierte), führt die Forderung, daß sich die zusätzlichen Bedingungen auf die Ausführung des Auftrags beziehen müssen, zu einer deutlichen Restriktion gegenüber der durch die Rechtsprechung des EuGH aufgebauten Position, 59 die eine solche Forderung nicht kannte. Wie in den späteren Beratungen hervorgehoben wurde, ist diese Entscheidung bewußt getroffen worden, um „nicht mit dem Vertragsgegenstand verbundene Vergabeaspekte ... auszuschließen"60.

55 Mitteilung KOM (89) 400 endg. der Kommission „Öffentliches Auftragswesen Regionale und Soziale Aspekte" vom 22.9.1989, ABL. 1989 C 311 / 7, Tz. 46 ff. 56 Schlußanträge des GA Alber vom 14.3.2000 in der Rs. C-225/98, Slg. 2000, S. 1-7449 Tz. 43 ff. 57 Im einzelnen Jan Ziekow, Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, S. 72 (76). 58 So aber Oliver Mader, Das neue EG-Vergaberecht, EuZW 2004, S. 425 (428). 59 Stellungnahme des Ausschusses der Regionen, ABl. 2001 C 144 / 23 sub 2.7.1. 60 Empfehlung des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt für die zweite Lesung des Europäischen Parlaments vom 19.6.2003 (A5-0242 / 2003) S. 33.

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Es kann nicht übersehen werden, daß diese Lösung systematisch konsequent ist und alle im Rahmen der Vergabe eine Rolle spielenden Kriterien gleich behandelt: Für Eignungs- und Zuschlagskriterien sowie zusätzliche Bedingungen ist nun gleichermaßen ein Bezug zum Auftragsgegenstand notwendig. Dies hat zur Folge, daß betriebsbezogene Anforderungen umweit- und sozialpolitischer Art grundsätzlich im Vergabeverfahren keine Berücksichtigung mehr finden können, es sei denn, sie wirken sich gerade bei der Ausführung des betreffenden Auftrags aus. Insoweit besteht ein Gleichklang zu den Voraussetzungen, unter denen das Eignungskriterium der Angabe von Umweltmanagementmaßnahmen nach Art. 48 Abs. 2 lit. f eingeführt werden darf. Worin bestehen dann aber die Unterschiede zwischen Eignungskriterien, Zuschlagskriterien und zusätzlichen Bedingungen? Wie hat die Zuordnung zu erfolgen? Schlagwortartig zusammengefaßt beziehen sich die Eignungskriterien auf die Person, das bisherige Verhalten und den bisherigen Betrieb des Bieters, die Zuschlagskriterien auf die Wertung der Angebote untereinander hinsichtlich der für den Auftragsgegenstand festgelegten Anforderungen und die zusätzlichen Bedingungen auf die Ausführung der durch den Auftragsgegenstand bezeichneten Leistung 61 . Auch wenn dies in der unübersichtlichen Fassung der Vergaberichtlinie nicht zum Ausdruck kommt, steht dahinter das Konzept eines Phasenmodells: Verhalten des Bieters vor dem Angebot - Entwicklung der Leistungsperspektive im Angebot - Erbringung der Leistung nach dem Zuschlag. Der Endpunkt der letzten Phase wird durch die vollständige Erbringung der Leistung bezeichnet. Über diesen Zeitpunkt hinausgreifende Anforderungen können nicht auf Art. 26 gestützt werden. 62 Übertragen auf das schon mehrfach bemühte Beispiel der Tariftreueerklärung bedeutet dies, daß es sich dabei nachgerade um den Prototyp einer Bedingung handelt, die für die Ausführung des Auftrags vorgeschrieben wird. Denn gezahlt werden sollen ja gerade während der Ausführung der Leistung die am Ort der Leistungsausführung geltenden Tariflöhne. Insoweit handelt es sich um eine zusätzliche Bedingung im Sinne von Art. 26. Für die Zulässigkeit der Tariftreueerklärung besagt dies aber nichts (dazu o. I. 2.), da die Vorschrift ja ausdrücklich die Rechtsprechung des EuGH aufgreift, wonach die Bedingung mit dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere dem Diskriminierungsverbot vereinbar sein muß.

61

Für die letztere Zuordnung ausdrücklich Erwägungsgrund 33 der VKR. Marc Opitz, Das Legislativpaket: Die neuen Regelungen zur Berücksichtigung umweit- und sozialpolitischer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, VergabeR 2004, S. 421 (425). 62

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IV. Zusammenfassende Bewertung Versucht man, die vorstehenden Überlegungen zusammenfassen, so muß eine zentrale Einsicht vorangestellt werden: Vergabefremde Zwecke im engeren Sinne des Wortes gibt es nicht mehr. Was an Kriterien zulässigerweise in ein Vergabeverfahren eingeführt werden darf, ist durch die VKR abschließend geregelt. Dies bedeutet nicht, daß die Richtlinie jedes einzelne Kriterium explizit aufführen würde. Die Kategorien der wirtschaftlichen und technischen Leistungsfähigkeit als Unterfall der Eignungskriterien, des wirtschaftlich günstigsten Angebots als Fall der Zuschlagskriterien und der zusätzlichen Bedingungen für die Auftragsausführung sind durchaus offen. Der Auftraggeber kann nach eigenen Zielen Kriterien und Bedingungen hinzufügen, allerdings nicht nach Belieben. Denn ein Kriterium ist in Zukunft nur noch zulässig, wenn es einen Auftragsbezug in dem jeweils in der Richtlinie beschriebenen Sinne aufweist. Wegen der Notwendigkeit dieses Bezuges wird man die Kriterien kaum noch als vergabefremd bezeichnen können. Dies läßt sich auch nicht unter Berufung auf ein Verständnis des Vergabeverfahrens begründen, das von einem Primat der wirtschaftlichen im Sinne von sparsamen Beschaffung ausgeht. Was wirtschaftliche Beschaffung ist, bestimmt ausweislich des Art. 53 Abs. 1 VKR der öffentliche Auftraggeber weitgehend selbst. Wie verfehlt es ist, beispielsweise umweltbezogene Aspekte weiterhin als vergabefremde Zwecke zu bezeichnen, macht die Richtlinie deutlich. Denn je nach Bezugspunkt kann es sich dabei sowohl um Eignungskriterien als auch um Zuschlagskriterien als auch um besondere Bedingungen für die Auftragsausführung handeln. „Vergabefremd" wäre ein Umweltaspekt nur, wenn er ohne Auftragsbezug wäre. Dann aber wäre er von vornherein nicht zulässigerweise in das Vergabeverfahren einführbar. Oder anders gewendet: „Vergabefremd" sind alle diejenigen Kriterien, die in der Richtlinie nicht vorgesehen sind. Sie sind ausnahmslos unzulässig. Für die drei Kriterienkategorien hat die Richtlinie eine weitgehende Vereinheitlichung der Zulässigkeitsvoraussetzungen gebracht. Unabhängig davon, ob es sich um Eignungskriterien, Zuschlagskriterien oder zusätzliche Bedingungen für die Auftragsausführung handelt, müssen die Kriterien 1. exklusiv einer der drei Kategorien zugeordnet werden, die getrennt voneinander geprüft werden. Die Zuordnung erfolgt nach dem oben dargestellten Phasenmodell. Diese Exklusivität der Zuordnung war vom EuGH schon bisher betont worden. 2. in einem Zusammenhang mit dem Auftrag stehen. Dieser Zusammenhang muß sich für Eignungs- und Zuschlagskriterien auf den Auftragsgegenstand, für die zusätzlichen Bedingungen auf die Auftragsausführung beziehen. Hinsichtlich des erforderlichen Zusammenhangs mit dem Auftragsgegen-

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stand kann auf die vorliegende Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in den Sachen „Concordia Bus" und „Wienstrom", zurückgegriffen werden. 3. in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden; hinsichtlich der Zuschlagskriterien muß darüber hinaus die Gewichtung angegeben werden. Auch dies folgt der bisherigen Linie des EuGH. 4. mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sein. Dies ist zwar nur für die zusätzlichen Bedingungen vorgeschrieben, aber - wie der EuGH in seiner Concordia Bus-Entscheidung deutlich gemacht hat - ohnehin selbstverständlich und gilt daher für alle in ein Vergabeverfahren eingeführten Kriterien. Für diese Prüfung kann in vollem Umfang auf die vorliegende Rechtsprechung des EuGH zurückgegriffen werden. Was sind also die entscheidenden Änderungen? Ungeachtet der Unübersichtlichkeit des Regelungssystems enthält die Richtlinie zunächst Einzelregelungen für eine Reihe von Einzelfragen, die - bei aller Schwierigkeit der Anwendung in concreto - zur Klarheit beitragen dürften. Der wichtigste Schritt besteht in der Aufnahme einer Regelung zum Bereich der bisher so genannten „vergabefremden" Kriterien. Sie engt den Kreis von zulässigen Bedingungen, die weder Eignungs- noch Zuschlagskriterien sind, deutlich ein. Konnte bisher - vorbehaltlich der Vereinbarkeit mit dem übrigen Gemeinschaftsrecht - jede besondere Bedingung vorgesehen werden, also auch eine solche allgemeinpolitischer Art, so läßt die abschließende Regelung des Art. 26 nur zusätzliche Bedingungen zu, die die Ausführung des Auftrags betreffen. Man mag bedauern, daß kein weitergehendes Verbot der Implementation von umweit- oder sozialbezogenen oder anderen Zielen verwirklicht worden ist. Doch ist ein bedeutender Schritt zur Entkoppelung des Vergaberechts erreicht worden.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots? Von Thorsten Siegel

Zu den zentralen Zielen des deutschen Vergaberechts gehört die Sicherstellung eines fairen und transparenten Wettbewerbs unter den Bietern. Dieses Ziel verfolgt auch das Nachverhandlungsverbot. In bestimmten Konstellationen hat sich das Nachverhandlungsverbot jedoch als hemmend erwiesen. Im Zuge einer Flexibilisierung des Vergabeverfahrens werden im Zweiten Modellversuch des Landes Nordrhein-Westfalen Befreiungen von einzelnen Vorgaben der VOB / A erteilte, darunter auch vom Nachverhandlungsverbot. Das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV) evaluiert den Modellversuch, indem es den Zielerreichungsgrad der Flexibilisierungsmaßnahmen bewertet. Nach einer einfuhrenden Darlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen (u. I.) werden in dem Beitrag die Konzeption und die ersten Zwischenergebnisse der Evaluation vorgestellt (u. II.). Abschließend erfolgt ein kurzer Ausblick (u. III.).

I . Einleitung: Rechtliche Rahmenbedingungen 1. Das Nachverhandlungsverbot Bisweilen besteht ein Interesse, über Einzelheiten eines zu vergebenden öffentlichen Auftrags Verhandlungen zu führen. Aufgrund der ihnen immanenten Gestaltungsspielräume ermöglichen oberhalb der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schwellenwerte 1 das Verhandlungsverfahren sowie unterhalb dieser

1 Bis zum 31. Januar 2006 sind die Schwellenwerte gemäß Art. 7 der Richtlinie 2004 / 18 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134 vom 30.04.2004, S. 114 ff.) anzuheben. Hierzu etwa Andrea Kullack / Ralf Terner, EU-Legislativpaket: Die neue „klassische" Vergabekoordinierungsrichtlinie, ZfBR 2004, S. 244 ( 246); Ralf Leinemann / Thomas Maibaum , Die neue europäische einheitliche Vergabekoordinierungsrichtlinie für Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge - ein Optionsmodell, VergabeR 2004, S. 275

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Schwellenwerte die Freihändige Vergabe solche Verhandlungen. 2 Im Übrigen stehen jedoch Nachverhandlungen in einem Spannungsverhältnis zum Ziel des Vergaberechts, einen fairen und transparenten Wettbewerb unter den Bietern sicherzustellen. 3 Deshalb besteht im deutschen Vergaberecht grundsätzlich ein Nachverhandlungsverbot, das etwa im Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge § 24 VOB / A geregelt ist. 4 Oberhalb des Schwellenwertes von derzeit noch 5 Mio. € 5 partizipiert § 24 VOB / A aufgrund der statischen Verweisung in § 6 VgV an deren Charakter als Rechtsverordnung, während die VOB / A unterhalb dieses Wertes durch Erlass für verbindlich erklärt wird und damit als Verwaltungsvorschrift einzustufen ist. 6 Inhaltlich erstreckt sich das Nachverhandlungsverbot auf Änderungen der Angebote oder der Preise. So darf insbesondere einem nicht annahmefähigen Angebot nicht nachträglich zur Annahmefähigkeit verholfen werden. 7 Auch verwehrt es das Verbot grundsätzlich, nach dem Stichtag erneut in Preisverhandlungen einzutreten. 8 Zulässig sind lediglich Verhandlungen über die in § 24 Nr. 1 I und Nr. 3 VOB / A abschließend aufgezählten 9 Gegenstände. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich dabei oftmals nicht um echte „Verhandlungen", sondern - wie es bereits die Überschrift der Bestimmung nahe legt - um Maßnahmen zur Aufklärung des Angebotsinhalts.10

(277); Oliver Mader, Das neue EG-Vergaberecht, EuZW 2004, S. 425 (427); Stephan Rechten, Die Novelle des EU-Vergaberechts, NZBau 2004, S. 366 (367 f.). 2 Konsequenterweise findet deshalb etwa die Vorschrift des § 24 VOB / A auf die Freihändige Vergabe grundsätzlich keine Anwendung, Horst Dähne, in: Kapellmann / Messerschmidt (Hrsg.), VOB, Teile A und B, 2003, § 24 VOB / A Rdnr. 30. 3 So etwa zu § 24 VOB / A Rüdiger Kratzenberg, in: Ingenstau / Korbion, VOB Teile A und B, 15. Aufl. 2004, § 24 VOB / A Rdnr. 2. 4 Zur insoweit ähnlichen Regelung des § 24 V O L / A sowie zur abweichenden Rechtslage im Bereich der VOF Ralf Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 3. Aufl. 2004, Rdnr. 754 und 849. 5 Art. 7 lit. c der neuen Vergabekoordinierungsrichtlinie (s.o. Anm. 1) sieht eine Anhebung auf 6,242 Mio. € vor. 6 Jan Ziekow / Thorsten Siegel, Das Vergabeverfahren als Verwaltungsverfahren, ZfBR 2004, S. 30 m.w.N. 7 BayObLG, Beschl. vom 19.3.2002 - Verg 2 / 02 8 BayObLG, Beschl. vom 23.10.2003 - Verg 13 / 03 9 OLG Düsseldorf BauR 2000, S. 1623 (1625). 10 Zur Reichweite des § 24 V O B / A Jan Ziekow / Thorsten Siegel, Zulassung von Nachverhandlungen im Vergabeverfahren?, NZBau 2005, S. 22 (24 f.).

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

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2. Der Zweite Modellversuch des Landes Nordrhein-Westfalen Das stark formalisierte Vergabeverfahren eröffnet öffentlichen Auftraggebern regelmäßig nur geringe Spielräume, um eine bedürfnisadäquate und ökonomisch optimierte Lösung individuell realisieren zu können. Insbesondere dann, wenn mehrere Varianten als Lösungen für das mit der Ausschreibung aufgeworfene Beschaffungsproblem in Betracht kommen und die beschaffende Stelle eine Auswahl erst in Kenntnis der Angebote und in Weiterentwicklung mit den betreffenden Bietern leisten kann, hat sich beispielsweise das im Vergaberecht geltende Nachverhandlungsverbot als hemmend erwiesen. Auf der Ebene europäischer Rechtsetzung hat diese Erkenntnis zur Einführung des wettbewerblichen Dialogs in Art. 29 der neuen Vergabekoordinierungsrichtlinie geführt, dessen Einführung in die jeweilige nationale Rechtsordnung jedoch den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Darunter versteht man ein Verfahren, in dem der öffentliche Auftraggeber bei besonders komplexen Aufträgen einen Dialog mit den zugelassenen Bewerbern führt, um seinen Bedürfnissen entsprechende Lösungen herauszuarbeiten, auf deren Grundlage die ausgewählten Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. 11 Auch der Zweite Modellversuch des Landes Nordrhein-Westfalen zur Befreiung von Vorschriften der VOB / A erster Abschnitt widmet sich der Flexibilisierung des Vergaberechts. 12 Dem Modellversuch liegt die Annahme zugrunde, dass die VOB / A möglicherweise zu geringe Handlungsspielräume belasse. Deshalb werden unterhalb des gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schwellenwerts von derzeit 5 Mio. € durch Erlass des Innenministeriums vom 4.4.2003, geändert durch Erlass vom 20.8.2003, für Bauaufträge bestimmten Modellkommunen Befreiungen von einzelnen Vorgaben der VOB / A, darunter vor allem vom Nachverhandlungsverbot, erteilt. Die Ausnahme gilt bis zum 31.12.2005. Dabei können Bewerbungsfristen (§ 18 VOB / A), Angebotsfristen (§ 18 VOB / A), Zuschlagsfristen (§ 19 VOB / A) und Ausführungsfristen (§ 11 VOB / A) flexibel gehandhabt werden. In Abweichung von § 24 Nr. 3 VOB / A sind zudem Nachverhandlungen über Preise, Qualität und Qualitätsvarianten, technische Ausführungen sowie die strikte Einhaltung von Fristen zugelassen. Die Nachverhandlungen finden jedoch ihre Grenze in der ursprünglichen Leistungsbeschreibung. Sie sind zudem zu dokumentieren und durch einen Mitarbeiter des Rechnungsprüfungsamts bzw., sofern die Kommune nicht über ein

11 Hierzu etwa Ute Jasper , Eine Umsetzung macht wenig Sinn - Der wettbewerbliche Dialog - eine neue Verfahrensart?, Behörden Spiegel Mai 2004, S. 20; Matthias Knauff Neues europäisches Vergabeverfahrensrecht: Der wettbewerbliche Dialog, VergabeR 2004, S. 287 ff. 12 Zur rechtlichen Zulässigkeit der Befreiungen unterhalb der Schwellenwerte Ziekow / Siegel (Anm. 10), S. 22.

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solches Amt verfügt, durch einen geeigneten und nicht mit dem Vergabeverfahren befassten Mitarbeiter zu begleiten. Aus Gründen des Daten- und Vertrauensschutzes sind Bieter bei der Angebotseröffnung nicht zugelassen, auch dürfen sie keine Auskunft über die Namen der Mitbieter erhalten. Die übrigen einschlägigen Vergabevorschriften bleiben unberührt. 13

II. Evaluation des Zweiten Modellversuchs Dem Modellversuch liegen mehrere Hypothesen zugrunde. Die den Modellversuch begleitende Evaluation soll ermitteln, ob die genannten Befreiungen von den Vergabevorschriften gegenüber dem in der VOB / A vorgesehenen Verfahren zu günstigeren Preisen, zu Qualitätssteigerungen sowie zu besseren technischen Lösungen gefuhrt haben. Die begleitende Evaluierung durch das Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV) dient der Verifizierung respektive Falsifizierung dieser Annahmen.

1. Konzeption der Evaluation Das zur Durchführung der Evaluierung entworfene methodische Design orientiert sich an den Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung, die am FÖV entwickelt 14 und national wie international erfolgreich eingesetzt wurden, sowie an den im Rahmen der Evaluierung des Zielerreichungsgrades gesetzlicher Vorschriften entwickelten Methoden 15 . Im Mittelpunkt stehen dabei Erhebungen in den Kommunen. Die Daten aus dem Modellversuch werden durch eine Erhebung in den an dem Modellversuch teilnehmenden 15 Kommunen und einem Landkreis des Landes Nordrhein-Westfalen („Modellkommunen"), die von der Einhaltung der dargelegten Vorgaben der VOB / A befreit worden sind, ermittelt. Ziel der Evaluation ist die Bewertung des Zielerreichungsgrades des Modellversuchs. Hierzu wird der „Ist-Zustand" einer Vergabe nach herkömmlichen VOB-Bedingungen mit dem „Soll-Zustand" einer modifizierten Vergabe 13

Hierzu Ziekow / Siegel (Anm. 10), S. 25 f. Grundlegend Carl Bohret /Götz Konzendorf Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung, 2001. 15 So etwa im Rahmen einer Evaluation von gesetzgeberischen Maßnahmen zur Beschleunigung von Zulassungsverfahren in Baden-Württemberg, hierzu Jan Ziekow/ Martin-Peter Oertel /Alexander Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren - Eine Untersuchung zur Wirkung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen am Beispiel BadenWürttembergs, Verwaltung und Management 2002, S. 324 ff.; dies., Dauer von Zulassungsverfahren. Eine empirische Untersuchung zu Implementation und Wirkungsgrad von Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung, 2005. 14

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

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nach dem Modellversuch verglichen. Die Erhebung des Ist-Zustandes findet in sechs Kommunen und einem Landkreis des Landes Nordrhein-Westfalen („Vergleichskommunen") statt. Da die Erhebung sehr breit angelegt ist, hat das FÖV die zu Beginn der Evaluation eingehenden zuschlagsbezogenen Unterlagen ausgewertet und ein jeweils auf die Modell- und Vergleichskommunen zugeschnittenes maschinenlesbares Antwortraster erstellt. Dieses gliedert sich in zwei Teile: Im jeweils ersten Teil werden nach Erteilung des Zuschlags Daten zum Vergabe verfahren als solchem abgefragt. Im zweiten Teil sind jeweils einen Monat nach Bauabnahme Angaben zur Ausfuhrung und zur Qualität der betreffenden Baumaßnahme zu machen. Zusätzlich zur Erhebung in den Kommunen werden im Rahmen des Projekts auch die Bieterinnen und Bieter befragt, kommt ihnen doch eine wichtige Rolle bei der Bewertung des Modellversuchs zu. Zu diesem Zweck hat das FÖV einen Fragebogen für die Bieter erstellt, der diesen mit dem ersten individualisierten Anschreiben der ausschreibenden Stelle ausgehändigt wird. 16 2. Erste Zwischenergebnisse Die nachfolgend dargestellten Zwischenberichtergebnisse beruhen auf allen Antwortraster und Fragebögen, die beim FÖV bis zum 31. Juli 2004 eingegangen sind. Einbezogen sind insgesamt 224 Antwortraster für Modellkommunen 1. Teil, 127 Antwortraster für Vergleichskommunen 1. Teil sowie 283 Bieterfragebögen. Die zweiten Teile der Antwortraster für Modellkommunen und Vergleichskommunen sind jeweils erst einen Monat nach Bauabnahme auszufüllen. Infolge dieser zeitlichen Abstufung lag zum Stichtag 31. Juli 2004 lediglich für einen Teil der zu untersuchenden Vergabeverfahren das ausgefüllte Antwortraster vor, der noch keine repräsentative Aussage erlaubt. Die Auswertung dieser Antwortraster bleibt daher der Enduntersuchung vorbehalten.

16 Eine ausfuhrliche Darstellung der Konzeption der Evaluation mit Darstellung der verschiedenen Antwortraster bei Jan Ziekow / Thorsten Siegel, Evaluation des Zweiten Modellversuchs „Befreiung von Vorschriften der VOB / A Erster Abschnitt - Sachstandsbericht zum 15. März 2004, in: Innenministerium des Landes NordrheinWestfalen (Hrsg.), Befreiung von den Vorschriften der VOB / A Erster Abschnitt, S. 11 (14 ff.), abrufbar unter www.im.nrw.de, dort unter „Bürger und Kommunen", dort unter „Modellversuch: VOB / A-Befreiung für Kommunen".

176

Thorsten Siegel

a) Implementation des Modellversuchs

im Allgemeinen

aa) Anpassung der Vergaberichtlinien und Einführung von Wertgrenzen 14 der 16 teilnehmenden Modellkommunen haben bei der Umsetzung des Modellversuchs einen Regelungsbedarf diagnostiziert und entsprechende Richtlinien erlassen, die letzte dieser 14 Kommunen im Juni 2004. Lediglich in zwei kleineren Modellkommunen wurde bislang vom Erlass entsprechender Richtlinien abgesehen. In den Umsetzungsrichtlinien werden im Wesentlichen die Vorgaben des Befreiungserlasses und die bei der Durchführung des Modellversuchs einzuhaltenden rechtlichen Grundsätze aufgeführt. Im Mittelpunkt der Richtlinien steht der Ablauf von Nachverhandlungen. Vor dem Hintergrund eines durch die Nachverhandlungen prognostizierten erhöhten Verwaltungsaufwandes haben sich mittlerweile neun der 16 Modellkommunen entschlossen, eine Wertgrenze einzuführen, unterhalb derer die Modellversuchsbedingungen nicht zur Anwendung gelangen, sondern die Bauaufträge nach den herkömmlichen Regelungen der VOB / A vergeben werden (Bagatellgrenze"). Eine solche Bagatellgrenze ist insbesondere in den Modellkommunen mit einer größeren Einwohnerzahl zu beobachten. Die Höhe dieser internen Bagatellgrenze schwankt zwischen 15.000 € bei eher kleineren Gemeinden bis zu 100.000 € bei größeren Städten. Die Einführung interner Bagatellgrenzen in neun der 16 Modellkommunen hat zur Folge, dass in diesen Kommunen sowohl Ausschreibungen nach dem Modellversuch als auch nach herkömmlichen VOB / ABedingungen erfolgen. Von den im Untersuchungszeitraum in diesen neun Modellkommunen durchgeführten Ausschreibungen erfolgten 46,2 % nach dem Modellversuch. Unter Einbeziehung der Modellkommunen ohne Bagatellgrenze erfolgten seit dem 1. September 2003 in den Modellkommunen 57,6 % aller Ausschreibungen nach dem Modellversuch. Im Ergebnis kam daher der Modellversuch in etwa in jeder zweiten Ausschreibung in den Modellkommunen zur Anwendung. bb) Aufnahme der einzelnen Maßnahmen des Modellversuchs Der Modellversuch ermöglicht das Führen von Nachverhandlungen sowie eine Flexibilisierung der Angebotsfrist, der Bewerbungsfrist, der Zuschlagsfrist sowie der Ausführungsfristen. Im 1. Teil des Antwortrasters für Modellkommunen wurde gefragt, von welchen Befreiungen im Einzelfall Gebrauch gemacht wurde. Insgesamt wird deutlich, dass der Schwerpunkt auf dem Führen von Nachverhandlungen liegt. Daneben spielt die Modifizierung der Zuschlagsfrist eine nicht unbedeutende Rolle. Von untergeordneter Bedeutung sind hingegen die Flexibilisierungen der Angebots- und Bewerbungsfrist sowie der Ausführungsfristen.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

177

In den untersuchten Modellversuchsverfahren wurden ganz überwiegend Nachverhandlungen geführt, nämlich in 95,5 %. In den wenigen Fällen, in denen dies nicht geschah, wurde dies damit begründet, dass entweder die Preisdifferenz zwischen dem günstigsten Bieter und den weiteren Bietern zu groß gewesen sei oder die Bieter nicht zu den Nachverhandlungen erschienen seien. Aber auch von der Möglichkeit, die Zuschlagsfrist nach § 19 VOB / A zu modifizieren, wurde recht häufig Gebrauch gemacht, nämlich in 33,0 % der untersuchten Modellversuchsverfahren. Eine Abweichung von den Vorgaben des §18 VOB / A (Angebots- und Bewerbungsfrist) wurde hingegen lediglich in 14,7 % angegeben, von denjenigen des § 11 VOB / A (Ausführungsfristen) nur in 6,6 %.

Welche Maßnahmen des Modellversuchs kamen zur Anwendung? (Angaben in % )

95,5

Nachverhandlungen

Angebots-/

Zuschlagsfrist

Ausftthrungsfristen

Bewerbungsfrist

Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf das Führen von Nachverhandlungen. Die Zwischenergebnisse zur Flexibilisierung der Fristen können dem offiziellen Zwischenbericht entnommen werden. 17

17 Abrufbar unter www.im.nrw.de, dort unter „Bürger und Kommunen", dort unter .Modellversuch: VOB / A-Befreiung für Kommunen".

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Thorsten Siegel

b) Implementation der Nachverhandlungen aa) Erfüllung der Preisvorstellungen vor den Nachverhandlungen? Die Modellkommunen wurden befragt, ob nach ihrer Vorstellungen die Preisvorstellungen durch die Angebote vor den Nachverhandlungen erfüllt wurden.

Wurden die Preisvorstellungen in den Modellversuchsverfahren vorden Nachverhandlungen erfüllt? (Angaben in % )

52,0

ja

höhere Angebote

niedrigere A ngebote

erwartet

erwartet

Hier gaben 52,0 % an, dass die Preisvorstellungen bereits vor den Nachverhandlungen erfüllt worden seien. In 38,5 % der Modellversuchsverfahren wurde mit höheren Angeboten gerechnet, in hingegen 9,5 % mit niedrigeren. Damit wurden in 90,5 % die Preiserwartungen bereits vor den Nachverhandlungen erreicht oder sogar übertroffen. Gleichwohl kam es in nahezu allen untersuchten Modellversuchsverfahren zu Nachverhandlungen über den Preis (s.u. II.2.b, dd). bb) Bedarf zum Führen von Nachverhandlungen in den Vergleichskommunen? Einen Bezug zur Implementierung weist auch die an die Vergleichskommunen gerichtete Frage auf, ob sie in dem betreffenden herkömmlichen VOBVerfahren über die Vorschrift des § 24 Nr. 3 VOB / A hinausgehende Nachverhandlungen geführt hätten.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

179

Besteht in den Vergleichskommunen ein Bedarf zum Führen von Nachverhandlungen? (Angaben in % )

86,3

ja, wahrscheinlich

möglicherweise

nein, wahrscheinlich nicht

Hier gab mit 86,3 % die überwiegende Mehrheit an, dass wahrscheinlich keine Nachverhandlungen geführt worden wären. 6,3 % antworteten mit ,ja, wahrscheinlich", 7,4 % mit „möglicherweise". Insgesamt ist damit in 13,7 % ein zumindest potentieller Bedarf zum Führen von Nachverhandlungen zu erkennen. cc) Anzahl an Nachverhandlungsrunden und der zu den Nachverhandlungen geladenen Bieter Der Erlass ermöglicht in schriftlich begründeten Ausnahmefällen das Führen einer zweiten Nachverhandlungsrunde. Nach dem bisherigen Stand wurde lediglich in einem der 224 untersuchten Modellversuchsverfahren eine zweite Runde geführt, also in 0,4 %. In diesem Falle wurde in der ersten Runde über Qualität, in der zweiten Runde über Preise verhandelt. Weiterhin wurde die Zahl der zu den Nachverhandlungen geladenen Bieter ermittelt. Der Erlass gibt hierzu vor, dass bei Abgabe von mehr als fünf Angeboten mindestens zwei Bieter zu laden sind. Im Übrigen liegt die Entscheidung im Ermessen der Vergabestelle, wobei die Anzahl der Bieter sowie die preisliche Nähe der Angebote zu berücksichtigen ist. Die nachfolgende Graphik verdeutlicht, dass in mehr als der Hälfte der Fälle, in denen Nachverhandlungen geführt wurden, zwei Bieter eingeladen wurden, nämlich in 50,2 %. Relativ häufig wurden auch drei Bieter eingeladen, nämlich in 30,2 %. Lediglich in 9,3 % beließ es die Vergabestelle bei einem Bieter. Eine Detailanalyse hat ergeben, dass in den letztgenannten Fällen bei jedem fünften mehr als 5 Angebote vorlagen. Durchschnittlich lag die Anzahl der geladenen Bieter bei 2,5.

Thorsten Siegel

180

Wie viele Bieter wurden zu den Nachverhandlungen geladen? (Angaben in %)

50,2

1 Bieter

2 Bieter

3 Bieter

4 Bieter

5 oder mehr Bieter

dd) Gegenstand der Nachverhandlungen Nach dem Erlass sind Nachverhandlungen über Preise, Qualität und Qualitätsvarianten, technische Ausführungen sowie über die Einhaltung von Fristen möglich. Ermittelt wurde deshalb, wie häufig diese Maßnahmen Gegenstand der Nachverhandlungen waren. Fanden Nachverhandlungen statt, so wurde nach der Auswertung in nahezu allen erfassten Ausschreibungen zumindest auch über den Preis verhandelt, nämlich in 95,1 %. Nachverhandlungen über den Preis fanden damit in aller Regel auch in denjenigen Verfahren statt, in denen die Preisvorstellungen bereits vor den Nachverhandlungen erfüllt oder gar übertroffen wurden (s.o. II.2.b, aa). Wurde über den Preis nachverhandelt, so bezog sich dies in 88,4 % auf den Gesamtpreis. In 11,0 % wurde über Materialkosten verhandelt, in 7,9 % über Personalkosten, wobei teilweise sowohl über Material- als auch über Personalkosten verhandelt wurde. Qualität und Qualitätsvarianten waren in 21,0 % der Modellversuchsverfahren Gegenstand der Nachverhandlungen, technische Ausführungen in 31,7 %. Die Einhaltung von Fristen spielt bislang mit 17,0 % eine eher untergeordnete Rolle. Die Konzentration auf die Verhandlungen über Preise ist in einigen Modellkommunen normativ vorgegeben, in denen bis zu einer bestimmten Wertgrenze ausschließlich über Preise nachzuverhandeln ist, oberhalb dieser Grenze auch über andere Aspekte.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

181

Gegenstand der Nachverhandlungen (Angaben in %)

95,1

31,7

21,0

17,0

2,2 I Preise

Qualität

I

I

technische

Einhaltung von

Ausführung

Fristen

Sonstiges

c) Erfolg in den Nachverhandlungen aa) Differenzierung nach dem Gegenstand der Nachverhandlungen Weiterhin wurde abgefragt, inwieweit die Nachverhandlungen im Hinblick auf die einzelnen Maßnahmen aus Sicht der Vergabestelle als erfolgreich bewertet wurden.

Erfolg in den Nachverhandlungen (Angaben in % ) 85,3

10,3

8,0 1

P reise

Q ualität

I technische Ausführung

0,9

! Einhaltung von

Fristen

1 Sonstiges

182

Thorsten Siegel

Hier wurden in 85,3 % aller untersuchten Modellversuchsverfahren die Nachverhandlungen im Hinblick auf den Preis als erfolgreich eingestuft. Bei den Nachverhandlungen über die Qualität und Qualitätsvarianten waren in 10,3 % Erfolge zu verzeichnen, bei den technischen Ausführungen 16,1 %, bei der Einhaltung von Fristen 8,0 %. Setzt man den subjektiv eingeschätzten „Erfolg" der Nachverhandlungen in Relation zu deren ursprünglichem Gegenstand, so war rein quantitativ die Erfolgsquote bei den Preisen mit 85,3 % gegenüber 95,1 % besonders hoch. Bei den anderen drei möglichen Gegenständen der Nachverhandlungen wurde etwa in jedem zweiten Verfahren ein Erfolg verzeichnet, nämlich bei der Qualität in 10,3 % gegenüber 21,0 %, bei den technischen Ausführungen in 16,1 % gegenüber 31,7 % sowie bei der Einhaltung von Fristen in 8,0 % gegenüber 17,0 %. bb) Unterschiedliche Definitionen des „Erfolgs" der Nachverhandlungen über Preise Nach dem zu II.2.C, aa Gesagten wurde in 85,3 % der Modellversuchsverfahren angegeben, dass die Nachverhandlungen im Hinblick auf die Preise erfolgreich verlaufen seien. Ein solcher Erfolg kann jedoch unterschiedlich definiert werden. In einem engeren Sinne liegt ein Erfolg nur dann vor, wenn der Preis des günstigsten Bieters nach den Nachverhandlungen unter demjenigen vor den Nachverhandlungen lag. In einem weiteren Sinne kann man einen Erfolg aber etwa auch dann annehmen, wenn der Preis von nicht an erster Stelle liegenden Bietern gesenkt wurde, ohne dass sich dies auf die Auftragssumme ausgewirkt hätte. Durch die Abfrage der Angebotssummen vor und nach den Nachverhandlungen konnte ermittelt werden, in wie vielen Fällen ein Nachlass Auswirkungen auf die Zuschlagssumme hatte. Ein solcher Erfolg im engeren Sinne war in 70,6 % aller untersuchten Modellversuchsverfahren zu verzeichnen. Bezogen auf diejenigen Verfahren, in denen Nachverhandlungen geführt wurden, bedeutet dies eine Erfolgsquote von 76,3 %. In weiteren 23,7 % wurden zwar Nachverhandlungen geführt, jedoch kein Preisnachlass erzielt, in einem Verfahren erfolgte ein geringfügiger Aufschlag von 0,24 % infolge einer Aufklärung im technischen Bereich. Bezogen auf alle Modellversuchsverfahren blieben daher 29,4 % aller Verfahren ohne Preisnachlass. Andererseits wurde in einigen Verfahren eine Preisreduzierung in der Größenordnung von 20 % erreicht, in einem Falle sogar von nahezu 50 %. Die unterschiedlichen Definitionen des Erfolges über Preisnachverhandlungen sollen in der folgenden Graphik veranschaulicht werden. Dabei ist als „subjektiver" Erfolg die Bewertung durch die betreffende Vergabestelle zu umschreiben, als „objektiver" hingegen eine betragsmäßige Reduzierung des jeweils günstigsten Angebotes vor und nach den Nachverhandlungen.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

183

Unterschiedliche Definitionen des Erfolges über Preisverhandlungen (Angaben in % ) 95,1

Gegenstand

E rfolg

(su b j e k t i v )

E r f o Ig ( o b j e k t i v )

cc) Erzielter Preisnachlass In den bislang untersuchten Modellversuchsverfahren, in denen über Preise nachverhandelt wurde, konnte insgesamt ein Nachlass in Höhe von 846.464 € erzielt werden. Dies entspricht einem durchschnittlichen Nachlass in Höhe von 4.089 € pro Verfahren mit einer Nachverhandlung über Preise. Der durchschnittliche Preisnachlass betrug dabei 3,89 %. Diese Zahlen spiegeln jedoch lediglich den erreichten Stand nach Abschluss der Nachverhandlungen wieder. Inwieweit die Nachverhandlungen über den Preis letztlich haushaltswirksam geworden sind, lässt sich erst anhand eines Vergleichs mit Schlussabrechnungssumme ermitteln. Denn es besteht die Möglichkeit, dass ein in den Nachverhandlungen erzielter Preisnachlass möglicherweise durch erhöhte Nachträge kompensiert wird. Eine Analyse dieser Frage wird im Endbericht vorgenommen werden.

dd) Auswirkungen auf die Rangfolge unter den Bietern Durch die Nachverhandlungen kann sich auch die Rangfolge unter den Bietern verschieben. Insbesondere ist es möglich, dass ein Bieter, der vor den Nachverhandlungen nicht an erster Stelle lag, durch einen Nachlass in den Nachverhandlungen den Zuschlag erhält. Aufgrund der Angaben in den Antwortrastern konnte ermittelt werden, an welcher Rangstelle derjenige Bieter, der letztlich den Zuschlag erhalten hat, vor den Nachverhandlungen lag.

Thorsten Siegel

184

An welcher Stelle lag der Bieter, der den Zuschlag erhielt, Verden Nachverhandlungen? (Angaben in % )

79,2

J 1. Rang

3,4

2. Rang

3. Rang

0,5

4. Rang

5. Rang

Hier wird deutlich, dass in der überwiegenden Anzahl der untersuchten Verfahren, nämlich in 79,2 %, derjenige Bieter, der letztlich den Zuschlag erhielt, bereits vor den Nachverhandlungen an erster Stelle lag. Umgekehrt wurde der zunächst an erster Stelle liegende Bieter in 20,8 % in den Nachverhandlungen noch „überholt", mit 15,5 % besonders häufig von dem zuvor an zweiter Stelle befindlichen Bieter.

d) Auswirkungen auf das Gesamtverfahren Der Modellversuch kann schließlich auch Auswirkungen auf das Vergabeverfahren als Ganzes haben. Denkbar sind insbesondere Modifizierungen der Verfahrensdauer und eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes.

aa) Verfahrensdauer (1) Vergleich der absoluten Verfahrensdauer und herkömmlichen VOB / A-Verfahren

in Modellversuchsverfahren

Zunächst wurde die absolute Verfahrensdauer in Kalendertagen in den Modellversuchs- und den Vergleichsverfahren abgefragt.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

185

Gesamtdauer des Vergabeverfahrens (Angaben in Kalendertagen)

61,1 49,5

M o d e l l v e r s u ch s v e r f a h r e n

herkömmliche

V O B - V e r f a h ren

In den untersuchten Modellversuchsverfahren betrug die Verfahrensdauer durchschnittlich 61,1 Tage, in den Vergleichsverfahren durchschnittlich 49,5 Tage. Die Verfahrensdauer hat sich somit gegenüber den herkömmlichen Vergabeverfahren um etwa 11,6 Tage und damit etwa um 23,4 % erhöht. (2) Auswirkungen des Modellversuchs

im Allgemeinen

Im Antwortraster für Modellkommunen wurde auch abgefragt, inwieweit der Modellversuch nach Einschätzung der Vergabestelle Auswirkungen auf die Dauer des Vergabe Verfahrens hatte. Auswirkungen des M od ellversu ch s auf die Verfahrensdauer (Angaben in % )

64,3

33,8

,9

Verlängerung

keine A u s w i r k u n g

Verkürzung

Hier gaben 64,3 % an, dass sich das Verfahren verlängert habe. 33,8 % meinten, dass der Modellversuch keine Auswirkungen auf die Verfahrensdauer

Thorsten Siegel

186

hatte. 1,9 % konstatierten eine Verkürzung des Verfahrens. Zugleich wurde für den Fall der Annahme einer Verfahrensverlängerung abgefragt, in welchem Ausmaße - ausgedrückt in Prozent - sich das Verfahren nach Einschätzung der Vergabestelle verlängert hat. Durchschnittlich wurde eine Verlängerung von 23,1 % angenommen. Diese Spanne entspricht nahezu exakt der Differenz beim Vergleich der absoluten Verfahrensdauern, wo ein Unterschied von 23,4 % ermittelt wurde (s.o. II.2.d, aa (1)). (3) Auswirkungen der Nachverhandlungen im Besonderen Da die Nachverhandlungen im Vorfeld des Modellversuchs als besonders arbeits- und zeitintensiv eingeschätzt wurden, wurde auch speziell nach den Auswirkungen der Nachverhandlungen auf die Verfahrensdauer gefragt. Auswirkungen der Nachverhandlungen auf die Verfahrensdauer (Angaben in % )

41,7

11

10,1 2,2

0,7

deutliche

leichte

keine

leichte

deutliche

Verlängerung

Verlängerung

Auswirkung

Verkürzung

Verkürzung

In 87,0 % der Verfahren wurde eine - leichte oder deutliche - Verlängerung des Vergabe Verfahrens infolge der Nachverhandlungen attestiert, in 45,3 % sogar eine deutliche Verlängerung. Keine Auswirkungen auf die Verfahrensdauer stellten 10,1 % fest, eine Verkürzung 2,9 %. Die Angaben der Vergabestellen bestätigen damit die Hypothese, dass der Modellversuch zu einer Verlängerung des Vergabeverfahrens beiträgt. Zugleich wurde in den Modellversuchsverfahren die geschätzte Dauer der Nachverhandlungen vom Beginn der Vorbereitung bis zu deren Abschluss in (Kalender-)Tagen abgefragt. Dabei wurden durchschnittlich 9,6 Tage angenommen. Dieser Wert liegt sehr nahe an dem Wert von 11,6 Tagen, der beim Vergleich der absoluten Verfahrensauer zwischen Modellversuchsverfahren und Vergleichsverfahren ermittelt wurde (s.o. II.2.d,

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

187

aa (1)). Die zentrale Ursache für die festgestellte Erhöhung der Verfahrensdauer (s.o. II.2.d, aa (2)) ist somit im Führen von Nachverhandlungen zu finden. bb) Verwaltungsaufwand (1) Auswirkungen des Modellversuchs

im Allgemeinen

Auch eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes durch den Modellversuch ist im Vorfeld prognostiziert worden. Abgefragt wurde deshalb, ob der Modellversuch insgesamt Auswirkungen auf den Verwaltungsaufwand im betreffenden Verfahren hatte.

Auswirkungen des Modellversuchs auf den Verwaltungsaufwand (Angaben in % ) 94,4

Erhöhung

keine Auswirkung

Verringerung

Hier stellte mit 94,4 % die ganz überwiegende Mehrheit eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes fest. Lediglich 5,6 % erachteten den Modellversuch als aufwandsneutral. Eine Verringerung des Verwaltungsaufwandes wurde in keinem der bislang untersuchten Modellversuchsverfahren angenommen. (2) Auswirkungen der Nachverhandlungen im Besonderen Weiterhin wurde ermittelt, inwieweit die einzelnen Maßnahmen des Modellversuchs sich auf den Verwaltungsaufwand auswirken. Wiederum wurde das Führen von Nachverhandlungen als Hauptursache für die Erhöhung des Verwaltungsaufwandes eingestuft. Die sonstigen Maßnahmen wurden hingegen überwiegend nicht als aufwandserhöhend eingestuft.

Thorsten Siegel

188

Auswirkungen der Nachverhandlungen auf den Verwaltungsaufwand (Angaben in % )

62,7

0,0 deutliche E rhöhung

leichte E r h ö h u n g

keine

leichte

deutliche

Auswirkung

Verringerung

Veringering

Die Auswertung ergab, dass in nahezu allen Modellversuchsverfahren das Führen von Nachverhandlungen als aufwandserhöhend eingestuft wurde, nämlich von insgesamt 97,0 %. 34,3 % nahmen sogar eine deutliche Erhöhung des Arbeitsaufwandes durch Nachverhandlungen an, 62,7 % eine leichte Erhöhung.

e) Bewertung der Nachverhandlungen durch die Bieter aa) Faires Verfahren? Im Modellversuch wird von den Vorgaben eines herkömmlichen Vergabeverfahrens abgewichen. Folglich muss zunächst auf eine Teilnahme am Modellversuch deutlich hingewiesen werden. Darüber hinaus gibt der Erlass zur Eindämmung der eingangs dargelegten Risiken von Nachverhandlungen (s.o. 1.1.) vor, dass die Aufträge im fairen Wettbewerb unter Beachtung des Diskriminierungsverbots zu vergeben sind. Deshalb wurden die Bieter gefragt, ob das Verfahren nach Einschätzung der Bieter fair ausgestaltet war. Hier erachteten von allen Befragten 51,3 % das Verfahren als fair, 48,7 % verneinten dies. Durch eine Abgleichung mit weiteren Fragen konnte ermittelt werden, ob sich das Antwortverhalten derjenigen Bieter, die zu Nachverhandlungen geladen wurden, und derjenigen Bieter, die den Zuschlag erhalten haben, von demjenigen der anderen unterscheidet.

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

189

Fairness im Verfahren nach Bietergruppen (Angaben in % )

75,9 61,3 51,3

alle B i e t e r

B i e t e r in

B i e t e r m it Z u s c h l a g

Nachverhandlung

Von denjenigen Bietern, die zu Nachverhandlungen eingeladen wurden, stuften 61,3 % das Verfahren als fair ein, bei denjenigen Bietern, die den Zuschlag erhielten, waren es 75,9 %. Damit bewerten diejenigen Bieter, die nicht zu Nachverhandlungen eingeladen wurden, das Verfahren deutlich häufiger als unfair als diejenigen, die eingeladen wurden oder sogar den Zuschlag erhielten. bb) Bewertung des Modellversuchs im Allgemeinen Da der Modellversuch der Erprobung einer Flexibilisierung der VOB / A dient, sollte in Erfahrung gebracht werden, ob die Bieter den Modellversuch als sinnvoll erachten oder nicht. Mit 24,5 % bewertete knapp ein Viertel der befragten Bieter den Modellversuch als sinnvoll. Die überwiegende Mehrheit mit 75,5 % erachtet ihn als nicht sinnvoll. Auch von denjenigen Bietern, die zu Nachverhandlungen eingeladen wurden, erachtete mit 20,8 % etwa ein Fünftel den Modellversuch als sinnvoll. Das Gleiche gilt mit 25,8 % für diejenigen Bieter, die den Zuschlag erhalten haben. Im Unterschied zur Frage nach der Fairness im Verfahren (s.o. II.2.e, aa) ist hier also kein signifikanter Unterschied nach dem „persönlichen Erfolg" der Bieter in Gestalt einer Auftragserlangung zu verzeichnen. Begründet wurde die Kritik am Modellversuch neben allgemeinen Erwägungen wie mangelnder Fairness und Transparenz insbesondere mit dem Fehlen einer Mitteilung der Submissionsergebnisse, wodurch die Marktbeobachtung erheblich beeinträchtigt werde. Auf diesen Aspekt wurde in etwa einem Viertel der erfassten Bieterfragebögen in den ergänzenden Anmerkungen hingewiesen.

Thorsten Siegel

190

Bewertung des Modellversuchs durch alle Bieter (Angaben in % ) 75,5

sinnvoll

n icht sin n voll

cc) Bewertung der Nachverhandlungen im Besonderen Da das Führen von Nachverhandlungen quantitativ im Mittelpunkt des Modellversuchs steht, wurde deren Bewertung aus Sicht der Bieter genauer untersucht. Dabei wurde der Bewertung durch alle Bieter die Einschätzung durch diejenigen Bieter, die zu Nachverhandlungen eingeladen wurden, und durch diejenigen, die den Zuschlag erhalten haben, gegenübergestellt. Bewertung der Nachverhandlungen als sinnvoll nach Bietergruppen (Angaben in % ) 27,3

alle Bieter

Bieter in

Bieter mit Zuschlag

Nachverhandlung

Während von allen Befragten 27,3 % Nachverhandlungen positiv bewerten, stufen lediglich 15,3 % der zu Nachverhandlungen Geladenen diese als sinnvoll

Lockerung des Nachverhandlungsverbots?

191

ein. Selbst bei denjenigen Bietern, die den Zuschlag erhalten haben, liegt die Zustimmung mit 17,2 % erkennbar unter dem allgemeinen Durchschnitt. Andererseits wurde von denjenigen Bietern, die den Zuschlag erhielten, das Verfahren in überdurchschnittlichem Maße als fair eingestuft (s.o. II.2.e, aa). Bei denjenigen Bietern, die zu Nachverhandlungen geladen wurden, wurde schließlich abgefragt, ob diese aus ihrer Sicht zufriedenstellend verlaufen sind. Hier antworteten 36,8 % mit ,ja", verneint wurde dies von 63,2 %. Aus Sicht derjenigen Bieter, die den Zuschlag erhalten haben, verliefen die Nachverhandlungen bei 75,0 % zufriedenstellend. Andererseits stuften 25,0 % den Verlauf der Nachverhandlungen als nicht zufriedenstellend ein, obwohl sie den Zuschlag erhielten. Eine wahrscheinliche Ursache hierfür bildet der in den meisten Nachverhandlungsverfahren erzielte Preisnachlass (s.o. II.2.C, cc).

III. Abschließender Ausblick Die Frage, ob eine Lockerung des Nachverhandlungsverbots als sinnvoll erscheint oder nicht, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen. Einerseits besteht nicht in allen Vergabeverfahren ein Bedarf zum Führen von Nachverhandlungen. Denn der zu erwartende Aufwand muss in Relation zu dem zu erwartenden Ergebnis gesetzt werden und wird oftmals erst ab Erreichen einer bestimmten Wertgrenze als gerechtfertigt erachtet. Andererseits wurde in den untersuchten Modellversuchsverfahren oberhalb einer etwaigen Wertgrenze sehr häufig von der Möglichkeit zum Führen von Nachverhandlungen Gebrauch gemacht. Im Mittelpunkt standen hier oftmals Gespräche über Preise. Nach Abschluss der Nachverhandlungen konnte ein Preisnachlass von knapp 4 % erzielt werden. In der abschließenden Evaluation wird zu überprüfen sein, ob dieser Nachlass auch nach Erteilung der Schlussabrechnung Bestand hat.

Interkommunale Zusammenarbeit im Spannungsfeld zwischen Organisationshoheit und Vergaberecht Von Lutz Horn*

I. Vorbemerkung Gemeinden und Gemeindeverbände erbringen im kommunalen Bereich eine Vielzahl eigener und gesetzlicher (Pflicht-)Aufgaben. Die dafür erforderlichen Leistungen können sie immer häufiger - bedingt durch den zunehmenden Verlust der ihnen zugedachten Handlungs- und Entscheidungsspielräume und die angespannte Situation kommunaler Haushalte - nicht mehr wirtschaftlich erbringen. Diese strukturellen Probleme haben Gemeinden und Gemeindeverbände in den vergangenen Jahren verstärkt zum Anlass genommen, für die effektivere Erfüllung ihrer Aufgaben von der Möglichkeit zur interkommunalen Zusammenarbeit unter der Beteiligung anderer öffentlicher Körperschaften und privater Rechtsträger Gebrauch zu machen. Der Begriff der „interkommunalen Zusammenarbeit" ist gesetzlich nicht definiert. Er hat seine inhaltliche Ausformung erst durch das kommunalwissenschaftliche Schrifttum, die ständige Verwaltungspraxis der kommunalen Akteure und nicht zuletzt durch die gesetzlichen Vorgaben der Landesgesetzgeber erfahren. 1 Allgemein wird hierunter eine auf gewisse Dauer angelegte (freiwilli-

* Das Manuskript ist mit tatkräftiger Unterstützung von Rechtsanwalt Andreas Graef entstanden. 1 Die Gesetzesbezeichnung ist in den Bundesländern unterschiedlich: (1) BadenWürttembergisches Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit (GKZ BW) in der Fassung vom 16.9.1974, GBl S. 408, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.7.1998, GBl S. 418; (2) Bayerisches Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (BayKommZG) in der Fassung vom 20.6.1994, GVB1 S. 555, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.7.1997, GVB1 S. 344; (3) Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit im Land Brandenburg (.BbgGKG) vom 19.12.1991, GVB1 S. 682, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.7.1998, GVB1 S. 90; (4) Hessisches Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit (KGG Hessen) vom 16.12.1969, GVB1 I S. 307, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.6.1978, GVB1 I S. 420; (5) Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV MV) in der Fassung vom 13.1.1998, GVOB1 S. 29, zuletzt geändert durch Gesetz vom

194

Lutz Horn

ge) Zusammenarbeit verschiedener kommunaler Einheiten in überörtlichen Gebilden und Gemeinschaftseinrichtungen zur Erfüllung eines bestimmten Zieles verstanden.2 Die vielfach als Ausweg empfundene Ausgliederung von Verwaltungsaufgaben auf einen Kooperationspartner wirft für die mit der Durchführung derartiger Vorhaben befassten Entscheidungsträger schwierige Rechtsfragen auf. In diesem Zusammenhang kann die Frage, ob und in welchem Umfang einzelne Formen der interkommunalen Zusammenarbeit einer Verpflichtung zur Beachtung des Vergaberechts unterliegen, nur in Teilen als geklärt betrachtet werden. Das vergaberechtliche Schrifttum und die Vergabenachprüfungsinstanzen haben sich bislang hauptsächlich mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit das Vergaberecht auf privatrechtrechtlich ausgestaltete Rechtsverhältnisse der Kommunalwirtschaft Anwendung findet. Die insoweit gewonnenen Ergebnisse lassen sich in der Regel unproblematisch auf die im Gewand des Privatrechts unter der Beteiligung kommunaler Körperschaften vereinbarten Formen interkommunaler Zusammenarbeit übertragen. Anders verhält es sich dagegen für die häufig anzutreffenden öffentlich-rechtlich gegründeten Modelle. Dieser wirtschaftlich überaus bedeutende Bereich kommunaler Aufgabenerfüllung hat unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten bislang nur ein Schattendasein geführt. Während bislang allgemein davon ausgegangen wurde, dass eine interkommunale Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und / oder Gemeindeverbänden dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen und damit ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens möglich und zulässig ist, dürfte dieser Zustand durch die nachfolgend näher zu erläuternden Beschlüsse der Vergabese-

10.7.1998, GVOB1 S. 634; (6) Niedersächsisches Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit (NKomZG), Nds. GVB1. 2004 S. 63; (7) Nordrhein-Westfälisches Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit (GkG NW) in der Fassung vom 1.10.1979, GV NW S. 621, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.11.1997, GV NW S. 430; (8) Rheinland-Pfälzisches Zweckverbandsgesetz (ZG RP) vom 22.2.1982, GVB1. S. 476, zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.4.1998, GVB1 S. 119; (9) Saarländisches Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit (SaarlGkG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.6.1997, ABl. S. 723; (10) Sächsisches Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (SächsKommZG) in der Fassung vom 19.8.1993, GVB1 S. 815, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.4.1994, GVB1 S. 773; (11) Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt über kommunale Gemeinschaftsarbeit (GkG LSA) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.2.1998, GVB1. S. 81; (12) Schleswig-Holsteinisches Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (KommZG SH) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.2.2003, GVOB1 S. 122; (13) Thüringisches Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit (Thür GkG) vom 11.6.1992, GVB1 S. 232, geändert durch Gesetz vom 10.11.1995, GVB1 S. 346. 2 Luppert, Der kommunale Zweckverband, 2000, S. 20 ff. m.w.N.

Interkommunale Zusammenarbeit

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nate beim OLG Düsseldorf vom 5.5.20043 und des OLG Frankfurt vom 7.9.20044 sein vorläufiges Ende gefunden haben.

II. Der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 5.5,2004 In dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf zugrunde liegenden Sachverhalt hatte eine Stadt als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträgerin das Sammeln und Erfassen von Abfällen aus privaten Haushalten und anderen Herkunftsbereichen über mehrere Jahre auf ein privates Abfallentsorgungsunternehmen übertragen. Diese Vertragsverhältnis ist durch Beschluss des Stadtrats beendet und statt dessen im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit dem Eigenbetrieb einer Nachbargemeinde fortgeführt worden. Gegen diese unter Verzicht auf ein formliches Vergabeverfahren zustande gekommene Entscheidung hat der bislang mit der Abfallentsorgung betraute private Dienstleister den Vergabesenat mit seiner sofortigen Beschwerde um Rechtsschutz ersucht. Das OLG Düsseldorf hat das Vorgehen der Kommune als eine Verletzung von Vergaberecht eingestuft. Es hat die Stadt demgemäss verpflichtet, die benötigten Entsorgungsdienstleistungen im Falle einer solchen Drittbeauftragung im Wege eines transparenten Vergabewettbewerbs zu vergeben. Nach Auffassung des Gerichts sei die zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften nach §§ 1, 23 ff. des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit (GkG NW) abgeschlossene öffentlich-rechtliche Vereinbarung als Dienstleistungsauftrag gem. § 99 Abs. 1, Abs. 4 GWB einzustufen. Das Handeln eines staatlichen Hoheitsträgers müsse sich insoweit als Handeln eines „Unternehmens" im Sinne der vorgenannten Vergaberechtsvorschrift messen lassen, wenn er den ihm durch das öffentliche Recht zugewiesenen Aufgabenbereich verlasse und sich statt dessen auf einem durch Unternehmen der privaten Entsorgungswirtschaft geprägten Markt gewerbsmäßig betätige. Anders verhielte es sich nur, wenn lediglich eine verwaltungsorganisatorische Ausgliederung der Aufgabe in Rede stünde, etwa im Rahmen der Übertragung auf einen Eigenbetrieb der Kommune oder in der Gestaltungsform eines sog. In-house-Geschäftes.

III. Der Beschluss des OLG Frankfurt vom 7.9.2004 Auch der Vergabesenat des OLG Frankfurt hat in seinem Beschluss vom 7.9.2004 auf die sofortige Beschwerde eines privaten Abfallentsorgungsunter3 4

NZBau 2004, 398. NZBau 2004, 692.

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nehmens über die Frage entscheiden müssen, ob die Übertragung der Sammlung, Beförderung und Beseitigung von Restabfall durch eine hessische Gemeinde auf den Eigenbetrieb einer Nachbargemeinde im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung einen ausschreibungspflichtigen Vorgang darstellt. Das Gericht hat dabei die Kernaussagen des vorausgegangenen Beschlusses des OLG Düsseldorf vom 5.5.2004 ausdrücklich bestätigt. Es hat die ohne eine förmliche Ausschreibung nach § 24 Abs. 1 Alt. 2 KGG abgeschlossene öffentliche Vereinbarung gleichfalls als vergaberechtswidrig beanstandet. Als Rechtsfolge für den Verzicht auf ein transparentes Vergabeverfahren hat das OLG Frankfurt unter Berufung auf die insoweit einschlägige Rechtsprechung5 die Nichtigkeit der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung nach § 13 S. 6 VgV angeordnet. Bei dieser sog. ,J)e-Facto-Vergabe" hätte materiell ein Vergabeverfahren vorgelegen, in dessen Rahmen die vertragsschließende Gemeinde als öffentlicher Auftraggeber i.S. des § 98 Nr. 1 GWB verpflichtet gewesen sei, das private Abfallentsorgungsunternehmen aufgrund seines durch die Einreichung eines Angebots dokumentierten Interesses an der Auftragsvergabe innerhalb der Frist des § 13 VgV über den vorgesehenen Vertragsschluss mit der Nachbargemeinde zu unterrichten. Da die Gebietskörperschaft ihren diesbezüglichen Informationspflichten nicht nachgekommen sei, habe das Verhalten zur Nichtigkeit der fraglichen öffentlich-rechtlichen Vereinbarung führen müssen.

IV. Vergaberechtliche Auswirkungen der Beschlüsse der Vergabesenate Die zuvor dargestellten Beschlüsse der Vergabesenate beim OLG Düsseldorf und OLG Frankfurt werfen für die betroffenen Städte und Gemeinden die berechtigte Frage auf, ob und in welchem Umfang interkommunale Zusammenschlüsse und Vereinbarungen auch in der Zukunft vergaberechtsfrei praktiziert werden können. Für die im Wettbewerb mit kommunalen Anbietern stehenden privaten Unternehmen dürfte es dagegen von wirtschaftlich bedeutendem Interesse sein, ob ihnen diese neue Rechtsprechung einen Zugang zu Märkten eröffnet, die in der Vergangenheit ausschließlich öffentlichen Körperschaften und Unternehmen vorbehalten gewesen sind. Unter Berücksichtigung dieses besonderen Spannungsfeldes soll nunmehr der Versuch unternommen werden, die vergaberechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit interkommunaler Kooperationen näher zu beleuchten. Da eine solche Untersuchung angesichts der Vielzahl aller denkbaren Kooperationsmodelle niemals den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, beschränken sich die nachstehenden Ausführungen 5

OLG Düsseldorf, NZBau 2004, 343; OLG Jena, VergabeR 2004, 113.

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auf die in der Praxis am weitesten "erbreiteten öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen. 6 Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Grundüberlegungen dürften sich in den meisten Fällen auf die vorliegend außer acht gelassenen Ausprägungen interkommunaler Zusammenarbeit übertragen lassen. 1. Erscheinungsformen öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen Gemeinden und Landkreise können nach § 24 Abs. 1 KGG vereinbaren, dass eine der beteiligten Gebietskörperschaften einzelne Aufgaben der übrigen Beteiligten in ihre Zuständigkeit überführt oder sich verpflichtet, solche Aufgaben durch die übrigen Beteiligten durchzuführen. Die durch die Beteiligten nach § 24 Abs. 1 KGG geschaffenen Formen der Aufgabenverlagerung lassen sich dabei in delegierende Vereinbarungen (§§ 24 Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 1 KGG) und mandatierende Vereinbarungen (§§ 24 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 KGG) untergliedern. Bei delegierenden Vereinbarungen gem. §§24 Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 1 KGG entledigt sich die übertragende Gebietskörperschaft ihrer Rechte und Pflichten zur Aufgabenwahrnehmung im Umfang der Veräußerung an den zur Erfüllung ausgewählten Leistungserbringer. Anders verhält es sich dagegen bei mandatierenden Vereinbarungen i.S. der §§ 24 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 KGG. Hier verbleibt die übertragende Gebietskörperschaft im Außenverhältnis gegenüber Dritten weiterhin zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben zuständig, während die Durchführung nunmehr allein der im Innenverhältnis zur Erfüllung ausgewählten Gebietskörperschaft zukommt.

2. Öffentlich-rechtliche Vereinbarungen als öffentliche Aufträge gem. § 99 Abs. 1 GWB Für die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf delegierende und mandatierende öffentlich-rechtliche Vereinbarungen gem. §§ 24, 25 KGG ist entscheidend, ob die darin getroffenen Regelungen als öffentlicher Auftrag gem. § 99 Abs. 1 GWB einzustufen sind. Nach Maßgabe der Legaldefinition des § 99 Abs. 1 GWB setzt ein öffentlicher Auftrag tatbestandlich voraus, dass ein öffentlicher Auftraggeber und ein Unternehmen einen entgeltlichen Vertrag über Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen abschließen. Soweit nunmehr der Abschluss öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen vor dem Hintergrund dieser ge6 Die Darstellung erfolgt aus Vereinfachungsgründen am Maßstab der in Hessen für den Abschluss öffentlicher Vereinbarungen maßgeblichen Regelungen der §§ 24-29 KGG.

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setzlichen Anforderungen näher betrachtet wird, ist wegen der unterschiedlichen Regelungstechnik eine Unterscheidung zwischen delegierenden und mandatierenden Vereinbarungen geboten. a) Keine Freistellung öffentlich-rechtlicher vom Vergaberechtsregime

Verträge

Öffentlich-rechtliche Vereinbarungen nach §§ 24, 25 KGG sind als öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne der §§54 ff. VwVfG zu qualifizieren. In der vergaberechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum ist in der Vergangenheit die Frage kontrovers diskutiert worden, ob § 99 Abs. 1 GWB neben privatrechtlichen Verträgen auch öffentlich-rechtliche Verträge dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterstellt. Obwohl überwiegende Teile der Rechtsprechung7 und Literatur 8 in der Vergangenheit eine generelle Ausschreibungsfreiheit öffentlich-rechtlicher Verträge angenommen haben, dürfte sich diese Rechtsauffassung nach dem Teatro alla Bicocca-Urteil Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12.7. 20019 kaum noch aufrecht erhalten lassen. Das Gericht hat in dieser Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass ein nach dem Recht der Mitgliedstaaten dem öffentlichen Recht unterliegender Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen zugleich als Vertrag im Sinne der europäischen Vergaberichtlinien eingeordnet werden kann. Als Konsequenz dieser europäischen Rechtsprechung ist auch der Begriff des öffentlichen Auftrags in § 99 Abs. 1 GWB dahin auszulegen, dass er grundsätzlich auch öffentlichrechtliche Verträge umfasst. Die früher vielfach als Argument herangezogene gesetzgeberische Begründung, wonach öffentlich-rechtliche Verträge nicht als öffentliche Aufträge im Sinne des Vierten Teils des GWB gelten, muss dabei von vornherein außer acht bleiben. 10 Denn die zur Beachtung des § 99 Abs. 1 GWB verpflichteten Rechtsträger sind insoweit gehalten, diese in Umsetzung von Richtlinienrecht ergangene Vorschrift bei Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte stets im Einklang mit dem Inhalt und den Zielsetzungen der

7

OLG Celle, NZBau 2000, 299 (300); OLG Naumburg, VergabeR 2001, 134. Hailbronner, in: Byok / Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2000, § 99 Rn. 334; Dreher, DB 1998. 2587; vgl. zum Streitstand Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 FN 33 m.w.N. 9 Urt. des EuGH vom 12.7.2001 - Rs. 399 / 98 - Teatro alla Bicocca, NZBau 2001, 512. 10 Vgl. Regierungsentwurf zum Vergaberechtsänderungsgesetz, BT-Drucks. 13/9340 S. 15. 8

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Richtlinienvorgaben zu interpretieren. 11 Darüber hinaus findet sich auch weder in den gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien noch im Wortlaut des § 99 Abs. 1 GWB ein Ansatzpunkt für eine Differenzierung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Vereinbarungen. Dort ist nur von „Verträgen" die Rede. b) Vertragliche

Bindung zum Zwecke der Beschaffung

Nach §§ 1 und 2 VgV erfasst das Vergaberecht ausschließlich die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen. Sinn und Zweck des Vergaberechts ist damit die Beschaffung von Leistungen zu Gunsten der öffentlichen Hand. Der dem Vergaberecht unterliegende Vertragsabschluss muss sich stets auf einen konkreten Beschaffungsakt beziehen.12 Für die Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzungen auch für öffentlich-rechtliche Vereinbarungen i.S. der §§ 24, 25 KGG gelten, bedarf es der bereits angekündigten Unterscheidung zwischen delegierenden und mandatierenden Vereinbarungen. aa) Delegierende Vereinbarungen Entscheidet sich eine Gebietskörperschaft, einer anderen Kommune im Wege einer delegierenden Vereinbarung nach §§24 Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 1 KGG eine ihr bislang zukommende Aufgabe vollständig zu übertragen, dürfte darin regelmäßig kein vergaberechtlich relevanter Vorgang liegen. In der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist bislang allgemein anerkannt gewesen, dass rein gesellschaftsrechtliche Vorgänge als Geschäfts- und Vertragstypen nicht unter die in § 99 Abs. 1 GWB aufgeführten Vertragskategorien fallen. 13 Nicht anders dürfte es sich auch bei einer Zuständigkeitszuweisung nach §§24 Abs. 1 Alt. 1, 25 Abs. 1 KGG verhalten. Eine solche Delegation hoheitlicher Aufgaben dürfte wie die bloße Gründung rechtlich eigenständiger Unternehmenseinheiten nicht dem Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 GWB unterliegen. 14 Es handelt sich insoweit lediglich um einen 11 BayObLG, VergabeR 2002, 55; BayObLGZ 2002, 232; KG Berlin, ZIP 2000, 1746; OLG Brandenburg, NZBau 2000, 39; OLG Dresden, VergabeR 2003, 45; OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 391, ZfBR 2003,605; OLG Thüringen, NZBau 2001, 281. 12 BayObLG, VergabeR 2002, 305; Boesen, Vergaberecht, 2000, § 99 Rn. 11; Niebuhr / Kulartz /Kus /Portz, Kommentar zum Vergaberecht, 2000, §99 Rn. 23; Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl. 2003, § 99 Rn. 4. 13 Opitz, ZVgR 2000, 97, 106; Niebuhr / Kulartz / Kus / Portz, Kommentar zum Vergaberecht, 2000, § 99 Rn. 41. 14 Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2000, §99 Rn. 233; Dreher, in: Immenga / Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 99 GWB, Rn. 244 ff.

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nach der staats- und verwaltungsrechtlichen Organisationsstruktur der Bundesrepublik Deutschland zulässigen „Leistungsaustausch" innerhalb des staatlichen Organisationsbereichs. Der Markt wird dabei gerade nicht in Anspruch genommen, da es sich nur um einen staatsinternen Vorgang handelt. Derartige innerstaatliche Organisationsakte auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung stellen grundsätzlich keinen öffentlichen Auftrag i.S. des § 99 Abs. 1 GWB dar. 15 Anders kann es sich aber dann verhalten, wenn mit der Übertragung gemeindlicher Zuständigkeiten eine Beschaffung von Marktleistungen verbunden ist. Eine Freistellung von der Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften dürfte bei diesen - in der Verwaltungspraxis nur selten anzutreffenden - Konstellationen ausnahmsweise unzulässig sein. Ist die Aufgabenverlagerung also mit zusätzlichen (entgeltlichen) Leistungen der übernehmenden Kommunen gegenüber dem ursprünglichen Aufgabenträger verbunden, kann bereits darin der von § 99 Abs. 1 GWB verlangte beschaffungsrechtliche Bezug liegen. Eine Anwendung des Vergaberechts liegt darüber hinaus in Fällen nahe, in denen der Übertragungsvorgang künstlich von Auftragselementen freigehalten wird, die nach den Plänen der Beteiligten erst in einem späteren Stadium zur Geltung gelangen sollen. Hier droht eine unzulässige Umgehung vergaberechtlicher Bestimmungen, die es ausnahmsweise erforderlich machen kann, selbst eine Aufgabendelegation den Regeln des Vergaberechts zu unterstellen. 16 bb) Mandatierende Vereinbarungen Übertragen Kommunen oder Gemeindeverbände durch eine mandatierende Vereinbarung ihnen obliegende Aufgaben einer anderen Gebietskörperschaft unter Beibehaltung ihrer Rechte und Pflichten nach §§24 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 KGG zur Durchführung, lässt sich eine pauschale Vergaberechtsfreiheit solcher Abreden unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Frankfurt vorerst nicht mehr rechtssicher vertreten. Die beiden Vergabesenate haben in ihren zuvor dargestellten Beschlüssen übereinstimmend der Argumentation der Antragsteller eine Absage erteilt, dass mandatierende Vereinbarungen als rein „verwaltungsinterne Vorgänge" nicht dem Auftragsbegriff des § 99 Abs. 1 GWB unterfielen. Sie haben ihre Rechtsauffassung damit begründet, dass auch in diesen Fällen angesichts der vergabe-

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Flömer / Tomerius, NZBau 2004, 663; Gesterkamp, AbfallR 2004, 254. Vgl. zum vergaberechtlichen Umgehungsverbot EuGH, Urt. vom 15.1.1998 Mannesmann Anlagenbau Austria, W u W / E Verg 23, 27 Rn. 43; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 30.4.2003 - Verg 67 / 02 - ; VK Düsseldorf, Beschl. vom 7.7.2000 - VK12 / 2000-L - ; Jaeger, NZBau 2001, 10; Opitz, ZVgR 2000, 104. 16

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rechtlichen Zielsetzungen ein Beschaffungsbezug grundsätzlich nicht zu verneinen sei, solange nicht die Voraussetzungen für ein vergabefreies In-HouseGeschäft vorlägen. 17 Auch wenn diese Rechtsprechung der beiden Gerichte nicht frei von rechtspolitischen Bedenken ist, müssen sich die bei Erreichen der EU-Schwellenwerte zur Beachtung von Vergaberecht verpflichteten Gemeinden und Gemeindeverbände daran bis zu einer endgültigen Klärung dieser (offenen) Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof oder eine gesetzliche Freistellung interkommunaler Kooperation vom Vergaberechtsregime halten. Für die Praxis hat dies zur Folge, dass interkommunale Gestaltungsmodelle die Anwendbarkeit des Vergaberechts stets dann nicht zur Disposition stellen können, wenn darin eine Leistungsbeschaffung vereinbart wird, die unproblematisch durch private Marktteilnehmer im Rahmen des Wettbewerbs substituiert werden kann. Sind nach den §§24 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2 KGG abgeschlossene mandatierende Vereinbarung dagegen mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, lassen sich diese Verträge nicht mehr in gleicher Weise unter den Begriff des öffentlichen Auftrags einordnen. 18 Dafür spricht folgende Überlegung: Die Präambel der neuen Richtlinie 2004 / 18 / EG 1 9 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge stellt in ihrem Erwägungsgrund 2 fest, dass die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze, zu denen auch die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gehören, gebunden ist. Für den Anwendungsbereich der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit ist durch die Bereichsausnahme der Art. 45, 46 i.V.m. Art. 55 EGV allgemein anerkannt, dass diese Grundfreiheiten auf Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, keine Anwendung finden. Der EuGH hat diese primärrechtlichen Vorgaben bisher im Rahmen seiner vergaberechtlichen Rechtsprechung ent-

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Vgl. zu den Voraussetzungen EuGH, Urt. vom 11.1.2005 - Rs. C-26/03; Urt. vom 18.11.1999 - Teckal, NZBau 2000, 90; OLG Naumburg, NZBau 2003, 224; Reidt, ZVgR 2000, 289; Heinze /Schwenker, VergabeR 2003, 204; Jasper / Pooth, VergabeR 2003,613. 18 OLG Naumburg, Beschl. vom 19.10.2000 - 1 Verg 10/00; OLG Celle, NZBau 2000, 300; VK Südbayern, Beschl. vom 8.4.2004 - 07-03 / 04; VK Baden-Württemberg, Beschl. vom 20.6.2002 - VK 27 / 02; VK Magdeburg, Beschl. vom 6.6.2002 - 3332571 / 0 7 VK 0 5 / 0 2 MD. 19 Richtlinie 2004/ 1 8 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, AB1EG Nr. L 134 vom 30.4.2004, 114 (im Folgenden: LBR-Richtlinie).

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sprechend berücksichtigt. 20 Dieser Umstand lässt eine Interpretation des Auftragsbegriffs des § 99 Abs. 1 GWB dahingehend zu, dass damit von vornherein keine Aufträge verbunden sind, die einen Auftragnehmer zur Ausübung öffentlicher Gewalt berechtigen. c) Entgeltlichkeit Gemäß § 99 Abs. 1 GWB gilt das Vergaberecht im Übrigen nur für öffentliche Aufträge, die entgeltlichen Charakter haben. Dieser Entgeltbegriff ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich weit auszulegen, so dass davon jede Art von Vergütung, die einen Geldwert haben kann, erfasst wird. 21 Lässt sich für eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung nach §§ 24, 25 KGG der von § 99 Abs. 1 GWB geforderte Beschaffungsbezug feststellen, bedarf es schon besonderer Anhaltspunkte, ein solches Vertragsverhältnis ausnahmsweise nicht als entgeltlich i.S. der vorgenannten Norm einzustufen. d) Freistellung vom Anwendungsbereich des Vergaberechts gemäß § 100 Abs. 2 lit. g) GWB Das OLG Düsseldorf und ihm folgend das OLG Frankfurt haben in ihren Beschlüssen die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 lit. g) GWB verneint. Nach dieser Vorschrift findet Vergaberecht auf solche Aufträge keine Anwendung, die an eine Person vergeben werden, die ihrerseits ebenfalls öffentlicher Auftraggeber i.S. des § 98 Nr. 1 GWB ist und ein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht 22 zur Erbringung der Leistung hat. Der Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 lit. g) GWB ist eng auszulegen. Der EuGH stellt dazu klar, das ausschließliche Recht zur Leistungserbringung müsse seine Rechtsgrundlage in „veröffentlichten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften" haben.23 Darüber hinaus ist erforderlich, dass das ausschließliche

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EuGH, Urt. vom 26.4.1994 - Lottomanica, Slg. 1994, 1-1409 (1439); Burgi, NZBau 2002, 62. 21 OLG Düsseldorf, Beschl. vom 12.1.2004 - VII-Verg 7 1 / 0 3 ; BayObLG, Beschl. vom 27.2.2003-Verg 01 / 03. 22 Vgl. zu diesem Begriff Faber, DVB1 2000, 255; Gnittke /Siederer, ZVgR 2000, 239 f.; Gröning, ZIP 2001, 500. 23 EuGH, Urt. vom 10.11.1998 - Gemeente Arnheim ./. BFI Holding, Slg. 1998, 1-6821 Rn. 60. Der deutsche Gesetzgeber hat den in den europäischen Vergaberichtlinien genannten Katalog der ausschließlichen Rechte jedoch dahingehend verschärft, dass als Rechtsgrundlage gem. § 100 Abs. 2 lit. g) GWB nur „Gesetze oder Verordnungen" in Betracht kommen.

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Recht dem Leistungserbringer schon vor der Auftragserteilung zustehen muss. 24 Für Auftragsvergaben im Bereich der interkommunalen Zusammenarbeit hat dies zur Folge, dass das in § 100 Abs. 2 lit. g) GWB gemeinte ausschließliche Recht grundsätzlich nicht durch eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung nach §§ 24, 25 KGG als separaten Rechtsakt begründet werden kann, da es bereits vor diesem Übertragungsakt bestanden haben muss. Das dürfte bis auf wenige Ausnahmefälle selten der Fall sein.

V. Ausblick Nach gegenwärtigem Stand lässt sich zusammenfassend festhalten, dass einzelne Formen interkommunaler Kooperationen zukünftig bis auf weiteres dem Vergaberechtsregime der §§97 ff. GWB zu unterstellen sind. Für die davon betroffenen Gemeinden und Gemeindeverbände hat diese neue Entwicklung in der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Konsequenz, dass sie durch den „Vorrang des Vergaberechts" in Teilbereichen ihrer in den Landesgesetzen für interkommunale Kooperationen vorgesehenen Gestaltungsspielräume beraubt werden. Es empfiehlt sich vor diesem Hintergrund, die zur Erfüllung kommunaler Aufgaben angedachten öffentlich-rechtlichen Organisationsakte im Vorfeld auf ihre vergaberechtliche Zulässigkeit zu untersuchen. Denn nur durch eine sorgfältige Prüfung lässt sich die durch den Vergabesenat des OLG Frankfurt in seinem Beschluss vom 7.9.2004 ausgesprochene Nichtigkeitssanktion nach § 13 S. 6 VgV vermeiden. Allerdings lässt sich zumindest aus der Entscheidung des OLG Frankfurt ableiten, dass für bestehende Kooperationsverträge im kommunalen Bereich keine allgemeine Nichtigkeitsfolge anzunehmen ist. Denn selbst bei Verträgen, die nach dem Inkrafttreten des § 13 VgV abgeschlossen worden sind, liegen regelmäßig die Voraussetzungen der De-factoVergabe nicht vor. Insoweit besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Ungemach könnte aber für „Altverträge" aus Brüssel drohen. Davon betroffen sind sogar solche Vereinbarungen, die aus zeitlichen Gründen nach den Vorgaben des deutschen Vergaberechts nicht mit einem Nichtigkeitsrisiko belastet sind: Die Europäische Kommission hat sich erst kürzlich in einer begründeten Stellungnahme vom 30.3.2004 an die Bundesrepublik Deutschland gewandt und dort die Übertragung von Abwasserentsorgungsdienstleistungen durch die niedersächsische Gemeinde Hinte an einen nach dem niedersächsischen Wassergesetz beseitigungspflichtigen Wasserverband im Jahr 1999 als vergaberechtswidrig beanstandet. Es kann daher für die Zukunft nicht sicher ausgeschlossen werden, dass die Europäische Kommission ihre Prüfungen auf 24

Jaeger, NZBau 2001, 9.

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interkommunale Kooperation weiter ausdehnt und nicht nur im Fall „Hinte", sondern auch bei anderen Auftragsvergaben ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einleiten wird.

Verzeichnis der Autoren Gerhard Braun, Vorstandsvorsitzender, Volksbank Speyer - Neustadt - Hockenheim Marek Brzeski, Oberregierungsrat, Bundeswirtschaftsministerium, Warschau / Polen Dr. Meinrad Dreher, Univ.-Prof., Universität Mainz Dr. Sandra Haak, Rechtsanwältin, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Düsseldorf Dr. Lutz Horn, Rechtsanwalt, CliffordChancePünder, Frankfurt / M. Dr. Heike Jochum, Priv.-Doz., Universität des Saarlandes, Saarbrücken Dr. Martin Meißner, Professor, Rechtsanwalt, Latham & Watkins Schön Nolte, Frankfurt/M. Dr. Martin Müller, Professor, Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel Dr. Rainer Pitschas, Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Kirstin

Pukall, Regierungsdirektorin, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit,

Berlin Dr. Thorsten Siegel, Forschungsreferent, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Nico Spiegel, Europäische Kommission (Generaldirektion Markt), Brüssel Dr. Jan Ziekow, Speyer

Univ.-Prof., Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften