Verflochtene Identitäten: Die Große Moschee von Paris zwischen Algerien und Frankreich [1 ed.] 9783666540653, 9783525540657

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Verflochtene Identitäten: Die Große Moschee von Paris zwischen Algerien und Frankreich [1 ed.]
 9783666540653, 9783525540657

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Ricarda Stegmann

Verflochtene Identitäten Die Große Moschee von Paris zwischen Algerien und Frankreich

Critical Studies in Religion/ Religionswissenschaft (CSRRW)

Herausgegeben von Gregor Ahn, Oliver Freiberger, Jürgen Mohn, Michael Stausberg Band 11

Vandenhoeck & Ruprecht

Ricarda Stegmann

Verflochtene Identitäten Die Große Moschee von Paris zwischen Algerien und Frankreich

Vandenhoeck & Ruprecht

Dissertationsschrift an der Univ. Heidelberg

Mit einer Tabelle Umschlagabbildung:  Julia Marzoner, 2017 (Idee: Ricarda Stegmann) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-2230 ISBN 978-3-666-54065-3

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de  2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Dispositiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Diskurstheorie nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe 1.2.2. Geschichte als globale Verflechtungsgeschichte . . . . . 1.3. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2. Datenerhebung und Quellenkorpus . . . . . . . . . . . . 1.3.3. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4. Zugang und Rolle im Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Eine Kurzpräsentation der Großen Moschee von Paris . . . . .

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2. Die Gründungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Gründe für den Bau der Großen Moschee von Paris . . . . . . 2.1.1. Vorläufer des Moscheebauprojekts . . . . . . . . . . . 2.1.2. Eine neue Motivlage im Kontext des Ersten Weltkriegs 2.1.3. Französische Erinnerungspolitik und mission civilisatrice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4. Die Funktion der nordafrikanischen Eliten . . . . . . . 2.2. Die koloniale Konzeption der Großen Moschee von Paris . . . 2.2.1. Die Architekten und ihre Vorlagen . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Symbolik des Bauortes . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Die Qualität des Ortes „Große Moschee von Paris“ . . . 2.2.4. Die Funktion der Gebäudeteile . . . . . . . . . . . . . 2.2.5. Die Inszenierung für die Öffentlichkeit . . . . . . . . . 2.2.6. Fazit: Kontrollierbare Andersartigkeit an der Großen Moschee von Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Bis zum Zweiten Weltkrieg: Unter französischer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Bis in die 1980er Jahre: Zunehmender algerischer Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Seit den 1980er Jahren: Zwischen Algerien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Die politische Verortung: Der transnationale Identitätsmarker „Moderater Islam“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Große Moschee von Paris in den 1990er Jahren . . . . . . 3.1.1. Die politischen Konzepte des moderaten und radikalen Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Die Konzepte des moderaten und radikalen Imam . . . 3.1.3. Dalil Boubakeur zwischen Algerien und Frankreich? . 3.2. Die Große Moschee von Paris in den 2000er Jahren . . . . . . 3.2.1. Die Neuorganisation der islamischen Ansprechpartner 3.2.2. Die neue Rolle der Großen Moschee von Paris . . . . . 3.2.3. Die neue Debatte um moderate Imame . . . . . . . . . 3.2.4. Dalil Boubakeur und der Kampf um die verlorene Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Institut al-Ghazali und die innermuslimischen Positionierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Imame und Imamausbildung . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Das Institut al-Ghazali: Konzept und Verortung . . . . . 4.1.1. Studiengänge und Zielpublikum . . . . . . . . . . 4.1.2. Stundenpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Webseiten und Studierendenführer . . . . . . . . . 4.1.4. Lehrmaterialien und Referenzbibliographien . . . . 4.2. Lehrerprofil 1: Malak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Der Unterricht: Form und Inhalte . . . . . . . . . . 4.2.2. Der Orient gegen den Westen? . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Exkurs: Werk und Rezeption Ren Gu nons . . . . 4.2.4. Tradition und moderne Gesellschaften . . . . . . . 4.2.5. Kosmisches Chaos und Rückzug aus der Politik . . 4.2.6. Die spirituelle Realisierung des Selbst . . . . . . . 4.2.7. Die Zielsetzungen der Scharia . . . . . . . . . . . . 4.3. Lehrerprofil 2: Chebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Der Unterricht: Form und Inhalte . . . . . . . . . . 4.3.2. Die Verortung im malikitischen Rechtschulenislam 4.3.3. Exkurs: Die algerisch-islamische Reformbewegung 4.3.4. An islamic way of life – Wissen und Moral . . . . . 4.3.5. Der Islam als Religion der (anderen) Vernunft . . . 4.3.6. Reinheit und die Sunnaisierung des Alltags . . . .

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5. Abschlussdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Inhalt

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Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Vorwort Die sogenannte Große Moschee von Paris verdankt ihre Entstehung dem französischen Kolonialismus in Algerien und steht heute unter dem Einfluss sowohl des algerischen als auch französischen Staates. Sie hat in den letzten Jahren vor allem dadurch Schlagzeilen gemacht, dass sich ihr Leiter Dalil Boubakeur in der öffentlichen Diskussion als Vertreter eines ”moderaten” und für die französische Mehrheitsgesellschaft akzeptablen Islams ins Spiel gebracht hat. Die Monographie von Ricarda Stegmann will deshalb die Große Moschee und das ihr angeschlossene Lehrinstitut genauer innerhalb der islamischen Tradition und der politischen Debatten in Frankreich verorten. Damit ist die vorliegende Monographie ein aktueller und überaus willkommener Beitrag zum Islam in Europa. Sie ist aber viel mehr als das. In der Religionswissenschaft wird gegenwärtig hart darum gerungen, wie eine angemessene Interpretation religiöser Identitätsbildungen aussehen soll. Die Verfasserin bezieht ausdrücklich Stellung zu dieser Debatte und versucht neue Lösungswege aufzuzeigen. Ihre Studie ist dabei zugleich ein eindrücklicher praktischer Beleg dafür, wie ihre theoretischen Positionen für die konkrete religionswissenschaftliche Arbeit fruchtbar gemacht werden können. Im Kern schlägt sie vor, die politischen Theorieentwürfe der Schule von Essex durch eine postkoloniale Brille zu lesen. Sie zeigt auf, wie der Ansatz von Laclau in seinem Rückgriff auf die poststrukturalistische Sprachphilosophie von Derrida helfen kann, die Genese von gesellschaftlichen Identitätspositionierungen genauer zu verstehen. Identitätspositionierungen werden durch leere Signifikanten ermöglicht, die nicht etwa deshalb leer sind, weil sie nichts bezeichnen, sondern so heißen, weil sie ihrer Differentialität quasi entleert werden, um Äquivalenzketten zu benennen und damit temporäre Fixierung von Bedeutung zu ermöglichen. Die Pointe dieses Ansatzes besteht darin, dass eine Fixierung von Bedeutung umfassend begründet werden kann, die nicht auf essentialistischen Annahmen fußt und zugleich eine tiefgreifende Historisierung der wissenschaftlichen Gegenstände ermöglicht. Die Verfasserin legt dabei das besondere Gewicht auf eine postkoloniale Perspektive, wie sie von Conrad und Randeria unter dem Stichwort „Verflechtungsgeschichte“ gefordert wird. Daraus leitet sie ganz konkret die Notwendigkeit ab, die Große Moschee von Paris von Anfang an in ihrer internationalen Verflochtenheit und nicht etwa nur als Ausdruck des französischen Islams oder eines Euro-Islams zu interpretieren. Viele der bisherigen religionswissenschaftlichen Migrationsstudien leiden unter einer zu starken Fokussierung auf den europäischen Kontext und vernachlässigen derartige globale Verflechtungen. Ein solcher Ansatz erfordert allerdings auch eine umfassende philologische Kompetenz

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Vorwort

wie sie die Verfasserin besitzt, die gleichermaßen auf arabische als auch auf französische Quellen zurückgreift. Die Ergebnisse der Arbeit sind der beste Erweis für die Fruchtbarkeit des theoretischen Ansatzes. Die Verfasserin kann minutiös nachzeichnen, wie Dalil Boubakeur auf die verschiedenen Erwartungshaltungen reagiert, die von den Regierungen Algeriens und Frankreichs, aber auch von islamischen Strömungen an ihn herangetragen wurden, wie er diese geschickt bedient und dabei erfolgreich einen eigenen diskursiven Raum für die Große Moschee und den von ihr vertretenen Islam etabliert. Im Kern gelingt es ihm, die Tatsache zu nutzen, dass die Bezeichnungen „moderater Islam“ und „radikaler Islam“ zwar die im politischen Diskurs geforderten Positionierungen darstellen, aber zugleich ohne wirkliche inhaltliche Festlegung sind. Boubakeur kann im Rekurs auf diese Begrifflichkeit die aus Algerien entsandten Imame als „moderat“ integrieren und auf geschickte Weise sowohl die Erwartungshaltung der Regierenden in Algerien als auch in Frankreich bedienen. Vor allem aber kann die Verfasserin zeigen, wie sich diese Spannungen auch im konkreten Lehrprofil zweier Lehrender am Institut al-Ghazali niederschlagen und wie komplex die auf die beschriebenen politischen Konstellationen reagierenden, theologischen Entwürfe ausfallen. Die konkrete Untersuchung von Lehrprofilen ist wegweisend für eine angemessene religionswissenschaftliche Untersuchung islamischer Theologie. Malak verbindet die orientalistisch-reformislamische bzw. „salafistische“ Dichotomisierung von Westen und Orient mit Rene Gu nons sufisch-theosophischem Traditionalismus. Chebel rekurriert dagegen auf die reformislamische Argumentationslinie vom Islam als modern und rational, bindet das aber an den malikitischen Rechtsschulenislam und eine sufische Stufenlehre zurück, wie es algerische Reformer übrigens auch vor ihm schon teilweise getan haben. Bei beiden Autoren werden die benutzten arabischen Klassiker von der Verfasserin genau identifiziert, so dass deren Referenzen minutiös nachvollziehbar sind. Die Pointe besteht für die Verfasserin darin, dass Malak und Chebel mit ihrer Art den Islam zu interpretieren, wiederum ihrerseits die klaren Zuschreibungen „moderat“, „radikal“ etc. unterlaufen und auf diese Weise für sich einen Ort authentischer islamischer Lehrunterweisung suchen, jenseits der politischen Anpassungszwänge, in denen sie stehen. Kurzum, es entsteht ein überaus differenziertes Bild, das dem Leser verständlich macht, auf wie komplexe Weise islamische Identitäten innerhalb der sehr rigiden politischen Erwartungshaltungen in Frankreich ausgehandelt werden. Die vorliegende Monographie zeigt eindrücklich, wie produktiv theoretische Überlegungen mit materialgesättigter, feldforschungsgestützter und philologisch solider Arbeit verbunden werden können. Damit wird ein vielversprechender Weg gewiesen, wie innovative religionswissenschaftliche Studien zur Religion der Gegenwart aussehen können. Heidelberg, Juni 2017

Prof. Michael Bergunder

Einleitung In Europa ist die Vorstellung einer „arabisch-islamischen Welt“, die ganz anders sei als die Eigene, sehr präsent in politischen Debatten, Mediendarstellungen, sowie auch in Kunst, Literatur oder gar wissenschaftlichen Abhandlungen. Talal Asad hat in seinem 2002 erschienenen Aufsatz Muslims and European Identity: Can Europe Represent Islam? die Deutungsmacht eines Narrativs beschrieben, in dem Europa sich essentialistisch über ein bestimmtes historisches Erbe sowie über gemeinsame Werte definiert, Muslime in ein unaufhebbares Außen dieser selbst gezogenen Identitätsgrenzen katapultiert und gleichzeitig beständig ihre Assimilation an das europäische Innen fordert (Asad 2002: 214–218). Insbesondere im Laufe des 19. Jahrhunderts, als europäische Mächte viele islamisch geprägte Länder kolonisierten, verdichteten sich Darstellungen, in denen der Araber oder der Orientale als faszinierend und bedrohlich zugleich, zumeist aber als dem Europäer unterlegen und folglich kolonialisierungsbedürftig gedacht wurde (vgl. Said 52003 [1978]). Die zu dieser Zeit weit verbreitete Auffassung von der fundamentalen Andersartigkeit des muslimischen Arabers überlebte die formale Unabhängigkeit islamisch geprägter Länder im 20. Jahrhundert und ist seit der vermehrten Thematisierung politisch-islamischer Strömungen seit den 1970er Jahren, den Terroranschlägen auf US-amerikanische Einrichtungen am 11. September 2001 und vor allem seit den jüngsten islamistischen Terrorakten in Europa aktueller denn je. Das Eigene auf der Folie eines konstruierten Anderen zu entwerfen, ist jedoch keineswegs als europäische Eigenart zu verstehen. Es war und ist ein gegenseitiger Prozess, in dem eine Vielzahl europäischer wie nicht-europäischer Akteure um Grenzziehungen, Definitionen und qualitative Zuschreibungen an ihre persönliche und kulturelle Identität ringt (vgl. King 1999: 116 f.; Peters 2005: 103–109). So propagieren auch muslimische Akteure Deutungen islamischer Überlegenheit über einen morallosen, materialistischen und folglich dekadenten „Westen“ (vgl. Said 52003: 284–328; Schulze 2007: 57 f.; Hanf 1993) und richten diese Kritik seit einigen Jahrzehnten teilweise sogar gegen die eigenen Regierungen, die sie als zu säkular empfinden. Weil einige Gruppierungen die nationalstaatlichen Strukturen europäischer sowie vieler arabischer und anderer islamischer Länder ablehnen und gelegentlich gar im Namen des djiha¯d zu Gewalt gegen sie aufrufen (vgl. Amghar 2008, 2011), sind die aktuellen politischen und medialen Konzeptualisierungen des Islam zudem stark von sicherheitspolitischen Argumenten und Interessen geprägt. Dabei wird oftmals übersehen, dass Argumentationsmuster, Konzepte und Prozesse der Identitätskonstruktion in muslimisch geprägten Ländern auf-

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Einleitung

fällige Gemeinsamkeiten mit europäischen Gefügen aufweisen, was die Vorstellung grundsätzlicher Verschiedenheit erschüttert. Der Ursprung für Parallelen aber auch für die Art der Artikulation von Differenzen liegt vielerorts in gemeinsamen kolonialgeschichtlichen Erfahrungen begründet. Die intensiven Kontakte und Auseinandersetzungen, die im Zuge der Kolonialisierung des 19. und 20. Jahrhunderts zwischen europäischen und afrikanischen oder asiatischen Akteuren stattgefunden haben, hatten tiefgreifende Veränderungen zur Folge. Sie transformierten Institutionen, Verwaltungs- und Rechtsstrukturen und beeinflussten Konzeptualisierungen nationaler, kultureller und religiöser Identität in den kolonisierten Regionen sowie in Europa selbst (vgl. Julien/ Morsy 1979; Ageron 1979; Stora 1993, 1995; Lakehal 2009). Neben den so hervorgebrachten, parallelen Einrichtungen und Herrschaftsmechanismen in Kolonien und Kolonialmächten produzierten sie dabei auch die oben beschriebenen Selbstverortungen, in denen sich viele Kolonisierende sowie Kolonisierte scharf voneinander abzugrenzen suchten. Aufgrund ihrer militärisch-technischen Überlegenheit kam den Europäern dabei eine wichtige Deutungs- und Gestaltungshoheit zu. Nach der Unabhängigkeit ihrer Länder übernahmen viele arabische und afrikanische Regierungen einerseits die europäischen Verwaltungs- und Rechtsstrukturen, andererseits integrierten sie die in der Konfrontation mit den ehemaligen Kolonialherren entstandenen Repräsentationen des Muslim, des Arabers oder des Afrikaners in die Definitionen ihrer eigenen nationalen und kulturellen Identität (Deeb 1993; Papi 2010). Nicht nur in Europa (vgl. Blanchard/Bancel 2006), sondern auch in seinen ehemaligen Kolonien wird kolonialgeschichtliches Erbe so bis in die gegenwärtige Zeit tradiert. Repräsentationsmuster von (ehemals) Kolonisierenden und Kolonisierten zu untersuchen ist ein zentrales Sujet der postcolonial studies, die sich in den 1980er und insbesondere in den 1990er Jahren in der anglophonen Wissenschaft verbreiteten. Ihre Vertreter versuchen, die komplexen Prozesse von Identitätskonstruktionen durch europäische wie außereuropäische Akteure in kolonialen und nachkolonialen Kontexten nachzuvollziehen (z. B. Hall 1992, 1996a; Bhabha 1994, 2003; Appadurai 2001). Dabei fragen sie nach der Relevanz kolonialgeschichtlicher Deutungsmuster für aktuelle Selbst- und Fremdbeschreibungen (z. B. Said 1978; Mudimbe 1988; Gilroy 1993) und untersuchen die Machtansprüche, die hinter den Narrativen eigener und anderer Identitäten stehen (z. B. Spivak 1999; Chakrabarty 2010). Viele dieser Theorien fanden auch in den religious studies Anklang (z. B. King 1999, 2011; Fitzgerald 1999; Joy 2001; Russell 2002; Masuzawa 2005). In der deutschsprachigen Religionsforschung sind die theoretischen Implikationen der postcolonial studies vor allem von Michael Bergunder und Andreas Nehring aufgenommen worden, die ihren Fokus neben theoretischen Reflexionen auf den indischen Kontext richten (z. B. Bergunder 2006, 2008, 2010a/b, 2011, 2012; Nehring 2006, 2008, 2012).

Einleitung

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In Forschungsarbeiten zum Islam wurden sie bisher eher selten rezipiert. Eine prominente Ausnahme ist der bereits erwähnte Talal Asad, der auch innerhalb der deutschen Islamforschung eine hohe Popularität besitzt und in seinen Arbeiten unter anderem die komplexen Prozesse untersucht, im Zuge derer europäische Staaten muslimische Subjekte konzeptualisieren (z. B. Asad 1997, 1999, 2002). Wie aber manifestieren sich kolonialgeschichtlich verankerte Argumentationsmuster heutzutage konkret an Moscheegemeinden und muslimischen Vereinen oder Lehreinrichtungen in Europa? Welche Rolle kommt dabei muslimischen Ländern zu, deren Regierungen die kolonialen Verwaltungsstrukturen des Islam nach der Unabhängigkeit ihrer Länder teils übernommen haben? Findet im Rahmen ihrer teilweisen Kontrolle über Moscheen in Europa gar ein Rücktransport kolonialer Deutungsmuster in europäische Kontexte statt? Und vor allem: Welche Relevanz besitzen diese Argumentationen und Repräsentationsweisen für die Identitätskonstruktionen von Muslimen, die sich an den Moscheen bewegen? Inwieweit ist die Tradierung islamischen Wissens in Europa Produkt kolonialgeschichtlich hervorgebrachter Konzepte, die nun transnational transformiert und umkämpft werden? Die Antwort auf diese Fragen ist deshalb von eminenter Bedeutung, weil sie schließlich auch die Bewertung aktueller islampolitischer Problemstellungen beeinflusst. Untersucht man beispielsweise die Art und Weise, wie an muslimischen Lehrstätten und Koranschulen islamisches Recht verstanden und überliefert wird und findet man heraus, dass Lehrmethode und -Konzepte nicht etwa „authentisch algerisch“ oder „türkisch“ sind, sondern als Produkt komplexer transnationaler und von europäischen Imperialmächten mitgeprägter Aushandlungsprozesse verstanden werden müssen, so muss man integrationspolitische Fragen anders beantworten: Muslimische Akteure erscheinen nicht als Fremdkörper, deren Konzepte und Traditionen dem europäischen Kontext ursprünglich äußerlich sind und die nun ihre Anpassungsfähigkeit an einen neuen Lebenskontext beweisen müssen. Selbst muslimische Positionen, die die Unterschiedlichkeit zwischen europäischen und muslimischen Lebenswelten betonen, sind nicht als Beweis für die grundlegende Andersartigkeit zweier Kulturkreise zu verstehen, sondern sie sind oftmals Zeugnis einer transnationalen Verflechtung, an der Europa maßgeblich partizipiert hat: sie sind also selbst Teil der europäischen Geschichte. An diesen Problemstellungen setzt die vorliegende Studie an. Sie untersucht die Prägekraft kolonialgeschichtlich relevanter Vorstellungen am Beispiel einer ausgewählten Einrichtung, der Großen Moschee von Paris (frz. Grande Mosqu e de Paris, im Folgenden entweder Große Moschee von Paris oder GMP) und des ihr angegliederten Imamausbildungsinstituts Al-Ghazali. Die GMP wurde zwischen 1922 und 1926 auf Beschluss der französischen Regierung gebaut. Im Kontext der komplexen machtpolitischen Konstellationen nach dem Ersten Weltkrieg sollte damit ein sichtbares Symbol fran-

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Einleitung

zösischer Kolonialherrschaft in Paris errichtet werden. Auch nach der Unabhängigkeit der Kolonien und Protektorate blieb die GMP ein zentraler Ort für die französische Islampolitik. Trotz mangelnder Repräsentativität und Anerkennung seitens der in Frankreich lebenden Muslime versuchten verschiedene Politiker, die Einrichtung zum Zentrum des Islam in Frankreich zu erheben, an dem ein moderater, mit französischer Lebenswelt kompatibler Islam vertreten wird. Auch wenn diese Funktion inzwischen immer stärker geschwunden und die Moschee in ihrer Bedeutung mehr und mehr durch andere Akteure verdrängt worden ist, so bleibt sie ein historisch und symbolisch bedeutsamer Ort, von dem aus Präsidenten und Minister noch immer regelmäßig ihre Wünsche an die „muslimische Gemeinschaft Frankreichs“ richten. Gleichzeitig geriet die Institution in den 1980er Jahren immer stärker unter die Kontrolle des algerischen Staates, dessen Religionsminsterium heute beispielsweise die Ausrichtung des Ausbildungsinstituts Al-Ghazali überwacht. Für Algerien stellt die GMP insgesamt eine Anlaufstelle dar, über die es die Organisation islamischer Belange in Frankreich beeinflussen kann. Die GMP ist also ein Ort, an dem sich die tiefgreifende Verflochtenheit algerischer und französischer Geschichte konzentriert und in ihren Implikationen für die Aushandlung von Machtpositionen und Identitätskonstruktionen muslimischer sowie nicht-muslimischer Akteure greifbar wird. Mit der Untersuchung dieser Konstellation leistet diese Studie einen Beitrag auf mehreren Ebenen: 1. Sie liefert neue Informationen über eine in dieser Weise bisher unerforschte Einrichtung. Mit der Untersuchung einer Moschee und eines Ausbildungsinstituts, die in Selbst- sowie in Fremdzuschreibungen oftmals als „moderat“, „traditionell“ oder „orthodox“ klassifiziert werden, stößt diese Arbeit in einen Bereich vor, der bisher in der Wissenschaft vernachlässigt wird. Die seit etwa zwanzig Jahren verstärkt stattfindende Erforschung von islamischen Bewegungen, Gruppierungen und Vereinen in Europa fokussiert nämlich zum einen auf sicherheitspolitisch relevante und im allgemeinen Sprachgebrauch als gefährlich oder nicht-integrationswillig geltende Bewegungen wie Salafisten, Dschihadisten oder Muslimbrüder (vgl. Kapitel 1.1.). Zum anderen beschäftigt sie sich mit der Veränderung oder gar konkret mit der Europäisierung von Einstellungen und Praktiken bei Individuen, deren Bezug zu einem muslimischen Verein entweder nicht vorhanden ist oder nicht im Zentrum der Überlegungen steht (z. B. Bab s 1997; Tietze 2001; Klinkhammer 2000; Nökel 2002). Die Frage, welche Vereine oder Moscheegemeinden im aktuellen Europa als orthodox oder moderat gehandelt werden und was genau sie lehren, findet hingegen nur wenig Beachtung. Insbesondere mit der Untersuchung des an die Moschee angegliederten Imamausbildungsinstituts Al-Ghazali, seiner Konzeption, seiner innerislamischen Verortung sowie den dort vertretenen Lehrpositionen, wird also inhaltliches

Einleitung

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Neuland betreten (Teil 4). Die hierzu benötigten Daten wurden während einer sechsmonatigen Feldforschung an der GMP (Oktober 2008–März 2009) erhoben. 2. Diese Arbeit verbindet mehrere Perspektiven miteinander. Es werden zum einen historische Zuschreibungen an die GMP analysiert und mit ihren aktuellen Konzeptualisierungen in sicherheitspolitisch motivierten Debatten konfrontiert. Zum anderen werden die Positionierungen und Islam-Konzeptionen von religiösen Autoritäten unterhalb der Führungsriege untersucht, die an der Moschee und am angegliederten Imamausbildungsinstitut agieren und sich dort vornehmlich an ein muslimisches Publikum wenden. Im Vergleich von öffentlichen Zuschreibungen an die Moschee mit nicht öffentlichkeitsgerichteten Identitätskonstruktionen an der Moschee kann gezeigt werden, in welch komplexem Gefüge islamische Gelehrte handeln und wie sie historische Deutungsmuster sowie aktuelle öffentlichkeitspolitische und innerislamische Debatten nutzen, um ihre Konzeptionen darin zu implantieren. Allgemein kann gesagt werden, dass größere historische und politische Zusammenhänge skizziert und dann im Rahmen von ausführlichen Lehrporträts mit Detailanalysen konfrontiert werden, mit Hilfe derer Mikroelemente einer aktuellen diskursiven Formation in den Blick genommen werden. Auf diese Weise kann konkret gezeigt werden, inwiefern Positionen und Aussagen islamischer Lehrpersonen Produkt eines transnationalen Diskursfeldes sind. 3. In dieser Arbeit wird schließlich eine diskurstheoretische Perspektive mit Konzepten aus dem Bereich der postkolonialen Studien verknüpft und für die religionswissenschaftliche Theoriebildung fruchtbar gemacht. Mit ihrem Konzept der verflochtenen Geschichten (entangled histories, 1999; 2002) hat unter anderem Shalini Randeria gefordert, eine nationsorientierte Perspektive zugunsten einer transnationalen Geschichtsschreibung aufzugeben und dabei insbesondere die Besonderheiten kolonialgeschichtlicher Kontakte zu thematisieren. Dieser Sonderfall kolonial bedingter Verflochtenheit von Geschichte ist, so die These dieser Arbeit, auch in den Konzepten von „moderatem“, „radikalem“, „modernem“ oder „traditionellem“ Islam greifbar, mit denen muslimische Akteure sich aktuell in Frankreich wie in Algerien identifizieren oder identifiziert werden. In der Zusammenführung dieser Perspektivik mit der Diskurstheorie und insbesondere der Konzeptualisierung von identitätsstiftenden Kategorien bei Laclau und Mouffe (z. B. Laclau/ Mouffe 1991; Laclau 2007) wird die spezifische Beschaffenheit ebensolcher Kategorien beschreibbar und damit eine konkrete Theoretisierungsmöglichkeit von identitären Aushandlungsprozessen in globalen und vor allem nachkolonialen Kontexten vorgeschlagen. Der Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich wie folgt: Den Materialanalysen ist der erste Teil als Dispositiv vorangestellt: Hier werden 1. der Forschungsstand zur Moschee von Paris und die Einbettung der Arbeit in die aktuelle religionswissenschaftliche Forschung präsentiert; 2. die

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Einleitung

theoretischen Perspektiven diskutiert, mit Hilfe derer die Forschungsfrage bearbeitet wird und 3. das methodische Vorgehen in der Datenerhebung und -analyse erläutert. Der zweite Teil widmet sich dem Verständnis von Islam, das französische Politiker und Architekten zur Zeit der Planung und Eröffnung auf die GMP projiziert haben. In einem ersten Schritt wird gezeigt, wie Narrative französisch-muslimischer Freundschaft und Verbundenheit die politischen und militärischen Motivationen für den Moscheebau verdeckten und zudem „den Muslim“ als Subjekt darstellten, das Frankreich gegenüber eine tiefe Dankbarkeit für den Bau der Moschee empfand. Die Analyse der geographischen Lage, der Architektur und der Ausgestaltung der Gebäudeteile zeigt in einem zweiten Schritt, dass die GMP dazu diente, der französischen Bevölkerung muslimische Lebenswelt als exotisch, fremd und fundamental anders vorzuführen. Die Darstellung des Gründungsdiskurses wird durch ein Kapitel ergänzt, das auf der Basis von Sekundärliteratur einen Überblick über die Geschichte der GMP bis in die 1990er Jahre gibt. Im dritten Teil wird die Konstitution der Identitätsmarker diskutiert, mit denen die GMP seit 1992 – dem Beginn der bis heute andauernden Rektorenschaft Dalil Boubakeurs – in einem öffentlichkeitspolitischen Rahmen charakterisiert wird. Ausgangspunkt sind die Rhetorik und die Entscheidungen französischer Politiker, die schließlich den algerisch-staatlichen Positionen sowie den Reaktionen des Moscheerektors Dalil Boubakeur gegenüber gestellt werden. Es wird zum einen gezeigt, dass historisch bedingte Parallelen in den algerisch- und französisch-staatlichen Narrativen für Dalil Boubakeur die Möglichkeit bedeuten, in seinen Aussagen für algerisch- sowie für französisch-staatliche Positionen zugleich anschlussfähig zu sein. Zum anderen macht die Gegenüberstellung französisch-islampolitischer Entscheide in den 1990er mit jenen der 2000er Jahre deutlich, dass in letzteren eine Neustrukturierung stattgefunden hat, die dem von Boubakeur instrumentalisierten Rekurs auf kolonialgeschichtliche Argumentationen ihre Wirksamkeit mehr und mehr entzieht. Im vierten Teil werden zunächst die Strukturen und Lehrpläne des Instituts Al-Ghazali besprochen. Wurden in Teil 3 die Möglichkeiten in den Vordergrund gestellt, die durch die historisch bedingte Parallelität algerisch- und französisch-staatlicher Rhetorik eröffnet worden sind, so rücken nun die Grenzen dieser Konstellation in den Vordergrund. Sie manifestieren sich einerseits in der Konfrontation der Institutsorganisation mit den sehr unterschiedlichen religionspolitischen Strukturen Algeriens und Frankreichs. Andererseits werden in der Konzeptualisierung von Studienplänen und -inhalten diejenigen Elemente offenbar, in denen die oben genannten algerischen und französischen Narrative über den Islam nicht nur voneinander abweichen, sondern sogar in Opposition zueinander stehen. Auf die Darstellung des Institutsaufbaus erfolgt eine weitere Fokussierung: Die Analyse des Unterrichts von zwei zentralen Lehrpersonen am Institut al-

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Ghazali soll aufzeigen, welche Rolle die öffentlichen Zuschreibungen an die GMP für die Vorstellungen, Konzeptionen und Deutungen haben, die einem muslimischen Publikum innerhalb der GMP gelehrt werden. Dabei wird eine Verquickung verschiedenster Argumentationsstränge deutlich. Während die erste Lehrperson intensiv auf eine Gesellschaftskritik und Islambestimmung rekurriert, die Ren Gu non und seine Schüler vornehmlich für ein europäisches Publikum entworfen hatten, so vertritt der zweite untersuchte Lehrende Positionen des sogenannten algerischen Reformismus der 1930er Jahre, dessen Anhänger im Prinzip eine muslimische Antwort auf eine französische Kritik an islamischen Lebenswelten formulierten. Beide Positionierungen können jedoch innerhalb sicherheitspolitischer Debatten in Frankreich und insbesondere in Algerien instrumentalisiert werden und verunmöglichen schließlich endgültig die eingangs thematisierte Vorstellung muslimischer Identitäten, die europäischen Lebenswelten fundamental widersprächen. In den Schlussbemerkungen werden die Ergebnisse der verschiedenen Kapitel zusammengefasst, miteinander in Beziehung gesetzt und auf ihre inhaltliche sowie theoretische Relevanz geprüft. In diesem Zusammenhang sollen auch Generalisierbarkeit und Anwendungsmöglichkeiten der Ergebnisse auf andere Forschungsarbeiten diskutiert werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Überlegungen zu Aushandlungsprozessen aus der Perspektive postkolonialer Geschichts- und Sprachanalyse. Formale Informationen zur gewählten Zitier- und Schreibform Gender. Um den Lesefluss zu erleichtern, wird auf die konsequente Erwähnung femininer und maskuliner Formen verzichtet. Wenn von Muslimen die Rede ist, sind damit Männer und Frauen gemeint. Beide Formen werden nur dann aufgeführt, wenn die besprochenen Aspekte für Frauen inhaltlich divergieren können. So weist die Formulierung „Bräuche von Muslimen und Musliminnen“ darauf hin, dass es Bräuche gibt, die für beide Geschlechter gelten, aber auch solche, die nur von Männern vollzogen werden (wie z. B. das Schlachten eines Schafes) und solche, die nur Frauen ausführen (wie z. B. das Tragen des Kopftuchs oder bestimmte Reinigungsrituale). Anführungszeichen. Begriffe wie beispielsweise „moderater Islam“, „traditioneller Islam“ oder „radikalislamische Strömungen“ werden teils in Anführungszeichen gesetzt, wenn auf ihre besondere Konstruktion als Identitätsmarker (vgl. Kapitel 1.2.1.) verwiesen wird. Um den Lesefluss nicht zu erschweren, wird jedoch auf eine konsequente Verwendung der Anführungzeichen für diese und weitere Begriffe verzichtet, was natürlich nicht bedeutet, dass sie als wissenschaftlich sinnvolle Analysekategorien verstanden würden. Zur Erläuterung des Verständnisses dieser Begriffe als diskursive Aushandlungsprodukte siehe Kapitel 1.2.1.

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Fremdsprachige Ausdrücke und Zitate. Französische und englische Zitate werden im Original zitiert. Die im Rahmen der Feldforschung verfassten Notizen und vor allem die Unterrichtsmitschriften enthalten kurze Zitate und sinngemäße Zusammenfassungen von Aussagen in französischer oder arabischer Sprache. Sinngemäße Zusammenfassungen dieser Aussagen werden in deutscher Sprache wiedergegeben. Wenn es sich um ein direktes übersetztes Zitat handelt, wird dies durch Hinzufügen der originalen Ausdrucksweise in Klammern und Anführungszeichen deutlich gemacht, wie folgender Beispielsatz veranschaulicht: Wer keine Spiritualität mehr habe, sei der eigentliche Verlierer („le vrai perdant“), denn er habe keinen Zugang zum Mysterium („myst re“) seines Lebens. Die Transkription aus dem Arabischen. Arabische Begriffe werden nach dem System des International Journal of Middle East Studies (IJMES) transkribiert. Obwohl diese vereinfachte Transkriptionsweise auf die englische Aussprache ausgerichtet ist, stellt sie auch für den deutschen Leser eine leicht verständliche, und – für denjenigen, der des Arabischen nicht mächtig ist – gar eine besser zugängliche Alternative zum System der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) dar. Fremdsprachige Vokabeln, die bereits ins Deutsche eingegangen sind, werden wie deutsche Begriffe behandelt, also Imam statt ima¯m, Koran statt qur’a¯n oder Scharia statt sharı¯Ca. In Grenzfällen wird jedoch das IJMES-System bevorzugt, also djiha¯d statt Dschihad und hadjdj statt ˙ Hadsch oder Haddsch. Weil sich die Liste der arabischsprachigen Begriffe, die im Deutschen geläufig sind, von denjenigen unterscheiden können, die in den englischen Sprachgebrauch eingegangen sind, wird an dieser Hinsich nicht der von IJMES vorgeschlagenen Begriffssammlung gefolgt, sondern nach eigenem Ermessen beurteilt. Weil sich diese Arbeit nicht (nur) an ein islamwissenschaftlich geschultes Fachpublikum wendet, wurden alle Eigennamen von Personen, Orten, Institutionen oder Strömungen der besseren Lesbarkeit halber durch das lateinische Alphabet wiedergegeben. Mittelalterliche wie zeitgenössche Personen erscheinen folglich so: Abu al-Hassan al-AschCari statt Abu¯-l-Hasan Al-AshCarı¯ und Muhammad Said Ramadan al-Buti statt Mu˙ SaC¯ıd Ramada¯n al-Bu¯t¯ı; zudem heißt es Alawiyya statt CAlawiyya und hammad ˙Salafiyya statt Salafiyya. ˙ ˙ In einigen wenigen Fällen, in denen es als für die ˙ Aussprache relevant betrachtet wird, wird das Cain beibehalten, zum Beispiel in MuCtazila. Die Namenswiedergabe in lateinischen Buchstaben entspringt der Entscheidung für ein konsequent durchgängiges Verfahren: So sind viele zeitgenössische Autoren zweisprachig und in englisch- bzw. französischsprachigen Kontexten ist die latinisierte Schreibweise ihres Namens geläufig. In diesen Fällen ist die bei der Transkription aus dem Arabischen erzeugte Verfremdung wenig sinnvoll. Zudem werden die im jeweiligen Kontext des Autors üblichen Schreibweisen verwendet, also Ben Youssef statt Ibn Yusuf oder Djelloul Seddiqi statt z. B. Djallul Saddiqi. Orts- und Institutionennamen, die im deutschen bekannt und üblich sind, werden jedoch nach deutscher

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Schreibweise wieder gegeben, also Al-Zaituna statt Al-Zaitouna. Arabische Werk- sowie die Kurstitel des Studienprogramms am Institut al-Ghazali werden nach der IJMES-Umschrift transkribiert. Allgemeine Zitation und Quellenbelege. Allgemein werden direkte und indirekte Zitate gleichermaßen durch die einfache Angabe der Quelle belegt (z. B.: Krosigk 2000: 153). Direkte Zitate werden lediglich durch das Hinzufügen von Anführungszeichen bzw. bei längeren Sätzen durch einen eigenen Absatz markiert. Das Kürzel „vgl.“ verweist auf Quellenstücke, in denen weiterführende Informationen zu finden sind. Bei der Zitation von Quellen wird zwischen verschiedenen Gattungen unterschieden. Publizierte Monographien, Aufsätze, Enzyklopädie- oder Zeitungsartikel mit Autorenangaben werden nach dem Harvard-System zitiert und sind in alphabetischer Reihenfolge im Literaturverzeichnis aufgeführt. Bei gewöhnlicher Sekundärliteratur wird die jeweilig benutzte Auflage angegeben. Wird die zeitliche Einordnung einer Quelle als für den Zusammenhang zentral erachtet, so wird bei ihrer ersten Nennung das Jahr der Erstauflage in Klammern angegeben (z. B. Gu non 41984 [1931]: 15). Die übrigen Quellen sind mit jeweils vorgestellten Kürzeln versehen, die auf die Art des Materials verweisen, z. B. www für Internetquellen, INT für Interviews, UM für Unterrichtsmitschriften, FFN für Feldforschungsnotizen, AN für Archives Nationales, GL für Graue Literatur (z. B. Flyer, Broschüren, Flugblätter oder Stundenpläne). Sie werden entweder durch Kurztitel ergänzt, die im Inhaltsverzeichnis alphabetisch angeordnet sind, oder mit ihrem Entstehungsdatum versehen. Detaillierte Informationen zu den Belegen können dem Quellenverzeichnis entnommen werden. Damit die Akteure an der Moschee bestmöglich anonymisiert werden, werden die Feldforschungsnotizen und Unterrichtsmaterialien nicht öffentlich gemacht. Aus diesem Grunde wird insbesondere in deskriptiven Passagen darauf verzichtet, Einzelinformationen mit Verweisen auf die jeweiligen Feldforschungsnotizen zu versehen, was den Text aufgrund der Klammerzitation nur unnötig erschweren würde. Zu Beginn der betroffenen Passagen wird jedoch darauf hingewiesen, dass die nicht anderweitig mit Belegen versehenen Informationen auf der Auswertung von Feldforschungsnotizen beruhen. Direkte und indirekte Zitate, längere Szenenbeschreibungen sowie Informationen aus den Feldforschungsnotizen oder Unterrichtsmaterialien, die für eine detaillierte Analyse verwendet werden, werden jedoch mit den entsprechenden Belegen versehen. Sollten konkrete Nachfragen entstehen, kann die Verfasserin kontaktiert und Teileinsicht in die Materialien gewährt werden.

1. Dispositiv 1.1. Forschungsstand Gegenstandsbezogener Forschungsstand Die Große Moschee von Paris ist aus religions- oder islamwissenschaftlicher Perspektive noch nicht untersucht worden. Aussagen über aktuelle Praktiken, Anschauungen und innerislamische Verortungen an der Moschee entbehren folglich bis heute einer fundierten wissenschaftlichen Grundlage. Wie in der Einleitung erwähnt, widmen sich Forschungsarbeiten oftmals Gruppierungen, die in öffentlichen Debatten als radikal oder gefährlich gehandelt werden. So sind in Frankreich bereits mehrere Arbeiten zur immer wieder negativ konnotierten Union des Organisations Islamiques de France (UOIF) verfasst worden;1 in den letzten Jahren mehrten sich zudem vor allem Studien zu den sogenannten salafistischen Strömungen der Gegenwart und ihrer Implementierung im französischen Kontext.2 Dieses Profil der Forschungslandschaft ist nicht zuletzt den allgemeinen Bedingungen geschuldet, die die Wissensproduktion über den Islam in Frankreich steuern: Religionswissenschaftlich arbeitende Islamforschung ist 1 Der 1983 gegründeten Union des organisations islamiques en France (UOIF) wird von verschiedenen Akteuren immer wieder Kooperation mit den Muslimbrüdern vorgeworfen (vgl. hierzu Peter 2010: 145, 150 f., 153). Zu Geschichte und Ausrichtung der UOIF haben z. B. Marongiu (2002) und Ternisien (2002) gearbeitet. Die französische Essayistin Venner hat eine Monographie über die UOIF verfasst (2005). Sie bespricht darin vor allem die Verbindungen der UOIF-Anhänger zu den Muslimbrüdern, spekuliert über die Konsequenzen eines potentiell wachsenden Einflusses der UOIF im Muslimrat Conseil franÅais du culte musulman (CFCM) und bettet die Diskussion um verdeckte versus öffentliche Diskurspositionen von UOIF-Anhängern in die Perspektive eines potentiellen Kräftemessens letzterer mit den Werten der französischen Republik ein. Auf diese Weise bleibt sie einer sicherheitspolitischen Perspektivik verhaftet. Im deutschsprachigen Raum trägt Frank Peter maßgeblich zur Wissensproduktion über die UOIF bei. Seine Arbeiten gehen über den integrations- und sicherheitspolitischen Fokus der genannten Studien hinaus: In verschiedenen Artikeln (Peter 2006a/z. T. b/c, 2010) sowie einer derzeit entstehenden längeren Abhandlung) überwindet Peter die übliche Fixierung auf Öffentlichkeitsdiskurse und durchdenkt aus soziologisch-anthropologischem Blickwinkel Praktiken wie Einstellungen einer breiteren Auswahl an Akteuren der UOIF und vor allem ihr Verhältnis zu Säkularisierungstheoremen. 2 Vgl. z. B. Rougier 2008a/b; Amghar 2011; Adraoui 2013. Die Arbeiten versuchen jeweils, salafistische Bewegungen in ihrer Entstehung, Verbreitungsgeschichte und aktuellen Erscheinungsform als globales Phänomen zu fassen, das sich in unterschiedlichen Kontexten verschiedentlich manifestiert. Die jeweiligen Kapitel zum französischen Kontext stellen die soziokulturelle Verankerung, Identitätsmerkmale, sowie das Verhältnis zur französischen Lebensumwelt und zu anderen islamischen Strömungen heraus.

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an französischen Universitäten nicht institutionalisiert3 und die gegenwartsbezogenen Arbeiten zum Islam sind hauptsächlich in der Politikwissenschaft (z. B. Roy 1995, 2002a/b, 2005; Kepel 1991, 1994, 2003a/b, 2012; Lamchichi 1999, 2006) und seltener in der Soziologie angesiedelt (z. B. Khosrokhavar 1995, 2002, 2004, 2006). Zudem existiert eine regelmäßige Kooperation zwischen Regierungseinrichtungen und wissenschaftlichen Islamexperten: Letztere werden von politischen Akteuren häufig zur Durchführung von islambezogenen Studien und zur Abfassung von Berichten angefragt; mit ihrer Expertise beeinflussen sie die staatliche Islampolitik deutlich direkter als dies in Nachbarländern wie z. B. Deutschland der Fall ist.4 Politische Eliten, die wissenschaftliche Studien anfordern oder selbst zeitgleich akademische Funktionen ausüben,5 haben natürlich ein hohes Interesse an sicherheitspolitisch relevanten Konstellationen und richten so ihren Fokus auf Institutio3 Eine Ausnahme bilden die Ecole pratique des hautes tudes (EPHE) und die Ecole des hautes tudes en sciences sociales (EHESS) in Paris, an denen man ab dem Master-Niveau eine religionswissenschaftliche Ausbildung wählen kann, die beide Hochschulen in Kooperation miteinander anbieten (www EPHE/Sciences religieuses/Master); an diesen Einrichtungen entstehen auch Promotionsarbeiten zum Islam im Frankreich der Gegenwart. 4 Ein prominentes Beispiels hierfür ist die Commission Stasi, die im Juli 2003 von Präsident Jacques Chirac zu dem Zweck einberufen worden war, eine Bestandsaufnahme aller gesellschaftlichen Felder vorzunehmen, in denen der Islam aktuell in Konflikt mit dem französischen Recht und den laizistischen Prinzipien gerät; einige zum Islam arbeitende Universitätsprofessoren waren Mitglied dieser Kommission (z. B. Gilles Kepel, Mohammed Arkoun oder die Philosophen Henri Pena-Ruiz und R gis Debray) (Stasi 2004). Darüber hinaus hat das staatliche Institut national des hautes tudes de s curit in der Vergangenheit mehrfach Wissenschaftler oder Sozialarbeiter für das Verfassen von Studien zum Islam in öffentlichen Schulen, zu islamischen Predigern in den französischen Banlieues, zum Inhalt der Predigten dieser Imame oder zum Einfluss Tariq Ramadans auf die Jugendlichen angefordert (Geisser 2007: 33); des Weiteren finanzieren die Direction des affaires strat giques (DAS) beim Verteidigungsministerium und das Centre d’analyse et de pr vision (CAP) am Außenministerium regelmäßig Berichte über den Islam. Vor allem das im Innenministerium angesiedelte Bureau central des cultes (BCC) arbeitet regelmäßig und eng mit Politologen und Islamexperten aus Universitäten zusammen (Geisser 2007: 33). Das an der EHESS angesiedelte Institut d’ tudes de l’islam et des soci t s du monde musulman (IISMM) wurde im Jahre 1999 gar auf die Initiative des damaligen Innenministers Jean-Pierre Chev nement gegründet, um die wissenschaftliche Islamforschung in Frankreich zu revitalisieren (Geisser 2007: 32). Jüngst, im April 2017, hat das BCC in Kooperation mit dem Minist re de l’ ducation nationale, de l’enseignement sup rieur et de la recherche Forschungsprojekte zum Islam in Frankreich ausgeschrieben. Gesucht werden Wissenschaftler, die zu ausgewählten Themengebieten wie z. B. Islam im Alltag der Muslime in Frankreich, Sufismus in Frankreich, Engagement von Frauen für den Islam in Frankreich oder subsaharischer Islam in Frankreich eine Forschung durchführen und hierfür vom Staat bezahlt werden (vgl. www Appels projets de recherche 2017). 5 Die oben beschriebene Konstellation hat zur Folge, dass Wissenschaftler wie Gilles Kepel u. a. immer wieder auch mit politischen Funktionen betraut werden. Darüber hinaus betätigen sich jedoch auch Akteure, die in erster Linie für die Regierung arbeiten, immer wieder im Felde der wissenschaftlichen Wissensproduktion zum Islam in Frankreich. Beispiele sind Alain Boyer oder Bernard Godard, die neben ihrer Funktion als Berater für das BCC gut dokumentierte Studien zum Islam in Frankreich veröffentlichen (z. B. Boyer 1992, 1998; Godard 2007, Neuauflage 2009, 2015).

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nalisierungsprozesse von bestimmten muslimischen Vereinen oder Bewegungen. Der Forschungsstand zur GMP spiegelt diese Gegebenheit wider: Der jüngeren Geschichte der Moschee sowie ihres frankreichweiten Netzwerks (vgl. Exkurs) ist deutlich weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden als der UOIF, allgemein den Muslimbrüdern oder den sogenannten Salafisten in Frankreich. Die wenigen Monographien, Artikel oder Buchteile, die der GMP gewidmet wurden, behandeln zudem hauptsächlich die politischen Motivationen für ihren Bau in den 1920er Jahren, Eckdaten ihrer historischen Entwicklung, ihre Bedeutung für französische und algerisch-staatliche Interessen oder ihre Stellung im 2003 gegründeten Muslimrat Conseil FranÅais du Culte Musulman (CFCM) bzw. allgemein innerhalb des Feldes Islam in Frankreich. Einordnungen und Analysen zum an der GMP gelehrten Islam stehen hingegen nicht im Zentrum des Interesses dieser Arbeiten. Zur Gründungsgeschichte der Moschee haben innerhalb Frankreichs in geringerem Umfang Kepel (1990) und insbesondere Arkoun (2006) und Atouf (2006) geschrieben. Sie haben unter anderem die machtpolitischen Konstellationen beleuchtet, die mit dem Bau der Moschee (v. a. Arkoun) sowie ihrem Betrieb (v. a. Atouf) einhergingen. Einen sehr ausführlichen Überblick über die Entstehung und historische Entwicklung der GMP bis zum Beginn der 1990er Jahre hat Alain Boyer, Jurist, Historiker sowie ehemaliger Berater im Bureau Central des cultes (BCC), erarbeitet. In seiner Monographie (1992) bietet er viele Sachinformationen zur Gründung, zur Finanzierung, zum juristischen Status und zur Involvierung der Moschee in islampolitische Tätigkeitsfelder. Darüber hinaus diskutiert er die komplexen politischen Motivlagen, die die Entwicklung der Institution im Laufe der Jahrzehnte beeinflusst haben. Seine Darstellung stellt weniger eine analytische Abhandlung denn eine sachlich orientierte Zusammentragung von Fakten dar, innerhalb derer der Status der GMP als für Frankreich zentrale oder als einen „traditionellen“ Islam vertretende Institution jedoch stillschweigend vorausgesetzt wird. An der Pariser Ecole Pratique des Hautes Etudes (EPHE) verteidigte Dorra Mameri Chaambi 2017 ihre Doktorarbeit zur Geschichte der Großen Moschee von Paris unter dem Titel Croyances, connivences et divergences, l’Islam de France travers les diff rents faisceaux d’influence la Grande Mosqu e de Paris. Aufgrund ihres Umfangs und zugrunde liegenden Archivmaterials verspricht diese Studie weitere wichtige Einsichten in die historische Entwicklung und Funktionsweise der Institution. Gilles Kepels Les banlieues de l’Islam (1987) enthält eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Großen Moschee von Paris bis in die 1980er Jahre. Kepel verortet die GMP dabei detailliert innerhalb eines sich vor allem seit Ende der 1970er Jahre wandelnden Feldes islamischer Akteure in Frankreich und liefert wertvolle Informationen zur Auseinandersetzung der GMP mit diesen Akteuren. Zur jüngeren Moscheegeschichte sowie zu aktuellen Konstellationen liefern

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Sylvie Taussig und Bernard Godard, der bis 2014 ebenfalls als Politikberater im Bureau central des cultes arbeitete (2007, Neuauflage 2009, sowie Godard 2015), weitere wertvolle Informationen. In diesen Überblickswerken über muslimische Vereine und Gruppierungen in Frankreich besprechen die Autoren Tätigkeitsfelder der GMP sowie ihre Bedeutung innerhalb des Institutionalisierungsprozesses islamischer Belange und stellen sie der Rolle und der Ausrichtung anderer muslimischer Akteure in Frankreich gegenüber. Wie Alain Boyer stellt auch Bernard Godard der Öffentlichkeit mit diesen Büchern Einschätzungen zur Verfügung, die seinen ehemaligen Tätigkeiten für das französische Innenministerium entspringen und teils auf internen Informationen beruhen, die Wissenschaftlern nur schwerlich zugänglich sein dürften. Während der Schwerpunkt dabei auf den politischen Strategien der GMP liegt, wird der an der Institution vertretene Islam auch hier nicht genauer analysiert, sondern am Rande in der Formel der Repräsentantin eines „traditionellen Islam“, des Islam des Herkunftslandes Algerien festgehalten (vgl. Godard 2007: 43). Auch in seinem neuesten Buch aus dem Jahre 2015 stellt Godard lediglich in einem Nebenkommentar fest: „Sur le plan religieux, pourtant, l’attachement un islam traditionnel alg rien subsiste“ (Godard 2015: 294). Eine sehr detaillierte Informationsplattform bietet in Ergänzung zu den genannten, politisch orientierten Überblickswerken der Blog des Gymnasiallehrers Michel Renard, auf dem umfangreiche Auskünfte zu Bauprojekt, Realisierung, Ausstattung und politischer Debatte um die Große Moschee von Paris bis in die 1960er Jahre bereitgestellt und durch einschlägige Beiträge und Kommentare diverser Autoren ergänzt werden (www Renard, Islam en France). Detaillierte wissenschaftlich-historische Studien zur Entwicklung der französischen Islampolitik seit Ende des 19. Jahrhunderts haben Sadek Sellam (2006) und auf der Basis akribischer Analysen von Archivmaterialien auch Mohammed Telhine (2011) verfasst. Im Rahmen der genannten Studien analysieren sie auch die Bedeutung und die politischen Strategien der GMP, dies nachvollziehbarerweise aus einem teils kritischeren Blickwinkel auf die französisch-staatliche Politik heraus als es durch ehemals politische Akteure wie Boyer oder Godard geschieht. Zusätzliche Informationen zur Einbindung der GMP in den Institutionalisierungsprozess des Islam in Frankreich oder zum politischen Taktieren der Moscheeleitung innerhalb von religionspolitischen Entscheidungsprozessen finden sich auch in den jeweiligen Dissertationen von Constanze von Krosigk zur französischen Islampolitik von 1974–1999 (2000) und von Andreas Pesch zum Kopftuchverbot in Frankreich (2011). Beide analysieren in ihren Arbeiten jedoch islampolitische Entwicklungen im Allgemeinen und fokussieren in diesem Zusammenhang lediglich die Führungsriege der GMP und ihre Interessen. Schließlich existiert eine der GMP eigens gewidmete Monographie von Salah Alouani (2012), Historiker und Spezialist für die Verwaltung des bau-

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kulturellen Erbes, in der er die Geschichte, die Tätigkeitsfelder und die politische Bedeutung der Institution nachzeichnet. Alouani nimmt jedoch erstaunlicherweise lediglich die Vorarbeiten von Alain Boyer wahr6 und ignoriert die neueren und detaillierten Analysen von Telhine, Sellam oder Godard/ Taussig. Mit seinem expliziten Ziel, die Rolle der GMP aufzuwerten (Alouani 2012: 10) und sie als Repräsentantin der islamischen Kultur zu revitalisieren (ebd.: 9), ist die Arbeit von Alouani zudem stark ideologisch ausgerichtet und kann hier nicht als wissenschaftlich brauchbare Informationsquelle angesehen werden. Zwei amerikanische Autoren haben die Geschichte der Moschee mit einer im Vergleich zu den bisher genannten französischsprachigen Arbeiten aus einer ganz anderen Perspektive heraus analysiert: Die Historikerin Naomi Davidson (2007, 2009, 2012) und der Literaturwissenschaftler, Schriftsteller sowie Said-Schüler Mustafa Bayoumi (2000) besprechen unter Berücksichtigung postkolonialer Fragestellungen die Konzeptualisierungen von Islam, die dem Bau der GMP zugrunde liegen und fragen folglich nach den machtpolitischen Konnotationen und Auswirkungen, die mit diesen Konzepten verbunden waren. Während sich der Aufsatz Bayoumis auf die Kolonialzeit beschränkt und die Bedeutung kolonialgeschichtlich verankerter Diskurspositionen für den Aufbau der GMP erörtert, analysiert Davidson in ihrer Dissertation Repräsentationsformen des Islam an der GMP zwischen 1916 und 1982. Auch Davidson beschränkt sich in ihren Darstellungen auf französische Politiker und die Führungsriege an der GMP und streift muslimische Perspektiven außerhalb dieser Akteursgruppen nur am Rande. Dennoch geht sie über die Analysen der genannten französischen Autoren hinaus, indem sie konsequent nach den politischen Implikationen fragt, die an die staatlichoffiziellen Konzepte, Repräsentations- und Inszenierungsweisen eines Islam geknüpft sind, der an der GMP vertreten werden sollte. Zwei weitere Autoren produzieren Informationen über Repräsentationsweisen des Islam in Frankreich, binden dabei jedoch nur punktuell die Rolle der GMP und eine postkoloniale Frageperspektivik ein: Der Historiker und Journalist Thomas Deltombe hat die Darstellung islamischer Strömungen in den französischen Medien von 1975–2005 aufgearbeitet (2005, Neuauflage 2007) und in diesem Zusammenhang stellenweise auch die Funktion analysiert, die die Repräsentation der GMP als „moderate Bastion“ gegen den Islamismus für politische Interessen und in medialen Inszenierungsmodi einnehme (Deltombe 2007: z. B. 40–42, 82, 215 f.). Der Soziologe und Politologe Vincent Geisser sowie der Journalist Aziz Zemouri postulieren hingegen in Marianne et Allah. Les politiques franÅais face la question musulmane (2007), dass koloniale Argumentationsmuster auch in französisch-politischen Entscheidungsprozessen seit den 1990er Jahren wirksam seien. In verschie6 Alouani behauptet eingangs, die einzige existierende Arbeit zur GMP sei die Studie von Boyer (1992) (Alouani 2012: 7).

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denen Kapiteln zur nationalen, regionalen und schließlich lokalen Islamverwaltung in Frankreich zeigen sie, dass die GMP auch in der rezenteren Geschichte immer wieder als Kristallisationsfläche fungiert hat, auf der neokoloniale Einstellungen seitens französischer Politiker sowie seitens der Moscheeleitung regional und national reproduziert werden (Geisser 2007: 35–38, 52–55, 65 f., 99, 246–249). Die Darstellung der GMP als Institution, die französischen Autoritäten auch aktuell noch als zentrale Anlaufstelle zur Durchsetzung neokolonial gefärbter Verwaltungsakte diene und die ferner den kolonialen Diskurs der Regierung bewusst reproduziere (ebd.), scheint jedoch manchmal polemischer Natur (z. B. Geisser 2007: 35, 66) und entbehrt einer detaillierten Analyse der islambezogenen Argumentationen und auch der Konzeptionen Dalil Boubakeurs oder weiterer Akteure an der GMP. Schließlich gibt es wenige kleinere Arbeiten, im Zuge derer ethnographische Daten über Akteure an der GMP produziert worden sind. So hat Mohammed Telhine einen Artikel über die geographische und soziokulturelle Herkunft von Konvertiten verfasst, die die GMP aufgesucht haben, um dort Muslime zu werden (Telhine 1991); in der populärwissenschaftlichen Monographie Paris, capitale arabe zeigt der Journalist Nicolas Beau die Herkunft des Boubakeurschen Clans in Algerien sowie das soziale und politisch machtvolle Netz kabylischer Muslime in Paris auf (Beau 1995). Schließlich hat der muslimische Theologe Mohsen Ismail für seine unveröffentlichte Studie Typologie des khutbas du vendredi: tude sur les imams (2003) einzelne Informationen über Islamkurse an der GMP erhoben, die Abhängigkeit regional tätiger Imame von der Moschee beschrieben sowie kurze Einblicke in die Themen der Freitagspredigten an der Einrichtung gegeben (GL Typologie Mohsen). Zuletzt ist zu erwähnen, dass die GMP in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand nichtwissenschaftlicher Bearbeitungen in Film und Literatur geworden ist. Dabei wird insbesondere die Zeit des Zweiten Weltkriegs dargestellt, in der die Moscheeleitung nach eigenen Angaben zahlreiche Juden versteckt und so vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewahrt habe. 2009 haben Karen Gray Ruelle und Deborah Durland DeSaix ein Kinderbuch mit dem Titel The Grand Mosque of Paris. A Story of How Muslims Rescued Jews During the Holocaust veröffentlicht, das diese Thematik behandelt.7 Zugleich hat der marokkanische Regisseur Isma l Ferroukhi an der GMP den Spielfilm Les Hommes Libres (erschienen im Jahr 2011) gedreht. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Algeriers, der während des Zweiten Weltkriegs von der französischen Polizei dazu aufgefordert wird, den damaligen Moscheerektor Si Kaddour Ben Ghabrit auf das Verstecken oder das Verschaffen falscher Papiere für Juden hin auszuspionieren. Beide Werke basieren teils auf historischen Konstellationen, reproduzieren jedoch zugleich eine bisher nicht belegbare Legendenbildung über den behaupteten Schutz der 7 Das Buch wurde 2010 ins Französische übersetzt.

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GMP für jüdische Mitbürger. Sie bestätigen damit ein Narrativ, dass zur rhetorischen Stützung der großen Bedeutung beiträgt, die der GMP in Frankreich schon allein historisch zukommt (vgl. Kapitel 2.3.1.). Die aufgelisteten Forschungsarbeiten und Informationsplattformen zur GMP stellen für diese Studie eine wichtige Quellenbasis dar, auf die immer wieder rekurriert und die insbesondere dann aufgegriffen wird, wenn sie zum hiesigen Leitthema der Identitätskonstruktionen (an) der Moschee beitragen. Ziel ist es dann jedoch, durch die Einbeziehung algerisch-politischer Diskurspositionen (in Teil 3) und insbesondere durch die auf einem sechsmonatigen Feldforschungsaufenthalt beruhende Analyse des an die Moschee angegliederten Imamausbildungsinstituts Al-Ghazali inhaltliches Neuland zu betreten. Indem die Stundenpläne, Referenzwerke und islamischen Auslegungen am Institut detailliert dargestellt werden, können nun erstmals fundierte Aussagen zur innerislamischen Verortung von Akteuren an der GMP getroffen werden. Wissenschaftstheoretische Verortung Diese Studie ist im Gepräge der komplexen intellektuellen und globalgeschichtlichen Entwicklungen insbesondere der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verorten, durch die einigen vormals breit anerkannten wissenschaftstheoretischen Positionen ihre Relevanz und Aussagekraft entzogen wurde. Ihre Ausrichtung erhält diese Arbeit konkret durch die Prämissen des linguistic turn, der spätestens seit den 1970er Jahren Einzug in die deutschen Geistes- und schließlich in die Sozialwissenschaften hielt und trotz zunächst vehementer Ablehnung insbesondere in der Geschichtswissenschaft schließlich eine Mehrheit der Forscher von der Position überzeugte, nicht mehr die Wirklichkeit selbst, sondern lediglich ihre sprachliche Konstitution könne erforscht werden (vgl. z. B. Sarasin 2003: 10–60). So verbreiteten die Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann Mitte der 1960er Jahre ihre Auffassung vom sozialen Konstruktivismus, infolge dessen die soziale Wirklichkeit als durch das Handeln der Menschen hervorgebracht verstanden wurde (Schulze 2007: 45). Die Sozialanthropologie der 1970er Jahre fokussierte zunehmend die Analyse von Sinnzusprechungen an die Wirklichkeit anstelle der Wirklichkeit selbst (ebd.). Hayden White brachte ähnliche Forderungen mit seinem erstmals 1973 erschienenen Titel Metahistory in die Geschichtswissenschaft ein, indem er die Rekonstruktion von Fakten als Illusion bezeichnete und den – von literarisch routinisierten Formen konstituierten – interpretatorisch erzählenden Charakter jeder historiographischen Rekonstruktion herausstellte (White 1973). Darüber hinaus rüttelte die Theoretisierung des Verhältnisses von Sprache und Wirklichkeit durch die französischen Denker des Poststrukturalismus in den 1960er und 1970er Jahren in ähnlicher Weise am Hegemonieanspruch und Machtgefüge europäischer Denk- und Wissenstraditionen wie es die ursprünglich in Großbri-

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tannien beheimateten Cultural Studies la Stuart Hall oder Paul Gilroy taten. Mit einer nicht-essentialisierenden Fokussierung auf die Partikularitäten kultureller Konstellationen und auf ihre Mechanismen der Machtverteidigung oder -Infragestellung hatten letztere die Sozialwissenschaften in England nachhaltig verändert (vgl. Bastenier 2010: 51 f.). Die Kritik an europäischen Machtansprüchen, die an den europäischen Universitäten aufkam, ging mit der oft neo-marxistisch inspirierten Problematisierung von Diskursen über Rasse, Klasse, Ethnie, Kultur und Sprache durch die intellektuellen Aktivisten einher, die in zahlreichen Ländern der Erde gegen die Kolonialherrschaft kämpften (Castro Varela/Dhawan 2005: 25). Diese Gleichzeitigkeit bildete unter anderem den Boden für ein Konglomerat aus Denkansätzen und epistemologischen, theoretischen sowie methodologischen Forderungen, die sich in den 1980er Jahren weiter entwickelt und zunächst in den USA, später aber auch in Lateinamerika und Indien etabliert haben: die sogenannten postcolonial studies. Ihre Vertreter rekurrieren häufig auf sprach- und diskurstheoretische Positionen von Foucault, Derrida oder Lacan (ebd.: 25). Besonders nicht-europäische Autoren sind zudem von neo-marxistischen Ideologien in der Deutungslinie von Antonio Gramsci geprägt (Chakrabarty 2010: 24). Die wichtigste Konstante dieses heterogenen Ensembles kann wohl in der Forderung nach Kritik an und Dekonstruktion von bestehenden Machtstrukturen, insbesondere in kolonialen Erzählungen und Repräsentationsformen, gesehen werden. In Frankreich wurden die prominentesten Vertreter der postcolonial studies mit großer zeitlicher Verzögerung übersetzt und rezipiert.8 Die theoretischen Implikationen von Foucault, Derrida oder Lacan wurden ausgerechnet hier, im Herkunftsland der Autoren, lange Zeit nicht für eine kritische Betrachtung kolonialer Denkmuster herangezogen, und auch heute noch stößt diese im anglophonen Raum verbreitete Rezeption vielfach auf Ablehnung (vgl. Bayart 2010: 20–39). Al-Douri sieht den Grund in der Ausklammerung der kolonialen Unterdrückung aus der Thematisierung französischer Identität: Der Unabhängigkeitskrieg in Algerien von 1954–1962, der der Kolonialisierung des Landes ein offizielles Ende setzte, ist – anders als der Erste und der Zweite Weltkrieg – nicht in die Erzählung französisch-nationaler Geschichte integriert worden (Manceron 2011: 20; Al-Douri 2011: 8). Für die französischen Beteiligten, die gewaltsam gegen algerische Aufständische und Zivilisten vorgegangen waren, wurde in Frankreich eine generelle Amnestie ausgesprochen; die Kolonialvergangenheit und insbesondere die Thematisierung französischer Schuld in Algerien seien zum Tabu erhoben worden (Manceron 8 Gayatri Spivaks Can the Subaltern Speak (1988) wurde erst 2006 auf Französisch publiziert, Homi Bhabhas The Location of Culture (1994) im Jahre 2007. Laetitia Zechini verweist darauf, dass noch kein Werk des britischen Theoretikers Robert Young zum Postkolonialismus ins Französische übersetzt worden ist, ebensowenig wie das in diesem Bereich grundlegende The Empire Writes Back (1989) von Bill Ashcroft (Zechini 2011: 6).

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2003: 13 f.). An dieser Nicht-Sagbarkeit im französischen öffentlichen Raum schließlich ist, so Al-Douri, eine Rezeption der postcolonial studies in Frankreich bis weit in die 2000er Jahre hinein gescheitert (ebd.). Die Ablehnung der anglophonen Ansätze wurde von Kritikern zudem mit dem Argument untermauert, es handele sich um eine Theoriebildung, die dem Modell des Multikulturalismus und der ethnischen wie religiösen Vielfalt entsprungen sei (Al-Douri 2011: 9; Zecchini 2011: 5). Der französische Kontext hingegen sei durch einen republikanischen Universalismus geprägt, der nur citoyens franÅais anerkenne und auf Grundlage des Laizitätsprinzips jede Form der ethnischen, religiösen oder kulturellen Sonderbehandlung verbiete (AlDouri 2011: 9). Eine postkoloniale Kritik an kolonialgeschichtlich verankerten Machtstrukturen, die entlang rassischer, ethnischer oder kultureller Kategorien verlaufen, wurde folglich in Bezug auf die französische Gesellschaft als unangemessen wahrgenommen. Erst als verschiedene Migranten- und linksgerichtete Organisationen im Januar 2005 in einem gemeinsamen Appell bekundeten, die französische Politik stelle in vielerlei Hinsicht eine Fortsetzung kolonialer Verwaltungsstrukturen dar (www Indig nes de la R publique);9 als im Februar 2005 ein höchst umstrittenes Gesetz verabschiedet wurde, das unter anderem Lehrpersonen vorschrieb, die positiven Auswirkungen der französischen Kolonialvergangenheit auf die ehemaligen Kolonien zu unterrichten;10 und als schließlich Ende desselben Jahres gewaltsame Konflikte in den französischen Banlieues statt fanden,11 wurden Kontinuitäten der französischen Kolonialpolitik und aktueller Verwaltungsstrukturen stärker auch öffentlich diskutiert. Mit der Veröffentlichung des Sammelbandes La fracture coloniale. La soci t franÅaise au prisme de l’h ritage colonial markierten die Autoren der Forschungsgruppe Association pour la Connaissance de l’Histoire de l’Afrique Contemporaine (ACHAC) im Jahre 2005 zudem einen Wende9 Der schriftlich veröffentlichte Appel des indig nes de la R publique pour la tenue d’assises de l’anticolonialisme (www Indig nes de la R publique) bildete den Ausgangspunkt für eine politische Bewegung, die im selben Jahr einen Verein gründete und 2010 zu einer politischen Partei wurde. Sie richtet sich vor allem gegen eine rassistisch, religiös oder ethnisch begründete Diskriminierung in Frankreich, deren Ursprünge sie in der französischen Kolonialgeschichte sieht. 10 Das Gesetz vom 23. Februar 2005 gebot die Aufwertung der französischen Kombattanten in Algerien und schlug vor, dass Schulbücher die positiven Auswirkungen des französischen Kolonialismus auf die Kolonien erwähnen und vor allem den Einsatz der französischen Akteure in den Kolonien als lobenswert herausstellen sollten (Art. 4–2). Claude Liauzu und Gilles Manceron haben der Bedeutung dieses Gesetzes, seiner Entstehung sowie der Debatten, die es ausgelöst hat, mit La Colonisation, la loi et l’histoire (2006) eine eigene Studie gewidmet. 11 Nachdem zwei Jugendliche Delinquenten sich auf ihrer Flucht vor der Polizei in einem Transformator versteckt hatten und dort durch einen Elektroschock gestorben waren, kam es zu Unruhen, im Zuge derer in mehreren französischen Städten von einzelnen Migranten in den Banlieues Autos angezündet wurden. Der französische Staat verhängte damals zum ersten Mal nach dem algerischen Unabhängigkeitskrieg den Ausnahmezustand (Al Douri 2011: 14; Born/ Scheibling 2011: 176).

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punkt wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der Kolonialvergangenheit,12 den Al-Douri wie folgt beschreibt: D’abord un „renversement dialectique“ (Blanchard, Bancel, 2006, p.11) qui consiste tudier les effets de la colonisation non seulement dans l’ex-empire mais aussi dans l’ex- m tropole, tudier non seulement l’empire colonis mais aussi „la France colonis e par son empire“ (ibid., p.11). L’autre rupture est une „transgression chronologique“ qui vise „relativiser la ,coupure radicale‘ entre p riode coloniale et postcoloniale en m tropole“ (ibid., p.11) (Al-Douri 2011: 16).

Seit der Veröffentlichung dieses Bandes sind in Frankreich zahlreiche weitere Artikel erschienen, die sich mit der Prägekraft kolonialgeschichtlicher Konstellationen für die aktuelle Gesellschaft beschäftigen.13 Größtenteils handelt es sich um historische oder politologische Studien, die nach einer Interpretation gesellschaftspolitischer Phänomene in Frankreich suchen. Zu einem Ort, an dem neue postkoloniale Theorieimpulse entwickelt werden, sind die französischen Universitäten im Unterschied zu ihren anglophonen Pendants bisher nicht avanciert. Die deutschsprachige religionswissenschaftliche Forschung, zu der diese Studie einen Beitrag leisten möchte, blieb von den eingangs beschriebenen Transformationen wissenschaftstheoretischer Paradigma ebenfalls nicht unbeeinflusst. In den 1980er Jahren hatte sich die Forderung nach einer empirisch arbeitenden Disziplin Gehör verschafft, die nicht den Kern des Religiösen zu erfassen sucht, sondern vielmehr die historische Konstitution und Wandelbarkeit inhaltlicher Bestimmungen von Religion, ihrer Symbolsysteme und institutionellen Ausdrucksformen analysiert.14 Dass personale und kollektive Identitätsbildungen als konstruiert, fragmentarisch, fluide und als im Kommunikationsprozess mit anderen Akteuren konstituiert zu verstehen sind (z. B. Knoblauch 2009; Lüddeckens/Walthert 2010),15 gehört heute ebenso zu 12 Dass von einem Wendepunkt in der Beschäftigung mit der Kolonialvergangenheit die Rede ist, macht deutlich, dass es natürlich auch zuvor schon eine französische Kritik am Kolonialismus gab; Bayart verweist beispielsweise auf die zur Zeit des Kolonialismus schreibenden C saire (1950), Memmi (1957) oder auf Fanon (1952/61). 13 Al-Douri nennt z. B.: La question postcoloniale (2006); Pour comprendre la pens e postcoloniale (2006); Faut-il Þtre postcolonial (2006), Contretemps, Postcolonialisme et immigration (2006); Multitudes, dossier Postcolonial et politique de l’histoire (2006) und La situation postcoloniale (2007). 14 Die wissenschaftstheoretischen Perspektivverschiebungen zogen jedoch nicht nur methodologische sondern auch objektbezogene Rekonfigurierungen innerhalb der Religionswissenschaft nach sich. Sie provozierten vor allem die Herauslösung der Untersuchungsbereiche „europäische Religionsgeschichte“ und „gegenwartsbezogene religiöse Konstellationen“ aus dem Hoheitsbereich christlicher Theologie und verliehen ihnen eine perspektivische und inhaltliche Erweiterung (Gladigow 1995; Kippenberg/Rüpke/Stuckrad 2009; Knoblauch 2003). 15 Letzteres zog sowohl neue theoretische und methodologische Ansätze zur Analyse solcher Austauschprozesse und der sie durchziehenden Machtstrukturen als auch veränderte Beschreibungskategorien nach sich, die auf die Nutzbarmachung und Kombination als religiös

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den konsensfähigen Positionen wie die Notwendigkeit, sich mit der Eurozentrik europäisch-religionswissenschaftlicher Analysekategorien inklusive des Religionsbegriffes selbst auseinanderzusetzen (z. B. Stietencron 1993; Ahn 1997).16 In die vielfältigen historisch-philologischen, soziologischen oder kulturwissenschaftlichen Ansätze werden zudem immer wieder auch diskurswissenschaftliche Forderungen integriert (z. B. Kippenberg 1983; Kippenberg/Stuckrad 2003; Stuckrad 2003; Luchesi/Stuckrad 2004; Bergunder 2001, 2010a/b, 2011; Schrode 2012; Rakow 2014). Wie in der Einleitung erwähnt sind die Anliegen der anglophonen jedoch in Forschungsarbeiten der deutschsprachigen Religionswissenschaft bisher eher selten rezipiert worden und wenn, dann vornehmlich in Studien von Forschern an der Schnittstelle der Religions- und Missionswissenschaft zum indischen Kontext (Bergunder 2004, 2008, 2010a/b, 2012, 2013; Schröder 2009, 2012; Nehring 2008). Die vorliegende Arbeit baut also auf geläufige wissenschaftstheoretische Positionen auf und strebt zugleich eine stärkere Integration postkolonialpoststrukturalistischer Theoriebildung in die religionswissenschaftliche Islamforschung an. Aufgrund der Diversität an Forschungsansätzen, die sich in den letzten Jahrzehnten im Fahrwasser des linguistic oder cultural turn herausgebildet haben und ferner angesichts der Heterogenität an Perspektiven, die heute unter dem Sammelbegriff der postkolonialen Studien zusammengefasst werden, wird im Folgenden präzisiert, welche theoretischen Perspektiven sich diese Arbeit zu eigen macht und weiterentwickelt.

1.2. Theoretische Überlegungen Diese Arbeit basiert auf den diskurstheoretischen Prämissen von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, wie sie im anglophonen Kontext insbesondere in der Essex School of Discourse Analysis rezipiert worden sind (Nonhoff 2007: 8). Der Ansatz von Laclau und Mouffe ist deshalb von hohem Interesse, weil er es erlaubt, die Konstitution von Bedeutung in gesellschaftlichen Zusammenhängen nachzuzeichnen, ohne dabei in essentialistische Zuschreibungen zu verfallen. Die diskursive Verfasstheit des Sozialen, wie Laclau und Mouffe sie verstehen, wird in dieser Arbeit zudem mit einer postkolonialen Perspektivik transnationaler Verflechtungsgeschichte zusammengeführt. Michael Bergunder hat bereits darauf hingewiesen, dass sich ein großes Erklärungspotential entfaltet, führt man den Ansatz von Laclau/Mouffe systematisch mit postkolonialen Überlegungen zur Aushandlung und Umkämpfung von kategorisierter Angebote durch einzelne Akteure fokussieren (z. B. Bochinger, Engelbrecht, Gebhardt (Hg.) 2005, 2009; Knoblauch z.B 1997, 2000, 2009). 16 Einige Autoren haben gar die Aufgabe des Religionsbegriffs bzw. seine Auflösung im Kulturbegriff gefordert, .z.B. Smith 1982; Sabbatucci 1988; Fitzgerald 1999.

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Identitäten zusammen (Bergunder 2010a: 23). Die Überlegungen Homi Bhabhas zur Fixierung von Identitäten beispielsweise seien zwar viel weniger ausgereift als das Laclausche Konzept des leeren Signifikanten, könnten letzteres jedoch durch ihren Fokus auf das Umkämpftsein und kreative Aushandeln insbesondere kolonialer Bedeutungsfixierungen entscheidend voran bringen (ebd.). Die vorliegende Studie zeigt nun ein ähnliches Potential mit Bezug auf die Analyse von Verflechtungsgeschichten auf. Die postkolonialen und auch in der deutschsprachigen Religionswissenschaft immer lauter werdenden Forderungen, man möge Konzepte, Identitätspositionen oder allgemein historische Ereignisse als Produkte transnationaler Verflechtungsgeschichten deuten, bleiben bisweilen ähnlich vage wie die Überlegungen Bhabhas und anderer postkolonialer Autoren. Das Konzept der entangled histories, das Shalini Randeria sowie Frederick Cooper und Ann Laura Stoler seit Ende der 1990er Jahre vorschlagen (Cooper/Stoler 1997; Randeria 1999), enthält so letztlich keine konkrete Bestimmung dessen, was histories sind und was folglich genau miteinander „verflochten“ ist. Sven Bretfeld hat erst vor einigen Jahren erklärt, die Auffassung von Religionen als in sich geschlossene Einheiten werde nun auch in der Religionswissenschaft immer konsequenter durch das Erzählen von Verflechtungsgeschichten ersetzt (Bretfeld 2012: 423). Bretfeld fordert, beispielsweise in der Beschreibung von Kulturkontakten zwischen buddhistisch geprägten und europäischen Kontexten stärker darauf zu fokussieren, wie „Vorstellungen“ durch verschiedene kulturelle Kontexte wandern und dabei jeweils neu adaptiert werden. Was eine Vorstellung genau ist und wie sie theoretisch und methodisch erfasst werden kann, bleibt hier im Unklaren. Selbstverständlich existieren bereits vielfache Ansätze und theoretisch reflektierte Versuche, religiöse Traditionen und Konzepte als Produkt globaler Verflechtungen zu verstehen. Katja Rakow hat beispielsweise mit ihrer Publikation Transformationen des tibetischen Buddhismus im 20. Jahrhundert eine Fallstudie vorgelegt, die eine theoretisch höchst reflektierte Analyse von globalen Austauschprozessen und Buddhismuskonzeptualisierungen enthält (Rakow 2014) und dabei an ganz andere Ansätze als die in dieser Studie rezipierten, beispielweise an den der translocative analysis nach Thomas Tweed (2006, 2011), anschließt. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch eine Kombination der diskurstheoretischen Entwürfe nach Laclau/Mouffe mit einer postkolonialen Perspektive als sinnvoller Weg vorgeschlagen, um globale Identitätsaushandlungen akkurat zu erfassen und zu beschreiben. Der leere Signifikant wird dabei als ein theoretisches Werkzeug verstanden, mit Hilfe dessen die Forderung nach dem Schreiben von transnationalen Verflechtungsgeschichten auf ausgereifte Weise reflektiert und somit methodisch wie theoretisch vorangetrieben werden kann. Konkret sind es dann letztlich die leeren Signifikanten, die in ihren historischen Verflechtungen erfasst werden. Die Verknüpfung zwischen den diskurstheoretischen Prämissen von Laclau/Mouffe

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mit insbesondere Shalini Randerias Konzept der Verflechtungsgeschichten wurde anhand des in dieser Studie bearbeiteten empirischen Materials entwickelt und erprobt. Dies wird in den Teilen 2–4 demonstriert. Im Folgenden werden nun zunächst diejenigen theoretischen Begriffe eingeführt, die für die vorliegende Studie relevant sind. In kursiver Schrift wird dabei zugleich das theoretische Vokabular markiert, das in den Analysekapiteln Verwendung findet. 1.2.1. Diskurstheorie nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe Nach Laclau/Mouffe ist die Verfasstheit des Sozialen eine diskursive Verfasstheit. Subjekte, Objekte, Praktiken und sprachliche Zeichen sind demnach nicht von Natur aus mit Bedeutung versehen. Sie stellen vielmehr Elemente dar, die erst durch die Inverhältnissetzung mit sowie die Unterscheidung von anderen Elementen zu sinnhaften Einheiten werden. Die Relationierung von Elementen geschieht in den sogenannten artikulatorischen Praktiken der am Diskurs beteiligten Akteure. Die (immer vorläufige) Struktur des Sozialen, die sich aus der Gesamtheit von Artikulationen ergibt, bezeichnen Laclau und Mouffe als Diskurs: Im Kontext dieser Diskussion bezeichnen wir als Artikulation jede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs (Laclau/Mouffe 52015 [1985]: 139).

Eine diskursive Formation konstituiert sich dann, wenn differentielle Positionen mit einer gewissen Regelmäßigkeit erzeugt werden. Die Kohärenz einer diskursiven Formation leitet sich, so hatte es in ähnlicher Weise auch Michel Foucault erklärt, nicht aus der Bezugnahme auf ein gemeinsames Objekt, der Verwendung eines ähnlichen Äußerungsstils oder dem Rekurrieren auf gleiche Begriffe oder Themen ab (vgl. Foucault 1981 [1969]: 48–60). Vielmehr ist sie durch Regelmäßigkeit in der Verstreuung gekennzeichnet; in der Verstreuung von Elementen, die spezifischen Formationsregeln und Äußerungsbedingungen unterliegen (Laclau/Mouffe 2015: 139). Eine diskursive Formation hat keine festen Grenzen und kann nur partiell und temporär Bedeutungen erzeugen (ebd.: 145 f.). Dies ist zugleich die Bedingung dafür, dass die artikulatorischen Praktiken verändernd auf die Verhältnisbestimmungen von Elementen einwirken können. Laclau/Mouffe unterscheiden weiterhin nichtartikulierte Differenzen (Elemente) von im Diskurs artikulierten Positionen (Momenten) (ebd.: 140). Es sind die Momente, die im Diskurs eine differentielle Position besetzen. Letztere werden im Folgenden als diskursive Position oder als Diskursposition bezeichnet. Ein Diskurs ist also das System der Momente. Elemente können laut Laclau/Mouffe nie endgültig

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und eindeutig in Momente überführt werden, letztere fixieren nur partiell einen Bedeutungsüberschuss, der auf der Ebene der Elemente existiert. Dass es diesen Bedeutungsüberschuss gibt, dass Elemente niemals vollständig in einem Diskurs artikuliert und fixiert werden können; dass sie also, in der Terminologie Laclau/Mouffes, flottierend sind (ebd.: 148), ist die Voraussetzung der sozialen Praxis. Zur Charakterisierung der Totalität letzterer, die ja den Diskurs konstituiert, führen Laclau/Mouffe den Begriff des Feldes der Diskursivität ein (ebd.: 146). In einer kulturwissenschaftlichen Studie wie der vorliegenden wird nun nicht die diskursive Formation als solche charakterisiert oder ein Feld der Diskursivität skizziert. Es wird jedoch angenommen, dass die für diese Arbeit zentralen Objekte wie der Islam in Frankreich bzw. Gegenstände wie die Große Moschee von Paris durch eine solche Formation und die von ihr regulierten Praktiken und Aussagen hervorgebracht werden. Die diskurstheoretischen Überlegungen von Laclau, teilweise in Zusammenarbeit mit Mouffe, basieren auf erkenntnistheoretischen Prämissen des Poststrukturalismus und auf dem Dekonstruktivismus Jacques Derridas. Der im Strukturalismus verankerte Linguist Ferdinand de Saussure hatte seinerzeit mit der Auffassung Epoche gemacht, sprachliche Zeichen seien ein willkürlicher Zusammenschluss aus einem bezeichnenden Signifikanten und einem bezeichneten Signifikat. Bedeutung erhielten Zeichen durch Differenz zu anderen sprachlichen Zeichen eines Systems und nicht durch die Repräsentation eines außersprachlichen Inhaltes. Diese Auffassung war durch Derrida weiter radikalisiert worden: Weil das Bezeichnete, das Signifikat, in der Theorie de Saussures weiterhin eine gewisse Unabhängigkeit vom Signifikanten genieße, sei die Metaphysizität des Zeichenbegriffs nicht vollständig überwunden (Derrida in Engelmann 1986: 54 f.). Konsequent sei es, die Vorstellung vom Signifikat gänzlich aufzugeben, weil es schließlich nur als Reflex des Signifikanten existiere, letztlich also Signifikant sei. Die Existenz von Außersprachlichem wird dabei nicht an sich geleugnet. Es wird lediglich die Unmöglichkeit zugespitzt, letztere außerhalb des differenziellen Zeichensystems zu erfassen und mit Bedeutung zu versehen, wie Sarasin in Anlehnung an derridasche Überlegungen erklärt: Das heißt natürlich nicht, dass die Welt nicht voller Dinge wäre, die tatsächlich geschehen – aber die Rede vom niemals außerhalb eines Systems von differentiellen Zeichen präsenten Signifikats bedeutet primär, dass es nicht möglich ist, sich in der Wahrnehmung von Wirklichkeit jenseits der Sprache beziehungsweise jenseits von Diskursen zu bewegen. Jede Form von Wirklichkeit, über die Historiker schreiben möchten – und es gibt keinen Grund, wieso sie das nicht tun sollen – ist, um es vorerst in dieser Allgemeinheit zu sagen, ohne die Repräsentationssysteme von Texten, Statistiken, visuellen Darstellungen etc. nicht fassbar, sondern bleibt immer nur durch diese nie vollständig transparenten Sprachen und Repräsentationsmedien vermittelt (Sarasin 2003: 32).

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Bei Derrida bildet sich also die Auffassung einer endlosen Kette von aufeinander verweisenden Signifikanten heraus, die lediglich in ihrer Differenzialität zu anderen Signifikanten etwas bedeuten können (Derrida in Engelmann 1986: 54 f.). Im Unterschied zur Theorie Ferdinand de Saussures ist es dabei nicht möglich, die Grenzen und folglich die Abgeschlossenheit eines sprachlichen oder sozialen Systems zu denken; ebenso verbietet sich das Setzen eines Zentrums, das Aussagen über diese Grenzen überhaupt ermöglichen würde (Laclau/Mouffe 2015: 147 f.). Auf den Bereich des Sozialen übertragen bedeutet dies, wie oben erwähnt, dass eine Gesellschaft, eine Kultur oder eine Religion weder als Systeme mit mehr oder weniger fest umsteckten Grenzen noch als Entitäten mit einem Bedeutungskern aufgefasst werden können. Umso dringlicher stellt sich die Frage, wie Sinn und Identität verhandelt werden können, was schließlich immer in Bezugnahme auf einen irgendwie gearteten Fixpunkt geschehen muss (Bergunder 2010a: 21). Während eine endgültige Fixierung von Bedeutung innerhalb des Feldes der Diskursivität nicht möglich ist, so wird innerhalb des letzteren stets danach gestrebt, Grenzen zu setzen, die das System schließen: Auch wenn das Soziale sich nicht in den intelligiblen und instituierten Formen einer Gesellschaft zu fixieren vermag, so existiert es doch nur als Anstrengung, dieses unmögliche Objekt zu konstruieren. Jedweder Diskurs konstituiert sich als Versuch, das Feld der Diskursivität zu beherrschen, das Fließen der Differenzen aufzuhalten, ein Zentrum zu konstruieren (Laclau/Mouffe 2015: 147).

In einem komplexen Prozess partizipiert eine Vielzahl von Akteuren an der Fixierung von Grenzen, am „Stoppen“ der Prozessualität und Relativität eines jeden Zeichens, das nicht per se auf einen Inhalt, sondern nur auf ein nächstes Zeichen verweisen kann; an der Festsetzung von Sinn also, die partiell, temporär und fragil ist und immer wieder aufgehoben werden kann (vgl. Laclau 2002: 69; Laclau/Mouffe 2015: 147 f.). Hierbei treten verschiedene Mechanismen hervor, die im Folgenden genauer vorgestellt werden sollen: 1. die Konstitution von Äquivalenz und Differenz, 2. die Bestimmung von leeren Signifikanten, 3. die Bildung von Antagonismen. Die Konstitution von Äquivalenz Durch die artikulatorischen Praktiken werden sprachliche Zeichen, Objekte und Handlungen innerhalb des Feldes der Diskursivität entweder als nicht zusammengehörig, als different, bestimmt, oder sie werden als äquivalent nebeneinander gestellt. Die Äquivalenz von Elementen bedeutet jedoch nicht einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der ihnen wesenhaft eigen wäre. Vielmehr kommt sie durch die gemeinsame Opposition gegen eine differente Kette an Signifikanten zustande. Laclau und Mouffe verdeutlichen diese Überlegung am Beispiel von Praktiken in einem kolonisierten Land:

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In einem kolonisierten Land wird die Präsenz der herrschenden Macht jeden Tag durch eine Reihe von Inhalten wie Unterschiede in der Kleidung, der Sprache, der Hautfarbe, bei den Sitten und Gebräuchen, evident gemacht (…). Die Differenzen heben sich einander gegenseitig auf, insofern sie etwas ihnen allen zugrundeliegendes Identisches ausdrücken. Das Problem ist, den Inhalt dieses „identischen Etwas“ zu bestimmen, das in den verschiedenen Gliedern der Äquivalenz anwesend ist. Wenn durch die Äquivalenzkette alle differentiellen objektiven Bestimmungen ihre Glieder verlieren würden, dann kann Identität nur entweder durch eine ihnen allen zugrundeliegende positive Bestimmung oder durch ihre gemeinsame Referenz auf etwas Äußeres gegeben werden. Die erste dieser Möglichkeiten ist ausgeschlossen, da eine gemeinsame positive Bestimmung ja auf direktem Weg ausgedrückt wird, ohne daß ein Äquivalenzverhältnis gebraucht wird (Laclau/Mouffe 2015: 163 f).

Auf kulturwissenschaftliche Untersuchungsbereiche angewandt bedeutet dies beispielsweise: In Frankreich ein Kopftuch zu tragen, gemischt-geschlechtlichen Sportunterricht abzulehnen und sich gegen die Trennung von Staat und Kirche auszusprechen sind artikulatorische Praktiken, deren Bezugselemente im Feld der Diskursivität dem Muslimsein oder etwa dem fundamentalistischen Muslimsein zugeschrieben werden. Die Äquivalenzsetzung, in der all diese Elemente zur Bestimmung des Muslimseins herangezogen werden, entspringt dabei nicht etwa einem positiven Kern muslimischer Identität, der diese Elemente automatisch nach sich ziehen würde. Sie kommt vielmehr durch die gemeinsame Ablehnung von Elementen zustande, die im Diskurs ebenfalls in eine Äquivalenzkette gestellt und als „Französischsein“ qualifiziert werden: zum Beispiel die Befürwortung der Geschlechtergleichheit, die Ablehnung von religiösen Praktiken im öffentlichen Schulunterricht etc. Hiermit ist bereits ein zentrales Konzept angesprochen, durch das Diskurse nach Laclau und Mouffe strukturiert werden: Muslimisch- oder Französischsein sind leere Signifikanten, was im Folgenden erläutert werden soll. Die Bestimmung von leeren Signifikanten Aus den Äquivalenzketten an Signifikanten wird, wie die obigen Erläuterungen bereits indirekt anzeigen, zumeist ein Signifikant als ein privilegierter oder auch leerer Signifikant hervorgehoben, der fortan die restlichen Elemente der Äquivalenzkette repräsentiert, obgleich er selbst ein einfaches Element in ihr bleibt (vgl. Laclau 1994: 157–160). Der leere Signifikant (vgl. ebd.) oder die Knotenpunkte bzw. privilegierte Signifikanten eines Diskurses (Laclau/Mouffe 2015: 147) sind folglich paradoxer Natur, wie auch Nonhoff erklärt: Dieser Signifikant ist einerseits ein Partikulum, ein differentes Element wie jedes andere. Andererseits verkörpert er in einer Art paradoxem Kurzschluss zugleich das spezifische Allgemeine der betreffenden Formierung von gesellschaftlichen Forderungen (und der fordernden Subjekte) bzw., in den Worten Laclaus (in diesem Band: 31), die ,unmögliche Fülle der Gemeinschaft‘ (Nonhoff 2007: 13).

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Auf den Untersuchungskontext dieser Arbeit angewendet kann dies Folgendes heißen: Signifikanten wie „Frankreich“, „Islam“, „Europa“, „Orient“, „Algerien“ bzw. „Franzose“, „Muslim“, „Europäer“ oder „Orientale“, des Weiteren Begriffe wie „radikaler“ oder „moderater Islam“, sind durch wiederholte artikulatorische Praktiken in die Position sogenannter leerer oder privilegierter Signifikanten erhoben worden. Das Tragen des Kopftuchs, die Ablehnung gemischt-geschlechtlichen Sportunterrichts oder die Nicht-Anerkennung der Laizität sind dabei äquivalente Elemente, die dem leeren Signifikant „Muslim“ oder „fundamentalistischer Muslim“ zugeschrieben werden; letzterer ist nun der Oberbegriff, der sie repräsentiert. Die Befürwortung der Geschlechtergleichheit und die Ablehnung von religiösen Praktiken im öffentlichen Schulunterricht sind hingegen Elemente, die durch den leeren Signifikanten „Franzose/Französin“ dargestellt werden. „Französischsein“ bleibt zum einen ein normaler Signifikant in der Äquivalenzkette (z. B. modern => aufgeklärt => rational => französisch => europäisch etc.) und zugleich repräsentiert er die Totalität der Kette (französisch gleich rational und aufgeklärt und modern und europäisch etc.). Weil ein leerer Signifikant aufgrund eines fehlenden Zentrums keine Positivität repräsentieren kann, sondern sich nur in Abgrenzung zu einem Anderen definiert (Sarasin 2003: 49), weist er immer einen konstitutiven Mangel auf und eignet sich laut Sarasin gerade deshalb zur Produktion von Identitäten: Die privilegierten Signifikanten stiften Identitäten, indem sie genau jene fehlende Positivität ausdrücken, jene fehlende Ganzheit, (,fullness’), die soziale Gruppen als eine notwendige Fiktion von sich entwerfen müssen: Positiv in einer imaginären Schließung als ,Deutschland‘, ,das Volk‘ etc., negativ hingegen, indem zum Beispiel die Juden zum Signifikanten dessen gemacht werden, was ,Deutschland mangelt. Je leerer diese ,empty signifiers‘ sind, je unklarer ihr Signifikat bleibt, desto besser eignen sie sich offensichtlich für ihre Funktion als Stepp-Punkte und als Marker für den konstitutiven Antagonismus. Die Fahne einer Nation bedeutet nichts weiter als ,das Ganze‘ der Nation – ebenso wie ,schwarze Haut‘ zuweilen die reine Negativität der fehlenden Ganzheit zu absorbieren vermag. Mit anderen Worten: Während die Fahne als positiv besetzter, ansonsten aber vollständig leerer Signifikant für die Nation steht und sie so symbolisch zusammenhält, war und ist ,schwarze Haut‘ im europäischen und amerikanischen Westen immer wieder ein negativ besetzter leerer Signifikant, der gleichsam all das in sich aufsaugt, was unbewusst als Mangel an vollem Sein und Ganzheit einer weißen, westlichen Identität empfunden wurde – und der auf diese Weise eine prekäre Identität stiftet (Sarasin 2003: 49 f.).

Michael Bergunder schlägt vor, den leeren Signifikanten nach Laclau/Mouffe mit der Konzeptualisierung von Identitätsmarkierungen nach Stuart Hall zusammen zu denken und ihn als Identitätsmarker zu bezeichnen (Bergunder 2010a: 20 f.).17 Diese Bestimmung wird für diese Arbeit übernommen, kann 17 Stuart Hall rezipiert die Laclausche Theorie vom fehlenden Zentrum der Gesellschaft sowie von der Identitätskonstitution durch Antagonismen und Differenzbildungen und spricht ebenfalls

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mit dem Begriff des Identitätsmarkers doch anschaulich das Ziel verdeutlicht werden, Identitätspositionierungen zu beschreiben, ohne Bedeutungen zu essentialisieren (vgl. Bergunder 2010a: 20). In der folgenden Zusammenfassung der Theorie von Laclau/Mouffe wird der besseren Verständlichkeit halber weiterhin auch vom leeren Signifikanten geredet, danach wird jedoch vom Identitätsmarker als Synonym für den leeren Signifikanten gesprochen. Leere Signifikanten oder Identitätsmarker fixieren erst im konstitutiven Antagonismus Bedeutung. Die Bildung von Antagonismen Was sind Antagonismen? Jeder Diskurs ist wie erwähnt ein Versuch, Grenzen zu etablieren, um Identitäten konstituieren zu können. Diese Schranken müssen notwendigerweise anderer Beschaffenheit sein als die natürliche Differenzialität zwischen Zeichen, die in ihrem beständigen und dezentrierten Weiterverweisen nicht in der Lage sind, ein Außen zu konstituieren und es vom Innen zu trennen (Nonhoff 1991: 10; Bergunder 2010a: 21). Letzteres vermögen in gewisser Weise aber, so Laclau, die Grenzen, die sich in der Festlegung von Antagonismen bilden (Laclau 1994: 158; 2007: 30). Antagonismen bezeichnen einen Modus der Opposition zwischen Elementen bzw. Äquivalenz- und Differenzketten. Sie stoppen das beständige Weiterverweisen eines Zeichens auf ein nächstes Zeichen, indem sie andere Zeichen in ein Außen ausschließen: Jede Schließung erfordert jedoch die Einrichtung von Grenzen, und keine Grenze kann gezogen werden, ohne zugleich das, was sich jenseits befindet, zu setzen. (3) Weil aber das System ein System aller Differenzen ist, kann das, was sich jenseits der Grenze befindet, nur von der Art eines Exkludierten sein (Laclau 2007:30).

Leere Signifikanten drücken die ansonsten kaum explizierbare Opposition von Elementen und Äquivalenzketten positiv aus. Wie aus der oben erläuterten Konstitution von Äquivalenzketten logisch folgt, ist der Modus dieser Opposition aber der der Negativität: Weil der Zusammenschluss in leeren Signifikanten lediglich durch die Abgrenzung von anderen Äquivalenzketten (und deren Subsumierung unter einen anderen leeren Signifikanten) möglich ist, wird ein leerer Signifikant durch ein antagonistisch bestimmtes Außen konstituiert.18 Dieses Außen ist kein außerdiskursives Außen; es besitzt selbst von der Offenheit und Fluidität von Identitäten und Bedeutungen, die ständig umstritten werden (Hall 1996a: 599 f.; Bergunder 2010a: 20). Des Weiteren ist auch die Vorstellung eines konstitutiven Außen, durch das allein der – positiv also nicht feststellbare – Gehalt von Identität zustande kommt, der identitätskonstituierenden Funktion von Antagonismen bei Laclau/ Mouffe sehr nahe (vgl. Hall 1996b: 4 f.). 18 Nonhoff weist darüber hinaus auf die paradoxe Funktion des Antagonismus hin: „Nur aufgrund des antagonistischen Bruchs mit ihrem Außen kann sich eine gesellschaftliche Ordnung etablieren; zugleich aber ist es eben dieser Bruch, der verunmöglicht (weil er ja etwas ausschließt), dass sich die Gesellschaft etabliert.“ (Nonhoff 2007: 10).

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keine Positivität und erhält seine Bedeutung auch lediglich durch das Aufeinanderprallen mit ersterem Signifikanten. Zugleich nivellieren erst die Grenzfixierungen in der antagonistischen Opposition die Unterschiede innerhalb eines leeren Signifikanten. Sie machen sein Innen gegenüber dem Außen gleich (Bergunder 2010a: 22). Dem Antagonismus kommt laut Nonhoff gesellschaftskonstituierende Funktion zu (Nonhoff 1991: 10). Andreas Nehring fasst den von Laclau und Mouffe gedachten Prozess in der Aussage zusammen, dass identitäre Positionierungen und Zugehörigkeiten dann entstehen, wenn leere Signifikanten (nach Nonhoff „verschiedene diskursive Elemente als systematischer Zusammenhang“, ebd.) oppositiv und in ihren Unterschieden gedacht werden (Nehring 2006: 820). Übertragen auf das Untersuchungsgebiet dieser Arbeit bedeutet dies beispielsweise folgendes: Man kann „Franzose“ sein, doch identitätsstiftende Bedeutung erhält dieser leere Signifikant erst, wenn man auch „Engländer“, „Deutscher“ oder „Algerier“ sein kann. Praktiken und Standpunkte, die dem Französischsein zugeschrieben werden, erhalten diesen Status ex negativo: Sie sind französisch, indem sie nicht englisch, deutsch oder algerisch sind. Wenn „Franzosen“ dann „Engländern“, „Deutschen“ oder „Algeriern“ gegenüber gestellt werden, so werden die Unterschiede zwischen unterschiedlichsten von „Franzosen“ vollzogenen Praktiken und Äußerungen eingeebnet: An sich kann kein gemeinsamer Nenner dieser Praktiken ausgemacht werden, erst im Vergleich mit beispielsweise „englischen Praktiken“ sind sie alle „französisch“. Den gleichen Mechanismus beschreibt auch obiges Zitat von Laclau/ Mouffe zur Opposition von Kolonisierenden und Kolonisierten. Die Vorläufigkeit von Bedeutungsfixierungen, die stets zur Schließung von Grenzen, zur Bestimmung von Gesellschaft tendieren, jedoch nie abgeschlossen werden können, ist dabei auch der Vielzahl und perspektivischen Relativität der antagonistischen Oppositionen geschuldet, die das Feld der Diskursivität durchziehen: Der Verlauf von antagonistischen Grenzen ist nie objektiv gegeben, sondern wird stets perspektivisch gezogen. Dementsprechend kann ein leerer Signifikant von unterschiedlichen Positionen innerhalb des Feldes der Diskursivität in unterschiedliche antagonistische Oppositionen gesetzt werden (vgl. Nonhoff 2007: 12). Dann ändern sich jedoch auch die Äquivalenzketten und folglich die identitäre Positionierung, die durch die Berufung auf einen leeren Signifikanten möglich wird: Deshalb gibt es im Sozialen eine Vielfalt möglicher Antagonismen, von denen viele im Gegensatz zueinander stehen. Das wesentliche Problem besteht darin, daß sich die Äquivalenzketten entsprechend dem jeweiligen Antagonismus radikal verändern, und daß sie auf widersprüchliche Art und Weise die Identität des Subjekts selbst beeinflussen und durchdringen können (Laclau/Mouffe 2015: 167).

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Das heißt beispielsweise, dass sich Französischsein in der Opposition zum Deutschsein konstituieren kann; von anderen Positionen aus wird Französischsein jedoch artikulatorisch als Antagonismus zum Englisch-, Muslimisch- oder Afrikanischsein konstruiert. Je nach antagonistischer Opposition verändern sich die Elemente, die die zugehörigen Äquivalenzketten bilden. Vergleicht man Deutsche mit Franzosen, so finden neben manchen, immer gleichen Zuschreibungen auch spezifische Elemente Erwähnung, die in einer Gegenüberstellung von Deutschen und Arabern nicht oder anders thematisiert würden. Zudem, so Michael Bergunder, kann ein leerer Signifikant von einer Akteursposition aus positiv gewertet und sein Gegenpart als negative Gegenfolie genutzt werden; aus der Perspektive eines anderen Akteurs können aber auch ganz andere Wertungen erfolgen (vgl. Bergunder 2011: 37). Ein gutes Beispiel hierfür ist die Vorstellung vom Orientalen, der in kolonialen Kontexten oftmals als faul, lügnerisch und despotisch bestimmt wurde und dabei als Negativfolie zum fleißigen, aufrichtigen und demokratieliebenden Europäer fungierte; während er von anderen zeitgleich über seine Liebe für Ästhetik und Religion definiert und dem materialistisch-rationalen Europäer als positives Gegenbild gegenüber gestellt wurde. Äquivalenzketten werden also im Feld der Diskursivität stets verändert, verkürzt, oder aber mit Elementen angereichert, die nicht eindeutig nur einer Seite in einer antagonistischen Opposition zugeschrieben werden können. Die Äquivalenzkette, die zur Bestimmung des leeren Signifikanten „Franzose“ die Elemente modern, aufgeklärt und laizistisch enthält, kann z. B. auch so verlaufen: französisch = modern => aufgeklärt => religiös/katholisch. Das Element „religiös“ aber kann im Diskurs zugleich dem leeren Signifikanten „maghrebinisch“ zugeschrieben werden. Auch das Element „modern“ ist nicht exklusiv französisch, sondern wird seinerseits im Diskurs mit dem leeren Signifikanten des „Deutschsein“ oder durch muslimische Akteure mit jenem des „Muslimischsein“ verbunden. Nonhoff verweist auf den destabiliserenden Charakter von solchen Elementen, die, gleich flottierenden Signifikanten, nicht exklusivistisch nur einem der leeren Signifikanten in einer antagonistischen Opposition zugewiesen werden können, sondern zur Bestimmung mehrerer zugleich dienen (Nonhoff 2007: 13). Eine feste, nichtrelative Konstitution von Identität würde ja schließlich voraussetzen, dass ihr exklusivistisch Elemente zugeschrieben werden könnten, die nur ins Innen dieser Identität und nicht zu ihrem Außen gehören, so dass das Außen sie nicht reklamieren und das Innen unterwandern könnte (vgl. Laclau/Mouffe 2015: 145 f.). Der bereits erwähnte Überschuss an Elementen bzw. Signifikaten tritt also abermals als Faktor hervor, der einen Diskurs stets unterwandert und jede endgültige Bedeutungszuweisung unmöglich macht.

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Wenn wir jedoch den unvollständigen Charakter jeder diskursiven Fixierung akzeptieren und zugleich den relationalen Charakter jeder Identität behaupten, kann der mehrdeutige Charakter des Signifikanten, seine Nicht-Fixierung auf ein Signifikat, nur insofern existieren, als es eine Vermehrung von Signifikaten gibt. Nicht der Mangel an Signifikaten, sondern im Gegenteil deren Polysemie desartikuliert eine diskursive Struktur (ebd.: 148).

Weil leere Signifikanten aufgrund ihrer wechselnden Konfrontation mit unterschiedlichen Antagonismen sowie aufgrund der Elemente, die in verschiedene Seiten des Antagonismus gehören, durch einen Überschuss an Elementen geprägt und folglich überdeterminiert sind, wird eine soziale Praxis möglich, die beständig um Bedeutungsfixierungen ringt. Mit diesem diskurstheoretischen Instrumentarium können wir auch die für religionswissenschaftliche Arbeiten häufig zentrale Analyse der „Aushandlung von Identitäten“ konkreter bestimmen. Diese kann nun nicht mehr als Dialog zwischen verschiedenen Akteuren missverstanden werden, aus dem ein irgendwie gearteter Kompromiss hervorgehen würde (vgl. auch West/ Olson 1999: 242). Unter Identitätsaushandlung kann nun vielmehr ganz konkret die Transformation von Identitätsmarkern durch artikulatorische Praktiken verstanden werden, die durch den flottierenden Charakter ihrer Elemente, die Überterminierung sowie die Unabgeschlossenheit der Äquivalenz- und Differenzketten also, möglich werden. Die erfolgte Einführung diskurstheoretischer Terminologie soll im Folgenden durch eine kurze Erläuterung einiger weiterer Charakteristika ergänzt werden, die die Beschaffenheit von Diskursen nach Laclau/Mouffe ausmachen. Zur weiteren Beschaffenheit von Diskursen a) Macht Die Offenheit diskursiver Formationen hat zur Folge, dass sich im Diskurs hegemoniale Bestrebungen ausbilden. Artikulatorische Praxen werden dann als hegemoniale Praxen bezeichnet, wenn sie im Ziele der Abgrenzung von antagonistischen Praxen erfolgen und wenn sie um die Bestimmung von leeren Signifikanten ringen, wenn also Grenzdefinitionen durchgesetzt werden sollen (Laclau/Mouffe 2015: 173). Sind diese Bedingungen gegeben, dann sind diskursive Formationen hegemoniale Formationen (ebd.: 174). Michel Foucault hatte sich in seinem späteren Aufsatz Subjekt und Macht von der Auffassung distanziert, Macht sei eine in Personen oder Institutionen lokalisierbare Substanz. Vielmehr legte er den Fokus auf die Effekte von Macht, die seiner Auffassung nach im Moment der Beziehung zwischen Individuen oder Gruppen entsteht (Foucault 2005 [1982]: 251 f.) und als „eine Form handelnder Einwirkung auf andere“ (ebd.: 255) bestimmt werden kann. Macht existiert demnach nur als Handlung. In ähnlicher Weise lehnen Laclau/

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Mouffe die Vorstellung von einem oder mehreren hegemonialen Zentren ab, deren Orte innerhalb des Feldes der Diskursivität bestimmt werden könnten. Auch Hegemonie ist vielmehr ein – nach oben erwähnten Charakteristika bestimmbarer – Typus von (politischer) Beziehung (Laclau/Mouffe 2015: 177). Im Feld der Diskursivität wird beständig eine unbestimmbare Vielzahl an hegemonialen Beziehungen produziert und zwar jeweils dann, wenn Bedeutungsverschiebungen und Überschüsse produziert werden, und dann abermals um Elemente und ihre Beziehungen zueinander gerungen wird (ebd.: 179). Hegemoniale Beziehungen sind Machtbeziehungen; Macht wird durch das Ringen um das Verhältnis von Äquivalenz und –Differenzketten konstituiert: Der entscheidende Punkt ist, dass jede Form der Macht auf pragmatische Art und Weise und dem Sozialen innerlich durch die entgegengesetzten Logiken von Äquivalenz und Differenz konstruiert wird – Macht ist niemals grundlegend. Das Problem der Macht kann deswegen nicht im Sinne einer Suche nach der Klasse oder dem dominanten Sektor gestellt werden, die oder der das Zentrum einer hegemonialen Formation bildet, da sich uns ein solches Zentrum normalerweise entziehen wird (ebd.: 180).

Übertragen auf den Gegenstandsbereich dieser Arbeit heißt dies beispielsweise, dass nicht Institutionen wie die Große Moschee von Paris oder Personen wie ihr Rektor Macht besitzen oder ausstrahlen. Durch hegemoniale Praktiken, mit denen sie leere Signifikanten umkämpfen und sich von im Diskurs antagonistisch bestimmten Praktiken abgrenzen, entsteht jedoch eine Machtbeziehung, beispielsweise im Rekurs auf den Signifikanten des „moderaten Islam“ und durch seine diskursiv konstruierte Beziehung zum antagonistischen Gegenpart des „radikalen Islam.“ Laclau verweist dabei auf die „Ungleichmäßigkeit des Sozialen“ (Laclau 1994: 162), die zu Machtkonzentrationen an gewissen Stellen führe. So kann nicht jeder gleichermaßen zur Konstitution eines leeren Signifikanten beitragen: Nicht jede Stellung in der Gesellschaft, nicht jeder Kampf ist gleich fähig, seine eigenen Inhalte in einen Knotenpunkt zu transformieren, der zu einem leeren Signifikanten wird (ebd.).

So scheint es beispielsweise, dass es vor allem nicht-muslimische Akteurspositionen waren, die den „moderaten“, „radikalen“ oder „salafistischen Islam“ zu im Diskurs bedeutungskonstituierenden leeren Siginifikanten erhoben haben. Muslimische Positionen, die auf Signifikanten wie malikitischen Rechtschulenislam oder Reformpositionen rekurrieren, können und konnten diese Elemente nur in eng umgrenzten Kreisen und als für den Diskurs viel weniger zentrale leere Signifikanten durchsetzen.

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b) Subjekte und Akteure Laclau/Mouffe lehnen wie auch Foucault die Kategorie eines Subjekts ab, das in seinen Eigenschaften als rationales, „sich selbst transzendentes“ Subjekt Ursache der diskursiven Konstruktion des Sozialen ist. Den Begriff des Akteurs oder des Subjekts im Sinne einer Totalität, die als solche Sinn stiftet, verstehen sie selbst als diskursiv hervorgebracht und als etwas dem Diskurs Äußerlichen nicht Denkbares (Laclau/Mouffe 2015: 150 f.). Selbst die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen sind diskursiv hervorgebracht (ebd.: 150). Im Zentrum des Interesses stehen also nicht etwa die Motivationen von Akteuren, sondern die Positionen, auf die eine Person in ihren artikulatorischen Praktiken rekurriert; die Diskurspositionen also, die im Moment der Einnahme durch den Einzelnen Subjektpositionen sind. Wie bei Laclau/Mouffe sollen Subjekt und Akteur in dieser Studie also im Sinne von Subjekt- und Akteurspositionen verstanden werden: Wann immer wir in diesem Text die Kategorie des ,Subjekts‘ verwenden, werden wir dies im Sinne von ,Subjektpositionen‘ innerhalb einer diskursiven Struktur tun (ebd.).

c) Die Materialität von Diskursen Laclau/Mouffe betonen ausdrücklich den nichtgeistigen, sondern materiellen Charakter von diskursiven Strukturen und lehnen Foucualts Unterscheidung zwischen diskursiven (sprachlichen) und nichtdiskursiven Praktiken entschieden ab (ebd.: 140–143). Sprachliche Äußerungen sind demnach in gleicher Weise Elemente des Diskurses wie nichtsprachliche Praktiken (ebd.: 140 f.). Verhaltensweisen, Handlungen, Techniken und Zustände, aber auch Objekte und Institutionen sind im Diskurs erzeugt und erhalten erst durch ihre diskursive Inverhältnissetzung mit anderen Elementen Bedeutung. Martin Nonhoff fasste die Laclausche Aufassung folgendermaßen zusammen: Die soziale Wirklichkeit kann insofern als wesentlich diskursiv verstanden werden, als sie eine sinnhafte Wirklichkeit ist, in der sich die Bedeutung aller sinntragenden Einheiten erst in Relation und damit in Differenz zu anderen Einheiten etabliert. Somit sind Diskurse explizit nicht auf die Sphäre der Sprache begrenzt: Auch Objekte, Subjekte, Zustände oder Praktiken ergeben erst im sozialen Relationsgefüge einen je spezifischen Sinn und sind insofern diskursiv strukturiert (…) (Laclau 1993) (Laclau zitiert nach Nonhoff 2007: 9).

Nicht nur sprachliche Aussagen über den Islam an der Moschee von Paris sind also Produkte des Diskurses: Auch die Konstruktion des Moscheegebäudes, seine Ausgestaltung und Nutzungsweisen; die Praktiken, die im Gebäude vollzogen werden; die Reglemente und Verhaltenscodes, die dort gültig sind, sowie Kleidung und Gestik von Personen erhalten ihre Bedeutung durch die oben beschriebenen differenz- und äquivalenzbildenden Mechanismen einer diskursiven Formation. Dass in dieser Studie nicht nur, jedoch vornehmlich

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sprachliche Äußerungen in den Blick genommen werden, erklärt sich vor allem aus pragmatischen Gründen des Quellenzugangs und ist nicht als theoretische Entscheidung misszuverstehen. 4. Die historische Kontinuität von Diskursen In Bezug auf Fragen der Geschichtsschreibung und historischer Kontinuitäten können wir uns in dieser Studie an den genealogischen Ansatz von Foucault anschließen. Foucault hatte sich von ideengeschichtlichen Abhandlungen abgewendet, die implizit ein Kontinuum bestimmter Ideen und Konzepte voraussetzen, den Wandel dieser Konzepte durch die Zeiten hindurch aufzeigen, ihren Ursprung, sowie denjenigen von einzigartigen Werken und Dokumenten suchen sowie die einstige Identität dieser Quellen rekonstruieren, also das, was diese Quellen beziehungsweise ihre Urheber uns ihrerzeit „sagen“ wollten (Foucault 1981 [1969]: 198–200). Stattdessen hatte Foucault für eine radikale Historisierung jedweder Konzepte und Begriffe plädiert und selbst die Vorstellung eines Geschichte machenden Subjektes als zu einer gegebenen Zeit im Diskurs hervorgebrachtes Objekt herausgestellt. Diese Sichtweise verbietet keineswegs die Suche nach Kausalitäten und historischen Zusammenhängen. Eine islamische Rechtsabhandlung aus dem 12. Jahrhundert jedoch würde beispielsweise nicht als genialer Ausdruck der Frömmigkeit und besonderen Intelligenz ihres Verfassers erscheinen und es würde nicht nachgezeichnet, wie diese, aufgrund ihrer Originalität und Bedeutung heute noch immer rezipierte Quelle, aktuell interpretiert wird. Stattdessen würden die diskursiven Bedingungen des aktuellen und untersuchten Zeitraumes beleuchtet, die die Rezeption dieses Textes ermöglichen und die bestimmte Fragestellungen, Lesarten sowie Profile von Interpreten und Rezipienten produzieren. In den folgenden Analysekapiteln wird, um ein anderes Beispiel zu nehmen, zum einen darauf verwiesen, wie aktuelle Konzeptualisierungen des Imam mit jenen zusammenhängen, die in der Kolonialzeit verbreitet waren; zum anderen wie die Vorstellungen des Imams in Frankreich und Algerien miteinander in einem Zusammenhang stehen. Auch dies geschieht nicht aus einer Perspektive heraus, die den Imam als ein im Islam zentrales und folglich zu allen Zeiten und Orten präsentes Schlüsselkonzept versteht; oder die analysieren möchte, wie Menschen dieses Konzept zu unterschiedlichen Zeiten und aus spezifischen Intentionen heraus neu interpretieren. Vielmehr soll belegt werden, dass das Konzept „Imam“ Produkt spezifischer diskursiver Formationen und der ihr inhärenten Regulierung von Äußerungen und (Handlungs-)Motivationen ist. Dass die Konzeptualisierungen des Imam im kolonialen Algerien Parallelen mit jenen im aktuellen Algerien und Frankreich aufweisen, verweist also nicht auf die Kontinuität dieses Konzepts im Islam, sondern es beweist vielmehr, dass diskursive Formationen nicht auf einen gesellschaftlichen Kontext reduziert gedacht werden dürfen: Geschichte muss transnational betrachtet werden; durch den natürlich ebenfalls partiellen und

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punktuellen Kontakt zwischen Ländern und Regionen entstehen diskursiv erzeugte Objekte samt der mit ihnen verbundenen Bedeutungen und Handlungen zeitgleich an verschiedenen Orten und in verschiedenen Ländern. Die so produzierten transnationalen Parallelen sind selbstverständlich auch wiederum deshalb partiell und vorläufig, weil jedes diskursiv erzeugte Objekt innerhalb seines spezifischen Kontexts im Zuge jeder erneuten artikulatorischen Bezugnahme neu konstituiert, sein Verhältnis zu anderen Elementen neu gesetzt und es folglich transformiert wird. Sowohl Foucualt als auch Laclau/Mouffe verweisen auf die stets stattfindende Neubestimmung von vorgängigen Bedeutungsfixierungen im Moment ihrer (Re-)Artikulation (vgl. Foucault 112010 [1972]: 19 f. und folgendes Zitat): Jede soziale Praxis ist deshalb – in einer ihrer Dimensionen – artikulatorisch. Da sie nicht das innere Moment einer selbstdefinierten Totalität ist, kann sie nicht einfach der Ausdruck von etwas bereits Erworbenem sein, kann sie nicht gänzlich unter das Prinzip der Wiederholung subsumiert werden; vielmehr besteht sie immer aus der Konstruktion neuer Differenzen (Laclau/Mouffe 2015: 148).

Diese Transformationen können entsprechend der spezifischen Voraussetzungen eines jeweiligen Kontextes natürlich in unterschiedliche Richtungen verlaufen und die Parallelität von global produzierten Diskursobjekten unterwandern. Um das Material dieser Studie angemessen interpretieren zu können ist es aber zentral zu berücksichtigen, dass Identitätsmarker, z. B. in kolonialgeschichtlichen Zusammenhängen oder wenn Migranten sich in neuen Kontexten niederlassen, transregional verhandelt, von verschiedenen Orten aus umkämpft, unterwandert und transformiert werden. Sowohl die theoretischen Überlegungen Foucaults als auch Laclau/Mouffes behandeln diese Fragen nach „Kulturkontakten“ und transregionalen Verflechtungsgeschichten jedoch nicht oder nur marginal. In dieses Feld stoßen postkoloniale Theoretiker vor, indem sie explizit Identitätskonstitutionen in kolonialen und nachkolonialen Kontexten untersuchen und dabei lokalgeschichtliche Analysen in den Zusammenhang globaler Verflechtungsgeschichten einordnen. Im Folgenden sollen entsprechende postkoloniale Reflexionen präsentiert und, wie oben angekündigt, mit der beschriebenen diskurstheoretischen Perspektivik zusammengeführt werden. 1.2.2. Geschichte als globale Verflechtungsgeschichte In Deutschland war Jürgen Osterhammel Ende der 1990er Jahre einer der ersten, der für das Verfassen einer transnationalen Gesellschaftsgeschichte geworben hat (Osterhammel 1998, 2001). In Frankreich popularisierten Michael Werner und B n dicte Zimmermann etwa zeitgleich das Konzept der Histoire Crois e, mit dem sie vor allem intraeuropäische Austauschprozesse

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von wissenschaftlichen Untersuchungskategorien, -objekten und -Perspektiven in den Blick nahmen (Werner/Zimmermann 2002, 2003, 2004). Im angelsächsischen Raum spielten Shalini Randeria, Frederick Cooper oder Ann Laura Stoler ähnliche Überlegungen durch, jedoch wie Osterhammel über den europäischen Kontext hinausgehend. Mit Konzepten wie dem der entangled histories (Randeria) oder der shared history (Cooper/Stoler) forderten sie insbesondere, ehemals kolonialisierte Gebiete sowie ehemalige Kolonialmächte als einen zusammenhängenden Raum und nicht als getrennte Gebiete zu betrachten (Cooper/Stoler 1997; Randeria 1999). Im deutschsprachigen Raum wurde das Konzept der Verflechtungsgeschichten mit dem Erscheinen des Sammelbandes Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften (2002) zunehmend populär. Randerias Konzept der Verflochtenheit von Geschichte bzw. von Geschichte als Verflechtung (vgl. Conrad/Randeria 22013 [2002]: 39) hat sein Zentrum dabei vor allem in folgenden Forderungen: Zum einen soll eine Perspektive überwunden werden, die von Nationen, Regionen oder Kulturen und Ethnien als voneinander abgrenzbaren Entitäten ausgeht und dann den Austausch zwischen ihnen in den Blick nimmt. Die miteinander verflochtenen Einheiten sind zudem selbst Produkt von Verflechtungsgeschichte (ebd.: 40; Randeria 22000 [1999]: 88). Von Frankreich und von Algerien zu reden und ihre jeweiligen Identitäten zu bestimmen ist beispielsweise Ergebnis einer geteilten geschichtlichen Erfahrung, innerhalb derer das Bedürfnis zur Abgrenzung voneinander intensiviert wurde. Tatsächlich sind diese Entitäten jedoch nicht als eigenständig denkbar; ihre Charakteristika werden in wechselseitigem Austausch (und darüber hinaus in komplexen Austauschprozessen mit weiteren konstruierten Regionalidentitäten) erzeugt.19 Dabei spielt Randeria mit der doppelten Konnotation des englischen Begriffs entanglement: Kolonialgeschichtliche Erfahrungen haben zum einen Vorstellungen hervorgebracht, die Kolonisierte und Kolonisierende miteinander teilen (shared history). Zum anderen haben sie Mechanismen der Abgrenzung voneinander provoziert (divided history) (vgl. Conrad/Randeria 2013: 39 f.), die die Rede von den Kolonisierten und den Kolonisierenden überhaupt erst ermöglichte und die häufig in die Vorstellung von reinen kulturellen Entitäten übersetzt wurde (Randeria 2000: 89). Zum Anderen fordern Randeria bzw. Conrad/Randeria mit dieser Perspektivik eine radikale Dezentrierung europäischer Wissensproduktion. Sie knüpfen dabei an die Kritik Chakrabartys an, Europa werde immer wieder als Referenzpunkt gesetzt, an dem Entwicklungen, Kategorien und Ideen nichteuropäischer Kontexte gemessen und bewertet würden (z. B. Chakrabarty 2010 [2000]: 19–66). Wie Chakrabarty und andere Autoren bemängeln sie, 19 Hierauf verweisen auch Laclau/Mouffe, wenn sie erklären, dass beispielsweise Autonomien von Staaten keine natürlich gegebenen und zu verteidigenden Tatsachen, sondern innerhalb von hegemonialen Formationen konstruierte Vorstellungen sind (Laclau/Mouffe 2015: 178).

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dass die Entstehung von europäischen Institutionen, Werten und Praktiken zumeist aus sich selbst erklärt werde, während Pendants in Afrika und Asien stets in Abhängigkeit von Europa und seinen kolonialen Einflüssen analysiert würden (Conrad/Randeria 2013 [2002]: 35). Tatsächlich sei die Konstitution europäischer Identitäten nicht ohne den Kontakt mit den Kolonien möglich gewesen (ebd.: 40; GL Randeria/PaperBerlin 2002: 12), da, wie oben beschrieben, Vorstellungen, Konzepte und Institutionen in beiden Räumen aus der gleichen gemeinsamen Erfahrung heraus entweder parallel entwickelt wurden oder aber in der Suche nach Abgrenzung zueinander entstanden sind (Conrad/Randeria 2013: 39 f.). Dabei sind zwei Aspekte wichtig: Erstens darf die Betonung der wechselseitigen Konstitution von Identitäten nicht zur Annahme führen, dass Akteure aus verschiedenen Ländern in gleicher Weise am Kampf um Güter, Konzepte und Techniken teilnehmen. Conrad/Randeria betonen: Die Verbundenheit der Welt impliziert keineswegs die Abwesenheit von Ungleichheit, Macht und Gewalt (vgl. Fanon 1967; Gilroy 2000; Taussig 1987). Im Gegenteil: Die Mehrzahl der Kontakte erfolgte unter ungleichen Voraussetzungen; Interaktionen waren häufig hierarchisch oder gar repressiv. Die Betonung der Verwobenheit sagt zunächst noch nichts über die Modalitäten der Interaktion aus, die von erzwungener Übernahme, freiwilliger Assimilation, gewaltsamer Zerstörung bis zu wechselseitiger Umstrukturierung reichen können (Conrad/Randeria 2013: 40).

Zudem findet das Umkämpfen von Identitäten nicht einfach zwischen den diskursiv erzeugten Entitäten wie beispielsweise den „Kolonisierten“ und „Kolonialisierenden“ statt, oder, um weitere Beispiele Randerias aufzugreifen, zwischen „Muslimen“ und „Hindus“ in Indien, bzw. zwischen „westlichen“ und „asiatischen“ Werten (Randeria 2000: 88). Die Konstruktion dieser Oppositionen diene oftmals gar dazu, die Bedeutung von Geschlechts-, ethnischen oder Schichtzugehörigkeiten zu verschleiern (ebd.). So müsste denn auch beachtet werden, dass unterschiedliche Akteursgruppen in unterschiedlichen Regionen Algeriens höchst unterschiedliche Erfahrungen mit der französischen Besatzung gemacht und nicht alle „Algerier“ automatisch für den Erhalt der „algerischen Identität“ und gegen die französische Besatzung gekämpft haben. Aus den vielfältigen, teils intensiven und teils marginaleren Kontakten sind jeweils unterschiedlich starke Abgrenzungen von- oder Angleichungen aneinander entstanden. Die Effekte des Kontaktes mit den Vertretern der französischen Kolonialherren können zudem weit hinter der Bedeutung der Verflechtung von lokalen „Ethnien“, „Stämmen“, „Bruderschaften“ oder ähnlichem zurückstehen. Zudem müssen nicht alle Erfahrungen, Praktiken und Institutionen miteinander verzahnt sein. Verflochtenheiten sind punktuell und fragmentarisch anzutreffen. In diesem Sinne lehnt Randeria dann auch die vielfach unternommenen Versuche ab, den Begriff der Moderne zu pluralisieren und verschiedenen Gesellschaften, Zivilisationen oder Kulturkreisen eine unterschiedliche Vor-

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stellung von Modernität zuzuweisen (ebd.: 89 f.). Vielmehr sollten die Verflechtungen divergierender Vorstellungen innerhalb eines Untersuchungskontextes in den Blick genommen werden (was die Analyse von Verflochtenheiten zwischen Erfahrungen in Kolonien und kolonialisierenden Ländern, die schließlich ebenfalls als zusammenhängender Raum betrachtet werden, nicht ausschließt, sondern ergänzt): But even more importantly, it is possible to analyse the unevenness of processes of modernization in different spheres within a society (…). Rather than reconceptualising multiple or alternative modernities at the level of the nation-state (Indian or Japanese modernity) or in terms of ,cultures‘ or religions (African modernity, Islamic or Confucian modernity), it would be more fruitful to explore uneven modernities within a society (GL Randeria/PaperBerlin 2002: 4).

In den Folgekapiteln wird gezeigt, dass die Forderungen Conrads/Randerias unabdingbar sind, möchte man die Aushandlungsprozesse an der Großen Moschee von Paris angemessen interpretieren. Bei genauerem Hinsehen ist der Entwurf dieser Autoren jedoch theoretisch weitaus weniger ausgereift als beispielsweise derjenige Dipesh Chakrabartys. Die dezidiert politisch motivierten Aufsätze Randerias beispielsweise sprechen zwar von Diskursen (z. B. Randeria 2000: 88), zugleich aber von Individuen, die sich „nicht als determinierte Verkörperungen ihrer Kultur, sondern als kontextuelle Benutzer kultureller Repertoires“ (ebd.: 94) erweisen, oder von Gemeinschaften, die „als das Ergebnis von Entscheidungen und Strategien handelnder Subjekte“ (ebd.) zu verstehen sind. Die dahinter stehenden Konzepte von Diskurs und Subjekt werden nicht näher bestimmt. Zudem wird der Begriff der Verflechtungsgeschichte selbst kaum konkretisiert. Aus den Ausführungen Randerias ist zwar ersichtlich, dass es wissenschaftliche Disziplinen, Methoden, Ideen oder Verwaltungsverfahren sein können, die in den Kolonien und Metropolen existieren und eine geschichtlich bedingte Gemeinsamkeit darstellen (ebd.: 92 f.), während Identitäten zeitgleich in Abgrenzung voneinander definiert worden seien, wie beispielsweise die oben erwähnten „asiatischen“ oder „westlichen“ Werte. Es wird jedoch an keiner Stelle explizit reflektiert, was genau miteinander verflochten ist: Sind es die erwähnten Ideen, Konzepte und Verwaltungstechniken, oder ist es die „Geschichte“, die sie hervor bringt; doch was ist dann genau Geschichte und was an ihr ist das Verflochtene? Wenn die Ausführungen Randerias herausgegriffen und als für diese Studie zentral betrachtet werden, so aufgrund des interessanten Gedankens, dass Verflochtenheit shared und divided history bedeute, also zeitgleich Parallelen und trennende Erfahrungen produziere. Diese Perspektivik ermöglicht es meines Erachtens, die historische Besonderheit von kolonialgeschichtlich bedeutsamen Identitätsmarkern im Sinne von Laclau/Mouffe, konkreter: ihre ganz spezifische Form der Überdeterminierung sowie die daraus hervor gehenden Effekte und Möglichkeiten herauszustellen. Die Zusammenführung

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der Laclau/Mouffeschen Diskurstheorie mit den Forderungen Randerias ermöglicht es also zum einen, erstere um den Verweis auf historische Sonderfälle zu erweitern, die sich in einer im Folgenden noch zu erläuternden Form der Überdeterminierung manifestieren und zum anderen, letztere theoretisch deutlich zu schärfen. Zunächst kann dabei noch einmal grundlegend erwähnt werden, dass diskursive Formationen transnational gedacht werden müssen, wobei die Konzentration der Regelmäßigkeit in der Verstreuung in bestimmten Regionen jeweils höher und in anderen weniger hoch sowie von anderen Strukturen und Produktionsbedingungen gekreuzt sein kann. Verflochtenheit bedeutet dann die diskursive Produktion von Objekten, Techniken, Strategien, Institutionen, Konzepten etc. an unterschiedlichen Orten, auch innerhalb eines Landes, insbesondere aber auch in voneinander abgegrenzten Entitäten wie in Algerien und in Frankreich. Verflochten sind darüber hinaus aber vor allem die Identitätsmarker im Sinne von leeren Signifikanten, an die ebendiese Techniken, Institutionen o. ä. geknüpft sind. Dies soll im Folgenden anhand von historischen Beispielen ausgeführt werden. Fallbeispiel Orientalismus Eindrückliche Belege für Identitätsmarker, die in kolonialgeschichtlichen Kontexten virulent waren, sind die des Orients und des Westens, die Edward Said in seinem 1978 erschienenen Orientalism erstmals als mächtige Diskursprodukte herausstellte und mit den politischen Bestrebungen des europäischen Imperialismus seit dem späten 18. Jahrhundert in Verbindung brachte. Vor Said haben sich bereits andere Autoren kritisch mit Orientvorstellungen im Westen und mit der universitären Wissensproduktion über Indien, allgemein Asien sowie „muslimisch“ geprägte Regionen befasst.20 Der Verdienst Saids liegt laut Reinhard Schulze darin, dass er die europäische Konzeptualisierung des Orients seit dem späten 18. Jahrhundert als umfassende diskursive Maschinerie aufgefasst hat, die nicht nur akademische, sondern auch politische, philosophische, literarische, musikalische oder darstellend-künstlerische Artikulationen in Europa durchzog (Schulze 2007: 48). Diese Maschinerie nannte er Orientalismus.21 Saids Orientalism ist vielfältiger Kritik unterzogen worden, die bereits an anderer Stelle ausführlich 20 Verschiedene andere Autoren haben die akademische Erforschung asiatischer und arabischsprachiger Länder schon vor Said eingehenden Analysen unterzogen (z. B. Schwab 1950, Frye 1957, Daniel 1960, Hitti 1962) und an ihr Kritik geübt (z. B. Abdel-Malek 1963, Tibawi 1964). 21 Als Orientalismus verstand Said 1. die akademische Forschung zum „Orient“, 2. die Annahme ontologischer und epistemologischer Verschiedenheit zwischen Orientalen und Okzidentalen, die sich in literarischen, philosophischen, politischen, ökonomischen oder anderen Darstellungen niederschlägt und 3. einen westlichen Stil der Beherrschung des Anderen, der sich in Institutionen manifestiert (Said 2003: 2 f.).

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thematisiert worden ist und an dieser Stelle nicht erneut entfaltet werden soll.22 Einige Aspekte aus Saids Werk sind jedoch für diese Studie zentral und bestätigen die Theorie Laclau/Mouffes in vielen Punkten: Zum einen hat Said in Orientalism gezeigt, dass kulturelle, politische und wissenschaftliche Produktionen des imperialen Europas durch die Vorstellung strukturiert waren, der Orientale und der Europäer seien fundamental und ontologisch voneinander verschieden. Der Orientale wurde einem imaginierten Ort zugewiesen, der wie seine Bewohner als barbarisch, unzivilisiert, irrational, passiv und despotisch galt und einem als aufgeklärt, emanzipiert, zivilisiert, rational und geschichtsmächtig skizzierten Europa dichotomisch gegenüber gestellt war (Said 2003: 38–40). Der Orientale ist so in die Funktion des im Vergleich mit dem Europäer minder entwickelten und nicht nur kolonisierbaren, sondern auch der Kolonialisierung bedürfenden Anderen verwiesen worden (ebd.: 33 f.). Gemäß der oben eingeführten Terminologie können die Konzeptualisierungen von Europäern und Orientalen als Identitätsmarker bezeichnet werden, die in antagonistischer Abgrenzung zueinander konstruiert worden sind. Die genannten europäischen Eigenschaften (modern, zivilisiert, geschichtsmächtig u. a.) stellen dann eine Äquivalenzkette dar, deren Elemente direkte Gegensätze zu derjenigen des Orientalen (unmodern, unzivilisiert, stagnierend) sind. Die Elemente des Markers Orientale sind also die Differenzkette des Markers Europäer, die es letzterem erlaubt, seine Identität – über den Umweg der Negativität – positiv auszudrücken. Jedoch strebten Akteure, die sich mit dem Identitätsmarker Europa identifizierten, die logisch unmögliche Adaptierung seines antagonistischen Gegenparts Orientale oder auch Araber bzw. Muslim an die eigene Identität an. Die Vorstellung, man müsse dem Orientalen, der unter despotischen politischen Verhältnissen leide und unfähig sei, sich dagegen zu wehren, zu einem aufgeklärten, rational agierenden und freien Subjektsein verhelfen, hat die Kolonialisierung durch die Europäer rhetorisch legitimiert. Reinhard Schulze spricht darüber hinaus von einer zentralen kulturgeschichtlichen Funktion der europäischen Orient-Konzeptualisierung jener Zeit: Der Ausbildung europäischen Elitebewusstseins und okzidentaler Selbstbehauptung gegenüber dem Fremden (Schulze 2007: 50). Im Kontext der Aufklärung ist die Rationalität des menschlichen Subjekts zu einer universalen Konstante erklärt worden, gegenüber der alle abweichenden Vorstellungen als kulturelle Besonderheiten galten. Diese Auffassung von Universalität und Partikularität ist, so Schulze weiter, im 19. Jahrhundert schließlich in das Gegensatzpaar Okzident – Orient gezwungen worden. Die Universalität ist auf diese Weise (diskursiv) zur kulturellen Eigenheit Europas avanciert und dem Orient abgesprochen oder auf seinen möglichen Zustand 22 Ein Überblick über wichtige Kritikpunkte, die an Saids Orientalism formuliert worden sind, findet sich z. B. bei Varela 2005: 37–46; Castro Varela/Dhawan 2007: 34–42; King 1999: 83–86; Lütt/Brechmann u. a. 1998: 516–535.

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in ferner Zukunft verlegt worden (ebd.: 50 f.). Mit anderen Worten: Innerhalb des antagonistischen Gegensatzpaares Europa – Orient wurde einer der Marker nicht nur als der Überlegene, sondern als Signifikant mit Anspruch auf Universalität und folglich notwendiger Universalisierung konstituiert, der also dazu bestimmt ist, seinen lokal beschränkten Gegenpart auszulöschen. Letzteres ist jedoch nicht möglich, ist die Existenz des antagonistischen Gegenparts wie oben erklärt doch die notwendige Voraussetzung für das Bestehen und den Bedeutung erzeugenden Charakter des Markers „Europäer.“ Dieser Universalitätsanspruch, der das Verschwinden der antagonistischen Marker anstrebte und ihrer zugleich doch bedurfte, um zu existieren und Interessen durchzusetzen, wurde wie erwähnt für konkrete kolonialpolitische Ambitionen instrumentalisiert. In den Kolonien selbst wurde er zur Legitimation politischer Entscheide und Strategien herangezogen, was die von Laclau/Mouffe betonte Materialität von Diskursen verdeutlicht. Ein Beispiel hierfür ist die Art, wie französische Kolonialherren die algerische Bevölkerung konzipierten: Bereits kurz nach der Besetzung des Landes im Jahre 1830 bezeichneten sie sie als traditionell, a-historisch und nicht aus eigener Kraft entwicklungsfähig (Henry 2003: 241). Den Grund für die intellektuelle Stagnation der Menschen identifizierten sie vielfach im Islam. Das islamische Recht prägte dieser Auffassung zufolge die sozialen Verhältnisse in Algerien und war der Grund für dessen archaische Gesellschaftsordnung (ebd.). Teilweise der Orient, in diesem Falle jedoch auch der Islam wurden also zu Identitätsmarkern erhoben, die über die oben erwähnten Äquivalenzketten (traditionell, a-historisch etc.) definiert waren und die europäische Fortschrittlichkeit zum antagonistischen Gegenpart hatten. Die so postulierte Unterlegenheit algerischer Traditionen und muslimischer Rechtsprechungen rechtfertigte in der Folge zum einen massive Eingriffe in die religiöse Infrastruktur,23 zum anderen die Einrichtung eines gesonderten Rechtssystems seit 1848, der justice musulmane. Während die parallel hierzu existierende justice franÅaise für Bewohner mit europäischer Nationalität eingerichtet worden war und beständig den Rechtsstrukturen in 23 Das schriftliche Abkommen zur Besiegelung der französischen Kolonialpräsenz in Algerien von 1830 garantierte zunächst, dass die Freiheit des Volkes, seiner Religion, seines Eigentums, seines Handels und seiner Industrie nicht eingeschränkt würden. Das Bekenntnis der Muslime zum Islam wurde schließlich auch respektiert, nicht jedoch die freie Ausübung ihrer Praktiken. So gerieten Moscheen und Koranschulen in staatlichen Besitz, was die muslimische Infrastruktur in Algerien finanziell von Frankreich abhängig machte. Predigten und Koranunterricht wurden streng vom Staat überwacht. Obwohl das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche ursprünglich auch in Algerien angewandt werden sollte, erreichte die Kontrolle islamischer Praxis im Jahre 1933 ihren Höhepunkt in einem ministeriellen Rundschreiben, der Circulaire Michel. Von diesem Zeitpunkt an wurde das muslimisch-religiöse Personal von französischen Beamten eingesetzt, die Kontrolle über Inhalte von Predigten wurde radikal verschärft und zur Vertretung muslimischer Angelegenheiten vor dem französischen Staat wurde das Comit consultatif du culte musulman (CCCM) gegründet, an dessen Spitze ein nichtmuslimischer französischer Beamter stand (Fr gosi 2008: 199–213; Henry 2003: 241 f.).

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Frankreich angepasst wurde, war das juristische System für Muslime zunehmend repressiv (Bouveresse 2008: 741–743).24 Begründet wurde diese Konstellation bisweilen mit der Auffassung, Muslime seien aufgrund ihrer Rückständigkeit noch nicht bereit für die Rechte und Pflichten der Moderne, letztere dürften ihnen also nicht in allzu brutaler Weise aufgedrängt werden (Fr gosi 2008: 213; Henry 2003: 240). Der Identitätsmarker Europa, bzw. in diesem Falle Frankreich steht also für eine Fortschrittlichkeit universalen Anspruchs, die auch für alle abweichenden Praktiken eine Norm darzustellen sucht. Weil die abgrenzende Definition islamischer Praktiken wie oben dargestellt jedoch zur europäischen Selbstbehauptung notwendig ist, wird islamisches Recht von europäischen Kolonialherren aufrechterhalten und der Universalitätsanspruch auf die Zukunft verschoben. Diese diskursive Dichotomiebildung materialisiert sich dann in der Nichtgewährung von Rechten und Ressourcen sowie in der Anwendung von strikteren Strafen auf Muslime. Zugleich existierten im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auch positiv gewertete Beschreibungen des Identitätsmarkers Islam bzw. Orient. Letztere zielten auf seine Exotisierung und Romantisierung ab. Auch Said weist darauf hin, dass europäische Wissenschaftler der Vorstellung von der aktuellen Stagnation muslimischer Lebenswelten einen „guten Orient“ entgegensetzten, den sie in der fernen Vergangenheit und zudem hauptsächlich in Indien lokalisierten: ,(…) the ,good‘ Orient was invariably a classical period somewhere in a long-gone India, whereas the ,bad‘ Orient lingered in present-day Asia, parts of North Africa, and Islam everywhere (Said 2003: 99).

Insbesondere Richard King hat sich mit den diskursiven Folgen dieses positiven Orientkonzepts beschäftigt. King hat aufgezeigt, wie vor allem deutsche Wissenschaftler im 19. Jahrhundert das Bild eines Hinduismus konstruierten, der in ferner Vergangenheit in Blüte gelegen (King 1999: 118 f.) und durch Religiosität, Weisheit, A-Materialismus, Mystik, teils Askese und vor allem durch die Abkehr von Politik und weltlichen Belangen gekennzeichnet gewesen sei (ebd.: 92, 123). Auch diese Orientvorstellung ist laut King als Gegenbild zum aktiven, materialistischen, rationalen und politischen Europäer 24 Insbesondere im Bereich des Strafrechts wurde Muslimen für gleiche Vergehen ungleich schärfere Strafen auferlegt als den französischen Bürgern (Bouveresse 2008: 741–743). Diese wurden durch den Code de l’Indig nat geregelt. Er bezeichnete eine zwischen 1881 und 1927 in Algerien eingeführte Vielfalt an Dekreten, die anstelle der französischen Verfassungsrechte auf die muslimische Bevölkerung angewendet wurden und diese nicht der Pflichten, jedoch vieler Rechte entband, in deren Genuss die Besitzer französischer Nationalität kamen. Diese Situation wurde durch einen zusätzlichen Strafkatalog geregelt, der nur für die einheimische Bevölkerung Algeriens galt und ihr viele Freiheiten vorenthielt, die für die Bürger mit französischer Staatsangehörigkeit galten. Die Strafen durften durch die regionalen Administrationen in Algerien ohne Gerichtsurteil und öffentliche Begründung vollzogen werden (Kateb 2001: 93 f.). Der Code de l’Indig nat wurde 1927 wieder abgeschafft (Fr meaux 1991: 169).

Theoretische Überlegungen

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konzeptualisiert worden (ebd.: 92) und hat in den westlichen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts wichtige Funktionen erfüllt: Sie stellte zum einen eine imaginäre Plattform dar, mit Hilfe derer Kritik an der eigenen, zunehmend materialistischen Gesellschaft inklusive des Christentums geübt werden konnte (vgl. ebd.: 125 f.). Zum anderen dienten auch die zunächst positiv gewerteten Bestimmungen des Markers „Orient“ letztlich als Beweis westlicher Überlegenheit. Der aktuell lebende Hindu, dem man Aberglauben und sinnentleerte Ritualität unterstellte, sollte zu den Ursprüngen seiner „weltabgewandten“ und „mystischen“ Religion zurückgeführt werden (ebd.: 126 f.). In politischer Hinsicht konnte auch diese Bedeutungsfixierung zur Legitimierung europäischer Kolonialherrschaft herangezogen werden: Die Entwicklung und politische Gestaltung Indiens musste dem geschichtsmächtigen und fortschrittsorientierten Europäer zufallen; die hinduistische Bevölkerung wurde rhetorisch von der Idee politischer Partizipation und folglich auch von potentiellen Protesten gegen die Kolonialmacht distanziert (ebd.: 93, 130 f.).25 Ein in ähnlicher Weise positiv gewerteter Orientbegriff war auch im Frankreich des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert populär. Reisende, Wissenschaftler und Kolonialpolitiker schufen hier das Bild eines in Nordafrika lokalisierten Orients als sinnlich, ästhetisch und orthodox-religiös. Sie lokalisierten die vollständige Entfaltung dieser Eigenschaften ebenfalls in der Vergangenheit und bezeichneten Marokko als das Land, in dem die Praxis der Menschen einer imaginierten Hochkultur am nächsten käme (Davidson 2007: 47, 52). Während die algerische Bevölkerung als barbarisch bezeichnet und ihre Religiosität als heidnisch klassifiziert wurde26, wurde Marokko zum Inbegriff eines Ortes, an dem eine bewundernswerte Religion über viele Jahrhunderte hinweg beinahe rein erhalten worden sei und das gesellschaftliche Leben mit ihrer besonderen Ästhetik präge (ebd.: 48, 52). Dass ein so konstruierter Identitätsmarker Orient ebenfalls massive machtpolitische Entscheide nach sich zog und letztlich zur Marginalisierung muslimisch-orientalischer Positionen im Diskurs beitrug, wird in Kapitel 2 ausgeführt. An dieser Stelle ist zweierlei von Bedeutung: Zunächst verweisen die genannten Beispiele darauf, dass bereits europäische Konstruktionen des 25 Kings Ausführungen unterscheiden sich an dieser Stelle deutlich von den Darstellungen Edward Saids: Er betont, dass politische Entscheidungen nicht einfach auf die Intention von Orientalisten und ihre Thesen zurückgeführt werden können: Der westliche Forscher hat nicht absichtlich eine weltabgewandte Strömung zum Zentrum des Hinduismus erklärt, damit der Inder leichter zu kolonialisieren sei. Anstelle eines direkten Zusammenhanges zwischen Intention und Wirkung spricht King von komplexen kolonialen Dynamiken, innerhalb derer das Wissen über den Orient instrumentalisiert werden konnte und also in breitere politische Zusammenhänge verflochten war (King 1999: 131). 26 Ein zentraler Unterschied wurde in der Behandlung der Kabylen und derjenigen der „arabischen Algerier“ gemacht. Kabylen wurden zumeist als rationaler, moderner und flexibler aufgefasst als letztere und unterlagen folglich auch anderen Herrschaftsstrategien (vgl. Ageron 1966: 70–72).

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Dispositiv

Identitätsmarkers Orient oder Muslim nicht homogen und unveränderbar, sondern in höchstem Maße überdeterminiert waren: Die Äquivalenzketten zu seiner Bestimmung ändern sich, je nachdem ob die grundlegende Bewertung positiv oder negativ (meistens aber der europäischen Identität letztlich unterlegen) ausfallen soll. Europäische Akteure ringen also aus verschiedenen Positionen heraus um unterschiedliche Konnotationen und Äquivalenzketten desselben Identitätsmarkers. Dabei kann eine bestimmte Version dieses Markers zu bestimmten Zeitpunkten und regional stärker popularisiert sowie zur Durchsetzung von politischen Interessen instrumentalisiert werden (z. B. die Konstruktion des orientalisch-islamischen Algerien als barbarisch, rückwärtsgewandt und stagnierend im 19. Jahrhundert); zu anderen Zeiten können andere Bestimmungen punktuell vorherrschend werden und zur Legitimation politischer Machtinteressen führen (z. B. die des orientalischen Marokko als sinnlich-ästhetisch, traditionell und von den reinen Werten einer bewunderns- und beschützenswerten Zivilisation beseelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vgl. Laurens/Tolan/Veinstein 2009: 373). Zum Zweiten, und dass Edward Said in Orientalism nicht darauf verwies, ist ihm zu Genüge vorgeworfen worden, ist der Identitätsmarker Orient nicht nur in dem Sinne transnational, dass Europäer ihn nutzten, um in den Kolonien neue Institutionen, Gesetze und politische Vorgehensweisen zu implementieren, die die Orientalen von Rechten und politischer sowie ökonomischer Teilhabe ausschlossen: Verflochtenheit bedeutet nicht lediglich die transregionale Verbreitung diskursiv erzeugter Objekte, Konzepte und Identitätsmarker, sondern schließt die Partizipation an der Konstitution dieser Marker durch Akteure der verschiedenen Regionen mit ein (wenn auch, wie oben erwähnt, unter ungleichen Bedingungen). Die koloniale Verflochtenheit von Identitätsmarkern Orientdiskurse sind dementsprechend keine Produktion des Westens, auf die der Orientale zu reagieren gezwungen war. Wie Richard King gezeigt hat, sind stets mannigfaltige Prozesse der Aneignung, Ablehnung und Transformation orientalistischer Paradigmen durch die Kolonisierten selbst beobachtbar (vgl. z. B. King 1999: 82–95, 135–142, 148–160, 188 f.). Akteure in kolonisierten Gebieten partizipierten an der Aushandlung des Identitätsmarkers Orientale ebenso wie an der durch Europäer machtvoll popularisierten (Neu-)Konstitution des Identitätsmarkers Islam in den Kolonien. Genau wie es keine homogene europäische Auffassung vom Orient gab, so ist die Tatsache, dass wir von der „orientalischen Reaktion“ auf bzw. Transformation dieses Identitätsmarkers reden, ein diskursiv erzeugtes Produkt. Letzteres sollte nicht darüber hinwegtäuschen, aus wie unterschiedlichen Positionen Akteure im „Orient“ auf diesen Marker rekurrierten und wie umkämpft und voneinander verschieden die spezifische Konstitution von „Orient“ und „Islam“ sein konnte, an deren Hegemonialisierung sie partizipierten. So wird in Kapitel 2.1.3. gezeigt, wie muslimische Delegierte aus Nordafrika einen von be-

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stimmten französischen Akteuren popularisierten Identitätsmarker Orient an der Großen Moschee von Paris bestätigten und ihn als authentisch deklarierten, um ihn zugleich in den Dienst ihrer eigenen politischen Ambitionen zu stellen. Andere, kolonialkritische muslimische Akteure lehnten diesen Marker vehement ab, reproduzierten aber ebenfalls mit Nachdruck die mit ihm einhergehende Konstellation zweier fundamental verschiedener Zivilisationen: der europäischen sowie der muslimischen. Träger von Unabhängigkeitsbewegungen in Nordafrika oder auch die Muslimbrüder in Ägypten griffen dabei zentrale Elemente auf, die auch Europäer in ihrer Bestimmung des Identitätsmarkers Islam verfochten. Sie bewerteten diesen Marker natürlich erstens positiv und der westlichen Welt gar überlegen (vgl. Elshobaki 2009: 23–26; Mar chal 2008: 89–93) und ergänzten seine Äquivalenzketten zweitens durch Elemente, die ihm von Europäern dezidiert abgesprochen wurden. So plädierte der Gründer der Muslimbrüder Hassan al-Banna (1906–1949) beispielsweise für eine Rückkehr zum authentischen Islam, der sich zwar vom westlichen Weg unterscheide, dennoch aber beispielsweise mit Wissenschaft kompatibel sei, zum Fortschritt aufrufe und sich an den aktuellen Lebenskontext anpasse etc. (vgl. Al-Banna 1972: 244–246, 255). Der Reformer Muhammad Abduh (1849–1905) hatte den Islam in Reaktion auf westlichorientalistische Vorwürfe hingegen gar ausführlich als Religion der Vernunft und des Fortschritts ausgelegt (vgl. Wieland 1971). Genau diese Konstellation produziert nun aber einen Identitätsmarker, der eine historische Sonderform der Überdeterminierung aufweist. Diese Überdeterminierung kommt dadurch zustande, dass die von Conrad/ Randeria beobachtete Produktion von gemeinsamen und abgrenzungsorientierten Erfahrungen in Kolonialkontexten, die shared und divided elements, letztlich in die Konstitution der Identitätsmarker selbst verlagert werden. Shared elements sind dann zu beobachten, wenn Elemente von Äquivalenzketten von Akteuren vertreten und reproduziert werden, die im Diskurs als gegensätzlich gedacht werden (wenn also z. B. kolonisierte Muslime und kolonialisierende Franzosen oder aber Franzosen und Muslime im aktuellen Frankreich den Identitätsmarker Islam durch dieselben Elemente bestimmen). Divided elements tauchen dann auf, wenn „Muslime“ und „Franzosen“ den Identitätsmarker Islam nicht nur unterschiedlich, sondern mit eigentlich antagonistischen Elementen bestimmen (wenn z. B. Franzosen die Fortschrittlichkeit Europas und die Rückständigkeit des Islam betonen, Muslime die Moderne und den Fortschritt aber als für den Islam konstitutiv verteidigen). Betrachten wir zur Verdeutlichung dessen noch einmal den algerischen Kontext. Die Politiker des unabhängigen Algerien übernahmen in den 1960er Jahren viele koloniale Verwaltungs- und Rechtsstrukturen von den französischen Besatzern; letztere waren natürlich von Konzepten und Strategien in-

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spiriert, die die französische Politik in Frankreich prägten.27 So ist die diskursiv produzierte Parallelität von Strategien, Rechtskonzepten und Institutionen mit der Unabhängigkeit Algeriens nicht zu Ende; Algerien und Frankreich weisen bis heute große Ähnlichkeiten auf. Dieselben politischen Akteure, die die in Algerien errichteten Strukturen großenteils übernahmen, versuchten nun aber zeitgleich, die Abgrenzung zwischen algerischer und französischer Identität zu markieren. So propagierten sie beispielsweise, ähnlich wie französische Kolonialverwalter es getan hatten, die Bedeutung eines moderat-authentischen Islam, der vom Staat gegen die Einflüsse von politisch-radikalen Strömungen geschützt werden müsse. Eine zentrale Strategie, die bereits im kolonial verwalteten und sodann auch im unabhängigen Algerien angewandt wurde, war dabei die der staatlichen Organisation und Kontrolle gut ausgebildeter Imame, die dazu beitragen sollten, den Einfluss autoproklamierter, radikalislamischer Prediger einzudämmen. Man kann also einen Identitätsmarker „moderater Islam“, und seinen antagonistischen Gegenpart, den „radikalen Islam“ ausmachen, deren Äquivalenzketten jeweils im kolonialen Frankreich wie im unabhängigen Algerien (und darüber hinaus, wie noch gezeigt wird, auch im aktuellen Frankreich wieder) mit Elementen wie Staatstreue und Ablehnung von Gewalt bestückt sind. Des Weiteren sind diese Identitätsmarker mit politischen Strategien und mit Konzepten vom „moderaten“ bzw. „radikalen Imam“ verknüpft, die ihrerseits sowohl im kolonialen als auch im heutigen Algerien und Frankreich über ähnliche Elemente konstituiert werden: So muss ein moderater Imam aus staatlicher Perspektive zumeist unpolitisch sein, den Staat akzeptieren, innerhalb dessen er predigt, er muss Gewalt und Terroranschläge ablehnen, jedoch auch einen mit Rationalität und moderner Lebenswelt kompatiblen Islam vertreten. In Frankreich wird diese Äquivalenzkette durch die Forderung ergänzt, Imame mögen auf französischem Boden ausgebildet werden und sich mit der französischen Sprache und dem französischen Lebenskontext identifizieren. Algerisch-staatliche Akteure hingegen handeln die arabische Sprache seit der Unabhängigkeit des Landes als zentralen Bestandteil der nationalen Identität; das Französische ist bisweilen äußerst negativ besetzt. Wir können auf zwei Besonderheiten verweisen. Zum einen scheinen politische Vertreter des kolonialen Frankreich, des heutigen Algerien sowie des heutigen Frankreich dieselben Elemente innerhalb der Äquivalenzkette zu verteidigen, die den Identitätsmarker des moderaten Islam bestimmen und ihn vom radikalen Islam abgrenzen. Gleichzeitig aber können (nicht müssen!) diese Elemente, wie beispielsweise das der Moderne und Rationalität in Frankreich, bei genauerem Hinsehen doch ganz anders bestimmt sein als in muslimisch-algerischen Akteurskreisen. Algerische Akteure, die auf diese 27 Diese Zusammenhänge werden insbesondere in den Kapiteln 3.1. und 4.1. ausgeführt. Für die entsprechenden Referenzen und Quellenangaben wird auf diese Kapitel verwiesen.

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Elemente verweisen, können so scheinbar an bestimmte politische Positionen anknüpfen, obwohl sie diese letztlich doch unterwandern, weil ebendiese Elemente in ihren Kreisen mit anderen Elementen und Zeichen verknüpft sind und somit andere Bedeutung erzeugen, teils sogar explizit französischen Positionen entgegengesetzte Bedeutung. Ein Beispiel hierfür wird in Kapitel 4.3. ausgeführt. Zum anderen können Äquivalenzketten zur Bestimmung von Identitätsmarkern in algerischen sowie französischen politischen Kreisen ein Element enthalten, wie erwähnt zum Beispiel die Sprache, das sich nicht nur von demjenigen des zunächst gleich konstituierten Identitätsmarkers unterscheidet, sondern ihm diametral entgegensteht. Dieses Element ist dann Teil einer Opposition, die dem in der Kolonialvergangenheit entsprungenen Bedürfnis zur antagonistischen Abgrenzung voneinander entspringt. Wird dieses Element nicht zum Thema gemacht, so kann der Marker „moderater Islam“ als mit französisch- und als mit algerisch-staatlichen Interessen kompatibel erscheinen. Findet es aber Erwähnung, so kann es jeweils entweder französisch- oder umgekehrt auch algerisch-staatliche Interessen kompromittieren. Auch dies ist ein Faktor, der den Identitätsmarker „moderater Islam“ zu einem Signifikanten macht, der für die in Opposition zueinander stehenden algerischen wie französischen Positionen anschlussfähig ist, durch seine jeweils konträren Elemente, die er enthält, jedoch zur Unterwanderung jeweils gegenteiliger Interessen genutzt werden kann. Von algerischen sowie französischen Akteuren umkämpfte Identitätsmarker, die zunächst offensichtlich einem teils gemeinsamen Feld der Diskursivität entspringen und parallel zueinander verlaufen, weisen also letztlich auf verschiedenen Ebenen Antagonismen in sich selbst auf: durch die Existenz von gegenteiligen Elementen oder durch die Präsenz von scheinbar gleichen, in ihren Kontexten jedoch unterschiedliche Bedeutung erzeugenden Elementen. Die so entstehende Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit kann, wie in den Analysekapiteln gezeigt wird, durch Agierende an der Moschee von Paris genutzt werden, um für unterschiedliche muslimische und nichtmuslimische, algerische und französische Akteure zugleich als anschlussfähig zu gelten. Von grundlegender Bedeutung für eine angemessene Erfassung des komplexen und stets uneindeutigen Charakters 1. der islambezüglichen Argumentationen in Verhandlungen zwischen algerischen und französischen Politikern und 2. der Positionierungen von GMP-Akteuren und ihrem Verhältnis gegenüber algerischen, französischen, nichtmuslimischen wie muslimischen Akteuren ist es folglich unerlässlich, jeweils die genaue Konstitution der miteinander verflochtenen Identitätsmarker herauszustellen. Dabei muss auch jeweils betrachtet werden, aus welcher Position heraus welcher Akteur vor welchem Publikum und unter welchen Rahmenbedingungen auf Identitätsmarker, ihre Äquivalenzketten und Oppositionspaare rekurriert. So liegt ein Instrumentarium vor, mit Hilfe dessen Mechanismen der Bedeutungsfixierung offen gelegt und die ihnen inhärenten Machtstrukturen

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sowie Formen des Unterlaufens und des stetigen Sichentziehens in seinen konkreten Effekten deutlich gemacht werden können. Diese Mechanismen am Beispiel der GMP nachzuzeichnen und damit auch den Nutzen der entwickelten theoretischen Perspektive aufzuzeigen ist Ziel dieser Studie. In den folgenden Kapiteln wird erläutert; 1. welche methodologischen Überlegungen angestellt und 2. welche methodischen Erhebungsund Analyseformen durchgeführt worden sind, um die dargelegten theoretischen Grundlagen in dieser Studie anzuwenden beziehungsweise zu entwickeln.

1.3. Methodisches Vorgehen Die meisten Diskurstheoretiker, inklusive Michel Foucault und die hier rezipierten Autoren Laclau und Mouffe, legen den Forscher nicht auf eine präzise Untersuchungsmethode fest. Verschiedene Fragestellungen und vor allem die unterschiedliche Beschaffenheit der Materialkorpora erlauben im Gegenteil unterschiedliche und multimethodische Vorgehensweisen (vgl. Keller 2004: 79–113). Das methodische Vorgehen einer Arbeit sollte jedoch in wechselseitigem Verhältnis mit den zugrunde liegenden theoretischen Prämissen sowie der Ausarbeitung der Forschungsfragen definiert werden. Die vorliegende Arbeit versteht sich zudem nicht als Diskursanalyse im Sinne einer umfassenden interpretatorischen Darstellung ausgewählter Diskursformationen. Sie ist insofern diskursanalytisch angelegt, als dass Forschungsprozess und Fragefoki in Rückbindung an die oben erläuterten diskurstheoretischen Prämissen reflektiert und ausgerichtet worden sind. Einige der eingenommenen Grundhaltungen sind dabei längst zum Konsens kultur- und sozialwissenschaftlichen Arbeitens geworden, wie beispielsweise der oben bereits ausführlich thematisierte konstruktivistische Charakter von Gesellschaftsentwürfen und zentralen Konzepten, aber auch die Standortgebundenheit jeder Forschungsarbeit und insbesondere die Konstitution des Untersuchungsgegenstandes im Feld und in Abhängigkeit von der soziokulturellen Verortung des Autors. In diesem Zusammenhang wird hier auch vertreten, was Uwe Flick in Anlehnung an Alfred Schütz als „doppelte Konstruktion“ in der qualitativen Sozialforschung bezeichnet hat: Demnach rekonstruieren Forscher nicht einfach die Wirklichkeitskonstruktionen der von ihnen untersuchten Akteure. Von ihrem je eigenen Standpunkt aus konstruieren sie vielmehr diese Entwürfe, sie entwerfen also Konstruktionen von Konstruktionen (Flick 2002: 57). Dass die sprachliche, kulturelle, soziale und wissenschaftlich-disziplinäre Verortung des Forschers eine spezifische Strukturierung des erforschten Bereiches nach sich zieht, bedeutet hingegen nicht, dass die Forschung subjektiv und willkürlich ist. Die gesamte Vorgehensweise ist im Gegenteil theoriegeleitet. Datenerhebung und -Analyse folgen auch in diskurstheoretisch ange-

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legten Studien den Regeln, die in der Sozialforschung und Ethnographie erprobt worden und anerkannt sind (z. B. Flick 2002; Lamnek 2005). Quellen, Datenkorpus und methodisches Vorgehen werden offengelegt und somit intersubjektiv nachvollziehbar gemacht. Die offene Reflexion der eigenen Positionierung verdeutlicht dem Leser zudem die Standortgebundenheit der Analysen (Lamnek 2005: 24); sie ermöglicht und fordert ein ständiges Überdenken des eigenen Vorgehens und wirkt so als Korrektiv für vorschnelle Postulate, die auf persönlichen Überzeugungen oder Vorannahmen beruhen. Für das methodische Vorgehen bei der Datenerhebung und -Auswertung wurde für diese Arbeit konkret auf den Vorschlag einer diskursethnographischen Vorgehenweise zurückgegriffen, wie sie der Soziologe Reiner Keller formuliert hat, auch wenn seinem Diskursverständnis in anderen Punkten nicht gefolgt wird. Im Unterschied zu Feldforschungen, die eine Lebensgemeinschaft fokussieren und sich dieser mit einer anfangs großen thematischen Offenheit annähern (vgl. Knoblauch in Keller 2004: 90), sieht Keller die sogenannte fokussierte Ethnographie als Basis für die Diskursethnographie (Keller 2004: 90). Die fokussierte Ethnographie zeichnet sich dadurch aus, dass sie spezifische Handlungs- und Kommunikationszusammenhänge erforscht und z. B. milieu- oder institutionenspezifische Typen herausstellt (vgl. Knoblauch in ebd.). Keller schlägt vor, diese Zielsetzungen an diskursanalytische Zwecke anzupassen und Praktiken wie Vorstellungen im Feld auf ihre Verbindungen zu Diskursen zu befragen, die der Forscher bereits in anderen Materialien aufgespürt hat (ebd.). Dies wird in dieser Arbeit durch eine systematische Verknüpfung historischer Erörterungen und Analysen allgemeinerer politischer Zusammenhänge mit ethnographischen Tiefenbohrungen erreicht; nur auf diese Weise können im Feld beobachtete Verhaltensweisen und Aussagen als Artikulationen im Diskurs interpretiert und damit in größere Kontexte gestellt werden. Ein detailliertes methodisches Programm, das ein schrittweises Vorgehen in diskursethnographischen Forschungen definieren würde, ist bisher nicht entwickelt worden. In den Folgekapiteln soll daher in Anlehnung an die Vorschläge Kellers sowie an erprobte Verfahrensweisen der qualitativen Sozialforschung ein Vorgehen vorgeschlagen werden, das es erlaubt, die in der Feldforschung erhobenen Daten auf sinnvolle Art und Weise mit dem übrigen Quellenkorpus zu verbinden; dies zudem in Rückbindung an die theoretischen Prämissen Laclau/Mouffes, die dieser Studie als Basis dienen. 1.3.1. Untersuchungsgegenstand Die Große Moschee von Paris ist ein Untersuchungsfeld mit vielfältigen Zugangsmöglichkeiten. Nicht nur muss eine bearbeitbare und im Sinne des theoretischen Erkenntnisinteresses sinnvolle Fragestellung festgelegt werden.

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Zugleich ist es unumgänglich, geschickt ausgewählte Schneisen in die Vielzahl der historischen, politischen, architektonischen o. ä. Aspekte zu schlagen, und aus den bis heute äußerst vielfältigen Akteurskreisen und Aktivitätsfeldern der Moschee Beispiele auszuwählen, die dann in ethnographischer Feinarbeit genauer betrachtet werden. Wie oben erläutert wird angenommen, dass größere historische und politische Zusammenhänge mit Detailanalysen verknüpft werden müssen, möchte man besser verstehen, inwiefern konkret beobachtbare verbale und nicht-verbale Positionierungen Ausdruck von globalen Verflechtungsgeschichten sind. So soll der Fokus auf die Gründungsgeschichte es ermöglichen, den Identitätsmarker Islam zu identifizieren, der zu Beginn der 1920er Jahre an der Großen Moschee von Paris sichtbar ausgehandelt wurde und der bis heute von politischen Akteuren sowie Muslimen an der Moschee selbst rezipiert und adaptiert wird. Die Analyse französischer und in eingeschränkterem Maße auch algerischer Islampolitik zeigt schließlich auf, inwiefern jüngere politische Konstellationen und Herausforderungen den bereits in der Kolonialgeschichte transregional auftretenden Identitätsmarker Islam transformiert haben. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Verwobenheit algerisch- und französisch-staatlicher Konstruktionen von Islam gelegt, die ihrerseits als Produkt kolonialer Verflechtungen identifiziert werden können. Schließlich sollten muslimische Akteure an der Moschee von Paris in den Blick genommen und ihre Positionen in die zuvor analysierten Konstellationen eingebettet werden. Der Zugang zu muslimischen Perspektiven wurde über das an die Moschee angegliederte Imamausbildungsinstitut Al-Ghazali gesucht, das besonders umfangreiche Möglichkeiten zur Datenerhebung und -auswahl versprach (wöchentlich fanden auf vier Studienjahre verteilt ca. 60 Unterrichtseinheiten statt). Zudem handelte es sich hierbei um einen Bereich, in dem der Einfluss des algerischen Religionsministeriums konkret fassbar wurde und in dem hauptsächlich algerische Lehrpersonen zu algerischen Studierenden sprachen. Diese Konstellation war für die Untersuchung der Verflochtenheit von Argumentationsmustern und Identitätsmarkern von besonderem Interesse: Sie ermöglichte es, Zusammenhänge zwischen den schwerpunktmäßig auf französisch-politische Akteure fokussierten Analysen der anderen Untersuchungsteile und den Ambitionen des algerischen Religionsministerums herzustellen, die sich schließlich auch im Studienprogramm des Institut al-Ghazali sowie letztlich in der Ausbildung und Auswahl der Lehrpersonen niederschlugen. Die Identitätspositionen der untersuchten Lehrpersonen konnten dabei in besonderer Weise als kreative Aneignungen von transnational, sowohl in Algerien als auch in Frankreich instrumentalisierten und umworbenen Identitätsmarkern herausgestellt werden.

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1.3.2. Datenerhebung und Quellenkorpus Im Feld wurde explizit keine teilnehmende Beobachtung im Sinne einer systematischen und theoriegeleiteten Erfassung von Ereignissen, Verhaltensweisen oder Raumgestaltungen durchgeführt, was sich auch in der inhaltlich und qualitativ begrenzten Anlage von Feldforschungsnotizen offenbart. Stattdessen wurde ein multimethodisches Vorgehen gewählt. Die Mitschriften zur Erhebung des Unterrichtsverlaufs und von Unterrichtsinhalten am Institut al-Ghazali standen dabei im Zentrum. Diese wurden jedoch durch das Sammeln Grauer Literatur, durch informelle Gespräche mit Lehrpersonen und Studierenden sowie durch punktuelle Teilnahmen und Beobachtungen von Veranstaltungen an der Moschee ergänzt. Auch wenn die Betrachtung nonverbaler Elemente durchaus im Interesse der oben erläuterten Diskurstheorie liegt, zogen Fragestellung und Gesamtanlage dieser Studie schließlich eine Fokussierung auf sprachliche Aussagen von Lehrpersonen während des Unterrichts nach sich. Die Forschung im Feld war inhaltlich also viel stärker fokussiert als dies im ethnographischen Vorgehen – mit oder ohne theoretische Leitfrage – oftmals der Fall ist. Das Interesse für Identitätsmarker verlangte jedoch auch hier zunächst eine größtmögliche Offenheit für alle Äußerungen und Verhaltenweisen, damit relevante Positionierungen nicht übersehen oder vorschnell auf Parallelen mit veröffentlichten Aussagen an und über die Moschee von Paris reduziert würden. Konkret können folgende Typen der Datenerhebung unterschieden werden: 1. Unterrichtsmitschriften Nach anfangs häufigen Kurswechseln, die der Orientierung zwischen den unterschiedlich und parallel zueinander stattfindenden Unterrichtseinheiten dienten, fokussierte ich mich schließlich auf den Unterricht zweier Personen, die sich als die zentralen Autoritäten innerhalb des Lehrkörpers herausstellten28 und deren Kursstunden für die Bearbeitung meiner Leitfragen höchst vielversprechend schienen. Weitere Unterrichtseinheiten besuchte ich zusätzlich aus Interesse. Die Unterrichtsinhalte hielt ich in Stichpunkten fest, zugleich notierte ich vorrangig und möglichst wörtlich die Aussagen, die mir als für den Fragefokus der Forschung relevant erschienen. 2. Feldforschungsnotizen Auf getrennten Papierbögen notierte ich Informationen zu Anzahl und Ge28 Eine dritte Person genoss neben den beiden besprochenen Lehrpersonen hohe Autorität seitens der Studierenden. Er stand meiner Arbeit jedoch skeptisch gegenüber, so dass ich mich aus Respekt gegenüber seiner Einstellung gegen eine Aufnahme seiner Positionen in die Studie entschied.

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schlecht der anwesenden Studierenden sowie gegebenenfalls zu besonderen Ereignissen während des Unterrichts und übertrug sie jeweils nach dem Unterricht in eine Computerdatei. Auf dieselbe Weise dokumentierte ich die Inhalte informeller Gespräche am Rande oder außerhalb des Unterrichts, Absprachen oder Vereinbarungen mit Akteuren an Institut und Moschee oder einzelne Veranstaltungen, die ich besuchte. Eine systematische Erstellung und Anordnung von Feldforschungsnotizen fand nicht statt, weil letztere wie oben erläutert im Rahmen dieser Studie höchstens punktuell zur Ergänzung von Analyseergebnissen herangezogen wurden. 3. Expertengespräche Weil die Gesprächspartner dies ablehnten oder weil das Ziel der Gespräche lediglich konkrete Zahlen oder Titel waren, wurden keine formalen Interviews organisiert. Die Inhalte der wenigen Gespräche, die auf Vereinbarung durchgeführt wurden, hielt ich während der Unterhaltung in Stichpunkten fest und übertrug letztere wenig später in eine Computerdatei. Daten aus diesen Dateien wurden später punktuell zur Ergänzung der Analyseergebnisse herangezogen und in die Darstellungen der einzelnen Kapitel integriert.29 Die Gesprächspartner wurden stets im Vorhinein über das Ziel der Befragung sowie über die Verwendung der Daten informiert und erklärten sich damit einverstanden. 4. Graue Literatur Zur Erfassung der Institutsstrukturen, der Studienprogramme, aber auch weiterer Unterrichtsinhalte, sammelte ich am Institut al-Ghazali zusätzlich Unterrichtsmaterialien in Form von Handouts, Audiodateien, Lehrbüchern und Prüfungen; in geringerem Umfang erhob ich auch Informationen über den Blog beziehungsweise später die Homepage des Institut al-Ghazali.30 In vielfachem Oszillieren zwischen Quellen und ihrer Analyse, bisweilen auch als rekursive (Breidenstein/Hirschauer u. a. 2013: 45 f.) bzw. zirkuläre Vorgehensweise (Flick 2002: 71) bezeichnet, wurden dieser Studie schließlich folgende Quellentypen zugrunde gelegt:

29 Zu den letztlich verwendeten Gesprächen gehörten eine ca. 40-minütige Unterhaltung mit einer der beiden für diese Studie zentralen Lehrpersonen (INT CHE); die Erfragung von konkreten Daten zur Studierendenschaft im Sekretariat des Institut al-Ghazali (INT ANO2); ein ca. 45minütiges Gespräch über die Kooperation der GMP mit dem Institut Catholique (INT ANO1) am Sekretariat des Institut Catholique sowie ein ca. 80-minütiges Gespräch mit Bernard Godard (INT GOD) am BCC. 30 Die Institutshomepage wurde erst nach dem Untersuchungszeitraum, im Jahre 2011, eingerichtet und existiert seither parallel zum Blog. Der Blog wurde hauptsächlich von einem damaligen Studierenden des Institut al-Ghazali betrieben und wird mit seinem Fortgehen seit dem Lehrjahr 2010/2011 nicht mehr aktualisiert.

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• veröffentlichte Reden, die im Zuge der Eröffnungszeremonien der Moschee von Paris gehalten worden sind • Veröffentlichungen Dalil Boubakeurs in Form von Monographien oder Interviewsammlungen • unveröffentlichte Mitteillungen französischer Ministerien sowie Briefwechsel mit Dalil Boubakeur aus den Archives Nationales (France) • Artikel aus verschiedenen französischen Tageszeitungen zwischen 1990 und 2005 • Expertengespräche • Unterrichtsmitschriften und weitere Lehrmaterialien (ca. 150 Seiten, vgl. Kap. 4.2.1 und 4.3.1.). • Graue Literatur: vor allem Studierendenführer, Werbeflyer und Stundenpläne • in geringem Umfang Feldforschungsnotizen zu Abläufen, besonderen Ereignissen etc. (ca. 5 Seiten) 1.3.3. Auswertung Das aufgeführte Quellenmaterial wurde in Rückbindung an die theoretischen Prämissen von Laclau und Mouffe auf folgende Aspekte hin befragt: • Wie können die Identitätsmarker benannt werden, auf die a) ein Akteur an der Moschee von Paris oder b) ein Akteur außerhalb der Moschee von Paris rekurriert, um letztere zu charakterisieren? • Von welchen anderen Identitätsmarkern werden diese Identitätspositionierungen abgegrenzt oder von was werden sie gegebenenfalls antagonistisch abgegrenzt? • Wie sind diese Identitätsmarker konstituiert? Welche Elemente werden mit ihnen verknüpft und in äquivalente Ketten gesetzt: wie werden die Differenzketten gebildet, von denen sie sich abgrenzen? • Welche Argumentationsmuster und Gesellschaftsdeutungen werden aus der Bewertung dieser Identitätsmarker abgeleitet und welche sind die machtpolitischen Implikationen, die sich aus ihrer Instrumentalisierung im Diskurs entfalten können? Zur Beantwortung der letzten Frage wurden die identifizierten Identitätsmarker inklusive ihrer Äquivalenz- und Differenzketten • in den Machtstrukturen verortet, von denen die Orte ihrer konkreten Artikulationen durchzogen sind: Dies schließt die Frage nach der Position und Vernetzung des artikulierenden Akteurs ein, also auch nach seiner institutionellen Anbindung und dem machtpolitischen Potential, das dieser Anbindung im Diskurs zukommt (vgl. Keller 2004: 95). Oftmals ist auch von Bedeutung, welche Gruppierungen im Rekurs auf Identitätsmarker reprä-

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sentiert und welche hingegen nicht markiert und folglich von der Partizipation am Diskurs ausgeschlossen werden sollen. • in diachrone Zusammenhänge gestellt: Es wird gefragt, ob die identifizierten Identitätsmarker sowie die daraus abgeleiteten Realitätsdeutungen bereits in anderen historischen Kontexten auftauchten; wenn ja, in welche Machtstrukturen sie damals eingebettet waren und inwiefern sich die historische Konstitution der Marker von aktuellen Bestimmungen und machtpolitischen Verortungen unterscheidet. • in synchrone Zusammenhänge gestellt: Wird der Identitätsmarker, auf den ein Akteur artikulatorisch rekurriert, auch von anderen Akteuren oder Gruppierungen in Anspruch genommen? Existieren verschiedene Konstitutionen (Äquivalenz- und Differenzketten) dieses Markers und welche machtpolitischen Interessen sind mit dem Rekurs auf diesen Marker verknüpft? Das Bestreben, insbesondere transregionale Verflechtungen von Identitätsmarkern auszumachen, zog zuletzt konkret folgende Fragen nach sich: • Beziehen sich die algerischen Politiker, die für die Politik der Moschee von Paris von Bedeutung sind, auf ähnliche Identitätsmarker, antagonistische Oppositionen sowie Äquivalenz- und Differenzketten wie die französischen Autoritätsträger? • Welche machtpolitischen Konsequenzen hat es für muslimische Akteure an der Großen Moschee von Paris, wenn sie sich auf die gleichen Identitätsmarker beziehen wie das algerische Religionsministerium und wie französische Autoritäten? Die aufgeführten Fragestellungen zeigen deutlich den textinterpretatorischen Charakter der Materialbefragung an. Diesbezüglich wird hier der Standpunkt von Reiner Keller vertreten: Auch wenn sich strukturalistische Analysen in den 1960er Jahren polemisch von der Hermeneutik abzusetzen versuchten, so sind auch Diskursanalysen letztlich der Textinterpretation und -deutung verpflichtet (ebd.: 72). Nach ihnen eigenen Kriterien und Fragestellungen versuchen sie, Zusammenhänge aufzuspüren sowie zu „verstehen.“ Dabei sind sie ähnlichen Gefahren der Fehlinterpretation sowie der vorschnellen Postulierung von Differenzen und Parallelen unterworfen wie andere Formen der hermeneutischen Textkritik und versuchen, sie durch Offenlegung der Daten und des Forschungsprozesses und durch eine insgesamt kritische und mehrmals prüfende Reflexion zu kontrollieren (vgl. ebd.). Schließlich ist, auch hier in Anlehnung an Reiner Keller, zu betonen, dass diskursanalytisch ausgerichtete Arbeiten sich nicht auf die Analyse von Texten beschränken, sondern dass auch sie nonverbale Artikulationen in Form von Praktiken, Institutionsstrukturen oder Gebäuden wie einen „Text“ lesen und „verstehen“:

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Sie [die Diskursanalysen] implizieren selbst da Textauslegungen, wo sie sich auf formale Strukturen, Dinge oder Praktiken konzentrieren (Keller 2004: 72).

Wie im Zuge der obigen theoretischen Ausführungen bereits erwähnt, so können Identitätsmarker nicht nur durch sprachliche, sondern auch durch nichtsprachliche Artikulationen konstruiert werden. Die Ästhetik oder architektonische Besonderheiten von Gebäudeteilen der Moschee von Paris können zum Beispiel als Verweis auf einen übergeordneten Identitätsmarker „traditioneller Islam“ oder „Orient“ fungieren und damit Deutungsmuster wie „der Islam ist ganz anders als Frankreich“ bedienen. Sie implizieren also ähnliche Machtstrukturen wie direkte verbale Artikulationen und müssen ähnlich interpretiert werden, auch wenn sie in weiten Teilen dieser Studie gegenüber den verbalen Artikulationen zweitrangig behandelt wurden.

1.3.4. Zugang und Rolle im Feld Grundsätzlich folgte ich während meines Feldforschungsaufenthaltes in Paris den forschungsethischen Prämissen, die Hammersley/Atkinson formuliert haben: Demnach darf Forschung im Feld nicht verdeckt geschehen, sondern sie muss unter informierter Zustimmung (informed consent) der beobachteten Akteure stattfinden (Hammersley/Atkinson 2007: 210–212). Zudem muss mit den Aussagen und Erlebnissen dieser Akteure respektvoll umgegangen werden. Ihre Lebensentwürfe sollen möglichst wertgeschätzt und im Vergleich mit den möglicherweise abweichenden eigenen Einstellungen nicht abgewertet werden. Trotz der formalen Arrangements und Absprachen mit dem Institutsdirektor und den Lehrpersonen war diese Zustimmung nicht immer leicht zu erreichen und der Aufenthalt am Institut al-Ghazali daher streckenweise auch von Schwierigkeiten gezeichnet. Die Durchführung meines Projekts stieß unter Lehrpersonen wie Studierenden sowohl auf begeisterte Zustimmung als auch auf Misstrauen und Ablehnung. Viele der als schwierig erlebten Situationen sind dabei wohl charakteristisch für nahezu jede Feldforschung. Im Folgenden werden einige Aspekte identifiziert, die während der Forschung im Feld Konfliktpotential bargen, ihre Deutung ist jedoch möglicherweise subjektiv und beruht teils auf persönlichem Erfahrungswissen. 1. Ein zentraler Grund für das Misstrauen, das mir am Institut al-Ghazali von einigen Lehrpersonen und Studierenden entgegen gebracht wurde ist die Negativdarstellung des Islam in der französischen Öffentlichkeit. Bereits als ich mich zu Beginn meiner Forschung offiziell in das Kursprogramm des Institut al-Ghazali einschrieb, wurde mir bezüglich potentieller Interviewvorhaben zur Vorsicht geraten: Einige Studierende seien in der Vergangenheit auf Journalisten hereingefallen, die ihre Worte verdreht und für eine negative

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Berichterstattung instrumentalisiert hätten; sie pflegten folglich nun eine skeptische Haltung gegenüber jeder Art von Gesprächsanfragen. Im Laufe des Forschungsprozesses erwähnten auch Studierende direkt mir gegenüber, dass Journalisten und Wissenschaftler ihr Vertrauen ausgenutzt hätten. Sogar in Unterrichtseinheiten derjenigen Lehrpersonen, die sich meiner Studie gegenüber offen zeigten, wurde meine Präsenz unter dem Thema der Vorsicht gegenüber Außenstehenden thematisiert. So fand ich mich beispielsweise einmal in der Situation, auf Anordnung der Lehrperson vor den Studierenden ausdrücklich beteuern zu müssen, dass ich nicht mit den deutschen oder französischen Geheimdiensten kooperiere.31 2. Die Skepsis einiger Akteure wurzelte zudem in epistemologischen Vorannahmen, die alle nichtmuslimischen Analysen des Islam notwendigerweise aus dem Reigen wissenschaftlicher Wahrheiten ausklammerten. So wurde im Unterricht einer Lehrperson mehrmals erläutert, dass „westliche Wissenschaft“ (verstanden als Wissenschaft von Nichtmuslimen) falsche Voraussetzungen mache, weil ihre Träger keine Muslime seien. Die Überzeugung von der Wahrheit islamischer Lehre ist in dieser Argumentation die logische Konsequenz richtig durchgeführter Wissenschaft. Wer Wissenschaft über den Islam korrekt betreibt, wird Muslim, wer nicht Muslim wird, hat eine falsche Wissenschaft und kann nur Falschheiten über den Islam produzieren (vgl. Kapitel 4.2., 4.3.). Diese Grundeinstellung schien den Akteuren am Institut alGhazali grundsätzlich zwei Interpretationsmöglichkeiten meiner Präsenz zu ermöglichen: 1. Eine negative, nach der ich entweder mit „schlechten“ oder mit „guten“ Intentionen, jedenfalls aber als Nichtmuslimin, eine Studie schreiben würde, die muslimische Glaubensvorstellungen, Praktiken und Interessen notwendigerweise verzerrt oder zumindest nicht gewinnbringend darstellt; 2. eine positive, nach der Allah mich an die Moschee und zu einem Studium über den Islam geführt habe und mir womöglich den Weg zum Muslimsein zeigen wolle. So wurde ich im Verlauf meines Aufenthaltes am Institut von Studierenden wie Lehrenden regelmäßig gefragt, ob ich zu kon-

31 Diese Situation war entstanden, nachdem ich der Lehrperson angekündigt hatte, eventuell Interviews mit den Studierenden durchführen zu wollen – ein Vorhaben, das ich im Laufe des Untersuchungszeitraums aufgab, nachdem sich der Forschungsfokus auf die Aussagen der Lehrpersonen konkretisiert hatte. Zu Beginn der folgenden Unterrichtsstunde bat die Lehrperson mich nach vorne, um mit mir vor den Studierenden einen Ehrenpakt („un pacte d’honneur“) abzuschließen, der sich jedoch vor allem auf die Aussagen der Studierenden bezog: Während der Lehrer mir gegenüber seine Furchtlosigkeit in Bezug auf meine wissenschaftliche Darstellung bekräftigte, erklärte er sich zugleich als für die Studierenden verantwortlich. Falls ich Interviews mit ihnen machen oder ihre Aussagen im Kurs verwenden möchte, so müsse er sicher sein, dass ich keine Kontaktperson sei, die die Aussagen an die Politik weiterleiten würde. Auch er stellte diese Furcht sodann in einen Zusammenhang mit der negativen Berichterstattung, die über Muslime in Frankreich gängig sei: Staatsangestellte könnten diese Informationen für weitere Negativentscheide und Falschdarstellungen nutzen (FFN 26.10.08).

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vertieren gedenke oder ob sich meine persönliche Einstellung zum Islam langsam verändere. 3. Eine weitere Quelle für Kommunikationsschwierigkeiten vor Ort bestand darin, dass das Konzept empirischer Studien wie ich sie durchzuführen gedachte, in der Wirklichkeitsstrukturierung der Akteure nicht existent zu sein schien. So wurde mir bisweilen nahe gelegt, anstelle einer muslimischen Gruppierung in Frankreich doch lieber den Islam an sich zu studieren; trotz anfänglicher Begeisterung für mein Forschungsprojekt stellte sich zudem im Laufe der Wochen heraus, dass einige Lehrpersonen die Ausrichtung meiner Studie missverstanden hatten. Nicht alle, doch einige waren der Auffassung, dass ich nicht eine Arbeit über ihr Institut oder die Moschee von Paris schreibe, sondern vielmehr an der Moschee studiere, um über islamisches Recht, den Koran oder Hadithkorpora zu promovieren. Mit der Idee einer empirischen Studie über eine soziologische Gruppierung waren diese Lehrpersonen so wenig vertraut, dass sie sie in eine ihr besser vertraute Vorstellung umzudeuten schienen. Diese Situation stellte für mich einen forschungsethischen Konflikt dar, schien sie doch ungewollt mit dem Grundsatz der informierten Zustimmung zu kollidieren: War eine Lehrperson informiert, nachdem ich ihr mein Vorhaben erklärt hatte, sie es jedoch ihren Vorstellungen von Wissenschaft gemäß anders eingeordnet hatte? Oder auch: Ist es forschungsethisch vertretbar, den Unterricht einer Person zu untersuchen, die die Studie an sich zwar nicht befürwortet, sich zugleich aber womöglich verpflichtet fühlt, mich dennoch in ihren Unterricht zu bitten, weil sie überzeugt ist, mir auf diese Weise den Weg zum Muslimsein ebnen zu können? Diese schwierigen Fragen löste ich während meines Aufenthaltes zumeist mit der Entscheidung, das Gespräch mit den Lehrpersonen zu suchen und meine Forschungsfragen sowie mein wissenschaftliches Interesse wiederholt zu erläutern. Stellte sich heraus, dass mein Gegenüber daraufhin Vorbehalte äußerte, jedoch nicht den Schritt zu einem klaren „Nein“ vollzog, so verließ ich wie oben erwähnt den Unterricht; in Fällen, in denen sich die Kommunikationsschwierigkeiten in Richtung gegenseitigen Einvernehmens darüber entwickelten, was ich an der Moschee tat, so blieb ich. Letzteres traf auf den Unterricht der beiden Lehrpersonen zu, die in Teil 4 ausführlich porträtiert werden. 4. Zuletzt soll schließlich meine Position als Frau in einem männerdominierten Forschungsfeld angesprochen werden. Gerade in Bezug auf islamische Untersuchungskontexte sehen sich viele Forscher aufgrund von Zugangsproblemen gezwungen, ihre Studien auf gleichgeschlechtliche Akteurskreise zu fokussieren. So beschränken sich Frauen oftmals darauf, muslimische Frauengruppen zu untersuchen (z. B. Weibel 2000; Mahmood 2004; Amir-Moazami 2007; Bleisch-Bouzar 2012). Ich tat das Gegenteil, in dem ich meine Beobachtung als Frau an einem Institut durchführte, dessen

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Lehrkörper sich ausschließlich aus männlichen Personen zusammensetzte. Auch die Studierenden waren, zumindest im arabophonen Studienprogramm, bis auf wenige Einzelfälle Männer. Diese Situation mag zwar den einen oder anderen persönlichen Kontakt und damit Zugang zu Daten verhindert haben. Umgekehrt war sie womöglich jedoch auch Quelle für Informationen, die ein männlicher Forscher nicht auf dieselbe Art erhoben hätte, manifestierte sich doch an meiner Präsenz beispielsweise in mehrerlei Hinsicht die Einstellung von Lehrpersonen und Studierenden zum Umgang mit Frauen. Problematisch war für mich die Einstellung einiger Akteure zur Rolle der Frau als Wissenschaftlerin. So wies eine Lehrperson meine Anfrage nach Teilnahme an einer Unterrichtssequenz des vierten Studienjahres mit der Aussage zurück, die Kurse des dritten und vierten Jahres beinhalteten sehr spezifische Inhalte, die normalerweise für Männer reserviert seien. Ein weiterer Lehrender erklärte mir mehrmals, ich solle meine Studie nun in Ruhe beenden, mich dann jedoch um die Gründung einer Familie und das Aufziehen von Kindern bemühen. Das Konfliktpotenzial, das ein solches Divergieren von meinen und den Vorstellungen einiger Akteure am Institut al-Ghazali birgt, darf nicht unterschätzt werden. Aussagen, die ich als Ablehnung meines Selbstverständnisses als Wissenschaftlerin interpretierte; darüber hinaus auch allgemeine Negativbewertungen von „westlichen“ Gewohnheiten, Freizeitaktivitäten und weiblichen Kleidungsstilen riefen bisweilen auch Unverständnis meinerseits für die Auffassungen der Studierenden und Lehrenden hervor. Eine ständige Auseinandersetzung mit den Gründen für dieses Unverständnis sowie mit den historischen Ursprüngen und globalgeschichtlichen Verortungen der Akteurspositionen ermöglichte es schließlich, eine vorschnelle Bewertung und Einordnung dieser Positionen zu vermeiden. Insgesamt verhielt ich mich entsprechend der oben formulierten Forschungsgrundsätze respektvoll gegenüber den Praktiken und Überzeugungen der Personen am Institut und behandelte sie als zwar zu meinen Positionen different, nicht aber als unterlegen oder schlechter. Während meiner Feldforschung stand mir prinzipiell das durch die Ethnographie und bisweilen auch die qualitative Feldforschung etablierte Spektrum von aktiver und vollständiger Teilnahme, beobachtender Teilnahme, teilnehmender Beobachtung bis hin zur distanzierten Beobachtung zur Verfügung (vgl. Flick 2002: 88 f., 200 f.). Wie die Mehrheit der Forschenden entschied ich mich für die Annahme einer Rolle in der Mitte dieser Möglichkeiten (vgl. Laack 2011: 54), korrigierte sie jedoch angesichts der beschriebenen Erwartungen mancher Akteure, ich möge mich zum Islam konvertieren, bisweilen explizit in eine Haltung distanzierter Beobachtung; auf diese Weise sollte dem Forschungsumfeld möglichst jederzeit mein Selbstverständnis als Forscherin in Erinnerung gerufen werden.

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Während des Unterrichts am Institut al-Ghazali setzte ich mich wenn möglich in die hinterste Reihe, oft war ich jedoch gezwungen, einen der letzten freien Plätze in der Mitte der Studierenden einzunehmen. Weil letztere ebenfalls Notizen zu den Lehrinhalten machten, fiel meine eigene Dokumentationstätigkeit im Raum nicht auf. Darüber hinaus schienen weitere Rahmenbedingungen mich in die Rolle der puren Teilnehmerin zu manövrieren: So riefen mich einige Lehrende wie die anderen Studierenden auf, wenn Unterrichtsstoff abgefragt wurde; zudem stellte auch ich gegen Ende des Forschungsaufenthaltes ergänzende Fragen während des Unterrichts und griff damit wie die übrigen Teilnehmer aktiv in den beobachteten Ablauf ein (vgl. Kapitel 4.2.1., 4.3.1.). Zudem betrat ich das Institut meistens mit Kopftuch, weil dies für Frauen Pflicht und Zutrittsbedingung zu den arabophonen Kursen war. Das Kopftuch stellte m. E. allerdings eine weitere Gefahr dar, meine Rolle als Forscherin im Kurs zu verschleiern. Ich versuchte, all diesen Faktoren entgegen zu wirken, indem ich den Grund für meine Anwesenheit immer wieder erläuterte. Auch während meiner Aufenthalte im touristischen Bereich der Moschee oder während der Teilnahme an Konferenzen versuchte ich Missverständnisse zu vermeiden, indem ich meine Rolle als Forscherin offenlegte. Dies galt auch dann, wenn der beobachtete Bereich den Untersuchungsgegenstand meiner Studie nicht berührte. Gebete beobachtete ich beispielsweise vom Rande aus und nahm nur in seltenen Ausnahmen an ihnen teil – beispielsweise wenn eine große Anzahl an Personen den Raum so füllte, dass ich mich in der Mitte der Betenden wieder fand: Hier hätte eine verweigerte Teilnahme eine Unterbrechung der symmetrischen Gebetsreihen bedeutet und wäre potentiell als störend empfunden worden.

Exkurs: Eine Kurzpräsentation der Großen Moschee von Paris1 Die Große Moschee von Paris befindet sich am Place du Puits de l’Ermite, gegenüber dem bekannten Jardin des Plantes, im Studierenden- und Gelehrtenviertel Quartier Latin. Am 22. Juli 1926 wurde die GMP im Beisein französischer Politiker sowie mehrerer Delegationen aus Nordafrika eingeweiht (vgl. Kapitel 2.1.4.). Der Gebäudekomplex wurde nach dem Vorbild der AlQarawiyyin Moschee im marokkanischen Fes konzipiert und enthält neben einem Gebetssaal, Versammlungsräumen und Büros auch Gärten, ein Restaurant, ein hama¯m, kleine Geschäfte sowie Privatwohnungen und Gäste˙ Jahren nach ihrer Einweihung wurde die GMP vornehmlich zimmer. In den von reichen Arabern auf der Durchreise frequentiert oder von einem nichtmuslimischen französischen Publikum besichtigt. Die Ausrichtung der Aktivitäten und Feste legte der erste Moscheeleiter Si Kaddour Ben Ghabrit in enger Kooperation mit französischen Politikern fest (vgl. Kapitel 2.3.1.). Nach der Unabhängigkeit der Länder des nordafrikanischen Maghreb wurde die Einrichtung Gegenstand langwieriger Machtkämpfe. Vor allem französische und algerische Autoritäten, aber auch marokkanische und teils senegalesische Akteure rangen um Besitz- und Verwaltungsrechte oder zumindest Einfluss auf die GMP (vgl. Boyer 1992: 35–42). Im Laufe der 1980er Jahre gelang es einigen Eliten des algerischen Staates, ihre Kontrolle über die Einrichtung zu festigen (vgl. ebd.: 43–49). Bis heute unterstützt Algerien die Moschee finanziell (ebd.: 66; Godard/Taussig 2007: 398; Godard 2015: 298), bestimmt ihren Rektor (wenn auch in Absprache mit der französischen Regierung), ernennt die Führungsmannschaft (vgl. Godard/Taussig 2007: 398) und überwacht die inhaltliche Ausrichtung etwa der Lehrinhalte sowie immer wieder auch des Lehrpersonals am angegliederten Imamausbildungsinstitut AlGhazali. Der rechtliche Status der Moschee ist umstritten. Offiziell ist die GMP in Frankreich seit 1921 als Association culturelle nach dem Vereinsrecht von 1901 eingetragen (Barbier 1995: 213). Die Verwaltung solcher kultureller Vereine ist 1 Alle in diesem Kapitel nicht mit Literaturbelegen oder Verweisen auf die Analysekapitel versehenen Informationen beruhen auf Beobachtungen, die während des Feldforschungsaufenthaltes 2008–2009 gemacht wurden, zu Grunde liegen Feldforschungsnotizen bzw. informelle Gesprächsinhalte (letztere sind markiert, z. B. als INT GOD). Während der Vorbereitung dieser Publikation wurden viele Informationen noch einmal auf ihre Aktualität überprüft. Da, wo ein Fortbestehen, z. B. einer Aktivität, nicht erwiesen werden konnte, wurde in der Vergangenheitsform formuliert.

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zwar seit 1981 auch in Frankreich lebenden Ausländern erlaubt, die Kontrolle durch einen anderen Staat hingegen führt zwangsläufig in ein juristisches Vakuum (vgl. Boyer 1992: 41–44). In politischen Diskursen und journalistischen Darstellungen wird die GMP heute oftmals als algerische Instanz oder Vertreterin eines „traditionellen algerischen Islam“ bezeichnet; vor allem aber gilt sie als Zentrum eines moderaten Islam in Frankreich, der sich hartnäckig gegen „radikalislamische“ Tendenzen wehre (vgl. Teil 3.2.). Unter den in Frankreich lebenden Muslimen ist die GMP hingegen nicht zuletzt aufgrund ihrer Kontrolle durch den algerischen Staat höchst umstritten. Auch weil andere Akteursgruppen seit den 1980er Jahren und bis heute in der Organisation islamischer Infrastruktur und Verteidigung muslimischer Interessen weitaus aktiver sind, gilt die GMP als kaum repräsentativ (vergleiche Kapitel 2.1.3. und Teil 3). Seit 1992 repräsentiert der Rektor Dalil Boubakeur die Große Moschee von Paris. Dalil Boubakeur, ausgebildeter Arzt, studierte in Frankreich (vgl. Godard 2007: 258), besitzt die französische Staatsbürgerschaft und nutzt seine Bildung in französischer Kultur, Literatur und Geschichte, um die GMP in Interviews, Medienauftritten und Publikationen gegenüber der französischen Bevölkerung unermüdlich als Bastion eines moderaten und in Frankreich problemlos integrierbaren Islam zu propagieren (vgl. Teil 3). Finanzielle und wichtige administrative Entscheidungen kann er ohne Zustimmung des algerischen Staates jedoch nicht oder nur sehr eingeschränkt treffen (INT GOD). Boubakeur ist eine mehrköpfige Führungsmannschaft zur Seite gestellt, die vom algerischen Staat bestimmt wird. Oftmals handelt es sich um Söhne und Verwandte von Generälen, die keine religiöse Ausbildung besitzen (ebd.). Neben dem Rektor und seinem Leitungsteam sind an der GMP Imame und Muezzine beschäftigt; es besteht eine Theologiekommission, die auf Anfrage Fatwas erteilt; ca. 15 Lehrpersonen unterrichten außerdem am angegliederten Imamausbildungsinstitut Al-Ghazali im Bereich der islamischen Wissenschaften. Hinzu kommen mehrere Sprachlehrer, die Kindern und Erwachsenen das Hocharabische nahebringen; der Direktor für das Imamausbildungsinstitut, ein Beauftragter für das Kulturprogramm, Öffentlichkeitssprecher, Anwälte, Sekretärinnen, weiteres administratives Personal und schließlich Türwächter, Köche, Verkäufer, andere Bedienstete und Touristenführer, die den Besucher auf Wunsch durch bestimmte Bereiche der Moschee führen. Der umfangreiche Personalstab verweist bereits auf die vielfältigen Nutzungsweisen der 7.500 m2 großen Grundstücksfläche, deren Aufteilung in groben Zügen noch immer den in den 1920er Jahren realisierten Bauplänen entspricht. Im Nordwesten des Gebäudes wird seit der Eröffnung der Moschee bis heute ein touristischer Komplex aus hama¯m, Restaurant, Teesalon und ˙ Souks betrieben, der hauptsächlich von Nichtmuslimen frequentiert wird. Im Nordosten, in dem einst Wohnraum für Verwaltungsangestellte angelegt war, befindet sich heute das Institut al-Ghazali. Dieses besteht aus vier Unter-

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richtsräumen, einem kleinen Innenhof, einem Sekretariatszimmer sowie einer Bibliothek, in der ebenfalls bisweilen Unterricht durchgeführt wird. Am Institut al-Ghazali wird seit ca. 2006 eine mehrjährige Imam- sowie eine Ausbildung zum islamischen Seelsorger angeboten, der in Krankenhäusern, Gefängnissen oder militärischen Einrichtungen eingesetzt werden kann. Zudem finanzierte die algerische Botschaft zur Zeit der Untersuchung Arabisch- und Religionsunterricht für Kinder sowie kostenpflichtige Hocharabischkurse für Erwachsene, die ebenfalls in den Kursräumen des Institut al-Ghazali durchgeführt wurden. Unmittelbar südlich des Institutes sind heute zwei weitere Kursräume eingerichtet, in denen die Studierenden die Koranrezitation lernen. Samstagnachmittags fand sich dort während des Untersuchungszeitraums zudem ein Imam ein, der insbesondere Konvertiten für die Beantwortung von Fragen zur Verfügung stand, darüber hinaus trafen sich verschiedene Sufi-Gruppen zum wöchentlichen dhikr.2 Der quadratische, nach Mekka ausgerichtete Raum südlich des hama¯m dient bis heute als Gebetssaal, der zum wöchentlichen Freitagsgebet˙ca. 500–600 Muslime zu fassen in der Lage ist (Davidson 2007: 85). Anlässlich von Festtagen werden zusätzlich der südlich anschließende Vorhof sowie der Eingangsbereich mit Teppichen ausgelegt, um muslimischen Besuchern Platz für das Gebet zu bieten. Zwei große Waschräume für die rituellen Waschungen finden sich jeweils im Untergeschoss südwestlich des Grand Patio (für Frauen) und östlich außerhalb des großen Gebetssaals (für Männer). Im Übergangsbereich zwischen Grand Patio und Garten sind aktuell westlich ein service culturel und östlich, ein Stockwerk über den Waschräumen für Frauen, der service religieux angesiedelt. Im service culturel können Informationen über bevorstehende Konferenzen und Vorträge an der Moschee eingeholt und Einschreibungen in die Arabischkurse vorgenommen werden. Im Raum für den service religieux stehen religiöse Gelehrte für persönliche Anliegen der Besucher zur Verfügung: Im Falle von familiären oder ehelichen Problemen und Streitigkeiten vermitteln sie und erläutern korrektes Verhalten nach islamischem Recht. Zudem ist hier die Anlaufstelle für Fragen des islamischen Rechts und Glaubens, die entweder spontan beantwortet oder von einer hierfür zuständigen Kommission bearbeitet werden können. Schließlich werden durch den service religieux islamische Rituale wie Konversionen oder Hochzeiten vollzogen (vgl. auch www Moschee von Paris/Activit s religieuses). Eine kleine, kaum genutzte, jedoch bei Führungen durch die Moschee präsentierte Bibliothek findet sich westlich des service culturel und kann über den Grand Patio betreten werden. Westlich vom service culturel und der kleinen Bibliothek beginnt die Anlage privater Wohnräume, Terrassen und Garagen, die jeweils der Moscheerektor, aktuell also Dalil Boubakeur, mit seiner Familie bewohnt. Dieser Bereich erstreckt sich auf der westlichen Seite bis zum Südende des Gebäudekomplexes. Auf der gegenüberliegenden Seite, 2 Vgl. Teil 4, Fußnote 88.

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östlich des service religieux, findet sich, zugänglich über den Eingangsbereich der Moschee, ein kleines Verkaufshäuschen, an dem Korane, religiöse Literatur oder Postkarten erworben werden können. Besucher lösen hier ein Eintrittsticket, das sie dazu berechtigt, den mittig angelegten Garten, den Vorhof des Gebetssaales, sowie die kleine Bibliothek zu betreten; außerdem können hier Führungen durch die soeben benannten Gebäudebereiche gebucht werden. Die Führungen finden außer freitags viermal täglich statt und beinhalten hauptsächlich Erläuterungen zur Geschichte und zur aktuellen Nutzung der Räumlichkeiten in der Moschee. Unmittelbar südlich der Ticket- und Verkaufsstelle, oberhalb derer einige Büroräume angelegt sind, befinden sich das 26 Meter hohe Minarett und der Haupteingang, durch den man direkt in den großen Garten gelangt. Das Minarett dient zwar nicht als Plattform für die Gebetsrufe des Muezzins. Eine spezielle Kommission der Moschee besteigt es jedoch regelmäßig, um per Fernrohr den Neumond und so den Beginn des Fastenmonats Ramadan sowie der beiden islamischen Feiertage C¯Id al-Fitr und C¯Id al-Adha¯3 ˙ Boubakeurs,˙ ˙ist festzulegen.4 Im südlichen Bereich, östlich der Wohnräume schließlich ein Konferenzsaal eingerichtet, der freitags als Gebetsraum für Frauen genutzt wird; am südöstlichen Ende befindet sich das Büro Boubakeurs mit Vorzimmern, in denen unter anderem Journalisten empfangen werden; im darüber gelegenen Stockwerk liegen weitere Büroräume. Der Einflussbereich und die Aktivitäten der GMP sind nicht auf den Raum Paris beschränkt. Die Moschee von Paris ist Zentrale eines frankreichweit organisierten Moscheenetzes, über das sie circa 70 hauptamtliche Stellen für Imame verwaltet (Godard 2007: 142).5 Seit 1989 entsendet der algerische Staat Personal, das eigentlich für den Lehreinsatz in Schulen bestimmt war, tatsächlich aber auch die verschiedenen Funktionen eines Imams einnahm (GL Formation des imams, 8 f.).6 Im Juli 2001 wurde unter Zustimmung des 3 Als C¯Id al-Fitr bezeichnet man das sogenannte Fest des Fastenbrechens im Anschluss an den ˙ Fastenmonat Ramadan. Anlässlich desC¯Id al-Adha¯, des Opferfestes während der jährlichen hadjdj ˙˙ ˙ gedenken Muslime der Bereitschaft Abrahams, seinen Sohn Ismail für Allah zu opfern. 4 Im Jahre 2013 hat sich der CFCM erstmals dazu entschieden, diese Methode zugunsten der astronomischen Bestimmung aufzugeben, die in vielen arabischen Ländern inzwischen übernommen wurde. Der CFCM hat somit bereits zwei Monate vor Beginn des Ramadan ein Datum angeben können (9. Juli), sich zuletzt jedoch dem von der Moschee von Paris auf den 10. Juli gelegten Feiertagsbeginn gefügt (Rainfroy: 07. 09. 2013). Bis heute wird jeweils versucht, sich auf ein einheitliches Datum zu einigen: so fanden sich Vertreter des CFCM auch im Mai 2017 an der Großen Moschee von Paris ein, um sich mit deren Theologiekommission gemeinsam auf ein Datum, in diesem Falle den 27. Juni 2017, zu einigen (Boubakeur: 09. 05. 2017). 5 Godard erklärt, dass die GMP ihrem Netzwerk 120 tätige Imame zurechnet und stuft diese Behauptung als realistisch ein: Über die 70 (Status 2007) aus Algerien entsandten Imame hinaus gebe es vermutlich eine Anzahl an unabhängigen algerischen Imamen, die zwar nicht von der GMP bezahlt würden, aufgrund von Verbindungen zu algerischen Konsulaten oder ehemaligen Amicales (Organisationen, über die Algerien die Emigranten in Frankreich in der Vergangenheit an sich zu binden suchte) mit der GMP in Kontakt stehen (Godard 2007: 143). 6 Dieses Personal wurde im Rahmen des Programms Enseignement des langues et cultures d’origine (ELCO) aus Algerien nach Frankreich entsandt. Das bereits 1976 beschlossene, jedoch erst

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französischen Staates ein Vertrag zwischen dem Comit des habous d’Alg rie und der Soci t des Habous et Lieux Saints de l’Islam de Paris geschlossen, in dem der rechtliche Status der aus Algerien entsandten Imame einvernehmlich geklärt und diese der Verantwortung der GMP unterstellt wurden. Dem Personal wurde der ELCO-Status dabei entzogen; fortan kamen sie offiziell als Imame nach Frankreich (GL Formation des imams: 8 f.).7 Während das Comit des Habous d’Alg rie8 maximal 100 Imame für einen Zeitraum von vier Jahren auswählt, obliegt es der GMP, ihren Einsatzort zu bestimmen, ihre Papiere und Aufenthaltsgenehmigungen zu kontrollieren, ihr Gehalt auszuzahlen und ihre Aktivitäten zu beobachten (ebd.). Insofern kommt der GMP, als verlängerter Arm des algerischen Staates, frankreichweit ein gewisser Einfluss zu. Über die Verwaltung der Imame hinaus existieren weitere islampolitische Tätigkeitsfelder, in denen die GMP aktiv ist und bisweilen von staatlicher Seite aus privilegiert wird. Neben einigen Zertifizierungsorganisationen sind offiziell lediglich die Große Moschee von Paris, die Große Moschee von Lyon und die Große Moschee von Evry dazu befugt, Metzger zu akkreditieren, die in den wenigen hierfür zugelassenen Schlachthöfen geschächtetes Fleisch produzieren dürfen (Godard/Taussig 2007: 216). Die GMP betreibt darüber hinaus ein eigenes hala¯l-Label, das durch die Soci t FranÅaise de contr le de viande ˙ hal l (SFCVH) vertrieben wird und vor allem Nestl -Produkte zertifiziert. Im Zuge des Herta-Skandals von 2011, in dessen Rahmen Substanzen vom Schwein in Hallal-Fleischprodukten der Nestl -Marke Herta entdeckt wurden, geriet das Siegel der GMP jedoch öffentlich in die Kritik (z. B. www Question Halal). Des Weiteren kommt der GMP die Kontrolle über die halbstündige Sendezeit im sonntäglichen Fernsehprogramm zu, die dem Islam ebenso wie anderen Religionsgemeinschaften in Frankreich gesetzlich zusteht. Die 1983 erstmals als Conna tre l’Islam und seit 1999 unter dem Namen Vivre l’Islam ausgestrahlte Serie wird bis heute maßgeblich durch GMP-Angestellte gestaltet (Godard/Taussig 2007: 191 f.).9 Drittens ist die GMP fester Bestandteil des 2003 ins Leben gerufenen 1989 umgesetzte Kulturprogramm wurde vom französischen Staat finanziert und zielte letztlich auf die Rückführung algerischer Emigranten nach Algerien ab: Kinder algerischer Emigranten, mit Sprache und Kultur ihres Herkunftslandes vertraut, würden sich später eventuell eher für eine Rückkehr nach Nordafrika entscheiden (Krosigk 2000: 167). 7 Diesen Imamen wurde der ELCO-Status nun entzogen, stattdessen kommen sie seither offiziell nach Frankreich, um als Imam tätig zu sein. 8 Das Comit des habous gehört dem Minist re des affaires religieuses et des waqfs an, einem in Algerien speziell zur Verwaltung der islamischen Stiftungen (awqa¯f) eingerichteten Ministerium. 9 Vertreter anderer Organisationen, beispielsweise des Dachverbandes UOIF, haben sich laut Bernard Godard jedoch ohnehin nicht für die inhaltliche Gestaltung der Serie interessiert. Weil jene vor allem auf Online-Medien setzen, wurde der GMP die diesbezügliche Gestaltungsfreiheit letztlich kaum streitig gemacht (ebd.: 192) – ganz anders verhält es sich mit der Kontrolle von hala¯l-Produkten (vgl. ebd.: 212–217; Pizette 2015). ˙

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Muslimrates CFCM. Gemeinsam mit anderen islampolitischen Akteuren partizipieren ihre Vertreter in Expertenkommissionen dieses Rates an der Errichtung einer Homepage, an nationalen Kommunikationsstrukturen des CFCM, an einer effektiveren Bereitstellung von muslimischen Seelsorgern in Krankenhäusern, Gefängnissen und militärischen Einrichtungen, an der Kontrolle und Bereitstellung von hala¯l-Produkten, an der Definition des rechtlichen Status von Imamen in ˙Frankreich und der Ausarbeitung eines möglichen Ausbildungskurrikulums; schließlich an der Organisation und Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der Pilgerfahrt nach Mekka (ebd.: 173). Auch innerhalb des CFCM ist der GMP eine privilegierte Stellung zugesichert: Nach langen Gesprächen hatte Nicolas Sarkozy den größten islamischen Dachverbänden Frankreichs sowie diplomatischen Vertretern in Marokko, Algerien und Tunesien den Kompromiss abgerungen, dass Vertreter der verschiedenen Organisationen zwar in den CFCM gewählt würden, der Präsidentensitz jedoch stets dem Rektor der GMP zukomme (Boyer 2005a: 18). Zwischen 2008 und 2013 hatte der Marokkaner Mohammed Moussaoui, Vertreter des Rassemblement des Marocains de France (RMF) den Vorsitz inne, wodurch die erwähnte Vereinbarung verletzt wurde; – dies jedoch erst, nachdem Dalil Boubakeur sich geweigert hatte, mit der GMP bei den Wahlen zum CFCM anzutreten (Telhine 2010: 333). Zuvor und von 2013 bis 2015 hatte Dalil Boubakeur die Funktion des Präsidenten inne. Sie erlaubte es ihm, Entscheidungen des CFCM zu blockieren oder hinauszuzögern. Hiermit verfügte er über ein politisches Gewicht, das in eklatantem Missverhältnis zu den Stimmen der wahlberechtigen Muslime stand – gemessen am Stimmenanteil bei den CFCM-Wahlen: Gegenüber den großen Konkurrenzorganisationen und insbesondere im Vergleich zur UOIF fielen die Wählerstimmen für die GMP zumeist mager aus; insbesondere in den Wahlen für die Vorsteher der regionalen Conseils r gionaux du culte musulman (CRCMs) wurde sie stark marginalisiert (Boyer 2005a: 19–20; Godard/Taussig 2007: 174–177; Telhine 2010: 332 f.; vgl. Moussaoui 08. 06. 2013).10 Um frankreichweit an Gewicht zu gewinnen und so auch einen höheren Stimmanteil im CFCM zu erlangen, wurden 2006 die F d ration nationale de la Grande Mosqu e de Paris (FNGMP) sowie acht F d rations r gionales de la Grande Mosqu e de Paris (FRGMPs) gegründet. Laut Bernard Godard wurden im Zuge der Einrichtung der FRGMPs die Netzwerke der Amicales alg riennes wiederbelebt. Die FNGMPs und die FRGMPs sind, so der frühere Mitarbeiter des BCC im französischen Innenministerium, keine religiöse Organisation, sondern verstehen sich als politische Repräsentanten der GMP und indirekt Algeriens, für dessen Präsenz im Muslimrat sie eintreten (INT GOD). Im Jahre 2011 wurde zudem die F d ration europ enne de la Grande Mosqu e de Paris (FEGMP) ins 10 Weitere Informationen zu den Wahlmodalitäten des CFCM und den Auswirkungen der Wahlen auf die Zusammensetzung des CFCM finden sich z. B. bei Boyer 2002: 43–47; Billon 2005: 34–36; Telhine 2010: 327–345.

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Leben gerufen, zu der bisher noch keine Forschung und wissenschaftliche Darstellung existiert. Die FEGMP soll laut einem Medienbericht sowie gemäß der GMP-Homepage regelmäßig Delegationen algerischer Imame aus Deutschland, Belgien, Italien, Spanien, Großbritannien und der Schweiz versammeln, damit gemeinsam ein „friedlicher“ und „moderater“ Islam definiert und Projekte zu seiner Verbreitung besprochen werden können (www Moschee von Paris/FEGMP). Vermutlich stellt die Etablierung eines europaweiten Kontaktnetzes von algerisch-religiösem Personal eine willkommene Möglichkeit für den algerischen Staat dar, seine Einflussmöglichkeiten auf algerische Emigranten in Europa zu erweitern: Im Kontext des Jahres 2011, als der sogenannte „arabische Frühling“ begann, sahen algerische Staatsvertreter in einer solchen Struktur womöglich das Potential, auf gesamteuropäischer Ebene islamische Auslegungen zu fördern, die politische Mobilisierung ablehnen; unklar ist jedoch, ob und in welchem Umfang die FEGMP bisher aktiv geworden ist. Schließlich muss erwähnt werden, dass auch französische Politiker die GMP noch immer als politischen Ort nutzen, an dem sie die Beziehungen der Republik zu Muslimen sichtbar machen: Die französischen Innenminister nehmen beispielsweise regelmäßig am Fastenbrechen im Ramadan (ifta¯r) an ˙ ihre der GMP teil11 und inszenieren auf diese Weise öffentlichkeitswirksam Anerkennung des Islam (z. B. www Brice Hortefeux/Iftar; Alliot-Marie: 10. 10. 2007; GL Institut musulman de la Mosqu e de Paris, 15).12 Zugleich nutzen sie und andere französische Autoritäten den Ort GMP, um zu Dankbarkeit gegenüber den muslimischen Soldaten aufzurufen, die im Ersten Weltkrieg für Frankreich gekämpft haben und gefallen sind. In diesem Zusammenhang werben sie oftmals für Respekt und Anerkennung gegenüber den heute in Frankreich lebenden Muslimen (vgl. Kapitel 2). Die internationale politische Bedeutung der GMP erschöpft sich jedoch nicht in der Verwobenheit mit der französischen Islampolitik, mit den französisch-algerischen Beziehungen sowie mit der algerischen Außen- und Emigrationspolitik: Enge Kontakte zu nord- und westafrikanischen Sufi-Gemeinschaften machen die Einrichtung zudem zu einer inmitten Europas situierten Drehscheibe algerischer Beziehungen zu den politisch einflussreichen Bruderschaften im (algerischen In-) und vor allem auch Ausland: Nachdem ihr zunächst konfliktreiches Aufeinandertreffen mit der französischen Kolonialmacht in Afrika durch politische Kompromisse vorerst beigelegt werden konnte, waren die in Nord- und Westafrika verbreitete Tidschaniyya sowie die Alawiyya, die sich hauptsächlich in Algerien angesiedelt 11 Bereits in den 1990er Jahren ist diese Besuchspolitik von verschiedenen Regierungen auch auf andere Moscheen und islamische Organisationen ausgeweitet worden (Krosigk 2000: 247–250); die GMP bleibt in dieser Hinsicht jedoch ein privilegierter Ort. 12 Weitere Teilnahmen am ifta¯r der GMP sind in den Archiven der Reden von Innenministern auf ˙ der Seite http://www.interieur.gouv.fr ersichtlich.

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hatte, bereits im Jahre 1926 von den französischen Autoritäten in die Eröffnungszeremonie der GMP eingebunden worden (Samrakandi 2011: 155). Seither haben insbesondere Hamza Boubakeur (Boyer 1992: 155), aber auch Dalil Boubakeur intensive Kontakte zur Tidschaniyya aufrecht erhalten. Letztere betonen bisweilen ihre Präsenz bei der Inauguration der GMP, um ihre Verankerung in Frankreich zu betonen, und fordern zudem die Nutzung der GMP-Räume (ebd.). So veranstalteten in Frankreich lebende Tidschaniyya-Anhänger nach Informationsstand 2010 einmal im Monat ein dhikr in den Räumlichkeiten der GMP und nutzten den Ort zudem für eigene Konferenzen (z. B. www Conf rence Tidschaniyya 2010; www Conf rence Tidschaniyya 2011),13 zur Durchführung von Gebeten (z. B. für den Chef der Tidschaniyya im Senegal, www pri re Mansour) oder zum Empfang von Persönlichkeiten wie des Chefs der Tidschaniyya in der Elfenbeinküste (www visite Sonta).

13 Weitere Titel und Daten von Konferenzen von Tidschaniyya-Anhängern an der GMP sind auf dem Blog der Zawiyya Sonta de Paris auffindbar: http://zaouiatidjanigenevilliers.blogspot.ch.

2. Die Gründungsgeschichte Französische Autoritäten verstehen die Große Moschee von Paris bis heute als einen Erinnerungsort, an dem die muslimischen Soldaten geehrt werden, die während der beiden Weltkriege für Frankreich gefallen sind. Die Integration der Moschee in die französische Erinnerungspolitik macht aus ihr einen Ort, an dem ein spezifisches Narrativ französischer (Kolonial-)Geschichte reproduziert wird. Bereits im Jahre 2006 hatte Staatspräsident Jacques Chirac den muslimischen Veteranen, die während des Ersten Weltkriegs für Frankreich in den Kampf gezogen waren und dabei ihr Leben verloren hatten, einen Gedenkstein im nordostfranzösischen Douaumont1 gewidmet. Am 11. November 2010 enthüllte der damalige französische Verteidigungsminister Herv Morin schließlich eine Gedächtnistafel vor der Großen Moschee von Paris und widmete sie den muslimischen Soldaten, die im Ersten und im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. Nicolas Sarkozy legte am 14. 05. 2012 ein Blumengesteck an der Moschee von Paris nieder und kündigte zeitgleich die Errichtung einer neuen Gedenkstätte für die in den beiden Weltkriegen verstorbenen muslimischen Soldaten an (Sarkozy 14. 03. 2012). Letztere wurde am 18. Februar 2014 durch Staatspräsident FranÅois Hollande eingeweiht: Am Fuße des Gartens der Moschee befinden sich seither zwei Gedenktafeln mit den Einheiten muslimischer Soldaten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs; zudem wurden für die Zukunft interaktive Tafeln versprochen, mit Hilfe derer der Name eines jeden Soldaten gefunden werden kann (Hollande 19. 02. 2014). Nicht nur die Erinnerungsakte an sich, sondern auch die Reden, die im Zuge der jeweiligen Einweihungszeremonien gehalten wurden, reproduzierten teils kolonialpolitische Narrative, die in den Folgekapiteln als solche herausgestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen werden sollen. So stellten Verteidigungsminister Morin und Staatspräsident Hollande in ihren Reden auch den Bau der Moschee in den Dienst der Erinnerung an die im Krieg gefallenen muslimischen Soldaten. Die Große Moschee von Paris, so die beiden Politiker, sei nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Ziel errichtet worden, diese Soldaten zu ehren und ihnen Anerkennung zu zollen (Herv 11. 11. 2010; www M morial du soldat musulman/Hollande). Sie präsentierten die Moschee 1 Die Gemeinde Douaumont, zehn Kilometer nordöstlich von Verdun gelegen, ist bekannt für ihre Festungsanlage. In der Schlacht von Verdun, einer der wichtigsten militärischen Konfrontationen zwischen Frankreich und Deutschland während des Ersten Weltkrieges, spielte die Festung von Douaumont eine zentrale Rolle. Es gibt Schätzungen, denen zufolge bis zu 70.000 muslimische Soldaten an diesem Ort ihr Leben verloren haben (vgl. Petit Fut 2013: 146).

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als sichtbaren Ausdruck französischer Großzügig- oder Gerechtigkeit, die wiederum eine Reaktion auf die Loyalität der Muslime darstellte und somit insgesamt auf eine französisch-muslimische Freundschaftsgeschichte verweist. Herv Morin zitierte hierzu auch die Worte, die der einstige Staatspräsident Gaston Doumergue anlässlich der Moscheeeröffnung im Jahre 1926 geäußert hatte: Die französische Nation schütze alle Glaubensrichtungen und vergesse keines ihrer auf dem Feld der Ehre gefallenen Kinder („aucun de ses enfants tomb s au champ d’honneur“, Morin 11. 11. 2010). Franzosen und solche, die es durch ihr vergossenes Blut geworden sind, so Morin weiter, würden in der Nation gleichermaßen respektiert : A tous, FranÅais d’origine, FranÅais de cœur et FranÅais par le sang vers , elle [la nation] exprime le mÞme respect, la mÞme reconnaissance (ebd.).

Mit diesen Worten wird zwar Gleichbehandlung zugesagt, doch aber auf Gruppen verwiesen, die voneinander unterscheidbar sind: Die muslimischen Soldaten opferten ihr Leben für Frankreich, sie sind dadurch Franzosen „par le sang vers “, aber doch keine Franzosen französischer Abstammung. Die Markierung der muslimischen Soldaten als, wenn auch willkommene, so dennoch fremde, Einheiten in der Republik wurde in Morins Rede durch exotisierende Beschreibungen unterstrichen. Den kolonialen Topos des unerschrockenen afrikanischen Kriegers aufgreifend, der sich im Namen der Zivilisation selbstlos in den Kampf begab (vgl. Deroo 2005: 60–62), beschrieb er sie als eifrige und zähe Angreifer oder Verteidiger („ardents dans l’attaque, tenaces dans la d fense“, Morin 11. 11. 2010), die die Waffen nahmen, um das Frankreich, das sie liebten („cette France qu’ils aimaient“, ebd.) zu verteidigen, und die im Kampf für die Freiheit und die Werte der Republik sogar bereit waren, die Schönheit der Berge und Oasen ihrer Heimat sowie den Ruf des Muezzins für immer aufzugeben: Jamais plus ils ne reverraient les neiges du djebel, l’aust re beaut du grand erg et la douceur des oasis. Jamais plus l’appel du muezzin ne r sonnerait leurs oreilles (…). Ils ont combattu au nom de la libert pour que vivent les valeurs de la R publique (ebd.: 3).

FranÅois Hollande verzichtete in seiner Rede vom 18. 02. 2014 zwar auf derartige Darstellungen. Und obwohl er zudem betonte, die Integration der Muslime vollziehe sich auf der Basis der französischen Laizität, führte aber auch er an anderer Stelle den Platz des Islam in der französischen Republik auf die brüderlichen Waffenkämpfe des 20. Jahrhunderts zurück: La fraternit d’armes n e des conflits du 20 me si cle a profond ment ancr l’islam dans la R publique, dans la d fense de sa souverainet et de sa libert . C’est pourquoi cet hommage est un appel au respect. Au respect des morts d’hier avec ce m morial, des morts d’aujourd’hui travers les carr s confessionnels dans les cimeti res. Mais aussi au respect des vivants qui nous conduit lutter farouchement contre les dis-

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criminations et le racisme, et Þtre intraitables l’ gard des paroles et des actes antimusulmans (d gradation de lieux de cultes) (www M morial du soldat musulman/Hollande).

Nicht etwa das Prinzip der Religionsfreiheit oder der Gleichheit aller Bürger Frankreichs werden in diesem Zitat zum Grundstein für ein respektvolles Miteinander erhoben. Vielmehr ist es die Erinnerung an die Opfer der muslimischen Soldaten, die zur Abkehr von Diskriminierungen und Rassismus mahnt. Über die zitierten Beispiele hinaus ziehen sich diese Topoi auch durch die Reden französischer Präsidenten und Innenminister, die sie beispielsweise anlässlich von Jubiläumsfeiern der Großen Moschee von Paris an die Muslime Frankreichs richten.2 Dass die Moschee nach wie vor als Projektionsfläche für kolonialpolitische Argumentationsmuster dient, trägt zur Komplexität und Widersprüchlichkeit in den Kämpfen um ihre Bedeutungen und Funktionsbestimmungen bei. Um die oben skizzierten Narrative angemessen diskutieren zu können, müssen sie einer ausführlicheren Betrachtung unterzogen und durch historische Kontextualisierung in ihrer einstmaligen politischen Funktion betrachtet werden: Welche Ziele verfolgten die Befürworter des Moscheebauprojekts nach dem Ersten Weltkrieg? Ließen sie tatsächlich auf 7.500 Quadratmetern einen Moscheekomplex bauen, um an die verstorbenen muslimischen Soldaten zu erinnern? Welche weiteren Interessen waren im Spiel? Darüber hinaus begründet eine weitere Überlegung die Ausführlichkeit, in der diese Arbeit den Moscheegründungsdiskurs der 1920er Jahre behandelt: Architektur und Ausgestaltung des Gebäudekomplexes wurzeln zutiefst in kolonialen Repräsentationsweisen des Islam. Bis heute agieren Muslime an der GMP folglich innerhalb eines Gemäuers, das seinerzeit einen ganz bestimmten, kolonialpolitisch instrumentalisierbaren Identitätsmarker „Islam“ zum Ausdruck bringen sollte. Diesen Islam und seine politischen Implikationen zu analyiseren ist nötig, möchte man die Diskurspositionen zeitgenössischer Akteure an der GMP in ihrem Verhältnis zu kolonialgeschichtlichen Argumentationen verstehen. Ziel der Folgekapitel ist es nicht, die unterschiedlichen Islamdeutungen französischer und nordafrikanischer Akteure aufzuarbeiten, die sich zur Moschee geäußert oder an ihrer Realisierung mitgewirkt haben. Im Fokus steht vielmehr der dominante Identitätsmarker „Islam“, wie er, als Produkt dieser Aushandlungen, letztlich mit dem Bau der Moschee sicht- und instrumentalisierbar wurde. Um diesen Identitätsmarker herauszustellen, wer2 z. B. Jacques Chirac am 07. 12. 1992 anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der Grundsteinlegung zum Moscheebau (AN Mosqu e de Paris/Discours Chirac) und Charles Pasqua am 02. 05. 1995 in einer Ansprache an der GMP anlässlich des 50-jährigen Endes des Zweiten Weltkriegs (AN Mosqu e de Paris/Allocution Pasqua).

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den zum einen die gut recherchierten Ergebnisse bereits bestehender Sekundärliteratur zugrunde gelegt und aus der in dieser Studie eingenommenen Frageperspektivik heraus neu eingeordnet. Diese Darstellung wird dann durch die Analyse von Gesetzesentwürfen und vor allem von offiziellen Reden anlässlich von Baueröffnungs- und Einweihungszeremonien der Moschee ergänzt.

2.1. Gründe für den Bau der Großen Moschee von Paris 2.1.1. Vorläufer des Moscheebauprojekts Während der offiziellen Feierlichkeiten im Rahmen des Moscheebaus nach dem Ersten Weltkrieg3 verwiesen mehrere muslimische wie nichtmuslimische Autoritäten darauf, dass die Idee, in Paris eine Moschee zu errichten, nicht neu ist. Der marokkanische Sultan Mohammed ben Youssef (im Folgenden Ben Youssef), der erste Moscheerektor der GMP Abdelkader Ben Ghabrit (im Folgenden Ben Ghabrit) und Unterstaatssekretär Maurice Colrat führten den Ursprung des Projekts auf ein Abkommen aus dem Jahre 1767 zurück (Weiss 1927: 46, 49, 72). In dem in Marrakkesch unterzeichneten Vertrag zwischen dem marokkanischen Sultan Muhammed Ben Abdallah und dem französischen König Ludwig XV. waren seinerzeit vor allem die Handelsfreiheit sowie die Freiheit des Schiffsverkehrs zwischen Marokko und Frankreich geregelt worden (vgl. Le Tourneau 1996: 125). Zugleich war den französischen Konsuln in Marokko Religionsfreiheit zugesichert und im Gegenzug die Möglichkeit festgehalten worden, dass in der Hauptstadt Frankreichs eine Moschee errichtet werden könnte, falls marokkanische Untertanen in Frankreich dies einmal wünschen sollten (Weiss 1927: 46, 72). Die imaginäre Bindung der Moschee von Paris an den Inhalt eines Abkommens aus dem Jahre 1767 ist politisch nicht unbedarft: Hiermit bedienten Ben Youssef, Ben Ghabrit und Colrat einen Topos, der im Rahmen der Errichtung der GMP von zentraler Bedeutung war und der die Unterdrückung der kolonisierten Bevölkerung durch die französische Kolonialadministration mit Schweigen belegte: Sie schrieben das Moscheeprojekt in die konstruierte Geschichte einer bereits lange bestehenden Freundschaft und gegenseitigen Toleranz zwischen französischen Autoritäten und muslimischen Bevölke3 Hiermit sind drei Zeremonien gemeint, die jeweils feierlich und mit offiziellen Reden von Seiten des ersten Moscheerektors Ben Ghabrit sowie von französischen Politikern begangen wurden: 1. Zur Grundsteinlegung am 1. März 1922; zur Einweihung der Bauarbeiten am 19. 10. 1922 sowie zur Eröffnung der Moschee am 15. Juli 1926 (vgl. Weiss 1927). Wenn im Folgenden von den offiziellen Festivitäten anlässlich der Moscheegründung die Rede ist, sind damit, sofern nicht präzisiert, diese drei Daten und ihre Feierlichkeiten gemeint.

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rungen ein; der Moscheebau erschien so als sichtbarer Ausdruck dieser Freundschaft. Die ersten konkreten Pläne zur Errichtung einer Moschee in Paris kamen im 19. Jahrhundert auf. Auch hiervon sprach Ben Ghabrit in einer Rede anlässlich der Grundsteinlegung. Er bezeichnete das damalige Bauprojekt als ehrenvolle Initiative Frankreichs und verwies darauf, dass es letztlich an den hohen Projektkosten gescheitert sei (Ben Ghabrit nach ebd.: 34). Auf diese Weise aktualisierte er abermals einen Identitätsmarker „Frankreich“, der über die Äquivalenzkette „tolerant“ und „mit muslimischen Ländern freundschaftlich verbunden“ definiert war. Die im folgenden skizzierten machtpolitischen Gründe, an die das Vorhaben und dessen Abbruch bereits damals geknüpft waren, wurden hingegen verschwiegen. Im Jahre 1846 hatte die Soci t orientale, alg rienne et coloniale de France erstmals den Bau eines Friedhofs, einer Moschee und einer muslimischen Schule in Paris gefordert. Damit sollte den Muslimen in Frankreich ein Ort gegeben werden, an dem sie ihre Religion und Kultur leben können; zugleich aber sollte die französische Eroberung Algeriens unterstützt werden. Die Förderung muslimischer Kultur auf französischem Boden, so das Argument, erhöhe schließlich das Ansehen und die Akzeptanz der Kolonialmacht in der algerischen Bevölkerung (Renard 2006b: 573 f.). Das Bauprojekt war vom Minist re de la Justice et des Cultes abgelehnt worden (ebd.: 574), gelangte jedoch in den 1890er Jahren erneut auf die politische Agenda. Diesmal wurde es maßgeblich vom pro-kolonialistischen Comit de l’Afrique FranÅaise vorangetrieben (Renard 2006b: 578–582). In die Begründung für den Moscheebau mischten sich abermals Forderungen nach Respekt vor muslimischen Lebenswelten mit der Hoffnung auf ein höheres Ansehen der Kolonialmacht in den französisch kontrollierten Gebieten (ebd.: 580; Telhine 2010: 98–109). Hinzu kam nun die politische Konkurrenz mit Großbritannien: Hier befand sich bereits eine Mosche, die die Toleranz der britischen Kolonialmacht bezeugen sollte. Die für Frankreich wichtigen Beziehungen zum Osmanischen Reich hatten es nahe gelegt, den osmanischen Sultan Abdülhamid II. (von 1876–1909) in den Moscheebau zu involvieren: Letzterer gedachte, das Projekt nach anfänglichem Zögern mit 500.000 Französischen Franken (FF) zu unterstützen und verlangte im Gegenzug die Vormundschaft des Muftis von Istanbul über die Moschee (Renard 2006b: 579; Sellam 2006: 178).4 Die französischen Architekten Henri Saladin und Ambroise Baudry hatten zudem bereits Baupläne vorgelegt, in denen sie sich am mamlukischen Stil der Qaitbay-Moschee in Kairo (fertiggestellt 1472) orientiert hatten (Decl ty 2003: 61). Das Projekt verebbte jedoch aus politischen Gründen, wie Mo4 Das Interesse des Sultans für die Moschee in Paris hatte, so Sellam, politische Gründe: Mit der Kontrolle über die Moschee hoffte er, den Einfluss der im Pariser Exil lebenden TanzimatAnhänger und ihre antisultanische Einstellung einzudämmen (Sellam 2006: 178).

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hammed Telhine vermutet: zum einen aufgrund von anhaltendem antiklerikalen Widerstand in Frankreich, zum anderen wegen des türkischen Massakers an den Armeniern 1895 und 1896, das einer öffentlich sichtbaren Zusammenarbeit Frankreichs mit dem Osmanischen Reich von nun an im Wege stand (Telhine 2010: 91, 108 f.).

2.1.2. Eine neue Motivlage im Kontext des Ersten Weltkriegs Im Jahr 1905 war in Frankreich das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat verabschiedet worden, das es dem Staat unter anderem untersagte, Bau und Erhalt religiöser Gebäude finanziell zu unterstützen (Boyer 1993: 129–134).5 Die Neuerungen und ihre Umsetzung hatten in den Folgejahrzehnten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gesetzesbefürwortern und -gegnern geführt, letztere waren vor allem Anhänger der katholischen Kirche (Baub rot 1990: 80–83). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welche Motive waren so gewichtig, dass der nun laizistische und noch in große Legitimitätskonflikte mit der katholischen Kirche verwickelte französische Staat ausgerechnet ein Moscheebauprojekt dieser Größenordnung beschloss? Welche Konstellationen hatten dazu geführt, dass die im 19. Jahrhundert gescheiterte Idee eines Moscheebaus nun realisiert wurde? Ein wichtiger Impuls ging von dem kolonialpolitisch involvierten Historiker und Sozialforscher Paul Bourdarie aus.6 Im Jahre 1916 legte er der französischen Regierung einen Projektvorschlag zum Bau eines muslimischen Lehrinstituts vor (Boyer 1992: 21), das an eine Moschee gekoppelt sein und den Austausch zwischen der „französischen“ und der „arabo-muslimischen“ Zivilisation und Wissenschaft vorantreiben sollte (Sellam 2006: 179).7 Bourdarie fand in der Commission Interminist rielle des Affaires Musulmanes (CIAM) Unterstützung (Telhine 2010: 156): Hier kamen Kolonial- und Protektoratsverwalter unter der Aufsicht des französischen Außenministers zusammen, um das Verhältnis zum Islam sowie eine vereinheitlichte muslimische Politik Frankreichs zu definieren (Boyer 1992: 21). Nicht alle politischen Akteure hielten den Bau eines muslimischen Instituts und einer Moschee in Paris jedoch für notwendig oder für das am besten geeignete Mittel zur Durchsetzung der machtpolitischen Ambitionen Frankreichs. Pro- und Gegenstimmen waren dabei jeweils in globale strategische Richtungsentscheide eingebunden. Einen mächtigen Opponenten fanden Paul 5 Zu Ausnahmen und Sonderbestimmungen vgl. Boyer 1993: 125–140. 6 Letzterer hatte für verschiedene koloniale Institutionen wie das Comit consultatif des affaires indig nes und die Soci t africaine de France gearbeitet und gab seit 1906 die Revue Indig ne heraus. Diese Zeitschrift verfolgte das Ziel, sich für die Interessen der Menschen in den französischen Kolonien und Protektoraten einzusetzen (Renard 2006: 718; Boyer 1995: 21). 7 Der Vorschlag ist innerhalb des eigens zu diesem Zweck gegründeten Comit de l’Institut Musulman genauer ausgearbeitet worden (Boyer 1992: 22).

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Bourdarie und das CIAM beispielsweise in Hubert Lyautey, der als Militärführer maßgeblich zur Unterwerfung Marokkos unter die französische Protektoratsherrschaft beigetragen hatte. Lyautey stellte dem Moscheebauprojekt den Vorschlag entgegen, die französische Politik möge sich auf die Errichtung eines westlichen Kalifats konzentrieren (Sellam 2006: 172). Mit dem marokkanischen Sultan Ben Youssef als Oberhaupt könne so im Maghreb eine loyale Gegenmacht zu den mit Deutschland und Österreich-Ungarn alliierten Osmanen entstehen (ebd.), die die Friedensverträge mit Paris aufgekündigt und 1914 die maghrebinischen Muslime zum djiha¯d gegen Frankreich aufgerufen hatten (vgl. Laurens/Tolan/Veinstein 2009: 378–381; Telhine 2010: 124 f.). Durch ein califat occidental im Maghreb würden, so die Hoffnung Lyauteys, die muslimischen Untertanen allgemein die Verbindung in den Osten verlieren. Sie würden so langfristig auch die Bedeutung der Pilgerfahrt nach Mekka vergessen und nicht Gefahr laufen, im fernen Saudi-Arabien von antifranzösischem Gedankengut inspiriert zu werden (Sellam 2006: 172). Folgerichtig stellte sich Lyautey auch gegen den französischen Entscheid, Hussein ibn Ali zu unterstützen, der seit Sommer 1916 in Saudi-Arabien gegen die feindliche osmanische Herrschaft revoltiert und die heiligen Stätten Mekkas und Medinas unter seine Kontrolle gebracht hatte (Laurens 2000: 145–147; Sellam 2006: 172). Letztlich setzte sich in der französischen Regierung jedoch eine andere Fraktion durch: Diese strebte französische Machtsicherung durch 1. die Errichtung muslimischer Infrastruktur unter französischer Kontrolle und 2. Inszenierung französischer Islamophilie an (Laurens/Tolan/Veinstein 2009: 386). Ihre Vertreter unterstützten die arabischen Aufstände gegen das Osmanische Reich (vgl. Laurens 2000: 145–150). 1916 wurde zudem auf französische Initiative hin die islamische Stiftung Soci t des habous des lieux saints de l’islam gegründet und mit dem Bau zweier Hotelanlagen in Mekka betraut.8 Auf diese Weise erhoffte man sich einerseits Präsenz und somit Einflusssicherung in Saudi-Arabien, andererseits buhlte man um die Loyalität der nordafrikanischen Pilger, die auf Kosten der Kolonialmacht in die mekkanischen Hotels transportiert wurden (ebd.; Boyer 1992: 23; Laurens/Tolan/Veinstein 2009: 386). Das Lyauteysche Projekt eines Gegenkalifats im Maghreb hatte an Aktualität verloren; der Bau einer Großen Moschee von Paris hingegen fügte sich in die oben benannte Strategie ein. Der Kampf um die Loyalität der muslimischen Bevölkerungen durch Errichtung muslimischer Institutionen sowie durch Demonstration französischer Großzügigkeit war darüber hinaus an zwei weitere Faktoren geknüpft. Zum einen spielte das Verhalten der konkurrierenden Großmächte Großbritannien und Deutschland eine wichtige Rolle. Dass in Nogent-Sur-Marne 8 Die Hotels wurden als islamische awqa¯f, das heißt als unveräußerliche und unpfändbare Anlagen gebaut, die von der am islamischen Gericht von Algiers registrierten Soci t des habous des lieux saints de l’Islam (frz. habou = Übersetzung des arab. waqf, Pl. awqa¯f) verwaltet werden sollten. Dies stellte die einzige Form dar, die Frankreich die (indirekte) Kontrolle und den (indirekten) Besitz von Immobilien innerhalb der Heiligen Stätten Mekkas ermöglichte (Renard 2006: 720).

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nahe Paris 1916 eine kleine Moschee errichtet wurde, deutet Michel Renard als Reaktion auf die Errichtung der Moschee im deutschen Zossen (2006a: 716). Zentral war jedoch vor allem die Konkurrenz zu Großbritannien. Naomi Davidson erläutert, dass Frankreich sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend von den Ambitionen Englands im Nahen Osten bedrängt sah und verortet die Entscheidung für den Bau der Moschee von Paris explizit im Konkurrenzkampf zwischen den beiden Kolonialmächten (Davidson 2007: 49).9 In einer Sonderausgabe der Revue Indig ne aus dem Jahre 1919 leitete Paul Bourdarie die Motive für seinen Projektvorschlag selbst aus dieser Logik her: England, die zahlenmäßig größte muslimische Macht der Welt, stehe Frankreich als der größten arabisch-muslimischen Macht in den Kolonien gegenüber (Bourdarie 1920: 5). Frankreich müsse den Menschen in den Kolonien die Vorzüge der französischen Kolonialherrschaft vor Augen führen. Der Bau eines muslimischen Instituts und einer Moschee in Paris seien dabei Zeichen des guten Willens, des Respektes und der religiösen Toleranz der Franzosen gegenüber ihren muslimischen Untertanen (ebd.: 6, 9, 12). Die 1889 in Woking erbaute Shah-Jhan-Moschee war längst zu einem Zentrum muslimisch-britischer Versammlungen (Ansari 2002: 1) und jährlich anlässlich des Opferfestes (C¯Id Al-Adha¯) auch zum politischen Versammlungsort für Musli˙ ˙ geworden (Abd al-Haq 1930: 243). Darüber hinaus me aller Nationalitäten plante Großbritannien seit Beginn des 20. Jahrhunderts die im Oktober 1926 eröffnete Fazl-Moschee in London, mit der britische Staatsbeamte ähnlich wie ihre französischen Kollegen hofften, die Muslime, vor allem im kolonisierten Indien, positiv zu beeindrucken (Tibawi 1981: 195). Zum zweiten entwickelten sich in Marokko, Tunesien und Algerien erste nationalistisch gefärbte Unabhängigkeitsbestrebungen, die von französischen Politikern als zunehmend politisch bedrohlich bewertet wurden (Telhine 2010: 153 f.). Insbesondere in Algerien hatten sich während des Ersten Weltkriegs tiefgreifende demographische Veränderungen vollzogen. Zum ersten Mal sprachen Menschen im Namen einer algerischen Nation; eine landesweite öffentliche Meinung formierte sich (M rad 1999: 41); eine zunächst vor allem frankophone Elite forderte im Gegenzug für ihr pro-französisches Engagement im Ersten Weltkrieg bessere Bildungsmöglichkeiten für alle Algerier und zudem die volle Anerkennung der französischen Bürgerrechte, die der gesamten Bevölkerung Algeriens bislang verwehrt geblieben waren (ebd.: 45–48., 58; Adler 2005: 63).10 Auch unter den algerischen Emigranten in Paris

9 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die franko-britischen Verhandlungen und schließlich das Sykes-Picot-Abkommen vom 16. 05. 1916, in dem weite Gebiete des Nahen Ostens französischer bzw. britischer Kontrolle zugeordnet wurden (Laurens 2000: 142–144). 10 Zwischen 1919 und 1925 bildete sich laut M rad auch eine arabophone Elite aus, die jedoch anders als ihre frankophonen Gegenparts zu dieser Zeit weder gegen die Kolonialmacht demonstrierten noch politische Forderungen erhoben. Vielmehr richteten sie sich zu diesem Zeitpunkt vor allem an die Muslime, die sie z. B. von der Ausübung traditioneller sufistischer

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waren seit Beginn des Ersten Weltkriegs Bewegungen entstanden, die gegen die Benachteiligung der Algerier durch den Code de l’Indig nat11 demonstrierten und die französischen Bürgerrechte sowie die Eröffnung von Schulen für alle verlangten (Sellam 2006: 68). Allen voran hatte Khaled al-Haschimi (im dt. oft auch: Emir Khaled), ein Enkel des berühmten algerischen Widerstandskämpfers Abdelkader (1808–1883), während seiner Aufenthalte in Paris die Politisierung algerischer Emigranten betrieben und aufgrund seiner Abstammung innerhalb kürzester Zeit eine immense Anhängerschaft hinter sich versammelt (ebd.: 67). Khaled Al-Haschimis Kritik an konkreten Praktiken der Kolonialmacht schlug erst in den Jahren nach dem Beschluss des Pariser Moscheebauprojekts in eine generelle Ablehnung der französischen Herrschaft in Algerien um (ebd.: 69). Seine Forderungen und das Gedankengut weiterer islamischer Intellektueller dieser Zeit trugen jedoch zur Beunruhigung der französischen Kolonialverwaltung ebenso wie der Metropolregierung bei. Gleiches gilt für die Solidarität, die marokkanische Emigranten in Paris gegenüber dem marokkanischen Abdelkrim al-Khattabi bekundeten (ebd.: 72; Telhine 2010: 153 f.). Abdelkrim führte seit 1919 einen Unabhängigkeitskampf im spanisch besetzten Rif-Gebiet an und leitete damit eine bis 1926 bestehende unabhängige Provinz ein. Er wurde zu einer mythischen Figur der Befreiungskämpfe im Maghreb und des Antiimperialismus im Allgemeinen (Sellam 2006: 73; Telhine 2010: 154). Die genannten politischen Konstellationen in den nordafrikanischen Kolonien und Protektoraten sowie die Sorge vor einer antifranzösischen Erhebung nordafrikanischer Emigranten in Frankreich waren, wie Telhine nachzeichnet, ausschlaggebend für die Entscheidung der zuständigen staatlichen Stellen, den Moscheebau in Paris tatsächlich und schnellstmöglich umzusetzen (ebd.: 154 f.). Mit dem Moscheebau sollte von der Unzufriedenheit in den Kolonialgebieten abgelenkt und eine Gegendarstellung der kolonialen Realität konstruiert und sichtbar gemacht werden: diejenige einer im Umgang mit dem Islam respektvollen und toleranten Kolonialmacht. Im Jahr 1920 entschied die französische Nationalversammlung über eine Subvention von 500.000 FF für den Bau des Institut Musulman de la Mosqu e de Paris. Ein Jahr später stellte die Stadt Paris im 5. Arrondissement gegenüber dem Jardin des Plantes ein Grundstück im Wert von ca. 1.600.000 FF für den Baukomplex zur Verfügung (Davidson 2007: 64). In Zusammenarbeit mit muslimischen Notabeln in den Kolonien trieben das französische Außen- und Innenministerium die noch fehlenden Summen über die Kolonialadministrationen ein, die in ihren Verwaltungszonen damit beauftragt waren, das nötige Geld einzuwerben (ebd.: 64–67). Das Geld zur Finanzierung sowie die Praktiken abbringen und von einem neuen, reformierten Islam überzeugen wollten (M rad 1999: 58). 11 Vgl. Teil 1, Fußnote 24.

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Verantwortung für die Umsetzung des Vorhabens wurden offiziell der Soci t des Habous des Lieux Saints de l’Islam übertragen, die einige Jahre zuvor zur Verwaltung der Hotelkomplexe in Mekka gegründet worden war (s. o.). Die Gesellschaft wurde in Soci t des Habous et des lieux saints de l’Islam12 umbenannt und von einer nach islamischem Recht gegründeten Institution in einen religiösen Verein nach dem französischen Recht von 1901 transformiert (vgl. Boyer 1992: 27). Auf diese Weise konnte sie im Rahmen des französischen Gesetzes Subventionen empfangen und sie für den Bau der Moschee von Paris einsetzen. Die zumindest offizielle Übergabe des Bauprojekts an die Soci t des Habous hatte, so Alain Boyer, zwei Gründe: Zum einen sollte sie die Anerkennung des Moscheebauprojekts durch die Muslime sichern, die ein von Nichtmuslimen errichtetes Gebäude ablehnen könnten. Zum anderen wollte man Anschuldigungen vorbeugen, die Regierung habe sich zu stark in die Finanzierung eines religiösen Kultgebäudes eingemischt, was ihr seit dem Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche aus dem Jahre 1905 untersagt war (ebd.: 26).13 Die personelle Besetzung der Soci t des Habous garantierte maximale Loyalität zur französischen Kolonialmacht (ebd.: 22, 24). So repräsentierten die sieben Gründungsmitglieder (zwei Algerier, zwei Marokkaner, zwei Tunesier und ein Vertreter Französisch-Westafrikas) die unterschiedlichen Kolonien Nord- und Westafrikas. In das Amt des Vorsitzenden wurde der algerische Ben Ghabrit gewählt, der innerhalb der französischen Kolonialverwaltung zunächst als Übersetzer, später als wichtiger Bündnispartner bei der Unterwerfung Marokkos und schließlich als Protokollchef des marokkanischen Sultan Ben Youssef Karriere machen sollte (Atouf 2006: 210). Die Besetzung der Soci t des Habous mit Mitgliedern der unterschiedlichen, französisch dominierten Länder schuf außerdem internationale Strukturen. Diese sorgten dafür, dass die Vereinigung nicht nur als Vertretung eines muslimischen Landes, sondern des gesamten französischen Kolonial- und Protektoratsreichs auftreten konnte. Globale politische Konstellationen hatten die französische Imperialmacht nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend geschwächt und die Ausgangslage definiert, in der der Bau der GMP entschieden wurde. Vor dem Hintergrund der geschilderten Konfliktlagen konzipierten Vertreter der französischen 12 Eigene Hervorhebung. 13 In Algerien wurde das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche nicht angewandt. Die französische Verwaltung betrieb beispielsweise islamische Madrasen, in denen sie Imame und Kadis ausbildete; dieses Personal wurde schließlich in Moscheen und islamischen Gerichten eingesetzt. Die französische Kontrolle über islamische Infrastrukturen erreichte sogar erst im Jahre 1933 ihren Höhepunkt, wie in Teil 1, Fußnote 23 erläutert: In einem ministeriellen Rundschreiben, der Circulaire Michel, wurde eine intensive Überwachung muslimisch-religiösen Personals und islamischer Predigten seitens der französischen Verwaltung angeordnet (Henry 2003: 241 f.; vgl. zur Nichtanwendung des Laizitätsgesetzes in Algerien sowie zur Reaktion reformislamischer Gelehrter hierauf auch Fr gosi 2008: 199–221).

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Regierung nun den Identitätsmarker einer „großen und toleranten Kolonialmacht Frankreich“, der selbst im Dienst machtpolitischer Strategien stand, wie die folgenden Ausführungen zeigen. Mit der Besetzung der Soci t des Habous hatten die französischen Autoritäten zudem einen Rahmen geschaffen, der die Interessen der Kolonialmacht zu stützen versprach: Hier waren Akteure aus Nord- und Westafrika präsent, die politisch von der Kooperation mit den Franzosen profitierten und die Kolonialisierung befürworteten. Diese Akteure beteiligten sich an der Popularisierung eines positiv gewerteten Identitätsmarkers „Frankreich“ beziehungsweise „französische Kolonialmacht“, wie nun dargestellt wird.

2.1.3. Französische Erinnerungspolitik und mission civilisatrice In verschiedenen Reden anlässlich der offiziellen Zeremonien zur Grundsteinlegung, zur Eröffnung und zur Einweihung des Moscheekomplexes betonten verschiedene Politiker die Vorteile, die Frankreich den Kolonialgebieten bringe. So hob C sar Caire, der Vorsitzende des Gemeinderats (conseil municipal) Paris die Milde hervor, mit der die Großmacht in ihren Kolonien agiere, um die Bevölkerung auf dem Weg zur Entfaltung ihrer selbst zu unterstützen: Elle [la France, R.S.] ne veut pas r gner par la force, mais par la douceur (…). Elle n’opprime pas, elle rel ve; elle apporte une flamme qui, loin de consumer & de d truire, r veille ce qui sommeillait, ranime ce qui tait engourdi, exalte ce qui tait abattu. Elle rend aux peuples qu’elle aßiste le sens exact & profond de leurs destin es v ritables & s’avance avec eux dans les voies de la Justice & de la Libert (anlässlich der Zeremonie zur Grundsteinlegung in Weiss 1927: 41).

Frankreich erscheint in diesem Zitat als Akteur, der seine Identität nicht aufdrängen, sondern vielmehr anderen helfen möchte, ihre ihnen eigene Bestimmung zu finden. Es wird also davon ausgegangen, dass verschiedene Völker durch ihre je eigenen Wesenskerne gezeichnet sind, sich zugleich aber in gemeinsamen Werten treffen: So gehen sie zusammen auf den Wegen der Gerechtigkeit und Freiheit. Augenscheinlich ist dabei jedoch die Ungleichheit zwischen den beiden Parteien: Frankreich, im Singular, ist aktives Subjekt, das die namenlos bleibenden Völker an die Hand nimmt und sich mit ihnen in die Zukunft begibt. Unterstaatssekretär Maurice Colrat knüpfte den Respekt vor den Traditionen, Bräuchen und dem Glauben der Muslime an die zivilisatorische Mission der Großmacht, die den kolonisierten Gebieten zugleich technischen Fortschritt und wissenschaftliche Moderne bringen solle. Die Maßnahmen Frankreichs in den Kolonien und Protektoraten klassifizierte er dabei als Freundschaftsakt und stellte sie also explizit in den vorgängig erwähnten, bis

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heute von Politikern zitierten Rahmen einer französisch-muslimischen Freundschaftsbeziehung: Ils [les malentendus entre la France et le monde musulman, R. S.] n’ont jamais branl les fondements d’une amiti qui tire sa vivacit & sa persistance de la nature mÞme de l’ me franÅaise & de l’ me musulmane (…). La France prot ge vint-cinq millions de sujets musulmans. Elle cherche d velopper leur industrie, leur commerce, mettre leur disposition les ressources techniques de la science moderne. Elle ouvre des dispensaires, des h pitaux pour leurs malades, des coles pour leurs enfants. Mais partout & toujours, elle se fait une loi de respecter leurs mœurs, leurs traditions, leur foi (anlässlich der Zeremonie zur Grundsteinlegung in ebd.: 46).

Auch hier erscheinen Frankreich und der Islam, beziehungsweise die französische und die muslimische Seele, als klar voneinander abgrenzbare Entitäten mit jeweils einem Wesenskern, die freundschaftlich miteinander verbunden sind, jedoch nicht auf einer egalitären Beziehung beruhend: Frankreich ist das Subjekt, das mit Verben im Aktiv verknüpft wird, die muslimischen Untertanen („sujets musulmans“) sind dieser Aktivität unterlegen; sie sind der schwächere Part, derjenige, der beschützt wird und zudem die Zivilisation als Geschenk empfängt. Die Soldaten Nord- und Westafrikas, die im Ersten Weltkrieg auf französischer Seite in den Kampf gezogen waren, wurden ferner zu heroischen Kämpfern stilisiert, die, aus dieser Situation der Unterlegenheit heraus, zumindest ihren vollen Einsatz im Krieg gaben, um die Kolonialmacht zu unterstützen. An verschiedenen Stellen betonten die Redner die Selbstlosig- und Heldenhaftigkeit, mit der Muslime sich für Frankreich eingesetzt hatten (z. B. Paul Fleurot anlässlich der Zeremonie zur Grundsteinlegung in ebd.: 37; Paul Fleurot anlässlich der Zeremonie zur Baueröffnung in ebd.: 51) M. Gout anlässlich der Eröffnungszeremonie in ebd.: 65) etc.). Beispielhaft seien zitiert: Il [Paris, R.S.] n’oubliera jamais que cette troupe d’ lite, charg e de tenir la falaise de Champagne (…), supporta avec un h ro sme incomparable le poids principal de la bataille, & qu’enfin, en reprenant dans un furieux aßaut le parc & le ch teau de Mondement, alors que l’ennemi voyait d j ouverte devant lui la route de Paris, elle r tablit le combat & contraignit les Allemands la retraite (…) (C sar Caire anlässlich der Zeremonie zur Grundsteinlegung in ebd.: 42). Elle [la France, R.S.] vit accourir en foule sous ses drapeaux les vaillants fils de l’Islam qui, sans marchander leur sang, lui apport rent le concours de leur h ro que abn gation & de leur indomptable courage (M. Gout anlässlich der Eröffnungszeremonie in ebd.: 63).

In diesen Zitaten wurde das Topos des loyalen, braven und furchtlosen afrikanischen Kämpfers propagiert, der wie oben erwähnt bis heute seinen Platz in den Reden französischer Politiker hat. Der Einsatz dieses, bisweilen als

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muslimisch charakterisierten Kriegers („les vaillants fils de l’islam“ (sic!)) erschien hier unausgesprochen als Grund für die französische Dankbar- bzw. Schuldigkeit: Paris wird diese Taten nie vergessen. Explizit wird die bis in die aktuelle Zeit repetierte Vorstellung einer französischen Anerkennungsschuld in folgendem Zitat von Paul Fleurot deutlich: L’ dification d’un Institut musulman au cœur de Paris, dans ce 5e arrondißement d’o rayonne la pens e franÅaise travers le monde, sera approuv e par tous nos compatriotes d sireux d’acquitter leur dette de reconnaißance envers ces populations musulmanes de l’Afrique du Nord qui, de tout cœur, se sont donn es la France (Paul Fleurot, anlässlich der Zeremonie der Grundsteinlegung in ebd.: 37).

Der Anerkennung, die Frankreich dem tödlichen Einsatz vieler Soldaten aus den Kolonien schulde, wurde durch den Bau der Moschee (in den offiziellen Reden in Anlehnung an seine ursprüngliche Bestimmung oft als muslimisches Institut (institut musulman) bezeichnet) sichtbar ausgedrückt. Damit wurde abermals der Identitätsmarker eines seiner Schuld bewussten, Anerkennung zollenden und folglich großzügig-toleranten Frankreich bedient; eines Frankreich, das in der Rolle des aktiven Subjekts steht und das den unspezifiziert bleibenden muslimischen Bevölkerungen Nordafrikas eine Moschee schenkt. Schließlich kamen anlässlich der verschiedenen Zeremonien muslimische Vertreter zu Wort, deren Reden sich ebenfalls in der 1927 von Ren Weiss publizierten Auswahl an Festansprachen befinden. Dabei nahmen insbesondere Ben Ghabrit und Ben Youssef, als erster Moscheerektor bzw. Sultan von Marokko, wichtige Funktionen ein: In ihren Rollen als offizieller Repräsentant für die Muslime in Frankreich (Ben Ghabrit) sowie als offizielles Sprachrohr für die muslimische Bevölkerung im marokkanischen Protektorat (Ben Youssef), bestätigten sie den von französischen Politikern propagierten Identitätsmarker „Frankreich“ sowie seine Rezeption unter Muslimen. Im Namen der, auch hier als unspezifische Masse erscheinenden, unzähligen Brüder richtete Ben Youssef der Republik tiefste Dankbarkeit für den Moscheebau aus: Außi, en venant, en notre qualit de Commandeur des Croyants, inaugurer l’Institut musulman & la Mosqu e de Paris, nous exprimons les sentiments de nos fr res innombrables en aßurant le gouvernement de la R publique de notre profonde gratitude pour le concours si efficace & si empreß (…) (Ben Youssef anlässlich der Eröffnunszeremonie in ebd.: 72).

Auch Ben Ghabrit beteuerte an vielen Stellen, dass die muslimische Bevölkerung den Bau der Moschee in Paris dankbar anerkenne (z. B. Ben Ghabrit anlässlich der Grundsteinlegung in ebd.: 49; anlässlich der Eröffnungszeremonie in ebd.: 60). Genau wie die oben zitierten Politiker verwies er dabei auf eine freundschaftliche Beziehung zwischen Frankreich und den Muslimen aller Herkünfte. In orientalistischer Manier machte auch er Frankreich durch

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seine Formulierungen zum aktiven Subjekt, deren Aktionen die zahlreichen Muslime passiv empfingen und anerkannten: Cette r union est symbolique. Elle marque que la France, fid le une politique plusieurs fois s culaire, affirme, d’ clatante mani re, la sympathie qu’elle reßent pour les Musulmans de toutes origines qui sont pour elle galement des amis. Cet hommage de haut & noble lib ralisme aura, a d j eu le plus grand retentißement dans le monde musulman, car il d montre que la France hospitali re toutes les races ne l’est pas moins toutes les id es, toutes les religions (Ben Ghabrit anlässlich der Eröffnungszeremonie in ebd. : 60).

Dass muslimische Vertreter die Rhetorik französischer Politiker aufgriffen und versicherten, die Errichtung der Großen Moschee von Paris löse in der muslimischen Bevölkerung die erhoffte Dankbarkeit aus, konnte als ein eindrucksvolles Argument dafür genutzt werden, dass die französische Kolonialpolitik wirksam und „richtig“ war. In Kapitel 2.1.2. wurde bereits auf die machtpolitischen Motivationen verwiesen, die sich hinter dem Bau der Moschee von Paris verbargen. Im Folgenden soll die soeben beschriebene Rhetorik mit den konkreteren politischen Konstellationen in Verbindung gebracht werden, in die sie ihrerzeit eingebettet war. Auf diese Weise wird aufgezeigt, inwiefern konstruierte Identitätsmarker wie diejenigen Frankreichs oder der islamischen Welt mit dem Ziel instrumentalisiert wurden, konkurrierende Realitätsdeutungen zu verdecken. 2.1.4. Die Funktion der nordafrikanischen Eliten Ein Blick auf die Kriegspolitik Frankreichs im Ersten Weltkrieg zwingt uns zunächst dazu, die Konzeptualisierung des muslimischen Soldaten als selbstlosen Akteur in Frage zu stellen, der freiwillig in den Krieg gezogen sei, um sein Heimatland Frankreich zu verteidigen. Nach den Zahlen von Belkacem Recham sowie Mohammed Telhine waren zwischen 1914 und 1918 ungefähr 500.000 Menschen aus den französischen Kolonien und Protektoraten Nord- sowie Westafrikas nach Europa gebracht worden, um in den Fabriken an der Herstellung von Kriegsmaterial mitzuarbeiten, um die landwirtschaftliche Produktion, die durch den Fronteinsatz vieler Landarbeiter zum Teil brach lag, sicherzustellen und schließlich um selbst im Kampf eingesetzt zu werden (Telhine 2010: 123). Der Großteil der Maghrebiner stammte aus Algerien: ca. 173.000 Algerier, ca. 60.000 Tunesier und ca. 37.150 Marokkaner leisteten Kriegsdienst, sowie weitere ca. 164.000 Menschen aus FranzösischWestafrika (ebd.: 124; vgl. Recham 2006: 745). Nach offiziellen Angaben sind im Verlauf des Krieges ca. 76.000 Soldaten muslimischer Herkunft gefallen oder vermisst gemeldet worden, davon 36.000 aus dem Maghreb und 30.000 aus Französisch-Westafrika (Recham 2006: 746). Tatsächlich hatte sich ein Teil der französisch gebildeten Elite Algeriens

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freiwillig für den Kriegseinsatz in Frankreich gemeldet. Insbesondere junge Algerier hegten die Hoffnung, den französischen Autoritäten auf diese Weise ihre Loyalität und Identifikation mit Frankreich beweisen zu können. Im Gegenzug hofften sie, in den Genuss der vollen französischen Bürgerrechte zu kommen (M rad 1967: 46). Das Zugeständnis von „Freiheit“ und „Gleichheit“ sowie damit verbundene Rechte für die „indigene Bevölkerung“ waren von der französischen Administration bis dahin immer wieder auf die Zukunft verschoben worden. So sah der Code de l’Indig nat wie in Teil 1, Fußnote 24 bereits erwähnt besonders harte Strafen und Einschränkungen für die muslimische Bevölkerung vor, während letzterer zeitgleich der Zugang zu höheren politischen und administrativen Funktionen verwehrt war (Weil 2006: 548 f.; Manceron 2003: 170 f.). Der Erhalt der französischen Staatsbürgerschaft war zwar in Einzelfällen möglich, jedoch mit bürokratischen Hürden versehen, die es einem Großteil der Bewerber unmöglich machten, dem strengen Gesetz für die indigene Bevölkerung zu entkommen (Weil 2006: 550–557). Die junge Generation gut ausgebildeter, frankophoner Algerier identifizierte sich nun zunehmend mit französischen Rechts- und Bürgerkonzeptionen und setzte sich in diesem Rahmen für die Aufhebung diskriminatorischer Praktiken gegenüber Nichtfranzosen in der Kolonie ein (M rad 1999: 46 f.) Hätte sich diese Personengruppe im oben zitierten Bild des tapferen muslimischen Soldaten wieder gefunden, des Sohnes des Islam oder der generalisierend evozierten muslimischen Bevölkerungen Nordafrikas, die passiv die großzügigen Hilfeleistungen Frankreichs entgegennahmen? Stand dieses Bild nicht in Kontrast zum politischen Engagement dieser Menschen, die zwar französische Modelle positiv rezipierten, zugleich aber gegen die koloniale Praxis protestiert hatten? Vor allem hatten sie sich von ihrem Einsatz im Krieg das Zugeständnis von mehr Rechten versprochen (vgl. ebd.: 47), und keine Moschee, die ihre Identität als muslimische Subjekte weiterhin festschrieb. Schließlich muss erwähnt werden, dass die französische Großmacht zwar anfänglich freiwillige Soldaten in den Kolonien gesucht hatte, schnell aber so viele Menschen benötigt wurden, dass der Kriegsdienst zur Pflicht gemacht wurde. Die Rede vom selbstlos und gerne kämpfenden muslimischen Soldaten unterschlägt, dass unmittelbar nach der Generalisierung der Wehrpflicht in Westafrika und Algerien schwere Revolten gegen die neue Regelung ausbrachen (Ageron 1968b: 1150–1157; Michel 2003: 49–64); sie verschweigt ferner, dass diese Aufstände auf Befehl Frankreichs systematisch niedergeschlagen wurden (ebd.). Die Eingezogenen hatten größtenteils keine Wahl, sich dem Einsatz für Frankreich zu verwehren. Eine weitere Inkonsistenz besteht in der Unverhältnismäßigkeit, in der die Länder, die im Ersten Weltkrieg Soldaten nach Frankreich entsandten, im Rahmen der Moscheeeröffnungsfeierlichkeiten repräsentiert wurden: Westafrika fand kaum Erwähnung und unter den nordafrikanischen Ländern wurde Marokko ein zentraler Platz eingeräumt, obgleich der Anteil der marokkanischen Soldaten im Vergleich zu den algerischen, tunesischen und

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westafrikanischen Kriegsteilnehmern nur gering war, wie die obigen Zahlen zeigen. Mit Formulierungen wie unser afrikanisches Frankreich („notre France africaine“) (Weiss 1927: 42), muslimische Soldaten („soldats musulmans“) (ebd.: 38), muslimischen Bevölkerungen („populations musulmanes“) (ebd.: 41), unseren muslimischen Brüdern („nos fr res musulmans“) (ebd.: 67) oder unsere Afrikaner („nos Africains“) (ebd.: 42) wurde zwar die Bevölkerung aller nord- und westafrikanischen Kolonien und Protektorate angesprochen. An zahlreichen Stellen jedoch wurden die Truppen Algeriens, Tunesiens und Marokkos oder allgemein die Soldaten Nordafrikas besonders hervorgehoben, während der ebenso immense Anteil an Kriegsteilnehmern aus Westafrika unerwähnt blieb (z. B. ebd.: 37, 42 f., 51, 56, 63, 65.). Zwei Tage vor der Eröffnung der Moschee, am 13. Juli 1926, bereitete die Stadt Paris Delegationen aus Marokko, Algerien und Tunesien einen pompösen Empfang im Rathaus (vgl. ebd.: 5–10). Westafrika war wiederum nicht vertreten. Neben der auffälligen rhetorischen Hervorhebung Nord- und der gleichzeitigen Marginalisierung Westafrikas fällt schließlich die zentrale Rolle auf, die dem marokkanischen Sultan innerhalb der Eröffnungsfeierlichkeiten zuteil wurde. Auf Einladung der französischen Regierung wurde Ben Youssef am 13. Juli 1926 als Ehrengast im Pariser Rathaus empfangen (ebd.: 4–6.). Am 15. Juli eröffnete er schließlich gemeinsam mit Staatspräsident Gaston Doumergue die Große Moschee von Paris. Pierre Godin, damaliger Präsident der Gemeindeverwaltung (Conseil municipal) Paris, schrieb in diesem Zusammenhang: Il [Paris, R.S.] sait ce que la France, dans le lacis quotidien de son action marocaine, doit la sageße, la droiture, la nobleße vaillante & r solue du Sultan (in ebd.: XXIII).

Im Rahmen der Empfangszeremonie am 13. Juli 1926 schmückten zudem französische und marokkanische Flaggen die Fassade des Pariser Rathauses (ebd.: 3). Bei der Artillerie Vincennes ausgeliehene Waffentrophäen zierten den Eingang abwechselnd mit nationalen Emblemen (ebd.: 4), dazu wurden französische Infanterie- und arabische Märsche gespielt (ebd.: 16, 19). Die militärische Bedeutung des Sultans sollte auf diese Weise gewürdigt werden, ein Aspekt, der auch die Eröffnungszeremonie der Moschee einrahmen sollte. Wodurch aber war Ben Youssef im marokkanischen Protektorat zur politischen Scharnierfigur geworden? Nur wenige Wochen zuvor war die Herrschaft des frankreichtreuen Ben Youssef im marokkanischen Protektorat ernsthaft bedroht gewesen. Abdelkrim, die von der Kolonialregierung gefürchtete Gallionsfigur der Befreiungskämpfe in Nordafrika (vgl . Kapitel 2.1.2.), hatte im spanisch besetzten Rif-Gebiet in Nordmarokko eine unabhängige Provinz gegründet, deren Gesetz und Sozialordnung die Scharia sein sollte und die auch die französische Vorherrschaft im übrigen Marokko bedrohte (vgl. Sasse 2006: 42–46, 49–53). Als die Rif-Truppen Abdelkrims 1925 in französisch besetztes Gebiet vor-

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stießen, stieg Frankreich an der Seite Spaniens in die Gefechte gegen die feindlichen Soldaten ein. Durch die Entsendung von mindestens 160.000 Soldaten, durch Luftangriffe, bei denen Giftgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurde, und durch die strategische Blockade der Lebensmittelversorgung für die Bevölkerung gelang es Frankreich und Spanien, Abdelkrim am 23. 05. 1926, wenige Wochen vor der Einweihung der Großen Moschee von Paris, zur Kapitulation zu zwingen und den Rif-Krieg zu beenden (Fr meaux 1991: 160; Sasse 2006: 51–54). Der pompöse Empfang von Ben Youssef in Paris einige Wochen später diente nun dazu, die gerade erfolgreich verteidigte Macht des Sultans und damit auch die andauernde Herrschaft Frankreichs in Marokko zur Darstellung zu bringen, wie auch Naomi Davidson gezeigt hat (Davidson 2007: 91 f.). Pierre Godin beschwor bei dieser Gelegenheit die franko-marokkanische Zusammenarbeit, deren beide Seiten er als parallele und gar konvergierende Kräfte („des forces parall les & mÞme convergentes“) bezeichnete; er lobte den tapfer wiedererkämpften Frieden („la paix vaillamment reconquise“) gegen die Rif-Dissidenten und stellte den Sultan als den Boten der neuen Zeiten („l’Annonciateur des temps nouveaux“) dar (zitiert nach Weiss 1927: 13). Am 15. Juli 1926 wurde Ben Youssef in Paris in einer Kutsche über einen Umweg an den historischen Siegesstätten Frankreichs vorbei und schließlich zur Einweihungszeremonie vor die Moschee von Paris gebracht. Wie Naomi Davidson überzeugend erklärt, so wurden auf diese Weise ihm die Errungenschaften Frankreichs präsentiert und zugleich wurde der Pariser Bevölkerung der Sultan und mit ihm die gerade neukonsolidierte Herrschaft Frankreichs in Marokko vor Augen geführt (Davidson 2006: 91 f.). Für den Sultan selbst bot die Eröffnung der Großen Moschee von Paris ebenso eine willkommene Möglichkeit, der französischen Bevölkerung und den nordafrikanischen Delegationen seine nunmehr rehabilitierte Macht über Marokko zu demonstrieren, die, so auch Gilles Kepel, durch die RifUnruhen in Frage gestellt worden war (Kepel 1990: 117). Die Prozession und die Eröffnungszeremonie der Moschee am 15. Juli 1926 dienten folglich dazu, Paris als eine imperiale Stadt zu inszenieren – ebenso wie die Teilnahme des Sultans an den Nationalfeierlichkeiten einen Tag zuvor. Dass die Moscheeeröffnung auf den 15. Juli, einen Tag nach dem französischen Nationalfeiertag, gelegt worden war, stellte, so Davidson, keinen Zufall dar: Das feierliche Gedenken an die Größe und Freiheit der Franzosen seit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 konnte so in einen Zusammenhang mit der Demonstration der Größe Frankreichs in den Kolonien gesetzt werden (Davidson 2006: 93). Die Eröffnungszeremonie und insbesondere die Präsenz des marokkanischen Sultans festigten also das Bild einer französischen Kolonialmacht als groß, mächtig und als mit den muslimischen Herrschern freundschaftlich verbündet. Der im Rahmen der Moscheeeröffnungszeremonie immer wieder thema-

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tisierte Dank an die muslimischen Soldaten erscheint im Kontext des zur damaligen Zeit gerade beendeten Rif-Kriegs besonders grotesk: Nur wenige Wochen, bevor französische Autoritäten die Eröffnungszeremonie der Moschee von Paris dazu genutzt hatten, sich als Vertreter einer gutmütigen und ihren muslimischen Soldaten gegenüber in der Schuld stehenden Kolonialmacht zu inszenieren, hatte ihre Regierung brutale Methoden und modernste Mittel der Kriegsführung wie Giftgas eingesetzt, um die Aufständigen in den Kolonien zum Schweigen zu bringen. Im Vergleich zu den im Ersten Weltkrieg eingezogenen muslimischen Soldaten hatte Frankreich im kurz später einsetzenden Rif-Krieg noch weitaus mehr Kriegspersonal in den Kampf gezwungen und schließlich etliche Todesopfer gerade auch aus der Zivilbevölkerung Nordmarokkos verantwortet. Diese Widersprüche, die durch die prunkvolle Inszenierung des positiv konnotierten Identitätsmarkers Frankreich verdeckt werden sollten, provozierte schließlich weitläufige Protestaktionen. So stellte sich der antikolonialistische Reformer Raschid ibn Ali Rida gegen die Moschee von Paris und kritisierte ihre Finanzierung durch Mittel aus der Soci t des Habous et des Lieux Saints scharf. Diese Mittel würden aus dem erwirtschafteten Gewinn der Hotelanlage in Mekka stammen, die, so Ridas Kritik, für muslimische Anliegen, nicht aber für ein französisch-koloniales Projekt eingesetzt werden dürften (Sellam 2006: 181 f.; vgl. Telhine 2010: 148). Ahmed Ben Messali Hadj, ein Schüler des politischen Widerstandskämpfers Al-Haschimi hatte im Juli 1926 in Paris die antiimperialistische Vereinigung toile Nord-Africaine (ENA) gegründet, deren Mitglieder sich hauptsächlich aus algerischen Arbeitsemigranten rekrutierten und die ihre erste Versammlung am 14. Juli 1926, einen Tag vor der Eröffnung der Moschee von Paris abhielten (Atouf 2006: 219). Der toile Nord-Africaine hatte im Vorfeld sowie während der Versammlung zum Protest gegen die bevorstehende Einweihung der Moschee aufgerufen. Mit der Eröffnung der Reklame-Moschee („mosqu e r clame“), bereite sich eine dunkle Komödie („une sinistre com die“) vor, in der muslimische Notabeln gemeinsames Spiel mit den französischen Kolonialherren machten und die Ungerechtigkeiten verschwiegen, durch die sie ihre Völker zeitgleich zermalmten. Aufgabe sei es, das Spiel des imperialistischen Frankreich zu entlarven, das das Blut unzähliger Muslime an den Händen trage (Flugblatt des ENA, AQO, S rie Afrique (1918/1940), Affaires musulmanes, K-102- I.13, zitiert nach Atouf 2006: 219 f.). Kritik am Moscheebauprojekt kam aber auch von Abgeordneten der französischen Nationalversammlung: Der Bau einer Moschee in Paris reiche nicht, um das Interesse Frankreichs an den tatsächlichen Problemen der nordund westafrikanischen Bevölkerung zu demonstrieren; vielmehr müsse den letzteren politische Vertretung in der französischen Regierung zugestanden werden, so ihr Argument (Sellam 2006: 181). Der Protest und die Kritik an dem durch die Moschee inszenierten Kolo-

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nialdiskurs können an dieser Stelle nicht in allen Einzelheiten dargelegt werden. Die angeführten Beispiele verweisen jedoch auf die existierende Ablehnung des Projekts durch einflussreiche muslimische Akteure, die sich weigern wollten, durch die Moschee von Paris repräsentiert zu werden. Das Bild einer von Muslimen allgemein wohlwollend aufgenommen Kolonialpolitik erhält selbstverständlich bei genauerem Hinsehen schnell deutliche Risse. Alternative Interpretationen der kolonialen Realität wurden im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Großen Moschee von Paris jedoch zugunsten der beschriebenen Erzählung von Frankreichs Großzügigkeit sowie der frankoislamischen Freundschaft marginalisiert, die sich im und nach dem Ersten Weltkrieg in aller Größe gezeigt habe. In diesen Narrativen aber wurde die Bevölkerung Nord- und Westafrikas in die Darstellung des muslimischen Anderen gezwungen. Die Vorläufer nationalistischer Bewegungen, die in Frankreich ebenso wie in den Kolonien und Protektoraten für rechtliche Gleichberechtigung sowie für Bildung und Schulen eintraten; die vor allem aber die Anerkennung als vollwertige französische Staatsbürger einforderten und sich erst allmählich grundsätzlich gegen den Einfluss Frankreichs in ihren Ländern wandten, wurden innerhalb der französischen Regierung durchaus mit Sorge beobachtet. In den hier analysierten offiziellen Reden fanden sie jedoch keine Erwähnung. Statt der eingeforderten Bürgerrechte gab man den Menschen Nord- und Westafrikas eine Moschee, durch die ihre Identität öffentlichkeitswirksam auf den Aspekt der Zugehörigkeit zum Islam fokussiert und ihre Andersartigkeit im Vergleich zum säkularen Bürger Europas weiter zementiert wurden. Eine Aussage von M. Gout, Präsident des CIAM, anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der GMP, verdeutlichte diese Reduktion nord- und westafrikanischer Kriegsdienstleister auf ihre Zugehörigkeit zum Islam: …l’Islam envoyait dans nos usines de robustes & sobres travailleurs qui coop raient aux travaux de la d fense nationale (M. Gout anlässlich der Einweihungszeremonie in Weiss 1927: 64).

Nicht etwa Algerier oder nordafrikanische Arbeiter kamen demnach im Ersten Weltkrieg aus unterschiedlichen Regionen zur Verteidigung Frankreichs ins Hexagon, sondern der Islam habe sie in die Fabriken der Metropole entsandt. Aus dieser Perspektive erscheint es als logische Konsequenz, der französischen Bevölkerung die Realität in den Kolonien in Form einer Moschee zu präsentieren, beziehungsweise der kolonialisierten Bevölkerung mit einer Moschee zu danken. Hiermit deutet sich auch die These an, dass die Große Moschee von Paris die Vorstellung von der fundamentalen Andersartigkeit der Kolonisierten sichtbar machen sollte. Diese Behauptung wird im Folgenden durch eine genauere Betrachtung des Bauorts, der Architektur sowie der Konzeption einzelner Gebäudeteile geprüft. Nicht nur die Entscheidung, dass eine Moschee in Paris

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gebaut würde, sondern auch wo sie stehen und wie sie aussehen sollte, hat schließlich machtpolitische Implikationen. Bei einem vom französischen Staat initiierten Bauprojekt, in dessen Realisierungsetappen Vertreter der Regierung jeweils federführend involviert waren, stellt sich die Frage, welche Vorstellungen von Islam in der Konzeptualisierung der Moschee zum Ausdruck kamen und welche politischen Ziele damit verfolgt wurden.

2.2. Die koloniale Konzeption der Großen Moschee von Paris 2.2.1. Die Architekten und ihre Vorlagen Bereits die Auswahl der Architekten und ihre institutionelle Anbindung offenbaren eine tiefe Verankerung der Moscheekonzeption in kolonialpolitischen Strukturen und Interessen. Die Spezialisten, die von französischen Regierungsstellen und der Soci t des Habous et des Lieux Saints de l’Islam mit der Ausarbeitung eines architektonischen Entwurfs beauftragt worden waren, standen zugleich dem Service des Beaux Arts, Antiquit s et Monuments historiques in Marokko vor (Alouani 2012: 45). Im April 1912 hatte Marschall Lyautey als Gouverneur des marokkanischen Protektorats den Service des Beaux Arts gegründet, um den Erhalt religiöser, kultureller und anderer Architektur in Marokko zu fördern (vgl. Theliol 2011). Im Gegensatz zur algerischen Kolonie, in der man lange Zeit die Kontrolle, Adaption und schließlich Auflösung religiöser Infrastruktur angestrebt hatte (vgl. Boyer 2006: 705 f.), stand Lyautey in Marokko für den Erhalt und gar die Förderung religiöser, politischer sowie kultureller Gebäude und Strukturen ein (Rivet 1999: 162). Er wollte Kultur und Religion des Landes in ihrer „ursprünglichen Form“ erhalten und vor zu schneller Modernisierung schützen (vgl. Leclerc 1990: 190). In diesem Sinne führte das Personal des Service des Beaux Arts Restaurierungsmaßnahmen und Bauarbeiten durch, im Zuge derer ganze Distrikte marokkanischer Innenstädte erhalten, vor Modernisierung geschützt und, so Davidson, in der Zeit „eingefroren werden“ sollten („virtually freezing Moroccan medinas in time“, Davidson 2007: 79). Maurice Tranchant de Lunel, ein Generalinspektor des Service des Beaux Arts (Alouani 2012: 45), ließ im Rahmen solcher Projekte beispielsweise „traditionell marokkanische“ Straßenfassaden herrichten, die später vor allem Touristen und Bewohner französischer Herkunft anlockten (Davidson 2007: 79 f.). Die modernen französischen Städte schossen derweil abseits der marokkanischen Altstädte aus dem Boden. Ebendieser Tranchant de Lunel nun wurde gemeinsam mit seinem Kollegen Maurice Mantout, Architekt beim Service des Beaux Arts, mit den Entwürfen für die Große Moschee von Paris beauftragt (Alouani 2012: 45). Als erster Moscheerektor und Präsident der Soci t des Habous et des Lieux Saints

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de l’Islam (der offiziellen Auftraggeberin des Moscheebaus) hatte Ben Ghabrit sich mit de Lunel sowie mit Mantout abgesprochen und dem französischen Außenministerium daraufhin vorgeschlagen, die Moschee von Paris möge nach dem Modell der im 14. Jahrhundert in Fez errichteten Abu Inan-Moschee gestaltet werden (Davidson 2007: 77). Diese Entscheidung war nicht zufällig: Fez war bereits seit der exotisierenden Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts eine viel bedichtete Stadt und galt, so Muriel Girard, gemeinhin als „Juwel des Islam“ (Girard 2006: 62). Der hispano-maureske Stil vieler ihrer Gebäude sei zudem im Service des beaux arts in Mode gewesen (Davidson 2007: 77). Die Entscheidung für die Abu InanMoschee wurde Naomi Davidson zufolge von den Architekten selbst vor allem mit ihrer Schön- und Bekanntheit begründet. Der Pariser Architekturzeitschrift La Construction Moderne zufolge verlieh sie jedoch auch der Vorstellung Ausdruck, dass sich die islamisch geprägte Architektur14nicht weiterentwickele und modernisiere (ebd.). In diesem Sinne wurde in Bezug auf die Entstehung der Moschee von Paris das Folgende geschrieben: Les constructions musulmanes, au contraire des n tres, n’ont pas volu et doivent au contraire rester dans les traditions. Les auteurs, respectueux de ce principe fondamental, se sont inspir s des mosqu es et medersas (coll ge) de Fez (Goissaud 1924a: 52).

Auf der Grundlage von Gebäudeskizzen der Abou-Inan Moschee in Fez wurden schließlich erste Pläne für die Moschee von Paris15 erstellt. Die Abu InanMoschee war jedoch ihrerzeit alles andere als ein typisches oder gar „traditionelles“ Bauwerk ihrer Zeit. Ihr Errichter, Abu Inan, hatte sie ironischerweise bewusst zwischen Alt- und Neustadt angesiedelt und in Abgrenzung vom seinerzeit vorherrschenden Moscheebaustil als Erneuerungsversuch religiöser Architektur verstanden. Ob den Architekten des Service des Beaux Arts diese Tatsache bewusst war, ist unklar (ebd.). Mit Sicherheit kann jedoch festgehalten werden, dass die Architekten der Moschee von Paris für eine koloniale Institution arbeiteten, die immer wieder das orientalistische Stereotyp einer unveränderlichen islamisch-nordafrikanischen Kultur bediente. Naomi Davidson hat gezeigt, dass Reisende, Wissenschaftler und Kolonialpolitiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein positiv besetztes Bild islamischer Hochzivilisation konstruierten, dessen vollständige Entfaltung sie weit in der Vergangenheit lokalisierten. Marokko begriffen sie dabei als Sinnbild einer Ästhetik und religiösen Orthodoxie, das die Eigenschaften dieses Hochislam am Besten bewahrt habe (Davidson 2007: 47, 52). 14 Die Vorstellung, dass der Islam eine eigene charakteristische Architektur hervorbringe, ist dabei natürlich selbst eine orientalistisch-essentialisierende Konzeption. 15 Tranchant de Lunel und Mantout legten erste Entwürfe vor; die definitiven Pläne wurden von Fournez und Mantout fertiggestellt. Mantout fügte den Bauskizzen eine ausführliche Beschreibung des Bauvorhabens bei (vgl. Davidson 2007: 76–86).

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Die muslimische Welt wurde also durch eine Hierarchisierung geographischer Räume und ihrer Praktiken strukturiert: Marokkanische Ästhetik war zur damaligen Zeit das Zentrum französischer Orientbegeisterung. Allenfalls tunesische Kultur wurde noch mit dem Konstrukt „Hochislam“ verbunden (was durch obiges Zitat über den tunesischen Bey bestätigt wurde, der das „Licht“ des klassischen Islam noch in sich trage). Der Islam Algeriens, aber auch viele zeitgenössische Praktiken in Marokko, galten hingegen als unorthodoxe Folklore, als Devianz vom konstruierten Hochislam. Die Bevölkerung subsaharischer Länder wurde schließlich als von animistischen Traditionen geprägt und als vom orthodoxem Islam am Weitesten entfernt betrachtet (Davidson 2007: 47). Das hier zu Tage tretende Argumentationsmuster, nach dem ein in der Vergangenheit lokalisierter positiv gewerteter Orient wieder entdeckt und in seiner Reinheit neu entfaltet werden soll, ist, wie in Kapitel 1.2.2. beschrieben, auch aus der indischen Kolonialzeit bekannt. Dass die Große Moschee von Paris nach dem Vorbild der Abu Inan-Moschee in Fez konzipiert wurde, ist ein Hinweis darauf, dass auch hier ein französisch-orientalistisches Konzept marokkanischen Hochislams repräsentiert werden sollte: Ein Hochislam, zu dem die Muslime durch das ihnen freundschaftlich verbundene Frankreich zurückgeführt werden können (vgl. Kapitel 2.2.3.), so wie die Orientforscher den Indern den Weg zum Urhinduismus aufzeigen wollten. Diese These, sowie die politisch keineswegs harmlose inhaltliche Füllung islamischer Hochreligion an der Moschee von Paris soll in den Folgekapiteln weiter ausgeführt werden. 2.2.2. Die Symbolik des Bauortes Die geographische Lage der Großen Moschee von Paris belegt, insbesondere aus der Perspektive aktueller Moscheebaudebatten in Westeuropa, einmal mehr den politischen Charakter, mit dem die Institution behaftet war. Während die Sichtbarkeit islamischer Bauten heute kontroverse Diskussionen auslöst und Moscheen vorzugsweise an Stadträndern oder in Vororten mit hoher muslimischer Bevölkerungsdichte angesiedelt werden, befindet sich die GMP in einem der privilegiertesten Viertel der Hauptstadt: Inmitten des Quartier Latin im fünften Arrondissement der reichen Rive Gauche. Weitab der Immigrantenviertel mit hoher muslimisch geprägter Population im Norden von Paris, war und ist sie in erster Linie für Touristen und für eine nichtmuslimische französische Bevölkerung sichtbar. Wie oben bereits angedeutet und wie in den Folgekapiteln erhärtet wird, wollte man der Pariser Bevölkerung mit dem Bau der Großen Moschee von Paris die Herrschaft Frankreichs in Nord- und Westafrika sichtbar vor Augen führen. Auch Durchreisenden wollte man die Moschee von Paris als Symbol des französischen Imperialismus präsentieren wie bereits Bourdarie es in

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seiner Vorlage des Moschee- und Institutsbauprojekts gefordert hatte (Bourdarie 1920: 12). Dies musste notwendigerweise in geographischer Distanz zu den Wohnorten der nordafrikanischen Arbeiterschaft geschehen, die insbesondere im Zuge des Ersten Weltkriegs nach Paris gekommen war: Zu weit waren die Viertel, in denen die meisten Muslime lebten, von den zentralen Stätten und Arbeitsplätzen der Hauptstadt entfernt; in zu großer Ferne lagen auch die historischen Denkmäler und Schauplätze des Stadtzentrums, zu denen internationale Touristen, Diplomaten und andere Reisende regelmäßig strömten. Wie aber fiel die Entscheidung für den Bauort im Quartier Latin? Gemäß der Konzeption der Moschee als Ort des Gedenkens an die muslimischen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs für Frankreich gefallen waren, hatte Pierre Bourdarie zunächst ihre Platzierung „im Schatten des Grabes von Napoleon“ empfohlen („La Mosqu e doit Þtre construite dans l’ombre du tombeau de Napol on!“, Bourdarie 1920: 12), in der Nähe des Invalidendoms also, der neben der Ruhestätte Napoleons die Gräber weiterer militärischer Berühmtheiten beherbergt und dessen Böden oder Säulen die militärischen Siege Frankreichs in Marmor gemeißelt illustrieren (www Les Invalides). Die räumliche Nähe zum Invalidendom hätte die Deutung der Moschee von Paris als Kriegsdenkmal untermalt und zudem muslimische Soldaten sichtbar in die Geschichte der militärischen Erfolge Frankreichs eingeschrieben. Einer, glaubt man Davidson, eher zufälligen Entscheidung zufolge gab die Stadt Paris stattdessen schlussendlich ein Stück Land im fünften Arrondissement frei, auf dem bis 1911 das H pital de la Piti betrieben worden war (Davidson 2007: 72). Der Großen Moschee von Paris wurde damit ein Platz im ältesten Gelehrtenviertel der Stadt zuteil, unweit des Pantheons und zugleich in unmittelbarer Nähe zum Quartier des coles, das seit Jahrhunderten die symbolträchtigsten Bildungsstätten Frankreichs beheimatete. Zu ihnen zählen die im 16. Jahrhundert erbauten Schulen Henri IV und Louis Le Grand, die bis heute als Eliteschmiede Frankreichs gelten; sowie die cole Normale Sup rieure, die Sorbonne und das Coll ge de France, die damals bereits zu den renommiertesten Ausbildungszentren Frankreichs und Europas zählten. Hinzu genommen werden kann das während der französischen Revolution 1793 gegründete Mus um National d’Histoire Naturelle, das in der großen Parkanlage Jardin des Plantes unmittelbar gegenüber der Moschee gelegen ist. Neben einer großen naturkundlichen Sammlung verfolgten die Direktoren des Museums seit seiner Gründung Forschung und Lehre in den Naturwissenschaften; in der Kolonialzeit war aber auch die Erforschung von Flora und Fauna in den französisch kontrollierten Ländern und Regionen ein explizites Ziel (www Mus umNational/Histoire). Die Straßen, die die Moschee von Paris bis heute einfassen – die Rue Daubenton im Süden, die Rue des Quatrefages im Westen und die Rue Geoffroy Saint-Hilaire im Osten (im Norden grenzt die Moschee an weitere Gebäude) tragen, der Nähe zum Mus um National

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d’Histoire Naturelle entsprechend, die Namen bekannter Naturwissenschaftler des 18. und 19. Jahrhunderts, die zugleich kolonialgeschichtlich von Bedeutung sind. So hatte tienne Geoffroy Saint-Hilaire Napoleon Bonaparte im Jahre 1798 als Wissenschaftler auf seiner Ägyptenexpedition begleitet (Burns 2003: 111). Dass die Große Moschee von Paris von Straßen gesäumt wird, die nach solchen Personen benannt sind, rahmt sie sprichwörtlich einmal mehr als bedeutsamen Ort kolonialer Wissensproduktion. Im Zuge der Eröffnungsfeierlichkeiten wurde die Moschee von Paris schließlich auch explizit mit den umliegenden Bildungseinrichtungen in Verbindung gesetzt und in den Dienst der Wissensproduktion über den Islam gestellt. Georges Leygues, damaliger Marineminister, setzte die Funktion des geplanten, und innerhalb der Moschee angesiedelten Institut Musulman jener der umliegenden Bildungsinstitutionen parallel: So wie letztere die Zivilisationen der Welt erforschen würden, solle ersteres zur Kenntnis des spirituellen Lebens des Islam beitragen (Marineminister Leygues anlässlich der Eröffnung des Lehrinstituts und des Konferenzsaals an der Moschee von Paris, in: Weiss 1927: 83). Interessant ist dabei auch die genauere Bestimmung dessen, was das Institut Musulman leisten sollte. Adressiert wurde im folgenden Zitat Leygues der Bey von Tunis, der das Lehrinstitut am 12. August 1926 eröffnete:16 Votre p riode claßique, qui va de la pr dication du Proph te au XIIIe si cle, est un miracle d’activit dans tous les ordres de l’esprit. A ce moment, la cour des Khalifes est remplie de guerriers dont la vaillance est l gendaire; mais les hommes adonn s aux travaux de la pens e y sont plus nombreux encore (…). Cette lite porte le nom arabe son plus haut degr de splendeur & jette un tel lustre sur le Khalifat qu’apr s huit si cles il en est encore illumin (ebd.).

Es sollte also eine klassische Blütezeit muslimischer Zivilisation gelehrt werden, deren Eliten das Denken zelebrierten und die Bedeutung des Arabischseins zu seiner höchsten Bestimmung geführt hätten. Diese Blütezeit wurde, entsprechend einer weit verbreiteten Konstruktion islamischer Geschichte auch unter nichtmuslimischen Wissenschaftlern in die Ursprungszeit und insbesondere in das Abbasidische Kalifat gelegt (vgl. Krämer 2008: 71), das bis ins 13. Jahrhundert bestanden hatte. Eine ähnliche Sicht formulierte auch M. Autrand, Präfekt der Seine, der das Ziel der Beschäftigung mit einem Kanon an Klassikern auf die umliegenden Bildungseinrichtungen ausdehnte: 16 Diese Eröffnung fand also einige Wochen nach der Eröffnungsfeier der Moschee statt. Die Feierlichkeiten waren von viel geringerem Umfang als die der Moscheeeröffnung, was den marginalen Stellenwert deutlich macht, den man dem Lehrinstitut zuschrieb. Nachdem der marokkanische Sultan die Moschee eröffnet und der algerische Ben Ghabrit ihr erster Rektor wurde, diente die Wahl des Bey von Tunis vermutlich dazu, neben Marokko und Algerien auch Tunesien in die Repräsentation des Bauprojekts miteinzubeziehen.

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Ne sommes-nous pas ici tout pr s du Panth on, d di par la Patrie reconnaißante aux grands hommes de son histoire ? Sur cette biblioth que toute proche, consacr e aux patientes recherches des travailleurs intellectuels, ne lit-on pas, c t du nom de votre proph te r v r , ceux du Persan Saadi & de l’Arabe Averro s ? Enfin, n’est-ce pas ici le plein centre de ce quartier des coles, si r put depuis des si cles, o tant de g n rations studieuses ont t form es aux leÅons des plus illustres savants ? (M. Autrand anlässlich der Orientierungszeremonie, in: Weiss 1927: 44).

Auch andere Einrichtungen im Quartier des coles wurden also als Institutionen charakterisiert, die sich (neben dem Propheten Mohammed) für Dichter und Philosophen der klassischen Zeit interessierten.17 Die Moschee von Paris sollte also nicht die aktuellen Lebensrealitäten von Musliminnen und Muslimen in den Kolonien und Protektoraten darstellen, ebenso wenig die religiösen Praktiken und Ansichten von nordafrikanischen Gastarbeitern in Frankreich, oder jene der muslimischen Soldaten, denen die Moschee gewidmet war. Sie war nicht nur geographisch weit von den Praktiken der nordafrikanischen Gastarbeiter entfernt. Auch konzeptuell sollten letztere von einem orientalistischen Narrativ hochislamischer Zivilisation verdrängt werden.

2.2.3. Die Qualität des Ortes „Große Moschee von Paris“ In den offiziellen Reden anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten wurde der Identitätsmarker Islam, den die Große Moschee von Paris vertreten sollte, vor allem über zwei Aspekte qualifiziert: erstens die fundamentale Andersartigkeit in Relation zur französischen Zivilisation und zweitens seine Weltabgewandtheit und Zentrierung auf Gebet und Meditation. Pierre Godin, Präsident des Gemeinderates, bezeichnete die Moschee als das Haus des Islam in Paris: „L’Institut islamique: c’est la Maison de l’Islam Paris“ (Weiss 1927: 68), und der erste Rektor der Moschee, Ben Ghabrit, begrüßte den Bey von Tunis anlässlich der Einweihungszeremonie des theologischen Instituts ebenfalls mit der Aussage, er sei hier in seinem Haus, dem „maison de l’Islam“ (ebd.: 76). Hiermit wird unweigerlich das islamische 17 Die koloniale Praxis in Algerien war hingegen um einiges komplexer: Seit Beginn der Kolonialzeit wurden dortzulande Arabisten eingesetzt, um die Kommunikation mit algerischen Autoritäten herzustellen. Diese Gelehrten, lediglich des schriftlichen Hocharabisch mächtig, fanden sich mit verschiedenen nordafrikanischen Dialekten konfrontiert, die sie nur selten verstanden. Damit sie ihre Funktion als Übersetzer wahrnehmen konnten, lernten sie nun und befassten sich zwecks einer akkuraten Beschreibung der kolonialen Realität detailliert mit Praktiken jenseits des einige Jahrzehnte später auf Marokko projizierten Konstrukts des Hochislam. Vor allem unter französischen Orientalisten, die in Algerien lebten, entstanden in diesem Zusammenhang bereits auch seit den 1840er Jahren ethnographische Beschreibungen (Reig 2006: 616–620).

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Konzept des da¯r al-isla¯m, des muslimischen „Hauses“ evoziert, jenes Teils der Welt, in dem nach vielen islamischen Rechtsauslegungen das islamische Recht gilt. Die Qualifizierung der Moschee von Paris als Haus des Islam suggeriert die qualitative Eigenheit des von ihr eingenommenen Raums im Vergleich zu ihrer Umgebung. Die qualitative Verschiedenheit des Ortes Große Moschee von Paris wurde durch weitere Aussagen bekräftigt und implizit mit der Andersartigkeit der Muslime in Verbindung gebracht. M. Autrand, Präfekt des ehemaligen D partements Seine, wünschte anlässlich der Zeremonie zur Grundsteinlegung, dass sich Muslime aller Länder in der Moschee von Paris zu Hause fühlen mögen („Les musulmans de tous pays (…) seront bien chez eux dans cet Institut“, Weiss 1927: 45), und schloss zur Umsetzung dieses Vorhabens die Forderung an: que les Musulmans retrouvent ici les formes qui, dans leur pays natal, ont enchant leurs yeux, les images de leur civilisation mill naire, pleine d’ clat & de myst re, ardente & grave, brillante & recueillie, & qui nous appara t distance comme un fruit pr cieux, comme un des plux beaux joyaux du monde (ebd.).

Autrand erklärte also, dass Muslime in Frankreich nicht die Formen vorfinden würden, von denen sie an ihren Herkunftsorten umgeben seien. Um ihnen einen heimatähnlichen Ort zu bieten, müsse mit der Moschee von Paris eine spezifische Umgebung geschaffen werden. Wie für Orientvorstellungen seiner Zeit typisch exotisierte er diese muslimische Lebenswelt, indem er sie als feurig, leuchtend, mysteriös sowie als schönes Juwel charakterisierte. Dass sich Musliminnen und Muslime in Paris nicht etwa an eine französische Lebensweise anpassen, sondern ihren eigenen Kern wiederentdecken und nach ihm leben sollten, zeigt die Fortsetzung in der Rede Autrands: Que la pens e et la beaut musulmanes, loin de perdre leur lustre sur un sol emprunt , d veloppent, au contact de la France, la f conde originalit de leur propre g nie! Ce sera la plus magnifique r compense de l’acte m morable que, fi rement, nous c l brons aujourd’hui Paris (Weiss 1927: 45).

Der Kontakt mit Frankreich wurde dabei einmal mehr als Chance für die Muslime gedacht, ihr „Wesen“ („leur propre g nie“) wiederzuentdecken (vgl. Kapitel 2.1.3.). Die Einweihungszeremonie der Moschee von Paris stellte einen möglichen (und erhofften) Initialakt dieses Prozesses dar. Der Islam wurde in den offiziellen Festreden schließlich über seinen Fokus auf das Gebet und seinen Rückzug aus der Welt definiert. Inmitten der unruhigen Hauptstadt Paris sollten „die Muslime“, so M. Robert-Raynaud, Generalsekretär des Institut Musulman, einen geschützten Ort finden, an dem sie „dans le silence & la paix des hommes & des choses“ (Robert-Raynaud nach Weiss 1927: 76) beten und ihre Seelen zu Gott erheben können („ lever leur me vers Dieu“, ebd.). M. Autrand sprach davon, dass Muslime abseits von den Turbulenzen und neuen Eindrücken der Hauptstadt, in dem friedlichen

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Viertel, in dem die Moschee sich erhebe, zu sich selbst zurückfinden und ihre „heiligen“ Traditionen aufrecht erhalten können: C’est donc en ce quartier paisible que s’ l vera, dans l’immensit de notre Paris, un foyer de recueillement et de repos. Loin du tourbillon des impreßions nouvelles & troublantes, le Musulman pourra, toute heure, se retrouver lui-mÞme, reßaisir les liens de ses traditions sacr es, maintenir une personnalit qui lui est ch re (ebd.: 44).

M. Gout, Präsident der CIAM, forderte schließlich, den Muslimen, die nach Frankreich kommen, zu suggerieren, qu’ils sont bien chez eux dans la capitale de la grande Patrie, & qu’ils peuvent y trouver un coin privil gi o perp tuer les traditions de leurs a eux & o s’acquitter des devoirs de pi t que leur conscience religieuse leur impose (ebd: 63).

Der geschützte Ort, den Muslime benötigen, um ihrer Natur entsprechend zu leben, wird in diesem Zitat als durch und durch unpolitisch qualifiziert: Er ist ein Ort des Gebets, der frommen Pflichten, der Fortführung von Traditionen der Ahnen. Ben Ghabrit als Vertreter der Muslime in Frankreich forderte zudem explizit apolitisches Verhalten an der Moschee von Paris: De ce lieu de recueillement, de travail ou de pri re, les agitations de la politique seront rigoureusement exclues: car notre pens e est de rapprocher & non de diviser (Ben Ghabrit in Weiss 1927: 61).

Dass die Kriegsleistungen nord- und westafrikanischer Soldaten durch eine Moschee anerkannt worden sind, hatte letztere bereits in ihrer Identität als Muslime und nicht etwa als säkulare Bürger fixiert. Die Charakterisierung dieses „muslimischen Raums“ als Ort von Gebet und Frömmigkeit festigte die Vorstellung, das Leben von Muslimen sei in erster Linie durch Religion geprägt. Gerade vor dem Hintergrund der Entstehung nationalistischer Anliegen und der Ausbreitung politisierter Formen von Islam in den Kolonialgebieten (vgl. Kapitel 2.1.2.) war eine solche Bestimmung des Identitätsmarkers Islam über das Element der A-Politik nicht unwichtig: Zwar hatten Reformdenker begonnen, eine Erneuerung muslimischer Gesellschaften auf der Basis von Koran und Sunna zu fordern (vgl. M rad 1999: 259–279). Indem man jedoch Muslime präsentierte, deren primäres Anliegen das Gebet und die Tradierung alter Bräuche ist, konnte man die Richtigkeit französischer Kolonialpolitik bestätigen: Frankreich nämlich kannte die Natur der Muslime demnach und sorgte mit der Moschee für eine Umgebung, die ihrer Lebensweise am Besten entsprach. So, wie die mögliche Ablehnung seitens muslimischer Akteure gegenüber der Kolonialmacht in den Eröffnungszeremonien der Moschee von Paris verschwiegen wurden (vgl. Kapitel 2.1.2.), so wurde auch die Möglichkeit politisch aktiver Akteure negiert, indem sie in den Darstellungen schlicht unerwähnt blieben.

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2.2.4. Die Funktion der Gebäudeteile Die Vorstellung von der qualitativen Andersartigkeit der Muslime wurde schließlich auch in der Gesamtkomposition der Großen Moschee von Paris offenbar. In der Planung und Funktionsbestimmung der einzelnen Gebäudeteile nämlich manifestierte sich die Idee, der Islam durchziehe alle Lebensbereiche des Muslims und unterscheide ihn daher in seiner Gesamtheit von der Lebenswelt der Franzosen. Ein Gesetzentwurf von 1916 forderte die Subventionierung eines Moscheebaukomplexes in Paris, der neben einem Gebetssaal auch Lehr-, Konferenz- und Ausstellungssäle sowie eventuell eine Bibliothek enthalten sollte (Bourdarie 1920: 7 f.). Die Architekten, die die endgültigen Baupläne vorlegten, ergänzten diesen Vorschlag durch Gartenanlagen, Massageräume, ein hama¯m, ein Caf , ein Restaurant, Souks, in denen marokkanisches Handwerk ˙verkauft wurde sowie um ein Krankenzimmer, in dem unter anderem Beschneidungen durchgeführt werden sollten (Davidson 2007: 85 f.; Goissaud 1924a: 52–55). Auf diese Weise transformierten sie die Idee von einem Gebetsort und kulturellem (Lehr-)Zentrum in ein ausgefeiltes Konzept der Bereitstellung muslimischer Lebenswelt. Dieser Vorstellung entsprechend bezeichnete Robert-Raynaud den Baukomplex anlässlich der Eröffnungszeremonie als eine cit musulmane – als islamische Stadt, die auf gedrängtem Raum alle für das muslimische Leben wichtigen Elemente vereine, die man in Nordafrika verstreut innerhalb einer großen Stadt vorfinde (Weiss 1927: 78). Auch der zukünftige Moscheerektor Ben Ghabrit sprach davon, dass man im Gebäudekomplex der Moschee alles vorfinde, was das Leben im Islam ausmache: Dies betreffe intellektuelle Betätigungsmöglichkeiten ebenso wie ein hama¯m und ein Restaurant: ˙ Vous constaterez, Monsieur le Ministre, que tout ce qui touche la vie de l’Islam, depuis les devoirs religieux jusqu’aux pr occupations intellectuelles & morales, rentre dans le programme & le but de notre œuvre, sans omettre les soins mat riels satisfaits par le hammam & le restaurant, de telle mani re que tout Musulman venant Paris (…), n’est jamais un tranger ici (Ben Ghabrit in Weiss 1927: 92).

Die Vorstellung, dass der Islam alle Lebensbereiche seiner Anhänger prägt, wurde an anderen Stellen durch die Auffassung präzisiert, der Mensch bestehe aus Körper, Geist und Seele, weshalb die Große Moschee von Paris mit der Bereitstellung nicht nur eines Gebetssaals, sondern auch von Speisen, Waschund Studienmöglichkeiten das Spirituelle, Intellektuelle und Körperliche des Muslims bediene: Or, Meßieurs, quel plus loquent t moignage la France pouvait-elle donner aux peuples musulmans du respect qu’elle a de leur me, qu’en levant au cœur de Paris cette Maison qui sera comme un symbole de l’Islam tout entier, puisqu’elle com-

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portera, avec un hammam & une h tellerie, une biblioth que & une mosqu e, c’est- dire de quoi satisfaire aux n c ssit s du corps, aux aspirations de l’esprit & aux devoirs de la religion? (C sar Caire anlässlich der Grundsteinlegung in ebd.: 41). Ils [les musulmans] auront, c t de la Mosqu e, leur hammam, leur h tellerie & leur dispensaire pour les indigents; mais l’oeuvre serait incompl te si elle n’aßurait les joies de l’intelligence & le concours de l’art & de la science. Ce sera, avec l’organisation des conf rences, le but de la biblioth que o nous r unirons les livres les plus pr cieux de l’islam (Ben Ghabrit in ebd.: 61).

Dem aber liegt die Vorstellung zugrunde, dass Studium und Wissenschaft, aber auch Alltagshandlungen wie Waschen oder Essen beim Muslim anders funktionieren als in seiner nichtmuslimischen Umgebung: Anderenfalls hätten ihm diese Bereiche nicht an einem abgesonderten Ort wie der Moschee von Paris zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Muslim sollte an der Moschee von Paris ein hama¯m zum Waschen nach seinen Gewohnheiten vorfinden, er sollte nicht˙die französischen, sondern ihm bekannte Speisen essen können und im Krankheitsfalle seinen Bedürfnissen entsprechend dort behandelt werden. Naomi Davidson hat darauf hingewiesen, dass auch andere Pariser Einrichtungen zu dieser Zeit von der Vorstellung strukturiert waren, Muslime seien in allen Lebensbereichen von den Vorgaben ihrer Religion geprägt und hätten folglich auch andere körperliche wie spirituelle Bedürfnisse als die säkular gedachten Franzosen (Davidson 2007: 97). Clifford Rosenberg hat ausführlich die Ambiguität dargelegt, in der nordafrikanische Immigranten in Frankreich einerseits ähnlich behandelt wurden wie europäische Immigrantengruppen, andererseits aber durch die französische Administration entlang von ethnisch-rassischen sowie religiös-kulturellen Kategorien als exotische Subjekte konzeptualisiert worden sind, die sich vom Europäer unterscheiden (vgl. Rosenberg 2006: 111–198). So hatte man den Bau des speziell zur Behandlung von Muslimen gedachten H pital Franco-Musulman im östlich von Paris gelegenen Bobigny damit begründet, dass Muslime dort in einem geschützten Umfeld nach den Praktiken und Vorschriften ihrer Religion behandelt werden können; aber auch damit, dass französische Patienten in den übrigen Krankenhäusern so vor den Krankheiten von Muslimen geschützt würden. Zudem sollte auch gesichert werden, dass die den Franzosen zustehenden Einrichtungen nicht von Immigranten „überrannt“ und ihnen ihr Recht auf Behandlungsplätze genommen würde (ebd.; vgl. Rosenberg 2006: 168–198).18 18 Im H pital Franco-Musulman gab es einen muslimischen Gebetsraum und einen Ort, an dem man Fleisch nach islamischem Ritus schächten konnte. Die Hälfte des Personals sprach arabisch, Speise- und Fastenvorschriften wurden eingehalten, ein Imam der Moschee von Paris kam die Kranken besuchen (d’Adler 2005: 76 f.). D’Adler und Rosenberg stellen jedoch beide fest, dass viele Algerier selbst das Krankenhausprojekt als zu segregationistisch ablehnten oder in ihm eine Politik der Überwachung sahen (ebd.: 76 f.; Rosenberg 2006: 191).

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Die Moschee von Paris schreibt sich also in ein kolonialgeschichtlich motiviertes Konglomerat aus diskursiven Positionen und Praktiken ein, die dazu dienten, Muslime und Franzosen konzeptuell voneinander zu trennen, als antagonistische Gegenpart zu konstruieren, und letztlich den Muslim als unintegrierbar zu denken. Im Folgenden wird der Plan skizziert, den die Architekten des Service des Beaux Arts in den 1920er Jahren zum Bau der Moschee von Paris vorlegten. Nicht alle Details, jedoch alle der im Folgenden dargestellten Grundzüge wurden tatsächlich realisiert und bilden bis heute das Gründgeerüst der Moschee von Paris. Auf diese Weise soll dem Leser eine genauere Vorstellung vom Konzept der Moschee als cit musulmane gegeben werden. Das 7.500 m2 umfassende Grundstück war von hohen weißen Mauern eingefasst, sodass die Innengestaltung von der Straße aus nicht sichtbar war. Ungefähr die Hälfte der Baufläche sollte aus Gärten bestehen, von denen große Teile aus finanziellen Gründen nicht oder erst sehr spät bepflanzt wurden. Gegenüber dem Place du Puits de l’Ermite befindet sich der Haupteingang der Moschee. Rechts davon wurde das 26 Meter hohe und 6 Meter breite Minarett errichtet. Durch den Haupteingang gelangte man in einen rechteckig angelegten Garten, um den herum Gästehäuser für muslimische Delegationen und besondere Besucher, ein auch als Konferenzsaal dienender Salle d’honneur, Appartements für den Mufti und den Imam, sowie eine Bibliothek angeordnet waren. Nördlich des Gartens begann der Bereich, den die Zeitschrift La construction moderne als „heiligen Bereich“ klassifizierte (Goissaud 1924a: 53). Durch einen großen Torbogen, zu dessen Rechten ein Raum für die vor dem Gebet notwendigen rituellen Waschungen geplant war, gelangte man zunächst auf den 350 m2 großen Innenhof, den Grand Patio, der von breiten Arkadengängen gesäumt wurde. In die Mitte des Patio wurde eine aus Marmor gefertigte Brunnenschale gesetzt. Ein großes Tor am nördlichen Rand gewährte schließlich Zutritt zum Gebetssaal, dem auf den Bauskizzen als die eigentliche Moschee bezeichneten Teil. Der von 56 Marmorsäulen getragene Raum sollte sich auf einer Fläche von 500 m2 erstrecken und bis zu 600 Personen fassen (Davidson 2007: 85). Fügten sich die Außenmauern der Großen Moschee von Paris in ihrer Ausrichtung den Straßenzügen der Umgebung, so ist der Gebetssaal – nach außen nicht erkenntlich – um seiner Ausrichtung nach Mekka willen um ca. 45 Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht worden (Bayoumi 2000: 275, 284). Hinter dem Gebetssaal und ausschließlich über Eingänge von der Straße aus zugänglich, befindet sich der auf die körperlichen Bedürfnisse ausgerichtete Teil: Ein Hamam, ein Caf und ein Restaurant mit nordafrikanischen Spezialitäten. Deutlich sind also der Spiritualität, der Intellektualität und den körperli-

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chen Bedürfnissen entsprechende Bereiche auszumachen. Dass diese jedoch lediglich gebaut wurden, um Muslimen in Paris einen Rückzugsort von ihnen fremder Umgebung zu bieten, muss ergänzt werden: Die folgenden Ausführungen zeigen, dass mit der Konzeption und Ausgestaltung der Moschee vor allem auch nichtmuslimischen Franzosen eine muslimische Lebenswelt sichtund erlebbar gemacht werden sollte. 2.2.5. Die Inszenierung für die Öffentlichkeit Ren Weiss hat seiner 1926 publizierten Sammlung mit Reden anlässlich der Moscheebau- und Eröffnungszeremonien einen Bericht vorangestellt, der den Empfang des marokkanischen Sultans im Pariser Rathaus am 14. Juli 1924 dokumentiert. Der Bericht enthält eine detaillierte Beschreibung der Dekorationen, die man für den Anlass hergerichtet hatte. Die Rede war von Orientteppichen, exotischen und bunten Pflanzen, vom Licht, das den Salon erhellte; zudem von den nordafrikanischen Delegationen, die in Gewändern aus roter Seide und goldbesticktem Saum erschienen (Weiss 1927: 4, 8) sowie vom malerischen Schimmer, den die marokkanischen Gäste mit den Farben ihrer Kleider auf den großen Empfangssaal warfen: D l gu s marocains, alg riens & tunisiens, les uns, tout chamarr s de broderies ou vÞtus de fine laine blanche immacul e; les autres en djellabahs brunes – & toutes ces couleurs jettent dans l’immense salle des notes clatantes & pittoresques (ebd.: 17).

Diese in den 1920er und 1930er Jahren typische Zentrierung europäischer Orientbeschreibungen auf Sinnlichkeit und Ästhetik trat auch in den Beschreibungen der Moschee von Paris zutage, die die verschiedenen Politiker im Zuge ihrer offiziellen Festreden machten. So bezeichnete M. Gout, Präsident des CIAM, die Moschee als reinen Juwel („pur joyau“, ebd.: 66); der marokkanische Sultan sprach einmal mehr vom mysteriösen Licht, das durch die Glaskuppeln in den Saal strahle („baign e d’un jour myst rieux qui descend des vitraux encastr s dans la coupole octogonale“, ebd.: 73) und Paul Fleurot erklärte, das Gebäude rufe die mysteriöse Poesie des Islam hervor („toute la po sie myst rieuse de l’Islam“ (Paul Fleurot in ebd.: 67). Ferner dankte er den Architekten, die Verführung des Orients in der Moschee von Paris eingefangen zu haben: Honneur aux artistes de haute inspiration qui l’ ont fix e [l’id e, R.S.] dans une forme mat rielle voquant, en plein Paris, les s ductions & les mirages de l’Orient! (ebd.: 68).

Anlässlich der Einweihungszeremonie der Moschee beschrieb Ren Weiss ihren Innenhof als einen Ort, an dem sich die ganze Poesie des Orients ausbreite und der einem Ausschnitt aus den Erzählungen von Tausendundeine Nacht ähnele. Aufgrund der sehr aufschlussreichen und typisch orientalisie-

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renden Stereotype seien diese Darstellungen im Folgenden in voller Länge wieder gegeben: Pr d d s de Si Kaddour ben Ghabrit, Sa Majest Moulay Youssef & Gaston Doumergue p n trent par la grande porte de l’Institut musulman, entrent dans la premi re cour o selmble pandue toute la po sie de l’Orient, v ritable joyau avec ses colonnes finement sculpt es, ses all es de mosa que vert d’eau entre lesquelles sont plant s des ifs, des c dres, des fleurs, ses fontaines aux arabesques de fa ence bleue & jaune, ses murs de pl tre, ourl s, festonn s & ses bois en dentelles. Sa Majest le Sultan & le Pr sident de la R publique franÅaise franchißent la porte d’honneur, toute de chÞne clair, clou e de bronze, o des b nistes du Maghreb ont incrust des entrelacs en bois d’eucalyptus & en corail. Ils arrivent dans le patio des ablutions, parfum de l’odeur qu’exhalent les bois de c dre. L s’est group e la th orie des ca ds, des pachas & des vizirs. L , entre les colonnes jumel es hispano-mauresques du p ristyle, dans un cadre de tuiles meraudes, au milieu de cette cour qui a le ciel bleu pour plafond, se tiennent un grand nombre d’invit s. En attendant la c r monie officielle, ceux-ci ne cessent d’admirer, parmi les geraniums, les hortensias & les plantes marocaines, les bassins se d coupant en carr s, l’immense vasque de marbre blanc o chante une eau d’un pur cristal, les sculptures des portes de chÞne & le f erique soubassement de mosa que marron & jade, le long duquel s’allongent deux frises parall les: l’une, faite de caract res arabes taill s dans des plaques de fa ence bistr e & qui disent en 360 versets l’histoire de la Mosqu e; l’autre, finement l g re, arachn enne, lumineuse, o l’art d licat des artistes orientaux a cisel roasaces, arabesques & fleurs. Leurs regards se portent un moment sur les cinq Musulmanes voil es qui font une courte apparition sur la blanche terrasse. Une vision orientale s’ voque: le long des galeries du patio, chatoyantes dans la polychromie des burnous & des djellabahs, sur la mosa que se sont tendus des Marocains, balanÅant doucement leurs ventails de paille treß e, & ce vivant d cor semble jaillir tout d’une pi ce d’un conte des Mille & une nuits (Weiss 1927: 59 f.).

Das Zitat ist leitmotivartig von der Betonung sinnlich wahrnehmbarer Eindrücke durchzogen wie insbesondere bunte Farben, das Spiel von Licht und Schatten, das Geräusch von Wasser, exotische und duftende Pflanzen, die Kunst und Poesie der Wanddekorationen, zudem der Luxus, der sich in Marmor, Smaragden und Juwelen manifestierte. Diese Motive stellen typisch orientalisierende Darstellungen dar, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Exotisierung und Alterisierung muslimischer und insbesondere marokkanischer Lebenswelt genutzt wurden. Auch die Darstellung von Menschen in obigem Zitat verdient besondere Beachtung: Die Musliminnen sind verschleiert, sie erscheinen kurz auf der Bildfläche und verschwinden dann wieder. Die vom Autor gewählten Formulierungen, insbesondere die Elemente des Schleiers und die zeitliche Kürze des Auftauchens, untermalen das nicht Greifbare und das fremd und geheimnisvoll Bleibende am Orient. Marokkaner schließlich werden als lebendiges Dekor der Geschichten aus 1001 Nacht beschrieben. Ihre Platzierung in eine Märchenwelt, die zeitlos und unwirklich

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ist, markiert den Höhepunkt der Abgrenzung zur realen Lebenswelt der Franzosen. Sie verbietet die Idee von Marokkanern als Bürgern, die den Franzosen gleichgestellt sind, als politische Akteure auftreten können und Einfluss auf ihre Umgebung ausüben. Märchenfiguren aus Tausendundeiner Nacht tun dies nicht: sie stellen keine realen Forderungen. Diese Ansicht passt mit der Nutzungsintention der Moschee von Paris zusammen, die Naomi Davidson für die Zeit kurz nach der Einweihung beschrieben hat. Die Moschee von Paris war demnach von der französischen Presse zunehmend als Touristenattraktion bewertet und auch von den Betreibern des Projekts als ein Museum bezeichnet worden, in dem das Pariser Publikum den Orient interaktiv und durch körperliche Erfahrung, das heißt durch die Wahrnehmung von Farben, Gerüchen, Geräuschen, Kunst und die Beobachtung von Ritualen kennen lernen konnte (Davidson 2007: 87 f.). Darüber hinaus zieht Davidson einen, sich nun nahezu aufdrängenden Vergleich mit den sogenannten Expositions Coloniales, die nach dem Ersten Weltkrieg innerhalb des Hexagons ebenfalls vermehrt und mit dem Ziel ausgerichtet wurden, ein französisches Publikum die fremde Lebenswelt der Kolonisierten erleben zu lassen (ebd.: 86–89). Schon innerhalb der Weltausstellungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen europäischen und nordamerikanischen Städten und so auch in Frankreich organisiert worden sind, wurden Pavillons zur Demonstration fremder Kulturen und Lebenswelten eingerichtet. Obwohl dies nicht unumstritten war, wurden hier teils auch Menschen aus den kolonialisierten Gebieten mit „ausgestellt“ – mit dem Ziel, sie in ihrer natürlichen Umgebung zu zeigen (Celik 1992: 1, 18 f.). Auf diese Weise wurde der europäischen Bevölkerung die koloniale Realität ihrer Länder sichtbar vor Augen geführt und zugleich die Idee der Rassenungleichheit so inszeniert, dass die Kolonialisierung als ein Zivilisieren rückständiger Völker durch den überlegenen Europäer und folglich als richtig und legitim erschien: Such spectacles also served the policits of colonialism. The display of both subject peoples and products from foreign possessions made colonialism concrete to those at home and reaffirmed the colonizing society’s „racial superiority“ (ebd.: 18).

In ebendiese Politik sind auch die Expositions Coloniales einzuordnen: Seit 1906, vermehrt jedoch seit Ende des Ersten Weltkrieges, organisierten verschiedene französische Städte explizit Kolonialausstellungen, die in Miniaturansicht ebenfalls Dörfer oder andere Lebenskontexte Westafrikas, aus dem Maghreb oder aus Indochina darstellten (Deroo 2005: 102). Die wichtigsten fanden laut Eric Deroo 1922 in Marseille, 1923 in Bordeaux, 1924 in Straßburg und 1931 in Paris statt und verankerten durch die Inszenierung von Exotik im Gedächtnis der Besucher Stereotypen über die Kolonialisierten und insbesondere über ihre Andersartigkeit (ebd.). Davidson erläutert, dass die Architekten der Moschee von Paris auch an der Planung und Gestaltung von Kolonialausstellungen beteiligt gewesen waren

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und dass ferner gar Materialien des Kolonialpavillons in Marseille nach Paris transportiert und in die Moschee von Paris eingebaut worden waren (Davidson 2007: 87 f.). Die also auch personalen und gar materiellen Verknüpfungen festigen die These, dass der Zweck der Moschee von Paris und der Exposition Coloniale ein ähnlicher war: koloniale Propaganda. Besonderes Gewicht, so Davidson, legten die Vertreter des französischen Kolonialstaats beim Bau der Moschee auf die Vermarktung eines „authentischen“ Orients. Authentizität sollte geschaffen werden, indem ein Großteil der Materialien in Marokko produziert und nach Paris geliefert und zudem eigens marokkanische Arbeiter nach Frankreich geholt wurden, die die Materialien verarbeiten und die Bauarbeiten an der Moschee durchführen sollten (ebd.: 89). Im Zusammenhang mit den Bauarbeiten an der Moschee ist einmal mehr die Konstruktion eines Identitätsmarkers nordafrikanischer Arbeiter zu beobachten, der, ähnlich wie die Kriegsdienstleister einige Jahre zuvor als unpolitisch und fundamental anders definiert wurde. In der Ausgabe der Zeitschrift La Construction moderne vom 09. November 1924 wurde auf die indigenen Künstler („artistes indig nes“) hingewiesen, die eine komplizierte Arbeit mit einer von Europäern unnachahmbaren Gleichmäßigkeit, ohne Fehler und mit erstaunlicher Geduld erledigen würden: On doit avouer que les meilleurs artistes europ ens ne pourraient arriver cette r gularit d’ex cution, ce fini inimitable et sans retouche. Tout est fait au ciseau avec la mÞme patience durant plusieurs mois. (1924b: 65).

Auf derselben Seite war ein Bild abgedruckt, das zwei nordafrikanische Arbeiter zeigte, die, auf kleinen Schemeln sitzend und ein kleines Werkzeug in den Händen dabei waren, die Details eines Bogens am Moscheengebäude zu bearbeiten. Die Darstellung des Nordafrikaners, der die Anweisungen der Franzosen korrekt und geduldig ausführe, stand in scharfem Kontrast zu den politischen Bewegungen der 1920er Jahre, in denen sich zahlreiche nordafrikanische Arbeiter zusammenschlossen, um gegen Diskriminierungen zu protestieren und um die gleichen Rechte einzufordern, die ihren französischen Kollegen bereits gewährt wurden (vgl. Kapitel 2.1.4.). Diese Gruppen von Menschen, die gesellschaftliche Beteiligung und das Bürgersein in Frankreich einforderten und bereits verwirklichten, kontrastierte mit der bildlichen und textlichen Repräsentation eines geschickten und geduldigen Arbeiters an der Moschee on Paris, der kolonisiert wurde, weil er kolonialisierbar war – weil er nicht als politischer Akteur gedacht werden konnte. Die in Paris demonstrierenden nordafrikanischen Gastarbeiter waren im öffentlichen Raum ebenso sichtbar wie die an der Moschee von Paris tätigen Handwerker. Sie machten einmal mehr eine andere Konzeptualisierung des Nordafrikaners sichtbar als die, die an der Moschee von Paris instrumentalisiert wurde.

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2.2.6. Fazit: Kontrollierbare Andersartigkeit an der Großen Moschee von Paris In den vorausgehenden Kapiteln wurde gezeigt, dass ein kolonialpolitisch instrumentalisierbarer Identitätsmarker „Islam“ nicht nur in den in Teil 2.1. dargelegten Diskussionen um den Moscheebau oder in den Begründungen verhandelt wurde, die während der offiziellen Festreden für ebendiesen Moscheebau gegeben worden sind. Auch die Wahl der architektonischen Vorlagen, die Auswahl und legitimatorische Argumention für den Bauort sowie die Gesamtkomposition des Gebäudekomplexes manifestierten artikulatorische Praktiken, die auf ebendiesen Marker Islam rekurrierten. Der Islam, der an der Großen Moschee von Paris sichtbar gemacht wurde, war unpolitisch, auf Gebet und den Erhalt von Traditionen fokussiert, darüber hinaus aber auch prägend für „Geist, Seele und Körper“, das heißt für den Menschen in seiner Gesamtheit. Daran war die Vorstellung geknüpft, Islam sei mehr als nur eine Religion, die auf spirituelle Bedürfnisse fokussiere. Vielmehr wurde Islam als eine zivilisatorische Identität konstruiert, deren Werte unveränderbar waren (den Höhepunkt ihrer Entfaltung aber weit in der Vergangenheit erreicht hatten), und die sich zudem in einem Regelwerk und einer Ästhetik niederschlug, die sich von der französischen Lebenswelt fundamental unterschieden. Dieser Ästhetik bedurften Muslime, wollten sie sich heimisch fühlen. Naomi Davidson hat, hierzu passend, den besonderen Stellenwert aufgezeigt, der innerhalb der Gesamtanlage der Moschee dem Gebetsbereich zugesprochen wurde. Französische und muslimische Verantwortliche hatten gemeinsam entschieden, dass nicht in europäischer Kleidung gebetet werden solle, sondern Muslime auf der Schwelle zu diesem Bereich eine tenue de pri re anlegen müssen (für Männer vermutlich ein langes weißes Gewand); diese war für den Aufenthalt in den anderen Bereichen nicht vorgeschrieben (Davidson 2007: 86). Eine solche Praxis existierte in Nordafrika nicht. Die Eignung von Kleidung für das Gebet entschied sich vielmehr in den Kategorien ritueller Rein- oder Unreinheit, eine Qualifizierung, die beispielsweise durch den Kontakt mit als unrein klassifizierten Substanzen verloren und durch Reinigung von diesen Substanzen wieder erworben werden konnte, nicht jedoch durch Formen oder Farben des Kleidungsstückes. Während alle anderen Bereiche für Franzosen und Muslime gleichermaßen zugänglich waren, so war der Gebetsbereich zudem strikt für Muslime reserviert. Weil die Türen zum Gebetssaal jedoch stets offen standen, sodass der nichtmuslimische Betrachter vor ihm stehen, von außen hinein sehen und die Abläufe im Inneren beobachten konnte, war das Gebet dennoch den Blicken von Besuchern ausgeliefert und somit zu einem Ausstellungsstück innerhalb des Konzepts „Orient zum Erleben“ gemacht worden (ebd.: 86). Davidson leitet aus dieser Anlage des Gebetsraumes eine weitreichende These ab: Die Vorstellung von der „islamischen Welt“ sei konzeptionell an französische Kategorien von religiös und säkular angepasst worden: Indem sich ein privater, religiöser Bereich quali-

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tativ von den anderen Gebäudeteilen unterschied und der Bildungsbereich gar als öffentlicher Treffpunkt für Muslime und Nichtmuslime gedacht worden sei, habe man das Konzept „Islam“ bereits ansatzweise „laizisiert“: das heißt, man habe den eigentlich religiösen Bereich als privat markiert und alle anderen, säkularen Aktivitäten zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht (vgl. ebd.: 74 f.). Dieser sehr großen These Davidsons wird an dieser Stelle nicht gefolgt, bedürfte sie doch aus Sicht der Verfasserin einer viel detaillierteren Untersuchung und weiterer Hinweise auf ihre Richtigkeit. Interessant ist aber in der Tat die besondere Betonung des Gebets; letztere dient womöglich vor allem dazu, das Zentrum des islamischen Lebens in einem durch und durch als unpolitisch konzipierten Ort zu verankern. Ein letzter Punkt scheint in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Der Islam wurde in der Konstruktion der Moschee von Paris und den Aussagen anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten zwar als ein ganzheitliches und alle Lebensbereiche durchziehendes, nicht aber als ein alle Gesellschaftsbereiche durchziehendes Konzept gedacht. Die Ganzheitlichkeit bezog sich auf das Individuum, sein Gebet, seine Bildung und seine alltäglichen Praktiken. Bereiche wie das islamische Familien-, Erb-, Finanz- und Handelsrecht oder sogar ein politisches System inklusive islamischem Zivil- und Strafrecht wurden im Zusammenhang mit der Moschee von Paris an keiner Stelle thematisiert, obwohl sie in islamischen Kontexten durchaus Anwendung fanden und obwohl sie teilweise gar von der französischen Verwaltung in Algerien aufrechterhalten worden sind: Dort nämlich fanden, die Laizitätsgesetze von 1905 keine Anwendung und die muslimische Bevölkerung wurde im Bereich des zivilen und des Strafrechts gemäß dem (nach französischen Konzeptionen von Recht) strukturierten „islamischen Gesetz“ behandelt (vgl. Teil 1, Fußnote 24; Teil 2, Fußnote 13). Dass diese Rechtsbereiche im Zusammenhang mit der Thematisierung eines „ganzheitlichen“ Islam an der GMP nicht angesprochen wurden, bedeutet eine, wenn nicht gerade Laizisierung, dann doch sehr spezifische Konzeptualisierung von Islam, die innerhalb Europas lebbar sei. Eine Konzeptualisierung, die vielleicht eine erste Antwort auf die Frage gibt, die Bayoumi als relevant für die französische Regierung dieser Zeit formuliert hat: „What does the ,backwardness‘ of Islam in Algeria mean, if it exists in France?“ (Bayoumi 2000: 271). Der Islam der Moschee von Paris unterschied sich fundamental von der modern-säkularen Lebenswelt Frankreichs. Seine Verschiedenartigkeit wurde jedoch als eine in Frankreich gut verwalt- und demonstrierbare Andersartigkeit konzipiert: Als eine Andersartigkeit, die im Prinzip unintegrierbare, dafür aber kolonisierbare, weil durch und durch unpolitische Akteure hervorbrachte. Märchenfiguren aus Tausendundeiner Nacht, die den Wunsch der französischen Bevölkerung nach Exotik und einer orientalischen Lebenswelt bedienen sollten, die leicht begeh- und besitzbar war.

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Die Große Moschee von Paris ist seit ihrer Eröffnung im Jahre 1926 ein höchst politischer Ort geblieben, an dem sich Machtansprüche und offizielle Islamdiskurse französischer und insbesondere auch algerischer Staatsangehöriger manifestiert haben. Die Geschichte der Institution ist in der Sekundärliteratur bereits mehrfach nachgezeichnet und unter unterschiedlichen Aspekten erläutert worden. Alle Darstellungen sind jedoch in französischer Sprache publiziert worden, mit Ausnahme weniger englischsprachiger Veröffentlichungen. Weil die aktuellen Machtverhältnisse an der Moschee von Paris auch im Lichte der historischen Entwicklungen in den Vorjahrzehnten verstanden werden müssen, im deutschsprachigen Wissenschaftskontext jedoch meist unbekannt sind, soll im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden – ohne Anspruch auf einen eigenen Beitrag, stellt die Geschichte der Moschee an sich doch keinen für diese Studie notwendigen Analyseschwerpunkt dar.

2.3. Geschichte 2.3.1. Bis zum Zweiten Weltkrieg: Unter französischer Kontrolle In den ersten 15 Jahren nach ihrer Eröffnung war die Moschee Anlaufstelle für eine in Paris residierende oder durchreisende muslimische Elite (Boyer 1992: 32) und zugleich ein Ort, den viele Pariser Besucher frequentierten (Davidson 2007: 130). In Kooperation mit Rektor Si Kaddour Ben Ghabrit legte die französische Verwaltung in Frankreich sowie in den Kolonien das kulturelle und religiöse Programm der Moschee fest (ebd.: 131), das durch großzügige Spenden und Subventionen von Seiten des französischen Staates finanziert wurde (Boyer 1992: 33). Davidson erklärt, dass die französische Verwaltung sich einerseits dafür einsetzte, dass muslimische Arbeiter und Soldaten beispielsweise anlässlich muslimischer Feiertage in großer Zahl an die Moschee kamen. Auf diese Weise sollte orthodoxe muslimische Praxis sichtbar gezeigt und die Moschee der französischen Bevölkerung als ein belebtes Zentrum erscheinen, das beweist, wie Frankreich für seine Muslime sorge (Davidson 2007: 131–133). Zugleich aber wollten verschiedene Regierungsvertreter wie Lieutenant Colonel Justinard19 aus Angst vor anti-französischen Kundgebungen und Protesten eben gerade nicht, dass sich regelmäßig viele muslimische Arbeiter an die GMP begaben und die GMP zu einem Versammlungsort für in Paris lebende Nordafrikaner wurde, so Davidson weiter:

19 Lieutenant Colonel Justinard war Chef de la section sociologique de la direction g n rale des affaires indig nes und zuständig für Marokko (vgl. ebd.: 124).

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His (Justinards) fear was that the Mosqu e could, in spite of its luxuriousness and inaccessibility, become a living religious center and a site of hostile propaganda (ebd.: 131).

Polizei und Vertreter des Außenministeriums beobachteten die Aktivitäten an der GMP genau (ebd.). Seit den 1940er Jahren war dabei auch eine Zusammenarbeit der Moscheeleitung mit dem Service des affaires indig nes nordafricaines (SAINA) nachweisbar (ebd.: 160; Sellam 2006: 189). Der SAINA war 1924 von der Stadt Paris gegründet, an die Polizeipräfekturen gekoppelt und schließlich einige Jahre später frankreichweit etabliert worden (Sellam 2006: 188).20 Ziel war es, Nordafrikanern soziale und gesundheitliche Dienste anzubieten, vor allem aber, sie zu überwachen. Caf s, Hotels, Restaurants und weitere Treffpunkte, an denen die Gastarbeiter sich aufhielten, wurden so vom SAINA kontrolliert, um antikoloniales Gedankengut aufzuspüren (Rosenberg 2006: 170–178; Sellam 2006: 188). Moscheerektor Ben Ghabrit nutzte das staatliche Netzwerk des SAINA zu Beginn der 1940er Jahre als eine Plattform, um Muslime in Frankreich über Veranstaltungen an der GMP zu informieren (Davidson 2007: 160); muslimische Festlichkeiten an der Moschee wurden in dieser Zeit zudem in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des SAINA sowie der Polizeipräfekturen geplant und finanziert (ebd.: 155). Die Immigration aus Nordafrika nach Paris stieg im Laufe des Zweiten Weltkrieges erheblich an, dabei zogen immer mehr Gastarbeiter aus der Hauptstadt in die Provinzen des Landes. Diese Entwicklung warf die Frage nach der Kontrolle und Bereitstellung von Infrastrukturen für Muslime und Musliminnen in weiteren Regionen Frankreichs auf (ebd.: 139). Das französische Innenministerium und die algerische Kolonialregierung planten und finanzierten schließlich die Errichtung kleinerer regionaler Moscheen oder Gebetsräume unter der Kontrolle der GMP (ebd.: 142 f.). Die in diesen Moscheen tätigen Imame kamen teils aus Algerien, größtenteils jedoch aus der bereits in Frankreich ansässigen muslimischen Bevölkerung. Sie wurden von der Moscheeführung ausgewählt und von französischen Behörden in Paris und Algiers auf ihre Ausbildung sowie auf ihre Loyalitäten hin überprüft (ebd.: 151). Im Gegensatz zur GMP wurden die lokalen Gebetsstätten an Stadtränder und in Viertel mit hoher muslimischer Bevölkerungsdichte gebaut und waren nach außen hin oftmals nicht erkennbar (ebd. :181).21 Der Einfluss der GMP sowie der staatlichen Behörden auf islamische Praktiken in Frankreich sollte durch die genannten Maßnahmen erhöht werden. Ob und inwiefern dadurch die gewünschte Kontrolle und Autorität ausgeübt werden konnte und ob es einen Einfluss auf Praxen und Gewohnheiten von Muslimen gab, bleibt dabei fraglich. Bencharif/Micoud weisen in ihrer Studie jedenfalls darauf hin, dass in 20 Für eine ausführliche Darstellung der Überwachung nordafrikanischer Immigranten in Paris bis zum 2. Weltkrieg vgl. Rosenberg 2006: 109–198. 21 Es gab Ausnahmen wie beispielsweise die Moscheen in Nice und Vichy, die stärker am Modell der Moschee von Paris orientiert waren (Davidson 2007: 181).

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Abstimmung mit den Behörden und der GMP errichtete Moscheegemeinden von Seiten der lokalen muslimischen Bevölkerung nicht einfach akzeptiert, sondern oftmals auch boykottiert und durch eigene Quartiersmoscheen ersetzt wurden (Belbhari/Bencharif/Micoud 2004: 105). Ein letzter Aspekt, der auch aufgrund seiner regelmäßigen Thematisierung in der Öffentlichkeit erwähnt werden muss, ist die Haltung der Moscheeleitung zum Antisemitismus des Vichy-R gimes und den Menschenrechtsverletzungen unter Mar chal P tain (Blanchard/Bo tsch 1994: 3 f., 8, 10). Insbesondere seit den 1990er Jahren wird ein Narrativ genährt, dem zufolge das Moscheepersonal zahlreichen Juden das Leben gerettet habe, etwa durch gefälschte Ausweispapiere oder die Bereitstellung von Verstecken innerhalb des Moscheegebäudes (Renard 2011). Dieses Narrativ pflegen beispielsweise der 2011 an der Moschee von Paris gedrehte Spielfilm über das Leben von Si Kaddour Ben Ghabrit (Les hommes libres) sowie insbesondere das 2009 publizierte, in englischer und französischer Sprache erhältliche Kinderbuch The Grand Mosque of Paris. A Story of How Muslims Rescued Jews During the Holocaust. Beide berichten von der Großzügigkeit und den rettenden Aktionen der Moschee von Paris gegenüber Juden und Jüdinnen während des Vichy-R gimes (Ferroukhi 2011; Ruelle/DeSaix 2011). Berkani (1990, Dokumentarfilm) und A ssaoui (2012) und einige andere (vgl. Katz 2012: 258) haben versucht, historische Belege für die Rettung von Juden und Jüdinnen durch die Moscheeleitung zu liefern. Michel Renard (2012) weist in seinem Blog Islam en France. 1830–1962 jedoch nach, dass weder Berkani noch A ssaoui verwertbare und direkte Zeugenaussagen oder andere stichhaltige Belege für diese Argumentation vorbringen können (Renard 2012). Die Behauptung A ssaouis, die Moscheeleitung habe der bekannten Politikerin Simone Veil in den 1940er Jahren in den Räumen der Moschee Asyl gewährleistet, konnte nicht zuletzt durch eine Stellungnahme Veils selber sogar widerlegt werden (ebd.). Die ausführlichste Besprechung der historischen Faktenlage zu diesem Thema hat Ethan Katz unternommen. Katz kommt in seinem Aufsatz Did the Paris Mosque save Jews? A Mystery and its Memory (2012) zu dem Schluss, dass die Erzählung von Hunderten oder gar weit über Tausend geretteten Juden durch ein nuancierteres Bild ersetzt werden muss. Moscheerektor Ben Ghabrit erscheint nach ausführlicher Diskussion als eine Figur, die zum Schutz seiner eigenen Institution und der von ihm vertretenen muslimischen Gemeinschaft zwischen vorsichtiger Kollaboration mit Deutschland einerseits, jedoch auch symbolischem Widerstand in Form von konkreten Schutzhandlungen für einige Juden und Jüdinnen taktiert haben könnte (vgl. Katz 2012: 276–283).

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2.3.2. Bis in die 1980er Jahre: Zunehmender algerischer Einfluss Am 01. November 1952 rief die algerische Front de lib ration nationale (FLN)22 die Algerier zu einem bewaffneten Aufstand gegen die französische Besatzung auf und provozierte damit einen achtjährigen Krieg, der am 18. März 1962 mit der Unterzeichnung der Verträge von Evian zur Unabhängigkeit Algeriens führte (Cua 2011: 11, 16). Während des Krieges hatte die FLN über ihren französischen Zweig F d ration franÅaise du front de lib ration nationale (FFFLN) ein engmaschiges Netz zur Kontrolle von Bewegungsrouten, Aktivitäten und Kontaktnetzen algerischer Immigranten in Frankreich aufgebaut (Davidson 2007: 250). Zudem errichtete sie ein weitläufiges Angebot sozialer Dienstleistungen,23 die Algeriern in Frankreich eine Alternative zu den französischen Angeboten bieten und sie von der französischen Bevölkerung distanzieren sollten (ebd.: 251, 259). Algerische Immigranten waren folglich in der schwierigen Lage, den Drohungen und dem Einsatz von Gewalt durch die FFFLN (ebd.: 221, 251) und zugleich den Kontrollen der französischen Staatsgewalt ausgesetzt zu sein, die antifranzösische Aktivitäten mit Gefängnis oder Ausweisung bestrafte (ebd.: 221). Naomi Davidson zeigt, dass zwischen FLN-Führern und französischen Politikern deutliche strategische und argumentative Parallelen bestanden: Trotz konträrer politischer Ziele verstanden beide Seiten die algerischen Einwanderer als Fremde in der französischen Gesellschaft und boten ihnen spezifisch auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Sozialleistungen an (ebd.: 249). Zudem definierten die FLN ebenso wie der französische Staat die algerischen Emigranten über ihre Zugehörigkeit zum Islam. Das Muslimischsein wurde zu demjenigen Aspekt ihrer Identität, auf die ihre Verwaltung in Paris besonders fokussiert werden sollte (ebd.: 221 f., 249).24 Während der französische Staat weiterhin die Große Moschee von Paris nutzte, um Konzeptionen eines für ihn gangbaren Islam zu propagieren (ebd.: 223), definierte die FLN ohne Bezug zu einem 22 Die 1954 in Kairo gegründete Front de lib ration nationale hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Unabhängigkeit Algeriens zu erreichen und konnte die meisten Bewegungen mit ähnlichen politischen Zielen unter ihrer Ägide zusammenführen. Nach der Unabhängigkeit Algeriens etablierte sich die FLN als sozialistisch gefärbte Einheitspartei; seit der Einführung des Mehrparteiensystems Ende der 1980er Jahre sowie dem Militärputsch gegen die Front islamique du salut 1991 regierte sie seit 1992 bis zu den Aufständen im Rahmen des sogenannten „Arabischen Frühlings“ 2011 im von ihr verhängten Ausnahmezustand. 23 Hierzu zählten beispielsweise Arbeitsvermittlung, Unterstützung von Familien und Beratung in islamischen Rechtsfragen (Davidson 2007: 251). 24 Diese Politik entsprach dem politischen Programm der FLN in Algerien. Über den von reformerischen Ulema übernommenen Slogan „Algerien ist mein Vaterland, Arabisch meine Sprache und der Islam meine Religion“ versuchten ihre Anhänger dort ein Nationalbewusstsein zu definieren, das den Algerier über seine Sprache, sein Land und seine Religion von Franzosen unterschied und aus der islamischen Zugehörigkeit ein zentrales Identifikationsmerkmal machte (Kaki 2004: 62).

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konkreten repräsentativen Ort islamische Praktiken, die sie für kompatibel mit der algerischen Nationalität erklärte und die sie teils mit Gewalt durchzusetzen suchte. Hierzu gehörte neben dem Alkoholverbot bei algerischen Barbesitzern in den Nordpariser Immigrantenvierteln oder dem Aufruf zum kollektiven Fasten während des Ramadan auch der Befehl, an von der FLN organisierten religiösen Zeremonien teilzunehmen, sowie das Verbot, religiöse Veranstaltungen der Moschee von Paris zu besuchen (ebd.: 251–265). Die Parallelität zwischen den Verwaltungsstrategien von FLN und französischem Staat verweist auf die Transnationalität von Diskursformationen und die Verflochtenheit französisch-algerischer Geschichte: Nicht durch Zufall, sondern wie von Shalini Randeria als typisch beschrieben produzierten algerische und französische Akteure Identitätskonzeptionen (Algerier = Muslime) sowie Verwaltungsstrategien, die sich stark glichen (shared markers of identity) sowie zeitgleich Elemente, die in Opposition zueinander und im Dienste scharfer Abgrenzung voneinander standen (divided markers of identity, zum Beispiel aus französisch-staatlicher Sicht: gute Muslime = dem französischen Staat treu = gegen die algerische Unabhängigkeit beziehungsweise umgekehrt aus Sicht der FLN: gute Muslime = für die Unabhängigkeit und gegen den französischen Staat sowie seine Kolonialpolitik). Wie verhielt sich das Leitungspersonal der Großen Moschee von Paris in dieser Konstellation? Der erste Rektor Si Kaddour Ben Ghabrit galt als loyaler Verfechter des französischen Kolonialimperiums (Telhine 2010: 205; Davidson 2007: 237). Als der nachfolgende Rektor, Ahmad Ben Ghabrit, im Jahre 1954 für zwei Jahre die Leitung der Moschee übernahm, fürchtete die französische Regierung jedoch erstmals das Ende ihrer Kontrolle über die Institution (Davidson 2007: 237). Ahmed Ben Ghabrit habe die Moschee zwar nicht aktiv in einen Ort des kolonialen Widerstands transformieren wollen (ebd.: 241). Er ließ, so Davidson, jedoch zu, dass algerische und marokkanische Aktivisten25 innerhalb der Räumlichkeiten der GMP, insbesondere auch im Rahmen von Predigten für die politische Abschüttelung der französischen Besatzung warben (ebd.). Das französische Außenministerium betrachtete die GMP nach wie vor als ein strategisches Zentrum, von dem aus politische Entwicklungen in Nordafrika wie in Paris beeinflusst werden können und beschloss, die Kontrolle über die Einrichtung zu intensivieren. So wurde Ahmad Ben Ghabrit durch einen neuen Rektor ersetzt (Telhine 2010: 205). Weil Tunesien und Marokko inzwischen die Unabhängigkeit erlangt hatten, fiel die Wahl auf eine mit Algerien verbundene Person, die Frankreich gegenüber loyal war und die die Macht besitzen würde, sich erfolgreich gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in Algerien zu stellen. Am 18. Mai 1957 ernannte der damalige Ministerpräsident Guy Mollet in Abstimmung mit dem Innen- und Außen25 Eine ausführlichere Besprechung der teils unterschiedlichen Proteststrategien algerischer und marokkanischer Nationalisten findet sich bei Davidson 2007: 241–246.

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ministerium sowie mit der algerischen Kolonialverwaltung schließlich Boubakeur Ben Hamza Ben Kaddour (im Folgenden Hamza Boubakeur), den Vater des aktuellen Moscheerektors Dalil Boubakeur, zum neuen Rektor (Boyer 1992: 37). In politischer Hinsicht bot sich Hamza Boubakeur als Vermittler zwischen der Kolonialregierung und der von der FLN gesteuerten Arm e de lib ration nationale (ALN) an. Sadek Sellam berichtet von Vereinbarungen der französischen Regierung mit Hamza Boubakeur, die bereits vor seiner Ernennung zum Moscheerektor getroffen worden waren: Demnach boten Sprecher Guy Mollets Hamza Boubakeur hohe Entschädigungen an, sollte er in Südalgerien für Waffenstillstand und Verhandlungen der FLN mit den Franzosen sorgen (Sellam 2006: 258). Boubakeurs Bemühungen in dieser Hinsicht scheiterten jedoch und er floh nach Paris, wo er schließlich den Rektorposten der GMP erhielt (s. hierzu Sellam 2006: 258). Mit der Übertragung der Moscheeleitung an Hamza Boubakeur, so jedenfalls die These Mohammed Telhines, schien die französische Regierung auch auf die Unterstützung der Sidi Ouled Cheikh bei der Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung in Algerien zu hoffen (Telhine 2010: 206). Hamza Boubakeur gehörte diesem mächtigen Kriegerstamm an,26 dessen Einflussgebiet sich auf den Süden Algeriens sowie den Osten Marokkos erstreckte und der sich im Laufe der Geschichte unterschiedlich positioniert, sowie sich in Teilen für und in Teilen gegen die französische Kolonialmacht gestellt hatte. Mit Hamza Boubakeur hatte die französische Regierung in jedem Fall einen Kandidaten gefunden, der sich frankophil zeigte, sich für die Fortführung der französischen Kolonialherrschaft in Algerien einsetzte und dessen Wahl also theoretisch positive Auswirkungen auf die französischen Beziehungen zu bedeutenden Zweigen der Sidi Ouled Cheikh haben konnte. In den Jahren nach der Ernennung Boubakeurs festigte sich die französische Kontrolle über die GMP. So verlegte die Regierung die Verantwortlichkeit für die Einrichtung 1958 aus dem französischen Außenministerium in das Innenministerium und machte die Verwaltung der Moschee damit von kolonialpolitischen Entwicklungen und Ansprüchen ein Stück unabhängiger (Telhine 2010: 208). Unter Hamza Boubakeur wurde die GMP zudem immer mehr zu einer Einrichtung, die algerische Muslime vertrat und nicht mehr wie zuvor die Muslime aller Länder. Hamza Boubakeur und andere Mitarbeiter der 26 Die Sidi Ouled Cheikh werden unterteilt in die Sidi Ouled Cheikh Gharaba (westlicher und jüngerer Zweig, im heutigen Marokko ansässig) und die Sidi Ouled Cheikh Charaga (östlicher, älterer Zweig, im heutigen Algerien ansässig) (Telhine 2010: 206). Sie führen sich selbst auf den Kalifen Abu Bakr zurück und hatten zahlreiche Gebiete in der Sahara ihrer Herrschaft unterworfen (Charles-Lavauzelle 1891: 5 f.). Die Sidi Ouled Cheikh sind zugleich eine sufistische tarı¯qa, deren religiöses Zentrum sich im nordwestlichen Saharagebiet, in El Abiodh befindet. In ˙ El Abiodh steht die za¯wiya der Sidi Ouled Cheikh, wo der für seine Wunder, seine Gelehrsamkeit und seine religiöse Lebensführung bekannte Suficheikh Sidi Abdelkader ben Mohammed Sidi Cheikh begraben liegt (Charles-Lavauzelle 1891: 5).

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GMP sahen sich dabei jedoch mit einer tiefen Spaltung der algerischen Bevölkerung in die Verfechter der algerischen Unabhängigkeit sowie in die sogenannten Harkis konfrontiert, also im weiteren Sinne jenen, die während des Krieges Frankreich gegenüber loyal blieben (oder gar in der französischen Armee für die Unterdrückung der algerischen Aufstände gekämpft hatten) und auf dem Papier Franzosen waren. Hamza Boubakeur nahm 1963 die französische Staatsangehörigkeit an (ebd.: 277) und umgab sich an der Moschee von Paris vor allem mit Muslimen aus Algerien, die ebenfalls die französische Nationalität erworben hatten. Auch die Imame, die er für die in den französischen Regionen verwalteten lokalen Moscheen ernannte, entstammten diesem Personenkreis (ebd.). Unter Hamza Boubakeur galt die GMP also in erster Linie als ein Versammlungsort für diejenigen, die sich zur französischen Republik bekannten und stieß deshalb bei Algeriern, die an ihrer algerischen Nationalität festhielten, auf Ablehnung (ebd.). Die FLN betrachtete Hamza Boubakeur wegen seiner Kooperation mit der französischen Regierung als Verräter. Ihre Mitglieder gründeten in Algier eine neue Soci t des Habous et des Lieux Saints de l’Islam und erklärten alle Funktionen Boubakeurs an der Moschee von Paris für beendet (Boyer 1992: 39). Vertreter des französischen Staates betrachteten die Moschee hingegen als französische Einrichtung, auf die die algerische Soci t des Habous keinen Einfluss hat (ebd.: 41). Auf Geheiß des höchsten französischen Verwaltungsgerichts, des Conseil d’Etat, musste das Verwaltungsgericht von Paris die Ernennung Boubakeurs durch die französische Regierung jedoch für ungültig erklären. Der Conseil d’Etat begründete diese Entscheidung mit der Trennung von Staat und Kirche, die einen solchen Rechtsakt, also die Bestimmung eines Moscheerektors durch den Staat, untersage (Telhine 2010: 208 f.). Von diesem Zeitpunkt an hatte die Große Moschee von Paris aus juristischer Sicht keinen legitimen Leiter mehr. Weil alle Versuche, der Moschee eine legale Verwaltung zu geben, scheiterten und Boubakeur sich weigerte, seine Funktionen aufzugeben, behielt er weiterhin den Posten des Rektors und trat als Sprecher der Muslime in Frankreich auf. Seit Ende der 1970er Jahre hatte Hamza Boubakeur jedoch Verhandlungen mit dem algerischen Staat aufgenommen. Algerien hatte Boubakeur zugesagt, Verwaltungskosten an der GMP zu übernehmen, ihm persönlich ein gutes monatliches Gehalt zu zahlen (Boyer 1992: 49) sowie schließlich Besitztümer an seine Familie zurück zu geben, die nach der algerischen Unabhängigkeit von Präsident Boumedienne konfisziert worden waren (vgl. Sellam 2006: 267). Im Gegenzug erließ Hamza Boubakeur 1982 neue Statuten des Trägervereins der GMP, in der er die Hoheit über die Einrichtung im Falle einer Vereinsauflösung direkt dem algerischen Staat zusprach. Kurz nach Aushandlung dieser enormen finanziellen und machtpolitischen Vorteile gab Hamza Boubakeur seinen eigenen Rücktritt vom Posten des Rektors an der Moschee von Paris bekannt (Telhine 2010: 212). Die Änderung der Statuten der Soci t des Habous et des Lieux Saints de

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l’Islam durch Hamza Boubakeur waren juristisch gesehen zwar wertlos und wurden vom französischen Staat nicht anerkannt. Dennoch markierte das Jahr 1982 den Übergang der Moscheeverwaltung unter die Kontrolle des algerischen Staates, der sogleich einen neuen Rektor vorschlug. Bis heute verteidigt Algerien erfolgreich seinen Anspruch, die Moschee von Paris rechtmäßig zu besitzen und folglich verwalten zu dürfen.

2.3.3. Seit den 1980er Jahren: Zwischen Algerien und Frankreich 1982 ernannten Vertreter der algerischen Regierung Abbas Bencheikh alHocine (im Folgenden Abbas) zum neuen Rektor der GMP (vgl. Telhine 2010: 217). Abbas leitete die Moschee von 1982 bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahre 1989. Er war ein begeisterter Anhänger des Gedankenguts von Ben Badis, einem bedeutenden algerisch-islamischen Reformprediger der 1930er Jahre (Kepel 1987: 314 f.; vgl. Kapitel 4.3.3.). Seit Beginn des Unabhängigkeitskrieges in Algerien bekannte sich Abbas öffentlich zur Ideologie der FLN (ebd.: 315; Telhine 2010: 217). Galt die GMP vor und während des Algerienkrieges offiziell als frankreichtreue und gegen die Aktivitäten der FLN gerichtete Institution (vgl. Davidson 2007: 252 f.), so bezog mit Abbas nun ein FLN-Anhänger selbst die Spitze der Einrichtung. Die FLN, die früher versucht hatte, die GMP als Repräsentationsstätte der Muslime in Frankreich zu delegitimieren (vgl. ebd.), sah die Einrichtung ihrerseits inzwischen als einen geeigneten Ort an, von dem aus sie, neben der Amicale des Alg riens, eine gewisse Kontrolle über die politische Einstellung der algerischen Immigranten in Frankreich ausüben konnte (Boyer 1992: 71; Sellam 2006: 270). Rektor Abbas vermochte es anders als sein Vorgänger Hamza Boubakeur, ehemalige Harkis sowie algerische Muslime an der GMP zusammenzuführen und somit der neuen Versöhnungspolitik Algeriens Vorschub zu leisten, folglich also tatsächlich einen Versammlungsort aller algerischstämmiger Muslime Frankreichs zu kreieren (vergleiche hierzu die ausführliche Darstellung Kepels 1987: 309, 317–335).27 Doch auch französische Politiker befürworteten die Rektorenschaft von Abbas. Aufgrund seines fortwährenden Aufrufs zu Toleranz, Fortschritt und Modernisierung des Islam sowie seiner vehementen Ablehnung von gewaltbereiten islamistischen Gruppierungen, die derzeit gefürchtet waren (siehe unten), avancierte Abbas, obwohl er des Französischen nicht mächtig war (Kepel 1987: 317) auch aus französischer Sicht zu einem legitimen Moscheeleiter. Sein plötzlicher Tod im Jahre 1989 beunruhigte die französischen Politiker in höchstem Maße (Telhine 2010: 220 f.). Diese noch zwei Jahrzehnte 27 Boyer erklärt jedoch, dass dieses Unterfangen nicht vollständig gelang und die sogenannten FranÅais Musulmans, vor allem aber die ehemaligen Harkis den algerischen Muslimen an der Großen Moschee von Paris weiterhin konflikthaft gegenüber standen (Boyer 1992: 71 f.).

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zuvor undenkbare Situation, in der die französische und die algerische Regierung gemeinsam einen FLN-Politiker an der Spitze der GMP unterstützten, war auf rezente globale Entwicklungen und neue sicherheitspolitische Kooperationen zwischen beiden Ländern zurückzuführen. Französische Politiker hatten den Islam seit der islamisch-iranischen Revolution von 1979 zunehmend als gewalttätig, eroberungswillig und demokratiefeindlich betrachtet, so Constanze von Krosigk (Krosigk 2000: 101). Zunächst in der Furcht vor dem Einfluss von Khomeini-Anhängern in Frankreich,28 später in Folge des tödlichen Attentats von Anhängern der Gruppe Al-Djiha¯d auf den ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat 1981 sowie mehrerer islamistisch motivierter Anschläge auf Frankreich zu Beginn der 1980er Jahre,29 schließlich im Zuge des wachsenden Einflusses der islamistischen Bewegung in Algerien30 sah sich Frankreich laut Krosigk zur Kooperation mit Staaten in der islamischen Welt gezwungen, die dieselben Bewegungen fürchteten (Krosigk 2000: 257; Sellam 2006: 271). Alain Boyer erklärt, dass algerisch-islamistische Gruppierungen Frankreich zu dieser Zeit als eine sichere Basis ansahen, von der aus sie nahezu ungestört ihre Netzwerke ausbauen und ihre Aktivitäten koordinieren konnten (Boyer 1998: 201). Um diese Situation nicht zu gefährden, waren ihre Aktivitäten nicht gegen Frankreich gerichtet (ebd.), stellten jedoch ein hohes Sicherheitsrisiko für die algerische Regierung dar. Für letztere war eine sicherheitspolitische Kooperation und Kontrollmöglichkeit über die politische Einstellung muslimischer Emigranten in Frankreich also von hoher sicherheitspolitischer Bedeutung (Krosigk 2000: 258; Sellam 2006: 271). In diesem Zusammenhang reiste der französische Innenminister Charles Pasqua 1987 erstmals nach Algerien, um, so Krosigk, „mit 28 Weil Ayatollah Khomeini und viele seiner Anhänger in Frankreich Exil gesucht hatten, sprach der damalige Innenminister Gaston Deferre die Vermutung aus, unter den Immigranten könnten sich in großer Zahl Aktivisten Khomeinis befinden, die zu einer Ausbreitung des „iranischen Fundamentalismus“ in Frankreich beitrügen (ebd.: 258). Zur Rezeption der islamisch-iranischen Revolution und Propaganda einer „islamischen Renaissance“ unter Muslimen in Frankreich vgl. Kepel 1987: 248 f.. 29 Wie in der Auflistung von Krosigk erwähnt, wurden beispielsweise im September 1981 in Beirut ein französischer Botschafter und 1983 bei einem Anschlag 58 französische Soldaten getötet, zudem erfolgten zunächst 1982 sowie zwischen 1985 und 1986 mehrere Bombenattentate in Frankreich selbst (Krosigk 2001: 101). 30 Die in den 1980er Jahren entstehende und 1989 als Front Islamique du Salut (FIS) auftretende Bewegung prangerte die wirtschaftlich desolate Lage Algeriens an und machte eine fehlgeleitete Politik sowie Korruption von Regierungsmitgliedern dafür verantwortlich (Carlier 1992: 186 f.). Ihre Anhänger forderten die Schaffung eines islamischen Staats als Gegenmodell zum bestehenden politischen System und plädierten für eine durch die Anwendung der Scharia garantierte gerechte Gesellschaftsordnung. Mit diesem Programm konnte die Gruppierung innerhalb weniger Jahre breite Massen mobilisieren (ebd.: 192; vergleiche auch Zerrouky 2002: 15). Algerische ebenso wie französische Politiker fürchteten, dass algerische Emigranten in Frankreich von der seit 1989 als Front Islamique du Salut auftretenden Bewegung instrumentalisiert werden und sich von Frankreich aus gegen beide Staaten organisieren könnten (Krosigk 2000: 261; vergleiche Kapitel 3.1.1.)

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den Maghrebstaaten ein Bündnis gegen den radikalen Islamismus“ (Krosigk 2000: 258) abzuschließen; demnach sei sich geeinigt worden, dass der Rektor der GMP für den französischen Staat als Vertreter der Muslime in Frankreich gelte und zur Aufgabe habe, sogenannte „radikalislamische“ Strömungen zu bekämpfen, während Algerien im Gegenzug über den Umweg Teheran die Freilassung französischer Geiseln im Libanon voranzutreiben versprochen habe (ebd.).31 Der gemeinsame Kampf gegen befürchtete politisch-islamische oder gar dschihadistische Gruppierungen hatte die Große Moschee von Paris also in den 1980er Jahren zu einer Schaltstelle sicherheitspolitischer Kooperation zwischen Algerien und Frankreich gemacht und den Weg zu ihrer diskursiven Bestimmung als moderate Bastion im Kampfe gegen den Islamismus geebnet, und dies sowohl in Frankreich als auch in Algerien: Les craintes partag es des deux c t s de la M dit rann e mirent les aspects s curitaires et diplomatiques au cœur de la politique musulmane de la France. La mosqu e de Paris devint alors le haut lieu de ces peurs (Sellam 2006 : 271).

Die neue, medial und politisch verbreitete Legitimität der GMP seit den 1980er Jahren stand in scharfem Kontrast zur deutlichen Kritik, die nun zunehmend von muslimischen Akteuren an die Einrichtung herangetragen wurde. Die muslimische Vereinslandschaft in Frankreich erfuhr seit Ende der 1970er und vor allem in den 1980 Jahren einen tiefgreifenden Wandel, der die Repräsentativität der GMP erneut und massiver als je zuvor in Frage stellte. Der Konjunktureinbruch infolge der Ölkrise von 1973/74 sowie der in Reaktion auf steigende Arbeitslosenzahlen vom französischen Staat verhängte Einwanderungsstopp für die bis zu diesem Zeitpunkt dringend benötigten Gastarbeiter aus dem Maghreb hatten viele nordafrikanische Emigranten dazu veranlasst, sich dauerhaft in Frankreich niederzulassen und ihre Familien nachzuholen, solange die Möglichkeit hierzu bestand (vergleiche Boyer 1998: 88–90). In diesem Zusammenhang mehrten sich seit Mitte der 1970er und vor allem seit den 1980er Jahren Forderungen nach der Bereitstellung religiöser Infrastruktur, beispielsweise dauerhafter Gebetsräume, muslimischer Friedhöfe oder der Bereitstellung von hala¯l-Fleisch in den Kantinen (Boyer 1998: 93 f.). ˙ Eine Änderung im Vereinsrecht von 1981, die es nun auch Muslimen ohne französische Staatsbürgerschaft erlaubte, auf französischem Boden sogenannte associations culturelles im Sinne des Assoziationsgesetzes von 190132 31 1994 wurde die sicherheitspolitische Kooperation erneuert und intensiviert (Krosigk: 2000: 258), da Frankreich noch immer strategischer Ausgangspunkt für algerische Islamisten zu sein schien, ihre Aktionen nun anders als zuvor jedoch gegen Algerien und Frankreich gerichtet waren (vgl. auch Kapitel 3.1.1.) (Boyer 1998: 201). 32 Die durch ein Gesetz von 1901 vorgesehenen associations culturelles dürfen kulturelle Aktivitäten und durch ein Zusatzgesetz von 1907 auch religiöse Zeremonien finanzieren, während die associations cultuelles von 1905 nur religiöse Veranstaltungen organisieren dürfen. Weil staatliche Subventionen vom Staat nur für als „kulturell“ und nicht für als „religiös“ deklarierte

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zu gründen, hatte schließlich zu einer Welle von Vereinsgründungen und einem sprunghaften Anstieg von Moscheen und Gebetsräumen geführt (ebd.: 178; vgl. Kepel 1987: 22933). Die Monopolstellung der GMP geriet hierdurch ins Wanken, die Einrichtung wurde mehr und mehr zu einer unter vielen (Telhine 2010: 213). Der zahlenmäßige Anstieg muslimischer Vereine und Moscheen ging mit einer Veränderung des Profils der muslimischen Akteure einher. Telhine zeichnet nach, wie insbesondere muslimische Studierende aus dem Nahen Osten die Notwendigkeit betonten, islamische Identität zu definieren und zu stärken (ebd.: 214). Gilles Kepel liefert eine ausführliche Beschreibung der Positionen und politischen Einstellungen dieser Akteure, die sich, zwar inspiriert von islamischen Erneuerungsbewegungen in arabischen Ländern und dem Iran, letztlich doch von letzteren distanzieren und eine eigene, auf den französischen Kontext gemünzte islamische Identität forderten (Kepel 1987: 257–282). Ihre Forderungen, sich von Europa nicht mehr kolonialisieren zu lassen und ihm stattdessen selbstbewusst gegenüber zu treten, trugen sie erfolgreich auch ins Gastarbeitermilieu (Telhine 2010: 214). Seit Beginn der 1980er Jahre etablierte sich so ein Gefüge, im Französischen oft als mouvement oder r seau associatif islamique bezeichnet (Kepel 1987: 227; Telhine 2010: 272), in dem neben den erwähnten Studierendengruppen Immigrantenvereine, Harki-Organisationen und Konvertiten darum rangen, die Muslime in Frankreich zu vertreten (Telhine 2010: 301). Trotz ihrer zahlenmäßigen Marginalität wurden diese Gruppierungen innerhalb von wenigen Jahren im medialen, sozialen und politischen Akteursnetz der französischen Gesellschaft zu einer festen Größe (ebd.: 288). Sie waren gegen den Einfluss der Regierungen der Herkunftsländer (ebd.: 233, 240) und stellten folglich auch den Alleinvertretungsanspruch der durch den algerischen Staat kontrollierten GMP radikal in Frage. Ein innerhalb dieser Bewegung äußerst aktives Netzwerk, das aus dem Studierendenverband Groupement islamique en France (GIF) hervorgegangen ist, ist die 1983 gegründete Union des organisations islamiques en France (UOIF)34, die zunächst nur vier, 1984 jedoch bereits 31 muslimische Vereine vertrat und im Folgejahrzehnt zu einem wichtigen Repräsentanten des Islam in Frankreich sowie Konkurrenten der GMP avancieren sollte (Godard/Taussig 2007: 47; Kepel 1987: 267).35 Aktivitäten beantragt werden können, gründeten sich die meisten muslimischen Vereine als associations culturelles, vgl. Boyer 1993 : 88 f.). 33 Kepel veröffentlicht in Les Banlieues de l’Islam detaillierte Zahlen, die den rasanten Anstieg muslimischer Vereine und Moscheen in Frankreich seit Ende der 1970er Jahre belegen. So erwähnt er 136 Moscheen im Jahre 1978 und schon 912 im Jahre 1985 (Kepel 1987: 229). Bei Kepel finden sich ebenfalls Karten und Statistiken, die die Verteilung der Vereine in den Regionen Frankreichs sichtbar machen (ebd.: 235–243). 34 1990 umbenannt in Union des Organisations Islamiques de France. 35 Vgl. Teil 3, zur ideologischen Ausrichtung und den Vorwürfen der Verbindung zu den Muslimbrüdern vgl. Peter 2010, vgl. Teil 1, Fußnote 1.

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Einen Höhepunkt dieser Rivalität zwischen der an Algerien orientierten Moschee von Paris und dem mouvement associatif markierte die Gründung der F d ration nationale des musulmans de France (FNMF) im Jahre 1985. Der französische Konvertit Youssef Leclerc hatte mit Hilfe von finanzieller Unterstützung durch die saudi-arabische Ligue islamique mondiale einen Dachverband gegründet, der zunächst 110 Mitgliedsvereine umfasste und auf lokaler sowie auf nationaler Ebene explizit ein Gegengewicht zur GMP bilden sollte. Die FNMF setzte es sich zum Ziel, die Interessen der Muslime und Musliminnen in Frankreich zu vertreten und die GMP zu marginalisieren (Boyer 1992: 73; Telhine 2010: 232–234). Der Rektor der GMP, Abbas, klassifizierte seinerseits die FNMF als radikal und propagierte die GMP im Gegensatz hierzu als Vertreterin eines moderaten Islam. Hiermit gewann er die Sympathien von Akteuren aus Politik und Medien. Sein Anspruch, die Muslime Frankreichs um seine Institution herum zu versammeln und zu repräsentieren, schien jedoch für immer verloren. Nach dem Tod von Abbas im April 1989 (Boyer 1992: 50) übernahm der Algerier Tedjini Haddam den Rektorenposten der Moschee von Paris. Seine Amtszeit wurde zu einem kurzen Interim von drei Jahren (Sellam 2006: 82). Wie sein Vorgänger hatte sich Haddam bereits vor der Unabhängigkeit Algeriens zur FLN bekannt (Telhine 2010: 313). Als die gefürchtete Front Islamique du Salut (FIS) im Jahre 1991 die Wahlen in Algerien mit großer Mehrheit gewann, ihr Machtantritt jedoch durch einen Militärputsch verhindert wurde, hatte der algerische Staat übergangsweise ein Haut Comit d’ tat eingerichtet, das die Kontinuität der staatlichen Prozesse garantieren sollte (Telhine 2010: 318). Tedjini Haddam wurde dabei gezielt zu einem der fünf Präsidenten der Übergangsregierung ernannt (ebd.). Im französischen Innenministerium herrschte derweil die Einstellung vor, der französische Rahmen der Laizität verbiete es dem Rektor der GMP, zeitgleich hohe politische Funktionen im Ausland auszuüben. Im April 1992 führte dies zum von französischen Politikern zwingend geforderten Rücktritt Tedjini Haddams und zur Wahl eines neuen Kandidaten. Während das Innenministerium den FNMF-Präsidenten und Konvertiten Yacoub Roty vorschlug, hatten sich das Elys e und Vertreter der algerischen Regierung auf Dalil Boubakeur als Nachfolger geeinigt (Godard/Taussig 2007: 167). Seine Berufung in das Amt des Rektors erfolgte noch am Tag des höchst unfreiwilligen Abtritts Haddams (Telhine 2010: 319). Noch zwei Jahre später, Anfang des Jahres 1994, kursierten in der Moschee von Paris Gerüchte, dass Tedjini Haddam, nachdem sein Mandat im Haut Conseil Alg rien 1994 abgelaufen war, mit Unterstützung des algerischen Staats nach Paris zurückkehren und seine Position als Rektor der Moschee von Paris wieder einnehmen wolle. Dalil Boubakeur konnte sein Amt in der Moschee von Paris jedoch behalten und waltet bis heute als ihr Rektor.

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Dalil Boubakeur wurde 1940 in der nordostalgerischen Küstenstadt Skikda geboren und besuchte später das französische Lyc e Bugeaud in Algier. Als sein Vater 1957 zum Rektor der Moschee von Paris ernannt wurde, zog Dalil Boubakeur mit seiner Familie nach Paris und vollendete seine Schulbildung am renommierten Elitegymnasium Louis-le-Grand (Godard/Taussig 2007: 258). Später studierte er in Paris Medizin und begann 1984 seine Karriere im Spital Piti -SalpÞtri re (ebd.). Seit den 1980er Jahren wurde Dalil Boubakeur mit politischen Funktionen an der Moschee von Paris vertraut gemacht. So führte Hamza Boubakeur seinen Sohn 1984 beispielsweise in die Soci t des Habous et des Lieux Saints ein und wählte ihn 1989 zum ersten Vizepräsidenten des Vereins (Boyer 1992: 50). Eine profunde islamisch-religiöse Ausbildung besitzt Dalil Boubakeur anders als die vorherigen Moscheerektoren Abbas und Haddam nicht. Dennoch genießt er als Mitglied der Sidi Ouled Cheikh in gewissen islamischreligiösen Kreisen große Autorität. So wählten ihn die Angehörigen des Clans, die im übrigen auch zwei Drittel der Mitglieder der Soci t des Habous et des Lieux Saints de l’Islam stellen, 1995 zum neuen Chef des Pariser Zweiges der Ouled Cheikh (AN Boubakeur/Sidi Ouled Cheikh/ar.; AN Boubakeur/Sidi Ouled Cheikh/frz.).36 Zugleich war Dalil Boubakeur als Besetzung für den Posten ein für die Politiker Frankreichs vertretbarer Kompromiss: Boubakeur besaß die französische Staatsbürgerschaft, war mit einer Französin verheiratet (Boubakeur 2004: 17) und aufgrund seiner Ausbildung in französischen Institutionen mit Land und Sprache vertraut. In den Jahren seiner Rektorenschaft hatte er zudem eine umfangreiche Publikations- und Öffentlichkeitsarbeit entfaltet, innerhalb derer er ein französisches Publikum von der Moderatheit des Islam und seiner Kompatibilität mit der französischen Lebensweise zu überzeugen vermochte. Zwei Themenbereiche ziehen sich durch seine öffentlichen Vorträge37, Pressemitteilungen, veröffentlichte Interviewsammlungen (Boubakeur 1995a, 2003a, 2004b, 2009), Aufsätze (1994, 2000, 2003b) und Monographien (1995b, 2002; zuletzt 2014, 2015): die Rolle von Medizin und Bioethik im Islam und vor allem die Entwicklung eines moderaten Islamverständnisses, das mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen der französischen Gesellschaft kompatibel sei. Nicht selten erschienen seine Texte dabei in politischen Zusammenhängen, die der Moschee von Paris ihre Machtstellung innerhalb der französischen Islampolitik streitig zu machen drohten (vgl. Kapitel 3.1.3., 3.2.4.). Auch stellten sie oft eine Reaktion auf 36 Charles-Lavauzelle erwähnt in seiner Darstellung der Sidi Ouled Cheikh von 1891, dass die Chefs der einzelnen Bruderschaftszweige nicht zwangsläufig eine religiöse Ausbildung besaßen, dafür aber Gelehrte mit einer ebensolchen Ausbildung beschäftigten (Charles-Lavauzelle 1891: 7). Dementsprechend wäre auch Dalil Boubakeur ein typischer Vorsteher ohne religiöse Ausbildung, dem aber seitens seiner Mitglieder dennoch großer Respekt entgegengebracht wird. 37 Die Mehrheit dieser Vorträge hielt Boubakeur an der Moschee von Paris selbst. Ein Teil der Reden war am 20. 02. 2006 auf www Moschee von Paris/conf rences verfüg- und herunterladbar.

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islambezügliche Debatten dar, die die französische Medienlandschaft regelmäßig heimsuchen und bei welchen er die Vorzüge der Moschee von Paris gegenüber konkurrierenden muslimischen Institutionen schilderte. Dies wird in den Folgekapiteln genauer ausgeführt.

3. Die politische Verortung: Der transnationale Identitätsmarker „Moderater Islam“ Die folgenden Kapitel sind dem Identitätsmarker gewidmet, der der Moschee von Paris in Mediendarstellungen und politischen Stellungnahmen regelmäßig zugewiesen wird und auf den auch Moscheerektor Dalil Boubakeur rekurriert, um seine Institution zu charakterisieren und um ihre Bedeutung vor den politischen Autoritäten zu untermauern: dem „moderaten Islam“. Im Folgenden wird erläutert, dass die Konstitution und Funktion dieses Identitätsmarkers ebenso wie die seines antagonistischen Gegenparts „radikaler Islam“ stark durch sicherheitspolitische Interessen geprägt sind. Zudem wird gezeigt, dass beide Identitätsmarker, inklusive der an sie geknüpften politischen Strategien, nicht nur in Frankreich, sondern auch in der algerischen Religionspolitik instrumentalisiert wurden. Natürlich ist zu berücksichtigen, dass eine einheitliche französische Islampolitik ebensowenig existiert wie der algerische Umgang mit dem Islam. Die folgenden Ausführungen stellen jedoch hegemoniale Tendenzen dar, die die eingangs postulierte Transnationalität von diskursiven Strukturierungen demonstrieren: Aktuelle algerische und französische Reproduktionen dieser Marker mögen zwar konkret in voneinander abweichenden Bedingungen eingebettet und mit unterschiedlichen Implikationen versehen sein. Aufgrund ihrer historischen Verflochtenheit weisen sie jedoch auch Parallelen und antagonistische Abgrenzungen voneinander auf. Wenn Dalil Boubakeur an der GMP auf den Identitätsmarker des moderaten Islam verweist, so ist dieser Marker also in der in Teil 1 erläuterten Weise überdeterminiert. Die nächsten Kapitel zeigen, dass diese Überdeterminierung berücksichtigt werden muss, wenn man die politischen Aussagen und Handlungen Boubakeurs angemessen deuten und seine Positionierung zwischen algerischen und französischen Interessen verstehen möchte. Obwohl die Moschee von Paris bereits in den 1980er Jahren als moderate Bastion konzipiert wurde, die gegen den „radikalen Islam“ kämpft (vgl. Kapitel 2.3.3.), sollen die hier vorgenommenen Analysen zu Beginn der 1990er Jahre einsetzen, und dies aus drei Gründen: Erstens erreichte die Diskussion um die Gefahr, die von Muslimen in Frankreich ausgehen könnte, eine zuvor unbekannte Intensität. Anfang der 1990er Jahre war der algerische Bürgerkrieg ausgebrochen und als in der Folgezeit mehrere Terrorattentate auf französische Institutionen im In- und Ausland verübt worden waren, entstand die Sorge, das Gedankengut gewaltbereiter algerischer Islamisten könnte sich auch innerhalb Frankreichs aus-

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Die politische Verortung „Moderater Islam“

breiten. Das Innenministerium reagierte mit umfassenden sicherheitspolitischen Maßnahmen (vgl. Kapitel 3.1.1.), anhand derer die politische Konzipierung des „radikalen Islam“ dieser Zeit gut nachvollzogen werden kann, und revitalisierte die Rolle der Großen Moschee von Paris als Zentrum, um das herum der Islam in Frankreich organisiert werden müsse. Zweitens forderten verschiedene französische Innenpolitiker zu Beginn der 1990er Jahre erstmals eine innerhalb Frankreichs organisierte Ausbildung von Imamen. Das in Teil 4 diskutierte Imamausbildungsinstitut Al-Ghazali ist also ein Produkt von Debatten, die in den Jahren 1992/1993 wurzeln und seither immer wieder öffentlich ausgetragen wurden (vgl. Kapitel 3.1.2.). Drittens (und auch diese Parallele wird in Studien zur französischen Islampolitik zumeist ignoriert): Auch in Algerien war die Unterstützung moderater und gut ausgebildeter Imame in dieser Zeit fester Bestandteil sicherheitspolitischer Strategien. Bereits einige Jahre früher als in Frankreich erklärten verschiedene algerische Politiker die Förderung und Kontrolle von Imamen zu einer wichtigen Maßnahme, die die Ausbreitung von islamischem Radikalismus eindämmen könne (vgl. Kapitel 3.1.2.). Der Fokus auf den Beginn der 1990er Jahre erlaubt es folglich, die Parallelen und Unterschiede französisch- und algerisch-islampolitischer Strategien herauszustellen. Die Analyseergebnisse werden dann den Debatten gegenüber gestellt, die zu Beginn der 2000er Jahre stattfanden. Die Auswahl dieses Untersuchungszeitraums wird mit den diskursiven Verschiebungen begründet, die sich in diesen Jahren vollzogen haben und die auch eine veränderte Konzeptualisierung der GMP zur Folge hatten. Die Anschläge auf US-amerikanische Institutionen am 11. September 2001 hatten in Algerien wie auch in Frankreich neue Darstellungen des radikalen Islam und des islamischen Terrorismus nach sich gezogen. In den Folgejahren entfachte in Frankreich eine neue Debatte um das Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen beziehungsweise allgemein um die Kompatibilität von islamischer und französischer Lebensweise (vergleiche Kapitel 3.2.1.). In diesem Kontext reagierten die Innenpolitiker Frankreichs mit erneuten Initiativen zur Ausbildung von Imamen am Institut der Großen Moschee von Paris, aber auch mit der Gründung des muslimischen Repräsentationsorgans Conseil franÅais du culte musulman (CFCM) und im Zuge dessen mit einer Neuausrichtung ihrer Kooperation mit islamischen Akteuren in Frankreich. Die Gründung des CFCM geschah unter Einbezug Algeriens und anderer Herkunftsländer, was ein weiteres Zeugnis für den transnationalen Charakter von in Europa diskutierten islampolitischen Interessen ist. Letztlich zeigt die Entwicklung zu Beginn der 2000er Jahre jedoch eine relative, aber dauerhafte Marginalisierung der Rolle an, die Algerien nun in der Organisation islambezogener Angelegenheiten in Frankreich zukam. Die GMP wurde endgültig ihrer Sonderstellung enthoben und zu einem, wenn auch noch immer bedeutenden, islampolitischen Akteur unter vielen degradiert.

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Die Analysen basieren zum einen auf politischen Dokumenten aus den Archives Nationales (France), die vor allem den Schriftverkehr zwischen Boubakeur und verschiedenen Ministerien in Frankreich sowie Einschätzungen der Moschee von Paris durch französische Politiker dokumentieren. Zum anderen wurden während des Analysezeitraums publizierte Monographien und Interviewsammlungen Boubakeurs analysiert und circa 300 Zeitungsartikel auf Positionierungen des Moscheerektors oder allgemein auf Darstellungen der GMP und der UOIF hin gelesen.1Die so gewonnenen Erkenntnisse wurden mit den detaillierten Darstellungen aus der bereits existierenden Sekundärliteratur in Verbindung gebracht und insgesamt auf die Konstitution von Identitätsmarkern sowie die Möglichkeiten zu ihrer machtpolitischen Instrumentalisierung befragt. Seit dem Gründungsprozess des CFCM sind inzwischen fast 15 Jahre vergangen. Die stetigen Veränderungen, denen politische Konstellationen unterworfen sind sowie insbesondere die jüngsten dschihadistischen Attentate, die seit 2015 in Frankreich verübt wurden und zahlreiche Tote gefordert haben, haben auch die Allianzen zwischen den großen Dachverbänden, die Struktur des Muslimrates und die Positionen von Dalil Boubakeur verändert, der aktuell [Stand: Juli 2017] noch immer als Rektor der Großen Moschee von Paris amtiert. Der Zeitraum seit dem Ende der 2000er Jahre ist in dieser Arbeit keiner eingehenden Analyse unterzogen worden. Der Leitfaden der folgenden Kapitel, nämlich die Darlegung der Transnationalität von sicherheitspolitisch motivierten Identitätsmarkern und Strategien, würde hierdurch jedoch auch nicht verändert. Im Zuge der Überarbeitung dieser Studie wurden die folgenden Ausführungen dennoch durch einen Schlussabsatz ergänzt, die dem Leser aktuellere Entwicklungen anzeigen.

3.1. Die Große Moschee von Paris in den 1990er Jahren 3.1.1. Die politischen Konzepte des moderaten und radikalen Islam Wie wurde in politischen Stellungnahmen und öffentlichen Debatten zu Beginn der 1990er Jahre von „moderatem Islam“ geredet und wie wurde dieses Konzept an die GMP gebunden? Welche machtpolitischen Konsequenzen hatte dies für die Moschee? Thomas Deltombe2 interpretiert die islambezogenen Debatten zu Beginn 1 Die Zeitungsartikel stammen aus Le Monde, Le Figaro, L’Humanit , L’Echo, La Lib ration und decken den Zeitraum von 1993 bis 2009 ab. 2 Thomas Deltombe hat in L’islam imaginaire umfassend und detailliert die Entwicklungen dargestellt, die die Repräsentation des Islam im französischen TV von 1975 bis 2005 durchlief. Auch

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der 1990er Jahre als Produkt einer engen Verzahnung von politischen und medialen Interessen. Im Zentrum standen laut dem Autor dabei die blutigen Ereignisse des algerischen Bürgerkriegs sowie die Sorge, diese könnten sich auf Frankreich ausweiten. Konkreter Anlass für diese Befürchtungen war die Entführung eines französischen Airbus in Algier im Jahre 1994 sowie ein halbes Jahr später die Verübung von Attentaten auf Nahverkehrszüge, deren Planung mit der algerischen Terrorgruppe Groupe islamique arm (GIA) in Verbindung gebracht worden war (Krosigk 2000: 261).3 Zunehmend sprach man vom Export des algerischen Bürgerkrieges nach Frankreich (Deltombe 2007: 170 f., 198). Diese Befürchtung wurde zusätzlich genährt, als algerischislamistische und terroristische Netzwerke auf französischem Boden aufgedeckt worden waren (vgl. Krosigk 2000: 260 f.)4 Französische Politiker rekurrierten in diesem Kontext regelmäßig auf den Identitätsmarker des radikalen Islam um die Gefahr zu beschreiben, die von der gefürchteten Front islamique du salut (FIS) ausging. Mit dem Postulat der Bedrohung durch diesen Radikalismus wurden in der Folge sicherheitspolitische Entscheide begründet: Innenminister Charles Pasqua unterstützte die algerischen Generäle der FLN zu Beginn der 1990er Jahre in der Bekämpfung der als radikal-islamisch klassifizierten FIS (Deltombe 2007: 200–203).5 Die sicherheitspolitische Akzentuierung Pasquas nahm dabei laut Constanze von Krosigk Dimensionen an, die in der französischen Islampolitik bisher unbekannt waren (Krosigk 2000: 259). Pasqua ordnete großangelegte Polizeirazzien, Festnahmen, Inhaftierungen und Ausweisungen muslimischer Akteure Fernsehauftritte von französischen Innenpolitikern werden in diesen Analysen erfasst und ausführlich besprochen. Ein eingehender Vergleich dieser Diskurspositionen in visuellen mit solchen beispielsweise in Printmedien steht noch aus. Zur Überprüfung der Reichweite von Deltombes Thesen werden im Folgenden jedoch stets Aussagen aus der Zeitungsberichterstattung sowie Analyseergebnisse aus weiteren wissenschaftlichen Abhandlungen herangezogen. 3 Die Groupe islamique arm (GIA) umfasste mehrere Gruppierungen und verübte innerhalb des algerischen Bürgerkrieges zahlreiche Gewalttaten. Seit 1994 wurden Aktivitäten auf französischem Boden vermutet. Insbesondere die erwähnten Terroranschläge auf Nahverkehrszüge um Paris und Lyon wurden ihr zugeschrieben, wobei besonderes Unbehagen dadurch ausgelöst wurde, dass zwei in Frankreich aufgewachsene maghrebinische Jugendliche aus den Lyoner Banlieues, Khaled Kelkal und Karim Moussa, an den Anschlägen beteiligt waren und mit der GIA in Verbindung standen. Fortan bestand die Sorge vor der Radikalisierung französischer Banlieues (Silverstein 2004: 133; Krosigk 2000: 262; Köfer 1997: 156–163). 4 Boyer erklärt, dass letztere Frankreich bis anhin nicht zur Zielscheibe von Angriffen gemacht hatten, weil sie von französischem Boden aus weitaus ungestörter operieren konnten als in Algerien und diese Situation nicht gefährden wollten. Als die sogenannte islamistische Bewegung Algeriens 1991 mit ihrer Partei Front islamique du salut (FIS) die Wahlen zu gewinnen schien, die FLN jedoch den demokratischen Prozess gewaltsam stoppte und sich so an der Macht erhielt, änderte sich diese Situation (vgl. Zerrouky 2002: 28–34). Die Unterdrückung der FIS in den Folgejahren hatte diese dazu bewegt, auch Frankreich anzugreifen; französische Politiker, so das Argument, kooperierten schließlich mit der FLN und trugen zur massiven Unterdrückung der FIS bei (Boyer 1998: 201). 5 Zur Präsenz des algerischen Geheimdienstes in Frankreich und seinem Verhältnis zu den französischen Autoritäten, insbesondere zu den Netzwerken Charles Pasquas vgl. ebd.: 200–206.

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an, unter denen sich teilweise tatsächlich Anhänger der FIS oder gar Splittergruppen der GIA befanden (ebd.: 260 f.).6 Die polizeilichen Aktionen waren nicht unumstritten. Es wurde der Vorwurf eines Generalverdachtes gegenüber Muslimen und Musliminnen geäußert (Krosigk 2000: 260); zudem kamen Zweifel an der Beweislage auf, die die zahlreichen Festnahmen rechtfertigen sollten.7 Die Maßnahmen Charles Pasquas wurden jedoch medienwirksam verbreitet. Bei der französischen Bevölkerung lösten sie vermehrt Angst vor Angriffen durch „radikale Islamisten“ aus (Deltombe 2007: 189).8 Im Laufe der Jahre 1993 und 1994 wurden zahlreiche „islamistische Publikationen“ verboten9 und innerhalb einer zweiwöchigen Zeitspanne die Identitäten von über 27.000 Algeriern in Paris und anderen französischen Städten überprüft (ebd.: 209). Die Reaktionen in der französischen Bevölkerung hierauf beschreibt Deltombe als einen psychotischen Zustand („ tat de psychose“) (ebd.). In einem stetigen Spiraleffekt steigerten die Polizeirazzien und Festnahmen durch die französische Polizei die Angst vor dem „radikalen Islam“ und verliehen den Aktionen des Innenministeriums zu seiner Bekämpfung neue Plausibilität. Erneute Maßnahmen gegen die algerischen Islamisten entfachten erneute Debatten, innerhalb derer Pasqua sein wahlpolitisches Programm mit den Schlüsselthemen „innere Sicherheit“, „Banlieues“ und „Immigration“ entfalten konnte (ebd.: 205). Die Bekämpfung des „radikalen Islam“, für die Pasqua und seine Berater sich einsetzten, hatte zwar in erster Linie Anhängern der FIS sowie algerischen Terrorvereinigungen wie der GIA gegolten. Immer deutlicher schloss Pasqua jedoch auch die großen muslimischen Dachverbände UOIF und, wie Krosigk 6 Im November 1993 fand die Operation Chrysanth me statt, bei der 88 Personen festgenommen wurden, darunter vermutlich Personen, die mit der FIS oder der tunesischen Al-Nahda in Verbindung standen. 1994 wurde in Frankreich ein Netz der terroristischen GIA aufgedeckt und 70 Personen festgenommen (Krosigk 2000: 260 f.). 7 Am Abend der Operation Chrysanth me beispielsweise ist ein Großteil der Verhafteten wieder frei gelassen worden: Hinweise, die auf ein potentielles Attentat durch die Festgenommenen gedeutet und die Festnahmen legitimiert hätten, konnten nicht bestätigt werden (vgl. Deltombe 2007: 206). Insbesondere die von Pasqua postulierten Verbindungen der Fraternit alg rienne de France (FAF), von denen einige Mitglieder festgenommen worden waren, zur Front islamique du salut (FIS), waren nicht immer nachweisbar (ebd.). 8 Zur Hypothese gezielter Medienbeeinflussung durch Pasqua vgl. Deltombe 2007: 173 f.. 9 Constanze von Krosigk erklärt, dass von 1993 bis 1994 ca. 29 Publikationen verboten wurden, die in Zusammenhang mit dem Islam standen und antiwestliche oder antifranzösische Propaganda enthielten bzw. eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellten, in dem sie z. B. zum Terrorismus aufriefen (Krosigk 2000: 268). Besonderes Aufsehen hatte das Verbot von Le licite et l’illicite en islam (arab.: Al-Hala¯l wa-l-Hara¯m fı¯-l–Isla¯m, 1960) des international bekannten ˙ ˙ Predigers Youssef Al-Qaradawi erregt. Das Verbot war umstritten, weil der Autor an keiner Stelle zu Gewalt aufruft. Krosigk zitiert die Rechtfertigungsstrategie von Andr Damien, zwischen 1995 und 1997 Berater von Innenminister Pasqua in religionspolitischen Angelegenheiten: Das Buch sei wegen seines großen Erfolgs verboten worden – im Sinne einer pädagogischen Maßnahme (ebd.: 269 f.).

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vermuten lässt, die FNMF aus der Reihe der „guten“ islamischen Akteure aus (Krosigk 2000: 213, 233) und bereitete damit den Weg zur Gleichsetzung letzterer mit den gewaltbereiten algerischen Netzwerken in Mediendarstellungen und öffentlichen Debatten. Bereits 1992 war die UOIF im französischen Radiosender Antenne 2 der Nähe zur FIS bezichtigt worden, auch wenn dieses Gerücht schnell wieder dementiert wurde (Deltombe 2005: 167). Zugleich hatte sich der Verdacht verbreitet, die UOIF könne mit den ägyptischen Muslimbrüdern in Verbindung stehen (Silverstein 2004: 145)10 und von SaudiArabien oder Kuwait aus finanziert werden (Deltombe 2005: 169). Den Ruf eines konservativen Akteurs, der einen rigiden Islam vertritt, hatte der Dachverband bereits während der sogenannten ersten Kopftuchdebatte 1989 erworben: Seine Anhänger hatten die Debatte genutzt, um die UOIF als Institution zu profilieren, die sich für die Anliegen von Muslimen und Musliminnen engagiert (Pesch 2011: 393).11 Als im Zusammenhang mit den oben erwähnten Attentaten in Frankreich die Sorge vor einer „Radikalisierung“ von Jugendlichen in den Banlieues anstieg (Deltombe 2007: 190–192; Silverstein 2004: 133), vollzog sich in vielen Medien zunehmend eine rhetorische Gleichsetzung der Bedrohung, die von politisch-islamischen Gruppierungen in Algerien ausging mit den Gefahren durch diejenigen Akteure, die verdächtigt wurden, in den Banlieues einen rigiden Islam zu predigen wie insbesondere die UOIF (Deltombe 2007.: 213). In den Medien wurden beide Gruppen oftmals in kurzen Abständen zueinander erwähnt und somit unausgesprochen Zusammenhänge suggeriert. Innenminister Pasqua habe diese Parallelsetzungen ebenfalls reproduziert (vgl. ebd.). Im Rahmen seiner Argumentation zugunsten einer stärkeren Bekämpfung des „radikalen Islam“ brauchte Pasqua, so Deltombe, nun strategisch die Vorstellung eines „moderaten“, das heißt unpolitischen, Gewalt und Terrorismus ablehnenden Islam, der gefördert werden müsse (Deltombe 2007: 215). Auch die Medien entwarfen Konzepte von „liberalen Muslimen“ mit dem Ziel, die „Radikalen“ zu denunzieren. Deltombe bringt dies in seiner Analyse treffend auf den Punkt:

10 Frank Peter erklärt, dass die UOIF in der französischen Öffentlichkeit bis heute mit den Muslimbrüdern in Verbindung gebracht wird. Die Behauptung von Verbindungen zu dieser internationalen Organisation wird, so Peter, selten konkretisiert und von der UOIF-Führung zurückgewiesen. Gleichwohl finden sich unter den Referenzfiguren der UOIF bisweilen Personen, die den Muslimbrüdern angehör(t)en (Peter 2010: 153). Für eine kritische Diskussion der Verbindung von Muslimbrüdern und UOIF s. ebd.. 11 Während die Leitung der Moschee von Paris Musliminnen zu beschwichtigen versuchte und Boubakeur versicherte, dass die muslimischen Institutionen das Kopftuch nicht vorschreiben (Deltombe 2007: 221), hatten die UOIF und auch die FNMF das Kopftuch als koranische Pflicht verteidigt und sich für sein Tragen im Unterricht öffentlicher Schulen eingesetzt (Ternisien 2002: 140; Pesch 2011: 393). Die bis dahin unbekannte UOIF erlangte dadurch innerhalb von kurzer Zeit nationalen Bekanntheitsgrad (Peter 2010: 148; Pesch 2011: 84 f.) und wurde, so Peter, für ihre Unterstützung von kopftuchtragenden Mädchen stark kritisiert (Peter 2010: 148).

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Car, en pratique, l’int rÞt journalistique pour les „musulmans mod r s“ s’int gre dans le processus argumentatif de d nonciation de l’int grisme. En comparant le nombre de reportages consacr s respectivement l’islamisme et l’islam mod r , on constate que les quelques reportages qui visent valoriser le second ont pour fonction de l gitimer la profusion de ceux qui stigmatisent le premier. D’ailleurs, les „mod r s“ disparaissent des crans d s que „l’int grisme“ sort de l’actualit (ebd.: 217).

Insbesondere um das Jahr 1994 herum wurde in Mediendarstellungen ein regelrechter Kampf zwischen den „guten“ und den „schlechten“ Muslimen Frankreichs dargestellt (Deltombe 2007: 218; Silverstein 2004: 150). Das Konzept der schlechten, „radikalen Muslime“ wurde dabei mit den Eigenschaften extremistisch („extr mistes“), radikal („radicaux“), proselytisch („pros lytes“), vom Ausland beeinflusst („inspir s par l’ tranger“), an prekären Stätten versteckt („cach s dans des lieux pr caires“), aggressiv („agressifs“) und aus den Vororten kommend („des banlieues“) versehen (Deltombe 2007: 218 f.). Diese Elemente können als Bestandteile einer Äquivalenzkette aufgefasst werden, die den Identitätsmarker „Islamismus“ beziehungsweise, synonym dazu, den „radikalen Islam“ bestimmen. Sie markieren die antagonistische Opposition zum Marker „moderater Islam“, die über die Elemente friedlich („paisibles“), integriert („int gr s“), aufgeklärt („ clair s“), elitär („de l’ lite“), offen („ouverts“), republikanisch („r publicains“), französisch („franÅais“) oder laizistisch („la cs“) definiert sind (ebd.). Innenminister Pasqua griff die medial verbreiteten Identitätsmarker des radikalen und des moderaten Islam in Fernsehauftritten und Presseinterviews auf und erhob nun die Moschee von Paris zum Aushängeschild des letzteren (Deltombe 2007: 215 f.; Krosigk 2000: 233). Politisch vollzog er damit einen deutlichen Bruch mit der Islampolitik seines Vorgängers. Pierre Joxe (Innenminister von 1988–1991) hatte versucht, die Organisation von islamischer Praxis und Infrastruktur in Frankreich vornehmlich um diejenigen Akteure herum zu organisieren, die unabhängig von ausländischen Interessen agierten. Die Bedeutung der Moschee von Paris und ihres Rektors Tedjini Haddam versuchte er aufgrund von dessen algerisch-staatlichen Funktionen zu marginalisieren (vgl. Boyer 1998: 209; Fr gosi 2008: 224–226).12 Unter Jacques Chirac und Charles Pasqua wurde die Moschee von Paris hingegen als zentraler Ansprechpartner des französischen Staates revitalisiert (Telhine 2010: 319); die UOIF und die FNMF wurden hingegen bewusst marginalisiert. Die Zuschreibung des Identitätsmarkers „moderater Islam“ an die GMP zog konkrete politische Entscheide nach sich und war folglich mit machtpolitischen Konsequenzen für die GMP und die anderen islamischen Akteure in Frankreich verbunden. Ein Beispiel für eine Maßnahme zur Stärkung des islampolitischen Gewichts der Moschee von Paris war die Verordnung vom 12 Für eine ausführlichere Darstellung der Zusammensetzung, Aufgabenbereiche und Ziele des CORIF vgl. Boyer 1998: 209–213; Fr gosi 2008: 224–229; Godard/Taussig 2007: 166–169.

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15. Dezember 1994, mit der Pasqua der Institution das alleinige Kontrollrecht über die Zertifizierung hala¯l-geschächteten Fleischs in Frankreich zusprach. Die Moschee von Paris˙ sollte demzufolge als einzige Instanz befugt sein, Schächter zu bestimmen, die in ausgewählten Höfen für die Produktion rituell geschlachteten Fleisches sorgen (Krosigk 2000: 234 f.; Pizette 2015: 67). Zusätzlich wurde sie berechtigt, für jedes Kilo geschächteten Fleisches eine Gebühr zu erheben.13 Da die Vergabe von Schächterlizenzen eine wichtige Einnahmequelle bedeutet, reagierten andere muslimische Vereinigungen mit großen Protesten auf die mit der ministeriellen Verordnung verbundenen einseitigen Bevorzugung der Moschee von Paris (Krosigk 2000: 236), die kurze Zeit später zwar nicht aufgehoben, jedoch durch die Ausweitung auf zwei weitere Moscheen relativiert wurde (ebd.: 251).14 Wie angedeutet lehnte Pasqua den von Pierre Joxe gegründeten Comit de r flexion sur l’Islam en France (CORIF) ab. Der CORIF, so Pasqua, sei auf Anweisung der Regierung und nicht auf Wunsch muslimischer Akteure entstanden. Stattdessen bezeichnete der Innenminister die am 14. April 1993 gegründete und von Dalil Boubakeur präsidierte Coordination nationale des musulmans de France (CNMF) als gelungene Initiative, die die Muslime Frankreichs zu vereinen vermöge (ebd.: 232–234). Verschwiegen wurde hierbei die Tatsache, dass (auch) der CNMF kaum Repräsentativität beanspruchen konnte: Die anfänglich kooperationsbereiten Organisationen FNMF, UOIF, Association des tudiants islamiques de France (AEIF)15 und die Tabligh16 kritisierten schon nach kurzer Zeit die in ihren Augen überproportionale Machtposition der Moschee von Paris innerhalb des Gremiums und entzogen Boubakeur schließlich ihre Unterstützung (Boyer 1998: 215; Godard/Taussig 2007: 168; Sellam 2006: 291). Pasqua hielt in der Öffentlichkeit jedoch an seiner Rhetorik fest, der zufolge der CNMF die Muslime Frankreichs repräsentiere und fast vollständig vertrete. Dies wurde insbesondere in einem symbolischen, wenn auch nicht unumstrittenen Akt deutlich: Der ministeriellen Anerkennung der Charte du Culte Musulman, die Boubakeur dem Innenminister am 11. Januar 1995 im Namen des Conseil repr sentatif des musulmans de France (CRMF) (des ehemaligen CNMF) überreichte (Krosigk 2000: 236). Boubakeur hatte bekannte Islamologen mit der Redaktion des 13 Krosigk spricht von einer geschätzten Summe von 500.000 FF (ca. 75.000 Euro) pro Jahr (Krosigk 2000: 234). 14 Innenminister Jean-Louis Debr (1995–1997) folgte der Zentralisierung der Moschee von Paris, wie sein Vorgänger sie betrieben hatte, nicht, und weitete die Schächtungsverordnung im November 1995 auf die Moschee von Lyon und die Moschee von Evry aus (Pizette 2015: 66 f.).. 15 Die AEIF ist eine Studentenorganisation, die 1962 von dem Inder Muhammad Abdullah (1908–2002) gegründet worden war. Sie zählte zu den ersten Akteuren innerhalb des später einflussreichen mouvement associatif; viele ihrer Mitglieder standen später der UOIF nahe und beteiligten sich an deren Gründung (Peter 2010: 146). Für weitere Informationen vgl. ebd.: 146 f.. 16 Die 1927 in Indien gegründete DschamaCat al-Tabligh ist in Frankreich seit 1968 aktiv und vor allem über den seit 1972 gegründeten Verein Foi et Pratique organisiert (Godard 2007: 417 f.).

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Dokuments beauftragt (Godard/Taussig 2007: 168; Sellam 2006: 291), das kurz darauf auch in den Editions Rocher publiziert wurde und sich bis heute auf der Homepage der Großen Moschee von Paris findet (www Moschee von Paris/La Charte). Der 156 Seiten lange Text17 der, so Sadek Sellam, als antiintegristisches Manifest konzipiert ist (ebd.), beansprucht seinen Autoren zufolge, in fünf thematisch organisierten Kapiteln18 die Positionen eines moderaten, integrativen Islam zu definieren (Boubakeur 1995b: 34). Weil die Moschee von Paris in der Charta erneut zum Zentrum der Organisation islambezogener Angelegenheiten in Frankreich erhoben wurde und andere Akteure marginalisierte, hatten sich außer deren Vertrauten alle anderen Verbände gegen eine Unterschrift unter das Dokument entschieden (Godard/Taussig 2007: 168). Pasqua unterstützte die hegemonialen Bestrebungen Boubakeurs dennoch. Während einer offiziellen Zeremonie, in der ihm die Charta übergeben wurde, lobte er den CNMF als das erste Organ, mit dem die Muslime Frankreichs sich eine Repräsentation gegeben hätten (Krosigk 2000: 237). Zwei Monate später verlieh er Dalil Boubakeur die Würde der Ehrenlegion (Les insignes de chevalier de la l gion d’honneur); einen symbolträchtigen Verdienstorden, mit dem französische Bürger für ihre militärischen oder zivilen Dienste ausgezeichnet werden. In seiner Laudatio lobte Pasqua die Charta als außergewöhnlichen Erfolg auf dem Wege zu einer gelungenen Organisation und Standortbestimmung der Muslime in Frankreich (AN Boubakeur/L gion d’honneur). Deutlich setzte sich der Innenminister also über innermuslimische Koalitionen und Mehrheitsverhältnisse hinweg, als er die Moschee von Paris zur repräsentativen Institution des Identitätsmarkers „moderater Islam“ erheben wollte. Rapha l Liogier hat gezeigt, dass die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Versionen von Religionen ein fester Bestandteil der französischen Religionspolitik ist. Dies trete auch am Beispiel des Islam und seiner diskursiven Zweiteilung in eine gute, moderate Variante und in ihr schlechtes, fundamentalistisches Gegenstück deutlich hervor (Liogier 2006: 59; vgl. Silverstein 2004: 150). Die Konstruktion eines mit der Republik kompatiblen Islam und seines antagonistischen Gegenparts durchzog zudem kolonialpolitische Argumentationen, auf die heute auch vom unabhängigen algerischen Staat rekurriert wird. Die in den vorausgehenden Kapiteln beschriebenen Identi17 In der Ausgabe von 1995, d. Du Rocher, inklusive Anhang mit Erläuterungen von Dalil Boubakeur. 18 Kapitel 1 beschäftigt sich mit Grundprinzipien und Voraussetzungen der Organisation von Muslimen in Frankreich; Kapitel 2 fokussiert die Werte, zu denen Muslime in Frankreich sich bekennen; Kapitel 3 macht konkrete Vorschläge, wie die Moscheen und Imame in Frankreich in ein hierarchisiertes Organisationsmodell eingepasst werden können; Kapitel 4 bespricht das Verhältnis von Islam und französischer Republik zueinander und Kapitel 5 thematisiert das Verhältnis des Islam zu anderen Religionen.

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tätsmarker dürfen also nicht lediglich als Produkt rezenter Debatten interpretiert werden. Sie sind vielmehr Reaktualisierungen diskursiver Strukturierungen, die historisch älter und zudem transnational vorhanden sind. Dies soll im Folgenden in Hinblick auf den algerischen Kontext erläutert werden, was einen kurzen historischen Exkurs erfordert. In Teil 2 wurde gezeigt, dass französische Politiker mit der Großen Moschee von Paris einen Ort in Frankreich kreierten, an dem das diskursive Konstrukt eines moderaten, unpolitischen und als authentisch-orthodox deklarierten Islam sichtbar gemacht werden konnte. Dieser mit der französischen Republik freundschaftlich verbundene Islam stand unter anderem auch im Dienst der Marginalisierung von politisch aktiven Aufständischen, die sich im Namen des Islam gegen die Kolonialmacht organisierten. Implizit waren also auch hier diskursive Abgrenzungen zwischen akzeptierten und nicht akzeptierten Islamversionen erkennbar. Weitaus umfangreicher und komplexer ist die Situation in den Kolonien und Protektoraten, in denen verschiedene französische und nichtfranzösische Akteure um die Bestimmung politisch instrumentalisierbarer Identitätsmarker von „Islam“ rangen. Obwohl sich auch in Algerien vielerorts lokale und regionale Allianzen und Gegenallianzen ausbildeten, die schwerlich mit einer konsistenten Unterscheidung in favorisierte moderate und abgelehnte radikale Islamauslegungen erfassbar sind, so hat Ali M rad doch die deutlichen Tendenzen französischer Politiker beschrieben, einen moderat-traditionellen antagonistisch von einem militant-radikalen Islam abzugrenzen. So wurden Träger von Sufibruderschaften, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts oftmals mit der Kolonialmacht kooperierten (McDougall 2006: 103 f.; M rad 1970: 51–54),19 positiv als Repräsentanten eines moderaten und damit für die Kolonialmacht akzeptablen Islam angesehen; der entsprechende Identitätsmarker wurde beispielsweise über die Elemente Konservatismus („conservatisme“), Verhaftung in Traditionen und Riten („strictement attach aux traditions, rites, us et coutumes locaux“) sowie Unempfänglichkeit für Gedankengut aus Saudi-Arabien, Ägypten oder Syrien („insensibles l’ volution de l’islam contemporain“); definiert (M rad 1970: 51 f.). Die entsprechende Negativfolie, der „radikale Islam“, wurde insbesondere seit den 1930er Jahren mit dem sogenannten algerischen Reformismus verbunden, der sich zu dieser Zeit im ganzen Land ausbreitete (ebd.: 51, 132, vergleiche Kapitel 4.3.3.). Die Anhänger dieser Reformbewegung kritisierten die französische Verwaltung des Islam und später 19 Im 19. Jahrhundert hatten viele Sufi-Gelehrte zum djiha¯d gegen die französische Kolonialmacht aufgerufen, die ihre Religion zu zerstören drohe. Die teils breiten und wirksamen Aufstände endeten jedoch größtenteils mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, als viele Sufi-Autoritäten begannen, eine eher kooperative Haltung einzunehmen: Sie riefen ihre Anhänger zu politischer Neutralität gegenüber den Kolonialherren auf und erhielten im Gegenzug politische Unterstützung vor allem im Wettbewerb mit den Vertretern des algerischen Reformislam, den auch sie als Feind betrachteten (M rad 1999: 52–54).

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auch allgemein die Kolonialherrschaft scharf (ebd.: 74 f.; Ageron 1979: 335–347)20 und wurden von französischen Kolonialbeamten aufgrund ihrer politischen Einstellung als gefährlich eingestuft und im Laufe der Zeit einer zunehmenden Überwachung unterstellt (M rad 1970: 80, 130–143). Die reformislamischen Akteure selbst konstruierten jedoch einen Identitätsmarker „Islam“, dessen Äquivalenzkette sich aus Elementen wie Reformbewusstsein, Anpassung an die Moderne, Fortschritts- und Wissenschaftsorientiertheit, allgemeinem Streben nach Wissen sowie Rationalismus zusammensetzte und zudem mit nationalem Stolz und selbstbewusstem Zurückweisen französischer Überlegenheit verknüpft war (McDougall 2006: 110 f.; M rad 1970: 77 f.; Deeb 1997: 119). Gleichzeitig reproduzierten sie ein französisch-orientalistisches Narrativ, demzufolge die algerische Bevölkerung von der Praxis eines authentischen Islam der Ursprungszeit sowie von den Werten und der spezifischen Identität islamisch-arabischer Zivilisation abgekommen war (McDougall 2006: 108–110). Ähnlich wie es bisweilen unter französischen Orientalisten zur Sprache gekommen war, so gingen auch die Reformer von einem desolaten Zustand der algerischen Bevölkerung aus, deren Glaubensansätze und Praktiken ein Konglomerat aus volkstümlichen und eigentlich unislamisch-verwerflichen Handlungsweisen darstellte. Dieser Zustand müsse überwunden und die Bevölkerung zu ihrer wahren, islamisch geprägten Persönlichkeit, zu den Kernwerten ihrer Zivilisation zurückgeführt werden (ebd.). Das Konzept einer äußerst positiv bewerteten, arabo-islamischen Hochzivilisation wurde auch bei den Reformdenkern mit demjenigen einer ganz anderen französischen Zivilisation kontrastiert (ebd.: 92–96); anders als es im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten der GMP proklamiert worden war, sollte diesmal jedoch nicht die französische Kolonialmacht die Algerier auf dem Weg zurück zu ihrer eigentlichen Bestimmung begleiten, sondern letztere sollten diesen Weg selbst und durch Abschüttelung der Kolonialmacht gehen (ebd.: 135 f.). McDougall hat eindrücklich dargelegt, dass die Konzeptualisierung der arabisch-islamischen Zivilisation durch reformislamische Akteure in Algerien zwar schließlich an regionale Deutungsmuster anschloss, zugleich aber auch französische Vorstellungen von Zivilisation reproduzierte (vgl. ebd.: 157–167). Auch das Islamverständnis dieser Akteure war so eng an französischen und französisch-orientalistischen Schablonen orientiert, dass McDougall es gar mit dem Titel des jakobinischen Islam versah (vgl. ebd.: 110–137). St phane Papi und Mary-Jane Deeb haben gezeigt, dass der algerische Staat nach der Unabhängigkeit des Landes verschiedene aus Frankreich bekannte Maßnahmen zur Kontrolle der islamischen Infrastruktur übernahm (Deeb 1997: 122; Papi 2010: 492 f.) und zudem die Gegenübersetzung eines mode20 Eine differenzierte Darstellung der unterschiedlichen und sich im Laufe der Zeit wandelnden Einstellungen der reformislamischen Akteure gegenüber der Kolonialmacht und den nationalistischen Unabhängigkeitsbewegungen Algeriens wird in McDougalls Publikation History and the Culture of Nationalism in Algeria (2006) entfaltet.

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raten, förderungswürdigen sowie eines radikalen, zu bekämpfenden Islam beständig reproduzierte. Ähnlich wie zuvor die französischen Kolonialpolitiker popularisierten und förderten auch algerische Staatsvertreter nach der Unabhängigkeit ein Konzept von Islam, das sie für kompatibel mit der algerisch-nationalen Identität hielten (Deeb 1997: 122).21 Zu den Trägern dieses Islam erhob die nun regierende FLN die Anhänger des algerischen Reformislam, die sie in ihre Ränge integrierte und mit der Verwaltung islamischreligiöser Angelegenheiten betraute (Zebiri 1993: 208).22 Der zu fördernde Islam wurde dabei auch immer wieder als eine Religion der Rationalität und des (wohltemperierten) Fortschritts definiert (Papi 2010: 492). Hierbei handelt es sich abermals lediglich um eine grobe Skizzierung hegemonialer Identitätsmarker, mit denen sich natürlich nicht alle Regierungsvertreter identifizierten. Vor allem in der Praxis ist eine sehr viel komplexere Debatte sowie ein vielschichtiges Taktieren des Staates mit verschiedensten islamischen Akteuren zu beobachten (vgl. Scheele 2007; Boubekeur 2008). In den 1980er Jahren gewann die bereits erwähnte Bewegung an Einfluss, die eine umfassende Reislamisierung Algeriens forderte und sich seit 1989 hauptsächlich über die FIS organisierte. Ihre Anhänger prangerten das Bild eines islamfreundlichen algerischen Staates als ein von der Regierung selbst inszeniertes Scheinbild an.23 Diese Haltung wies dabei auffällige Parallelen zu den Positionen auf, die Nationalisten wie Messali Hadj oder die Anhänger der algerisch-islamischen Reformbewegung ein halbes Jahrhundert zuvor gegen den französischen Staat gerichtet hatten (vgl. Deeb 1997: 125). Als die algerische Militärregierung der FLN den Wahlsieg der FIS im Jahre 1991 nicht anerkannte und ihre Regierungsübernahme nur noch durch einen Militärputsch und die Beendigung von demokratischen Wahlen sichern konnte, rekurrierten FLN-Akteure umgekehrt auch auf diskursive Muster, die bereits innerhalb der französischen Kolonialregierung zur Bekämpfung unerwünschter politisch-islamischer Strömungen instrumentalisiert worden 21 Dies geschah durch eine staatliche Monopolisierung von Moscheebauten, durch das Vorschreiben von Freitagspredigten, die Ernennung von staatlichen Imamen, die Verwaltung der awqa¯f oder durch einen staatlichen Religionsunterricht (Deeb 1997: 122). Für die Militärregierung der FLN stellte der Identitätsmarker „Islam“ die bedeutendste Referenz dar, auf die die unterschiedlichen Bevölkerungsteile in Algerien sich beziehen und den sie als Gemeinsamkeit wahrnehmen konnten. Die nationale Identität musste folglich eine islamische sein (Papi 2010: 492). 22 Eine ausführliche Analyse des konflikthaften Verhältnisses der Association des Ul mas Musulmans Alg riens (AUMA), – 1931 zur Organisation der Reformprediger gegründet -, zur algerischen FLN sowie der schwierigen Verhandlungen, die während des Unabhängigkeitskriegs um die Bedeutung der Reformprediger geführt wurden, findet sich bei McDougall 2006: 137–143. Zum Verhältnis der Reformprediger zur FLN-Regierung nach der algerischen Unabhängigkeit vgl. Ahnaf/Botiveau u. a. 1991: 23–26). 23 Eine ausführliche Darstellung dieser Bewegung, ihrer Entstehungsgründe, der beteiligten Akteure sowie der Zielsetzungen und Strategien dieser Bewegung sowie der FIS-Führer ist das Buch L’Alg rie par ses islamistes von Mustafa Al-Ahnaf, Bernard Botiveau und Franck Fr gosi (1991).

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waren. Während des 1991 ausbrechenden Bürgerkriegs reproduzierten algerische Regierungsmitglieder ebenfalls den Identitätsmarker des „radikalen“ oder „fundamentalistischen Islam“, um ihre Gegner zu stigmatisieren. Genau wie französische Kolonialverwalter in den 1930er Jahren wiesen sie diesem Marker die Merkmale „gewaltbereit“, „gegen den Staat gerichtet“, „politisch“, „gefährlich“ und „wahhabitisch“ bzw. „von Saudi-Arabien finanziert“ zu. Laut Zebiri importierten sie dabei aus Europa auch den Begriff Fundamentalismus (arab.: usu¯liyya) zur Bezeichnung der FIS (Zebiri 1993: 212). ˙ Die Negativbesetzung des Wahhabismus zu dieser Zeit ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die saudische Monarchie gegen die sozialistische Regierung Algeriens gerichtet und insbesondere infolge des Ölbooms der 1970er Jahre in Verdacht geraten war, gewaltbereite und antistaatliche Islamauslegungen in Algerien finanziell zu unterstützen; das wahhabitische Saudi-Arabien war folglich zunehmend zu einem Feindbild für die algerische Regierung geworden (Deeb 1997: 207). In den 1930er Jahren hatten französische Kolonialherren die unerwünschte algerisch-islamische Reformbewegung jedoch auch als wahhabitisch klassifiziert (M rad 1970: 192 f.). „Wahhabismus“ ist folglich ein Element, das in unterschiedlichen Zusammenhängen in die Äquivalenzkette des Identitätsmarkers „radikaler Islam“ gestellt und damit abgelehnt wird, ohne dass damit jeweils die gleichen Inhalte oder Auslegungspraktiken bezeichnet würden.24 Diese kurze Skizze französisch-kolonialer sowie algerisch-staatlicher Diskurspositionen ermöglicht eine umfassendere Verortung der eingangs dargestellten Islampolitik Charles Pasquas in den 1990er Jahren. Weil politische Konstellationen im kolonialen Algerien eine komplexe transnationale Verflochtenheit der Identitätsmarker „moderater“ und „radikaler Islam“ hervorgebracht hatten, konvergieren die Argumentationsmuster Charles Pasquas mit jenen algerischer Politiker in den 1980er und 1990er Jahren. Diese Marker 24 Auch die muslimischen Akteure, die den Reformislam in Algerien als häretisch verurteilten, nutzten den Marker „Wahhabismus“ zur Klassifizierung der Reformprediger. M rad erklärt, dass die in Algerien vor dem Aufkommen des Reformislam etablierten Träger „islamischer Orthodoxie“ eine starke Ablehnung gegenüber diesem „Wahhabismus“ entwickelten und den Begriff als eine Beleidigung empfanden, den sie zur Stigmatisierung des Gegenübers verwendeten (M rad 1971: 192). Die Reformprediger in den 1930er Jahren wurden aus unterschiedlichen Gründen mit den Markern „Wahhabismus“ oder „Salafismus“ versehen: Zum einen, weil sie sich an den Ideen Raschid Ridas orientierten, der wie der saudische Abd Al-Wahhab intensiv das Werk von Ibn Taymiyya rezipierte und Konzepte wie den Rekurs auf die Altvorderen (alsala¯f) oder das Konzept der unrechtmäßigen Erneuerung (bidCa) in sein Werk integriert hatte, ˙ um sufistische Praktiken in Frage zu stellen; zum anderen, weil sie den saudischen König und seine in ihren Augen strikte Umsetzung islamischer Orthodoxie als Vorbild bezeichneten (M rad 1971: 192). Die Akteure, die seit den 1990er Jahren – in Europa vermehrt seit den 2000er Jahren – als Salafisten oder Wahhabiten bezeichnet werden, vertreten höchst diverse, jedoch keineswegs die gleichen theologischen und politischen Positionen wie die Reformer zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

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weisen dabei eine besondere Überdeterminiertheit auf, die in den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Nochmals zusammengefasst hatten Vertreter der reformislamischen Bewegung in Algerien beispielsweise zeigen wollen, dass der Islam im Gegensatz zu orientalistischen Vorstellungen jener Zeit sehr wohl wissenschafts- und fortschrittsfähig sei. Sie konzeptualisierten muslimische Identität also in mehrerlei Hinsicht als gegensätzlich zu denjenigen Bestimmungen des Islam, die durch französische Akteure hervorgebracht worden waren. Zugleich aber reproduzierten viele der Reformprediger die Auffassung, dass sich algerische und französische Identität radikal voneinander unterschied. Der Identitätsmarker „Islam“, den sie popularisierten, enthielt folglich Elemente, die in antagonistischer Abgrenzung zum Konzept „Frankreich“ definiert wurden (zum Beispiel die Bestimmung einer spezifisch islamischen (= nichtwestlichen) Moral, islamischer Werte und islamischer Wissenschaft); zugleich aber auch solche, die auch in Bestimmungen von französisch-republikanischer Identität auftauchten und von Seiten französischer Akteure teils als antiislamisch gewertet worden waren (beispielsweise Moderne, Fortschrittsfähigkeit, Rationalität und Wissenschaftlichkeit (vgl. Pesch 2011: 196–198, 454–464). Als Regierungsvertreter Algeriens seit der Unabhängigkeit ihres Landes einen moderaten Staatsislam propagierten und diesen als zentrale Komponente algerisch-nationaler Identität definierten (vgl. Dennerlein 1998: 19–24), reproduzierten sie in Grundzügen reformislamische Bestimmungen von „Islam“ als fortschrittlich und modern. Aber auch die Bestimmungen der Identitätsmarker „moderater“ und „radikaler Islam“ sind miteinander verflochten. Die Elemente des saudi-arabisch-wahhabitischen Einflusses oder der Politisierung und Wendung gegen den Staat bilden beispielsweise eine gemeinsame Äquivalenzkette des politisch instrumentalisierten Identitätsmarkers „radikaler Islam“, den es polizeilich zu überwachen und einzudämmen gilt. Die Konzeptualisierung seiner moderaten Gegenfolie über die Elemente Fortschrittsorientiertheit oder Politikabgewandtheit und Akzeptanz bestehender staatlicher Strukturen sowie die Lokalisierung dieses Markers an der Großen Moschee von Paris stellen ebenfalls Parallelen dar. Dass die Moschee von Paris unter Charles Pasqua als Bastion gegen den „radikalen Islam“ revitalisiert wurde, wurde in diesem Kapitel ausführlich nachgezeichnet. Bezüglich des algerischen Kontextes erklärt Alain Boyer Ähnliches: Nachdem die Regierung Algeriens zuvor den Nutzen dieses für den algerischen Staatshaushalt kostspieligen Moscheebetriebs immer wieder in Zweifel gezogen hatte, konnte der Erfolg der FIS Ende der 1980er Jahre die Regierungsmitglieder davon überzeugen, dass die Moschee als Bollwerk des „Anti-Islamismus“ aufrecht erhalten werden müsse (Boyer 1992: 53, 57). An der Großen Moschee von Paris treffen folglich nun Kon- und Divergenzen in den französisch- sowie algerisch-staatlichen Konzeptualisierungen von moderatem Islam aufeinander. Die politischen Konsequenzen dieser Konstellation können am Beispiel der Diskussion um die Kontrolle und Aus-

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bildung von Imamen, einem wichtigen islampolitischen Handlungsfeld in beiden Ländern, verdeutlicht werden. 3.1.2. Die Konzepte des moderaten und radikalen Imam In Frankreich hatten Mitarbeiter des französischen Innenministeriums bereits im Kontext des Zweiten Golfkriegs (1990–91) die Sorge vor antifranzösischem Gedankengut in den Predigten von Imamen geäußert. Das Innenministerium hatte begonnen, sie und ihre Reden zu überwachen (GL Formation des imams: 16). Ab 1993 avancierte die Fokussierung auf die Kontrolle von Imamen gar zu einem zentralen Bestandteil linker wie rechter Sicherheitspolitik (Jouanneau 2009; Krosigk 2000: 263). Wie schon ihr Vorgänger Paul Quil s (1992–1993) machten sich die Innenminister Pasqua (1993–1995) und Debr (1995–1997) in diesem Zusammenhang für eine strenge Visapolitik gegenüber Imamen stark, mit der sie ihre Einreisegesuche nach Frankreich zunehmend ablehnten oder ihnen Aufenthaltsberechtigungen entzogen (Krosigk 2000: 263–265). Solenne Jouanneau hat detailliert nachgezeichnet, wie verschiedene französische Ministerien und Autoritäten seit den 1990er Jahren versuchten, über Visa- und Einreisebestimmungen für ausländische Imame eine gewisse Kontrolle über dieses religiöse Personal auszuüben (Jouanneau 2009). Die Konzeptualisierung von Imamen schrieb sich dabei in die oben dargestellte Dichotomiebildung zwischen einem radikalen Islam und seinem gewünschten moderaten Gegenstück ein. So wurde zum einen das Bild des extremistischen, in Frankreich unerwünschten Imam konstruiert und über Elemente wie die folgenden definiert: Er ist ausländischer Herkunft, spricht kein Französisch, betreibt antifranzösische Propaganda und predigt gegen die republikanischen Werte. Charles Pasqua äußerte sich laut Krosigk am 8. November 1994 folgendermaßen: Je regrette qu’on ait donn , dans le pass , des autorisations de s jour des imams de nationalit trang re ne parlant pas le franÅais, car on arrive au comble de l’absurde (Pasqua zitiert nach Krosigk 2000: 264).

Le Monde umschrieb den Standpunkt Charles Pasquas darüber hinaus so: Il n’acceptera pas que, sur notre sol, des gens de nationalit trang re, qui viennent pour conduire la pri re et se transforment en propagandistes anti-franÅais, prÞchent contre les institutions de la R publique et pr nent l’affrontement, ici ou ailleurs (Chambraud 09. 11. 1994).

Die Forderungen anderer Innenminister folgten diesen Bestimmungen. So habe Pierre Joxe gegen die Imame kämpfen wollen, deren Positionen fundamentalistisch, intolerant und gewalttätig („int gristes, intol rants, violents“) seien (Jouanneau 2009: 148). Jean-Louis Debr habe Imame fördern wollen, die Französisch sprechen und eine mit den fundamentalen Prinzipien der

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Republik vereinbare Lehre vertreten („qui enseignent une doctrine compatible avec les principes fondamentaux de la R publique“, ebd.)25 und Jean-Pierre Chev nement habe vor allem die Präsenz von Imamen einschränken wollen, die unter dem Einfluss ausländischer Netzwerke standen (ebd.). Zugleich kündigten verschiedene politische Akteure an, die Ausbildung französischsprachiger und gut integrierter Imame in Frankreich zu fördern (ebd.: 149). Auch Charles Pasqua, so berichtete Le Monde, habe seine Intention kundgetan, auf französischem Boden die Ausbildung französischer Imame zu unterstützen (Chambraud 09. 11. 1994). Wie das Konzept des radikalen Islam mit der Gegenfolie des moderaten Islam versehen worden war, so wurde dem radikalen Prediger nun also der französische Imam gegenübergestellt. Dass die Definition des moderaten, oder, wie Jouanneau es ausdrückt, des guten Imam („bon imam“) auch innerhalb der französischen Politik ein umkämpfter Identitätsmarker war, der in den verschiedenen Ministerien unterschiedlichen Prioritäten entsprechend auch unterschiedlich bestimmt wurde, hat Jouanneau ausführlich dargelegt (Jouanneau 2009: 153–158).26 Diese Ausführungen belegen, dass die Rede von der französischen Islampolitik unmöglich ist, betrachtet man die vielfältigen und diversen Interessen sowie Strategien, die pro Ministerium jeweils ausgehandelt wurden. Deutlich war jedoch die lagerübergreifende Tendenz mehrerer Politiker, Imamausbildungsstätten in Frankreich zu unterstützen und auf diese Weise moderate und mit dem französischen Kontext vertraute Imame auszubilden (ebd.: 148). Bereits Ende der 1980er Jahre hatten auch namhafte Wissenschaftler wie Mohammed Arkoun, Bruno Etienne, Ali M rad oder Etienne Trocm für die Ausbildung muslimisch-religiöser Experten an französischen Universitäten oder Instituten plädiert (GL Formation des imams: 2; vgl. Messner 1998) und auch muslimische Akteure in Frankreich diskutierten diese Frage nun vermehrt. Während die beiden großen Dachverbände UOIF und FNMF bis anhin vornehmlich um Anerkennung seitens der politischen Autoritäten geworben oder Lizenzen zur Organisation islamisch geschächteten Fleisches angestrebt hatten, nahmen sie zu Beginn der 1990er Jahre die Forderung nach guten 25 Jean-Louis Debr erwähnte laut Krosigk zudem die Elemente des Hasses, des Antisemitismus und der Befürwortung von Gewalt, als er das Bild eines abzulehnenden Imam erwähnte: „On ne peut tol rer que des imams profitent de leur statut pour pr ner violence, haine et antis mitisme (…). Et cela m’a conduit renvoyer en ,urgence absolue‘ des imams qui s’ taient livr s de tels d bordements“ (Debr zitiert nach Krosigk 2000: 265). 26 Jouanneau belegt beispielsweise, dass die Renseignements g n raux, die die Imamdossiers zuerst beurteilen, vor allem von sicherheitspolitischen Interessen geleitet sind, also Kriterien wie Gewaltbereitschaft oder Verbindungen zu gewaltbereiten Gruppierungen zu Grunde legen. Visa für Imame, die bereits durch die Regierungen des Herkunftslandes geprüft wurden, werden dabei deutlich häufiger dargestellt als andere. Das Bureau central des cultes, dem die Gesuche ebenfalls vorgelegt werden, beurteilt hingegen vielmehr, ob die Imame die französische Sprache beherrschen und Integrationsbereitschaft in die französische Gesellschaft zeigen (Jouanneau 2009: 153–155; 157–159; für weitere Informationen, vgl. ebd.: 153–165).

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Ausbildungsmöglichkeiten muslimisch-religiösen Personals in ihre Agenden auf (GL Formation d’Imams: 7). Wenig später eröffneten sie jeweils ein privates islamisches Institut, an dem allgemein islamisches Wissen gelehrt oder konkret religiöses Personal beziehungsweise Imame ausgebildet werden sollten.27 Dass die Ausbildung französischer Imame spätestens seit 1993 zu einer zentralen Forderung der französischen Innenpolitik wurde (Peter 2003: 21; Krosigk 2000: 217), ist vermutlich auch im Zusammenhang mit der Gründung dieser privaten, muslimischen Institute zu sehen: Französische Verantwortliche, so Franck Fr gosi, investierten zwar nicht direkt und umfassend in die Gründung von Ausbildungsstätten in Frankreich (Fr gosi 2005; GL Formation des imams: 7), was schließlich auch in Konflikt mit dem französischen Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche gestanden hätte.28 Dennoch handelte es sich um einen (weiteren) Bereich, in dem Charles Pasqua der GMP besondere Unterstützung zukommen ließ und andere islampolitische Akteure zu marginalisieren suchte. Auch an der GMP eröffnete am 4. Oktober 1993 ein Ausbildungsinstitut: Das Institut de th ologie, das sich im Unterschied zu den beiden anderen Instituten dezidiert als Imamausbildungsstätte verstand (GL Formation des imams: 58) und so eine Verbindung mit den Interessen der französischen Innenpolitik vermuten ließ. Verschiedene Quellen verdeutlichen, dass Innenminister Charles Pasqua ein solches Institut an der GMP als regierungstreue Alternative zu den beiden kürzlich eröffneten Instituten der UOIF und der FNMF verstanden hatte und in der Folge durch verschiedene Maßnahmen in den Mittelpunkt rückte (vgl. z. B. Krosigk 2000: 221). Jocelyne Cesari merkt hierzu an: Ainsi, a t inaugur le 17 novembre 1993, un Institut de formation des imams sous l’ gide de la Grande Mosqu e de Paris et avec l’aval du ministre de l’Int rieur. Cette cr ation appara t comme une initiative concurrente des deux tentatives voqu es et s’inscrit dans une perspective de gallicanisation des futures autorit s religieuses sous la houlette du recteur de la Grande Mosqu e (Cesari 1994: 155).

Das IESH der UOIF war unter anderem von privaten Organisationen aus den arabischen Golfstaaten finanziert worden (Krosigk 2000: 218; Fr gosi 1998: 27 Im Januar 1992 wurde zunächst das von der UOIF initiierte Institut Europ en des Sciences Humaines (IESH) eröffnet, das bis heute mit Erfolg betrieben wird. Wenig später, im Juli 1992, gründete ein in der FNMF engagierter französischer Konvertit, Didier Ali-Bourg, die Universit islamique de France (UIF), die im Oktober 1993 offiziell eröffnete und später von der saudisch geförderten Islamischen Weltliga teilfinanziert wurde (Krosigk 2000: 219 f.). Die UIF existiert heute nicht mehr (GL Formation des imams: 4). Das IESH und die UIF stellten damals eher allgemeine Lehrstätten dar, aus denen unter anderem muslimisch-religiöse Experten hervorgehen konnten. Eine detaillierte Auflistung der jeweiligen Studiengänge und -programme findet sich in Fr gosi 1998. 28 Aus diesem Grund wurden der Regierung Vorschläge zur Eröffnung einer Fakultät muslimischer Theologie in Straßburg gemacht (vgl. Messner 1998). Straßburg gehörte 1905, zur Zeit der Verabschiedung des Laizitätsgesetzes, zu Deutschland; die Gesetze zur Trennung von Staat und Kirche werden hier bis heute nicht angewendet (vgl. Boyer 1993: 187–206).

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113); sein wissenschaftlicher Rat bestand unter anderem aus dem ägyptischen Muslimbruder Yusuf al-Qaradawi (Fr gosi 1998: 111), was verschiedene Akteure vermuten ließ, es werde dort ein mit dem französischen Lebenskontext nicht kompatibler Islam gelehrt. So sprachen sich der bekannte Historiker Mohammed Arkoun sowie der französische Staatssekretär Kofi Yamgnane gegen das Institut aus und Erziehungsminister Jospin (1990–1992) verweigerte ihm gar den Status eines tablissement d’enseignement sup rieur priv (Krosigk 2000: 218 f.; Fr gosi 1998: 111–113; Peter 2010: 150 f.), der mit erheblichen finanziellen Vorteilen verbunden gewesen wäre. Yamgnane vertrat die Auffassung, das Institut würde keine Imame produzieren, die sich für Integration einsetzen (Krosigk 2000: 219; Fr gosi 1998: 111–113). Die französische Regierung hat zudem, so Krosigk weiter, Einreiseanträge für Personen aus verschiedenen Ländern abgelehnt, die als Studierende oder Lehrende an das IESH in Frankreich kommen wollten (ebd.).29 Das Institut der GMP hingegen wurde 1993 mit großem Pomp und im Beisein von Innenminister Pasqua und Kulturminister Jacques Toubon (1993–1995) eingeweiht (Fr gosi 1998: 107). In seiner Rede am Tag der Eröffnung bekundete Pasqua sein Interesse am Erfolg des Imamausbildungsinstituts der Moschee, die er abermals als Zentrum der Französisierung des Islam bezeichnete (Krosigk 2000: 221). Dass französische Regierungsmitglieder die GMP mit Nachdruck zum Modell eines förderungswürdigen, moderaten Islam machen wollten, zeigen insbesondere auch interne Dokumente, in denen Vertreter des Innenministeriums den desolaten Zustand der Ausbildungsstätte nach ihrer Eröffnung beklagten und die Notwendigkeit bekundeten, diese Situation zu ändern. In einer Mitteilung vom 16. November 1993 beispielsweise beklagte ein Mitarbeiter des Innenministeriums, dass das von Boubakeur gegründete Institut nur auf dem Papier existiere und seit seiner Gründung nichts zur Umsetzung und zur Aufnahme eines reellen Unterrichtsbetriebs unternommen worden sei (AN Institut de th ologie). Man müsse, so heißt es weiter, Dalil Boubakeur verständlich machen, dass er seinen Anspruch auf Repräsentativität und folglich die politische Unterstützung französischer Autoritäten verliert, wenn er nicht wie andere muslimische Organisationen in der Lage ist, erfolgreich ein Ausbildungsinstitut zu betreiben (ebd.). Einen Monat später bestätigte Staatsberater Andr Damien in einer weiteren Mitteilung, die Moscheeleitung habe noch immer nichts zur Errichtung des Instituts unternommen und könne weder Studierende, noch Lehrpersonen, ein Unterrichtsprogramm oder ein Diplom aufweisen (AN Situation de la mosqu e). Damien folgerte, Dalil Boubakeur sei bedauerli29 Vgl. in diesem Zusammenhang den Kommentar Solenne Jouanneaus, dass die Ablehnungsrate von Visagesuchen durch Imame, die nicht von ausländischen Regierungen geprüft oder gar offiziell nach Frankreich entsandt wurden, deutlich höher war als beispielsweise die Quote der aus Algerien entsandten ELCO-Imame oder solchen, die unter der Kontrolle der marokkanischen oder türkischen Regierung standen (Jouanneau 2009: 154).

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cherweise nicht in der Lage, französische Imame auszubilden und den Islam in Frankreich zu organisieren. Er schlug vor, aus diesem Grunde vorerst nicht weiter auf ihn zuzugehen (ebd.). Dass französische Innenpolitiker so konkret in die Ausbildung muslimischreligiöser Experten eingriffen und gar Sanktionen ankündigen, wenn ein Akteur ihrer Forderung nach Eröffnung eines Ausbildungsinstituts nicht nachkommt, ist angesichts des französischen Gesetzes zur Trennung von Staat und Kirche erstaunlich. Wie die weiter oben bereits erwähnte Unterscheidung in eine gute und in eine schlechte Version jeder Religion, so stellt jedoch auch der Wunsch nach Ausbildung religiöser Experten in Frankreich eine Reminiszenz an Diskurspositionen dar, die in verschiedenen historischen Kontexten Frankreichs verankert sind. Francis Messner hat gezeigt, dass die Organisation und Finanzierung von katholischen Priestern und jüdischen Rabbinern vor 1905 ein ebenso wichtiges Anliegen des französischen Staates war wie der Wunsch, sie von ausländischen Einflüssen unabhängig zu machen und vollständig den Entscheidungen des Thrones zu unterstellen (Messner 2010: 13–17). Franck Fr gosi erwähnt zudem, dass die Ausbildung religiöser Experten zumeist Bestandteil französisch-staatlicher Versuche darstellt, Religionsgemeinschaften zu organisieren (Fr gosi 2010: 101).30 Diese religionspolitischen Handlungsmuster haben verschiedene Autoren dazu veranlasst, die staatlichen Versuche zur Organisation einer Imamausbildung in Frankreich als Gallikanisierung des Islam zu bezeichnen (vgl. obiges Zitat Cesari 1994: 155; Peter 2003: 20). In diesem Zusammenhang muss jedoch auch die koloniale Praxis der Ausbildung und Kontrolle von Imamen in Algerien erwähnt werden. Gemeinhin als gallikanisch klassifizierte Strategien wurden noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auf die Verwaltung muslimisch-religiösen Personals in der algerischen Kolonie angewandt (vgl. Henry 2003: 241). Als die französische Regierung zu Beginn der 1930er Jahre zunehmend den Einfluss der als gefährlich eingestuften islamischen Reformbewegung fürchtete (vgl. Kapitel 3.1.1.), ergriff sie Maßnahmen, in deren Folge die Kontrolle von Imamen und anderem religiösen Personal geradezu auf die Spitze getrieben wurde. Bereits Mitte der 1880er Jahre hatte die Kolonialregierung Medresen eröffnet, in denen sie religiöses Personal ausbilden ließ, um es später als Kadi oder Imam einzusetzen (Chachoua 2001: 150). Ein ministerielles Rundschreiben vom 16. 03. 1933, die Circulaire Michel, sprach der Kolonialregierung darüber hinaus die alleinige Vollmacht zu, religiöses Personal zu ernennen und die Inhalte der Freitagspredigten festzulegen. Den gefürchteten Reformpredigern wurde der Zutritt zu den Moscheen untersagt und sie wurden einer strengen Überwachung unterstellt (Papi 2010: 495). 30 Vgl. zu den juristischen Rahmenbedingungen für religiöse Experten unterschiedlicher Religionsgemeinschaften Boyer 1993: 107–124.

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Über diese (kolonial-)historische Tradition der französischen Verwaltung von muslimischem Personal hinaus müssen auch jüngere algerisch-politische Überwachungsstrategien berücksichtigt werden, möchte man die Verhandlungsposition von Akteuren an der Großen Moschee von Paris angemessen deuten. Ähnlich wie die Identitätsmarker des „moderaten“ und „radikalen Islam“ übernahm der algerische Staat nach der Unabhängigkeit auch in der Verwaltung des religiösen Personals Strukturen und Vorgehensweisen, die von der französischen Kolonialregierung eingeführt und angewandt worden waren (ebd.: 499). So ließ die Regierung ebenso wie zuvor der französische Kolonialstaat Imame in staatlich kontrollierten Instituten ausbilden, die sie dann offiziell ernannte, deren Stellen sie finanzierte und denen sie ihre Freitagspredigten vorschrieb (Deeb 1997: 112; Papi 2010: 499 f.). Im Jahre 1976 wurde die staatliche Kontrolle über die algerischen Bildungseinrichtungen auf alle muslimischen Ausbildungsstätten und Privatinstitute ausgeweitet; zugleich wurde die bis dahin bestehende Lehrfreiheit im Rahmen der Imamausbildungen abgeschafft (Papi 2010: 500). Als die Anhänger einer Reislamisierung Algeriens in den 1980er Jahren zunehmend als Bedrohung für den Staat wahrgenommen wurden und, ähnlich wie die Anhänger der AUMA ein halbes Jahrhundert zuvor (M rad 1970: 75), die Unabhängigkeit von der staatlichen Bevormundung forderten, reagierten die zuständigen Religionsminister mit noch intensiveren Maßnahmen zur Überwachung der Moscheen (Zebiri 1993: 205). Der 1986 zum Religionsminister ernannte Boualem Baki beispielsweise rief die Imame und Bildungsbeauftragten der Region Constantine in einem Rundschreiben dazu auf, sich eines Gedankenguts zu erwehren, das die Jugend Algeriens korrumpiere (ebd.: 210). Die offiziellen Imame warnte er eindringlich vor radikalen Gruppierungen und untersagte deren Akteuren an die Moscheen zu kommen und dort Unterricht zu halten (Rouadjia 1990: 195). 1991 erließ der Religionsminister Mouloud Hamrouche mehrere Dekrete, die die staatliche Kontrolle über den Bau, die Funktionen und das Personal der Moscheen noch weiter erhöhten (Zebiri 1993: 210). Von da an war allein das algerische Religionsministerium dazu befugt, Imame zu ernennen und in den Moscheen einzusetzen. Die Regierung setzte zudem Inspektoren ein, die die islamischen Gebetsstätten streng überwachten. Politische Reden wurden nur dann zugelassen, wenn sie im „Interesse der algerischen Nation“ standen (Zebiri 1993: 210 f.). Bereits bevor das Feindbild des radikalen Imam zu Beginn der 1990er Jahre in die öffentlichen Debatten Frankreichs Einzug hielt, wurde in Algerien bereits massiv vor den „radikalen Islamisten“ gewarnt, die die Moscheen bedrohen und die Jugend mit politischem Gedankengut infizieren würden. Wie in Frankreich, so waren auch in Algerien mit dem Begriff des radikalen Islam vor allem die Anhänger der FIS gemeint. Dass die Gefahr der Ausbreitung radikalen Gedankengutes vor allem in den Moscheen lokalisiert und Imame als Schlüsselfiguren betrachtet wurden, die man dazu aufrief, die radikalen Prediger zurückzudrängen, ist dabei keine zufällige Parallele zwischen fran-

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zösisch- und algerisch-staatlichen Positionen der 1990er Jahre.31 Die Identitätsmarker des „moderaten“ und des „radikalen Imam“ sind in beiden Ländern eng mit den allgemeinen Markern des „moderaten“ und des „radikalen Islam“ verknüpft und als solche historisch ebenso miteinander verflochten. Die oben besprochenen Besonderheiten in der Verflochtenheit der Marker „moderater“ und „radikaler Islam“ gelten parallel auch für die des „moderaten“ und des „radikalen Imam“: Ihre Äquivalenzketten enthalten nicht nur gleiche Elemente (shared elements), sondern zugleich solche, die kolonialhistorisch bedingt in Opposition zueinander stehen (divided elements). Dies soll im Folgekapitel anhand einer genaueren Analyse der Positionierungen Dalil Boubakeurs verdeutlicht werden.

3.1.3. Dalil Boubakeur zwischen Algerien und Frankreich? Wie verhält sich Moscheerektor Dalil Boubakeur innerhalb der beschriebenen medialen Debatten sowie der transnationalen islampolitischen Konstellation? Die islampolitische Rhetorik des Moscheerektors sowie des Innenministers Charles Pasqua lesen sich in der hier analysierten Zeitspanne zunächst wie aufeinander abgestimmte Repliken, die den Eindruck einer geradezu selbstverständlichen Einmütigkeit zwischen politischen Autoritäten und muslimischen Verfechtern eines moderaten Islam suggerieren. Die im Folgenden dargelegte Parallelität in den Argumentationen beider ist jedoch nicht zufällig. Vielmehr traf sich der deutlich sicherheitspolitische Fokus Pasquas mit den hegemonialen Bestrebungen Boubakeurs. Um die zentrale Bedeutung der Moschee von Paris für die französische Islampolitik zu untermauern, konzeptualisierte auch Boubakeur seine Institution als moderate Bastion im Kampf gegen den radikalen Islam. Zum einen konnte er die GMP so als selbstverständlich erscheinenden Kooperationspartner des französischen Staats präsentieren. Zum anderen traf er mit seiner Argumentation auf den ersten Blick auch die Rhetorik algerisch-religionspolitischer Akteure. In den Medien setzte Boubakeur Akzente, die von seiner nichtöffentlichen Argumentation gegenüber französischen Politikern deutlich abwichen. Terroristische Attentate im Namen des Islam verurteilte er in mehreren Zeitungsartikeln scharf (z. B. Tincq 03. 10. 1995; Lustiger u. a. 25. 05. 1996; GL Condamnations unanimes). Die UOIF oder die FNMF brachte er jedoch nicht öffentlich mit dem Marker „radikaler Islam“ in Verbindung.32 Vielmehr sprach Boubakeur sich gegen ein Vermengen von gewaltbereiten islamischen Strömungen mit den in Frankreich lebenden Muslimen aus (z. B. GL Condamnations unanimes). Obgleich er bisweilen auch vor der Gefahr radikal31 Zu einer kritischen Diskussion dieser Fokussierung des Imam vgl. Kapitel 4.1.1. 32 Grundlage für diese Aussage sind ca. 50 Artikel aus den zentralen Tageszeitungen, insbesondere Le Monde und Le Figaro der Jahre 1992–1995.

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islamischen Gedankenguts warnte, das aus Algerien kommend insbesondere die muslimischen Jugendlichen destabilisieren könnte (Boubakeur 1995a: 30, 44), distanzierte er sich in der Öffentlichkeit von den sicherheitspolitischen Maßnahmen Charles Pasquas: Die französische Gesellschaft müsse auf andere Weise „beruhigt“ werden als durch die Maßnahmen, die die Regierung aktuell wähle (z. B. Tincq 11. 08. 1994; vgl. GL Les suites de l’expulsion). Die Gefahr von Einflüssen, die radikale Akteure und Positionen auf Frankreich haben könnten, bewertete Boubakeur unterschiedlich: So warnte er in einem in Foi et R publique veröffentlichten Interview davor, die Auswirkungen der algerischen Krise auf Frankreich zu unterschätzen (Boubakeur 1995a: 44), in einem Interview mit einem Journalisten von Le Monde hingegen rief er jedoch abermals zur Ruhe auf und teilte mit, Frankreich würde weder eine Ausnahmesituation erleben noch sei der Algerienkrieg dort angekommen (GL La crise alg rienne). Auf diese Weise besetzte Boubakeur in der Öffentlichkeit tendenziell die Position eines zur Ruhe aufrufenden Vertreters, der die Muslime in Frankreich vor generalisierenden Vorwürfen schützt und trotz der Anerkennung potentieller Gefahr vor übertriebenen Befürchtungen warnt (z. B. GL La crise alg rienne). Nur vereinzelt würden Individuen, so Boubakeur beispielsweise in Le Monde am 10. 08. 1994, zu Gewalttaten bereit sein; die muslimische Gemeinschaft Frankreichs im Allgemeinen sei hierfür jedoch nicht empfänglich: … le risque est plut t, je le dis prudemment, dans des actes individuels. Mais un musulman, quel qu’il soit, serait compl tement fou de vouloir porter la violence en France. Le terrain communautaire ne s’y prÞte pas (GL La Crise Alg rienne).

In auffälligem Kontrast dazu beurteilte Boubakeur die Situation in einem nichtöffentlichen Brief an das französische Innenministerium vom 07. 12. 1993 jedoch als gravierend und warnte vor einem massiven Einfluss muslimischer Extremisten, sollten die Imame der GMP diese nicht mehr zu kontrollieren in der Lage sein: La situation, sans Þtre critique est n anmoins grave. Les men es internationales fondamentalistes, int gristes et extr mistes conjuguent leurs efforts en FRANCE, pour destabiliser une communaut majoritairement mod r e lorsqu’elle est encadr e par les Imams de la Mosqu e de Paris (AN Boubakeur/Etat de l’islam en France).

Pseudo-Imame und Extremisten würden aktuell das französische Terrain erobern, so Boubakeur in demselben Schreiben weiter, und rückwärtsgewandte, fanatische Einstellungen („des conduites fanatiques r trogardes“) würden sich ausbreiten (ebd.). Die französischen Politiker hätten eine Situation unterschätzt, die gar das Fundament („fondement“) Frankreichs, vor allem die Laizität und die republikanischen Gesetze, angreife (ebd.).33 Auch die in den 33 Interessanterweise reflektiert Boubakeur nicht, dass die von ihm geforderte politische und

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Medien verbreiteten Befürchtungen, die algerische Krise könne sich auf Frankreich übertragen, bewertete Boubakeur in seinem Schreiben als angemessen: „La situation politique critique de l’Alg rie risque tout moment d’avoir des effets tr s graves dans notre pays“ (ebd.). Boubakeur benannte in diesem Brief an das Innenministerium keine konkreten muslimischen Organisationen als radikalislamische Akteure. Indirekt denunzierte er Konkurrenzorganisationen wie die UOIF oder die FNMF aber dennoch. So behauptete er, dass extremistisches Gedankengut sich auch unter Muslimen ausbreite, die in Frankreich leben und Vereine betreiben. Seit es Ausländern durch ein Gesetz aus dem Jahre 1981 erlaubt sei, in Frankreich Vereine zu gründen, so Boubakeur beispielsweise, sei der Einfluss von Geschäftemachern und Pseudo-Imamen innerhalb des sogenannten mouvement associatif (vgl. Kapitel 2.3.3.) gewachsen; muslimische Pseudo-Universitäten („pseudo-universit s“) würden von zweifelhaften Quellen finanziert („financement occulte“) und könnten unter dem Deckmantel eines reinen Islam („un islam pur et dur“) zweifelhafte wahhabitische Theologie verbreiten: Permettant d’inviter des personnes douteuses en FRANCE et promouvoir une th ologie qui, sous couvert d’Islam pur et dur est en r alit une caricature depuis longtemps rejet e par les savants de l’Islam d’un Hanbalisme revu et corrig la sauce Wahhabite (AN Boubakeur/Etat de l’islam en France).

Spätestens hier wird die machtpolitische Hegemonialstrategie Boubakeurs deutlich. Indem Boubakeur unklare Finanzierungsquellen von Akteuren innerhalb des mouvement associatif anspricht34 und ihre Nähe zu wahhabitischen Strömungen andeutet, greift er Anschuldigungen auf, die in den 1980er Jahren gegenüber der FNMF und schließlich auch gegenüber der UOIF erhoben worden sind. Auch die Erwähnung der Pseudo-Universitäten in obigem Zitat verweist auf die UOIF und die FNMF, die als einzige seit einigen Monaten jeweils ein privates islamisches Hochschulinstitut betrieben (vgl. Kapitel 3.1.2.). In selbigem Schreiben an das französische Innenministerium fordert Dalil Boubakeur explizit eine stärkere staatliche Unterstützung der Vorrangstellung der Großen Moschee von Paris innerhalb des islamischen Feldes in Frankreich. Die GMP stellt er in seinem Brief – wie oben zu sehen -, als Garantin und gar als Grund für die mehrheitlich moderaten Einstellungen der in Frankreich lebenden Muslime dar. Die Marginalisierung der Institution wie sie, so Boubakeur weiter, in den 1980er Jahren durch die Politik angestrebt wurde, zeige finanzielle Unterstützung der Moschee von Paris durch die französische Regierung das Laizitätsgesetz und damit ebenfalls ein wichtiges französisches Fundament untergraben würde. 34 Dass die Verurteilung der Finanzquellen anderer islampolitischer Akteure vielmehr einer machtpolitischen Strategie als einer innerislamischen Verortung und Distanzierung vom saudischen Wahhabismus entsprach, ist daran zu erkennen, dass Dalil Boubakeur zu Beginn der 1990er Jahre ebenfalls auf eine Finanzierung durch den saudischen Staat gehofft hatte, letzterer die Unterstützung der Großen Moschee von Paris jedoch ablehnte (Sellam 2006: 291).

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nun verheerende Auswirkungen („effets n fastes“) (AN Boubakeur/Etat de l’islam en France). Dass der Staat der GMP seine Unterstützung entzogen habe, habe zweifelhafte Aktivitäten feindlich gesinnter Akteure zur Folge („activit s douteuses de personnalit s hostiles“), die die Jugendlichen in den Banlieues für ihre Zwecke instrumentalisieren könnten (ebd.). Dass die französische Verwaltung die Moschee von Paris nicht nachdrücklicher in ihrer Rolle als Repräsentantin der Muslime in Frankreich unterstütze, bewertet Boubakeur in diesem Zusammenhang explizit als einen Grund dafür, dass das Land in eine bedrohliche Situation gerate: Faute de moyens ad quats et d’un consensus dans la concertation n cessaire avec les pouvoirs publics la Mosqu e de Paris n’a pu que constater, impuissante, la d rive et l’aggravation inexorable de l’Etat de l’Islam en France. Puilsqu-il faut nommer les causes de cet tat des choses, il faut les appeler: 1. Inorganisation de la communaut musulmane. 2. La non-repr sentation de cette communaut

travers la Mosqu e de Paris

3. Le culte musulman qui est d fini clairement par la Mosqu e de Paris, ne b n ficie malheureusement pas d’aucune aide administrative (…) (ebd.).

In seinem Schreiben rekurrierte Dalil Boubakeur somit auf die in den Medien dieser Zeit instrumentalisierten Bedrohungsszenarien, um die GMP als das von Pasqua gesuchte positive Gegenmodell darzustellen. Dabei forderte er staatliche Unterstützung und eine Vorrangstellung der GMP gegenüber anderen islamischen Organisationen. Die Moschee von Paris wurde nicht als eine Institution zur Organisation des moderaten Islam präsentiert, sondern als die einzige Organisation, die in der Lage ist, den Einfluss radikalislamischer Strömungen in Frankreich einzudämmen. Die Redaktion und Veröffentlichung der oben erwähnten Charte du Culte Musulman stellte einen weiteren Versuch Boubakeurs dar, die GMP als Zentrum des Islam in Frankreich zu etablieren, um den herum ein moderater Islam zu organisieren sei. Im Vorwort der Ausgabe von 1995 (Boubakeur: 1995b) heißt es bezüglich der inhaltlichen Funktion der Charta: Dans le contexte actuel que conna t la communaut musulmane avec les risques d’int grisme, de fondamentalisme, de violence ou de politisation qui hantent les banlieues, il est du plus haut int rÞt que notre Communaut affirme ce qu’elle entend Þtre. Pour cela, la lecture de la Charte doit rappeler des pr ceptes suivre et un code de conduite (Boubakeur 1995b: 33 f.).

Im Vorwort wird die GMP als einzige muslimische Institution mit Namen erwähnt; ihre Geschichte und ihre Bedeutung für die Entwicklung des moderaten Islam in Frankreich wird ausführlich erläutert (Boubakeur 1995b: 17–33). Außerhalb des von Boubakeur präsidierten CRMF werden keine an-

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deren muslimischen Organisationen benannt, sodass Boubakeur als zentraler Vertreter des im Zitat erwähnten und in der Charte proklamierten Verhaltenscodes für Muslime in Frankreich erscheint. Mit der Charta bezog Dalil Boubakeur eine Position, die durch mediale und politische Akteure diskursiv erzeugt worden war. In dem Dokument konkretisierte er den Identitätsmarker „moderater Islam“ über die Elemente gegen politische und ideologische Auswüchse („d rives politiques et id ologiques“, ebd.: 39); für Gerechtigkeit und soziale Solidarität („Justice et solidarit sociales“, ebd.: 44), Toleranz und Antirassismus („tol rance et combat de racisme“, ebd.: 45), Frieden und Gewaltlosigkeit („paix et non-violence“, ebd.: 45), Respekt vor der menschlichen Würde („respect de la dignit de l’homme“, ebd.), apolitische Haltung in den Moscheen („les mosqu es doivent Þtre tenues l’ cart des activit s partisanes et des pol miques politiques“, ebd.: 47), Respekt vor dem republikanischen Gesetz („respecter la loi r publicaine“, ebd.: 48); im interreligiösen Dialog engagiert („encourage le dialogue interreligieux“, ebd.: 59) oder respektvoll gegenüber den Überzeugungen des Anderen („respect des convictions d’autrui“, ebd.: 59). All diese Elemente entsprechen in auffälliger Weise denjenigen, die in der Geschichte Frankreichs immer wieder dem Konzept der französischen Republik zugeschrieben worden sind (vgl. Pesch 2011: 196–219). Insbesondere infolge der Kopftuchaffäre von 1989 (vgl. ebd.: 43–45) und ihrem Aufeinandertreffen mit den Feiern zum zweihundertjährigen Jubiläum der französischen Revolution wurde ein ganz ähnlich definierter Identitätsmarker der französischen Republik von den sogenannten Neo-Republikanern reaktualisiert und popularisiert (Pesch 2011: 454–464; vgl. Baub rot 2004: 34–49, 70–83, 110–136, 163–170). Auch der antagonistische Gegenpart einer rückwärtsgewandten, fanatischen und gegen die Fundamente der Republik gerichteten Religiosität wie oben nach Boubakeur zitiert sind fester Bestandteil dieser neorepublikanischen Konzeptualisierungen (Pesch 2011: 79–83). Neben der Tatsache, dass Boubakeur den Identitätsmarker „moderater Islam“ über Elemente bestimmt, die den französisch-neorepublikanischen Konzeptualisierungen von Religion entsprechen, muss die Argumentation des Moscheerektors wie angedeutet aber im Zusammenhang mit der Rhetorik von algerischen Regierungsmitgliedern in dieser Zeit betrachtet werden: Die Warnung vor „rückwärtsgewandten“, „fanatischen“ und „wahhabitischen“ Einstellungen, die die Fundamente des Landes bedrohten, war in algerisch-staatlichen Positionen dieser Zeit sehr präsent und die finanzielle und administrative Unterstützung staatlicher Moscheen sowie staatlich kontrollierten islamischen Personals stellte eine zentrale Strategie in der Bekämpfung der Akteure dar, die man als „radikale Islamisten“ verurteilte (vgl. Kapitel 3.1.2.). Dass Boubakeurs Argumentation nicht nur das Ziel verfolgt, die GMP innerhalb der französischen Islampolitik als den vortrefflichsten aller möglichen Ansprechpartner zu positionieren, sondern dass er vielmehr auch dezidiert algerisch-staatliche Interessen in Frankreich

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vertritt, zeigt seine Argumentation bezüglich der Ausbildung von moderaten Imamen in Frankreich. Aufschlussreich ist die Bedeutung, die Boubakeur in diesem Zusammenhang dem an die GMP angegliederten Imamausbildungsinstitut sowie den aus Algerien entsandten Imamen zuspricht. Die Gründe für das Nicht-Funktionieren des Lehrinstituts an der GMP (vgl. Kapitel 3.1.2.) sind zum einen sicherlich in mangelnden finanziellen Mitteln zu sehen: Während das von der UOIF betriebene IESH von privaten Geldgebern aus den arabischen Golfländern profitierte, schrieb Boubakeur an das Innenministerium, wegen Geldmangels seien ihm jegliche Aktivitäten (AN Boubakeur/Etat de l’islam en France) und insbesondere der Betrieb eines Imamausbildungsinstituts an der Moschee von Paris unmöglich (AN Boubakeur/Situation du culte musulman),35 die Unterstützung Saudi-Arabiens, auf die Boubakeur wie erwähnt gehofft hatte, blieb ebenfalls aus (vgl. Teil 3, Fußnote 34). Ein weiterer Faktor ist jedoch möglicherweise die ablehnende Haltung des algerischen Staates gegenüber der Ausbildung von Imamen in Frankreich: Aus den gesichteten Notizen und Schriftwechseln zwischen Boubakeur und dem französischen Innenministerium geht in keiner Weise hervor, dass algerische Akteure in der Diskussion um eine mögliche Imamausbildung in Frankreich eine Rolle gespielt hätten. Bernard Godard, Mitarbeiter des Bureau central des cultes, vermutet, dass den Vertretern des algerischen Staates in jener Zeit daran gelegen war, in Algerien ausgebildete Imame nach Frankreich zu entsenden: Auf der Grundlage des frankoalgerischen Abkommens zum Enseignement des langues et cultures orientales (ELCO) aus dem Jahre 1981 entsandte der algerische Staat seit 1989 Personal, das für die Lehre der arabischen Sprache und maghrebinischen Kultur an öffentlichen französischen Schulen vorgesehen war. Schnell weiteten sich die Tätigkeiten der algerischen Lehrenden in der Praxis jedoch auch auf religiöse Funktionen aus. Viele im Rahmen des Abkommens entsandte Algerier wurden den Moscheegemeinden zur Verfügung gestellt, um dort als Imam zu fungieren oder den Koran zu unterrichten (GL Formation des imams: 8, vgl. Exkurs).36 Es ist laut Godard zu vermuten, dass Vertreter der algerischen Ministerien seinerzeit keine Konkurrenz durch Absolventen französischer Lehrinstitute wünschten (INT GOD). 35 Aus einem Brief des Bureau central des cultes (BCC) geht hervor, dass Boubakeur und französische Regierungsmitglieder Subventionen seitens des Staates für die GMP verhandelten. Der Staat war demgegenüber zwar nicht grundsätzlich ablehnend eingestellt, jedoch aufgrund der mangelnden Initiativergreifung Boubakeurs zögerlich (AN Subventions). In einer Mitteilung vom 16. November 1993 wurde hinzugefügt, dass die Stadt Paris sich bereits großzügig an der Renovierung der Moschee von Paris als historisches Monument beteiligt und auch den Ausbau der Räumlichkeiten für das Theologieinstitut finanziell unterstützt habe, dass ein nicht-existierendes Institut aber nicht weiter unterstützt werden könne (AN Institut de th ologie). 36 Sowohl französische als auch die algerischen Regierungsmitglieder wussten laut Jouanneau von diesem Einsatzgebiet des aus Algerien entsandten Personals und akzeptierten es stillschweigend als eine Maßnahme, über die ein gewisses Kontingent an staatlich kontrollierten Imamen in Frankreich tätig sein konnte (Jouanneau 2009: 152).

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Diese Privilegierung von aus Algerien entsandten Imamen gegenüber des in Frankreich ausgebildeten, religiösen Personals taucht nun auch in der Argumentation Dalil Boubakeurs auf. So warnte der Moscheerektor, aufgrund einer sicherheitspolitisch alarmierenden Situation habe eine engmaschige Kontrolle der bereits tätigen Imame Priorität vor der Organisation ihrer Ausbildung in Frankreich: In einem Brief an das französische Außenministerium formulierte er die Einrichtung einer Imamausbildungsstätte in Frankreich als ein längerfristiges Ziel, auf das er mit der kürzlich erfolgten Eröffnung eines Lehrinstituts an der GMP hinarbeite (AN Boubakeur/S jour des Imams). Auszubildende seien jedoch frühestens nach sieben Jahren einsatzbereit, was eine schnellere Lösung in Form einer größeren Anzahl an Imamen aus Algerien erforderlich mache.37 Dass letzteren Einreise- und Aufenthaltsgenehmigungen oftmals erschwert würden, biete zum Entsetzen der moderaten Muslime schließlich den fundamentalistischen Imamen die Möglichkeit, ihren Einfluss auszubauen (ebd.). Dem Personal, das Algerien seit 1981 nach Frankreich entsendet, weist Dalil Boubakeur also eine ähnliche Charakterisierung und Funktion zu wie der GMP: Es sei moderat, kompetent, werde sowohl von Muslimen in Frankreich als auch von lokalen Politikern hoch geschätzt (AN Boubakeur/S jour des imams) und bilde einen wirksamen Schutz gegen die Ausbreitung „islamistischen Gedankenguts“ (ebd.). An anderer Stelle schrieb Boubakeur an das Innenministerium, die Ausbildung, die Aktivitäten und Ideologie dieser Imame („leur formation d’origine, leurs activit s et leur tendance“) würden kontrolliert und ihre malikitische Ausrichtung weise den hanbalitisch-wahhabitischen Fundamentalismus („le Hanbalisme wahabite fondamentaliste“) in seine Schranken (AN Boubakeur/Etat de l’islam en France). Hiermit rekurriert er einerseits auf Argumente, die, wie gezeigt, in Frankreich wie auch in Algerien präsent waren: die Gefahr durch den Wahhabismus und seine Gleichsetzung mit Radikalität. Andererseits formuliert er Positionen, die vornehmlich in algerisch-staatlichen Debatten expliziert worden sind, nämlich die Zuordnung der moderaten Imame zur sunnitischen Rechtschule und vor allem zur im Maghreb verbreiteten malikitischen Richtung. Vor allem aber verweist er darauf, dass die Ausbildung, die Praktiken und die Ausrichtung des Personals kontrolliert werden, womit er die Kontrolle durch den algerischen Staat anspricht. Implizit wird hier also Algerien die Kompetenz zugesprochen, den moderaten Islam in Frankreich zu verteidigen und auf diese Weise gegen den Einfluss radikal-islamischer Prediger vorzugehen. Diese Argumentation nutzt Boubakeur unter anderem auch, um sich ganz konkret für algerischstaatliche Interessen einzusetzen. So schreibt er etwas später an Innenminister 37 Mit der gleichen Rhetorik wendete Boubakeur sich im bereits erwähnten Schreiben vom 07. 12. 1993 auch an das französische Innenministerium: Angesichts der akuten Gefahr durch radikale Imame müssten von der Moschee von Paris anerkannte (= aus Algerien entsandte, R. S.) Imame dringend unterstützt werden (AN Boubakeur/Etat de l’islam en France).

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Jean-Louis Debr , in Frankreich herrsche ein offensichtlicher Mangel an kompetenten Imamen (AN Boubakeur/Demande visas imams). Weil die finanziellen Mittel und seriöse Imame auf französischem Boden fehlen würden, bitte er um erleichterte Visa-Konditionen für Imame aus Algerien. Wiederum unterlegt Boubakeur diese Forderung mit Bedrohungsszenarien: Cette d marche nous a permis jusqu’ici de faire face aux besoins du culte musulman en France avec souci constant d’une adh sion sans faille notre d mocratie, aux valeurs de notre R publique, aux r gles et usages de notre Etat de droit. Pour nous permettre aujourd’hui de mieux neutraliser le d veloppement dangereux de l’Islamisme en France, je prends la libert de soumettre votre haute et bienveillante attention l’examen de notre pr sente requÞte relative aux visas de s jours d’Enseignants-Imams en provenance d’Alg rie (ebd.).

Die Ausbildung der religiösen Experten auf französischem Boden bildet hingegen im Unterschied zu den oben dargestellten Argumentationen französischer Politiker kein notwendiges Glied in der Boubakeurschen Äquivalenzkette zur Bestimmung des moderaten Imam. Boubakeur betont lediglich, dass die Imame aus Algerien zumindest ausreichende Kenntnisse der französischen Sprache besitzen sollten („une connaissance suffisante de la langue franÅaise“) (Boubakeur 1995b: 94). Über die Verteidigung der aus Algerien entsandten Imame hinaus unterbreitete Boubakeur zwar auch Vorschläge zur Kontrolle und Organisation von Imamen in Frankreich. Bei genauerem Hinsehen stärken jedoch auch diese Entwürfe letztlich das aus Algerien entsandte Personal und die GMP als ihr Verwaltungszentrum; auf die französisch-politische Forderung nach der Ausbildung von französischsprachigen Imamen in Frankreich verweisen sie nicht. So schlug Boubakeur in der Charte du culte musulman en France ein hierarchisch organisiertes System vor, an dessen Spitze der GMP-zentrierte CRMF stehen sollte: Idealerweise sollten alle in einer Region tätigen Imame einen regionalen Sprecher wählen, der ihre Anliegen vor den CRMF, der nationalen Kontrollinstanz, vorbringen sollte (ebd.: 95). Der große (grand imam) oder regionale Imam (imam r gional) (vgl. Boubakeur 1995a: 95), dessen Weisungen nach der Vorstellung Boubakeurs für alle Imame in der Region verbindlich sein sollten, sollte außerdem gewährleisten, dass die jeweils in der Region tätigen Imame die erforderlichen Französischkenntnisse besitzen (vgl. Boubakeur 1995b: 50) und eine anerkannte Ausbildung durchlaufen haben (ebd.). Boubakeur verglich dieses hierarchische Modell explizit mit der Organisation der katholischen Kirche, der es entlehnt sei: La r gionalisation de l’imamat en France et la mise en place d’un r f rent comp tent par r gion, l’image mÞme de l’ piscopat franÅais, offre des avantages et une avanc e s rieuse dans l’organisation du contr le (Boubakeur 1995b: 37).

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Das von Boubakeur vorgeschlagene Modell ist jedoch nicht allein von der Struktur der katholischen Kirche inspiriert, in welcher er es explizit verortet. Es ist zwar zu einem zentralen Instrument der französischen Religionspolitik geworden, durch das auch andere Religionsgemeinschaften in Frankreich strukturiert wurden und werden. So besteht eine historische Parallele zum Consistoire central isra lite, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Wunsch Napoleons I. gegründet wurde: Auch hier gab es lokale Ableger, die für jüdische Angelegenheiten in den Regionen zuständig waren. Das Consistoire wählt seither den französischen Großrabbiner und die regionalen Rabbiner, die die Tätigkeiten aller Rabbiner in einer ihnen zugewiesenen Region betreuen sollen (Benbassa 1999: 90–92). Die Parallelen zur Struktur der katholischen Kirche sowie zur Organisation des Judentums in Frankreich dürfen aber nicht dazu verleiten, Boubakeurs Argumentation lediglich als Anwendung einer Schablone der französischen Religionspolitik zu verstehen, an die er den von außerhalb Europas kommenden Islam anpassen möchte. Obwohl er seine Vorschläge selbst aus dem Gefüge der katholischen Kirche ableitet, importiert Dalil Boubakeur zugleich auch Strukturen der aktuellen algerischen Verwaltungspraxis von religiösem Personal. In der Übernahme französischer Kolonialverwaltungsstrukturen setzte die Regierung Algeriens nämlich ebenfalls auf regionale Imame, die die Imame ihrer jeweiligen Region kontrollieren und Probleme an die nationale Kontrollinstanz, das algerische Religionsministerium, weiterleiten (Mattes 2007: 75). Dalil Boubakeur hat in den 1990er Jahren verschiedene Maßnahmen ins Leben gerufen, mit deren Hilfe er den vorgeschlagenen Organisationsansatz in die Realität umzusetzen gedachte. Diese Maßnahmen waren jedoch in ihrer Wirkung sehr begrenzt und konnten letztlich nicht durchgesetzt werden (Godard 2007: 135).38 Eine Versammlung von Imamen, die Boubakeur in den 38 Beispielsweise ernannte Boubakeur Imame. So hatte er Soheib Bencheikh, der in den Medien ebenfalls zu einem moderaten Intellektuellen stilisiert wurde, zum regionalen Imam der Region Provence-Alpes-C te d’Azur und den Rektor der Grande Mosqu e de Lyon, Abdelhamid Chirane, zum regionalen Imam für die Region Rh ne-Alpes ernannt. In Bezug auf Abdelhamid Chirane ist bekannt, dass er punktuell tatsächlich von den lokalen, staatlichen Autoritäten gegenüber konkurrierenden muslimischen Akteuren vorgezogen wurde, weil er von der GMP „berufen“ worden war. Hiervon zeugt der Briefwechsel zwischen muslimischen und französisch-politischen Autoritäten aus dem Jahre 1996 in Bezug auf den Einsatz von Imamen in Krankenhäusern oder Gefängnissen, den sogenannten aum niers. So ernannte Dalil Boubakeur Abdelhamid Chirane nicht nur zum regionalen Imam für die Region Lyon, sondern er machte ihn als solchen auch für die Organisation der muslimischen Seelsorge in Lyon zuständig. Dies teilte er dem Präfekten der Gebietskörperschaft Lyon in einem Schreiben vom 28. 02. 1996 mit (AN Boubakeur/Grand mufti 1). Der damalige Präfekt dieser Region teilte dem Innenministerium kurz darauf schriftlich mit, dass der zuvor Zuständige, Kamel Mansour, nun abgelöst sei (AN Boubakeur/Grand mufti 2). Die Leitung des von dem Personalwechsel betroffenen Krankenhauses von Lyon teilte Kamel Mansour in einem Schreiben vom 03. 05. 1996 ebenfalls seine Entlassung sowie die Neubesetzung der Stelle durch Abdelhamid Chirane mit (AN Boubakeur/ Grand mufti 3). Neben den beiden genannten wurden keine weiteren Kandidaten in den Status

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Jahren 1994 und 1995 an der GMP einberufen hatte, um die Umsetzung der in der Charta angedachten Strukturen zu diskutieren,39 wurde größtenteils von Mitgliedern der Sidi Ouled Cheikh oder von Imamen besucht, die aus Algerien nach Frankreich entsandt worden waren. Außerhalb dieser Akteursgruppen entfaltete die Initiative keinerlei Wirkung, so jedenfalls die Einschätzung Telhines (Telhine 2010: 322). Dalil Boubakeurs Argumentation ist, so ist deutlich geworden, nicht nur als Replik auf französisch-staatliche Forderungen zu lesen, sondern verweist zugleich auf algerische Praktiken und Interessen. Die kolonialhistorisch entstandene Verflochtenheit der Identitätsmarker „moderater Islam“ beziehungsweise „moderater Imam“ ermöglicht es dem Moscheerektor, mit seinen Argumenten sowohl für algerische als auch für französisch-politische Argumentationen und Verwaltungsstrukturen anschlussfähig zu sein. Weil Verflochtenheit jedoch nicht nur shared, sondern auch divided history (nach der in dieser Studie verwendeten Terminologie: shared und divided elements) bedeutet, geht der Versuch, auf algerische und französische Forderungen zugleich zu reagieren, jedoch nicht vollumfänglich auf: Letztlich muss sich Boubakeur zwischen der französischen Forderung nach einer Ausbildung von Imamen in Frankreich einerseits und dem algerischen Wunsch andererseits, vermehrt Personal aus Algerien an die französischen Moscheen zu entsenden, positionieren. Seine Argumentation zeigt, dass er zwar beide Positionen in seine Forderungen aufnahm, die Institutseröffnung aber in ihrer Wichtigkeit deutlich hinter die Entsendung von Imamen aus Algerien zurückstellte. Den Erfolg des Instituts projizierte er auf die Zukunft und nutzte das sicherheitspolitische Argument drohender Gefahr durch radikale Islamisten, um die Entsendung von Imamen und folglich unausgesprochen die Interessen des algerischen Staates zu verteidigen. Über die Gründe für diese Einstellung kann nur spekuliert werden. Der Briefwechsel zwischen Boubakeur und den französischen Ministerien deutet jedoch darauf hin, dass Boubakeurs Handlungsund Entscheidungsfreiheit in solchen Bereichen begrenzt ist und er letztlich den Interessen des algerischen Staates zu entsprechen gezwungen ist. Der Unwille, beispielsweise im Bereich der Imamausbildung auf französisch-politische Forderungen zu reagieren, sollte ein Jahrzehnt später jedoch der regionalen Imame erhoben und auch die Ernennung von Soheib Bencheikh und Abdelhamid Chirane sei eine rein formale Angelegenheit gewesen, die keine großen Konsequenzen für die lokalen und regionalen Organisationsstrukturen muslimischer Akteure gehabt habe (Godard/Taussig 2007: 135). 39 Boubakeur berichtete dem Innenministerium im Jahre 1995, dass sich in Frankreich tätige Imame zu einer jährlichen Versammlung (Conseil d’imams) eingefunden hatten und über die lokale, regionale und nationale Situation von Imamen in Frankreich, über die Probleme muslimischer Jugendlicher sowie über Bildungs- oder Sozialarbeit in den Banlieues beratschlagt hätten (AN Boubakeur/R union imams 1995). Genauere Informationen zur Anzahl und Herkunft der versammelten Imame existieren nicht.

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zu den Gründen gehören, aus denen der GMP endgültig nur noch ein untergeordneter Stellenwert in der Organisation islambezogener Angelegenheiten in Frankreich zukam. Globalpolitische Entwicklungen begünstigten diese Entwicklung und hatten zudem zur Folge, dass französische Politiker den Identitätsmarker des moderaten Islam neu konzeptualisierten. Diese diskursiven Verschiebungen, ihre nicht mindere Verortung in kolonialhistorischen Deutungsmustern sowie schließlich die Konsequenzen für öffentliche Zuschreibungen an die GMP werden in den Folgekapiteln besprochen.

3.2. Die Große Moschee von Paris in den 2000er Jahren 3.2.1. Die Neuorganisation der islamischen Ansprechpartner Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hatten französische TV-Programme die Gefahr, die von einem radikalen Islam für Frankreich ausgehe, deutlich weniger thematisiert beziehungsweise rhetorisch entschärft (vgl. Deltombe 2007: 254–262). Frühere Befürchtungen, der Algerienkrieg könne sich auf Frankreich ausweiten, wurden nur noch selten geäußert (ebd.: 256–258). Zudem stellt Deltombe für diesen Zeitraum eine differenziertere Besprechung islamischer Strömungen in Algerien sowie in Frankreich fest: Gewaltbereite Terrornetze wie die GIA wurden in Mediendarstellungen nun klarer von der FIS unterschieden (ebd.: 256). Nicht nur die Gefahren des radikalen Islam wurden weniger thematisiert, auch die Integration von Muslimen allgemein in die französische Gesellschaft war zu einem Randthema geworden; sogar anhaltende Konflikte mit kopftuchtragenden Mädchen in Flers (Orne) wurden zwischen 1998–2000 nur noch selten öffentlich diskutiert (ebd.: 259; Pesch 2011: 54 f.). Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA erreichte die Thematisierung islamistischer Strömungen sowie der von ihnen ausgehenden Bedrohung jedoch einen neuen Höhepunkt. In den Folgejahren wurde intensiv über eine effektive Bekämpfung dieser Bewegungen diskutiert; seit Frühjahr 2003 wurden diese Debatten zunehmend mit Fragen nach der Identität von Muslimen in Frankreich verknüpft (vgl. Deltombe 2007: 273–336; Geisser 2003: 29). Dabei sind sowohl Parallelen zu den Debatten der 1990er Jahre als auch diskursive Verschiebungen in der Konzeptualisierung sowie in der Verhältnisbestimmung von Islam, Islamismus, Terrorismus und französischer Republik zu beobachten. Diese Neubestimmungen fanden Eingang in die Diskussion um die Zusammensetzung des 2003 gegründeten Muslimrates CFCM, in die Rolle, die die GMP darin spielte, sowie in die Argumentation Boubakeurs zur Verteidigung seiner eigenen Machtposition und werden daher im Folgenden skizziert.

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Einige Monate nach den Anschlägen des 11. September 2001 kündigte der im März 2002 zum Innenminister ernannte Nicolas Sarkozy eine scharfe Überwachungs- und Sicherheitspolitik sowie schnelle und umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung des radikalen Islam an, der potentiell auch auf französischem Boden präsent sei (Deltombe 2007: 299). Paul A. Silverstein bezeichnet die französische Sicherheitspolitik Frankreichs seit 2001 als Fortführung des Krieges gegen den Terror, den man aus den 1990er Jahren gekannt habe (Silverstein 2004: 1). Der Soziologe Samir Amghar erklärt zudem, dass französische Politiker den radikalen Islamismus nun verstärkt mit dem Marker „Salafismus“40 verbanden. So hätten Polizeidirektoren die salafistische Bewegung für die Terroranschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht. In der Folgezeit wurde Imamen, die man als salafistisch einstufte, die Aufenthaltsgenehmigung verweigert; zudem wurde ein für Juli 2002 geplanter salafistischer Kongress in der Pariser Banlieue unterbunden und die eigens zu diesem Anlass angereisten Prediger aus Saudi-Arabien am 40 Der Marker „Salafismus“ wird in den Medien und in der politischen Verwendungsweise zumeist mit „radikalem“ oder mit „fundamentalistischem Islam“ gleichgesetzt. Differenzierte Zuordnungen zu islamrechtlichen, dogmenbezogenen oder ideologischen Positionen werden dabei kaum vorgenommen. Dies führt immer wieder zu einiger Verwirrung. Wissenschaftliche Arbeiten fassen den Begriff „Salafismus“ konkreter, jedoch auch nicht auf einheitliche Weise. Als sinnvoll zur Orientierung erscheint der Verfasserin die Kategorisierung von David Commins. Commins spricht von drei „salafistischen Wellen“ („vagues de salafisme“, Commins 2008: 37–44). Reformwillige Denker seit dem späten 18. Jahrhundert, insbesondere auch Muhammad CAbduh, dem an einer Rückkehr zu einem authentischen Islam, zugleich aber zu einer Modernisierung und damit Wiedererstarkung desselben gelegen war, gehört demnach zu einer „ersten Welle des Salafismus“. Muslimische Denker, die in den 1920er und 1930er Jahren wie CAbduh eine Rückkehr zum Islam der sala¯f (die Altvorderen, meistens die ersten drei Genera˙ tionen von Muslimen) predigten, die sich hierdurch eine Wiedererstarkung der islamischen Gemeinschaften erhofften, die diese aber nun stärker in Opposition zum „Westen“ konzipierten, werden einer zweiten Welle zugeordnet. Ein prominenter Vertreter ist Raschid Rida, der zugleich als Chefideologe der Muslimbruderschaft fungierte (vgl. Ende 1995). Auch die in Kapitel 4.3. näher beschriebene Bewegung des algerischen Reformislam gehört hierzu. Viele islamrechtliche Theoretisierungen und „theologische“ Bestimmungen dieser Salafiyya werden heutzutage weltweit von islamischen Gelehrten vertreten und sind fest in den großen Ausbildungszentren wie der Al-Azhar in Kairo, der Al-Zaituna in Tunis und in vielen weiteren islamischen Fakultäten in Syrien, Ägypten, Jordanien oder den Maghreb-Ländern verbreitet (vgl. Zeghal: 1996). Der dritten Welle des Salafismus werden schließlich Denker zugeordnet, die in Anlehnung an Said Qutb seit den 1970er Jahren zum Umsturz „ungläubiger” Regime aufrufen und dazu einen bewaffneten djiha¯d fordern ( vgl. ebd.). Von diesen Tendenzen sind schließlich Strömungen zu unterscheiden, die seit den 1990er Jahren massiv vom saudischen Staat popularisiert und von dort aus weltweit exportiert werden. Diese Denker vertreten eine dezidiert apolitische Haltung und eine strikte Fokussierung auf die individuellen Pflichten sowie eine damit einhergehende „Reinigung“ des Individuums. Sie zeichnen sich beispielsweise durch die Anerkennung eines revidierten Hadith-Kanons, ein verändertes Verständnis islamischer Rechtsmethodologie, und daraus folgend durch Ablehnung vieler Positione und Auslegungsmethoden der sunnitischen Rechtsschulen aus. Auch innerhalb dieser Gruppierungen existieren jedoch große Unterschiede (vgl. Adraoui 2013; Amghar 2011; Lacroix 2008; Commins 2008); die vorgestellte Einteilung ist daher lediglich als grobe Orientierung zu verstehen.

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Flughafen Charles-de-Gaulle festgehalten (Amghar 2008: 102). Auch Thomas Deltombe beobachtet in seiner Analyse von TV-Berichten, dass in der ersten Hälfte der 2000er Jahre das neue Feindbild des Salafismus aufgetaucht ist (Deltombe 2007: 333–336). Einen weiteren Unterschied zu den Debatten der 1990er Jahre sieht Deltombe darin, dass islamischer Terrorismus nun nicht mehr als ein Phänomen wahrgenommen wird, das zeitlich an eine bestimmte Epoche und an spezifische politische Konstellationen gebunden ist (ebd.: 268). Vielmehr wird er nun als ein permanenter, globaler und unsichtbarer Feind betrachtet, der den Westen in seiner Essenz angreifen will und dabei Ideologien früherer Zeiten im Gewande neuester Technologien verbreitet (ebd.: 268 f.). Die Vorstellung von der allgegenwärtigen und dabei oftmals nicht sichtbaren Gefahr durch islamische Terroristen wurde noch stärker verbreitet, als bekannt wurde, dass sich ein junger Franzose marokkanischer Abstammung an den Attentaten vom 11. September 2001 beteiligt hatte (ebd.; Silverstein 2010: 1) und dass in den USA mehrere Konvertiten amerikanischer, britischer oder anderer Abstammung in Al-Qaida-nahen Netzwerken aktiv waren (Deltombe 2007: 270). Die Konzipierung des islamischen Terrorismus als globaler Feind des Westens geschah natürlich nicht nur in Frankreich und wurde vor allem von den USA verbreitet.41 Aber auch in Algerien wurden gewaltbereite islamische Gruppierungen zu Beginn der 2000er Jahre zunehmend als Agenten eines internationalen Terrornetzwerkes wahrgenommen, das sich zwar auch noch, aber nicht mehr ausschließlich gegen das algerische Militärregime der FLN richtet. Dies ist auch mit einer veränderten Selbstverortung und Profilbildung der Dschihadisten in Algerien zu Beginn der 2000er Jahre zu erklären, wie Amel Boubekeur erklärt: They are no longer inspired by the War of Independence against France. They are instead influenced by the new transnational jihadism of Osama bin Laden and the Iraq war. They want to join a globalized jihad led by all Muslims against their powerful American, Jewish, and crusader enemies. To improve their situation as young Algerians marginalized from any political participation, they find Al-Qaeda’s global strategy more appealing than focusing exclusively on overthrowing an illegitimate FLN. This willingness to be heard and seen at the international level has largely motivated the emergence of a new media-savvy djihad (Boubekeur 2008: 9).42

Diese Konstellation ermöglichte es der algerischen Militärregierung, sich international als verlässlicher und erfahrener Partner in der Bekämpfung des Terrors zu präsentieren (ebd.: 11). 41 Für den britischen Kontext vgl. Modood 2006. 42 Der Internationalisierung islamisch-terroristischer Gruppierungen in Algerien wird 2006 offiziell Ausdruck gegeben, als die Groupe salafi pour la pr dication et le combat (GSPC), Nachfolgenetzwerk der während des algerischen Bürgerkriegs aktiven GIA, sich in Al-Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM) umbenennt und ihre Verbindungen zur Al-Qaida Bin Ladens erklärt (Boubekeur 2008: 9).

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In Frankreich selbst hatte der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vom 21. April 2002, in denen der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen überraschend die zweite Wahlrunde erreicht hatte, laut Deltombe abermals dazu geführt, dass die mit der Front national (FN) konkurrierende Union pour un mouvement populaire (UMP) ihre sicherheitspolitische Rhetorik deutlich verschärfte. Nicolas Sarkozy, der 2002 vom schließlich gewählten Staatspräsident Chirac zum Innenminister ernannt worden war, versuchte möglichst viele Wähler des FN zurückzugewinnen, indem er eine konsequente Sicherheitspolitik, hartes Durchgreifen insbesondere in den französischen Banlieues und strenge Strafen für diejenigen ankündigte, die die Werte der Republik nicht respektierten (Deltombe 2007: 299). Ungefähr ein Jahr später wurde die Bekämpfung des „radikalen Islam“ argumentativ noch stärker mit dem französischen Kontext und der Integration von Muslimen in die französische Gesellschaft in Verbindung gebracht. Im April 2003 hatte Nicolas Sarkozy die Muslime in Frankreich auf der jährlichen Versammlung der UOIF in Bourget an die Pflicht erinnert, sich auf Passfotos ohne Kopfbedeckung abbilden zu lassen (Pesch 2011: 57). Sarkozy war daraufhin von dem muslimischen Publikum ausgebuht worden. Die schnelle Medialisierung dieses Ereignisses hatte eine weitere öffentliche Debatte um das muslimische Kopftuch zur Folge, die in eine frankreichweite Grundsatzdiskussion zur Kompatibilität der Verschleierung von Frauen und der französischen Laizität mündete und schlussendlich ein Verbot „ostentativer religiöser Zeichen“ in öffentlichen Schulen nach sich zog (ebd.: 57–70). Thomas Deltombe stellt für TV-Darstellungen dieser Zeit weiterhin regelmäßige Rekurse auf die Dichotomie zwischen guten und schlechten Muslimen fest (Deltombe 2007: 339; vgl. Liogier 2006: 59; Pesch 2011: 157 f.). Paul A. Silverstein zeigt, dass Nicolas Sarkozy (ebenso wie GMP-Rektor Dalil Boubakeur) einen positiv gewerteten Islam zu dieser Zeit mit den Elementen „unbedrohlich“, „Glaube auf die Privatsphäre beschränkt“, „volle Wahrnehmung der Bürgerpflichten durch die Anhänger“ sowie „Respekt vor den Gesetzen der Republik“ verknüpft haben (Silverstein 2004: 150), während der negativ gewertete oder als radikal bezeichnete Islam von vielen Politikern und Journalisten als „bedrohlich“, „vom internationalen Terrorismus beeinflusst“, „dem bewaffneten djiha¯d nicht abgeneigt“ und „mit der französischen Laizität unvereinbar“ beschrieben wurde (ebd.). Erneut wurden in diesen Jahren die französischen Banlieues als Brutstätten des radikalen Islamismus konzeptualisiert.43 Infolge einer gleichnamigen 43 Diese Auffassung wurde auch in den Berichten zweier offizieller Kommissionen offenbar, die im Jahre 2003 einberufen worden waren: Im Mai 2003 beschloss die Nationalversammlung unter ihrem Präsidenten Jean-Louis Debr die Einrichtung einer Kommission, die sich mit dem Für und Wider eines Gesetzes zum Verbot des muslimischen Kopftuches und allgemein religiöser Zeichen in öffentlichen Schulen beschäftigen sollte. Die Kommission legte ihre Ergebnisse im Dezember 2003 vor. Zudem berief Jacques Chirac im Juli desselben Jahres eine unter der Leitung von Bernard Stasi stehende Kommission ein, die allgemein die Probleme definierte, mit denen

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Buchpublikation44 im Jahr 2003 wurden diese nun als verlorene Territorien der Republik („les territoires perdues de la r publique“) klassifiziert – eine Darstellung, die immense Verbreitung erleben sollte (Deltombe 2007: 304 f.) und durch Medienberichte sowie Stellungnahmen Präsident Jacques Chiracs oder Premierminister Jean-Pierre Raffarins weiter popularisiert wurde (ebd.: 305). Die Banlieues wurden als Orte mangelnder Bildung beschrieben, die durch Gewalt, Sexismus, Judenfeindlichkeit und die Verehrung von Osama Bin Laden gekennzeichnet sind (Deltombe 2007: 303). Damit wurde eine direkte Verbindung zu den Attentaten des 11. September hergestellt. Die Vorstellung, dass „die Republik“ die Banlieues an „die radikalen Muslime“ verloren hat, zeigt deutlich, dass Republik und radikaler Islam in eine antagonistische Opposition gestellt wurden: Wer sich als radikal-islamisch qualifiziert, kann sich nicht zugleich mit der französischen Republik identifizieren. Deltombe stellt des Weiteren für TV-Darstellungen dieser Zeit fest, dass vermehrt vor dem Islam im Allgemeinen und insbesondere vor einer potentiellen Radikalisierung bis anhin moderater Muslime gewarnt wurde (ebd.: 280–283). Diese Auffassung ist mit einer weiteren Vorstellung verbunden, die zu Beginn der 2000er Jahre im Fernsehen vermehrt artikuliert wurde: die Gefahr eines potentiellen, gleitenden Übergangs von Islam zu Islamismus und von Islamismus zu Terrorismus (ebd.: 283). Bisweilen wurde in diesem Zusammenhang auch von einem Kampf innerhalb des Islam gesprochen, den die moderaten Muslime gegen ihre radikalen Gegner verlieren könnten; letztlich bestünde dann die Gefahr, dass sich auch erstere radikalisieren (ebd.: 283, 314 f.). Die geschilderten Entwicklungen der Debatten mit Islambezug manifestierten sich auch in den Diskussionen um die Gründung des CFCM und in der Rolle, die die GMP darin spielte, wie im Folgenden erläutert wird. Die Initiative zur Gründung des CFCM geht auf Innenminister Jean-Pierre Chev nement zurück und wurde schließlich von seinem Nachfolger Nicolas Sarkozy umgesetzt (vgl. Godard/Taussig 2007: 169–172). Sarkozy hat im Jahre 2004 eine Interviewsammlung mit dem Titel La R publique, les religions, l’esp rance veröffentlicht und darin erklärt, im aktuellen Klima der Verunsicherung müsse Frankreich seinen Muslimen ein offizielles Zeichen der Andas Prinzip der Laizität aktuell in der französischen Gesellschaft konfrontiert war und die ihren Schlussbericht ebenfalls im Dezember 2003 vorlegte (Pesch 2011: 60 f.). In beiden Kommissionen wurde thematisiert, dass sozial schwächere Bevölkerungsteile in den Vororten leicht durch „radikale Islamisten“ und ihre Ideologien mobilisiert werden können (Stasi 2004: 46; Debr 2004a: 85, 2004b: 27, 30). Letztere, so im Debr -Bericht weiter, verfolgten das Ziel, die Fundamente der Republik zu zerstören und eine antiwestliche Gegenzivilisation zu erschaffen (Debr 2004b: 30). 44 Les territoires perdues de la r publique: Antis mitisme, racisme et sexisme en milieu scolaire erschien im Jahre 2002 im Verlag Mille et une nuits als Gemeinschaftswerk mehrerer Lehrer, die in diesem Buch über ihre Unterrichtserfahrungen in den Banlieues der Pariser Region berichten.

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erkennung geben. Die Offizialisierung des Islam im CFCM würde zudem die Aversion radikaler Strömungen gegen Frankreich entschärfen (Sarkozy 2004: 76; vgl. Fr gosi 2008: 314; Telhine 2010: 326). Auf diese Weise stellte der Innenminister, ähnlich wie Charles Pasqua in den 1990er Jahren, einen engen Zusammenhang zwischen der Organisation islambezogener Belange in Frankreich und der Bekämpfung des radikalen Islam her.45 Andreas Pesch hat gezeigt, dass den Ausführungen Sarkozys in seiner Publikation von 2004 zudem auch die bereits in den 1990er Jahren instrumentalisierte Unterscheidung in eine radikale und in eine moderate Variante des Islam zugrunde liegt (Pesch 2011: 158 f.). Sarkozy verfolgt jedoch im Vergleich zu Pasqua eine neue Strategie: die der Einbeziehung bestimmter als islamistisch deklarierter Akteure in den Prozess der Organisation und der offiziellen Repräsentation des Islam in Frankreich. Hiermit war selbstverständlich nicht die Kooperation mit gewaltbereiten Personen im Umfeld eines islamisch motivierten Terrorismus gemeint. Vielmehr blieb der Identitätsmarker des „Islamismus“ oder des „radikalen Islam“ ebenso wie in den 1990er Jahren vage und umfasste auch diejenigen Gruppierungen, die sich nicht grundsätzlich gegen den französischen Staat wandten, sondern die an den bestehenden Strukturen zu partizipieren gedachten, um einen aus der Perspektive vieler Nichtmuslime in Frankreich rigiden Islam zu popularisieren (vgl. Deltombe 2007: 316). Ein solcher Akteur nun war die UOIF: Innerhalb der Debatten um das Kopftuch sowie allgemein um die Kompatibilität islamischer und republikanisch-laizistischer Wertvorstellungen in den Jahren 2003 und 2004 verteidigten UOIFAnhänger mit Nachdruck das Recht auf die Verschleierung von muslimischen Mädchen und wurden in diesem Zusammenhang wie auch schon um 1989 als Vertreter einer radikalen Islamauslegung wahrgenommen (Pesch 2011: 90–92). In einem Interview mit Le Figaro bestätigte Sarkozy die Deutung der UOIF als radikale Organisation und betonte, dass ihre Vertreter sich eher mit den „französischen Werten“ versöhnen würden, wenn man sie in politische Prozesse einbinde, als wenn man ihnen jegliches Mitspracherecht vorenthalte (GL Un islam compatible avec les valeurs de la R publique). Geisser/Zemouri interpretieren die Zusammenarbeit Sarkozys mit der UOIF als offiziellem Mitglied des CFCM als ein klientelistisches Verhältnis, in dem die UOIF den französischen Staat in der Ortung und Eindämmung der als „noch radikaler“ aufgefassten Salafisten unterstützt und im Gegenzug einen offiziellen Platz im CFCM erhält (Geisser/Zemouri 2007: 113–118). Der Identitätsmarker des „radikalen Islam“ wird also aufgespalten in eine Komponente, die den Muslimbrüdern nahe steht, jedoch zur Kooperation mit dem Staat bereit ist und 45 Eine differenzierte Besprechung der Motive, die französische Politiker zur CFCM-Gründung geführt haben sowie deren historische Einordnung in sowohl eine kolonialgeschichtlich verankerte Geschichte der Domestizierung des Islam als auch in die Tradition des Gallikanismus findet sich z. B. bei Fr gosi 2008: 295–333; Laurence 2005; Sevaistre 2005; Pesch 2011: 157–160; Geisser/Zemouri 2007: 69–83.

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letzterem sogar nützlich sein könnte sowie in jene, die noch radikaler ist und weiterhin als inakzeptabel gilt. Es lohnt sich, dieses Argumentationsmuster mit algerisch-staatlichen Diskurspositionen seit 1996 zu vergleichen, auch wenn diese politisch auf einer völlig anderen Ebene angesiedelt waren. Staatspräsident Bouteflika hatte seinerzeit Akteure, die sich offiziell zur Muslimbruderschaft bekannten, in die politischen Prozesse eingebunden und denjenigen einen Platz in der Regierung verschafft, die die staatlichen Strukturen akzeptierten und sich als Partei formierten, um auf diesem Wege für ihre Interessen einzustehen.46 Durch diese Form der Beteiligung hoffte die Regierung, die Anzahl radikalerer, das heißt gewaltbereiter, antistaatlicher Aktivisten möglichst gering zu halten (Bouslimani 1999: 300 f.). Letztere bekämpfte sie dabei weiterhin mit aller Schärfe (Boubekeur 2008: 11 f.). Neben der GMP und der UOIF wurden weitere Dachverbände in den CFCM eingebunden: Die FNMF sollte die Interessen von Muslimen marokkanischer Herkunft repräsentieren47, das Comit de coordination de musulmans turcs de France (CCMTF) diejenigen türkischer Abstammung und die F d ration franÅaise des associations islamiques d’afrique des comores et des antilles (FFAIACA) die „schwarzafrikanischen“ Muslime in Frankreich (Godard/ Taussig 2007: 170). Die Wahlmodalitäten, die Aufgabenbereiche, die Funktion der Dachorganisationen, die an der Gründung und Führung des CFCM beteiligt waren, schließlich die Verankerung des Rates in französisch-religionspolitischen sowie in kolonialhistorischen Traditionen sind vielerorts bereits eingehend besprochen worden (z. B. Laurence 2005: 2–5; Boyer 2002, 2005: 15–19; Billon 2005; Godard/Taussig 2007: 169–183; Telhine 2010: 326–334) und werden an dieser Stelle daher nicht eigens thematisiert. Vor allem die Kompatibilität der Ratsgründung mit dem Laizitätsgesetz von 1905 ist bereits vielfach erörtert worden: Schließlich hatten französische Politiker nicht nur die Gründung des Rates initiiert, sondern auch Akteure bestimmt und an der Ausarbeitung der Wahlmodalitäten mitgewirkt (vgl. Fr gosi 2008: 298 f.; Geisser/Zemouri 2007: 66–68; Godard/Taussig 2007: 169–174). Dieses Vorgehen ist in der einschlägigen Literatur zum einen mit der kolonialgeschichtlich begründeten Ausnahmebehandlung des Islam erklärt worden, die 46 So bildete die algerische Hamas, heute Mouvement de la soci t pour la paix, die an die internationale Muslimbruderschaft angebunden ist, seit 1997 eine Koalition mit der regierenden FLN und dem Rassemblement national d mocratique (RND). Zudem wurde auch die ähnlich ausgerichtete Isla¯h, heute National Reform Movement, erlaubt und an den politischen Prozessen ˙ ˙ beteiligt (Boubekeur 2008: 2). 47 Aufgrund von internen Auseinandersetzungen und mangelnder Anerkennung des Präsidenten Mohammed Bechari, der schließlich zudem die Unterstützung der marokkanischen Konsulate verloren hatte, lösten sich 2006 viele Mitglieder von der FNMF und formierten sich unter der Bezeichnung Rassemblement des musulmans de France (RMF) neu. Weil sie die offiziell noch im CFCM residierende FNMF nun nicht mehr als repräsentativ anerkannten, blockierten sie die Abläufe des Rates, bis die RMF schließlich die FNMF ersetzte und ihr Präsident Abdallah Boussouf neuer Vizepräsident wurde (Godard/Taussig 2007: 41; vgl. Telhine 2010: 331–333).

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in verändertem Umfang und Rahmen bis heute ihre Wirkung entfalte; zum anderen wurde es immer wieder als mit der französischen Laizität kompatibel gedeutet, verpflichte letztere doch auch zur Herstellung einer Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften in Frankreich (vgl. Geisser/Zemouri 2007: 64–98; Sevaistre 2005: 69–72; Boyer 2005: 11–19).48 Im Folgenden soll jedoch vielmehr interessieren, mit welcher Begründung die Große Moschee von Paris in den Muslimrat eingebunden wurde und welche Rolle der GMP innerhalb des CFCM und dort insbesondere im Verhältnis zur UOIF zugesprochen wurde. 3.2.2. Die neue Rolle der Großen Moschee von Paris Im Rahmen des CFCM-Gründungsprozesses wurde die GMP in den Medien nach wie vor als moderat charakterisiert. Dies zeigt eine stichprobenartige Durchsicht des Korpus an Zeitungsberichten, die dieser Studie zugrunde liegt.49 Die Artikel aus den Jahren 2000 bis 2006 bestätigen zudem, dass die UOIF von Journalisten weiterhin mit dem Gedankengut der Muslimbrüder in Verbindung gebracht,50 als fundamentalistisch oder radikal bezeichnet51 und zudem als Gegenspieler der moderaten GMP im CFCM dargestellt wurde:52 Letztere drohe innerhalb des Muslimrates von den Fundamentalisten oder den Radikalen übermannt zu werden, so etwa verschiedene Artikel des Le Figaro.53 Der Antagonismus zwischen moderaten und radikalen Muslimen wurde also weiterhin reproduziert; dabei wurde die von Deltombe für diese Zeit doku48 Auch Vertreter kleinerer islamischer Verbände, die nicht in den Gründungsprozess des CFCM eingebunden waren, hatten sich massiv über die Art des Eingreifens seitens des französischen Staates beschwert und (Telhine 2010: 326). Zur Besprechung des Islam als Sonderfall in der Anwendung französischer Laizität vgl. Roy 2005. 49 z. B. Portes 21. 10. 2002; Rouquette-Valeins 22. 12. 2002; Rousseau 4./5. 04. 2003; Portes 14. 04. 2003; Ulrich 15. 04. 2003; Germon 28. 04. 2003; Portes 14. 10. 2003; Deloire 08. 07. 2004; Portes 27. 03. 2005; Poy 29. 03. 2005; Cordelier 31. 03. 2005; GL Un conseil repr sentatif ; GL Rendezvous dans deux ans ; GL Le ministre de l’int rieur ; GL Dalil Boubakeur r lu. 50 z. B. Larminat 30. 04. 2002 ; Coroller 09. 05. 2002; Meunier 22. 10. 2002; Ternisien 11. 12. 2002; Wolf 20. 12. 2002; Portes 14. 04. 2003; Ulrich 15. 04. 2003; Sauto 15. 04. 2003; Gabizon 03./04. 05. 2003; Kaci 24. 06. 2003; Guenois 12. 11. 2003; Poy, Cyrille 29. 03. 2005; Gabizon 16./17. 10. 2004 ; Remy/Thiolay 02. 05. 2005 ; Portes 18. 06. 2005 ; GL L’islam de Franche cherche une sortie de crise; GL France. Nicolas Sarkozy; GL Le ministre de l’int rieur; GL Passage en force sur l’islam; GL La pol mique franÅaise; GL Le CFCM repose aussi sur un non-dit politique; GL Dalil Boubakeur r lu. 51 z. B. Coroller 15. 04. 2002; Sauto 07. 10. 2002; Portes 12./13. 04. 2003; Ulrich 15. 04. 2003, Portes 14. 10. 2003; Gabizon 15. 02. 2005; Portes: 19./20. 05. 2005; Portes 18. 06. 2005; GL Crise chez les musulmans franÅais; GL L’islam de Franche cherche une sortie de crise; GL Les tenants d’un islam fondamentaliste. 52 Ternisien 22. 06. 2002; Portes 21. 10. 2002; Portes 27. 03. 2005; Corderlier 31. 03. 2005; Cordelier 23. 06. 2005; GL Dalil Boubakeur r lu. 53 Larminat 13. 05. 2002; Portes 21. 10. 2002; Gabizon 17. 06. 2003.

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mentierte Vorstellung von einem Kampf innerhalb des Islam in Frankreich auch in den Tageszeitungen dargestellt und auf die Konkurrenz zwischen der moderaten GMP und der radikalen UOIF innerhalb des CFCM fokussiert. Auch französischen Politikern war weiterhin daran gelegen, die GMP in der Öffentlichkeit als Repräsentantin eines moderaten Islam in Frankreich darzustellen (Telhine 2010: 334). Godard/Taussig bezeichnen die GMP und die UOIF als die zentralen Säulen des Rates und charakterisiert sie ebenfalls jeweils als moderatere und als militantere Version des Islam: … la Grande Mosqu e de Paris avec son r seau „alg rien“ et l’UOIF taient devenus des partenaires quasi officiels dans le paysage islamique franÅais, le premier incarnant un islam „mod r “, traditionnel, rassurant, le deuxi me repr sentant les militants proches des Fr res musulmans, la g n ration montante (Godard/Taussig 2007: 170).

Die Beteiligung der GMP am CFCM sowie die Quasi-Ernennung von Dalil Boubakeur zu seinem Präsidenten ist von politischen Akteuren häufig auch mit dem Prestige und der langen Geschichte der GMP begründet worden (Telhine 2010: 334). Dass die historische Bedeutung der Moschee eine Rolle spielte, hieß jedoch nicht, dass man ihre Gründungsgeschichte kritisch dekonstruierte. Wie einleitend zu Teil 2 gezeigt, reproduzieren französische Politiker vielmehr bis heute ein Argumentationsmuster, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts für kolonialpolitische Machtstrategien instrumentalisiert worden war; sie erwähnen, dass Muslime ihr Blut für das französische Vaterland gegeben und sich dadurch die Anerkennung der Franzosen erkauft haben und verweisen auf die Großzügigkeit Frankreichs, das mit dem Moscheebau seinen Dank gegenüber den muslimischen Soldaten ausgedrückt hatte. Darüber hinaus schien zu Beginn der 2000er Jahre ein weiterer Aspekt wieder stärker betont zu werden, der kolonialgeschichtlich bedeutsam war und auch im Rahmen der Gründungsgeschichte der GMP eine wichtige Rolle gespielt hatte: Die Bedeutung des Elementes der „Tradition“, das bisweilen an den Identitätsmarker des „moderaten Islam“ geknüpft wurde. In obigem Zitat weist Godard der GMP bei genauerem Hinsehen nicht nur die Eigenschaft des moderaten, sondern auch die des traditionellen Islam zu, den er in der Folge als „beruhigend“ qualifiziert. Der Vorschlag, die GMP als Vertreterin eines traditionellen Islam zu charakterisieren, findet sich bereits in einem 1999 am französischen Innenministerium zirkulierten Modell zur Einordnung muslimischer Strömungen in Frankreich. In dem Dokument bemängelt der Verfasser, Mitarbeiter des Bureau central des cultes (BCC), dass die bisherigen Kategorien zur Einordnung islamischer Akteure in Frankreich ungenau und zu stark an sicherheitspolitischen Aspekten orientiert seien: So umfasse der moderate Islam in der Wahrnehmung der Innenpolitiker zumeist diejenigen Gruppierungen, die keine sicherheitspolitischen Probleme darstellen; als Fundamentalisten oder

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Islamisten würden diejenigen gelten, die potentiell sicherheitspolitisch relevant werden können, während eine dritte Kategorie, die der radikalen Islamisten, Akteure beinhalte, die höchstwahrscheinlich eine Gefahr darstellen (AN Perspectives pour l’islam de France). Der Autor schlägt demgegenüber ein Modell vor, das sich stärker an den Zielen und inhaltlichen Ausrichtungen der islamischen Strömungen orientiert. In Bezug auf den moderaten Islam rät er eine Unterteilung in einen traditionellen und einen reformerischen oder modernistischen Sektor. Den traditionellen Part definiert er dabei über konservative gesellschaftliche Verhaltensweisen („comportements soci taux conservateurs“), ohne dies jedoch weiter zu spezifizieren (ebd.). Dabei klassifiziert er die GMP und ihr regionales Netzwerk als die einflussreichste Vertreterin dieses traditionellen Sektors in Frankreich (ebd.). Dem Text ist eine tabellarische Übersicht beigelegt, auf der sich eine weitere Unterteilung des moderaten Islam in drei Kategorien findet: 1. Sufis 2. Modernisten, die als Reformatoren aus der traditionellen Strömung hervorgegangen seien und 3. Traditionelle, die durch die GMP repräsentiert würden (ebd.). Der Marker des „traditionellen Islam“ wird dabei wiederum nur vage bestimmt: 1. Über den Zusatz, er könnte konservativ ausgerichtet sein; 2. durch seine Zuschreibung zur übergeordneten Kategorie des moderaten Islam, 3. durch Negativbestimmungen: Er gehört nicht zur Kategorie der „reformierten Modernisten“ („modernistes r form s“), die als reformorientiert charakterisiert werden (der traditionelle Islam erscheint daher implizit als nicht reformorientiert); zudem gehört er nicht in die Kategorie der „Fundamentalisten“, deren Ausrichtung weiter unten im Dokument mit der Ideologie der Muslimbrüder in Verbindung gebracht wird (ebd.).54 Der traditionelle Islam ist zudem in dieser Klassifizierung kein Synonym des moderaten Islam, sondern er stellt nur einen Teilbereich dieser Kategorie dar. Die GMP erscheint folglich nicht mehr als alleinige Repräsentantin des moderaten Islam, sondern als Vertreterin einer seiner Spielarten. Die gesellschaftliche Bedeutung des traditionellen Islam deutet sich in der oben zitierten Aussage Godards an, der moderate und traditionelle Islam der GMP sei zugleich ein beruhigender („rassurant“) Islam. Die Vorstellung, ein konservativer, in alten Traditionen verhafteter Islam sei politisch ungefährlich und müsse daher gefördert werden, war sowohl im kolonialen Algerien als auch im Zuge der Eröffnung der GMP präsent (vgl. Kapitel 2.3.3., 3.1.1.). Dasselbe Argument war auch im Algerien der 1990er und der 2000er Jahre von Bedeutung. Judith Scheele hat gezeigt, dass die algerische Regierung zu dieser Zeit die französisch-koloniale Unterscheidung zwischen einem traditionellen und einem islamistischen Islam reproduziert hat. Der erstere, als tolerant und wahrhaft algerisch („truly Algerian“) defi54 Den Fundamentalististen werden die UOIF, die marokkanisch dominierte FNMF sowie die zur UOIF gehörige Jugendorganisation AEIF zugerechnet (ebd.); das Bild der FNMF änderte sich in den Folgejahren jedoch in die Richtung einer „traditionellen Organisation“ (vgl. Godard/ Taussig 2007: 40–42).

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nierte Islam bildete dabei das konzeptuelle Gegenstück zu international vernetzten Strömungen, die als politisch gefährlich betrachtet wurden (Scheele 2007: 315). Seit den 2000er Jahren bezeichnete die Regierung, genau wie die französischen Kolonialherren zu Beginn des 20. Jahrhunderts (ebd.: 307–311, vgl. Kapitel 3.1.1.), mit traditionellem Islam immer öfter sufistische Gruppierungen. Während die sufistischen turuq nach der Unabhängigkeit zunächst ˙ Kolonialmacht diskreditiert und als Kollaborateure mit der französischen politisch marginalisiert worden waren, erlebten sie nun, im Rahmen einer Politik, die den Sufismus in den Dienst der Bekämpfung radikalislamischer Strömungen in Algerien stellte und ihn zunehmend unterstützte (Godard/ Taussig 2007: 44), eine neue Art politischer Anerkennung (vgl. Scheele 2007: 313–317). Ob der Identitätsmarker des „traditionell-moderaten Islam“ innerhalb französisch-politischer Entscheidungsprozesse tatsächlich instrumentalisiert wird und welche Bedeutung ihm zukommt, müsste in weiteren Forschungsarbeiten erörtert werden. An dieser Stelle kann jedoch zumindest festgestellt werden, dass die kolonialgeschichtlich verankerte Konzeptualisierung eines authentischen, indigenen, unpolitischen und folglich ungefährlichen Islam im Kontext der befürchteten Gefahr durch islamistisch-terroristische Gruppierungen sowohl in Algerien als auch in Frankreich wieder auftaucht. Die Vorstellung eines konservativen und in Traditionen verhafteten Islam steht dabei in beiden Ländern dem ebenfalls immer wieder aktualisierten Identitätsmarker des „islam clair “ gegenüber, der rational, fortschritts- und modernisierungsfähig ist (vgl. Kapitel 3.1.1).55 Dies weist auf die Komplexität und bisweilen Paradoxie in der Konstitution eines förderungswilligen moderaten Islam hin, dessen Bestimmung französische sowie algerische Akteure umkämpften. Noch offensichtlicher als die angedeutete Charakterisierung der GMP als moderat-traditionell ist zu Beginn der 2000er Jahre jedoch eine andere diskursive Verschiebung: Obwohl die Große Moschee von Paris tatsächlich bereits seit einigen Jahrzehnten hauptsächlich algerischstämmige Muslime oder ehemalige Harkis um sich versammelte, so wurde sie seit den 2000er Jahren auch öffentlich vermehrt als algerische Instanz präsentiert, was fortan in Konflikt zur weiterhin popularisierten Darstellung der GMP als Vertreterin aller moderaten Muslime Frankreichs stehen soll. Diese Entwicklung hängt mit der Gründung des Muslimrates CFCM zusammen, wie im Folgenden erläutert wird. Die Analyse der oben genannten Zeitungsartikel bestätigt, dass die GMP auch in der Tagesberichterstattung nicht ausschließlich als moderat, sondern im Vergleich zu den 1990er Jahren nun deutlich häufiger durch ihre Anbindung 55 Auch Bouteflika betonte immer wieder die Wichtigkeit, eine aufgeklärte Moderne („modernit clair e“) zu verwirklichen (Basbous 2000: 110).

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an Algerien, beispielsweise durch Zusätze wie algeriennah („proche de l’Alg rie“) mit Algerien verbunden („li l’Alg rie“), oder von Algerien finanziert („financ par l’Alg rie“) charakterisiert wurde.56 Diese neue Verortung ist Folge der Rolle, die die französische Regierung den maghrebinischen Ländern im Zuge der CFCM-Gründung zugesprochen hat und die diese Länder schließlich angenommen haben. In Darstellungen zur rezenteren Islampolitik in Frankreich ist immer wieder die sogenannte „Rückkehr der Heimatländer“ besprochen und kritisiert worden (z. B. Boyer 2005: 18; Godard 2007: 183–187).57 Der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy bezog staatliche Vertreter aus Tunesien, Marokko, Algerien, der Türkei und sogar Saudi-Arabien intensiv in die Definition der Wahlstrukturen und Organisationsmodalitäten des CFCM ein. Bevor er sich im Dezember 2002 mit den Vorsitzenden der einzelnen muslimischen Dachverbände in Frankreich auf eine Besetzung der zu verteilenden Präsidentenposten einigte, hatte er diese bereits in verschiedenen Treffen mit algerischen, marokkanischen, tunesischen, türkischen und saudischen Botschaftern oder Ministern ausgehandelt (Boyer 2005: 18). Im Ergebnis erhielt die GMP, die sich durch Algerien vertreten sah, den Präsidentenposten zugesichert; die FNMF, durch die sich Marokko repräsentiert sah, einen Vizepräsidentenposten; die teils aus Saudi-Arabien finanzierte UOIF einen zweiten Vizepräsidentenposten und der Präsident der türkischen CCMTF die Rolle des Generalsekretärs (Godard/Taussig 2007: 172). Was waren die Gründe für dieses Vorgehen? Jonathan Laurence macht darauf aufmerksam, dass europäische Staaten muslimische Herkunftsländer aus pragmatischen sowie aus diplomatischen Gründen („for practical and diplomatic reasons“) seit dem Zweiten Weltkrieg um finanzielle und logistische Unterstützung für Moscheebauten, die Ausbildung religiösen Personals oder die Durchführung von Beerdigungsritualen baten (Laurence 2005: 45). In Frankreich fließen diese Mittel, so Laurence weiter, hauptsächlich in vier Dachverbände: in die GMP (Gelder aus Algerien), in die FNMF (Gelder aus Marokko), in die CCMTF (Gelder aus der Türkei) sowie in die UOIF (vor allem Gelder aus Saudi-Arabien). Insgesamt stellen sie eine Summe von einigen Millionen Euro pro Jahr dar (ebd.), die die französische Regierung den Verbänden aufgrund der Trennung von Staat und Kirche nicht zusprechen kann, 56 z. B. Larminat 30. 04. 2002; Mar chal 07. 10. 2002; Meunier 22. 10. 2002; Ludovic 04. 04. 2003; Rousseau 04.04./05. 04. 2003; Portes 12./13. 04. 2003; Portes 14. 04. 2003; Deloire/Cordelier 30. 09. 2004; Gabizon 16./17. 10. 2004; Gabizon 21. 03. 2005; Portes 18. 06. 2005; Lemieu/Perdreau 13. 07. 2006; GL Islam. La tutelle controvers e; GL Culte Musulman; GL Rendez-vous dans deux ans; GL Le ministre de l’Int rieur. 57 Godard/Taussig bezeichnen es beispielsweise als paradox, dass gerade ein Repräsentationsorgan, das einen vom Ausland unabhängigen Islam Frankreichs hervorbringen sollte, den Herkunftsländern eine Macht zurückgab, die sie längst verloren hatten (Godard/Taussig 2007: 175). Geisser sieht diese Kritik durch die Positionen vieler lokaler Imame und Moscheeverwalter bestätigt, die ihm zufolge den Einfluss der Maghreb-Länder auf den CFCM als eine neokoloniale Bevormundung empfanden (Geisser/Zemouri 2007: 89 f.).

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die sie aber Anfang der 2000er Jahre dafür verwenden wollte, moderatere Ausdrucksformen des Islam in Frankreich zu fördern („more moderate expressions of Islam in France“) (ebd.: 46). Die Interessen der nordafrikanischen Regierungen waren ähnlich ausgerichtet. Einerseits waren die in Frankreich lebenden Emigranten für ihre Herkunftsländer immer ein wichtiger politischer und ökonomischer Faktor gewesen. Ihre Devisen waren z. B. für Marokko eine bedeutende Einnahmequelle (ebd.: 45). In die erstmaligen CFCM-Wahlen58 im Jahre 2003 hatten sich Algerien und Marokko kaum eingemischt. Marokko erkannte im Vorfeld der zweiten Wahlen 2005 die sicherheitspolitischen Potentiale, die mit einem Engagement für den CFCM verbunden sein könnten. Die Terroranschläge in Casablanca im Jahr 2003, innenpolitische Erfolge islamischer Parteien sowie vor allem Attentate, die von Marokkanern im Ausland verübt wurden und das Image des Königreiches zu beschädigen drohten,59 veranlassten die marokkanische Regierung dazu, eine massive Kontroll- und Interventionspolitik und dies über die Grenzen des eigenen Landes hinaus in die Wege zu leiten (Godard/Taussig 2007: 183 f.). Dass die Regierung 2005 marokkanische Moscheevorsteher in Frankreich mobilisierte und sie dazu aufriefe, die FNMF in den CFCM zu wählen, ist ohne Zweifel Ausdruck dieser Politik (ebd.: 184). Aus internen Dokumenten des französischen Innenministeriums geht hervor, dass auch das Interesse Algeriens an der GMP vor allem sicherheitspolitischer Natur war. So schreibt Bernard Godard schon in einem internen Bericht vom 23. 01. 2001, dass die GMP seit circa zehn Jahren eng vom algerischen Geheimdienst Direction du renseignement et de la s curit (DRS) überwacht werde, welcher Personalernennungen an der GMP bestätige oder ablehne (AN Structuration du culte: 14). Die algerische Regierung war sich ihres starken Einflussverlustes auf die Moscheen in Frankreich bewusst und versuchte, so das Schreiben weiter, diesem Trend durch eine vorsichtige Politik entgegenzuwirken. So hatte sie einen Generalinspektor für Moscheen („un inspecteur g n ral des mosqu es“) ernannt, der ein ausgewiesener Kenner islamistischer Netzwerke war und den Auftrag erhielt, eine größtmögliche Anzahl an algerisch-muslimischen Akteuren in Frankreich politisch an die GMP zu binden (ebd.: 4). Im Zuge der ersten CFCM-Wahlen 2003 testete 58 Während bestimmte Posten im CFCM im Vorhinein besetzt und zudem eine gewisse Anzahl an Experten ernannt worden waren, wurden die übrigen Plätze, z. B. in der Assembl e G n rale oder im Conseil Administratif durch alle zwei Jahre stattfindende Wahlen besetzt. Darüber hinaus wurden regionale Zweigstellen (Conseils r gionaux du culte musulman, CRCM) eingerichtet, deren Präsidentenposten ebenfalls zur Wahl standen und jeweils einer der großen muslimischen Verbände zugesprochen wurden. Zur Teilnahme an der Wahl waren Moscheen berechtigt, die sich eigens für die Wahl hatten registrieren lassen. Die Zahl ihrer Wahlmännerstimmen richtete sich nach der Fläche der Moschee: pro 100 m2 eine Stimme (vgl. Godard/Taussig 2007: 175–177; Telhine 2010: 330). 59 Godard/Taussig nennen als Beispiel die Ermordung von Theo van Gogh am 2. November 2004 in Amsterdam sowie die Terroranschläge in Madrid am 11. April 2004 (Godard/Taussig: 2007: 184).

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Algerien dieses inoffizielle, frankreichweite Loyalitätsnetz erstmals aus (Godard/Taussig 2007: 175). Als die GMP in den ersten Wahlen nur wenig Stimmen auf sich vereinen konnte60 und das Nachbarland Marokko sich intensiv auf die neuen CFCM-Wahlen im Jahre 2005 vorbereitete, brachte sich die algerische Regierung zwei Jahre später noch intensiver in die Mobilisierung der ihr nahestehenden Moscheen in Frankreich ein (ebd.: 184). Algerische Autoritäten übten dabei massiven Druck auf die Moscheevereine aus, damit diese an den Wahlen teilnahmen und für „algerische Interessen“ abstimmten (Telhine 2010: 330). Im Jahre 2005 gewann die GMP im CFCM zwar mehr Sitze, schnitt jedoch weiterhin schlechter ab als die von mehr Erfolg gekrönte FNMF. Durch die Gründung von acht F d rations r gionales de la mosqu e de Paris (FRGMP) im Jahre 2006 sollte eine gute Implementierung der GMP in den Regionen Frankreichs erreicht werden (INT GOD). Zu den konkreten Projekten, Tätigkeitsfeldern und Vorgehensweisen der FRGMPs existieren bislang keine Analysen. Bernard Godard deutet jedoch an, dass die algerischen Akteure, die den Einfluss der GMP auf regionaler Ebene auszubauen suchten, kaum eine Verbindung zu islamisch-religiösen Angelegenheiten hatten (ebd.). Es waren vor allem Mitglieder der algerischen FLN oder des Rassemblement national d mocratique (RND), die für die GMP die Hegemonie innerhalb des CFCM anstrebten (AN Structuration du culte: 15) Für diese Studie ist wichtig, dass die algerische Regierung massiv den Faktor „Algerien“ einsetzte, um die Wahlberechtigten in den Moscheen zu mobilisieren und sie im Rahmen der CFCM-Wahlen zur Unterstützung der GMP zu bewegen: Nicht weil diese im Vergleich zur FNMF oder zur UOIF den besseren Islam vertreten würde, sollten Moscheevorsteher sie wählen, sondern weil sie Algerier waren. Die GMP sollte die algerischen Muslime in Frankreich vertreten – an einer Einrichtung, die für alle Muslime Frankreichs sprach, hatte Algerien kein Interesse. Die Intentionen der französischen Regierung waren demgegenüber komplexer, wie ein weiterer unveröffentlichter Bericht des französischen Innenministeriums aus dem Jahre 2001 verdeutlicht. Alain Billon, damals Berater des Innenministers in Islamfragen, beschreibt die Rolle, die die französische Regierung für die GMP wünschte, hier wie folgt: Le r le attendu de l’IMMP61 est celui d’un rassembleur, organisant autour de lui le p le v ritablement la que et r publicain au sein de l’islam en France, permettant de donner un coup d’arrÞt la r sistible avanc e des divers courants communautaristes qui occupent un terrain laiss libre, et progressent sans rencontrer jusqu’ pr sent de 60 Die Anzahl derjenigen, die die GMP in den Conseil administratif und in das Bureau du conseil gewählt hatten, war zahlenmäßig deutlich geringer als diejenigen der siegreichen FNMF und der UOIF, die auf der Wahlrangliste den zweiten Platz einnahm (vgl. Godard/Taussig 2007: 175). 61 Die Abkürzung IMMP steht für Institut musulman de la Mosqu e de Paris. Dies ist die ursprüngliche Bezeichnung, die der Einrichtung bei ihrer Eröffnung 1926 gegeben wurde und die seltener noch heute benutzt wird.

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r sistance vraiment efficace (cf. l’important rassemblement annuel de l’UOIF au Bourget) (AN Mosqu e de Paris/Rapport Billon 2001: 3).

Obwohl Billon der GMP im CFCM weiterhin die Rolle der Repräsentantin eines „republikanischen Islam“ zudachte, wird in demselben Schreiben jedoch deutlich, dass auch er die Integration der GMP in den CFCM deshalb wichtig fand, weil die Organisation des Islam in Frankreich ohne die Komponente Algerien nicht denkbar war: L’organisation du culte musulman en France ne peut se faire dans de bonnes conditions qu’en concertaion et en coop ration avec les pays maghr bins, et en un premier lieu avec l’Alg rie (ebd.).

Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und muslimischen Verbänden zu Beginn der 2000er Jahre, die verstärkte Einbeziehung von Herkunftsländern in die Institutionalisierung des Islam in Frankreich sowie nicht zuletzt die zentrale Rolle, die der GMP als Vertretung Algeriens zukam, spiegelten sich abermals im islampolitischen Dossier der Imame wieder. Ähnlich wie zu Beginn der 1990er Jahre können die transnationale Verhandlung von islampolitischen Interessen und Identitätsmarkern sowie ihre Konsequenzen für die Positionierung der GMP also noch einmal am Beispiel der a) Entsendung nach beziehungsweise der b) Ausbildung von Imamen in Frankreich verdeutlicht werden. 3.2.3. Die neue Debatte um moderate Imame Seit dem 11. September 2001 rückte die Figur des Imam europaweit in das Interesse wissenschaftlicher Forschung sowie nationaler politischer Debatten. Vielerorts wurde der Imam zu dieser Zeit zum zentralen Akteur innerhalb des Feldes muslimisch-religiöser Experten erhoben (Akgönül 2010: 119) und noch enger als zuvor mit sicherheits- und integrationspolitischen Fragen verknüpft: Ein gut und in Europa ausgebildeter Imam, der mit dem europäischen Lebenskontext vertraut ist, würde, so eine unter den politischen Eliten verbreitete Meinung, zur Integration der Muslime in das jeweilige europäische Land beitragen, Gewaltbereitschaft eindämmen und Wertkonflikte zwischen „muslimischen“ und „europäischen“ Akteuren lösen können.62 In mehreren Ländern setzten Politiker zu dieser Zeit die inländische Ausbildung von Imamen auf die Agenda ihrer Forderungen; einige Jahre später wurden in verschiedenen Staaten unterschiedliche Ausbildungs- und Fortbildungsangebote an Universitäten oder im Rahmen von privaten Instituten eröffnet.63 62 Vgl. z. B. Aslan 2012: 19 f.; für die Schweiz: Lüddeckens/Rudolph u. a. 2009: 4 f 8–10; für Großbritannien Peter 2008: 89–93. 63 Für verschiedene Initiativen z. B. in Belgien, Deutschland, den Niederlanden und Großbritan-

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Auch in Frankreich setzte man sich zu Beginn der 2000er Jahre erneut öffentlich mit der Notwendigkeit der Kontrolle und der Ausbildung von Imamen auseinander und bettete diese dabei entsprechend vorausgehender Debatten a) in die sicherheitspolitische Diskussion zur Bekämpfung des „radikalen Islam“ sowie b) in die hiermit verknüpfte Frage der Institutionalisierung des Islam ein. Franck Fr gosi zeigt den Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 auf und erklärt, dass in der Folgezeit zunächst häufig die Figur des radikalen Imam thematisiert wurde, der die jungen Muslime in Frankreich in flammenden Reden zum djiha¯d aufrufe (Fr gosi 2005). Durch eine dichte Kontrollpolitik, die polizeiliche Schließung von Gebetsräumen sowie den Hausarrest oder die Ausweisung von Imamen (vgl. Amghar 2008: 102; Fr gosi 2005) rückte der Identitätsmarker des „radikalen Imam“ ähnlich wie in den 1990er Jahren ins Zentrum öffentlicher Debatten und wurde immer öfter mit dem Identitätsmarker „Salafismus“ verknüpft (GL Formation des imams: 18). Deltombe verortet die Entstehung des Feindbildes des salafistischen Imam im französischen Fernsehen insbesondere in die Zeit nach den Bombenexplosionen in Madrid im März 2004, die einer Gruppe im Umfeld von Al-Qaida zugeschrieben wurden (2007: 335). Im Kontext dieser Debatten wurde auch die Gegenfolie des frankophonen und mit den Werten der Republik vertrauten Imam, der radikales Gedankengut eindämmen könne, wieder vermehrt öffentlich thematisiert (Peter 2003: 20; Fr gosi 2005: 4). Auf der jährlichen Versammlung der UOIF in Bourget am 18. 04. 2003 beschrieb Sarkozy den gewünschten französischen Imam laut Lib ration wie folgt: Les jeunes musulmans de France ont besoin d’imams qui les comprennent, qui soient-eux-mÞmes impr gn s de la culture franÅaise, de son organisation, de ses traditions et qui parlent la mÞme langue qu’eux. Pour que l’islam soit pleinement int gr la R publique, ses premiers repr sentants doivent eux-mÞmes Þtre parfaitement int gr s la R publique et par cons quent form s en France. Nous n’avons pas d pendre de l’ tranger pour obtenir au final des imams qui ne parlent pas un mot de franÅais (Nicolas Sarkozy nach Coroller 04. 05. 2003).

Der ideale Imam sollte also vor allem französisch sprechen, von der französischen Kultur geprägt, „integriert“ und folglich in Frankreich ausgebildet sein. Die Organisation einer fundierten Ausbildung, die solche muslimischen Experten hervorbringen sollte, war von Mitarbeitern des französischen Innenministeriums bereits vor dem 11. September 2001 weiter diskutiert worden. Sie bildete nach wie vor eine wichtige Säule der Institutionalisierung islambezogener Angelegenheiten in Frankreich. Innerhalb des CFCM wurde nien vgl. Husson 2007: 14–25; Kamp 2010; für Österreich vgl. Beluli 2012; für die Niederlande Meuleman 2012; für Spanien Galguera 2012; für die Schweiz Neziri 2012.

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die Ausbildung von Imamen ebenfalls in einer eigens hierzu geschaffenen Kommission besprochen (Godard/Taussig 2007: 181; Peter 2006b: 715). Die Kommission wurde damit beauftragt, Funktionen sowie Aufgabenbereiche des Imam zu definieren und ein Curriculum zu seiner Ausbildung auszuarbeiten (Godard/Taussig 2007: 181). Dieser Prozess ist aufgrund interner Differenzen im CFCM jedoch immer wieder blockiert worden (ebd.). Aufschlussreich ist aber, mit welchen muslimischen Dachverbänden französische Regierungsvertreter in Hinblick auf die Ausbildung und Kontrolle von Imamen zusammenzuarbeiten bereit waren: Auf die Integration der UOIF in die Organisation islambezogener Angelegenheiten zu Beginn der 2000er Jahre ist oben bereits hingewiesen worden. Genau wie französische Politiker charakterisierten UOIF-Akteure die Situation in den französischen Vororten als besorgniserregend. Der damalige Vorsitzender Lhaj Thami Breze präsentierte die UOIF dabei als Vermittlerorganisation, die durch eine verantwortungsbewusste Haltung und eine beschwichtigende Spiritualität die Lage zu entschärfen im Stande sei (Geisser/Zemouri 2007: 117). Auf diese Weise besetzte die UOIF nun eine ähnliche Position wie diejenige, die Dalil Boubakeur seit den 1990er Jahren eingenommen hatte; die Einstellung von UOIF-Anhängern konvergierte auch in der Imam-Frage mit jener der GMP und mit jener der französischen Regierung: Imame sollten, so der Konsens, gut ausgebildet sein und schließlich zu den Jugendlichen geschickt werden, um sie vor radikalen Predigern zu schützen (Peter 2006b: 708). War das IESH der UOIF in den 1990er Jahren noch als potentielle Produktionsstätte radikalen Gedankenguts betrachtet worden (vgl. Peter 2010: 150 f.), so sollten seine Vertreter nun im Gegenteil als Verbündete des Staates gegen ein neues Feindbild kämpfen: den salafistischen Prediger. Die Einbeziehung der Großen Moschee von Paris in die Organisation der Imamausbildung in Frankreich war, so zeigen es interne Dokumente des französischen Innenministeriums, jedoch ebenfalls ein explizites Anliegen der französischen Regierung und zudem Gegenstand von Aushandlungen mit dem algerischen Staat. Die Motivationen entsprachen denjenigen, die die Regierung auch allgemein zur Einbindung der GMP in den CFCM bewegt hatte. Zur Sicherung des Einflusses der GMP auf die Institutionalisierung des Islam in Frankreich betrachtete Alain Billon zwei Bereiche als zentral: 1. Die Regulierung der Entsendung von Imamen aus Algerien, die bis 2001 noch immer im Rahmen des 1981 beschlossenen ELCO-Abkommens nach Frankreich kamen (vgl. Kapitel 3.1.1.) und 2. die Neueröffnung eines Imamausbildungsinstituts an der GMP. Beide Aspekte wurden im Rahmen eines für Februar 2001 geplanten Algerienbesuchs von Innenminister Daniel Vaillant als prioritäres Gesprächsthema mit der algerischen Regierung gelistet (AN Structuration du culte). Dabei beschrieb Billon die Verhandlungsbedingungen folgendermaßen: Würde die algerische Regierung die Forderungen Frankreichs ablehnen, so nähme die Bedeutung der GMP zugunsten anderer isla-

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mischer Akteure in Frankreich weiter ab. Eine Einigung hingegen würde ihren Einfluss dauerhaft sichern (ebd.). Am 18. Juli 2001 kam tatsächlich ein neues Abkommen zwischen der algerischen und der französischen Regierung zustande, das dem aus Algerien entsandten Personal den ELCO-Status entzog und stattdessen die offizielle Entsendung von bis zu 100 Imamen für eine Aufenthaltsdauer von maximal vier Jahren nach Frankreich vereinbarte (GL Formation des imams 8 f.; vgl. Exkurs). Die Auswahl der Imame wurde dem algerischen Religionsministerium überlassen, während die GMP in Paris als Schaltstelle funktionieren sollte, von der aus die Imame bezahlt, ihren Einsatzmoscheen zugeteilt sowie in ihren Aussagen und Tätigkeiten kontrolliert werden (AN Convention imams ELCO). Dieses Abkommen sicherte der GMP und dem algerischen Staat eine bedeutende Einflussmöglichkeit und ein frankreichweites Netzwerk zu, auf das sie im Zuge der CFCM-Wahlen zurückgreifen konnten. Auch die (Neu-)Eröffnung eines Imamausbildungsinstituts an der GMP kam im Jahre 2001 zustande. Die algerische Regierung entsandte Personal zur Organisation und für den Betrieb des neu eröffneten Institut al-Ghazali (vgl. Exkurs). Bernard Godard erklärte jedoch im bereits mehrfach zitierten Gespräch vom 22. Oktober 2008, dass das Interesse des algerischen Staates an dem Institut nicht von Dauer war und er es auch nicht direkt finanzierte. Als Grund vermutet er, dass die algerische Regierung eine Imamausbildung in Paris nicht für notwendig hielt und ihr immer noch die Entsendung von in Algerien ausgebildeten Imamen vorzog (INT GOD). In den französischen Medien wurde das Institut al-Ghazali insbesondere einige Jahre später positiv herausgestellt: Im Jahre 2007 war eine Vereinbarung des Institut al-Ghazali mit der Pariser Universität Institut Catholique zustande gekommen (INT ANO1). Der geplanten Kooperation zufolge sollten die Studierenden die klassischen islamischen Fächer am Institut al-Ghazali der GMP studieren und zusätzlich Kurse zur französischen Laizitäts- und Institutionengeschichte sowie Einführungen in das französische Recht am Institut Catholique besuchen64 (vgl. Kapitel 4.1.1.). Eine solche Kooperation war von französischen Politikern schon seit längerem gefordert worden (GL Formation des imams: 51). Allerdings waren diesbezügliche Verhandlungen mit der Universität Paris IV und später auch mit der Universität Paris VIII in SaintDenis an Bedenken bezüglich eines Verstoßes gegen die französische Laizität gescheitert. Daraufhin hatte sich die Facult de sciences sociales et conomiques (F.A.S.S.E.) des Institut Catholique für das Vorhaben angeboten und unter Vermittlung des Innenministeriums schließlich an die GMP gewandt (ebd.: 51–54; INT ANO1). Die UOIF lehnte eine derartige Zusammenarbeit ab, was in den Medien oftmals angemerkt wurde, ohne dass der Dachverband 64 Die Kurse des Institut Catholique wurden schlussendlich nicht als integrativer Teil des Curriculums am Institut al-Ghazali, sondern in der Form eines Zusatzdiploms angeboten (vgl. Kapitel 4.1.1.).

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daraufhin jedoch negativ bewertet wurde (z. B. Le Bars 09. 10. 2007; De Ravinel 29. 01. 2008; GL D buts de la formation). Die Kooperation zwischen dem Institut Catholique und dem Institut al-Ghazali wurde in den französischen Tageszeitungen jedoch als positives Zeichen der Integrationswilligkeit von Imamen hervorgehoben und gelobt. Zudem wurden zahlreiche Zitate von Studierenden, dem Institutsleiter Djelloul Seddiqi und Dalil Boubakeur angeführt, die die Erwartungen der Öffentlichkeit bestätigten. So erklärten sie, dass die Kurse am Institut Catholique die angehenden Imame (vgl. Kapitel 4.1.1.) für die französische Gesellschaft öffneten und ihre Integration in die Republik vorantrieben.65 Le Monde zitierte beispielsweise einen Studierenden des Institut al-Ghazali und des Institut catholique, der aussagte, die Kooperation mit dem Institut Catholique habe zum Abbau von Vorurteilen gegenüber der Republik geführt und die Studierenden in die Lage versetzt, mit den politischen Autoritäten zu kommunizieren: „On y a acquis une culture institutionnelle et citoyenne et certains ont pu d construire les pr jug s qu’ils avaient sur la R publique“, t moigne Mohamed Ali Bouharb, tudiant sortant et aum nier militaire en exercice. „D sormais, nous sommes capables de nous entretenir avec un lu en parlant le mÞme langage que lui“, ajoute-til (GL Une deuxi me promotion d’imams).

In der Praxis funktionierte die Kooperation aus verschiedenen Gründen nur sehr schlecht (INT ANO1) und ist inzwischen wieder beendet worden (vgl. Kapitel 4.1.1.). Die vorausgehenden Darstellungen zeigen, inwiefern die erläuterte Neuordnung französischer Islampolitik zu Beginn der 2000er Jahre sich auch in konkreten Handlungsfeldern wie der Ausbildung und Unterstützung von Imamen niederschlägt. Die fortan in die Kooperation mit dem französischen Staat eingebundene UOIF galt nun ebenfalls als wichtiger Akteur im Kampf gegen die radikalen Prediger und nahm der GMP so die Monopolstellung, die ihr unter Charles Pasqua in den 1990er Jahren zugesprochen worden war. Wie Dalil Boubakeur auf diese diskursive Verschiebung reagierte und die Machtposition seiner Institution zu verteidigen suchte, wird im Folgenden dargestellt.

3.2.4. Dalil Boubakeur und der Kampf um die verlorene Position Die CFCM-Wahlen in den Jahren 2003 und 2005 hatten gezeigt, dass die Große Moschee von Paris von den Muslimen in Frankreich auch regional kaum unterstützt wurde. Die vorausgegangenen Ausführungen haben zudem gezeigt, 65 Vgl. Vallette 04. 10. 2007; Neveux 04. 10. 2007; Baverel 28. 01. 2008; Goulmamine 06. 03. 2008; Sauto 25. 11. 2008; Solonel 25. 11. 2008; Sauto 31. 01. 2008; Boulic 31. 01. 2008; Gabizon 07. 04. 2009; GL Nous voulons lutter; GL Premi re promotion d’ tudiants; GL Une deuxi me promotion d’imams; GL La facult catholique de Paris; GL Quarante imams et aum niers.

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dass Dalil Boubakeur als Rektor der GMP nicht frei über die Partizipation am CFCM oder über etwaige machtpolitische Strategien im Zuge der Wahlprozesse entscheiden konnte. Boubakeur war teils Spielball französisch-algerischer Verhandlungen und politischer Interessen, die über seine Funktion im CFCM entschieden und die Rolle bestimmten, die die Moschee innerhalb des Muslimrates einnehmen sollte. Aus einer internen Mitteilung, die Alain Billon, damaliger Islamberater am BCC, am 30. 10. 2001 an den Innenminister schrieb, geht beispielsweise hervor, dass französische Politiker Boubakeur davon zu überzeugen suchten, gleichgesinnte Personen und Vereine um sich herum zu vereinen und mit ihnen innerhalb des CFCM den Pol eines moderaten Islam und damit ein Gegengewicht zur UOIF zu bilden. In ebendieser Mitteilung wurde erwähnt, dass die algerische Regierung Boubakeur angewiesen hatte, den Gründungsprozess des CFCM nicht zu blockieren (AN Structuration du culte). Zugleich wurde gefordert, man müsse algerische Regierungsmitglieder dazu aufzurufen, dass sie Boubakeur weiterhin zu einer größeren Kooperation innerhalb der Planung und Gründung des Muslimrates CFCM drängen (ebd.). Wie aber verhielt Boubakeur sich in dieser Konstellation? Zunächst sprach sich der Moscheerektor vehement gegen den geplanten CFCM aus, der die GMP offiziell zu einem, wenn auch dem zentralen islampolitischen Akteur neben anderen degradierte und dessen Wahlen zudem die frankreichweite Nichtrepräsentativität der Institution zu belegen drohten. So versuchte Boubakeur anfangs, die eigentlich für Anfang des Jahres 2002 geplanten Wahlen des CFCM hinauszuzögern: Im April desselben Jahres wurde die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahlen durchgeführt und es wurde erwartet, dass Jacques Chirac sich gegen seinen Konkurrenten Jean-Marie Le Pen durchsetzen würde. Boubakeur hoffte, dass Chirac, den er als guten Freund betrachtete, den Gründungsprozess des CFCM unmittelbar nach seiner Wahl zum Präsidenten annullieren und der GMP die Position zurückgeben würde, die ihr in den 1990er Jahren unter Charles Pasqua zugesprochen worden war (vgl. Boyer 2005: 17; Sellam 2006: 298). Als sich diese Erwartung nicht erfüllte, die CFCM-Gründung umgesetzt wurde und die GMP schließlich deutlich weniger Stimmen erreichte als die beiden großen Konkurrenten FNMF und UOIF, nutzte Boubakeur immer wieder die dichotomische Unterscheidung zwischen einem moderaten und einem radikalen Islam, um die Konkurrenten der GMP im CFCM als gefährlich zu brandmarken (Boyer 2005: 17; Peter 2006: 11; Deltombe 2007: 325 f.). So drohte er kurz nach dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse mit seinem Rücktritt; wenig später nahm er diese Entscheidung zurück und präsentierte sich als pflichtbewusster Vorsteher der Muslime Frankreichs, der den neu gegründeten Rat nicht seinem Schicksal überlasse, sondern seinen Kampf gegen die Fundamentalisten aufnehme (vgl. GL L’Islam de France; Gabizon 17. 06. 2003; Ternisien 17. 06. 2003; Gabizon 28./29. 06. 2003). Laut Le Monde

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äußerte er wenig später, er fühle sich wie eine Geisel im neuen Rat der Islamisten (Ternisien 29./30. 06. 2003). Im Unterschied zu seinen öffentlichen Bewertungen zu Beginn der 1990er Jahre kritisierte Boubakeur nun insbesondere die UOIF in der Öffentlichkeit immer wieder als fundamentalistische Gefahr (Boyer 2005: 17; Peter 2006: 11) und warf ihrem Führungspersonal vor, dass sie mit Hilfe von Geldern aus den arabischen Golfstaaten einen politisierten Islam in Frankreich verbreiteten (Ternisien 17. 06. 2003; Kaci 24. 06. 2003). Der von Boubakeur im Jahre 2003 publizierte Interviewband Non! L’Islam n’est pas une politique steht ohne Zweifel in derselben Zielsetzung, die GMP als die wichtigste Repräsentationsinstanz des Islam in Frankreich zu verteidigen und die Beteiligung anderer Gruppierungen im CFCM zu verurteilen. So begründet der Rektor seine Skepsis gegenüber dem CFCM innerhalb eines Fragenblocks zur Gründung des Muslimrates (Boubakeur 2003a: 95–114) wie folgt: Certaines organisations musulmanes auraient souhait marginaliser la Mosqu e de Paris. Dans ces conditions, o tait la n cessit , pour nous, de participer des lections qui allaient inexorablement favoriser un militantisme que nous ne pratiquons pas? (ebd.: 102).

Dabei definierte er die GMP wie schon in den 1990er Jahren als eine Institution, deren Unterstützung der sicherste Weg sei, die Ausbreitung radikalen Gedankenguts in Frankreich zu stoppen. Die Politik der Marginalisierung der Großen Moschee von Paris hingegen, so Boubakeur, führe dazu, dass radikale Muslime sich unbemerkt ausbreiten können: Depuis une dizaine d’ann es, tout se passait comme si un mot d’ordre d’affaiblir la Mosqu e de Paris avait caract ris l’action et la r flexion des d cideurs, des m dias, de la diplomatie… Par l mÞme, en s’hypnotisant de mani re artificielle et fausse sur cette institution, on en a oubli un fait essentiel: le progr s silencieux de la menace radicaliste qui profite des clameurs entretenues bÞtement autour de la Mosqu e. Alors qu’aujourd’hui on peut constater qu’elle est le plus s r garant institutionnel contre des d rives de l’islamisme (…) … ce recours la mosqu e de Paris, fid le et immuable en sa mission, est d’int rÞt national (ebd.: 103).

Auch in dem 2004 publizierten Interviewband L’Islam de France sera lib ral erklärte Boubakeur, ein mehr oder weniger radikaler Islam erlebe in Frankreich eine Blütezeit, weil Politiker die Rolle der GMP geschwächt hätten: La politique d’affaiblissement de la mosqu e de Paris sera, n’en doutez pas, la cause incidente d’un islam plus au moins radical qui prosp re aujourd’hui (Boubakeur 2004b: 120).

Auch die zweiten CFCM-Wahlen 2005 zögerte Dalil Boubakeur hinaus, indem er angab, die weitere Teilnahme der GMP davon abhängig zu machen, ob Innenminister Nicolas Sarkozy die Wahlmodalitäten zum Vorteil der GMP

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verändern würde oder nicht (Gabizon 09. 11. 2004). Laut Le Monde begründete er diese Forderung mit dem Bestreben, den „radikalen Islam“ im CFCM einzudämmen: Le coup de frein que j’ai mis aux lections est l gitime. Veut-on un culte musulman abandonn un islam radical, ou bien une communaut dirig e par un islam mod r ? (Boubakeur zitiert nach Ternisien 13. 11. 2004).

Inwiefern diese Argumentationsweise Boubakeurs eine Reaktion auf algerisch-staatliche Vorgaben darstellte, ist aufgrund der aktuellen Quellenlage nicht abschließend klärbar. Geisser/Zemouri zeigen zumindest, dass auch die algerischen Konsulate die französische Regierung nach den CFCM-Wahlen 2003 immer wieder dazu aufgefordert hatten, die Wahlen zum CFCM abzuschaffen und die Vertreter des Islam in Frankreich unilateral zu bestimmen (Geisser/Zemouri 2007: 66). Doch auch wenn die Entscheidungsmacht Boubakeurs in diesen Fragen eingeschränkt war, so vermochte er es, über seine öffentlichen Stellungnahmen und Publikationen einen gewissen Einfluss auf die Wahrnehmung der GMP in der Öffentlichkeit zu nehmen. Dalil Boubakeurs Fähigkeit, der französischen Bevölkerung ein positives Bild von der Moschee von Paris zu vermitteln und sie von ihrer Bedeutung zu überzeugen, sprach aus der Sicht algerischer und französischer Politiker jedenfalls dafür, ihn als Rektor der GMP sowie als Präsidenten des CFCM aufrecht zu erhalten (INT GOD). Im Folgenden lohnt es sich, die Argumentation Boubakeurs genauer zu betrachten. Innerhalb der neuen machtpolitischen Konstellation, in der Boubakeur noch immer eine privilegierte Position innehatte, die Wahlergebnisse des CFCM jedoch eine deutliche Überlegenheit der UOIF verkündeten, trat der Rektor im Unterschied zu seiner Argumentation in den 1990er Jahren (vgl. Kapitel 3.1.3.) verstärkt mit einer Rhetorik drohender Gefahr für die Muslime in Frankreich an die Öffentlichkeit. Über die zu Beginn des Kapitels angedeutete Brandmarkung der UOIF als fundamentalistisch hinaus machte er sich dabei die diskursiven Verschiebungen zunutze, die sich in Medien und politischen Stellungnahmen bezüglich der Bewertung internationalen islamischen Terrors nach dem 11. September 2001 vollzogen hatten (vgl. Kapitel 3.2.1.). So konzeptualisierte auch Boubakeur den radikalen Islam nun als globales, unsichtbares und folglich permanent bedrohliches Phänomen. Er erklärte, dass Islamismus seit dem 11. September 2001 von einer lokalen Erscheinung zu einem generellen und globalen Problem mutiert sei, vor dem sich fortan niemand mehr schützen könne. In Non! L’islam n’est pas une politique sagte Boubakeur beispielsweise: Ils [les v nements du 11 septembre 2001, R.S.] ouvrent une nouvelle re du mode op ratoire de la violence extr miste comme ils mettent jour cette esp ce d’inter-

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nationale islamiste qu’on redoutait depuis longtemps. La s curit absolue n’existe d sormais pour personne (Boubakeur 2003a: 38).

Oder in L’Islam de France sera lib ral: Ce n’est plus un probl me local, mais g n ral, mondial. Nul n’est l’abri de la violence ni du terrorisme (Boubakeur 2004b: 38).

Ebenfalls den Tendenzen in TV-Darstellungen dieser Jahre folgend, sprach Boubakeur nun im Vergleich zu den 1990er Jahren vermehrt vom Islamismus als einem Problem innerhalb des „Islam“: Certes, il existe une fÞlure aujourd’hui, une brisure mÞme; seulement, cette brisure ne s pare pas l’Orient de l’Occident, ni les Musulmans des autres hommes, croyants ou non. La brisure est au cœur mÞme de la communaut musulmane, entre ceux, d j clair s, qui pensent qu’un souffle puissant pousse l’Islam vers sa lumi re, vers son soleil, et ceux, encore ignorants, qui vourdraient le ramener toute force dans l’ombre et dans la nuit (Boubakeur 2002: 19).

Dieses Zitat verweist in seiner transnationalen Anschlussfähigkeit bei genauerem Hinsehen einmal mehr auf die komplexe Verflochtenheit algerischfranzösischer Diskursformationen und verdient daher eine kurze Besprechung: Zum einen verortet sich Boubakeur deutlich in neorepublikanischen Positionen, die seit Ende der 1980er Jahre verschiedenerseits popularisiert wurden (vgl. Kapitel 3.1.3.) und das Konzept der Republik mit der Aufklärung in Verbindung brachten, die ihrerseits bereits seit dem 18. Jahrhundert mit der Metapher des Lichts verknüpft war. Während der Islam aus neorepublikanischer Perspektive zumeist über Unwissenheit und Fanatismus definiert und der republikanischen Identität antagonistisch entgegengesetzt wurde, so identifizierte Boubakeur sein Konzept des Islam mit den von den Neorepublikanern vertretenen Eigenschaften der Republik. Weil diese Eigenschaften in Algerien in Reaktion auf französisch-orientalistische Vorwürfe aber auch mit islamisch-algerischer Identität verbunden worden sind und weil die algerischen Präsidenten Boumedienne und Bouteflika dementsprechend für einen aufgeklärten Islam der Moderne, der Rationalität und des Fortschritts einstanden, den sie gegen radikale islamische Strömungen zu verteidigen suchten (vgl. Kapitel 3.1.1.), hätte das obige Zitat auch von ihnen stammen können, ohne dass hiermit irgendeine Verknüpfung oder gar Identifizierung mit dem Konzept der französischen Republik verbunden gewesen wäre. Die historische Verflochtenheit von Identitätsmarkern ermöglichte es Boubakeur also, mit einer Aussage wie der oben zitierten, zeitgleich zwei diskursive Positionen zu bestätigen, die sich tatsächlich jedoch widersprechen: Boubakeurs Stellungnahme kann sowohl als Beleg für die Kompatibilität des Islam mit der französisch-republikanischen Identität als auch im Gegenteil als Bestätigung algerisch-republikanischer Identität gelesen werden, die sich als islamisch und nichtfranzösisch versteht.

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Das Bild des Kampfes zwischen zwei konträren Tendenzen innerhalb des Islam in Frankreich instrumentalisierte Boubakeur im Kontext der CFCM-Gründung weiterhin. Noch in seinem 2002 erschienenen Les d fis de l’Islam hatte Boubakeur ähnlich wie in den 1990er Jahren beschwichtigende Worte gesucht und erklärt, der islamische Fundamentalismus sei eine im Sterben inbegriffene Reminiszenz an frühere Zeiten. Er glaubte nicht, dass es einen Kulturkampf zwischen Islamisten einerseits und Anhängern der französischen Werte andererseits geben würde und wagte die Prognose, es werde auch in den Banlieues ruhig bleiben: Les banlieues franÅaises vont se tenir tranquilles. Le choc des cultures n’aura pas lieu. L’extr misme ne passera pas (Boubakeur 2002: 19).

In den folgenden Publikationen (insbesondere 2003a; 2004a,b) sprach Boubakeur jedoch nun ganz im Gegenteil von der wachsenden Bedrohung der moderaten Muslime durch Radikale und warnte von einem Kampf der Kulturen mitten in Frankreich, sollten die Islamisten nicht besiegt werden (Boubakeur 2004a: 39, 52–54). Frankreich könne zu einem Kampffeld zweier Wertesysteme werden und man müsse aufpassen, dass die Anhänger des islamistischen Wertesystems das Land nicht „kontaminierten“ (Boubakeur 2004b: 50, 53 f.). Der extremistische Islam, so der Rektor an anderer Stelle, gleiche einem Virus, der den Islam von innen infiziere und ihn schließlich zerstöre, wenn man ihn nicht effektiv bekämpfe: Il [l’extr misme] parasite la cellule qu’il infecte puis se multiplie l’int rieur de la cellule parasit e pour enfin lib rer les nouveaux virus produits qui peuvent s’attaquer au syst me immunitaire tout entier (Boubakeur 2003a: 102).

Boubakeur reproduzierte in diesen Aussagen die nach dem 11. September 2001 auch in den Medien vermehrt auftauchende Vorstellung, dass in Frankreich nun ein Kampf zwischen moderaten und radikalen Muslimen stattfinde und ein gleitender Übergang von ersteren zu letzteren nicht auszuschließen sei. Diesen Kampf lokalisierte er unweigerlich auch innerhalb des CFCM, in dem sich nun radikale und moderate Muslime gegenüberstünden (siehe oben). In diesem Versuch, für die Machtposition der Großen Moschee von Paris einzutreten, verteidigte Boubakeur interessanterweise kolonialpolitische Verwaltungspraktiken. Weil staatliche Akteure Boubakeur den Posten des CFCM-Präsidenten zugewiesen hatten, den er durch einen offenen Wahlprozess vermutlich nicht erhalten hätte, bezeichnete Boubakeur die Einflussnahme des französischen Staates auf den Organisationsprozess des Islam in Frankreich als eine Notwendigkeit und bemerkte, ohne dieses Eingreifen wäre die Gründung eines seriösen Repräsentationsorgans nicht möglich gewesen (Boubakeur 2004b: 114). Auch in Zukunft, so Boubakeur weiter, müsse der Staat intervenieren, um den noch fragilen CFCM zu konsolidieren (ebd.: 118 f). In Non! L’islam n’est pas une politique bewertete der Moscheerektor die Intervention des französischen Staates in

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die Organisation des CFCM ebenfalls als positiv und betonte dabei explizit die kenntnis- und tugendreiche Islampolitik des marokkanischen Protektoratsverwalters Lyautey (vgl. Teil 2), die sich über Charles Pasqua, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy fortgesetzt habe: Je retrouve bien l , par ailleurs, les grandes vertus de l’Etat et les visions de FranÅais, connaisseurs de l’Islam: depuis le mar chal Lyautey jusqu’ Charles Pasqua, Jacques Chirac et naturellement Nicolas Sarkozy. Je remarque que, par ces derniers hommes, l’h ritage du g n ral de Gaulle continue de porter la France dans l’estime de tous ceux qui esp rent en elle, notamment les musulmans (Boubakeur 2003a: 107).

In seinem letzten Satz klingt Dalil Boubakeur genau wie der marokkanische Sultan Ben Youssef und der erste Moscheerektor Ben Ghabrit, die im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten der 1920er Jahren die Dankbarkeit und den Respekt betont hatten, die die Muslime Frankreich für den Bau der Moschee entgegen brachten (vgl. Kapitel 2.1.3.). Wenn auch politisch auf ganz anderer Ebene, so positioniert Boubakeur sich rhetorisch doch ähnlich wie seinerzeit Sultan Ben Youssef: Als Wächter eines moderaten und für Frankreich unbedenklichen Islam; als ein muslimischer Vertreter, der Frankreich dankbar ist für seine Intervention zum Schutz des Islam, der tatsächlich aber durch machtpolitische Gründe zu diesen Aussagen motiviert wird, könnte er seine Position ohne französisch-politisches Eingreifen doch nicht halten. An die Forderung nach politischer Intervention in die Islamverwaltung in Frankreich knüpft Boubakeur implizit die kolonialgeschichtlich-orientalistische Vorstellung von der Demokratieunfähigkeit der Muslime, die das Eingreifen des Staates legitimiere und nötig mache (vgl. Kapitel 1.2.2.). Religiöse Wahlen, so Boubakeur in L’Islam de France lib ral, seien riskant und würden meist zu einem Sieg militanter Strömungen führen: Des lections religieuses sont toujours risqu es et, une fois de plus, on peut constater que le militantisme gagne tous les coups. Esp rons qu’un r flexe salutaire change les crit res lectoraux et fasse une grande place l’islam lib ral (Boubakeur 2004a: 118).

Dieses Zitat verweist zugleich auf die Rhetorik der algerischen Regierung in den 1990er Jahren, wie auch Geisser/Zemouri es anmerken.66 Die algerischen Generäle hatten seit dem unerwarteten Wahlsieg der FIS zu Beginn der 1990er Jahre erklärt, zu viel Demokratie zerstöre die Demokratie. Wahlen würden Islamisten stärken, und nur eine kontrollierte Ernennung von oben könne einen moderaten Islam garantieren (Geisser/Zemouri 2007: 65 f.). Zu Beginn der 2000er Jahre trug dieses Argument jedoch auch in Algerien nicht mehr. Zwar hatten die algerischen Konsulate die vollständige Abschaffung des CFCM-Wahlprozesses gefordert. In Algerien hatte die sogenannte Politik der 66 Dies merkt auch die Interviewerin Boubakeurs im Kontext des obigen Zitates an: «C ¸ a me fait penser l’Alg rie qui a interrompu un processus d mocratique au nom de l’int rÞt sup rieur de la nation» (Boubakeur 2004a: 118).

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Versöhnung mit den Islamisten, die Präsident Bouteflika Ende der 1990er Jahre in die Wege geleitet hatte, jedoch die Wiedereinführung demokratischer Prinzipien sowie die Integration der Muslimbrüder, darunter vieler ehemaliger FIS-Anhänger, in die Regierungsbildung nach sich gezogen (vgl. Driessen 2014: 154–171). Obwohl die algerische Regierung für eine vollständige Abschaffung des demokratischen Prozess zur CFCM-Wahl plädierte und obwohl die französische Regierung in ebendiesen Prozess involviert war, waren Boubakeurs Argumente also weder in algerischen noch in französischen Debatten populär. Nicht mehr die Politik, sondern ein zentraler muslimischer Akteur selbst mobilisierte also zu Beginn der 2000er Jahre kolonialgeschichtlich relevante Akteure und Positionen, die den Muslimen die Fähigkeit zu demokratischen Wahlen absprachen und die Organisation des Islam durch den Staat forderten. Den moderaten Islam, den Boubakeur innerhalb des CFCM zu vertreten gedachte, bestimmte er ähnlich wie in den 1990er Jahren als vernunftbetont (Boubakeur 2004b: 40), tolerant, friedlich (ebd.: 58) und, mit Bezug auf die aktuellen französischen Befürchtungen, als apolitisch (ebd.: 40). Die Gegenfolie des radikalen Islam brachte er mit den Elementen des Literalismus (ebd.: 39), der Ablehnung von Vernunft (Boubakeur 2004: 40) und Fortschritt (Boubakeur 2004a: 117), der Politisierung (Boubakeur 2004b: 39; 2004a: 117), der Gewaltbereitschaft (Boubakeur 2004b: 39), der Intoleranz (Boubakeur 2004a: 117) sowie der Unterwerfung von Körper und Seele unter eine Lehre in Zusammenhang (Boubakeur 2004: 57) und war damit abermals sowohl in französischen als auch in algerisch-staatlichen Debatten an die Forderungen eines positiven und förderungswürdigen Islam anschlussfähig. Die Neuerungen in der Zuschreibung an die GMP, die bei manchen Politikern sowie in Medienberichten für den Beginn der 2000er Jahre festgestellt worden sind, integrierte er hingegen nur marginal in seine Argumentation. Die Verbindung zu Algerien tauchte beispielsweise nur selten auf und trat anders als in den Medienberichten quantitativ weit hinter die Charakterisierung der Moschee als Repräsentantin eines moderaten Islam zurück. Dies ist sicherlich mit der machtpolitisch motivierten Intention Boubakeurs zu erklären, alle beziehungsweise alle moderaten Muslime Frankreichs und nicht nur den kleineren Teil jener zu repräsentieren, die aus Algerien stammten oder mit Algerien in Verbindung standen. Den Einfluss Algeriens auf die GMP erwähnte Boubakeur folglich nur dann, wenn er von seinen Interviewpartnern direkt darauf angesprochen wurde. In seinen Antworten verneinte er dabei zumeist jede ideologische und bisweilen auch die administrative Intervention des Landes und betonte, er besitze vollumfassende Handlungsfreiheit (Boubakeur 2003a: 83). Die Unterstützung Algeriens sah er lediglich in der Entsendung von Imamen sowie in finanziellen Zuschüssen gegeben (ebd.: 82, 2004b: 119). Als französischer Vorsitzender eines französischen Vereins unter französischem

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Recht („Je suis pr sident franÅais d’une association franÅaise 1901 qui g re la Mosqu e sous la loi franÅaise“, ebd.: 80) pflege er Kooperationen mit Algerien und anderen Ländern. Der Vorrang Algeriens sei legitim, stamme die Mehrheit der Muslime in Frankreich doch aus Algerien (ebd.). Es bedeute aber nicht, dass an der Moschee von Paris ein „ausländischer Islam“ vertreten werde (ebd.: 78). Dalil Boubakeur versucht in diesem Zusammenhang, den diskursiven Antagonismus zwischen ausländischen und französischen Muslimen zu schwächen und den Gegensatz zwischen den „Moderaten“ und den „Radikalen“ als den eigentlich primären und zudem global verbreiteten Konflikt zu positionieren: V.M – Selon vous, et si je vous ai bien compris, le probl me serait moins entre les musulmans de France et une pr sence trang re qu’entre les radicaux et les partisans d’un Islam mod r … D.B. – Absolument. Depuis le 11 septembre 2001, rien n’est plus comme avant. Les gouvernements occidentaux doivent prendre conscience de la dangerosit de l’int grisme religieux; tout extr misme est un danger car il puise ses racines dans le fanatisme, les tr fonds violents de l’ me humaine (Boubakeur 2003a: 91).

Indem Boubakeur die Frage der Journalistin bejaht, ob die Konflikte zwischen ausländischen und französischen Muslimen geringer seien als diejenigen zwischen „Radikalen“ und „Moderaten“, legitimiert er implizit die Präsenz der offiziell aus Algerien entsandten Imame in Frankreich, die er als Garanten eines moderaten Islam versteht. Letztere erscheinen auf diese Weise als Verbündete der französischen Imame in einem globalen Kampf gegen den gefährlichen Extremismus und nicht als Integrationshindernis. Seitdem er die Imame aus Algerien verwalte, hätten sie noch nie Probleme verursacht, so Boubakeur weiter: Depuis dix ans que je dirige en France une centaine d’imams venus d’Alg rie, il n’y a jamais eu de probl me. Ils sont l , ils travaillent et c’est tout (Boubakeur 2004b: 120).

Wie schon in den 1990er Jahren erklärt Boubakeur, die Eröffnung eines Imamausbildungsinstituts in Frankreich sei notwendig, doch reiche nicht aus, um die unausgebildeten und gefährlichen Imame in ihrem Einfluss zurückzudrängen: Le besoin est urgent en France… Mais en mÞme temps les associations rechignent un peu payer les imams. C’est pourquoi la mosqu e de Paris b n ficie, malgr tout, d’un pool de quelques dizaines d’imams envoy s par l’Alg rie (Boubakeur ebd.: 78). Ces imams sont pay s par le pays d’origine, c’est certain, mais, en mÞme temps, on est s r d’avoir affaire de v ritables professionnels, responsables qui plus est, parce qu’ils sont contr l s. Vous comprenez bien qu’on n’a rien, qu’on manque cruellement de cadres religieux… Et que le pire reste le recours des imams autoproclam s ou mal form s (ebd.: 80).

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Die Instrumentalisierung des Antagonismus zwischen moderaten und radikalen Muslimen, die sich weltweit in einem Kampf gegeneinander befänden, dient Boubakeur also zur Verteidigung algerischer Interessen, konkret der Entsendung algerischer Imame nach Frankreich, sowie der Diskreditierung von UOIF und FNMF, die er dem radikalen Spektrum zuordnet. Diese Klassifizierung ist ein rhetorisches Mittel, das natürlich keinesfalls einer empirisch begründbaren Einteilung gleichgesinnter Akteure in gleiche Kategorien entspringt. Wie oben erwähnt, wurden Akteure mit Verbindung zur Ideologie der Muslimbrüder seit den 2000er Jahren verstärkt in die algerische Regierung eingebunden – es bleibt anderen Studien überlassen herauszufinden, in welchem Umfang sie an der Auswahl und Entsendung von Imamen nach Frankreich beteiligt waren beziehungsweise welche Positionen diese Imame besaßen. Ihre Bezeichnung als moderat und diejenigen der UOIF-Akteure als radikal ist innerhalb des französischen Kontextes jedoch sicherlich nicht aufrechtzuerhalten und dies umso mehr angesichts der Tatsache, dass die UOIF eine intensive Auseinandersetzung mit und schließlich Adaption der islamischen Tradition an den französischen Kontext forderte und vom Staat selbst nun in den Dienst der Bekämpfung „radikaler Akteure“ wie der „Salafisten“ gestellt wurde (Peter 2010: 154–164). Dalil Boubakeur reproduzierte jedoch nicht nur die politisch-medialen Darstellungen der Öffentlichkeit seit den 2000er Jahren und klassifizierte die UOIF als islamistisch. Er verwendete den Marker des „radikalen Islam“ pauschal zur Bezeichnung aller mit der GMP konkurrierenden Dachverbände, ohne beispielsweise die in öffentlichen Debatten vollzogene Differenzierung in den moderaten Islamismus im Umfeld der Muslimbrüder sowie den aus dem CFCM weiterhin ausgeschlossenen Salafismus mitzumachen. Es kann festgehalten werden, dass die Rhetorik Dalil Boubakeurs in den 1990er sowie in den 2000er Jahren machtpolitisch motiviert war und nicht das Ziel verfolgte, eine bestimmte islamische Auslegung oder Schule zu verteidigen. Im Einklang mit algerisch-staatlichen und auch französisch-politischen Interessen verfolgte Boubakeur das Ziel, die Machtposition der Großen Moschee von Paris zu verteidigen. Im Unterschied beispielsweise zur konkurrierenden UOIF war er dabei kaum darum bemüht, konkrete Projekte zu initiieren, die auf die Bedürfnisse und Erwartungen von in Frankreich lebenden Muslimen reagiert hätten. Stattdessen instrumentalisierte er jedoch vehement die Angst vor dem radikalen Islam, dessen Einfluss er eindämmen könne – letztlich vor allem über die Kontrolle, die aus Algerien entsandte Imame auf die Moscheengemeinden in Frankreich auszuüben im Stande seien. Dalil Boubakeur verteidigte letztlich also algerisch-machtpolitische Interessen und erwirkte die hierzu notwendige Unterstützung der GMP durch den französischen Staat über seine beschwichtigenden Versprechen, in Frankreich einen beruhigenden, mit der Republik kompatiblen Islam zu repräsentieren.

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Die Identitätsmarker des „radikalen“ und des „moderaten Islam“ bei Dalil Boubakeur waren also ähnlich bestimmt wie in den sicherheitspolitischen Debatten Algeriens sowie Frankreichs und wiesen darüber hinausgehend kaum innerislamische Verortungen oder Stellungnahmen auf. Aufgrund der historischen Verflochtenheit von französischen und algerischen Konzepten von Islam und islampolitischen Maßnahmen war die Rhetorik Boubakeurs an die Repräsentation der Interessen und Öffentlichkeitsrhetoriken beider Länder anschlussfähig. Im Rahmen der Neuorganisation französischer Islampolitik in den 2000er Jahren wurde der GMP zwar weiterhin eine wichtige Rolle in der Repräsentation des Islam zugesichert. Die CFCM-Gründung hatte die GMP jedoch zugleich zu einem muslimischen Ansprechpartner unter mehreren degradiert und durch sein partiell-demokratisches Wahlsystem die Nichtrepräsentativität der GMP deutlich offen gelegt. Diese Einschränkung und nun öffentlich sichtbare Marginalität der Moschee von Paris innerhalb des Islam in Frankreich führte zu Forderungen des algerischen Staates, die CFCM-Wahlen abzuschaffen. Das Auseinandergehen algerisch-staatlicher Strategien und französisch-islampolitischer Entscheidungen zu Beginn der 2000er Jahre hatte zur Folge, dass Rektor Boubakeur die in Algerien wie in Frankreich präsenten Identitätsmarker des „moderaten“ und des „radikalen Islam“ nur noch mit reduzierter Wirksamkeit instrumentalisieren konnte. Die Brandmarkung der UOIF und der FNMF als „radikal“ hatte jedenfalls weder deren Ausschluss aus dem CFCM noch eine Neuverhandlung des CFCM-Wahlprozesses zur Folge. Es ist bezeichnend, dass die staatlichen Initiativen zur (Neu-)Organisation der offiziellen Repräsentation und Förderung des Islam in Frankreich immer dann entstehen, wenn das Land durch terroristische Attentate erschüttert oder der globale Terrorismus als auf die eigene Bevölkerung gerichtete Gefahr wahrgenommen wird. So wie die national geführten Diskussionen um die radikalislamische Bedrohung zu Beginn der 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre jeweils Debatten und schließlich konkrete Schritte zur Institutionalisierung des moderaten Islam in Frankreich nach sich zogen, führten auch die Anschläge vom 7. Januar 2015 auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo dazu, dass Ideen zur staatlichen Unterstützung des moderaten Islam konkretisiert wurden. So geriet der CFCM unmittelbar nach den Anschlägen für seine Nichtrepräsentativität und mangelnde Effizienz in die Kritik (Ben Rhouma 04. 07. 2015). Zugleich wurde vorgeschlagen, die 2005 lancierte Fondation des oeuvres pour l’islam de France zu revitalisieren, eine Forderung, die nach den erneuten, dschihadistischen Attentaten auf das Bataclan und andere Orte in Paris vom 13. November 2015 noch stärker geäußert wurde. Die Stiftung, in deren Vorsitz FranÅois Hollande im August 2016 den ehemaligen Innenminister Jean-Pierre Chev nement berief, hat hauptsächlich die Aufgabe, Geld für die Unterhaltung islamisch-religiöser Gebäude sowie für eine (säkulare) Zusatzausbildung von Imamen und Seelsorgern zu verwalten. Die Zeitungs-

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berichterstattung zu diesem Dossier liest sich in vielen Punkten wie eine Wiederholung der islampolitischen Prozesse und Debatten, die in den vorausgegangenen Kapiteln dargestellt worden sind. Sie beweist also eindrücklich die Prägekraft der diskursiven Mechanismen, die in den Entwicklungen aus den 1990er und 2000er Jahren zu Tage traten. Laut Lib ration erklärte Chev nement so beispielsweise, man müsse einen kulturellen Kampf gegen den Salafismus führen („mener une lutte culturelle contre le salafisme“, Sauvaget 02. 02. 2017). Im gleichen Rahmen wurde sein Wunsch zitiert, einen europäischen Islam zu fördern und dies hauptsächlich über die Ausbildung von Imamen in Frankreich (ebd.); moderate Imame seien die Bedingung sine qua no, um den Salafismus einzudämmen („la condition sine qua non, selon lui, pour contrer la mont e du salafisme“, ebd.). Mit einer neuen Debatte über die Gefahr durch radikalen Islamismus wurde also abermals die Organisation des moderaten Islam initiiert und dies mittels der Gründung einer neuen Dialoginstanz sowie der Förderung in Frankreich ausgebildeter Imame. Auch die aktuelle Politik Dalil Boubakeurs steht in Kontinuität mit seinen Strategien der 1990er und 2000er Jahre. Die Sicherung der machtpolitischen Stellung der GMP innerhalb der offiziellen Repräsentation des Islam in Frankreich erfolgt zum einen noch immer sehr deutlich über die Denunzierung des radikalen Islamismus sowie über das unermüdliche Versprechen, diesen zu bekämpfen. Als französische Dschihadisten seit 2014 vermehrt das Land in Richtung Syrien verließen, publizierte der Moscheerektor die Monographie La Grande Mosqu e de Paris. Un message et une histoire (Boubakeur 2014); nach den Terrorakten von 2015 erschien Lettre ouverte aux FranÅais. L’appel du recteur de la Mosqu e de Paris (2015). Wie in den vorherigen Jahrzehnten trat Boubakeur damit abermals im Kontext intensiver Debatten um die „radikalislamische Bedrohung“ mit Publikationen an die Öffentlichkeit, in denen er einen gewaltlosen, mit der französischen Republik kompatiblen Islam propagierte und die Bedeutung der Moschee von Paris für diesen Islam Frankreichs herausstellte. Zum anderen stehen die übrigen Positionierungen Dalil Boubakeurs zu islampolitischen Maßnahmen seitens des Staates weiterhin in der Zielsetzung, die fortschreitende Marginalisierung der offiziellen Rolle aufzuhalten, die der GMP in der Organisation des Islam in Frankreich noch zukommt. So sollte Boubakeur den Vorsitz des Orientierungsrates der Stiftung einnehmen; laut La Croix im übrigen noch immer deshalb, weil die Regierung den Islam Frankreichs nicht ohne die algerische Komponente („la branche alg rienne“) organisieren wolle (Hoffner 21. 02. 2017). Boubakeur habe dies, ähnlich wie seine Teilnahme am CFCM 2003 deshalb verhindert, weil er auf eine noch zentralere Rolle der GMP beziehungsweise eine stärkere Marginalisierung anderer Akteure innerhalb der Stiftung gehofft hatte (ebd., 24. 01. 2017). Interessant ist, dass Boubakeur in diesem Zusammenhang öffentlich die illegitime Einmischung des französischen Staates in islampolitische Angelegenheiten verurteilte, hatte er doch im Jahre 2003 explizit gefordert, die Regierung

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möge weiterhin in den CFCM intervenieren, um den moderaten Islam vor der Marginalisierung durch „Islamisten“ zu schützen. Der Wechsel in der Boubakeurschen Argumentation beweist einmal mehr, dass seine Positionen im Ziele machtpolitischer Interessen stehen, die nicht nur der Stärkung der Rolle der GMP innerhalb der französischen Islampolitik dienen, sondern zugleich algerisch-staatliche Ambitionen berücksichtigen müssen. Dass transnationale politische Konstellationen teils stärkeren Einfluss auf die Zusammensetzung des „Islam Frankreichs“ haben als die Repräsentativität eines Verbandes oder dessen inhaltliche Positionen, zeigen auch die jüngeren Besetzungen der CFCM-Präsidentschaft: Als Boubakeur 2008 wieder die Wahlen hinauszuzögern begann und schließlich einen Boykott durch die GMP verkündete, wurden letztere zwar ohne Boubakeur durchgeführt und der Präsidentenposten des CFCM dem Marokkaner Mohammed Moussaoui übertragen (Telhine 2010: 333). Laut Saphirnews musste Dalil Boubakeur den Präsidentenposten zwischen 2013 und 2015 jedoch wieder übernehmen, weil Chemseddine Hafiz, der die GMP zuvor im CFCM vertrat, der Unabhängigkeitsbewegung der Westsahara Frente Polisario nahestand und während den sich zuspitzenden Konflikten zwischen den beiden Maghrebstaaten für die marokkanisch gestützte RMF im CFCM nicht mehr akzeptabel war. Boubakeur sei auf den Präsidentenposten zurückgekehrt, um die politisch begründete Blockade innerhalb des Rates zu lösen und so sein Fortbestehen zu garantieren (Ben Rhouma 04. 07. 2015). Der rhetorische Kampf, den Dalil Boubakeur in den 2000er Jahren gegen die UOIF geführt hatte, war im Laufe der Zeit einer vorsichtigen rhetorischen Annäherung gewichen. Zuletzt sprachen muslimische Medien gar von einer noch stärkeren öffentlichen Annäherung, die jedoch abermals in machtpolitischem Kalkül wurzelten: Die UOIF, die 2011 aus dem CFCM ausgetreten ist, ging laut Saphirnews deshalb auf die GMP zu, weil sie über die engen Beziehungen letzterer mit französischen Regierungsmitgliedern hoffte, an Vertrauen und Bedeutung innerhalb offizieller islampolitischer Prozesse zurück zu gewinnen. Die GMP hingegen erhalte Vorteile durch eine öffentliche Kooperation mit der UOIF, weil sie von der (ihr selbst fehlenden) Popularität der UOIF unter den Muslimen in Frankreich zu profitieren gedachte (Ben Rhouma 15. 04. 2015). Die Ursachen all dieser Prozesse müssten selbstverständlich einer genaueren Analyse unterzogen und in ihrer Darstellung durch die Einschätzungen von Experten sowie der beschriebenen Akteure ergänzt werden. Sie deuten jedoch in eindrücklicher Weise den Einfluss an, den machtpolitische Interessen und ihre Abhängigkeit von globalen Entwicklungen bis heute auf die offizielle Repräsentation und Organisation des Islam in Frankreich haben. Vor dem Hintergrund der vor allem sicherheits- wie machtpolitisch ausgerichteten Rhetorik von Moscheerektor Dalil Boubakeur stellt sich nun umso dringlicher die Frage, wie sich das islamische Lehrinstitut Al-Ghazali der

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Moschee innerislamisch verorten lässt. Zudem soll im nächsten Teil gezeigt werden, wie Akteure unterhalb der Führungsriege sich an der Moschee zu den dargestellten Entwicklungen positionieren und welchen Islam sie vertreten.

4. Das Institut al-Ghazali und die innermuslimischen Positionierungen „Personne ne veut devenir imam ici“ – Hier will niemand Imam werden. Unterrichtsraum des Institut alGhazali, 09. 01. 2009, 16.30 Uhr

Die Ergebnisse der folgenden Kapitel basieren auf der Feldforschung, die ich von Oktober 2008 bis März 2009 am Institut al-Ghazali der Großen Moschee von Paris durchgeführt habe. Ziel war es, zu untersuchen, welche Auswirkungen die beschriebenen transnational-politischen Konstellationen auf die konkrete Organisation muslimischer Lehre und Praxis an der GMP haben. Hierzu werden zunächst Aufbau, strukturelle Abläufe und inhaltliche Vorentscheidungen im Lehrprogramm des Institut al-Ghazali beleuchtet. Die Konzeptualisierung des Instituts kann als typisch für moderne islamische Ausbildungsstätten im aktuellen Algerien herausgestellt werden. Letztere sind in ihrer Struktur jedoch auf kolonialpolitische Reformen des 19. Jahrhunderts zurückführbar und damit ein konkretes Beispiel für die Ähnlichkeiten, von denen französische und algerische Institutionen heute geprägt sein können. Darüber hinaus geben Stundenpläne und angegebene Referenzautoren erste Hinweise darauf, wie das Institut sich innerislamisch verortet und wie es sich folglich zu algerisch-staatlicher Islampolitik, aber auch zur Ausbildung französischsprachiger Imame in Frankreich verhält, die französische Entscheidungsträger immer wieder einforderten und die sie nicht zuletzt am Institut al-Ghazali verorten wollten. Auf die Präsentation des Instituts folgt eine detaillierte Analyse von Unterrichtsinhalten zweier muslimischer Lehrpersonen, die beide am Institut alGhazali eine herausragende Stellung einnahmen und auch unter Studierenden besonderes Ansehen genossen. In diesem Teil wird danach gefragt, ob und wie sich die Lehrpersonen zu den sicherheitspolitisch geprägten sowie kolonialgeschichtlich verwurzelten Identitätsmarkern des Islam verhalten, mit denen die GMP und das Institut al-Ghazali im Diskurs charakterisiert werden. Zudem wird nachgezeichnet, wie diese Lehrpersonen islamische Positionen definieren und jenseits politischer Anpassungszwänge ihre eigenen Auslegungen entwerfen. Eine Frage, die in dieser Studie zwar nicht im Mittelpunkt steht, aber dennoch reflektiert werden sollte, ist die nach den Implementierungsbedingungen eines staatlich gewollten Imamausbildungsinstituts in Paris beziehungsweise nach dem Verhältnis, das letzteres innerhalb des komplexen Feldes islami-

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Das Institut al-Ghazali und die innermuslimischen Positionierungen

scher Kommunikationsstrukturen zu anderen Autoritätsformen einnimmt. Den Analysen zum Institut al-Ghazali wird dementsprechend ein kurzer Exkurs zu muslimischen Autoritäten und aktuellen hegemonialen Konzepten dessen vorangestellt, was in Frankreich unter einem Imam verstanden wird; dabei werden die diskursiven Bedingungen erörtert, die die Organisationsmöglichkeiten aber auch den potentiellen Einfluss von staatlich geforderten Imamausbildungen in Frankreich bestimmen.

Exkurs: Imame und Imamausbildung Die Fokussierung auf den Imam, die in den politischen und medialen Debatten Frankreichs sowie darüber hinaus in vielen europäischen Ländern vorgenommen wird, ist keinesfalls selbstverständlich oder alternativlos. In muslimisch geprägten Kontexten haben sich seit jeher vielfältige und unterschiedlichste Formen religiöser Autoritäten ausgebildet (vgl. Fr gosi 2004; Gaborieau/Zeghal 2004; D cobert 2004; Chih 2004). Die Konzeptualisierungen, Funktionen und Aufgabenbereiche eines Imam variierten dabei ebenfalls von Region zu Region sowie von Zeit zu Zeit und stellten oftmals eine Form religiösen Expertentums dar, die von marginalerer Bedeutung war (vgl. Fr gosi 1998: 13–16). Neben die politisch-religiöse Autorität des Kalifen treten vor allem die Spezialisten des islamischen Rechts (fiqh) in all ihren Untergruppen, Befugnis-, Funktions- und Hierarchiestufen1 und schließlich auch die vielfältigen und in europäische Sprachen oftmals kaum übersetzbaren Formen von Sufischeichen (shuyu¯kh) und „Heiligen“ (al-awliya¯’), die vereinfacht gesagt einen „inneren“ Zugang zum religiösen Wissen über Ekstase, Träume oder mystische Visionen suchen (Gaborieau/Zeghal 2004: 6 f.; Chih 2004; Touati 1994). Ein offizieller und durch religiöse Institutionen selbst gewählter oder gar „geweihter“ Klerus existiert in sunnitisch-islamischen Kontexten nicht (Gaborieau/Zeghal 2004: 6; Jouanneau 2011: 103). Auch da, wo religiöse Definitions- und Legitimationsgewalt politisch reglementiert, zentralisiert und 1 Den Rechtexperten im engeren Sinne (fuqaha¯’, Sg. faqı¯h) und den allgemeinen Gelehrten und Textkennern (Cula¯ma’, Sg. Ca¯lim) (Fr gosi 1998: 15) konnte beispielsweise der Mufti vorstehen, der befugt war, eine bisweilen von diesen Experten formulierte Fatwa zu erlassen. In den Kalifaten und islamisch verwalteten Reichen und teils Ländern ist außerdem der Richterstand zu nennen – die Kadis, die auf der Basis von Fatwas konkrete und rechtskräftige Entscheidungen trafen (vgl. z. B. Fr gosi 1998: 15 f.; Gaborieau/Zeghal 2004: 6). Rechtsexperten konnten aufgrund ihres umfangreichen Wissens als mudjtahids anerkannt werden und im heutigen Sprachgebrauch dann eigens Rechtsexegese betreiben sowie neue Rechtspositionen formulieren. Ihre Befugnisse und Zuständigkeitsbereiche hängen und hingen jedoch sehr stark von den jeweils anerkannten methodischen Grundlagen der Normenfindung und insbesondere von der Bedeutung und Interpretation der eigenständigen Urteilsbemühung (idjtiha¯d) ab. Sie erfuhren je nach Kontext weitere Ausdifferenzierungen und Einteilungen in Unterkategorien (vgl. Calmard 1993).

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hierarchisiert worden ist, wie beispielsweise im Osmanischen Reich (vgl. Clayer 2004; Jouanneau 2011: 103), folgten Muslime tendenziell den Lehrmeinungen derjenigen Gelehrten, die im jeweiligen dörflichen, städtischen und regionalen Kontext oder sogar überregional von der Mehrheit der Bevölkerung als solche anerkannt wurden. Dies geschah und geschieht unabhängig davon, ob eine religiöse Autorität vom Staat oder einer religiösen Institution ernannt worden ist oder nicht; oftmals haben Muslime religiöses Personal sogar gerade dann als suspekt beurteilt und gemieden, wenn es in Verbindung zur politischen Macht oder zum Staat stand (Gaborieau/Zeghal 2004: 7 f., vgl. Clayer 2004: 54–60). Auch im aktuellen Frankreich existiert ein breites Spektrum muslimischreligiöser Autoritäten. Dass die dort lebenden Muslime aus verschiedenen geographischen Kontexten stammen, potenziert die Heterogenität von Autoritätskonzepten und -strukturen zusätzlich: Je nach Herkunftsland (oder demjenigen der Eltern) werden lokale Konzeptionen religiösen Expertentums aus west- und nordafrikanischen, türkischen, iranischen oder nahöstlichen Kontexten importiert und transformiert. Zudem entstehen auf globaler Ebene, aber auch unter Muslimen, die in Frankreich geboren und aufgewachsen sind, neue Auffassungen von und Verhaltensweisen gegenüber islamisch-religiösem Expertentum.2 Ein wichtiger Faktor ist dabei sicherlich auch die Entstehung neuer Kanäle der religiösen Wissensvermittlung wie zum Beispiel Audio-Materialien oder das Internet, die zum einen islamischen Gelehrten außerhalb Frankreichs eine zunehmende Bedeutung im Hexagon verschafft haben, zum anderen für viele Muslime heute eine wichtige Lern- und Informationsplattform darstellen und beispielsweise den neueren Formen des Salafismus eine schnelle Vernetzung und Ausbreitung ihrer Ideen ermöglicht haben, wie Dominique Thomas gezeigt hat (Thomas 2008: 89–100). Frank Peter erwähnt darüber hinaus neue, oftmals als „säkular“ wahrgenommene Autoritätstypen wie Tariq Ramadan (Peter 2006b: 707), der kein fundiertes Studium der klassisch-islamischen Fächer an einer renommierten islamischen Universität aufweist, sondern seine Autorität vielmehr aus seiner persönlichen Lebenserfahrung in Westeuropa, seiner Medienpräsenz, seinen öffentlichen Vorträgen und nicht zuletzt aus der großen Bedeutung zieht, die seinem Großvater Hassan Al-Banna, dem Gründer der Muslimbruderschaft, für die Verteidigung des Islam zugesprochen wird (Fr gosi 2004: 138–141). Auch die letztlich auf politische Initiativen und Fördergelder zurückgehende Entstehung des Universitätsfaches Islamische Studien an vier deutschen Universitäten sowie das 2016 offiziell eröffnete Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) in Fribourg werden letztlich neue Formen islamisch-

2 Vgl. für für den Schweizer Kontext die online zugänglichen Ergebnisse des Forschungsprojekts Imame, Rapper, Cyber-Muftis, das an der Universität Luzern unter der Leitung von Martin Baumann durchgeführt worden ist (Baumann/Endres u. a. 2017).

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theologischer Auslegungspraxis und folglich Autorität erzeugen, deren Durchschlagkraft unter Muslimen sich noch herausstellen wird. Zum anderen beobachten Gaborieau/Zeghal eine Rezentralisierung islamischer Autorität, die wieder stärker in wenigen bedeutenden Lehrinstitutionen wie beispielsweise der Al-Zaituna in Tunis und vor allem der Al-AzharUniversität in Kairo lokalisiert werde und eine gegenläufige Tendenz zur zunehmenden Ausdifferenzierung von religiösem Expertentum darstelle (Garborieau/Zeghal 2004: 14). In Frankreich wurde dieser Prozess sogar durch die politische Elite unterstützt. So reiste der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy im Jahre 2003 nach Kairo, um beim Großscheich der Al-Azhar-Universität eine Fatwa zu erfragen, die muslimische Schülerinnen an französischstaatlichen Schulen von der Kopftuchpflicht befreien und das geplante Kopftuchverbot in ebendiesen Schulen legitimieren sollte (Garborieau/Zeghal 2004: 14; Pesch 2011: 410 f.).3 Auf die zunehmende Bedeutung, die die Organisation von islamischem Rechtsgelehrtenwissen in Europa hat, weisen Initiativen wie der 1997 in London gegründete Europäische Fatwarat hin, der eine eigene Rechtsabteilung an der UOIF in Frankreich eingerichtet hat;4 oder aber Werke wie das des französischen Imams Tariq Oubrou, der in seinen Publikationen das Konzept der Minderheitenscharia entwickelt hat (Oubrou/Bab s 2002; Oubrou 2004) und ähnlich dem Europäischen Fatwarat Rechtsmeinungen vorschlug, die speziell auf den muslimischen Alltag in westeuropäischen Kontexten zugeschnitten sind.5 Die Zentrierung des Imam in den integrations- und sicherheitspolitisch motivierten Debatten Frankreichs kann vor dem Hintergrund des Dargestellten nicht als einfache Reaktion auf die Strukturlandschaft islamisch-religiösen Expertentums in Frankreich verstanden werden. Zwar findet der Kontakt zwischen Muslimen und religiösen Autoritäten in westeuropäischen Kontexten häufig in Moscheen statt (Peter 2003: 20). Der dort gebetsführende und predigende Imam ist somit oftmals ein naheliegender Ansprechpartner 3 Auch sein Vorgänger Jean-Pierre Chev nement hatte den Großen Imam der Al-Azhar Universität, Muhammad Said Tantawi, im Jahre 1998 schon um eine Einschätzung der islamischen Rechtslage zur Kopftuchpflicht für Musliminnen befragt, wie Pesch erklärt. Damals wie einige Jahre später antwortete der Scheich, das Kopftuch stelle eine religiöse Pflicht für Musliminnen dar, stehe jedoch nicht über dem Gebot, das Gesetz des jeweiligen Aufenthaltlandes zu beachten. Musliminnen dürften deshalb das Kopftuch während des Unterrichts an den Schulen ablegen, an denen sein Tragen verboten war (Pesch 2011: 410 f.). 4 Alexandre Caeiro erklärt, dass Frankreich das einzige westeuropäische Land war, in dem die Übersetzungen der vom Fatwarat veröffentlichten Fatwabände in großem Umfang verbreitet worden sind und eine bisher unbeantwortete Nachfrage seitens dort lebender Muslime bedienten (Caeiro 2010: 441). 5 Die Verbreitung solcher Rechtsmeinungen steigert womöglich auch die Nachfrage und die Bedeutung, die Muslime in Frankreich islamrechtlichen Vorgaben zuweisen. Im Vergleich mit Einrichtungen wie dem Europäischen Fatwarat stellen Rechtsgelehrte der jeweiligen Herkunftsländer jedoch bis heute eine weitaus bedeutendere Referenz für in Frankreich lebende Muslime dar, so Bernard Godard und Sylvie Taussig (Godard/Taussig 2007: 140).

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für Muslime und ihm kommt folglich eine im Vergleich mit muslimisch geprägten Ländern hohe Bedeutung zu (Garborieau/Zeghal 2004: 17 f.; Jouanneau 2011: 106; 2012: 9). Peter und Fr gosi weisen jedoch darauf hin, dass auch das Profil einer Moschee nicht nur durch den dort angestellten Imam geprägt ist. Vielmehr ist der Imam dem Vorsteher des Vereins unterstellt, der die Moschee verwaltet, und arbeitet oftmals innerhalb eines Netzwerks von Personen, die auch außerhalb der Moschee tätig sein können und auf das Profil des Imam prägend einwirken (Peter 2003: 21). Das in politischen Debatten häufig auftretende Verständnis des Imam als eine Schlüsselfigur, die die Integration oder Nichtintegration von Muslimen in die französische Gesellschaft entscheidend lenken könne, muss zumindest kritisch reflektiert werden. Frank Peter konstatiert in diesem Zusammenhang, dass sich in Frankreich vielfältige und neuartige Strukturen muslimisch-religiösen Lebens entwickelt haben, die oft temporärer Natur sind und nicht nur ohne Zementierung eines autoritativen Zentrums, sondern auch ohne finanzielle Förderprojekte seitens des Staates auskommen (ebd.). Der mancherorts feststellbare Autoritätsverlust eines an der Moschee angestellten Imams bedeute zudem nicht automatisch dessen Unfähigkeit, mit jugendlichen Muslimen zu kommunizieren, sondern liege oftmals darin begründet, dass neue, jenseits der Moschee entstehende Kommunikations- und Organisationsformen schneller und umfassender auf aktuelle Situationen und Problematiken reagieren können (ebd.). Staatlich geförderte Imamausbildungsprojekte, so Peter weiter, ignorieren diese Tendenzen und handeln letztlich paradox: Sie übersehen, dass die verlangte Anpassung muslimischer Organisations- und Lebensweisen an die französisch-rechtlichen und soziokulturellen Bedingungen längst auf vielfältige Weise stattfinde und fördern in orientalistischer Manier gar eine Rückkehr zu altbekannten Formen religiöser Autorität; sie lenken das Zentrum muslimischen Lebens auf Gebet und Predigt in der Moschee zurück (ebd.). Neben der Pluralität an islamischen Autoritätstypen muss auch die Vielfalt der Bedeutungen und Funktionen besprochen werden, mit denen das Konzept des Imam stets versehen wurde und wird (vgl. z. B. Godard/Taussig 2007: 133–135). In sunnitisch-islamischen Kontexten zählten die Leitung des täglichen Pflichtgebets und bisweilen das Abhalten der Freitagspredigt oftmals zu den Hauptaufgaben des Imams. Der Imam ist demnach derjenige, der beim Gebet vorne steht6; sei es im Zuge einer spontanen und zeitlich begrenzten Funktionsübernahme, wie es die Rechtschulen erlauben,7 oder als fester

6 Der Begriff ima¯m geht auf das arabische Verb amma (1. sich orientieren nach, vorne sein, Chef sein; 2. Mutter, Quelle, Prinzip sein) zurück (Reeber 1998: 60). 7 In den Werken der fuqaha¯’ werden dabei in unterschiedlicher Ausführlichkeit und teils voneinander abweichend Bedingungen an denjenigen gestellt, der als Imam agiert. Hierzu gehören beispielsweise seine Zugehörigkeit zum Islam, ausreichende Bildung, das Erreichen des Erwachsenenalters, das männliche Geschlecht oder die Anerkennung durch die Gemeinschaft. Manche dieser Kriterien werden in ihrer Bedeutung je nach Lehrmeinung oder Schule unter-

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Verantwortlicher einer Moschee mit eventuell zusätzlichen Aufgaben wie Koranlektüre und -unterricht, so wie es ebenfalls bereits in frühen islamischen Kontexten praktiziert wurde (Hillenbrand 1991: 674 f.). Je nach historischem und regionalem Kontext konnten Aufgabenbereiche, Funktionen und die Einbindung in institutionelle Strukturen jedoch stark voneinander variieren. Solenne Jouanneau hat gezeigt, dass das Konzept des Imam auch von Muslimen in Frankreich höchst unterschiedlich bestimmt wird und von Moscheengemeinde zu Moscheengemeinde jeweils verschiedene Anforderungen und Bedingungen für die Anstellung von Imamen formuliert werden (Jouanneau 2011: 104). So stehen Autodidakten oder solche mit nur geringen erworbenen Ritualkenntnissen jenen gegenüber, die an den großen islamischen Lehrreinrichtungen studiert haben und diplomiert worden sind; ferner wird das Konzept des Imam als Beruf stetig mit jenem des Imamseins als eine Berufung und religiöse Pflicht konfrontiert, die ehrenamtlich ausgeübt werden müsse und oftmals neben der Ausübung eines anderen Berufes vollzogen wird (ebd.: 104 f.). Seit seiner Gründung ist wie schon erwähnt auch eine spezielle Kommission innerhalb des CFCM damit beauftragt, für die Muslime in Frankreich einheitliche Kriterien dessen zu bestimmen, was ein Imam ist, welche Ausbildung er durchlaufen haben, welches Wissen er besitzen und welche Aufgaben durchzuführen er in der Lage sein sollte. Aufgrund von Differenzen und Meinungsverschiedenheiten konnten solche Bestimmungen lange Zeit nicht erbracht werden. Am 29. März 2017 veröffentlichte der aktuelle Präsident Anouar Kbibech zwar im Namen des CFCM eine Charte de l’Imam, in der zumindest einige Grundprinzipien, vor allem in Bezug auf die politische Einstellung der Imame und ihr Verhältnis zur französischen Republik definiert wurden. Auch diese Charta wurde kurz nach ihrer Publikation jedoch von mehreren muslimischen Verbänden wie der Großen Moschee von Paris, der UOIF, der Milli Görü¸s und anderen abgelehnt. Laut Zeitungsberichten beklagten sie, dass es sich um ein Arbeitsdokument handele, mit dessen aktueller Version bisher noch nicht alle einverstanden waren (vgl. Gu nois 30. 03. 2017). Diese jüngste Entwicklung verdeutlicht, wie schwierig eine Einigung auf eine Imamkonzeption ist, umso mehr, als auch hier neben den Auffassungen von islamischen Verbandsvertretern in Frankreich die Interessen der Herkunftsländer eine Rolle spielen. In der Öffentlichkeit setzt sich laut Godard/Taussig allgemein ein Verständnis durch, nach dem das Imamsein ein Beruf ist, der zum Leiten des Gebets in der Moschee verpflichtet, ferner zum Abhalten der Freitagspredigt, zur Beratung in islamischen Rechts- und Glaubensfragen, zum Religionsunterricht für Kinder und Erwachsene sowie zum Besuch von Kranken und Gefangenen (Godard/Taussig 2007: 134). In einem undatierten Dokument mit schiedlich gewichtet und gelten somit teils als obligatorisch, teils als lediglich empfohlen (Fr gosi 2004: 104–107).

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dem Titel Statut de l’Imam definierte auch Dalil Boubakeur die Funktionen und Aufgabenbereiche eines Imam. Demnach solle der Imam die täglichen Gebete und die Freitagspredigt halten, jedoch darüber hinaus moralischen Einfluss auf die Jugendlichen in den Banlieues ausüben, damit sie nicht Beute autoproklamierter Imame werden; er solle eine fundierte Ausbildung haben, die arabische und die französische Sprache beherrschen; sich aus politischen Angelegenheiten heraushalten, den Jugendlichen, möglichst am Wochenende, Religionsunterricht erteilen; darüber hinaus sei er ein spiritueller Leiter und müsse ein respektvolles Verhältnis zu lokalen und regionalen Politikern pflegen (www Boubakeur/Statut Imam). Godard/Taussig und Fr gosi erklären, dass solche Definitionsversuche in Frankreich einer Parallelsetzung mit dem Konzept des katholischen Priesters entspringen und sich von algerisch-staatlichen Definitionen des Imam insofern unterscheiden, als dass dessen Aufgabenbereiche dort heute oftmals auf die Durchführung der Rituale, also der Freitagspredigt sowie der fünf täglichen Pflichtgebete, beschränkt seien (Godard/Taussig 2007: 136 f.; Fr gosi 2004: 137). In Frankreich, so beide Autoren weiter, sei der Imam Experte in religiösen Fragen und im Unterschied zu islamisch geprägten Ländern zusätzlich auch Sozialarbeiter und Seelsorger (ebd.). Neben den selbstverständlich stattfindenden Anpassungsprozessen an die Besonderheiten französischer Lebenskontexte muss an dieser Stelle und nicht zuletzt angesichts der politischen Exponiertheit der Großen Moschee von Paris jedoch noch einmal auf die kolonialgeschichtlich bedingten Parallelen verwiesen werden, die französische Auffassungen von religiösem Expertentum sowie algerisch-staatliche Konzepte von Imamen heute durchziehen. Die französische Kolonialverwaltung hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Algerien mehrere islamische Medresen eröffnet, in denen sie ihren eigenen „Klerus“ heranzog (vgl. Kapitel 4.1.1). Die Definition des Imam orientierte sich bereits damals am Konzept des katholischen Priesters und stellte im Vergleich zu bisherigen Vorstellungen in Algerien eine Neuerung dar: Erstmals wurde das Imamsein nun als Beruf aufgefasst, dem offizielle Aufgabenbereiche sowie gar ein Wochenplan zugeordnet waren. Hatten Imame in algerischen Dörfern und Städten zuvor von Spenden und Zuwendungen der Bevölkerung gelebt, so wurden sie nun offiziell von der Kolonialverwaltung eingestellt und für ihre Tätigkeiten entlohnt. In ihrer mehrjährigen Ausbildung wurde ihnen ein fest definierter Wissenskanon in unterschiedlichen Fächern vermittelt und im Rahmen von Examina abgeprüft (Chachoua 2001: 165). Die Imame entwickelten so auch ein distanzierteres Verhältnis zur Bevölkerung, von der sie nicht mehr direkt abhängig waren (ebd.). Als sich die algerisch-islamische Reformbewegung in den 1920er und vor allem in den 1930er Jahren ausbreitete, hatten ihre Akteure genau diese Konzeptualisierung des Imam übernommen. Der Imam war fortan die Personifizierung eines rationalisierten Expertentums, das sich einen fundierten schriftreligiösen Wissenskanon aneignet und diesen gegen Entlohnung lehrt – anstatt, wie die

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Imame zuvor, auch durch andere Handlungskompetenzen wie zum Beispiel Exorzismus oder Heilkünste zu überzeugen (ebd.: 166). Chachoua erklärt, dass die islamischen Reformprediger dieses neue Imamprofil integrierten, weil es eine effektivere Verbreitung islamischen Gedankenguts in den verschiedenen Regionen Algeriens versprach. So konzipierten diese Akteure den Imam als religiösen Experten, wie ihn französische Kolonialverwalter verstanden hatten. Ihre Auffassung des idealen Imam unterschied sich im kolonialen Algerien von jener der französischen Verwalter also lediglich in seiner politischen Einstellung zur Kolonialmacht, so Chachoua weiter (ebd.). Im unabhängigen Algerien wurde die beschriebene neue Imamkonzeption in die staatliche Islamverwaltung übernommen.8 Wie in Teil 3 gezeigt worden ist, hatten die algerischen Religionsminister diese offiziell ernannten, angestellten und entlohnten Imame in den Dienst der Bekämpfung „radikaler Islamisten“ gestellt, sie mit der ethischen Erziehung der Jugendlichen beauftragt und ihnen untersagt, politische Statements abzugeben (vgl. Kapitel 3.1.2.). Boubakeurs Bestimmung des Imam als desjenigen, der Gebete und die Freitagspredigt hält, die Jugendlichen moralisch erzieht, Religionsunterricht v. a. für die Jugend erteilt, eine fundierte Ausbildung besitzt, eine a-politische Einstellung aufweist sowie einen respektvollen Umgang mit den politischen Autoritäten pflegt, basiert also zum einen ebenfalls auf dem beschriebenen und heute transnational verbreiteten Konzept des Imam als Beruf, der mit einer fundierten Ausbildung und staatstreuem Agieren einhergehen sollte, und reagiert zum anderen auf aktuelle staatlich-sicherheitspolitisch motivierte Interessen wie beispielsweise die Fähigkeit des Imam, Einfluss auf die Jugendlichen auszuüben. Ein zentraler Unterschied zwischen der algerischen und französischen Situation ist natürlich das Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften. Während die algerische Regierung Imamausbildungsinstitute finanziert sowie die Absolventen direkt ernennt, finanziert und überwacht, verbietet die französische Trennung von Staat und Kirche staatliches Eingreifen dieser Art. In Frankreich fehlt die Infrastruktur, die den Absolventen 8 Innerhalb der algerisch-staatlichen Verwaltungsstrukturen werden vor allem drei Professionalisierungsgrade des Imam unterschieden: Der ima¯m al-salawa¯t al-khams (Imam der fünf Ge˙ bete), der lediglich die fünf täglichen Pflichtgebete durchführt, der ima¯m al-khat¯ıb, der zusätzlich ˙ die Freitagspredigt hält, sowie der imam mumta¯z oder der Grand Imam, dem aufgrund seines gehobenen Wissensstandes die Funktion eines Ca¯lim (Gelehrten) zukommt (Godard/Taussig 2007: 134). Boubakeur vertritt dieses Modell in seinem Statut de l’Imam ebenfalls (www Boubakeur/Statut Imam: 3); im französischen Kontext ist jedoch vor allem der ima¯m al-khat¯ıb zentral ˙ und Gegenstand von Diskussionen (Godard/Taussig 2007: 134). Während Imame auch in Marokko aus sicherheitspolitischen Gründen kontrolliert werden, so sind sie im Unterschied zu Algerien und auch zur Türkei keine direkten Staatsangestellten. Die staatliche Verwaltung und Hierarchisierung ist aus dem osmanischen Reich bekannt und fehlt folglich noch heute in Ländern, die nicht von den Osmanen besetzt waren – wie beispielsweise Marokko (vgl. Godard/ Taussig 2007: 17; 43; Gaborieau/Zeghal 2004: 10).

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eines Imamstudiums eine Anstellung und Finanzierung garantieren oder zumindest in Aussicht stellen würde. Auch in Algerien gibt es Gründe gegen das Durchlaufen einer staatlichen Imamausbildung: Die offiziell ernannten Imame werden von der Bevölkerung oftmals für ihre Abhängigkeit von der Politik kritisiert, zudem existieren parallele Organisations- und Finanzierungsformen für vom Regime unabhängige religiöse Experten (vgl. Rouadjia 1990: 90–96; Stora 1990: 114; Papi 2010: 501; Bouslimani 1999: 296). Mit der staatlichen Imamverwaltung und den damit verbundenen Anstellungsmöglichkeiten jedoch ist zumindest ein Anreiz gegeben, ein mehrjähriges Studium an einer der offiziellen Islamfakultäten zu absolvieren. Eine Studie des französischen Innenministeriums aus dem Jahre 2004 kam hingegen zu dem Ergebnis, dass 65 % der muslimischen Männer, die regelmäßig die täglichen Gebete sowie Freitagsgebet und -predigt abhalten, diese Aufgaben ehrenamtlich verrichten. Neben den aus Algerien und der Türkei entsandten Imamen werden lediglich 22 % von Moscheegemeinden in Frankreich angestellt und (zumindest geringfügig) entlohnt (Godard/Taussig 2007: 144; GL Formation des Imams: 15 f.). Die Anstellungen als Imam setzen zudem zwar teils eine gute Kenntnis der rituellen Abläufe seitens des Bewerber sowie manchmal eine gewisse Kenntnis islamischer Glaubenssätze und Rechtsbestimmungen voraus, viele Moscheen fordern jedoch wie oben erwähnt kein mehrjähriges Studium und kein Abschlusszeugnis. Sollte eine Ausbildung gefordert sein, so ist ein Studium der islamischen Fächer an einer bekannten Lehreinrichtung in der islamischen Welt zudem weitaus prestigeträchtiger als ein Zeugnis eines Imaminstituts in Paris. Es existiert also eine große Diskrepanz zwischen den Forderungen französischer Politiker nach der Ausbildung von Imamen in Frankreich und den konkreten gesellschaftlichen Bedingungen, die eine solche Ausbildung nur wenig attraktiv machen (vgl. Peter 2006c: 78). Dass eine „Imamausbildung“ wie sie am Institut al-Ghazali angeboten wird für Muslime also kaum mit konkreten Berufsaussichten verbunden ist, spiegelte sich auch in der Motivationslage der Studierenden wieder (vgl. Bowen 2010: 88). Die Gründe, aus denen sie sich für ein Islamstudium an der GMP eingeschrieben hatten, sind im Rahmen dieser Studie nicht systematisch erhoben worden. Einzelne Gespräche mit Studierenden weisen jedoch darauf hin, dass letztere mit dem Besuch der Kurse vor allem anstrebten, ihre Religion im Ausland nicht zu vergessen oder dass sie besorgt waren, den Islam nicht auf korrekte Art und Weise an ihre Kinder weitergeben zu können (FFN 09. 01. 2009). „Personne ne veut devenir imam ici“, antwortete mir ein Studierender auf meine Frage nach den Zukunftsplänen der Studenten am Institut alGhazali (ebd.). Anders ist die Situation in Bezug auf die Seelsorge (aum nerie). Dieser in islamisch geprägten Ländern unbekannte Tätigkeitsbereich geht in Frankreich auf einen Kompromiss zurück, den der französische Staat im Zuge der Gesetzgebung zur Trennung von Staat und Religion zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst mit der katholischen Kirche ausgehandelt hat:

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Demnach wird eine gewisse Anzahl an Seelsorgern in Gefängnissen, staatlichen Schulen, Krankenhäusern und dem Militär von staatlichen Behörden angestellt und aus staatlichen Mitteln finanziert (vgl. z. B. Boyer 2005b: 25 f.; Krosigk 2000: 193 f.). Dieses Amt des Seelsorgers in staatlichen Einrichtungen steht auch Juden, Protestanten und Muslimen offen. Weil es staatliche Behörden sind, die die Kandidaten einstellen9 und die GMP bei letzteren noch immer einen guten Ruf genießt, haben Absolventen des Institut al-Ghazali in diesem Bereich konkretere Beschäftigungsaussichten und einige Absolventen sind tatsächlich bereits in verschiedenen Bereichen als aum niers tätig. Die mangelhafte Anerkennung einer mehrjährigen Imamausbildung sowie eines einschlägigen Abschlussdiploms in den gesellschaftlichen und muslimisch-religiösen Strukturen in Frankreich müssen jedoch bedacht werden, wenn im Folgenden die konkrete Ausrichtung des Institut al-Ghazali besprochen wird.

4.1. Das Institut al-Ghazali: Konzept und Verortung 4.1.1. Studiengänge und Zielpublikum Auf der Suche nach der Entstehungszeit des Institut al-Ghazali stößt man zumeist auf das Jahr 1993 oder 1994: Auf der Homepage des Institut al-Ghazali sowie im Vorwort Dalil Boubakeurs zum offiziellen Studierendenführer aus dem Jahre 2008/09 wird der Ursprung des Instituts auf diese Jahre datiert (www Institut al-Ghazali/Accueil; GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant). ˙ 1990er Jahren wird das InDurch den Verweis auf die Entstehung in den stitut al-Ghazali mit einer Geschichte versehen, die genauso lang ist wie die des Ausbildungsinstituts der UOIF. Diese Geschichte ermöglicht es den Betreibern, auf langjährige Unterrichtserfahrung und folglich Kompetenzen im Betrieb eines Lehrinstituts zu verweisen. So schreibt Institutsleiter Djelloul Seddiqi in seinem Vorwort zum erwähnten Studierendenführer: L’Institut al-Ghazali repr sente, de par sa longue exp rience scientifique, une institution efficiente pour l’enseignement des sciences islamiques en France qui se caract rise par la vari t de son contenu, d’ailleurs, sans cesse revu et m thodes sans cesse renouvel es (GL Dalı¯l al-ta¯lib /Guide de l’ tudiant: 6). ˙

Dass seit Eröffnung im Jahre 1993 kein regelmäßiger Lehrbetrieb stattgefunden hat, ist bereits erwähnt worden (vgl. Kapitel 3.1.2.). Das Institut funktionierte lediglich sporadisch und hatte zu keinem Zeitpunkt mehr als zehn

9 Im Bereich der Gefängnisseelsorge beispielsweise werden die Kandidaten heute durch eine spezielle Kommission ausgewählt und der französischen Verwaltung dann vorgeschlagen (Laurence/Va sse 2007: 190).

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Studierende; 1997 stellte es seinen Betrieb wieder ein (GL Formation des Imams: 30). Im Jahre 2001 wurde es neu als Institut al-Ghazali eröffnet und dem algerischen Staat unterstellt. Das algerische Religionsministerium übertrug den Betrieb des Instituts zwei Algeriern, die bereits in ihrem Heimatland in der staatlichen oder staatlich kontrollierten Islamverwaltung gearbeitet hatten und folglich auch in Paris eine staatstreue Linie zu vertreten versprachen: einerseits dem Universitätsgelehrten Ouazzane, früher am algerischen Religionsministerium für die Förderung und Verwaltung islamischer Lehre verantwortlich, andererseits Abdelkrim Bekri, Direktor des islamischen Instituts im nordwestalgerischen Oran (GL Formation des imams: 59 f.). Bekri war bis 2005 Direktor des Institut al-Ghazali und wurde dann nach Algerien zurückberufen (ebd.: 77). Im Jahre 2006 übernahm Djelloul Seddiqi die Leitung des Instituts, die er bis heute (Stand: Juni 2017) innehat. Der promovierte Soziologe ist wie Dalil Boubakeur Mitglied der Sidi Ouled Cheikh, besitzt anders als sein Vorgänger Bekri aber keine fundierte religiöse Ausbildung. Als er seinen Posten als Direktor antrat, wurde die Kursorganisation am Institut al-Ghazali noch immer als improvisiert und das Ausbildungsniveau als schlecht beschrieben (ebd.: 60). So habe Seddiqi 2006 in einem Gespräch mit Domitille Mazurek10 selbst bemerkt, dass bis anhin kein Studierender am Institut al-Ghazali ausreichende Kenntnisse erworben habe, die ihn vor den Muslimen als religiösen Experten auszeichnen oder ihm die Ausübung des Amts des Imams erlauben würden (ebd.). Ein weiterer Mitarbeiter aus dem Führungsteam der GMP bestätigte mir gegenüber in einem kurzen Gespräch organisatorische Probleme des Lehrbetriebs seit 2001 und erklärte, das Institut beginne im Prinzip erst im aktuellen Studienjahr 2008/09 zu funktionieren. Während eines kurzen Aufenthaltes am Institut al-Ghazali im Januar 2016 konnte dieser Eindruck bestätigt werden: Mit nun leicht verändertem Lehrpersonal und kleinen Verschiebungen im Lehrprogramm schien der Lehrbetrieb nun wie zu Zeiten des Forschungsaufenthaltes 2008/09 zu funktionieren. Für das Unterrichtsjahr von Oktober 2008 bis Juni 2009 gab das Institut alGhazali erstmals den oben erwähnten und sehr ausführlichen Studierendenführer heraus (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant). Neben einem kommentierten Kursverzeichnis in ˙französischer und arabischer Sprache enthielt dieser eine Zusammenfassung der Zielsetzungen und Studienbedingungen am Institut. Im Vorwort dieser Broschüre bezeichnete Dalil Boubakeur die Ausbildung von kulturell offenen und auf universitärem Niveau denkenden Experten („dans un tat d’esprit universitaire“) als ein explizites Ziel des Instituts (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 4). Auf einem vierseitigen Werbeflyer ˙ Jahr wurde das Institut al-Ghazali zudem nicht nur als Antwort aus demselben

10 Domitille Mazurek war zu dieser Zeit Praktikantin am Innenministerium und Verfasserin des bereits mehrmals zitierten Berichts GL Formation des imams.

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auf die Bedürfnisse von Muslimen, sondern explizit auch als Reaktion auf den Wunsch der Politik beschrieben: La cr ation de l’Institut Al-Ghazali est, dans cette perspective, une r ponse aux souhaits de la communaut ainsi qu’ ceux des pouvoirs publics (GL Institut alGhazali de la Grande Mosqu e de Paris).

Beide Aussagen weisen auf den eminent politischen Charakter der Lehreinrichtung hin. Auch die Ausbildung guter, universitär geschulter sowie kulturell offener Imame entsprach schließlich den Forderungen französischer sowie algerischer Politiker (vgl. Enna fer 1998: 179). Boubakeur und Institutsleiter Seddiqi charakterisierten das Institut alGhazali zudem in ihrem jeweiligen Vorwort zum Studierendenführer als eine Einrichtung, die sich von den traditionellen theologisch- und juristisch-muslimischen Ausbildungsstätten unterscheide, indem sie auf die Besonderheiten des französischen Kontextes reagiere (GL Dalı¯l al-ta¯lib /Guide de l’ tudi˙ in der Anwendung ant: 7). Das Studienprogramm, so Seddiqi, entspreche moderner Didaktik und in seinen Forschungsmethoden jedoch sowohl den wissenschaftlichen Normen französischer Hochschulinstitute als auch den Anforderungen der islamischen Wissenschaften, wie sie in den großen islamischen Hochschulen gelehrt werden: De ce fait le programme a t mis en accord total avec les normes scientifiques en vigueur dans les universit s et les tablissements sup rieurs franÅais, et r pond aux exigences des sciences islamiques des grandes universit s islamiques (ebd.).

Eine solche Verortung des Instituts am Schnittpunkt von französischer Hochschultradition und bedeutenden islamischen Ausbildungsstätten kann innerhalb des französischen Kontextes sicherlich für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Dass das Institut al-Ghazali auf die Begebenheiten Frankreichs reagiert und den dort vorherrschenden wissenschaftlichen Normen entspricht, zugleich aber die Authentizität islamischer Lehre bewahrt, mag schnell als eine besondere Leistung gewürdigt werden. Ohne die konkrete Ausrichtung des Instituts bewerten oder ihren Wert schmälern zu wollen, muss jedoch auch an dieser Stelle eine andere Perspektive aufgezeigt werden: So sind islamische Ausbildungsstätten in vielen Ländern seit dem 19. Jahrhundert nach europäischem Vorbild strukturiert worden und stellen ganz besonders in Algerien eine Übernahme der von Franzosen eingerichteten Universitäten dar. Die Annäherung französischer und algerischer Universitätstradition – und in letzterer steht letztlich das Konzept des Institut alGhazali (vgl. Kapitel 4.1.2.) – ist historisch bereits vor über 100 Jahren vollzogen worden und der Anschluss an muslimisch geprägte Kontexte und französische Traditionen stellt nicht unbedingt eine aktuelle Integrationsleistung dar. Dieses Argument wird im Folgenden anhand des Lehrplanes am Institut al-Ghazali vertieft, zunächst sollen jedoch kurz die angebotenen

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Studienabschlüsse sowie das Profil von Lehrerkollegium und Studierendenschaft besprochen werden. Im Sekretariat des Institut al-Ghazali konnte man sich 2008/09 gegen eine Jahresgebühr von 160 Euro in unterschiedliche Studiengänge einschreiben.11 Folgende Programme wurden angeboten: 1. Seelsorge (takwı¯n al-murshidı¯n, 2 Jahre, arabophon), 2. Islamische Studien (al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya, 4 Jahre, arabophon), 3. Imamat (takwı¯n al-a’imma, 5 Jahre, arabophon), 4. Islamische Zivilisation (Civilisation Islamique, 2 Jahre, frankophon). Die Ausbildung zur Seelsorge stand Männern und Frauen offen und sollte sie auf den Einsatz als muslimische Seelsorger in Krankenhäusern, in militärischen Einrichtungen oder in Gefängnissen vorbereiten. Das Institut alGhazali war seinerzeit die einzige muslimische Einrichtung in Frankreich, die einen solchen Studiengang und ein einschlägiges Diplom anbot. Die Programme für die Studiengänge Seelsorge, Islamische Studien und Imamat bauten aufeinander auf. Alle Studierenden absolvierten also in den ersten Jahren das gleiche Programm. Entweder erhielten sie nach zwei Jahren und erfolgreichen Prüfungen das Seelsorge-Diplom oder sie setzten ihr Studium fort und erhielten nach zwei weiteren Jahren Unterricht mit spezifischeren Kursinhalten und abschließenden Prüfungen das Abschlusszeugnis Islamische Studien. Schließlich konnten alle männlichen Kandidaten theoretisch ein einjähriges Praktikum an einer Moschee im In- oder Ausland absolvieren, um das Imamat-Diplom ausgehändigt zu bekommen. Auch eine Imamausbildung wird außerhalb des Institut al-Ghazali nicht angeboten und ausgeschrieben. Verantwortliche anderer muslimischer Lehreinrichtungen vertraten, entsprechend der oben beschriebenen Bedingungen für ausgebildete Imame, die Meinung, es sei sinnvoller, Muslimen eine generelle Ausbildung in den islamischen Fächern anzubieten als eine dezidierte „Imamausbildung“ (Bowen 2010: 89; Peter 2006c: 78). Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren jedoch noch keine Kooperationen mit Moscheen etabliert, an denen ein das Imamats-Studium abschließendes Praktikum hätte stattfinden können; es hatte also noch kein Studierender dieses Diplom erhalten auch einige Jahre später war dies noch der Fall. Neben dem arabophonen Ausbildungsprogramm, das den Hauptbetrieb des Institut al-Ghazali ausmachte, bestand die Möglichkeit, sich in ein zweijähriges Programm mit dem Titel Civilisation Islamique einzuschreiben, im Rahmen dessen Studierende in die Grundlagen islamischer Glaubenslehre und -Praxis eingeführt wurden. 11 Inzwischen hat sich eine weitere Professionalisierung der administrativen Prozesse am Institut al-Ghazali vollzogen. So finden sich nun ausführliche Informationen zu den Einschreibemodalitäten auf der instiutseigenen Homepage. Als Gebühr sind seit 2015 bis heute 260 Euro für das frankophone und 300 Euro für das arabophone Ausbildungsprogramm angegeben (www Institut al-Ghazali/Inscriptions).

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Die arabo- und frankophonen Kurse wurden als berufsbegleitende Wochenendkurse angeboten. Am Sonntagnachmittag fanden sich nacheinander die beiden Jahrgänge der französischen Sektion zusammen; die arabophonen Kurse wurden jeweils am Donnerstagabend, am Freitag ab 15 Uhr sowie am Samstag und am Sonntag ganztägig abgehalten. Im Jahre 2008/09 studierten insgesamt 37 Teilnehmer in der frankophonen12 und 65 Personen in der arabophonen Sektion, wobei die Teilnehmerzahlen der vierjährigen arabischsprachigen Ausbildung vom ersten bis zum vierten Lehrjahr sukzessive stark abnahmen.13 Die Mehrheit der Studierenden in diesen Kursen war algerischer Nationalität und in Algerien aufgewachsen, eine Minderheit stammte aus dem Senegal, aus Marokko oder Tunesien. Nur wenige waren in Frankreich zur Schule gegangen (INT ANO2). Während die beiden französischsprachigen Kurse von der gleichen Person unterrichtet wurden, waren insgesamt 15 männliche Lehrende für die Durchführung des arabischen Unterrichtsprogramms verantwortlich. Diese Lehrpersonen waren mehrheitlich algerischer Nationalität oder Herkunft. Eine Ausnahme bildeten ein Lehrender tunesischer und eine weitere Lehrperson marokkanischer Abstammung, ferner drei nichtmuslimische, französische Lehrkräfte, darunter interessanterweise der im BCC des Innenministeriums angestellte Bernard Godard. Die Lehrpersonen sprachen teils fließend, teils jedoch kaum französisch und lebten seit unterschiedlich langer Zeit in Frankreich. Viele von ihnen waren im Besitz eines Studienabschlusses, den sie an einem islamischen Institut oder einer islamischen Universität in Algerien erworben hatten; zum Beispiel an der Abdelkader-Universität in Constantine, der Scharia-Fakultät in Algiers oder dem Institut des sciences islamiques in Oran. In Kooperation mit dem Institut Catholique war schließlich ein Zusatzdiplom eingerichtet worden, das Studierende des Institut al-Ghazali freiwillig absolvieren konnten. Der Unterricht dort fand montags bis donnerstags jeweils abends sowie zusätzlich am Samstag statt14, bereits zum Zeitpunkt der Feldforschung gab es jedoch bereits keine Neueinschreibungen durch Studierende des Institut al-Ghazali mehr. Das Angebot wurde also lediglich im ersten Jahr der Kooperation genutzt: 2007/2008 hatten sich zehn Studierende 12 Es waren 27 Personen in das erste und fünf in das zweite Studienjahr eingeschrieben, wobei das zweite Studienjahr in der Praxis dennoch immer von ca. 10–15 Leuten besucht wurde. 13 In das erste Lehrjahr waren 30 Personen eingeschrieben, in das zweite Jahr 22, in das dritte sieben und in das vierte sechs (INT ANO2). 14 Es handelte sich um ein einjähriges Unterrichtsprogramm 60 ECTS-Punkten. Innerhalb des Programms war ein Modul zu Kultur allgemein („p le culture g n rale“), zum Recht („pole juridique“), zu Religionen („p le culture religieuse“) sowie zur Interkulturalität („p le interculturel“) zu absolvieren. Innerhalb dieser Module gab es verschiedene Wahlmöglichkeiten. Das Studium musste schließlich mit einer ca. 20-seitigen Arbeit abgeschlossen werden, innerhalb derer die Studierenden unter anderem ihr Verhältnis zur französischen Republik thematisieren sollten (GL Institut Catholique/Dipl me interculturalit ; INT ANO1).

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der Moschee von Paris am Institut Catholique immatrikuliert; inzwischen existiert keine Zusammenarbeit mehr.15 Im Folgenden wird das Unterrichtsangebot des Institut Catholique daher vernachlässigt und vielmehr das Kernprogramm des Institut al-Ghazali fokussiert. Bis auf die wenigen Kurse, die von nichtmuslimischen, französischen Lehrpersonen gegeben wurden, fand der Unterricht hier hauptsächlich in klassischem Hocharabisch, vereinzelt auch in dialektarabischer Sprache statt. Unterrichtsmaterialien und Lehrbücher waren in arabischer Sprache verfasst und auch die Prüfungen mussten auf Arabisch absolviert werden. Das sehr gute Beherrschen des Hocharabischen in Wort und Schrift stellte insofern eine unumgängliche Voraussetzung für die Teilnahme an den Kursen dar. Angesichts der im vorherigen Teil besprochenen politischen Debatten in Frankreich und Algerien ist dies nicht unbedeutend: Maghrebinische Studierende, die in Frankreich aufgewachsen sind oder Franzosen, die maghrebinische Eltern haben, beherrschen oftmals lediglich mündliches Dialektarabisch und erfüllen die Voraussetzungen für ein Studium am Institut al-Ghazali somit nicht. Die für die Zulassungen am Institut zuständige Person bestätigte mir in einem Gespräch, dass ein auf Arabisch absolviertes Abitur notwendig sei, um dem Unterricht folgen zu können. Interessierte, die ihre Schulausbildung in Frankreich erworben haben, verweise sie hingegen meist auf die französischsprachige Kurssektion.16 Im Gegensatz zu den arabischsprachigen Ausbildungsprogrammen, in denen der oder die Studierende je nach Studienjahr ein intensives 24- bis 30stündiges Wochenprogramm zu bewältigen hatte, bestand der Unterricht in Civilisation Islamique nur aus einem zweistündigen Kurs pro Woche.17 Vor 15 Dass die Zusammenarbeit mit der GMP beendet wurde, bedeutet jedoch nicht, dass das Diplom des Institut Catholique wieder abgeschafft wurde. Im zweiten Jahr seines Bestehens immatrikulierten sich 27 Personen für das Programm, die diesmal nicht nur aus Paris, sondern auch aus umliegenden Regionen kamen. Teils handelte es sich um Männer, die bereits in der muslimischen Gefängnisseelsorge und teils um solche, die in Paris als Imam tätig waren (INT ANO1). 16 Hiermit sind Tendenzen angedeutet, die in der Praxis nicht immer strikt befolgt wurden; zudem ist die Realität komplexer: So existierten Studierende, die zwar in Frankreich geboren und aufgewachsen waren, sich die notwendigen Arabischkenntnisse mündlich und schriftlich jedoch angeeignet hatten. Umgekehrt gab es natürlich algerische Schulabsolventen, deren Hocharabischniveau dennoch eher rudimentär vorhanden war. Auffällig ist aber, dass die arabischsprachigen Studiengänge im Unterschied etwa zu jenen des IESH der UOIF (vgl. weiter unten im Fließtext) zu einem Großteil von ausländischen oder aber französischen Studierenden frequentiert wird, die im Ausland aufgewachsen sind und dort ihre Schulbildung genossen haben. 17 Inzwischen wurde das frankophone Ausbildungsprogramm durch einen dritten Kurs mit dem Titel Etudes de sciences et civilisation islamiques ergänzt, der durch eine andere, neu eingestellte Lehrperson abgehalten wird. In den Jahren 2015/2016 wurde dieser Kurs, der einen Überblick über die islamische Kulturgeschichte und ihre wichtigsten Denker gibt, von einigen wenigen Studierenden besucht, während die beiden übrigen französischsprachigen Kurse zum islamischen Recht und islamischen Glaubensgrundlagen von deutlich mehr Personen frequentiert wurde (ca. 40 Personen), wie eine Stichprobe im Januar 2016 ergab. Auf der Homepage des

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allem Konvertiten wurden hier in die Grundlagen islamischer Glaubenslehre und -praxis eingeführt und mit Reinheitsregeln, Essensvorschriften sowie der Gebetsausübung vertraut gemacht. Spezifischere Inhalte wurden lediglich in den arabophonen Programmen takwı¯n al-murshidı¯n und al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya gelehrt. Nichtarabophone und sogar in Frankreich aufgewachsene, arabophone Interessenten wurden also auf ein reduziertes Einführungsprogramm verwiesen, während sich die eigentliche Ausbildung von religiösen Experten bis auf wenige Ausnahmen de facto an ein in Algerien oder in einem anderen arabischen Land sozialisiertes Publikum richtete. Diese Konstellation ist politisch brisant. Die gute wissenschaftliche Ausbildung, die kulturelle Offenheit oder die Abwesenheit dezidiert politischer Inhalte bildeten zwar auf den ersten Blick Elemente einer geteilten Äquivalenzkette des Identitätsmarkers „moderater Imam“, wie er in Algerien und Frankreich konzipiert wurde, wobei diese Elemente konkret selbstverständlich unterschiedlichen Bestimmungen unterworfen sein können. Während viele französische Politiker, insbesondere die Mitarbeiter des BCC, jedoch die Ausbildung von Imamen forderten, die in Frankreich aufgewachsen, mit dem französischen Lebenskontext vertraut sind und die französische Sprache beherrschen (Jouanneau 2009: 157 f.), bildete die arabophone Sozialisation des religiösen Personals und darüber hinaus auch der gesamten algerischen Bevölkerung bereits bei den Reformpredigern der 1930er Jahre einen integrativen Bestandteil islamisch-algerischer Identität (Dennerlein 1998: 42; M rad 1971: 88, 92). Der von Ben Badis, einer zentralen Figur der algerisch-islamischen Reformbewegung, geprägte Leitspruch „Der Islam ist meine Religion, Arabisch ist meine Sprache, Algerien ist mein Vaterland“ avancierte einige Jahrzehnte später zum Slogan der algerischen Unabhängigkeitsbewegung (Mengedoht 1997: 78). Im unabhängigen Algerien wurde die arabische Sprache nicht nur zur einzigen offiziellen und nationalen Sprache erklärt, sondern zudem als Element zelebriert, an dessen Aufwertung die Emanzipierung vom Kolonialismus aufgezeigt werden konnte (ebd.: 78–92.).18 Seit den frühen 1970er Jahren forderten insbesondere islamisch-religiöse Akteure, dass die Arabisierung des öffentlichen Lebens in Algerien vorangetrieben und die französische Sprache als ein Relikt des Imperialismus verbannt werden müsse (vgl. Rouadjia 1990: 30–35). Auch in jüngerer Zeit noch stellt Scheele in Algerien Rivalitäten zwischen arabo- und frankophonen Akteuren fest, die über Institut al-Ghazali wird unter der frankophonen Ausbildung zudem ein Kurs zum Erlenen des Koran für Frauen angegeben (www Institut al-Ghazali/Formation francophone). Dieser wurde jedoch schon zum Untersuchungszeitraum an der Moschee angeboten und bestand aus einem kleinen Zirkel an Frauen, die sich einmal in der Woche zum Erlernen und Praktizieren der Rezitationsregeln trafen. 18 Die Unterrichtssprache hatte schon in Bezug auf die von französischen Kolonialherren betriebenen Medresen zu heftigen Protestaktionen seitens der Muslime in Algerien geführt, die die Marginalisierung des Arabischen zugunsten des Französischen beklagten (vgl. Ageron 1968: 328 f.).

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den Islam sprechen. Erstere warfen ihren französischsprachigen Kollegen manchmal mangelnde Arabischkenntnisse vor, wenn sie religiöse Texte deuten wollten und bezeichneten eine frankophone Ausbildung als Widerspruch zu einem authentischen, religiösen Wissenserwerb (Scheele 2007: 320). Die Sprache, die ein Imam spricht und in der er ausgebildet wird, wird also sowohl in Algerien als auch in Frankreich (vgl. Kapitel 3.1.2.) an seine kulturelle beziehungsweise seine religiös-kulturelle Identität geknüpft. Sie bildet jeweils ein zentrales Element in der Äquivalenzkette, die den akzeptablen Imam bestimmt, während eine zu große Präsenz der jeweils anderen Sprache gar abgelehnt oder zumindest mit Misstrauen betrachtet wird. Der hohe Stellenwert, die der Ausbildungs- und Arbeitssprache eines Imam zugewiesen wird, ist ebenfalls Produkt geteilter diskursiver Strukturen, jedoch hat sich dieses Element als eines konkretisiert, über das man sich antagonistisch vom anderen abzugrenzen sucht; französische und algerische Forderungen stehen hier einander oftmals konträr gegenüber. Das Studienprogramm am Institut al-Ghazali reproduziert diesbezüglich deutlich algerische Interessen19 und konterkariert die französische Forderung nach der Ausbildung französischsprachiger sowie in Frankreich sozialisierter Imame. Über die obigen Beschreibungen der Studienprogramme hinaus wird dies auch im Vergleich mit dem konkurrierenden muslimischen Privatinstitut der UOIF (IESH) deutlich: Auch am IESH wird das Beherrschen des Arabischen als wichtige Voraussetzung für das Studium der islamischen Wissenschaften betrachtet und die Kurse werden ebenfalls mehrheitlich in hocharabischer Sprache abgehalten. Anders als am Institut al-Ghazali wird hier jedoch großes Gewicht auf die Arabisierung in Frankreich lebender Muslime gelegt20. So wird ein breites Angebot an Sprachkursen offeriert, das die Studierenden direkt zur Teilnahme an den arabischen Religionskursen befähigen soll (vgl. Fr gosi 1998: 116–25; Peter 2006a: 718; 728–730). Am IESH erhält ein in Frankreich sozialisierter, muslimischer Personenkreis also die Arabischkenntnisse, die er zur Lektüre oder Auslegung religiöser Texte benötigt. So können religiöse Experten entstehen, deren Heimatland Frankreich ist und die aufgrund ihrer arabischen Sprachkenntnisse dennoch das Prestige erwerben, 19 Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Durchsetzung der arabischen Sprache als Teil algerischnationaler Identität auch innerhalb Algeriens nicht von allen Bevölkerungsgruppen gewünscht war und insbesondere in der berberophonen Kabylei als „Kolonialisierung“ betrachtet worden ist. Am Institut al-Ghazali studierten ebenfalls viele Kabylen. In einer Unterrichtseinheit des Kurses thaqa¯fa isla¯miyya (islamische Kultur) erklärte die Lehrperson entsprechend hegemonialer, algerisch-staatlicher Diskurspositionen, dass die algerische Identität eine arabisch-islamische Identität sei und betonte explizit, alle seien Araber, auch die Kabylen (UM thaqa¯fa isla¯miyya 06.12.08: 1), womit er eine in Algerien höchst umstrittene Aussage traf, gegen die insbesondere in der Kabylei oftmals protestiert wird (vgl. Mengedoht 1997: 92). 20 John R. Bowen zitiert den ehemaligen Institutsrektor Abdelkrim Bekri, der darauf verwiesen hatte, dass das IESH dem Institut al-Ghazali inhaltlich am nächsten stehe und dieselben Grundmaterialien verwende (Bowen 2010: 89).

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um ihre religiösen Ansichten unter Muslimen in Frankreich verbreiten zu können. Das Programm des Institut al-Ghazali hingegen richtet sich, wie oben erwähnt, vielmehr an arabisch sozialisierte Personen, die ihr Abitur zumeist in Algerien oder einem anderen arabischsprachigen Land gemacht haben. Auch am Institut al-Ghazali wurden zwar von der algerischen Botschaft Kurse zum Erlernen des Hocharabischen angeboten (vgl. Exkurs). Während die Studierenden des IESH jedoch mehrheitlich in Frankreich aufgewachsen sind und zeitgleich die Sprach- und die Islamkurse besuchen, blieben die jeweiligen Adressatenkreise für die Sprach- und für die Religionskurse am Institut alGhazali voneinander getrennt. Das Profil der Studierenden während des Untersuchungszeitraums vermag dies zu erklären: Arabische Sprachkurse waren lediglich für die Teilnehmenden des frankophonen Kursprogramms interessant (sowie darüber hinaus natürlich für Interessierte außerhalb der Studierendenschaft des Instituts); den Studierenden der übrigen Programme wurde bei der Studiumseinschreibung mitgeteilt, dass sie das Hocharabische bereits mündlich und schriftlich beherrschen sollten (vgl. Bowen 2010: 88).

4.1.2. Stundenpläne Wie beschrieben wurde am Institut al-Ghazali im Studienjahr 2008/09 ein wöchentlich zweistündiger Kurs in französischer Sprache angeboten, der sich insgesamt über zwei Jahre erstreckte und der sowohl eine Einführung in die islamische Glaubenslehre (Caqı¯da) als auch in die individuellen Pflichten und Praktiken eines Muslims (fiqh al-Ciba¯da¯t) enthielt.21 Die Interessierten wurden hier zum einen in Rituale wie das Gebet oder die Pilgerfahrt nach Mekka eingeführt und zum anderen mit Vorstellungskomplexen wie der Natur des Koran, den Attributen Allahs, der Bedeutung Mohammeds und dem Leben nach dem Tode vertraut gemacht. Auf diese Weise erhielten sie eine Grundausbildung, deren Inhalte sich auf individuelle Praktiken und Überzeugungen beschränkten und die folglich in Frankreich problemlos praktizierbar waren. Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle jedoch die Verortung des arabophonen Lehrplanes, der den eigentlichen Kern des Unterrichtsangebots am Institut al-Ghazali bildete. Bei genauem Hinsehen entpuppte er sich als ein Kompromiss zwischen algerisch-staatlichen Ausbildungspraktiken und französisch-politischen Forderungen, welche beide tief in die Kolonialgeschichte zurückreichen. Ein kurzer historischer Rückblick soll dies erläutern. Anders als in Tunesien oder Marokko gibt es in Algerien keine islamischen Ausbildungsstätten mit jahrhundertealter Tradition und von internationaler 21 Beide Thematiken wurden abwechselnd behandelt. So wurde alle 14 Tage die Einführung in das fiqh al-Ciba¯da¯t fortgeführt, die jeweils dazwischen liegenden Unterrichtsstunden waren der Caqı¯da gewidmet.

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Bedeutung. Die französischen Kolonialherren hatten zur Ausbildung eines staatlichen Klerus seit Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch drei große Medresen eröffnet und betrieben. In M d a, Constantine und Tlemcen bildeten sie dort staatliche Imame und Muftis nach europäischen Strukturen aus (Ageron 1968a: 324). So wurde die Ausbildungszeit reglementiert und auf einige Jahre reduziert; es wurden wie auch allgemein an den neuen, französisch betriebenen Schulen (vgl. ebd.: 319–324) Stundenpläne und folglich auch Unterteilungen in verschiedene „Fächer“ eingeführt, regelmäßige Prüfungen, Abschlussexamina und ein Diplom am Ende des Studiums eingerichtet und der Unterricht richtete sich nicht mehr nach Tageslicht und Jahreszeit, sondern nach festen Uhrzeiten (Chachoua 2001: 136–138).22 Dieses im Algerien der damaligen Zeit völlig neue Konzept eines Islamstudiums wurde später zur Richtschnur für die Lehranstalten der algerischen Reformprediger.23 Zu Beginn der 1980er Jahre nahm auch die algerische Regierung islamische Lehrinstitute verstärkt unter ihre Aufsicht, damit an ihnen islamische Wissenschaften unter staatlicher Kontrolle gelehrt sowie aus den Absolventen Imame rekrutiert und gezielt eingesetzt werden können (vgl. Kapitel 3.1.2.). Die Strukturen und Ausbildungsprogramme richteten sich dabei deutlich nach den Modellen der früheren Kolonialverwaltung (vgl. Chachoua 2001: 296). An den islamischen Instituten in Algier, Oran und Constantine wurden zum Zeitraum dieser Untersuchung jeweils mindestens zwei oder mehrere LicenceAbschlüsse24 sowie zumeist auch Master- und Promotionsprogramme angeboten (vgl. www Licence Oran Fiqh; Licence Oran Histoire; www Programme Algier; www Programme Constantine). Der Schwerpunkt lag je nach Studienprogramm entweder auf islamischem Recht, auf islamischer Theologie inklusive Koranwissenschaften oder aber auf islamischer Zivilisation und Geschichte (ebd.). Ein Vergleich des Stundenplanes am Institut al-Ghazali mit dem Unterrichtsangebot an den erwähnten Instituten in Algier, Oran, Constantine sowie der Zaituna-Universität in Tunis hat ergeben, dass das Pariser Studium punktuelle Überschneidungen zu Ausbildungsprogrammen an allen diesen 22 Zur Funktionsweise und der Rezeption sowie den Protesten seitens algerischer Muslime gegen diese Medresen vgl. Ag ron 1968a: 324–332. 23 Die Reform islamischer Ausbildungen war nicht auf Algerien beschränkt. Auch an anderen Lehreinrichtungen in islamisch geprägten Ländern wurden seit dem 19. Jahrhundert massive Neustrukturierungen vorgenommen, an deren Ende ein Studium nach europäischen Vorbildern stand. Ein prominentes Beispiel ist die Al-Azhar-Universität in Kairo. Im Unterschied zu Algerien wurden die Neuerungen hier jedoch nicht durch die Kolonialmacht, sondern durch muslimische Eliten eingeführt (vgl. Dodge 1961: 107–56). Zur Ausbildung von Imamen in den Koranschulen und zawa¯ya¯ der Dörfer vor der Neustrukturierung durch die Reformgelehrten vgl. Chachoua 2001: 119–132. 24 Der algerische Licence-Abschluss wird nach einem dreijährigen Studium verliehen und entspricht in seiner Konzeption der französischen Licence, die inzwischen durch den Bachelorabschluss ersetzt worden ist.

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Orten aufweist, sich aber am stärksten mit der Programmkonzeption am Institut des Sciences Islamiques d’Oran deckt.25 Angesichts der Tatsache, dass Abdelkrim Bekri, der erste Direktor des Institut al-Ghazali, zuvor Leiter des islamischen Instituts in Oran war, überrascht dies wenig. In Oran wurden zwei verschiedene Abschlüsse angeboten: Das Programm des ersten, Licence Acad mique: Usu¯l wa fiqh, legt den Fokus auf das islamische Recht und bietet ˙ islamische Geschichte und Zivilisation als Randfächer an (www Licence Oran fiqh); im zweiten hingegen, der Licence Acad mique: Sciences islamiques, Histoire Islamique, werden Geschichte, Kultur und Politik islamisch geprägter Länder vertieft, die verschiedenen Rechtstraditionen aber nur überblicksartig behandelt (www Licence Oran Histoire). Das Institut al-Ghazali in Paris bietet im Gegensatz zu Oran keine Möglichkeit an, inhaltliche Schwerpunkte zu wählen. Eine eingehende Durchsicht der Studienprogramme macht jedoch deutlich, dass das Programm des Institut al-Ghazali eine Fusion der beiden in Oran studierbaren Licences darstellt, dabei aber einen deutlichen Schwerpunkt auf die Variante mit Fokus auf das islamische Recht legte. Zur Veranschaulichung wurden die am Institut des Sciences Islamiques d’Oran und am Institut al-Ghazali angebotenen Fächer einander gegenübergestellt und hierzu in verschiedene Kategorien unterteilt sowie in einer Tabelle farblich voneinander unterschieden (siehe Anhang). Diese Einteilung findet sich nicht in der Selbstbeschreibung der beiden Studienprogramme und dient lediglich dem besseren Überblick des Lesers. Vier Bereiche wurden hervorgehoben: 1. Klassische Fächer (weiter unterteilt in Koran und Sunna, islamisches Recht sowie Glaubenslehre, 2. Islamische Geschichte und Zivilisation, 3. Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens sowie 4. Sprachunterricht. Alle vier Bereiche werden an beiden Instituten gelehrt; am Institut al-Ghazali sind sie durch eine fünfte Kategorie ergänzt, die spezifische Kurse zu den Aufgaben des Imam und des Seelsorgers sowie zu französischer Institutionengeschichte und Philosophie enthält. Der tabellarische Vergleich lässt erkennen, dass im Bereich der klassischislamischen Fächer an beiden Orten zu Beginn der Ausbildung ein Grundstock gelegt wird, der aus Unterricht in Koran- und Hadithwissenschaft, Glaubenslehre und den individuellen Pflichten (Ciba¯da¯t) besteht. In den Folgejahren bzw. Folgesemestern26 werden die Kenntnisse in islamischem Recht ausgebaut und vertieft, während die Kurse zu Koranwissenschaft und insbesondere zur Glaubenslehre langsam reduziert und schließlich beendet werden. 25 Die Studienprogramme der islamischen Institute in Algier, Oran und Tunis finden sich auf den jeweiligen Internetpräsenzen. Die Programme der Abdelkader-Universität in Constantine existieren nicht in detaillierter Form online; Informationen hierzu geben jedoch Enna fer 1998: 179–181 und Zebiri 1993: 221–225. 26 Die Studiengänge sind zeitlich jeweils anders organisiert: In Oran führt bereits ein dreijähriges Studium zum Abschluss, das Wochenprogramm ist aber umfangreicher. Im Unterschied zum Institut al-Ghazali ist ein Studienjahr zudem in zwei verschiedene Semester mit jeweils unterschiedlichen Stundenplänen aufgeteilt.

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Die Reihenfolge, in der die verschiedenen Teilbereiche des islamischen Rechts am Institut al-Ghazali eingeführt werden, entspricht grundsätzlich ebenfalls der Anordnung in Oran: Auf das individuelle Pflichten umfassende fiqh alCiba¯da¯t zu Beginn des Studiums folgt eine Einführung in die Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) und schließlich in das Studium des Familienrechts (fiqh ˙ Zivil- und Handelsrecht (fiqh al-muCa¯mala¯t) sowie der Zielsetal-usra), das zungen der Scharia (maqa¯sid al-sharı¯Ca). Gegen Ende des Studiums werden an ˙ beiden Instituten jeweils Erbrecht (mawa¯rı¯th) und vergleichendes Recht (fiqh al-muqa¯ran) behandelt. Diese Bereiche stecken vor allem diejenigen Rechtsgebiete ab, auf die die Anwendung bzw. Neuformulierung islamrechtlicher Vorschriften in vielen muslimisch geprägten Ländern und so auch in Algerien seit der Einführung von europäischen Rechtssystemen im 19. Jahrhundert beschränkt ist (vgl. Dennerlein 1998: 39–50; Hallaq 2009: 106, 110–139). Zugleich bezeichnen sie diejenigen Arenen, die im sogenannten islamischen Minderheitenrecht (fiqh al-aqalliyya¯t) behandelt werden: Verschiedene muslimische Akteure und Organisationen in Europa wie unter anderem der Europäische Fatwarat in Dublin fokussieren dabei auf ebendiese Rechtsbereiche (Ciba¯da¯t, muCa¯mala¯t, usra, mawa¯rı¯th), um eine islamische Praxis zu definieren, die die Rechtsstrukturen der europäischen Länder nicht in Frage stellt, dennoch aber islamische Identität aufrechterhält und die Praxis islamrechtlicher Vorgaben so weit einfordert, wie es jeweils möglich ist (Caeiro 2010: 435–437; Shavit 2012: 19). Auch an der mit der Moschee von Paris konkurrierenden Dachorganisation UOIF unterscheidet sich die Auswahl der thematisierten und für wichtig befundenen Rechtsbereiche nicht von jenen des Institut al-Ghazali (vgl. Peter 2010: 157–159). Schließlich weichen einige Kurse im Bereich des fiqh an den Instituten in Oran und Paris voneinander ab. So wird am Institut al-Ghazali ein Kurs in fiqh al-daCwa („daCwa-Lehre“) angeboten und das von Yusuf Al-Qaradawi entwickelte Prioritätenrecht (fiqh al-awwaliyya¯t)27 unterrichtet. In Oran hingegen wird stattdessen ein deutlich erweitertes Spektrum an Kursen zu islamischem und auch staatlichem Recht angeboten (vgl. Tabelle in Kapitel 9 (Anhang)), was durch die weitaus höhere Anzahl an zur Verfügung stehenden Unterrichtskursen erklärt werden kann. Im Gegenzug werden in Paris jedoch einige wenige Grundkurse aus der zweiten in Oran studierbaren Licence mit Schwerpunkt auf islamischer Zivilisation in den Stundenplan integriert: im ersten Lehrjahr islamische Zivilisation (hada¯ra isla¯miyya) und islamische ˙ ˙vierten Lehrjahr islamische HeKultur (thaqa¯fa isla¯miyya), im dritten und terodoxie (al-firaq) und Geschichte der Religionen (ta¯rı¯ch al-adya¯n). Verschiedene Kurse des Pariser Studienprogramms stellen schließlich eine Anpassung an die Erfordernisse des französischen Kontextes dar, wie zum Beispiel die Kurse in Seelsorge (irsha¯d) sowie in französischer Sprache. Als 27 Innerhalb des Prioritätenrechts wird geklärt, welche islamrechtlich gewünschte oder obligatorische Handlung Priorität vor einer anderen hat, wenn beide miteinander in Konflikt stehen.

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Reaktion auf politische Forderungen, die in Frankreich immer wieder thematisiert wurden, kann schließlich das Fächerangebot betrachtet werden, das die Studierenden mit dem französischen Lebenskontext sowie mit europäischer Ideengeschichte vertraut machte und von nichtmuslimischen Lehrpersonen unterrichtet wurde: Philosophie, Communaut s Europ ennes und Les institutions franÅaises.28 Diese drei Fächer wurden inzwischen allerdings aus dem Studienprogramm gestrichen und existieren seither nicht mehr.

4.1.3. Webseiten und Studierendenführer Die Beschreibungen auf der Homepage der Großen Moschee von Paris, auf der spezifischen Homepage des Instituts sowie die Präsentation im Studierendenführer weisen das Institut al-Ghazali kaum konkret einer islamischen Bewegung, Schule oder Denktradition zu. Vielmehr kündigen sie ganz allgemein an, dass am Institut religiöse Lehre und islamische Kultur verbreitet werden, eine vertiefte Behandlung der islamischen Wissenschaften stattfinde sowie eine Ausbildung in islamischer Doktrin, Unterricht in islamischer Zivilisation oder das Erlernen der Grundlagen der islamischen Religion und der arabischen Sprache angeboten werde (GL Institut al-Ghazali de la Grande Mosqu e de Paris: 3). Nur an wenigen Stellen finden sich grobe Hinweise auf die Lehrrichtung, die am Institut vertreten wird. So wird auf den ersten Seiten des Studienführers bemerkt, dass eine authentische, humanistische und tolerante Vision des Islam vermittelt wird (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 2 f.), die vor ˙ Abweichlertum, Radikalismus und suspekten Gruppen schützen soll (GL Institut al-Ghazali de la Grande Mosqu e de Paris). Der authentische Islam wird schließlich zum einen durch den Verweis auf das Sunnitentum konkretisiert. So heißt es, noch immer im Vorwort des Studierendenführers, die sunnitische Tradition werde in ihrer Gesamtheit gelehrt und respektiert (la tradition sunnite…y est ing gralement enseign e et respect e, GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 4). In Unterrubriken werden Fächer fiqh al-Ciba¯da¯˙t und fiqh almuCa¯mala¯t zudem mit dem Zusatz „de rite mal kite“ versehen (www Moschee von Paris/Formation Imams); die Lehre am Institut Al-Ghazali ist also im malikitisch-sunnitischen Rechtschulenislam verankert. Weiteren Aufschluss 28 In Philosophie wurde in chronologischer Reihenfolge ein Kanon bedeutender französischer Denker behandelt. Während des Untersuchungszeitraums wurden insbesondere Kurztexte von Ren Descartes, Blaise Pascal und Jean-Jacques Rousseau gelesen und diskutiert. Im Kurs Communaut es Europ ennes wurde vor allem die Zusammensetzung von muslimischen Gemeinschaften in den Ländern Europas vorgestellt. Besprochen wurden Anzahl, Nationalität, Organisationsformen, Moscheen und jeweils länderspezifische Debatten. In Les institutions franÅaises wurde ein Überblick über das politische System und die rechtlichen Rahmenbedingungen in Frankreich gegeben. Dabei wurde die Reichweite des Konzepts der Laizität am Beispiel von konkreten Bereichen wie Heirat, Scheidung, Erbrecht u. ä. erläutert.

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gibt eine Angabe, die 2010 auf die Homepage des Institut al-Ghazali gestellt wurde: Nous avons mis l’accent dans nos formations sur le fiqh m likite et la ‘aq da sunnite et la lecture coranique selon l’im m warsh (www Institut/Les Formations).

Der Verweis auf die warsh-Lesart des Koran verankert das Institutsprogramm in einer Praxis, die bis heute in Nordafrika vorherrschend ist und grenzt es zugleich von Einflüssen ab, die seit einigen Jahrzehnten aus anderen arabischen Ländern nach Algerien eindringen: Die auf Warsch al-NafiC (gest. 812) zurückgehende Koranlesart29 war seit jeher im gesamten Maghreb verbreitet (Bobzin 2007: 105). Seit den 1980er Jahren, als vermehrt Akteure von ihrem Islamstudium in den ostarabischen Ländern zurückkehrten, wurde sie mehr und mehr durch die in den übrigen islamischen Ländern verbreitete Lesetradition nach Hafs al-CAsim (gest. 796) zurückgedrängt, die auch der Koranausgabe der Azhar-Gelehrten zu Grunde liegt (ebd.: 109).30 Die Nutzung der warsh-Version ist womöglich ein Hinweis auf die Intention der Verantwortlichen, das Institutsprogramm mit dem Marker des „traditionellen“ oder „authentisch-maghrebinischen“ bzw. „algerischen“ Islam zu verbinden, der sich von den in sicherheitspolitischen Debatten zumeist als negativ beurteilten Einflüssen „aus dem Osten“ abgrenzt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die oben zitierte Formulierung „Nous avons mis l’accent dans nos formations sur le fiqh m likite“. Mit dieser Aussage wird ein Schwerpunkt auf das malikitische Recht angekündigt, ohne dass Authentizitätsansprüche anderer Rechtschulentraditionen als falsch abgewiesen werden. Dies entspricht einer typischen Position, wie sie die algerischen Reformprediger und vor allem ihr zentraler Vertreter Ben Badis in den 1930er Jahren verteidigt hatten: Algerische Denker um Ben Badis hatten in Anlehnung an Raschid Rida zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Hochachtung und Treue zu den Altvorderen (sala¯f) propagiert (M rad 1971: 190 f.). Sie hatten alle Rechtschulengründer und˙ frühen Gelehrten egal welcher Rechtschulenzugehörigkeit gleichermaßen anerkannt (ebd.: 191) und im Ziele der Wiedervereinigung aller Muslime die zuvor bisweilen scharfe Verurteilung anderer Rechtschulentraditionen31 zugunsten eines toleranteren Umgangs zurückgestellt. Im Unterschied zu Raschid Rida und den beispielsweise in Syrien oder Ägypten seiner Zeit stattfindenden Reformbewegungen stellten algerische Reformprediger jedoch den Identitätsmarker des „Malikismus“ ins Zentrum: Sie besprachen in ihrer Lehre zwar auch die Rechtspositionen der 29 Es gibt sieben kanonische Lesarten, die sich manchmal nur ästhetisch, bisweilen aber auch inhaltlich voneinander unterscheiden (vgl. M rad 1998). 30 Die Azhar-Gelehrten veröffentlichten 1923 eine Koranausgabe, die bis heute zu den in den islamischen Ländern insgesamt am meisten gedruckten und verbreiteten Version zählt (Bobzin 2007: 109). 31 Zum Verhältnis der Rechtschulen zueinander vor den Reformbewegungen vgl. Coulson 1964: 86–102.

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hanafitischen, schafiitischen und hanbalitischen Autoren. Im Mittelpunkt standen jedoch Lehre und Werk von Imam Malik. Ben Badis erhob den Marker „malikitischer Islam“ gar zu einem Identifikationsmerkmal algerisch-islamischer Identität (M rad 1999: 191). Später reproduzierte auch die unabhängige algerische Regierung den Fokus auf die malikitische Rechtschule als Merkmal des „algerischen Islams“ und marginalisierte die bis anhin in Algerien durchaus verbreiteten Rechtsauslegungen außerhalb des malikitischen Referenzrahmens.32 Der „Malikismus“ von Ben Badis und seinen Gefolgsleuten bedeutete jedoch in vielerlei Hinsicht einen radikalen Bruch mit dem Verständnis „malikitischer Tradition“, das in Algerien vor dem Aufkommen der Reformbewegung verbreitet war (vgl. Kapitel 3.1.1; M rad 1971: 190–222). Wie in Kapitel 3.1.1. erklärt, wurden die Positionen der Reformprediger von den Gegnern der Bewegung auch tatsächlich mit dem Begriff des „Salafismus“ beziehungsweise „Wahhabismus“ bezeichnet und gebrandmarkt (M rad 1971: 192 f.). Die Definitionen des Markers Malikismus am Institut al-Ghazali werden im Zuge der weiteren Verortung des Lehrprogramms und insbesondere in der Analyse des Unterrichts von Lehrperson Chebel genauer besprochen (siehe Kapitel 4.3.). Ungeachtet der genaueren Auslegung kann jedoch festgehalten werden, dass die Verortung im malikitisch geprägten Sunnitentum die Möglichkeit birgt, sich innerhalb der sicherheitspolitisch motivierten Debatten in Frankreich und Algerien als Repräsentant eines ungefährlichen, traditionellen, jedenfalls als einen nicht-salafistisch/-wahhabitischen Akteur zu positionieren. Mit dem Verweis auf die malikitische Rechtschulentradition grenzt sich das Institut al-Ghazali auch beispielsweise von anderen islamischen Akteuren in Frankreich ab: Zum einen von denjenigen, die aktuell als Salafisten gehandelt werden, zum anderen auch vom IESH der UOIF: Letzteres kann zwar wie die algerischen Reformprediger ebenfalls in die Tradition reformislamischer Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeordnet werden (vgl. Peter 2010),33 anders als am Institut al-Ghazali werden hier jedoch die Positionen 32 Die Rechtsprechung in Algerien war zu keinem Zeitpunkt nur von malikitischen Positionen geprägt, sondern durch einen großen Pluralismus und lokale Flexibilität gekennzeichnet. So wurden neben den verbreiteten malikitsichen Rechtsauslegungen auch regionale Praktiken sowie ibaditisches Recht beziehungsweise kabylisches Gewohnheitsrecht angewendet; die französische Kolonialmacht hatte ebenfalls nach diesen drei Personalstatuten unterschieden (vgl. Dennerlein 1998: 38). Zur Rechtsprechung in der Kabylei, der dortigen Bedeutung des Malikismus sowie der tiefgreifenden Transformationsprozesse, die die französische Kolonialisierung auch in der Kabylei ausgelöst hatte, hat Tilman Hannemann eine detaillierte Studie vorgelegt (Hannemann 2002). Algerische Regierungsmitglieder reduzierten die islamische Rechtspraxis in Algerien weiter auf den Malikismus, als sie islamrechtliche Vorgaben in das nationale Familiengesetz integrierten. Die Debatten um die Inklusion islamischer Rechtsnormen in den Bereich des Familienrechts beispielsweise bezogen sich ausschließlich auf malikitische Vorgaben (vgl. Dennerlein 1998: 73). 33 Frank Peter liefert eine genauere Verortung der UOIF und erörtert zudem die in öffentlichen

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aller vier Rechtschulen gelehrt; es findet sich keine besondere Hervorhebung des Malikismus (vgl. www IESH/Formation; Peter 2010: 159). Das IESH präsentiert sich so in einer stärker inklusivistischen und globalen Ausrichtung und löst sich vom Identitätsmarker des Malikismus, der vor allem in Nordafrika hegemonial-identitätsstiftend ist. Zuletzt kann auch der Verweis auf den Sufismus als Reaktion auf den neuen Trend zur Revitalisierung ebendieser Strömung in Algerien gelesen werden und der Abgrenzung beispielsweise zu salafistischen Milieus dienen, die islamisch-mystische Praktiken ablehnen. Im Vorwort zum Studierendenführer wird angekündigt, dass auch die spirituelle Initiation in den Islam („l’initiation spirituelle de l’Islam“, GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 5); arab.: al˙ vernachlässigt werden dürfe und takwı¯n al-ru¯h¯ı li–l-isla¯m, ebd.: 6) nicht ˙ neben den traditionellen Wissenschaften (enseignements traditionnelles, ebd.: 5; arab.: al-Culu¯m at-taqlı¯diyya, ebd.: 7) daher Reflexionszirkel über die großen islamischen Mystiker eingerichtet werden sollen (ebd.). Wie die Organisation dieser Zirkel genau gedacht ist, wird aus der Beschreibung nicht deutlich. Letztere sind zudem bis zum Ende des Untersuchungszeitraums noch nicht initiiert worden; immerhin wurde seit 2008/09 jedoch regelmäßig ein Kurs mit dem Titel tasawwuf (Sufismus) unterrichtet. ˙ Neben diesen wenigen verbal explizierten Verortungen des Institut al-Ghazali verweisen schließlich auch islamische Referenzautoren und Gelehrtenporträts auf der Homepage und dem Webblog auf innerislamische Positionierungen. Auffällig ist beispielsweise der Stellenwert der Al-Azhar-Universität in Kairo. So findet sich auf dem Blog des Institut al-Ghazali ein Link zur Webseite der Al-Azhar-Gelehrten (www Institut al-Ghazali/LeBlog/Al-Azhar), und auf der Startseite des Institut al-Ghazali wurde an prominenter Stelle getitelt: „Shuyukh d’Al Azhar la Grande Mosqu e de Paris avec l’Institut al-Ghazali, CIFIE, Doctrine Malikite“ (www Institut/Accueil). Der Al-Azhar Universität wird insbesondere in sunnitisch geprägten Kontexten weltweit seit den 1980er Jahren eine hohe Autorität in islamischen Auslegungsfragen zugesprochen. Obwohl die Gelehrten dort höchst diverse Positionen und Islamauslegungen vertreten, präsentierte sich die Universität insgesamt zunehmend als Bollwerk gegen neuere „radikal-islamische“ Gruppierungen (Zeghal 1996: 305 f.). Seit Ende der 1970er Jahre, als die Deutungshoheit der offiziell staatstreuen AlAzhar durch unabhängige islamische Gruppierungen vehement in Frage gestellt wurde, reagierten ihre Anhänger auf diese Situation und revitalisierten mit Erfolg ihren Ruf als Repräsentanten eines orthodoxen und authentischen Islam (vgl. Gaborieau/Zeghal 2004: 10). Von Autoritäten, die sich mit aktuellen salafistischen Gruppierungen oder dem saudischen Wahhabismus identifiDebatten immer wieder vorgebrachte und als negativ bewertete Nähe der Einrichtung zu den Muslimbrüdern, deren Positionen so vielfältig sind, das der Verweis auf sie kaum mehr aussagekräftig ist (Peter 2006; 2010).

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zieren, wird die Al-Azhar- Universität noch heute oft abgelehnt (Caillet 2008: 265). Auf der Homepage und vor allem dem Webblog des Institut al-Ghazali wurden während des Untersuchungszeitraums neben dem Verweis auf die AlAzhar-Universität als wichtiger Referenz einige dezidierte Kritiker des „saudischen Wahhabismus“ vorgestellt oder verlinkt. Beispielsweise der saudische Ali al-Dschifri (1971-) (www Institut al-Ghazali/LeBlog/Al-Jefri) oder der international bekannte Muhammad al-Ghazali (1917–1996 (www Institut alGhazali/LeBlog/Al-Ghazali), den das algerische Religionsministerium in den 1980er Jahren ins Land holte, um ihn als Vertreter eines moderaten Islam auftreten zu lassen und in den Kampf gegen den „radikalen Islam“ und konkret den „saudischen Wahhabismus“ zu stellen (Zeghal 1996: 212–214).34 Schließlich fanden sich auf dem Webblog Portraits von nordafrikanischen Rechtsgelehrten, die sich als Schüler der reformislamischen Prediger und ihrer Positionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zugleich aber dezidiert als Malikiten verstehen und folglich bis heute als malikitische Referenzen gelten: 1. Muhammad ibn Aschur (1879–1973) (www Institut al-Ghazali/LeBlog/ Ashur), der seinerzeit weitreichende Reformen an der tunesischen Zaituna durchsetzte (Souissi 1994: 58) und eine Gallionsfigur des tunesischen Reformislam darstellt, sowie 2. sein bis zu seinem Tod in Mekka lehrender Schüler Muhammad Alawi al-Maliki (1944–2004) (Al-Madani 2009), der vor allem für seine Verteidigung des Sufismus und seinen Widerstand gegen wahhabitische Islamauslegungen bekannt ist (vgl. Schwartz 2008: 3). Zentrale wahhabitische Prediger wie Abd al-Aziz ibn Baz (1910–1999), Muhammad ibn al-Uthaymin (1925–2001), Nasir al-Din al-Albani (1914–1999) oder in Frankreich besonders einflussreiche Vertreter salafistischer Gruppierungen wie Rabi ibn Hadi al-Madchali (1931-) (vgl. Rougier 2008: 15) tauchen hingegen nicht auf. Diese erste Durchsicht islamischer Referenzautoren auf Homepage und Webblog zeigen also eine Verortung des Instituts in den großen islamisch-sunnitischen Lehranstalten an, die weltweit als Vertreter von „moderat-orthodoxem“ Islam gehandelt werden. Genauere Auskünfte geben die zu den einzelnen Unterrichtseinheiten empfohlenen Werke, die im Studierendenführer aufgelistet sind.

34 Al-Ghazali war lange Zeit aktives Mitglied der Muslimbruderschaft (Zeghal 1996: 212). Der bisweilen als „moderater Islamist“ bezeichnete Gelehrte (ebd.: 213) war 1984 von der algerischen Regierung in das Rektorat der damals noch jungen Abdelkader-Universität in Constantine berufen worden, wo er als Bastion gegen die (antistaatliche) „islamistische Gefahr“ eingesetzt werden sollte. Al-Ghazali trat wöchentlich im algerischen Fernsehen auf und avancierte auch durch seine Partizipation an öffentlichen Islamseminaren, die das algerische Religionsministerium regelmäßig veranstaltete, zu einem wichtigen Akteur staatlich legitimierter Orthodoxie (ebd.: 214).

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4.1.4. Lehrmaterialien und Referenzbibliographien Im Studierendenführer des Institut al-Ghazali für das Lehrjahr 2008/09 finden sich für jeden angebotenen Kurs eine Kurzbeschreibung, Angaben zu im Unterricht verwendeten Lehrbüchern sowie weiterführende Literaturhinweise. Die angekündigten Lehrmaterialien und Referenzbibliographien geben einige Hinweise auf die innerislamische Verortung des Institut al-Ghazali. In zweierlei Hinsicht sind sie jedoch nur relativ aufschlussreich: 1. Die angegebenen Werke sagen nichts über die Art ihrer Rezeption aus. Viele, insbesondere frühe klassisch-islamische Gelehrte werden von Akteuren unterschiedlichster Ausrichtung rezipiert und als wichtig erachtet. Islamische Autoritäten, die aktuell im Diskurs dem salafistischen oder gar salafistischdschihadistischen Spektrum zugeordnet werden, berufen sich teils auf dieselben Autoren wie jene, die beanspruchen, in Abgrenzung hierzu einen orthodoxen Rechtschulenislam zu vertreten. 2. Die Literaturhinweise geben Aufschluss über die offiziell intendierte Verortung des Instituts, können aber selbstverständlich von tatsächlich im Unterricht verwendeten Lehrmaterialien und Referenzautoren abweichen. Während des Untersuchungszeitraums wurde effektiv eine sehr unterschiedlich starke Verwendung der offiziell angegebenen Lehrwerke beobachtet. So dienten viele der im Studierendenführer gemachten Angaben im Unterricht als Grundlage, andere hingegen wurden gar nicht herangezogen. Welche Autoren werden im Studierendenführer angegeben? Zunächst fällt auf, dass klassisch-islamische Werke wie mittelalterliche Rechtsabhandlungen, Korankommentare oder theologische Traktate nicht als Lehrtexte auf dem Unterrichtsprogramm stehen. Hauptmedium ist meistens ein modernes Lehrbuch in arabischer Sprache; klassische Autoren werden lediglich als ergänzende Referenzen angeführt. Dies entspricht der aktuellen Praxis in vielen großen islamischen Lehranstalten weltweit; klassische Autoren werden fast überall als zu schwer zugänglich bewertet, wie Monique C. Cardinal am Beispiel der Scharia-Fakultäten der Zaituna in Tunis, der Al-Qarawiyyin in Fes, der Al-Azhar in Kairo, sowie schließlich in Amman und Damaskus festgestellt hat (Cardinal 2005: 224, 233). Ein Blick auf die klassischen Autoren, die in den weiterführenden Literaturhinweisen empfohlen werden, ist dennoch aufschlussreich: Zum einen finden sich hier Werke, die in sunnitisch-islamischen Kreisen übergreifend und nahezu unangefochten als autoritativ gehandelt werden wie z. B. die Hadithsammlungen Sah¯ıh al-Muslim und Sah¯ıh al-Bu¯cha¯rı¯35 oder die Ab˙ ˙ ˙ ˙ (Kita ˙ ¯ b al-iba¯na Can usu¯l alhandlungen zu den ˙Grundlagen der Religion ˙ 35 Zur Hadithanalyse im 2. Lehrjahr (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 54). ˙

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diya¯na) des Theologen Abu al-Hasan al-AschCari (873/874–935) sowie das Tawh¯ıd von Abu Mansur al-Maturidi (893–941).36 ˙ Neben Autoren und Texten, die der malikitischen Rechtschule angehörten oder stark von ihr geprägt waren wie zum Beispiel der Rechtsgelehrte und Koranrezitator Ibn Bar (978–1071),37 der noch heute breit rezipierte Koranexeget Abu Abdallah al-Qurtubi (1214–1273),38 der berühmte Rechtsgelehrte Ibn Abi Zaid al-Qairawani (922–966),39 der schwerpunktmäßig zum Malikismus schreibende Ibn Ahmad ibn Dschuzai (1321–1357),40 die beiden großen malikitischen Rechtsgelehrten Abu Ishaq al-Schatibi (gest. 1388)41 und Ibn Idris al-Qarafi (1228–1285)42 sowie schließlich das Muwatta¯C des malikiti˙˙ schen Rechtschulengründers Malik ibn Anas (715–795)43 finden sich in den Angaben aber auch nicht-malikitische Referenzen: So zum Beispiel der hanafitische Jurist al-Razi al-Dschassas44 oder die hanbalitischen Gelehrten Ibn Qayyim al-Dschauziyya (1292–1350),45 Ibn Qudama al-Maqdisi (1147–1223),46 Ibn Muhammad Al-Amidi (1156/57–1233) (später Anhänger der schafiitischen Rechtsschule)47 und schließlich Ahmad ibn Taymiyya (1263–1328), der von vielen einflussreichen Denkern des 20. Jahrhunderts in unterschiedlichste Richtungen rezipiert worden ist.48 Die große Mehrheit der im Programm aufgeführten Referenzen ist jedoch in der schafiitischen Rechtschule verankert, wie beispielsweise der Theologe und Rechtsgelehrte Fachr al-Din al-Razi (1149–1209),49 der Rechts- und Koranwissenschaftler Badr al-Din al-Zarkaschi (1344–1391),50 der große und heute noch von vielen 36 Zur Glaubenslehre (Caqı¯da) im 1. und 2. Lehrjahr (GL ebd.: 41, 53). 37 Zur Koranrezitation (hifz al-qur’a¯n) im 1. und 2. Lehrjahr (ebd.: 38, 52) sowie zum Zivil- und ˙ ˙ Handelsrecht (fiqh al-muCa¯mala¯t) im 3. Lehrjahr (ebd.: 66). 38 Zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qur’a¯n) im 3. Lehrjahr (ebd.: 64), zu rechtsrelevanten Koranversen (a¯ya¯t al-ahka¯m) im 3. Lehrjahr (ebd.: 65). ˙ 39 Zu den individuellen Pflichten (fiqh al-Ciba¯da¯t) im 1. Lehrjahr (ebd.: 42). 40 Zu den individuellen Pflichten (fiqh al-Ciba¯da¯t) im 1. Lehrjahr (ebd.: 43) sowie zum Familienrecht (fiqh al-usra) im 2. Lehrjahr (ebd.: 65). 41 Zur Rechtsmethodologie und Zielsetzungen der Scharia (usu¯l al-fiqh wa-l–maqa¯sid) im 3. ˙ ˙ Lehrjahr (ebd.: 68). 42 Zur Rechtsmethodologie und Zielsetzungen der Scharia (usu¯l al-fiqh wa-l–maqa¯sid) (ebd.). ˙ ˙ 43 Zu rechtsrelevanten Hadithen (ha¯dı¯th al-ahka¯m) im 3. Lehrjahr (ebd.: 66). Malikitische Ge˙ ˙ B lehrte vor den Reformpredigern benutzten das Muwatta¯ kaum als Referenz und setzten es auch ˙ nicht in der Lehre ein. Zu den viel rezipierten Werken gehörten stattdessen an erster Stelle der Mukhtasar khalı¯l (14. Jahrhundert) sowie darauf folgend der Mukhtasar des Ibn al-Hadschib ˙ ˙ (auch bekannt als Dja¯miC al ummaha¯t) (13. Jahrhundert) sowie die Tuhfa des Ibn CAzim ˙ (1359–1427) (Hannemann 2004: 172). 44 Zu rechtsrelevanten Koranversen (a¯ya¯t al-ahka¯m) im 3. Lehrjahr (ebd.: 65). ˙ 45 Zur Prophetenbiographie (al-sı¯ra al-nabawiyya) im 1. Lehrjahr (ebd.: 44). 46 Zum Familienrecht (fiqh al-usra) im 2. Lehrjahr (ebd.: 55). 47 Zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) im 2. Lehrjahr (ebd.: 56). ˙ 48 Zur Logik (al-mantaq) im 2. Lehrjahr (ebd.: 60). ˙ 49 Zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) im 2. Lehrjahr (ebd.: 56). ˙ 50 Zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qur’a¯n) im 1. Lehrjahr (ebd.: 39).

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Rechtsgelehrten breit rezipierte Dschalal al-Din al-Suyuti (1445–1505),51 der Koranexeget Umar ibn Kathir (1301–1373),52 dessen Korankommentar unter muslimischen Gelehrten weltweit eine zentrale Referenz ist, der Hadithspezialist Ibn al-Salah al-Schahrazuri (1181–1245) oder schließlich Imam alHaramain al-Dschuwaini.53 Viele der oben genannten sowie noch einige weitere Referenzen des Studienführers entsprechen denjenigen, die in den Lehrplänen der oben genannten und von Monique Cardinal untersuchten fünf Scharia-Fakultäten in Tunis, Fes, Kairo, Amman und Damaskus angegeben werden54 und decken sich außerdem mit dem Kanon derjenigen Autoren, die in den heute weltweit verwendeten modernen Lehrwerken zu islamischem Recht (fiqh) und Scharia Erwähnung finden.55 Dieselben Bücher sind schließlich auch Grundlage für den Unterricht am Institut al-Ghazali, wie im Folgenden gezeigt wird. Dies erklärt die oben angedeutete Zusammensetzung des Kanons klassischer Autoren sowie insbesondere die Tatsache, die letztere keineswegs vornehmlich malikitisch sind, wie es die offizielle Selbstverortung des Instituts hätte vermuten lassen können. Bezüglich des Unterrichtsmaterials, das an den staatlich-islamischen Hochschuleinrichtungen in Algerien verwendet wird, liegen zwar bislang keine Auswertungen vor. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die genannten Lehrbücher dort Verwendung finden und deshalb auch am Institut al-Ghazali eingesetzt werden. Die Bücher wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts insbesondere in Syrien und Ägypten, zumeist von Lehrpersonen der Al-Azhar-Universität verfasst (Cardinal 2005: 242). Sie waren das Ergebnis breit angelegter Unterrichtsreformen in didaktischer, inhaltlicher und epistemologischer Hinsicht und integrierten nicht zuletzt Anordnungen und Kategorienbildungen europäischer Rechtsvorstellungen, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in diesen Ländern verstärkt rezipiert wurden (vgl. Cardinal 2005: 246–253; Bedir 2004; Botiveau 1993: 182–189). Als im Zuge der Arabisierungsprogramme algerischer Universitäten in den 1970er Jahren massiv syrische und ägyptische Lehrkräfte nach Algerien angeworben wur51 Zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qur’a¯n) im 1. Lehrjahr (ebd.). 52 Zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qur’a¯n) im 2. und 3. Lehrjahr (ebd.: 53, 64) und zu den Hadithwissenschaften (Culu¯m al-hadı¯th) im 1. Lehrjahr (ebd.: 40). ˙ 53 Angegeben zur Glaubenslehre (Caqı¯da) im 1. Lehrjahr (ebd.: 42). 54 So würden Scharia-Studierende aus aller Welt laut Cardinal an der Al-Azhar in Bezug auf klassische Werke, beispielsweise für die schafiitische Rechtsschule auf Al-Amidi, Al-Ghazali, AlDschuwaini, Al-Razi und Al-Qarafiverwiesen (Cardinal 2005: 239). Gelehrte, die allesamt in der Referenzliste des Institut al-Ghazali zu den Unterrichtseinheiten usu¯l al-fiqh (2. Lehrjahr) und ˙ usu¯l al-fiqh wa-l–maqa¯sid (3. Lehrjahr) stehen (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant 55 f; 67.). ˙ ˙ ˙ 55 Beipielsweise Al-Amidi, Al-Asnawi, Al-Shakur, Al-Ghazali, Al-Razi und Al-Buchari (Cardinal 2005: 241), am Institut al-Ghazali angegeben als Referenz zu den usu¯l al-fiqh im 2. Lehrjahr (Al˙ Amidi, Al-Asnawi, Al-Razi, Al-Ghazali, Al-Shakur) (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 55 f.) ˙ und zur Hadithanalyse im zweiten Lehrjahr (Al-Buchari); ebd.: 53).

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den, arabophone Lehrmittel an den Hochschulen jedoch oftmals noch fehlten (vgl. Rouadjia 1990: 150–152), fanden vermutlich auch die genannten Lehrwerke Eingang in die Lehranstalten. Der diskursiv an das islamische Institut in Oran angebundene Studienführer des Institut al-Ghazali jedenfalls enthält viele dieser modernen Lehrwerke, deren Verwendung Cardinal in ihrer Untersuchung an den fünf oben genannten Fakultäten beobachtet hat: Hierzu gehören Ibn Aschurs Maqa¯sid al-sharı¯Ca al-isla¯mı¯56 (Die Zielsetzungen der ˙ hinaus sein Korankommentar (tafsı¯r)57 und islamischen Scharia); darüber sein im Jahre 2000 erschienenes Al-tahrı¯r wa-l-tanwı¯r (Befreiung und Auf˙ CIlm usu¯l al-fiqh (Wissenschaft der klärung);58 ferner Abd al-Wahhab Khallafs ˙ Ciyya (Schariakonforme 59 Rechtsmethodologie) und sein Al-siya¯sa al-shar 60 Politik); Abu Zahras Werk zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh),61 außer˙ 62 dem sein Muha¯dara¯t fı¯-l-nasraniyya (Vorträge zum Christentum); Abd al˙ ˙ ˙ Karim Zaydans Al-wadjı¯z fı¯ usu¯l al-fiqh (Heft zur Rechtsmethodologie);63 außerdem sein Ta¯rı¯ch al-tashrı˙¯C al-isla¯mı¯ (Geschichte der islamischen Gesetzgebung)64 und sein Usu¯l al-daCwa (Grundlagen der daCwa-Lehre);65 ˙ Rechtswerke, die er selbst in seinen Kursen als Muhammad Sallam Madkurs Lehrer an der Al-Azhar Universität verwendete (Cardinal 2005: 224);66 Muhammad Ramadan Al-Butis Werk zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh)67 und ˙ gelehrt an der schließlich Wahba al-Zuhaylis Rechtswerk, geschrieben für und Universität von Damaskus (Cardinal 2005: 235)68 sowie sein Korankommentar.69 56 An der Al-Zaituna gelehrt (Cardinal 2005: 257); am Institut al-Ghazali als Lehrbuch zu Rechtmethodologie und Zielsetzungen der Scharia (usu¯l al-fiqh wa-l–maqa¯sid) im 3. Lehrjahr ˙ ˙ (ebd.: 67). B 57 Zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qur a¯n) im 2. Lehrjahr (ebd.: 53). 58 Zu rechtsrelevanten Koranversen (a¯ya¯t al-ahka¯m) im 3. Lehrjahr (ebd.: 65). ˙ 59 An der Al-Qarawiyyin in Fez sowie der Al-Zaituna in Tunis gelehrt bzw. als Referenz angegeben, am Institut al-Ghazali als Referenz zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) im 2. Lehrjahr (ebd.: ˙ 56). 60 Zu islamischer Kultur (thaqa¯fa isla¯miyya), im 2. Lehrjahr (ebd.: 44). 61 Noch heute wichtige Referenz an der Al-Zaituna (Cardinal 2005: 236), am Institut al-Ghazali als Referenz zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) im 2. Lehrjahr (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de ˙ ˙ l’ tudiant: 56). 62 Zur Geschichte der Religionen (ta¯rı¯ch al-isla¯m) im 4. Lehrjahr (ebd.: 80). 63 Auch gelehrt an der Universität in Jordanien (Cardinal 2005: 258), am Institut al-Ghazali als Referenz zur Rechtmethodologie (usu¯l al-fiqh) im 2. Lehrjahr (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de ˙ ˙ l’ tudiant (ebd.: 56). 64 Zur Geschichte der Rechtsschulen (ta¯rı¯kh al-madha¯hib al-fiqhiyya) im 3. Lehrjahr (ebd.: 68). 65 Zum Kurs zur daCwa im 2. Lehrjahr (ebd.: 59). 66 Am Institut al-Ghazali wird sein Ta¯rı¯kh al-tashrı¯C al-isla¯mı¯ als Referenz zur Geschichte der Rechtschulen (ta¯rı¯kh al-madha¯hib al-fiqhiyya) angegeben, 3. Lehrjahr (ebd.: 68). 67 Vor allem in Damaskus rezipiert (Cardinal 2005: 234). Am Institut al-Ghazali wird sein Muha¯dara¯t fı¯-l fiqh al-muqa¯ran als Referenz zu vergleichendem Recht (fiqh al-muqa¯ran) ange˙ ˙ geben, 4. Lehrjahr (GL Dalı¯l al-ta¯lib/Guide de l’ tudiant: 77) sowie sein Kubra al-yaqı¯niyya¯t al˙ kawniyya als Lehrbuch zur Glaubenslehre (Caqı¯da, 2. Lehrjahr, ebd.: 54). 68 Zur Rechtmethodologie (usu¯l al-fiqh) 2. Lehrjahr (ebd.: 56). ˙

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Die genannten Lehrwerke wurden teils an der Kairoer Rechtsfakultät entwickelt,70 sie sind jedoch an großen sunnitisch-islamischen Einrichtungen weltweit für die Lehre autorisiert. Dies gilt, wie Cardinal zeigt, sowohl für Khallaf, Abu Zahra und Madkur als auch für die beiden Zahra-Schüler Zaydan und den in islamischen Kontexten bekannten Prediger Al-Zuhayli (Cardinal 2005: 247). Die Werke des Lehrprogramms am Institut al-Ghazali gehören also einem international an Schariafakultäten und islamischen Lehreinrichtungen verhandelten Kanon an. Auch Referenzen, wie Ramadan al-Buti sowie der bisweilen im offiziellen Azhar-TV auftretende Nur al-Din Iter71 (www AzharTV/Iter) sind in sunnitisch-arabischen Kontexten bekannte Prediger, die sich zudem durch ihre Staatstreue auszeichnen. Hinzu gesellen sich Autoritäten, die innerhalb der maghrebinisch-islamischen Reformbewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als wichtige Referenzen gelten wie zum Beispiel der bereits genannte große Zaituna-Reformer Muhammad ibn Aschur72 oder der Algerier Abu Dschabir al-Dschazairi, der vor allem für seinen Korankommentar bekannt geworden ist.73 Islamische Gelehrte, die in Verbindung mit der saudischen Monarchie stehen und als offizielle Vertreter des staatlich gestützten Wahhabismus gelten wie die bereits oben geannten Ibn Baz (1910–1999), Al-Uthaymin (1925–2001), AlAlbani (1914–1999) und andere (vgl. Rougier 2008: 15) fehlten in den Referenzen des Unterrichtsprogramms ebenso wie auf Homepage und Webblog. Genauso fehlten aber auch Denker, die in europäischen Debatten als Vertreter eines liberalen Islam gehandelt werden, weil sie unter Einbeziehung hermeneutischer und historisierend-textkritischer Verfahren neue Lesarten von Koran und islamischem Recht zu entwickeln suchen wie z. B. Muhammad alTalbi (z. B. Talbi 2002), Nasr Hamid Abu Zaid (z. B. Abu Zaid 1996), oder auch Bassam Tibi (z. B. 1981, 1992, 2009) oder muslimische Professuren, die an den neuen Lehrstühlen für Islamische Studien in Deutschland arbeiten, auch wenn deren Wirkkraft natürlich stärker auf den deutschsprachigen Kulturraum fokussiert ist. Vor allem aber fehlen auch Referenzen, die in Frankreich für ihre kritische Auseinandersetzung mit den klassischen, islamischen Auslegetraditionen und Gelehrten stehen und als Wegbereiter eines französischen beziehungsweise europäischen Islam diskutiert werden wie Mohammed Ar69 Zur Koranauslegung (tafsı¯r-al qur’ a¯n) im 2. Lehrjahr (ebd.: 53). 70 Khallaf, Abu Zahra und Madkur unterrichteten beispielsweise nicht an der Al-Azhar-Universität, sondern an der Rechtsfakultät der Kairoer Universität (Cardinal 2005: 225). 71 Zu rechtsrelevanten Hadithen (aha¯dı¯th al-ahka¯m) im 3. Lehrjahr (ebd.: 65). ˙ ˙ 72 Zu den individuellen Pflichten (fiqh al-Ciba¯da¯t) im 1. Lehrjahr (ebd.: 42), zu islamischer Kultur (thaqa¯fa isla¯miyya) im 1. Lehrjahr (ebd.: 45); zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qurBa¯n) im 2. Lehrjahr (ebd.: 53); zur Exegese rechtsrelevanter Koranverse (a¯ya¯t al-ahka¯m) im 3. Lehrjahr ˙ (ebd.: 77 (arab.)) sowie zu Rechtsmethodologie und Zielsetzungen der Scharia (usu¯l al-fiqh wa ˙ maqa¯sid al-sharı¯Ca) im 3. Lehrjahr (ebd.: 80 (arab.)). ˙ B 73 Zur Koranauslegung (tafsı¯r al-qur a¯n) im 2. Lehrjahr (ebd.: 53).

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koun (1982, 2002), Malek Chebel (2002, 2004, 2005) oder auch Soheib Bencheikh (2003). Im Folgenden werden nun die Aussagen von zwei Lehrpersonen am Institut alGhazali genauer betrachtet. Dabei wird überprüft, wie sie sich zu den bisher besprochenen Argumentationsmustern verhalten: sowohl zu den sicherheitspolitisch geprägten Forderungen französischer und algerischer Politiker als auch zum soeben besprochenen Referenzrahmen am Institut al-Ghazali.

4.2. Lehrerprofil 1: Malak 4.2.1. Der Unterricht: Form und Inhalte Aus Gründen der Anonymität werden die biographischen Informationen zu Lehrer Malak hier weitgehend ausgespart ebenso wie Erklärungen zu den Aufgaben, die er an der Großen Moschee von Paris wahrnahm. Um dem Leser eine grobe Vorstellung zu ermöglichen sei jedoch erwähnt, dass Malak am Institut al-Ghazali sowie darüber hinaus an der Großen Moschee von Paris eine sehr hohe Autorität in islamisch-religiösen Auslegungsfragen besaß; durch die Ausführung verschiedener Tätigkeiten und Schlüsselfunktionen gehörte er zu den Figuren, deren Islamauslegung an der GMP einen breiteren Rezipientenkreis finden konnte und von Einfluss war. Malak besitzt eine fundierte islamisch-religiöse Ausbildung sowie auch einen französischen Hochschulabschluss und steht persönlich dem Sufismus nahe. Am Institut al-Ghazali pflegte Malak Kurse zu Scharia und islamischer Jurisprudenz zu unterrichten. Während des Untersuchungszeitraums im Jahre 2008/09 bot er eine Lehreinheit mit dem Titel Usu¯l al-fiqh wa maqa¯sid al-sharı¯Ca (Rechtsmethodologie ˙ und Zielsetzungen der˙Scharia) sowie erstmalig eine Einführung in den Sufismus (Kurstitel: Tasawwuf) an. Grundlage für die folgenden Analysen sind ˙ die Inhalte dieser beiden Kurse, konkret: 72 handgeschriebene DIN A4-Seiten Unterrichtsmitschriften aus insgesamt neun Lehreinheiten des Kurses zu Usu¯l ˙ al-fiqh wa maqa¯sid al-sharı¯Ca sowie aus elf Unterrichtsstunden des Kurses ˙ Tasawwuf (jeweils 120 Minuten). ˙ Malak war eine der wenigen Lehrpersonen am Institut al-Ghazali, die während des Unterrichts nie in die algerische Dialektsprache wechselten, sondern ihre Lektionen in klassischem Arabisch abhielten. Seine Ausführungen waren teils von französischsprachigen Erklärungen durchsetzt, die er laut anderer Kursteilnehmer jedoch erst seit meiner Anwesenheit im Unterricht anbrachte. In beiden Kursen erfolgten zunächst Ausführungen zu einem Teilaspekt des jeweiligen Kursthemas in hocharabischer Sprache. Dieser Unterrichtsteil lief frontal und in der Form eines Diktats ab, bei dem Malak ohne Vorlage eines

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Lehrbuches Texte vorsprach, während die Studierenden sie mitschrieben. Thematisch wurde in der Lehreinheit Tasawwuf zunächst eine Definition des ˙ Sufismus gegeben und schließlich chronologisch bedeutende Mystiker des Mittelalters sowie ihre jeweilige Lehre vorgestellt (UM Tasawwuf 25. 10. 2008–30. 01. 2009). In den letzten von mir besuchten Stunden˙ wurde dieser historische Überblick durch Erläuterungen zur soziologischen Ausformung und Bedeutung von Sufibruderschaften im 19. und 20. Jahrhundert ergänzt (UM Tasawwuf 07. 02. 2009; 27. 02. 2009). Den Kurs Usu¯l al-fiqh wa maqa¯sid ˙ ˙ ich von Mitte al-sharı¯˙Ca (im Folgenden durch Maqa¯sid abgekürzt) besuchte ˙ Dezember bis Mitte März. Im von mir nicht besuchten Kursteil zwischen Oktober und November hatte Malak allgemeine Erklärungen zu Scharia und islamischem Recht (fiqh) gegeben und primäre Rechtsquellen wie Koran, Sunna, Analogie (qı¯ya¯s) und Konsens (idjma¯C) definiert. Während der Lektionen, die ich besuchte, wurden schließlich übergeordnete Zielsetzungen der Scharia (maqa¯sid) postuliert und nacheinander erläutert, bevor ein jedes ˙ in konkrete Gesetze und Regeln des Zusammenlebens dieser Prinzipien überführt und durch Fallbeispiele anschaulich gemacht wurde (UM Maqa¯sid ˙ 10.01.–31. 01. 2009). Ergänzt wurden diese Ausführungen teilsweise durch Erläuterungen zur islamischen Rechtsmethodologie allgemein sowie insbesondere zu den sogenannten sekundären Rechtsquellen wie Gewohnheitsrecht (Curf), Notwendigkeit (daru¯ra) und Gemeinwohl (maslaha) (z. B. UM Maqa¯sid ˙ ˙ ˙ 08.02.–27. 02. 2009). ˙ Trotz des Diktierstils dieser Unterrichtseinheiten war jederzeit die Möglichkeit für Fragen seitens der Studierenden gegeben, was jedoch selten genutzt wurde. Auf deutlich regere Art als die Erklärungen zu den eigentlichen Lehrthemen diskutierten die Studierenden hingegen die thematisch breiter angelegten Exkurse, die Malak entweder vor oder nach seinen Diktaten anbrachte. Einzelne Stichworte seines Lehrstoffes aufgreifend äußerte er, und dies zumeist nun in französischer Sprache, Gedanken zur Unterscheidung zwischen einer orientalischen und einer westlichen Zivilisaton, zum Verhältnis des Islam zu anderen religiösen Traditionen sowie zur Bedeutung und zum wahrem Verständnis von Sufismus (z. B. UM Tasawwuf 19. 12. 2008; ˙ 2009; 31. 01. 2009; 09. 01. 2009; 07. 02. 2009; UM Maqa¯sid 10. 01. 2009; 17. 01. ˙ 14. 03. 2009). In den folgenden Analysen wird denjenigen Ausführungen Priorität eingeräumt, die über die Identitätsbestimmung von Muslimen innerhalb der französischen Gesellschaft Aufschluss geben und folglich eine Verortung Malaks innerhalb der in den vorherigen Teilen besprochenen Diskursformationen erlauben. Die Wiedergabe der Lehrinhalte zu Scharia und islamischem Recht, die oftmals einführenden Charakter in weit verbreitete Grundlagenkonzepte enthielten, werden hingegen nur marginal behandelt. Beide Kurse wurden von jeweils fünf Studenten und einer Studentin besucht. Ich wählte einen Platz in den hinteren Reihen des Klassenraumes aus; meine

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Rolle wechselte jedoch zwischen passiver Beobachtung und aktiven Nachfragen. Zu letzteren wurde ich zum einen regelmäßig durch Malak selbst aufgefordert, zum anderen nutzte ich sie vor allem gegen Ende meines Forschungsaufenthaltes, um Präzisierungen auf offene Fragen bezüglich der bereits mehrfach behandelten Themenkomplexe zu erhalten. Meine Anwesenheit schien aber auch darüber hinaus Einfluss auf die Unterrichtsinhalte zu haben. Malak habe, so erklärten es mir andere Kursteilnehmer, in meiner Abwesenheit auf französischsprachige Ausführungen zu Okzident und Orient oder zu nichtislamischen religiösen Traditionen viel eher verzichtet. Meine Teilnahme schien also Anlass zu sein, sich zum „Westen“ zu positionieren, andere Religionen wie das Christentum religionsgeschichtlich einzuordnen und dabei in Abgrenzung hierzu muslimische Identität zu definieren. Allein diese Erkenntnis ist höchst aufschlussreich, bedeutet sie doch, dass Malak mich mehr als die übrigen Studierenden dem Idenitätsmarker der „westlichen Zivilisation“ zuwies, beziehungsweise umgekehrt, dass er die Identität der muslimischen Studierendenschaft von der Kategorie des Westens trennte. Um dies genauer zu verstehen, wenden wir uns im Folgenden zunächst den Kategorien zu, die Malak zur Identitätsbestimmung verschiedener Personenkreise dienten. 4.2.2. Der Orient gegen den Westen? Ich stand vor einem der Bücherregale, die den Bibliotheksraum des Institut al-Ghazali säumen und sah auf einen mit Heftzwecken an der weißen Mauer befestigten Merkzettel, der in großen Lettern das Ausleihen von Büchern und ihre Nutzung außerhalb des Bibliotheksraumes untersagte. Als ich halblaut mein Bedauern äußerte, rief mir die Stimme einer Angestellten aus dem hinteren Ende des Raumes zu, dass ich die Bücher mitnehmen könne, die ich benötige. Der Hinweis auf dem Zettel, so antwortete sie mir auf meinen fragenden Blick, gelte nur für die Orientalen, ich könne ihn ignorieren. Ich lachte ungläubig, und nun schaltete sich ein im Raum lernender Student ein, der die Szene beobachtet hatte. Dieses Verbot, so erklärte er mir in ernsthaftem Ton, sei doch verständlich: Okzidentalen seien zuverlässiger. Wenn sie Bücher ausliehen, so würden sie es sich merken und die Bücher nach gewisser Zeit an ihren Platz zurückstellen. Wir hingegen, und er schien sich nun selbst als Orientale zu verstehen, wir nehmen sie mit und dann vergessen wir, dass wir sie noch haben oder aber wir finden sie so schön, dass wir sie behalten möchten (FFN 14. 01. 2009).74 Bibliothek des Institut al-Ghazali, 14. 01. 2009, 10.30 Uhr 74 Wörtliche Zitate werden in der jeweiligen Originalsprache angegeben; die von mir in Stichpunkten festgehaltenen, längeren Aussagen oder Zusammenfassungen von Szenen wie der oben geschilderten werden aus dem Französischen oder Arabischen übersetzt und auf Deutsch sinngemäß wieder gegeben.

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Mein Erlebnis der obigen Szene hatte sich nicht im Beisein von Malak abgespielt, es hatte meine Aufmerksamkeit jedoch auf die Bedeutung gelenkt, die die Kategorien Orient und Okzident am Institut al-Ghazali haben könnten. Im Unterricht von Malak fanden sich schließlich tatsächlich zahlreiche Verweise auf die Gegenüberstellung von orientalischer und westlicher Zivilisation. In den Diktaten zu den einschlägigen Unterrichtsthemen in hocharabischer Sprache wurden zwar zumeist „Muslime“ adressiert (vgl. UM Maqa¯sid 15. 01. ˙ 1,2). In 2009: 1,2; 22. 01. 2009; 30. 01. 2009: 5; 08. 02. 2009: 1,2,4; 27. 02. 2009: den Zusatzkommentaren von Malak sowie in den angedeuteten Exkursen in andere Themenfelder stellte sich der Identitätsmarker „Orient“ hingegen als diejenige Kategorie heraus, die am häufigsten zur Klassifizierung der anwesenden Studierenden herangezogen wurde. Die Bezeichnung Muslim war die zweithäufigste. Begriffe wie Algerier, Araber, Kabyle oder andere wurden nicht verwendet. Auch „Franzosen“ wurden lediglich an einer Stelle explizit benannt, jedoch als Fallbeispiel, das einen angemessenen Umgang von Muslimen mit „Okzidentalen“ exemplifizieren sollte;75 Malak verstand sich und seine Studierenden also in diesem Zusammenhang als Nichtfranzosen. Im Folgenden stellen sich mehrere Fragen: Wie konzeptualisierte Malak „Orient“ und „Okzident“ konkret? Wie wurde das Verhältnis dieser Identitätsmarker zu den ebenfalls benutzten Kategorien Islam, Christentum oder Judentum gedacht? Wie können diese Begriffsbestimmungen historisch verortet werden und in welchem Verhältnis stehen sie zu den politischen Forderungen an einen moderaten Islam, wie sie in Algerien oder in Frankreich geäußert wurden? Malak ging erstens von der Existenz und zweitens von der fundamentalen Verschiedenheit einer orientalischen und einer okzidentalischen Zivilisation aus (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 5). Ersterer schrieb er eine Priorisierung von Kontemplation ˙über jegliche Form von Aktivität zu, während er den „Westen“ durch die Betonung von Rationalismus und Handlung charakterisierte (ebd.). In erstaunlicher Deutlichkeit wiederholte Malak auf diese Weise Bestimmungen, die insbesondere im europäischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts populär waren und nicht selten dazu genutzt wurden, den irrationalen und handlungsunfähigen Orientalen rhetorisch seiner Selbstbestimmung zu entledigen und in einem zweiten Schritt die Notwendigkeit seiner Beherrschung und Erziehung durch den Westler zu fordern (Said 2003: 31–39). Ebenso wie es politische Akteure bereits im Kontext der Moscheeeröffnung zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerten und wie es auch die Gesamtkonzeption der GMP damals veranschaulichen sollte (vgl. Kapitel 2.2.3. bis 2.2.5.), ging 75 Man könne Franzosen, so hieß es hier, nicht verbieten, von einem Tag auf den anderen auf Rotwein zu verzichten, nachdem sie konvertiert seien. Die Aussage stand in Zusammenhang mit der Forderung, den Lebenskontext zum Islam konvertierender „Westler“ zu bedenken und sie dementsprechend behutsam an die islamischen Regeln heranzuführen (UM Tasawwuf, 07. 02. ˙ 2009: 1).

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Malak ferner davon aus, dass der Einzelne in seiner Essenz durch die Ordnung der Zivilisation geformt ist, zu der er gehört, dass er diese also nicht einfach abstreifen kann, um sich an Verhaltens- und Denkweisen einer jeweils anderen anzupassen: „Le monde musulman ne peut pas fonctionner sur le plan du monde occidental“ (UM Maqa¯sid 31.01.09: 1);76 selbst wenn er wollte, so könnte sich der Orientale nicht ˙an die französische Lebensweise anpassen, so Malak (ebd. 24.01.09: 1). Die Zuordnung geographischer Einheiten zu Zivilisationen ist jedoch komplexer, wie im Folgenden noch herausgestellt wird. Das in obigem Zitat anklingende Zusammendenken muslimisch geprägter Länder mit dem Orient und Europas mit dem Okzident wird sich jedoch als Grundfeste in Malaks Argumentation erweisen.77 Ausführungen zu konkreten Verhaltensweisen von Orientalen und Westlern nutzte Malak schließlich auch dazu, sein eigenes Verhältnis sowie das seiner muslimischen Studierenden zur französischen Umgebung zu bestimmen. Alles um ihn herum, so Malak, sei auf eine effektive Organisation und Pünktlichkeit ausgerichtet. Wenn er morgens in Paris aus seiner Haustüre trete, so finde er sich in einer Welt wieder, nach deren Regeln er als Orientale nicht funktionieren könne. Die RER78 führen nach festgelegten Uhrzeiten ab. Bereits zu Hause auf den Fahrplan achten, sich überlegen, wann man losgehen müsse, um eine Bahn zu bekommen, um dann pünktlich zu einem Termin an einem anderen Ort zu erscheinen: „On ne peut pas“ (ebd.). Das Kollektive „on“ zeigt an, dass Malak nicht nur von seiner persönlichen Abneigung gegen Fahrpläne und Pünktlichkeit redete. Es ging um die Orientalen: „Diese kennten keine Uhr“ (ebd.), fügte er abschließend hinzu und vereinnahmte damit eine ganze Personengruppe unter ein höchst politisches Statement: das der Nichtintegrierbarkeit von Muslimen (= Orientalen) in die französische Gesellschaft. Diese hier noch implizite Botschaft wird an anderer Stelle explizit: Die Bemühungen Sarkozys und anderer Politiker gegenüber den Muslimen seien gut gemeint, so Malak, sie seien jedoch nutzlos. Nur die (zumeist als rechtsextrem klassifizierte, Anm. d. Verf.) Front National habe die Wahrheit verstanden, nämlich dass Muslime79 von Natur aus („par nature“) nicht integrierbar seien (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1).80 ˙ 76 Die Hervorhebung durch die Verfasserin entspricht der besonderen Betonung des Wortes durch Malak. 77 Hierauf verweisen beispielsweise parallele Verwendungen der Begriffe „Orientalen“ und „Muslime“ (UM Maqa¯sid 24. 01. 2009: 1; 31. 01. 2009: 1; oder die Konkretisierung des Okzidents ˙ durch Fallbeispiele, die aus dem französischen Kontext gegriffen sind (UM Tasawwuf, 07. 02. ˙ 2009:1; UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 3; 17. 01. 2009: 1; 31. 01. 2009: 1; 07. 02. 2009: 3). ˙ 78 R seau express r gional, Schnellbahnnetz im Raum Paris und der Region le-de-France. 79 Malak redete hier in der 1. Person plural: „On ne peut pas nous int grer“ (UM Maqa¯sid 31. 01. ˙ 2009: 1). 80 Dieser Kommentar entstand im Untersuchungszeitraum lange Zeit vor den jüngsten Wahlen von 2017, in denen Marine Le Pen als Präsidentschaftskandidatin in die zweite Wahlrunde kam. Wie Malak sich zu Marine Le Pen sowie insgesamt der Front National innerhalb der jüngsten politischen Entwicklungen verhielt, darüber kann hier keine Aussage getroffen werden.

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Das Argument der orientalisch-muslimischen Andersartigkeit wurde in einem anderen Zusammenhang zur Verteidigung von Verhaltensweisen herangezogen, für die die Lehrenden am Institut al-Ghazali seit längerem in der Kritik standen: Unpünktlichkeit, schlechte Terminorganisation und mangelnde Kommunikation bei Unterrichtsausfällen. Auf meine Frage vor Beginn einer Unterrichtsstunde, um wieviel Uhr eine an der Moschee geplante Konferenz beginne, bekam ich die Antwort, es handele sich hierbei um eine sehr westliche Frage (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 2). Malak nutzte diese Bemerkung ˙ sodann, um zu Unterrichtsbeginn die Vorwürfe der schlechten Organisation am Institut abzuwenden, die Studierende in den Wochen zuvor mehrfach geäußert und an den Institutsrektor herangetragen hatten. Man könne den Lehrpersonen keinen Vorwurf machen, so Malak, weil sie Orientalen seien und keine Uhrzeiten weit im Vorhinein planten, die sie dann einhalten müssten. Vielmehr kämen sie an die Moschee und entschieden dann, wann es Zeit sei, einen Vortrag beginnen zu lassen (ebd.). Die Vorstellung, sich nach einem zuvor definierten Terminplan zu richten, kommentierte Malak wiederum mit mehrfachen „On ne peut pas“ (ebd.). Bestätigte Malak zu Beginn des 21. Jahrhunderts und in einem politisch völlig neuen Kontext etwa die Vorstellungen von Marschall Lyautey oder des Präfekten Autrand, die die GMP circa 100 Jahre zuvor als einen Ort zu gestalten dachten, an dem Muslime vor der ihnen fremden Pariser Umwelt geschützt seien? Zumindest die Position der Unvereinbarkeit postulierter orientalischer und okzidentalischer Lebensweise wird hier reaktualisiert: Innerhalb der Gebäudemauern, die seinerzeit als Schutz für die Muslime vor der modernen französischen Hauptstadt konzipiert wurden, wiederholte Malak die Idee der grundlegenden Andersartigkeit der „Orientalen“ an der Moschee, die vom Rhythmus der französischen Hauptstadt überfordert sind und die nach ihren Regeln nicht leben können. Die politischen Implikationen, die eine solche Aussage im aktuellen Kontext enthält, seien sie von Malak intendiert oder nicht, liegen auf der Hand: Die Äquivalenzkette zur Bestimmung des Identitätsmarkers „Orientale“ (Kontemplation; nicht nach der Zeit richten) sowie seine Differenzkette zur Definition des antagonistischen Gegenparts „Okzidentale“ (rational; zeiteffizient strukturiert; organisiert) wurden zu Kolonialzeiten in den Dienst einer breit angelegten Politik der Unterdrückung und des Ausschlusses von französischen Rechten gestellt. Aktuell stehen sie hingegen in Einklang mit der von vielen algerisch-staatlichen Akteuren vertretenen Forderung, eine Identifikation algerischer Emigranten in Frankreich mit der französischen Gesellschaft sei zu verhindern. Ob algerische Autoritäten mit den Aussagen von Malak einverstanden oder ob letztere ihnen bekannt waren, kann an dieser Stelle nicht überprüft werden. Die machtpolitischen Implikationen dürften ihren Zielsetzungen jedoch entsprechen. Dies hieße, dass die GMP Muslimen wiederum als Ort konzipiert wird, der ihnen einen Schutz vor der französischen Lebensumwelt bieten könne, diesmal jedoch im Dienste ihrer Verein-

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nahmung durch einen neuen mächtigen Akteur: den unabhängigen algerischen Staat. Dass die Studierenden Forderungen und Ansprüche in die Mauern des Moscheebaukomplexes trugen, indem sie erklärten, sie hätten als zahlende Studierende das Recht auf einen geregelten Unterrichtsablauf und dass Malak dies als der orientalischen Natur widersprechend abwies, ist ebenfalls alles andere als politisch harmlos: Nicht französische Kolonialbeamte, sondern ein muslimischer Lehrer selbst sprach Muslimen nun die Inanspruchnahme von Rechten mit dem Argument ab, ihre orientalische Natur verbiete dies! Weitere Kommentare, die Malak zu Orient und Okzident machte, verdeutlichen jedoch schnell, dass er nicht einfach die orientalischen Defizite reaktualisierte, die viele Europäer zu Kolonialzeiten betont hatten. Vielmehr nutzte er die Formulierung zusätzlicher Eigenschaften des Okzidents für eine deutliche frankreichbezogene Gesellschaftskritik sowie zur Herausstellung der Überlegenheit des Orients. Das Hauptargument ist mit der erwähnten Charakterisierung des Gegensatzes von Ost und West durch den Gegensatz von Kontemplation und Rationalität/Aktion bereits angedeutet und steht in einer bedeutenden Diskurstradition, in der es von vielen europäischen und nichteuropäischen Akteuren vereinnahmt worden ist (vgl. Kapitel 4.2.3.): Der Westen versinke im Chaos (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 5). Weil den Menschen ˙ dort die Spiritualität fehle, so Malak weiter, hätten sie als Ersatzbefriedigung an deren Stelle den Konsum gesetzt (ebd., 17. 01. 2009: 5; UM Tasawwuf 06. 02. ˙ werden, und 2009: 3). Ihre innerliche Leere könne hierdurch aber nicht gefüllt so werde man heute immer wieder Zeuge einer Erhärtung der Herzen (ebd.). Im Okzident werde der Mensch als höchstes Ziel gesetzt und nicht die Religion. Dies führe ins Unglück, was nicht zuletzt an den grauenvollen Taten deutlich werde, von denen die Medien tagtäglich berichteten (ebd.; UM Tasawwuf 24. 01. 2009: 9). Mehrmals zählte Malak während seiner Unterrichts˙stunden Fälle von Müttern auf, die ihre Kinder aussetzten oder gar töteten, von Amokläufen durch Familienväter, Selbstmorden durch Jugendliche oder von verhungernden Babys, deren Eltern keine Zeit gehabt hätten, sich um sie zu sorgen (UM Tasawwuf 09. 01. 2009: 2, 06. 02. 2009: 3; UM Maqa¯sid 24. 01. 2009: ˙ 2). All diese Einzelf älle wertete er als sichtbare Auswirkungen ˙eines Verlustes an Spiritualität und Sinngebung, unter dem der Westen leide (ebd.). Wer keine Spiritualität mehr habe, so Malak, sei der eigentliche Verlierer („le vrai perdant“) (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 5), denn er habe keinen Zugang zum Mysterium („myst re“)˙ seines Lebens (ebd.). Die scheinbare Passivität des Orientalen sei hingegen nicht, wie oft behauptet werde, Fatalismus, sondern vielmehr Kollaboration mit der Scharia Gottes; ein aktives Gehen auf dem Weg zur Erkenntnis und die tiefe Einsicht, dass nicht der Mensch, sondern einzig Gott das Schicksal lenken könne (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 5). ˙ Die Umwertung von orientalisichen Eigenschaften in positive Charakteristika bot Malak die Möglichkeit, die französisch-algerische Kolonialgeschichte neuzudeuten: Zunächst griff er die Aussage des klassischen franzö-

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sischen Schriftstellers Stendhal (1783–1842) auf, die Kolonialisierung sei eine überstürzte Entscheidung gewesen, mit der der Orientale gestört worden sei, während er noch über das Angebot der Modernisierung durch den Westen meditiert habe (UM Maqa¯sid 24.01.09: 9). An anderer Stelle bezeichnete ˙ destruktiv und in ihrer Intention zerstörerisch, Malak die Kolonialisierung als hielt sie vor allem aber für gescheitert und mehr noch, für notwendigerweise gescheitert: Die Franzosen, so Malak, hätten schlussendlich einsehen müssen, dass sie die Orientalen nicht nach ihrem Ideal verändern können, weil in ihrer Mitte der Islam als unzerstörbares Element weile und vor dem Islam müsse sich jeder früher oder später zurückziehen, der sich mit ihm anlege (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1). Die˙ Vorstellung vom religiösen Orientalen und dem säkularen und rationalen Westler war in diversen kolonialgeschichtlichen Konstellationen präsent (vgl. King 1999: 118–142.). Auch die Aneignung dieser Diskurspositionen durch Kolonialisierte oder ehemals Kolonialisierte, die sich in Übernahme europäischer Zuschreibungen mit dem Identitätsmarker „Orient“ identifizieren und seine positiven Konnotationen zur Demonstration ihrer Überlegenheit nutzen, ist von King aufgezeigt worden (ebd.: 129–142). Malak allerdings sprach von einer ganz anderen Warte aus: Zunächst war er nicht im kolonisierten, sondern im bereits unabhängigen Algerien aufgewachsen. Die Selbstorientalisierung vollzieht er vor dem Hintergrund einer freiwilligen Wohnortwahl in Paris, wo längst auch eine kritische Auseinandersetzung mit benannten Diskurspositionen präsent ist. Die möglicherweise zunächst erstaunende Konstellation, in der eine Person sich an einem von ihr gewählten Wohnort als zu diesem völlig unpassend definiert, kann nicht einfach als Verteidigung algerisch-staatlicher Positionen interpretiert werden, die die Aufrechterhaltung der algerisch-muslimischen Identität von Emigranten in Frankreich zum Ziel hat, auch wenn sie prinzipiell durch Akteure mit diesen Forderungen vereinnahmt werden kann. Eine detailliertere Analyse der Verhältnisbestimmung von Orient und Islam sowie der Bewertung anderer religiöser Traditionen bei Malak führt tatsächlich weniger nach Nordafrika als vielmehr auf die Spur von diskursiven Positionen, die in Europa wurzeln und deren Einfluss sich als für viele Ausführungen von Malak zentral herausstellen soll: Es handelt sich um Ren Gu non und seine Lehre der authentischen Traditionen, die (bei Malak) vor allem über zum Islam konvertierte Sufi-Autoren wie Martin Lings (1909–2005), Michel Valsan (1911–1974) oder Charles-Andr Gilis (1934-) wahrgenommen werden. Um diese These zu belegen und historisch konkreter zu verankern, ist es zunächst notwendig, die Positionen Gu nons und die komplexen Rezeptionsvorgänge seines Werkes zu betrachten.

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4.2.3. Exkurs: Werk und Rezeption Ren Gu nons In seinem erstmals 2004 erschienenen Against the modern world: Traditionalism and the Secret Intellectual History of the Twentieth Century zeichnete Mark Sedgwick die großen Knotenpunkte eines Konglomerats aus Standpunkten nach, die heute bisweilen unter dem Begriff des Traditionalismus subsumiert werden und ihren Dreh- und Angelpunkt im (anti-modernistischen) Denken Ren Gu nons haben. Gu non (1886–1951) hat ein vielfältiges Werk hinterlassen, das zum einen mit okkultistischen Diskurspositionen aus dem damaligen Frankreich verknüpft ist und zum anderen viele theoretischmetaphysische Ideen verarbeitete und den Fokus auf östliche Spiritualität richtete. In die Ausgestaltung der metaphysischen Theorien flossen dabei vor allem Elemente hinduistischer und in geringerem Umfang auch sufistischer Diskurse ein (zum Hinduismus z. B. L’Introduction l’ tude des doctrines hindoues (1921); L’homme et son devenir selon le Vedanta (1925) oder La crise du monde moderne (1927); zum Sufismus v. a. AperÅus sur l’ sot risme islamique et le Tao sme (1973)81). Von anderen esoterischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, vor allem von der Theosophie, grenzte sich Gu non explizit ab (vgl. z. B. Sedgwick 2004: 21–69; Bisson 2007: 29–32). Auf der Basis von perennialistischem Gedankengut entwickelte er einen seinerzeit originellen Ansatz, der die Verankerung in einer religiösen „Tradition“ (vgl. Kapitel 4.2.6.) zur Bedingung für die Auffindung primordialer Wahrheit machte. Dieses Konzept von Tradition instrumentalisierte er im Folgenden für seine Polemik gegen die moderne Welt (v. a. L’Orient et l’Occident (1924) und La crise du monde moderne (1927)). Meir Hatina weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Gu nons Kritik an einem mechanischen und oberflächlichen Westen kein singuläres Phänomen war, sondern Parallelen zu den Positionen von beispielsweise Robertson Smith, Friedrich Nietzsche, Max Weber, Franz Kafka, Franz Rosenzweig und Walter Benjamin aufwies. Auch diese Autoren diagnostizierten den Zusammenbruch der Moderne und sahen ihn wie Gu non in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Rationalität und Technikaffinität der modernen Gesellschaft (Hatina 2007: 399). Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Gedankengut Gu nons vor allem in Frankreich noch intensiver rezipiert und im Kontext a) des Faschismus und b) sufistischer Bewegungen in ganz Europa auch mehr und mehr in „praktizierbare“ Programmatiken umgesetzt worden (Sedgwick 2004: 22). Die kulturrevolutionären Entwicklungen sowie ein breites Interesse an spirituellen Alternativen im Europa der 1960er Jahre haben traditionalistischen Positionen schließlich nochmals neuen Auf81 Dieses Buch wurde posthum publiziert.

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schwung verliehen und ihnen, unter anderem über das Werk Mircea Eliades,82 sogar Eingang in die universitäre Wissenschaft verschafft (ebd.: 267). Die Folge war eine Diffusion gu nonscher Auffassungen in verschiedenste perennialistisch gefärbte Standpunkte (ebd.: 222, 207; Bisson 2007: 33). Für diese Untersuchung ist vor allem die Frage von Interesse, welche muslimischen Akteure das Gedankengut Ren Gu nons rezipiert haben und welche Interessen sie dabei verfolgten. Nach seinem Umzug nach Kairo im Jahre 1930 und der damit verbundenen Immersion in ein muslimisch geprägtes Lebensumfeld praktizierte Gu non verstärkt sufistische und allgemein islamische Vorschriften.83 Seine Lehre wurde in der Folge für begrenzte Kreise in islamisch geprägten Ländern wie Iran, Malaysia oder der Türkei interessant, in arabisch-islamischen Ländern fand sie jedoch nur marginal Beachtung (Sedgwick 2004: 241). In Algerien versuchten einzelne Intellektuelle Ende der 1960er Jahre traditionalistische Positionen gegen den Materialismus der FLN zu instrumentalisieren und sie in den Dienst einer islamischen Renaissance zu stellen. So vertrat der algerische Nationalist Malek Bennabi (1905–1973)84 für eine kurze Zeit die islambezogenen Aussagen Gu nons, stellte schließlich aber fest, dass die Probleme Algeriens vielmehr ökonomischer und politischer Natur seien und sich Gu nons Fokussierung auf die Spiritualität an ein europäisches, nicht aber an das algerische Publikum seiner Zeit richte.85 Das Interesse an gu nonschen Posi82 Mark Sedgwick bezeichnet Eliade als soft traditionalist, weil er sich nicht offen als Traditionalist bezeichnet habe, in seinen Zielsetzungen jedoch viele Parallelen mit den Positionen gu nonscher Traditionalisten aufweise (Sedgwick 2004: 109, 111–113). Eliades Konzept der archaischen Gesellschaften/Religionen unterscheidet sich zwar von dem der Tradition bei Gu non und ist außerdem weniger mit der Notwendigkeit einer Praxis versehen als bei letzterem. Die gemeinsame Ablehnung der modernen Welt sowie der Wunsch, eine hiervon grundverschiedene traditionelle Welt wiederherzustellen, lassen diese Einordnung jedoch nicht gänzlich falsch erscheinen. 83 Ren Gu non rezipierte schon vor seinem Wohnortswechsel nach Kairo sufistische Auslegungen und stand bereits in langjährigem Kontakt mit sufischen turuq (Zarcone 1999: 147). In ˙ Kairo, wo er eine Ägypterin heiratete, besuchte er nun regelmäßig sufistische Milieus und begann, islamisch-rituelle Vorschriften einzuhalten (ebd.: 148). Ob und zu welchem Zeitpunkt Ren Gu non zum Islam konvertiert ist, wird bis heute unter Anhängern wie Gegnern seines Werks intensiv debattiert (ebd.). Auslöser der Debatten sind Gu nons Aussage, er sei nicht offiziell konvertiert, sondern in die islamische Praxis übergegangen (Sedgwick 2004: 77) sowie seine allgemeine Ablehnung klassischer Konversionskonzepte, die in einem traditionalistischen Weltbild jeden Sinn verlören: Die Lehre von der Einheit allen Seins verbiete es, Konvertierbarkeit in jegliche Richtung zu denken. Anstatt zu konvertieren „installiere“ (Zarcone 1999: 149) man sich vielmehr in der einen oder anderen traditionellen Praxis (ebd.). Zu der Einschätzung, Ren Gu nons Entscheidung für den Islam sei eine „echte Konversion“ in klassisch-islamischem Sinne gewesen vgl. Bammate 1980: 79. 84 Malek Bennabi war ein algerischer Intellektueller und Vordenker der Unabhängigkeit, der sich in seinem Werk mit den Gründen für die Kolonialisierbarkeit der algerischen Gesellschaft beschäftigt hatte. Er strebte die Erneuerung und Wiedererstarkung der muslimischen Gesellschaft Algeriens an (vgl. Boukrouh 2006). 85 Ein weiterer Intellektueller, Raschid Ibn Aissa, lehnte die Übersetzung Gu nons ins Arabische

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tionen ist im gesamten Maghreb auf kleine Kreise innerhalb einer europaorientierten Elite beschränkt geblieben (ebd.: 242).86 Auch in Europa selbst war Ende des 19. Jahrhunderts ein Interesse für den Sufismus entstanden, das im Laufe des 20. Jahrhunderts beträchtlich anwachsen sollte (Zarcone 1999: 143). Am Anfang des Jahrhunderts entwickelte sich zunächst ein internationaler Austausch zum Sufismus, an dem europäische ebenso wie nichteuropäische Akteure aus Italien, Paris, Kairo und der nordalgerischen Stadt Mostaganem partizipierten (vgl. Hatina 2007: 390–404). Abderrahman Illaysh, Vorsteher der ägyptischen ShadhiliyyaArabiyya,87 nahm dabei eine Schlüsselrolle im Dialog mit europäischen Konvertiten ein, in dem insbesondere das Erbe Ibn Arabis besprochen und zugleich fortwährend Kritik am modernen Okzident ausgeübt wurde (vgl. Hatina 2007: 390–404). Auch Ren Gu non war (über den schwedischen Konvertiten Ivan Agu li) mit Illaysh in Kontakt gekommen (ebd.: 399). Seine Positionen, insbesondere die Gleichwertigkeit aller religiösen Traditionen, waren indes für die arabischen Gelehrten in Kairo inakzeptabel. Sie wurden vor allem von europäischen Konvertiten wie dem Engländer Martin Lings, den Schweizern Frithjof Schuon und Titus Burckhardt sowie später dem ehemaligen Schuon- und Gu non-Schüler Michel Valsan rezipiert: Diese Autoren nahmen das Konzept der Tradition nach Gu non begeistert auf und integrierten es auf unterschiedliche Art und Weise in ihre Sufismus-Konzeptualisierungen (Bisson 2007: 33). Gu non und insbesondere seine Schüler spannten einen Bogen ins nordalgerische Mostaganem, von wo aus viele Verbindungen zurück nach Europa ausgingen. So hatte Frithjof Schuon in Marseille von Ahmad al-Alawi (1869–1934), einem algerischen Scheich, gehört, der nach der Rückkehr von einem 15-jährigen Studium in einer Darqawiyya-tarı¯qa in Marokko eine ei˙ gene tarı¯qa in Mostaganem gründete: Die Alawiyya, die durch den Zulauf ˙ vieler europäischer Reisender insbesondere auch in Großbritannien Verbreitung finden sollte (Sedgwick 2004: 86). Schuon verbrachte in der Folge und nicht zuletzt auf Empfehlung Gu nons einige Monate als Schüler AlAlawis in dessen za¯wiya in Mostaganem (ebd.). Titus Burckhardt plante zunächst, diesem Beispiel zu folgen, aber verbrachte stattdessen einige Monate in Fez, um dort schließlich in die Darqawiyya-tarı¯qa aufgenommen zu werden ˙ (ebd.: 88). Martin Lings verfasste seinerseits seine Dissertation über Al-Alawi mit dem Argument ab, seine Texte seien zwar eventuell für eine französisierte Elite von Interesse, würden das ungebildete arabophone Publikum in Algerien jedoch nur verwirren (Sedgwick 2004: 242). 86 Aufgrund der wirtschaftlich und politisch entspannteren Lage in Marokko ist Gu non von französischsprachigen Eliten des Königreichs deutlich stärker rezipiert worden als von ihren Pendants in Algerien, insbesondere in den 1970er Jahren (Sedgwick 2004: 242). 87 Die Schadhiliyya-Arabiyya ist eine im 17. Jahrhundert entstandene Abzweigung (Sedgwick 2004: 62) der Schadhiliyya-tarı¯qa, einer aus dem 12. Jahrhundert stammenden Sufibruder˙ schaft.

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(Lings 1971) und trug dazu bei, den algerischen Sufigelehrten in traditionalistischen Kreisen zu popularisieren. Thierry Zarcone zeigt, dass Al-Alawi eine Kritik an Materialismus und der Verwestlichung der Sitten formuliert hat (Zarcone 1999: 147), die viele Überschneidungen mit dem gu nonschen Antimodernismus aufwies und von da an muslimischen Konvertiten in Europa Anschlusspunkte für ihre Argumentationen bot. Zusätzlich wurde Al-Alawi durch seine deutliche Wertschätzung des Christentums in traditionalistischen Kreisen einfacher rezipierbar (Sedgwick 2004: 86). Al-Alawi war auch für französische Vertreter des Staates interessant: Er gehörte zu den wenigen Sufischeichs des Maghreb, die das Französische beherrschten und sich der Bedeutung guter Beziehungen zu Europa bewusst waren (ebd.: 86 f.). Mit seiner Kritik am Westen und an der Moderne bestätigte er aber auch die vermeintliche Andersartigkeit der Muslime, die mit dem Bau der GMP verdeutlicht werden sollte. So wurde Al-Alawi von französischen Autoritäten zu den Eröffnungsfeierlichkeiten der GMP eingeladen, um dort das erste Gemeinschaftsgebet zu leiten (ebd.). Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand also eine Verbindung zwischen der Großen Moschee von Paris und spezifischen, in ein internationales Netzwerk eingebundenen sufistischen (traditionalisitischen) Positionen. Zu Beginn der 1930er Jahre gründete Schuon einen Zweig der Alawiyyatarı¯qa in Basel, deren Mitglieder sich anfangs von Zeit zu Zeit zum soge˙nannten stummen dhikr, später wöchentlich zum lauten dhikr trafen (ebd.: 89).88 Ren Gu non sah in den Sufi-turuq nun die Organisationsform, die ihm am besten dazu geeignet schien, ˙einer europäischen Elite die notwendige Praxis zur spirituellen Weiterentwicklung zu vermitteln und schickte viele seiner Schüler in den schuonschen Zirkel (ebd.: 91). Neben Schuon hatten der Franzose Roger Maridort in Turin sowie der Schuon-Schüler Michel Valsan in Paris ihre eigenen turuq gegründet, von denen wiederum weitere tarı¯qa˙ ˙ ZirGründungen ausgingen. Während schariarechtliche Vorgaben in vielen keln strikt eingehalten wurden (wie beispielsweise von Michel Valsan), entfernten sich andere immer weiter davon und erlaubten teils sogar das Trinken von Alkohol (beispielsweise Frithjof Schuon) (vgl. ebd.: 124–127; 148–153). In den 1960er Jahren, die wie oben erwähnt eine Hochphase traditionalistischen Gedankenguts darstellten, stiegen von Gu non beeinflusste Konzeptualisierungen des Sufismus zu einer vorherrschenden Form sufistischislamischer Praktiken und Auslegungen in Europa auf (Bisson 2007: 33). Konvertierende, die in gu nonisch inspirierte Sufi-turuq eintraten, hatten ˙ gezeigt und intereszuvor oftmals Interesse für okkultistische Bewegungen 88 Der dhikr, wtl. Erinnerung, ist ein Ensemble aus Rezitationen von Koranversen und Gebeten des Gründers der jeweiligen tarı¯qa, das entweder allein oder in der Gruppe, stumm oder mit lauter ˙ Stimme wiederholt wird und den Praktizierenden Gott nahebringen soll; Körperhaltung, Atemtechniken und Dauer variieren je nach tarı¯qa und soziokulturellem Kontext, vgl. Gardet: ˙ d-ikr (Encyclopaedia of Islam).

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sierten sich im Zusammenhang mit Sufismus vor allem für Theoretisierungen von Mystik und für Meditationspraktiken (Zarcone 1999: 146). Zeugnisse dieser Personen zeigen, dass sie auf der Suche nach einer Spiritualität waren, die sie im Christentum nicht mehr zu finden glaubten; dass sie Gesellschaften verachteten, die auf Materialismus gebaut waren (ebd.: 145) und dass sie ferner im Werk Gu nons ein Erklärungsmodell für die Krise der modernen Welt gefunden zu haben meinten (ebd.: 146). In Anpassung an diese Interessen sowie einen europäischen Lebensalltag wurden in vielen der genannten turuq Frauen zum dhikr zugelassen und die Rezitationssitzungen wurden in˙ ihrer Länge gekürzt. Die Sufi-turuq wurden zudem als islamische Pendants zu eu˙ ropäischen Initiationsgemeinschaften wie Freimaurern oder Rosenkreuzern gedacht, die ihrerseits als nicht mehr funktionstüchtig angesehen wurden (ebd.: 150). Viele der in den 1960er und sogar bereits in den 1930er Jahren gegründeten turuq existieren bis heute, wenn auch teils als Ergebnis zahlrei˙ und Teilungen sowie in gegenseitiger Ablehnung zueinandercher Schismen stehend (vgl. ebd.: 143). Der aktuell offizielle, jedoch nicht unumstrittene Scheich der Alawiyya Al-Alawis, Khaled Bentoun s, führt seine tarı¯qa eben˙ falls bis heute in Paris mit Erfolg. Insbesondere Michel Valsan hat in seiner tarı¯qa einer strikten Observation islamischer Praktiken Priorität eingeräumt ˙und diese erst in einem zweiten Schritt mit gu nonschen Vorstellungen in Verbindung gebracht (ebd.: 133–136.).89 Seine Gruppe wurde 1951 in Paris gegründet und hatte dort schnell großen Erfolg. Zudem wies sie eine noch engere personale Bindung an die GMP auf als der oben erwähnte Al-Alawi: Laut Sedgwick hat Michel Valsan die GMP seit seiner Niederlassung in der französischen Hauptstadt im Jahr 1945 (vgl. Sedgwick 2004: 116) regelmäßig frequentiert und schließlich sogar die Tochter eines dort tätigen Imams geheiratet, mit dem ihn intensive Kontakte verbanden (ebd.: 133). In einem Artikel seines Blogs zum Traditionalismus gibt Sedgwick desweiteren Dalil Boubakeurs Aussage wieder, er habe mit Valsan bis zu dessen Tod im Jahre 1971 sehr viele Gespräche geführt (www Blog Traditionalists). Diskurspositionen, die mit einem gu nonistisch gefärbten Sufismus in Verbindung standen, waren also bereits in den 1960er Jahren an der Großen Moschee von Paris präsent. Im Folgenden wird gezeigt, wie Malak diese Präsenz heute weiterführt. Dazu werden seine Aussagen auf Parallelen zu den soeben beschriebenen Diskurspositionen überprüft und in ihren machtpolitischen Konsequenzen und Verortungen für aktuelle islamund sicherheitspolitische Debatten überprüft. 89 Valsan fungierte zunächst als Stellvertreter (muqqadam) Schuons in Paris, trennte seine tarı¯qa ˙ jedoch auf Anraten Gu nons schließlich offiziell von der Schuons. Hauptgrund war deren Vernachlässigung schariarechtlicher Vorgaben. Gu non hatte sich zu diesem Thema teils widersprüchlich geäußert, mehrheitlich jedoch das strikte Einhalten islamischer Praktiken als notwendige Voraussetzung für die spirituelle Weiterentwicklung eingefordert (Zarcone 1999: 148).

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4.2.4. Tradition und moderne Gesellschaften Eine genaue Analyse von Malaks Argumentation zeigt, dass das Gegensatzpaar Tradition versus Moderne dem Antagonismus Orient versus Okzident übergeordnet war. Obwohl Malak die Bezeichnungen Orientale und Muslime oftmals synonym verwendete, weisen andere Aussagen darauf hin, dass die beiden Marker nicht vollständig deckungsgleich sind. Der Islam, so heißt es explizit, ist universal und im Kern weder orientalisch noch okzidentalisch (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1). Die Einführung des Begriffs der Tradition er˙ laubt an anderer Stelle schließlich die Inklusion der christlichen Religion in den Kanon lobenswerter Formen menschlichen Zusammenlebens: Als der Katholizismus den Okzident noch geprägt habe, sei dieser in einem sehr guten Zustand gewesen, so Malak (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 3). Noch heute gebe es ˙ vereinzelt und vor allem auf dem Lande Menschen, die zwar im Westen, aber dennoch nach ihren traditionellen (d. h. nichtislamischen, Anm. der Verf.) Werten leben (ebd.). Bereits im 16. und 17. Jahrhundert habe mit dem europäischen Humanismus jedoch ein fataler Prozess eingesetzt, der den Menschen als das Zentrum und letzte Ziel der Welt gesetzt und somit den Zerfall einer ganzen Zivilisation eingeläutet habe, die vorher in Ordnung („dans son ordre“) war (UM Maqa¯sid 24. 01. 2009: 3). Daher versinke der Okzident in der ˙ Orient herrsche hingegen deshalb noch weitgehend Gegenwart im Chaos. Im Ordnung,90 weil Religion und Tradition dort erhalten worden seien (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1; UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 4). Die dichotomische ˙ ˙ und Okzident wird also nicht mit einer Verschiedenheit zwischen Orient ethnischen, rassischen oder kulturellen Verschiedenheit begründet, sondern entspringt vielmehr dem Gegensatz von traditionell und modern. In diesem Punkt weicht die Argumentation von Malak von den kolonialen Vorstellungen ab, die in den 1920er Jahren populär waren und die sich auch in der Konzeptualisierung der GMP manifestiert hatten: Damals waren Tradition und Moderne umgekehrt als sekundäre Charakteristika konzipiert worden, die aus der primären Grundverschiedenheit zwischen Orient und Okzident resultierten: Der Orient war von Natur aus traditionell, der Westen hingegen fortschrittlich und modern. Die Aussagen von Malak weisen zwar Überschneidungen mit kolonialen Diskurspositionen auf, doch zugleich distanzieren sie sich von ihnen, indem sie die Kategorien traditionell und modern zu übergeordneten Identitätsmarkern erheben und eine intrinsische Beziehung zu den Kategorien Orient und Okzident verweigern. Gerade dieser Unterschied kann sich in machtpolitischer Hinsicht als bedeutend erweisen: Während französische Akteure „Orientalen“ in der Kolonialzeit von zivilen Rechten und politischer Mitbestimmung ausschlossen und dies damit begründeten, dass sie fundamental anders und kaum anpassungsfähig seien, 90 Zum „Chaos im Orient“ vgl. Kapitel 4.2.5.

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eröffnet die Position Malaks dem Okzidentalen durch die Konversion zum Islam die Möglichkeit, zur traditionellen und damit in eine geordnete und heilbringende Lebensform zurückzufinden. Die Unterschiede zwischen Orientalen und Westlern sind damit nicht unüberbrückbar, wie noch genauer gezeigt wird. Die beschriebenen Konzeptionen sind nun nicht neu, sondern finden sich bei Ren Gu non: Die im Verschwinden begriffenen „traditionellen Gesellschaften im Westen“ haben laut Gu non zwar ihre jeweiligen Besonderheiten, weisen letztlich aber mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu ihren Pendants im Orient auf. Westliche Gesellschaften sind damit nicht per se fundamental anders als die orientalischen, sondern nur im aktuellen Zeitalter und zwar deshalb, weil in ihnen aufgegeben wurde, was im Orient erhalten worden sei: C’est l ce sur quoi il est essentiel d’insister: l’opposition de l’Orient et de l’Occident n’avait aucune raison d’Þtre lorsqu’il y avait aussi en Occident des civilisations traditionnelles; elle n’a donc de sens que s’il s’agit sp cialement de l’Occident moderne, car cette opposition est beaucoup plus celle de deux esprits que celle de deux entit s g ographiques plus ou moins nettement d finies (Gu non 1927: 52).

Dass menschliche Lebensformen aktuell in orientalische und okzidentalische zerfallen und die große Spaltung der Menschheit nun entlang dieser Klassifizierung verlaufe, sieht Gu non im Verlust der Tradition im „Westen“ begründet. Par contre, une civilisation qui ne reconna t aucun principe sup rieur, qui n’est mÞme fond e en r alit que sur une n gation des principes, est par l mÞme d pourvue de tout moyen d’entente avec les autres, car cette entente, pour Þtre vraiment profonde et efficace ne peut s’ tablir que par en haut, c’est- -dire pr cis ment par ce qui manque cette civilisation anormale et d vi e. Dans l’ tat pr sent du monde, nous avons donc, d’un c t toutes les civilisations qui sont demeur es fid les l’esprit traditionnel et qui sont les civilisations orientales, et de l’autre, une civilisation proprement antitraditionnelle, qui est la civilisation occidentale moderne (ebd.: 50).

Ähnlich wie der homo religiosus Eliades in dem Moment gegen seine Natur zu leben beginnt, in dem er die Historizität erfindet und sich in den hieraus resultierenden „modernen Gesellschaften“ von der Religion entfernt, so stellen die um ein außermenschliches Ziel beschnittenen Gesellschaften auch bei Gu non (und bei Malak) abnormale Gebilde dar. Durch welche Strukturen und Eigenschaften sind nun aber moderne und traditionelle Gesellschaftsformen charakterisiert und vor allem: Welche Konsequenzen zieht insbesondere Malak für ein islamisches Leben in einer modernen Gesellschaft, deren Grundfesten er ablehnt? Ren Gu non hatte in Anlehnung an populäre Interpretationen des indischen Kastensystems (Waterfield 2002: 122) sowie teilweise in Rekurs auf eine

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insbesondere in okkultistischen Kreisen dieser Zeit populäre Motivik91 eine „primordiale Tradition“ postuliert, die sich in allen „Traditionen“ (im Sinne von Religionen, vgl. Kapitel 4.2.6.) manifestiere und deren Geheimnis durch Manu, dem laut hinduistischen Schriften ersten Menschen der Welt, bewahrt werde. In Le Roi du Monde legte Gu non dar, dass Manu, der König der Erde, an einem verborgenen Ort namens Agarttha weile und von dort aus das Geschick aller Menschen und sozialen Ordnungen lenke (4Gu non 1958 [1927]: 13 f.). Manu und seinen Gehilfen komme eine für das Weltgeschehen regulierende und ordnungsstiftende Funktion zu, die jedem Menschen eine bestimmte Aufgabe und das Wissen zuteile, das er für die Erfüllung dieser Aufgabe benötige. Die Menschen, die nach ihrer Tradition leben und sie als ordnungsstiftendes Element ihrer Gesellschaft anerkennen, seien mit der „primordialen Tradition“ verbunden, und ihre sozialen Gefüge seien im Gleichgewicht und von Harmonie geprägt (ebd.: 31–39 f.). Weil die Wissenden die Unwissenden leiten müssen, seien soziale Hierarchien immer zwingend notwendig: Die Verbreitung gleichen Wissens sowie die Verfügbarkeit gleicher Ausbildungswege für alle Menschen hingegen sei verantwortungslos, so Gu non in La Crise du Monde Moderne (1927: 149 f.). Gu non verurteilte das Prinzip der Gleichheit aller Menschen als eine chaosstiftende Idee, der die Menschen in den modernen Gesellschaften blind vertrauten und die doch nie realisiert werden könne (ebd.: 149). Weil Wissen (um die Wahrheit) und die damit einhergehende Kompetenz, es zu tradieren, innerhalb der Weltordnung genau verteilt seien, können es nicht Menschen sein, die entscheiden, wer Lehrender, aber beispielsweise auch wer Politiker sein soll (ebd.: 149 f., 153). Mit dieser Vorstellung ist bei Gu non die radikale Ablehnung demokratischer Gesellschaftsformen verbunden: L’argument le plus d cisif contre la „d mocratie“ se r sume en quelques mots: le sup rieur ne peut maner de l’inf rieur, parce que le „plus“ ne peut pas sortir du „moins“; (…). Il est trop vident que le peuple ne peut conf rer un pouvoir qu’il ne poss de pas luimÞme; le pouvoir v ritable ne peut venir que d’en haut, (…). Si l’on d finit la „d mocratie“ comme le gouvernement du peuple par lui-mÞme, c’est l une v ritable impossibilit , une chose qui ne peut pas mÞme avoir une simple existence de fait (Gu non 1927: 155 f.).

91 Beispielsweise in BÞtes, Hommes et Dieux, travers la Mongolie interdite, 1920–1921 (1924) des polnischen Schriftstellers Ferdynand Ossendowski. Viele Motive, insbesondere „Agarttha“, das unbekannte Zentrum der Welt, an dem ein König den Schlüssel zur Erkenntnis der Wahrheit besitze, waren in okkultistischen Kreisen im 19. Jahrhundert populär geworden (vgl. Laurant 1971: 56; Hapel 2001: 47–61).

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Das Prinzip der galit unterminiert aus Gu nons Sicht die naturgegebenen Unterschiede zwischen den Menschen (ebd.: 149); ein hierzu nicht kompetentes Volk wähle demzufolge seine Vertreter selbst und diese weisen folglich für ihre Aufgaben wenig Kompetenz auf. So spitzen sich chaotische Zustände zu, in denen niemand mehr wisse, wo sein Platz sei (ebd.: 145). Fatal ist für Gu non schließlich die Absenz einer intellektuellen Elite – derjenigen Personen, die wahres Wissen um die Weltordnung besitzen. Der Materialismus der Gesellschaft, definiert als Priorisierung des Materiellen, wird hierfür doppelt verantwortlich gemacht: Nicht nur erhebe er durch den Wert materieller Güter falsche Personen in Elitepositionen, sondern er produziere auch eine Wissenschaft, die ebenfalls nur auf das Sichtbare fokussiert sei und das Übernatürliche an sich aus ihrem Zuständigkeitsgebiet ausklammere. Soziale Verhältnisse, so Gu non weiter, würden isoliert und unabhängig von den metaphysischen Prinzipien erläutert, und ihr wahres Verständnis gehe folglich mehr und mehr verloren (ebd.: 91–117). Die zentralen Punkte dieser Gu nonschen Lehre finden sich nun in adaptierter Form auch in den Argumentationen von Malak. Auch er bemängelte die Negation von Hierarchien sowie die Rede von der Gleichheit aller Menschen im Westen und bezeichnete sie als fatale Eigenschaften moderner Gesellschaften. Heute, so Malak während seines Unterrichts, seien alle Menschen gleich: Männer und Frauen, Eltern und Kinder, Lehrer und Schüler. Dies führe zu sozialer Unordnung und zum Verlust um das spezifische Wissen und die unterschiedlichen Aufgaben, die jedem einzelnen innerhalb einer Gesellschaft zugedacht seien. Weil der Respekt vor Hierarchien verloren gegangen sei, sei nun alles Wissen (la connaissance) für jeden zugänglich (UM Tasawwuf 06. 02. ˙ Gesellschaft 2009: 3). Das Gegenbild einer funktionierenden, traditionellen zeichnet sich auch für Malak durch die Achtung vor Hierarchien aus: Hier tue nicht jeder, was er wolle. Man frage um Erlaubnis und gehe damit einer Notwendigkeit nach: Der Vater als moralisches Zentrum einer Familie wisse nämlich, was für seine Frau und Kinder gut sei und könne sie entlang seiner Weisheit leiten, während ein Kind, das seinen Vater berate, aufgrund seines begrenzten Wissensstandes beide ins Unglück stürze und soziales Chaos verursache. Ebenso wisse der Lehrer um die Bedürfnisse seines Schülers und nicht umgekehrt, und die von oben eingesetzten Herrscher wissen, was für ihr Volk gut ist. Diejenigen, die nicht für die Herrschaft bestimmt seien, so die Begründung, besäßen auch nicht die Kompetenz, den hierzu Bestimmten zu erkennen und auszuwählen (ebd.). Dass Kritik an der Herrschaft bestraft werde, diene dem Schutz der sozialen Ordnung (ebd.). Demokratie, so Malak weiter, bedeute hingegen Anarchie: Un peuple ne peut jamais se gouverner luimÞme, jamais (ebd.; UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1).92 Die bereits erwähnte Aussage Malaks, nur die extreme ˙Rechte habe verstanden, dass Muslime nicht 92 Hervorhebung durch die Verfasserin entsprechend der besonderen Betonung des fett Markierten durch Malak.

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in die französische Gesellschaft integrierbar seien, wurde hier mit einer Erklärung versehen: Eigentlich, so Malak im Zusammenhang mit oben zitierter Stelle, sollten Muslime sich von den Wahlurnen fernhalten, weil Demokratie ein ihnen zutiefst fremdes Prinzip sei. Wenn sie zur Wahl gezwungen würden, so die Argumentation weiter, könnten sie prinzipiell nur für die extreme Rechte votieren, weil diese aufgrund der religiösen Werte, die sie konserviert habe, als einzige noch im Besitz des Wissens um die gute Ordnung sei (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1 f.).93 Die˙ Negierung einer vom Volk zugesprochenen Regierungsmacht zugunsten des Prinzips der Erwählung unterminiert letztlich auch alle gängigen Konzeptualisierungen französischer Laizität. Niemand, so Malak, könne ohne spirituelle Autorisierung („sans autorisation spirituelle“) regieren. Weil dies im Prinzip auch die französischen Staatschefs wüssten, hätten sie fast alle eine Verbindung zu, wenn auch in die Irre führenden, Seherinnen, Medien oder Freimaurerlogen gesucht (UM Maqa¯sid 07. 02. 2009: 3). Der Trennung von Staat und Religion in Frankreich weist ˙Malak dennoch eine gewisse Legitimität zu, indem er sie als temporäre Lösung bezeichnet, die durch das Fehlverhalten der katholischen Kirche in der Vergangenheit und insbesondere während des Zweiten Weltkriegs notwendig geworden sei. Laizität kann laut Malak jedoch nicht als dauerhaft gewinnbringendes Prinzip gelten (ebd.: 2). In die Reihe von Konzepten, die aufgrund ihrer Abgeschnittenheit von der göttlichen Ordnung („ordre divin“, ebd.) abgelehnt werden, stellt Malak neben Demokratie und Laizität auch die experimentellen und empirischen Wissenschaften. Forschung, die nicht auf der Wahrheit beruhe, könne keine tauglichen Ergebnisse hervorbringen, so Malak. Der Kommentar zur Ablehnung von, bei genauerem Hinsehen nicht als westlich, sondern als modern klassifizierter Wissenschaft schien durch meine Forschung am Institut ausgelöst worden zu sein: Nachdem ich am 31. 01. 2009 vor dem Unterricht bei Malak Fragebögen an die Studierenden ausgeteilt hatte,94 begann er seine Lektion mit einem Tafelbild, in das er einen Kreis, und hiervon ausgehend Pfeile auf Männchen zeichnete, die in der unteren Hälfte der Skizze angesiedelt waren. Den Kreis setzte er schließlich mit den maqa¯sid al-sharı¯Ca, den ˙ grundlegenden Prinzipien der Scharia gleich, aus denen konkrete islamische 93 Der Zusammenhang zwischen traditionalistischem Gedankengut und rechtspopulistischen Positionen ist bereits von anderen Akteuren hergestellt worden. Traditionalisten werden seit den 1970er Jahren intensiv durch die französische Nouvelle droite rezipiert und es existieren personale Verbindungen von Gu non-Anhängern zur sogenannten extremen Rechten (vgl. FranÅois 2009: 6–12). Hierbei sei noch einmal darauf verwiesen, dass damalige Aussagen Malaks zur Front National und dem Wahlverhalten von Muslimen nicht zwangsläufig mit seinen neueren Positionen im Kontext der letzten Präsidentschaftswahlen in Frankreich übereinstimmen. 94 Ursprünglich sollten hierdurch die Motivationen der Studierenden für ein Studium am Institut al-Ghazali sowie ihre Zukunftspläne und Einstellungen gegenüber der Berufsmöglichkeit Imam erhoben werden. Möglicherweise aufgrund der im Folgenden geschilderten Szene gaben jedoch nur drei Studierende ihren Fragebogen zurück; die Ergebnisse flossen nicht in diese Studie ein.

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Gesetze für die Regelung des menschlichen Miteinanders abgeleitet würden. Während Malak mit weißer Kreide eine deutliche Trennlinie zwischen den Kreis und die Männchen zog, erkläre er, heutzutage konzentriere sich der Forscher nur noch auf die untere Hälfte: auf die Männchen. Man reduziere Forschung auf Gespräche und Dokumente, mit denen man das Verhalten der Menschen zu erfassen trachte. Weil man sich aber weigere die Prinzipien oberhalb der Linien zu bedenken, die die soziale Realität lediglich als Reflexion ihrer selbst hervorbringen, seien die Ergebnisse zwangsläufig sehr limitiert, so Malak, während er die Linie wieder entfernte (UM Maqa¯sid ˙ 24.01.09: 2). Mit seinen Argumenten zur Ablehnung von Demokratie, Laizität und modernen Wissenschaften sowie mit der Forderung nach Respekt vor sozialen Hierarchien greift Malak die zentralen Aspekte gu nonscher Gesellschaftskritik auf. Er vertritt damit eine Kritik am Westen, die in Europa selbst wurzelt. Allerdings führt Malak die gu nonschen Positionen als algerischstämmiger Akteur vor einem arabophonen und fast ausschließlich algerischen Publikum vor. Diese Konstellation ist angesichts der rezenten Debatten um die Kompatibilität von Islam und Laizität in Frankreich höchst sensibel – wird ein annehmbarer Islam doch oftmals als ein Islam definiert, dessen Anhänger sich mit den französischen Kernwerten wie Aufklärung und Laizität identifizieren, oder die diese aber zumindest nicht ablehnen. Zudem überschneidet sich die Kritik von Malak an der modernen Welt sowie den Kernprinzipien, die mit ihnen verbunden werden, mit antieuropäischen Positionen anderer islamischer Akteursgruppen. Insbesondere in Algerien waren die Abwertung Europas und vor allem Frankreichs als dekadent und wertlos seit der Kolonialisierung weit verbreitet. Seit den 1970er Jahren starteten algerisch-islamische Gelehrte eine umfassende Kampagne, in der sie zur Rückkehr zum Islam und zur gleichzeitigen Bekämpfung aller westlichen Werte und Verhaltensweisen aufriefen (Rouadjia 1990: 20–25). Nicht zuletzt mit dem Marker des „Salafismus“ versehene Gruppierungen weltweit und auch in Frankreich lehnen die Werte und Strukturen, die sie als europäisch-westlich klassifizieren, als illegitim ab (vgl. Amghar 2008: 107), auch wenn nur wenige ihrer gewalttätigen Bekämpfung ins Auge fassen (vgl. ebd.: 100 f.). „Salafistische Prediger“ wettern beständig gegen Grundlagen westlicher Gesellschaften (ebd.: 106); Ali Adraoui bezeichnet ihre Ausrichtung als Haltung, die Muslimen mit einem Misstrauen gegenüber den vielfältigen Ausdrucksformen der Moderne umzugehen hilft (Adraoui 2008: 231). Die Positionen von Malak sind also auch mit denjenigen von Gruppierungen verflochten, die in medialen Darstellungen sowie politischen Stellungnahmen als Feindbild der westlichen Gesellschaft oder gar potentiell gefährlich für diese bezeichnet werden. So können seine oben angeführten Aussagen innerhalb französischer Debatten also als innermuslimische Bestätigung für die im französischen Mehrheitsdiskurs befürchtete Inkompatibilität ihrer Religion mit den zentralen Merkmalen französischer Identität gelesen und potentiell sogar mit dem Marker eines

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„radikalen“ oder „salafistischen“ Islam verknüpft werden, obgleich sie doch eigentlich eine im europäischen Kontext selbst entworfene Gesellschaftskritik reproduzieren. Dass die Negation der modernen Gesellschaft, wie Malak sie denkt, jedoch an anderen Stellen entscheidend von aktuellen salafistischen Gruppierungen abweicht und gerade für ein Leben in der westlichen Gesellschaft konzipiert worden ist, wird in den folgenden Kapiteln gezeigt. 4.2.5. Kosmisches Chaos und Rückzug aus der Politik In Gu nons Ausführungen zum schlechten Zustand der modernen Gesellschaften findet sich eine Erklärung für die aktuellen Verhältnisse: Die Vorstellung von kosmischen Zyklen, deren Voranschreiten den Zerfall einer jeden Ordnung hervorruft. Aus hinduistischen Kosmologien hatte Gu non die Vorstellung mehrerer großer aufeinanderfolgender Zyklen übernommen. Der aktuelle Zyklus, der Manvantara, bestehe nach dieser Vorstellung aus vier Zeitaltern und sei vor ca. 6.000 Jahren in sein letztes, das Zeitalter des KaliYuga, eingetreten (vgl. Gu non 1927: 21). Innerhalb des gesamten Zyklus ebenso wie innerhalb jedes einzelnen der vier Zeitalter komme es zu einer Verfinsterung, die sich mit der Zeit immer stärker ausbreite: Zunehmend schneller entferne sich der Mensch, so Gu non, von der spirituellen Wahrheit, die ihm zu Beginn eines Zyklus noch verständlich gewesen sei (ebd.: 21–26). Damit provoziere er den Zerfall jeder guten Ordnung. Die aktuelle Lebensweise im Okzident deutet Gu non als Ausdruck eines solchen Zerfallsprozesses (ebd.: 42). Die Moderne und ihr Primat des Materiellen sind aus dieser Perspektive Ausdruck des kosmologisch notwendigerweise eintretenden Chaos (ebd.: 23). Letztere kann auf diese Weise in einen sinnvollen, historischen Zusammenhang eingeordnet und in ihren als negativ bewerteten Aspekten akzeptierbar werden (vgl. ebd.: 43–47). Da die kosmische Unordnung sich allerdings nicht auf der ganzen Welt gleichzeitig und gleich intensiv manifestiere, so Gu non weiter, sondern vielmehr wellenförmig verlaufe, sei es möglich, im Orient der Gegenwart noch eine ganz andere Situation, zeitweise sogar eine Zunahme authentischer Spiritualität zu beobachten (Gu non 1927: 24). Malak bezieht sich in seinem Unterricht auf diese Lehren Gu nons und bietet seinen Studierenden damit ein Erklärungsmuster für den aktuellen Zustand der Gesellschaft an, in der sie leben. Auch er spricht von verschiedenen kosmischen Zyklen und erklärt, ihr Verlauf bezeichne den Prozess fortschreitender Dekadenz sowie spiritueller Entfernung der Menschen von der primordialen Wahrheit („v rit primordiale“) (UM Maqa¯sid 10.01.09: 2). ˙ soziale UnDie notwendigerweise kosmische Unordnung habe dabei eine ordnung auf der Erde zur Folge, denn kosmische und irdische Ordnung seien eng aneinander gebunden (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 1). Vor allem im Ok˙ zident werde man aktuell Zeuge davon; die Unordnung dort sei Ausdruck der

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kosmischen Unordnung und beweise, dass der Zyklus, in dem wir leben, dem Ende entgegengehe. Dabei bezog sich Malak explizit auf die Lehre der kosmischen Zyklen bei Ren Gu non (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 2). Deutlicher als Gu non erklärt er allerdings,˙ dass in der aktuellen Situation nur noch der Islam als Weg zur Wahrheit bleibe. Alle anderen in der Vergangenheit durchaus wertvollen Traditionen seien Irrwege, weil ihr wahres Verständnis verloren gegangen sei (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1).95 ˙ Diese Verknüpfung der gu nonschen Zykluslehre mit islamischen Exklusivitätsansprüchen haben schon die zum Islam konvertierten Gu non-Schüler Michel Valsan und Charles-Andr Gilis vollzogen. Valsan und Gilis verstanden den Islam als die letzte religiöse Tradition, die im aktuellen Zyklus noch 95 Auch Gu non hatte nicht alle Traditionen als authentisch anerkannt, sondern beispielsweise ein breites Spektrum gegenwärtiger Strömungen im Bereich des Okkultismus, der Theosophie oder westlicher Hinduismus-Adaptationen aus der Riege akzeptabler Traditionen ausgeschlossen (Sedgwick 2004: 80). Auch der Protestantismus sei mehr und mehr zu einer Morallehre verkommen (Gu non 1927: 130–132). Potentieller Kandidat authentisch-christlicher Tradition war für Gu non die katholische Kirche, die die notwendige hierarchische Struktur besaß, um ihr Erbe zu bewahren. Selbst die katholischen Würdenträger hätten jedoch die Schlüssel zu diesem Erbe verloren und vermögen so auch nicht, zum eigentlichen Ziel der Wahrheitsfindung zu führen (ebd.: 137). Im Okzident blieben für Gu non so hauptsächlich die Freimaurerlogen als funktionierende Initiationsgesellschaften, auch wenn er deren Politisierung und Säkularisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts beklagte (Sedgwick 2004: 82; Zarcone 1999: 147). Funktionierende, authentische Traditionen lokalisierte Gu non also vor allem „im Orient“: Hauptsächlich im Hinduismus, dem er einen Großteil seiner Studien gewidmet hatte, und im Sufismus, den er selbst lange Zeit praktizierte und den er gegen Ende seines Lebens mehr und mehr als passendsten Weg der spirituellen Initiation für den „Westler“ ansah (Zarcone 1999: 147); hinduistische Praktiken habe er laut Sedgwick hingegen als für Europäer kaum zugänglich bewertet (Sedgwick 2004: 80). Tatsache bleibt jedoch die Weigerung Gu nons, nur eine Tradition als authentisch zu denken (vgl. a. Gu non 31983: 136); vielmehr schien er die eigenständige Auswahl den jeweiligen persönlichen Voraussetzungen entsprechend zu empfehlen (vgl. Sedgwick 2004: 80). Malak nutzt eine ähnliche Rhetorik wie Gu non, um andere religiöse Traditionen als nicht-zielführend zu deklarieren. So sieht er das Problem mit dem Christentum („le probl me avec le christianisme“) darin, dass sogar ihre Würdenträger den eigentlichen Sinn ihrer Symbole nicht mehr verstehen (UM Maqasid 31.01.09: 2.). Selbst die Höchsten in der Hierarchie der katholischen Kirche,– von anderen christlichen Konfessionen sprach Malak nicht –, würden beispielsweise fälschlicherweise davon ausgehen, dass der Wein das Blut Jesu bedeute (ebd.). Ohne eine Korrektur dieser Deutung anzugeben, sieht er schließlich vor allem das Kreuz als Objekt vieler Missverständnisse an: Die korrekte Lesart bestehe darin, das Kreuz als Verweis auf die multiplen Zustände des Seins zu verstehen („les multiples tats de l’Þtre“, ebd.), seine Ausdehnung nach oben und in die Breite, zu Gott und in Verbindung mit anderen Menschen (ebd.). Weil der Islam diese Kreuzessymbolik bewahrt, das Christentum sie aber verloren habe, könne man die ursprüngliche Botschaft des Christentums nur über den Islam wiederfinden (ebd.). Mit dieser Aussage knüpft Malak wiederum an Ren Gu non an, der der Kreuzessymbolik mit Le Symbolisme de la croix (Erstauflage 1931) eine Studie gewidmet und darin gefordert hatte, über die Bindung der Bedeutung des Kreuzes an ein historisches Ereignis in der Geschichte des Christentums hinauszugehen (Gu non 41984: 11 f.). Universal präsenten Achsen gleichkommend, enthalte die Kreuzesform die Metaphysik der unterschiedlichen Seinszustände des Menschen („la multilplicit des tats de l’Þtre“) (vgl. hierzu ebd., z. B. 15–19, 25–28, 120–130).

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Gültigkeit besitze (Bisson 2007: 35). Bisson zitiert Michel Valsan in diesem Zusammenhang folgendermaßen: Seule l’entr e dans l’Islam compris dans son sens absolu et ses vertus compl tes peut faire recouvrer la condition primordiale perdue (Valsan 1984: 150, zitiert nach Bisson 2007: 36).

Daraus leiteten beide die Forderung ab, die islamische Lehre müsse weltweit bekannt gemacht werden (vgl. Bisson 2007: 35). Auch Malak vertritt eine solch weltumfassende Sichtweise, die sich von der Vorstellung einer eigenen, funktionierenden Tradition für jede Region der Erde verabschiedet: Angesichts des aktuellen Zustands der Welt, in der nur noch der Islam zum Heil führe, sei letzterer eine globale Angelegenheit geworden („l’islam est aujourd’hui devenu une affaire plan taire“) und dürfe auf keinen Fall nur in den muslimischen Ländern gelehrt werden (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1).96 Zu˙ überall gleichzeitig und gleich greift er die gu nonsche Vorstellung einer nicht gleich stark stattfindenden Abnahme der Spiritualität auf der Erde auf, um den Orient als Ort zu charakterisieren, an dem die Situation zwar noch besser sei, an dem aber zwangsweise ebenfalls eine Entfremdung des Menschen von der authentischen Tradition eintrete. So erklärt er, die Abkehr von der spirituellen Wahrheitssuche sei längst nicht mehr auf den Westen beschränkt. Mit der endgültigen Abschaffung des Kalifats im Jahre 1924 sei die unaufhaltbare Zunahme sozialer Unordnung auch in den islamischen Ländern angekommen (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 1). Ihr Fortschreiten zu stoppen sei unmöglich, ˙ einem kosmischen Gesetz. Die Islamisten („les islamistes“) folge sie doch streben, so Malak weiter, die Errichtung eines islamischen Staates an, weil viele islamische Gesetze nur im Rahmen eines solchen Staates angewendet werden dürften (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1). Er gesteht zu, dass die Isla˙ im Zuge von demokratischen Wahlen erreichen misten oftmals ihre Ziele auch wollten. Damit aber würden sie in eine Falle laufen: Die muslimische Welt könne erstens nicht nach dem Vorbild des Westens funktionieren und zweitens seien Wahlen höchstens im Stande, die Massen zu verführen; sie seien aber nicht dazu geeignet, die verlorengegangene Ordnung wiederherzustelllen (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1 f.). Die Versuche der algerischen Reformisten ˙ („les r formistes en Alg rie“97), die Gesellschaft zu „reislamisieren“, sowie den 96 Hiermit reproduziert Malak natürlich zum einen dominante muslimische Diskurspositionen, nach denen der Islam die letzt- und seit der Offenbarung durch Muhammad einzig gültige Offenbarung ist. Dass die Notwendigkeit der globalen Verbreitung des Islam jedoch in der Entstehung des Humanismus im 16. Jahrhundert lokalisiert wird und mit dem Zerfall von Tradition in westlichen Gesellschaften einhergeht, unterscheidet Malak von gängigen Vorstellungen, die die Universalität islamischer Botschaft historisch im Auftreten Muhammads verorten. 97 Malak spricht im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Reformisten in Algerien vom schwarzen Jahrzehnt („la d cennie noire“), mit dem man in Algerien die 1990er Jahre – die Zeit des Bürgerkriegs zwischen FLN- und FIS-Anhängern – bezeichnet (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 1). Es ˙

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Umstand, dass Schiiten in Iran einen Gottesstaat errichtet hätten, bezeichnet Malak an anderer Stelle als eine Katastrophe („une catastrophe“), die das Chaos in der Welt nur verschlimmert habe, statt ihm entgegen zu wirken (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 2 f). ˙ allem habe allerdings das Ende des Kalifats nicht die Zersetzung der Trotz islamischen Wahrheit zur Folge gehabt. Diese sei vielmehr von den Sufis bewahrt und weiter getragen worden. In diesem Zusammenhang führt auch Malak die Vorstellung einer spirituellen Elite („une lite spirituelle“) und zudem die Idee eines Siegels der Heiligen („khatm al-awliya¯’“) ein. Ähnlich dem gu nonschen Weltenkönig besitzt die Elite ˙mit dem Siegel der Heiligen auch bei Malak den Schlüssel zur Wahrheit und zur spirituellen Ordnung. Dieses Siegel beziehungsweise der Schlüssel sei Jesus, der Mahdi, der im Verborgenen weile und alle Fäden ziehe („ travers lui se font toutes les choses“), bis er am Ende des Zyklus zurückkehre und die wahre Ordnung wieder errichte. Jesus werde die Scharia wieder herstellen, so Malak in Anlehnung an eine im Übrigen bereits von Ibn Arabi entwickelte Vorstellung (UM Maqa¯sid ˙ 31. 01. 2009: 2, 5; UM Tasawwuf 19. 12. 2008: 3). Auf der Erde werde das spi˙ rituelle Erbe („al-wara¯tha“) durch eine dafür bestimmte Elite, die „Freunde Gottes“ („awliya¯’“), oftmals auch übersetzt als „die Heiligen“ (vgl. Elmore 1999: 110), in einem esoterischem Kalifat („al-khila¯fa al-ba¯tiniyya“) bewahrt. ˙ die Welt würde Ohne die Elite könne eine Gesellschaft nicht funktionieren und sofort enden (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 1 f.). Diese Elite der „Freunde Got˙ tes“ besteht in der islamischen Tradition, so Malak weiter, aus vierzig Erben oder Substituten (al-ibda¯l)98 des mohammedanischen Lichtes. Ihnen habe Allah das Wissen um die Wahrheit in seiner Gesamtheit anvertraut. Sobald eines dieser Substitute verscheide, erhebe Gott sofort einen neuen in diesen Rang (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 2). ˙ Die Lehre des kosmischen mohammedanischen Lichtes (nu¯r Muhammad), ˙ das sich bereits in Adam und schließlich in allen menschlichen Generationen inkarniert habe, ist erstmals von Sahl al-Tustari (gest. 896) formuliert worden. Tustari entwickelte auch die Vorstellung, dass die „Sufi-Heiligen“ (al-awliya¯’) dieses Licht weitertragen und als Pole fungieren, die an Gott erinnern. Ihnen sei das gesamte Wissen und Verständnis der koranischen Schrift anvertraut worden (Elmore 1999: 137). Diese Auffassung wurde wenig später von AlHakim Al-Tirmidi (824–892) und schließlich von Ibn Arabi popularisiert und mit der Idee des Siegels der Heiligen (khatm al-awliya¯’) verbunden. Ibn Arabi ˙ islamischer Autor eindeutig mit hatte dieses Siegel erstmals und als einziger Jesus gleichgesetzt (Elmore 1999: 144). Über Ibn Arabi fanden die Konzeptionen der „Freunde Gottes” als Tradierer des göttlichen Lichts sowie auch die ist folglich davon auszugehen, dass er mit den „Reformisten“ die Anhänger der FIS und nicht etwa die Reformprediger der 1930er Jahre bezeichnete. 98 An anderer Stelle von Malak übersetzt mit der Gemeinschaft der Heiligen („la communaut des saints“) (UM Tasawwuf 09. 01. 2009: 2). ˙

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Vorstellung von Jesus als ihres Siegels, der am Ende der Zeiten die mohammedanische Ordnung wieder errichten wird, Eingang in die Lehre der muslimischen Gu non-Schüler (z. B. Lings 1977: 31; ders. 1990: 44 f.; vgl. Bisson 1999: 42). Charles-Andr Gilis hat dabei explizit die Theorie des Weltenkönigs nach Gu non mit der des esoterischen Kalifats nach Ibn Arabi zusammen geführt (Bisson 1999: 37). Diese Zusammenführung ist, wie gezeigt wurde, auch in der Argumentation von Malak sichtbar. Bei den awliya¯’, so Malak, handele es sich oftmals um einfache Menschen, die nicht auffallen, wenig reden und sich aus der Gesellschaft zurückziehen. Betend und in ständigem Kontakt mit Allah seien sie es, die die Präsenz der göttlichen Wahrheit in dieser Welt erhalten und darauf warten, dass am Ende des Zeitalters Jesus auf die Erde zurückkehrt, um das Kalifat und die islamische Ordnung wieder zu errichten. Muslime, die einen sufistischen Zugang zum Islam suchen, so Malak weiter, hätten dies verstanden und daraus die richtige Schlussforderung gezogen: nämlich, dass es falsch ist, sich in die Politik einzumischen. Sie wissen, dass die Weltordnung heutzutage, da nur noch der Islam als authentische Tradition zugänglich ist, einzig von den spirituellen Erben Mohammeds aufrecht erhalten werde und dass menschliche Aktivitäten hingegen nichts verändern können (UM Maqa¯sid 10. 01. ˙ 2009: 2). Die Wahhabiten („les Wahhabites“) würden zu viel diskutieren und in den Moscheen Streit stiften, so Malak. Ein religiöser Mensch („un homme religieux“) hingegen vollziehe die rituellen Waschungen, betrete leise die Moschee, um seine Gebetspflicht zu tun, nehme danach ebenso leise seine Schuhe wieder an sich und verlasse die Moschee wieder (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 2). Ein Gläubiger („un homme de foi“) nehme auch niemals˙ an einer politischen Demonstration teil (UM Maqa¯sid 31. 01. 2009: 2); wer das notwendige spirituelle Wissen besitze, sei sich˙ bewusst, dass er kein „Akteur“ mehr sei, sondern als Ausdruck des göttlichen Gesetzes fungiere („une expression de la loi divine“) (UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 2). Die Relevanz dieser Auffassungen ˙für die sicherheitspolitisch geprägten Debatten im aktuellen Algerien und Frankreich liegt auf der Hand: Zwar vertritt Malak keine Position, die die Identifizierung von Muslimen mit französisch-republikanischen Werten und Strukturen fördert. Zugleich aber verurteilt er in seiner generellen Ablehnung politischen Engagements auch alle Strömungen, die die bestehenden staatlichen Strukturen Algeriens oder Frankreichs zu verändern oder sogar umzustürzen gedenken. Er bietet seinen Adressaten ein Verhaltensmodell an, das aktuelle gesellschaftliche Missstände in Frankreich wie auch in Algerien zu erklären vermag und zudem die Akzeptanz dieser Zustände einfordert, indem es sie als kosmologische Notwendigkeit interpretiert. Die Abkehr von sozialen oder politischen Aktivitäten verbindet Malak mit der Hinwendung zu einer innerlichen Verbindung mit Allah im Gebet sowie mit dem Ausführen derjenigen Pflichten, die dem Muslim in einem nichtmuslimischen Staat aufgetragen sind. Im Folgenden soll die Definition islamischer Lehre und Praxis bei Malak

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genauer untersucht werden, denn damit geht er über sicherheitspolitische Interessen hinaus und schlägt eine konkrete Lebensgestaltung vor, die den Alltag des Muslims prägen und ihn mit übergeordneten Zielsetzungen versehen soll. Diese Lebensweise stellt sich schließlich als eine zutiefst europäische Konzeption islamischen Lebens in Europa heraus, die bereits vor Malak von verschiedenen Autoren als innerhalb der französischen Gesellschaft lebbare Alternative zur französischen Gesellschaft gedacht worden ist.

4.2.6. Die spirituelle Realisierung des Selbst Die Konzeptualisierung von Islam und Sufismus bei Malak weist in mehrerlei Hinsicht ebenfalls Parallelen zu gu nonisch inspirierten Rezeptionen von Sufismus auf und enthält folglich zahlreiche Adaptionen islamischer Lehre und Praxis an europäische Lebenskontexte beziehungsweise Reaktionen auf die Bedürfnisse, die europäische Konvertiten zu dieser spezifischen Islamauffassung geführt hatten. David Bisson hat in der besonderen Wertschätzung des Christentums einen wichtigen Aspekt gesehen, der den Islam der muslimischen Gu non-Rezipienten in Europa besonders annehmbar mache (Bisson 2007: 41). Eine zentrale Figur war in diesem Zusammenhang der italienische Konvertit Abd Al Wahid Pallavicini, ebenfalls ein Gu non-Rezipient, der zu Beginn der 1980er Jahre die Ahamadiyya-tarı¯qa gegründet und sich darüber hinaus intensiv in einen ˙ staatlich initiierten interreligiösen Dialog in Italien eingebracht hatte (Bisson 2007: 39; Sedgwick 2004: 136). Viele europäische Konvertiten hatten laut Bisson in dieser Zeit zwar das Christentum als Tradition im Sinne Gu nons geschätzt, zugleich aber bemängelt, dass seine esoterische, initiatorische Dimension (vgl. Kap. 4.2.6.) verkümmert sei und es in seiner Fixierung auf äußerliche Praktiken und Formeln einer zur spirituellen Weiterentwicklung bestimmten Elite keinerlei Möglichkeiten mehr bieten könne (Bisson 2007: 41). Die Elite sei zur Konversion gezwungen; ein Vorgang, der als Wahl einer neuen Tradition konzipiert wurde, aus der heraus die eigene spirituelle Entwicklung besser als in der alten erfolgen könne (ebd.: 41 f.). Eine vollständige Ablehnung des Christentums, etwa aufgrund seiner falschen Lehre, wurde hingegen nicht vollzogen. Mittels der Vorstellung einer primordialen Tradition, die sich in allen bestehenden Traditionen manifestiere, gab auch Pallavicini dem Katholizismus den Stellenwert einer im Vergleich mit dem Islam zwar unvollständigen, jedoch nicht falschen, sondern durchaus berechtigten Tradition (ebd.: 42). Dass Pallavicini insbesondere die Rückkehr Jesu am Ende der Zeiten und seine Reinstauration der islamischen Ordnung betonte, untermauerte seine Wertschätzung in Bezug auf das Christentum (ebd.). Bisson formuliert diesbezüglich treffend:

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Le cheikh Pallavicini s’appuie sur ces tensions pour se d marquer du fondamentalisme et pour promouvoir un islam italien autochtone respectant „le contexte social et culturel du pays“ et r affirmant „esprit oecum nique universel de l’islam.“ Cela ouvre, dans tous les cas, l’espace pour un islam dimension europ enne, chr tien dans son univers culturel et gu nonien dans ses projections (ebd.: 42).

Die benannten Auffassungen vom Christentum sowie insbesondere das Verständnis von Konversion als Kontinuität im Prozess der spirituellen Entwicklung eines Menschen finden sich auch bei Malak. Malak bezeichnete die Konversion als Wahl einer neuen Tradition, in der man seine begonnene, spirituelle Entwicklung fortführen könne. Der Mensch brauche eine neue religiöse Tradition, wenn ihm die alte zu klein werde, ebenso wie er ein neues Hemd oder neue Schuhe brauche, sobald er aus seiner alten Kleidung herausgewachsen sei (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 5). An anderen ˙ Stellen kleidet er die Bedeutung von Konversion in das Bild des Wechsels auf eine neue Leiter, die mehr Sprossen besitze als die alte: Wer feststelle, dass er auf der obersten Stufe seiner Leiter (= seiner Tradition) angekommen sei und spirituell nicht weiter komme, müsse auf eine andere Leiter wechseln, die weiter nach oben reiche (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 5; ˙ über die allein der 27. 02. 2009: 2). Die höchste Leiter aber sei die des Islam, spirituelle Weg bis zum Schluss beschritten werden und der Mensch zur vollständigen Erkenntnis der Wahrheit (ihsa¯n al-haqı¯qa) gelangen könne ˙ legte den Fokus seines (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: 5; 27. 02. 2009:˙2). Malak ˙ Interesses an religiösen Traditionen und insbesondere am Islam also auf den Punkt, der für die europäischen Konvertiten im Umfeld von Ren Gu non im Mittelpunkt stand: auf die spirituelle Arbeit an sich selbst, für die der Islam die besten Voraussetzungen bot. Anders als in hegemonialen muslimischen Diskurspositionen war das Christentum bei Malak nicht ausschließlich eine durch Menschen verfälschte Botschaft. Vielmehr befinden sich Christen wie Menschen aller Religionen auf ihren jeweiligen Leitern, auf denen sie ein Stück spiritueller Realisierung vollziehen können. Selbst die Nichtkonversion zum Islam findet in diesem Modell ihre Legitimität: Entsprechend der oben angesprochenen Auffassung, jedem Menschen sei eine Aufgabe und der hierzu notwendige Grad des Wissens zugedacht, erklärt Malak, es sei keine Sünde, nicht zum Islam zu konvertieren. Eine Sünde bestehe vielmehr darin, außerhalb des Rahmens handeln zu wollen, der für einen bestimmt sei (UM Maqa¯sid 14. 03. 2009: 2). Ein Urteil über den Glauben von Christen oder gar ihre˙ Qualifizierung als Ungläubige, denen die Hölle bestimmt ist, sei unangemessen, so Malak explizit (UM Maqa¯sid 14. 03. 2009: 2). Malak schlug den Muslimen in Frankreich also eine˙ positive Bewertung ihres christlich geprägten Umfeldes vor, auch wenn die – dem Christentum ebenso wie dem Islam – fremde Moderne ebendieses Umfeld durchdringe und zerstöre.

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Worin besteht nun die „islamische Tradition“ nach Malak? Zur Definition übernimmt er ein Bild, das auch Ren Gu non verwendet und seinerseits Ibn Arabi entlehnt hatte. Demnach bestehe eine Tradition stets aus zwei Dimensionen: einer Äußeren („za¯hir“) und einer Inneren („ba¯tin“), wobei die äußere ˙ einen Kern („al-lubb“) schü˙tze. Die Rinde bestehe wie eine Rinde („al-qishr“) aus Praxis und Glaube (in Bezug auf den Islam entspreche dies sharı¯Ca und ima¯n) und der Kern sei die Wahrheit selbst („al-haqı¯qa“) (Gu non 1973: 31; ˙ UM Tasawwuf 25. 10. 2008: 6). ˙ Wer die Scharia kenne und praktiziere, bewege sich auf der äußeren Dimension, wie auf einer Rinde um den Kern, und sei davor bewahrt, sich zu verirren („dallala“). Er werde in der Nähe der Wahrheit gehalten, um die er ˙ Die Scharia verstand Malak als Synonym zu Religion („al-dı¯n“): kreise (ebd.). Scharia bedeute ein Zusammenspiel aus Doktrin und Praxis, die sich in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander ergänzen. In diesem Sinne sei die Scharia dı¯n (ebd.). Etwas später in derselben Unterrichtsstunde differenzierte Malak dieses Modell weiter aus, indem er die „Rinde“ in eine äußere Schicht aus den fünf Säulen („al-arka¯n“) sowie in eine innere Schicht teilte, die er mit der Lehre des islamischen Glaubens („al-ima¯n“) gleich setzte. Diese beiden Schichten, so wiederholte Malak es mehrfach, seien zusammengenommen Religion („al-dı¯n“). Auffällig ist an dieser Stelle die Reduktion von Scharia auf die fünf Säulen (ebd.). Die Bestimmung von Scharia über Glaubensinhalte und individuelle Pflichten wie Gebet, Fasten, Almosengabe und Pilgerfahrt stellte eine Kompatibilisierung zwischen dı¯n und europäischen bzw. französischen Konzeptualisierungen von Religion dar und ermöglichte es, sie im privaten Raum, und damit innerhalb der Rahmenbedingungen des laizistischen Staatsund Gesellschaftswesens in Frankreich auszuleben.99 Auch die Bedeutungsbestimmungen der fünf Säulen (al-arka¯n) sowie der individuellen Pflichten (al-Ciba¯da¯t), die Malak an anderer Stelle vornahm, stellten bei genauerem Hinsehen eine sufistische Interpretation dar, wie sie bei europäischen Konvertiten in Anlehnung an Ibn Arabi oder in der Rezeption Ibn Arabis über Ren Gu non populär war: So betonte Malak auch hier das notwendige Zusammenspiel von Praxis und Lehre, von ritueller Genauigkeit und Realisierung spiritueller Erkenntnis („tahqı¯q al-maCrifa al-ru¯hiyya“). ˙ Bedeutung („maCna˙¯ ba¯tinJede Bewegung und jedes Wort trage eine innere ˙ iyya“). Die Niederwerfung mit der Stirn auf den Boden während des Gebets beispielsweise sei ein Prozess, in dem der Muslim seine Präsenz auslösche und nur noch diejenige Allahs anerkenne (UM Tasawwuf 19. 12. 2008: 1).100 ˙ 99 In seinem Kurs Usu¯l al-Fiqh wa Maqa¯sid al-Sharı¯Ca präsentierte Malak hingegen eine weitaus ˙ ˙ umfangreichere Definition von Scharia, wie sie in sunnitisch-islamischen Kontexten weit verbreitet ist. Zum Verhältnis zwischen Scharia und französischem Lebenskontext, wie es in diesem Kurs thematisiert wurde, vgl. Kapitel 4.2.7. 100 Zarcone zitiert in diesem Zusammenhang den Kommentar von Muhammad Hamidullah (1908–2002), einem einflussreichen pakistanisch-muslimischen Denker, der während seines langjährigen Aufenthaltes in Paris äußerte, er selbst habe Pflichten wie das Gebet und das

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Ein vollständiges Wissen um die Bedeutung der schariatischen Vorgaben ist laut Malak jedoch nur über einen esoterischen Weg zugänglich. Mit dessen Konzeptualisierung verortet Malak sich besonders deutlich im Traditionalismus Gu nons und seiner Schüler. Diese Schüler waren hauptsächlich Intellektuelle, die nach einem alternativen, nichtrationalen Wissen und vor allem nach geeigneten Meditationspraktiken suchten (Zarcone 1999: 145 f.). Sie konzeptualisierten die Sufi-turuq als Initiationsgemeinschaften und ver˙ glichen sie mit europäischen Freimaurerlogen. Zudem vertraten sie die Auffassung, das Freimaurertum sei nicht mehr funktionstüchtig; auch das Christentum biete keinen esoterischen Weg mehr, der bis zur Wahrheit führe. Wer für einen solchen Weg bestimmt sei, müsse sich folglich in den Sufismus initiieren lassen, um die Arbeit an sich selbst fortführen zu können (Zarcone 1999: 150). Diese Konzeption entspricht nicht den Strukturen und den Vorstellungen von Sufi-turuq in muslimischen Kontexten, die beispielsweise keine geheimen oder˙ geschlossenen Gesellschaften darstellen (vgl. Zarcone 1999: 150; 1993: 301–328). Malak übernahm allerdings die Parallelsetzung der turuq mit den Frei˙ ösen Traditionen maurerlogen. Explizit sprach er davon, dass in allen religi Initiationsgemeinschaften existieren, auch wenn die nichtislamischen unter ihnen heute nicht mehr funktionierten. In Europa seien früher die Freimaurerlogen von Bedeutung gewesen; in ihnen habe man genau wie in den Sufituruq danach gestrebt, sich selbst zu perfektionieren, die Arbeit des „Großen ˙Architekten“ zu imitieren („de faire les choses la mani re du Grand Architecte“) und für die Gemeinschaft nützlich zu werden. Heute seien die Logen jedoch korrumpiert, insbesondere, weil so viele Politiker Mitglieder geworden seien und politische Themen eingebracht hätten (UM Tasawwuf 06. 02. 2009: ˙ 2). Die Initiationsgemeinschaften des Islam, so Malak explizit, seien die Sufituruq (ebd.). Auch er vertrat die Auffassung, dass einige wenige Personen ˙dazu bestimmt seien von der „Rinde“, der Religion aus, weiter zur Wahrheit vorzudringen und sich dem letztendlichen Ziel, dem Betrachten der Wahrheit („ihsa¯n al-haqı¯qa“), anzunähern (UM Tasawwuf 25. 10. 2008: 6). Der Weg des ˙ ˙ arı¯qa al-su¯fı¯“), den sie hierzu ˙ Sufismus („t einschlagen müssten, bestehe, ˙ ˙ genau wie der Islam, wiederum aus einer Lehre und einer Praxis (UM Tasawwuf 06.12.09: 1). Beide zusammengenommen würden zu einem wahrhaf˙ten Sehen und Verstehen der Welt führen (ebd.: 6) und sie würden, – auch dies eine Theorie, die bereits von Ibn Arabi formuliert worden ist –, das göttliche Licht im eigenen Ich entfalten, bis das Ich verschwinde und nur noch Gott sei (UM Tasawwuf 25. 10. 2008: 5 f.; 09. 01. 2009: 1). Der Sufismus sei ein Weg ganz anderen˙ Wissens („maCrifa“), der sich vom rationalen Wissen und Verstehen Fasten niemals über den Sufismus, sondern allein innerhalb des Rahmens des islamischen Rechts (fiqh) erläutert, was die Konvertiten jedoch weniger interessiere (Zarcone 1999: 146 f.). Diese Aussage verweist noch einmal auf die Ausrichtung der Aussagen Malaks auf europäische Sufismusrezeptionen.

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der Welt („Cilm“) unterscheide, so Malak an verschiedenen Stellen (ebd.). Er führe nicht nur als einziger zur Verwirklichung der Wahrheit, sondern ermögliche zudem auch das vollumfängliche Verständnis der exoterischen sharı¯Ca, deren Vorgaben in einem rationalen Zugang nur bruchstückhaft verstanden werden können (UM Tasawwuf 09. 01. 2009: 2; 25. 02. 2009: 1). ˙ Es existieren, so Malak, eine exoterische („za¯hir“) und eine esoterische („ba¯tin“) Initiation in die islamische Tradition.˙ Den dreimaligen Ausspruch der ˙shaha¯da deutet er entsprechend einer in islamischen Kontexten hegemonialen Praxis als notwendigen Aufnahmevorgang in den Islam allgemein und somit als exoterische Initiation (UM Maqasid 14. 03. 2009: 1). Diejenigen ˙ („tahqı¯q al-ru¯h¯ı“) weiter allerdings, die ihre spirituelle Selbstrealisierung vertiefen möchten, müssen zusätzlich eine esoterische˙ Initiation˙ vollziehen (initiation sot rique). Diese bestehe in der Suche nach einem spirituellen Meister („un ma tre spirituel“), in der Aufnahme in eine Sufi-tarı¯qa (UM ˙ der sogeTasawwuf 06. 02. 2009: 6) und vor allem in der Praxis des dhikr, ˙ nannten Gottesanrufung. Die besondere Annahme des Christentums als ein nicht per se und aufgrund seiner Lehre in die Irre oder gar in die Hölle führender Weg, die Fokussierung auf das Verwirklichen seiner selbst mittels einer spirituellen Lehre und Praxis sowie schließlich die Erklärungsmuster, die Malak für die aktuellen gesellschaftlichen Zustände und ihren Materialismus anbrachte und zu denen er zugleich eine Alternative anbot, verdeutlichen die tiefe Verankerung und Einpassung seiner Positionen in einen europäischen Lebenskontext. Wie aber denkt Malak die beschriebenen Überzeugungen mit islamischer Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) und generell weiteren Bereichen des islamischen ˙ Rechts zusammen, die er in zahlreichen anderen Kursen ebenfalls lehrte? 4.2.7. Die Zielsetzungen der Scharia In den Ausführungen Malaks wird zunächst ein für europäische Konvertiten in der Linie Ren Gu nons typisches Leitmotiv sichtbar: Der Muslim sollte demnach versuchen, die in der Gesellschaft verlorengegangene Referenz auf die traditionelle Ordnung in sich selbst herzustellen. Dies kann geschehen, indem er sich durch Gebet, Fasten und Pilgerfahrt sowie möglicherweise durch sufische Praktiken mit dieser Ordnung in Verbindung bringt und so zu ihrem Mitgestalter („collaborateur de la loi divine“) wird (UM Maqa¯sid 10. 01. ˙ ¯ sid al2009: 2; Zarcone 1999: 151, 158). In seinem Kurs Usu¯l al-fiqh wa maqa ˙ ˙ mit C sharı¯ a führte Malak die in den vorherigen Kapiteln dargelegten Analysen detaillierten Erläuterungen zu den Zielsetzungen (maqa¯sid) von Scharia sowie ˙ verortete er sich in zur Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) zusammen. Dabei ˙ Positionen, die von reformislamischen Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts vertreten worden sind und die bis heute unter muslimischen Gelehrten weltweit rezipiert werden.

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In seinem Kurs Usu¯l al-fiqh wa maqa¯sid al-sharı¯Ca sprach er zunächst davon, ˙ ˙ dass die Scharia nicht nur die individuellen Pflichten des Muslims, sondern alle Lebensbereiche der Gesellschaft regele UM Maqa¯sid 10. 01. 2009: 1). Auf ˙ diese Weise griff er nicht Vorstellungen auf, die in innerislamischen Debatten weit verbreitet sind, sondern er spannte auch einen Bogen zur oben beschriebenen Vorstellung, eine authentische Tradition regele in einer intakten Gesellschaft die soziale Ordnung in allen Bereichen. Die konkrete Struktur dieser Ordnung sah Malak in den bereits genannten maqa¯sid al-sharı¯Ca, den übergeordneten Zielsetzungen der Scharia, ausdefiniert. ˙Diese Vorstellung von übergeordneten Zwecken der einzelnen göttlichen Offenbarungen wurde bereits von dem Mystiker und Philosophen Al-Hakim al-Tirmidi (gest. 908) entwickelt; zahlreiche Denker nach ihm haben das Konzept weiter gedacht (Bassiouni 2014: 146–161); der malikitische Gelehrte Musa al-Schatibi (gest. 1388) hatte die maqa¯sid in seinem Werk Al-Muwa¯faqa¯t fı¯ usu¯l al-sharı¯Ca als ˙ Methode zur Rechtsfindung (idjtiha¯d) eingeführt (Bassiouni˙ 2014: 161–175/ Nielsen/Christoffersen 2010: 5), und zuletzt wurden sie im Kontext reformislamischer Bewegungen am Ende des 19. sowie Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegriffen und popularisiert (Bassiouni 2014: 209–212; Nielsen/Christoffersen 2010: 5). Der Malikit Muhammad ibn Aschur (1873–1973) hatte in seinem Werk Maqa¯sid al-sharı¯Ca al-isla¯miyya besonders ausführlich über die Zielsetzungen ˙ der Scharia reflektiert und sie, klassische Konzeptionen revidierend und ergänzend (Bassiouni 2014: 213–219), als Grundlage der sozialen Ordnung in islamischen Ländern verstanden, die zugleich eine Anpassung konkreter Rechtspositionen an die verschiedenen Lebenskontexte des beginnenden 20. Jahrhunderts ermöglichen. Die Vorstellung von den maqa¯sid war in der Folge insbesondere von Raschid Rida aufgegriffen worden und˙ hatte seither weite Verbreitung gefunden (Nielsen/Christoffersen 2010: 6). In aktuellen Debatten fungieren die maqa¯sid oftmals als Demarkationslinie zu Akteuren, ˙ die eine literalistische Auslegung der kanonischen Texte verteidigen und in der Orientierung an übergeordneten Zielsetzungen eine unrechtmäßige Einführung menschlicher Auslegung sehen (vgl. ebd.: 40 f.). Malak orientierte sich in seinem Kurs Usu¯l al-fiqh wa maqa¯sid al-sharı¯Ca eng am Aufbau und an ˙ Ibn Aschurs Maqa ˙ ¯ sid al-sharı¯Ca al-isla¯miyya. Er beden Inhalten von Tahar ˙ Scharia besäßen in Zeit und Ort tonte, die übergeordneten Zielsetzungen der uneingeschränkte Gültigkeit, jedoch müsse der auslegende Gelehrte sie für jede Zeit neu interpretieren. Insbesondere verwies er auf die für Ibn Aschur typische Position, die maqa¯sid würden eindrücklich die Ausrichtung der ˙ Veranlagung der menschlichen Natur beweigöttlichen Offenbarung auf die sen und zudem dazu auffordern, diese dem islamischen Recht inhärente Weisheit zu erkennen (UM Maqa¯sid 27. 02. 2009: 1; Bassiouni 2014: 213–215). In den Unterrichtsstunden ging ˙Malak die Zielsetzungen der Scharia in der auch von Ibn Aschur reproduzierten Hierarchie durch: An oberster Stelle stand demnach der Schutz der Religion („hifz al-dı¯n“), darauf der Schutz des ˙ ˙

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menschlichen Lebens („hifz al-nafs“), der Schutz des Nachwuchses („hifz al˙ ˙ („hifz al-ma¯l“) sowie schließlich der Schutz ˙ ˙ des nasl“), der Schutz des Besitzes ˙ ˙ Verstandes („hifz al-Caql“). Wie genau man all diese Zielsetzungen umsetze, so ˙ Malak weiter ˙entsprechend geläufiger islamischer Definitionen der maqa¯sid, sei durch vielfache Regelungen präzisiert worden, die entweder als für ˙das Zusammenleben unbedingt notwendig gelten und zwingend befolgt werden müssen („duru¯riyya¯t“), die über das Notwendige hinausgehend die Bedürf˙ nisse der Menschen regeln („ha¯djiyya¯t“) oder aber die zusätzliche Möglichkeiten zur Perfektionierung ˙des menschlichen Miteinanders formulieren („tahsı¯niyya¯t“) (UM Maqa¯sid 24. 01. 2009: 1; 27. 02. 2009: 1; 08. 02. 2009: 1–3; ˙ 2009: 1–4; vgl. Bassiouni ˙ 17. 01. 2014: 174). Bereits Al-Schatibi hatte die Vorstellung entwickelt, der Mensch werde durch die Orientierung an den maqa¯sid ˙ zum Stellvertreter Gottes auf Erden sowie zum Garanten der durch ihn bestimmten Ordnung (Bassiouni 2014: 174). Diese weiter oben auch bei Malak identifizierte Auffassung ist also nicht nur in der Lehre Gu nons verankert, sondern zudem mit den Positionen klassisch-islamischer Autoritäten kompatibel. Mit der Feststellung, dass die soziale Ordnung aus dem Gleichgewicht geraten sei und im Okzident ohnehin nicht von der Scharia bestimmt werde, legitimierte Malak schließlich ihre Nichtanwendung in verschiedenen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens. Zwar unterrichtete er auch diese Bereiche, er stellte sie aber als Elemente einer idealen Ordnung dar, deren Umsetzung im aktuellen Zeitalter nicht mehr eingefordert werden könne. Wichtig sei ihre Tradierung und ihre Bewahrung vor Veränderung (UM Maqa¯sid 08. 02. 2009: 4). Zu diesen Bereichen zählte Malak unter anderem straf-, ˙ är- oder handelsrechtliche Regelungen der Scharia. Er stellte sie als milit ideales loi religieuse dem aktuell angewandten droit positif gegenüber (ebd.). Für die Umsetzung islamrechtlicher Vorgaben formulierte Malak eine Art Faustregel: Was Allah durch die Scharia verboten habe, müsse unmittelbar vermieden werden, was er hingegen gebiete, müsse man so gut realisieren, wie es nach Zeit und Ort möglich sei (ebd.: 3). Zum Bereich derjenigen Regelungen, die der einzelne auch im aktuellen Lebenskontext in Frankreich zu befolgen habe, zählte er Speise- und Kleidungsvorschriften, Ehe-, Familien- und erbrechtliche Regelungen sowie teils finanzrechtliche Bestimmungen. Malak vertrat also in seinem Kurs Usu¯l al˙ fiqh wa maqa¯sid al-sharı¯Ca die Umsetzung von schariarechtlichen Vorgaben ˙ genau in denjenigen Bereichen, auf die auch reformislamische Denker in der Linie Raschid Ridas oder Tahar Ibn Aschurs fokussierten, als sie mit der Einführung europäischen Rechts in ihre Länder konfrontiert waren, und für die auch der europäische Fatwarat Regelungen heraus gibt (vgl. Kapitel 4.1.1.). Malak präsentierte eine (allerdings bereits vor ihm vollzogene) Synthese aus Deutungen, die im reformislamischen Spektrum (re-)popularisiert worden sind und solchen, die europäische Islam-Konvertiten in der Linie Ren Gu -

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nons konzipiert haben. Der Identitätsmarker Islam, den er vertrat, ist auf noch komplexere Weise überdeterminiert als die sicherheitspolitischen Konzepte von moderatem und radikalem Islam, die in Teil 3 besprochen wurden. So wurde Islam bei Malak zunächst als Tradition definiert, die den Respekt vor Hierarchien, die Ablehnung von Demokratie und die Rückkehr in eine traditionell-religiöse Lebensweise forderte und explizit als Antagonismus zu französisch-westlicher Identität und ihrer Moderne, ihrem Fortschritt, ihrer Demokratie, Laizität oder ihrem Postulat der Gleichheit aller Menschen bestimmt wurde. Die von Malak angenommene Nicht-Integrierbarkeit von Muslimen in die französische Gesellschaft könnte auf den ersten Blick algerischen Regierungsinteressen entprechen und, betrachtet man die Differenzen zwischen algerischen und französischen Diskurspositionen, für eine klare Verortung auf der algerischen und gegen die französische Seite sprechen. Gleichzeitig weisen die Elemente, die Malak zur Charakterisierung des Islam anbringt, Parallelen mit Strömungen auf, die in transnationalen Diskursformationen als salafistisch bezeichnet werden wie zum Beispiel die absolute Verneinung, sich in Frankreich sozial oder politisch zu engagieren oder zur Wahl zu gehen, die abermalige Forderung nach Abschottung vom umgebenden Lebenskontext also. Dies könnte Malaks Rhetorik in französischen Debatten schnell als suspekt oder gar als „radikal“ erscheinen lassen, obgleich seine Islamauslegung bei genauerem Hinsehen natürlich deutlich von den sogenannten salafistischen Interpretationen abweicht. Letztlich wird auch die augenscheinliche Nähe zu algerisch-staatlichen Positionen gleich wieder unterlaufen: Indem Malaks Ausführungen Argumente von Kolonialpolitikern zu Beginn des 20. Jahrhunderts enthalten (wie die Vorstellung, der Orientale sei in der modernen Hauptstadt Paris verloren und finde an der GMP einen geschützten Ort, an dem er seine Tradition leben könne), und indem sie schließlich eine gu nonsche Gesellschaftskritik reproduzieren, sind sie nämlich mit Diskurspositionen verflochten, die in Frankreich selbst enstanden sind; sie haben die Integration, die sie ablehnen, also längst vollzogen.

4.3. Lehrerprofil 2: Chebel 4.3.1. Der Unterricht: Form und Inhalte Auch die biographischen Angaben zu Chebel und seinen Aktivitätsfeldern werden zur besseren Anonymisierung seiner Person hier auf ein Minimum reduziert. Chebel hat ebenso wie Malak eine langjährige religiöse Ausbildung in Algerien genossen und zudem dort sowie auch in Frankreich weitere Universitätsdiplome erworben. Wie Malak steht er einer sufistischen Islampraxis nahe und ist selbst aktiv in eine Sufi-tarı¯qa involviert. Chebel weist auch ˙ Großen Moschee von Paris ein sehr außerhalb des Institut al-Ghazali sowie der

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hohes Engagement bezüglich der Verbreitung islamischer Lehre und Organisation islamischer Praxis auf und hat in seiner Rolle als islamisch-religiöser Experte sowohl im Raum Paris als auch in europaweiten Gremien diverse Funktionen inne. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war Chebel am Institut al-Ghazali noch relativ neu; schnell übernahm er dort jedoch weitere Aufgabenbereiche, zum Beispiel in der Zusammenstellung und Organisation der Lehrpläne. Im Studienjahr 2008/09 unterrichtete Chebel innerhalb des französischsprachigen Studienprogramms Civilisation Islamique die beiden Kurse Glaubenslehre (tawh¯ıd) und islamisches Recht (fiqh); im Rahmen des arabophonen Kurri˙ bot er Unterricht in Koranauslegung (tafsı¯r al-qur’a¯n), Rechtsmekulums thodologie (usu¯l al-fiqh), Analyse rechtsrelevanter Verse des Koran (a¯ya¯t alahka¯m) sowie˙ Prioritätenrecht (fiqh al-awwaliyya¯t) an. ˙ Während meines Feldforschungsaufenthaltes besuchte ich teilweise seine arabischsprachigen, regelmäßig jedoch seine frankophonen Lektionen. Die folgenden Analysen basieren hauptsächlich auf 77 DIN A4-Seiten handschriftlicher Notizen zu jeweils 18 Unterrichtsstunden im Fach Civilisation Islamique im 1. Lehrjahr und 2. Lehrjahr101. Ein ca. 30-minütiges Interview mit der Lehrperson (INT CHE) wurde ergänzend herangezogen. Das erste Lehrjahr des Kurses Civilisation Islamique wurde von circa 40, das zweite von 20 bis 25 Studierenden besucht, wobei die Teilnehmer des zweiten mehrheitlich mit jenen des ersten Kursjahres identisch waren.102 Während die arabischsprachigen Kurse ausschließlich von männlichen Studierenden besucht wurden, hielten sich weibliche und männliche Teilnehmende hier die Waage; die Anzahl der Studierenden maghrebinischer Abstammung entsprach zudem ungefähr derjenigen von Konvertiten, deren Eltern nicht aus einem muslimisch geprägten Land stammen (ebd.). Der Unterricht zur Civilisation Islamique richtete sich insofern an ein vergleichsweise heterogenes Publikum. Von Kursteilnehmerinnen wurde eine Kopfbedeckung im Unterschied zur Praxis in den arabophonen Kursen nicht gefordert. Dennoch verschleierte sich die Mehrheit der Teilnehmerinnen, und dies je nach Herkunftsland, Konversionskontext oder Herkunftsland des Ehemannes auf sehr unterschiedliche Weise (ebd.). Als einziger Lehrender des Instituts erschien Chebel häufig in weißer djalla¯ba zum Unterricht. Seine Lektionen bestanden aus Frontalunterricht, der jedoch geraumen Platz für Nachfragen und Diskussionen mit den Studierenden ließ. Inhaltlich wurden die Studierenden mit den Grundlagen islamischer Glaubenslehre sowie mit den islamrechtlichen Positionen zu Ver101 Die Mitschriften zum Unterricht aus dem ersten Lehrjahr werden im Folgenden mit UM Civilisation I gekennzeichnet, jene zu den Inhalten aus dem zweiten Lehrjahr mit UM Civilisation Islamique II. 102 Eine Mehrheit der Teilnehmer/innen des ersten Lehrjahres besuchte so Kurs 1 und 2 zur gleichen Zeit; während andere dem ersten Kurs bereits im Vorjahr beigewohnt hatten und ihn nun, parallel zum für sie neuen, zweiten Kursteil noch einmal zur Wiederholung besuchten.

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pflichtungen vertraut gemacht, die der Einzelne im Alltag beachten sollte. So wurden in den Unterrichtseinheiten zur Glaubenslehre kurz die Bedeutung des Muslimseins definiert und schließlich das Jüngste Gericht und das Leben nach dem Tod, die Konstitution von Himmel und Hölle, der Glaube an Engel, die Natur und die Eigenschaften der Propheten, die Vorstellung bzw. Nichtvorstellung von Allah und seinen Attributen, die Beschaffenheit des Koran, die Glaubensfähigkeit des Einzelnen sowie die Lehre der Vorherbestimmung besprochen. Die Ausführungen zu den individuellen Pflichten (fiqh al-Ciba¯da¯t) beinhalteten Regeln zu den fünf täglichen Pflichtgebeten, zum Gruppen- und Freitagsgebet, zu den kleinen und großen rituellen Waschungen, zu erlaubter Ernährung, zu rein und unrein machenden Substanzen, zu speziellen Reinheitsvorschriften für die Frau, zum alltäglichen Umgang mit dem Koran oder mit einzelnen Koranversen, zur Wirksamkeit von Bittgebeten, zu den Bedingungen für das Imamsein sowie zu den Regeln für das Abhalten einer Freitagspredigt. In beiden Bereichen, dem des tawh¯ıd und dem des fiqh, ˙ präsentierte die Lehrperson zunächst jeweils die Mehrheitsund Minderheitenpositionen malikitischer Tradition und orientierte sich dabei an einem zeitgenössischen Kommentar zum Muhtasar Khalı¯l.103 Seine Darstellung der ˙ ˙ dort zu findenden Rechtsmeinungen unterbrach er regelmäßig, um sie durch Kommentare, Anekdoten und Beispiele zu ergänzen und um die Nachfragen der Studierenden zu beantworten. Jede Unterrichtseinheit wurde durch ein Bittgebet (duCa¯B) beendet, in dem Chebel Wünsche für den Propheten und seine Gefährten sowie schließlich beispielsweise die Bitte um Schutz für die Studierenden, die Lehrenden oder notleidende Muslime aussprach. In dem gut gefüllten Unterrichtssaal platzierte ich mich je nach verfügbaren Plätzen an unterschiedlichen Stellen und nahm bisweilen wie im Unterricht von Malak durch Nachfragen aktiv teil. Von Zeit zu Zeit adressierte mich Chebel seinerseits, um sich zu vergewissern, ob ich die Lehrinhalte verstand oder ob ich zusätzliche Informationen für meine Forschung benötigte. Auf diese Weise erinnerte er die übrigen Studierenden an meine Tätigkeit und sprach meiner Arbeit offiziell seine Akzeptanz zu. Die arabophonen Kurse verliefen auf ähnliche Weise. Auch hier trug Chebel Lehrpositionen aus Texten und Lehrbüchern vor und ergänzte sie durch seine eigenen Kommentare und Beispiele. Die, wie bereits erwähnt, rein männlichen und mehrheitlich algerischstämmigen Studierenden stellten auch hier regelmäßig Nachfragen, wenn auch quantitativ seltener als in den französischsprachigen Kursen. Auch diese Stunden wurden durch eine duCa¯B beendet.

103 Das Muhtasar des Ägypters Khalil Ibn Ishaq (gest. ca. 1365) ist eine der bedeutendsten ˙ ˙ Sammlungen malikitischer Rechtspositionen.

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4.3.2. Die Verortung im malikitischen Rechtschulenislam Wie schon bezüglich des Unterrichts von Malak, so sollen auch bei Chebel zunächst die Identitätsmarker identifiziert werden, die er zur Klassifizierung seiner selbst sowie der anwesenden Studierenden benutzte. Der Begriff des Orientalen tauchte deutlich seltener auf als bei Malak. Die dominierende Kategorie, mit der Chebel sich und die Studierenden identifizierte, ist vielmehr die des Muslims. Die präsentierten Gelehrtenpositionen im Bereich des Rechts und der Glaubenslehre wurden so stets als Elemente eingeführt und kommentiert, die der Muslim („le musulman“) tun oder glauben müsse (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 1; 25. 10. 2008: 1; 15. 11. 2008: 2; 22. 11. 2008: 1; 29. 11. 2008: 1; UM Civilisation Islamique II 29. 11. 2008: 1; 25. 01. 2009: 4; 15. 02. 2009: 1,3; 01. 03. 2009: 1). Das Muslimsein definierte Chebel dabei explizit als eine entkulturalisierte Form der Zugehörigkeit: Muhammad sei nicht der Prophet der Araber, sondern zu allen Menschen gekommen (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2009: 1; 25. 10. 2008: 2). Mit der Ankunft des Islam, so Chebel weiter, seien die sozialen Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Stämme, Nationen und Hautfarben nivelliert und Muslime jedweder Herkunft gleichermaßen in die Gemeinschaft der Gläubigen (umma) eingeschlossen worden (ebd. 25. 10. 2008: 2). An wenigen Stellen grenzte Chebel das Muslimsein jedoch von westlicher Identität ab. Die Kommentare zu den Okzidentalen („les occidentaux“) betrafen thematisch zwei Bereiche, in denen letzteren jeweils ein Mangel diagnostiziert wurde: Chebel argumentierte erstens, den Okzidentalen fehle die Spiritualität; zweitens vertrat er die Aufassung, die Okzidentalen arbeiteten in Bezug auf den Islam nicht wissenschaftlich. Mehrfach sprach Chebel vom unvollständigen oder gar desolaten Zustand der „Westler“, welcher aus ihrer Fokussierung auf materielle Dinge resultiere. Der Okzidentale („l’occidental“) benötige dringend Spiritualität und könne diese im Islam finden (UM Civilisation Islamique I 29. 11. 2008: 1). Die Menschen im Westen, so die Lehrperson an anderer Stelle, hätten alles und doch nichts, weil sie der Spiritualität in ihrem Leben keinen Platz einräumten. Innerer Friede jedoch lasse sich nicht kaufen, weswegen immer wieder zu sehen sei, wie reiche Okzidentalen verzweifelten und sich schließlich das Leben nähmen (UM Civilisation Islamique II 01. 03. 2009: 2). In der Diagnose mangelnder Spiritualität und einer falschen Prioritätensetzung in Bezug auf materielle Dinge, welche beide als Ursache dafür gesehen werden, dass die Okzidentalen unglücklich sind, überlappen sich die Auffassungen von Malak und Chebel. Im Unterschied zu Malak, der die Misere des „Westens“ allein im Verlust der Tradition und der Annahme der Moderne verankert, stellt Chebel in seiner Gegenüberstellung des spirituellen Muslim und des nichtspirituellen Westlers jedoch an keiner Stelle einen argumentativen Zusammenhang mit dem Konzept der Moderne her. In seinen Abgrenzungen zu anderen islamischen Strömungen wird vielmehr der Ver-

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such deutlich, eine „islamische Moderne“ zu konzipieren. Dies wird im Weiteren noch genauer gezeigt. Auch bezüglich des zweiten Bereichs, in dem Chebel Kritik am Westen anbrachte, der Begrenztheit westlich-wissenschaftlicher Forschung, überschneiden sich seine Positionen mit jenen von Malak nur teilweise. Die Auslegung des Koran und insbesondere seiner gesetzgebenden Verse forderten von den muslimischen Gelehrten ein Maß an Kompetenz und Spezialisierung, das nach dem Tode der vier Rechtschulengründer faktisch niemand mehr habe vorweisen können, so Chebel (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 2; 16. 11. 2008: 4). Selbst die besten zeitgenössischen Gelehrten, die die arabische Sprache perfekt beherrschen, würden dieses Niveau nicht mehr erreichen. Die Professoren an der Sorbonne hingegen dächten, dass sie das theoretische und methodische Werkzeug besäßen, den Koran zu lesen und seine Aussagen zu verstehen, obwohl sie noch nicht einmal korrekt Arabisch sprächen. Für die Interpretation der religiösen Texte würden sie in Wirklichkeit keinerlei Kompetenzen aufweisen (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 4). Die Schriften westlicher Orientalisten („les critures d’orientalistes occidentaux“) lese in der muslimischen Welt kaum jemand, weil es ihnen an einer konsequenten wissenschaftlichen Methode sowie an Respekt vor den Gelehrten (les savants) fehle; in Europa seien sie hingegen leider überall verbreitet (UM Civilisation Islamique I 21. 12. 2008: 2).104 Die vermeintliche Begrenzt- und Ziellosigkeit „westlicher Wissenschaft“ bringt Chebel schließlich mit der Aussage auf den Punkt, westliche Forscher und Theoretiker, sogar Freud und Marx, hätten mit ihrer Vorgehensweise keine Antworten auf die großen Fragen des Lebens gefunden. Mit dem Islam hingegen sei alles beantwortet worden (UM Civilisation Islamique I 21. 12. 2008: 1). Das Argument, ein perfektes Beherrschen der arabischen Sprache sei Voraussetzung für das Verständnis der religiösen Texte und könne von nichtarabophonen Gelehrten kaum erbracht werden, ist weit verbreitet und wird auch unter algerischen Gelehrten bis heute reproduziert (Scheele 2007: 320). Der Fokus auf die Sorbonne und ihre Konzeptualisierung als Ort der Pseudowissenschaft hingegen ist ebenfalls spezifisch in Algerien weit verbreitet und entspringt der Auseinandersetzung mit der französischen Kolonialisierung islamischer Lehreinrichtungen (vgl. ebd.). Wie bereits erwähnt tauchte der Identitätsmarker „Okzidentale“ im Unterricht von Chebel seltener auf. Anders als bei Malak erfolgte die Bestimmung der eigenen Identität vielmehr über Abgrenzungen von anderen muslimischen Standpunkten oder Gruppierungen. Seine eigene Lehre bezeichnete Chebel zu 104 Die negativen Auffassungen von westlicher Wissenschaft schlugen sich nicht in der Haltung der Lehrperson gegenüber meiner Forschung und Anwesenheit im Unterricht nieder. Meine Forschung am Institut al-Ghazali, deren Zielsetzungen ich der Lehrperson deutlich erklärt hatte, beteuerte er zu unterstützen und er ermutigte mich mehrmals, meine Arbeit bis zum Ende durchzuführen.

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Beginn des Unterrichtsjahres explizit als die der malikitischen Rechtschule („l’ cole mal kite“, UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 2). Im Kontext einer kurzen Präsentation der vier anerkannten sunnitischen Rechtschulengründer erklärte er, dass ein Lehrer verpflichtet sei, seinen Schülern die Positionen derjenigen Rechtschule zu erläutern, der die Mehrheit der Muslime im jeweiligen Land angehöre und in Frankreich sei dies der Malikismus (ebd.: 3). Auf diese Weise vertrat er eine Position, die derjenigen auf der Homepage des Institut al-Ghazali entspricht. Demnach werden alle vier Rechtschulen akzeptiert, jedoch wird die malikitische besonders fokussiert und gelehrt. Chebels Respekt vor allen vier Rechtschulen wurde dadurch deutlich, dass er im Laufe seines Unterrichts zur Bestimmung eines authentisch-orthodoxen Islam oftmals auf die Bezeichnungen sunnitisch („sunnite“), Islam der vier Schulen („islam des quatre coles“) oder Islam der Rechtschulen („islam des coles juridiques“) zurückgriff, der seit vielen Jahrhunderten unverändert gelehrt werde (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 2; 09. 11. 2008: 1; 15. 11. 2008: 2; 21. 12. 2008: 1). „Falsche“ Islamauslegungen belegte Chebel vor allem mit den Markern „Salafismus“ („le salafisme“) oder „Wahhabismus“ („le wahhabisme“). Salafisten oder Wahhabiten, – die beiden Bezeichnungen benutzte Chebel synonym –,105 bilden in den Ausführungen von Chebel ein Feindbild, das in nahezu jeder Unterrichtsstunde häufig erwähnt und denunziert wurde. Die Anhänger dieser Strömung wurden als gefährlich („dangereux“, UM Civilisation Islamique I 15. 11. 2008: 2), falsch („faux“, 19. 10. 2008: 2; UM Civilisation Islamique II 01. 02. 2009: 2); als von der Wahrheit wegführend („ils loignent les gens de la v rit “, ebd.; „ils font sortir les gens de l’islam“, UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 2; UM Civilisation Islamique II 30. 11. 2008: 1), oder als radikal („radical“, ebd.: 21. 12. 2008: 1) bezeichnet. Neben dem Wahhabismus fungierte, quantitativ allerdings weitaus seltener, die MuCtazila als Gegenkonzept zum von Malak vertretenen Sunnitentum. An verschiedenen Stellen grenzte Chebel die „sunnitischen Positionierungen“ von muCtazilitischen Auffassungen ab (UM Civilisation Islamique I 09. 11. 2009: 4; 21. 12. 2008: 1; 01. 02. 2009: 1; UM Civilisation Islamique II 26. 10. 2008: 1; 22. 11. 2008: 1; 11. 01. 2009: 3) und bezeichnet die MuCtazila als eine in die Irre führende Sekte („une secte qui conduit beaucoup d’erreurs“, UM Civilisation Islamique I 01. 02. 2009: 1). Vor allem mit seiner Ablehnung des als gefährlich beurteilten Salafismus/ Wahhabismus bestätigte Chebel zunächst Diskurspositionen, die in sicherheitspolitisch motivierten Debatten in Algerien und Frankreich weit verbreitet 105 Die Synonymsetzung war zunächst aus den jeweiligen Argumentationszusammenhängen zu schließen, in denen beide Begriffe abwechselnd zur Bezeichnung derselben Gruppe genutzt wurden (UM Civilisation Islamique I 15. 11. 2008: 2; 22. 11. 2008: 1; UM Civilisation Islamique II 21. 12. 2008: 1). Zur Bestätigung fragte ich Chebel nach einer Unterrichtsstunde, ob er mit „salafistes“ und „wahhabites“ das gleiche meine, was er mir mit „oui, oui ce sont les mÞme gens“ bestätigte (FFN 15.11.08).

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waren. Mit der Selbstverortung im malikitischen Rechtschulenislam, den er als jahrhundealte Tradition bezeichnete, verortete er sich dabei auf der Seite der sicherheitspolitisch verlässlichen, ungefährlichen Akteure. Wie aber passt die Vorstellung von einer Jahrhunderte alten Tradition mit der ebenfalls bereits angedeuteten Idee einer islamischen Moderne zusammen? Was genau bezeichnet Chebel als malikitischen Rechtschulenislam? An welchen Punkten verlaufen die Demarkationslinien zu den Feindbildern Wahhabismus und MuCtazila? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Vorstellungen für ein Leben als Muslim in Frankreich? Um genauer nachvollziehen zu können, wie der von Chebel als authentisch klassifizierte Islam historisch verortet werden muss, werden im Folgenden zunächst Ziele und charakterisische Positionen der reformislamischen Bewegung in Algerien skizziert. 4.3.3. Exkurs: Die algerisch-islamische Reformbewegung Insbesondere James McDougall und Ali M rad haben sich ausführlich mit der Entstehung, der Entwicklung, den Organisationsformen, Koraninterpretationen und islamrechtlichen Positionen sowie schließlich mit den Profilen von zentralen Figuren des sogenannten algerischen Reformismus beschäftigt (McDougall 2006; M rad 1971, 1999). Als algerischen Reformismus oder Reformislam bezeichnen sie eine kulturelle, religiöse und politische Bewegung im Algerien der 1930er Jahre, die deutlich von den Lehren Muhammad Abduhs (1849–1905) und Raschid Ridas (1865–1935) inspiriert ist, jedoch im politischen Kontext Algeriens ihre eigene Prägung erhalten hat (McDougall 2006: 64–143). In Auseinandersetzung mit den politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Entwicklungen im Ägypten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte Muhammad Abduh seit den 1870er Jahren eine islamische Erneuerung der Gesellschaft gefordert, die sein Land in die „Moderne“ führen sollte. Die Ursache für die Schwäche und Stagnation Ägyptens und vieler anderer muslimischer Länder sah Abduh in der Entfernung der Muslime und insbesondere der islamischen Rechtsgelehrten vom „wahren Islam“. Auch die Kolonialisierung und Unterdrückung durch die Engländer deutete er als Folgeerscheinung dieser Entwicklung. Den „wahren Islam“ konzipierte Abduh als modern, rational, wissenschaftlich und progressiv und lehnte wie nach ihm viele weitere Gelehrte die westlich-orientalistischen Bestimmungen des Islam als irrational, unwissenschaftlich und fortschrittsunfähig ab (vgl. Peters 2005: 122). Ein wichtiger Schüler Abduhs war der Syrer Raschid Rida, der, so Rudolph Peters, zwar weniger an den liberalen und modernistischen Ideen seines Lehrers interessiert war, die Suche nach einem reinen Islam, der sich nur auf die ursprünglichen Quellen gründen sollte, jedoch übernommen hatte (ebd.:

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124). Rida strebte gleichermaßen religiöse wie auch soziale Reformen an – mit dem übergeordneten Ziel, muslimische Identität zu bewahren und zugleich gesellschaftlichen Fortschritt zu erzielen. Ali M rad bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: [Rida, R.S.] envisage une r fome globale de l’Islam, par un retour syst matique l’ criture et la v ritable Sunna du Proph te, tandis qu’il pr ne le rel vement mat riel et moral de la communaut islamique, afin qu’elle assume de nouveau un r le digne d’elle parmi les nations de la terre (…) (M rad 1971: 84).

Seit 1898 bis zu seinem Tod publizierte Rida die Zeitschrift Al-Mana¯r. Das Blatt wurde zum Sprachrohr einer nun einsetzenden islamischen Erneuerungsbewegung und von muslimischen Denkern über die ägyptischen Ländergrenzen hinweg rezipiert. Die zentralen islambezogenen Auffassungen in den großenteils von Rida selbst verfassten Artikeln der Al-Mana¯r waren die Rückbesinnung auf Koran und Sunna, die Vereinbarkeit des Islam mit Wissenschaft und Vernunft, die Überwindung der Grenzen zwischen unterschiedlichen sunnitischen Gruppierungen (und insbesondere zwischen den Rechtschulen), die Stärkung der muslimischen Gemeinschaft und die Wiedererrichtung des Kalifats. Neben der Darstellung liberaler Forderungen Abduhs wurde die Zeitschrift zu einem zentralen Medium der Verbreitung (damaliger) saudisch-wahhabitischer Auslegungen, zu denen sich Rida trotz anfänglicher Zweifel schließlich bekannt und die er zu bewundern begonnen hatte (Ende 1995). Muhammad Abduh hatte sich im Jahre 1903 circa zwei Wochen in Algerien aufgehalten und seine Gedanken gleichsam vor konservativen Ulema, arabophon-reformwilligen Intellektuellen sowie französisierten Notabeln dargelegt (Bencheneb 1981: 127 f.). Seine Lehren fanden zwar überzeugte Anhänger und breiteten sich trotz eines von der französischen Kolonialverwaltung erlassenen Publikationsverbots106 im Laufe von etwa zehn Jahren in verschiedenen algerischen Intellektuellenkreisen aus (ebd.: 134 f.). Die Voraussetzungen für eine landesweit organisierte Erneuerungsbewegung waren zu jener Zeit allerdings noch nicht gegeben. Erst zwanzig Jahre später, nach dem Ersten Weltkrieg, vermochte es der konstantinische Berber Abd al-Hamid Ibn Badis, Gleichgesinnte um sich zu versammeln und sie für einen breit angelegten Kampf für die Erneuerung des Islam in Algerien zu gewinnen (ebd.: 135; M rad 1999: 73). Ben Badis war bereits während seiner Ausbildung an der Al-Zaituna-Universität in Tunis mit dem Gedankengut Abduhs in Berührung gekommen.107 106 Laut Bencheneb wurden die Schriften Muhammad Abduhs ob ihrer Kritik an den Praktiken der Sufi-Bruderschaften und allgemein an der desolaten Lage islamischer Einrichtungen in Algerien verboten, weil diese Kritik das Potential zur politischen Mobilisierung und Subversion geborgen habe (vgl. Bencheneb 1981: 135). 107 Ben Badis hatte zwischen 1908–1912 an der Al-Zaituna-Universität studiert; das Gedankengut

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Nach einer längeren Reise durch Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien zeigte er sich schließlich überzeugt von den dort florierenden Gedanken einer „islamischen Erneuerung“, die er sich auch für Algerien wünschte (M rad 1999: 73). Ben Badis hatte Ridas Schriften mit Begeisterung gelesen und dessen bekannten Korankommentar tafsı¯r al-mana¯r als zentrale Inspirationsquelle für seinen eigenen tafsı¯r genutzt, den er später in Constantine predigte und schließlich herausgab. Anders als Raschid Rida visierte er jedoch kein Reformprogramm zur umfassenden Erneuerung der algerischen Gesellschaft an. Die sozialpolitischen Umstände in Algerien sowie insbesondere die andauernde Kolonialisierung hatten die religiöse Infrastruktur wie in kaum einem anderen muslimisch geprägten Land transformiert und drohten gar, sie gänzlich aufzulösen. Christen betrieben in vielen Gegenden intensiv Mission, und die Zahl derjenigen, die nicht lesen oder schreiben konnten und mit religiösen Dogmen immer weniger vertraut waren, wuchs an. Stärker als Denker in Ägypten und Syrien sah Ben Badis den Islam selbst als vom Verschwinden bedroht an und formulierte das aus seiner Sicht dringende Ziel, seine Lehre schnell und umfassend in allen Landesteilen zu verbreiten, um den durch die Franzosen initiierten Zerfall des Islam aufzuhalten (ebd.: 84 f.). Ben Badis und seine Anhänger zogen in der Folge durch viele Moscheen und Zentren von Sufibruderschaften, den zawa¯ya¯ des Landes, um ihre Lehre in einfacher Weise den analphabetischen Massen zu vermitteln und sie für die Gefahr zu sensibilisieren, in der sich die islamische Infrastruktur des Landes befinde (ebd.: 85). Den Schwerpunkt des reformistischen Ideengebäudes sieht Ali M rad in folgenden Punkten: 1.) dem Plädoyer für eine „Rückkehr zu den Quellen“; 2.) der Betonung des tawh¯ıd, der Einheit Gottes, aber auch der ˙ muslimischen umma; 3.) der Polemisierung gegen als „volkstümlich“ bezeichnete Praktiken innerhalb des Sufismus, die als unerlaubte Neuerungen (bidCa) gedeutet wurden und deren Verbot angestrebt wurde (M rad 1971: 101). Bedeutende Themen der badisschen Vorträge waren darüber hinaus die Bedeutung von Frömmigkeit, die göttliche Honorierung der guten Taten, der Glaube an ein zukünftiges Leben und die Vereinbarkeit von Glaube und Vernunft (M rad 1999: 101). Durch die Predigt eines im Koran begründeten Verhaltensideals sollte die religiöse und moralische Erziehung der Bevölkerung vorangetrieben werden. Dieses Ideal war nach Ben Badis und anderen Reformern von den sala¯f vorgelebt worden und zeichnete sich durch folgende ˙ Eigenschaften aus: Aufrichtigkeit, wahrheitsgetreue Aussagen, eine reine Intention im Umgang mit den Mitmenschen, respektvolles Verhalten gegenüber Nichtmuslimen, die Verbreitung des Guten ohne Hintergedanken und konkret die Verbreitung der islamischen Wahrheit (M rad 1971: 107 f.). Die Anhänger dieser Predigerbewegung stießen vor allem auf Widerstände seitens der konservativ-malikitischen Rechtsgelehrten sowie vor allem der Abduhs hatte dort bereits seit 1900 vermehrt Verbreitung gefunden, auch wenn sich die Zaituna allgemein noch lange gegen diese Einflüsse wehrte (M rad 1999: 68).

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sufistischen shuyu¯kh, die ihr Quasimonopol als Wächter eines orthodoxen Islam in Frage gestellt sahen. Mit der Gründung der Association des Oul mas Musulmans Alg riens (AUMA) im Jahre 1931 fanden die Anhänger von Ben Badis ein offizielles Sprachrohr. Zunächst weitgehend unpolitisch gingen die Anhänger dieser Bewegung nicht zuletzt aufgrund ihrer Verfolgung durch die französische Kolonialregierung seit Mitte der 1930er Jahre nach und nach intensivere Verbindungen mit Anhängern nationalistischer Forderungen ein und wurden schließlich zu einer zentralen Kraft der Unabhängigkeitsbewegung. Nach der Unabhängigkeit wurden den Mitgliedern der AUMA innerhalb des Prozesses der Regierungsbildung und Politikgestaltung nur marginale Mitbestimmungsmöglichkeiten gegeben (Dennerlein 1997: 19 f.). Andererseits wurden die Reformprediger und ihre Schüler jedoch in die offiziellen staatlichen Organe zur Repräsentation des Islam berufen. So waren beispielsweise fast alle Mitglieder des 1967 gegründeten Conseil Sup rieur Islamique108 AUMA-Mitglieder. Zudem übernahm die Regierung die Kontrolle über die Abdelkader-Universität in Constantine, das ehemalige Propagandazentrum der Reformprediger, an dem auch Ben Badis lehrte und machte es zu einem, wenn nicht gar dem zentralen Ort staatlich verwalteter Islamausbildung (Rouadjia 1990: 59–63).

4.3.4. An islamic way of life – Wissen und Moral Chebel begann seine erste Unterrichtsstunde in Civilisation Islamique I mit einem ausführlichen Aufruf an seine Studierenden, in allen Bereichen des Lebens nach Wissen zu streben und die Suche danach niemals zu vernachlässigen (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 1). Die Konzeptualisierung dieses Wissens und der damit verbundenen Bildung von Muslimen sollte sich in der Folge als ein Themenfeld herausstellen, über das Chebel sich nicht nur im soeben beschriebenen Reformismus verortete, sondern in dem er auch seine Vorstellung von einem islamischen Leben und seinen Besonderheiten konkretisierte. Die einschlägigen Äußerungen werden daher im Folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen. Der Unterricht von Chebel war auch in den darauffolgenden Lektionen leitmotivartig von der Betonung der existentiellen Bedeutung durchzogen, die dem Streben nach Wissen im Leben eines Muslims zukomme. Immer wieder forderte er die Studierenden dazu auf, sich um die Erweiterung ihres Wissens („savoir“/„Cilm“) zu bemühen (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 1; 26. 108 Dieser Rat sollte vor allem unter Aufsicht des Religionsministeriums Fatwas erlassen und den Islam in Algerien repräsentieren, indem seine Mitglieder beispielsweise Konferenzen veranstalteten, Broschüren veröffentlichten sowie Islamkurse gaben. Außerdem sollte er den Kontakt zu anderen arabisch-islamischen Ländern pflegen (Benkheira 1999: 5).

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10. 2008: 1; 08. 11. 2008: 1; 15. 11. 2008: 2; 21. 12. 2008: 1 f.; 18. 01. 2008: 2; 19. 10. 2008: 1; 26. 10. 2008: 2; 02. 11. 2008: 1; 22. 11. 2008: 1; 11. 01. 2009: 1 ff.; 01. 02. 2009: 1; UM Civilisation Islamique II 15. 11. 2008: 1; 18. 01. 2009: 1–3). Wie es Pflicht eines jeden Muslims und einer jeden Muslimin sei, nach Vermehrung seines bzw. ihres Wissensschatzes („l’augmentation du savoir“) zu streben (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 1; UM Civilisation Islamique II: 18. 01. 2009: 2), so bestehe auch für den religiösen Lehrer die unbedingte Pflicht, das authentische Wissen („le savoir authentique“) an seine Schüler weiterzugeben (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 1), so Chebel weiter. Wenn die Bombe der Unwissenheit („la bombe de l’ignorance“) erst einmal explodiert sei, so koste es viele Generationen mühsamer Arbeit, um den Schaden zu reparieren und die Menschen von neuem einer guten Bildung zu unterziehen (UM Civilisation Islamique II 22. 11. 2008: 1). Der Schüler solle seinem Lehrer daher ohne Scheu alle Fragen stellen, auf die er selbst keine Antwort habe. Vor dummen Fragen müsse er sich nicht scheuen, denn dumm sei lediglich das selbstverschuldete Verharren in Unwissenheit („ignorance“) (ebd.). Im Islam sei auf alles eine Antwort gegeben worden und er als Gelehrter („Ca¯lim“) kenne bereits ein großes Spektrum dieser Antworten, so Chebel weiter. Wenn er einmal eine Antwort auf eine Frage seiner Schüler nicht kenne, so werde er solange in den Antworten noch größerer Gelehrter suchen, bis er sie finde (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 3). Diese Aussagen enthalten bereits eine Fülle an Hinweisen auf die Konzeptualisierung von Wissen bei Chebel. Die Vorstellung, im Islam seien alle Fragen beantwortet worden, suggeriert, dass außerhalb des islamischen Wissens kein Wissen notwendig ist. Dass der Gelehrte diese Antworten finden kann, wenn er sie nur sucht, impliziert zudem eine deutliche Abgrenzung zu einer Auffassung, die alles Wissens als sozial konstruiert und folglich als relativ begreift. Der Muslim hat durch die Offenbarung Zugang zu einer Wirklichkeit, die nicht diskursiv verhandelbar ist. Dass Chebel den fragenden Schüler nicht auf die Lektüre von Büchern, sondern an den islamischen Gelehrten verwies, ist schließlich ein weiterer Hinweis auf seine innerislamische Positionierung: So erklärte er explizit, wer aus Büchern lerne, der könne sich zwar Forscher nennen, jedoch nie ein Gelehrter („savant“) werden. Hierzu brauche man einen shaykh (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 3). Damit verortete sich Chebel in einer in islamischen Kontexten hegemonialen Auffassung, nach der das islamische Wissen über Gelehrte weitergegeben werden muss und nicht im Selbststudium erworben werden kann. Indem er die Lehrautorität bei den Culama¯’ lokalisiert, wendet er sich gegen alle Bewegungen, die die Deutungshoheit der religiösen Gelehrten über die religiösen Texte in Frage stellen. Hierzu zählen Intellektuelle und Autodidakten, die sich bisweilen als Imame oder Gelehrte verstehen,109 aber auch Akteure innerhalb der aktuellen salafistischen Strö109 Zu ersteren gehört in Frankreich beispielsweise der Algerier Mohammed Arkoun (1928–2010),

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mungen, die sich oftmals gegen das religiöse Establishment in islamischen Ländern stellen (Hatina 2006: 193). Im Laufe des Unterrichtsjahres widmete Chebel dem Thema Wissen und seinen Voraussetzungen eine eigene Lehreinheit (UM Civilisation Islamique II 01. 02. 2009), in der die oben genannten Aussagen konzeptionell vertieft wurden. Im Zentrum seiner Erklärungen stand dabei das Konzept des Caql, das er mit intellect übersetzte.110 Eine Annäherung an die Bedeutung des arabischen Caql sei über die Übersetzung von Substantiven möglich, die auf der gleichen Wortwurzel basieren, wie Chebel erklärt: Wie Caqa¯l eine Leine bezeichne, mit der Tiere angebunden würden, um sie am Entlaufen zu hindern, so binde der Caql den Menschen an die Wahrheit und verhindere sein Verirren (ebd.: 2). Fünf verschiedene, qualitativ aufeinander aufbauende Ausprägungen des Caql bezeichneten in der Folge den Weg einer stufenweisen Annäherung an das Wissen um die Wahrheit. Die beiden ersten Stufen seien allen Menschen angeboren: Die erste befähige zum rationalen Verstehen von abstrakten Zusammenhängen und wissenschaftlichen Erkenntnissen; die zweite ermögliche das Lernen aus Erfahrungen und sozialen Beziehungen (ebd.). Die dritte Stufe sei hingegen den Muslimen vorbehalten und ermögliche ihnen, die Offenbarung Allahs als Wahrheit zu erkennen. Wem diese Form des Caql gegeben sei, der könne sich nicht gegen den Islam entscheiden; wem Allah sie hingegen verwehre, der werde den Islam nicht annehmen (ebd.). Die vierte Stufe sei einer kleinen Gruppe unter den Muslimen vorbehalten, denen der Weg der spirituellen Erhebung („s’ lever spirituellement“) zu Gott eröffnet werde. Die fünfte und höchste Stufe des Intellekts schließlich sei allein Mohammed vorbehalten und habe ihm ein vollumfängliches Begreifen der göttlichen Offenbarung ermöglicht (ebd.: 3). Alltagspraktisches wie theoretisch-analytisches Wissen zur Orientierung in gesellschaftlichen Zusammenhängen wird also nicht in einem qualitativen Bruch zum Wissen um Gott und seine Offenbarung gesehen, das in zeitgenössischen europäischen Diskursen zumeist unter das Konzept des „Glaubens“ gefasst und mit dem des „Wissens“ kontrastiert wurde. Das Begreifen der islamischen Lehre als wahr ist vielmehr eine von fünf aufeinander folgenden Erkenntnisstufen; es wird auf einer graduellen Skala situiert, deren unterster Grad das alltagsweltliche Begreifen von Zusammenhängen und deren höchster das vollumfassende Verder in Algiers und Paris Literaturwissenschaft studierte und neben historischen Analysen in seinen Texten auch neue Lektüreweisen des Koran vorgeschlagen hat (z. B. Arkoun 1982). Ein in Frankreich sehr bekannter Imam, der sich als Autodidakt präsentiert, ist der in Bordeaux tätige Tareq Oubrou; auch Tariq Ramadan entspricht nicht dem klassischen Profil eines islamischen Gelehrten (vgl. Kapitel 4.1.). 110 Chebel erklärte in diesem Zusammenhang, das arabische Caql sei ein schwer übersetzbarer Begriff, der fälschlicherweise im Französischen oft mit „raison“ wiedergegeben werde. Das französische „intellect“ bezeichnete er als annäherungsweise angemessene Übersetzung und fügte hinzu, die Vernunft („raison“) sei nur ein kleiner Teil dieses Intellekts (UM Civilisation Islamique II 01. 02. 2009: 1 f.).

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stehen göttlicher Wahrheit durch den Propheten Mohammed ist. An anderer Stelle entzieht Chebel folgerichtig auch die Vorgaben der Scharia dem Bereich des „Glaubens“: Die Scharia sei kein „ich glaube dies, ich denke das“ („je crois ceci, je pense cela“); die Scharia sei eine exakte Wissenschaft („une science exacte“) (UM Civilisation Islamique II 26. 10. 2008: 2). Wissen und Wissenschaft gehen in diesem Modell mit der Erkenntnis von Wahrheit einher. Dies behaftet das von Chebel dringlich geforderte Streben nach Wissen mit einer existentiellen Dimension: Wer den Islam nicht annehme, so erklärt er an anderer Stelle, der sei zur Verdammnis verurteilt; wer hingegen als Muslim sterbe, dem gehöre das Paradies (UM Civilisation Islamique II 02. 11. 2008: 1; ebd. 11. 01. 2009: 3; ebd.: 15. 02. 2009: 1–4). Wissen ist Wissen um die Wahrheit und entscheidet über den postmortalen Aufenthaltsort des Menschen; Wissen nicht zu suchen oder nicht weiter zu geben, sei folglich gefährlich („dangereux“), so die Lehrperson an einer anderen Stelle (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 4). In verschiedenen Zusammenhängen stellte Chebel zudem eine intrinsische Beziehung zwischen Wissen und moralischem Handeln her. Wer den Weg zur Erkenntnis Allahs gehen wolle, so erklärte er, müsse sich von seinen schlechten Taten lösen (UM Civilisation Islamique II 02. 11. 2008: 1). An anderer Stelle betonte er, es sei wertlos, die islamische Wissenschaft lediglich zu kennen. Wichtig sei vielmehr, sie zu praktizieren und das Gute („le bien“) zu tun (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 3). Wer mit der Intention handele, Gutes zu tun, der besitze ein größeres Wissen um die Wahrheit Gottes als derjenige, der die Regeln des islamischen Rechts (fiqh) kenne (UM Civilisation Islamique II 19. 11. 2008: 1). Mehrfach ordnete Chebel den Bereich des guten Handelns dabei der Kategorie des spirituellen beziehungsweise des sufistischen Wissens zu, die er explizit als Synonyme bezeichnete (UM Civilisation Islamique II 01. 02. 2009: 3). Er führte dazu ein Hadith an, das der zweite rechtgeleitete Kalif Umar überliefert habe und in dem der Engel Gabriel und Mohammed während eines Dialogs über die notwendige Einheit von Islam, ima¯n und ihsa¯n überein gekommen seien (UM Civilisation Islamique I 19. 12. ˙ 2008: 1). Chebel übersetzte diese drei Elemente mit Praxis („pratique“), Glaubenslehre („tawh¯ıd“) und Spiritualität („spiritualit “). Er bezeichnete sie ˙ als die drei essentiellen Pfeiler des menschlichen Wissens: Der Mensch brauche Wissen im islamischen Recht, das die richtige Praxis aufzeige, sowie auf dem Gebiet der Glaubenslehre, welche die Konstitution der Welt erkläre. Beide Wissensfelder unterrichtete Chebel nach eigenem Bekunden im Rahmen seines Kurses Civilisation Islamique, die Kursteile zum fiqh deckten dabei die richtige Praxis ab und diejenigen zum tawh¯ıd das, was der Muslim über die Welt wissen müsse. Zusätzlich aber benötige ˙der Mensch spirituelles Wissen. Von diesem Wissen werde nicht viel geredet, weil es praktiziert werden müsse. Es lehre den Menschen vor allem zwei Dinge: erstens, das eigene Ego zu bezwingen, und zweitens, die Welt nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen zu sehen (UM Civilisation Islamique II 01. 02. 2009: 3). Die

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Überwindung des Egos beschreibt Chebel als den schwierigsten Schritt auf dem Wege der Annäherung des Menschen an Allah (UM Civilisation Islamique I 24. 11. 2009: 2). An anderer Stelle wird die Bezwingung des Egos mit der Fähigkeit zu Aufrichtigkeit, zur Verbreitung der Wahrheit um der Wahrheit willen sowie dem Ausführen guter Taten um Allahs willen verbunden: Am Tage des Jüngsten Gerichts, so die Lehrperson, werde Allah die Herzen ansehen – was ein Mensch äußerlich getan habe, zähle dann nichts (UM Civilisation Islamique I 09. 11. 2008: 1); wer hingegen nur die kleinsten guten Taten („des actes minimes“) umsetze, um seiner Umgebung Gutes zu tun, der besitze Spiritualität; der sei wahrhaft groß (ebd.). Welche Handlungen konkret als „Gutes tun“ gelten, obliegt nicht, so legen es die obigen Aussagen nahe, der Interpretationsmacht des Menschen. Vielmehr ist dem Menschen von Gott offenbart worden, was zu tun obligatorisch, empfohlen, nicht empfohlen oder verboten ist.111 „Gutes tun“ ist vielmehr an die Intention für die Ausführung dieser Vorschriften gebunden: Wer das nötige spirituelle Wissen besitzt, das es ihm ermöglicht, die offenbarten Pflichten selbstlos und um Allahs Willen umzusetzen, der erfüllt die Bedingungen hierfür, auch dann, wenn er in der konkreten Umsetzung von intendierten Taten bisweilen scheitern sollte (ebd.). Die zweite Dimension, die Chebel neben der Überwindung des Egos mit dem spirituellen Wissen verband, ist das Sehen mit dem Herzen, das er konkret als Wahrnehmung der Präsenz Gottes in allen Dingen definierte. Während die Augen nur Blumen sehen, erblicke der spirituelle Mensch in ihnen die Schönheit Gottes. Wer mit dem Herzen sehe, der sehe viele Dinge, so an anderer Stelle, die den Augen verborgen bleiben (UM Civilisation Islamique I 09. 11. 2008: 1). Auf diese Weise präsentierte Chebel ein vereinfachtes, komplexer Lehren entledigtes Verständnis von Sufismus, das sich im Alltag eines jeden Muslim manifestieren könne und sollte. Mit den beschriebenen Aussagen rekurrierte Chebel zum einen auf die Lehre von Ben Badis, der, wie oben dargestellt, ebenfalls eine schnelle und effektive Verbreitung islamischen Wissens gefordert und damit zugleich eine koranisch begründete moralische Erziehung des Muslims intendiert hatte. Die beschriebenen Vorstellungen sind jedoch auch aktuell und außerhalb Algeriens verbreitet: Meir Hatina hat in diesem Zusammenhang auf den zentralen Stellenwert von Bildung und Wissen bei muslimischen Akteuren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und insbesondere unter den Anhängern der Muslimbrüder der 1930er und 1940er Jahre hingewiesen (Hatina 2006: 181). 111 Nach einem weit verbreiteten Verständnis kann jede menschliche Handlung innerhalb des Systems der „fünf Statute“ (al-ahka¯m al-khamsa) entweder als erlaubt, empfohlen, neutral, ˙ abzuraten oder verboten klassifiziert werden (Schacht 1960: 257). Diesem Verständnis folgend führte auch Chebel in seinem Unterricht diese fünf Kategorien ein (UM Civilisation Islamique I 16.11.08: 3) und rekurrierte im Laufe der folgenden Unterrichtsstunden regelmäßig auf sie, um konkrete Handlungen zu klassifizieren.

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Im Kontext massiver Präsenz „westlich-hedonistischer“ Praktiken im ägyptischen Alltag und schließlich in Reaktion auf die neuen arabischen Regime, die als Protegierte des westlichen Imperialismus galten, wurde von muslimischen Intellektuellen die Forderung erhoben, sich hiervon abzugrenzen und eine von der europäischen verschiedene, authentisch-islamische Identität zu stärken (ebd.: 181 f.). Dabei dominierte laut Hatina die Überzeugung, dass dieses Ziel vor allem durch ein ganzheitliches Konzept von Bildung erreicht werden könne; eine Bildung, welche Seele und Körper reinige und den Muslim zu Rechtschaffenheit und Wohlwollen gegenüber anderen führe (ebd.: 182). Diese Vorstellung verbreitete sich schließlich in vielen arabisch-islamischen Ländern (ebd.). Dies zeigen auch die Analysen von Bradley J. Cook: Cook erklärte, dass viele Redner auf der ersten Weltkonferenz für islamische Bildung in Mekka 1977112 die Verbreitung spezifisch islamischen Wissens und islamischer Bildung für die aktuell wichtigste Herausforderung der Muslime hielten (Cook 1999: 342). Das zugrunde liegende Verständnis von Wissen und Bildung beschreibt Cook auf folgende Weise: Education, as envisaged in the context of Islam, claims to be a process which involves the complete person, including the rational, spiritual and social dimensions of the person. As discussed previously, Islam provides a complete code of life and strives for a balanced, harmonious weltanschauung represented by the concept of tawhid. The comprehensive and integrated approach to education in Islam strives to produce a good, well-rounded person aiming at the balanced growth of the total personality…through training Man’s spirit, intellect, rational self, feelings and bodily senses … such that faith infuses into the whole of his personality (AlAttas 1979: 158). In Islamic educational theory the general objective of gaining knowledge is the actualization and perfection of all dimensions of the human being (Cook 1999: 345).

Wie bei Chebel wurde der Islam also auch hier als ganzheitliche Lebensweise und Weltanschauung konzeptualisiert. Aus dieser Vorstellung wurde dann die Forderung nach einem spezifisch islamischen Bildungsmodell abgeleitet, das den Muslim nicht nur in seinen rationalen Fähigkeiten, sondern auch sozial und spirituell erziehe und ihn auf diese Weise zu einem guten Menschen mache. Die Konferenzteilnehmer, so Cook, forderten eine unbedingte Verknüpfung von intellektuellem mit spirituellem Wissen und lehnten westliche Bildungssysteme mit der Begründung ab, sie würden nur die ratio in Betracht ziehen und die „spirituelle Erziehung“ des Menschen völlig aus ihren Zielsetzungen ausklammern (ebd.: 346 f.). Auch der Bereich des rationalen Wis112 Die neuntägige First World Conference on Muslim Education wurde von der saudi-arabischen King-Abdalaziz-Universität sowie der Islamischen Weltliga ausgerichtet und hatte zum Ziel, Grundlagen und Umsetzungsmöglichkeiten einer spezifisch islamischen Bildung und Erziehung zu definieren. Auf diese Konferenz folgten weitere in Islamabad (1980), Dhaka (1981), Jakarta (1982) und Kairo (1987) (Grundmann 2010: 25).

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sens selbst wurde von ihnen völlig anders und in direkter Ablehnung europäischer Bildungsmodelle definiert. Chebel verortete sich also in Diskurspositionen, die unter islamischen Akteuren verbreitet sind und in dezidierter Abgrenzung von Wissens- und Bildungskonzepten definiert wurden, die man als westlich klassifizierte. Dabei übernahm er zudem ein in sunnitisch-islamischen Debatten weit verbreitetes Konzept von Vernunft, wie im Folgenden weiter erläutert wird. Seine Vorstellungen von Vernunft und Wissenserwerb dienten Chebel jedoch nicht nur dazu, sich von hegemonialen Bildungskonzepten in Europa abzugrenzen und den Studierenden am Institut al-Ghazali damit einen in Europa und zu Europa alternativen islamischen Weg vorzuschlagen. Mittels dieser Konzepte positionierte er sich zudem in innerislamischen Debatten und markierte konkret die Abgrenzung des von ihm vertretenen Islam zum Wahhabismus und zur MuCtazila.

4.3.5. Der Islam als Religion der (anderen) Vernunft Der Islam sei eine Religion der Vernunft und die Sunniten hätten sich im Laufe der Geschichte stets als Meister der Vernunft („les ma tres de la raison“) erwiesen, so Chebel im Laufe seines Unterrichts (Civilisation Islamique I 09. 11. 2008: 3). Die Aufgabe der Vernunft und die Bereiche, in denen sie vorherrschen sollte, sind laut Chebel stets an den Absolutheitsanspruch der islamischen Offenbarung geknüpft, die nicht in Frage gestellt werden darf (ebd.: 4). In einem zentralen Punkt folgen die Ausführungen von Chebel demnach dem Modell, das von Verfechtern eines spezifisch islamischen Bildungswesens seit den 1980er Jahren vertreten wurde: der Ablehnung der Relativität allen Wissens, die als typisch für die europäischen Bildungssysteme angesehen wird. Die Akzeptanz einer Vielzahl von persönlichen Überzeugungen ohne Referenz auf eine absolute Wahrheit sei ein Charakteristikum all jener Systeme, die der Islam ablehne, denn auf einer Werterelativität wie sie für das Wissensverständnis des Westen charakteristisch sei, könne keine stabile Zivilisation gebaut werden (vgl. Cook 1999: 348 f.). Chebel verurteilte die „okzidentale Bildung“ nicht in dieser Deutlichkeit. Seine Aussagen zur Scharia als exakter Wissenschaft und zu den in letzter Konsequenz unwissenschaftlichen Methoden westlicher Forscher offenbaren jedoch eine ähnliche Auffassung. Dass die islamische Offenbarung auch bei Chebel absolut gesetzt ist, verdeutlichen seine einschlägigen Kommentare: Zu den Fragen, auf die Allah dem Menschen eine Antwort geben wolle, existiere ein offenbarter Text (Civilisation Islamique II 11. 01. 2009: 2). Da wo die Offenbarung aber schweige, solle Wissenschaft nicht betrieben werden, denn für Allahs Zurückhaltung in diesen Fragen

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gebe es einen Grund.113 Die Abgrenzung eines Offenbarungsbereichs, der der menschlichen Vernunft nicht zugänglich ist, hatte auch Muhammad CAbduh in ähnlicher Weise aufgegriffen (Zubaida 2003: 144). Chebel nannte als Beispiel die Seele des Menschen, zu deren Beschaffenheit Allah keine Informationen offenbart habe. Es sei folglich davon abzuraten und einigen Gelehrten zufolge sogar verboten, über die Natur der Seele zu reden (ebd.). Bei anderer Gelegenheit lehnte Chebel darüber hinaus persönliche Meinungen und Ansichten in allen Fragen ab, zu denen es eine textliche Offenbarung gibt: Der gläubige Muslim habe mit allem, was die Texte offenbarten, einverstanden zu sein. Glaubensinhalte abzulehnen, die man nicht gut finde, sei eine große Sünde (ebd.: 11. 01. 2009: 2; 18. 01. 2009: 1, 3). Zweifel an islamisch offenbarten Wahrheiten seien nicht nur verwerflich, sondern ein so großes Vergehen, dass dieser Moment des Zweifelns gleichbedeutend damit sei, den Islam verlassen zu haben („on est sorti de l’islam“), so die Lehrperson weiter (ebd. 25. 01. 2009: 3). Wer sich dabei ertappe, an der Offenbarung zu zweifeln, müsse daraufhin die großen rituellen Waschungen vollziehen, um den Status des Muslimseins wieder zu erlangen (ebd.). Der Vernunft kam Chebel dabei einzig die Aufgabe zu, die offenbarten Texte zu erklären oder zu verteidigen. Mehrmals grenzte er die sunnitische Tradition in diesem Zusammenhang von der MuCtazila ab, deren Anhänger das richtige Verhältnis von Vernunft und Offenbarung umgekehrt hätten: Bei ihnen sei die Offenbarung von der Vernunft abhängig, doch dies sei falsch (UM Civilisation Islamique II 22. 11. 2008: 1).114 Das Ziel sei stets der Text, dem die Vernunft unterlegen sei (UM Civilisation Islamique I 25. 10. 2009: 5; 01. 02. 2009: 1). Die Offenbarung, so Chebel weiter, enthalte weder in sich Widersprüche noch könne sie im Widerspruch zu historischen Ereignissen oder Erkenntnissen der Wissenschaften stehen. Wenn ein Sunnit sich auf einen offenbarten Vers beziehe, so die Lehrperson an anderer Stelle, dann stets, um ihn zu verteidigen, und nie, um an ihm zu zweifeln. Zur Verteidigung eines Verses aber, so die Lehrperson weiter, sei eine rationale Argumentation notwendig, diese sei das Hilfsmittel der Vernunft (ebd.: 09.11.08: 1). Für diese Aussage beruft sich Chebel auf Abu al-Hasan al-Aschari (gest. 935), der die Methoden der rationalen Argumentation in das Sunnitentum gebracht habe, um seine Lehren gegen die MuCtazila zu verteidigen. Schließlich sei es irgendwann nicht mehr möglich gewesen, und dies gelte bis heute, einem Ungläubigen einen Vers zu geben und ihm zu sagen, er solle daran glauben. Eine Argumentation sei erforderlich, um ihn zu überzeugen (UM Civilisation Islamique I 09. 11. 2008: 1). Tatsächlich war diese Auffassung von Al-Aschari 113 Diese Aussage bezog sich auf Fragen der Glaubenslehre (tawh¯ıd). Im Bereich des islamischen ˙ Rechts (fiqh) ist sie nur begrenzt gültig, wie in Kapitel 4.3.6. gezeigt wird. 114 Das Postulat der Abhängigkeit aller offenbarten Texte von der Vernunft ist eine verkürzte Wiedergabe der Positionen der frühen MuCtazila, deren Anhänger keine von den Prämissen der Offenbarung unabhängige Spekulation forderten, sondern zumeist wie ihre Gegner ein angemessenes Verständnis des koranischen Textes zu verteidigen suchten (vgl. Gimaret 1993).

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vertreten115 und zugleich von den Reformdenkern Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts repopularisiert worden. Sie behaupteten eine Kompatibilität von Offenbarung und rationaler Wissenschaft (Malek 1991: 62); wie AlAschari hatten sie die rationale Argumentation dabei vor allem als ein Instrument zur Verteidigung der islamischen Lehre verstanden (ebd.: 65 f., 91 f.).116 Dieses Grundverständnis bildet bis heute unter den islamischen Gelehrten vieler Länder eine hegemoniale Position, wie Nasr Hamid Abu Zaids Islam und Politik. Kritik des religiösen Diskurses (1992) eindrücklich gezeigt hat. Dabei sei jedoch angemerkt, dass die von CAbduh initiierte Integration muCtazilitischer Konzeptualisierungen von Vernunft insbesondere im Bereich der Adaptation des Zivil- und Handelsrechts (muCa¯mala¯t) an aktuelle Kontexte weite Verbreitung gefunden hat (Zubaida 2003: 144; vgl. Kapitel 4.3.6.). Die Auffassungen von Chebel entsprechen Positionen, die durchaus bekannt sind und auch in aktuellen Diskursformationen als islamisch-orthodox gehandelt werden. Gleichzeitig aber, um nun auf Chebels Verhältnis zum französischen Diskursumfeld zurückzukommen, entsprechen sie jedoch keinesfalls den Vorstellungen von Wissenserwerb und Vernunft, die sich in europäischen Diskursformationen als hegemonial durchgesetzt haben. Die Setzung der offenbarten Texte als absoluter Referenzpunkt entzieht diese jeglicher Historisierungsmöglichkeit (Abu Zaid 1992: 81–98) und wird in europäischen Diskursen oftmals mit dem Label des „Fundamentalismus“ belegt.117 115 Al-Aschari hatte zum ersten Mal umfassend und in einer für seine Umgebung akzeptablen Form die rationale Argumentation (kala¯m) zur Verteidigung der islamischen Lehre gefordert (Watt 1960). 116 Ein bedeutender Denker war in dieser Hinsicht Muhammad Abduh, der zugleich weiter ging als die meisten seiner Schüler: So näherte er sich an verschiedenen Stellen den Positionen der MuCtazila an und vertrat beispielsweise die Vorstellung von der Erschaffenheit des Koran; zudem relativierte er die unter sunnitischen Gelehrten hegemoniale Vorstellung von der Vorherbestimmung aller menschlichen Taten (Schacht 1993b). Diese Positionen sind jedoch bereits von seinen Schülern wieder aufgegeben worden und werden auch von Chebel scharf als muCtazilitische Irrlehre verurteilt (zur Vorherbestimmung aller Akte vgl. UM Civilisation Islamique I 21. 12. 2008: 1; zur Unerschaffenheit des Koran: ebd. 01. 02. 2009: 1). 117 Die Ablehnung einer historisierenden Kritik an der Bibel, die Deutung der biblischen Erzählungen als historische Fakten, ein Verständnis biblischer Aussagen als Referenzpunkt, an dem sich alle wissenschaftlichen und rationalen Überlegungen messen müssen, sowie schließlich die Überzeugung, dass kein rationaler Widerspruch zwischen naturwissenschaftlichen Ergebnissen und der Schrift existieren kann, waren Positionen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Fundamentalisischen Christen in den USA vertreten und also direkt mit dem Signifikanten des „Fundamentalismus“ (als Selbstbezeichnung) in einen Zusammenhang gestellt worden sind (vgl. Geldbach 2001). Diese Merkmale gingen spätestens Ende der 1970er Jahre in ein allgemeines Verständnis von Fundamentalismus ein, das sich nun in Medien und Wissenschaft ausbreitete und auf andere Religionen übertragen wurde (Antes 1997). Auch Bassam Tibis Definition des Begriffs Fundamentalismus kommt diesem Verständnis nahe: „,ich denke, also bin ich‘, wird von allen Fundamentalisten zurückgewiesen, weil für sie nicht die Ratio, sondern nur die religiöse Schrift als Quelle der Erkenntnis gilt, sola scriptura‘“, so Tibi z. B. in Fundamentalismus im Islam (Tibi 2000: 13).

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Versuche, Chebels Argumentation eindeutig im Diskurs zu verorten, erweisen sich bei genauerem Hinsehen jedoch als schwierig. Obwohl viele seiner Prämissen vor allem in Europa mit dem Identitätsmarker des „Fundamentalismus“ verknüpft werden können, so verortet Chebel seine Lehre zugleich im „Islam der Vernunft“ und grenzt diesen von der Religion der Wahhabiten ab. Chebel erklärt, bei den Wahhabiten folge jeder seiner eigenen Vernunft, ohne Regelleitung, auch wenn sie das verneinten und sich als Literalisten ausgäben, die nur den Text gelten lassen und seine rationale Deutung verbieten würden (UM Civilisation Islamique I 21. 12. 2008: 2). Eine derartige Konzeptualisierung des sunnitischen Islam als einer Religion des Wissens und der Vernunft, die der wahhabitischen Forderung nach einer Konzentration auf den Text entgegensteht, weist rhetorische Parallelen zu öffentlichkeitspolitisch relevanten Argumentationen in Frankreich auf, was den Islam Chebels im Diskurs vielmehr als aufgeklärt-moderat positionieren würde. Wie in Kapitel 3.1.1. beschrieben, hatten sogar Politiker wie der algerische Präsident Bouteflika einen Islam der Rationalität proklamiert (vgl. Kapitel 3.2.4.); in Frankreich würde das Streben nach Wissen, Aufklärung und die Betonung der Vernunft ohnehin als europakompatibel sowie als Zeichen der Abkehr von radikalen Auslegungen gewertet. Diese Situierung wird zudem durch die in anderen Zusammenhängen geäußerten Meinungen Chebels gefestigt, die Wahhabiten lebten im siebten Jahrhundert (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 4) oder die Sunniten strebten eine Anpassung an die Moderne an, weil sie nicht im Mittelalter leben könnten so wie es sich die Wahhabiten vorstellten (UM Civilisation Islamique I 22. 11. 2008: 1).118 An dieser Stelle sei noch einmal an die in Teil 3 analysierte Aussage Dalil Boubakeurs zur dichotomischen Unterscheidung zwischen den „musulmans clair s“ und den „musulmans ignorants“ erinnert, mit der sich der Moscheerektor an die Öffentlichkeit gerichtet und die GMP als Repräsentantin des guten, aufgeklärten Islam verteidigt hatte: La brisure est au cœur mÞme de la communaut musulmane, entre ceux, d j clair s, qui pensent qu’un souffle puissant pousse l’Islam vers sa lumi re, vers son soleil, et ceux, encore ignorants, qui voudraient le ramener toute force dans l’ombre et dans la nuit (Boubakeur 2002: 19).

Mit diesem Zitat, dessen Anspielung auf französisch-aufklärerische Rhetorik in Teil 3 besprochen worden ist, würde sich zweifelsohne auch Chebel identifizieren können. Nur werden in seiner Argumentation die „ignoranten Muslime“ mit den „Wahhabiten“ assoziiert. Ferner wäre seine eigene Lehre, die er der Seite der guten Muslime zuordnen würde, nicht mit den Prämissen der Aufklärung kompatibel, wie sie von einem nichtmuslimischen, französi118 Diese Aussage fiel im Zusammenhang mit Ausführungen zum islamischen Recht und seiner notwendigen Anpassung an aktuelle Kontexte. Zur diesbezüglichen Argumentation, die von derjenigen zu den Glaubensinhalten teils abweicht, vgl. Kapitel 4.3.6.

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schen Publikum verstanden würde. Die Standpunkte von Chebel sind, wie gezeigt wurde, vielmehr in einer weltweit häufig als orthodox betrachteten Lehre verortet, die in europäischen Diskursformationen zudem eher als fundamentalistisch klassifiziert werden würde. Die transnationale Verflochtenheit von Diskurspositionen in den öffentlichkeitspolitischen Argumentationen in Frankreich und Algerien, zum anderen aber auch von französischen und reformislamischen Identitätskonzepten führt folglich zu einer paradoxen Situation: Chebel kann Aussagen vertreten, deren Rhetorik von französischer Seite aus mit Aufklärung und Fortschritt identifiziert würden, in Wirklichkeit aber ihr Gegenteil bedeuten. Eine auf den ersten Blick mit französischen Forderungen kompatible Aussage unterwandert sich somit selbst, weil ihre einzelnen Elemente in islamischen Kreisen in Abgrenzung zu diesen Forderungen definiert worden sind. Diese Überlegungen sollen nun abschließend durch die Analyse der „islamischen Praxis“ bei Chebel ergänzt werden, durch die er seine Lehre ähnlich wie Malak zwar in Ablehnung zu der ihn umgebenden Kultur, jedoch als innerhalb dieser Kultur lebbare Alternative konzeptualisiert. 4.3.6. Reinheit und die Sunnaisierung des Alltags Die rechtsbezogenen Ausführungen, die Chebel in den Kursen Civilisation Islamique I und II traf, konzentrierten sich auf die individuellen Pflichten des Muslims. Im Fokus standen die drei Themenbereiche rituelle Waschungen, Gebet sowie die Speisegebote. Neben der Erläuterung des korrekten Ablaufs von Gebet und Waschungen nutzte Chebel den Großteil der Unterrichtszeit, um auf Sonderregelungen und Ausnahmebestimmungen hinzuweisen. Er orientierte sich dabei sehr genau an einem Kommentar zum malikitischen Mukhtasar Khalı¯l aus dem 20. Jahrhundert und ordnete die jeweiligen Mehr˙ und Minderheitenmeinungen der malikitischen Tradition jeweils dem Status (hukm) des Vorgeschriebenen („al-wa¯djib“), des Verbotenen („al-hara¯m“), ˙ Empfohlenen („al-mustahab“), des Abgeratenen („al-makru¯h“) sowie ˙ des des ˙ Erlaubten („muba¯h“) zu. So wurde detailliert besprochen, welche Färbungen ˙ für die kleine und große rituelle Waschung („wudu¯B“ bzw. und Gerüche Wasser ˙ ist, das „ghusl“) ungeeignet werden lassen, in welchen Situationen es erlaubt Wasser durch Sand zu ersetzen („tayammum“, trockene Waschung), wo und wie man sich in der Moschee zum Gebet platzieren sollte (UM Civilisation Islamique II: 30. 11. 2009: 2) oder was man essen und trinken darf (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 3). Die Ausführungen betrafen bisweilen auch Aspekte, die innerhalb des französischen Lebenskontextes nicht von direkter Relevanz waren, wie beispielsweise die Frage, inwiefern eine Unterbrechung des Gebets erlaubt ist, wenn der Betende bestimmte Skorpionarten auf sich zulaufen sieht (UM Civilisation Islamique II 21. 12. 2008: 1) oder inwiefern das Gebet zu Hause verrichtet werden soll, wenn es wahrscheinlich ist, dass der

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Gläubige auf dem Weg zur Moschee Wölfen und anderen wilden Tieren begegnet oder dass im Kriegszustand auf den Straßen geschossen wird (UM Civilisation Islamique II 16.01.09: 1). Großenteils wurden die islamrechtlichen Regelungen jedoch auf alltagspraktische Problemstellungen bezogen, die die Muslime in Paris unmittelbarer betrafen wie beispielsweise die Frage, ob eine Unterbrechung des Gebets erlaubt ist, um eine SMS zu lesen oder wenn sich ein Kind im Nebenzimmer an einem heißen Ofen die Hände verbrennt (UM Civilisation Islamique II 21. 12. 2008: 1). Im Zentrum dieser Ausführungen stand oft das Thema der Reinheit. Die große Mehrheit der erläuterten Regelungen bezog sich auf Situationen, in denen rituelle Reinheit erworben werden musste (z. B. vor dem Gebet oder der Koranlektüre). Andere Regelungen, die Chebel erläuterte, gingen auf die Substanzen ein, die Speisen oder Menschen bei Berührung unrein machten (UM Civilisation islamique I 16. 11. 2008: 1–3, 01. 03. 2009: 1) oder sie handelten von Situationen, in denen der Gläubige die Reinheit verliert und sie wieder herstellen muss, z. B. nach absichtlicher Berührung einer nichtverwandten Frau (UM Civilisation Islamique I: 18. 01. 2009: 2). Die notwendigen, empfohlenen und abgeratenen Schritte, die zum Erhalt oder zur Herstellung ritueller Reinigung notwendig sind, wurden ebenfalls detailliert behandelt. Hierzu gehörten neben der kleinen und der Ganzkörperwaschung auch das Auswechseln von Kleidung sowie Schuhen und ähnlichem (UM Civilisation Islamique I: 30. 11. 2008: 1 f.; 18. 01. 2009: 1 f.). Am Beispiel der rituellen Waschungen stellte Chebel zudem eine Verbindung zwischen innerer und äußerer Reinheit her. So erklärte er nach einer Unterrichtsstunde, ein Nichtmuslim könne kaum die reinigende Wirkung verstehen, die die wudu¯B für Körper und Seele habe. Die wudu¯B zu vollziehen, so Chebel an anderer˙ Stelle, ˙ sei zugleich ein Zeichen des Respekts und es sei empfohlen (mustahab), sie ˙ Lehrer zum Beispiel vor einem Treffen mit dem Imam oder einem religiösen oder vor dem Besuch eines Kurses zum Islam auszuführen: Auf diese Weise bereite sich der Gläubige innerlich vor (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 5). Chebel charakterisierte die wudu¯B zudem als ein Mittel, mit dem sich ˙ schützen könne. So erklärte er, wer der Muslim wirksam vor seiner Umgebung B die wudu¯ mache, bevor er einen Politiker treffe, bringe einerseits seinen Respekt˙ vor dieser Person zum Ausdruck, andererseits aber sei die Waschung auch ein Schutz für den Muslim, dem so die Angst vor der Begegnung genommen werden könne. „Le wudu¯B, c’est l’arme du croyant“, so Chebel in diesem Zusammenhang (ebd.); kö˙rperliche und spirituelle Reinheit bedeuten Nähe zu Gott und zugleich ein Schutzschild gegen die Gefahren, die in der Umgebung lauern: wie beispielsweise die französischen Frauen, die im Sommer nur leicht bekleidet umher laufen und in den Straßen unweigerlich in das Blickfeld des Muslim geraten obwohl letzterer sie gar nicht sehen dürfe (ebd.). Auch unabhängig von Fragen der rituellen Reinheit betonte Chebel den Stellenwert, den Hygiene, Sauberkeit und Schönheit im Leben eines Muslims

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einnehmen sollten. So erklärte er, es gezieme sich für den Muslim und gegebenenfalls auch für die Muslimin, vor einem Besuch in der Moschee die Finger- und Fußnägel zu schneiden, den Schnurbart zu richten, den Bart ordentlich zu rasieren, sich mit dem siwa¯k119 die Zähne zu putzen, Parfüm zu benutzen (nur für Männer), und schließlich die schönsten Kleider und möglichst eine weiße Bluse anzulegen (UM Civilisation Islamique II 09. 02. 2009: 2). Chebel fasste diese Ausführungen mit der Aussage zusammen: Der Muslim sei kein Wilder („sauvage“), er müsse immer sauber sein: „L’islam, c’est une religion d’hygi ne par excellence“ (ebd.).

Über diese Thematiken hinaus stellten die Studierenden Chebel immer wieder Fragen, die auf eine Einordnung von alltäglichen Verhaltensweisen und Entscheidungen in die Kategorien des Erlaubten, des Verbotenen, des Empfohlenen, des Abzuratenden oder des Vorgeschriebenen abzielten. Auf diese Weise positionierte Chebel sich bezüglich zahlreicher Verhaltensweisen, deren Legitimität unter Muslimen in Europa häufig diskutiert wird. So verurteilte Chebel beispielsweise das Hören von nichtislamischer Musik und lehnte auch das Spielen zahlreicher Instrumentenarten ab. Auch erklärte er, in welchen Situationen ein Muslim im Restaurant Alkohol ausschenken darf, welche Art Kleidung noch im Rahmen des Erlaubten oder Empfohlenen oder an welchen Banken die Eröffnung eines Kontos zulässig sei.120 Entsprechend seiner Auffassung, der Islam habe auf alles eine Antwort gegeben, untermauerte Chebel mit seinen präzisen Antworten noch einmal die Überzeugung, das islamische Normativität nicht nur alle Bereiche des alltäglichen Lebens durchziehe, sondern zudem stets konkret definiert werden könne. Auffällig ist auch bei Chebel der besondere Fokus auf nichtstaatlich regulierte Bereiche, in denen das Individuum Gestaltungsmöglichkeit besitzt. Hierzu gehören neben den individuellen Pflichten und Regeln bezüglich kultureller Bereiche wie Musik, Kino oder Theater auch die Verwaltung von Finanzen sowie das im Kurs seltener angesprochene Feld des Familien- und Erbrechts. So erklärte Chebel, wie Mann und Frau in einer Ehe miteinander umgehen sollten. Er stellte den gegenseitigen Respekt ins Zentrum, der alle Verhaltensweisen und Entscheidungen prägen sollte, erläuterte aber beispielsweise auch, in welchen Situationen der Ehemann nach islamischen Re119 Der siwa¯k ist ein kleiner Zweig des sogenannten Zahnbürstenbaums, den der Prophet Mohammed laut einem bekannten Hadith zur Zahnreinigung verwendet hatte. 120 Chebel gab jeweils differenzierte Antworten und knüpfte sie an verschiedene Bedingungen. So erklärte er es grundsätzlich als abratenswert, dass Muslime in einem Restaurant arbeiten, in dem Alkohol ausgeschenkt wird, fügte jedoch hinzu, dass dies umgekehrt empfehlenswert sei, wenn die Person keine andere Arbeit habe finden können und ihre Familie Armut erleide. Die Familie zu ernähren habe Vorrang. Zudem erklärte Chebel detailliert, was es bedeute, aufrichtig nach einer anderen Arbeit zu suchen und wann eine Familie tatsächlich Armut leide – wann also die Bedingungen für die Annahme des Jobs gegeben sind (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 2).

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geln das Recht habe, seiner Frau den Gang in die Moschee oder das Treffen mit einem unverheirateten Mann zu untersagen und in welchen nicht.121 In dem mit ihm geführten Interview erklärte er zudem, die zivile Ehe sei in Frankreich obligatorisch. Werde sie beschlossen, so müsse konsequenterweise auch die zivile Scheidung beantragt werden, wenn die Ehe beendet werden solle. Innerhalb des gesetzlich Erlaubten solle jedoch stets die Umsetzung islamischer Regeln angestrebt werden. So könne der Ehemann dann, wenn die Bedingungen dem islamischen Recht nach erfüllt seien, die islamische Verstoßung aussprechen. Wenn alles nach den Regeln vollzogen sei, könne die Scheidung vor dem französischen Gericht angegangen werden (INT CHE). Bei genauerer Betrachtung weisen die Ausführungen Chebels einige Verflechtungen mit Vorstellungen auf, die französische Akteure bereits im Zuge des Moscheebaus in den 1920er Jahren auf den Islam projiziert hatten: Wie in den kolonialpolitisch motivierten Repräsentationen, so wird der Identitätsmarker Muslim auch hier vor allem über körperliche und religiöse Praktiken definiert und vom säkularen Franzosen unterschieden: Muslime essen demnach anders, darüber hinaus waschen und kleiden sie sich besonders; sie halten sich körperlich und seelisch rein; im Zentrum steht das Gebet. Die Fokussierung auf die Ausrichtung des eigenen Lebens an islamrechtlichen Normen sowie die besondere Hervorhebung von Reinheitsvorschriften ist zugleich aber auch ein aktuelles globalislamisches Phänomen, das mit bisweilen eminenter Bedeutung für islamische und nichtislamische Regierungen bestückt ist: Wie in den 1920er Jahren für den Kolonialstaat, so bedeutet eine solche Schwerpunktsetzung auch für aktuelle Regierungen einen Rückzug der Muslime aus politischen Angelegenheiten und folglich auch aus Aktivitäten gegen den Staat. Thomas Gugler beschreibt diese Ausrichtung als einen global und aktuell in verschiedenen islamischen Gruppierungen zu beobachtenden Trend und bezeichnet ihn als die „Islamisierung der Individualsphäre“ bzw. die „Sunnaisierung“ des Alltags (Gugler 2012: 221), der er folgende, entpolitisierende Funktion zuweist: Sunnaisierung ist dabei eine apolitische Form durch Individualisierung und Privatisierung transformierter politischer Re-Islamisierung. Als Gegenentwurf zur politischen Re-Islamisierung könnte Sunnaisierung gegen Versuche der Politisierung immunisieren. Sie ermöglicht insbesondere muslimischen Jugendlichen und Kon121 Chebel wies darauf hin, dass in diesem Bereich viele Dinge mit dem Islam assoziiert würden, die in seiner Lehre gar nicht enthalten seien. Zwangsheiraten seien beispielsweise nicht islamisch. Basis für eine Ehe sei vielmehr gegenseitiger Respekt und gegenseitiges Verständnis. Innerhalb dieser Prämisse hielt Chebel jedoch an klassisch-islamrechtlichen Vorstellungen fest und erklärte beispielsweise, dass die Frau ihrem Mann generell gehorchen müsse, sofern dieser im Rahmen dessen bleibe, was die Religion erlaube. So könne er ihr dann verbieten, eine Moschee zu besuchen oder sich mit einem nichtverwandten Mann zu treffen, wenn er wisse, dass sie dort mit jemandem in Kontakt kommt, der sie verführen möchte. Suche er jedoch lediglich nach Vorwänden, so könne die Frau ihm widersprechen (UM Civilisation Islamique II 21. 12. 2008: 1).

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vertiten, in der demonstrativen Ablehnung westlicher Kulturgüter wie Radio, Fernsehgerät oder körperbetonter Kleidung autonom religionsspezifisches Authentizitäts-, Sozial- oder Vertrauenskapital zu generieren (ebd.).

Eine solche Ausrichtung aller Alltagsentscheidungen an den Vorgaben der religiösen Normen tritt beispielsweise auch in indopakistanischen Bewegungen wie der Tablighi JamaCat deutlich hervor (ebd.) und ist zudem ein zentrales Merkmal von Gruppierungen, die in der Forschung aktuell als quietistisch-salafistisch bezeichnet werden (vgl. Amghar 2011: 36–47). Diese folgen vor allem vom saudischen Staat unterstützten oder durch die saudische Monarchie popularisierten Gelehrten wie etwa Nasir al-Din al-Albani, Abd alAziz Ibn Baz, Muhammad Aman al-Jami oder, vor allem in Frankreich, seinem Schüler Rabi Ibn Hadi al-Madchali (Lacroix 2008: 59–64). Diese Personen zeichnen sich durch ihre unpolitische Haltung und zudem durch ihre unbedingte Loyalität zum saudischen Regime aus122 und sind in ihrer Fokussierung auf die Reinigung des Selbst sowie die Erziehung des Einzelnen in den Grundlagen der Religion (Amghar 2011: 36) ähnlich strukturiert wie die Lehre von Chebel. Die Interessens- und Themenbereiche, mit denen sich sogenannte quietistisch-salafistische Prediger in Frankreich an ihre Anhänger wenden und über die sie ihren Schülern einen in Frankreich praktizierbaren muslimisch-alternativen Lebensweg vorschlagen, weist in vielerlei Hinsicht Parallelen zur Lehrunterweisung Chebels auf. Die Positionen der saudisch orientierten Gelehrten wies Chebel jedoch inhaltlich ab und zog wie oben erwähnt eine scharfe Demarkationslinie zwischen ihnen und den Vertretern des Rechtschulenislam, dem er sich selbst zuordnete und den er in Frankreich zu verteidigen suchte. Chebel warf den Wahhabiten vor, die Sunna verfälscht zu haben und folglich nun eine falsche Praxis zu lehren. Diese Praxis würde die Muslime vom wahren Islam abbringen. Al-Albani hatte einen neuen Hadith-Kanon begründet, mit dem er das Vorhaben des saudischen Abd al-Wahhab (1702/ 122 Die genannten Gelehrten oder solche in ihrem Umkreis hatten sich teils seit den 1960er Jahren gegen das politische Programm der Muslimbrüder gewendet, die insbesondere aus Ägypten nach Saudi-Arabien kamen, nachdem sie von Präsident Nasser verboten und verfolgt worden waren (ebd.: 62 f.). Al-Albani zeigte zwar zunächst politisches Engagement, wandte sich schließlich jedoch davon ab, weil er der Meinung war, dies spalte die Muslime unnötig und trüge zu ihrer Schwächung bei. Für das saudische Königshaus war die apolitische Haltung dieser Gelehrten sowie ihr Aufruf an die Muslime, sich auf ihre Erziehung in den Grundlagen der islamischen Religion und die authentische Praxis zu konzentrieren, eine willkommene Haltung und sie unterstützen deren Lehre mit finanziellen Mitteln. Zu Beginn der 1990er Jahre konnten sich insbesondere Al-Jami und seine Anhänger einen gewissen Einfluss sichern und schließlich, abermals mit Unterstützung der saudischen Regierung, die Muslimbrüder aus den Universitäten verdrängen, die dort bereits seit einigen Jahrzehnten in der Lehre tätig waren. Die Jahre 1992/93 markieren den Beginn eines Exports dieser Denker und ihres Gedankenguts in viele weitere Länder. Ihre Positionen bilden die Basis eines neuen, dezidiert apolitischen Salafismus, der sich vor allem auch in islamrechtlichen Fragen von denen der Reformdenker ebenso wie der Anhänger der Rechtschulentraditionen unterscheidet (Lacroix 2008: 51–64).

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3–1792), die Religion von unrechtmäßigen Erneuerungen (bidCa¯t) zu reinigen, konsequent auf den Bereich des islamischen Rechts (fiqh) anwenden wollte.123 Mit seinem Sifa al-nabı¯ hatte Al-Albani detaillierte Regeln für das Pflichtgebet (sala¯t) verö˙ffentlicht, die auf diesen Hadithen beruhten und die in einigen ˙ Details von den bisherigen Vorgaben innerhalb der vier Rechtschulen abwichen (Lacroix 2008: 58). Das Gebet nach diesen Vorgaben nannte Chebel das Gebet der Wahhabiten und verurteilte es aufs Schärfste. Ein Muslim müsse zwangsläufig einer der vier anerkannten sunnitischen Rechtschulen angehören und die Ciba¯da¯t nach den Bestimmungen ausführen, die ihre Gründer festgelegt haben. Das Leben der Rechtschulengründer habe ein großes Ereignis in der Menschheitsgeschichte dargestellt und ihr Wissen sei von einer Größe gewesen, die heute niemand mehr erreiche, so Chebel in diesem Zusammenhang (UM Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 2; 26. 10. 2008: 3). Die Erkenntnisse dieser Rechtschulengründer durch eigene Analysen zu ersetzen, wie es Al-Albani getan habe, wertete Chebel als gefährlichen Skandal: Ein Gebet, das im Detail nicht korrekt, das heißt nicht gemäß der Überlieferung ausgeführt werde, sei schließlich ungültig. Der Muslim, dem das Gebet falsch beigebracht werde, werde folglich zur Sünde verführt (UM Civilisation Islamique I 16. 11. 2008: 2). In diesem Zusammenhang wird noch einmal die existentielle Dimension des religiösen Wissens deutlich, von der Chebel mehrmals sprach. Dem Sunnitentum, in dem die islamrechtlichen Vorgaben seit den Anfängen der muslimischen umma unverändert überliefert worden seien, stellte Chebel den Salafismus beziehungsweise den Wahhabismus als eine noch junge, erfundene Tradition gegenüber. Ihre Anhänger seien in der absoluten Minderheit, verbreiteten aber ihre Lehren wirksam, weil Saudi-Arabien im Gegensatz zur Al-Azhar-Universität in Kairo ein sehr großes PropagandaBudget besitze (ebd.). Wer nach Mekka fahre, komme mit wahhabitischen Büchern zurück, was schlimm sei („C’est grave”) (ebd.). Der Bereich der Ciba¯da¯t diente Chebel somit als eine argumentative Ausgangsbasis, von welcher her er seine Lehre immer wieder als authentisch-malikitisch präsentieren und vom Identitätsmarker des „Wahhabismus“ abgrenzen konnte. Betrachtet man jedoch die Rechtspositionen sowie die Rechtsmethodologie, die Chebel für Gebiete außerhalb der Ciba¯da¯t vorschlägt, so ist der Bezug zur klassischmalikitischen Tradition weniger konstant. Zum einen fällt schnell eine Verortung in den Prämissen eines Rechtsverständnisses auf, das in den 1920er Jahren als Salafiyya Verbreitung fand und sich seinerzeit unter anderem gegen 123 Al-Albani bemängelte, dass der saudische Reformer Abd al-Wahhab sein Programm, die islamische Religion von Neuerungen zu befreien, auf Elemente der Glaubenslehre und insbesondere des tawh¯ıd beschränkt hatte, in islamrechtlichen Fragen jedoch der hanbalitischen ˙ Tradition verhaftet geblieben war. Demgegenüber forderte Al-Albani eine Reinigung der Sunna von falschen sowie schwachen Hadithen mittels einer detaillierten Kontrolle ihrer Überlieferungsketten. Schließlich predigte er eine Neuauslegung des Koran im Lichte dieses neuen Hadith-Korpus (Lacroix 2008: 55 f.).

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den Stellenwert richtete, den die Befolgung bestehender Rechtsmeinungen (taqlı¯d) bei den Rechtschulenanhängern hatte (Zubaida 2003: 144). So erklärte Chebel entsprechend einer von CAbduh vertretenen und von Rida aufgenommenen Position in einem Interview, dass nur die Ciba¯da¯t zeitlos seien, die Regelungen aller anderen Bereiche aber den aktuellen Lebensumständen angepasst werden müssten (INT CHE, Zubaida 2003: 144). Ein Muslim sowie ein einfacher Gelehrter („savant“), so führte er aus, müsse in diesen Bereichen den islamrechtlichen Bestimmungen eines mudjtahid124 folgen. Einem mudjtahid aber sei es verboten, eine Fatwa unhinterfragt zu befolgen. Vielmehr verpflichte ihn sein Wissen dazu, bestehende Rechtspositionen zu überprüfen und sie neu zu formulieren, wenn er zu einem anderen Ergebnis komme. Dies sei möglich, weil sich die gesellschaftlichen Umstände ändern und das Recht sich stets an diese anpasse. Ein Rechtsgelehrter müsse folglich auch genauestens die Zielsetzungen der Scharia (maqa¯sid al-sharı¯Ca) sowie die Rechtsmethodologie und insbesondere das Prinzip˙ des Gemeinwohls (maslaha)125 ˙ jedoch ˙ kennen.126 Chebels Verortung in dieser reformislamischen, inzwischen als orthodox-rechtschulenislamisch anerkannten Tradition, die jedoch au124 Als mudjtahid bezeichnete Chebel einen Gelehrten, der aufgrund sehr großer Kenntnisse im islamischen Recht von den übrigen islamischen Gelehrten als solcher anerkannt sei. Dazu müsse er mindestens die arabische Sprache perfekt beherrschen und einen Großteil von Koran und Sunna auswendig kennen. Im Interview erklärte Chebel zudem, der mudjtahid müsse zu dem Bereich, in dem er eine neue Rechtsmeinung formulieren möchte, alle bisherigen Positionen islamischer Gelehrter kennen und sich als Experte in den Prinzipien der islamischen Rechtsauslegung ausweisen (UM Civilisation Islamique II 26. 11. 2008: 2; INT CHE). 125 Das islamrechtliche Prinzip des Gemeinwohls gilt als besonders stark in der malikitischen Rechtschule verankert. Dennoch verweist seine Verwendung durch Chebel auf die Salafiyya zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Raschid Rida hatte das Konzept der maslaha als ein flexibles ˙ ˙ Werkzeug verstanden, das islamrechtliche Anpassungen an den aktuellen Kontext ermöglicht. Maslaha wurde dabei, auf etwas andere Weise als in klassischen Positionen, mit dem islam˙ ˙ rechtlichen Prinzip der Notwendigkeit (daru¯ra) zusammengedacht. Ein Beispiel hierfür findet ˙ sich auch in den Ausführungen Chebels: So erklärte er, dass Muslime in einem europäischen Land eigentlich nach dem islamischen Recht keinen Kredit aufnehmen dürfen, der später verzinst werde. Wenn aber, so Chebel, ein Muslim sich in seiner Umgebung umgesehen und keine islamische Bank ausfindig gemacht habe, so sei es ihm doch erlaubt, wenn er beispielsweise ein Haus bauen und damit einen sicheren Ort für seine Familie schaffen wolle. Der Muslim sei dann in einer Notsituation – er könne schließlich nicht auf der Straße schlafen, und das Prinzip des maslaha gebiete ihm, den Kredit aufzunehmen und das Haus zu bauen (UM ˙ ˙ Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 3). Nach früheren islamrechtlichen Auslegungen war das Prinzip der Notwendigkeit (daru¯ra) strikter definiert. Man musste in einer lebensbedrohli˙ chen Lage sein, damit es Anwendung fand. Das maslaha griff nicht (vgl. Hallaq 1999: 162–206; ˙ ˙ Zubaida 2003: 144–146). Mit der Konzeptualisierung dieses Prinzips entlang der Positionen, die vor allem Raschid Rida zu Beginn des 20. Jahrhunderts prominent vertreten hatte, schaffte auch Chebel eine Flexibilität, die eine einfachere Einpassung von Muslimen in verschiedene gesellschaftliche Kontexte ermöglicht. 126 Die Neukonzeptualisierung des islamischen Rechts zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist in der Forschungsliteratur bereits eingehend besprochen worden und wird an dieser Stelle nicht detailliert dargestellt. Es sei hier vor allem auf die Texte von Wael B. Hallaq (1999, 2009, 2010) verwiesen.

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ßerhalb der Ciba¯da¯t nicht vornehmlich auf malikitische Positionen ausgerichtet ist, wird auch an den Referenzen deutlich, die Chebel zu Beginn des Unterrichtsjahres als rechtweisend angab: Demnach solle man sich am Europäischen Fatwarat, an der Al-Azhar-Universität, an der Al-Zaituna, der AlQarawiyyin oder lokalen Instituten orientieren (Civilisation Islamique I 19. 10. 2008: 3; INT CHE). Diese Aussagen bestätigen die in Kapitel 4.1.3. herausgestellte Verortung des Institut al-Ghazali im Kreise der großen Institutionen, die in vielen islamischen Ländern als Vertreter der „Orthodoxie“ gelten und auf unterschiedliche Weise die Prämissen von Reformdenkern wie Raschid Rida und in geringerem Maße Ben Badis aufgegriffen und fortgeführt haben. Sie verweisen zudem auf die Ansiedlung im Umfelde reformislamischer Gruppierungen wie der UOIF, für die der Europäische Fatwarat ebenfalls eine zentrale Referenz darstellt. Die Ausführungen zur Islaminterpretation Chebels zeigen genau wie jene des vorherigen Kapitels 4.2. auf, dass die komplexe Verflochtenheit französischer, algerisch-reformislamischer und darüber hinaus international verbreiteter Identitätsmarker mit ihren Überschneidungen sowie Abgrenzungen voneinander letztlich zu einer vielfältigen Rezeptions- und Verortbarkeit islamischmuslimischer Lehrpersonen in Frankreich führen. Auch Chebels Lehre kann kaum eindeutig einer Seite des im Diskurs aufgespannten Antagonismus zwischen französischer und algerisch-muslimischer Identität zugeordnet werden. Zwar definiert er den Identitätsmarker eines orthodoxen Rechtschulenislam als modern, nach Wissen strebend und vernunftsbetont. Bei genauerem Hinsehen erwiesen sich jedoch gerade diese zunächst mit französischen Erwartungen an den Islam kompatiblen Elemente als solche, die durch islamische Akteure in Ablehnung „westlicher Konzepte“ und Lebenswege entstanden sind. Auch diese Ablehnungen entspringen Auseinandersetzungen mit „dem Westen“, die in kolonialen Konstellationen wurzeln und sind mit europäischen Identitätskonzeptionen verflochten. Chebels islambezogene Lehren sind ein weiterer eindrücklicher Beweis für die globale Verflochtenheit von aktuell im Diskurs vertretenen Identitätsmarken, die eine eindeutige Verortung verhindern und die Rede von der Integration oder Nichtintegration einer Person und ihrer Positionen nahezu unmöglich machen.

5. Abschlussdiskussion Gegen eine solche Verschiebung des ursprünglichen Sinns in sein Gegenteil jedoch lässt sich kein Begriff und keine Idee immunisieren (Derrida in Münker/Roesler 2000: 175).

Die vorliegende Studie hat sich den diskursiven Konzeptualisierungen des Islam gewidmet, die verschiedene Akteure auf die Große Moschee von Paris (GMP) projiziert haben und gegenwärtig auf sie projizieren oder die an der Moschee vertreten werden. Ebenso wie andere Identität produzierende Kategorien wurden diese Konzepte des Islam als Identitätsmarker im Sinne von leeren Signifikanten nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe verstanden. Die „französische Republik“, der „algerische Muslim“, der „Orientale“, der „Salafist“ oder der „moderate Gläubige“ konnten so als diskursive Fixierungen gefasst werden, die einerseits stets temporär und umstritten sind, deren Konstitution sich andererseits aber festigt: Durch diese Stabilisierung im fluiden, diskursiven Geschehen werden die Identitätsmarker zu einem mächtigen Instrument von Macht oder Ausschluss von Macht. Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse der einzelnen Analyseteile zusammengefasst. Anschließend werden die Übertragbarkeit und die Reichweite dieser Ergebnisse besprochen. Dabei wird zum einen nach der Relevanz für die Forschung im Bereich Islam in Europa gefragt und zum anderen wird der Beitrag dieser Studie zu theoriebezogenen Problemstellungen in der Religionswissenschaft diskutiert. Zusammenfassung der Ergebnisse Im ersten Teil wurde der Identitätsmarker „Islam“ analysiert, den Vertreter der französischen Regierung in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg mit der GMP verknüpften und den sie mit dem Gebäudekomplex der Moschee sichtbar machen wollten. In einem ersten Schritt wurde gezeigt, dass dieser Identitätsmarker eng an die imperialen Ambitionen Frankreichs in Nord- und Westafrika geknüpft war. Mit der Errichtung einer Moschee zur Sichtbarmachung der kolonialisierten Lebenswelten in Paris verliehen die Projektverantwortlichen zunächst der Vorstellung Ausdruck, dass die Identität eines Nordafrikaners vornehmlich über seine Zugehörigkeit zum Islam geprägt sei. Die Eröffnungsfeierlichkeiten der GMP wurden so auch dazu genutzt, um Frankreich und den Islam als zwei Entitäten zu schildern und sie einander gegenüberzustellen. Dabei wurde stets ihr freundschaftliches Verhältnis zueinander betont: So präsentierten die offiziellen Redner Frankreich als dem Islam gegenüber

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wohlgesonnen und die Kolonialisierung als Hilfestellung, die den muslimischen Bevölkerungen Nordafrikas Fortschritt und Wohlstand bringe. Der Muslim erschien in den offiziellen Reden als dankbar hierfür; so dankbar, dass er im Ersten Weltkrieg bereitwillig sein Leben opferte, um die Kolonialmacht zu verteidigen. Die Marker „Islam“ und „Frankreich“ wurden damit in ein Verhältnis gestellt, welches das Kolonialprojekt legitim erscheinen lässt und zugleich alternative Darstellungen der Realität in den Kolonien und Protektoraten verschwieg: Politische Konflikte und ein gewaltsames Vorgehen der französischen Regierung gegen Aufständische wurden ebenso wenig thematisiert wie der Nordafrikaner als politischer Akteur, der gegen die kolonialen Verhältnisse protestierte oder sie gar gewaltsam abzuschütteln suchte. In einem zweiten Analyseschritt widmete sich diese Studie der Beschaffenheit des Identitätsmarkers „Islam“, den die GMP aus der Perspektive ihrer Erbauer repräsentieren sollte. Die Vorstellungen der Projektverantwortlichen und Architekten konnten dabei in Diskurspositionen verortet werden, die bereits in vielen kolonialgeschichtlichen Zusammenhängen identifiziert und unter dem Begriff des Orientalismus diskutiert worden sind. Hierzu zählt die Idee, dass muslimisch geprägte Länder zum Orient gehören, dass sie exotisch, bunt, geheimnisvoll und vor allem anders als Europa seien. Ferner die Auffassung, dass der Muslim in seinen Traditionen verhaftet, unpolitisch und nicht fortschrittsorientiert sei und sein Leben in allen Bereichen nach den Vorschriften des Islam ausrichte. Der an der GMP repräsentierte Muslim war nicht Teil der französischen Gesellschaft. Die Vorstellung der Ganzheitlichkeit des Islam, der alle Lebensbereiche seiner Anhänger durchziehe und präge, manifestierte sich in der Konzeption des Gebäudekomplexes selbst. Die Große Moschee von Paris war nicht lediglich als Moschee, sondern als eine muslimisch-orientalische Stadt auf kleinem Raum konzipiert worden, die neben dem Gebetssaal ein hama¯m, ein Re˙ enthielt; eine staurant, ein Caf , mehrere Geschäfte, Bibliotheken und Gärten Lebenswelt, in der der Muslim auf ihm vertraute Weise studieren, sich waschen, essen und kleiden konnte. Interessant ist dabei, dass die Vorstellung von der prägenden Kraft des Islam letztlich auf das Individuum bezogen wurde; konkret auf seine körperlichen, religiösen und intellektuellen Bedürfnisse. Die Ganzheitlichkeit des Islam bedeutete nicht eine Einheit von Politik, Wirtschaft, Recht und Religion, wie sie von islamischen Akteuren dieser Zeit bisweilen vertreten wurde. Sie entsprach auch nicht den französischen Praktiken in Algerien, wo der gesellschaftsregulierende, rechtsprägende Anspruch des Islam implizit aufrechterhalten wurde, insofern die Muslime bis in das Jahr 1927 nicht der französischen Justiz, sondern dem Code de l’Indig nat unterstellt waren. Die Analyse der historischen Quellen zum Pariser Moscheebauprojekt hat vielmehr gezeigt, dass dem Islam hier im Vergleich zu den kolonialen Praktiken in Algerien eine deutlich reduzierte „Ganzheit“ zugeschrieben wurde: Eine, die den Muslim in seiner Andersartigund Nichtzugehörigkeit fixierte, die die Andersartigkeit aber innerhalb der

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rechtlichen Rahmenbedingungen Frankreichs leb- und verwaltbar machte. Die Fokussierung auf das Individuum, das sich in Studium und Gebet, aber auch in anderen Alltagspraktiken nach islamischen Normen richtet, hingegen aber keine Transformation gesellschaftlicher oder gar politischer Strukturen nach dem islamischen Recht anstrebt, wurde im weiteren Verlauf dieser Forschungsarbeit zudem als eine Vorstellung identifiziert, die auch bei den Lehrpersonen am Institut al-Ghazali wieder auftauchte, die also eine Art Leitkonzept bildet, das sich durch verschiedene Strömungen und Auslegungstraditionen des 20. Jahrhunderts zieht. Auch einige Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit der ehemaligen französischen Kolonien und Protektorate in Nordafrika konstruierten Politiker eine Vorstellung vom Islam, die innerhalb der Republik vertretbar ist, und lokalisierten diese bisweilen wieder an der GMP. Im zweiten Analyseteil der Studie (Teil 3) wurde zunächst die Rolle analysiert, die der Moschee von französischen Staatspräsidenten und Innenministern im Laufe der 1990er und 2000er Jahre zugewiesen wurde. Anders als zu Kolonialzeiten war die Verhältnisbestimmung zwischen nordafrikanischer beziehungsweise muslimischer Identität einerseits sowie französischer Identität andererseits nun zu einer nationalen Frage geworden. Die Institutionalisierung und Organisation islambezogener Angelegenheiten musste im Rahmen der französischen Gesetze und Rechtsstrukturen gelöst und die Debatten um die Andersartigkeit muslimischer Lebenswelten konnten nicht mehr auf außereuropäischem Terrain ausgetragen werden. Die öffentliche Charakterisierung der GMP war zudem nun expliziter von sicherheitspolitischen Überlegungen geprägt. Mit einer antagonistischen Trennung zwischen einem moderaten, in Frankreich akzeptablen und einem radikalen Islam, den es in seiner Entfaltung einzudämmen gelte, unternahmen die Innenminister zum einen den Versuch einer operablen Einteilung der muslimischen Akteure in Frankreich, auf deren Basis sie (sicherheits-)politisch relevante Entscheidungen fällen konnten. Zum anderen war der Identitätsmarker des „moderaten Islam“ auch ein normatives Konstrukt, mit dem Kriterien für einen innerhalb der Republik annehmbaren Islam aufgestellt wurden. In dieser Studie wurde gezeigt, dass dieses Konzept des moderaten Islam aus der Negation seines Gegenparts entstanden ist: Während der radikale Islam seinerseits als Gegenteil zum Identitätsmarker der französischen Republik bestimmt wird, stellte der moderate Islam – als dessen Gegenstück –, einen republikanischen Islam dar. Das Verhältnis des moderaten Islam zur französischen Republik unterlag dabei jedoch unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Bestimmungen. Es wurde zum Beispiel gezeigt, dass die sicherheitspolitisch motivierten Bestimmungen eines moderaten Islam, dessen Anhänger die Strukturen und Gesetze Frankreichs akzeptierten und Gewalt gegen Institutionen und Zivilisten ablehnten, teils durch Elemente wie kulturelle Offenheit, das Beherrschen der französischen Sprache und die Identifikation mit den republikanischen Werten ergänzt wurden. Es entstand jedoch eine eigentümliche Spannung zwischen dieser

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Identifikation des moderaten Islam und den Werten der Republik einerseits sowie der Aufrechterhaltung einer unüberbrückbaren Andersheit andererseits. Französische Politiker bestimmten die GMP sowohl in den 1990er als auch in den 2000er Jahren als eine Einrichtung, an dem ein moderater und ein mit den republikanischen Werten kompatibler Islam vertreten werde. Zugleich aber nahmen sie anlässlich ihrer Besuche an der GMP immer wieder ein kolonialpolitisches Narrativ auf: Demnach war die GMP der Ort, an dem der muslimischen Kriegstoten des Ersten Weltkriegs gedacht und die Vorstellung von Franzosen und Muslimen als freundschaftlich miteinander verbundenen, jedoch distinkten Entitäten rhetorisch reaktualisiert wurde. In diesem Sinne wurde an der GMP wie zu ihrer Gründungszeit eine essentialistische Konzeptualisierung des Islam reproduziert, deren Anhänger kein selbstverständlicher Teil ihres französischen Kontextes, jedoch in der Republik „akzeptiert“ waren. Während die koloniale Deutung des Islam als „ganzheitlich“ sowie des Muslims als ein nichtsäkulares Subjekt in den jüngeren Konzeptualisierungen verschiedener Regierungsvertreter keine bedeutende Rolle mehr spielte, legten die Analysen in Teil 2 noch andere Argumentationsmuster und Verwaltungsstrategien offen, die in die Kolonialzeit zurückführen. Hierzu gehört die bereits besprochene dichotome Unterscheidung zwischen einem moderaten und einem radikalen Islam, aber auch die Fokussierung auf religiöses Spezialistentum und vor allem auf einen gut ausgebildeten Imam als ein wichtiger Schlüssel in der staatlichen Imamverwaltung. Dem Imam wird in dieser Deutung die Rolle zugeschrieben, in seinen Predigten mäßigend auf die muslimischen Jugendlichen einzuwirken und sie so vor einer Vereinnahmung durch „radikale Islamisten“ zu bewahren. In diesem Zusammenhang erwies sich ein Blick auf algerisch-staatliche Debatten als aufschlussreich. Es wurde gezeigt, dass die in der Kolonialzeit wurzelnden Verwaltungsmuster auch in die algerische Religionspolitik übernommen worden sind: Die dichotome Unterscheidung zwischen radikalen und moderaten Akteuren, die Fokussierung auf den Imam zur Eindämmung radikalen Gedankenguts sowie die Bestimmung der Moschee als unpolitischer Ort des Gebets bestimmten auch die Argumentationen algerischer Staatsvertreter und wurden dort bereits in den 1980er Jahren – noch vor den entsprechenden französischen Debatten – intensiv thematisiert. Diese Konstellation ist in zweierlei Hinsicht bedeutend. Zum einen zeigte sie, dass die Identitätsmarker des „moderaten“ und des „radikalen Islam“ in nachkolonialen Kontexten auf komplexe Weise überregional miteinander verflochten sind und in den verschiedenen Ländern sowohl jeweils Parallelen (shared elements) als auch Unterschiede (divided elements) aufweisen. Die Unterschiede bezeichnen, wie Shalini Randeria es in ihrer Bestimmung der entangled histories festgestellt hatte (vgl. Kapitel 1.2.2.), nicht lediglich Abweichungen, sondern explizite Abgrenzungen voneinander. So enthalten die Bestimmungen des moderaten Islam durch algerische Regierungsvertreter

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beispielsweise Elemente, die sich explizit von jenen in den französischen Ministerien abgrenzen. Definitionen von moderatem Islam werden in Frankreich beispielsweise oft an die französische Sprache sowie an die Akzeptanz einer französisch-kulturellen Identität gebunden, in Algerien wird beides oftmals abgelehnt und durch die arabische Sprache und eine islamischarabische Identität ersetzt, die explizit nicht-französisch ist. Darüber hinaus konnte in diesem Analyseteil gezeigt werden, dass die Berücksichtigung der algerischen Debatten notwendig ist, wenn man die Positionen von Moscheerektor Dalil Boubakeur angemessen verstehen möchte: In seiner 1995 veröffentlichten Charte du culte musulman identifizierte Boubakeur die Werte des moderaten Islam, für den die von ihm vertretene GMP stehe, mit jenen der französischen Republik; explizit forderte er die Verwaltung von Imamen nach dem Vorbild des hierarchisierten Klerus in der katholischen Kirche und präsentierte damit ein Modell, das sich in französische Strukturen der Verwaltung von Religionsgemeinschaften angepasst hat. Doch die Einnahme einer transnationalen Perspektive hat den Nachweis erbracht, dass Boubakeur mit diesen Vorschlägen gleichzeitig algerischstaatliche Muster zur Verwaltung des Islam reproduzierte. Die Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen GMP und algerischem Staat führt also zu einer völlig neuen Bewertung von Boubakeurs Positionen: Seine Ausführungen sind nicht Ausdruck der Adaptation einer etwa „europafremden Religion Islam“ an französische Konzepte und Strukturen. Auch wenn Boubakeur in Frankreich vor allem als Vertreter eines solchen integrationswilligen Islam angesehen wird, reaktualisieren seine Aussagen zugleich Positionen und Forderungen, die in Algerien längst vorhanden sind. Wie in Bezug auf die Ausbildung von Imamen in Frankreich gezeigt wurde, können diese Standpunkte französische Interessen sogar unterwandern. Sie beinhalten die Einstellung, eine Entsendung von Imamen aus Algerien sei ausreichend und effektiv, die Ausbildung von Imamen in Frankreich hingegen höchstens auf lange Sicht und als Ergänzung denkbar. Dass Boubakeur in seinen Argumentationen nicht französische, sondern auch algerisch-staatliche Forderungen reproduzierte, ist umgekehrt aber nicht als mangelnde Integrationsleistung zu interpretieren. Vielmehr zeigt diese Konstellation, dass Algerien nicht einfach als das Andere verstanden werden kann, dem europäische Strukturen und Verwaltungsprozesse fremd sind. Im hier analysierten Kontext sind vielmehr Parallelen und Abgrenzungsversuche deutlich geworden, die in einer gemeinsamen geschichtlichen Erfahrung verankert sind. Sie stehen einer Auffassung entgegen, der zufolge die europäische Islamverwaltung sich grundlegend von derjenigen in islamisch geprägten Ländern unterscheide. Im dritten Analyseteil (Teil 4) wurden diese Überlegungen zunächst in Bezug auf das Institut al-Ghazali weitergeführt. Das an den Anfang dieser Darstellungen platzierte Kapitel zu religiösen Autoritäten im Islam hat deutlich gemacht, dass die Verflochtenheit von französisch- und algerisch-staatlicher Islamverwaltung auch Konzepte wie das des Imams betrifft. Es wurde

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erläutert, dass französische Kolonialbeamte in Algerien seit den 1870er Jahren Medresen einrichteten, in denen religiöse Experten nach europäischen Modellen ausgebildet wurden. Die Konzeptualisierung der Figur des Imams durch die Anhänger des algerischen Reformislam in den 1930er Jahren stellte, wie Kamel Chachoua gezeigt hat (vgl. Kapitel 3.1.2.), eine Übernahme französischer Vorstellungen und Ausbildungspraktiken dar. Die Vorstellungen der Reformprediger und französischen Politiker davon, was Imame sind und was sie zu leisten haben, waren also abermals im Sinne eines Zusammenspiels von shared und divided elements miteinander verflochten: Beide wiesen radikale Neuerungen im Vergleich zu bis anhin in Algerien existierenden ImamKonzeptionen auf und bestimmen Funktionen, Aufgabenbereiche sowie die Strukturierung des Arbeitsalltags auf ähnliche Weise; lediglich in der politischen Ausrichtung grenzten sie sich voneinander ab: Während die einen im Dienste der französischen Kolonialverwaltung stehen, versuchten die anderen, sich außerhalb des französischen Einflusses zu organisieren und propagierten eine von letzterem gereinigte, islamische Identität. Dieser transnational ausgehandelte Identitätsmarker „Imam“ ermöglichte es, dass das Anfang der 2000er Jahre eröffnete Institut al-Ghazali vom algerischen Religionsministerium organisiert und betrieben wird, zugleich aber den Strukturmodellen des französischen Universitätsstudiums entspricht und folglich Anforderungen beider Länder genügt. Auch die Konzeption des Institut alGhazali sowie seine Selbstdarstellung als moderne, offene und universitär ausgerichtete Einrichtung, wie sie beispielsweise im Studierendenführer von 2008/09 zu finden war, ist demnach nicht als besondere Anpassungsleistung fremdkultureller Importe an den französischen Kontext zu interpretieren: Die Übernahme französischer Ausbildungsprogramme durch algerische Akteure geschah bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts und wurde vom algerischen Religionsministerium mit der Planung des Institut al-Ghazali nach Frankreich (re-)exportiert. Bis zu dieser Stelle wurden in der vorliegenden Studie immer wieder Forderungen des französischen Staates den Positionen der algerischen Autoritäten gegenübergestellt. Dabei wird natürlich nicht von einer einheitlichen algerischen sowie einer einheitlichen französischen Islampolitik ausgegangen, die dann miteinander verglichen werden können. Die Gegenüberstellung Frankreichs und Algeriens ist vielmehr selbst als Beschreibung einer diskursiven Unterscheidung aufzufassen. Während innerhalb der algerischen sowie der französischen Ministerien eine große Meinungsvielfalt in Bezug auf die Ausrichtung der Islampolitik und insbesondere auch in Hinsicht auf die Funktion der GMP besteht, so sind letztlich in beiden Regierungen bestimmte Positionen hegemonial, die dann von den Vertretern des jeweils anderen Landes als algerisch- oder französisch-staatliche Interessen präsentiert werden. Die Analysen des Unterrichts von zwei Lehrpersonen am Institut al-Ghazali haben schließlich gezeigt, dass es nicht möglich ist, muslimische Akteure an

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der Großen Moschee von Paris eindeutig als Vertreter algerischer oder französischer Interessen zu bestimmen; genauso wenig ist es denkbar, sie als integriert oder nichtintegriert zu klassifizieren. In der Analyse ihrer Perspektiven zeigt sich eine solch komplexe Verflochtenheit von Identitätsmarkern und zugehörigen Argumentationsmustern, dass die Unterscheidung zwischen „französischen“ bzw. „europäischen“ Islamversionen einerseits und „fremdkulturellen“, „algerisch-arabischen“ Entwürfen andererseits endgültig scheitert. Die erste Lehrperson, Malak, verwarf die „modernen Werte des Westens“ explizit. Konzepte wie Demokratie, Laizität oder die „Gleichheit der Menschen“ lehnte er ebenso als irreführend ab wie die Vorstellung von einer westlichen, empirisch arbeitenden Wissenschaft oder von humanistischen Perspektiven, die die Entfaltung und Bewahrung menschlichen Lebens an die oberste Stelle, also vor den Schutz der Religion setzen. Diesen Realitätsdeutungen stellte er die Zielsetzungen der Scharia gegenüber, die göttlich offenbart worden seien, um die gesamte gesellschaftliche Ordnung zu strukturieren. Malak vertrat damit einerseits Überzeugungen, die in Frankreich als „radikal“ oder zumindest „unintegriert“ klassifiziert und von politischen Autoritäten eventuell sogar als sicherheitspolitisch bedenklich eingestuft würden. Die Analysen dieser Studie konnten aber zeigen, dass die Auffassungen Malaks andererseits in einer Vorstellung von traditioneller, antimoderner Welt wurzeln, die Ren Gu non entwickelt (vgl. Kapitel 4.2.3.) und seinerzeit vor allem unter Europäern popularisiert hatte. Im Rekurs auf die gu nonsche Vorstellung eines kosmologisch bedingten Chaos auf der Welt, das die Einführung der göttlichen Ordnung in der Gesellschaft aktuell utopisch mache, legitimierte Malak den Rückzug des Muslims aus den Angelegenheiten dieser Welt und lokalisierte die einzig sinnvolle Partizipation an der Entwicklung eines globalen Geschehens in einer sufistisch-meditativen Aufrechterhaltung des Wissens um die göttliche Offenbarung. Auf diese Weise entzog er sich einerseits der französisch-politischen Forderung nach Akzeptanz der republikanischen Rahmenbedingungen und präsentierte zugleich ein Modell, das die Ablehnung des republikanischen Kontextes als innerhalb der französischen Gesellschaft lebbar konzipierte; mehr noch, er vertrat ein Modell, das in Europa selbst entwickelt und hauptsächlich von einem europäischen Publikum rezipiert worden ist. Die Analysen in dieser Studie haben jedoch gezeigt, dass die Verortung der „westlichen Kritik am Westen“ bei Malak noch komplizierter ist: Malak nutzte nicht nur die Vorstellungen Gu nons, sondern auch kolonialgeschichtliche Argumentationsmuster, die den Orientalen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Bild des ganz Anderen fixiert hatten, um seine Nichtzugehörigkeit zur französischen Gesellschaft zu begründen. So reproduzierte er das Bild orientalischer Andersartigkeit, die es dem Muslim unmöglich mache, innerhalb der modernen Pariser Lebenswelt zu funktionieren und sprach mehrmals von der Unmöglichkeit, Muslime in die französische Gesellschaft zu integrieren. Es

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wurde gezeigt, dass diese Rhetorik, die im Rahmen der Festivitäten zur Eröffnung der GMP in den 1920er Jahren kolonialpolitisch instrumentalisiert worden ist, von den Unterscheidungen zwischen Orientalen und Okzidentalen bei Ren Gu non abweichen. Der gu nonsche Traditionalismus setzte den Antagonismus Tradition – Moderne vor denjenigen von Orient – Okzident und war zudem von einer ganz anderen Warte aus formuliert worden als die kolonialhistorische Konzipierung des Muslims: von derjenigen eines Europäers, der in Europa Gesellschaftskritik betreibt und sich aus gewissen Strukturen freiwillig zurückzieht und nicht von derjenigen des kolonisierenden Europ ä ers, der den Muslim gewaltsam von diesen Strukturen auszuschlie ß en sucht. Bei Malak tauchten Argumente aus diesen beiden Perspektiven zeitgleich und in Kombination miteinander auf. Indem er das kolonialgeschichtliche Bild der ganz anders funktionierenden Orientalen an der GMP reaktualisierte und in das gu nonsche Weltbild einbettete, rekonstruierte er die koloniale Vergangenheit auf neue Weise. Dabei entzog er sich einer eindeutigen Zuordnung: Mit Hilfe eines kolonialen Arguments erklä rte er die Unintegrierbarkeit des Muslims und best ä rkte damit algerisch-staatliche Diskurspositionen, die die dichotome Unterscheidung zwischen Franzosen und Algeriern zu einem konstitutiven Merkmal ihrer eigenen nationalen Identit ä t machten. Zugleich aber konterkarierte er genau diese algerischen Interessen, die die Integration von Muslimen in die franz ö sische Gesellschaft ablehnen: weil seine Kritik an Frankreich zutiefst in der franz ö sischen Geschichte selbst verwurzelt ist, weil der Prozess dieser „Integration“ also l ä ngst stattgefunden hat. Als letztes wurde der Unterricht von Chebel untersucht. Seine Argumentationen wiesen ebenfalls komplexe Verflechtungen mit den übrigen Positionen auf, die im Laufe dieser Studie untersucht worden sind: mit denjenigen von Malak; mit kolonialpolitischen Repräsentationen des Islam, wie sie sich in den 1920er Jahren an der GMP manifestierten; mit Überzeugungen, die innerhalb des sogenannten algerischen Reformismus in den 1930er Jahren Verbreitung fanden; mit jüngeren, global verhandelten innermuslimischen Debatten um die Spezifika einer „islamischen Identität“ sowie schließlich auch mit zeitgenössischen Forderungen algerischer und französischer Politiker. Chebel charakterisierte den Islam als fortschrittsorientiert, modern und wissenschaftsfreudig. Damit verortete er sich zunächst in Positionen, die reformislamische Denker wie Raschid Rida oder der Algerier Ben Badis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Reaktion auf westlich-orientalistische Stigmatisierungen des Islam entwickelt hatten (vgl. Kapitel 4.3.3.). Die Äquivalenzketten, durch die ihre Identitätsmarker „Islam“ bestimmt waren, verliefen teils parallel zu geläufigen Definitionen von französischer Moderne in dieser Zeit; zugleich grenzten sie sich aber auch von ihnen ab, indem sie die Zentralität der arabischen Muttersprache, die Orientierung an islamischen (= dezidiert nichtwestlichen) Werten oder

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aber die Religiosität betonten, die sich in allen Lebensbereichen eines Menschen niederschlagen solle. Diese Zusammenhänge zwischen einer reformislamischen Salafiyya der 1920er Jahre und europäischen Zuschreibungen an den Islam sind in der Forschung bereits vielfach besprochen worden (vgl. z. B. Botiveau 1993: 103–137; Peters 2005: 103–127; Zubaida 2005: 121–157). Jüngere Aufeinandertreffen reformistischer Positionen mit Forderungen, die in europäischen Debatten an den Islam gestellt werden, sind in ihren diskursiven Konsequenzen hingegen wenig beachtet worden. Chebel brachte schließlich ein reformislamisches Konzept, das, in Reaktion auf „westliche“ Kritik, in islamisch geprägten Ländern entstanden war, nach Frankreich zurück und konfrontierte es dort mit rezenten Debatten um einen in der Republik akzeptablen Islam. Auf diese Weise entzog er sich ähnlich wie Malak einer eindeutigen Zuordnung zu islamischen oder französischen Positionen, deren antagonistische Gegenüberstellung selbst Ergebnis kolonialgeschichtlicher Konstellationen ist. Er rekurrierte auf eine Äquivalenzkette (Vernunft, Moderne, Wissenschaftsfreudigkeit), die im französischen Kontext oftmals mit gelungener Integration gleichgesetzt wird, bestimmte sie jedoch in der Folge jeweils als antifranzösisch, indem er französische Moderne, Wissenschaft und Bildung dezidiert zugunsten einer islamisch bestimmten Vorstellung dieser Konzepte ablehnte. Die historisch bedingte Verflochtenheit hatte eine besondere Form der Überdeterminierung des Identitätsmarkers „Islam“ hervorgebracht. Diese macht es zum einen unmöglich, Chebels Auffassungen als Ausdruck einer aktuell stattfindenden Anpassung an den französischen Kontext zu verstehen, zum anderen verbietet sich aber auch seine Verortung als nichtangepasst oder nichtfranzösisch. Zum Schluss wurde gezeigt, dass Chebel wiederum eine Form von Andersartigkeit vertrat, die in Frankreich gut „verwaltbar“ ist: So konnte dargelegt werden, dass Chebel den Unterschied zwischen islamischer und französischer Lebensweise vor allem am Beispiel von körperlichen Praktiken, über die Ausführung der Ciba¯da¯t, also der „individuellen Pflichten“ im Alltag festmachte und sie zudem durch eine spezifisch islamische Bestimmung von Erziehung, Bildung und Wissenschaft definierte. Diese Bestimmung einer „ganzheitlichen islamischen Lebensweise“, die den körperlichen, geistigen und spirituellen Bereich eines Menschen durchziehe, ist nun aber im ersten Analyseteil als koloniale Vorstellung herausgestellt worden, die mit der GMP sichtbar gemacht worden war – sie sollte eine fundamentale Andersartigkeit darstellen, die zwar eine Abschottung seitens der Muslime von, nicht aber einen Konflikt ihrer Praktiken mit der französischen Umgebung bedeutete. Diese Konzeptualisierung ist (unlängst) kein Spezifikum kolonialgeschichtlicher Vorstellungen an der GMP zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr, sondern wird unter dem Label eines „sunnaisierten Alltags“ heutzutage in vielen islamischen Kontexten festgestellt und dort ebenfalls als Mittel zur Domestizierung politischer Forderungen identifiziert (vgl. Gugler 2012; Kap. 4.3.6.).

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Auf diese Weise sind die Auslegungen Chebels mit Vorstellungen konvergent, die in islamischen wie in nichtislamischen Kontexten verbreitet sind und die sich zudem bereits in den 1920er Jahren an der GMP manifestiert hatten. Beitrag zur aktuellen Islamforschung Abschließend stellt sich die Frage nach der Reichweite der Ergebnisse dieser Studie. In erster Linie sind die soeben diskutierten Resultate anhand des Fallbeispiels der Großen Moschee von Paris entwickelt worden und dienen zur Erklärung von Konstellationen an ebendieser Moschee. Die GMP stellt zudem einen Sonderfall dar: Selten treffen an einer muslimischen Einrichtung in Europa die Interessen eines einst kolonisierenden sowie eines einst kolonisierten Landes so direkt aufeinander wie an dieser Moschee. Dass das französische Innenministerium die Institutionalisierung des Islam in Frankreich auch gegenwärtig noch unter unbedingter Einbeziehung dieser – zu Kolonialzeiten zentralen – Moschee vorantreiben möchte und dass zugleich die algerische Regierung Anspruch auf die Verwaltung und Ausrichtung der Einrichtung erhebt, ist eine Konstellation, die sich in dieser Form an kaum einer Moschee bzw. einem Moscheennetzwerk wiederfindet. Dennoch sind hier Aspekte auszumachen, die auch in weiteren islampolitischen Zusammenhängen auftauchen und folglich Anknüpfungspunkte für die gegenwartsbezogene Islamforschung bieten. Die Einbindung der Herkunftsländer von muslimischen Migranten in eine nationale Politik der Islamverwaltung ist kein Spezifikum Frankreichs. Auch in anderen europäischen Ländern existieren (nicht zuletzt sicherheitspolitisch motivierte) Kooperationen mit islamisch geprägten Staaten, die schließlich auch in die nationale Organisation islambezogener Angelegenheiten involviert sind. Dies betrifft nicht nur ehemalige Kolonialmächte und Kolonien bzw. Protektorate. Auch Deutschland und die Türkei kooperieren in ähnlicher Weise: Aus der Türkei werden über die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), ein direkter Ableger der staatlich-türkischen Religionsbehörde, sogenannte „staatsstreue“ Imame nach Deutschland geschickt und dort verwaltet; DITIB-Vertreter sind darüber hinaus stets in die Verhandlungen mit den Landesregierungen involviert, wenn es beispielsweise um die Organisation islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen geht. Der DITIB wurde von deutschen staatlichen Behörden in der Vergangenheit deutlich mehr Vertrauen entgegengebracht als der Milli Görü¸s-Bewegung, die seit 1993 vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird (Amir-Moazami 2010: 122) und auch allgemein für einen „radikalen“, tendentiell integrationshindernden Islam steht (vgl. ebd.: 123, Schiffauer 2005: 93 f.). Werner Schiffauer und Schirin Amir-Moazami beschreiben dabei eine ähnliche Konstellation, wie sie in dieser Studie für den französischen Kontext festgestellt worden ist: Die Milli Görü¸s wird von verschiedenen staatlichen Institutionen mit Skepsis betrachtet, obwohl sich ihre Anhänger ähnlich wie jene der UOIF seit den 1980er Jahren um eine effektive Institutionalisierung islamischer Belange in

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Deutschland bemühen und dabei Positionen entwickeln, die von einer intensiven Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten islamischen Lebens in der deutschen Gesellschaft zeugen (vgl. Amir-Moazami 2010; Schiffauer 2005). Während unter Milli Görü¸s-Anhängern eine zunehmende Identifizierung mit einem „Leben in Deutschland“ vollzogen werde, besitzen die vom türkischen Staat überwachten Moscheen der DITIB laut Schiffauer nur wenig Handlunsspielraum und weisen ein geringes Engagement bezüglich der Organisation islamischer Praxis und Lehre in Deutschland auf (Schiffauer 2005: 91 f.) – eine Situation, die an die Große Moschee von Paris erinnert. Die Kooperation zwischen deutschen Behörden und der DITIB muss angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in der Türkei sowie angesichts der aktuellen Vorwürfe der Bespitzelung von Gülen-Anhängern durch DITIB-Imame vermutlich noch einmal völlig neu untersucht und bewertet werden. Es stellt sich jedoch nach wie vor die Frage, inwiefern islamische Verbände aufgrund staatsübergreifender politischer Interessen mit Identitätsmarkern wie dem des „moderaten“ oder des „islamistischen“ beziehungsweise „radikalen“ Islam versehen werden und inwieweit diese Marker jenen im französischen Kontext ähneln oder sogar europaweit gleich strukturiert sind. Aus welchen Gründen entscheidet sich eine Regierung für die Kooperation mit bestimmten und zugleich gegen die Integration anderer Verbände in die nationale Islamorganisation und welche Rolle spielen hierbei die Beziehungen zu und Interessen von Herkunftsländern wie beispielsweise diejenigen der türkischen Regierung? Als ein wichtiges Ergebnis dieser Studie kann festgehalten werden, dass die internationale Verflochtenheit von Islamkonzeptionen und islampolitischen Verwaltungsstrategien europäischer sowie nichteuropäischer islamisch geprägter Länder stärker in die Forschung zum Islam in Europa einbezogen werden muss. Es wurde gezeigt, dass die algerischen und französischen Ministerien Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen, die in der kolonialen Vergangenheit begründet liegen. Gewisse Diskurspositionen, wie beispielsweise die Forderung nach einer offiziellen Ausbildung von Imamen, die sich politischer Aussagen enthalten und die Moschee als „heiligen Ort des Gebets“ vor politischer Mobilisierung bewahren sollen, wurden Ende der 1980er Jahre sogar zuerst in Algerien und erst einige Jahre später in Frankreich öffentlich wieder aufgegriffen. Damit ist die Frage nach dem (Re-)Import aktueller Islamverwaltungsstrategien aus Algerien nach Frankreich aufgeworfen; zugleich wird die in Europa immer noch weit verbreitete Fiktion einer unidirektionalen Integrationsgeschichte verworfen, die stets danach fragt, ob und wie sich islamische Praktiken an die Strukturen und Prozesse eines europäischen Landes anpassen, während sie die Entwicklungen in Europa als von den Praktiken der Regierungen in islamisch geprägten Ländern unabhängig begreift. Dies kann anhand des in europäischen Ländern derzeit vieldiskutierten

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Themas einer „Imamausbildung“ in Europa verdeutlicht werden. Die Forderungen nach der Einrichtung von Imamausbildungsinstituten sind in allen europäischen Ländern mit sicherheitspolitischen Bedenken verknüpft und entspringen der Vorstellung, ein der jeweiligen Landessprachen mächtiger und mit den Werten des Tätigkeitslandes vertrauter Prediger könne die Identifikation der Jugendlichen mit den jeweiligen europäischen Gesellschaften fördern. Der Imam wird also zu einer Schlüsselfigur erhoben, anhand derer Integration gelingen oder scheitern kann (vgl. Teil 3). Zugleich wird diskutiert, was ein Imam eigentlich ist, wie das Imamsein sinnvoll definiert und wie das Konzept schließlich in europäische Rechtsstrukturen integriert werden könnte. Dabei dienen oftmals christliche Autoritäten wie katholische Priester oder evangelische Pastoren als implizite Vergleichsmomente, die herangezogen werden, um die Spezifitäten des Imams hervorzuheben. Der Imam wird oft negativ bestimmt: Im Islam gebe es im Vergleich zum Katholizismus keinen ernannten und organisierten Klerus, der Imam habe nicht zwangsläufig eine geregelte Ausbildung durchlaufen, und er sei kein Beruf wie der des Priesters, sondern oftmals eher eine temporäre Funktionsübernahme. Anstelle dieser Konfrontierungen, die letztlich die jeweiligen Besonderheiten einer religiösen Tradition betonen, sollte in islam- und religionswissenschaftlichen Analysen stärker die transnationale historische Genese von Konzepten wie dem des „Imams“ (und eigentlich auch dem des „Priesters“!) betrachtet werden. Für den französischen Kontext wurde in dieser Studie verdeutlicht, dass bereits im Algerien des 19. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung des Konzepts „Imam“ mit in Frankreich verbreiteten Auffassungen von religiösem Expertentum stattgefunden hat. Französische Kolonialbeamte organisierten die Ausbildung von religiösem Personal nach ihnen bekannten Strukturen und algerische Reformprediger übernahmen beispielsweise das hieran geknüpfte Konzept des Imams als Beruf mit fest definierten Aufgabenbereichen, für die man, so wie für andere Berufe auch, entlöhnt werden könne. Wenn im heutigen Frankreich die Aufmerksamkeit auf mögliche Unterschiede zwischen der Figur des Priesters und jener des Imams gelegt wird, so ist die Gefahr einer neuerlichen Definition islamischer Konzepte als „ganz anders“ groß, während die großen Konvergenzen übersehen werden, die sich bereits vor langem manifestiert haben. Die in dieser Studie geforderte Interpretation von Geschichte als transnationaler Verflechtungsgeschichte und insbesondere von Konzepten wie dem des Islam oder des Imams als überregional miteinander ausgehandelte Identitätsmarker, führt so auch zu einer anderen Sicht auf integrationspolitische Debatten in Europa: Islamische Praktiken und Vorstellungen treffen nicht erst seit einigen Jahrzehnten auf europäische Kontexte, in denen sie als fremdkulturelle Elemente zunächst ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Sie sind einerseits deshalb bereits an europäische Strukturen angepasst, weil sich schon lange zuvor Parallelen zwischen Praktiken in europäischen und nichteuropäischen Kontexten herausgebildet haben. Zum

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anderen, und auch dies wurde in dieser Forschungsarbeit dargelegt, wurzelt jedoch auch die Betonung der Unterschiede, mit denen muslimische und nichtmuslimische Akteure sich teils vehement voneinander abzugrenzen suchen, teils im europäischen Imperialismus, insbesondere des 19. Jahrhunderts. Vorstellungen von der fundamentalen Andersartigkeit der Muslime sind selbst maßgeblich durch europäische Akteure mitgeprägt worden; die Rede von grundlegenden Unterschieden zwischen „islamischen“ und „westlichen“ Werten ist also nicht etwa Ausdruck einer tatsächlich existierenden dichotomen Andersartigkeit, sondern sie kann sich als Reproduktion orientalistisch-kolonialgeschichtlicher Diskurspositionen und damit als Teil der europäischen Geschichte erweisen. Beitrag zur religionswissenschaftlichen Theoriebildung Die Große Moschee von Paris ist ein Kristallisationspunkt, an dem französischund algerisch-staatliche Interessen entweder konvergierend oder konflikthaft aufeinander treffen. Verwaltungsstrategien und sicherheitspolitisch gefärbte Konzepte zum „moderaten Islam“ sind in beiden Ländern komplex miteinander verflochten, was hauptsächlich in der kolonialgeschichtlichen Vergangenheit begründet liegt. Zur Analyse dieser transnationalen Verflechtungen wurde die Forderung Shalini Randerias und anderer Autoren (vgl. Kapitel 1.2.2.) ernst genommen, Geschichte als globale Verflechtungsgeschichte zu verstehen. Parallele Entwicklungen sowie das Ziehen von Demarkationslinien hatten Randeria und teils Randeria/Conrad als entanglement in seiner englischen Doppelbedeutung von sharing und dividing verstanden und als typisches Merkmal kolonialer und nachkolonialer Diskursformationen definiert. In dieser Studie wurde diese postkoloniale Sichtweise mit dem diskurstheoretischen Konzept des leeren Signifikanten nach Laclau/Mouffe (vgl. Kapitel 1.2.1.) zusammen geführt. Die im Dispositiv angekündigte Umdeutung der verflochtenen Geschichten in verflochtene Identitätsmarker – oder umgekehrt: die Deutung von Identitätsmarken als miteinander verflochten – ermöglichte eine präzisere Bestimmung des bei Randeria und Randeria/ Conrad unscharf bleibenden Konzepts von entangled history. In der Identifizierung von shared und divided histories mit den Differenz- und Äquivalenzketten eines Identitätsmarkers, wie er in Kapitel 1.2.1. definiert worden ist, wurde eine präzise Vorgehensweise vorgeschlagen, mit der Identitätskonstitutionen und die damit verbundenen Abgrenzungen des Eigenen vom Anderen konkret herausgearbeitet werden können. Der flottierende Charakter von leeren Signifikanten liefert einen Ansatz zur Erfassung dessen, was in religionswissenschaftlichen Debatten oftmals unter dem Begriff der „im Fluss befindlichen“ oder „dynamischen Identitäten“ verhandelt wird (vgl. Bretfeld 2012: 423; Rakow 2014: 105–108). Identitätskonstitutionen sind aus der in dieser Studie eingenommenen Perspektive in dem Sinne „fluide“, als dass sich die Äquivalenz- und Differenzketten ihrer Marker stetig verändern wenn Akteure in artikulatorischen Praktiken, aus unterschiedlichen Positionen

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heraus und mit unterschiedlichen Interessen auf sie Bezug nehmen. Sie verändern sich zum Beispiel, weil sie jeweils perspektivisch gezogen werden und folglich in unterschiedlichen Antagonismen auftauchen (ein Franzose, der sich mit einem Deutschen vergleicht, definiert sich zur Definition seiner Identität über andere Aspekte als einer, der sich mit einem Algerier vergleicht). Aber auch innerhalb eines gleichbleibenden Gegensatzpaares wird stets um die nie abschließend definierbaren Äquivalenz- und Differenzketten gerungen. Dynamik und Wandel von Identitäten sind folglich konkret im Flottieren des leeren Signifikanten – in der Veränderung seiner Äquivalenzen und seiner Differenzen – erfass- und beschreibbar. Die genannten Eigenschaften des leeren Signifikanten, der durch eine unbegrenzte und sich ständig wandelnde Anzahl von Elementen bestimmt werden kann, charakterisieren Laclau/Mouffe als Überdetermination (vgl. Kapitel 1.2.1.). In dieser Studie wurde nun eine Sonderform der Überdetermination festgestellt und zwar konkret in der Konstitution von denjenigen Identitätsmarkern, die kolonialgeschichtlich miteinander verflochten sind. Das von Conrad/Randeria benutzte Konzept der „Verflochtenheit von Geschichte“ wurde also in die Konstitution der Identitätsmarker selbst verlagert und als Verflochtenheit von Äquivalenz- und Differenzketten gedacht. Verflochtenheit wurde dort lokalisiert, wo Akteure, die im Diskurs oft antagonistisch gegenüber gestellt werden wie „Algerier“ und „Franzosen“, sich auf dieselben Identitätsmarker beziehen und gewisse Elemente einer Äquivalenzkette miteinander teilen (shared elements), während sie andere nicht nur unterschiedlich, sondern in expliziter Abgrenzung voneinander definieren (divided elements). Zudem wurde festgestellt, dass verschiedene Akteure manchmal dieselben Elemente zur Bestimmung eines Konzepts mobilisieren, dass sie diese Elemente letztlich jedoch nicht nur unterschiedlich, sondern abermals in direkter Opposition zueinander festlegen. Dies wurde in der Auslegung der Lehrperson Chebel offenbar, der den Islam als Religion der Rationalität, der Moderne und der Aufklärung verstand, bei genauerem Hinsehen aber nicht französische Aufklärungsdiskurse meint (obwohl dies in Frankreich so verstanden werden könnte). Vielmehr definierte Chebel Vorstellungen von Wissen und Rationalität, die einen spezifisch islamischen Lebensweg bedeuten, in dezidierter Abgrenzung von westlichen Lebensentwürfen und Bildungs- sowie Wissenschaftskonzepten. Ein wichtiges Interesse dieser Studie bestand dabei darin, aufzuzeigen, auf welche Weise diese Beschaffenheit von Identitätsmarkern – im Sinne von diskursiven Fixierungen, die Bedeutung erzeugen – selbst die Möglichkeit zur Unterwanderung dieser Fixierungen bereitstellt und wie die Verflochtenheit von Identitätsmarkern zudem eine eindeutige Klassifizierung von Akteuren undenkbar macht. Die zweite untersuchte Lehrperson Malak hatte in ihren Ausführungen zum „Orientalen“, als der er sich selbst verstand, Elemente der Lehre Ren Gu nons mit kolonialgeschichtlichen Vorstellungen der 1920er

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Jahre kombiniert und sich einer eindeutigen Zuordnung zu Gu non oder den – hierzu teils widersprüchlichen – Positionen von kolonialen Akteuren verweigert. Mit der Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung wird es jedoch auch für algerische und französische Staatsträger unmöglich, Malaks Positionen für ihre möglichen unterschiedlichen Interessen zu vereinnahmen. Malak steht weder für einen Gelehrten, der die Integration von Muslimen in die französische Gesellschaft fordert noch für einen solchen, der diese Integration nicht fordert. In dem Moment, in dem man eine solche Bestimmung festlegen möchte, verweisen seine Argumente auf die Verortung in der gegenteiligen Position. Die bedeutungsgenerierenden Fixierungen von diskursiven Formationen werden auf diese Weise unterwandert. Abschließend kann also gesagt werden, dass die Fluidität von Identitätsmarkern, insbesondere jedoch ihre ganz besondere Beschaffenheit als Ergebnis nachkolonial-transnationaler Aushandlungsprozesse, einzelnen Akteuren die Möglichkeit bietet, auf höchst unterschiedliche Weise eigene Identitäten zu vertreten, die sich den politischen Anpassungszwängen eines Diskurses entziehen. In dieser Studie lag der Fokus auf der Analyse von Identitätsmarkern in Form von Begriffen, die sich aber, wie im Theorieteil erläutert, in nonverbalen artikulatorischen Praktiken wie Verhaltensweisen, Gestik und Kleidungsstil oder auch Gesetzen, Verboten und Formen der Institutionalisierung manifestieren. Wenn ein Muslim in Paris beispielsweise einen langen Bart und ein Gewand trägt, das über den Fußknöcheln endet, dann ist für einen mit dem Islam vertrauten Personenkreis seine Verortung im „salafistischen Islam“ offensichtlich, ohne dass diese Person ihr Islamverständnis erläutert hat. Die nicht-verbalen Reaktualisierungen von Identitätsmarkern über Kleidung, Gestik, Rituale oder Praktiken eröffnen weitere spannende Forschungsfragen, denen sich diskurstheoretisch angelegte Arbeiten bisher zu wenig gewidmet haben. Weil sich in ihrer Analyse sicherlich weitere Mechanismen von Bedeutungsfixierung und damit ein noch umfassenderes Verständnis von gesellschaftlichen Vorgängen eröffnet, scheint die Behandlung dieser Fragen unter diskurstheoretischen Prämissen – sowie damit letztlich auch die Verknüpfung von Diskursanalysen im Sinne von Laclau/Mouffe mit religionsästhetischen Ansätzen vielversprechend. Vor dem Hintergrund, dass „Kultur-“ oder „Religionskontakte“ sowie die damit verbundenen Transformationen, Konvergenzen und Abgrenzungen von religiösen Akteuren, Institutionen oder Praktiken ein zentrales Interesse religionswissenschaftlicher Forschung bilden, stehen jedoch auch die hier präsentierten Überlegungen bereits inmitten aktueller Debatten dieses Fachs. Ob sie dazu einen Beitrag zu leisten vermögen, muss sich erst noch erweisen.

Danksagung Das vorliegende Buch stellt eine überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift dar, die ich im Sommer 2014 am Institut für Religionswissenschaft der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter dem Titel „Entangled markers of identity – Die Große Moschee von Paris zwischen Algerien und Frankreich“ einreichte und dort im April 2015 verteidigte. Ich danke zunächst der Studienstiftung des Deutschen Volkes für das Promotionsstipendium, das es mir ermöglichte, meine Forschung inklusive des hierzu notwendigen Feldforschungsaufenthaltes in Paris durchzuführen. Ein Dank gilt auch jenen, die mir den notwendigen Zugang zu Dokumenten, Daten und Informationsbeständen unterschiedlicher Art verschafft haben: Dr. Djelloul Seddiqi, seit 2006 und bis heute (Stand: Juli 2017) Direktor des Institut al-Ghazali der Großen Moschee von Paris, der mir die Erlaubnis erteilte, meine Forschung am Institut durchzuführen; den Lehrpersonen des Institut al-Ghazali, die bereit waren, mich zu Forschungszwecken an ihrem Unterricht teilhaben zu lassen; schließlich den französischen Archives Nationales sowie allen Personen, die mein Projekt durch fachkundige Auskünfte oder die Bereitschaft zu einem Interviewgespräch auf den richtigen Weg gebracht haben. Ohne den fachlichen und persönlichen Austausch mit anderen Wissenschaftlern und befreundeten Fachkollegen wäre diese Arbeit nicht in dieser Form zustande gekommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Gregor Ahn für die wertvollen fachlichen Auseinandersetzungen und für die Ermutigungen, in meiner Arbeit fortzufahren. Ebenso danke ich meinem Zweitbetreuer Prof. Michael Bergunder für die spannenden Gespräche und die Begeisterung, die er in mir für die Erforschung kolonialer und postkolonialer Zusammenhänge geweckt hat. Auch allen meinen Kollegen und Freunden, die mein Promotionsprojekt durch fachliche Gespräche, kritische Lektüre und persönliche Ermutigungen unterstützt haben, möchte ich herzlich hierfür danken. Namentlich seien insbesondere Dr. Frank Peter und Dr. Ismail Warscheid für die vielen fachlichen Gespräche und Hinweise sowie Dr. Andreas Pesch für sein intensives inhaltliches wie sprachliches Korrekturlesen der gesamten Dissertationsschrift gedankt. Für verbleibende Fehler trage ich selbstverständlich die alleinige Verantwortung. Zuletzt danke ich Prof. Oliver Krüger an der Universität Freiburg (CH), der mich als Chef stets unterstützt und nicht zuletzt durch seine Flexibilität zum erfolgreichen Fertigstellen meiner Dissertation beigetragen hat; Prof. Gregor

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Danksagung

Ahn, Prof. Michael Stausberg, Prof. Jürgen Mohn und Prof. Oliver Freiberger für die Aufnahme meines Buches in die Reihe „Critical Studies in Religion/ Religionswissenschaft“ sowie in das Programm des Vandenhoeck & RuprechtVerlags; dem Gutachter für seine wertvollen Hinweise zur Überarbeitung des Manuskripts und Dr. Bernhard Kirchmeier für die kompetente und zuverlässige Betreuung während der Vorbereitung für den Druck.

Abkürzungsverzeichnis ACHAC

Association pour la connaissance de l’histoire de l’afrique contemporaine AEIF Association des tudiants islamiques de France AQIM Al-Qaeda in the Islamic Maghreb AUMA Association of Algerian Muslim Ulama BCC Bureau central des cultes CAP Centre d’analyse et de pr vision CCAI Comit consultatif des affaires indig nes CCMTF Comit de coordination de musulmans turcs de France CCCM Comit consultatif du culte musulman CFCM Conseil franÅais du culte musulman CIAM Commission interminist rielle des affaires musulmanes CIFIE Comit ind pendant de la finance islamique en Europe CIM Comit de l’institut musulman CORIF Comit d’orientation et de r flexion sur l’islam en France CSI Conseil sup rieur islamique CRCM Conseil r gional du culte musulman CRMF Conseil repr sentatif des musulmans de France DITIB Diyanet I˙s¸leri Türk I˙slam Birlig˘i (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) DAS Direction des affaires strat giques DRS Direction du renseignement et de la s curit EHESS Ecole des hautes tudes en sciences sociales ELCO Enseignement des langues et cultures orientales ENA Etoile nord-africaine EPHE Ecole pratique des hautes tudes FAF Fraternit alg rienne de France FNMF F d ration nationale des musulmans de France FIS Front islamique du salut FNGMP F d ration nationale de la Grande Mosqu e de Paris FEGMP F d ration europ enne de la Grande Mosqu e de Paris FFAIACA F d ration franÅaise des associations islamiques d’Afrique des Comores et des Antilles FLN Front de lib ration nationale FFFLN F d ration franÅaise du front de lib ration nationale FRGMP F d ration r gionale de la Grande Mosqu e de Paris GIA Groupe islamique arm e GIF Groupement islamique de France

300 GMP HCA IESH IISSM IMMP RND RMF SAF SAINA SFCVH SSGAI UIF UMP UOIF

Abkürzungsverzeichnis

Große Moschee von Paris Grande Mosqu e de Paris Haut conseil alg rien Institut europ en des sciences humaines Institut d’ tudes de l’islam et des soci t s du monde musulman Institut musulman de la mosqu e de Paris Rassemblement national d mocratique Rassemblement des marocains de France Soci t africaine de France Service des affaires indig nes nord-africaines Soci t franÅaise de contr le de viande hal l Section sociologique de la direction g n rale des affaires indig nes Universit islamique de France Union pour un mouvement populaire Union des organisations islamiques de France

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Unveröffentlichtes Quellenmaterial und Zeitungsartikel mit unbekanntem Autor Graue Literatur Abkürzung im Text: GL (nach Kurztiteln, wenn Erstellungsdatum unbekannt: ,Datum‘ = Jahr, in dem das Dokument im Feld erworben wurde; wenn Erstellungsort unbekannt: ,Ort‘: = Ort, an dem das Dokument erworben wurde; (,Gattung‘) = Hinweis auf den Literaturtyp. Inklusive der Zeitungsartikel ohne Autorenangaben) Condamnations unanimes, 05. 12. 1996: Condamnations unanimes apr s l’attentat du RER, in: Le Monde,(,Zeitungartikel’). Crise chez les musulmans franÅais, 23. 09. 2004: Crise chez les musulmans franÅais, in: La Nouvelle R publique du Centre Ouest (,Zeitungsartikel’).

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Archivmaterial Abkürzung im Text: AN (Archives Nationales, France) (nach Kurztiteln, die mit „BCC“ bezeichneten Dokumente wurden mir direkt am Bureau central des cultes (BCC) des französischen Innenministeriums überreicht). Boubakeur/DemandeVisasImams, Brief von Dalil Boubakeur an Jean-Louis Debr am 28. 03. 1997, AN-19970154, Art. 5, 1.1. Boubakeur/Etat de l’Islam en France, Bericht von Dalil Boubakeur an das französische Innenministerium am 07. 12. 1993, AN-19970154, Art. 5, 1.1. Boubakeur/Grand Mufti 1, Brief von Dalil Boubakeur an Paul Bernard am 28. 02. 1996; AN 19970374, Art.3, 2 u 4. Boubakeur/Grand Mufti 2, Brief von Paul Bernard an Louis Debr und Andr Damien am 08. 03. 1996; AN 19970374, Art.3, 2 u 4. Boubakeur/Grand Mufti 3, Brief von C. Baptiste (Direktor der H pitaux de Lyon) an Kamel Mansour am 03. 05. 1996, AN 19970374, Art.3, 2 u 4. Boubakeur/L gion d’honneur, Rede von Charles Pasqua am 23. 03. 1995, ohne Ortsangabe, AN-19970154, Art.5, 1.1. Boubakeur/R union Imams, Brief von Dalil Boubakeur an das Innenministerium am 13. 06. 1995, AN 19970154, Art. 5, 1.1.. Boubakeur/S jour des Imams, Brief von Dalil Boubakeur an Alain Jupp am 27. 08. 1993; AN 19970154, Art. 5, 1.1. Boubakeur/Situation du Culte Musulman, Brief von Dalii Boubakeur an Jean-Louis Debr am 28. 03. 1997, AN 19970374, Art.3, 2 u. 4. Convention Imams ELCO, Konvention zwischen dem Comit des habous d’Alg rie und der Soci t des Habous et Lieux Saints de l’Islam de Paris am 18. 07. 2001, BCC. Institut de Th ologie, Mitteilung eines Mitarbeiters des Innenministeriums, zirkuliert am Innenministerium, am 16. 11. 1993, AN-19970154, Art. 5, 1.1. Mosqu e de Paris/Allocution Pasqua, Rede von Charles Pasqua am 02. 05. 1995 anlässlich des 50-jährigen Endes des Zweiten Weltkriegs an der Großen Moschee von Paris, AN19970154, Art. 5, 1.1.

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Interviews Abkürzung im Text: INT INT GOD: Gespräch mit Bernard Godard am 22. 10. 2008, 10 Uhr 30, Ort: BCC, Innenministerium: ca. 100 Minuten INT CHE: Gespräch mit der Lehrperson Chebel am 24. 10. 2008, 14 Uhr 10, Ort: tunes. Restaurant gegenüber der GMP: ca. 40 Minuten INT ANO1: Gespräch anonymisiert am 23. 01. 2009, 13.30 Uhr, Ort: Institut Catholique: ca. 30 Minuten INT ANO2: Gespräch anonymisiert am 09. 01. 2009, 14 Uhr 45, Ort: Institut al-Ghazali: ca. 15 Minuten.

Unterrichtsmitschriften Abkürzung im Text: UM, im Text wie folgt angegeben: Kurztitel des Kurses/ Datum der Mitschrift/ Seitenzahl der beschrifteten Papierbögen. Feldforschungsnotizen Abkürzung im Text: FFN, im Text wie folgt angegeben: Datum der Niederschrift. Alle FFN beruhen auf Beobachtungen in den Räumen des Institut alGhazali der Großen Moschee von Paris.

Anhang

Oran: Licence: Sciences islamiques: Fiqh wa usu¯l ˙ 1. Jahr Klassisch-islamische Fächer

Paris: Al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya

Koranmemorierung und -Rezitation (hifz al-qurBa¯n wa tartı¯latihi) ˙ ˙ Koranwissenschaften (Culu¯m al-qurBa¯n)

Koranmemorierung (hifz al-qur˙ ˙ Ba¯n)

Hadithwissenschaften (Culu¯m alhadı¯th) ˙ Individuelle Pflichten (fiqh al-Ciba¯da¯t) (Erstes Semester)

Hadithwissenschaften (Culu¯m alhadı¯th) ˙ Individuelle Pflichten (fiqh al-Ciba¯da¯t)

Koranwissenschaften (Culu¯m alqurBa¯n)

Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) ˙ (Zweites Semester) Glaubenslehre (Caqı¯da) Islamische Geschichte: Prophetenbiographie (al-ta¯rı¯kh al-isla¯mı¯: alsı¯ra al-nabawiyya) (Erstes Semester)

Prophetenbiographie (sı¯ra)

Islamische Geschichte und Zivilisation Islamische Geschichte: Geschichte Islamische Zivilisation (hada¯ra is˙ ˙ der rechtgeleiteten Kalifen la¯miyya) (al-ta¯rı¯kh al-isla¯mı¯: ta¯rı¯kh al-khulafa¯’ al-ra¯shidı¯n) (Zweites Semester) Islamische Kultur (thaqa¯fa isla¯miyya) Rechtslehre (nazariyya al-haqq) ˙ ˙ Einführung in das Gesetz (madkhal li–l-qa¯nu¯n)

Islamische Kultur (thaqa¯fa isla¯miyya)

330

Anhang

(Fortsetzung) Oran: Licence: Sciences Paris: Al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya islamiques: Fiqh wa usu¯l ˙ Einführung in die Logik (muba¯da almantiq) ˙ Wissenschaftliches Arbeiten Wissenschaftliche Recherche (mana¯hidj al-bahth al-Cilmı¯) (Zweites ˙ Semester)

Bibliotheksrecherche (maktaba tatbı¯q) ˙

Sprachunterricht Arabische Sprache

Arabische Sprache

Englische Sprache

Französische Sprache

Wissenschaftliches Editieren von Handschriften (manhadjiyya tahqı¯q ˙ al-makhtu¯ta¯t) ˙ ˙ Ausbildung zum Imam, zum Seelsorger und Fächer zum französischen Lebenskontext Angewandtes Imamat (al-ima¯ma (tatbı¯q)) ˙ Seelsorge (irsha¯d) Les institutions franÅaises 2. Jahr Klassisch-islamische Fächer Koranmemorierung und -rezitation (hifz al-qur’a¯n wa tartı¯latihi) ˙ ˙ Hadithanalyse (hadı¯th tahlı¯lı¯) ˙ ˙ Familienrecht (fiqh al-usra)

Koranmemorierung (hifz al˙ ˙ qur’a¯n) Hadithanalyse (hadı¯th tahlı¯lı¯) ˙ ˙ Familienrecht (fiqh al-usra)

Zivil- und Handelsrecht (fiqh almuCa¯mala¯t) Prophetenbiographie (fiqh al-sı¯ra) Vergleichendes Recht (fiqh muqa¯ran) (Viertes Semester)

331

Anhang (Fortsetzung) Oran: Licence: Sciences islamiques: Fiqh wa usu¯l ˙

Paris: Al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) ˙ daCwa-Lehre (fiqh al-daCwa)

Strafrecht (fiqh al-djana¯iyya¯t) Glaubenslehre (Caqı¯da) Koranauslegung (tafsı¯r al-qurBa¯n) Islamische Geschichte und Zivilisation Geschichte der islamischen Gesetzgebung (ta¯rı¯kh al-tashrı¯C) Pflichtenlehre (nazariyya al-iltiza¯m) ˙ Schariakonforme Politik (siya¯sa sharC¯ıyya) Logik (mantaq) ˙ Wissenschaftliches Arbeiten Methodologie der islamischen Wissenschaften (manhadj al-bahth fı¯-l˙ Culu¯m al-isla¯miyya)

Bibliotheksrecherche (maktaba tatbı¯q) ˙

Methodologie der Authentifizierung von Hadithen (manhadjiyya takhrı¯dj al-aha¯dı¯th) ˙ Sprachunterricht Arabische Sprache

Rhetorik (al-bala¯gha)

Englische Sprache

Französische Sprache

Ausbildung zum Imam, zum Seelsorger und Fächer zum französischen Lebenskontext angewandtes Imamat (ima¯ma (tatbı¯q) ˙

332

Anhang

(Fortsetzung) Oran: Licence: Sciences islamiques: Fiqh wa usu¯l ˙

Paris: Al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya Seelsorge (irsha¯d)

3. Jahr Klassisch-islamische Fächer Koranmemorierung und -rezitation (hifz al-qur’a¯n wa ˙ ˙ tartı¯latihi)

Koranmemorierung (hifz al-qur˙ ˙ Ba¯n)

Rechtsrelevante Hadithe (aha¯dı¯th al˙ ahka¯m) ˙ Rechtsmethodologie (usu¯l al-fiqh) ˙ (Fünftes Semester)

Rechtsrelevante Hadithe (aha¯dı¯th ˙ al-ahka¯m) ˙ Rechtsmethodologie und Zielsetzungen der Scharia (usu¯l al-fiqh wa ˙ maqa¯sid al-sharı¯Ca) ˙

Zielsetzungen der Scharia (maqa¯sid al-sharı¯Ca) ˙ (Sechstes Semester) Rechtsrelevante Koranverse (a¯ya¯t al-ahka¯m) ˙ Grundsätze islamischer Rechtstheorie (qawa¯Cid fiqhiyya) Erb- und Spenderecht (al-mawa¯rı¯th wa-l-tabarruCa¯t) Kommentieren von Hadithen (fiqh al-hadı¯th) ˙ Zivil- und Handelsrecht (fiqh al-muCa¯mala¯t) Die Geschichte der Rechtsschulen (ta¯rı¯kh al-madha¯hib fiqhiyya) Koranauslegung (tafsı¯r al-qurBa¯n) Islamische Geschichte und Zivilisation Islamische Wirtschaft (iqtisa¯d ˙ isla¯mı¯)

Islamische Heterodoxie (firaq isla¯miyya)

333

Anhang (Fortsetzung) Oran: Licence: Sciences islamiques: Fiqh wa usu¯l ˙ Wissenschaftliches Arbeiten

Paris: Al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya

Recherchemethoden Methoden zur Vorbereitung der (mana¯hidj bahth) wissenschaftlichen Recherche ˙ (manhadjiyya iCda¯d al-buhu¯th al-Cil˙ miyya) (Sechstes Semester) Wissenschaftliches Editieren von Handschriften (manhadjı¯yya tahqı¯q ˙ al-makhtu¯ta¯t) (Fünftes Semester) ˙ ˙ Sprachunterricht Arabische Sprache

Übersetzung Arabisch-Französisch

Englische Sprache Ausbildung zum Imam, zum Seelsorger und Fächer zum französischen Lebenskontext Westliche Philosophie (philosophie –falsafa gharbiyya) Imamat und Predigtkunst (ima¯ma wa khita¯ba) ˙ 4. Jahr Klassisch-islamische Fächer Koranmemorierung (hifz al-qur˙ ˙ Ba¯n) Erbrecht (mawa¯rı¯th) Prioritätenrecht (fiqh al-awwaliyya¯t) Vergleichendes Recht (fiqh muqa¯ran) Islamische Geschichte und Zivilisation Geschichte der Religionen (ta¯rı¯kh al-adya¯n) Sufismus (tasawwuf) ˙

334

Anhang

(Fortsetzung) Oran: Licence: Sciences islamiques: Fiqh wa usu¯l ˙ Wissenschaftliches Arbeiten

Paris: Al-dira¯sa¯t al-isla¯miyya

Recherchen für die Abschlussarbeit (bahth al-takharrudj) ˙ Sprachunterricht

Übersetzung Französisch-Arabisch Ausbildung zum Imam, zum Seelsorger und Fächer zum französischen Lebenskontext Communaut europ enne Imamat und Predigtkunst (ima¯ma wa khita¯ba) ˙

Sachregister

Al-Azhar 160, 194, 209, 215–217, 219–221, 277, 279 Al-Zaituna 19, 160, 194, 220, 260, 279 Antagonismus 35, 37–42, 50 f., 55–57, 63 f., 108, 129, 135, 137 f., 142, 153, 163, 166, 181, 185 f., 207, 227, 235, 253, 279, 283, 288 f., 294 – antagonistische Opposition 39 f., 64, 135, 163 äquivalent 35–37, 42 f., 63 – Äquivalenzkette 9, 36–40, 42, 50 f., 54–57, 63 f., 83, 135, 139, 141 f., 149, 156, 206 f., 227, 288 f., 293 f. Architektur 16, 60, 65, 81, 83, 97–99, 106, 108 f., 111, 113, 249, 282 Artikulation 12, 33, 40, 45, 49, 59, 63–65 – artikulatorische Praktik 33, 35–37, 41, 43, 113, 293, 295 Aushandlung 13–15, 17, 31 f., 41, 48, 54, 81, 121, 175, 295 Bureau central des cultes 22–24, 62, 76, 144, 154, 167, 178, 204, 206, 299, 326 f. Charte du culte musulman 136 f., 152 f., 156, 158, 196, 285 Comit de r flexion sur l’islam en France 135 f., 299 Conseil franÅais du culte musulman 21, 23, 74, 76, 130 f., 159, 163–167, 169–180, 182–184, 186–189, 196, 299 Coordination nationale des musulmans de France 136 f. Demokratie 40, 123, 132, 140, 183 f., 187, 237–240, 243, 253, 287 different 12, 33–36, 38, 42 f., 45, 48, 64, 68, 175, 196, 253, 293 f.

– Differenzialität 9, 35, 38 – Differenzkette 38, 41 f., 50, 63 f., 227, 293 f. Diskurs 10, 17, 26, 28, 31, 33–36, 38–45, 47–56, 59, 63 f., 72, 124, 129 f., 137 f., 140, 153, 159, 169, 177, 180, 185, 188, 191 f., 207, 217, 220, 230, 263 f., 270 f., 279, 281, 286, 289, 294 f. – Diskursanalyse 58 f., 64 f., 295 – diskursive Formation 15, 33 f., 41, 43 f., 49, 295 – Diskursposition 21, 25, 27, 33, 43, 81, 108, 132, 141, 147, 165, 181, 207, 229 f., 234 f., 243, 247, 253, 258, 268, 272, 282, 288, 291, 293 – Diskurstheorie 15, 33, 49, 61 Erinnerungspolitik

79, 89

Front de lib ration nationale 118–123, 126, 132, 140, 161, 165, 172, 231, 243, 299 Front islamique du salut 118, 123, 126, 132–134, 140–142, 148, 159, 183 f., 243 f., 299 Fundamentalismus 36 f., 123, 137, 141, 143, 155, 160, 166–168, 178–180, 182, 270–272 Hegemonie 41 f., 46, 54, 129, 137, 140, 151, 149, 172, 192, 207, 215, 247, 250, 263, 268, 270, 286 Identitätsmarker 16 f., 36–40, 41, 45, 48–57, 60 f., 63–65, 81, 83, 89, 91 f., 96, 103, 105, 112 f., 129, 131 f., 135, 137–142, 144, 148 f., 153, 158 f., 164, 167, 169, 173 f., 181, 187, 191, 206, 213,

336

Sachregister

215, 225, 227, 229, 235, 253, 256 f., 271, 275, 277, 279, 281–284, 286–289, 291–295 – Identität 10–12, 17, 28, 32 f., 35–41, 44, 46–48, 50, 54, 56, 89, 93, 97, 105, 113, 118, 125, 133, 139 f., 142, 159, 181, 206 f., 211, 214, 224, 229, 240, 253, 256 f., 260, 267, 279, 281, 283, 285 f., 288, 293–295 – Überdeterminiertheit 41, 54, 129, 142, 253 Imamausbildung 147 f., 154 f., 158, 175 f., 185, 191 f., 195, 198 f., 200, 203, 292 Imam 10, 18, 22, 26, 44, 56, 72–77, 88, 107 f., 116, 121, 130, 137, 140, 143–151, 154–158, 160, 170, 173–177, 184–188, 191–199, 201–203, 205–207, 209 f., 212, 214, 219, 234, 239, 263 f., 273, 284–286, 290–292, 330 f., 333 f. – „französischer Imam“ 144 f., 147, 174, 185 – „moderater Imam“ 56, 149, 154–156, 158, 173, 188, 206 – „radikaler Imam“ 56, 143, 148 f., 149, 155, 174 – „salafistischer Imam“ 174 f., 276 Imperialismus 9, 12, 28–30, 46, 49 f., 89, 97, 100, 111, 206 f., 214, 225, 229, 240, 257, 261, 267, 281 f., 293 Innenpolitik 130, 145, 147, 167, 171 Innenminister 22, 77, 81, 123, 132–137, 143, 145 f., 149, 155, 160, 162–164, 170, 172, 175, 178 f., 187, 194, 283 Innenministerium 22, 24, 76, 87, 116, 120, 126, 130, 133, 143, 146, 150 f., 154 f., 157 f., 167, 171 f., 174–176, 199, 201, 204, 290, 326 f. Institut al-Ghazali 10, 13 f.,16 f., 19, 27, 60–62, 65 f., 68 f., 71–73, 130, 176 f., 189, 191 f., 199–217, 219–222, 224 f., 227, 239, 253 f., 257 f., 268, 279, 283, 285 f., 297 Islam – „fundamentalistischer Islam“ 36 f., 141, 160, 166, 179 f. – Hochislam 99 f., 103

– „moderater Islam“ 37, 42, 56 f., 72, 77, 126 f., 129, 135, 137, 141 f., 144, 146, 149, 152 f., 155, 158 f., 167–169, 178, 183–185, 187–189, 216, 225, 283–285, 291, 293 – „orthodoxer Islam“ 14, 99 f., 115, 138, 141, 215 f., 258, 262, 270, 272, 278 f. – „radikaler Islam“ 10, 37, 42, 56, 129–135, 138, 141–143, 148–152, 159 f., 162, 169, 174, 178–181, 184, 186–188, 198, 216, 283 f., 291 – Rechtschulenislam 42, 212, 217, 256, 259, 276, 278 f. – Reformislam 10, 88, 138–142, 160, 214, 216, 250–252, 259, 272, 278 f., 286, 288 f. – „salafistischer Islam“, s. Salafismus – „traditioneller Islam“ 17, 23 f., 65, 167 f. islamischer Gelehrter 15, 88, 155, 192, 198, 221, 240, 263, 277 f. islamisches Recht 13, 52, 67, 73, 104, 141, 160, 166, 179 f., 192, 194, 196, 205, 208–213, 218–223, 248–252, 254 f., 265, 269, 271, 275, 277 f., 289, 329–333 – Ciba¯da¯t (individuelle Pflichten) 160, 208, 210–212, 218, 221, 248, 251, 255, 272, 274, 277–279, 289, 329 – muCa¯ma¯la¯t (Zivil- und Handelsrecht) 211 f., 218, 270. Islamismus 11, 25, 122–124, 129, 132 f., 135, 140, 142, 148, 153, 155, 158–160, 162–164, 168 f., 171, 179–184, 186, 188 f., 198, 216, 243, 284, 291 Kolonialismus, s. Imperialismus – Kolonialgeschichte 12 f., 15 f., 25, 28–30, 45 f., 48 f., 57, 60, 81, 102, 108, 164 f., 167, 169, 183 f., 191, 197, 208, 228 f., 282, 287–289, 293 f. – Kolonialmacht 12, 46, 53, 77, 83, 85–90, 95 f., 105, 120, 138 f., 169, 197 f., 209, 214, 260, 282, 286 – Kolonie 12, 14, 29, 47 f., 51, 54, 84, 86–89, 91–98, 103, 115, 138, 147, 282 f., 290

Sachregister Laizität 22, 29, 37, 40, 80, 84, 88, 114, 126, 135, 145, 150 f., 162–166, 176, 212, 239 f., 248, 253, 287 leerer Signifikant, s. Identitätsmarker Macht 28–30, 41 f., 47, 57, 63–65, 85 f., 95, 115, 119, 127, 132, 167, 170, 193, 281 – Machtpolitik 13, 23, 25, 53, 63 f., 83 f., 89, 92, 98, 121, 131, 135, 151, 178, 180, 183 f., 186, 188 f., 227, 234 f. – Machtposition 14, 136, 159, 177, 182, 186 Malikismus 10, 42, 155, 212–216, 218 f., 251, 255 f., 258 f., 261, 272, 277, 279 – malikitische Rechtschule 214, 218, 258, 278 Moderne 47, 52 f., 55 f., 89 f., 139, 142, 169, 181, 230, 233, 235, 240 f., 247, 253, 256 f., 259, 271, 279, 287–289, 294 Muslimbrüder 14, 21, 23, 55, 125, 134, 160, 164 f., 166, 168, 184, 186, 193, 215 f., 266, 276 muslimische Soldaten 77, 79–81, 92–94, 96, 101, 103, 167 MuCtazila 18, 258 f., 268–270 Okzident, siehe: Westen Orientalismus 10, 49, 54 f., 91, 99 f., 103, 139, 142, 181, 183, 195, 259, 282, 288, 293 – Orient 11, 37, 49–55, 65, 100, 104, 109–113, 224–226, 228–230, 235 f., 241–243, 282, 288 – Orientale 11, 37, 40, 49 f., 54, 83, 110, 154, 224–229, 235 f., 253, 256, 281, 287 f., 294, 299 Orthodoxie, s. „orthodoxer Islam“ postcolonial studies, siehe: postkoloniale Studien postkoloniale Studien 12, 15, 28 f., 31 Rechtschulenislam, s. Islam Reformislam, s. Islam – Association des Oul mas Musulmans Alg riens 140, 148, 262, 299 – Reformprediger 122, 140–142, 147,

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198, 206, 209, 213 f., 218, 244, 262, 286, 292 Republik 21, 29, 77, 80, 91, 121, 135, 137 f., 142–144, 150, 153, 159, 162–164, 173 f., 177, 181, 186, 188, 196, 204, 245, 281, 283–285, 287, 289 Salafismus 10, 14, 21, 23, 42, 141, 160 f., 164, 174 f., 186, 188, 193, 214 f., 216 f., 240 f., 253, 258, 263, 276 f., 281, 295 Salafiyya 18, 160, 277 f., 289 Scharia 18, 94, 123, 194, 204, 211, 217–223, 228, 233 f., 239, 244, 248–252, 265, 268, 278, 287, 332 – Zielsetzungen 211, 218, 220–223, 250–252, 257, 267, 278, 287 Scheich 194, 232, 234 Sicherheitspolitik 11, 14 f., 17, 21 f., 123 f., 129–132, 143 f., 149 f., 155, 158, 160, 162, 167 f., 171, 174, 187, 191, 194, 198, 213 f., 222, 234, 245 f., 253, 258 f., 283, 287, 290, 292 f. Sidi Ouled Cheikh 120, 127, 158, 201 Signifikant 9, 32, 34–42, 49, 51, 57, 270, 281, 293 f. Soci t des Habous et des Lieux Saints de l’Islam 85, 88 f., 96, 98 f., 121 f., 127 Spiritualität 18, 102, 106–108, 113, 175, 197, 215, 228, 230 f., 233 f., 239, 241–248, 250, 256, 264–267, 273, 289 Sufismus 22, 73, 77, 86, 120, 138, 141, 168 f., 215 f., 222 f., 225 f., 229 f., 231–234, 242, 244 f., 246–250, 253, 260–262, 266 – Sufibruderschaft 138, 223, 232, 261 – Sufi-tarı¯qa 120, 169, 231–235 246, ˙ 249 f., 253 tarı¯qa, siehe: Sufi-tarı¯qa ˙ ˙ Terrorismus 130, 132–134, 149, 159–164, 169, 180, 187 Traditionalismus 10, 230 f., 233 f., 239, 249, 288 transnational 13, 15, 31 f., 44 f., 49, 54, 60, 119, 129–131, 138, 141, 149, 161, 173, 181, 189, 191, 198, 253, 272, 285 f., 292 f., 295

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Sachregister

Unabhängigkeit 11–14, 28 f., 34, 55 f., 71, 74, 87, 94, 118–122, 126, 135, 137, 139 f., 142, 147 f., 169 f., 189, 193, 198 f., 206, 214 f., 228 f., 231, 238, 262, 269, 273, 283, 291 Union des Organisations Islamiques de France 21, 23, 75 f., 125, 131, 133–136, 144 f., 149, 151, 154, 162, 164–168, 170, 172–180, 186 f., 189, 194, 196, 200, 205, 207, 211, 214, 279, 290, 300 Verflechtung 9, 13, 15, 32, 46–49, 53 f., 57, 60, 64, 119, 129, 141 f., 149, 158, 181, 187, 240, 253, 272, 275, 279, 28, 286–289, 291, 293 f. – Verflechtungsgeschichte 9, 31–33, 45 f., 48, 60, 292 f. Vernunft 55, 184, 260 f., 264, 268–271, 289

Wahhabismus 141 f., 151, 153, 155, 214–216, 221, 245, 258–260, 268, 271, 276 f. Westen 10 f., 37, 47–50, 53–55, 66, 68, 160 f., 223–230, 232 f., 235 f., 238–243, 252 f., 256 f., 267 f., 276, 279, 287–289, 293 f. Wissenschaft 12, 14, 55, 66 f., 72, 84, 107, 142, 202, 207, 209, 212, 215, 220, 231, 238–240, 257, 260, 265, 268–270, 287, 289, 331 – Wissen 13, 53, 139, 145, 192, 196, 237–239, 244 f., 247, 249, 262–268, 271, 277–279, 287, 294 Al-Zaituna 19, 160, 194, 209, 216 f., 220 f., 260 f., 279

Personenregister

Abduh, Muhammad 55, 160, 259–261, 269 f., 278 al-Alawi, Ahmad 232–234 al-Albani, Nasir al-Din 216, 221, 276 f. al-Aschari, Abu al-Hasan 269 f. al-Haschimi, Khaled 87 al-Khattabi, Abdelkrim 87 al-Qaradawi, Yusuf 133, 146, 211 Arkoun, Mohammed 22 f., 144, 146, 221 f., 263 f. Autrand, M. 102–104, 227 Bekri, Abdelkrim 201, 207, 210 Bencheikh al-Hocine, Abbas, 122, 126 f. Ben Ghabrit, Khaddour 26, 71, 82 f., 88, 91 f., 99, 102 f., 105–107, 115–117, 119, 183 Ben Youssef, Mohammed 18, 82, 85, 88, 91, 94 f., 183 Bergunder, Michael 12, 31 f., 35, 37–40, 297 Boubakeur, Dalil 9 f., 16, 26, 63, 72–74, 76, 78, 120, 126 f., 129, 131, 134, 136 f., 146, 149–159, 162, 167, 175, 177–189, 197 f., 200–202, 234, 271, 285 Boubakeur, Hamza 78, 120–122, 127 Bourdarie, Paul 84–86, 100 f., 106 Boyer, Alain 22–25, 71 f., 76, 78, 84 f., 88, 98, 115, 120–127, 132, 135 f., 142, 145, 147, 165 f., 170, 178 f., 200 Bretfeld, Sven 32, 293 Chakrabarty, Dipesh 12, 28, 46, 48 Chev nement, Jean-Pierre 22, 144, 163, 187 f., 194 Chirac, Jacques 22, 79, 81, 135, 162 f., 178, 183 Davidson, Naomi 25, 53, 73, 86 f., 95, 98–101, 106–108, 111–116, 118 f., 122

Deltombe, Thomas 25, 131–135, 159–164, 166, 174, 178 Derrida, Jacques 9, 28, 34 f., 281 Fleurot, Paul 90 f., 109 Foucault, Michel 28, 33, 41, 43–45, 58 Godard, Bernard 22, 24 f., 62, 71 f., 74–76, 125–127, 135–137, 154, 157 f., 163, 165, 167–172, 175 f., 194–199, 204 Godin, Pierre 94 f., 103 Gout, M. 90, 97, 105, 109 Gu non, Ren 10, 17, 19, 229–234, 236–239, 241 f., 245–250, 252 f., 287 f., 294 f. Haddam, Tedjini 126 f., 135 Hall, Stuart 12, 28, 37 f. Hollande, FranÅois 79–81, 187 Ibn Arabi, Muhyiddin 232, 244 f., 248 f. Ibn Aschur, al-Tahir Muhammad 216, 220 f., 251 f. Ibn Badis, Abd Al-Hamid 122, 206, 213 f., 260–262, 266, 279, 288 Joxe, Pierre

135 f., 143

Keller, Reiner 58 f., 63–65 King, Richard 11 f., 50, 52–54, 229 Laclau, Ernesto 9, 15, 31–43, 45 f., 48–51, 58 f., 63, 281, 293–295 Lyautey, Hubert 85, 98, 183, 227 Morin, Herv

79 f.

Nonhoff, Martin

31, 36, 38–40, 43

340 Oubrou, Tareq

Personenregister 194, 264

Pasqua, Charles 81, 123, 132–137, 141–146, 149 f., 152, 164, 177 f., 183 Ramadan, Tariq 18, 22, 193, 264 Randeria, Shalini 9, 15, 32 f., 46–49, 55, 119, 284, 293 f. Rida, Raschid ibn Ali 96, 141, 160, 213, 251 f., 259–261, 278 f., 288

Said, Edward 11 f., 49 f., 52–54, 225 Sarasin, Philipp 27, 34, 37 Sarkozy, Nicolas 76, 79, 160, 162–164, 166, 170, 174, 179, 183, 194, 226 Saussure, Ferdinand de 34 f. Valsan, Michel Werner, Michael

229, 232–234, 242 f. 45 f.