Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich [Reprint 2019 ed.] 9783111673127, 9783111288383

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Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich [Reprint 2019 ed.]
 9783111673127, 9783111288383

Table of contents :
Vorwort
Literaturauswahl zur Trennungsfrage in Frankreich
Die trennung von staat und kirche in framkreich
Nachwort

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VERLAG von A L F R E D T Ö P E L M A N N (vormals J. Ricker) in GIESSEN

Die Entstehung der Reformatio ecclesiarum Hassiae von 1526. Eine kirchenrechtliche Studie von

Dr. jur. J. K. Julius Friedrich. Gr. 8°.

132 Seiten.

Mk. 2,80.

1905.

Kirchenrechtliche Quellen des Grossherzogtums Hessen. Eine Quellensammlung zur Stellung von Staat und Kirche und zum kirchlichen Verfassungsrecht von

Dr. Arthur Schmidt, Geh. Justizrat, ord. Professor der Rechte an der Universität Giessen.

H a u p t w e r k und E r g ä n z u n g s h e f t :

Mk. 6,70.

Hessische Verfassungsgesetze mit

Einführung und Erläuterungen herausgegeben von

Dr. W. van Calker, ord. Professor der Rechte an der Universität Giessen.

In Ganzleinen gebunden: Preis Mk. 3>5°Bildet den i . Band der Handausgabe Hessischer Gesetze.

Strafrechtliche Fälle zum akademischen Gebrauch von

Dr. Reinhard Frank, ord. Professor der Rechte an der Universität Tübingen.

Gr. 8°.

Dritte erweiterte Auflage.

Mk. i,—.

DIE TRENNUNG VON STAAT UND KIRCHE IN FRANKREICH

VON

J. K. JULIUS FRIEDRICH, DR. JUR. LANDEICHTEE, PRIVATDOZENT DES KIRCHENRECHTS UND DER RECHTSPHILOSOPHIE AN DEE UNIVERSITÄT GIESSEN

VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN (VORMALS J. RICKER) * GIESSEN * 1907

MEINER LIEBEN FRAU GEWIDMET

Vorwort.

Dieser Vortrag ist in Gießen — in der Reihe der »Akademischen Vorträge" — ein Jahr nach dem Inkrafttreten des französischen Trennungsgesetzes gehalten worden. Der gewaltige Stoff ist selbstverständlich nur skizzenhaft behandelt, doch sind die gesetzlichen Bestimmungen, deren V o r a u s s e t z u n g e n e i n g e t r e t e n und w e l c h e t a t s ä c h l i c h in Ü b u n g sind,in möglichster Vollständigkeit—teilweise in Form von Zusätzen (durch kompressen Druck hervorgehoben) — dargestellt. Die Drucklegung der Arbeit wurde hinausgeschoben, weil man auf eine abschließende Aktion in Frankreich wartete, die aber an der Konsequenz der Haltung des Vatikans gescheitert ist. Demzufolge wird wohl vorläufig alles in der Schwebe bleiben. Einen kurzen Uberblick über die Entwicklung seit dem 11. Dezember 1906 und über den Stand der Trennungsfrage in Deutschland bringt das Nachwort. Gießen, Pfingsten 1907. J. K. JULIUS FRIEDRICH.

Literaturauswahl zur Trennungsfrage in Frankreieh.

L. Brémond, L'alliance de l'église et de l'état 04. G. La Chesnais, L'église et les états. La séparation en Belgique, aux États-Unis etc. 04. Gayraud, La séparation de l'église et de l'état 04. Laehenmann in d. Christl. Welt 04—06. G. Noblemaire, Concordat ou séparation 04. A. Baudrillart, Quatre cents ans de Concordat 05. H. Charriaut, Après la séparation 05. C. Douais, La séparation et le pape 05. Émile Faguet, L'Anticléricalisme 05. B. Gaudeau, L'église et l'état laïque. Séparation ou accord? Étude de principes 05. C. Gide, La séparation des églises et de l'état 05. P. Grunebaum-Ballin, La séparation des églises et de l'état 05. H. Hemmer, Politique religieuse et séparation 05. C. Lejeune, La question religieuse 05. A. de Mun, Contre la séparation 05. (2. Aufl. 06.) I. Pravieux, Séparons-nous (2) 05. L. Trial, Le séparation des églises et de l'état 05. Vigllantius, Séparation de l'église et de l'état 05. Revue des deux mondes V. 1. x n 05 (Bmnetière, Quand la séparation sera votée). P. Sabatler, A propos de la séparation des églises et de l'état (4) 06. Raoul Allier, Une révolution 06. P. Batiffol, L'avenir prochain du catholicisme en France 06. Gayraud, La loi de séparation et le Pape Pie X. 06.

Otto Mayer im Neuen Sachs. K.-Blatt 06 No. 31, 32. Ernst Troeltseh, Die Trennung von Staat und Kirche. Der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten (Akademische Rede) 06. Dagult, Le régime au culte catholique antérieur à la loi de séparation et les causes juridiques de la séparation. Conférence faite à l'Ecole des Hautes-Etudes sociales le 13 mars 1907. Paris 07. L. Flourens, La liberté de l'esprit humain. Pourquoi l'église de France triumphera de la persécution 07. La séparation des églises et de l'état 07. Sägmüller, Die Trennung von Kirche und Staat, Mainz 07. Kommentare und Handbücher sind verzeichnet bei S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat 07, S. CXXXX. Der Text des Trennungsgesetzes und bezw. der Ausführungs- und Zusatzbestimmungen dazu findet sich bei E. F l o u r e n s , La séparation des églises et de l'état 6. Aufl. 07, bei A l l i e r (deutsch Tüb. 06), bei S ä g m ü l l e r , Die Trennung von Kirche und Staat, Mainz 07 Beil. (französisch und deutsch nebst Ausf.-VO.) und im Archiv f. kath. KR. Bd. 86 (französisch und deutsch nebst Ausf.-VO.),*) in der D e u t s c h e n Z e i t s c h r i f t f ü r K i r c h e n r e c h t (auch separat), Tüb. 06 (nebst Ausf.-VO.), eine deutsche Übersetzung auch in der F r a n k f u r t e r Z e i t u n g v. 9. XII. 05, 4. Morgenblatt. *) In der deutschen Übersetzung bei Sägmüller an beiden cit. Stellen liabe ioh zwei Fehler entdeckt: Art. 19 Abs. 1 „domiciliées on résidant", während S. „und" fibersetzt; Art. 11 „la durée de chacune des quatre périodes ci-dessus indiquées a é r a d o u b l é e " übersetzt S. „um das Doppelte verlängert".

„G-arder la f o i sans a b d i q u e r la r a i s o n " den Glauben bewahren, ohne die Vernunft abzudanken — ist wohl das dunkelste Seelenrätsel, das die Religion in die Brust ihrer Bekenner gelegt hat. Wer kann sagen, er habe des Rätsels Lösung gefunden? — Garder la foi sans abdiquer la raison — ist auch die Zauberformel, mit der die römische Kurie und die orthodoxe katholische Wissenschaft 1 den geoffenbarten und überlieferten christlichen Glauben in Einklang bringen möchte mit modernem Denken und Forschen. Daß dabei der Glaube der Vernunft gegenüber zu seinem Recht kommt, dafür bürgt die r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e W e l t a n s c h a u u n g : 2 Die Welt ist geworden und wird regiert durch den W i l l e n Gottes. Er manifestiert sich erstens in dem n a t ü r l i c h e n Gesetz, den natürlichen Beziehungen der Menschen untereinander und zu Gott: in F a m i l i e , S t a a t . Zweitens zeigt er sich in dem g e o f f e n b a r t e n Gesetz, in den übernatürlichen Beziehungen der Menschen untereinander und zu Gott: in der K i r c h e . Hier zeigt er sich am deutlichsten. Die Kirche ist die Manifestation des Willens Gottes Kaö' egoxnv. Das F u n d a m e n t der K i r c h e ist der c h r i s t l i c h e Glaube. Nur die Kirche vermag ihn aus der Bibel und der Tradition zu entnehmen. Nie darf sich weltliche Wissen*) Vgl. z. B. P. Wasmann, Die moderne Biologie und die Entwicklungstheorie. 3. Aufl. Freiburg 1907. ') Vgl. zum folgenden F. J. Moulart, Kirche und Staat oder die beiden Gewalten, übers, v. H. H o u b e n , Mainz 1881, S. 1 ff.



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schaft oder Gesetzgebung unterfangen, den Glauben zu definieren. Das Fundament der Familie, des S t a a t e s ist das Naturgesetz, die Vernunft. Aufgabe der Vernunft ist: Das Moralgesetz, das allen Menschen, auch den weltlichen Regierungen als Richtschnur dienen muß, zu erkennen. Dabei muß aber der Glaube mitwirken, wenn die Vernunft nicht ausreicht. Es gehört daher zur Mission der Kirche, das Moralgesetz zu verkünden, — festzusetzen, was ehrbar, gerecht, erlaubt ist. Wir sehen: Über der Vernunft steht allezeit helfend, berichtigend der Glaube, die Kirche. Niemals vermag die Vernunft, der Staat, die Grundrechte der Kirche zu entdecken, wohl aber — aufgeklärt durch den Glauben — sie zu bestätigen. Die Vernunft darf das göttliche Recht der Kirche ergänzen, z. B. das Recht der Kirche auf Besitz statuieren. Niemals aber darf sie sich mit dem Glauben in "Widerspruch setzen. Denn der Glaube ist zwar übervernünftig, aber nicht widervernünftig. Bei näherer Prüfung wird sich nämlich herausstellen, daß Vernunft, Wissenschaft und Glaube eins sind, weil sie alle von Gott stammen, Manifestationen sind des einen unteilbaren W i l l e n s Gottes. — Damit ist der Kreis geschlossen. Vom Standpunkte dieser Weltanschauung aus ist der Satz: Garder la foi sans abdiquer la raison für die Kirche kein Problem. Wohl aber ist das Verhältnis des Glaubens zur Vernunft, des Staats zur Kirche für den Staat ein Problem, seitdem es eine Kirche im Rechtssinne gibt, — Es ist das Problem, das man mit dem Schlagwort bezeichnet: V e r h ä l t n i s von S t a a t und Kirche. — In unseren Tagen kämpft F r a n k r e i c h den dritten weltgeschichtlichen Kampf mit der Kirche um eine Lösung des Problems, die der katholischen Weltanschauung nicht entspricht. Wir wollen auf die beiden früheren Epochen in der Geschichte Frankreichs einen Blick werfen, ehe ich auf die Ereignisse eingehe, die heute die Kulturwelt bewegen.



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Es ist bekannt, daß die gewaltigen Päpste des Mittelalters, Gregor VII., Alexander III, Innozenz HL und IV., Bonifaz VIII., den Gedanken der skizzierten römisch-katholischen "Weltanschauung annähernd zur rechtlichen Verwirklichung verholfen haben. Daraus ergab sich das Schema, das man als Einheit von Staat und Kirche unter der Oberherrschaft der Kirche bezeichnet. Der Staat ist der weltliche Arm, der Diener der Kirche, er ist als Vertreter der unvollkommenen, auf die Hilfe des Glaubens angewiesenen Vernunft zweiten Rangs. Die Kirche ist die höchste irdische Instanz, sie ist souverän. Die Kirche ordnet ihre Beziehungen zum Staat nach ihren Grundsätzen. Aber derjenige Papst, der es verstanden hat, diesen Grundsätzen in seiner Bulle Unam sanctam den imponierendsten Ausdruck zu verleihen, Bonifaz VIH, war es auch, der die Schwächung der Kirchengewalt und das allmähliche Erstarken des dem seinigen entgegengesetzten Prinzips kennen lernen mußte: der Einheit von Staat und Kirche unter der Oberherrschaft des Staats. Der Gegner, der ihm diese Erkenntnis beibrachte, war Philipp der Schöne von Frankreich. 1 Man kann den Kampf Philipps des Schönen mit Bonifaz VIH als den ersten Zusammenstoß des werdenden, modernen Staats mit der Kirche in Prankreich bezeichnen. Aber er bezweckte keine Trennung. Im Gegenteil. Die Lösung des Problems Garder la foi sans abdiquer la raison hat damals der vernünftige Staat und der gläubige König zugunsten des Glaubens, der unvernünftige und ungläubige Papst dagegen hat überhaupt keine Lösung gefunden. Man hat früher das Entgegengesetzte angenommen, nämlich daß Bonifaz VIIL dem Franzosenkönig gegenüber den wahren *) Vgl. H. F i n k e , Zur Charakteristik Philipps des Schönen, Vortrag, gehalten auf dem Salzburger Historikertag 1904 (Mitt. d. Inst, f. österr. Gesch. Bd. 26 S. 201 ff.). — K. W e n c k , Philipp der Schöne von Frankreich, seine Persönlichkeit und das Urteil seiner Zeit genossen. (Marb. Rekt. progr.) Marburg 1905.

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Glauben verteidigt habe, und der gegen den Papst nach, seinem Tode angestrengte Ketzerprozeß eine historische Ungerechtigkeit sondergleichen darstelle. Allein seit das Archiv von Barcelona seine Schätze der Forschung erschlossen hat, haben deutsche Gelehrte (Finke, Wenck, Scholz r j dargetan, daß Bonifaz VIEL als Persönlichkeit und Kind seiner Zeit in eine Reihe zu stellen ist mit so manch anderem Vorläufer der italienischen Renaissance, daß es mit seiner angeblichen ehrlichen mittelalterlichen Frömmigkeit nichts ist, daß diese vielmehr eher auf seiten Philipps zu finden war. Jedenfalls war die Opposition Philipps keine gegen die katholische Religion gerichtete. Schon eher kann man sagen, daß sie gegen die Kirche gerichtet war. Man kann sie bezeichnen als eine a n t i p ä p s t l i c h e D e f e n s i v e . Sie richtete sich gegen übermäßige Beeinflussung der Geistlichen und der Politik Frankreichs gerade durch diesen Papst, Bonifaz VIII. ist eine interessante Persönlichkeit in der Weltgeschichte. Von unbeugsamem Willen, heißem Temperament, Scharfsinn, Kenntnissen, praktischer Erfahrung, war er als Jurist und Mensch ein rechthaberischer Widerspruchsgeist, dabei ein überlegener Dialektiker und Gelehrter. Das ihh beherrschende zügellose Macht- und Kraftgefühl erzeugte in ihm Menschenverachtung, Ruhmsucht, Geldgier, laszive Sinnenlust. Alles andere war er, nur kein religiöser Glaubenseiferer, kein frommer Mann. Seien wir aber auch nicht ungerecht: die Gotteslästerungen, die ihm nachgesagt werden, die Beschimpfungen des Christentums und seiner Sakramente, das Leugnen der Unsterblichkeit der Seele, die Propaganda ') Zu vergleichen ist insbesondere: R i c h a r d Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz' VIII. (Heft 6—8 der kirchenrechtl. Abh. v. Stutz 1903). Ders., Zur Beurteilung Bonifaz' "VTH. und seines sittlich-religiösen Charakters, in Iiistor. Vierteljahrsschrift IX 4 1906 S. 470ff. H e i n r i c h P i n k e , Aus den Tagen Bonifaz' VIII., Münster 1902. K. Wenck, War Bonifaz VITT, ein Ketzer? (Hist. Ztschr. Bd. 94, N. F. 58 S. 1 ff. und Mitt. d. Instit. f. österr. Gesch. Forschg. Bd. 27 S. 186 ff.)



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für eine materialistische Lebensauffassung, für selbstsüchtiges Erdenglück lagen damals in der Luft. Es ist der Geist der kommenden Renaissance, der uns umweht. Die Masse der Gebildeten ist der Religion gegenüber skeptisch und indifferent. An den Universitäten streitet man sich darüber, ob die Theologie eine Wissenschaft, ob das christliche Dogma vernünftig, Christus eine historische Person sei, das Christentum "Wert habe usw., und versucht astrologische und physikalische Erklärungen für das Auftreten der Religionsstifter. Die L ö s u n g unseres Problems „garder la foi sans abd i q u e r la r a i s o n " wird in K i r c h e und "Wissenschaft von der Vernunft zugunsten der V e r n u n f t versucht. Dann kommt die Zeit, da der Ruf nach R e f o r m der Kirche in den Reihen der Gelehrten, innerhalb der Kirche und im staatlichen Lager laut wird, Uns interessiert dabei nur die exzeptionelle Stellung F r a n k r e i c h s in diesen Kämpfen. Hier war es neben den antipäpstlichen Motiven der A n g l i zismus, die E n g l a n d s c h w ä r m e r e i — wie J . H a l l e r im 1. Bande seines "Werkes Papsttum und Kirchenreform1 nachgewiesen hat — die eine merkwürdige Erscheinung hervorrief: die g a l l i k a n i s c h e n F r e i h e i t e n und den G a l l i k a n i s mus. Erstere sind ein am 15. Mai 1408 verkündetes Gesetz (Libertés et franchises de l'Eglise Gallicane), das bis zum Konkordat zwischen Franz I. und Leo X . vom Jahre 1516 in Kraft war und den Papst von jeder unmittelbaren Verfügung über Ämter und Vermögen der Kirche in Frankreich ausschloß. Es ist die Zeit des kirchlichen Schismas, da ein Papst in Rom und einer in Avignon, dieser unter Frankreichs Schutz, sich gegenüberstanden. Mit den K i r c h e n e i n i g u n g s bestrebungen geht in Frankreich Hand in Hand der K a m p f gegen den p ä p s t l i c h e n B e s t e u e r u n g s - und Gebührene r h e b u n g s a n s p r u c h , der K a m p f gegen die B e s e t z u n g i) Berlin 1903, S. 465 ff. Vgl. auch H a l l e r , Der Ursprung der gallikanischen Freiheiten (Vortrag, gehalten auf dem 7. Historikertag in Heidelberg 1903) in Histor. Zeitschr., v. Sybel Bd. 91 N. F . 55 S. 193 ff.

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der g e i s t l i c h e n Ä m t e r d u r c h den P a p s t . Die Universität Paris hat um die "Wende des 14. Jahrhunderts großen Anteil an diesen Kämpfen. Aber die gallikanischen Freiheiten haben außer der negativen, antipäpstlichen Tendenz auch eine positive. Sie enthalten die Keime zur Bildung einer n a t i o n a l e n L a n d e s k i r c h e i n F r a n k r e i c h , einer f r a n z ö s i s c h e n S t a a t s k i r c h e nach e n g l i s c h e m Muster. Wie in England im Kampf gegen die Besteuerungs- und Stellenbesetzungsansprüche des Papstes die englische Staatskirche ersteht, so entwickelt sich unter bewußter Nachahmung des englischen Beispiels in Frankreich aus der Defensive gegen päpstliche Eingriffe in den Machtbereich des Staats, gegen päpstliche übermäßige Einwirkung auf die Geistlichen und aus der Grenzsperre gegen die Gesetze des Papstes e i n e A r t V e r b i n d u n g v o n S t a a t s k i r c h e n t u m und s t a a t l i c h e r K i r c h e n h o h e i t unter Schonung jedoch der innerkirchlichen Interessen. 1 Frankreich vermochte diese klare Auseinandersetzung nicht aufrecht zu erhalten. Im Konkordat von 1516 teilten sich Papst und König in die früher heißumstrittenen Befugnisse: der König ernennt Bischöfe und Äbte, die päpstlichen Annaten werden wieder eingeführt, auf den Satz des Baseler Konzils, daß der Papst unter dem Konzil stehe, wird verzichtet. Der G a l l i k a n i s m u s , die lehrhafte wissenschaftliche Behandlung der gallikanischen Freiheiten in der declaratio cleri Gallicani von 1682 hat dieses Verhältnis des Staats zur Kirche dahin formuliert : 1. Der Papst hat in weltlichen Dingen nichts mitzureden, kann insbesondere den König nicht absetzen. 2. In geistlichen Dingen ist er dagegen lediglich durch die Superiorität des Konzils in Gemäßheit der Konstanzer Beschlüsse beschränkt. 3. Überhaupt ist er an Konzilsschlüsse gebunden und hat auch die gallikanischen Gewohnheiten zu beobachten. 4. In Glaubenssachen entscheidet er allein. Doch sind seine Dekrete ohne Zustimmung der Kirche nicht irreformabel.



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Das K o n k o r d a t von 1 5 1 6 blieb die G r u n d l a g e des V e r h ä l t n i s s e s von S t a a t und (katholischer) K i r c h e in F r a n k r e i c h bis zum E n d e des 18. J a h r h u n d e r t s , bis zur französischen R e v o l u t i o n . Damit sind wir bei der zweiten Epoche im Kampfe Frankreichs mit Papst und Kirche angelangt. Die französische Revolution hat eine Lösung unseres Problems nicht gefunden, kaum versucht, sondern sehr bald den Glauben einfach erschlagen, die Kirche abgeschafft. Man kann aber nicht sagen, daß Leitsätze wie der eines Mirabeau: La France doit être décatholicée oder l'état est athée et doit l'être nach dem Herzen des französischen Volks gewesen wären. Napoleon kannte seine Franzosen besser, als er 1801 den katholischen Kult wiederherstellte und die Kirche in Frankreich wiedereinrichtete. "Was zwischen dem Konkordat von 1516 und dem Konkordat von 1801 lag, war nur eine vorübergehende Episode, ein revolutionärer antireligiöser, aus Freiheitstaumel und Autoritätenhaß geborener Ausbruch der irregeleiteten Volksleidenschaft. Das Volk hatte ja auch zunächst ganz andere Aufgaben zu erfüllen. Es war in der Revolution eben erst zum Bewußtsein seiner selbst gekommen, hatte Eigenart und Entstehung der Monarchie kritisiert, das göttliche Recht des Monarchen verworfen, den Volkswillen zum Träger des Staats erhoben, den republikanischen Gedanken vorbereitet. Mit einem Wort: die Revolution war in erster Linie eine politische und soziale, aber keine religiöse. Der Historiker Aulard hat in einer interessanten Studie über den 1793 eingeführten Vernunftkultus, betitelt Le culte de la Raison et le Culte de l'Etre suprême seine Ansicht dahin ausgesprochen, daß der Vernunftkultus mehr einem praktischen politischen — allerdings auch antiklerikalen — Bedürfnis entsprach, als daß er a n t i k a t h o l i s c h oder a n t i c h r i s t l i c h genannt werden könnte, und hat diesen Gedanken in seiner 1901 erschienenen Histoire politique de la Révolution française weiter ausgesponnen. Er sagt: Le culte de la Raison fut moins



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un chargement (Belastung) de la conscience religieuse des Français qu'un expédient (Mittel) de défense patriotique contre le clergé catholique. Il arriva peu à peu que ce culte se transforma en culte de la patrie. Das Vaterland, Staat und Gesellschaft zu reformieren, galt es vor allem. Das erschien wichtiger als die Reform des Verhältnisses von Staat und Kirche. Auch hat sich hier die französische Revolution n i c h t zu klaren Prinzipien durchzuringen vermocht. 1 Nur eine Tendenz ist deutlich erkennbar: Die Bewegung ist in allen ihren Teilen g e g e n den P a p s t gerichtet. Schon die constitution civile du clergé de France vom 12. Juli 1790, die nach Einziehung der Kirchengüter die Kirchen der Zivilgewalt unterstellte, Bischöfe und Pfarrer von politischen Wahlkörpern wählen ließ, v e r b o t die k a n o n i s c h e I n v e s t i t u r d e r B i s c h ö f e d u r c h d e n P a p s t , o r d n e t e die K i r c h e n v e r f a s s u n g o h n e diesen. Als Pius VI. die Konstitution verdammte, war Deportation, Guillotinierung der kirchentreuen Priester die Folge. Dann kam der Kultus der Vernunft, der bald von dem des höchsten Wesens abgelöst wurde. Am 20. September 1794 beschloß der Nationalkonvent für keinen Kult mehr Kosten und Gehalt zu bezahlen. Durch die Gesetze vom 21. Februar, 29. September 1795 und 28. Dezember 1799 wurde eine Art Trennung von Staat und Kirche unter Garantieleistung der Freiheit der Kulte eingeführt, die Öffentlichkeit der Kultausübung wesentlich eingeschränkt, die gottesdienstliche Versammlung strenger polizeilicher Bewachung unterworfen, der Erwerb von Kultuslokalen zu Eigentum oder zur Miete verboten. Inzwischen hatte ein Gesetz vom 30. Mai 1795 den Gemeinden den freien Gebrauch der nicht veräußerten Kultgebäude zu Kultuszwecken wieder gestattet. — Also ein fortwährender W e c h s e l in der Beurteilung der religiösen und kirchlichen Frage, je nach den Bedürfnissen der P o l i t i k . Neuere Literatur hierzu bei S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat 1907, S. CXXXX.

So ist denn auch das K o n k o r d a t v o n 1801, 1 das die Grundlage des Verhältnisses von Staat und Kirche in Frankreich bis zum 11. Dezember 1905 gebildet hat, ein Akt der r e i n e n P o l i t i k gewesen und auf seiten Napoleons keineswegs religiösen Motiven entsprungen. Aml9. März 1801 schrieb der Minister des Äußern Talleyrand dem französischen Gesandten in Rom, Cacault: Die Anhänglichkeit des größeren Teils der französischen Volksmasse an ihren religiösen Ideen war keine Schimäre, und die Regierung der Republik hat verstanden, daß jene Gefühle Interessen und Rechte zeitigten, die von der V e r w a l t u n g zu wahren sind. Pius VII. nahm das Konkordat aus Zweckmäßigkeitsgründen an. Er begründete sein Annahmevotum mit den "Worten: Apostolicam potestatem ad ea omnia proferre (duximus) quae extraordinariae temporum rationes atque bonum pacis et unitatis ecclesiae a nobis postulaverunt. — Sein Rechtsstandpunkt war der, daß er dem Staat einen Teil seiner kanonischen Befugnisse schenkungsweise überlasse, als Privileg, als reine jederzeit widerrufliche Liberalität. N a p o l e o n seinerseits verfocht, wie sich bald zeigen sollte, den entgegengesetzten Standpunkt: E r hielt das Konkordat nur insofern für bindend und die Bürger verpflichtend, als er es in Form eines S t a a t s g e s e t z e s publizierte. Der w e s e n t l i c h e I n h a l t des K o n k o r d a t s ist bekannt: Die französische Republik erkennt an, daß die katholisch-apostolische-römische Religion die der Mehrheit der Bürger sei. Sie garantiert freie öffentliche Kultausübung. Der Papst bewilligt eine neue Zirkumskription der Diözesen (10 Metropoliten, 50 Bistümer). Die Bischöfe werden vom ersten Konsul ernannt, sie leisten ihm den Treueid. Die Bischöfe stellen als Pfarrer nur der Regierung genehme Kandidaten an und umschreiben die Pfarreien. Alle während der Revolution nicht veräußerten Kirchen müssen dem *) Vgl. u. a. P. W i r t z , Das französische Konkordat von 1801 im Arch. f. kath. K.-R. Bd. 85 S. 209 ff. F r i e d r i c h , Die Trennung von Staat und Kirche.

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Gottesdienste, soweit sie dazu nötig sind, ausgeliefert werden, bleiben aber Eigentum der weltlichen Besitzer, die Diözesankathedralkirchen Staatseigentum, die Pfarr- und Vikariatskirclien Gemeindeeigentum. Andererseits entsagt die Kirche allen Ansprüchen auf das während der Revolution veräußerte Kirchengut. Und die wichtigste Bestimmung: Der S t a a t verspricht Bischöfen und P f a r rern auskömmliches Gehalt und läßt Stiftungen zugunsten der Kirche zu. Der erste Konsul hat die Rechte der französischen Könige beim Heiligen Stuhl. Pius X . hat, als die Trennungssache in Frankreich kritisch wurde, das Konkordat einen beide Teile bindenden völkerrechtlichen Vertrag genannt und damit die dritte mögliche Beurteilung der Rechtsnatur eines Konkordats zum Ausdruck gebracht. Wie wenig die französische Regierung diese Ansicht billigte, geht aus einer brieflichen Äußerung Talleyrands vom 29. August 1801 hervor. E r schreibt: "Wenn der erste Konsul die Konvention (das Konkordat) ratifiziert, wird es ihm möglich sein, die größeren Unzuträglichkeiten, die aus ihrer Anwendung nach dem Buchstaben entstehen könnten, durch besondere E r lasse, die die einzelnen Unzuträglichkeiten b e t r ä fen, abzuschaffen. Diese besonderen Erlasse, die zusammen mit dem Konkordat durch Staatsgesetz vom 18. Germmal des Jahres X (18. April 1802) publiziert wurden, sind die sog. Organischen Artikel. Sie schränken die R e c h t e der K i r c h e aus dem K o n k o r d a t wesentlich ein. Die Publikation aller Dekrete auswärtiger Kirchenoberer, also insbesondere auch rein geistliche Akte des Papstes, die Abhaltung inländischer Konzilien wurde von der Genehmigung der Regierung (des Staatsrats) abhängig gemacht. Die Bischöfe haben Residenzpflicht und dürfen ihre Diözese nur mit Genehmigung des ersten Konsuls verlassen. Nuntien, Legaten, apostolische Vikare, Kommissare dürfen nur mit Genehmigung der Regierung in Frankreich ihre Funktionen ausüben. Und die wichtigsten Ab-



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weichungen vom Konkordat: Alle Umschreibungen erfolgen im Einverständnis der weltlichen und der geistlichen Gewalt. Alle Geistlichen müssen Franzosen sein, die niederen Geistlichen werden vom Bischof ernannt und von der Regierung bestätigt. Diese organischen Artikel sind — man mag das Konkordat auffassen, wie man will — ein formell gültiger einseitiger Staatsakt; inhaltlich bedeuten sie, insoweit sie mit dem Konkordat in Widerspruch stehen, einen Rechtsbruch, mindestens eine Verletzung von Treu und Glauben. Napoleon war verpflichtet, das Abkommen unverändert als Staatsgesetz zu publizieren, wenn es noch den Namen eines Abkommens verdienen sollte. Die organischen Artikel sind von der französischen Regierung niemals in voller Strenge gehandhabt worden. Noch im Jahre 1868 hob dies Olivier, der Minister Napoleons III., im Corps législatif ausdrücklich hervor.1 Daraus ergab sich eine F ü l l e von Streitfragen, namentlich bei der Besetzung von Bischofsstellen. Das um so mehr, als die organischen Artikel von der Kurie niemals anerkannt worden sind. Pius VII. hat alsbald (am 25. Mai 1802) durch Kardinal Consalvi bei dem französischen Gesandten Cacault in Rom protestieren lassen, durch Kardinal Caprara (am 18. August 1803) bei Talleyrand. Noch am 26. Juli 1904 schrieb der Kardinalstaatssekretär Merry del Val an die französische Regierung, das Konkordat sei von den organischen Artikeln verschieden, diese stellten einen einseitigen Akt der französischen Regierung dar, gegen den der Heilige Stuhl fortwährend protestiert habe. Dieser Rechtszustand hat gedauert bis zum II. 2 Dezember 1905, dem Tag l ) Er sagte am 10. Juli 1868: Ils ne sont pas exécutés tous les jours. On ne les tire de leur néant et de leur obscurité que dans les occasions importantes, quand on veut se donner l'apparence de faire quelque chose en ne faisant rien. a ) Dieses Datum ist nicht genau. Nach den Bestimmungen des Dekrets vom 5. November 1870 ist das Gesetz in Paris erst am 13. De-

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des Inkrafttretens des Trennungsgesetzes. Auch das Trennungsgesetz vom 9. Dezember 1905 ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Es würde aber zu weit führen, auf die wechselvollen Schicksale der katholischen Kirche in Frankreich während des 19. Jahrhunderts des näheren einzugehen. Die Tendenz auf Seiten der Kurie ist: F e s t h a l t e n am Konkordat um jeden Preis; diejenige des Staats: Allmählicher Ausschluß der Kirche von allen Kultura u f g a b e n , insbesondere von Armen-, und Krankenp f l e g e , vom Unterricht, Verweisung der Kirche auf das rein religiöse Gebiet, Kampf g e g e n den politischen Katholizismus. L u d w i g XVIII. erklärte die katholische Religion zur Staatsreligion, führte die Sonntagsruhe ein, schaffte die Ehescheidung ab, vertraute die Seminare den Bischöfen an. Die schon 1794 1 — mit Ausnahme derjenigen für Unterricht und Krankenpflege — vertriebenen, durch die organischen Artikel von neuem verbannten Mönchsorden, die das Konkordat nicht berücksichtigt hatte, kommen in der Restaurationsepoche (1814—1830) wieder. Die Ordonnanzen Karls X. von 1828 sprechen ihnen das Recht auf Unterricht ab. 1830 verspricht Louis Philippe die Unterrichtsfreiheit, ohne sein Versprechen zu halten. Der Antikatholizismus, der religiöse Indifferentismus wächst. Das allgemeine Wahlrecht der Februarrevolution bringt viele gläubige Katholiken in die gesetzgebende Versammlung, und in der zweiten Republik gelangt die katholische Kirche in Frankreich zu hohem Ansehen. Die Loi Falloux von 1850 gibt den Volksschul- und Gymnasialunterricht frei. Alle Lehrorden, insbesondere die Jesuiten, kehren zurück. Die dritte Republik2 gibt den ganzen höheren Unterricht und die Gründung freier Universitäten frei, bis endlich 1880 der zember 1905 anwendbar (exécutoire) geworden, da hier der „jour franc après la publication dans le Journal officiel" bestellt, im übrigen Frankreich „un jour franc après l'arrivée du Journal officiel au cheflieu de chaque arrondissement." *) Die Jesuiten schon 1762. *) Neue Literatur zum folgenden bei S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat 1907, S. CXXXX.



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Antrag Jules Terrys auf Ausschluß der Jesuiten und aller nicht autorisierter Orden vom Unterricht ohne Senatsbeschluß die Aufhebung aller nicht autorisierten Orden erzielt. Das Gesetz vom 28. März 1882 verbietet den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen (doch kann der Lehrer zugleich Geistlicher sein). Der Religionsunterricht muß außerhalb des Yolksschulgebäudes erteilt werden und ist nur in Privatschulen fakultativ gestattet. Das Schulgesetz von 1886 verbannt die Priester definitiv aus der Schule. Am 1, Juli 1901 zwingt Waldeck - Rousseau alle Kongregationen, die staatliche Genehmigung einzuholen. Das Gesetz vom 7. Juli 1904 unterdrückt den Ordensunterricht. Im übrigen 1 herrschte in Frankreich seit der Erklärung der Menschenrechte Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Beunruhigung der religiösen Meinung war verboten, solange diese nicht die Staatsordnung störte. Niemand durfte einen anderen zur Annahme oder Aufgabe einer Religion zwingen, außer der Vater seine minderjährigen Kinder. Das Bekenntnis durfte keine Voraussetzung zur Erlangung eines Staatsamts bilden. Der Privatkult war völlig frei. Der Kultverein bedurfte staatlicher Genehmigung. Die a n e r k a n n t e n K u l t e (der katholische, protestantische — reformierte und lutherische —, israelitische, muselmännische nach malekitischem Ritus in Algier) w u r d e n g e s e t z l i c h g e s c h ü t z t u n d o r g a n i s i e r t . Wenn man das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in Frankreich, das sich auf Grund des Konkordats von 1801 entwickelt hatte, in eine der üblichen Formeln bringen will, so kann man sagen: E s b e s t a n d K u l t f r e i h e i t u n t e r e i n e r A r t s t a a t s k i r c h l i c h e r K i r c h e n h o h e i t . Der Staat „garantiert nicht nur die unbeschränkte Freiheit des Gottesdienstes, sondern auch die Disziplin der Kultdiener". Diese werden teils von ihm e r n a n n t , teils wird ihre Ernennung von ihm bestätigt. Er b e s o l d e t sie; er kontrolliert die Verwaltung der Kirchengüter, die Veröffentlichung kirchlicher Erlasse. ') Zum folgenden vgl. Lebon, Staatsrecht der französischen Republik, in v. Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechts IV, I, 6, 1886.



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Vielleicht ist nicht ohne Interesse, sich nach dem Beamtenapparat umzusehen, der diese Befugnisse wahrnahm. Es ist die Ministerialdirektion des Kultus. D e m Kabinett des Direktors waren vorbehalten: die Ernennungen der Bischöfe, die politische Disziplin des Klerus, die Konflikte mit der geistlichen Gewalt, die Berufungen an den Staatsrat wegen Amtsmißbrauch (appels comme d'abus), die Streitigkeiten zwischen bürgerlichen Gemeinden und den kirchlichen Verwaltern des Pfarreivermögens, den sog. Stiftungsräten (conseil de fabrique), endlich Prozeßsachen. Unter dem Direktor arbeiteten drei Ministerialabteilungen, eine für den katholischen Kult, eine für alle übrigen Kulte und eine für das Rechnungswesen. Die erste A b t e i l u n g zerfiel in vier Bureaus, die sich mit dem Personal des Klerus, der Organisation und Verwaltung der Kapitel, Seminare, Pfarreien, Hilfspfarreien, mit dem Vermögen der Kirchenfabriken usw., den Kongregationen, Geschenken und Vermächtnissen zugunsten der Kirche, der weltlichen Verwaltung der Diözesananstalten, den kirchlichen Umschreibungen, den Diözesangebäuden usw. usw. befaßten. Dieser umfassenden fürsorgenden und schützenden T ä t i g k e i t des Staats in kirchlichen D i n g e n hat das z w a n z i g s t e Jahrhundert ein jähes Ende bereitet. Am 23. März 1903 formuliert Combes seine kirchenfeindliche Politik im Senat. Am 30. Juli 1904 bricht Frankreich die diplomatischen Beziehungen mit dem Papst wegen der Vorladung der Bischöfe von Laval und Dijon nach Rom ab. E n d e Oktober 1904 erfolgt die Kündigung des Konkordats. Am 9. Februar 1905 legt das Ministerium Rouvier durch Kultusminister Bienvenu Martin den Trennungsgesetzentwurf vor. Der Papst protestiert in der Allocutio vom 27. März 1905. Nur 3 853 238 Franzosen erklären sich unterschriftlich g e g e n die Trennung. Die Kammer nimmt das Gesetz am 8. Juli 1905 mit 341 gegen 233, der Senat nimmt es am 7. Dezember 1905 mit 179 gegen 103 Stimmen an. Damit war die Trennung rechtlich



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vollzogen. Das Gesetz trägt das Datum des 9. Dezember 1905, ist im Journal officiel am 11. Dezember 1905 publiziert worden und hat nach dem Bulletin des lois die Überschrift erhalten: Loi concernant la séparation des églises et de l'état. Zur Sicherung der A u s f ü h r u n g des Gesetzes, wie es dort heißt, geeignete Maßregeln sind durch drei A u s f ü h r u n g s d e k r e t e 1 getroffen worden. Das Gesetz zerfällt in 6 Titel: Principes — Attribution des biens. Pensions — Des édifices des cultes — Des Associations pour l'exercice des cultes — Police des cultes — Dispositions générales. Aus seinem I n h a l t möchte ich ,nur einiges hervorheben: Das Trennungsgesetz ist nicht antireligiös; denn 1. es sichert die G e w i s s e n s f r e i h e i t und gewährleistet die freie A u s ü b u n g der K u l t e — mit den einzigen Beschränkungen, die das Gesetz selbst im Interesse der öffentlichen Ordnung verfügt (Art. 1 und 31); 2. es schützt die Kultausübungen (les exercices d'un culte) gegen Störung durch Unruhe oder Unordnung (Art. 32), soweit nicht die strengeren Bestimmungen des Code pénal platzgreifen (Art. 33); 3. es schützt die Kultgebäude gegen Mißbrauch, nämlich vor Abhaltung politischer Versammlungen in ihnen (Art 26); 4. es schützt die k l a s s i f i z i e r t e n Kultgebäude und Kultgegenstände d. i. diejenigen, welche künstlerischen oder historischen Wert haben, erklärt sie prinzipiell für unveräußerlich und unübertragbar. Alle dem öffentlichen Kult dienenden Gebäude inkl. Wohnhäuser usw. werden innerhalb 3 Jahren neu ergänzend klassifiziert (Artikel 16), soweit sie als Ganzes oder in ihren ") Décrets 1. du 29 décembre 1905 sur l'inventaire prescrit par l'article 3 de la loi de séparation; 2. du 19 janvier 1906 sur les pensions et allocutions prévues par l'article 11 de la loi de séparation; 3. du 16 mars 1906 sur l'attribution des biens, les édifices, les associations cultuelles et la police des cultes.



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Teilen künstlerischen oder historischen Wert haben. Über A r c h i v e und B i b l i o t h e k e n , die sich in kirchlichem Besitz befinden, wird Inventar errichtet, und es werden die als Eigentum des Staats festgestellten diesem zurückerstattet. Die nach dem Gesetz vom 30. Marz 1887 oder kraft dieses Gesetzes klassifizierten Gebäude sind unveräußerlich und unübertragbar (inaliénables et imprescriptibles). Gestattet der Minister des öffentlichen Unterrichts und der schönen Künste den Verkauf oder Tausch eines klassifizierten Objekts, so haben Vorkaufsrecht (droit de préemption): die Kultusvereine, die Gemeinden, die Departements, die Museen und Gesellschaften für Kunst und Archäologie, der Staat. Will keiner von diesen kaufen, so ist der Verkauf frei, aber nach außerhalb Frankreichs verboten (de le transporter hors de France: Art. 17 Abs. 3). Ausbesserungs-, Herstellungs- oder Unterhaltungsarbeiten dürfen an klassifizierten Gebäuden oder Gegenständen nur mit Genehmigung des Ministers der schönen Künste angefangen und unter Überwachung ausgeführt werden — bei Vermeidung einer Strafe von 16—1500 frcs. gegen Eigentümer, Besitzer, Verwahrer, die die Arbeit angeordnet haben. Der Besuch der klassifizierten Gebäude und der Ausstellung der klassifizierten Gegenstände ist öffentlich und ohne Abgabe (Art. 17 Abs. 6). Das Trennungsgesetz ist aber auch n i c h t s p e z i f i s c h a n t i k a t h o l i s c h , nicht gegen den katholischen G l a u b e n gerichtet; denn erstens unterwirft der Staat die Kirche nicht kurzerhand dem a l l g e m e i n e n Vereins- und Versammlungsrecht, er widmet ihr ein besonderes Gesetz, das die Überschrift trägt: loi concernant la séparation des églises et de l'état. Er macht damit eine Verbeugung vor der früheren Staatskirche, der katholischen Kirche, die ja fast ausschließlich in Betracht kommt — eine Verbeugung, die allerdings einen Abschiedsgruß bedeutet : denn von der Überschrift abgesehen, lehnt das Gesetz die Bezeichnung église für Kultgemeinschaft ab; nur hier und da tauchen Reminiszenzen an die früheren établissements ecclésiastiques auf. Ferner aber ist das Trennungsgesetz, soweit es bei einem Staatsgesetz dieses Charakters möglich war, auf den



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katholischen K u l t und seine h i e r a r c h i s c h e G l i e d e r u n g in F r a n k r e i c h förmlich zugeschnitten. Die neuen Kultusvereine sollten den seitherigen Kirchengemeinden, die Kultusvereinsverbände sollten den Diözesen und Erzdiözesen entsprechen. Das Gesetz deutet das in Art. 4 mit den "Worten an: associations qui, en se conformant aux règles ¿Forganisation générale du culte1 dont elles se proposent d'assurer l'exercice. Zum Uberfluß hat Minister Clémenceau dies mehrfach betont. In seiner Rede in La Roche-sur-Yon in der Vendée, seiner Heimat, sprach er am 30. September 1906 von den durch das Trennungsgesetz gesicherten Privilegien der Kirche, die der Vatikan nicht annehmen wollte. Die Republik lasse doch den Katholiken volle Freiheit des Glaubens — allerdings nicht auf den Boden des kanonischen Rechts, des katholischen Kirchenrechts, sondern auf dem Boden des f r a n z ö s i s c h e n Rechts. 2 Und ein andermal hat Cleménceau das Trennungsgesetz als ein G e s c h e n k bezeichnet, das die Republik der Kirche habe machen wollen. In e i n e m Punkte allerdings ist das Gesetz auch a n t i katholisch: 1. Es richtet sich g e g e n den p o l i t i s c h e n K a t h o l i zismus, und insoweit dieser sich mit der Kirche identifiziert, g e g e n die k a t h o l i s c h e K i r c h e . Damit haben wir eines der G r u n d m o t i v e des Gesetzes gefunden. Der Staat jagt die Kirche von dem Platze, wo sie p o l i t i s c h eine immer innigere Verbindung mit dem Staate zu ihrem Vorteil einzugehen gesonnen war, hinweg. Er versagt ihr den Platz an seiner Seite, den Platz einer ethisch gleichwertigen Kulturanstalt, eines ebenbürtigen Kulturträgers. Die k a t h o l i s c h e K i r c h e und alle übrigen Religionsgemeinschaften werden in ihrer seitherigen Eigen*) Darunter hat man zu verstehen, daß die katholischen Kultusvereine mit Pfarrer, Bischof und Papst „in Verbindung" stehen müssen. Vgl. S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat 1907, S. 39. ') Nach einer Notiz der Frankfurter Zeitung vom 1. Oktober 1906, Morgenblatt.



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schaft als Personen des ö f f e n t l i c h e n Rechts, als politische Machtfaktoren e i n f a c h a u f g e h o b e n (sont supprimés, Art. 2 Abs. 2). Sie werden unter der Bezeichnung „Établissements publics du cultea und „Organisation publique des cultes antérieurement reconnus par l'État1' v e r a b s c h i e d e t . Jede offizielle A n e r k e n n u n g ihres ethischen oder sozialen Wertes, jede moralische oder wirtschaftliche U n t e r s t ü t z u n g wird a u s d r ü c k l i c h a b g e l e h n t : La République ne reconnaît, ne salarie ni ne subventionne aucun culte. I n diesen "Worten ist der Trennungsgedanke mit bemerkenswerter Kürze und Schärfe ausgesprochen. Die Kirche wird in die Position eines, die Staatsinteressen nur entfernt, nur indirekt berührenden Privatvereins, einer Privatanstalt verwiesen. 2. Aber noch mehr : die Republik will die Kirche z w i n g e n , sich in den staatlich festgesetzten F o r m e n in das Privatleben, nämlich in die Kultusvereine und die Verbände der Kultusvereine zurückzuziehen, z w i n g e n durch Androhung vermögensrechtlicher Nachteile f ü r den Fall der "Weigerung. Daß dieser Fall der "Weigerung in d e m U m f a n g e eintreten würde, in dem er eingetreten ist, daran scheint der Gesetzgeber nicht gedacht zu haben. 1 Die Bildung der Kultvereine innerhalb Jahresfrist scheint vielmehr die selbstverständliche Voraussetzung f ü r alles übrige gewesen zu sein. Das Journal officiel vom 26. September 1906 hat die erste Liste der neuen Kultusvereine veröffentlicht: 48 protestantische, worunter 12 in Paris, 1 israelitische, 2 katholische. — Ein klägliches Ergebnis. Dabei sind die beiden katholischen Bildungen (in Culey im Maasdepartement und in Puymasson im Departement Lot-et-Garonne) rechtsungültig — nach katholischem Kirchenrecht, weil sie trotz Verbots des Papstes geschehen, also schismatisch sind — *) Die Literatur für und gegen die Kultusvereine ist massenhaft, eine Übersicht bei S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat. Mainz 1907, S. 37 Anm.l.



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nacht französischem Staatsrecht, weil sie sich der allgemeinen Organisation des katholischen Kultus nicht angepaßt haben und nicht anpassen können.1 Der Staat hat die Kirche auch g e z w u n g e n , die Inv e n t u r des K i r c h e n v e r m ö g e n s zum Zwecke der Auseinandersetzung im abgelaufenen Jahre über sich ergehen zu lassen — wo es notwendig war, mit physischer, mit Waffengewalt. In den Tageszeitungen hat man gelesen von gewaltsamen Eröffnungen der Kirchengebäude, von Verhaftungen sich widersetzender Priester, von Entlassung der Staatsbeamten, die sich den Befehlen der Präfekten bei Vornahme der Vermögensaufnahmen nicht beugten. Das Inventar (l'inventaire descriptif et estimatif) muß enthalten (vgl. untenerwähntes Ausführungsdekret Art. 5ff.) die den Kultusanstalten gehörenden beweglichen und unbeweglichen Güter und die in ihrer Nutznießung stehenden Staats-, Departements- und Gemeindegüter. Es wird aufgestellt contradictoirement mit den gesetzlichen Vertretern (représentants légaux) der Kultusanstalten ou ceux dûment appelés par une notification faite en la forme administrative. Die inventierenden Staatsbeamten können sich Titel und Dokumente (titres et documents), die in Betracht kommen, vorlegen lassen (auront le droit de se faire communiquer — utiles à leurs opérations). Vgl. hierzu Décret du 29 décembre 1905 sur l'inventaire prescrit par l'article 3 de la loi de séparation. Art. 1 : der Generaldirektor der Domänen ernennt die Beamten (agents) — in der Regel Finanzbeamte. Art. 2 : der Domänendirektor der Departements bestimmt im Einvernehmen mit dem Präfekt Tag und Stunde der Maßnahmen, wovon die betreffenden Kirchenbeamten fünf Tage vorher benachrichtigt werden. Die Bürgermeister können assistieren. Vertreter der Kirchenbehörden können beiwohnen. Art. 4 Abs. 2 und Instruktion des Kultusministeriums vom 30. Dezember 1805: Im Falle des Widerstands kann nach erfolgloser nochmaliger Aufforderung des Präfekten Gewalt unter Zuziehung der Polizei ') Das Zivilgericht von Bar-le-Duc war anderer Ansicht und hat den Verein in Culey für gültig erklärt.



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angewandt werden (avec le concours d'un officier de police judiciaire). Die Inventur war so gut wie beendet, aber es fehlten die Kultusvereine, denen die seitherigen Religionsgemeinschaften ihr Vermögen bis spätestens zum ll.DezemberliKtö 1 überliefern sollten. Nachdem die Empfänger dieses Vermögens ausgeblieben waren, benutzte der Staat —- allerdings nur vorübergehend — geschickt eine ganz anders gemeint gewesene Bestimmung in einem Ausführungsdekret, wonach die Vermögensmassen, zu deren Übernahme sich kein Kultusverein gebildet hat, oder die der etwa sich dort bildende Verein nicht übernehmen will, nach dem 11. Dezember 1907, an staatliche, weltliche "Wohltätigkeitsanstalten übergehen sollen, benutzte diese Bestimmung, um bis zum 11. Dezember 1907 die ganze Auseinandersetzungsfrage in der Schwebe zu halten. 3. Z w i n g e n will aber auch der Staat die neuen Kultusvereine und ihre Geistlichen, sich peinlich genau auf ihre religiösen Zwecke (Art. 19), ihre Glaubensbetätigungen innerhalb des ihnen gelassenen Wirkungskreises, zu beschränken. a) Er gibt Vorschriften über die Benutzung des Kirchenglockengeläutes zu religiösen Zwecken und — etwas kleinlich anmutende — über die Aufbewahrung der Schlüssel zum Glockenturme. F e i e r l i c h k e i t e n , P r o z e s s i o n e n und sonstige äußere Betätigungen eines Kultus (cérémonies, processions et autres manifestations extérieures d'un culte) unterliegen nach wie vor den Bestimmungen der Art. 95 und 97 des Gemeindegesetzes (loi municipale) vom 5. April 1884. — Das G l o c k e n g e l ä u t e (les sonneries des cloches) wird gemeindebehördlich geregelt (par arrêté municipal) und falls Bürgermeister und Präsident (président) oder Direktor=Leiter (directeur) des Kultusvereins uneins sind (en cas de désaccord) durch Verfügung des Präfekten (par arrêté préfectoral). Die ') vgl. jedoch oben S. 19 Anm. 2.



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A u s f ü h r u n g s v e r o r d n u n g 1 regelt die Bedingungen und Umstände, unter denen das G l o c k e n g e l ä u t e f ü r b ü r g e r l i c h e Z w e c k e verwendet werden darf: Der Beschluß (l'arrêté) über den Gebrauch der Glocken zu bürgerlichen oder religiösen Zwecken (l'usage des cloches tant pour les sonneries civiles que pour les sonneries religieuses) ist vor der Absendung an den Präfekten oder Unterpräfekten dem Präsidenten oder Direktor des Kultusvereins mitzuteilen. Dieser kann binnen 14 Tagen eine schriftliche und begründete Entgegnung (une opposition écrite et motivée) an den Bürgermeister richten und erhält hierüber eine Empfangsbescheinigung (récépissé). Nach Ablauf der Frist übersendet der maire den Beschluß dem Präfekten, worauf der Beschluß ausgeführt werden kann (est exécutoire) — falls keine Entgegnung eingelangt ist, nach den Bestimmungen der Art. 95 und 96 des Gesetzes vom 5. Mai 1884 (wenn er eine dauernde Regelung enthält, 1 Monat nach Rücksendung des Duplikats — falls nicht der'Präfekt sie für sofort ausführbar erklärt oder ihre Ausführbarkeit annulliert oder suspendiert). Ist eine Entgegnung eingelangt, so bestimmt der Präfekt den Geltungsbeginn. — Die K i r c h e n g l o c k e n (les cloches des édifices servant à l'exercice public du culte) können zu bürgerlichen Zwecken (aux sonneries civiles) im Falle gemeiner Gefahr (péril commun) verwendet werden, die sofortige Hilfe erheischt (qui exigent un prompt secours). Nach Art. 51 Abs. 2 können ferner die Glocken, welche auf einem dem Staat, einem Departement oder einer Gemeinde gehörigen oder einem Kultusverein in Gemäßheit der Art. 4, 8, 9 des Gesetzes vom 9. Dezember 1905 zugeteilten Gebäude sich befinden, unter den Umständen benutzt werden, unter denen die Verwendung durch Gesetz oder Reglement vorgeschrieben ist, oder durch Ortsgebrauch anerkannt (autorisé par les usages locaux). Art. 52 gibt Garantien gegen die mißbräuchliche Benutzung der Glocken durch den Kultusverein oder die politische Gemeinde. E i n Schlüssel zum Glockenturm ist in den Händen des Präsidenten oder Direktors des Kultusvereins, ein anderer in Händen des Bürgermeisters, der nur für das „bürgerliche Geläute" (les sonneries civiles) und die Unterhaltung der Kirchenuhr (l'horloge publique) davon Gebrauch machen ') Décret du 16 mars 1906 sur l'attribution des biens, les édifices, les associations cultuelles et la police des cultes.



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darf. Ist der Eintritt zum Glockenturm nicht unabhängig von dem zur Kirche, so ist der Kirchentürschlüssel bei dem Bürgermeister zu deponieren. b) Er verbietet, religiöse Zeichen oder Embleme auf öffentlichen Denkmälern oder Plätzen anzubringen — mit Ausnahme der Kultgebäude, der Friedhöfe und Grabmäler, der Museen und Ausstellungen (Art. 28). c) Er verbietet jeden Zwang zur Ausübung oder Nichtausübung eines Kultus, zum Eintritt in einen Kultverein oder Austritt aus einem solchen (Art. 19, 31). d) Er bedroht mit strenger Strafe die Beschimpfung oder Verleumdung eines Staatsbeamten durch einen Geistlichen am Kultorte (Art. 34). e) Er bestraft auf das härteste einen Geistlichen, der es wagen sollte, durch Reden, Anschlag oder Verteilung von Schriften, in denen zum Widerstand gegen die Gesetze, oder die gesetzlichen Amtshandlungen oder zum Bürgerkrieg aufgefordert wird, sich am Kultorte zu vergehen (Art. 35). f) Er droht den Kultusdienern Strafe an, die entgegen den Bestimmungen in Art. 2 des Gesetzes vom 28. Dezember 1882 an Bänder im Alter von 6 bis 13 Jahren, die die öffentlichen Schulen besuchen, Religionsunterricht innerhalb der Schulstunden erteilen (Art. 30). g) Er stellte unter Strafe die Geistlichen, die Veranstalter einer gottesdienstlichen Versammlung, ja die Vermieter des Versammlungslokals, wenn der Abhaltung des Gottesdienstes nicht eine Erklärung bei der Ortspolizeibehörde, daß diese stattfinden werde, und die Bezeichnung des Lokals, wo sie stattfinden soll, vorausgegangen ist — eine Bestimmung, die dem allgemeinen Versammlungsrecht entnommen, aber bereits wieder aufgehoben ist. 1 In den Zeitungen konnte man lesen, daß auch die katholischen Kultusvereine, die, ohne den Spezialbestimmungen des ') Vgl. unten S. 45.



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Trennungsgesetzes zu entsprechen, sich hier und da in Frankreich auf Grund des allgemeinen Vereins- und Versammlungsrechts bereits gebildet haben, sich dieser Auflage, ihren Gottesdienst anzumelden, nicht unterwerfen wollten, da es, wie sie sehr richtig hervorheben, dem Staat bekannt sein dürfte, in welchen Lokalen und an welchen Tagen, zum großen Teil seit vielen Jahrhunderten, der Gottesdienst in Frankreich gefeiert wird. Als der Staat trotzdem darauf bestand, hatten die Erzbischöfe von Bordeaux und Lyon für ihre Sprengel bereits nachgegeben. Da kam am 10. Dezember 1906 die Nachricht, daß der Papst auch die Anmeldung der gottesdienstlichen Zeitordnung bei der Ortspolizeibehörde verboten, und der Erzbischof von Bordeaux daraufhin seine frühere Erlaubnis zur Abgabe der Erklärung widerrufen habe. — Fragt man nun, wie ist es am 12. Dezember 1906 in Frankreich geworden, nachdem sich die vom Gesetz vorgesehenen katholischen Kultusvereine nicht gebildet haben, so ist die Antwort nicht ganz einfach. Die K i r c h e hat a u f g e h ö r t , als solche zu existieren, Erzbischöfe, Bischöfe sind s t a a t s r e c h t l i c h nicht mehr vorhanden. Sie sind geworden zur: l'organisation publique des cultes antérieurement reconnus par l'État und ihre représentants légaux. Man wartet auf die associations du culte samt ihren directeurs, présidents, administrateurs, wie die Kirchenoberen in Zukunft heißen sollen. Die dem Staat oder den Departements oder den bürgerlichen Gemeinden gehörigen Kirchengebäude gingen alsbald in den Besitz dieser Eigentümer, die der Kirche gehörigen in die Zwangsverwaltung des Staats über; den Geistlichen wurde nur die tatsächliche Verfügung darüber gelassen, die der Kirche gehörigen Gebäude sollten, wenn sich auch bis zum 11. Dezember 1907 trennungsgesetzliche Kultusvereine nicht gebildet hätten, den gemeindlichen Unterstützungs- und Wohltätigkeitsanstalten überwiesen werden. Was den G o t t e s d i e n s t betrifft, so konnte er nach



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der neuerlichen Entschließung des Papstes, der auch die Anmeldung des G-ottesdienstes auf Grund des allgemeinen Versammlungsrechts verboten hat, nur mit Genehmigung der Staatsregierung stattfinden. Die entgegenstehenden "Weisungen der Erzbischöfe sind für den Staat nicht verbindlich gewesen. Die geistlichen Geräte konnten dabei und bei Leichenfeiern nur benutzt werden, wenn der Staat sie zu diesem Zwecke herausgab. — Nahm ein Geistlicher, ohne Zeit und Ort des Gottesdienstes anzumelden (einmalige generelle Anmeldung genügte für ein Jahr), diesen vor, so wurde er protokolliert, d. h. er erhielt ein Strafmandat. Das Delikt war aber nach Art. 29 des Gesetzes ein reines Polizeidelikt, d. i. wurde mit geringer Geldstrafe und wohl nur einmal im Jahre geahndet, weil es als ein auf einheitlichem Entschluß beruhendes und einheitlich ausgeführtes sog. fortgesetztes Unterlassungsdelikt anzusehen war.1 Ein gegen widersetzliche Geistliche eingeleitetes Verfahren führte zur Ausweisung des päpstlichen Nuntiatursekretärs Montagnini aus Frankreich; man warf ihm vor, aufhetzende Korrespondenz zwischen dem Kardinalstaatssekretär Merry del Val und den französischen Bischöfen und Geistlichen vermittelt zu haben. Das Privileg der Priester, nur ein Militärjahr dienen zu müssen, ist infolge der Trennung von Kirche und Staat erloschen, wie dies der Kriegsminister bereits im Verordnungswege konstatiert hat. Von den V o r t e i l e n und "Wohltaten, die ihr das Trennungsgesetz bietet, hat die katholische Kirche bereits einen recht ausgiebigen Gebrauch gemacht. Vierzehn Tage nach Publikation der Enzyklika Vehementer nos hat der Papst bereits französische Bischöfe, ohne das bisherige Nominationsrecht der französischen Regierung zu respektieren, geweiht. Iii der Bretagne fingen die katholischen Geist*) Die ganze Bestimmung ist aber inzwischen als unhaltbar und zwecklos aufgehoben worden, vgl. unten S. 45.



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liehen an in der bretonischen Sprache zu predigen und übertraten damit bewußt ein seitheriges Verbot. Aber, was wichtiger ist, die Pensionierung der älteren, seither vom Staate besoldeten Geistlichen auf Staatskosten und die staatliche Unterstützung (allocation) der jüngeren für mehrere Jahre hat der Staat vornehmen müssen. Nach A r t i k e l 11 können d i e j e n i g e n K u l t u s d i e n e r , die bei Publikation des Gesetzes mehr als 60 Jahre alt sind und mindestens 30 Jahre vom Staate bezahlte kirchliche Amtsdienste versehen haben, eine j ä h r l i c h e , l e b e n s l ä n g l i c h e u n d s/i i h r e s G e h a l t s e n t s p r e c h e n d e P e n s i o n e r h a l t e n . Bei einem Lebensalter von über 45 Jahren und mindestens 20 jähriger Dienstdauer beträgt die Pension die Hälfte des Gehalts. Die Pension darf 1500 fres. nicht übersteigen. Bei T o d e s f ä l l e n erhalten die Witwen bis J/4 des Betrags der Ruhegehälter, die Witwen mit Waisen bis zur Hälfte. Der Anspruch der Waisen erlischt mit ihrer Großjährigkeit. Alle ü b r i g e n K u l t u s d i e n e r (vgl. oben), die gegenwärtig der Staat besoldet, erhalten während vier Jahren nach Abschaffung des Kultusbudgets eine staatliche S u b v e n t i o n (allocation): im ersten Jahr das ganze Gehalt, im zweiten im dritten 1/2 und im vierten % des Gehalts. Für Kultusdiener in Gemeinden von unter 1000 Einwohnern, die dort im Amt bleiben, werden die Perioden verdoppelt (la durée de chacune des quatre périodes ci-dessus indiquées sera doublée). Das A u s f ü h r u n g s d e k r e t vom 19. Januar 1906 Sur les pensions et allocations prévîtes par Varticle 11 de la loi de séparation teilt die Zuwendungen ein in 1. Pensions viagères a) à la charge de l'Etat, b) accordées par les départements et les communes. 2. Allocations temporaires. Der Bittsteller muß sich an den Präfekten des Departements wenden, in dem er zuletzt staatlich bezahlte Funktionen ausgeübt hat. Der Präfekt ernennt zur Prüfung der Bitte eine Kommission (und deren Präsidenten), unter deren Mitgliedern der Generalsekretär der Präfektur oder ein Mitglied des Präfekturrats sowie zwei Bevollmächtigte des Finanzministeriums sich befinden. Das letzte Gehalt F r i e d r i c h , Die Trennung von Staat nnd Kirche.

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wird zugrunde gelegt. Präfekt und Kommission senden ihre Beschlüsse dem Kultusminister ein; dieser entwirft das von dem Finanzminister mitzuunterzeichnende Dekret. Gegen die Entscheidung des Kultusministers ist Rekurs an den Staatsrat zulässig. Das Recht, Ruhegehalte und Subventionen zu bewilligen haben auch die Departements und die Gemeinden bzgl. der von ihnen zurzeit besoldeten Kultusdiener. Vgl. hierzu: Circulaire du 24 mars 1906 relative aux pensions et allocations qui peuvent étre accordées par les communes aux ministres des cuites. Auf Grund der früheren Gesetzgebung erworbene Ruhegehaltsrechte, sowie die den Dienern der verschiedenen Kulte oder ihrer Familie gewährten Unterstützungen bleiben unberührt. Nach Art. 5 des A u s f ü h r u n g s d e k r e t s vom 19. Januar 1906 kann der Kultusdiener, der sich bereits im Genuß einer Pension oder anderen Gehalts des Staats, eines Departements oder einer Gemeinde befindet, zwischen dieser und der ihm nach Art. 11 des Trennungsgesetzes zustehenden wählen. Ebenso der dans l'organisation publique des cuites befindliche Kultusdiener, der eine Pension aus der Caisse genérale des retraites ecclésiastiques bezieht. Die Pensionen können mit keinem anderen Ruhegehalt des Staats, der Departements oder Gemeinden vereinigt werden. A u s n a h m e n sind in Art. 5 Abs. 3, 6 des Ausführungsdekrets vom 19. Januar 1906 für den Kultusdiener statuiert, der kirchliche Funktionen ausübt, die sowohl vom Staat wie von Departement oder Gemeinde bezahlt werden; er kann die Pension kumulieren (peut cumuler les pensions). Art. 8 ff. regeln W i t w e n - und W a i s e n pensionen. Die P e n s i o n s d e k r e t e werden im Journal officiel v e r ö f f e n t l i c h t und im livre des pensions du Tresor public eingetragen. Gegen die im Eintragungszertifikat enthaltene Liquidation ist Beschwerde an den Staatsrat zulässig. Die Pensionen und Zuwendungen sind (wie die bürgerlichen Pensionen) unübertragbar und unpfändbar. Sie erlöschen bei Verurteilung zur Freiheits- oder entehrender Strafe oder wegen Vergehens gegen Art. 34, 35 des Gesetzes; außerdem bei Verlust des französischen Bürgerrechts für die Dauer des Verlusts. Die A n s p r ü c h e auf P e n s i o n m ü s s e n i n n e r h a l b J a h r e s f r i s t von der V e r k ü n d i g u n g des Gesetzes a n



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g e s t e l l t werden, w i d r i g e n f a l l s der Anspruch erlischt. Der Genuß der Pensionen und Allokationen beginnt nach Art. 13 und 22 der Ausführungsverordnung vom 19. Januar 1906 am 1. Januar 1906. Nun hatten bis zum 15. April von 38 800 in Betracht kommenden Klerikern 27 242 die Pensionsgesuche eingereicht, bis zum Oktober 1906 ca. 90 °/0. Darunter 2 Bischöfe, die je 1500 frcs. Pension beziehen.1 Nimmt sich dieses Faktum angesichts der päpstlichen Verdammung des Trennungsgesetzes etwas merkwürdig aus, so kann man dagegen dem niederen Klerus wegen seiner Haltung keinen Vorwurf machen. Für ihn ist seine Stellungnahme zum Gesetz eine Existenzfrage; denn ob es der Kirche gelingen wird, jährlich 42 Millionen für Gehalte der Geistlichen und weitere 20 Millionen für den Gottesdienst aufzubringen, ist doch mehr als zweifelhaft. — Der Staat aber hatte an Pensionen und Zuwendungen schon für 1906 35 Millionen vorgesehen. — Nicht vor Erzbischöfen und Bischöfen (den directeurs und presidents des Gesetzes), vor Kathedralen und Kirchen (den locaux du culte) hat die Franzosenkühnheit Halt gemacht — sondern scheinbar nur vor einer einzigen Instanz, der ehrwürdigen Gestalt Pius' X . S e i n e H e i l i g k e i t den P a p s t mit einem Verbandspräsidenten oder Verbandsdirektor zu identifizieren, hat doch Frankreich nicht übers Herz gebracht. Aber der Gesetzgeber hat den Papst empfindlicher getroffen, er hat ihn i g n o r i e r t , völlig ignoriert. Kultusminister B r i a n d hat nun gemeint, daß diese I g n o r i e r u n g des Papstes in seiner Eigenschaft als v ö l k e r r e c h t l i c h e r Person der Grund sei, weshalb Pius X . am 11. Februar 1906 so schroff und ablehnend das Trennungs*) Nach einer Zusammenstellung in der Frankfurter Zeitung vom 17. Dezember 1906 Abendblatt bezogen damals 16 278 Geistliche Pensionen, 8991 Zuwendungen auf vier Jahre und 13031 solche auf acht Jahre.

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gesetz in der Enzyklika Vehementer nos 1 verdammt und in der Enzyklika Gravissimo officii munere vom 10. Anglist 1906 4 die Bildung der Kultvereine verboten habe. Man wird aber nicht annehmen können, daß er, und weiter, daß die Personen, die hinter ihm und ihm zur Seite stehen, einer solchen Handlungsweise fähig wären in einer Sache von weltgeschichtlicher Bedeutung; mag es selbst richtig sein, wie die Tagespresse behauptet hat, der franzosenfreundliche Rampolla und der französische Kardinal Mathieu d'Agliardi hätten bei dem Papst Gehör nicht gefunden und seien durch die spanisch-deutsche Partei im Vatikan, Merry del Val, sowie die Jesuiten- und Kapuzinergeneräle aus dem Felde geschlagen worden. Nein, der Protest des Papstes hat einen viel t i e f e r e n Grund. Die Ignorierung des Papstes bedeutet nichts anderes, als was die Ignorierung, die Aufhebung der katholischen Landeskirche bedeutet: die Neg i e r u n g d e r k a t h o l i s c h e n H i e r a r c h i e , der rechtlichen Grundlagen der katholischen K i r c h e und des katholischen D o g m a s , insbesondere des Vaticanums, des Tridentinums, ja des g e s a m t e n k a t h o l i s c h e n K i r c h e n r e c h t s . Das Trennungsgesetz ist ein a n t i k i r c h e n r e c h t l i c h e s , ein a n t i p ä p s t l i c h e s Gesetz. Das Non possumm des Papstes kam aus der Tiefe der Seele und der Überzeugung. Er k o n n t e nicht anders handeln. Er mußte, wie sein Vorgänger im Syllabus errorum von 1864, die Trennung von Staat und Kirche verdammen. Er mußte v o m S t a n d p u n k t e des k a t h o l i s c h e n K i r c h e n r e c h t s , des k a t h o l i s c h e n D o g mas und der k a t h o l i s c h e n " W e l t a n s c h a u u n g aus diese Lösung des Problems garder la foi sans abdiquer la raison v e r u r t e i l e n , mußte in dem Frankreich, das durch die Kammermajorität vertreten wurde, die Erzfeindin der katholischen Kirche und ihres Rechts erblicken, die Feindin, die danach trachtete, die katholische Kirche in Frankreich in ') Abgedruckt und übersetzt bei S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat, 1907, S. X X X Ü I f f . 2 ) Abgedruckt und übersetzt b e i S ä g m ü l l e r , a . a . O . , S . LXXXIV ff.



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ihrer Sichtbarkeit in den Kultusvereinen zu begraben. Deshalb konnte Pius X., wollte er k o n s e q u e n t sein, auch nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen die Kultvereinsbildung dulden,1 obwohl dadurch vorläufig ein modus vivendi geschaffen, das Fortbestehen des katholischen Gottesdienstes und kirchlichen Lebens garantiert worden wäre. Eine Zeitlang schien es so, als sei der höhere französische Klerus dieser Ansicht. Man sprach sogar von einer historischen Fälschung der Beschlüsse einer Bischofsversammlung durch den Papst. Am 30. Mai hatte eine Versammlung von 77 Bischöfen in Paris in geheimer Sitzung sich mit einer Mehrheit von 22 Stimmen f ü r Bildung der Kultvereine ausgesprochen. Der „Temps" hatte durch Indiskretion Kenntnis von den Beschlüssen erlangt. Als nun der Papst in der Enzyklika Gravissimo officii munere sich über die beinahe einstimmige Verwerfung der Kultvereine durch die Bischofsversammlung aussprach, erhob sich dagegen ein Sturm der Entrüstung in der Presse. E r legte sich, als die Bischöfe am 4. September ihr Votum revozierten und die These aufstellten, daß der Papst allein das Recht habe, die Kirchenpolitik zu dirigieren, die Grenzen zwischen Staat und Kirche zu bestimmen.8 — Damit stehen sich, da der moderne Staat diese Grundsätze nicht anerkennen kann, die Republik Frankreich einerseits, alle offiziellen Repräsentanten der katholischen Kirche in Frankreich: Papst und Bischöfe andererseits als erklärte Feinde gegenüber. Wie konnte das kommen? Die treueste und geliebteste Tochter der Kirche ihre F e i n d i n ? Sind wirklich, wie Paul Sa-batier 3 meint, der Bruch mit Rom, die Kündigung des Konkordats, die Unterdrückung des Kultusbudget nur entfernte Konsequenzen, äußere Symbole einer intellektuellen, ») Vgl. S ä g m ü l l e r a. a. 0 . , S. 48. *) Vgl. den Hirtenbrief (lettre des évêques de France) vom 7. September 1906, abgedruckt bei S ä g m ü l l e r a. a. 0 . S. XCIff. 3) In seinem Buche A propos de la séparation des églises et de l'état. 4. Aufl. Paris 1906.



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moralischen, religiösen Evolution Frankreichs? Oder sind es nicht vielmehr Akte berechnender Politik der zufällig über die Geschicke Frankreichs entscheidenden Kammermehrheit der Radikalen, Sozialisten und der übrigen Mitglieder des antiklerikalen Blocs? Die Antwort auf diese Fragen könnte nur mit einer G e s c h i c h t e d e r T r e n n u n g s i d e e in Frankreich gegeben werden. Der Literarhistoriker Emile Faguet hat ein Buch darüber geschrieben: L ' A n t i c l é r i c a l i s m e , P a r i s 1905. Seine Schlußfolgerungen sind überzeugend, doch scheidet er zu wenig scharf den A n t i k l e r i k a l i s m u s von der I r r e l i g i o s i t ä t ; auch scheint er mir zu weit zurückzugreifen. Er versucht durch die Jahrhunderte hindurch den Einfluß nachzuweisen, den christentumsfeindliche oder gar atheistische Politiker, Denker und Dichter der Franzosen auf das Volk gehabt haben. Er nennt Montaigne, Descartes, Bayle, Molière — Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Diderot. Die T r e n n u n g s f r a g e i s t a b e r eine moderne. Viel näher läge es, den Romanen Emile Zolas in diesem Zusammenhang eine entscheidende Wirkung zuzuschreiben, den drei antikatholischen und antiklerikalen Les trois villes (Rome, Lourdes, Paris) und den drei sozialen, eine Religion der Zukunft verkündenden: Travail, Fécondité, Vérité. Oder man könnte denken an jene einflußreiche neue Historikerschule oder Historikervereinigung in Paris, die eine umfassende Geschichte der Revolution vorbereitet, Chuquet, Flammermont, Seignobos, Chassin, Champion, Tourneux, und deren Haupt A u l a r d wenigstens ein erklärter Gegner des k a t h o l i s c h e n K l e r u s ist Den oft hervorgehobenen Einfluß des in Frankreich ja sehr ausgebildeten F r e i m a u r e r t u m s auf die Bewegung braucht man wohl mit S a b a t i e r 1 nicht allzu hoch zu veranschlagen, wohl aber ein anderes Moment, das Sabatier nach meiner Ansicht unterschätzt: das Beispiel A m e r i k a s . S a b a t i e r sagt, wenn es sich nur um das Kultusbudget ') a. a. 0. S. 2.



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handele, könne man in Amerika Beispiele finden. Aber in den Vereinigten Staaten sei die Trennung nur ein „Wort und ein Schein" (aux Etats-Unis, la séparation n'est qu'un mot et une apparence).1 Das ist unrichtig. Freilich ist die Trennung in Amerika nicht konsequent durchgeführt 2 ; aber Sabatiers Behauptung, sie bestehe im wesentlichen darin, daß der Staat keinen Kult besolde, weil man bei dem erstaunlichen Gewimmel (fourmillement) der Kirchen und Sekten nicht daran habe denken können, alle Geistliche zu besolden, und deshalb keinen besoldet habe, ist eine stark übertriebene. Für die Vereinigten Staaten von Nordamerika vgl. Unionsverfassung vom 17. September 1787 (Art. VI. 3): No religious test shall ever be required as a qualification to any office or public trust under the United States und (Amendement I vom 15. Dezember 1791): Congress shall make new law respecting an establishment of religion or prohibiting the free exercise thereof. Die Trennung ist nicht vollständig und nicht in allen Staaten in gleicher Weise durchgeführt. Es finden sich zahlreiche Durchlöcherungen des Prinzips, z. B.: 1. Die Militärpflicht kann aus religiösen Motiven durch Geld abgelöst werden (kirchenhoheitliches Privileg): Pennsylvanien, New-York. 2. Der Staat verbietet und bestraft die Blasphemie als ein Delikt gegen Gott und führt strenge Sonn- und Feiertagsordnung ein (Staatskixchentum), weil die christliche Religion (sogar die Bibel als Gesetz) im common law stets anerkannt worden sei: Connecticut, Pennsylvanien, Massachusetts. 3. Der Staat ordnet kirchliche Gottesdienstfeiern oder religiöse Eröffnung des Kongresses durch besonders angestellte Geistliche an (Staatskirchentum oder Kirchenhoheit), z. B. die Regierungen der Staaten oder der Präsident der Union Dank-, Büß-, Fasttage. 4. Der Staat beschränkt den Vermögens-, insbes. den Grundbesitzerwerb der Religionsgesellschaften. >) a. a. O. S. 3. So wenig wie in Belgien, wo der Staat die Kirche dotiert.

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5. Vermächtnisse zu religiösen Zwecken werden verboten: Virginien, oder im Interesse der Erben auf gewisse Beträge beschränkt: Newyork, Iowa. Vermächtnisse oder Schenkungen sind ungültig, wenn sie nicht 1 Monat, 2 Monate, 1 J a h r vor dem Tode unter Beobachtung gewisser Formalitäten abgefaßt wurden: Pennsylvanien, Newyork, Iowa, Michigan, Delaware. 6. I n einzelnen Staaten können kirchliche Vereine und Institute überhaupt keine juristische Persönlichkeit erwerben und müssen sich zwecks Gesetzesumgehung der Treuhänder (trustees) als Strohmänner beim Vermögenserwerb bedienen: Virginien. Oft wird sie nur durch Beschluß der Legislative oder auf "Widerruf derselben oder f ü r eine bestimmte Zahl von Jahren (Georgia 14 Jahre) verliehen. 7. Der einzelne Kirchenbeamte kann keine „Korporation" darstellen, also ein Bischof nie Eigentümer des Diözesankirchenguts sein, damit nicht indirekt die kirchenrechtliche Theorie von der juristischen Persönlichkeit des bischöflichen Stuhls oder der Diözese zur Geltung kommen kann. 8. Arbeiten an Sonntagen, Vergnügen, Lustbarkeiten, Verkauf geistiger Getränke ist vielfach — verfassungswidrig (?) — verboten; die Verbote entsprechen aber den Anschauungen der Majorität des Volks. 9. Fast überall ist das kirchliche Vermögen von Staats-, Grafschafts-, Ortssteuern befreit und in Virginien, Connecticut, Texas haben die Geistlichen das Privileg der Befreiung vom Schöffen- und Geschworenendienst. Dagegen tritt der Trennungsgedanke deutlich zu Tage: 1. in dem Ausschluß des Religionsunterrichts in den Volksschulen; 2. in dem Ausschluß des Studiums der Theologie von den Staatsuniversitäten; 3. in der Hervorhebung der prinzipiellen Trennung der „Institution, deren Zweck die Unterstützung und Ausbreitung der Religion ist" von der Staatsgewalt (from the political government) in den Verfassungen der Einzelstaaten; 4. in dem Verbot, eine Staatskirche zu errichten oder eine Religionsgesellschaft zu begünstigen; 5. in dem Verbot, Staatssteuern zu religiösen Zwecken zu erheben. — DieseAngaben sind zusammengestellt aus H i n s c h i u s ' Verhältnis von Staat und Kirche, in v. Marquardsens Hand-



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buch des öffentlichen Rechts nnd aus H o l s t , Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Nordamerika, daselbst IV. 1.3. 1884. Näher kommt der "Wahrheit seine weitere Behauptung, die Trennung in Amerika sei ein tatsächlicher Zustand (un état de fait), eine durchaus empirische Lösung eines Problems, für welches Frankreich eine auf Reflexion beruhende, logische und idealische Lösung (raisonné, logique et idéale) suche. Die Trennung von Kirche und Staat in A m e r i k a ist mit der Unionsverfassung vom 17. September 1787 entstanden.1 Sie war eine Sache der p r a k t i s c h e n V e r n u n f t , der T a t — nicht des Worts, nicht des Scheins. Der Amerikaner ist überhaupt kein Mann des "Worts und des Scheins, sondern der praktischen vernünftigen Tat. "Weit eher könnte man den F r a n z o s e n einen Mann der Phrase und des Scheins nennen — des Scheins so sehr, daß er z. B. oft unmoralischer s c h e i n e n möchte, als er ist, wie ihn Faguet 2 treffend charakterisiert hat. Dann aber kommt hinzu, daß der Amerikaner im Durchschnitt viel religiöser ist als der Franzose.3 Das beweist die großartige Entwicklung der katholischen Kirche in Amerika — von der protestantischen und den zahlreichen Sekten ganz abgesehen —, die trotz der Trennung erfolgt ist. Das beweist andererseits für Frankreich die Tatsache, daß die Kurie vor den letzten Kammerwahlen in Frankreich die Zahl ihrer gläubigen kirchentreuen "Wähler ') Vgl. J. T a r d i v e l , La situation religieuse aux États-Unis 1900. P i e t s c h in Histor.-Polit. Blätter 127, 1901, S. 158ff. S o z i a l e R e v u e III, 1903, S. 310fi. A t , La situation religieuse aux ÉtatsUnis. Illusion et réalités 1902. M e a u x , L'église catholique aux États-Unis, 1904. A. A n d r é , Les catholiques aux États-Unis de l'Amérique du Nord, 1905, und weiter die bei S ä g m ü l l e r , Trennung von Kirche und Staat, Mainz 1907, S. 3 Anm. 1 und S. 27 Anm. 2 zit. Literatur. 2 ) a. a. O. S. 43ff. ; Fanfarons de vices: a. a. O. S. 45, und S. 48: il tient infiniment et il prend un plaisir infini à passer pour l'être. 3 ) Ygl. Faguet a. a. O. S. 9.



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selbst nicht höher als auf wenige Millionen veranschlagt hat. Der Erfolg hat ihr recht gegeben. Aber auch einen g e m e i n s c h a f t l i c h e n Charakterzug haben beide Völker, der in dieser Frage eine größere Rolle spielt, als es scheinen möchte. B e i d e v e r a c h t e n die Tradition1, und lieben klare einfache Verhältnisse,9 beide den b e q u e m e n , g e s u n d e n M e n s c h e n v e r s t a n d , den bon sens. 3 Durch das Wesen des Amerikaners wie des Franzosen, ihre Geselligkeit, ihren Handel, ihre Politik geht ein großer Zug. Das kann man von Amerika in noch höherem Maße sagen als von Frankreich. Dieser sogenannte A m e r i k a n i s m u s , 4 der unter. Zuhilfenahme der Kultur der alten Welt einen Typ ausgebildet hat, dem vielleicht die Zukunft gehört, ist eines der vielen m o d e r n e n I d e a l e wie in Deutschland so namentlich auch in Frankreich. Der A n g l i z i s m u s hat, wie wir sahen, die g a l l i k a n i schen F r e i h e i t e n geboren. Der A m e r i k a n i s m u s muß als eines der G r u n d m o t i v e , die zur Trennung von Staat und Kirche in Frankreich geführt haben, bezeichnet werden. — Aber er bildet nur eines der Grundmotive. Das H a u p t motiv ist urwüchsig, kein aufgepfropftes Reis; es ist in Frankreich selbst gewachsen, richtiger in den F r a n z o s e n . *) Es ist dies der horreur de la tradition, der nach Faguet (a. a. 0 . S. 36) in Frankreich den mépris des fils pour les pères et des élèves pour les maîtres erzeugt und der auch zur Entstehung der Respektlosigkeit der „sainte mère", der Kirche, gegenüber viel beigetragen hat. s ) Le simplisme: Faguet a. a. 0. S. 17. ') Faguet a. a. 0. S. 9, 12; den bon sens, den Faguet a. a. 0 . S. 13 im wesentlichen mit der paresse d'esprit, der Denkfaulheit, identifiziert. Darauf, daß beide Völker, wie Faguet a. a. 0 . S. 44 hervorhebt, se laissent mener par les femmes möchte ich kein entscheidendes Gewicht legen. 4 ) Ins Religiöse übersetzt, ist dieser Politik und Dogma gegenüber der sozialen Betätigung der Glaubenssätze zurückdrängende Amerikanismus längst unter diesem Schlagwort bekannt. Vgl. H o u t i n , l'américanisme, 1904. K. B r a u n , Amerikanismus, Fortschritt, Reformen, 1901.



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„Wildkühn, sinnenfreudig, skrupellos" hat N e u m a n n in dem interessanten Vortrag, 1 den er 1903 auf dem Historikertag in Heidelberg über die Zusammenhänge zwischen byzantinischer Kultur und italienischer Renaissance gehalten hat, d e n G e i s t d i e s e r R e n a i s s a n c e genannt, der mit T i t a n e n a r m e n Glück u n d G e n u ß u n d alles G u t auf d i e s e r E r d e in die d i e s s e i t i g e "Welt h e r a b z w i n g e n und i n i h r f e s t h a l t e n m ö c h t e . — Wir haben einen Mann dieses Geistes, einen Vorläufer der italienischen Renaissance in Bonifazius VIII. kennen gelernt. Kühn, sinnlich (man kann auch sagen unmoralisch), eitel, 2 skrupellos, 3 voll Sehnsucht nach E r d e n g l ü c k und E r d e n g e n u ß , 4 außerdem aber auch höchst kultiviert, praktisch erfahren, wohltätig und menschenfreundlich 5 ist auch der moderne Durchschnittsfranz ose. Die A m e r i k a s c h w ä r m e r e i und die P e r s ö n l i c h k e i t des modernen Franzosen weisen darauf hin, daß wir uns f ü r die nächsten Jahrzehnte noch mancher Überraschungen versehen dürfen, daß Frankreich in den Anfangsstadien e i n e r n e u e n R e n a i s s a n c e steht. Nicht einer Renaissance im Sinne des Humanismus und der l e h r h a f t e n Verherrlichung der Antike und der griechischen Philosophie, 6 der Wissenschaft und Künste — sondern einer Renaissance der F r e i h e i t und der M e n s c h l i c h k e i t . Der F r e i h e i t von starren überlieferten Formen und Formeln, der F r e i h e i t von jeder beschränkten und beschränkenden Autorität, von Religionsparagraphen und Glaubenszwang, und der M e n s c h l i c h k e i t im Sinne des Wortes Jesus von Nazareth: Was ihr getan habt einem der G e r i n g s t e n unter diesen, das habt ihr mir getan. Die ') C. N e u r a a n n , „Byzantinische Kultur und Renaissancekultur" in Histor. Ztschr. von Sybel, Bd. 91, N. F. 55 S. 215ff. 2 ) Faguet a. a. 0. S. 24 ff. ®) Légèreté: Faguet a. a. 0. S. 17. "i Actif de corps et paresseux d'esprit. Faguet S. 5, 20/21. 5 ) Faguet a. a. 0 . S. 44 (bonté), 47 (bons et faibles). Vgl. Faguet a. a. 0. S. 8.



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Absicht, die Todesstrafe abzuschaffen, ist nur ein S y m p t o m dieser Bewegung. Eine E r n e u e r u n g der K u l t u r ist dort im Gange, die die e n d g ü l t i g e Lösung unseres Problems garder la foi sans abdiquer la raison finden will z u g u n s t e n der V e r n u n f t . Aber nicht v e r s c h w i n d e n sollen Glauben und G-laubensanstalt, sondern nur die K u l t u r f u n k t i o n d e r K i r c h e will der moderne Staat in seiner K u l t u r m i s s i o n aufgehen lassen. Was Byzanz nicht vermocht hat, als es das Christentum zur Mitherrschaft mit dem Römerstaat als dessen Funktionär berief, was die Päpste des Mittelalters nicht vermocht haben, als sie den Staat zu k n e c h t e n trachteten, was die Reformation nicht vermocht hat, als sie die weltliche Obrigkeit zum praecipuum membrum ecclesiae erklärte, das will F r a n k r e i c h erreichen in dem gewaltigsten Kulturkampf der Geister: 1 Die E i n h e i t der K u l t u r f u n k t i o n e n von S t a a t u n d K i r c h e will Frankreich schaffen in dem K u l t u r s t a a t , dem sozialen Staat der Zukunft, der nicht nur den Kulturinhalt der Kirche in sich a u f z u n e h m e n , das Moralgesetz s e l b s t zu verkünden, sondern sich auch — um einen Ausdruck N e u m a n n s 2 zu gebrauchen — das kirchliche Element zu v e r d a u e n und sich damit zu s t ä r k e n getraut. In ein neues Stadium der K u l t u r r e i f e will Frankreich die Menschheit führen. Die französische Nation wird es am e i g n e n Leibe erfahren müssen, ob die von ihr gefundene Lösung des Problems, von dem wir ausgingen, die r i c h t i g e ist. 3 — Ich glaube, daß es in der Menschenseele ruhen wird, solange es M e n s c h e n gibt, das Problem G a r d e r la f o i sans a b d i q u e r la raison. ') Vgl. Sabatier a. a. O. S. 58: La séparation . . . c'est la clôture d'une époque historique et l'orientation vers des horizons nouveaux. 2 ) a. a. O. S. 227. *) Man hat bei dem ausgesprochenen Individualismus der Franzosen alle Veranlassung, skeptisch zu sein. Auch die zurzeit noch anhaltende antiklerikale Strömung wird kaum imstande sein, eine



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Nachwort. Schon heute — etwa einandeinlialbes Jahr nach seinem Inkrafttreten — kann man das Trennungsgesetz einen Torso nennen. Die Bestimmung des Artikel 25, wonach der Grottesdienst, bevor er stattfinden sollte, polizeilich anzumelden war, ist als kleinliche und im Zwangswege nicht durchführbare Maßregel 1 von der Regierung auf die Opposition der Kurie hin fallen gelassen worden.2 Auch die Bildung der katholischen Kultusvereine, die selbstverständliche Voraussetzung für eine volle "Wirksamkeit des Gesetzes, ist nicht erfolgt; das Zwangsmittel der Androhung wirtschaftlicher Nachteile hat versagt und würde wohl auch nach dem 11. Dezember 1907 versagt haben. Daneben spielt die Organisation der protestantischen 8 und israelitischen Kultvereine kaum eine Rolle. Der einzige p o s i t i v e Erfolg der Regierung ist die Abschaffung des Kultusbudgets. Trotz der zahlreichen „Pensions" und „Allocations" — das bulletin des lois enthält Tausende von Dekreten darüber — schätzt man schon jetzt die jährliche Ersparnis an Ausgaben für „Partei der Masse" zu bilden. Vgl. hierzu E l s b e t h Cohn, Die politische Arbeiterbewegung Frankreichs in den letzten Jahren (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bd. XXIII, N. F. 6 V Heft 2 1906 S. 675 ff). Auch nach Faguet (a. a. 0. S. 35) ist der Franzose ein ennemi de toute collectivité (de par sa vanité). 1 ) Eingeschärft wurde sie nochmals in den Zirkularen vom 1. und 10. Dezember 1906 (abgedruckt bei S ä g m ü l l e r a. a. O. S.XCVII u. CVHff.). 2 ) Im Gesetz über die Neuregelung des Versammlungsrechts vom 28. März 1907 (veröffentlicht im Journal officiel vom 29. März 1907), wonach alle Versammlungen frei sind und keiner Anzeige bedürfen (abgedruckt bei S ä g m ü l l e r a. a. 0. S. CXXXIX). Sie war noch enthalten in Art. 4 der Novelle vom 2. Januar 1907, vergl. unten S. 47. a ) Diese erreichte sogar, daß Güterübertragungen an sie, die nach dem 11. Dezember 1906 bona fide vorgenommen worden waren, für gültig erklärt wurden.



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Gottesdienst und Gehalte der Geistlichen auf ca. 50 Millionen Franken. 1 Die n e g a t i v e n Erfolge der Regierung sind aus den Tageszeitungen bekannt; die Räumung der Seminare und Bischofspaläste wurde mit bemerkenswertem Eifer betrieben. Am 20. Dezember 1906 wurde das berühmte Seminar Saint-Sulpice in Paris geräumt; 2 es soll zur Vergrößerung des Luxembourg-Museums dienen, die übrigen Seminare 3 sollen teils Schulzwecken, teils als Museen zur Verfügung gestellt werden. In Vesoul, in Toulouse und an anderen Orten kam es bei den Räumungen und Auszügen zu ernsteren Zwischenfällen. D e n G o t t e s d i e n s t zu d u l d e n , war die Regierung stets entschlossen, auch wenn sich Kultusvereine nicht bilden würden. Ein Avis du Conseil d'Etat vom 31. Oktober 1906 hatte sich in diesem Sinne ausgesprochen, und ein Circulaire des Ministers des öffentlichen Unterrichts, der schönen Künste und der Kulte vom 1. Dezember 1906 an die Präfekten 4 hob ausdrücklich hervor, daß die Adeptes d'une religion in diesem Falle ne sont pas pour cela privés du droit du pratiquer leur religion — und zwar öffentlich auf Grund der Versammlungsfreiheit. Die E n t e i g n u n g d e r K i r c h e n g e b ä u d e zu Wohltätigkeitszwecken hätte nach der zitierten Ausführungsbestimmung bis zum 11. Dezember 1907 hinausgeschoben werden können, und Kultusminister Briand hat diese Ansicht mehrfach vertreten — in der Hoffnung, der Papst werde die Bildung von Kultusveremen auf Grund des allgemeinen Versammlungs- und Vereinsrechtes gestatten. Als die Kurie dies abgelehnt hatte, beschloß die *) Die durch Abschaffung des Kultusbudgets jedes Jahr verfügbar werdenden Summen sollen nach Art. 41 des Trennungsgesetzes unter die Gelneinden au prorata du contingent de la contribution foncière (Grundsteuer) des propriétés non bâties verteilt werden. 2 ) Frankfurter Zeitung vom 21. Dezember, erstes Morgenblatt. ') Am 14. Dezember 1906 wurden allein in Paris 43 Seminare geräumt. 4 > Abgedruckt bei S ä g m ü l l e r a.a.O. S. XCVIIff.



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Regierung, den Artikel 9 des Gesetzes wieder in voller Kraft wirksam werden zu lassen und die Ausführungsbestimmung des Staatsrats durch. Gesetz zu beseitigen. Diese N o v e l l e z u m T r e n n u n g s g e s e t z vom 2. Januar 1907 1 bestimmt in ihrem ersten Artikel, daß überall da, wo sich keine Kultusvereine gebildet haben, Staat, Departements und Gemeinden endgültig und frei über die in ihrem Eigentum stehenden Paläste der Erzbischöfe und Bischöfe, über Pfarrhäuser und Seminarien verfügen können. 2 "Wo keine Pfarrhäuser bestanden, kommt auch die Pflicht der Gemeinden, dem Pfarrer eine Wohnungsgeldentschädigung zu zahlen, in Wegfall. Die Pfarrhäuser können an die seitherigen Geistlichen vermietet werden, aber nur mit Genehmigung der Präfekten. Der zweite Artikel spricht die E n t e i g n u n g a l l e r K i r c h e n g ü t e r 8 aus. Der dritte Artikel entzieht allen Geistlichen, die nach Ablauf eines Monats den Gottesdienst fortsetzen, ohne den Bedingungen des Trennungsgesetzes oder dieses Gesetzes genügt zu haben,4 die gesetzlichen Zuwendungen (ca. 16000 Geistliche). Ferner sollen die Kirchen, die meist den Gemeinden gehören, und das Kirchenmobilar im Besitz der Gläubigen und der Geistlichen bleiben, die nach dem Trennungsgesetz oder dem Vereinsgesetz vom 1. Juli 1901 oder dem Versammlungsgesetz vom 30. Juni 1881 einen Kultusverein bilden oder den Gottesdienst ausüben (Art, 4, 5). Damit hat die 1) La seconde loi de séparation de l'église (?) et de l'état du 2 Janvier 1907 (abgedruckt bei S ä g m ü l l e r a. a. O. S. CXff.). 2 ) Recouvreront à titre définitif la libre disposition des archevêchés etc. qui sont leur propriété et dont la jouissance n'a pas été réclamé par une association. s ) Les biens des établissements ecclésiastiques qui n'ont pas été réclamés par des associations — seront attribués à titre définitif, dès la promulgation de la présente loi, aux établissements communaux d'assistance ou de bienfaisance. 4 ) Qui continueront à exercer leurs fonctions dans les circonscriptions ecclésiastiques où n'auront pas été remplies les conditions prévues soit par la loi du 9 Décembre 1905 soit par la présente loi.



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Kirche alle nicht unmittelbar für den Gottesdienst bestimmten Güter (ca. 600 Millionen Frcs. Wert) schon jetzt definitiv verloren. — Auch die Novelle vom 2. Januar 1907 hat der Papst in der Enzyklika „Une fois encore" vom 6. Januar 1907 1 verworfen. Die aus der Novelle sich ergebende Möglichkeit, Verträge abzuschließen, nach denen der Bürgermeister oder Präfekt als Vertreter der Gemeinde oder des Staats den Pfarrern die Nutznießung der Kirchen — etwa auf die längstmögliche Dauer von 18 Jahren, bis zu welcher Zeit nach französischem Staatsrecht die Gemeinde öffentlichrechtliche Verträge, ohne Genehmigung des Präfekten einzuholen, abschließen kann — unentgeltlich samt der Polizei innerhalb der Kirche, solange die Ruhe nicht gestört wird, überließ,2 mußte von vornherein an der Erwägung scheitern, daß die Geistlichen nicht in der Lage waren, persönlich für die Unterhaltungskosten zu haften und diese aufzubringen. Als dann die offiziellen Bedingungen der Regierung, die in den Vertragsformularen Ausdruck fanden, durch ein Rundschreiben des Kultusministers vom 3. Februar 1907 3 bekannt wurden, erklärte der Vatikan auch diesen Ausweg, den Gottesdienst auf gesetzlichem Wege geordnet aufrecht zu erhalten, für unannehmbar; insbesondere war die Bedingung, daß keine Ausländer und keine Mitglieder aufgelöster oder nicht autorisierter Orden als Pfarrer angestellt werden dürfen, schroff abgelehnt worden. Der Prozeß Jouin und die Veröffentlichung tder Montagnini-Papiere haben die Entwicklung zum vorläufigen Abschluß gebracht. Dem Kenner der Verhältnisse haben sie nichts „enthüllt". Daß der Vatikan „mit Hochdruck gearbeitet hat, um die katholische Welt Frankreichs einschließlich der Geistlichkeit zum Widerstand gegen das Trennungs') Abgedruckt und übersetzt bei S ä g m ü l l e r a. a. O. S. CXIIff. Aktenstücke über den Pacht der Kirchen bei S ä g m ü l l e r a. a. O. S. CXXVÜff. 3) Abgedruckt bei S ä g m ü l l e r a. a. O. S. C X X I X f f . 2)

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gesetz zu treiben",1 und zwar vor und nach Erlaß des Gesetzes, war von seinem Standpunkt aus betrachtet, sein gutes Recht und eine längst bekannte Tatsache. Der Abbé Jouin ist wegen Übertretung des Art. 25, 29 des Trennungsgesetzes mit 16 Frcs.2 peine de simple police bestraft worden. Nichts ist charakteristischer als das Ergebnis dieses die gesamte Kulturwelt wochenlang in Spannung haltenden Prozesses. Ein Prozeß wegen einer Übertretung, welche die französische Regierung in Hunderten von Fällen nicht verfolgte, wegen eines Tatbestandes, den dieselbe Regierung durch das die Anmeldepflicht für öffentliche Kultusversammlungen beseitigende G-esetz nachträglich selbst für nicht strafwürdig und strafbar erklärt hat. Die Durchführung dieses Prozesses muß also einen besonderen Zweck gehabt haben. Er sollte eine Gelegenheit bieten, durch Veröffentlichung der Montagnini-Papiere die Politik des Vatikans bloßzustellen. Das ist gelungen. Ob aber zum Schaden des Vatikans und der katholischen Kirche? Kein gerecht denkender Mensch wird den Vertretern der kirchlichen Interessen in der Trennungssache das Recht der Notwehr vorenthalten können. Der Kampf hat das französische Trennungsgesetz geboren, ohne Kampf wird es nicht aufrechtzuerhalten sein. Es zeigt sich hier wiederum deutlich, daß Recht Macht ist, physische, moralische und wirtschaftliche Macht. Zurzeit verfügt der S t a a t in Frankreich über diesen Machtkomplex. Eine sich mit Senat und Regierung eins wissende Kammermajorität hat über das Schicksal der katholischen Kirche in Frankreich entschieden. — Welches aber ist dies Schicksal, welches ist das Ergebnis des sich durch die letzten Dezennien hinziehenden Kampfes für Kirche und Staat? Die Kirche als Kultusanstalt 3 liegt enteignet und ) Frankfurter Zeitung vom 14. April 1907, 1. Morgenblatt S. 2. ) Nach einer Zeitungsnachricht. 3) Les établissements publics du culte sont supprimés (Art. 2 des Trennungsgesetzes). 1

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F r i e d r i c h , Die Trennung von Staat nnd Kirche.

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entrechtet am Boden. Sie ist ihrer öffentlich-rechtlichen Befugnisse beraubt, zum Privatverein degradiert. Sie ist von ihrem seitherigen Platz an der Seite des Staats zu dessen Füßen gestoßen worden. Der allmächtige und alleinseligmachende Staat h a t die Rechtsfunktion der Kirche an sich gerissen. E r allein produziert von nun an Kirchenrecht als Staatskirchenrecht, richtiger als „Staatsrecht, den Kultus betreffend"; was seither von kirchlichen Dingen noch kirchenrechtlich ( = kirchlich rechtlich) geordnet war, ist jetzt Bestandteil des Privatrechts geworden oder aus dem Bereich des Rechts entfernt, zur praktischen Theologie, zur kirchlichen Sitte verblaßt. Die Kirche hat ungeheuer an Prestige eingebüßt, hat einen gewaltigen Verlust an sozialer Macht, moralisch und wirtschaftlich, zu verzeichnen. Die pensionierten Bischöfe darben bei 1500 Frcs. Pension. Die in den Ruhestand versetzten oder mit Subvention auf mehrere Jahre versehenen Geistlichen können ihren Unterhalt nicht bestreiten und müssen sich nach anderen Berufen umsehen, soweit sie ihre G-emeinde nicht alimentiert. Selbst in reichen Departements gehen Pfarrstellen ein, wie Pius X. mit tiefem Schmerz festgestellt hat, weil die Mittel zur Besoldung der Geistlichen nicht zur Verfügung sind. Und was das Schlimmste ist: der religiöse Indifferentismus der Franzosen wächst, d e r V o l k s r e l i g i o n droht die Gefahr des Verschwindens. Das ist um so bedenklicher, als die Irreligiosität, die im wesentlichen „Akatholisierung" bedeutet, in Frankreich fast immer der Vorbote eines Bürgerkriegs gewesen ist, 1 denn das innerpolitische Gleichgewicht der Franzosen ist ein äußerst labiles : „Le Français est essentiellement homme de guerre civile." 2 Dann zieht

*) Vgl. hierzu G. N o b l e m a i r e , Concordat ou séparation, 1904, S. 172 ff. B. G-audeau, L'église et l'état laïque, séparation ou accord? Étude de principes, 1905, S. 13 ff., 71 ff. a ) Faguet a. a. O. S. 4. A. B a u d r i l l a r t , Quatre cents ans de Concordat, 1905, S. 352 ff.



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mit der geordneten Herrschaft vielleicht auch wieder der offizielle Katholizismus ein; denn der Franzosenkenner Napoléon Buonaparte hat gesagt: „Un peuple athée on ne le gouverne pas, on le mitraille." Fragen wir uns z u m S c h l ü s s e , ob das weltgeschichtliche Ereignis der Trennung von Staat und Kirche in Frankreich vielleicht selbst nur s y m p t o m a t i s c h zu erfassen ist, irgendwie untergebracht werden kann in den Ideenkreisen, unter den Prinzipien, die die moderne "Welt bewegen, so scheint es mir ein s o z i a l e s E r e i g n i s im eminentesten Sinne des Wortes zu sein. Dem Schrei nach E r l ö s u n g in den Zeiten des Urchristentums, dem Ruf nach R e f o r m der daraus entstandenen Heilsanstalt ist in unseren Tagen eine Forderung gefolgt, die zwar des s u p r a n a t u r a l e n Glanzes der vorangegangenen entbehrt, aber ebenso intensiv die Menschheit durchzittert wie jene: die Forderung s o z i a l e r Gerechtigkeit:1 Die eine der basaltenen Grundsäulen des Christentums „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" hat der Staat der Kirche e n t r i s s e n und will sie a l l e i n durch Axbeiterhände stützen lassen, a l l e i n die sich daraus ergebenden sozialen Verpflichtungen im Gesetzeswege erfüllen, a l l e i n , ohne den Beistand der Kirche. E r hat das christliche Prinzip der N ä c h s t e n l i e b e , des Schutzes und der Fürsorge f ü r die wirtschaftlich S c h w a c h e n , die gesellschaftlich N i e d r i g e n , die Armen, Kranken, Invaliden, die Hilflosen und der Heranbildung auch der G e r i n g s t e n zu höherer Bildung und Gesittung ganz in sich aufgenommen, zum integrierenden Bestandteil seiner selbst gemacht. Es ist der erste Versuch, die urwüchsige Arbeiterkraft des vierten Standes, der in die Parlamente einzieht, mit der Milde des Christentums zu umkleiden und unter Verwertung der hohen Kultur Der Begriff ist nicht zu definieren. Am nächsten kommt seinem Inhalt die Umschreibung: Streben nach Aufnahme (christlich-)sittlicher Motive in das Recht. i*



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Frankreichs die Menschheit zu einer neuen Renaissance zu führen. Die G l a u b e n s a n s t a l t dagegen und den k o n f e s s i o n e l l e n G - o t t e s g l a u b e n — die a n d e r e basaltene Grundsäule des Christentums — hat er in P r i v a t v e r e i n e verbannt, sie des öffentlich-rechtlichen Charakters entkleidet. Durch das französische Trennungsgesetz ist dieser Gedanke zum ersten Male zum unzweideutigen g e s e t z l i c h e n Ausdruck gebracht worden. — Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich ist ein E x p e r i m e n t , das Frankreich für die ganze Kulturwelt 1 gemacht hat, wie schon so manches andere. Ich bezweifle aber, ob man es mit P a u l S a b a t i e r 2 une experience nouvelle nennen kann, dont les autres nations pourront tirer de nombreux enseignements. In D e u t s c h l a n d jedenfalls können die Lehren, die Sabatier im Auge hat, zurzeit noch nicht daraus gezogen werden. Freilich ist die Trennungsidee auch in Deutschland, übrigens auch in der Schweiz, Norwegen, Holland m o d e r n , und in der theologischen und kirchenrechtlichen Literatur 8 kann man lesen, daß sie das Ideal der Zukunft sei. Der politische Katholizismus aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte sie, und ein Teil des protestantischen Liberalismus unserer Tage, z. B. der in letzter Zeit vielgenannte Pfarrer Korell und seine Gesinnungsgenossen haben sie auf ihre Fahne geschrieben. Aber: Yideant clerici, ne detrimentum capiat ecclesia möchte man diesen Geistlichen zurufen. Die Trennungsfrage kann zur E x i s t e n z f r a g e für die deutschen Landeskirchen werIn Brasilien, Kuba, Mexiko ist sie tatsächlich schon durchgeführt. Für Brasilien vgl. P. S c h l i t z in Stimmen aus Maria-Laach 70, 1906, S. 561 ff. In der Schweiz ist sie in diesem Jahre im Kanton Genf — mit geringer Majorität — durch Volksabstimmung beschlossen worden. *) A propos de la séparation etc. S. 1. 8 ) Vgl. z.B. E. T r o e l t s c h , Die Trennung von Staat und Kirche usw. (Akadem. Red.) Heidelberg 1906, S. 34. Otto Mayer, Prot. Real-Enz. 3. Aufl. Artikel „Staat und Kirche".



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den. 1 Erstens wird zu erwägen sein, ob die konsequent durchgeführte Trennung der e v a n g e l i s c h e n Kirche vom Staat, der sie jetzt k r a f t seines kirchenhoheitlichen Oberaufsichtsrechts schützt und fördert, ihr seine Macht und sein Ansehen, wenn es nottut, zur Verfügung stellt, nicht eine m o r a l i s c h e Schädigung der Kirche bedeuten würde. Man denke nur an eines: das landesherrliche Kirchenregiment, das nach seiner Entstehung mit allen "Wurzeln und nach seiner Entwicklung mit allen F a s t r n dem deutschen Staate verbunden ist 2 , würde verschwinden, denn daß ein K ö n i g als K u l t u s v e r e i n s p r ä s i d e n t figurierte, ist doch nicht wohl denkbar. Leicht könnte das "Wort eines Kirchenhistorikers, 3 der eine geistreiche Studie über die Entstehung des Problems Staat und Kirche geschrieben hat, "Wahrheit werden, daß die deutschen evangelischen Landeskirchen von ihrer derzeitigen Höhe zu bespöttelten Konventikeln herabsänken. Aber auch w i r t s c h a f t l i c h wird kaum e i n e protestantische Landeskirche in Deutschland die Trennung ertragen können. Die deutsche evangelische Kirche ist arm an Q-ütern dieser "Welt. Sie kann ohne einen ganz e r h e b l i c h e n Staatszuschuß 4 ihre Geistlichen nicht besolden. Die K a p i t a l i s i e r u n g dieser vom Staate übernommenen Verbindlichkeiten würde den Staat bankerott machen. Die " W e i t e r z a h l u n g der Zuschüsse würde mit dem Prinzip der Trennung in "Widerspruch stehen und den Kultusvereinen — aller Konfessionen natürlich — eine "Waffe in die Hand geben, die, wie das Ebenso P. D r e w s , Der Einfluß der gesellschaftlichen Zustände auf das kirchliche Leben (Ztschr. f. Theol. u. K. XVI), 1906, S. 80. ») Das man aber trotzdem — juristisch — nicht als ein „staatliches" bezeichnen kann, wie E g e r , Das Wesen der deutschen Volkskirche, Gießen 1906, S. 36 ff. tut. ') K ö h l e r , Die Entstehung des Problems Staat und Kirche, Tübingen 1903, S. 36. , , 4) In Hessen beträgt er zurzeit für die evangelische Kirche 310000 Mk. und für die katholische 171372 Mk.



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Beispiel von B e l g i e n zeigt, gegen den Staat gerichtet und ihm gefährlich werden kann. Und wenn sich die Staatsregierungen, die der Trennung zustreben, einbilden, damit der k a t h o l i s c h e n Weltkirche in Deutschland einen Schaden zuzufügen, so sind sie in gewaltigem Irrtum befangen. 1 Vor allem ist die katholische, politisch und religiös irt der Hauptsache geschlossene Organisation in Deutschland auf die Trennung v o r b e r e i t e t , während sich die evangelische in kirchenpolitischen Parteikämpfen selbst zerfleischt. Dann aber b e d a r f der Katholizismus nach der Entwicklung, die er in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts genommen hat, überhaupt in weit geringerem Maße der ergänzenden oder helfenden Macht oder des Ansehens des Staats als der P r o t e s t a n t i s m u s . Wenn auch der Staat nach wie vor ein wichtiges Glied der Weltordnung nach katholischer Anschauung bildet, wenn auch die Ansprüche der katholischen Kirche selbst auf weltliche Macht unter der Asche des Gebäudes glimmen mögen, das die gewaltigen Päpste des Mittelalters gezimmert hatten, so hat sie sich doch für alle Fälle ein Werkzeug geschmiedet, das wirkungsvoller ist als staatliche Macht und staatliches Recht. Schritt für Schritt ist sie auf der Bahn der Zentralisation dem Ziele näher gekommen, das U l r i c h S t u t z bezeichnet hat als die S p i r i t u a l i s i e r u n g des K i r c h e n r e c h t s . Mag ein Staatsgesetz das Kirchenrecht, das kirchliche Recht verschwinden lassen, die Kirchengewalt im Rechtssinne negieren, — die Seelen der gläubigen Katholiken bindet ein anderes, ein g ö t t l i c h e s Kirchenrecht, das in dem durch das Yaticanum geschaffenen Universalepiskopat des Papstes und seiner Unfehlbarkeit die letzten Konsequenzen seiner Eigenart gezogen hat. Von dem heiligen Vater in Rom laufen geheimnisvolle Fäden in das Herz jedes Dieners, ja jedes Angehörigen der Kirche, die ihn fester umschließen als staatliches Recht. Ebenso H i n s c h i u s , Verhältnis von Staat und Kirche in von Maquardsens Handbuch des öffentlichen Rechts, S. 264ff.



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Und noch ein S t a a t a p o l i t i s c h e r Gesichtspunkt. Der große Einfluß des politischen Katholizismus in den deutschen Parlamenten ist n o t o r i s c h . E r wird noch w a c h s e n im Falle der Trennung von Staat und Kirche in Deutschland. Nicht nur werden manche Staatsgesetze verschwinden müssen, die sich gegen geistlichen Mißbrauch bei staatlichen Wahlen usw. richten. Die Kirche, in die M ä r t y r e r r o l l e gedrängt, wird auch das Vertrauen derjenigen Kreise wiedergewinnen, das sie in ihrer derzeitigen Machtstellung verloren hat: des l i b e r a l e n Katholizismus. Sie wird noch mehr als seither ihre "Wortführer in die Parlamente schicken. — Dieser Gedanke leitet uns wieder auf F r a n k r e i c h zurück. Wie wird es dort werden mit dem passiven politischen Wahlrecht der Geistlichen. Nach seitherigem Recht konnte der Geistliche nicht innerhalb seines Sprengeis, sonst aber, mit Ausnahme der Erzbischöfe, Bischöfe und der protestantischen Konsistorialpräsidenten 1 unbeschränkt in die Kammer gewählt werden; er mußte aber wegen Unvereinbarkeit der Pflichten, sein Amt niederlegen, w e n n er v o m S t a a t b e s o l d e t w a r . Diese Besoldungen kommen in Bälde ganz in Wegfall. Was wird die Folge sein? Die katholischen Geistlichen werden trotz allem in das Parlament einziehen. Die Frage der Trennung von Staat und Kirche wird eine Frage der P a r l a m e n t s m a j o r i t ä t e n bleiben, 4 und die Trennungsidee bei jeder neuen Deputiertenwahl in Gefahr geraten, in ihr Gegenteil verwandelt zu werden. Wie dem aber auch sein mag, entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist f ü r uns Zuschauer die Trennung von Staat ') Ich. berichtige an dieser Stelle einen Druckfehler in meiner Schrift über das politische Wahlrecht der Geistlichen (Gießen 1906). Es muß S. 8 Anm. 2 statt „auch" „nicht" heißen. 9 ) Der französische Gesetzgeber hat diese Gefahr erkannt und deshalb in Art. 40 des Trennungsgesetzes bestimmt, daß die Kultusdiener wenigstens in den Gemeinderat der Gemeinde, wo sie ihr geistliches Amt bekleiden, für die nächsten 8 Jahre von Publikation des Gesetzes an nicht gewählt werden können.



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und Kirche in Frankreich eine E p i s o d e in der "Weltgeschichte. Wie Sabatier in der Vorrede zur zweiten Auflage seines mehrerwähnten Buches sagt: Les affaires de France ne sont qu'un épisode. Aber das Wichtige dabei ist nicht, wie Sabatier fortfährt, daß der Papst durch seine das Trennungsgesetz verdammende Enzyklika entschieden hat, die D e m o k r a t i e sei eine Ketzerei, sondern daß er damit gesagt hat: der den Grottesglauben in die K u l t u s v e r eine verweisende a l l e i n s e l i g m a c h e n d e S t a a t ist eine Ketzerei, der Grottesglaube „läßt sich eben nicht mit dem Zweck einer A k t i e n g e s e l l s c h a f t vergleichen" (Kahl).

Druck von C. G. Röder G. m. b. H., Leipzig.

VERLAG von ALFRED TÖPELMANN (vormals J. Ricker) in (HESSEN

FESTSCHRIFT F Ü R DIE

JURISTISCHE FAKULTÄT IN GIESSEN ZUM UNIVERSITÄTS-JUBILÄUM ÜBERREICHT VON IHREN FRÜHEREN DOZENTEN

BELING, COSACK, F R A N K , GAREIS, HEIMBERGER, HELLWIG, JUNG, v. LISZT, REGELSBERGER, REHM, L. v. SEUFFERT, STAMMLER, v. THUDICHUM, v. WENDT. HERAUSGEGEBEN VON

REINHARD FRANK

548 SEITEN IN GROSSOKTAV-FORMAT GEHEFTET MK. 18,— ; ELEGANT GEBUNDEN MK. 22,—.

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