Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung der Länder nach Einführung der Schuldenregel [1 ed.] 9783428547043, 9783428147045

Im Zuge der Föderalismusreform II wurde die sog. Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Neben dem Bund schreibt diese

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Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung der Länder nach Einführung der Schuldenregel [1 ed.]
 9783428547043, 9783428147045

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1323

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung der Länder nach Einführung der Schuldenregel

Von

Bülent Aydin

Duncker & Humblot · Berlin

BÜLENT AYDIN

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung der Länder nach Einführung der Schuldenregel

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1323

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die Gewährleistung einer angemessenen Finanzausstattung der Länder nach Einführung der Schuldenregel

Von

Bülent Aydin

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahr 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 30 Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Fotosatz Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14704-5 (Print) ISBN 978-3-428-54704-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84704-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Tag der Disputation war der 7. Mai 2014. Zu ganz besonderem Dank bin ich meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Herrn Prof. Dr. Joachim Wieland verpflichtet. Er hat nicht nur die Beschäftigung mit dem Thema der Arbeit angeregt und deren Entstehung in jedem Stadium in hervorragender Weise gefördert. Er war es auch, der während meiner Zeit als Hilfskraft an seinem Frankfurter Lehrstuhl maßgeblich dazu beigetragen hat, mein Interesse am wissenschaftlichen Denken und Arbeiten zu wecken. Frau Prof. Dr. Ute Sacksofsky danke ich vielmals für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie für ihre wohlwollende Unterstützung, die mich während meiner gesamten juristischen Ausbildung begleitet hat. Mein besonderer Dank gilt weiterhin Frau Richterin des Bundesverfassungsgerichts a. D. Prof. em. Dr. Lerke Osterloh, zum einen für die bereichernde Zeit, die ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an ihrem Lehrstuhl verbringen durfte – und zum anderen dafür, dass sie mir während dieser Tätigkeit den für die Arbeit an meiner Dissertation notwendigen zeitlichen Freiraum gewährt hat. Zum Gelingen dieser Doktorarbeit haben darüber hinaus geliebte Menschen beigetragen, denen ich für ihren Beistand zutiefst dankbar bin: Meine Freundin Figen Aksoy hat mit nahezu unerschöpflicher Geduld den gesamten Entstehungsprozess der Arbeit begleitet. Sie hat alle damit einhergehenden Höhen und Tiefen mit mir gemeinsam durchlebt und mir stets den für die Fertigstellung der Arbeit nötigen Rückhalt gegeben. Für ihre Unterstützung bin ich ihr für immer verbunden. Herrn Staatsanwalt Dr. Asim Khan danke ich herzlich für die kritische Begleitung meines Vorhabens sowie dafür, dass er die Mühen des Korrekturlesens des Manuskripts auf sich genommen hat. Ohne die wertvollen Gespräche mit ihm wäre die Arbeit nicht in dieser Form entstanden. Der größte Dank gebührt meinen Eltern Dipl.-Chem. Bükây Aydin und Dipl.-Ing. Ismet Aydin. Meine Ausbildung, diese Arbeit und so vieles mehr, was hier unausgesprochen bleiben muss, verdanke ich ihnen und ihrer Förderung. Ihnen ist die Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im Juni 2015

Bülent Aydin

Inhaltsübersicht Erster Teil Problemaufriss

25

Zweiter Teil Das neue Schuldenregime der Art. 109 Abs. 3, 115, 143d GG

28

Erstes Kapitel Darstellung der neuen Länderschuldenregel

28

Zweites Kapitel Vor diesem Hintergrund: Präzisierung der Fragestellung

29

Dritter Teil Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

30

Erstes Kapitel Grundlegendes

30

§ 1 Bindungswirkung der Bestandsklausel für den verfassungsändernden Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verhältnis von verfassungsgebender und -ändernder Gewalt nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wirksamkeit des Art. 79 Abs. 3 GG gegenüber der Revisionsgewalt . . . . . C. Ergebnis zu § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 38 43

§ 2 Art. 79 Abs. 3 GG: Einziger materieller Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

§ 3 Reichweite des Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Berühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zu § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 46 55 59

§ 4 Ergebnis zum ersten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

31

10

Inhaltsübersicht Zweites Kapitel Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

§ 1 Grundlegendes zur Föderativklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Übertragbarkeit der allgemeinen Befunde auf die Bundesstaatsgarantie . . . B. Anwendung der allgemeinen Maßgaben zur Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG auf den einheitlichen bundesstaatlichen Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . C. Föderativer Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG: Typusbestimmende Merkmale der Bundesstaatlichkeit grundgesetzlicher Prägung . . . . . . . . . . . § 2 Länderstaatlichkeit: Wesensmerkmal der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausgangspunkt: Systematische Wechselwirkungen zwischen bundesstaatlicher Ordnung, demokratischem und sozialem Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . B. Länderstaatlichkeit als Ausprägung (vornehmlich) vertikaler Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zu § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 61 68 69 74 74 90 228

§ 3 Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Vierter Teil Anwendung auf die neue Rechtslage

230

Erstes Kapitel Vorüberlegungen

230

§ 1 Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 2 Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Zweites Kapitel Prognosen § 1 Zeitraum ab dem 1. Januar 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Hohe Determiniertheit der Länderhaushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Lösungsansätze: Kompensationsmöglichkeiten für das Verbot struktureller (Neu-)Verschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zu § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 233 234 255 294

§ 2 Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Fünfter Teil Gesamtergebnis in Thesen

296

Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Problemaufriss

25

Zweiter Teil Das neue Schuldenregime der Art. 109 Abs. 3, 115, 143d GG

28

Erstes Kapitel Darstellung der neuen Länderschuldenregel

28

Zweites Kapitel Vor diesem Hintergrund: Präzisierung der Fragestellung

29

Dritter Teil Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

30

Erstes Kapitel Grundlegendes § 1 Bindungswirkung der Bestandsklausel für den verfassungsändernden Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verhältnis von verfassungsgebender und -ändernder Gewalt nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsändernde Gewalt als vom Verfassungsgeber eingesetzte Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsgebende und -ändernde Gewalt als unterschiedliche, aber gleichrangige Erscheinungsformen einer einheitlichen verfassungserzeugenden Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wirksamkeit des Art. 79 Abs. 3 GG gegenüber der Revisionsgewalt . . . . . I. Unmöglichkeit der in Art. 79 Abs. 3 GG angeordneten Bindung? . . . . II. Kompetenzüberschreitung des Verfassungsgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

31 31 32

33 34 38 38 38 39

12

Inhaltsverzeichnis C. Ergebnis zu § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

§ 2 Art. 79 Abs. 3 GG: Einziger materieller Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 § 3 Reichweite des Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 23 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 19 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auslegungsergebnis zum Merkmal „Grundsätze“ und Schlussfolgerungen für die Anwendung des Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Berühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis zu B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zu § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 46 46 48 48 49 51 52 53 55 55 57 57 58 59 59

§ 4 Ergebnis zum ersten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Zweites Kapitel Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter § 1 Grundlegendes zur Föderativklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Übertragbarkeit der allgemeinen Befunde auf die Bundesstaatsgarantie . . . I. Allgemeine Absicherung der föderativen Verfassungssubstanz über Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einheitlicher bundesstaatlicher Schutzbereich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwendung der allgemeinen Maßgaben zur Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG auf den einheitlichen bundesstaatlichen Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . C. Föderativer Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG: Typusbestimmende Merkmale der Bundesstaatlichkeit grundgesetzlicher Prägung . . . . . . . . . . . I. Integrales Verständnis vom Bundesstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Direkter Rekurs auf ältere verfassungsrechtliche Ausformungen des deutschen Bundesstaates? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reichsverfassung von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 61 62 66 68 68 69 69 70 70 71

Inhaltsverzeichnis 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anknüpfung an verfassungsübergreifende geschichtliche Entwicklungsstränge bis 1949? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rückgriff auf ältere Bundesstaatslehren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bedeutung theoretischer Begriffsbestimmungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis zu C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Länderstaatlichkeit: Wesensmerkmal der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausgangspunkt: Systematische Wechselwirkungen zwischen bundesstaatlicher Ordnung, demokratischem und sozialem Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . I. Bedenken gegen eine funktionale Typusbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . II. Verflechtungen mit dem demokratischen Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige demokratiekomplementäre Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerung in Bezug auf etwaige Länderfinanzgarantien des Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verflechtungen mit dem Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozial-föderative Homogenität oder Vielfalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Perspektive eins: Individualleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Perspektive zwei: Infrastruktur- und kollektive Sozial(dienst)leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis zu III. und Schlussfolgerungen in Bezug auf etwaige Länderfinanzgarantien des Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Länderstaatlichkeit als Ausprägung (vornehmlich) vertikaler Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Materielle Voraussetzung der Länderstaatlichkeit: unentziehbarer Kern eigener Aufgaben („Hausgut“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Im Besonderen: Kreditautonomie als Essentiale der Länderstaatlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Organisationshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Terminologische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungssystematische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bundesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Art. 28 Abs. 1 GG Uf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Normen der bundesstaatlichen Finanzordnung . . . . . (aa) Art. 105, 106 GG Uf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Art. 107 Satz 3 i.V. m. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Art. 109 GG Uf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 72 73 73 73 74 74 74 74 76 76 78 79 80 81 82 85 88 89 90 92 93 93 94 96 96 100 101 102 103 106 107

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Inhaltsverzeichnis (c) Zwischenergebnis zu (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (3) Zwischenergebnis zu bb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Teleologische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) (Vertikale) Gewaltengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Unitarischer Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 dd) Verfassungsgeschichtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 ee) Zwischenergebnis zu a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Sonstiges Hausgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Zwischenergebnis zu 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Im Besonderen: Angemessene Finanzausstattung als Essentiale der Länderstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Mit Blick auf das Referenzjudikat (BVerfGE 34, 9): Abstimmung der Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Ausgangspunkt für die Konkretisierung des Garantieumfangs: Kategorisierung der Landesaufgaben anhand der föderativen Typusmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Weichenstellung bezüglich der Konkretisierung des Garantieumfangs: Lediglich typussichernde oder (prinzipiell) aufgabenkongruente Garantie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Grundanforderung an die Angemessenheit der Finanzausstattung: Gewährleistung der verfassungskonformen Erfüllung verfassungsmäßiger Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Extern determinierte Landesaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Landesunmittelbare Aufgaben, im Besonderen: Gestaltungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 cc) Sonderfall hybrider Beschaffenheit: Garantie der kommunalen Finanzausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (1) Berücksichtigungspflichtigkeit etwaiger Einstandspflichten der Länder für ihre Kommunen? . . . . . . . . . . . . 130 (a) . . . hinsichtlich der Ausführung von Bundesgesetzen (ohne substantiellen kommunalen Entscheidungsspielraum)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (aa) Ausnahme: Fortgeltendes Bundesrecht gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 Var. 2, 3 GG (Bundesdurchgriffszuweisung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (bb) Regelfall: Landesrechtliche Zuweisung . . . . . . . 135 (b) . . . hinsichtlich der Ausführung von Landesgesetzen (ohne substantiellen kommunalen Entscheidungsspielraum)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (c) . . . hinsichtlich der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

Inhaltsverzeichnis

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(aa) Abgrenzung zu den anderen Kommunalaufgabenkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (bb) Existenz und gegebenenfalls Umfang einer Einstandspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (cc) Adressat der Einstandspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 139 (dd) Umfang der Berücksichtigungspflichtigkeit der Einstandspflicht im vorliegenden Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (2) Zwischenergebnis zu cc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 dd) Zwischenergebnis zu b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 ee) Verbleib der Möglichkeit zur Verschuldung in Ausnahmesituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 ff) Conditio sine qua non nicht nur der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes: Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (a) Klärung der Grundbegriffe 1: Lebensverhältnisse . . 146 (b) Grundgesetzlicher Textbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (aa) Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (bb) Grundgesetz-Urfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (a) Unmittelbare Bekundung . . . . . . . . . . . . . . . 151 (b) Mittelbare Bekundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (aa) Art. 29 Abs. 1 Sätze 1, 2 GG Uf. . . . . 151 (bb) Art. 106 Abs. 3 GG Uf. . . . . . . . . . . . . 153 (gg) Art. 106 Abs. 4 GG Uf. . . . . . . . . . . . . 154 (dd) Übergreifende Ergänzungen zu (bb) und (gg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (g) Resümee zu (bb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (cc) Übergreifende Schlussfolgerung zu den Textbefunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (c) Klärung der Grundbegriffe 2: Einheitlichkeit/ Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Enthält Art. 79 Abs. 3 GG ein Homogenitätspostulat bezüglich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet? . . . 159 (a) Umfassender Unitarisierungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . 159 (b) Mindestsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (aa) Verankerung über einfache Verfassungssätze? . 160 (bb) Verankerung über Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (cc) Verankerung über den sozialstaatlichen Teil des Verfassungskerns? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

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Inhaltsverzeichnis (a) Mindesthomogenität: Gebot der Sozialstaatlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (aa) Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (bb) Weitere Lebensverhältnisse . . . . . . . . . 164 (gg) Bindung des finanzstaatlichen Leistungsangebots an den Bundesdurchschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (dd) Lebensverhältnisse, die in den Regelungsbereich der Länder fallen – Verfassungssystematische Überlegungen . 166 (ee) Sonderfall nach derzeitigem Verfassungsrecht: Kommunen in Ausübung ihres Selbstverwaltungsrechts (ohne Fälle des Gesetzesvollzugs im engeren Sinn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (zz) Ergebnis zu (a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (b) Sperrwirkung des Befunds zu Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (g) Mindesthomogenitätspostulat: Zugehörigkeit zum Kerngehalt der Sozialstaatlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (dd) Verankerung über den bundesstaatlichen Teil des Verfassungskerns? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (a) Mindestharmonisierung zentraler Lebensverhältnisse: Voraussetzung für die Wahrung/Herstellung der inneren Einheit im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (aa) Eindämmung von Wanderungsbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (bb) Sicherung der sozialen Stabilität . . . . . 185 (gg) (Verfassungs-)Geschichtliche Besonderheiten des deutschen Bundesstaatstypus’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (b) Ergebnis zu (dd) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (ee) Verankerung über den freiheitlich-demokratischen Teil des Verfassungskerns? . . . . . . . . . . . . 192 (ff) Im Konkreten: Verknüpfung des Bestands der bundesstaatlichen und der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes: Niederschlag auf Ebene der Verfassungsvoraussetzungen . . . . . . . 196 (gg) Staatliche Garantenstellung für materielle Verfassungsvoraussetzungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Inhaltsverzeichnis (hh) Abstrakter/konkretisierungsbedürftiger Mindesthomogenitätsstandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ii) Zugrundelegung der jeweiligen Homogenitätsbedürfnisse in der Bevölkerung: keine unzulässige ex-post Modifizierung des Schutzbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (jj) Ergebnis zu (b) und Schlussfolgerungen . . . . . . (c) Ergebnis zu (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenzen aus der Mindesthomogenitätsgarantie in Bezug auf das in Art. 79 Abs. 3 GG verankerte Postulat der Gewähr angemessener Landesfinanzausstattungen . (a) Anknüpfungspunkte bei den bisherigen Befunden . . (b) Relevante Verpflichtungstatbestände . . . . . . . . . . . . . (c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ergebnis zu (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ergebnis zu b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gemeinschafts- bzw. völkerrechtliche Einwirkungen auf den Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Maßgaben für die Generierung der Finanzausstattung . . . . . . . . aa) Modalitäten der Bereitstellung angemessener Länderfinanzausstattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normierungsverantwortung und Einstandspflicht des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Subsidiäre Einstandspflicht der Länder(-gesamtheit)? . . . . . dd) Bei Eintritt des Sicherungsfalles: Notwendigkeit, die Bundeseinstandspflicht in (finanz-)verfassungsrechtlichen Handlungsinstrumenten verorten zu können . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgerungen mit Blick auf das derzeitige Bundesverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis zu 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis zu B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zu § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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202

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207 207 209 212 214 214 216 216 216 217 219

219 225 225 226 228

§ 3 Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Vierter Teil Anwendung auf die neue Rechtslage

230

Erstes Kapitel Vorüberlegungen

230

§ 1 Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 2 Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

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Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Prognosen

§ 1 Zeitraum ab dem 1. Januar 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Hohe Determiniertheit der Länderhaushalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weitreichender Bundeseinfluss auf die gliedstaatliche . . . . . . . . . . . . . . . 1. . . . Einnahmenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. . . . Ausgabenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kaum Einflussnahmemöglichkeiten der Länder selbst auf ihre . . . . . . . 1. . . . Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. . . . Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kosten der Erfüllung fremddeterminierter Aufgaben (im Besonderen: Ausführung von Bundesgesetzen)/hoher zeitlicher Bindungsgrad der Personalkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgaben im Zusammenhang mit der fiskalischen Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich einer aufgabenadäquaten kommunalen (Mindest-)Finanzausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmittelbare Einflussnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbare Einflussnahmemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kosten der Erfüllung landesunmittelbarer Aufgaben . . . . . . . . . . III. Resümee und verfassungsrechtliche Würdigung zu A.: Aufgabenangemessene Finanzausstattung (insbesondere finanzschwacher) Länder ohne Einnahmen aus Krediten möglicherweise nicht gewährleistet . . . 1. Ländereinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Länderausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kosten der Erfüllung fremddeterminierter Aufgaben, Länderausgabenautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgaben im Zusammenhang mit der fiskalischen Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich einer aufgabenadäquaten kommunalen (Mindest-)Finanzausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bundesweite Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse gemäß Art. 20 Abs. 1, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kosten der Erfüllung landesunmittelbarer Aufgaben . . . . . . . . . . aa) Erhalt der Länder als politische Entscheidungszentren . . . . . bb) Bundesweite Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse gemäß Art. 20 Abs. 1, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Lösungsansätze: Kompensationsmöglichkeiten für das Verbot struktureller (Neu-)Verschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. . . . im Rahmen der Novelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 233 234 234 234 237 237 237 239

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246 246 248 250 250 252 253 255 255

Inhaltsverzeichnis 1. Keine expliziten Ausgleichsinstrumente vorgesehen . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 79 Abs. 3-konforme Interpretation der Art. 109 Abs. 3 Sätze 2, 3 GG/Bedarfsorientierte Ausgestaltung der Ausnahmetatbestände durch den Landes(verfassungs)gesetzgeber gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. . . . im Rahmen des hergebrachten Instrumentariums der bundesstaatlichen Finanzverfassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abhilfe über die Wahrnehmung von Steuergesetzgebungsbefugnissen gemäß Art. 105 Abs. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abhilfe im Rahmen der Primärverteilung der Steuererträge? . . . . . a) Vertikal: Art. 106 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 3 Sätze 3, 4 GG (Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländergesamtheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Horizontal: Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG (Ergänzungsanteile aus dem Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen) . . . . . 4. Abhilfe im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs gemäß Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abhilfe durch Ausgleichszahlungen des Bundes? . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 106 Abs. 4 Sätze 2, 3 GG (Mehrbelastungsausgleich) . . . . . b) Art. 106 Abs. 8 GG (Sonderbelastungsausgleich) . . . . . . . . . . . . c) Art. 91a; 91b Abs. 1, 3; Art. 104b GG (Mischfinanzierungstatbestände) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 104a Abs. 3 GG (Fakultative Beteiligung des Bundes an den Zweckkosten seiner Geldleistungsgesetze) . . . . . . . . . . . . . . e) Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG (Ergänzungszuweisungen des Bundes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normzweck und Einordnung in das föderative Finanzverteilungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatbestand der Leistungsschwäche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Primär einschlägig: Allgemeine Tatbestandsvariante des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Im Ernstfall: Notwendigkeit einer Auslegung des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG, die in Einklang mit Art. 79 Abs. 3 GG steht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Grenzen einer Lösung über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG . . . . ff) Möglicherweise entgegenstehende Wertungen aus BVerfGE 116, 327? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Haushaltsnotlagen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bis zum Berlin-Urteil . . . . . . . . . . . . (a) BVerfGE 72, 330 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) BVerfGE 86, 148 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) BVerfGE 101, 158 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 255

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Inhaltsverzeichnis (2) Zugrunde liegender Sachverhalt gemäß dem Normenkontrollantrag des Senats von Berlin vom 4. September 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kernaussagen des Urteils (mit Blick auf die hiesige Problemstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundsatzteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ausführungen zum konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gegenüberstellung der Sachverhalte/Inhaltliche und dogmatische Rahmenbedingungen für die Übertragbarkeit von Wertungen aus BVerfGE 116, 327 auf die hiesige Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Auf dieser Grundlage: Eventuell auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbare Wertungen aus dem Judikat . . (6) Ergebnis zu ff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ergebnis zu e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ungeschriebene bundesstaatsrechtliche Grundlage für Hilfszahlungen des Bundes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ergebnis zu 5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis zu II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zu § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282 283 284 286

287 289 291 291 292 292 293 294 294

§ 2 Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Fünfter Teil Gesamtergebnis in Thesen

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Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. Abs. AK-GG

anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte(r) Fassung Absatz Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe „Alternativkommentare“), herausgegeben von Rudolf Wassermann u. a. Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BayVerf. Verfassung des Freistaates Bayern Begr. Begründer BerlVerf. Verfassung von Berlin BFH Bundesfinanzhof BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BIP Bruttoinlandsprodukt BrdbgVerf. Verfassung des Landes Brandenburg BR-Drs. Bundesratsdrucksache(n) BremVerf. Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen bspw. beispielsweise BT-Drs. Bundestagsdrucksache(n) BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz) BVerwG Bundesverwaltungsgericht BWSpielbankenG Spielbankengesetz Baden-Württemberg BWVerf. Verfassung des Landes Baden-Württemberg bzw. beziehungsweise CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands Ch. E. Herrenchiemsee-Entwurf des Grundgesetzes

22 CSU d. h. ders./dies./dens. DÖV Drs. DVBl. e.V. ebd. EnWG ErbStG EStG f. FAG FAS FAZ FDP ff. Fn. FöKoDrs. Fortf. gem. GG GV. NW. h. M. HambVerf. HessGO HessGVBl. HessSpielbankG HessVerf. Hrsg. Hs. HStR HVerfR

i.V. m. IWH JöR Jura JuS

Abkürzungsverzeichnis Christlich-Soziale Union in Bayern das heißt derselbe/dieselbe(n)/denselben Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drucksache(n) Deutsches Verwaltungsblatt eingetragener Verein ebenda Energiewirtschaftsgesetz Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Einkommensteuergesetz folgende Seite Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei folgende Seiten Fußnote(n) Drucksachen der Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen Fortführender gemäß Grundgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen herrschende Meinung Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Hessische Gemeindeordnung Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen Hessisches Spielbankgesetz Verfassung des Landes Hessen Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von Josef Isensee/Paul Kirchhof Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel in Verbindung mit Institut für Wirtschaftsforschung Halle Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis JZ Kap. KritV Lfg. lit. LKRZ LKV LTO m. E. m.w. N. MaßstG

MPVerf. n. F. Nds. NdsVBl. NdsVerf. NJW Nr. NVwZ NW NWVerf. OVG Parl. Rat RGBl. RhPfVerf. Rn. RR Rspr. RV S. s. SaarVerf. SächsVerf. SAVerf. SFG

23

Juristenzeitung Kapitel Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Ergänzungs-)Lieferung litera Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/RheinlandPfalz/Saarland Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Legal Tribune Online meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz) Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern neue(r) Fassung Niedersachsen Niedersächsische Verwaltungsblätter Verfassung des Landes Niedersachsen Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Oberverwaltungsgericht Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv Reichsgesetzblatt Verfassung für Rheinland-Pfalz Randnummer Rechtsprechungsreport Rechtsprechung Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 Seite siehe Verfassung des Saarlandes Verfassung des Freistaates Sachsen Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz)

24 SHLandesS SHVerf. sog. SPD StabG StGH str. SuS SZ ThürVBl. ThürVerf. Ts. TV-H TV-L u. a. u. Ä. Uf. v. v. H. Var. VBlBW VerfGH vgl. VO VStG VVDStRL WRV ZG ZSE

Abkürzungsverzeichnis Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949 Verfassung des Landes Schleswig-Holstein so genannte/genannten/genannter Sozialdemokratische Partei Deutschlands Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Staatsgerichtshof streitig Staatswissenschaften und Staatspraxis (Zeitschrift) Süddeutsche Zeitung Thüringer Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaats Thüringen Teilsatz Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst des Landes Hessen Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder und andere/unter anderem und Ähnliche/Ähnlicher/Ähnliches Urfassung von/vom vom Hundert Variante(n) Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vermögensteuergesetz Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften

Erster Teil

Problemaufriss „Den parlamentarischen Föderalismus aber wird es nicht mehr lange geben: (. . .) Die Landtage werden zwar weiterhin existieren, die Bürger werden sie auch weiterhin wählen dürfen – aber die Landtage und Abgeordnetenhäuser werden nicht mehr viel zu sagen haben. Die Föderalismusreform/Teil II beseitigt die Reste einer schon bisher sehr eingeschränkten Haushaltsautonomie der Länder. (. . .) Landtage sind also künftig Einrichtungen, die an einen österlichen Brauch erinnern: Man hängt ausgeblasene, aber schön angemalte Eier an einen Strauch. Der Strauch ist der deutsche Föderalismus, die ausgeblasenen Eier sind die 16 Landtage.“ 1

Am 8. März 2007 nahm die Föderalismuskommission II ihre Arbeit mit der Maßgabe auf, Vorschläge zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu erarbeiten, um die bundesstaatliche Finanzordnung knapp vierzig Jahre nach ihrer ersten grundlegenden2 Revision an die veränderten ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen anzupassen3. Angesichts eines Anstiegs der Schuldenstandsquote4 öffentlicher Haushalte von damals ca. 20 auf knapp 70 Prozent zum Ende des Jahres 20065 kam dabei einer Neufassung der Verschuldungsregeln für Bund und Länder von Anfang an eine besondere Bedeutung zu. Und tatsächlich beschloss die Kommission in ihrer abschließenden Sitzung am 5. März 2009 als Kernstück ihrer Vorschläge eine neue, gemeinsame Schuldenregel für Bund und Länder, die schließlich mit der Zustimmung von

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Prantl, in: SZ vom 26. März 2009, S. 4. Zwar wurden erste Ergänzungen und Änderungen bereits durch die Verfassungsänderungen 1955/1956 herbeigeführt; eine umfassende Neugestaltung der Finanzverfassung aber sollte der Großen Finanzreform 1969 vorbehalten bleiben. Zum Ganzen Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HVerfR, § 23 Rn. 5 f. 3 FöKoDrs. 174, S. 38. 4 Schuldenstand im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt; vgl. etwa Brümmerhoff, Finanzwissenschaft, S. 630. 5 Vgl. dazu SZ vom 26. Februar 2007, S. 2. Und auch dabei ist es angesichts der Auswirkungen der verheerenden Finanzmarkt- sowie der sich anschließenden und noch fortdauernden europäischen Staatsschuldenkrise nicht geblieben: Im dritten Quartal des Jahres 2011 betrug der Schuldenstand Deutschlands (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger) 81,8 Prozent, vgl. FAZ vom 7. Februar 2012, S. 10. 2

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1. Teil: Problemaufriss

Bundestag und Bundesrat im Grundgesetz verankert worden6 und am 1. August 2009 in Kraft getreten ist7. Sie lässt dem Bund ab 2016 einen begrenzten strukturellen, also unabhängig von der konjunkturellen Lage bestehenden Verschuldungsspielraum, die Länder aber müssen ihre Haushalte ab 2020 prinzipiell ganz ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen8. Obgleich insbesondere von Vertretern der Finanzwissenschaft als unverzichtbares Instrument zum Abbau des gewaltigen Staatsschuldenbergs angepriesen9, wirft das neue Schuldenregime jedoch Fragen auf, deren Erörterung mit Blick auf das Bundesstaatsprinzip von Verfassungs wegen als geboten erscheint. „Den parlamentarischen Föderalismus aber wird es nicht mehr lange geben.“

Man wird dieser allzu plakativen These kaum zustimmen können – jedenfalls nicht in solch allgemeiner Form und nicht ohne staatsrechtliche Begründung. Dessen ungeachtet ist nicht von der Hand zu weisen, dass erstens die weitreichende Beschränkung der Kreditautonomie der Landesparlamente in verfassungspolitischer Hinsicht zumindest bemerkenswert ist. Denn die Reform sollte erklärtermaßen die Eigenverantwortung der Länder stärken10. Und selbst wenn man nicht in den pauschalen Abgesang auf „den parlamentarischen Föderalismus“ einstimmen mag, muss zweitens sehr wohl geklärt werden, ob und gegebenenfalls wie ein Regelverbot der strukturellen Kreditaufnahme auf die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes einwirkt. Denn ausweislich seiner ersten Tatbestandsvariante genießt die Gliederung des Bundes in Länder und als deren Wesensmerkmal insbesondere die Eigenstaatlichkeit der föderalen Gliedstaaten den Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG. In dieser Norm erhebt der Verfassungsgeber den Anspruch, bestimmte Verfassungsregelungen dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers zu entziehen. Was sich mit Blick auf die Schuldenregel der Länder hinter der abstrakten Kategorie der Länderstaatlichkeit verbirgt, soll später ausführlich erörtert werden11. Die Ausgangsthese, auf deren Grund die Untersuchung erfolgen wird, dürfte indes auch ohne verfassungsdogmatische Vorüberlegungen einleuchten: Wo ein – noch näher zu bestimmendes12 – Mindestmaß an politischer Gestaltungskraft 6

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) vom 29. Juli 2009, BGBl. I, S. 2248. 7 Art. 2 des obigen Gesetzes i.V. m. dem Verkündungsdatum (31. Juli 2009). 8 Zu den hier relevanten Inhalten der Novelle sogleich im zweiten Teil. 9 Vgl. etwa Fuest, Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 04. Mai 2009, S. 5; Feld, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 11 (2010), 226 (240 f.). 10 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, BT-Drs. 16/3885, S. 3. 11 Vgl. dazu im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2. 12 Vgl. dazu im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B.

1. Teil: Problemaufriss

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und/oder die zu dessen Realisierung notwendigen Finanzmittel nicht (mehr) vorhanden sind, dort wird man auch schwerlich von einer wie auch immer gearteten Eigenstaatlichkeit ausgehen können. „Der Strauch ist der deutsche Föderalismus, die ausgeblasenen Eier sind die 16 Landtage.“

Ziel der nachfolgenden Untersuchung ist die Beantwortung der Frage, ob die neue Schuldenregel der Länder mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dazu ist zu prüfen, ob – die Eigenstaatlichkeit der Länder und/oder – weitere Ausprägungen der grundgesetzlichen Bundesstaatskonzeption und/ oder – andere Verfassungstrukturgrundsätze von der Neuregelung betroffen werden und, falls ja, ob dieser Eingriff von solcher Intensität ist, dass er in den Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG hineinreicht. Bejahendenfalls wären die Neuregelungen, die Rechtsverbindlichkeit der Bestandsklausel für den Revisionsgesetzgeber einmal vorausgesetzt13, verfassungswidrig und damit nichtig14. Um herauszufinden, ob es sich bei der neuen Länderschuldenregel um verfassungswidriges Verfassungsrecht handelt, werden zunächst (ausschließlich) die hier relevanten Neuregelungen dargestellt und wird anschließend auf dieser Grundlage der konkrete Prüfauftrag formuliert (zweiter Teil). Nachdem in einem dritten Schritt der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab herausgearbeitet wurde (dritter Teil), soll er sodann an die neue Rechtslage angelegt werden (vierter Teil). Die Arbeit endet mit einer thesenartigen Zusammenfassung der Ergebnisse samt Ausblick (fünfter Teil).

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Hierzu sogleich im ersten Kapitel des dritten Teils unter § 1 B. Zur Rechtsfolge der Nichtigkeit vgl. etwa BVerfGE 30, 1 (24); Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 14; Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 27. 14

Zweiter Teil

Das neue Schuldenregime der Art. 109 Abs. 3, 115, 143d GG Erstes Kapitel

Darstellung der neuen Länderschuldenregel Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG enthält den Kern der Neuregelung. Nach dieser Vorschrift sind die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG erlaubt ein Abweichen vom Grundsatz eines strukturell ausgeglichenen Haushalts für zwei Regelungsfälle: Bund und Länder können erstens Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung treffen (Halbsatz 1). Ausnahmetatbestände können zweitens für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen geschaffen werden, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen (Halbsatz 2). Gleichzeitig muss aber eine verbindliche Tilgungsregelung vorgesehen werden (Art. 109 Abs. 3 Satz 3 GG). Dem Grundsatz eines strukturell ausgeglichenen Haushalts entspricht der Bund bereits dann, wenn die Nettokreditaufnahme 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreitet (Art. 109 Abs. 3 Satz 4 i.V. m. Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG). Zwar wird die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder diesen nach Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG „im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen“ selbst überlassen; anders als der Bund halten sie die Regel aus Satz 1 aber nur ein, wenn überhaupt keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden15. Die neuen Regelungen finden erstmals mit Wirkung für das Haushaltsjahr 2011 Anwendung (Art. 143d Abs. 1 Satz 1 GG). Da aber eine sofortige Einhaltung der Regeln angesichts der vorhandenen Haushaltsdefizite nicht möglich ist, 15 Mit Blick auf die föderative Gleichheit ist das nicht unproblematisch, in diese Richtung etwa Wieland in seinem Eingangsstatement bei der gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009 (Protokoll zur 138. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 15); zum Ganzen auch Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, S. 253 f., 264 ff.

2. Kap.: Präzisierung der Fragestellung

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sind zeitlich befristete Abweichungsrechte vorgesehen. Art. 143d Abs. 1 Satz 3 GG erlaubt den Ländern, im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 von den Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG abzuweichen. Vollständig befolgt werden müssen die neuen Vorschriften vom Bund ab dem Haushaltsjahr 2016 und von den Ländern ab dem Haushaltsjahr 2020 (Art. 143d Abs. 1 Satz 7 bzw. 4 GG). Schließlich können laut Art. 143d Abs. 2, 3 GG fünf Ländern, deren Haushaltssituation besonders schwierig ist, Konsolidierungshilfen aus dem Bundeshaushalt gewährt werden, damit auch sie die Möglichkeit erhalten, die neue Schuldenregel ab 2020 einzuhalten. Zweites Kapitel

Vor diesem Hintergrund: Präzisierung der Fragestellung Auf Grundlage des Geschilderten kann nun eine präzise Aufgabenstellung formuliert werden: Die Arbeit sucht die Frage zu beantworten, ob die neue Schuldenregel der Länder mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Unterstellt man Art. 79 Abs. 3 GG ein entsprechendes Bindungsvermögen16, wäre eine Verfassungskonformität nicht gewährleistet, sofern der Revisionsgesetzgeber die Länderstaatlichkeit und/oder andere – nicht notwendig nur bundesstaatliche – Garantien der Ewigkeitsklausel berührt, indem er ausnahmslos allen Bundesländern erstens ab dem Haushaltsjahr 2020 für den Regelfall den Budgetausgleich mit Einnahmen aus Krediten versagt (Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Satz 4 i.V. m. Satz 2 GG) und/oder ihnen zweitens aufgibt, ihre Haushalte bereits ab dem 1. Januar 2011 so aufzustellen, dass sie die obige Vorgabe erfüllen können (Art. 143d Abs. 1 Satz 3 GG). Der am Ende des Einleitungsteils geschilderten Konzeption folgend wird mit der Bestimmung des Prüfungsmaßstabs begonnen.

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Hierzu sogleich im ersten Kapitel des dritten Teils unter § 1 B.

Dritter Teil

Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG Ausgangspunkt für die Bestimmung des verfassungsnormativen Maßstabs ist Art. 79 GG. Dies folgt aus dem Umstand, dass sich der (vorläufige17) Untersuchungsgegenstand (Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Sätze 1– 4 GG) aus solchen Vorschriften zusammensetzt, die erst durch eine Verfassungsänderung Eingang in das Grundgesetz gefunden haben. Während die Revisionsnorm in ihren ersten beiden Absätzen die formellen Voraussetzungen für Verfassungsänderungen aufstellt, indem die Novellierungsbefugnis zwar dem Bundesgesetzgeber der Art. 70 ff. GG zugewiesen (Abs. 1 Satz 1 Hs. 1), ihm aber zugleich Spezialerfordernisse in Form erstens des Textänderungsgebots (Abs. 1 Satz 1 Hs. 2, Ausnahmeregel in Satz 2) und zweitens verschärfter Mehrheitshürden für beide Parlamentskammern (Abs. 2) auferlegt werden, reklamiert der Verfassungsgeber in Art. 79 Abs. 3 GG zudem die Befugnis zur Errichtung inhaltlicher Revisionsschranken. Allein diese sind hier von Belang. Zunächst bedarf es der Erörterung hier relevanter Grundsatzfragen, die sich mit Blick auf die Bestandsklausel stellen (erstes Kapitel), wonach in einem zweiten Schritt die mutmaßlich einschlägigen föderativen Schutzgüter betrachtet werden sollen (zweites Kapitel). Erstes Kapitel

Grundlegendes Die Arbeit sucht eine Antwort auf die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit Art. 79 Abs. 3 GG der neuen Länderschuldenregel entgegensteht. Ein im Rechtssinn beachtlicher Verstoß des Revisionsgesetzgebers gegen die Bestandsklausel setzt indessen voraus, dass die Vorschrift ihn rechtswirksam zu verpflichten vermag (§ 1). Ist diese Voraussetzung gegeben, muss sodann dargelegt werden, warum allein Art. 79 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab für die Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Satz 3 GG in Betracht zu ziehen ist (§ 2). Schließlich soll einer Erörterung konkreter bundesstaatlicher Garantien der

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Vgl. später im ersten Kapitel des vierten Teils unter § 1.

1. Kap.: Grundlegendes

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Grund bereitet werden, indem vorab die grundsätzliche Tragweite des Änderungsverbots ausgelotet wird (§ 3).

§ 1 Bindungswirkung der Bestandsklausel für den verfassungsändernden Gesetzgeber Die Bindungswirkung von Art. 79 Abs. 3 GG für den Revisionsgesetzgeber wurde gelegentlich bestritten, weshalb eine – wenn auch knappe – Erörterung der Problematik geboten erscheint (B.). Zuvor aber bedarf es mit Blick auf die normativen Rahmenbedingungen des Grundgesetzes einer Klärung des Verhältnisses von verfassungsgebender und verfassungsändernder Gewalt nach dem Grundgesetz (A.). Denn je nach Ergebnis stellt sich die Frage nach der Bindungswirkung unterschiedlich: Sollte im Revisionsgesetzgeber ein von der verfassungsgebenden Gewalt eingesetztes und damit in Bezug auf den Souverän derivatives Verfassungsorgan erblickt werden, müsste geklärt werden, ob es dem originären Verfassungsgeber möglich ist, die von ihm verfasste Änderungsgewalt wirksam auf materielle Revisionsschranken zu verpflichten. Wird demgegenüber der Standpunkt vertreten, im konstituierten Staat gehe die verfassungsgebende in der Revisionsgewalt auf, so wäre der verfassungsnovellierende Gesetzgeber strukturell selbst der verfassungserzeugenden Gewalt zuzurechnen. In diesem Fall aber würde sich aus seiner Sicht die in Art. 79 Abs. 3 GG errichtete Revisionsschranke nicht als ein Versuch der Fremd-, sondern als einer der Selbstbindung darstellen. Beim Bemühen, die Bindungswirkung der Vorschrift zu begründen, müsste dann ein grundlegend anderer Argumentationsweg eingeschlagen werden als im Fall einer heteronomen Verpflichtung.

A. Das Verhältnis von verfassungsgebender und -ändernder Gewalt nach dem Grundgesetz Das Grundgesetz geht in der Präambel und in Art. 146 GG davon aus, dass die verfassungsgebende Gewalt beim Volk als demokratisch legitimiertem Souverän liegt18 und weist demgegenüber in Art. 79 GG die reglementierte Revisionsgewalt einer qualifizierten Mehrheit beider Parlamentskammern (kumulativ) zu. Auf dieser normativen Basis wurden zwei grundlegend verschiedene Deutungsversuche der Beziehung von verfassungsgebender und -novellierender Gewalt vorgenommen (I., II.): 18 Allerdings gab es angesichts des erheblichen Einflusses der westlichen Besatzungsmächte gerade in den ersten Jahren der Bundesrepublik Zweifel, ob es sich bei Schaffung und Inkraftsetzung des Grundgesetzes um originäre Ausübung deutscher verfassungsgebender Gewalt handelte, Überblick bei Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Präambel, Rn. 64 f. mit Originalnachweisen in Fn. 191.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

I. Verfassungsändernde Gewalt als vom Verfassungsgeber eingesetzte Gewalt? Mit der terminologischen Differenzierung zwischen Verfassungsgebung und Verfassungsänderung sowie der Adressierung der Art. 79 Abs. 1–3 GG allein an den Revisionsgesetzgeber scheint das Grundgesetz denjenigen Verfassungstheoretikern zu folgen, die in Anlehnung insbesondere an Sieyès19 und Condorcet20 zwischen einer von der Nation21 getragenen verfassungsgebenden Gewalt (pouvoir constituant) auf der einen und von ihr konstitutionell verfassten Gewalten (pouvoirs constitués) auf der anderen Seite unterscheiden22. Im Deutschland der Weimarer Zeit propagierte vor allem Carl Schmitt diese Sichtweise23. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass seine Lehre von den Schranken der verfassungsgesetzlichen Revisionsgewalt einerseits zwar auf der prinzipiellen Unterscheidung zwischen originärem pouvoir constituant und derivativen pouvoirs constitués fußt, andererseits aber in dem hier maßgeblichen Punkt ausdrücklich von der Theorievorlage abweicht: Schmitt rechnet die verfassungsändernde Gewalt gerade nicht dem pouvoir constituant zu, sondern betrachtet sie in Abkehr von der klassischen französischen Lehre als eine dem Verfassungsgeber hierarchisch untergeordnete pouvoir constitué24. Hiervon ausgehend treffe der Verfassungsgeber eine Richtungsentscheidung über Art und Form der eigenen politischen Existenz. Diese Grundlegung ist nach Schmitt die Verfassung. Davon unterscheidet er die Verfassungsgesetze, welche die Grundentscheidung des pouvoir con-

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Sieyès, in: Dann (Hrsg.), Was ist der dritte Stand?, Kap. 5, S. 77 ff. Condorcet, La République Francaise aux hommes libres, Werkausgabe XII, S. 107 ff., hier zitiert nach Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 39 i.V. m. Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant, S. 107. 21 Dabei meint Nation „das Volk im politischen Sinn oder (. . .) die (politisch sich zusammenfindende und abgrenzende) Gruppe von Menschen, die sich ihrer selbst als politische Größe bewußt ist und als solche handelnd in die Geschichte eintritt. Dieses politische Volk kann, muß aber nicht zugleich ein Volk im natürlichen Sinne sein.“ (Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 13 f.); vgl. hierzu auch Stern, Staatsrecht I, S. 147 f. 22 Sieyès, in: Dann (Hrsg.), Was ist der dritte Stand?, Kap. 5, S. 77 ff. 23 Schmitt, Verfassungslehre, S. 1 ff.; zur damals herrschenden Gegenmeinung vgl. nur Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Art. 76 Anm. 3. 24 Vgl. Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 216; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 42. In Anlehnung an Burdeau (Droit Constitutionnel et Institutions Politiques, S. 72 bzw. Traité de Science Politique III, S. 203) bezeichnen andere die Revisionsgewalt als pouvoir constituant institué bzw. pouvoir constituant constitué (vgl. dazu Stern, Staatsrecht I, S. 152; ferner Bryde, in: v. Münch [Begr.]/Kunig [Hrsg.], GG II, Art. 79 Rn. 3) meinen damit aber in der Sache dasselbe – obgleich die Titulierung als eingesetzte bzw. verfasste verfassungsgebende (!) Gewalt eigentlich ziemlich treffend die Gegenauffassung charakterisiert (dazu sogleich unter II.). 20

1. Kap.: Grundlegendes

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stituant normieren25. Soweit sie inhaltlich über die Verfassung hinausgehen, soll ihnen lediglich die rechtstechnische Aufgabe zukommen, Letztere durch Revisionshürden vor Abänderungen zu bewahren26. Unabhängig davon, ob und, wenn ja, inwieweit die verfassungstheoretische Konzeption des Grundgesetzes auf dieser Lehre mit ihrer Unterscheidung zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz basiert und ob daran anknüpfend in Art. 79 Abs. 3 GG eine deklarative oder konstitutive Positivierung der Schmitt’schen Ansichten über die Grenzen der Verfassungsänderung zu erblicken ist oder nicht27, kann jedenfalls festgehalten werden: Anders als in der Weimarer Staatsrechtlehre trifft im Schrifttum nach 1949 die Unterscheidung zwischen pouvoir constituant und pouvoirs constitués bei gleichzeitiger Zuordnung der verfassungsändernden Gewalt zur zweiten Kategorie auf breite Zustimmung28. Für die hier allein relevante Frage nach der Bindungswirkung des Art. 79 Abs. 3 GG für den verfassungsnovellierenden Gesetzgeber bedeutet das: Folgt man dieser Auffassung, so müsste die Verbindlichkeitsproblematik unter den Vorzeichen der Fremdbindung erörtert werden. II. Verfassungsgebende und -ändernde Gewalt als unterschiedliche, aber gleichrangige Erscheinungsformen einer einheitlichen verfassungserzeugenden Gewalt? Demgegenüber ging der staatsrechtliche Positivismus der Weimarer Zeit von der Existenz eines einzigen souveränen Staatswillens aus, der begriffsnotwendig nicht einem anderen, höheren, unterworfen werden konnte29. Damit wurde die Unterscheidung zwischen verfassungsgebender und verfasster Gewalt – eine zentrale These der Lehre vom pouvoir constituant – vom weit überwiegenden Teil der damaligen Staatsrechtslehre grundsätzlich negiert30. Obgleich diese verfassungstheoretische Strömung nach 1945 vornehmlich infolge des Vorwurfs ero25

Schmitt, Verfassungslehre, S. 11 ff. Schmitt, Verfassungslehre, S. 16 ff. 27 Näher dazu Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 171 ff. 28 Etwa Stern, Staatsrecht I, S. 151; Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 175 ff.; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 234 f.; ders., in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 3; Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 23; Dreier, JZ 1994, 741 (743 f.); ders., in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 79 Abs. 3 Rn. 14; differenzierend Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 44; im älteren Schrifttum Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 36; Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 96. 29 Dazu eingehend Dreier, JZ 1994, 741 (742 f.) mit den entsprechenden Nachweisen in den Fn. 14 bis 19. 30 Exemplarisch Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht I, S. 665. 26

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

dierte, sie habe durch ihre formalistische Auslegung der Revisionsvorschrift des Art. 76 der Weimarer Reichsverfassung31 deren scheinbar legaler Abwicklung Grund und Boden bereitet32, wurde ihr, was die Ablehnung des Trennungspostulats betrifft, vereinzelt auch noch mit Blick auf das Grundgesetz beigepflichtet – wenn auch nicht aus positivistischen Erwägungen: Die Unterscheidung von verfassungsgebender Gewalt und verfassten Gewalten beruhe auf einem doppelten Volksbegriff, ohne dabei nachweisen zu können, weshalb das Volk innerhalb der Verfassung aufgrund einer abgeleiteten, als Verfassungsgeber hingegen aufgrund originärer Gewalt handeln solle. In der Verfassung erzeuge nicht das Volk kraft seiner verfassungsgebenden Kraft pouvoirs constitués, die Verfassung organisiere lediglich die Ausübung der gesamten, der Substanz nach einheitlich beim Volk liegenden Staatsgewalt33. Daraus wird geschlossen, dass erstens verfassungsgebende und -novellierende Gewalt als verschiedene aber gleichrangige Erscheinungsformen einer einheitlichen verfassungserzeugenden Kraft begriffen werden müssten und zweitens die verfassungsgebende Gewalt des Volkes im verfassten Staat mit der Revisionsgewalt identisch sei34 bzw. in diese übergehe35, 36. Sollte dies zutreffen, wäre in Abweichung zur Gegenauffassung die Bindungsthematik als Problem der Selbstverpflichtung zu erörtern. III. Stellungnahme Mit Blick auf die maßgebliche Frage nach der normativen Verbindlichkeit der Ewigkeitsklausel für den Revisionsgesetzgeber ist man damit an einer inhaltlichen Weggabelung angelangt, folglich muss eine Entscheidung für einen der beiden Deutungsansätze erfolgen. 31

Meinungsbildend Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 1 ff., dort insbesondere Anm. 3, wo behauptet wird, Art. 76 WRV decke bei Einhaltung der formalen Kriterien sogar eine Änderung der Staats- und Regierungsform von Reich und Ländern. 32 Beispielsweise Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 697; J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 1040. 33 Vgl. nur Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 220 f. 34 Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 204. 35 Wiederum Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 222, was in Verbindung mit dem Nachweis in Fn. 19 nahe legt, dass er keinen sachlichen Unterschied zwischen einer Gewaltenidentität und einem Gewaltenübergang sieht; vgl. auch Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (59); aus dem Schweizer Schrifttum vgl. zudem Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision, S. 156 f. 36 Diese Annahme zwingt zur gleichzeitigen Ablehnung einer extrakonstitutionellen verfassungsgebenden Gewalt, die gleichsam frei über dem Verfassungsstaat schwebt, vgl. Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 204. Für Tosch, Die Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers an den Willen des historischen Verfassungsgebers, S. 115, geht die verfassungsgebende Gewalt im Akt der Verfassungsgebung sogar unter.

1. Kap.: Grundlegendes

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Bei isolierter Betrachtung fällt es schwer, den Einwand eines kaum zu begründenden inhomogenen Volksverständnisses vollends zu entkräften. Auch wenn sich „Volk als Organ und Volk als Souverän zwar juristisch unterscheiden [lassen]“ 37, so reicht die formale Differenzierbarkeit nicht ohne Weiteres auch für die Begründung einer inhaltlichen Trennung aus38, denn: „(. . .) sie [das Volk als Organ bzw. Souverän]39 lassen sich (. . .) nicht voneinander abtrennen, als ob sie zwei verschiedene reale Größen wären; beide sind letztlich dasselbe ,Volk‘.“ 40 Auch greift zu kurz, wer die Ablehnung der Kongruenz von verfassungsgebender und -ändernder Gewalt für das Grundgesetz mit der dort angelegten formalen Trennung dieser beiden Gewalten nebst Hinweis auf die Revisionsvorschriften in Art. 79 GG begründen will, die sich ausschließlich an den Änderungsgesetzgeber, nicht auch an den Volkssouverän richten41. Denn beides legen auch Vertreter der Einheitsthese ihren Überlegungen zugrunde42. Dies dürfte auch zulässig sein, da zum einen durch die bloße Unterscheidung zwischen verfassungsgebender und -novellierender Gewalt per se noch keine Entscheidung für ein Über-/Unterordnungsverhältnis oder eine Gleichordnung dieser Gewalten getroffen wird. Auch kann zum anderen die Behauptung einer Identität bzw. Transformation nicht schon durch den Hinweis entkräftet werden, der Revisionsgesetzgeber werde ja erst vom Verfassungsgeber eingesetzt und durch Art. 79 GG an von ihm bestimmte Regeln gebunden. Denn dies schließt die Annahme, die verfassungerzeugende Kraft habe sich selbst die Rolle des Revisors zugedacht und in einem Akt der Selbstverpflichtung an die in Art. 79 GG niedergelegten Novellierungsregeln binden wollen43, jedenfalls nicht grundsätzlich aus44. Dem stand bzw. steht auch Art. 146 GG – sowohl in seiner alten als auch in der neuen Fassung – nicht entgegen, der die Behauptung einer Überführung der verfassungsgebenden in die verfassungsändernde Gewalt im Akt der Verfassungsgebung auf den ersten Blick zu widerlegen scheint: Da es sich um eine Transformation, nicht um die Kreation eines zusätzlichen Akteurs handeln soll, darf im Verfassungsstaat nur 37 Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 22 (Klammerinhalt im Original nicht enthalten). 38 So aber wohl Stern, Staatsrecht I., S. 151. 39 Eingeklammerte Erläuterung im Original nicht enthalten. 40 Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 22. 41 H.-P. Schneider, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl., § 158 Rn. 44; ähnlich Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 234 f.; ders., in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, 5. Aufl., Art. 79 Rn. 3. 42 Jedenfalls diejenigen die sich explizit auf die normativen Gegebenheiten des Grundgesetzes beziehen, also Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 222; wohl auch Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (59). 43 Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 225 ff. 44 Ähnlich Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 169, der diese Position in der Sache gleichwohl ablehnt, a. a. O., S. 174 ff.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

noch eine der beiden Gewalten agieren: der Revisionsgesetzgeber. Weil Art. 146 GG aber im Unterschied zu Art. 79 GG explizit ein Tätigwerden auch der verfassungsgebenden Gewalt thematisiert, könnte man versucht sein, eine Inkompatibilität der Überführungsthese mit den Regeln des Grundgesetzes zu folgern. Indes beschreibt Art. 146 GG kein verfassungsgeberisches Tätigwerden im normativen Gehäuse des Grundgesetzes und erst recht keine Konstituierung der verfassungsgebenden Gewalt45. Vielmehr erklärt die Vorschrift einen bestimmten Fall der Aktivierung des pouvoir constituant von der Warte des Grundgesetzes für konform, so dass es im Fall einer solchen Verfassungsablösung eines Bruchs mit der alten Verfassung und damit einer juristischen Revolution nicht bedarf 46. Wenn jedoch die Subordination der verfassungsändernden unter die verfassungsgebende Gewalt primär mit dem Argument bestritten wird, dass sowohl der vermeintliche pouvoir constituant als auch die pouvoirs constitués auf dasselbe Volk zurückzuführen seien, so richtet sich der Einwand gegen jegliche Unterscheidung von verfassungsgebender und verfasster Gewalt47. Denn wenn als Kernproblem benannt wird, das Volk werde als Verfassungsgeber aufgrund ursprünglicher, innerhalb der Verfassung jedoch aufgrund derivativer Gewalt tätig, so trifft Letzteres ja nicht nur auf den Revisionsgesetzgeber, sondern uneingeschränkt auf alle vermeintlichen pouvoirs constitués zu. Soll aber eine Verfassung bei Totalnegation einer Gewaltenhierarchie die Ausübung einheitlicher Gewalt einschließlich der verfassungserzeugenden Befugnis organisieren und auf Träger verteilen können, so müsste diese einheitliche Kraft sich selbst rechtswirksam verpflichten können. Denn andernfalls stünde im Ergebnis eine Generalabsage an den Verfassungsstaat: Bei Verneinung der Selbstverpflichtungsmöglichkeit einer homogenen Gewalt wäre jegliche bindende – das heißt: nicht jederzeit reversible – Gewaltenbeschränkung dem Grunde nach unmöglich, da im System keine übergeordnete Kraft vorhanden wäre, die stattdessen verbindliche Regeln setzen könnte48. Eine Verfassung aber, über deren normative Setzungen 45 46

Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 22 ff. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 22, hierzu sogleich eingehend unter

B. II. 47 So wohl auch Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 221, der von einer Identität vom Volk als Träger verfassungsgebender Gewalt bzw. Inhaber verfassungsgesetzlicher Befugnisse im Allgemeinen spricht und somit den Einwand nicht auf die Verfassungsrevision beschränkt. 48 Problematisch ist die Verkürzung der Selbstbindungsproblematik allein auf die verfassungsgesetzlichen Revisionsvorschriften (so wohl Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 174 ff.; dem folgend Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 41): Die Behauptung, eine strukturelle Identität verfassungsgebender und -ändernder Gewalt setze das Selbstbindungsvermögen des Souveräns in den Novellierungsregelungen voraus, vermag als Axiom, also bar jeder Begründung, allein schon deshalb nicht zu überzeugen, weil im Schrifttum ebendies – die Wirksamkeit verfassungsgesetzlicher Revisionsvorschriften – bei gleichzeitiger Behauptung einer Einheit von verfassungsgebender und -novellieren-

1. Kap.: Grundlegendes

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sich der Souverän jederzeit nach Belieben hinwegsetzen kann, vermag ihre Primäraufgabe, dem Gemeinwesen einen hinreichend stabilen Rechtsrahmen zu geben, nicht mehr zu erfüllen. Dass die notwendige Selbstverpflichtung im Bereich des Möglichen liegt49, muss jedoch bezweifelt werden. Ganz gleich, ob die verfassungsgebende Gewalt mit Carl Schmitt als rein tatsächliches Phänomen50 oder als rechtliche Befugnis51 begriffen wird: Jeder autonom auferlegten Pflicht liegt eine eigene Willensentscheidung des betreffenden Subjekts zugrunde. Das Fortdauern der Obligation ist daher allein vom Wollen des Pflichtadressaten abhängig und muss im Umkehrschluss bei Willensänderung entfallen52. Dann aber ist normative Verpflichtung nur als verbindliches Wollen eines Anderen – als heteronomes Sollen – denkbar. Da jedoch die Annahme einer nicht hierarchisch strukturierten Gewalt die Möglichkeit der Fremdbindung systematisch ausschließt, versperren die Homogenitätsthese und mit ihr der Einwand des doppelten Volksbegriffs in letzter Konsequenz schlechthin den Weg zu wirksamer Verfassungsgebung und können daher keinen Bestand haben. Damit kommt aber den Verfechtern derjenigen Auffassung, die für das Grundgesetz eine Überführung der verfassungsgebenden in die verfassungsändernde Gewalt annimmt, ihr zentrales Argument abhanden53. Daher ist mit der Gegenmeinung von einer Hierarchiebeziehung zwischen beiden Kräften auszugehen, in dem die verfassungsgebende die Revisionsgewalt verfasst bzw. einsetzt.

der Gewalt bezweifelt wurde (etwa W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, S. 23 f.; Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 216 ff.; Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision, S. 169 ff.; Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 110; Siegenthaler, Die materiellen Schranken der Verfassungsrevision, S. 185; dazu sogleich unter b)). Daher müsste die propagierte Verknüpfung zwischen Identität von verfassungsgebender und -ändernder Kraft einerseits und Selbstbindungsvermögen in den Novellierungsregeln andererseits zunächst begründet werden. Hierfür aber dürfte es keinen zwingenderen Grund als denjenigen geben, dass andernfalls von einer umfassenden Unmöglichkeit rechtsverbindlicher Gewaltenbeschränkung ausgegangen werden müsste. 49 Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 225 ff. 50 Schmitt, Verfassungslehre, S. 21 ff.; Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 175 f. spricht der verfassungsgebenden Gewalt bei Zugrundelegung dieser Sichtweise sogar die Fähigkeit zur heteronomen Bindung ab. 51 Explizit für die verfassungsgebende Gewalt des Grundgesetzes Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 176. 52 Quaritsch, DVBl. 1962, 585 (587); dem folgend Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 181; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 41; a. A. Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 230. 53 Vgl. oben unter II.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

IV. Ergebnis zu A. Im verfassten Staat geht die verfassungsgebende nicht in der novellierenden Gewalt auf. Vielmehr verdankt der verfassungsändernde Gesetzgeber seine Existenz – wie alle verfasste Gewalt – erst dem Schöpfungs- bzw. Einsetzungsakt des bzw. durch den pouvoir constiutant.

B. Wirksamkeit des Art. 79 Abs. 3 GG gegenüber der Revisionsgewalt Demzufolge muss die hier relevante Frage nach der Bindungswirkung des Art. 79 Abs. 3 GG gegenüber der verfassungsnovellierenden Gewalt aus dem Blickwinkel einer etwaigen heteronomen Verpflichtung erörtert werden. Die Wirksamkeit von Ewigkeitsklauseln wurde im Schrifttum bestritten54. Eine Bestimmung, die die Verfassung ganz oder teilweise für unabänderlich erklärt, soll die Möglichkeiten positiver Rechtsetzung durch den Verfassungsgeber übersteigen, wobei revolutionsbedingte Verfassungsablösungen als Beleg für die Unmöglichkeit von Revisionssperren angeführt werden55 (I.). Weiterhin wird eine vermeintlichen Bindung nachfolgender Generationen als Problem identifiziert: Der Normgeber nehme für sich eine rechtliche Entscheidungsmacht in Anspruch, die nach einmaliger Ausübung gleichsam erlöschen und später nicht mehr verfügbar sein solle. Dies sei der Versuch einer Generation, allen zukünftigen Generationen ihren einmaligen historischen Willen als verpflichtend aufzuerlegen. Ein solches Primat der „Gründergeneration“ aber lasse sich nicht rechtfertigen (II.)56. I. Unmöglichkeit der in Art. 79 Abs. 3 GG angeordneten Bindung? Das erstgenannte Argument basiert auf der oben57 getroffenen Feststellung, dass die verfassungsgebende Gewalt zu einer dauerhaften Selbstverpflichtung nicht fähig ist, da jede Bindung bei entsprechender Willensänderung entfallen muss. In der Tat dürfte sich dies an keinem anderen Beispiel so deutlich ablesen lassen wie an einer Verfassungsneugebung infolge eines revolutionären Akts. Dann aber richtet sich dieses Argument erst einmal gegen die Verbindlichkeit von Ewigkeitsklauseln für die verfassungsgebende Gewalt und würde nur dann 54

Zum Ganzen Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 48 ff. W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, S. 23; vgl. auch Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision, S. 169 ff.; Burckhardt, Die Organisation der Rechtsgemeinschaft, S. 216 ff. 56 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 109 (Anführungszeichen auch im Original enthalten). 57 Unter A. III. 55

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auch die Revisionsgewalt betreffen, wenn man von einer Identität bzw. Überführung der erstgenannten in die zweitgenannte Kraft im Akt der Verfassungsgebung ausgeht58. Dass und warum diese Sichtweise – allgemein und für das Grundgesetz – abzulehnen ist, wurde oben59 aufgezeigt und begründet. Somit kann der geschilderte Gedanke nicht gegen die Bindungswirkung von Art. 79 Abs. 3 GG für den verfassungsnovellierenden Gesetzgeber ins Feld geführt werden. II. Kompetenzüberschreitung des Verfassungsgebers? 1. Auch die Behauptung einer vermeintlichen Kompetenzüberschreitung des Verfassungsgebers zielt, jedenfalls mit Blick auf die hier allein relevante Revisionsgewalt, ins Leere. Denn der Einwand eines Bindungsversuchs, der mutmaßlich alle zukünftigen Generationen betreffen soll, kann sich ausschließlich gegen einen Geltungsanspruch von Revisionsnormen auch gegen den Träger der verfassungsgebenden Gewalt selbst richten60. Eine Verpflichtung des verfassungsändernden Gesetzgebers aber kann von vornherein nur auf eine Absicherung im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung, nicht aber auf eine Zementierung verfassungsgeberischer Grundentscheidungen auf alle Zeit abzielen. Sollte dem entgegengehalten werden, dass sich der Souverän den Maßgaben einer Revisionsklausel in praxi dennoch nur um den hohen Preis einer illegalen Verfassungsablösung entziehen könnte, so könnte dem für das Grundgesetz nicht gefolgt werden: Indem der Verfassungsgeber in Art. 146 GG a. F. verkündete, das Grundgesetz verliere „(. . .) seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“, legalisierte er mit Blick auf die erhoffte Wiedervereinigung den dort beschriebenen Weg zur Ablösung des Grundgesetzes durch eine neue gesamtdeutsche Verfassung. Und diese Möglichkeit der Verfassungsnachfolge ist mit dem Beitritt der neuen Länder gemäß Art. 23 GG a. F.61 keinesfalls untergegangen, sondern besteht in der Neufassung der Schlussbestimmung unverändert fort62. Denn das Kernargument der Gegenauffassung, der Grundgesetzgeber habe sei58 Und tatsächlich propagieren die in Fn. 55 Genannten allesamt die Einheit verfassungsgebender und -ändernder Gewalt. 59 Unter A. III. 60 Ein solcher Geltungsanspruch liegt nach zutreffender Auffassung bei Art. 79 Abs. 3 GG nicht vor, vgl. BVerfGE 89, 155 (180); Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 175 ff.; Wegge, Zur normativen Bedeutung des Demokratieprinzips nach Art. 79 Abs. 3 GG, S. 222; a. A. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 108. 61 „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“ 62 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 27 ff., 37 ff.; Sachs, JuS 1991, 985 (990); Schulze-Fielitz, DVBl. 1991, 893 (905).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

nerzeit in Art. 146 GG a. F. und Art. 23 Satz 2 GG a. F. zwei sich wechselseitig ausschließende Wege zur Herbeiführung der deutschen Einheit vorgezeichnet63, hält einer näheren Prüfung nicht stand: Denn (1) stützt weder der Wortlaut des Art. 146 GG a. F. noch derjenige des Art. 23 Satz 2 GG a. F. diese Behauptung64. (2) ging der Verfassungsgeber offensichtlich selbst davon aus, dass eine Ablösung des Grundgesetzes durch eine gesamtdeutsche Verfassung auch nach einer Herbeiführung der deutschen Einheit über Art. 23 GG a. F. möglich sein sollte65, wofür (3) zudem systematische Erwägungen sprechen: Während Art. 146 GG a. F. den zeitlichen Geltungsrahmen des Grundgesetzes aufzeigte und daher den Übergangs- und Schlussbestimmungen des XI. Abschnitts zugeordnet wurde, traf Art. 23 GG a. F. Aussagen ausschließlich zur räumlichen Geltung des Grundgesetzes und fand sich folgerichtig im II. Abschnitt („Der Bund und die Länder“) wieder. Auch insoweit spricht also nichts dafür, dass an den territorialen Vollzug der Einheit über Art. 23 GG a. F. eine Erledigung der in Art. 146 GG a. F. niedergelegten Ablösungsoption gekoppelt sein sollte66. Schließlich spricht (4) auch die Teleologie beider Vorschriften gegen die Ausschließlichkeitsthese, denn während Art. 23 GG a. F. den ursprünglich nicht zur Bundesrepublik gehörenden Ländern eine Beitrittsmöglichkeit zum Grundgesetz geben wollte, war Art. 146 GG a. F. darauf gerichtet, die Wiedervereinigung mit einer verfassungsgeberischen Grundentscheidung des gesamten deutschen Volkes ohne besatzungsrechtliche Einmischungen („[. . .] in freier Entscheidung [. . .]“) zu unterlegen67. Beide Zielsetzungen stehen in keinem untrennbaren Zeit- und Sachzusammenhang zueinander. Und da einerseits diese originäre Funktion des Art. 146 GG a. F. noch nicht erfüllt worden ist, sich andererseits aber keinerlei Anhaltspunkte dafür finden, dass eine Verfassungsablösung in jedem Fall mit der Herbeiführung der Einheit hätte 63 Isensee, VVDStRL 49 (1990), 39 (53 ff.); ders., Braucht Deutschland eine neue Verfassung?, 1992, S. 31 ff.; ders., in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl., § 166 Rn. 23 ff., 47; weiterhin P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 14 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1992, 468 (469 ff.). 64 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 31; im Anschluss daran auch Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, S. 44 und Moeller, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken der Verfassungsrevision, S. 80 f. 65 Dazu die in der 9. Plenumssitzung des Parlamentarischen Rates am 6. Mai 1949 getätigten und unwidersprochen gebliebenen Äußerungen des Vorsitzenden des Hauptausschusses Carlo Schmid (SPD) zum Verhältnis von Art. 23 a. F. und Art. 146 a. F. GG: „(. . .) auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. (. . .). Die neue, die echte Verfassung unseres Volkes wird also nicht im Wege der Abänderung dieses Grundgesetzes geschaffen werden, sie wird originär entstehen (. . .).“, Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), Parl. Rat IX, S. 438, 443 f.; dazu eingehend Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 7, 31. 66 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 31; vgl. auch Baldus, KritV 76 (1993), 429 (432). 67 Vgl. nur Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 31 m.w. N. in Fn. 82.

1. Kap.: Grundlegendes

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zusammenfallen müssen bzw. dass eine Verfassungsneugebung zwingend auch den Vollzug der Wiedervereinigung nach Art. 146 GG a. F. vorausgesetzt hätte, kann (5) der Exklusivitätsthese und somit einer Erledigung des Art. 146 GG a. F. nicht zugestimmt werden. Die Möglichkeit zur Verfassungsablösung ist nicht untergegangen. Wenn dann aber der Revisionsgesetzgeber den Schlussartikel 1990 lediglich um einen dem Beitritt der neuen Länder Rechnung tragenden Einschub erweitert, darüber hinaus aber – gleich unter welchen politischen Rahmenbedingungen68 – nicht die geringste Wortlautänderung vorgenommen hat, kann die Neufassung des Art. 146 GG (6) auch nicht komplett als Werk des Revisionsgesetzgebers betrachtet werden. Die eigentliche Ablösungsoption leitet sich weiterhin vom Verfassungsgeber des Jahres 1949 ab, was wiederum zwei Konsequenzen nach sich zieht: Zum einen kann Art. 146 GG n. F. (7) nicht marginalisiert oder mit dem Argument angegriffen werden, der rangniedere Novellierungsgesetzgeber habe versucht, dem Verfassungsgeber eine Kompetenz zu übertragen, die ihm – dem Revisionsgesetzgeber – selbst gar nicht zukomme69. Und weil es sich bei der neugefassten Schlussbestimmung um keine echte „Novation“70 handelt, kann für sie nichts anderes gelten als für Art. 146 GG a. F. Da die dort beschrieben Aktivierung des pouvoir constituant in eine Ablösung des Grundgesetzes münden sollte, Art. 79 Abs. 3 GG ausweislich seines Wortlauts aber nur im Rahmen des Grundgesetzes und nur für die Revisionsgewalt gilt, unterlag das Verfahren nach Art. 146 GG a. F. nicht der Ewigkeitsklausel und muss es daher (8) auch bei Art. 146 GG n. F. dabei bleiben. Art. 146 GG n. F. ermöglicht eine Verfassungsablösung, die aus Sicht des Grundgesetzgebers legal71 und obendrein nicht an die Revisionsgrenzen des Art. 79 Abs. 3 GG gebunden ist72. Man mag dem folgen oder nicht – auch im zweiten Fall sollte aber zur Kenntnis genommen werden, dass diese Auslegung des Art. 146 GG n. F. es mit Blick auf die Bestandsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG ermöglicht, zwei gegenläufige Zielsetzungen auf eine Art zu harmonisieren, bei der weder der verfassungsgebenden Gewalt die Hände auf alle Zeit gebunden werden noch eine an den Novellierungsgesetzgeber adressierte Sperrklausel marginalisiert bzw. für disponibel erklärt werden muss: Zunächst können mit der 68

Vgl. Hillgruber, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, Art. 146 Rn. 2.1. So aber Bartlsperger, DVBl. 1990, 1285 (1299 f.); vgl. weiterhin B. Kempen, NJW 1991, 964 (966 f.). 70 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 29. 71 So auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG III, Art. 146 Rn. 28, 33, 37 ff.; vgl. außerdem Sachs, JuS 1991, 985 (990); Schulze-Fielitz, DVBl. 1991, 893 (905). 72 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 59 i.V. m. 14, Art. 146 Rn. 24, 33, 50, 57; zur Gegenauffassung vgl. Isensee, etwa in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl., § 166 Rn. 60 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1. Aufl., § 183 Rn. 21. 69

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

fortbestehenden Ablösungsoption des Art. 146 n. F. GG ernstzunehmende Einwände gegen eine Zementierung verfassungsgeberischer Grundentscheidungen durch Art. 79 Abs. 3 GG auch über die Geltungsdauer des Grundgesetzes hinaus entkräftet werden. Dies wiederum rechtfertigt es, den Revisionsgesetzgeber wirksam an die Bestandsklausel der aktuellen Verfassung zu binden, um jedenfalls in ihrem zeitlichen Geltungsrahmen das erforderliche Maß an normativer Stabilität gewährleisten zu können. Der Einwand verfassungsübergreifender Zementierung kann für das Grundgesetz widerlegt werden und ist daher nicht geeignet, die Wirksamkeit von Art. 79 Abs. 3 GG gegenüber dem Novellierungsgesetzgeber in Zweifel zu ziehen. 2. Abschließend sei klargestellt, dass in Anknüpfung an die Ausführungen zum Verhältnis von verfassungsgebender und Revisionsgewalt73 auch in der Bindung des Änderungsgesetzgebers durch den pouvoir constituant keine Kompetenzüberschreitung des Verfassungsgebers erblickt werden kann: Wenn verfassungsgebende Gewalt fähig und befugt ist, Verfassungsgewalten zu kreieren, dann muss zugleich davon ausgegangen werden, dass sie diese Gewalten auch an Regeln binden kann. Denn nur so vermag der Verfassungsgeber überhaupt ein Regelwerk zu entwerfen, das geeignet ist, Ausübung von Staatsgewalt zu organisieren und auf diese Weise ihren Zweck zu erfüllen, normativer Rahmen für die Entfaltung des Gemeinwesens zu sein. Wenn aber auch die Revisionsgewalt den pouvoirs constitués zuzurechnen ist, so ist schwer einzusehen, warum dem Verfassungsgeber hier verwehrt sein soll, was ihm bei allen anderen Verfassungsgewalten möglich ist. Eine solche Beschränkung des pouvoir constituant könnte allenfalls mit der unbestreitbaren Sonderstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers unter den Verfassungsgewalten gerechtfertigt werden. Wie eben gezeigt wurde, birgt aber gerade im Fall des Grundgesetzes eine an den Änderungsgesetzgeber adressierte Revisionssperre dank Art. 146 GG n. F. keinesfalls die Gefahr einer Bindung aller zukünftigen Generationen an verfassungsgeberische Vorgaben der Gründerzeit. Vielmehr kann umgekehrt argumentiert werden, dass gerade der besondere Status der Novellierungsgewalt, der auch der außerordentlichen Tragweite ihrer Normierungstätigkeit geschuldet ist, verbindliche Revisionssperren rechtfertigt. Denn wie Hesse konstatiert: „Rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens – nicht nur der jeweilige Wille einer Zweidrittelmehrheit – kann eine Verfassung nur sein, wenn sie inhaltliche und verfahrensmäßige Fixierungen vornimmt (. . .).“ 74 Nachdem nicht überzeugend begründet werden kann, warum der Verfassungsgeber eine Revisionsgewalt zwar einsetzen, nicht aber an Verfassungsrecht bin-

73

Oben unter A. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 701. 74

1. Kap.: Grundlegendes

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den können soll, ist von der Rechtswirksamkeit des Art. 79 Abs. 3 GG für den verfassungsändernden Gesetzgeber auszugehen.

C. Ergebnis zu § 1 Daher entfaltet die Norm gegenüber dem Revisionsgesetzgeber Bindungswirkung und kommt hier auch weiterhin als Prüfungsmaßstab in Betracht.

§ 2 Art. 79 Abs. 3 GG: Einziger materieller Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen Um zu begründen, warum Verfassungsrevisionen sich in materieller Hinsicht allein an der Bestandsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG messen lassen müssen, kann nahtlos an die soeben unter § 1 angestellten Überlegungen angeknüpft werden. Erkennt man die Unterscheidung und Hierarchiebildung zwischen pouvoir constituant und pouvoirs constitués an, so stellen sich die Änderungsverbote der Ewigkeitsklausel aus Sicht des (verfassten) Novellierungsgesetzgebers als heteronome Verpflichtungstatbestände dar. Bei den restlichen Verfassungsnormen hingegen muss unterschieden werden zwischen Regelungen, die bereits im Urtext des Grundgesetzes verankert wurden und solchen Vorschriften, die erst im Nachhinein durch ein Tätigwerden des Revisionsgesetzgebers Eingang in die Verfassung gefunden bzw. ihr aktuelles Gepräge erhalten haben. Teilt man weiterhin den oben75 bekundeten Standpunkt, dass bei einer Identität von Normgeber und -subjekt von einem nicht realisierbaren Selbstbindungsversuch ausgegangen werden muss, so scheiden alle Elemente dieser zweiten Kategorie nachträglich eingefügter oder modifizierten Verfassungsnormen als Prüfsteine für Aktivitäten des verfassungsändernden Gesetzgebers aus. Hinsichtlich der erstgenannten Gruppe ursprünglicher Verfassungsvorschriften stellt sich das Problem autonomer Verpflichtung zwar nicht, da diese Normen vom originären Verfassungsgeber geschaffen worden sind; unterstellt man ihm aber den Willen zur konsistenten Normgebung, so legen Existenz und Inhalt des Art. 79 Abs. 3 GG den Umkehrschluss äußerst nahe, dass der pouvoir constituant im Übrigen alle anderen Verfassungsvorschriften zur Revision freigegeben und damit auch deren zielgerichtete oder mittelbare Modifikation durch Verfassungsänderungen als zulässig erachtet hat. Dann aber können auch diese Vorschriften nicht als Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen fungieren. Selbst wenn aller Einwände zum Trotz doch von der prinzipiellen Selbstbindungsmöglichkeit

75

Unter § 1 A. III.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

eines Normgebers ausgegangen wird, hätte dieses Argument – dann sowohl für ursprüngliche als auch für nachträglich verankerte Verfassungsnormen – Bestand. Daher kann es neben Art. 79 Abs. 3 GG keinen Platz für weitere Prüfungsmaßstäbe der Verfassungsrevision geben76. Die Bestandsklausel genießt insoweit einen höheren Rang als die übrigen Verfassungsvorschriften77. Zur Klarstellung: Aus diesem Grund wäre es rechtsfehlerhaft, die neue Schuldenregel an Art. 109 GG a. F. oder anderen thematisch gegebenenfalls einschlägigen Verfassungsnormen zu messen78. Vorliegend könnten die angesprochene Haushaltsautonomie der Länder oder andere föderale Teilprinzipien – mittelbar – nur dann eine Rolle spielen, wenn und soweit man deren Gewährleistungen zugleich auch im Schutzbereich der Ewigkeitsklausel verorten könnte.

§ 3 Reichweite des Bestandsschutzes Zwar enthält das Grundgesetz keine verfassungsgerichtliche Generalklausel und sind daher dem Bundesverfassungsgericht nicht alle Verfassungsrechtsstreitigkeiten zugewiesen79; andererseits kennt die Bundesverfassung aber im Rahmen erteilter Zuständigkeiten auch keine Beschränkung der Reichweite verfassungsgerichtlicher Prüfungskompetenz: Weil das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG unter anderem bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz entscheidet, ist es also auch befugt, verfassungsändernde Gesetze am Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG zu überprüfen80. Da aber aus der Bestandsklausel zum Teil bedenklich weit in den Bereich der Volkssouveränität hineinreichende Grenzen der Revisionsgewalt abgeleitet werden können und die offene Normkonstruktion zu einer solchen Interpretation geradezu einlädt, wird Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit der verfassungsgerichtlichen Prüfungsbefugnis 76 Ganz h. M., vgl. insbesondere BVerfGE 87, 181 (196); weiterhin 84, 90 (120); 94, 12 (34); für das Schrifttum Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 90; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 14; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 6; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, 3. Aufl., Art. 79 Rn. 22; vgl. auch bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (31). 77 Stern, Staatsrecht I, S. 113 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 6. 78 Im Ergebnis ebenso Häde, Schriftliche Stellungnahme für die Anhörung der Föderalismuskommission II zu den Finanzthemen am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 021, S. 2; ders., Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 4; Lange, Schriftliche Stellungnahme für die Anhörung zur Föderalismusreform II – Finanzthemen – am 4. Mai 2009, S. 1 f.; Seiler, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 17; Kemmler, DÖV 2009, 549 (554). 79 Vgl. Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 93 Rn. 43. 80 Wieland, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 93 Rn. 58.

1. Kap.: Grundlegendes

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zum Kompetenzproblem81. Dass das Bundesverfassungsgericht bisher seine Befugnisse gegenüber dem Träger der Revisionsgewalt eher unterschritten hat, ändert nichts daran, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber bei entsprechend weiter Normauslegung fast jede Verfassungsnovelle unmöglich machen könnte82. Daher muss ein Mittelweg zwischen einer Minimalisierung der Ewigkeitsklausel und normativen Zementierungen gefunden werden, die jeglichem Verfassungswandel verhindern83. Vorsicht ist jedoch im Hinblick auf solche Lösungsversuche geboten, die versuchen, dem Problem nicht mittels einschränkender Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG selbst, sondern der von ihm geschützten Prinzipien zu entgehen: Um die Revisionsklausel nicht eingreifen zu lassen, wird weitgehend darauf verzichtet, unmittelbar aus Art. 20 GG Folgerungen für die Gestaltung des Gemeinwesens zu ziehen84. Dies aber birgt die Gefahr, dass statt der von Art. 79 Abs. 3 GG jedenfalls postulierten Stärkung seiner Schutzgehalte deren normative Kraft für den „Alltagsgebrauch“ abgewertet wird85. Ausgangspunkte für die Eindämmung der Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG sollten daher ausschließlich originäre Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift, nicht aber die von ihr in Bezug genommenen Verfassungsnormen sein. Nach Art. 79 Abs. 3 GG ist eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, unzulässig. Maßgeblich für die Restriktionskraft der Norm sind demnach (1) die Präzisierung des jeweiligen Schutzbereichs, (2) die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Berührens“ sowie (3) das Zusammenspiel beider Faktoren in der konkreten Problemlage. Aufgrund ihrer verfassungsdogmatischen Ausnahmestellung86 und des außerordentlich hohen Maßes an definitorischer Unschärfe, das die Bestandsklausel vom ganz überwiegenden Teil der restlichen Verfassungsnormen unterscheidet, erscheint es zum einen wenig erfolgversprechend, sich unmittelbar an einer einzelfallbezogenen Konkretisierung der Bundesstaatsgarantie zu versuchen. Vielmehr macht es Sinn, in einem vorbereitenden Schritt zunächst eine Vorstellung von der grundsätzlichen Tragweite der Revisionsnorm zu erarbeiten. Dass sich zum anderen Art und Dimension der Garantiefunktion nur infolge einer übergreifenden Betrachtung sowohl der Schutzbe81

Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 240, 246. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 240, 246. 83 Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 28, ähnlich ders., Verfassungsentwicklung, S. 245. 84 So wohl Schnapp, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG I Art. 20 Rn. 1, 19, 32 ff.; jedenfalls im Ergebnis auch Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 131 ff., 158 ff.; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 49 ff. 85 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 244 (Anführungszeichen im Original). 86 Vgl. dazu oben unter § 2. 82

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

reichs- als auch der Eingriffsebene hinreichend erschließen dürften, rechtfertigt überdies ein gedankliches Vorgreifen im Prüfungsprogramm: Im Rahmen einer abstrahierenden Gesamtschau beider Ebenen muss bereits an dieser Stelle eine grundlegende Auseinandersetzung auch mit dem Merkmal des „Berührens“ erfolgen. Als Ansatzpunkt auf Schutzgutebene bietet sich die zentrale Begrifflichkeit der „Grundsätze“ an (A.). Dabei spielt es im Rahmen einer prinzipiellen Betrachtung noch keine Rolle, ob dieses im Normtext ausdrücklich nur in Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG verankerte Merkmal auch im Rahmen der mutmaßlich einschlägigen ersten Tatbestandsvariante („Gliederung des Bundes in Länder“) von Bedeutung ist. Was hingegen die Eingriffshandlung des „Berührens“ (B.) betrifft, so haben alle Varianten des Art. 79 Abs. 3 GG dieses Merkmal gemein. Sollten im Folgenden keine Gesichtspunkte zutage treten, die Gegenteiliges nahe legen, erscheint hier daher eine variantenübergreifende einheitliche Auslegung geboten.

A. Grundsätze Der Begriff „Grundsatz“ gehört schon im allgemeinen Sprachgebrauch zu den höchst deutungsfähigen Ausdrücken – nichts anderes gilt für die Rechtssprache87. Daher wird nun ein Interpretationsversuch unternommen, der methodisch den klassischen canones der Auslegung folgt (I.–IV.). I. Wortlaut Das Bundesverfassungsgericht hat im Abhörurteil ausgeführt88: „Grundsätze sind ,als Grundsätze‘ von vornherein nicht ,berührt‘, wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden.“ „Grundsatz“ wird danach mit dem im juristischen Sprachgebrauch üblichen Verständnis von „grundsätzlich“, d. h. als Regel mit Ausnahmen identifiziert89. Dass diese Lesart des Ausdrucks „Grundsätze“, der die Möglichkeit von Regelausnahmen bereits immanent ist, mit dem allgemeinen Wortlautverständnis des Begriffs vereinbar ist, darf bezweifelt werden. Im Duden etwa wird ein „Grundsatz“ als feste (!) Regel charakterisiert, die jemand zur Richtschnur seines Handelns macht90. Dies 87

Stern, Jus 1985, 329 (332). BVerfGE 30, 1 (24) (Anführungszeichen im Original). 89 Kritisch dazu Stern, Jus 1985, 329 (332) mit Verweis auf Rasenack, Der Staat 9 (1970), 272 (273): „Grundsätze lassen schon sprachlich Ausnahmen zu“; vgl. weiterhin Stern, Staatsrecht Bd. III/2, S. 1104; Dürig, in: Spanner u. a. (Hrsg.), Festgabe für Maunz, S. 41 (43). 90 Dudenredaktion (Hrsg.), Deutsches Universalwörterbuch, S. 759 (Stichwort: Grundsatz, Hervorhebungen durch Verfasser). 88

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legt ein Verständnis nahe, welches die in einer Norm niedergelegten Grundsätze als deren identitätsstiftende und daher unumstößliche Gehalte begreift. Infolgedessen kann der mögliche Dispens aber nicht bereits Definitionsbestandteil des „Grundsatzes“ sein: Und in der Tat sagt Art. 79 Abs. 3 GG nicht, dass die in Art. 1 und 20 statuierten Maximen grundsätzlich nicht – wohl aber ausnahmsweise – berührt werden dürfen, sondern dass die in diesen Vorschriften niedergelegten Grundsätze nicht berührt werden dürfen91 – nach einer lege artis vorgenommenen grammatikalischen Auslegung: auch nicht ausnahmsweise. In diese Richtung geht auch das Sondervotum zur obigen Entscheidung, wenn es in „Grundsätzen“ konstituierende Elemente erblickt, denen laut Art. 79 Abs. 3 GG eben keinesfalls bloß im allgemeinen Rechnung getragen werden müsse92. Im Übrigen zöge das eingangs geschilderte, nach der hier vertretenen Auffassung unzutreffende Wortlautverständnis von „Grundsätzen“ eine dogmatische Unsauberkeit nach sich: Ob und gegebenenfalls inwieweit Abweichungen von Schutzpostulaten noch tolerabel sind, ist unter normstrukturellen Gesichtspunkten, jedenfalls primär, nicht auf der Schutzbereichs-, sondern auf der Handlungsebene (hier: „Berühren“) bzw., sofern die Vorschrift dies zulässt, im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung zu klären93. Da aber der Verfassungsgeber die Tatbestandshandlung des Art. 79 Abs. 3 GG äußerst strikt formuliert hat, dürften sich – dies muss vorweggenommen werden – anlässlich der Erörterung des „Berührens“ kaum Restriktionsmöglichkeiten bieten, und bleibt bei Bejahung des Eingriffs auch keinerlei Bewegungsfreiheit mehr für die Erörterung einer etwaigen Eingriffsrechtfertigung. Infolgedessen aber drängt sich schon die Vermutung auf, dass die oben geschilderte Auslegung weniger auf sprachlichen Erwägungen, sondern schlicht auf der Tatsache beruht, dass die Schutzbereichsebene noch am ehesten den interpretatorischen Spielraum bietet, um den Wirkbereich der Revisionsklausel einzugrenzen. Dies ist aus bereits geschilderten Gründen94 auch notwendig. Dass aber der Wortlaut eines Normmerkmals gerade bei so sensiblen Vorschriften wie Art. 79 Abs. 3 GG die unbedingte Grenze jeglicher Auslegung markieren sollte95, macht die These, denkbare Ausnahmen von „Grundsätzen“ ergäben sich bereits aus dem Begriff selbst, höchst angreifbar. Wie sich noch

91 Vgl. Stern, JuS 1985, 329 (332); weiterhin Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, S. 63 f. 92 BVerfGE 30, 33 (41) – abweichende Meinung der Richter Geller, v. Schlabrendorff und Rupp; im Anschluss daran noch deutlicher das Sondervotum der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt zum Urteil des Ersten Senats zum Großen Lauschangriffs (BVerfGE 109, 279 [387, 390 f.]). 93 Angesichts der an Striktheit kaum zu überbietenden Formulierung der tatbestandlichen Handlung (hierzu sogleich unter B.) dürfte eine Rechtfertigung bei Art. 79 Abs. 3 GG jedoch ausscheiden. 94 Vgl. oben im Einleitungsteil zu § 3. 95 Zur Wortlautgrenze Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 322.

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zeigen wird, kann eine mit Blick auf die grundsätzliche Problemstellung96 ausgewogene Interpretation der Ewigkeitsklausel indes auch ohne solche Strapazierung der Wortlautgrenze erreicht werden. Das Ergebnis der grammatikalische Analyse lautet: Die in einer Norm niedergelegten „Grundsätze“ enthalten deren unbedingte weil identitätsstiftende Wesensmerkmale und beanspruchen daher per se absolute Geltung97. Werden „Grundsätze“ unter Schutz gestellt, können sich Ausnahmen von dieser Garantie allenfalls aus anderen Merkmalen der Schutznorm, nicht aber bereits aus dem Begriff selbst ergeben. II. Systematik Eine systematische Betrachtung lässt in zweierlei Hinsicht Aufschluss erwarten: Da Art. 79 Abs. 3 GG nicht die einzige Norm des Grundgesetzes ist, bei der der Verfassungsgeber sich für den Gebrauch der Begriffe Grundsatz bzw. Grundsätze entschieden hat, liegt es nahe, Art und Regelungszusammenhang der jeweiligen Verwendung in Augenschein zu nehmen, um, falls möglich, anschließend Rückschlüsse auf den Gebrauch des Wortes in der Revisionsklausel zu ziehen (1.). Weiterhin haben sowohl die Senatsmehrheit im Abhörurteil als auch die dissentiernden Richter Geller, von Schlabrendorff und Rupp in ihrem Sondervotum anlässlich der Auslegung des Begriffs „Grundsätze“ auf Art. 19 Abs. 2 GG Bezug genommen98. Obgleich die Wesensgehaltsgarantie für die Grundrechte sowohl für den Schutzbereich („Wesensgehalt eines Grundrechts“) als auch für die Eingriffshandlung („antasten“) andere Umschreibungen als die Ewigkeitsklausel verwendet, ist eine gewisse Ähnlichkeit zwischen beiden Formeln nicht von der Hand zu weisen, so dass eine vergleichende Analyse mit Blick auf die Handhabung von Art. 79 Abs. 3 GG durchaus Sinn macht (2.). 1. Art. 23 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG u. a. Aktuell bedienen sich neben der Revisionsklausel auch die Art. 23 Abs. 1 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 199, 98 Abs. 2 Satz 1, 123 Abs. 2 und 143 Abs. 1 Satz 2 GG – teilweise mit diversen Zusätzen100 – der Begrifflichkeiten Grundsatz und 96

Vgl. abermals den Einleitungsteil zu § 3. Wie hier Stern, JuS 1985, 329 (333), ders., Staatsrecht III/2, S. 1104; Dürig, in: Spanner (Hrsg.), Festgabe für Maunz, S. 41 (43); vgl. zum Ganzen auch Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 82 ff. 98 BVerfGE 30, 1 (24) bzw. 33 (42 f.). 99 Zur Frage der Deckungsgleichheit der Grundsätze in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG vgl. nur Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 62 ff., sowie später im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (dd). 100 Art. 75 Abs.1 Satz 1 Nr. 1a GG a. F.: „(. . .) allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens (. . .)“, Art. 91a Abs. 2 Satz 2 a. F. GG: „Das Gesetz soll allgemeine Grundsätze 97

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Grundsätze, zudem ist diesbezüglich auf die außer Kraft getretenen bzw. modifizierten Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a und Art. 91a Abs. 2 Satz 2 a. F. GG hinzuweisen. Von diesen Vorschriften scheidet Art. 143 Abs. 1 Satz 2 GG schon deshalb als tauglicher Referenzpunkt aus, weil die Norm selbst schlicht auf „die in Art. 79 Abs. 3 genannten Grundsätze“ Bezug nimmt. Mit Blick auf die Art. 23 Abs. 1 Satz 1 (gegenwärtige Fassung), 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a und Art. 91a Abs. 2 Satz 2 GG a. F. kann (zunächst noch101) dahinstehen, ob anlässlich einer Auslegung der Ewigkeitsklausel ein Rückgriff auf andere Vorschriften des Grundgesetzes, außer auf solche, die wie Art. 79 Abs. 3 GG selbst bereits im Verfassungsurtext enthalten waren, überhaupt zulässig ist. Denn jedenfalls ergibt sich aus diesen und den restlichen der angeführten Normen auch nicht mehr als aus der oben vorgenommenen Wortlautanalyse zu Art. 79 Abs. 3 GG: Auch in diesen Vorschriften des Grundgesetzes meinen „Grundsätze“ offenbar gewisse Strukturentscheidungen oder Grundlegungen – Hinweise aber, die für eine präzisierende Begriffsdeutung fruchtbar gemacht werden könnten, fehlen ebenso wie im Fall der Revisionsnorm102. 2. Art. 19 Abs. 2 GG Das Pendant zu den „in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätzen“ der Ewigkeitsklausel ist bei Art. 19 Abs. 2 GG der „Wesensgehalt“ eines Grundrechts. Art. 19 Abs. 2 GG soll die rechtsphilosophische Vorstellung des Verfassungsgebers zum Ausdruck bringen, dass die Grundrechte gewissermaßen aus einem äußeren einschränkbaren Bereich und einem inneren sakrosankten Kern bestehen103. Allein: Wie sich dieser innere Kern ermitteln lässt, ist umstritten. Nach einer Sichtweise ist der Wesensgehalt eine feste, vom Einzelfall und der konkreten Frage unabhängige Größe. Er stellt eine absolute Schranken-Schranke dar, der gegenüber es keine höherwertigen Rechtsgüter gibt104: „Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt.“ 105 Nach der Gegenauffassung hingegen statuiert der Wesensgehalt keine absolute Position, sondern wird im Ergebnis sehr wohl infolge einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ermittelt, denn „solange gewichtige Schutz(. . .) enthalten“, Art. 123 Abs. 2 GG: „(. . .) wenn sie nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gültig sind (. . .).“ (Hervorhebungen durch Verfasser). 101 Dazu aber später unter V. 102 Wie hier Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 94 f.; Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, 64 f. 103 Sodan, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 9. 104 Stern, Staatsrecht III/2, S. 866 f.; Sodan, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 Rn. 9. 105 BVerfGE 80, 367 (373) unter Verweis auf BVerfGE 34, 238 (245); dem absoluten Ansatz folgend Lerche, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl., § 122 Rn. 28; Even, Die Bedeutung der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG für die Grundrechte, S. 124 ff.

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interessen Dritter den Eingriff zu legitimieren vermögen“ 106, soll die Wesensgehaltsgarantie nicht greifen107. An diesem Punkt wird deutlich, dass in der Tat strukturelle Parallelen zwischen Art. 19 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG gezogen werden können108. Nur herrscht der dogmatische Gleichlauf eben nicht nur bei den Interpretationsproblemen, sondern naturgemäß auch auf der zugehörigen Lösungsebene: Ebenso wie bei der Ewigkeitsklausel wird nämlich auch im Fall der Wesensgehaltsgarantie darüber gestritten, ob der Schutzgehalt einzelfallunabhängig und absolut gelten oder aber bereits begrifflich den Dispens ermöglichen soll. Zunächst folgt aus einer Betrachtung der Schutzgutbestimmung bei Art. 19 Abs. 2 GG also lediglich, dass man hierbei auf sehr ähnliche Auslegungsschwierigkeiten wie bei den „Grundsätzen“ des Art. 79 Abs. 3 GG stößt109. Aber: Der Grundgesetzgeber hat sich bei Art. 19 Abs. 2 GG mit der Vokabel „Wesensgehalt“ einer an Eindringlichkeit kaum zu überbietenden Formulierung für den Garantiebereich bedient, weshalb das Pendel – zumindest aus grammatikalischem Blickwinkel – klar in Richtung der absoluten Theorien ausschlägt. Denn mit Blick auf einen Rechtssatz legt der Terminus „Wesensgehalt“, deutlicher noch als der „Grundsatz“, die Existenz einer unbedingten, jeglicher Relativierung entzogenen Normessenz nahe. Auf Grundlage der Strukturverwandtschaft zwischen Art. 19 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG110 könnte dann argumentiert werden, diese Auslegungserkenntnis zum Wesensgehalt spreche auch im Fall der Bestandsklausel für ein entsprechendes Vorgehen bei der Schutzgutermittlung. Indes dürfte es kaum gelingen, diese These belastbar zu begründen. Denn ebenso könnte umgekehrt darauf verwiesen werden, dass der Verfassungsschöpfer sich bei Art. 79 Abs. 3 GG ja gerade nicht für eine so nachdrückliche Umschreibung des Garantiebereichs entschieden hat wie im Fall der Wesensgehaltsgarantie – was eher für eine restriktivere Schutzbereichskonkretisierung bei Art. 79 Abs. 3 GG spräche als für einen Gleichlauf. Da jedoch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes keinen Aufschluss darüber gibt, ob und gegebenenfalls welche Parallelen der Verfassungsgeber selbst zwischen Art. 19 Abs. 2 106 BVerfGE 109, 133 (156); vgl. auch BVerfGE 22, 180 (219 f.); 27, 344 (352); 84, 212 (228). 107 Vgl. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 19 Abs. 2 Rn. 15 ff.; P. M. Huber, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG I, Art. 19 Rn. 141 ff.; ferner Hesse, Die Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 333 f. 108 Vergleichende Analyse von Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 2 GG bei Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 89 ff. 109 Vgl. Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, 66 f. 110 Beide Normen entziehen die Substanz bestimmter Rechtsgüter (jeweils unterschiedlichen) Arten staatlichen Zugriffs, näher dazu Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 89 ff.

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und Art. 79 Abs. 3 GG gesehen hat, können letztlich aus der Erörterung der Art der Wesensgehaltsermittlung bei Art. 19 Abs. 2 GG keine über den Bereich des Spekulativen hinausgehenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage gewonnen werden, was genau Art. 79 Abs. 3 GG mit „Grundsätzen“ meint. Mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der „Grundsätze“ liefert eine systematische Betrachtung keinerlei neue Erkenntnisse. Allerdings wird das Ergebnis der Wortlautanalyse, dass ein in einer Norm niedergelegter Grundsatz deren nicht diskutable Substanz enthält, gestützt. III. Genese Die Verankerung einer Ewigkeitsklausel im Grundgesetz ist zeitlich und sachlich untrennbar mit dem Umstand verbunden, dass die Weimarer Vorgängerverfassung durch die Nationalsozialisten in den Formen „scheinbarer Legalität“ 111 abgewickelt werden konnte112. Dogmatisch flankiert wurde das Regime dabei unfreiwillig vom überwiegenden Teil der Weimarer Staatsrechtslehre, der, bei Abwesenheit einer positivrechtlichen Bestandsklausel, auch solche Verfassungsrevisionen vom einschlägigen Art. 76 Abs. 1 Satz 1 WRV gedeckt sah, „die sich auf die rechtliche Natur des Reichsganzen (Bundesstaat), (. . .) die Staats- und Regierungsform des Reichs und der Länder (Republik, Demokratie, Wahlrecht, Parlamentarismus, Volksentscheid, Volksbegehren) und andere prinzipielle Fragen (Grundrechte!) beziehen“ 113, denn: „Die (. . .) verfassungsändernde Gewalt ist gegenständlich unbeschränkt.“ 114, 115 Diese unbegrenzte Möglichkeit zur Verfassungsrevision wollte der Verfassungsgeber für das Grundgesetz ausschließen116.

111 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 695, 697. 112 Zum Ganzen Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 2 f.; ders., JZ 1994, 741 (742 f.). 113 So die maßgebliche Kommentierung zu Art. 76 WRV: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 3; zur Gegenauffassung Schmitt, Verfassungslehre, S. 11 ff., 25 f., 102 ff.; Überblick über den Weimarer Meinungsstand ferner bei Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953, S. 19 ff. 114 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 3. 115 Deutlich Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 19 f.: „Eine Staatsrechtstheorie, für die der Buchstabe der gesetzten Verfassung alles (. . .) ist, muß folgerichtigerweise zu der Auffassung kommen, daß es keine rechtlichen Schranken der Verfassungsänderung geben könne, es sei denn, sie seien positiv bestimmt worden; (. . .).“ Vor diesem Hintergrund kann die These (bloß) scheinbar legaler Aushöhlung der Weimarer Reichsverfassung (etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 697) nur unter der Voraussetzung eines anti-positivistischen bzw. naturrechtlichen Verständnisses von Legalität aufrecht erhalten werden. 116 Vgl. J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 1037 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 695, 697.

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Sicherlich lassen diese Rahmenumstände keine eindeutigen Schlüsse darauf zu, ob der Grundgesetzgeber die „Grundsätze“ des Art. 79 Abs. 3 GG absolut oder relativ bestimmt wissen wollte. In Anbetracht der Singularität des unmittelbar Vorausgegangenen sowie des, vorsichtig formuliert, erheblichen Einflusses der West-Alliierten auf die Arbeit des Parlamentarischen Rates117 – in den ersten Jahren der Bundesrepublik ist sogar bezweifelt worden, dass der Schöpfung des Grundgesetzes eine originäre Ausübung deutscher verfassungsgebender Gewalt zugrunde liegt118 – ist es jedoch kaum vorstellbar, dass dem Grundgesetzgeber eine Schutznorm für die Verfassungssubstanz vorschwebte, deren Schutzgüter bereits begrifflich sollten ausgehöhlt werden können. Auch eine entstehungsgeschichtlich motivierte Auslegung spricht also eher dafür, den in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsatzgehalten unbedingte Geltung beizumessen. IV. Telos Überlegungen zum Sinn und Zweck von Bestandsklauseln sind naturgemäß irgendwo zwischen dem Bedürfnis nach einem Minimum an verfassungsnormativer Stabilität und der im Grundsatz gegenläufigen Notwendigkeit anzusiedeln, die Gestaltungsbefugnisse des Souveräns unangetastet zu lassen119. Dem letztgenannten Erfordernis würde nicht erst der Versuch des pouvoir constituant einer bestimmten Zeit zuwiderlaufen, alle nachfolgenden Verfassungsgeber an seine Leitgedanken zu binden. Bereits eine extensive Beschränkung der von ihm eingesetzten Revisionsgewalt begegnet mit Blick auf die Volkssouveränität nicht nur prinzipiellen, sondern auch durchgreifenden praktischen Bedenken. Fehlt die Möglichkeit, eine Verfassung dem Zeitwandel anzupassen, schwindet deren Vermögen, Staatsaufbau und gesellschaftliches Leben dauerhaft zu ordnen120. Dies ist jedoch auch zu befürchten, wenn eine Verfassung in Gänze zur Verfügungsmasse der Revisionsgewalt wird, da in diesem Fall „das einzige, was feststeht, ist, daß alles abgeändert oder beseitigt werden kann“ 121. Erklärt also der Verfassungsgeber in bestimmten Verfassungsnormen niedergelegte Grundsätze um der rechtlichen Kontinuität willen für unberührbar, so kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn die sprachliche Beschaffenheit der Ewigkeitsklausel eine Auslegung zulässt, mit der zum einen normative Zementierungen verhindert werden

117

Dazu Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Präambel Rn. 63 f. Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 95 ff. 119 Vgl. zur Problematik bereits oben unter § 1 B. II. 120 Vgl. nur Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 29; dens., Verfassungsentwicklung, S. 243 f. 121 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 701. 118

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können, sie andererseits aber auch ermöglicht, einer Marginalisierung des Schutzmechanismus durch Aushöhlung der Schutzgüter entgegenzuwirken. Vor diesem teleologischen Hintergrund spricht vieles dafür, die in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze als im Konkreten zwar sehr behutsam herauszuarbeitende Inhalte zu begreifen – diese Fixierungen im Gegenzug aber jeglicher Disposition zu entziehen. Dem letztgenannten Aspekt jedenfalls trägt ein Verständnis von Art. 79 Abs. 3 GG nicht hinreichend Rechnung, das Grundsätze von vornherein nicht als berührt ansieht, wenn ihnen nur im allgemeinen Rechnung getragen wird: Grundsätze dürfen auch nicht „nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden“ 122 – jedoch bleibt es dem verfassungsändernden Gesetzgeber unbenommen, die positivrechtliche Ausprägung dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren123. V. Auslegungsergebnis zum Merkmal „Grundsätze“ und Schlussfolgerungen für die Anwendung des Art. 79 Abs. 3 GG Mit Nachdruck legen sowohl der grammatikalische als auch der teleologische Befund nahe, unter Grundsätzen, die in einer Norm niedergelegt sind, (1) deren zwar mit Blick auf die Sonderstellung des verfassungsnovellierenden Gesetzgebers behutsam zu bestimmenden, gleichwohl identitätstiftenden Kerngehalt zu begreifen: In einem Grundsatz selbst ist daher (2) nicht schon die Möglichkeit zur Regelausnahme angelegt, er beansprucht zunächst einmal absolute Geltung. Ein Dispens von den in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätzen könnte somit allenfalls auf der tatbestandlichen Handlungsebene erfolgen, was allerdings vor dem Hintergrund des eben Ausgeführten kaum belastbar zu begründen sein dürfte124. Eine entstehungsgeschichtliche und systematische Betrachtung untermauern jeweils dieses Resultat, das jedoch (3) als Richtschnur für die praktische Handhabung des Art. 79 Abs. 3 GG unbefriedigend ist: Die Erkenntnis, dass die Schutzgüter der Ewigkeitsklausel absolute Fixierungen darstellen, hilft angesichts des hohen Maßes an Abstraktheit der von Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Strukturprinzipien, auch der hier relevanten Bundesstaatlichkeit, bei der Schutzgutbestimmung kaum weiter.

122

BVerfGE 30, 1 (24). BVerfGE 84, 90 (121), wo zwar ohne Weiteres auf BVerfGE 30, 1 (24) verwiesen wird, die Äußerungen aufgrund der substanziell modifizierten Formulierung („positivrechtliche Ausprägungen“) jedoch nicht als bloße Anknüpfung, sondern als präzisierende Klarstellung der Ausführungen im Abhör-Urteil zu verstehen sind; vgl. weiterhin BVerfGE 94, 12 (34); 94, 49 (103); zum Ganzen Hain, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 51. 124 Dazu sogleich unter B. 123

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Der Anwender kommt daher (4) nicht um eine beim Einzelfall ansetzende Präzisierung der mutmaßlich einschlägigen Garantie umhin125. Als Hilfsmittel stehen auch hier wieder die canones zur Verfügung, insbesondere die systematische und die teleologische Methode. Denn die Spezifika der jeweiligen Fundamentalbestimmung dürften sich erst erschließen, wenn (5) im Grundsatz Klarheit bezüglich der Funktionen dieses Strukturgehalts innerhalb des Verfassungsgefüges besteht. Diese dürften sich (a) erst aus dem Konzentrat der Konkretisierungen des jeweiligen Fundamentalprinzips ergeben126, die zwar isoliert nicht unter dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG stehen. Dennoch müssen die positivrechtlichen Ausformungen des betroffenen Regelungsgehalts in den Blick genommen werden, um eine Vorstellung vom grundgesetzlichen Leitbild der Strukturbestimmung erhalten zu können, das der Verfassungsgeber vor Augen hatte127. Weil die Ewigkeitsklausel nach zutreffender Auffassung auch selbst änderungsresistent ist128, und ihr Schutzbereich daher nicht vom Revisionsgesetzgeber modifiziert werden kann, sind dabei primär die in der Erstfassung des Grundgesetzes enthaltenen Konkretisierungen des Fundamentalprinzips maßgeblich. Zwar können Hinweise auf den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG indirekt auch auf Grundlage thematisch einschlägiger Verfassungssätze gewonnen werden, die erst durch eine Verfassungsrevision im Grundgesetz verankert worden sind: Die Vereinbarkeit der jeweils in Bezug genommenen Norm mit Art. 79 Abs. 3 GG vorausgesetzt, kann die Verfassungskonformität der zugrunde liegenden Novelle (inklusive deren Begründung) als Richtschnur für die Beurteilung thematisch verwandter (nachfolgender) Revisionsgesetze am Maßstab der Ewigkeitsklausel dienen. Indessen können aus der Vereinbarkeit einer Referenznovelle mit Art. 79 Abs. 3 unmittelbare Anhaltspunkte nur im Hinblick darauf gewonnen werden, was der Verfassungsgeber nicht als revisionsfest erachtete. Im Rahmen des Versuchs einer positiven Konkretisierung eines Art. 79 Abs. 3-Schutzgutes hingegen – beispielsweise im Rahmen der Suche nach den typusbestimmenden Merkmalen des Bundesstaats – kann, aufgrund der Unabänderbarkeit von Art. 79 Abs. 3 GG selbst, direkt nur auf originäre Verfassungsnormen abgestellt werden. Daher bie125

Etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 19. In diese Richtung Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 703 (allerdings unter Nichtbeachtung des Sozialstaatsprinzips); vgl. mit spezifischem Blick auf die Bundesstaatlichkeit dens., AöR 98 (1973), 1 (7) unter Bezugnahme auf Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 43; weiterhin Herdegen, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG Art. 79 (Lfg. 72, Juli 2014) Rn. 111; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 165 ff.; dens., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/ Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rdnr. 49 ff. 127 Zutreffend Hain, Grundsätze, S. 172 ff.; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 57. 128 Andernfalls könnte sich der Revisionsgesetzgeber der Schranken des Art. 79 Abs. 3 GG einfach durch eine entsprechende Änderung der Klausel selbst entledigen, welche den Weg für die anvisierte Verfassungsnovelle freigeben würde, vgl. etwa Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 57. 126

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tet sich – zumindest bei weitgehend noch nicht präjudizierten Themenbereichen – folgendes Vorgehen an: In einem ersten Schritt sollten die einschlägigen originären Konkretisierungen des jeweiligen Strukturgehalts zu Rate gezogen werden. Nur sofern und soweit auf diesem unmittelbar(st)en Weg noch kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden konnte oder aber gegebenenfalls zur Untermauerung eines so gewonnenen Resultats, sollten anschließend auch durch Revisionen im Grundgesetz verankerte Ausformungen des Grundsatzgehalts in den Blick genommen werden. Wenn aber die „Verfassungsprinzipien des Art. 20 Abs. 1 GG (einander) ergänzen, (. . .) begrenzen und sich zur Einheit der Verfassung (fügen)“ 129, dann kann (b) der konkret einschlägige Teil des Verfassungskerns – über den bloßen Rekurs auf die Konkretisierungen des einzelnen Schutzgutes hinaus – nur mit gleichzeitigem Blick auf das gesamte Verfassungssystem bestimmt werden. Denn gemeinsam bilden die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Strukturmerkmale das Fundament der deutschen Rechtsordnung und müssen daher insgesamt in einem konsistenten Wechselwirkungsverhältnis stehen130: Der Grundsatz der Einheit der Verfassung fordert also, jedes in Rede stehende Schutzgut des Art. 79 Abs. 3 GG (bzw. dessen einschlägigen Teilaspekt) in ein Gesamtgefüge einzuordnen, das aus dem fallbezogenen Blickwinkel alle ins Blickfeld geratenden Fundamentalprinzipien (bzw. deren Teilgehalte) berücksichtigt131 –, und auch diese Betrachtung kann wiederum nur unter maßgeblicher Einbeziehung der jeweils relevanten Konkretisierungen der betroffenen Strukturgehalte erfolgen.

B. Berühren Der Auslegungsbefund zum Merkmal „Grundsätze“ weist auch den Weg zu einem zutreffenden Verständnis des „Berührens“. Dennoch soll dieses Verständnis in der gebotenen Kürze gesondert methodisch fundiert werden. Nachdem die Ausnahmemöglichkeit von Grundsätzen nicht bereits aus dem Begriff selbst abgeleitet werden kann, bleibt mit Blick auf die Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG nur noch zu erörtern, ob ein Dispens von den Erfordernissen der Kerngehalte der Art. 1 und 20 ausnahmsweise auf der Handlungsebene erfolgen kann. I. Wortlaut Mit dem Verbot des „Berührens“ der Schutzgehalte hat der Verfassungsgeber die Eingriffshandlung des Art. 79 Abs. 3 GG äußerst rigide formuliert, was den 129 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 265; vgl. auch P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 21 Rn. 93 ff. 130 Vgl. nur Hesse, AöR 98 (1973), 1 (8, 10, 12 f., 45). 131 Ähnlich mit Blick auf die bundesstaatliche Ordnung BVerfGE 1, 14 (32); 19, 206 (220); 30, 1 (19); Hesse, AöR 98 (1973), 1 (8, 10, 13).

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Schluss nahe legt, dass die Einhaltung der Grundsätze „streng und unnachgiebig“ 132 zu überprüfen ist133. Dies dürfte sowohl eine Relativierung der Schutzguterfordernisse im Rahmen der Eingriffshandlung als auch eine gesonderte Rechtfertigungsprüfung ausschließen134. Soweit aber darüber hinaus im Sondervotum zum Abhörurteil die Eingriffshandlungen von Ewigkeits- und Wesentlichkeitsgarantie unter grammatikalischen Gesichtspunkten gegenübergestellt werden und gefordert wird, es dürfe „nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Grundgesetzgeber in Art. 79 Abs. 3 GG eine andere, substantiell engere Formulierung als in Art. 19 Abs. 2 GG gewählt“ 135 habe, so muss sich diese Position ebenso den Vorwurf verkürzter Darstellung gefallen lassen wie diejenige der Senatsmehrheit, die demgegenüber lapidar behauptet, die „Formel, jene Grundsätze dürfen nicht ,berührt‘ werden“, habe „keine striktere Bedeutung als die ihr verwandte Formulierung in Art. 19 Abs. 2 GG, wonach in keinem Fall ein Grundrecht ,in seinem Wesensgehalt angetastet‘ werden darf “ 136. Denn angesichts der nicht zu negierenden Wortlautdivergenzen auf Schutzbereichs- und Eingriffsebene137 hätte im zweiten Fall zumindest dargelegt werden müssen, warum die behauptete Ähnlichkeit im Garantieumfang dennoch so frappierend sein soll, dass insoweit wechselseitige Rückschlüsse zwischen zwei, gerade was die Tragweite angeht, derart heiklen Verfassungsnormen zulässig sein sollen. Aber auch dem Sondervotum kann entgegengehalten werden, dass – wenn schon ein Formulierungsunterschied bei der Eingriffshandlung erkannt wird138 – konsequenterweise auch hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Verfassungsgeber nicht nur den Eingriff bei Art. 79 Abs. 3 GG, sondern mit dem Begriff „Wesensgehalt“ umgekehrt auch den Schutzbereich bei Art. 19 Abs. 2 GG etwas strikter gefasst hat als bei der Revisionsklausel139. Da aber beide Tatbestandsebenen Einfluss auf die Normreichweite haben, könnte das graduelle Plus an Toleranzspielraum gegenüber der Parallelvorschrift, das die minimal weitere Formulierung „antasten“ bei Art. 19 Abs. 2 GG möglicherweise gewährt, bei Art. 79 Abs. 3 GG auf Tatbestandsebene ausgeglichen werden. Dies verifiziert die obige Beobachtung140: Ein Vergleich von Ewigkeits- und Wesens132

Sondervotum der Richter Geller, v. Schlabrendorff und Rupp BVerfGE 30, 1 (47). Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 241 ff. 134 Im Ergebnis ähnlich Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 292 a. E.: „Das Verbot der Berührung reicht weiter als ein Verbot der Verletzung.“ 135 BVerfGE 30, 1 (42 f.). 136 BVerfGE 30, 1 (24). 137 Der Behauptung, die ursprüngliche Fassung der Bestandsklausel habe noch den Begriff „antasten“ verwendet (etwa Stern, JuS 1985, 329 (333); ders., Staatsrecht III/2, S. 1105 f.), widerspricht Dreier: Von Antasten sei lediglich in einem Alternativvorschlag des Redaktionsausschusses die Rede gewesen (Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 19 dort Fn. 64). 138 A. A. Stern, JuS 1985, 329 (333); ders., Staatsrecht III/2, S. 1105 f. 139 Dazu oben unter A. II. 2. 133

1. Kap.: Grundlegendes

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gehaltsgarantie liefert mit Blick auf die Regelungsdichte keine belastbaren Ergebnisse. Unabhängig davon lautet der Befund der Wortlautanalyse: Für einen Dispens bietet die Berührungsformel des Art. 79 Abs. 3 GG keinen Platz und schließt darüber hinaus auch eine Eingriffsrechtfertigung aus. II. Systematik Eine Ewigkeitsklausel, bei der nach der Festsetzung des Garantiebereichs nun auch die Annahme eines Eingriffs restriktiv gehandhabt werden soll, liefe mit Blick auf die Kontrolldichte darauf hinaus, sie auf ein „Verfassungsbeseitigungs-, wenn nicht gar Revolutionsverbot“ 141 zu reduzieren. Indes hätte ein mehr symbolischer Legalitätsentzug für Revolutionäre eher in die Präambel oder Schlussvorschriften gehört als in den VII. Abschnitt über die Gesetzgebung des Bundes – und dort ausgerechnet in den Artikel, der das Verfahren der Verfassungsrevision regelt. An dieser Stelle verlangt die Vorschrift eine Auslegung, die ihr nicht nur einen symbolischen Wert als Bekräftigung von Selbstverständlichem und Versuch, nicht Verhinderbares zu verhindern, gibt, sondern effektive Bedeutung im Prozess der Verfassungsänderung142. Folglich bekräftigt die systematische Analyse den Befund der grammatikalischen Betrachtung. III. Genese Und auch die Entstehungsgeschichte des Art. 79 Abs. 3 GG spricht nicht für eine Reduktion der Norm auf ein Revolutionsverbot. Zwar herrschte mit Blick auf die Schaffung einer Änderungssperre für die Art. 1 und 20 GG (Art. 108 Ch. E.143) Einigkeit darüber, dass es sich dabei um ein Revolutionsverbot handeln sollte144. Demgegenüber wurde zum einen die Diskussion um den Schutz der bundesstaatlichen Ordnung durch ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis in Art. 107 Ch. E.145 unter anderen Vorzeichen geführt. 140

Dazu oben unter A. II. 2. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 239. 142 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 241 f. 143 „Anträge auf Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig.“ (Deutscher Bundestag/Bundesarchiv [Hrsg.], Parl. Rat II, S. 604). 144 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (586); vgl. auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 240. 145 „Ein Gesetz, durch das von der bundesstaatlichen Grundordnung abgegangen wird, bedarf außer der sonstigen Erfordernisse des Art. 106 der einstimmigen Annahme im Bundesrat.“ (Deutscher Bundestag/Bundesarchiv [Hrsg.], Parl. Rat II, S. 604). 141

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Denn dessen Gegner beriefen sich gerade darauf, dass die Norm bei allen möglichen Änderungen der bundesstaatlichen Kompetenzstruktur angerufen werden könnte und daher zu dauerhaften Verfassungsstreitigkeiten führen werde146. Und da zum anderen der Allgemeine Redaktionsausschuss des Parlamentarischen Rats die Art. 107 und 108 ohne Begründung und ohne eine zusätzliche diesbezügliche Debatte im Hauptausschuss oder Plenum zu einer einheitlichen Norm über die inhaltlichen Schranken der Verfassungsrevision in Art. 79 Abs. 3 GG zusammenfasste147, können die Äußerungen zu Art. 108 Ch. E. nicht einfach für die Interpretation des Art. 79 Abs. 3 GG als Revolutionsverbot fruchtbar gemacht werden148. Und wie Bryde zutreffend ausführt, ist bei Berufungen auf Äußerungen im Gesetzgebungsprozess gerade im Fall des Art. 79 Abs. 3 GG Skepsis geboten. Denn dass angesichts der möglichen Tragweite einer Ewigkeitsklausel ihre Befürworter die Auffassung vertreten, sie schütze nur ohnedies Selbstverständliches, ihre Gegner, sie sei nur Revolutionsverbot und als solches wirkungslos, ergibt sich aus den rhetorischen Erfordernissen einer solchen Diskussion und sagt über den Inhalt der schließlich im Verfassungstext verkörperten Entscheidung nicht allzu viel149. Im Übrigen kann auf die Ausführungen unter A. III. verwiesen werden: Scheinen die Grundprinzipien der Staatsordnung hinreichend fest in der politischen Kultur eines Landes verankert zu sein, besteht kaum Bedürfnis nach einer Ewigkeitsklausel150. Entscheidet sich ein Verfassungsgeber unter solchen Umständen dennoch für eine Revisionssperre, so mag dies für einen eher symbolischen Normgebungsakt bzw. ein wenig strenges Vorgehen bei der Bejahung eines Schutznormverstoßes sprechen. Solche Gewissheit aber konnte gerade der Grundgesetzgeber für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 angesichts der Umstände, aus denen heraus er tätig werden musste, nicht haben. Auch insoweit spricht also wenig für eine großzügige Handhabung des Eingriffstatbestands. IV. Telos Entsprechend knapp können die teleologischen Überlegungen gehalten werden. Denn vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zu Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des Art. 79 Abs. 3 GG kann es sich bei der Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes nicht um ein symbolisches Bekenntnis zu den Staatsfundamentalgrundsätzen, sondern nur um eine effektive Norm des Verfas-

146

v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (579). Hesse, AöR 98 (1973), 1 (5 f., dort Fn. 7); Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 240 f. 148 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 240 f. 149 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 241. 150 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 241. 147

1. Kap.: Grundlegendes

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sungsschutzes handeln. Anders als bei der bloßen Zielsetzung, einen Verfassungsbruch zu demaskieren, muss eine so verstandene Revisionsklausel bereits im Vorfeld einer offenen Demontage tragender Verfassungspfeiler greifen, um einem schleichenden Zerfallsprozess entgegenwirken zu können151. Dem wird aber eine Auslegung des „Berührens“ nicht gerecht, die es für das Vorliegen von Verfassungskonformität bereits als ausreichend erachtet, wenn den Schutzgütern des Art. 79 Abs. 3 GG nur im Allgemeinen Rechnung getragen wird, und die somit Ausnahmen von den Grundsätzen für möglich hält. V. Ergebnis zu B. Nachdem bereits das einschränkende Merkmal der Grundsätze die Tragweite der Revisionsklausel begrenzt, darf eine weitere Beschneidung der Restriktionsschärfe von Art. 79 Abs. 3 GG nicht auch noch anlässlich der Prüfung des Berührens (oder im Rahmen einer Eingriffsrechtfertigung) erfolgen. Einer Revisionsklausel mit derart ausgedünnter Kontrolldichte stehen die Auslegungsbefunde zu den Begriffen „Grundsätze“ und „Berühren“ entgegen.

C. Ergebnis zu § 3 1. Aus Art. 79 Abs. 3 GG können bedenklich weit in den Bereich der Volkssouveränität übergreifende Grenzen der Verfassungsänderung abgeleitet werden, was in Verbindung mit der diesbezüglichen Kontrollbefugnis des Bundesverfassungsgerichts dazu führt, dass das Gericht bei entsprechend weiter Normauslegung fast jede Verfassungsänderung an der Ewigkeitsklausel scheitern lassen könnte. Versuche, die Regelungs- und Kontrollschärfe der Klausel zu bestimmen, müssen dies im Blick behalten. 2. Dogmatische Anknüpfungspunkte für die Erörterung der Tragweiteproblematik bei Art. 79 Abs. 3 GG sind die tatbestandliche Schutzbereichs- bzw. Eingriffsebene, die entsprechenden Merkmale müssen daher ausgelegt werden. 3. Eine Interpretation des Begriffs „Grundsätze“ in Verbindung mit den in Bezug genommenen Art. 1 und 20 GG ergibt, dass die Ewigkeitsklausel nur den identitätsstiftenden Kern dieser Normen umfasst – diesen aber absolut. Ein spezifischer Teilgehalt kann dabei nur in Ansehung des Einzelfalls und nur a) mit Blick auf die Gesamtheit der (per se nicht änderungsfesten) verfassungsrechtlichen Konkretisierungen des jeweiligen Strukturprinzips (primär) in der Erstfassung des Grundgesetzes sowie 151 Vgl. Sondervotum BVerfGE 30, 1 (42); zustimmend Sondervotum der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt BVerfGE 109, 279 (390 f.); zudem Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 242.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

b) unter Berücksichtigung der vom konkreten Regelungsfall gegebenenfalls gestreiften anderen Fundamentalgrundsätze bestimmt werden. 4. Auch die Interpretation des Begriffs „Berühren“ lässt im Einzelfall weder Raum für einen Dispens von den Erfordernissen der Kernmerkmale noch für deren Verwässerung im Rahmen einer Eingriffsrechtfertigung.

§ 4 Ergebnis zum ersten Kapitel 1. Art. 79 Abs. 3 GG vermag den verfassungsändernden Gesetzgeber rechtswirksam zu verpflichten. 2. Die Vorschrift ist einziger Prüfungsmaßstab für Verfassungsrevisionen. 3. Das von Art. 79 Abs. 3 GG aufgestellte Berührungsverbot für Grundsatzgehalte schützt lediglich die identitätsstiftenden Merkmale der von der Norm in Bezug genommenen Strukturgehalte. Diese Kernbereiche müssen vom Revisionsgesetzgeber unbedingt geachtet werden. Zweites Kapitel

Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter Auf dieser Basis ist nun die spezifische Bundesstaatsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG zu betrachten. In einem ersten Schritt muss der föderative Schutzbereich der Ewigkeitsklausel einer grundlegenden Betrachtung unterzogen werden (§ 1). Denn ob und gegebenenfalls inwieweit die in Art. 79 Abs. 3 Var. 1 GG ausdrücklich abgesicherte Gliederung des Bundes in Länder (bzw. mit der Länderstaatlichkeit: deren Kerngarantie) sowie das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens mit Blick auf die Aufgabenstellung als spezifische Prüfungsmaßstäbe in Betracht kommen (§§ 2, 3), und, falls ja, nach welchen Maßgaben dann die konkreten Garantie(n) herauszuarbeiten sind, kann nur aus einem Grundverständnis für die Gesamtbeschaffenheit der Föderativgarantie heraus beantwortet werden.

§ 1 Grundlegendes zur Föderativklausel Die Vornahme vorbereitender Erörterungen zur generellen Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG wurde oben152 mit der Überlegung gerechtfertigt, dass der hier relevante bundesstaatliche Teil des Schutzbereichs angesichts der Bezugnahme auf sämtliche Staatsfundamentalgrundsätze und der einhergehenden normativen Offenheit der Revisionsnorm zutreffend nur auf Grundlage einer allge152

Oben im ersten Kapitel unter § 3 (einleitender Text).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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meinen Vorstellung über Art und Spannweite des durch Art. 79 Abs. 3 GG gewährten Schutzes begriffen werden kann. Bevor unmittelbar auf den föderativen Schutzbereich eingegangen wird (B., C.), muss aber unter methodischen Gesichtspunkten die umfassende Übertragbarkeit der allgemeinen Befunde für den – wie auch immer gearteten – bundesstaatlichen Schutzbereich nachgewiesen werden (A.).

A. Übertragbarkeit der allgemeinen Befunde auf die Bundesstaatsgarantie Die Zulässigkeit eines uneingeschränkten Rückgriffs auf die generellen Maßgaben bedarf deshalb expliziter Begründung, weil der entscheidende dogmatische Anknüpfungspunkt für die Erarbeitung der allgemeinen Leitlinien das zentrale Normmerkmal „Grundsätze“ war, das laut Normtext ausdrücklich nur der dritten Tatbestandsvariante zueigen ist. Ausdrückliche föderative Garantien aber sind in Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG niedergelegt. Daher könnte auf die allgemeinen Befunde streng genommen nur dann und gegebenenfalls nur insoweit unmittelbar und uneingeschränkt zurückgegriffen werden, wenn das Bundesstaatsprinzip über die erste und zweite Tatbestandsvariante hinaus auch von Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG erfasst würde. Zwar sprechen angesichts der grammatikalischen Gleichordnung aller drei Tatbestandsvarianten auch unabhängig von einer Verankerung der föderativen Verfassungssubstanz in Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG bereits hinreichend gute (systematische) Gründe dafür, Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG als ausdrücklich benannte Grundsatzgehalte der Bundesstaatlichkeit zu begreifen und eine im Einzelfall notwendige Konkretisierung dieser Garantien anhand der allgemeinen Leitlinien vorzunehmen. Obgleich daher eine Erörterung der geschilderten Fragestellung an dieser Stelle entbehrlich zu sein scheint, kann aber zum einen bereits eine hier in jedem Fall vorzunehmende Präzisierung der Garantie der Gliederung des Bundes in Länder nur auf Grundlage einer Beschaffenheitsund Strukturvorstellung vom gesamten föderalen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG vorgenommen werden: Ansonsten blieben die (wie sich später zeigen wird) entscheidenden Fragestellungen, ob und bejahendenfalls inwieweit für die Präzisierung des Art. 79 Abs. 3 Var. 1 GG überhaupt auf die allgemeine Kategorie der Bundesstaatlichkeit zurückgegriffen werden darf, im Unklaren. Zum anderen werden die Fragen nach dem Ob und Wie einer über Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG hinausgehenden Absicherung des Bundesstaatsprinzips auch im Rahmen der Problematiken eine Rolle spielen, ob und gegebenenfalls inwieweit das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens unter Art. 79 Abs. 3 GG fällt153. Wenn aber der prinzipielle Umfang und die strukturelle Beschaffenheit der Bundesstaats153

Vgl. hierzu unter § 3.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

garantie später ohnehin erörtert werden müssen, kann auch bereits hier auf diese Aspekte eingegangen und können die entsprechenden Befunde für den Nachweis der Übertragbarkeit der allgemeinen Befunde auf den föderativen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG fruchtbar gemacht werden. In einem ersten Schritt soll erörtert werden, ob die Vorschrift das bundesstaatliche Prinzip über Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auch als allgemeine Kategorie absichert (I.). Der nachfolgende Abschnitt sucht dann eine Antwort auf die Frage, ob die föderative Verfassungsessenz gesondert in ihren durch die Tatbestandsvarianten des Art. 79 Abs. 3 GG vorgegebenen Untergliederungen betrachtet werden muss154, oder ob es angesichts der mit Blick auf die allgemeinen Erörterungen zur Revisionsnorm zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Schutzgutkonkretisierung nicht sinnvoller ist, substantielle (sowie vorliegend gegebenenfalls auslegungserhebliche) Sinnzusammenhänge nicht zu durchtrennen und die bundesstaatlichen Teilgarantien als einheitlichen Schutzbereich zu begreifen (II.). I. Allgemeine Absicherung der föderativen Verfassungssubstanz über Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG? Ob das Bundesstaatsprinzip auch über Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG hinaus als revisionsfest anzusehen ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Da die dritte Tatbestandsvariante einen generellen Verweis auf die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze enthält, in dessen Absatz eins der Bundesstaat in einer Reihe mit Republik, Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaatlichkeit genannt wird155, spricht zunächst der Wortlaut von Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG eindeutig für eine auch allgemeine Absicherung der Bundesstaatlichkeit. Unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 79 Abs. 3 GG wurde die Existenz dieser Zusatzsicherung aber – namentlich von Jestaedt – bestritten156. Im Zentrum entsprechender Überlegungen steht der oben157 angeschnittene Umstand, dass Art. 79 Abs. 3 GG das Ergebnis der Zusammenführung zweier Normstränge ist, deren erster ursprünglich die freiheitliche und demokratische Grundordnung für revisionsfest erklärte (Art. 108 Ch. E.158), wohingegen der zweite die 154 Diese Frage stellt sich unabhängig von der Existenz einer generellen Bundesstaatsgarantie über Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, da ja bereits die Gliederung des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung laut Normtext separat garantiert werden. 155 Genau genommen wird das föderative Prinzip dort sogar zweifach in Bezug genommen, wenn die „Bundesrepublik“ als „Bundesstaat“ ausgewiesen wird, vgl. Isensee, in: ders./Kirchof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 287, dort Fn. 807. 156 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 54 ff. 157 Im ersten Kapitel unter § 3 B. III.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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bundesstaatliche Ordnung durch Statuierung (lediglich) eines qualifizierten Mehrheitserfordernisses (einstimmige Annahme im Bundesrat) für solche Gesetze zu schützen suchte, durch die von der bundesstaatlichen Ordnung abgegangen wird (Art. 107 Ch. E.159). Erst spät und ohne jegliche Begründung wurden beide Regelungen unter dem Dach des Art. 79 Abs. 3 GG vereint160. Ausgehend von dieser unstreitigen161 Tatsache wird mit Blick auf Entwicklung und Integration beider Schutzklauseln der Versuch einer Rekonstruktion des Beratungsverlaufs in den involvierten Ausschüssen162 des Parlamentarischen Rats unternommen163 und sodann auf dieser Grundlage behauptet, die Ablösung der ursprünglichen Wendung „die freiheitliche und demokratische Grundordnung“ durch den Verweis auf „die in den Artikeln 1 und 21 niedergelegten Grundsätze“ habe Art. 108 Ch. E. nicht inhaltlich modifizieren sollen und sei ferner zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden, zu dem die Föderativklausel164 noch eigenständig neben Art. 108 stand165. Diese These wird maßgeblich mit einer Folgeversion166 des Art. 108 untermauert167, die legaldefinitorisch eine Grundgesetzänderung für unzulässig erklärt, „die den Grundsatz der unmittelbaren Geltung der Grundrechte (Artikel 1) oder die demokratische, republikanische und rechtsstaatliche Ordnung (Art. 21) antastet“. Vor diesem Hintergrund müsse der Normtext des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG subjektiv-teleologisch reduziert168 und könne in die dritte Tatbestandsvariante keine Zusatzsicherung des bundesstaatlichen Prinzips hineingelesen werden169. 158 „Anträge auf Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigt würde, sind unzulässig.“ (Deutscher Bundestag/Bundesarchiv [Hrsg.], Parl. Rat II, S. 604). 159 „Ein Gesetz, durch das von der bundesstaatlichen Grundordnung abgegangen wird, bedarf außer der sonstigen Erfordernisse des Art. 106 der einstimmigen Annahme im Bundesrat.“ (Deutscher Bundestag/Bundesarchiv [Hrsg.], Parl. Rat II, S. 604). 160 Vgl. Hesse, AöR 98 (1973), 1 (5 f., dort Fn. 7); Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 240 f. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 5 ff., 47. 161 Auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 5 ff., 47, der im Übrigen eine subjektiv-teleologische Reduktion des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 GG vehement ablehnt, räumt dies ein. 162 Neben dem Haupt- und dem Allgemeinen Redaktionsausschuß waren auch der Organisations- und ein Fünferausschuß beteiligt, vgl. dazu die Dokumentation des Beratungsverlaufs bei Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 49 ff. 163 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 49 ff. 164 Ursprünglich Art. 107 Ch. E., in diesem Beratungsstadium aber Art. 106 Abs. 2 Satz 2, vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (583 f.). 165 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 54 ff. 166 Vgl. Allgemeiner Redaktionsausschuß, Drs. 534 vom 25. Januar 1949. 167 Vgl. Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 52, 55. 168 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 57. 169 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 54, 58; Ridder, in: Wassermann (Hrsg.), AK-GG I, 2. Aufl., Art. 79 Rn. 30 ff.; Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 255 ff.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Tatsächlich herrschte infolge der beiden Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dezember 1948170 bis in die letzten Tage vor Verabschiedung ein Nebeneinander einer Bundesstaatsklausel mit im Vergleich zum ordentlichen Revisionsverfahren zwar verschärftem Mehrheitserfordernis, aber ohne Änderungsverbot einerseits (im damaligen Beratungsstadium: Art. 106 Abs. 2 Satz 2171) und andererseits einer Fassung des ursprünglich auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung zielenden Art. 108 Ch. E., welche „die in den Artikeln 1 und 21 (Art. 20 der Endfassung172) (. . .) niedergelegten Grundsätze“ der Verfassungsänderung entzog. Beiden Vorschlägen folgte der Hauptausschuß in zweiter Lesung (12. Januar 1949)173, und wäre es bei diesem Regelungsstand geblieben, hätte man das Bundesstaatsprinzip in der Tat – trotz des Verweises auf Art. 21 – nicht als von der Revisionsklausel erfasst ansehen können. Denn die Gegenposition hätte nicht mit der Existenz einer spezifischen Regelung zur Bundesstaatlichkeit in Einklang gebracht werden können174. Dies alles ändert aber erstens nichts daran, dass der Parlamentarische Rat Art. 79 Abs. 3 GG schließlich so fasste wie geschehen, und sich ein auf Grundlage lückenhafter Beratungsunterlagen rekonstruierter Entstehungsprozess am Ende nicht gegen den eindeutigen Wortlaut einer Norm durchzusetzen vermag175 – und zwar insbesondere im Fall des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG nicht: Denn hier sind die Gesetzgebungsmaterialien ausgerechnet mit Blick auf die entscheidende Zusammenführung der beiden Klauseln nicht bloß uneindeutig, sondern schweigen gänzlich. Dieses Schweigen kann zweitens auch nicht durch den Versuch einer Aufschlüsselung der mutmaßlich vom Verfassungsgeber anvisierten Regelungsgehalte unter Berufung auf die zitierte legaldefinitorische Fassung des Art. 108 kompensiert werden, im Gegenteil: Räumt man deren Wortlaut ein solch hohes Gewicht bei der Rechtfertigung einer Reduktion des letztlich klaren Normtextes von Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG ein, müsste (nicht nur dem gleichfalls fehlenden Verweis auf die Sozialstaatlichkeit176, sondern) eigentlich 170

Allgemeiner Redaktionsausschuß, Drs. 370/374 vom 16. Dezember 1948. Allgemeiner Redaktionsausschuß, Drs. 370/374 vom 16. Dezember 1948; vgl. auch v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) I, 1 (583). 172 Im Hauptausschuß erhielt Art. 21 Abs. 1 Tags zuvor (15. Dezember 1948) in zweiter Lesung seine letztgültige Fassung, die später in Art. 20 Abs. 1 GG verankert wurde: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“, vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (200 f.). 173 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (583), dort Fn. 92 bzw. (586), dort Fn. 118. 174 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 47. 175 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 47, vgl. auch Dreier, a. a. O. unter Rn. 7. 176 Folgerichtig insoweit Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 54, dort Fn. 294, der dem Sozialstaatsprinzip „zumindest auf der Grundlage einer 171

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass in der besagten Fassung mit Blick auf Art. 1 ausschließlich der Grundsatz der unmittelbaren Geltung der Grundrechte in Bezug genommen wird – nicht jedoch die Garantie der Menschenwürde. Nun brachte der Allgemeine Redaktionsausschuß Art. 1 Abs. 1 ausgerechnet in der Sitzung vom 25. Januar 1949, in der auch die in Rede stehende Version des Art. 108 erarbeitet wurde, in die heute noch gültige Fassung177. Da aufgrund dieses unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zum einen die ohnehin kaum denkbare Option ausscheidet, dass im Rahmen der Konzipierung einer Revisionssperrklausel gerade diese Fundamentalnorm schlicht übersehen worden sein könnte, sowie zum anderen infolge der legaldefinitorischen Abfassung der Klausel (samt Nennung eines anderen Art. 1-Schutzgutes) auch der Ausweg über eine Begründung einer ungeschriebenen Revisionsfestigkeit der Menschenwürde als Fundament der ausdrücklich benannten Rechtsgüter als dogmatisch wenig überzeugend erscheint, müsste mit Art. 1 Abs. 1 GG konsequenterweise ausgerechnet der zentrale Leitwert einer freiheitlich-demokratischen Ordnung aus dem Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG herausgenommen werden. Vor dem Hintergrund, dass sich die Ewigkeitsklausel laut geschilderter Auffassung jedoch allein auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung beziehen soll178, wäre dies ein absurdes Ergebnis. Denkt man schließlich hinzu, dass die in Bezug genommene Version von Art. 108 ohnehin bereits nach einer Woche zugunsten einer Rückkehr zur allgemeinen Verweisung auf die in den Art. 1 und 21 niedergelegten Grundsätze verworfen wurde und im nachfolgenden Teil der Beratungen keine Rolle mehr gespielt hat179, so spricht wenig dafür, dieser äußerst kurzlebigen Fassung des Art. 108 eine maßgebliche Bedeutung für die Interpretation des Art. 79 Abs. 3 GG beizumessen – erst recht nicht als argumentative Stütze für die Verkürzung der eindeutig formulierten dritten Tatbestandsvariante. Mögen die verschiedenen föderativen Sicherungen der drei Tatbestandsvarianten des Art. 79 Abs. 3 GG auch in einem unglücklichen Spannungsverhältnis zueinander stehen: Nicht trotz, sondern gerade (auch) wegen der im Entscheidenden verwickelten Entstehungsgeschichte der Vorschrift bleibt es dabei, dass die Bundesstaatlichkeit über Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auch am Willen des Verfassungsgebers orientierten Verfassungsauslegung“ ebenfalls den Schutz des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG verweigert; a. A. freilich die herrschende Meinung, etwa Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 10 f.; Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 52; Hain, in: v. Mangoldt (Begr.)/ Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 72 ff. 177 Allgemeiner Redaktionsausschuß, Drs. 543 vom 25. Januar 1949. Bis auf eine marginale Änderung, die später in Absatz 2 vorgenommen wurde, lag Art. 1 nach dieser Sitzung des Allgemeinen Redaktionsausschusses in seiner Endfassung vor, vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (53). 178 Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 49 ff., insbesondere Rn. 54 ff. 179 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (586 f.); vgl. auch Jestaedt selbst, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 53.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

als allgemeine Kategorie einer substantiellen Änderung entzogen ist180. Dass schließlich auch systematische und teleologische Aspekte dieses Ergebnis stützen, wird sogleich offenbar werden181. Als Zwischenergebnis zur Übertragbarkeit der allgemeinen Maßgaben lässt sich formulieren: 1. Der Verweis des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG auf Art. 20 Abs. 1 GG umfasst auch das Bundesstaatsprinzip. 2. Folglich kann bereits an diesem Punkt festgehalten werden, dass die generellen Befunde zur Auslegung der Revisionsnorm jedenfalls auf diesen Teil des föderativen Schutzbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG unmittelbar und umfassend anwendbar sind. II. Einheitlicher bundesstaatlicher Schutzbereich? Damit wird die Bundesstaatlichkeit von allen drei Tatbestandsvarianten des Art. 79 Abs. 3 GG erfasst. 1. Wenn der föderative Grundsatzgehalt des Art. 20 Abs. 1 GG allgemein über die dritte Tatbestandsvariante der Klausel abgesichert wird, zugleich aber in Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG mit der Gliederung des Bundes in Länder und der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung zwei föderative Teilaspekte verankert wurden, dann muss es sich bei Letzteren um ausdrücklich vom Verfassungsgeber benannte Teile des Grundsatzgehalts der Bundesstaatlichkeit handeln. Mit dieser Maßgabe können die allgemeinen Erkenntnisse zur Natur eines Grundsatzgehalts182 auf Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG angewendet werden: Was immer im Einzelnen dazu gehören mag, diese Normbereiche statuieren eine absolute Grenze für die Revisionsgesetzgebung. 2. Darüber hinaus bleibt zu klären, wie sich die bundesstaatlichen Garantien der drei Tatbestandsvarianten zueinander verhalten, ob sie also gesondert oder 180 Im Ergebnis ebenso Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 208 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 287; ders., in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 719 (748); P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 21 Rn. 91; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 7, 47; letztlich auch Hesse, AöR 98 (1973), 1 (8 f.); ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 706; vordergründig auch Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 394; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 119 a. E., der jedoch von der Identität des bundesstaatlichen Grundsatzgehalts von Art. 20 Abs. 1 GG mit den Regelungsgehalten der Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG (kumulativ) ausgeht und daher, jedenfalls was die bundesstaatliche Tragweite von Art. 79 Abs. 3 GG angeht, mit der Gegenauffassung übereinstimmt. Nachweise zu dieser bereits in Fn. 169. 181 Vgl. unter II. sowie unter C. I. 182 Vgl. oben im ersten Kapitel unter § 3 A.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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als Einheit betrachtet werden müssen. Allein grammatikalisch betrachtet liegt die Annahme separater föderaler Schutzbereiche nahe, da die ersten beiden Regelungsalternativen gleichwertig neben den „in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze(n)“ stehen. Gleichwohl ist diese Deutung nicht zwingend, da der Hervorhebung der bundesstaatlichen Teilprinzipien ebenso exemplarischer Charakter beigemessen werden kann183. Auch aus einem ausschließlich entstehungsgeschichtlichem Blickwinkel kann man – unabhängig vom oben abgelehnten Postulat subjektiv-teleologischer Reduktion – einleuchtend argumentieren, Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG statuierten jeweils eigenständige Schutzgüter184. Allerdings erscheint es unter teleologischen Gesichtspunkten wenig aussichtsreich, die föderalen Absicherungen der Bestandsklausel in ihren normativen Gehalten auseinanderdividieren zu wollen185: Ein Bundesstaat ist ohne die Gliederung des Bundes in Länder nicht denkbar, insofern ist diese Garantie bereits notwendiger Bestandteil der Föderativkomponente des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG. Ebenso kristallisierte sich im Laufe der entsprechenden Beratungen in den befassten Gremien des Parlamentarischen Rates heraus, dass auch die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes ein konstitutives Element der (zukünftigen) bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes sein sollte186. Daher ist neben der Gliederung des Bundes in Länder auch die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung notwendiger Bestandteil auch der allgemeinen Föderativgarantie gemäß Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG187. Vor diesem Hintergrund aber macht die dogmatische Aufgliederung sachlich eng miteinander verflochtener Regelungsgehalte keinen Sinn und sind folglich die föderativen Garantien des Art. 79 Abs. 3 GG als einheitliche Absicherung des bundesstaatlichen Verfassungskerns zu betrachten188. 183

Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 21 (dort Fn. 73 a. E., m.w. N.). Ausführliche genetische Normanlayse bei Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 48 ff. 185 Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 393, 433 f.; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 119; ähnlich Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 32. 186 Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (582 ff.), insbesondere die Äußerung des Abgeordneten Süsterhenn, zum Wesen des Bundesstaates gehöre auch die Mitwirkung der Länder bei der Bildung des Bundeswillens (wiedergegeben a. a. O., 582). 187 Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 393, 433 f.; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 119; im Ergebnis auch Hesse, AöR 98 (1973), 1 (8 ff.); ebenso Isensee, AöR 115 (1990), 248 (250), der die dreifache Absicherung der Bundesstaatlichkeit durch Art. 79 Abs. 3 GG als Pleonasmus bezeichnet; ders., in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 287; ders., in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 719 (748). 188 Ob darüber hinaus eine komplette Deckungsgleichheit zwischen der dritten Tatbestandsvariante auf der einen und der Gliederung des Bundes in Länder und der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung auf der anderen Seite angenommen werden kann, und, abgesehen von der letztgenannten, alle anderen bundesstaat184

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

III. Ergebnis zu A. Da die Inhalte der Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG auch zum Schutzbereich der dritten Tatbestandsvariante zählen, können die generellen Leitlinien zur Präzisierung der Schutzgüter der Revisionsklausel, die im Wesentlichen anhand einer Auslegung des Merkmals „Grundsätze“ aus Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG gewonnen wurden, ohne Einschränkungen auf sämtliche föderalen Garantien der Ewigkeitsklausel übertragen werden, die zudem einen einheitlichen Schutzbereich bilden.

B. Anwendung der allgemeinen Maßgaben zur Tragweite des Art. 79 Abs. 3 GG auf den einheitlichen bundesstaatlichen Schutzbereich In Anwendung der Befunde zur generellen Tragweite von Art. 79 Abs. 3 GG auf dessen bundesstaatliche Komponente ergeben sich folgende Maßgaben für das weitere Vorgehen: 1. Was immer im weiteren Untersuchungsverlauf als spezifischer Maßstab für die neuen Verschuldungsregelungen herausgearbeitet wird, gehört zum föderativen Grundsatzgehalt des Art. 20 Abs. 1 GG und statuiert damit eine absolute Revisionsgrenze. Ein Übergriff in diesen Bereich ist in jedem Fall eine Berührung im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG und hat damit die Nichtigkeit des zugrunde liegenden Novellierungsgesetzes zur Folge. 2. Angesichts der Rigidität dieser Rechtsfolge muss, vor dem Hintergrund der Sonderstellung der Revisionsgesetzgebung zwischen einfacher Gesetz- und Verfassungsgebung, jedoch behutsam bei der Bestimmung der im Einzelfall einschlägigen Garantien vorgegangen werden. 3. Im Zweifel können die Essentialien der bundesstaatlichen Ordnung von ihren nicht revisionsfesten Bestandteilen insbesondere unter Einbeziehung funktionsbezogener und verfassungssystematischer Kriterien unterschieden werden. 4. Von diesen Grundprämissen ausgehend können konkrete Rückschlüsse auf nicht ohne Weiteres offensichtliche Identitätsmerkmale der bundesstaatlichen Ordnung zum einen insbesondere infolge einer Gesamtschau ihrer positivrechtlichen Ausformungen in der Urfassung des Grundgesetzes gezogen werden. Gleichzeitig müssen zum anderen die Verknüpfungspunkte der Bundesstaatlichkeit mit gegebenenfalls thematisch angeschnittenen anderen Strukturprinzipien in den Blick genommen werden. Auch diese Betrachtung wird regelmäßig auf der Ebene der verfassungsnormativen Konkretisierungen der von Art. 79 Abs. 3 GG im Grundsatz geschützten Gehalte erfolgen müssen. lichen Gehalte des Art. 20 Abs. 1 GG auch über Art. 79 Abs. 3 Var. 1 GG hergeleitet werden können, sei allerdings dahingestellt (Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 394, dort Fn. 15).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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C. Föderativer Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG: Typusbestimmende Merkmale der Bundesstaatlichkeit grundgesetzlicher Prägung I. Integrales Verständnis vom Bundesstaatsbegriff Diese Maßgaben decken sich mit den Konsequenzen aus einem Verständnis, das den Bundesstaat des Art. 20 Abs. 1 GG (und damit auch dessen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Essenz) nicht als Klassenbegriff auffasst, der die Summe aller bundesstaatlich relevanten Artikel des Grundgesetzes zusammenfasst, sondern als Typusbegriff189, der eine nicht abgeschlossene Fülle von Strukturen umfasst, die ein integrales Gesamtbild ergeben, das mehr ist als die Summe der positiv-rechtlichen Ausformungen190: Dieses Bild lasse sich zum einen nicht erschöpfend durch die in Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG ausdrücklich garantierten Strukturen charakterisieren191, und umgekehrt könnten auch die Regelungsgehalte von Art. 79 Abs. 3 Var.1, 2 GG nur mit Blick auf die Bundesstaatlichkeit als Ganzes und deren Stellung im Verfassungsstrukturgefüge ermittelt werden192. Zum anderen sollen Einzelgarantien aus dem Ganzen nur im Wege der Abstraktion aus den verfassungsrechtlichen Konkretisierungen der Bundesstaatlichkeit und des Rekurses auf die ungeschriebenen Sinn- und Formprinzipien, die den Regelungen zugrunde liegen, gewonnen werden können193. Im Übrigen sprechen nun auch diese Überlegungen gegen eine genetisch motivierte Reduktion der Föderativgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG194 und ferner für ein ganzheitliches Verständnis vom bundesstaatlichen Schutzbereich der Ewigkeitsklausel. Damit schützt Art. 79 Abs. 3 GG die (im obigen Sinn) typusbestimmenden Merkmale der spezifischen föderativen Ordnung des Grundgesetzes, die im Einzelnen durch die beschriebenen methodischen Werkzeuge herauszuarbeiten sind. 189 Zur rechtstheoretischen Unterscheidung zwischen Klassen- und Typusbegriff Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 25 ff. 190 Vgl. BVerfGE 87, 181 (196); ferner Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 291 f.; Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 60; a. A. indes Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 36, 113 ff., 215 ff., 253 f.; zur Paralleldiskussion bei der Rechtsstaatlichkeit vgl. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 26 Rn. 7 ff. (integrales Verständnis) und Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 6 f., 113 ff., 453 (summatives Verständnis). 191 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 292. 192 Grundlegend Hesse, AöR 98 (1973), 1 (8 ff., 45); vgl. auch Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 209 ff.; Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 32. 193 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 292 f.; so oder ähnlich die in Fn. 191 Genannten. 194 Vgl. oben unter A. I.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

II. Direkter Rekurs auf ältere verfassungsrechtliche Ausformungen des deutschen Bundesstaates? Da aber das Grundgesetz gerade in Bezug auf die Strukturprinzipien des Art. 20 GG aufgrund deren normativer Offenheit alles andere als begriffs- und regelungsautark ist, könnte erwogen werden, diese Typusbestimmung im Zweifelsfall unter unmittelbarem Rückgriff auf die konkreten bundesstaatlichen Ordnungen der Vorgängerverfassungen – namentlich der Reichsverfassung von 1871 (1.) und ihrer Weimarer Nachfolgerin (2.) – vorzunehmen. 1. Reichsverfassung von 1871 Die im Wesentlichen aus der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867195 hervorgegangene 1871er Verfassung entstand auf der Grundlage echter, historisch gewachsener Staatswesen mit je eigener, durch Geschichte, Stammesbewusstsein und Herrscherhaus geprägter Individualität196. Ihre Bewahrung war grundlegende Voraussetzung für die Erhaltung der Reichseinheit, die Funktion der föderativen Ordnung war folglich primär eine integrierende197: Dementsprechend war die Bundesstaatlichkeit das zentrale, die Organisation und Staatlichkeit des Reichs prägende Strukturprinzip der Reichsverfassung198. Ganz überwiegend von den Besatzungsmächten und teils völlig neu aus ehemaligen preußischen Provinzen und Teilen anderer deutscher Länder errichtet, hatten die Gliedstaaten des Jahres 1949199 demgegenüber nur noch zum kleinen Teil – streng genommen nur in Bayern und den beiden Hansestädten – etwas mit den geschichtlichen deutschen Einzelstaaten gemein. Und folgerichtig legt das Grundgesetz selbst mit dem Neugliederungsauftrag in Art. 29 GG Uf. offen, dass der Verfassungsgeber die von ihm errichtete bundesstaatliche Ordnung seinerzeit nicht primär als Zusammenschluss individuell-eigentümlicher Einzelstaaten sah200. Zudem wird im Rahmen des Grundgesetzes die verfassungsmäßige Gesamtordnung nicht mehr in erster Linie durch das föderative, sondern das freiheitlich-demokratische Element charakterisiert. Damit kommt aber dem bundesstaatlichen Aufbau in der Verfassungsarchitektur des Grundgesetzes ein grundlegend anderer Stellenwert zu als seinem Pendant in der Reichsverfassung von 1871 und muss deshalb ein Rekurs auf die Bundesstaatlichkeit dieser Reichsver-

195

Dazu Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 235 f. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 12. 197 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (9). 198 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (10). 199 Zu den neu geschaffenen Ländern eingehend Stolleis, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR I, § 7. 200 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (10). 196

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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fassung grundsätzlich den Inhalt der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG verfehlen201. Sauber von der verfassungsrechtlichen Formkonzeption der bundesstaatlichen Ordnung zu unterscheiden ist jedoch die unter der Reichsverfassung vorherrschende Staatspraxis. Denn obgleich Charakteristikum des damaligen Organisationsrechts eine betont föderale, die Eigenständigkeit der Einzelstaaten unterstreichende Ausrichtung war, konnte der Gestaltungsanspruch der Einzelstaaten in praxi dem zeitgeschichtlich bedingten sachlichen Unitarisierungssog202 nicht standhalten, und reduzierte sich ihr Einfluss schon bald auf eine Mitwirkung an der politischen Willensbildung203. Das Machtzentrum verlagerte sich von den Fürsten auf das Reich, was sich insbesondere in dem umgehend einsetzenden Prozess der Herstellung der Rechtseinheit manifestierte204 und zwischen 1914 und 1918 in der reichseinheitlich gelenkten Kriegswirtschaft sowie der Parlamentarisierung des Reiches kulminierte205. 2. Weimarer Reichsverfassung Weil diese durch Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beförderte, mit einem umfassenden Nationalisierungsprozess einhergehende Unitarisierung206 zeitlich in die Ausrufung der Weimarer Republik mündete und seinen positiv-rechtlichen Niederschlag in der zugehörigen Verfassung fand, könnte eher noch ein Rückgriff auf die Bundesstaatsordnung der Weimarer Reichsverfassung in Betracht gezogen werden. Diese stärkte das Reich weiter gegenüber den Gliedstaaten – und zwar in einer Deutlichkeit, in deren Konsequenz über die Klassifizierung der neuen Republik als Bundesstaat gestritten wurde207. Ferner löste das – auch schon in Weimar an die republikanische Staatsform gekoppelte – Demokratieprinzip nicht erst 1949, sondern bereits

201

Hesse, AöR 98 (1973), 1 (10). Hierzu Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (82 ff.); ders., KritV 91 (2008), 117 (123); Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 2 m.w. N. 203 Auch dazu Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (82 ff.); ders., KritV 91 (2008), 117 (123). 204 Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (83); ders., KritV 91 (2008), 117 (123) unter Verweis auf Langewiesche, in: Janz/Schiera/Siegrist (Hrsg.), Zentralismus und Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert, S. 79 ff. und Stern, Staatsrecht V, S. 417 ff. 205 Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. (84); zum Parlamentarisierungsprozess ferner Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 276 ff. (insbesondere 279 ff.). 206 Etwa Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 293. 207 Wieland, KritV 91 (2008), 117 (123) unter Berufung auf Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 224 ff. 202

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

1919 die Bundesstaatlichkeit als zentrales Strukturprinzip ab208, und befindet sich das Grundgesetz insoweit in Übereinstimmung mit der Weimarer Reichsverfassung. Neu gegenüber der Verfassung von 1919 (und ihrer Vorgängerin) ist jedoch zum einen, dass den Ländern ein verstärkter Einfluss auf die Wahrnehmung gesamtstaatlicher Aufgaben zugedacht wird209 und die föderativen Beziehungen insoweit neu justiert werden sowie zum anderen, dass das Grundgesetz als eine der Grundlagen der von ihm konstituierten Staatlichkeit das Sozialstaatsprinzip210 normiert211. Den oben212 erarbeiteten methodischen Grundlagen zufolge kann aber der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte föderative Kern des Grundgesetzes zutreffend nur mit Blick auf ihre positiv-rechtliche Ausgestaltung und nur im Zusammenspiel mit den übrigen Verfassungsstrukturgrundsätzen herausgearbeitet werden. Weil jedoch erstens die Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes – jedenfalls was die Beteiligung der Bundesglieder an gesamtstaatlichen Aufgaben angeht – eine grundlegend andere Ausgestaltung erfahren hat als diejenige ihrer Vorgängerin und deren Substanz zweitens auch nicht die Sozialstaatlichkeit beinhaltet – die, wie sich im weiteren Untersuchungsverlauf zeigen wird213, in der Tat eine nicht unwesentliche Rolle für ein zutreffendes Verständnis grundgesetzlicher Bundesstaatlichkeit spielt –, begegnet auch ein unmittelbarer Rückgriff auf die direkte Vorgängerverfassung des Grundgesetzes Bedenken214. 3. Fazit Die Konkretisierung der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG lässt sich grundsätzlich nicht unter unmittelbarem Rückgriff auf ältere Ausformungen des deutschen Bundesstaates vornehmen. Ausnahmen von diesem Grundsatz könnten sich allerdings dort ergeben, wo das aktuelle Verfassungsrecht erkennbar an konkrete Regelungskonzepte außer Kraft getretener Verfassungen anknüpft.

208 Dazu etwa Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 4; im Übrigen erfuhr das Bundesstaatsprinzip, wie bereits in der Reichsverfassung von 1871, keine explizite Normierung, sondern wurde aus den die Stellung von Reich und Ländern regelnden Verfassungsnormen abgeleitet, vgl. Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 ff. (84 f.); weiterhin Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 4. 209 Vgl. dazu später unter § 2 A. III. 210 Die Entwicklung, die in der Statuierung der Sozialstaatlichkeit endete, nahm ihren Ausgang freilich bereits in der Sozialversicherungsgesetzgebung Bismarcks, dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 IV, S. 1191 ff. 211 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (11). 212 Unter B. i.V. m. den Ausführungen unter § 3 des ersten Kapitels. 213 Vgl. unter § 2 A. III. 214 Vgl. Hesse, AöR 98 (1973), 1 (11).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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III. Anknüpfung an verfassungsübergreifende geschichtliche Entwicklungsstränge bis 1949? Gleiches gilt aber ausdrücklich nicht in Bezug auf verfassungsübergreifende historische Linien, die gegebenenfalls die Entwicklung von der 1871er Reichsverfassung über Weimar, die faktische Zentralisierung unter den Nationalsozialisten215 bis hin zur Schaffung der aktuellen Bundesverfassung nachzeichnen. Denn die grundgesetzliche Gesamtkonzeption der Bundesstaatlichkeit, insbesondere mit Blick auf das vorliegend herauszuarbeitende zutreffende Verständnis von Länderautonomie bzw. -staatlichkeit nach dem Grundgesetz, dürfte sich umfassend nur vor Hintergrund der föderativen (Verfassungs-)Tradition Deutschlands bis zum Jahr 1949 erschließen216. IV. Rückgriff auf ältere Bundesstaatslehren? Werden Rekurse auf die in entscheidenden Punkten vom föderalen Aufbau des Grundgesetzes divergierenden Bundesstaatordnungen der 1871er und der Weimarer Reichsverfassung prinzipiell abgelehnt, muss auch ein Rückgriff auf Föderativdoktrinen dieser Verfassungsepochen217 ausscheiden, die das Wesen der Bundesstaatlichkeit naturgemäß nur vor dem Hintergrund der überkommenen geschichtlichen Modelle erklären können, welche die Vorgängerinnen des Grundgesetzes normativ eingefangen haben218. V. Bedeutung theoretischer Begriffsbestimmungen? Schließlich können sich auch aus einer terminologischen Abgrenzung der Begriffe Föderalismus und Bundesstaat219 keine maßgeblichen Erkenntnisse für die Bestimmung der bundesstaatlichen Essentialien des Grundgesetzes ergeben. Denn dafür maßgeblich sind nach den obigen Maßgaben allein die vom Verfassungsgeber vorgenommene konkrete Ausgestaltung der Bund-Länder-Beziehungen im Grundgesetz und deren verfassungssystematische Stellung. Welcher der beiden Kategorien dieses konkrete Ordnungsgefüge nun zugeordnet wird, ist pri215 Dazu Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR I, § 6 Rn. 11 ff.; vgl. auch Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 310 f. 216 Ähnlich Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 289. 217 Grundlegend zur juristisch-konstruktiven Erfassung des Deutschen Reiches als Bundesstaat Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches I, S. 55 ff., 102 ff.; maßgebliche Bundesstaatslehren wurden in der Weimarer Zeit etwa von Schmitt (Verfassungslehre, S. 361 ff.) und Smend (in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S.119 [223 ff.]) entworfen. 218 Ähnlich Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 3 f. 219 Dazu etwa Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 IV (Lfg. 46, März 2006) Rn. 18 ff.; vgl. auch Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 4 ff.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

mär eine formale Frage, und daher kann die zugehörige Antwort keinen entscheidenden Einfluss auf die inhaltliche Bestimmung der Verfassungssubstanz haben220. VI. Ergebnis zu C. Es kann vollends auf das unter B. Gefolgerte verwiesen werden, mit folgendem Zusatz: Zusätzlich zu den dort aufgestellten systematischen und teleologischen Maßgaben ist es zur Konkretisierung des föderalen Schutzbereiches des Art. 79 Abs. 3 GG zwar methodisch, jedenfalls grundsätzlich, nicht zulässig, unmittelbar auf die Vorgängerverfassungen des Grundgesetzes abzustellen – wohl aber geboten, nötigenfalls auf verfassungsgeschichtliche Entwicklungslinien, deren Wegmarken die 1871er, die Weimarer Reichsverfassung und das Grundgesetz darstellen, zurückzugreifen.

§ 2 Länderstaatlichkeit: Wesensmerkmal der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes A. Ausgangspunkt: Systematische Wechselwirkungen zwischen bundesstaatlicher Ordnung, demokratischem und sozialem Rechtsstaat Nach Maßgabe der herausgearbeiteten Eckpunkte müssten nun mit Blick auf die Schuldenregel der Länder relevante Funktionsaspekte des föderativen Staatsaufbaus ermittelt werden. I. Bedenken gegen eine funktionale Typusbestimmung Gegen eine primär funktionale Bestimmung des unantastbaren Kerns der Bundesstaatlichkeit wurden jedoch Bedenken geäußert, da die Zwecke a posteriori von der Dogmatik definiert würden, und sich damit der Inhalt des änderungsfesten Kernbereichs von der Vorgabe der Dogmatik zu ihrem Erzeugnis wandle221. In erster Linie komme es für die Bestimmung des im Einzelfall gebotenen Maßes an Eigenständigkeit daher nicht auf funktionale Gesichtspunkte, sondern auf den quantitativen und qualitativen Bestand an konkreten Landeskompetenzen an, wo-

220 Aus diesem Grund werden – wie bisher nun auch – im restlichen Teil der Arbeit die beiden Begriffe bzw. ihre korrespondierenden Ableitungen synonym verwendet. 221 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 300 f.; ähnlich Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, S. 100 ff. m.w. N.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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bei als Vergleichsgröße die bundesstaatliche Kompetenzordnung der Erstfassung des Grundgesetzes fungieren soll222. Diesen Überlegungen kann zum einen entgegengehalten werden, dass eine lege artis vorgehende Auslegung – jedenfalls nach den obigen Maßgaben – die Teleologie der Bundesstaatlichkeit nicht abstrakt vom, sondern primär mit Blick auf das vom Verfassungsgeber geschaffene konkrete Verfassungssystem des Grundgesetzes zu bestimmen sucht – und damit Zweck und Funktionen der bundesstaatlichen Ordnung gerade nicht nachträglich von außen unterlegen, sondern, nur soweit diese unmittelbar in der Bundesverfassung angelegt sind, lediglich nachzeichnen will223. Insoweit wird die föderative Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG im Rahmen einer unmittelbar an der ursprünglichen Bundesstaatskonzeption des Grundgesetzes orientierten Zweckbestimmung auch nicht in Abhängigkeit von sich wandelnden und unklaren Funktionen bestimmt224. Zum anderen kann der – auch von den Gegnern einer funktionalen Herangehensweise über ein quantitatives Kompetenzminimum hinaus postulierte225 – qualitative Prüfstein für die konkreten Länderbefugnisse belastbar ohnehin nur mit Blick auf ihre gemeinsame teleologische Ausrichtung in der Urfassung des Grundgesetzes bestimmt werden. Denn erstens rezipiert das Grundgesetz auch nach der geschilderten Auffassung keine staatstheoretische Bundesstaatsdoktrin226, ein diesbezüglicher Rückgriff scheidet also aus. Zweitens kann aber auch eine primär an der föderalistischen Historie Deutschlands orientierte Ableitung eines qualitativen Kompetenzmaßstabs vor dem Hintergrund nicht überzeugen, dass es sich beim Bundesstaatsbegriff (nach integralem Verständnis) um ein Konzentrat konkret-positiver Verfassungsnormen handelt und geschichtliche Aspekte folglich nur ergänzend herangezogen werden sollten227. Dann aber ist nicht ersichtlich, wie diese Essenz im Einzelfall anders als durch eine beim einschlägigen Teilgehalt ansetzende systematische Zweckanalyse der Gesamtheit bundesstaatlicher Verfassungsnormen gewonnen werden kann. Daher scheint im Gegenteil eine primär systematisch-teleologische Ermittlung der Bundesstaatsgarantie unerlässlich zu sein, und folgerichtig kommt man auch bei einer institutionellen, ausdrücklich beim konkreten Kompetenzbestand ansetzenden Herange222

Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 300 f. Im Übrigen legt auch Hesse, der von den Institutionalisten explizit als richtungsweisender Verfechter der funktionalen Betrachtungsweise angeführt wird (Isensee, in: ders./Kirchhof [Hrsg.], HStR VI, § 126 Rn. 300, dort Fn. 839; Gerstenberg, Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, S. 100 ff.), keine ex post ermittelten Endzwecke zugrunde, sondern setzt für die Funktionsanalyse ausdrücklich beim konkreten Föderativaufbau des Grundgesetzes an: Hesse, AöR 98 (1973), 1 (6 ff., insbesodere 9 ff.). 224 Dies befürchtet aber Gerstenberg (Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform, S. 102) bei Zugrundelegung einer funktionalen Betrachtungsweise. 225 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 303 ff. 226 Vgl. oben unter § 1 C. IV. 227 Auch dazu bereits oben unter § 1 C. I. bis III. und VI. 223

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hensweise zur Ermittlung des Föderativgehalts von Art. 79 Abs. 3 GG nicht um den Rekurs „auf die (zumeist) ungeschriebenen Sinn- und Formprinzipien, die den Regelungen zugrunde liegen“ 228, umhin. Umgekehrt aber kann jede funktionsbezogene Kernbereichsbestimmung auch nur beim konkreten Kompetenzregister ansetzen und muss stets den quantitativen Gesamtbestand der zum Betrachtungszeitpunkt eingeräumten Landesbefugnisse im Blick behalten, um beurteilen zu können, ob diese dem ermittelten qualitativen Mindeststandard insgesamt noch genügen. Insoweit scheint es sich bei dem Streit um eine funktions- oder aber institutionsbezogene Ermittlung des bundesstaatlichen Verfassungskerns mehr um eine terminologische denn um eine genuin inhaltliche Auseinandersetzung zu handeln229. II. Verflechtungen mit dem demokratischen Rechtsstaat Vor diesem Hintergrund können nun funktionale Teilaspekte der bundesstaatlichen Organisation betrachtet werden, die mit Blick auf das strukturelle Verschuldungsverbot der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG von Bedeutung sein könnten. 1. Gewaltengliederung Neben ihre traditionellen Aufgaben der Wahrung regionaler Vielfalt, zugleich aber auch der Erhaltung politischer Einheit tritt als grundgesetzspezifische Funktion der Bundesstaatlichkeit die Gewaltengliederung230 und -balance231. Dies kann ohne Einschleusung232 externer Wertungen unmittelbar aus der im Grundgesetz niedergelegten föderativen Funktions(zu)ordnung gefolgert werden. Denn erstens ordnet die bundesstaatliche Kompetenzordnung den Großteil der Gesetz228

Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 292. Dafür spricht auch, dass Isensee als Vertreter einer institutionellen Betrachtungsweise einerseits Hesse als exponierten Vertreter der Gegenauffassung benennt (Nachweis oben in Fn. 223), sich andererseits bei der Maßgeblichkeit des Gesamtbestands an Kompetenten aber ausdrücklich auf die in Bezug genommene Abhandlung Hesses beruft (Isensee, in: ders./Kirchhof [Hrsg.], HStR VI, § 126 Rn. 300 f.). 230 Zur Bezeichnung vertikaler Gewaltengliederung statt Gewaltenteilung Böckenförde, in: Festschrift für Schäfer, S. 182 (189); dazu für den Bundesstaat des Grundgesetzes auch Möllers, Gewaltengliederung, S. 420 ff. 231 Richtungsweisend Hesse, AöR (1973), 1 (12 ff.); ähnlich bereits ders., Der unitarische Bundesstaat, S. 27 ff.; vgl. auch Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 198 ff.; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 19; weiterhin etwa Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 IV (Lfg. 46, März 2006) Rn. 19 ff. m.w. N. in Fn. 4 zu Rn. 19; ferner Aydin, KritV 93 (2010), 29 (32); Ryczewski, Die Schuldenbremse im Grundgesetz, S. 156, 159 ff.; Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, S. 148 f. 232 Zur Kategorie des Schleusenbegriffs Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 388 mit Fn. 44. 229

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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gebungsbefugnisse dem Bund, das Gros der Verwaltungskompetenzen hingegen den Ländern zu233 – und zwar dergestalt verflochten, dass die staatliche Aufgabenwahrnehmung vielfach der Ergänzung durch ein Tätigwerden des anderen Teils bedarf (etwa beim landeseigenen Vollzug von Bundesgesetzen [Art. 84 GG Uf.], der – in der maßgeblichen GG-Urfassung enthaltenen, mittlerweile aber aufgehobenen – Rahmengesetzgebung [Art. 75 GG Uf.] oder bei der Erfüllung von Judikativaufgaben [vgl. Art. 92 GG Uf.])234. Zweitens werden die drei Staatsfunktionen (Legislative, Exekutive und Judikative) noch einmal zwischen Bund und Ländern geteilt235: Beides wirkt – primär236 – vertikal gewaltengliedernd237. Schließlich wird drittens durch den Bundesrat als Mitwirkungsorgan der Länder auf Bundesebene (Art. 50 ff. GG Uf.) zum einen die horizontale Ausdifferenzierung und Begrenzung staatlicher Macht vertieft238. Angesichts der Tatsache, dass die klassische Unterscheidung zwischen Exekutive und Legislative regelmäßig nur bedingt den realpolitischen Verhältnissen entspricht, in der Parlamentsmehrheit und Regierung in einem Lager stehen, ist diese Verschränkung von erheblicher Bedeutung239 und wird deren Relevanz durch die explizite Absicherung der zugrunde liegenden Organisationsidee – der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Bundesgesetzgebung240 – in Art. 79 Abs. 3 Var. 2 GG zum Ausdruck gebracht. Zum anderen werden über diese Beteiligung der Länderkammer an der Bundesgesetzgebung die mehr auf das Grundsätzliche und Richtungsge233 Dazu Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 28 f.; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 198 ff. 234 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 231. 235 Etwa Sˇarc ˇ evic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 195. 236 Gleichwohl kann die Einteilung in die Kategorien „vertikal“ und „horizontal“ die Gesamtproblematik nicht adäquat einfangen, sondern allenfalls für eine erste Orientierung dienlich sein: Wenn das Grundgesetz Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenzen für dasselbe Sachgebiet verschiedenen Staatskörperschaften zuweist, errichtet es dadurch nicht nur eine Aufgliederung entlang der vertikalen Achse, sondern vertieft aus einem horizontalen Blickwinkel zugleich die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive (vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof [Hrsg.], HStR VI, § 126 Rn. 198). Im Folgenden wird daher auf die Gewaltengliederung in ihrer Gesamtheit Bezug genommen. 237 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (12 ff.); vgl. im Anschluss daran außerdem Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 210; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 79 Rn. 32. 238 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 IV (Lfg. 46, März 2006) Rn. 23. 239 Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 IV (Lfg. 46, März 2006) Rn. 23. 240 Obgleich der Normtext dieses Verständnis nicht zwingend impliziert, wird die Reichweite des Art. 79 Abs. 2 Var. 2 GG einhellig auf die förmliche Gesetzgebung des Bundes reduziert und die Garantie eines Mindestbestandes eigener Landesgesetzgebungskompetenzen, je nach dogmatischer Konstruktion, entweder Art. 79 Abs. 3 Var. 1 GG oder der allgemeinen Absicherung der Bundesstaatlichkeit (dritte Variante i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) entnommen (etwa Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 23 m.w. N. in Fn. 80; zur Notwendigkeit eigener Legislativbefugnisse der Länder Isensee, in: ders./Kirchhof [Hrsg.], HStR VI, § 126 Rn. 302 f. i.V. m. 203).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

bende zielenden Aufgaben von Bundeslegislative und -exekutive241 mit denjenigen der vollziehenden Ländergewalten, deren Aufgabenzuschnitt stark administrativ geprägt ist, verknüpft. Mit seinen aus vertikaler und horizontaler Dezentralisation resultierenden freiheitsschützenden Wirkungen komplettiert der bundesstaatliche Aufbau unter verfassungssystematischen Gesichtspunkten folglich die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes242. Nach Maßgabe des gewählten funktional-systematischen Ansatzes bedeutet das: Die gewaltengliedernden Charakteristika der bundesstaatlichen Ordnung könnten nicht hinweggedacht werden, ohne dass damit eine grundlegende Modifizierung des vom Verfassungsgeber geschaffene Bundesstaatstypus’ einherginge. Damit haben die gewaltengliedernden Funktionen – aufgrund des Postulats der Beschränkung auf bloße Kerngehalte243 jedoch nur – in ihren Grundzügen Anteil an der Ewigkeitsgarantie, und das bedeutet: Wie auch immer die konkrete Ausgestaltung erfolgt, muss das Grundgesetz gemäß Art. 79 Abs. 3 GG 1. (auch) eine schwerpunktmäßige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach Funktionen244, zugleich aber 2. die Präsenz der Länder in allen drei Funktionsbereichen (Gesetzgebung, Vollzug und Rechtsprechung) und 3. die grundsätzliche Beteiligung der Länder an der Bundesgesetzgebung gewährleisten. 2. Sonstige demokratiekomplementäre Aspekte Ihre gewaltenverschränkenden, auf die Sicherung individueller Freiheit ausgerichteten Merkmale sind indes nicht die einzigen Berührungspunkte der bundesstaatlichen Ordnung zur rechtsstaatlichen Demokratie. In diesem Zusammenhang werden der Bundesstaatlichkeit darüber hinaus (unter anderem245) partizipationsfördernde246, minderheitenschützende, eine innerparteiliche und verbandsinterne 241 Mittelbar über die (in der Regel) enge Verbindung zwischen Bundestagsmehrheit und Bundesregierung. 242 Grundlegend Hesse, AöR 98 (1973), 1 (10 ff.). 243 Vgl. oben unter § 1 B. 244 Ob darüber hinaus speziell die administrative Dominanz der Länder geschützt ist, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen (bejahend Isensee, in: ders./Kirchhof [Hrsg.], HStR VI, § 126 Rn. 303). 245 Eingehend zu diesen und weiteren demokratiekomplementären Wirkungen bundesstaatlicher Ordnung Hesse, Der unitarische Bundeststaat, S. 26 ff. 246 Kritisch Möllers, Gewaltengliederung, S. 420 ff., der bestreitet, dass allein die Doppelung von Repräsentationseinheiten ein Mehr an Mitwirkungsmöglichkeiten schafft; vgl. demgegenüber Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 IV (Lfg. 46, März 2006) Rn. 24 f.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Dezentralisation begünstigende sowie die politische Meinungsbildung fördernde Effekte attestiert247. Ob aber diesen relativ vagen und daher im Vergleich zum umfassenden Organisationsgrundsatz der Gewaltengliederung (in verfassungsnormativer Hinsicht) wenig handfesten „Hilfsdiensten“ dennoch eine ähnlich essentielle Bedeutung für die bundesstaatliche Ordnung als solche beigemessen werden kann248, ist fraglich. Die Beantwortung der entsprechenden Frage kann im Rahmen des hiesigen Untersuchungszusammenhangs jedoch dahinstehen. Denn die Betrachtung der angeführten Bundesstaatsmerkmale lässt jedenfalls keine relevanten bzw. – in Bezug auf die im Folgenden durchzuführende Analyse der gewaltengliedernden und freiheitssichernden Funktionselemente – zusätzlichen Erkenntnisse erwarten. 3. Schlussfolgerung in Bezug auf etwaige Länderfinanzgarantien des Art. 79 Abs. 3 GG Die Länder (bzw. ihre jeweils zuständigen Organe) können den Großteil der geschilderten Komplementärfunktionen – insbesondere die vertikal gewaltenbalancierende – nur unter der Voraussetzung wirksam wahrnehmen, dass ihre Kompetenzregister neben den rein administrativen auch ein Minimum an politischgestalterischen Befugnissen bereithalten. Denn diese politischen Funktionen sind es, kraft derer die Länder sich von den Verbänden der Selbstverwaltung abheben249. Somit müsste über die oben herausgearbeiteten Positionen250 hinaus auch dieser Mindestbestand an gestalterischen Kompetenzen als notwendige Voraussetzung des (vertikal) gewaltengliedernden Bundesstaats von Art. 79 Abs. 3 GG umfasst sein. Führt man den Gedankengang konsequent zu Ende, so gilt aber auch: Die Länder können Kompetenzen, die ihnen politisch bedeutsames Handeln ermöglichen sollen, effektiv nur unter der gleichzeitigen Gewähr einer entsprechenden Finanzposition ausfüllen251. Im Hinblick auf das strukturelle Verschuldungsverbot der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. 134d Abs. 1 Sätze 1–4, Abs. 2, 3 GG kann somit eine erste Arbeitshypothese aufgestellt werden: Die Föderativklausel müsste weiterhin auch eine in diesem Sinn aufgabenadäquate252 247 Zum Ganzen Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 29 ff.; ders., AöR 98 (1973), 1 (13 ff., 45); ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 223 ff. 248 Für Hesse gehören auch diese Aspekte zum Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG (etwa AöR 98 [1973], 1 [45]). 249 Vgl. nur Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 299 mit Fn. 840 unter Verweis auf Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. 93, 95. 250 Vgl. unter 1. 251 Dazu Aydin, KritV 93 (2010), 29 (36). 252 Im Zusammenhang mit Ausführungen zur Länderfinanzausstattung werden im Folgenden die Begriffe (aufgaben-)adäquat, aufgabengerecht, hin- bzw. zureichend und angemessen synonym verwendet.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Finanzausstattung garantieren. Ob diese Behauptung (bzw. deren Garantiegehalt) erstens im Bezug auf die Bemessung der Finanzausstattung noch erweitert werden muss, zweitens anhand der Architektur des Grundgesetzes belegt werden kann, und, falls ja, welche konkreten Schlussfolgerungen daraus drittens mit Blick auf eine gegebenenfalls in Art. 79 Abs. 3 GG verankerte föderative Finanzgarantie zu ziehen sind, wird noch zu erörtern sein. Zuvor muss aber die grundsätzliche Betrachtung des systematischen Zusammenspiels der Bundesstaatlichkeit mit den übrigen Strukturprinzipien abgeschlossen werden. III. Verflechtungen mit dem Sozialstaat Schließlich unterscheidet sich die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes – insbesondere gegenüber ihren Vorgängerinnen von 1871 und 1919 – durch ihre wechselseitige Verknüpfung mit dem Sozialstaatsprinzip253. Eine diesbezügliche Analyse lässt Erkenntnisse in Bezug auf die hiesige Fragestellung erwarten. Denn eine Inaugenscheinnahme der konkreten Verknüpfung von Sozial- und Bundesstaatlichkeit dürfte (1) Rückschlüsse darauf zulassen, ob die föderative Ordnung des Grundgesetzes auf einer Skala vom Staatenbund zum Einheitsstaat tendenziell näher bei Letzterem einzuordnen ist254, oder ob nicht umgekehrt das gegenpolige Teilelement regionaler Vielfalt verhältnismäßig stark zutage tritt. Eine fundierte Antwort auf die allgemeine Autonomiefrage ist hier insofern von Bedeutung, als dass sie (2) den dogmatischen Rahmen für die Erörterung von Existenz und gegebenenfalls Beschaffenheit einer durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierten Eigenständigkeit speziell in Finanzsachen aufspannt – an der wiederum möglicherweise eine Kreditautonomie der Landesparlamente teilhaben könnte. Eine Betrachtung des sozial-föderativen Beziehungsgeflechts lässt bezüglich der budgetären Eigenständigkeit der Bundesglieder aber darüber hin253 In diesem Zusammenhang kommt es auch nicht darauf an, ob die bzw. Teile der Sozialstaatlichkeit per se Art. 79 Abs. 3 GG unterfällt bzw. unterfallen (was nach zutreffender Auffassung zu bejahen ist, vgl. statt vieler Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG II. Art. 79 Abs. 3 Rn. 45; a. A. wohl Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR II, § 29 Rn. 54, dort Fn. 294). Denn hier geht es allein um die grundsätztliche Charakterisierung der Bundesstaatlichkeit im Verfassungsgefüge: Sollte diese in einer für sie prägenden Wechselwirkung mit sozialstaatlichen Funktionen stehen, so wären diese Typusmerkmale zum revisionsfesten föderativen Verfassungskern zu zählen. Dann aber müssten konsequenterweise die konkreten sozialstaatlichen Anknüpfungspunkte Art. 79 Abs. 3 GG insoweit – zumindest über die Föderativkomponente – zugerechnet werden: Betrachtet man die theoretische Konstellation, in der die Sozialstaatlichkeit komplett aus der Bundesverfassung gestrichen würde, so hieße dies zugleich, dass den entsprechenden bundesstaatlichen Substanzmerkmalen der sinnstiftende Bezug entzogen würde: Dies aber käme einer – mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbaren – inhaltlichen Totalaushöhlung der betroffenen föderativen Typuserkmale gleich. Vgl. hierzu bereits oben unter § 1 C. II. 2. 254 So Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (90).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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aus (3) auch unmittelbaren Aufschluss erwarten. Denn die Realisierung sozialstaatlicher Postulate bedingt in aller Regel den Einsatz beträchtlicher Finanzmittel. Sollte sich vor diesem Hintergrund zeigen, dass in der originären Bundesverfassung eine nicht unerhebliche Belastung der Länderhaushalte infolge einer Übertragung der Finanzierungsverantwortung für bundesrechtlich vorgegebene Sozialaufgaben angelegt war, würde dies – bei Zugrundelegung einer Konsistenzvermutung bezüglich der Gesamtheit der ursprünglichen Verfassungsnormen – bedeuten, dass der Verfassungsgeber selbst von einer umfangreichen Determination der Länderhaushalte und damit zugleich einer in materieller Hinsicht allenfalls relativen Haushaltsautonomie der Landesparlamente ausging. Dies jedoch würde mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG zumindest gegen eine umfassende Gewährleistung der Landeshaushaltsautonomie sprechen. Sollte die föderale Ordnung des Grundgesetzes (auch) durch eine kostenintensive Länderbeteiligung an der Erfüllung gesamtstaatlicher (Sozial-)Aufgaben typisiert werden können, so müsste (4) an der bundesstaatlichen Verfassungssubstanz konsequenterweise auch das Postulat einer verfassungskräftigen Absicherung der dazu erforderlichen Finanzmittel teilhaben. Zwischen den angesprochenen allgemeinen und spezifischen Fragestellungen kann zwar grundsätzlich unterschieden werden. Gleichwohl stehen sie, wie sich sogleich zeigen wird, inhaltlich in einem engen Wechselwirkungsverhältnis zueinander. Daher erscheint es sinnvoll, den gesamten Problemkomplex zusammenhängend zu betrachten. 1. Sozial-föderative Homogenität oder Vielfalt? Die funktionale Verflechtung von Bundes- und Sozialstaatlichkeit wird in der verfassungsrechtlichen Literatur255 unterschiedlich charakterisiert. Einer Auffassung zufolge fordert der Sozialstaat eine gewisse Gleichmäßigkeit im Hinblick auf die Erfüllung zentraler Staatsaufgaben ein, was wiederum ein gestiegenes gesamtstaatliches Lenkungs- und Verteilungsbedürfnis nach sich ziehe. Der Kreis der Aufgaben, die ihrer Natur nach am besten im einzelnen Landesbereich erfüllt werden könnten, sei eng zusammengeschmolzen. Der Sozialstaat verlange daher „gebieterisch eine weitgehende sachliche Unitarisierung“ 256. Dem wurde im Schrifttum entgegengehalten, der sozialstaatliche Unitarismus könne sich jedenfalls nicht auf die grundgesetzliche Verfassungsordnung berufen, im Gegenteil: Er habe sich – praeter constitutionem – ohne Rücksicht auf Letztere herausgebildet. Denn das Sozialstaatsprinzip nehme Bund und Länder über Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG gleichermaßen in die Pflicht, und gerade diese ge255

Grundlegend abermals Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 13, 32. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 13; ähnlich ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 220 ff. 256

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

meinsame Verantwortung für die Verwirklichung des sozialen Staatszieles rechtfertige eine Dezentralisation der sozialen Dienste257. Dass sich in der Verfassungspraxis bei den Länderkompetenzen eine generelle Verlagerung zugunsten der Mitwirkung bei der Erfüllung weitgehend von Bundesgesetzgeber vorgegebener Lenkungsaufgaben ergeben hat258, steht ebenso außer Frage wie der Umstand, dass ein Großteil dieser Entwicklung auf die Sozialgesetzgebung des Bundes zurückzuführen ist259. Ausweislich der geschilderten Positionen ist allein umstritten, inwieweit sich der Prozess abstrakt von der oder sogar gegen die Bundesverfassung vollzogen hat. Nach Maßgabe der erarbeiteten methodischen Leitlinien260 können diese Fragen zuverlässig nur auf der Grundlage einer diesbezüglichen Analyse der ursprünglichen Kompetenzordnung des Grundgesetzes beantwortet werden – welche die Verfechter beider Positionen indes weitgehend schuldig bleiben. a) Perspektive eins: Individualleistungen Infolge eines ersten Zugriffs zeigt sich zunächst, dass die sozialstaatlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes bereits in der Erstfassung des Grundgesetzes keinesfalls „relativ eng umschrieben“ 261 waren. Denn bereits das Register konkurrierender Befugnisse in Art. 74 GG Uf. enthielt mit den Nummern 6 (Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen), 9 (Kriegsschäden und Wiedergutmachung), 10 (Versorgung der Kriegsbeschädigten u. a.) sowie insbesondere den Nummern 12 (Arbeitsrecht und Sozialversicherung) und 7 (öffentliche Fürsorge) äußerst weitreichende Sozialkompetenzen, von denen die letztgenannte, generalklauselartige Formel der bestrittenen Globalkompetenz des Bundes für die soziale Sicherheit262 durchaus nahe kommt bzw. ihm diesbezüglich jedenfalls einen ziemlich großen Wirkbereich eröffnet. Sicherlich – auch Art. 72 Abs. 2 GG Uf. enthielt bereits eine Kompetenzausübungsregel, nach welcher der Bund das Gesetzgebungsrecht im Bereich der konkurrierenden Materien nur hatte, „soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 257 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 270 f.; vgl. auch Köttgen, Der soziale Bundesstaat, in: Achinger/Ohl (Hrsg.), Festgabe für Hans Muthesius, S. 19 (44). 258 Etwa Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 55 ff.; zum Ganzen auch Meyer, Die Föderalismusreform 2006, S. 73 ff. 259 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 270. 260 Oben unter § 1 B. 261 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 270. 262 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 270.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert“.

Indem er jedoch erstens die Kompetenzwahrnehmung durch den Bund an das Bestehen eines höchst subjektiven und folglich weitgehend injustitiablen263 Bedürfnisses nach bundesgesetzlicher Regelung knüpfte264, hat der Verfassungsgeber die Zugriffshürde denkbar niedrig gelegt. Und dies kann gerade mit Blick auf Art. 74 Nr. 6, 9, 10 GG Uf., die mit der sozialen Bewältigung der Kriegsfolgen die zentrale gesamtstaatliche Herauforderung der frühen Bundesrepublik ansprechen, auch nicht verwundern: Angesichts der Mammutaufgabe einer möglichst schnellen und gleichzeitigen, zugleich aber auch wirksamen und gleichmäßigen Versorgung von Flüchtlingen, Vertriebenen sowie von Kriegsbeschädigten, -gefangenen und -hinterbliebenen, die (weit überwiegend) ohne koordinierende Lenkung nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre, dürfte es unmittelbar einleuchten, dass der Bund – zumal ihm mit Art. 120 GG Uf. auch die Finanzierungsverantwortung für die Kriegsfolgelasten zugewiesen wurde – nötigenfalls schnellen und umfassenden Zugriff auf diese Kompetenzen haben musste. Vor diesem Hintergrund kann dem Verfassungsgeber daher mit Blick auf das geringe Restriktionsvermögen von Art. 72 Abs. 2 GG Uf. gewiss kein unbeabsichtigter handwerklicher Fehler unterstellt werden. Und dies gilt auch bezüglich der übrigen Titel des Art. 74 GG Uf. Denn in Anbetracht der geschilderten Problemstellung wäre es ein Leichtes gewesen, die niedrige Kompetenzhürde nur im Hinblick auf die Kriegsfolge-Materien zu statuieren und im Übrigen die Erfüllung härterer Kriterien einzufordern. Zweitens lässt ein Verständnis, dem zufolge die konkurrierenden Zuständigkeiten dem Bund unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG Uf. bloße Ge263 Vgl. Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 18; T. D. Würtenberger, Art. 72 II GG: Eine berechenbare Kompetenzausübungsregel?, S. 50 ff. 264 Dass der hier maßgebliche Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG Uf. bereits das (ins Zentrum der Novelle von 1994 gerückte) Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit enthielt, ändert daran wenig. In der Neufassung mag dieses Tatbestandsmerkmal der gerichtlichen Überprüfbarkeit eines Bundeszugriffs auf konkurrierende Gesetzgebungsmaterien den Weg geebnet haben, hinsichtlich der Erstfassung liegen die Dinge jedoch anders. Denn gemäß der (gewiss anfechtbaren) gedanklichen Konstruktion soll die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung dort lediglich zu dem – die Begründung des Gesetzgebungsrechts unmittelbar auslösenden – subjektiven Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung führen. Wenn aber der Normgeber den Eintritt der Rechtsfolge immediat von einem kaum überprüfbaren subjektiven Kriterium abhängig macht, obwohl er ebenso ausschließlich auf das von Rechtsprechung und Lehre leichter objektivierbare Merkmal der Erforderlichkeit hätte rekurrieren können, so muss bei konsistenter Auslegung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG Uf. die Einschätzung, ob (u. a.) die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht, ebenso weitgehend dem Bundesgesetzgeber überlassen werden.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

setzgebungsmöglichkeiten eröffnet hätten, die Regelung des Art. 125 GG Uf. außer Betracht, der Materien der konkurrierenden Gesetzgebung, die bereits reichs(Nr. 1) oder zoneneinheitlich (Nr. 2) geregelt waren, dem Bund vorbehielt, ohne dabei die Erfüllung der Art. 72 Abs. 2-Voraussetzungen einzufordern265: „Für das Sozialleistungsrecht bedeutete das im Prinzip: Das Sozialleistungsrecht war auf die Schienen der bestehenden Sozialversicherungs-, Fürsorge- und Entschädigungssysteme gestellt. Denn den Ländern waren wesentliche Reformschritte wenn nicht schon zuständigkeitsrechtlich, so doch politisch-faktisch verwehrt.“ 266, 267 Wenn somit aber weder die subjektive Formel des Art. 72 Abs. 2 (Bedürfnisklausel) noch die genetischen Rahmenbedingungen Belege für eine angeblich betont länderfreundliche Stoßrichtung dieser Norm, sondern allenfalls für deren unitarische Anlage liefern können268, und die Überführungsregeln in Art. 125 GG Uf. zudem sogar explizit in eine andere Richtung weisen, ist das interpretatorische Gesamtbild allenfalls geeignet, ein bundesfreundliches Verständnis von der konkurrierenden Gesetzgebung zu stützen. Dann aber kann der These vom Unitarismus als Wildwuchs auf dem normativen Nährboden des sozialen Bundesstaats, jedenfalls mit Blick auf die genannten Sozialmaterien, nicht gefolgt werden. Verbindet man diese Erkenntnis nun mit dem Umstand, dass bereits Art. 83 GG Uf. den Grundsatz der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder aufstellte und berücksichtigt in fiskalischer Hinsicht schließlich, dass zwar der Parlamentarische Rat darauf verzichtet hatte, allgemeine Lastentragungsregeln in das Grundgesetz aufzunehmen, gleichwohl aber die Art. 107 Satz 3269 und Art. 29 Abs. 1 Satz 2270 GG Uf. die Ausgabenlast bereits indirekt an die Aufgaben knüpften271, so kann folgendes Zwischenergebnis formuliert werden:

265 Vgl. BVerfGE 7, 18 (25); 23, 113 (122); Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 125 Rn. 2. 266 Zacher, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 28 Rn. 17. 267 Schwer nachvollziehbar ist daher die These, keine einzige der konkurrierenden Materien hätte bundesgesetzlich geregelt werden müssen (Häde, in: Konrad/Jochimsen [Hrsg.], Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 [160 ff.]). 268 Ergänzende systematische Gesichtspunkte sind nicht ersichtlich und objektiv-teleologische Überlegungen müssen in diesem Fall hintangestellt werden: Denn gerade diesbezüglich besteht ja im Hinblick auf die Frage, ob Art. 72 Abs. 2 GG Uf. die folgende Verfassungspraxis der weitgehenden Unitarisierung deckt, Uneinigkeit. 269 „Hierbei [Anm.: bei der endgültigen Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder, vgl. Satz 1] ist jedem Teil ein gesetzlicher Anspruch auf bestimmte Steuern oder Steueranteile entsprechend seinen Aufgaben einzuräumen.“ 270 „Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.“ (Hervorhebung durch Verfasser). 271 Dazu Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 104a Rn. 2.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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1. Mit Blick auf zentrale Sozialgesetzgebungstitel, durch deren Wahrnehmung die Erbringung von Geld- bzw. vergleichbaren Sach- und Dienstleistungen geregelt werden, hat sich die weitgehende Verlagerung der Legislation auf den Bund jedenfalls nicht gegen die ursprüngliche Kompetenzordnung des Grundgesetzes vollzogen, sondern war vielmehr in ihren wesentlichen Zügen vorgezeichnet. 2. Dass den Ländern die Ausführung der Bundesgesetze samt Vollzugsfinanzierung (vgl. zu den Ausnahmen den bereits erwähnten Art. 120 GG Uf.) zugewiesen wurde, bedeutet für die angesprochenen Sozialmaterien: Die Länder sind bei der Erfüllung dieser gesamtstaatlichen Aufgaben inhaltlich und fiskalisch weitgehend an die Vorgaben des Bundesgesetzgebers gebunden. 3. Insoweit mag es zwar ein Stück weit zutreffen, dass die Realität die föderativen Möglichkeiten nicht eingelöst hat272. Mit Blick auf das Soziale bestanden solche Möglichkeiten jedoch aufgrund Art. 125 GG Uf., der einen umfassenden Bundesvorbehalt für das Sozialleistungsrecht nach sich zog, ohnehin nur in beschränktem Umfang. Und auch bezüglich der nicht von Art. 125 GG Uf. umfassten konkurrierenden Sozialzuständigkeiten des Art. 74 GG Uf. hat der Verfassungsgeber die Einlösung dieser Möglichkeiten im Wesentlichen in das – aufgrund der Bedürfnisformel kaum justitiable – Ermessen des Bundesgesetzgebers gestellt. Man mag dies in der Sache ablehnen. Hiervon ausgehend lässt sich aber weder ein verfassungsgeberisches Versagen ableiten noch ex post eine länderfreundliche Retusche der ursprünglichen sozial-föderativen Kompetenzordnung vornehmen und rechtfertigen. b) Perspektive zwei: Infrastruktur- und kollektive Sozial(dienst)leistungen Dies ist jedoch nur die Vorderseite der Medaille. Denn bezüglich des (neben den Individualversorgungspositionen) zweiten Zentralkomplexes der Sozialgesetzgebung vermittelt die ursprüngliche Bundesverfassung ein differenzierteres Bild. Infolge der nur partiellen Aufnahme staatlicher Infrastruktur- und kollektiver Sozial(dienst)leistungen273 in das Gesetzgebungsregister des Bundes274, ordnete die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wesentliche Materien aus diesem Regelungsbereich gemäß Art. 70 GG Uf. dem Landesgesetzgeber zu. Das hieß (bzw. heißt noch immer): Die innere Sicherheit, die unter dem Gesichts272

Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 271. Zur dogmatischen Einordnung dieser Materien unter das soziale Staatsziel vgl. etwa Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 40, 53. 274 Diesbezüglich waren die Legislativbefugnisse des Bundes auf Art. 73 Nr. 6 Var. 1, 7 (Bundeseisenbahnen, Post- und Fernmeldewesen); Art. 74 Nr. 11 Var. 3 (Energiewirtschaft), 22, 23 (Straßenverkehr i. w. S. bzw. Schienenbahnen, die nicht unter Art. 73 Nr. 6 fallen) sowie die Rahmenkompetenz des Art. 75 Nr. 4 Var. 3 (Wasserhaushalt) GG Uf. beschränkt. 273

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

punkt sozialstaatlicher Chancengleichheit 275 besonders bedeutsamen Bereiche Jugend, (auch frühkindliche) Bildung und Hochschulen sowie große Teile des gleichfalls dem sozialen Staatsziel zugeordneten Rechts der Daseinsvorsorge276 wurden dem legislativen Wirkbereich der Länder zugeteilt. Den Bestandteilen der letztgenannten Dienstekategorie kommt die Funktion der Sicherung der „infrastrukturellen Voraussetzungen einer zeitgemäßen, dem Stand der Zivilisation entsprechenden Persönlichkeitsentfaltung“ 277, mithin: der „sozialen Existenzbedingungen“ 278, zu. Wenn aber aus diesem Aufgabenkreis so essentielle Bereiche wie die Abfallwirtschaft279, die Wasserver- und Abwasserentsorgung (unbeschadet der Bundesrahmenkompetenz in Art. 75 Nr. 4 Var. 3 GG Uf.280) in den Gesetzgebungsbereich der Länder fielen bzw. (größtenteils noch) fallen, dann kann gefolgert werden: Anders als bei den Individualleistungen scheint das sozialföderative Normengefüge des Grundgesetzes den Ländern auf den Gebieten der kollektiven Sozial- und Infrastrukturdienste inhaltlich – und damit auch finanziell – weitreichende Gestaltungsspielräume zu belassen. Indes: Mit Blick auf die in Rede stehenden Inhalte könnten die Einflussnahmemöglichkeiten des Landesgesetzgebers dennoch bundesverfassungsrechtlichen Einschränkungen unterliegen – allerdings nicht aufgrund entgegenstehender Bundeskompetenzen: Die entsprechenden Sachmaterien (insbesondere die Inhalte der Daseinsvorsorge) dürften regelmäßig als „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG Uf. zu klassifizieren sein. Damit aber fallen sie zunächst in den Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und sind grundsätzlich dem Bereich der gemeindlichen Allzuständigkeit281 zuzuordnen. Wenn aber die Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen weitgehend in den eigenverantwortlich wahrzunehmenden Aufgabenbereich der Gemeinden/Gemeindeverbände fällt, so legt dies mit Blick auf die Erstfassung des Grundgesetzes eine (wenn auch aufgrund der Gesetzesvorbehalte in Art. 28 Abs. 1 Sätze 1, 2 GG Uf. nicht substantielle) Einschränkung des diesbezüglichen landesgesetzgeberischen Gestaltungsspielraums nahe. 275 Dazu Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 VIII (Lfg. 18, 1980) Rn. 37 ff.; Kittner, in: Wassermann (Hrsg.), AK-GG I, 2. Aufl., Art. 20 Abs. 1–3 IV Rn. 33; Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 40. 276 Zu dieser (auch) sozialstaatlichen Thematik Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 55; Zacher, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 28 Rn. 64 ff. 277 Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 55. 278 Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 55. 279 Heute Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 Var. 1 GG. 280 Im Zuge der Abschaffung der Rahmengesetzgebung im Rahmen der Föderalismusreform I in Art. 74 Abs. 1 GG eingegliedert (Nr. 32). 281 Vgl. hierzu etwa Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1041 f.); Schoch, Jura 2001, 121 (124).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Wollte man diese These vertreten, würde sie jedoch einer eingehenden verfassungsrechtlichen Betrachtung nicht standhalten. Zwar ließe sie sich nicht alleine durch den (zutreffenden) Hinweis entkräften, dass die Kommunen organisationsrechtlich bereits in der Erstfassung des Grundgesetzes der Landesebene zugeordnet waren. Letzteres ergibt sich (1) aus der systematischen Stellung/Einordnung der Art. 28 Abs. 1 Sätze 2, 3; Abs. 2 GG Uf. (a) innerhalb des Art. 28 GG Uf. und (b) im II. Abschnitt („Der Bund und die Länder“), jeweils (c) in Verbindung damit, dass die Grundgesetz-Erstfassung ansonsten keine positiven organisationsrechtlichen Aussagen über die Kommunalverfassung trifft, und das Kommunalrecht damit gemäß Art. 70 GG Uf. in den Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers fällt. Dieser Befund wird im Rahmen von Regelungen (2) zur Steuerertragsverteilung (Art. 106 Abs. 2; Abs. 3 i.V. m. Abs. 2 GG Uf.) sowie (3) zur Finanzverwaltung (Art. 108 Abs. 3 Satz 4 GG Uf.) verifiziert. Dies ändert aber nichts daran, dass das Grundgesetz die Gemeinden/Gemeindeverbände im zweigliederigen Bundesstaat als „dritte Ebene“ neben Bund und Ländern anerkennt282. Nimmt man nun hinzu, dass das Kommunalrecht, wie oben dargelegt wurde, bereits gemäß Art. 70 GG Uf. Ländersache war, wird deutlich, dass die subjektive Rechtsstellungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG Uf. zur Durchsetzung der kommunalen Rechtssubjekts- und Institutionsgarantie – ursprünglich283 – sogar in erster Linie als Abwehrrecht gegen Übergriffe des Landesgesetzgebers konzipiert wurde. Und: Art. 28 Abs. 2 GG Uf. – und mit dieser Norm: das Leitbild eigenverantwortlich handelnder Kommunen – zählt/zählen, aufgrund der staatsrechtlichen Zuordnung der Kommunen zu den Ländern, zu den normativen Konkretisierungen der bundesstaatlichen Ordnung in der Grundgesetz-Erstfassung, deren Gesamtschau in die fallbezogene Präzisierung der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG einzubeziehen ist284. Allerdings muss im Fall des Art. 28 Abs. 2 GG Uf. beachtet werden, dass die kommunale (Selbst-)Verwaltungsebene selbst nicht den Schutz der Ewigkeitsklausel genießt285. Daraus ergibt sich in dogmatischer 282 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 65. 283 Dass die Bundesverfassung keinen direkten Zugriff des Bundes (sondern nur der Länder) auf die kommunale Ebene kennt, hat den Bundesgesetzgeber in der Verfassungspraxis jedoch nicht daran gehindert, den Kommunen über oftmals zweifelhaft begründete Annexkompetenzen direkt kostenträchtige Aufgaben zuzuweisen [dazu Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 95 ff., 115 ff.; dies., Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, S. 60 ff. Dieser aufgrund fehlender Lastentragungsregeln im Bund-Gemeinden-/Gemeindeverbände-Verhältnis für die Kommunalfinanzen verheerende Praxis wurde durch die Statuierung eines entsprechenden Durchgriffsverbots im Rahmen der Föderalismusreform I ein Riegel vorgeschoben (dazu Meyer, Die Föderalismusreform 2006, S. 123 ff.). 284 Hierzu oben unter § 1 B. 285 Vgl. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 37; davon ging zutreffenderweise auch der Revisionsgesetzgeber des Jahres 1956 im Rahmen der Neufassung des

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Hinsicht: Aus dem Blickwinkel des revisionsfesten Verfassungsrechts, das nur Staatsebenen (Bund und Länder) „kennt“, müssen die in Art. 28 Abs. 2 GG Uf. zuerkannten kommunalen Regelungsbefugnisse uneingeschränkt als Gestaltungskompetenzen der Gliedstaaten behandelt werden. Und daraus wiederum folgt, dass die in Art. 28 Abs. 2 GG Uf. niedergelegten gemeindlichen Befugnisse im Rahmen der hinsichtlich Art. 79 Abs. 3 GG gebotenen Gesamtbetrachtung des einfachverfassungsrechtlichen Bundesstaatsrechts uneingeschränkt als Länderbefugnisse zu veranschlagen sind. Fazit: Auch im Hinblick auf kollektive Infrastruktur-/Sozial(dienst)leistungen ergibt sich aus dem Zusammenspiel von föderativen und sozialstaatlichen Vorschriften der Grundgesetz-Erstfassung, dass den Ländern erstens in inhaltlicher und damit zweitens auch in finanzieller Hinsicht zunächst (!) eine weitreichende Einschätzungsprärogative eingeräumt wurde. Im Hinblick auf den zweiten sozialstaatlichen Aufgabenkomplex war eine Unitarisierung daher nicht zwingend in der föderativen Zuteilung der Sozialkompetenzen angelegt. Das bedeutet indessen nicht, dass sich die Handlungsspielräume der Länder bei der Ausgestaltung sozialer Dienste nicht noch aufgrund anderer kollidierender Verfassungswertungen verengen könnten286. 2. Ergebnis zu III. und Schlussfolgerungen in Bezug auf etwaige Länderfinanzgarantien des Art. 79 Abs. 3 GG Nach alldem ist der soziale Bundesstaat des Grundgesetzes weder ein rein unitarischer noch einer, der betont auf föderale Vielfalt setzen würde. Denn zum einen war eine bundeseinheitliche Regelung im Prinzip für alle Sozialversicherungs-, Fürsorge- und Entschädigungssysteme vorgezeichnet und wurden dem Bund auch Gesetzgebungskompetenzen für zentrale Infrastruktur- und Daseinsvorsorgematerien zugeteilt. Daraus lässt sich zwar nach dem Topos der Gewaltenbalance eine im Grundsatz unitarische Prägung als zweites typusbestimmendes Merkmal der bundesstaatlichen Ordnung ausmachen. Zum anderen verbleibt den Länderparlamenten aber, ganz im Sinn der gewaltengliedernden Wirkung, gerade auf den letztgenannten Sachgebieten zunächst ein nicht unerheblicher Spielraum zur eigenständigen Politik- und Budgetgestaltung. Insgesamt kann für den föderativen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG mit Blick auf die Finanzangelegenheiten der Länder festgehalten werden:

Art. 106 Abs. 6 (Änderungsgesetz vom 24. Dezember 1956, BGBl. I, S. 1077) aus: Dessen Satz 2, der im hier Wesentlichen auch heute noch in Satz 3 fortbesteht, wies das (gemäß Satz 1) den Gemeinden zustehende Aufkommen der Realsteuern für den Fall, dass in einem Land keine Gemeinden bestehen sollten, dem betreffenden Gliedstaat zu. 286 Vgl. dazu später unter B. I. 2. b) ff).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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1. Daraus, dass bereits in der Grundgesetz-Urfassung (a) kostenintensive Sozialmaterien dem Bundesgesetzgeber zugewiesen waren, (b) den Ländern die Ausführung der Bundesgesetze aufgegeben war sowie (c) die Ausgaben- der Aufgabenverantwortung folgte, ergibt sich, dass der Verfassungsgeber einen hohen Determinationsgrad der Länderhaushalte in Kauf genommen hat. 2. Auf dieser Grundlage kann mit Blick auf etwaige Länderfinanzgarantien aus Art. 79 Abs. 3 GG eine zweite Arbeitshypothese aufgestellt werden: Sollte eine gewisse fiskalische Eigenständigkeit der Länder revisionsfest sein, so könnte solch eine Absicherung nicht auf einen umfassenden, sondern allenfalls einen relativen Schutz materieller Budgetentscheidungen abzielen. 3. Wenn aber der Verfassungsgeber die Länder andererseits mit der Finanzierungsverantwortung für den Vollzug kostenintensiver Sozialgesetze des Bundes betraut hat, so dürfte er im Gegenzug auch von einer finanziellen Absicherung der Pflichterfüllung ausgegangen sein. Die erste Arbeitshypothese287 muss folglich um diesen Garantieaspekt erweitert werden. Und da der föderative Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG nach dem gewählten methodischen Ansatz (auch) mittels Generalisierung aus den betreffenden Charakteristika der GrundgesetzUrfassung zu bestimmen ist, kann in zwei Schritten abstrahiert werden: Die Sozialmaterien stehen zum einen stellvertretend für jegliche Landesbeteiligung an inhaltlich festgelegten Aufgaben des Gesamtstaats. Dann aber müsste sich zum anderen auch eine Finanzgarantie (über die konkrete Konstellation der Ausführung von Bundes-Sozialgesetzen hinaus) generell darauf erstrecken, die Länder in die Lage zu versetzen, der unitarischen Komponente des Bundesstaats zu jeder Zeit Geltung verschaffen zu können. 4. Da den Ländern bei einigen Sozialmaterien aber durchaus Spielraum zur eigenverantwortlichen Regelung und Finanzplanung verbleibt, lassen sich aus einem rein sozialstaatlichen Blickwinkel noch keine Argumente gegen eine Mindestgarantie inhaltlicher Landesbudgethoheit ableiten. IV. Ergebnis zu A. 1. Aus einer funktional-systematischen Betrachtung des Zusammenwirkens des Bundesstaatsprinzips mit den anderen Strukturgrundsätzen ergeben sich als typusbestimmende föderative Merkmale im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG erstens eine auf dezentralisierender Aufgabenverteilung beruhende gewaltenbalancierende Wirkung, zugleich zweitens aber auch eine mit Blick auf den Aufgabenzuschnitt im Wesentlichen fremdbestimmte Hilfsfunktion der Bundesglieder bei der Erfüllung von Aufgaben des Gesamtstaats. Beide Merkmale sind im Prinzip gegenläufig und können daher keine absolute Wirkung beanspruchen. Sie beschrän287

Vgl. oben unter II. 3.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

ken sich wechselseitig in ihrer Reichweite. Mit Blick auf konkrete Problemstellungen bedarf es somit einer beim Einzelfall ansetzenden Harmonisierung beider Leitmotive. Darauf wird im weiteren Verlauf zurückzukommen sein288. 2. Wenn Art. 79 Abs. 3 GG die vertikal gewaltengliedernde Architektur des Bundesstaates schützt, so liegt der Schluss nahe, dass die Norm auch die diesbezüglichen Wahrnehmungsvoraussetzungen garantieren muss. Zum einen muss den Ländern daher ein Minimum an Kompetenzen garantiert werden, die ihnen politisch bedeutsames Handeln ermöglichen. Und weil die Länder von diesen Befugnissen, alleine oder im Verbund, nur dann sinnvoll Gebrauch machen können, sofern ihnen diesbezüglich eine hinreichende Finanzausstattung gewährleistet wird, lautet die erste These: Die Gewähr dieser Finanzposition gehört notwendigerweise auch zum bundesstaatlichen Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG. 3. Wenn schließlich der Verfassungsgeber den Ländern die Ausführung äußerst kostenintensiver Bundesgesetze zugewiesen und obendrein die zugehörige Finanzierungsverantwortung aufgebürdet hat, folgt daraus zum einen, dass er eine erhebliche Fremddetermination der Länderhaushalte in Kauf genommen haben muss. Dann aber – so die zweite These – kann jedenfalls eine umfassende materielle Budgethoheit der Landtage nicht zu den Essentialen der bundesstaatlichen Ordnung gehören. Gleichzeitig müsste sich zum anderen aber die Gewähr einer aufgabengerechten Finanzausstattung289 auch auf die Deckung dieser gesamtstaatlich relevanten Landesfunktion beziehen.

B. Länderstaatlichkeit als Ausprägung (vornehmlich) vertikaler Gewaltengliederung In einem nächsten Schritt müssen die oben zusammengefassten Gedankengänge aufgegriffen und weiterverfolgt werden, um auf dieser Grundlage sodann erstens die aufgestellten Thesen verifizieren und zweitens gegebenenfalls Beschaffenheit und Bestandteile einer etwaigen Länderfinanzgarantie aus Art. 79 Abs. 3 GG präzisieren zu können. Vorrangiger Ansatzpunkt zur weiteren Präzisierung der Föderativgarantie ist dabei die Erkenntnis, dass die Ewigkeitsklausel die förmlichen und materiellen Mindestvoraussetzungen für die Entfaltung bundesstaatlicher Gewaltengliederung als notwendigen Annex zu diesem Typusmerkmal ebenfalls schützt: Die „Länder“ der Art. 79 Abs. 3 Var. 1, 2 GG (respektive: die Ländergesamtheit) müssen (muss) durch die Wahrnehmung der ihnen (ihr) eingeräumten Befugnisse ein Gegengewicht zur Ausübung von Bundes-Hoheitsgewalt zumindest annä288 289

Unter B. I. 2. b) ff) (2). Vgl. oben unter Punkt zwei.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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hernd erreichen können. Ob dies gelingen kann, hängt zwar zum einen sicherlich auch davon ab, ob und gegebenenfalls inwieweit die Länder formal über eigenständige (also: nicht vom Bund abgeleitete) Hoheitsmacht verfügen290. Das Wesentliche muss jedoch noch hinzutreten: Da eine Machtbalance im obigen Sinne durch die Länder nur mittels Wahrnehmung eigener Sachbefugnisse hergestellt werden kann, entscheidet letztlich die Gesamtbeschaffenheit ihrer Kompetenzausstattung über Erfolg und Intensität der Gewaltengliederung. Dabei wiederum spielen sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte eine Rolle: 1. Wenn die Länder – nach aktueller Ausgestaltung der Garantie des Art. 79 Abs. 3 Var. 2 GG – über den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung mitwirken sollen, reicht es nicht, dass diese Befugnis einen nicht unerheblichen Teil der Gesetzgebungsmaterien des Bundes umfasst. Der Bestand muss sich auch auf ein Mindestmaß solcher Problemstellungen erstrecken, deren Lösung als essentiell für das gemeinschaftliche Zusammenleben empfunden wird. Denn eine zusätzliche horizontale Gewaltenverschränkung auf Bundesebene, die lediglich politische „Randmaterien“ erreicht, bleibt im Wesentlichen wirkungslos. 2. Wenn den Ländern der Großteil der gesamtstaatlichen Administrativfunktionen zugeteilt wird, so kann von einer gewaltengliedernden Wirkung erst dann ausgegangen werden, wenn ihnen im Rahmen der Erfüllung dieser Verwaltungsaufgaben zudem jeweils ein Mindestmaß an Gestaltungsfreiheit verbleibt. Denn andernfalls wären die Länder weitgehend von Bundesweisungen abhängig. Zu bloßen Verwaltungseinheiten des Zentralstaats degradiert, könnten die Länder aber nicht vertikal gewaltenbalancierend wirken. 3. Und wird schließlich jede der drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) noch einmal zwischen Bund und Ländern geteilt, und soll damit eine zusätzliche lotrechte Gewaltengliederung erreicht werden, gilt ebenso: Nur wenn ihre Kompetenzausstattung die Länder unter dem Strich auch in die Lage versetzt, „über die Durchführung politisch vorgeformter oder weithin unpolitischer Aufgaben hinaus Entscheidungen zu treffen, die als richtungsweisend für das Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft empfunden werden und deshalb einen tiefgreifenden Prozeß demokratischer Meinungs- und Willensbildung auszulösen vermögen“ 291, liegt eine von der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG gedeckte Konkretisierung des Typusmerkmals vertikaler Gewaltengliederung vor292. Dem trägt beispielsweise die schwerpunktmäßige Zuweisung der Kultur-

290 Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 297 weist zu Recht auf den vergleichsweise untergeordneten Effekt der originären Hoheitsmacht hin; im Anschluss daran Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 403; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 125; anders etwa Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 32. 291 Bullinger, DÖV 1970, 761 (761 f.). 292 Vgl. bereits oben unter A. II. 3. und IV.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

staatskompetenzen einschließlich der eigenständigen Regelung der Schul- und Hochschulangelegenheiten an die Länder Rechnung. Der erstgenannte Gedankengang liegt der Sicherung der „grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung“ (Art. 79 Abs. 3 Var. 2 GG), die beiden folgenden Überlegungen der „Gliederung des Bundes in Länder“ (Art. 79 Abs. 3 Var. 1 GG) zugrunde. Die Länderbeteiligung an der Gesetzgebung des Bundes kann mit Blick auf die Problemstellung ausgeklammert, der ideelle Kern der Bund-Länder-Gliederung hingegen unter der Überschrift der „notwendigen Gewähr von Länderstaatlichkeit“ zusammengefasst werden. Diese dogmatische Begrifflichkeit ist jedoch für sich genommen nicht regelungsstark. Wenn aber, was hier versucht wurde, in einem vorbereitenden Schritt zunächst die verfassungssystematischen Bezüge offen gelegt werden und erst daran anschließend zur Umklammerung der daraus gezogenen Konsequenzen die Kategorie der Länderstaatlichkeit eingeführt wird, so kann nun auf einer dritten Stufe die weitergehende Präzisierung dieser Art. 79 Abs. 3-Teilgarantie im Hinblick auf die Länderfinanzen aus einem soliden Grundverständnis heraus vorgenommen werden: Da Organisation „wie überall auch im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung (. . .) nicht Selbstzweck [ist]“ 293, ist die Garantie der Gliederung des Bundes in Länder und mit ihr die Absicherung der Länderstaatlichkeit – auch – als notwendige Voraussetzung (insbesondere) der (vertikal) gewaltengliedernden Wirkung der bundesstaatlichen Ordnung zu betrachten294. Mögen dabei auch formale Aspekte eine Rolle spielen, so rücken bei der hier favorisierten funktional-systematischen Herangehensweise doch eindeutig inhaltliche Kompetenzaspekte in den Mittelpunkt. I. Materielle Voraussetzung der Länderstaatlichkeit: unentziehbarer Kern eigener Aufgaben („Hausgut“) Zwar sind die Länder Staaten nur „nach Maßgabe des Grundgesetzes“ 295 und können daher an die Staatsqualität der Bundesglieder nicht dieselben Maßstäbe angelegt werden wie an diejenige des Gesamtstaats296. Dies manifestiert sich insbesondere in den konkreten Einschränkungen, denen die Länder hinsichtlich des politischen Gestaltungsraums (vornehmlich) aufgrund der positivrechtlichen Aus293

Hesse, AöR 98 (1973), 1 (8). Hesse, AöR 98 (1973), 1 (etwa 45); zum Ganzen auch Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 402 ff., 465 f.; ders., in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 120, 125 ff. 295 So die Überschrift zum entsprechenden Inhaltsabschnitt bei Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 65 ff. 296 Thiele, NdsVBl. 2010, 89 ff. (92); ähnlich Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 11. 294

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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formungen der unitarischen Bundesstaatskomponente unterliegen297. Die bisherige Analyse hat aber auch ergeben, dass die föderative Verfassungssubstanz das Postulat der Gewähr eines Mindestmaßes an inhaltlich-gestalterischer Eigenständigkeit der Länder enthalten muss. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht das so und hat sich 1972 im Rahmen seines Urteils zur Einführung einer konkurrierenden Bundeskompetenz für die Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Länder (Art. 74a Abs. 1 GG a. F.) zumindest in Grundzügen zu den unabdingbaren materiellen Bedingungen der Landesstaatlichkeit geäußert: „Die Länder (. . .) sind nur dann Staaten, wenn ihnen ein Kern eigener Aufgaben als Hausgut unentziehbar verbleibt. Was immer im einzelnen dazugehören mag, jedenfalls muss dem Land die freie Bestimmung über seine Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat verbleiben.“ 298

Hinsichtlich der vorzunehmenden Analyse bietet sich ein eng an diesen Kriterien ausgerichtetes Vorgehen an. 1. Im Besonderen: Kreditautonomie als Essentiale der Länderstaatlichkeit? Das strukturelle Verschuldungsverbot der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Sätze 1–4 GG schränkt die Befugnis der Länder zur Nettokreditaufnahme für einen Konsolidierungszeitraum (1. Januar 2011–31. Dezember 2019, vgl. Art. 143d Abs. 1 Sätze 2, 3 GG) zunächst ein, bevor es ihnen diese Möglichkeit ab dem 1. Januar 2020 im Regelfall komplett nimmt. Sollte zum unentziehbaren Hausgut der Länder insoweit auch die freie Entscheidung über das Ob und Wie der Kreditaufnahme gehören, würde die geplante Schuldenregel den Kern der Länderstaatlichkeit und damit den föderativen Schutzbereich der Ewigkeitsklausel berühren. Im Folgenden muss daher mit Blick auf die Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Sätze 1–4 GG erörtert werden, ob, und, falls ja, inwieweit die Kreditautonomie zur Substanz der Landesstaatlichkeit gehört. a) Organisationshoheit Zunächst benennt das Bundesverfassungsgericht die Organisationshoheit als Essentiale der Landesstaatlichkeit. Deren Bestandteil wiederum könnte (umfänglich oder partiell299) die Kreditautonomie der Länder sein. Denn zur Ge297

Vgl. oben unter A. III. BVerfGE 34, 9 (19 f.) (Hervorhebungen durch Verfasser). 299 Mit Blick auf den möglichen Gewährleistungsumfang bieten sich folgende Abstufungen an: (1) formelle Haushaltsautonomie, (2) gegebenenfalls zusätzlich (a) Mindestmaß oder (b) umfängliche materielle Haushaltsautonomie. 298

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

währleistung der freien Organisation sollen auch die organisatorischen Grundentscheidungen der (im Rahmen der Verfassungsautonomie300 ausgestalteten) Landesverfassungen gehören301. Und in der Tat enthalten alle Landesverfassungen Vorschriften über die Schuldenaufnahme302, die ansonsten leer laufen würden. Daher erscheint es auf den ersten Blick durchaus nahe liegend, die Kreditautonomie diesen organisationsrechtlichen Grundentscheidungen zuzurechnen303. Diesem Gedankengang muss jedoch entgegengehalten werden, dass er diejenige Aussage, die begründet werden soll (Kreditautonomie gehört zur Organisationshoheit der Länder), bereits voraussetzt: Die These, dass den Ländern die freie Entscheidung über das Ob und Wie der Kreditaufnahme und deren verfassungsrechtliche Regelung nicht entzogen werden dürfen, kann nicht mit dem Argument belegt werden, dass es gegenwärtig entsprechende Kreditvorschriften in den Landesverfassungen gibt. Denn aus systematischen bzw. normenhierarchischen Gründen lassen sich aus der Beschreibung des landesverfassungsrechtlichen Status quo hinsichtlich der Frage, ob diese Befugnisse den Ländern zukünftig bundesverfassungsrechtlich nicht ganz oder teilweise entzogen werden könnten, zumindest keine unmittelbaren Schlüsse ziehen. Daher kommt man nicht um eine eingehende Betrachtung umhin, die auch hier wieder nach Maßgabe der einzelnen Analysekriterien aufgegliedert werden soll: Zunächst wird die Fragestellung unter terminologischen Gesichtspunkten beleuchtet (aa)), woran sich verfassungssystematische Überlegungen anschließen (bb)). In einem dritten Schritt werden die teleologischen Kernaspekte der Problematik herausgearbeitet (cc)), bevor abschließend eine ergänzende verfassungsgeschichtliche Betrachtung vorgenommen wird (dd)). aa) Terminologische Betrachtung Ausgehend vom herkömmlichen terminologischen Gehalt der verfassungsrechtlichen Kategorie freier staatlicher304 Organisation, lässt diese sich als Befugnis zur Regelung des Aufbaus, der Kompetenzen sowie des Zusammenspiels 300 Diese genießt ebenfalls den Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG; zum Ganzen Dreier, in: ders., (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 48; vgl. auch Hans Hofmann, in: SchmidtBleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 11. 301 BVerfGE 34, 9 (20). 302 Vgl. Art. 84 BWVerf., Art. 82 BayVerf., Art. 87 BerlVerf., Art. 103 BrdbgVerf., Art. 131a BremVerf., Art. 72 HambVerf., Art. 141 HessVerf., Art. 65 MPVerf., Art. 71 NdsVerf., Art. 83 NWVerf., Art. 117 RhPfVerf., Art. 108 SaarVerf., Art. 95 SächsVerf., Art. 99 SAVerf., Art. 53 SHVerf., Art. 98 Abs. 2, 3 ThürVerf. 303 H.-P. Schneider, Schuldenregelungen des Bundes für die Haushaltswirtschaft der Länder – Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, FöKoDrs. 134, S. 29. 304 Davon zu unterscheiden ist die gemeindliche Organisationshoheit, in der aber mit Blick auf Art. 28 GG (und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften) auch ein staatsrechtlicher Begriff zu erblicken ist.

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der verfassungs- und unterverfassungsmäßigen Organe umschreiben305. Weiterhin kann zwischen verfassungs- und unterverfassungsrechtlichen Organisationsbestimmungen unterschieden werden. Die Organisationshoheit als Ganzes wird vom Zweiten Senat als „freie Bestimmung über [die] Organisation“, der hier relevante verfassungsrechtliche Teilbereich als „in der Landesverfassung enthaltene organisatorische Grundentscheidungen“ tituliert. Damit wird zunächst das Staatsorganisationsrecht306 angesprochen. Dass weiterhin mit den „Grundentscheidungen“ nicht die Totalität möglicher organisatorischer Wertungen gemeint sein kann, die einer verfassungsrechtlichen Regelung prinzipiell zugänglich sind, legen nicht nur grammatikalische Erwägungen nahe. Denn bedenkt man, dass (1) Referenz für die Konkretisierung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsessenz die positivrechtliche Ausgestaltung des einschlägigen Strukturprinzips in der Grundgesetz-Erstfassung ist, (2) das dort bereits enthaltene Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG eine der maßgeblichen verfassungsnormativen Konkretisierungen der Bundesstaatlichkeit war (bzw. ist), und diese Norm (3) den verfassungsgebenden und -ändernden Landesgesetzgeben gewisse Grenzen setzt, so bedeutet das: Unabhängig davon, ob die Schranken des Art. 28 GG Uf. im Konkreten eine Rolle spielen oder nicht307, kann die (Bundes-)Verfassungssubstanz jedenfalls keine uneingeschränkte staatsorganisationsrechtliche Autonomie der Länder beinhalten. Dann aber muss der vom Zweiten Senat verwendete Begriff der „Grundentscheidungen“ eine den Bereich freier Landesorganisation restringierende Wirkung entfalten: Zum Hausgut der Länder zählt also nur ein gewisser Kernbereich verfassungsrechtlich normierbarer Organisationsentscheidungen. Demzufolge muss in einem ersten Schritt erörtert werden, ob die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften über die Modalitäten der Schuldenaufnahme überhaupt dem Staatsorganisationsrecht der Länder zugerechnet werden können. Dazu müssten die Verschuldungsregeln nach dem einschlägigen Teil der obigen Begriffsbestimmung Befugnisse eines Verfassungsorgans normieren. Die Kreditvorschriften einer Landesverfassung regeln Art und Umfang der Entscheidungsbefugnisse des gesetzgebenden Verfassungsorgans – des Landesparlaments – im Bezug auf die Staatsverschuldung. So gewährte beispielsweise Art. 141 der HessVerf. a. F. dem Landtag (noch308) das prinzipielle Recht zur Kreditaufnahme (Satz 2: „Beschaffung (. . .) nur durch förmliches Gesetz (. . .).“) (Art), grenzt die 305 Speziell zur freien Landesorganisation Hesse, AöR 98 (1973), 1 (17 f.); vgl. auch H.-J. Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HVerfR, § 22 Rn. 28; Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, S. 408 mit Fn. 76. 306 Zur allgemeinen Begriffsbestimmung statt vieler J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 17 ff. 307 Dazu sogleich unter bb) (2) (a). 308 Mittlerweile wurde Art. 141 HessVerf. durch das Gesetz vom 29. April 2011 (HessGVBl. I, S. 182) novelliert und dort eine Schuldenregel verankert, die im Wesentlichen mit der hier diskutierten grundgesetzlichen Vorschrift übereinstimmt.

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Reichweite dieser Befugnis (Umfang) jedoch gleichzeitig ein, indem er klarstellt, dass „Geldmittel [im Wege des Kredits] nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden [dürfen]“ (Satz 1). Eine terminologische Beurteilung spricht somit dafür, die Kreditbestimmungen einer Landesverfassung zum Staatsorganisationsrecht des jeweiligen Landes zu zählen. Dieser Befund deckt sich auch mit der herkömmlichen begrifflichen Aufgliederung im Staatsrecht, der zufolge das Staatsorganisationsrecht309 das gesamte Staatsrecht mit Ausnahme des Grundrechtsteils umfassen soll310 – also auch die Finanzverfassung samt Staatsschuldenrecht. Da zudem festgestellt wurde, dass nicht die Gesamtheit der verfassungsgesetzlich normierbaren organisatorischen Entscheidungen zum unentziehbaren Hausgut der Länder zählen kann, muss in einem zweiten Schritt geklärt werden, ob das Staatsschuldenrecht zu den „Grundentscheidungen“, mithin zum Kernbereich der Staatsorganisation zählt. Dies jedoch kann nicht mehr unter ausschließlicher Beachtung terminologischer Gesichtspunkte beurteilt werden: Welche Materien zu den landesspezifischen Eckpfeilern des Staatsorganisationsrechts gehören, kann nur unter zusätzlicher Beachtung der relevanten verfassungssystematischen, zweckbezogenen und gegebenenfalls verfassungsgeschichtlichen Aspekte der Problemstellung beurteilt werden. Der Erkenntniswert einer rein begrifflichen Betrachtung ist daher relativ gering und erschöpft sich in der Erkenntnis, dass das Staatschuldenrecht prinzipiell den Materien staatsrechtlicher Organisation zugerechnet werden kann. bb) Verfassungssystematische Betrachtung Der obige Befund kann folglich bloß einen sehr allgemeinen staatsrechtlichen Rahmen für die weitere Untersuchung bieten. Im Rahmen der Beantwortung der Fragen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Kreditautonomie nach deutschem Staatsrecht zum unentziehbaren Kernbereich verfassungsrechtlicher Staatsorganisation auf Landesebene zählt, könnten indes systematische Überlegungen weiterhelfen. Auf einer ersten Stufe sollen daher Erwägungen aus einem landesverfassungsrechtlichen Blickwinkel angestellt werden ((1)), bevor mit Blick auf die Fragestellung das Grundgesetz betrachtet wird ((2)). (1) Landesverfassungen Wie oben aufgezeigt wurde, ist es aus systematischen und normenhierarchischen Gründen unzulässig, von der inhaltlichen Ausgestaltung von Landesverfas309 Mit Blick auf das grundsätzliche Sujet dieser Teildisziplin besteht kein Unterschied zwischen Bundes- und Landesrecht und kann daher auf solche Begriffsbestimmungen, die im Rahmen einer bundesrechtlichen Betrachtung vorgenommen werden, zurückgegriffen werden. 310 J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 17.

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sungen unmittelbar auf den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG zu schließen. Wenn aber der Zweite Senat vor diesem Hintergrund ausführt, dass einem Land die Entscheidungshoheit auch über die „in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen (. . .) verbleiben“ müsse, dann ist dieser Passus zumindest missverständlich formuliert. Denn sollte das Gericht tatsächlich direkte Schlussfolgerungen aus den landesverfassungsrechtlichen Organisationsnormen auf die durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherte Staatlichkeitssubstanz des zugehörigen Gliedstaates für zulässig erachtet haben, so müsste darin nach dem Gesagten ein grober systematischer Fehler erblickt werden. Weil aber den damaligen Mitgliedern des Zweiten Senats ein zutreffendes Verständnis der in Rede stehenden normenhierarchischen Zusammenhänge gewiss unterstellt werden muss, kann die obige Textpassage – soweit ersichtlich – nur dahingehend gedeutet werden, dass das Gericht den seinerzeit (26. Juli 1972311) in den Landesverfassungen verankerten (und länderübergreifend im Wesentlichen vergleichbaren) organisationsrechtlichen Vorschriften insoweit eine mittelbare Indizwirkung bezüglich des durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierten Länderhausguts beigemessen hat. Dies kann zwar immer noch keine direkte systematische Einwirkung von Landes- auf Bundesverfassungsrecht begründen. Jedoch lässt eine Analyse des Organisationsrechts der damaligen Landesverfassungen zumindest Aufschluss darüber erwarten, wie der Zweite Senat die Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG seinerzeit (insoweit) verstanden wissen wollte. Dabei fällt zunächst auf, dass seinerzeit bereits alle Landesverfassungen Bestimmungen über die Kreditaufnahme beinhalteten312. Weiterhin scheint im Hinblick auf die relevante Frage, ob diese Schuldenregeln zu den Grundentscheidungen landesverfassungsrechtlicher Organisation zu zählen sind, folgende Prämisse einzuleuchten: Mit Blick auf ein bestimmtes Organ dürften regelmäßig nur solche Vorschriften der organisationsrechtlichen Substanz zuzurechnen sein, die der Verfassungsgeber systematisch in den Regelungsabschnitt über das betreffende Verfassungsorgan eingeordnet hat. Für Organisationsentscheidungen hingegen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, liegt der Schluss zumindest nahe, dass sie nach den Einschätzungen der Landesverfassungsgeber bzw. -revisoren313 bis zum 26. Juli 1972 – denen das Bundesverfassungsgericht ja mit Blick auf das orga311 Auf diesen Tag datiert das in Rede stehende Urteil des Senats zur Vereinheitlichung der Beamtenbesoldung (BVerfGE 34, 9 ff.). 312 Art. 80 Abs. 2 BWVerf., Art. 82 BayVerf., Art. 75 Abs. 2 BerlVerf. (1950), Art. 131 Nr. 4 BremVerf., Art. 72 Abs. 1 HambVerf., Art. 141 HessVerf., Art. 54 VorlNdsVerf. (1951), Art. 83 NWVerf., Art. 117 i.V. m. Art. 116 Abs. 5 RhPfVerf., Art. 111 SaarlVerf., Art. 46 i.V. m. Art. 44 Abs. 2 SHLandesS. 313 Teilweise wurden die ursprünglichen Kreditegeln der Landesverfassungen infolge der Großen Finanzreform 1969 nach dem Vorbild des damals neu gefassten Art. 115 GG umgestaltet, vgl. etwa den (heute noch in Kraft stehenden) Art. 83 NWVerf. in der Fassung, die er durch das Novellierungsgesetz vom 14. Dezember 1971 (GV. NW., S. 993) erhielt.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

nisatorische Hausgut eines Landes entscheidende Indizwirkung beizumessen scheint – nicht zu den absolut wesentlichen zählten. In diesem Zusammenhang kann indes auf eine detaillierte Untersuchung der Schuldenregime jeder einzelnen der damaligen Landesverfassungen verzichtet werden. Denn mit Blick auf die systematische Einordnung der Kreditvorschriften sind insgesamt zwei Ordnungskonzepte auszumachen, wobei die systematische Eingliederung bei neun der seinerzeit elf Landesverfassungen übereinstimmt. Wenn zudem das Bundesverfassungsgericht im besagten Urteil sehr allgemein auf die „in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen“ verweist, so kann ein diesbezüglicher Präzisierungsversuch ohnehin nur auf Grundlage eines pauschalierenden Gesamtbildes von den betreffenden landesverfassungsrechtlichen Regelungsständen vorgenommen werden – und hier hebt sich, wie bereits erwähnt wurde, eine Ordnungsidee deutlich hervor. Da seinerzeit auch die Hessische Landesverfassung der mehrheitlich favorisierten Konzeption folgte, kann anhand der dortigen Regelungssituation zum 26. Juli 1972 eine Gesamtschau der verfassungsstrukturellen Zuordnung der Landeskreditregeln vorgenommen werden: Der Hessische Landtag wird im Zweiten Hauptteil über den Aufbau des Landes und dort im IV. Abschnitt in den Art. 75– 99 HessVerf. konstituiert. Regelungen zum Staatshaushalt im Allgemeinen und zur Kreditaufnahme im Speziellen sucht man dort aber vergebens. Denn diese wurden in einem eigenen – dem X. – Abschnitt des Zweiten Hauptteils niedergelegt (Art. 139–145 HessVerf.), die Modalitäten der Schuldenaufnahme im Besonderen im bereits erwähnten Art. 141 HessVerf. Aus diesem Befund aber mit Blick auf die – grundsätzlich einsichtige – obige Grundannahme die Schlussfolgerung zu ziehen, die Regelungen zum Finanzwesen (und mit ihnen die Kreditregeln) gehörten nicht zu den Kernentscheidungen des hessischen Organisationsrechts, kann trotzdem nicht verfangen. Denn im demokratischen Gemeinwesen nehmen die parlamentarischen Gestaltungs- und Überwachungsmöglichkeiten hinsichtlich des Staatshaushalts (noch immer) eine Ausnahmestellung ein. Diese außerordentliche Bedeutung leitet sich aus dem Umstand her, dass das Budgetrecht seinerzeit im Zentrum der Grundsatzgefechte zwischen Monarchie und Bürgertum stand: Im 19. Jahrhundert war die monarchische Exekutive zunehmend auf eine Einbeziehung des Bürgertums im Rahmen der konstitutionellen Struktur angewiesen, um die Staatsschuld zu fundieren und Steuern erheben zu können. In diesem Zusammenhang wurde den Volksvertretungen ein Bewilligungsrecht für Steuern und für die Schuldenaufnahme eingeräumt, aus dem sich mit der Zeit ein Budgetbewilligungsrecht und schließlich das umfassende Budgetrecht der Reichsverfassung von 1871 entwickelten314.

314 Vgl. Friauf, Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, S. 37 ff.; Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, S. 90 ff.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Auf dieser Vorlage basieren im Wesentlichen auch noch die Haushaltsregelungen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen der Gründerländer315. Dieser Umstand erfüllt den oben definierten316 Ausnahmetatbestand zu der Regel, dass die Substanz der grundgesetzlichen Bundesstaatlichkeit nicht unter unmittelbarem Rückgriff auf Vorschriften der Vorgängerverfassungen bestimmt werden kann317. Daher ist vorliegend ein Rekurs auf die Reichsverfassung von 1871 statthaft. Dort fanden sich die Budgetkompetenzen des Reichstags aber auch nicht im spezifischen Abschnitt über das Gesetzgebungsorgan wieder: Auch damals schon wurde dem Haushaltwesen – mit Blick auf dessen dargelegte Bedeutung: folgerichtig – ein eigener (XII.) Abschnitt gewidmet (Art. 69–73 RV). Die Kreditaufnahme (für das Reich) war dort in Art. 73 RV geregelt. Zwar wurden in der Weimarer Reichsverfassung die entsprechenden Vorschriften dann – mit Blick auf das parlamentarische Budgetrecht als Kernstück (Art. 87 WRV): unter systematischen Gesichtspunkten durchaus anfechtbar – dem VI. Abschnitt über die Reichsverwaltung zugeordnet. Diesem Regelungskonzept folgen die Bayerische Landesverfassung vom 2. Dezember 1946 und die Bremische Verfassung vom 21. Oktober 1947. Die Hessische Verfassung und mit ihr der Großteil der nach 1945 entstandenen Landesverfassungen sowie das Grundgesetz regelt/regeln demgegenüber die Finanzangelegenheiten wieder in einem eigenen Abschnitt318. Damit knüpfen diese Verfassungen insoweit an die Systematik der 1871er Verfassung an. Innerhalb des Normengefüges dieser Verfassung aber kann die Bedeutung des parlamentarische Haushaltsrechts (einschließlich der Schuldenregel) für die staatsrechtliche Organisation als „hart erkämpftes Kernrecht eines demokratischen Staates“ 319 gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn die umfassenden Haushaltsbefugnisse der Art. 69 ff. RV gaben dem Gesetzgebungsorgan erstmals verfassungsrechtlich verbriefte Instrumente an die Hand, die potentiell geeignet waren, die Parlamentarisierung der Reichsregierung

315 Vgl. für das Grundgesetz Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Vorb. zu Art. 104a– 115, Rn. 6. Die landesverfassungsrechtlichen Haushaltsvorschriften rezipierten (im Wesentlichen) die grundgesetzlichen Budgetregelungen entsprechend, vgl. exemplarisch Art. 81 ff. NWVerf. Uf. 316 Vgl. oben unter § 1 C. II. 3. 317 Vorliegend geht es zwar um die Bewertung eines systematischen Ordnungskonzepts einer Landesverfassung. Laut Bundesverfassungsgericht soll den organisationsrechtlichen Bestimmungen der Landesverfassungen jedoch eine Indizwirkung hinsichtlich der Bestimmung der grundgesetzlichen Föderativsubstanz zukommen. Daher greifen der besagte Grundsatz (und das Erfordernis der Erfüllung des zugehörigen Ausnahmetatbestands) auch im hiesigen Zusammenhang. 318 Für das Grundgesetz: X. Das Finanzwesen, Art. 105–115 GG Uf. (Bundeshaushalt und föderative Finanzbeziehungen), für die Landesverfassungen vgl. exemplarisch den X. Abschnitt der Hessischen Verfassung unter Art. 139 ff. 319 Wieland, Protokoll der vierten Sitzung der Föderalismuskommission II, S. 74 (im Rahmen der Beantwortung einer Frage des Regierenden Bürgermeisters Berlins Wowereit).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

zu erzwingen. Dass der Reichstag die daraus resultierenden Möglichkeiten im Wesentlichen ungenutzt gelassen hat320, ändert daran nichts. Nach alldem kann daher der Befund, dass die exemplarisch betrachtete Hessische Verfassung das Haushaltswesen samt Kreditregeln nicht im Abschnitt über die Landtage regelt, einer Zuordnung der Materie zu den Grundzügen des hessischen Staatsorganisationsrechts nicht entgegenstehen. Denn die Stellung der parlamentarischen Haushaltsbefugnisse innerhalb der Landesverfassung muss vor dem geschilderten geschichtlichen Hintergrund beurteilt werden. Die systematische Ausgliederung der Finanzverfassung dürfte daher neben sachlichen (Haushaltswesen als eigener Sachkomplex, nicht primär als Teilgebiet der Gesetzgebung) auch und gerade verfassungshistorische Hintergründe haben – die nach dem Gesagten nicht eine vermeintlich untergeordnete, sondern umgekehrt eine außerordentliche Bedeutung des Budget- und damit auch des Schuldenrechts für die Staatsorganisation indizieren. Fazit: Versucht man mit Blick auf die Indizwirkung, die das Bundesverfassungsgericht den landesverfassungsgesetzlich normierten organisatorischen Grundentscheidungen im Bezug auf die Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG beimisst, ein diesbezügliches systematisches Gesamtbild zu skizzieren, zeigt sich: Die strukturelle Einordnung der Budget- und mit ihnen der Kreditbestimmungen unter einen eigenen Abschnitt über das Haushaltswesen spricht bei gleichzeitiger Berücksichtigung der verfassungsgeschichtlichen Hintergründe eher dafür, das Staatsschuldenrecht dem Kernbereich der Staatsorganisation auf Landesebene und somit auch die Kreditautonomie zumindest prinzipiell dem Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG zuzurechnen. In Bezug auf die inhaltliche Tragweite einer möglichen Sicherung können aus der vorgenommenen strukturellen Betrachtung jedoch keine Schlussfolgerungen gezogen werden. Denn allein aus der Tatsache, dass Verschuldungsvorschriften in einem eigenen Verfassungsabschnitt über das Haushaltswesen niedergelegt worden sind, lassen sich mit Blick auf die Frage des Garantieumfangs noch keine belastbaren Aussagen treffen. (2) Bundesverfassung Mehrfach wurde bereits betont, dass bei der Präzisierung der Verfassungssubstanz im Zweifel eine Gesamtschau der originären positivrechtlichen Ausformungen des in Rede stehenden Strukturprinzips, hier: der Bundesstaatlichkeit, Aufschluss erwarten lässt. Diesbezüglich geraten zwei Anknüpfungspunkte in den Blick: Art. 28 Abs. 1 GG Uf. ((a)) und die Einzelnormen, die im Verbund die bundesstaatliche Finanzordnung ((b)) bilden. 320

Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 78.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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(a) Art. 28 Abs. 1 GG Uf. Art. 28 Abs. 1 GG Uf. postuliert ein bestimmtes Maß an Homogenität der Verfassungsstrukturen von Bund und Ländern. Die Vorschrift bekleidet eine Doppelfunktion, indem sie einerseits das Recht der Bundesglieder, sich eine eigene Verfassung zu geben, anerkennt, diesem Recht andererseits aber auch inhaltliche Schranken setzt321. Das Recht der Länder, sich eine eigene Verfassung zu geben, folgt indes direkt aus ihrer Eigenstaatlichkeit322. An diesem Punkt tritt ein plastischer Beleg für die Formel von den Ländern als „Staaten nach Maßgabe des Grundgesetzes“ zutage: Wenn Art. 28 Abs. 1 GG Uf. das Recht der Länder zur Verfassungsgebung anerkennt, gleichzeitig aber die Wahrnehmung dieses Rechts Bindungen unterwirft, dann folgt daraus (1), dass die Staatlichkeit der Länder im Hinblick auf die Verfassungsautonomie im Vergleich zu derjenigen des Bundes bereits anfänglich als „hinkende Staatlichkeit“ 323 konzipiert wurde. Und im Hinblick auf die hier relevante Föderativklausel bedeutet das (2): Geht man vom Axiom der Konformität aller originären Grundgesetz-Normen – und damit auch des (per se nicht von der Ewigkeitsklausel umfassten324) Art. 28 Abs.1 GG Uf. – mit Art. 79 Abs. 3 GG aus, so kann die Revisionsvorschrift die Staatlichkeit der Länder im Hinblick auf die freie inhaltliche Ausgestaltung ihrer Verfassungen maximal bis an die Grenzen der in Art. 28 Abs. 1 GG Uf. niedergelegten Restriktionen schützen. Und das wiederum bedeutet (3) für die hiesige Problemstellung, dass sich aus den in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. angeführten Inhalten Hinweise auf die (Un-)Vereinbarkeit von Einschränkungen des Landesrechts auf freie Organisation mit Art. 79 Abs. 3 GG ergeben könnten. In inhaltlicher Hinsicht wird jedoch schnell offenbar, dass den Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf., die auf die Sicherung lediglich eines Mindestmaßes an Verfassungsstrukturhomogenität im Bundesstaat abzielen, keine konkreten Restriktionsmöglichkeiten mit Blick auf die bundes(verfassungs)gesetzgeberische „Feinarbeit“ entnommen werden können. Die Homogenitätsklausel verpflichtet die Länder lediglich auf die „Grundsätze“ des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats325. Und nach zutreffender, teleologisch begründeter Auffassung sind diese Grundsätze die gleichen wie die über Art. 79 Abs. 3 GG gesicherten, denn: „Solange der identitätsverbürgende Kern der (Bundes-)Verfassung [durch abweichende Regelungen in den Landesverfassungen] nicht ange-

321 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 51; vgl. auch Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 7. 322 Vgl. etwa BVerfGE 36, 342 (360 f.). 323 So die retrospektive Einschätzung von Thiele, NdsVbl. 2010, 89 ff. (92). 324 Siehe Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 188: „Unter die Ewigkeitsgarantie fällt auch die dem Art. 28 I GG zugrundeliegende Verfassungsautonomie der Länder (. . .).“ ( Hervorhebung durch Verfasser). 325 Dazu Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 62 ff.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

tastet wird, ist die Homogenität des Bundes nicht in Gefahr“ 326. Dass aber Beschränkungen der Kreditautonomie nicht einmal ansatzweise unter Berufung auf diese dem Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. zugrunde liegenden Wertungen begründet werden können, bedarf keiner näheren Erläuterung327. Dann liegt aber mit Blick auf diese Klausel umgekehrt die Vermutung nahe, dass der vom Grundgesetzgeber konzipierte Bundesstaatstypus, jedenfalls unter Gesichtspunkten der föderalen Verfassungshomogenität, keine weiteren materiellen Beschränkungen der Landesverfassungsgebung kennt. Indes: Diese Aussage ist zum einen systematisch nicht zwingend, da Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. als solcher gerade nicht unmittelbar in den Schutzbereich von Art. 79 Abs. 3 GG fällt. Zum anderen steht sie unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den im Folgenden noch zu erarbeitenden Auslegungsbefunden. Als eindeutiges Zwischenresultat kann also nur festgehalten werden, dass dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. jedenfalls keine verfassungsgeberischen Wertungen zu entnehmen sind, die einer umfassenden Zuordnung der Kreditautonomie zum Hausgut der Länder entgegenstehen könnten. (b) Normen der bundesstaatlichen Finanzordnung Im Rahmen der Fragestellung muss naturgemäß ein besonderes Augenmerk auf die Normen der föderativen Finanzordnung des Grundgesetzes gerichtet werden. Im Unterschied zur Ausgestaltung der (Bundes-)Haushaltsverfassung war diejenige der föderativen Finanzordnung im Parlamentarischen Rat stark umstritten. Auf dem Herrenchiemseer Konvent war man sich über den Grundsatz getrennter Finanzwirtschaft (Art. 37 Ch. E) einig und wollte die Verteilung der Finanzmassen an den Aufgabenbereichen ausrichten. Die Gesetzgebungshoheit war von Anfang an dem Bund zugedacht328. Die folgenden Beratungen über den Herrenchiemseer Diskussionsentwurf im Parlamentarischen Rat waren dann durch nach-

326 Hasso Hofmann, Bundesstaatliche Spaltung des Demokratiebegriffs?, in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 146 (153 ff.), zitiert nach Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 62 mit Fn. 273. Die umklammerten Anmerkungen sind nicht im Originalzitat vorhanden, sondern wurden der Erklärung halber vom Verfasser hinzugefügt. 327 Im Übrigen sähe man sich beim (in der Sache abwegigen) gegenteiligen Ergebnis mit der abstrusen Konsequenz konfrontiert, dass alle (vor dem 23. Mai 1949 in Kraft getretenen) Landesverfassungen insoweit (Kreditbestimmungen!) unvereinbar mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. und damit ab Inkrafttreten des Grundgesetzes insoweit als nichtig anzusehen wären (zur Rechtsfolge der Nichtigkeit bei Verfassungsverstoß vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 378 ff.). 328 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 6; vgl. zum Ganzen auch Henneke, DVBl. 2009, 561 (562 f.).

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drückliche Einwirkungen der Besatzungsmächte gekennzeichnet329. Diese hatten in ihren Londoner Beschlüssen von 1948 Richtlinien für die Verfassungsgebung durch den Parlamentarischen Rat festgelegt, die eine dezentrale Finanzorganisation forderten330. Demgegenüber tendierte der Parlamentarische Rat mehrheitlich zu einer starken fiskalischen Stellung des Bundes331. Die ursprüngliche Finanzverfassung ist daher Resultat einer schwierigen Kompromissfindung, das in wichtigen Punkten – zu denen etwa mit dem Finanzausgleich ein Kernstück föderativer Finanzorganisation gehört (vgl. Art. 107 GG Uf.332) – nur vorläufigen Charakter haben konnte. Dessen unbeschadet geraten unter systematischen Gesichtspunkten einige Grundentscheidungen hinsichtlich der allgemeinen Tragweite der Haushaltsautonomie der Länder ins Blickfeld, die auch eine taugliche Richtschnur für die Beurteilung der spezifischen Schuldenproblematik abgeben. Zunächst werden dazu mit Art. 105, 106 GG Uf. solche Vorschriften beleuchtet, die Auswirkungen auf die Einnahmeseite der Länderbudgets haben ((aa)). Sodann geht es auf einer zweiten Betrachtungsstufe mit den Art. 107 Satz 3 i.V. m. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. um Regelungen, die im Zusammenspiel mit den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen des Grundgesetzes erheblichen Einfluss auf die Ausgabenvolumina der Länder haben ((bb)). Schließlich wird auf der so erarbeiteten Grundlage mit Art. 109 GG Uf. die einzige Verfassungsnorm betrachtet, die unmittelbar das Verhältnis und den Autonomieumfang der Haushaltswirtschaften des Bundes und seiner Glieder anspricht ((cc)). (aa) Art. 105, 106 GG Uf. Unter den Regelungen, die sich auf die Zusammensetzung der Länderhaushalte auswirken, sind für die Einnahmeseite Art. 105 und 106 GG Uf.333 die Zen329

Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), HVerfR, § 23 Rn. 5 f. Henneke, DVBl. 2009, 561 (563). 331 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 6. 332 „Die endgültige Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder soll spätestens bis zum 31. Dezember 1952 erfolgen, und zwar durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Dies gilt nicht für die Realsteuern und die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis. Hierbei ist jedem Teil ein gesetzlicher Anspruch auf bestimmte Steuern oder Steueranteile entsprechend seiner Aufgaben einzuräumen.“ 333 „(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole. (2) Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung über 1. die Verbrauchsund Verkehrsteuern mit Ausnahme der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis, isnbesondere der Grunderwerbsteuer, der Wertzuwachssteuer und der Feuerschutzsteuer, 2. die Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen, 3. die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze, wenn er die Steuern ganz oder zum Teil zur Deckung der Bundesausgaben in Anspruch nimmt oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 2 vorliegen. (3) Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“ 330

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

tralbestimmungen. Dabei wird in Art. 105 GG Uf. die Zuordnung der Gesetzgebungsbefugnisse im Steuerbereich geregelt, wohingegen Art. 106 GG Uf. die vorläufige Aufteilung der Steuererträge zwischen Bund und Ländergesamtheit normiert. Zunächst weist Art. 105 GG Uf. die Steuergesetzgebungskompetenzen nahezu vollständig dem Bund zu: Absatz eins der Vorschrift verleiht ihm ausschließliche Normierungsbefugnisse im Hinblick auf Zölle und Finanzmonopole. Über Art. 105 Abs. 2 GG Uf. steht dem Bund weiterhin die konkurrierende Kompetenz über die dort enummerierten Steuern zu, sofern er sie ganz oder zum Teil zur Deckung der Bundesausgaben in Anspruch nimmt oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG Uf. vorliegen. Dabei umfasst der Befugniskatalog des Absatzes zwei die nicht örtlichen Verbrauchs- und Verkehrssteuern (Nr. 1), die „Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen“ (Nr. 2) und die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der der Realsteuerhebesätze (Nr. 3). Was die Verteilung der Steuererträge angeht, weist Art. 106 Abs. 2 GG Uf. den Ländern neben den Erträgen der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis auch diejenigen der Bier- (Verbrauchssteuer) und der Verkehrssteuern (Ausnahmen: Beförderung- und Umsatzsteuer), der Einkommen- und Körperschaftsteuer, der Vermögen-, Erbschaft- sowie der Realsteuern zu. Gleicht man diesen Katalog mit demjenigen des Art. 105 Abs. 2 GG Uf. ab und berücksichtigt zudem, dass die Kompetenzhürde des Art. 72 Abs. 2 GG Uf. nicht besonders hoch gelegt wurde334, so wird deutlich, dass dem Bund Normierungsbefugnisse für praktisch alle Steuerarten zukommen, deren Ertrag den Ländern zufließt. Das aber heißt: Sieht man einmal von den örtlichen Steuern und dem Steuererfindungsrecht335 der Länder ab, war in der Erstfassung des Grundgesetzes eine vollständige Determination der nichtkreditären Landeseinnahmen angelegt. Nun könnte mit Blick auf die hier relevante Problemstellung eingewendet werden, dass aus diesem Befund bezüglich der Kreditautonomie gerade keine entsprechenden Schlussfolgerungen abgeleitet werden dürften. Im Gegenteil: Gerade dass der Bund die regulären Einnahmen der Länder in weitem Umfang determinieren kann, könnte dafür sprechen, dass den Ländern (neben ihrem Steuererfindungsrecht) ein wirksames Instrument an die Hand gegeben werden muss, um für den Fall einer (gemessen an der konkreten Aufgabenlast) nicht hinreichenden Finanzsausstattung an zusätzliche Gelder zu kommen. Dieser These steht jedoch die Stoßrichtung zweier Regelungen aus Art. 106 GG Uf. entgegen: Absatz drei der Vorschrift statuiert ein Zugriffsrecht des Bundes auf Teile der – den Ländern zufließenden (Art. 106 Abs. 3 Var. 3 GG Uf.) – Einkommen- und 334

Vgl. oben unter A. III. 1. a). Dazu etwa Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 139 Rn. 38; vgl. auch Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 95. 335

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Körperschaftsteuer „zur Deckung seiner durch andere Einkünfte nicht gedeckten Ausgaben, insbesondere zur Deckung von Zuschüssen, welche Ländern zur Deckung von Ausgaben auf dem Gebiete des Schulwesens, des Gesundheitswesens und des Wohlfahrtswesens zu gewähren sind (. . .)“. Und laut Art. 106 Abs. 4 GG Uf. kann der Bund Zuschüsse gewähren, um „die Leistungsfähigkeit auch der steuerschwachen Länder zu sichern und eine unterschiedliche Belastung der Länder mit Ausgaben auszugleichen“ (Satz 1). Die erforderlichen Mittel darf er dabei „bestimmten den Ländern zufließenden Steuern entnehmen“ (ebd.). Die letztgenannte Norm ist eine an das Kriterium der (mangelnden) Leistungsfähigkeit anknüpfende allgemeine, die erstgenannte hingegen eine punktuelle vertikale Ausgleichsbestimmung336. Sowohl über das Ob („kann“) als auch über das Wie entscheidet der Bundesgesetzgeber337. Wenn aber bereits die originäre Bundesverfassung für außerordentliche Fälle, in denen die regulären Aufteilungsregeln der Finanzverfassung nicht jedem Land eine aufgabenadäquate Finanzausstattung gewährleisten konnten, Ergänzungszuweisungen vorsah, so spricht, jedenfalls aus dem Blickwinkel der Aufgabenadäquanz, wenig für das Erfordernis, den Ländern darüber hinaus auch noch eine umfassende Kreditautonomie zu gewähren. Ein Nebenbefund ist für den Gesamtzusammenhang der Untersuchung aber mindestens genauso wichtig: Der Umstand, dass die Absätze drei und vier des Art. 106 GG Uf. – dessen Absätze eins und zwei die vorläufige Verteilung des Gesamtsteueraufkommens auf Bund und Ländergesamtheit regeln – explizite Ausgleichsmechanismen für den Fall unzureichender Landesmittel enthalten, verifiziert die erste der beiden aufgestellten Arbeitshypothesen: Oben338 wurde sowohl im Hinblick auf die von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten gewaltengliedernden als auch die gesamtstaatlichen Landesaufgaben die Behauptung aufgestellt, dass die Ewigkeitsklausel insoweit auch die Aufgabenwahrnehmung finanziell absichern müsste. Dass einem Land damit eine gewisse Finanzposition von Bundes-

336 Diese Vorschriften weisen entfernte Ähnlichkeiten zu den beiden in den aktuellen Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG hineingelesenen Ausgleichregeln der Fehl- bzw. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen auf. Zwei wesentliche Unterschiede sind freilich darin zu erblicken, dass erstens die Ausgleichsgelder nicht aus Bundesmitteln finanziert werden, sondern dem Ertragstopf der Steuern, welche den Ländern zufließen, entnommen werden – mit Blick auf die Generierung der Finanzhilfen weist der Ausgleichsmechanismus also zudem Ähnlichkeiten zum (heutigen) horizontalen Finanzausgleich (Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG) auf. Und zweitens knüpft Art. 106 Abs. 3 GG Uf., anders als die Sonderbedarfszuweisungen, exklusiv weder (a) an den LeistungsschwächeTatbestand noch (b) an nicht kurzfristige Sonderbelastungen an (vgl. die einfachgesetzliche [Teil- ! FAG!]Ausformung in §§ 10 ff. MaßstG, insbesondere § 12 Abs. 1). Insoweit weist der Regelungsbereich des Art. 106 Abs. 3 GG Uf. folglich auch Überschneidungen mit denjenigen der gegenwärtigen Art. 106 Abs. 4 Sätze 2, 3; Abs. 8 bzw. Art. 104a Abs. 3 GG auf. 337 Allerdings handelt es sich um zustimmungspflichtige Bundesgesetze, vgl. Art. 106 Abs. 3, Abs. 4 Satz 2 GG Uf. 338 Unter A. II. 3. und III. 2.

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verfassungs wegen zugesichert und diese Position ferner auch der Verfassungsrevision entzogen sein muss, leuchtet ohne Weiteres ein und bedarf eigentlich keiner zusätzlichen Untermauerung; wenn aber der Verfassungsgeber die Fiskalausstattung der Länder in der zentralen finanzverfassungsrechtlichen Verteilungsnorm (Art. 106 GG Uf.) abgesichert und somit an einer äußerst prominenten Stelle des (ursprünglichen) bundesstaatlichen Normengefüges platziert hat, so dürften nun auch die letzten Zweifel ausgeräumt sein und aus der Vermutung Gewissheit werden: Ob die Ewigkeitsklausel die Landeskreditautonomie spezifisch schützt (und gegebenenfalls in welchem Umfang), bleibt noch zu klären. Jedenfalls aber garantiert Art. 79 Abs. 3 GG den Ländern eine aufgabengerechte Finanzausstattung – zumindest soweit dies notwendig ist, um den revisionsfesten Merkmalen der Gewaltengliederung und des Unitarismus (! Erfüllung determinierter Aufgaben des Gesamtstaats) jederzeit die erforderliche Mindesttragfähigkeit zu sichern339. An welchen Kriterien sich eine konkrete Fiskalposition messen lassen muss, wird noch ausführlich zu erörtern sein; zunächst muss jedoch die Analyse unter dem Aspekt der Kreditautonomie abgeschlossen werden. In Bezug auf die Art. 105 f. GG Uf. bleibt festzuhalten: Hinsichtlich der Einnahmenseite der Länderbudgets hat die ursprüngliche Finanzverfassung eine stark unitarische Grundprägung: Erstens legt der Bundesgesetzgeber über seine konkurrierenden Kompetenzen aus Art. 105 Abs. 2 GG Uf. die Landeseinnahmen im Wesentlichen fest: Das materielle Budgetrecht wurde den Ländern insoweit von Anfang an lediglich in einem sehr eingeschränkten Maß eingeräumt. Dass der Bund darüber hinaus zweitens auch ermächtigt wird, finanzielle Schief- bzw. Sonderlagen durch Stützungs- bzw. Ausgleichszahlungen aus dem Steuertopf der Ländergesamtheit zu kompensieren, festigt diesen Eindruck und spricht jedenfalls gegen die obligatorische Einräumung eines umfassenden materiellen Verschuldungsrechts. (bb) Art. 107 Satz 3 i.V. m. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. Mit Blick auf die Ausgabenseite der Länderhaushalte kann auf folgendes Teilergebnis der Analyse zum sozialen Bundesstaat340 zurückgegriffen werden: Der Verfassungsgeber hat auf der einen Seite dem Bund konkurrierende Gesetzgebungsbefugnisse über zentrale, hinsichtlich ihrer Umsetzung kostenintensive Sozialmaterien eingeräumt und ihm obendrein in Art. 72 Abs. 2 GG Uf. lediglich die Erfüllung relativ laxer Zugriffsvoraussetzungen auferlegt. Auf der anderen Seite hat er den Gliedstaaten die Ausführung der Bundesgesetze als eigene Angelegenheit zugewiesen (Art. 83 GG Uf.) und ihnen im Zusammenhang damit grundsätzlich („(. . .), soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundes339 340

Näher zum prinzipiellen Garantieumfang später unter 2. a) cc). Oben unter A. III.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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rates etwas anderes bestimmen“) aufgegeben, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren zu regeln (Art. 84 Abs. 1 GG Uf.). Gleichzeitig ergibt sich aus Art. 107 Satz 3 (für beide Ebenen) und Art. 29 Abs. 1 Satz 2 GG Uf. (nur für die Länder) der Konnex zwischen Aufgaben und Ausgabenlast. Für die Länder folgt aus dem Gesagten eine Ausgabenbelastung in zweierlei Hinsicht: Da sie die angesprochenen Sozialgesetze des Bundes laut Art. 83 GG Uf. als eigene Angelegenheit ausführen und zudem gemäß Art. 107 Satz 3 i.V. m. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. die Ausgaben zu tragen haben, die sich aus der Wahrnehmung dieser Aufgabe ergeben, werden die Länderhaushalte im Hinblick auf den Vollzug von Bundes-Sozialleistungsgesetzen erstens mit ganz erheblichen Zweckkosten beschwert. Damit aber nicht genug: Weil der Tatbestand des Art. 83 GG Uf. erfüllt ist, greift auch Art. 84 GG Uf., mit der Konsequenz, dass die Länder im Bezug auf die Ausführung der genannten Gesetze regelmäßig auch die Behördeneinrichtung und das Administrativverfahren zu regeln haben. Da ihnen aber gemäß Art. 107 Satz 3 i.V. m. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. auch bezüglich dieser Aufgabe die Finanzierungsverantwortung zukommt, müssen zweitens auch die Verwaltungskosten, die im Zusammenhang mit der Ausführung von Sozialgesetzen des Bundes anfallen, auf den Ausgabenseiten der Länderbudgets verbucht werden. Das Beispiel der Sozialgesetzgebung steht zwar nur stellvertretend für den gesamten Komplex der Finanzierungsverantwortung der Länder für die Ausführung von Bundesgesetzen. Gleichwohl dürften die Sozialmaterien die Länderhaushalte mit Abstand am meisten belasten. Infolge einer Verkettung verschiedener Normen, an deren Ende die finanzverfassungsrechtliche Vorschrift des Art. 107 Satz 3 (i.V. m. Art. 29 Abs. 1 Satz 2) GG Uf. steht, folgt aus der Erstfassung des Grundgesetzes neben einer fast vollständigen Determination der Ländereinnahmen auch eine Bindung von erheblichen Geldern auf der Ausgabenseite der Landeshaushalte. Unterstellt man dem originären Vorschriftengefüge der Bundesverfassung normative Konsistenz, so gilt auch für die Ausgabenseite der Länderbudgets: Art. 79 Abs. 3 GG kann das materielle Haushaltsrecht der Landesparlamente jedenfalls nicht umfassend garantieren, sondern allenfalls eine förmliche sowie eventuell ein gewisses Mindestmaß an inhaltsbezogener Haushaltsautonomie gewährleisten. Da die Kreditautonomie ein Teilbereich des Budgetrechts ist und das obige Argument aus Art. 106 Abs. 3, 4 GG Uf. weiterhin unvermindert greift, ist auch mit Blick auf das Verschuldungsrecht der Landesparlamente davon auszugehen, dass die Ewigkeitsklausel neben der grundsätzlichen Befugnis zur Kreditaufnahme lediglich eine – inhaltlich noch herauszuarbeitende – materielle Mindestsicherung enthält. (cc) Art. 109 GG Uf. Schließlich steht am Ende der Normen zur föderativen Finanzordnung mit Art. 109 GG Uf. die einzige Vorschrift, die unmittelbar die Haushaltsautonomie

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

der Länder thematisiert. In seiner ursprünglichen Fassung enthielt Art. 109 GG lediglich die mit dem heutigen Absatz eins übereinstimmende Regelung: „Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.“ Der Begriff der Haushaltswirtschaft umfasst dabei dem Grunde nach die Gesamtheit der auf die staatlichen Einahmen und Ausgaben bezogenen Vorgänge341. Dazu gehören insbesondere die Aufstellung des Haushalts durch die Regierung sowie der Beschluss der Volksvertretung über den Haushalt342. Weil weiterhin die Kreditaufnahme ein im obigen Sinn einnahmebezogener Vorgang ist, muss sie in dem von der Exekutive erarbeiteten und vom Parlament verabschiedeten Haushaltsplan dokumentiert werden. Damit aber fällt die Entscheidung über das Ob und Wie der Kreditaufnahme prinzipiell unter den Begriff der Haushaltswirtschaft, deren Autonomie Art. 109 GG Uf. (auch) für die Länder statuiert. Auch nach diesen Präzisierungsversuchen ist die Formel des Art. 109 GG Uf. zwar mit Blick auf die Tragweite dieses Autonomiepostulats noch nicht besonders aussagekräftig; jedoch dürfte ein Interpretationsansatz, der nicht zumindest die formelle Haushaltsautonomie der Länder im Garantiebereich der Vorschrift ansiedelt, kaum mit dem Normtext des Art. 109 GG Uf. vereinbar sein. Wenn aber die einzige Verfassungsnorm, die (auch) die Unabhängigkeit der Länder in Budgetsachen zum Gegenstand hat, jedenfalls eine förmliche Landesautonomie in Haushaltsangelegenheiten einfordert, so dürfte die Position, ein Kernmerkmal des vom Grundgesetz konstituierten Bundesstaatstypus sei die förmliche Budgetautonomie343, mit Blick auf die Schutzbereichsbestimmung von Art. 79 Abs. 3 GG nur schwer zu widerlegen sein. Allerdings gilt mit Blick auf Art. 109 GG Uf. ebenso: Liest man die Vorschrift im Licht der Untersuchungsergebnisse zu Art. 105 f. und 107 Satz 3 i.V. m. 29 Abs. 1 Satz 2 GG Uf., so kann die Norm andererseits auch keine umfassende Eigenständigkeit im Hinblick auf die Budgetinhalte gewährleisten. Es bleibt dann allenfalls Raum für die Gewähr eines Mindestmaßes an inhaltsbezogener Entscheidungsfreiheit in Haushaltsangelegenheiten344 – was, bei Zugrundelegung der Vereinbarkeit des kompletten ursprünglichen Normengefüges der Bundesverfassung mit Art. 79 Abs. 3 GG, eine entsprechende Auslegung auch der Föderativklausel der Ewigkeitsgarantie als denknotwendig erscheinen lässt. 341 So oder ähnlich Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 109 (Lfg. 17, 1979) Rn. 3; Hillgruber, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG III, 5. Aufl., Art. 109 Abs. 1 Rn. 9; Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 109 Rn. 1. 342 Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 109 (Lfg. 17, 1979) Rn. 3. 343 Etwa Hillgruber, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG III, 5. Aufl., Art. 109 Abs. 1 Rn. 2, 3, 42. 344 Wie hier Vismann, in: Denninger u. a. (Hrsg.), AK-GG, 3. Aufl., Art. 79 (Lfg. 2, August 2002) Rn. 51; ähnlich Kramer, Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung, S. 42 ff.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Da, wie gezeigt wurde, Entscheidungen über das Ob und Wie der Schuldenaufnahme über die Einnahmeseite prinzipiell Anteil an der Haushaltsautonomie haben, und zudem keine Gründe ersichtlich sind, die eine Sonderbehandlung der Kreditaufnahmemodalitäten gegenüber anderen Budgetangelegenheiten rechtfertigen könnten, dürfte bis auf Weiteres für die Verschuldungsautonomie Entsprechendes gelten: Art. 109 GG Uf. – und aus den dargelegten Gründen auch Art. 79 Abs. 3 GG – gewährleisten den Ländern im Grundsatz zwar die Befugnis zur Schuldenaufnahme; diese Befugnis kann den Ländern aber im Konkreten allenfalls eine gewisse kreditäre Einschätzungsprärogative (bzw. eine Mindestabsicherung der Verschuldungsoption) vermitteln, jedoch keine umfassenden diesbezüglichen Entscheidungsbefugnisse. (c) Zwischenergebnis zu (2) 1. Eine Analyse des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. hilft im Rahmen der zu untersuchenden Problemstellung kaum weiter. Zumindest können der Homogenitätsklausel aber keine verfassungsgeberischen Wertungen entnommen werden, die einer umfassenden Zuordnung der Kreditautonomie zum Hausgut der Länder entgegenstehen. 2. Eine Gesamtschau der Art. 105 ff., 70 ff., 29 GG Uf. indiziert zwar, dass die Haushalts- und damit auch die Kreditautonomie im Grundsatz Charakteristika der Bundesstaatlichkeit und damit Schutzgehalte der von Art. 79 Abs. 3 garantierten Landesorganisationshoheit sind. 3. Da die ursprüngliche föderative Finanzordnung des Grundgesetzes aber eine weitgehende Fremddetermination der Länderbudgets bewirkt, kann dem vom Verfassungsgeber skizzierten und von der Ewigkeitsklausel geschützten Landestypus, über die formelle Haushaltsautonomie hinaus, in materieller Hinsicht allenfalls eine budgetäre Einschätzungsprärogative zukommen. 4. Ausgehend vom weitreichenden fiskalischen Einfluss des Bundes kann aber mit Verweis darauf, dass bei einem solch hohen Determinationsgrad allein umfangreiche kreditäre Entscheidungskompetenzen den Ländern diesen budgetären Mindestspielraum sichern könnten, kein Argument für die Gewähr einer umfassenden Landeskreditautonomie konstruiert werden. Denn neben den umfänglichen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes ergibt sich aus dem ursprünglichen Verfassungstext a) auch das Postulat, die Länder mit hinreichenden Finanzmitteln zur Erfüllung ihrer Aufgaben auszustatten (vgl. Art. 107 Satz 3, 29 Abs. 1 Satz 2 GG Uf.). Und für den Fall, dass die regulären Verteilungsmechanismen dies ausnahmsweise nicht würden leisten können, waren b) in Art. 106 Abs. 3 Var. 3, Abs. 4 GG Uf. vertikale Ausgleichsmechanismen vorgesehen. Daher spricht eine Beurteilung der Verschuldungsproblematik aus

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

dem Blickwinkel der Gewähr aufgabengerechter Landesfinanzausstattungen umgekehrt dagegen, umfassende Kreditbefugnisse der Bundesglieder zu den föderativen Kernpostulaten des Grundgesetzes zu zählen. (3) Zwischenergebnis zu bb) 1. Ein verfassungssystematischer Blick auf die Schuldenregeln der Landesverfassungen spricht, unter Berücksichtigung verfassungshistorischer Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Regelungsvorbild – der 1871er Reichsverfassung – beachtet werden müssen, dafür, die Kreditautonomie im Grundsatz dem organisatorischen Hausgut der Länder zuzurechnen. 2. Die Analysebefunde zu den einschlägigen Konkretisierungen des Bundesstaatsprinzips in der Erstfassung des Grundgesetzes – insbesondere zur ursprünglichen föderativen Finanzordnung – untermauern den obigen Befund. cc) Teleologische Betrachtung Ein zweckorientierter Zugriff auf die bundesstaatliche Verschuldungsproblematik muss bei den Untersuchungsergebnissen zur funktionalen Verflechtung der bundesstaatlichen Ordnung mit dem demokratischen und sozialen Rechtsstaat345 ansetzen. Die Fragestellung ist daher zum einen aus dem Blickwinkel der (vertikalen) Gewaltenbalance ((1)) und zum anderen aus demjenigen des unitarischen Bundesstaates zu betrachten ((2)). (1) (Vertikale) Gewaltengliederung Oben wurde die – inzwischen verifizierte – These aufgestellt, dass die bundesstaatliche Ordnung ihre (vertikal) gewaltengliedernde Funktion nur dann erfüllen kann, wenn den Ländern zusammen mit einem Mindestmaß an Gestaltungsbefugnissen, die sie in den Rang politischer Entscheidungszentren erheben346, auch die entsprechenden Finanzmittel zur zweckmäßigen Kompetenzwahrnehmung zugewiesen werden347. Das bedeutet umgekehrt aber auch: Damit sind die Mindestvoraussetzungen für die Entfaltung föderativer Machtbalance – und nur diese kann Art. 79 Abs. 3 GG nach den bisherigen Erkenntnissen schützen – im Wesentlichen gewährleistet. Denn für die Garantie der Wahrnehmung eines quantitativen Minimums an Sachkompetenzen mit einem gewissen Entscheidungsspielraum ist allein maßgeblich, dass Finanzmittel in ausreichendem Maß zur 345

Dazu oben unter A. Zu diesem Postulat vgl. Scheuner, DÖV 1962, 646 (649); Bullinger, DÖV 1970, 761 (761 ff.); Hesse, AöR 98 (1973), 1 (etwa 14 f.). 347 Vgl. unter A. III. 346

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Verfügung stehen, nicht aber (zumindest im Grundsatz348) wer diese Gelder wie bereitstellt349. Und wie oben gezeigt wurde350, hatte sich der Grundgesetzgeber für Fälle, in denen die Verteilungsregeln der Verfassung keine zufrieden stellenden Ergebnisse liefern würden, in Art. 106 Abs. 3, 4 GG Uf. für vertikale (gleichwohl dem Steuertopf der Länder entnommene) Finanzzuweisungen des Bundes entschieden – und so für die Absicherung einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung gesorgt, die einem regelmäßigen Rückgriff auf die Verschuldungsoption die Notwendigkeit entzog. Schließlich könnte man jedoch den Standpunkt einnehmen, dass Entscheidungen über die Kreditaufnahme der föderativen Verfassungssubstanz zwar nicht unter dem Aspekt der Generierung hinreichender Finanzmittel zugerechnet werden müssen – wohl aber unter sachkompetentiellen Gesichtspunkten. Ein strukturelles Verschuldungsverbot verkürzt zwar unbestreitbar das Kompetenzregister der Länder. Jedoch dürfte die freie Bestimmung auf dem Gebiet der vergleichsweise abstrakten Thematik der Kreditaufnahme in sachlicher Hinsicht nicht zu jenem Kernbestand politischen Entscheidungen gehören, „die als richtungsweisend für das Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft empfunden werden und deshalb einen tiefgreifenden Prozeß demokratischer Meinungs- und Willensbildung auszulösen vermögen (. . .)“ 351. Und daher kann die Kreditautonomie unter den Vorzeichen der Gewaltenbalance nicht umfassend dem organisationsrechtlichen Teil des Hausguts der Länder zugerechnet werden. Wie bereits mehrfach angedacht wurde, könnte aber eine Mindestsicherung materieller Budget- bzw. Verschuldungsautonomie geboten sein, um die Länder in die Lage zu versetzen, effektiv auf bestimmte fiskalische Ausnahmesituationen reagieren zu können352. (2) Unitarischer Bundesstaat Eine Beurteilung der Problemstellung vor dem Hintergrund des gegenläufigen Typusmerkmals des Unitarismus stützt dieses Resultat, wobei hier im Wesentlichen auf die bisherigen Darlegungen zur sozial-föderativen Kompetenz- bzw. zur bundesstaatlichen Finanzordnung des (Ur-)Grundgesetzes verwiesen werden kann353. Denn nach der hier vertretenen Auffassung sind die Grundsatzgehalte des Art. 79 Abs. 3 GG primär Konzentrate verfassungsimmanenter Regelungsgehalte, und erwachsen daher die charakteristischen Merkmale der Verfassungsord348 349 350 351 352 353

Vgl. die später unter 2. d) bb) bis dd) geschilderten Einschränkungen. Dazu ausführlich unter 2. d). Unter bb) (2) (b) (aa). Bullinger, DÖV 1970, 761 (761 f.). Dazu später unter 2. b) ee). Vgl. unter A. III. bzw. unter bb) (2) (b).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

nung aus einer Gesamtschau des einschlägigen positiven Verfassungsrechts354. Aus diesem Grund ist der unitarische Bundesstaat letztlich nur ein Sammelbegriff für alle gesamtstaatlichen Bindungen, denen die Länder aufgrund von Verfassungsbestimmungen unterliegen. Und die Analyse dieser Bindungen hatte ergeben, dass das Verschuldungsrecht eines Landes zwar im Kern an der Garantie seiner Organisationshoheit teil hat, materiell aber allenfalls eine kreditäre Mindestposition abgesichert ist. dd) Verfassungsgeschichtliche Betrachtung Schließlich soll die Problemstellung unter verfassungshistorischen Vorzeichen355 betrachtet werden. 1. Dazu kann zunächst an die ergänzenden geschichtlichen Ausführungen im Rahmen der systematischen Teilanalyse unter bb) (1) angeknüpft werden: Dort wurde dem parlamentarischen Budgetrecht, dessen Bestandteil das Staatschuldenrecht ist, im Regelungszusammenhang der 1871er Reichsverfassung der Nimbus eines „hart erkämpfte[n] Kernrecht[s] eines demokratischen Staates“ 356 verliehen sowie die Zugehörigkeit zum Grundbestand legislativer Gestaltungs- und Überwachungsmöglichkeiten attestiert. Und dieser Befund kann im Rahmen des obigen Analysezusammenhangs, konkret ging es um die punktuelle Überprüfung von systematischen Schlussfolgerungen bezüglich landesverfassungsrechtlicher Kreditbestimmungen im Licht der Regelungsvorlage von 1871, auch weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Erweitert man den historischen Blickwinkel jedoch ein wenig, um etwaige verfassungsübergreifende Gegebenheiten mit einbeziehen zu können357, so muss auch die weitere Entwicklung bis zum Erlass des Grundgesetzes berücksichtigt werden. Und an dieser lässt sich ablesen: In demokratiefunktionaler Hinsicht haben sich Stellenwert und Bedeutung des Budgetrechts durch die partielle Parlamentarisierung der Regierung unter der Weimarer Reichsverfassung gravierend verändert, da es infolgedessen weitgehend aus dem Spannungsfeld zwischen monarchischer Exekutive und Volksvertretung herausgetreten ist358. Mit dem Übergang zum rein parlamentarischen Regierungssystem intensivierte der Grundgesetzgeber den Bedeutungswandel des Haushaltsrechts dann noch zusätzlich. Konsequenz für die Staatspraxis: Zwar kommt dem Budgetrecht des Bundestags in der Verfassungspraxis noch immer eine demokrati354

Vgl. oben im ersten Kapitel unter § 3 A. V. bzw. im zweiten Kapitel unter § 1 B. Zur methodischen Rechtfertigung der Zuhilfenahme verfassungsgeschichtlicher Aspekte im vorliegenden Untersuchungskontext vgl. oben unter § 1 C. III. 356 Wieland, Protokoll der vierten Sitzung der Föderalismuskommission II, S. 74 (im Rahmen der Beantwortung einer Frage des Regierenden Bürgermeisters Berlins Wowereit). 357 Grundlegend oben unter § 1 C. III. 358 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Vorb. zu Art. 104a Rn. 5. 355

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sche Kontroll- und Legitimationsfunktion in Bezug auf den Einsatz öffentlicher Mittel zu359. Für das Haushaltsrecht der Landesparlamente traf bzw. trifft aber selbst das nur noch sehr eingeschränkt zu: Wenn die föderativen Kompetenz- und Finanzregeln des Grundgesetzes zumindest zulassen, dass in einem Landeshaushalt die Einnahmen nahezu komplett und die Ausgaben in weitem Umfang durch Bundesgesetze determiniert werden können360, kann es auf Landesebene regelmäßig nur noch einen äußerst begrenzten budgetären Gestaltungsspielraum geben, welcher der Kontrolle und Legitimation bedarf. Und dieser Spielraum kann auf Dauer auch nicht durch strukturelle Neuverschuldung geschaffen werden, da sich die finanzielle Bewegungsfreiheit eines Landes dadurch nicht erweitert, sondern aufgrund der steigenden Zinslast mittel- und langfristig sogar noch weiter verkürzt. Auch insoweit spricht also wenig dafür, die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf inhaltliche Budget- bzw. Kreditentscheidungen auf Landesebene umfassend dem Schutz der Ewigkeitsklausel zu unterstellen. 2. Demgegenüber könnte aber mit einer im Schrifttum propagierten Auffassung eingewendet werden, dass das grundgesetzliche Kreditfinanzierungsverbot den Ländern eine Einnahmequelle entzieht, die ihnen verfassungsgeschichtlich besehen stets zustand361: Gerade die Reichsverfassungen von 1871 und 1919 begrenzten das Recht der Bundesstaaten bzw. Länder zur Aufnahme von Staatsschulden nicht, was eine Zugehörigkeit der Kreditautonomie zum organisatorischen Hausgut der Länder im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG nahe legt362. Nach dem hier zugrunde gelegten methodischen Konzept muss der Schutzbereich der Ewigkeitsgarantie aber primär grundgesetzimmanent bestimmt werden. Nur soweit der Verfassungstext von 1949 erkennbar an konkrete Regelungskonzepte der Vorgängerverfassungen anknüpft, sollte eine direkte Bezugnahme auf vorangegangene Verfassungen in Betracht gezogen werden363. Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Denn gerade die bundesstaatliche Finanzordnung des Grundgesetzes unterscheidet sich sowohl von derjenigen des Deutschen Reiches als auch von derjenigen der Weimarer Verfassung erheblich. So war das Reich der 1871er Verfassung zufolge im Wesentlichen Kostgänger seiner Glieder, wohingegen dieses Abhängigkeitsverhältnis in der Weimarer Republik in sein Gegenteil verkehrt wurde. Die bundesstaatliche Finanzordnung des Grundgesetzes hingegen suchte von Anfang an einen eigenständigen Mittelweg 359 Hillgruber, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 110 Rn. 4, 9 ff.; zur Legitimationsfunktion Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 117 ff. 360 Zu den diesbezüglichen verfassungsnormativen Grundlegungen in der Grundgesetz-Urfassung eingehend oben unter A. III. bzw. bb) (2) (b). 361 Vgl. Fassbender, NVwZ 2009, 737 (740); Überblick über die Entwicklung bis 1871 bei Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes I, 1881, S. 602 ff. 362 Vgl. Fassbender, NVwZ 2009, 737 (740). 363 Vgl. oben unter § 1 C. II. 3.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

zwischen diesen beiden Polen auszuloten: Wie oben gezeigt wurde364, erkannte der Verfassungsgeber in Art. 109 GG Uf. den Grundsatz getrennter Haushaltswirtschaft an, wies Bund und Ländern in Art. 106 GG Uf. gesonderte Einnahmequellen zu und deutete in den Art. 107 Satz 3, 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. die Forderung nach einer aufgabenadäquaten Verteilung der Finanzmassen an – einerseits. Andererseits wurde jedoch bei der Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder ein stark zentralistischer Kurs eingeschlagen (vgl. Art. 105 GG Uf.). Mit diesem Mischsystem knüpfte die föderative Finanzverfassung des Grundgesetzes aber bereits in ihrer Ursprungsform gerade nicht an die bundesstaatliche Finanzordnung einer der Vorgängerverfassungen an. Sie ist als neuartiges Regelungsgefüge zu klassifizieren, in dem sich zentralistische und föderale Elemente die Waage halten (sollten). Und daher sollte ihr über Art. 79 Abs. 3 GG geschützter Kern auch nicht unter maßgeblichem Rückgriff auf Mutmaßungen, die zuvor im Bezug auf ihre Vorgängerinnen aufgestellt wurden – dass die besagten Verfassungen kein Verschuldungsverbot für die Bundesglieder enthielten, bedeutet noch nicht zwingend, dass die Landeskreditautonomie essentiell für das jeweilige Verfassungssystem gewesen sein muss – ermittelt werden. Daran dürfte schließlich auch der Versuch nichts ändern, die Landeskreditautonomie davon ausgehend, dass die konträren Finanzordnungen von 1871 und 1919 in der Gewähr einer umfassenden Verschuldungsoption übereinstimmen, zu einer substantiellen Konstante in der deutschen Verfassungsentwicklung zu erklären – um anschließend entsprechende Schlussfolgerungen für das Grundgesetz ziehen zu können. Denn selbst wenn dies in der Sache zutreffen sollte, bliebe die Maßgabe davon unberührt, den Kern des Grundgesetzes weitgehend ohne Einschleusung externer Wertungen herauszuarbeiten, sofern nicht zumindest eine der zwei – hier nicht einschlägigen – Ausnahmekonstellationen vorliegt. 3. Damit bleibt aus einem verfassungshistorischen Blickwinkel festzuhalten: a) Mit der Teilabkehr von der Monarchie setzte ein stetiger Bedeutungsverlust des parlamentarischen Budgetrechts ein, zu dem mit Blick auf die Landesebene gerade auch der Verfassungsgeber von 1949 maßgeblich beigetragen hat. Denn schon infolge der originären bundesstaatlichen Kompetenz- und Finanzbestimmungen des Grundgesetzes konnten die Landeshaushalte in hohem Maße vom Bundesgesetzgeber beeinflusst werden. Im Rahmen der aktuellen (Bundes-)Verfassungsordnung muss daher dem Budget- und damit auch dem Staatsschuldenrecht – jedenfalls auf Landesebene – die Bedeutung eines parlamentarischen Königsrechts abgesprochen werden. b) Auch aus einem verfassungsgeschichtlichen Blickwinkel kann die Kreditautonomie daher nicht umfänglich zum organisationsrechtlichen Hausgut der Länder gezählt werden. 364

Unter bb) (2) (b) (cc).

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c) Daran vermag auch der Verweis auf die deutsche Verfassungstradition in Bezug auf das Landeskreditrecht nichts zu ändern. ee) Zwischenergebnis zu a) 1. Ein rein terminologischer Zugriff auf die Landeskreditproblematik liefert bloß die karge Erkenntnis, dass das Staatsschuldenrecht grundsätzlich zu den „in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen“ und damit zum unentziehbaren Hausgut eines Landes gehören könnte. 2. Verfassungssystematische Überlegungen zur Fragestellung können in zweierlei Hinsicht vorgenommen werden: a) Zunächst legt eine organisationsrechtliche Gesamtschau der Landesverfassungen (Stand: 26. Juli 1972) – der vom Bundesverfassungsgericht seinerzeit offenbar eine Indizwirkung mit Blick auf die Substanz der Landesstaatlichkeit beigemessen wurde – nahe, die Kreditautonomie prinzipiell im Schutzbereich der Landesorganisationshoheit zu verorten. b) Nach einem nächsten, auf bundesverfassungsrechtlicher Ebene durchgeführten Analyseschritt zeigt sich, dass die Absicherung der Landeskreditautonomie allerdings über diesen grundsätzlichen Schutz nicht hinausgehen kann: Außer dem förmlichen Budgetrecht der Landesparlamente kann dem organisatorischen Hausgut der Länder allenfalls eine (im Folgenden zu präzisierende) kreditäre Minimaloption zugeschlagen werden. 3. Teleologische Erwägungen, sowohl unter dem Aspekt der Gewaltenbalance als auch mit Blick auf die unitarische Prägung des bundesrepublikanischen Föderalismus, festigen diesen Befund, der 4. schließlich auch durch die Befunde einer verfassungsgeschichtlichen Inaugenscheinnahme der Problemstellung verifiziert werden kann. b) Sonstiges Hausgut Zwar zählen zum Kernbestand eigener Landesaufgaben, über die Organisationshoheit und die „Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat“ 365 hinaus, weitere, bislang noch nicht präzisierte Befugnisse366. Indes dürften – die rein begrifflichen Überlegungen zur Staatsorganisation einmal ausgenommen – sämtliche Kernargumente, auf denen die oben angestellte Analyse fußt, generell dage-

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Abermals BVerfGE 34, 9 (19 f.). Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 214; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 36. 366

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

gen sprechen, inhaltliche Budgetentscheidungen per se und mit ihnen die Kreditautonomie umfänglich zum Hausgut der Länder zu zählen367. Indes vermag es nicht zu überzeugen, diese Erkenntnis unter Berufung auf das Prinzip der Bundestreue absichern zu wollen. Zweifellos stellt das Finanzwesen im Bundesstaat ein Gesamtgefüge dar368, und wird auch die Bundestreue dem Grunde nach bei Art. 79 Abs. 3 GG angesiedelt369. Erstens ist aber bei der Anwendung dieses ungeschriebenen Grundsatzes Zurückhaltung geboten370, und kann zweitens aus dem hier maßgeblichen Aspekt des bundesfreundlichen Verhaltens – der Pflicht eines Landes, bei seiner Fiskalpolitik auf die Finanzinteressen der anderen Länder und des Bundes Rücksicht zu nehmen – allenfalls eine eigenverantwortlich zu beachtende Kompetenzausübungsschranke für die Länder hergeleitet371, nicht jedoch ein rechtfertigender Grund dafür gewonnen werden, ihnen per Bundesverfassung die Verschuldungsoption komplett aus der Hand zu schlagen. Denn umgekehrt verletzt auch der Bund seine Treuepflicht, wenn er den Regelungsspielraum der Landesgesetzgebung übermäßig beschneidet372. 367 Im Ergebnis ebenso Korioth, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 31 (38 f.); ders., KritV 91 (2008), 187 (197 f.); ders., JZ 2009, 729 (731 f.); vgl. ferner Waldhoff/Dieterich, ZG 2009, 97 (115 f.); Kemmler, DÖV 2009, 545 (554); Seiler, JZ 2009, 721 (728); Lenz/ Burgbacher, NJW 2009, 2561 (2566); Wilczek, VBlBW 2009, 325 (327 ff.); Ohler, DVBl. 2009, 1265 (1273); Tappe, DÖV 2009, 881 (888); Schmidt, DVBl. 2009, 1274 (1277 f.); Christ, NVwZ 2009, 1333 (1338 f.); Deubel, ZSE 7 (2009), 231 (247 f.); Scholl, DÖV 2010, 160 (168 f.); Thiele, NdsVBl. 2010, 89 (91 ff.); Aydin, KritV 93 (2010), 29 (35); Häde, AöR 135 (2010), 541 (561 ff.); Neidhardt, Staatsverschuldung und Verfassung, S. 341 ff.; Buscher, Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise, S. 383 f.; Ryczewski, Die Schuldenbremse im Grundgesetz, S. 153 ff.; Thye, Die neue „Schuldenbremse“ im Grundgesetz, S. 60 ff.; Hillgruber, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG III, 5. Aufl., Art. 109 Rn. 49; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 109 Rn. 15; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 109 Rn. 111; dens., Der Gemeindehaushalt 2010, 241 (248); dens., NdsVBl. 2011, 329 (331); G. Kirchhof, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG III, Art. 109 Rn. 110 ff.; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Supplementum 2010, Art. 109 Rn. 22; dens., ZSE 7 (2009), 552 (569); Mayer, AöR 136 (2011), 266 (270); Kube, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 109 (Lfg. 62, Mai 2011) Rn. 118, 153; Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, S. 245 ff.; kritisch J. Ipsen, NdsVBl. 2009, 153 (156); ders., NdsVerf., Art. 71 Rn. 16; explizit a. A. H.-P. Schneider, Schuldenregelungen des Bundes für die Haushaltswirtschaft der Länder – Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, FöKoDrs. 134, S. 29 ff.; ders., in: Herdegen/Klein/Papier/Scholz (Hrsg.), Festschrift für Herzog, S. 451 (471 f.); Fassbender, NVwZ 2009, 737 (740); Hancke, DVBl. 2009, 621 (623 ff.), ders., Defizitbegrenzung im Bundesstaat, S. 151 ff. 368 Gemeinsames Gutachten des Finanz-, Innen- und Justizministeriums FöKoDrs. 096, Anlage 2, S. 4; Lange, Schriftliche Stellungnahme für die Anhörung zur Föderalismusreform II – Finanzthemen – am 4. Mai 2009, S. 6. 369 BVerfGE 34, 9 (20 f.). 370 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 270. 371 Vgl. BVerfGE 4, 115 (140); 6, 309 (362). 372 BVerfGE 34, 9 (20); zum Ganzen Aydin, KritV 93 (2010), 29 (34 f.).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Dennoch bleibt es dabei, dass die Kreditautonomie dem absolut geschützten Bereich freier Landesorganisation nicht umfänglich zugerechnet werden kann. c) Zwischenergebnis zu 1. 1. Gegenstand der unter dem genannten Gliederungsabschnitt durchgeführten Teilanalyse waren die beiden Fragen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Kreditautonomie unter den Vorzeichen der Landesstaatlichkeit zu den typusbestimmenden Merkmalen der bundesstaatlichen Ordnung im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG zu zählen ist. 2. Ausgehend von der Hausgut-Formel des Bundesverfassungsgerichts musste die Problemstellung zunächst aus dem Blickwinkel der Landesorganisationshoheit betrachtet werden. Ergebnis dieser Betrachtung war, dass zwar einerseits die Entscheidungsbefugnisse rund um die Staatsverschuldung im Grundsatz zum Kern freier Landesorganisation zählen und damit den Schutz der Ewigkeitsklausel genießen – dieser Schutz aber andererseits über die förmliche Budgetbefugnisse hinaus allenfalls ein Minimum an materieller Entscheidungsfreiheit umfassen kann. Das bedeutet: Den Ländern darf das Recht zur eigenverantwortlichen Verschuldung nicht komplett entzogen werden. Mehr garantiert Art. 79 Abs. 3 unter dem Aspekt der Landesorganisationshoheit aber nicht. Dieses Resultat verifiziert die zweite der oben aufgestellten Arbeitshypothesen373. 3. Ferner kann eine weiterreichende Kreditautonomie auch aus keinem anderen Blickwinkel dem unantastbaren Kernbestand an Länderbefugnissen zugerechnet werden. 4. Schließlich zeigte sich bei Gelegenheit der speziell auf etwaige Verschuldungsbefugnisse abzielenden Untersuchung, dass zu den Essentialien der Landesstaatlichkeit die Garantie einer (in Bezug auf die Sicherung des unitarischen und des gewaltengliedernden föderativen Typusmerkmals) angemessenen Landesfinanzausstattung gehört. Somit konnte auch die (erweiterte) erste Arbeitshypothese374 belegt werden. 2. Im Besonderen: Angemessene Finanzausstattung als Essentiale der Länderstaatlichkeit Nachdem damit feststeht, dass eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung dem Kern der Landesstaatlichkeit und daher auch dem Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG zuzurechnen ist375, gilt es nun, diese Garantie mit Blick auf das no373

Oben unter A. III. 2. Oben unter A. III. 2. 375 Vgl. auch Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 523; Wieland, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsge374

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

vellierte Staatsschuldenrecht zu präzisieren. Im Anschluss an die Durchführung weichenstellender Überlegungen zur Garantie angemessener Landesfinanzausstattungen (a)) soll auf der Basis der (dann vorliegenden) grundlegenden Erkenntnisse herausgearbeitet werden, welche inhaltlichen Maßgaben im Einzelnen einzuhalten sind, damit im Konkreten von einer Erfüllung des Angemessenheitskriteriums ausgegangen werden kann (b)). In den nachfolgenden Arbeitsschritten ist dann zu klären, ob der bis dato herausgearbeitete Befund gemeinschaftsrechtlichen Einwirkungen unterliegt, und, falls ja, ob und gegebenenfalls welche Modifikationen berücksichtigt werden müssten (c)). Und schließlich ist nach etwaigen Maßgaben zu fragen, die Art. 79 Abs. 3 GG möglicherweise mit Blick auf die Bereitstellung und/oder (den) Adressat(en) der Garantie statuiert (d)). a) Grundlegendes Dieser einleitende Abschnitt verfolgt drei Zielsetzungen: Erstens soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie sich das in Art. 79 Abs. 3 GG verankerte Postulat, eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung zu garantieren, zu den bereits mehrfach in Bezug genommenen Ausführungen des Zweiten Senats aus der Entscheidung zur Besoldungsvereinheitlichung gemäß Art. 74a Abs. 1 GG a. F. verhält (aa)). Die Beantwortung dieser Frage ist vor dem Hintergrund, dass sich die bisherige Prüfung zu B. I. eng an den dort aufgestellten Maßgaben orientiert hat, sowohl hinsichtlich der Wahrung der methodischen als auch der inhaltlichen Stringenz der Analyse notwendig. Zweitens sollen mit Blick auf die vorzunehmende Konkretisierung des Merkmals der Aufgabenadäquanz kurz die diesbezüglich relevanten verfassungssystematischen Ableitungen rekapituliert und für die notwendige Klassifizierung der (bundes-)verfassungsmäßigen Länderaufgaben fruchtbar gemacht werden (bb)). Und schließlich soll drittens, in Anknüpfung an die Schilderung der systematischen Grundlagen unter bb) (! föderative Typusmerkmale!), eine Frage hinsichtlich der prinzipiellen Reichweite der Länderfinanzgarantie aufgeworfen und erörtert werden, deren Beantwortung mit Blick auf den weiteren Verlauf der Untersuchung unerlässlich erscheint: Muss eine aus Art. 79 Abs. 3 GG resultierende finanzielle Annexgarantie, die ihre Rechtfertigung aus der strukturellen Absicherung der Landesstaatlichkeit unter den Vorzeichen des gewaltengliedernden und unitarischen Bundesstaats bezieht, a) ihre Schranken in der fiskalischen Deckung der Wahrnehmung (lediglich) eines dazu notwendigen (quantitativen und qualitativen) Mindestbestands an Landesaufgaben finden – also: alles fiskalisch darüber hinaus gegebenenfalls Erforderliche dem Eigenverantwortungsbereich der Länder überantworten –, oder aber muss sie richt II, S. 771 (787); Aydin, KritV 93 (2010), 29 (35 ff.); Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, 262 f.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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b) die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Gesamtheit der zum Betrachtungszeitpunkt in der Bundesverfassung verankerten Landesaufgaben gewährleisten? Und sollte Letzteres zutreffen: Wie ließe sich diese umfassende, über eine bloße Absicherung der typusbestimmenden Merkmale des Bundesstaats hinausreichende Finanzgarantie dann verfassungsdogmatisch belastbar in Art. 79 Abs. 3 GG verankern (cc))? aa) Mit Blick auf das Referenzjudikat (BVerfGE 34, 9): Abstimmung der Begrifflichkeiten Dass eine grundsätzliche Sicherung der Länderfinanzen zur bundesstaatlichen Verfassungssubstanz zählen müsste, konnte zunächst auf der Basis einer Beurteilung der funktionalen Stellung der Bundesstaatlichkeit im Verfassungsgefüge gemutmaßt und dann unter Zuhilfenahme konkreter Vorschriften der GrundgesetzErstfassung belegt werden. Und wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, zu den Essentialien der Landesstaatlichkeit gehöre auch die „Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat“ 376, so dürfte diese Aussage im Kern mit dem hier herausgearbeiteten Befund übereinstimmen. Denn die Haupteinnahmequelle im modernen Finanzstaat sind nun einmal Steuergelder377. Ferner kann erstens davon ausgegangen werden, dass seinerzeit auch die Überlegungen des Gerichts von der ratio einer rein ergebnisorientierten Absicherung der Landesfinanzen geleitet wurden, und ist zweitens – gerade vor dem Hintergrund der gebotenen Behutsamkeit bei der Auslegung von Art. 79 Abs. 3 GG378 – auch kein zwingender Grund ersichtlich, der eine qualitativ herausgehobene Bedeutung einer bestimmten Finanzquelle für die Gesamteinnahmen eines Landes begründen und so das diesbezügliche Auswahlermessen des Revisionsgesetzgebers379 einschränken könnte. Und daher spricht vieles dafür, dass der Zweite Senat seinerzeit mit dem Verweis auf das gesamtstaatliche Steueraufkommen bloß exemplarisch die Primäreinnahmequelle angeführt hat. Die damit aufgestellte Übereinstimmungsthese wird durch entsprechende Passagen nachfolgender Entscheidungen gestützt, die dem Kern der Landesstaatlichkeit (allgemeiner gehalten) lediglich eine hinreichende Beteiligung der Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft zurechnen380.

376

BVerfGE 34, 9 (19 f.). Fassbender, NVwZ 2009, 737 (739); die Steuereinnahmen machten etwa im Jahre 2007 54,1 Prozent der gesamtstaatlichen Einnahmen aus, vgl. Thiele, NdsVBl. 2010, 89 (92); vgl. zum Ganzen Heun, in: Sacksofsky/Wieland (Hrsg.), Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, S. 10 ff. 378 Dazu eingehend im ersten Kapitel unter § 3. 379 Dazu später unter d) aa). 380 BVerfGE 55, 274 (300), im Anschluss daran so oder ähnlich BVerfGE 72, 330 (388); 86, 148 (214, 264); 116, 327 (377 f.). 377

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Wenn daher die nachfolgenden Erörterungen von der Prämisse der Absicherung einer aufgabengerechten Landesfinanzausstattung ausgehen, so steht dies im Einklang mit den angesprochenen Ausführungen im Referenzjudikat. bb) Ausgangspunkt für die Konkretisierung des Garantieumfangs: Kategorisierung der Landesaufgaben anhand der föderativen Typusmerkmale Mit der nackten Forderung nach einer Sicherung angemessener Landesfinanzausstattungen wird aber im Hinblick auf das Angemessenheitskriterium noch keine Aussage über inhaltliche Maßgaben getroffen. Gesichert ist nach derzeitiger Erkenntnislage zunächst einmal nur, dass der prinzipielle Bezugspunkt für die Erarbeitung dieser Maßstäbe im bundesverfassungsmäßigen Aufgabenkanon der Länder zu erblicken ist. Um Gradmesser für die konkreten Anforderungen an die Beschaffenheit einer Landesfinanzposition erarbeiten zu können, bietet es sich daher erstens an, die (derzeitigen) verfassungsmäßigen Länderaufgaben zu kategorisieren und sich dabei zweitens an den bereits herausgearbeiteten föderativen Grundfunktionen zu orientieren. Zwar wurden in den bundesstaatlichen Verschuldungs- und Finanzthematiken in erster Linie Teilprobleme der Landesstaatlichkeit und damit zugleich des übergeordneten Typusmerkmals der Gewaltengliederung erblickt, und wurden bzw. werden daher auch die (vorangegangenen bzw. nachfolgenden) Teilanalysen primär unter den entsprechenden Vorzeichen durchgeführt (werden). Dennoch können natürlich auch andere (primär: föderative) Teilgarantien des Art. 79 Abs. 3 GG Einfluss auf die Beschaffenheit einer in den Schutzbereich dieser Norm fallenden Länderfinanzgarantie nehmen: Oben wurde gezeigt, dass der Verfassungsgeber zum einen die Auswirkungen der bundesstaatlichen Ordnung auf die Belange des gesamten Gemeinwesens herausgehoben hat. Im unitarischen Bundesstaat wirken die Länder wesentlich bei der Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben mit. Die Länderbeiträge hierzu sind prinzipiell durch einen allenfalls geringen gestalterischen Einfluss auf die Aufgabeninhalte gekennzeichnet381. Man könnte sie daher als weitgehend fremdbestimmte Landesaufgaben mit gesamtstaatlichem Bezug bezeichnen (Kategorie 1 382). Wird nun in einem zweiten Schritt die Gesamtheit derjenigen Aufgaben betrachtet, die keine (oder jedenfalls keine substantielle) gesamtstaatliche Prägung aufweisen und folglich als landesunmittelbare Aufgaben tituliert werden könnten (Kategorie 2), so muss wiederum unterschieden werden: Als zweite typusbestimmende Funktion des föderativen Aufbaus wurde die besagte Ergänzung der demokra-

381

Zum Ganzen oben unter A. III. An die Seite der durch Bundesbelange vorgeprägten Landesaufgaben treten zunehmend solche, die gemeinschaftsrechtlich vorstrukturiert sind. Sie werden im Folgenden der Kategorie eins zugerechnet. 382

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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tisch-rechtsstaatlichen Ordnung durch gewaltengliedernde Effekte ausgemacht383. (Vertikal) gewaltenbalancierend im Bezug auf den Bund können die Länder, einzeln oder im Verbund, aber nur wirken, wenn ihrem Hausgut jederzeit auch ein Mindestbestand an eigenverantwortlich wahrzunehmenden gestalterischen Aufgaben zugeordnet ist, bei deren Erfüllung eine (direkte oder mittelbare) externe Einflussnahme grundsätzlich ausgeschlossen werden muss (Unterkategorie 2. a)). Unabhängig von gesamtstaatlichen Vorgaben gibt es darüber hinaus jedoch auch landesimmanente Aufgaben mit keiner (bzw. einer nur geringen) planerischen Freiheit (Unterkategorie 2. b)) – beispielhaft seien hier die zweckbestimmte Behördenorganisation und -ausstattung im Bezug auf die Ausführung landeseigener Gesetze sowie deren Vollzugsanforderungen genannt. cc) Weichenstellung bezüglich der Konkretisierung des Garantieumfangs: Lediglich typussichernde oder (prinzipiell) aufgabenkongruente Garantie? Soll nun vor diesem systematischen Hintergrund die grundsätzliche Reichweite einer dem Zugriff des Revisionsgesetzgebers entzogenen Verfassungsgarantie aufgabengerechter Landesfinanzausstattungen abgesteckt werden, so ist zunächst festzuhalten: Wird diese Rechtsposition wie hier (primär) als akzessorische Garantie zum von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Postulat der Sicherung des gewaltenbalancierenden und unitarischen Bundesstaats begriffen, so scheint eine Begrenzung des Gewährleistungsgehalts der zugehörigen Länderfinanzgarantie allein auf die Sicherung der beiden Typusfunktionen systematisch zwingend zu sein. Denn wenn eine Finanzgarantie ihre Rechtfertigung aus ihrer Funktion als notwendiges Sicherungsmittel eines zugrunde liegenden Sicherungszwecks bezieht, so muss der Garantieumfang seine Schranken in der Erfüllung dieses Zwecks (hier: der Aufrechterhaltung des gewaltengliedernden und unitarischen Föderalstaats) finden. Mit Blick auf die analysierte Problemstellung würde dies jedoch bedeuten, dass aufgabengerecht im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG insoweit bereits jede Finanzgarantie wäre, die lediglich die ordnungsgemäße Erfüllung eines funktionssichernden Mindestbestands an gestalterisch sowie gesamtstaatlich bedeutsamen Landesaufgaben – also nicht: der im Betrachtungszeitpunkt bestehenden (grundgesetzlichen) Länderaufgabengesamtheit – sicherstellen würde. Für die Wahrnehmung aller darüber hinausgehenden Aufgaben hingegen müsste, rein aus dem Blickwinkel der beiden bundesstaatlichen Strukturmerkmale, grundsätzlich nicht garantiert werden – selbst dann nicht, wenn es sich bei den Aufgaben um solche handeln sollte, die zum Betrachtungszeitpunkt in der Bundesverfassung angelegt und inhaltlich einer der beiden Typus-Kategorien zuzuordnen wären.

383

Vgl. zur Gesamtproblematik bereits oben unter A. II. 1. und 3.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Dann aber drängt sich die Folgefrage auf, ob Art. 79 Abs. 3 GG tatsächlich eine Verfassungsrechtslage tolerieren könnte, in der, vor dem Hintergrund des bereits in der Grundgesetz-Urfassung angelegten finanzverfassungsrechtlichen Prinzips der Vollzugskausalität384, eine Inkongruenz von Landesaufgabenbestand auf der einen und zugehöriger finanzieller Absicherung auf der anderen Seite angelegt wäre. Für die Erörterung dieser Frage könnte es hilfreich sein, diese Normierungslage einmal anzunehmen, um sich zunächst Klarheit über die daraus folgenden verfassungsrechtlichen Konsequenzen zu verschaffen: Würde die Bundesverfassung den Ländern einerseits (unmittelbar sowie mittelbar über Art. 70, 30 GG) einen bestimmten Aufgabenbestand zuweisen, andererseits aber nicht vollumfänglich für die zur Erfüllung erforderliche Finanzausstattung garantieren385, so ließe sie den Gliedstaaten im fiskalischen Ernstfall keine andere Möglichkeit, als einen Teil ihrer grundgesetzlichen (oder zumindest grundgesetzlich erfassten, s. unten) Aufgaben unerfüllt zu lassen. Denn jede Landesaufgabe wird entweder mittels ausdrücklicher Kompetenzzuweisung durch die Bundesverfassung begründet oder zumindest – über die Art. 70 und 30 GG386 zugrunde gelegten Residualkonstruktionen387 – von ihr erfasst. Mit anderen Worten: Die Bundesverfassung würde eine innerhalb ihres Rahmens statuierte staatliche Organisationsebene (diejenige der Länder) zum Bundesverfassungsbruch (!) nötigen. Dieses absurde Ergebnis wäre selbstverständlich nicht mit dem (ebenfalls von der Ewigkeitsklausel umfassten388) rechtstaatlichen Verfassungskern in Einklang zu bringen, und das bedeutet: Eine (Bundes-)Verfassungsrechtslage, in deren Rahmen der Garantieumfang einer Länderfinanzsicherung nicht an der Gesamtheit der Landesaufgaben zu bemessen wäre, stünde nicht mit Art. 79 Abs. 3 GG in Einklang. Fazit: Die Finanzausstattung eines Landes kann mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG grundsätzlich nur dann als angemessen angesehen werden, sofern sie den Gliedstaat in die Lage versetzt, sämtliche ihm durch die Bundesverfassung auferlegten bzw. belassenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Hierin ist die weichenstellende Maßgabe für die nachfolgende Präzisierung der Anforderungen an die Länderfinanzgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG zu erblicken.

384

Vgl. oben unter 1. a) bb) (2) (b) (bb). Dies kann (in gewissem Umfang) auch durch das Belassen von Steuererhebungsrechten – oder Verschuldungsspielräumen gewährleistet werden, hierzu später unter d) aa). 386 Beide Normen waren (in ihrer heutigen Form) bereits in der für die Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG maßgeblichen Erstfassung des Grundgesetzes enthalten. 387 Zum Residualcharakter des Art. 30 GG Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 134 Rn. 8; Häde, Finanzausgleich, S. 17 f. 388 Dazu etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3, Rn. 49 ff. 385

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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b) Grundanforderung an die Angemessenheit der Finanzausstattung: Gewährleistung der verfassungskonformen Erfüllung verfassungsmäßiger Aufgaben Mit Blick auf die revisionsfesten föderativen Substanzmerkmale heißt das: Die Finanzposition eines Landes kann nur dann als aufgabengerecht, und können somit auch die Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG erst dann als gewahrt erachtet werden, sofern die dem Land zugewiesenen Finanzmittel und/oder fiskalischen Erschließungsmöglichkeiten – sowohl für die ordnungsgemäße Erfüllung der weitgehend fremddeterminierten (aa)) – als auch – nach Abzug der Ausgabenposten für landesunmittelbaren Aufgaben ohne bzw. mit wenig Entscheidungsspielraum – für die eigenverantwortliche Wahrnehmung derjenigen Gestaltungsaufgaben ausreichen, welche den Ländern – zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt – durch das Grundgesetz auferlegt werden (bb)). Die zeitliche Beschränkung der Aussagekraft der konkreten Vorgaben resultiert dabei unweigerlich aus der konstruktiven Struktur der zugrunde liegenden Maßgabe, aufgabenadäquate Länderfinanzausstattungen zu gewährleisten. Denn handhabbare fiskalische Kriterien, anhand derer die Frage nach der Gewährleistung einer (verfassungs-)aufgabengerechten Landesfinanzausstattung im Einzelfall erst beantwortet werden kann, können immer nur in Bezug auf den zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt vorherrschenden grundgesetzlichen Kanon an Landesaufgaben formuliert werden. Und das bedeutet: Der mit Blick auf einen bestimmten Sachverhalt konkretisierte Prüfungsmaßstab kann nur dann auch Gültigkeit bezüglich anderer Anwendungsfälle beanspruchen, wenn diesen Sachlagen im Hinblick auf die Statuierung der Landesausgaben dieselbe Bundesverfassungsrechtslage zugrunde liegt. Da sich aber Aussagen zur zukünftigen Ausgestaltung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung (insbesondere für die Zeit ab dem 1. Januar 2020389) nur im Bereich des Spekulativen bewegen können, kann im Rahmen dieser Untersuchung keine abschließende Präzisierung des zentralen Merkmals der Aufgabengerechtigkeit vorgenommen werden. Wohl aber kann unter Zugrundelegung der derzeitigen Verfassungsrechtslage für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2011 (vorläufig) illustriert werden, welcher konkrete Gesamtbestand an Aufgaben als Be389 Ab diesem Datum greift die Länderschuldenregel ohne Einschränkungen (näher dazu im ersten Kapitel des zweiten Teils).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

zugsgröße für die Bemessung hinreichender Landesfinanzpositionen herangezogen werden muss. Sollte das Grundgesetz zukünftig insoweit novelliert werden, so wären auch die Prüfungsanforderungen entsprechend nachzujustieren. aa) Extern determinierte Landesaufgaben Bis zur verfassungsgerichtlichen Feststellung des Gegenteils muss davon ausgegangen werden, dass das Länderschuldenregime der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5; 143d Abs. 1 Sätze 1–4, Abs. 2, 3 GG am 1. August 2009 in Kraft getreten ist390. Zu diesem Zeitpunkt zählten (und zählen heute immer noch) zu den extern begründeten Landesaufgaben und -pflichten ohne (oder mit allenfalls geringem) Gestaltungsspielraum: 1. Die Ausführung der Bundesgesetze a) als eigene Angelegenheit (Art. 83 f. GG) oder b) im Auftrag des Bundes (Art. 85 GG). 2. Die grundsätzliche391 Finanzierungsverantwortung zu Punkt eins, wobei a) im Fall der Art. 83 f. GG sowohl Zweck-392 als auch Verwaltungsausgaben (Art. 104a Abs. 1 bzw. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 jeweils i.V. m. Art. 83 GG), b) im Fall des Art. 85 GG hingegen nur die Verwaltungsausgaben aus landeseigenen Mitteln zu bestreiten sind (Art. 104a Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 GG).393 3. Unbenannte Aufgaben, deren Gestaltung bzw. Wahrnehmung das Grundgesetz weder unmittelbar dem Bund zuweist noch eine Erfüllung durch diesen zulässt, und die folglich gemäß Art. 30 GG in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen, zugleich aber keinen oder kaum gestalterischen Spielraum hinsichtlich ihrer Erfüllung aufweisen394, da der Handlungsrahmen der Länder

390 Vgl. Art. 2 des Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) vom 29. Juli 2009, BGBl. I, S. 2248 i.V. m. dem Verkündungsdatum (31. Juli 2009). 391 Vgl. aber für den Bereich der Kriegsfolge- und Sozialversicherungslasten die abweichende Sonderregelung des Art. 120 Abs. 1 GG. Geht es ferner um die landeseigene Ausführung von Geldleistungsgesetzen des Bundes, können diese Gesetze gemäß Art. 104a Abs. 3 Satz 1 GG Ausnahmen von der Regel des Art. 104a Abs. 1 GG statuieren, indem sie bestimmen, dass die Ausgaben ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Soll jedoch der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr tragen, wird das Gesetz im Auftrage des Bundes ausgeführt (Satz 2). 392 Zu einfachgesetzlichen Ausnahmen von diesem Grundsatz ermächtigt Art. 104a Abs. 3 GG. 393 Handeln die Länder im Auftrag des Bundes, trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben, Art. 104a Abs. 2 GG. 394 Liegt dieses zweite Kriterium nicht vor, fallen die Materien in Aufgabenkategorie 2. b) (zur Kategorisierung siehe oben unter a) bb)).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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weitgehend durch allgemeine (einfachgesetzliche) bundes-395 und/oder gemeinschaftsrechtliche 396 Regelungen eingeschränkt wird397. 4. Schließlich, soweit im Wesentlichen Bundesrecht den Streit entscheidet398: die Wahrnehmung der Judikativpflichten (vgl. Art. 92 Hs. 2 Var. 3 GG) – ebenfalls zuzüglich der Aufgabenfinanzierung399. Der letztgenannte Aspekt kann in fiskalischer Hinsicht allerdings vernachlässigt werden, da die Länder mit Blick auf die Kontrolle von Landesrecht ohnehin Gerichte einrichten und ausstatten müssen, und – anders als im Fall des Vollzugs von Bundesgesetzen gemäß Art. 83 ff. GG – keine nennenswerten (administrativen) Mehrkosten durch die zusätzliche Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Aufgabe anfallen dürften. Darüber hinaus wird der Aufgabenwahrnehmungsspielraum der Länder zum einen infolge der Mitwirkung des Bundes an der Rahmenplanung400 bei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a und 91b GG eingeengt. In Fällen des Art. 91a GG wirkt der Bund bei der Erfüllung von Länderaufgaben mit. Dabei handelt es sich nicht ausschließlich um Gestaltungsaufgaben, sondern kann es mitunter (etwa an395 Dies vereitelt nicht die Begründung einer Landesaufgabe (etwa: einer Fördermaßnahme) durch Art. 30 GG. Denn eine gesetzliche Reglementierungskompetenz verleiht dem Bund in der Regel nicht zugleich auch die Befugnis zur Planung und Tätigung konkreter Fördermaßnahmen (Ausnahme: Annexkompetenz). Die entsprechenden Befugnisse dürften somit regelmäßig in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. 396 Sollte es sich bei dem begrenzenden Sekundärrechtsakt um eine Verordnung – also um in den Mitgliedsstaaten unmittelbar wirksames Recht – handeln, so würde eine Bindung der Länder aus Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG i.V. m. der vertraglichen Ermächtigungsgrundlage i.V. m. dem in Rede stehenden Verordnungspassus resultieren. Ergeben sich die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hingegen aus einer umsetzungsbedürftigen Richtlinie, so bedarf es zur Begründung einer wirksamen Verpflichtung eines Transformationsgesetzes – die unmittelbare Bindung der Länder ginge also auf Bundesrecht zurück. 397 Hier könnten etwa Landesaufgaben im Zusammenhang mit EU-Förderprogrammen oder Förderprogramme der Länder auf dem Gebiet Energiewirtschaft (konkurrierende Bundeskompetenz, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) eingeordnet werden. Liegt keine bundes- bzw. gemeinschaftsrechtliche Determination vor, haben die Länder aber bei der Aufgabenerfüllung dennoch keinen/kaum Spielräume, so handelt es sich um eine landesunmittelbare Materie der Kategorie 2. b), zur Kategorisierung der Landesaufgaben vgl. oben unter a) bb). 398 Auch im Hinblick auf die Fälle freilich, in denen schwerpunktmäßig/komplett Landesrecht einschlägig ist, handelt (bzw. sollte) es sich (idealiter) bei der Ausübung der Rechtsprechungsfunktion um eine inhaltlich gebundene Aufgabe (handeln). Da hier jedoch der Landesgesetzgeber die Aufgabenwahrnehmung vorprägt, fallen diese Sachverhalte in die oben aufgestellte Untergruppe der determinierten landesunmittelbaren Aufgaben. 399 Diese tritt im Vergleich zu den finanziellen Belastungen infolge des Vollzugs von Bundesgesetzen jedoch in den Hintergrund. 400 Vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 91a Rn. 5.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

gesichts der Normierungsbefugnisse des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG) auch um bloße Administrativaufgaben der Länder gehen. Aufgrund der Eigenstaatlichkeit der Länder dürfen die mit der Bundesrahmenplanung einhergehenden Einschränkungen in beiden Fällen aber nicht derart intensiv sein, dass sie den originären Aufgabenzuschnitt grundlegend modifizieren. Daher sind die Art. 91a GG zugrunde liegenden Konstellationen nicht einem eingeständigen Länderaufgabentypus zuzuordnen, sondern je nach Beschaffenheit entweder den Gestaltungs- oder den hier erörterten determinierten Aufgaben. Im Ergebnis identisch verhält es sich bei Art. 91b GG, der eine gegenseitige Mitwirkungsbefugnis beider staatlicher Ebenen an Aufgaben der jeweils anderen Ebene regelt und dessen Normbereich ebenfalls durch eine komplementäre Verteilung der Sachkompetenzen zwischen Bund und Ländern gekennzeichnet ist401. Zum anderen liegt auch der Finanzierungsvorschrift des Art. 104b GG eine Aufgabenkonstellation zugrunde, die unter dem Aspekt der Determiniertheit von Landesaufgaben in den Blick genommen werden muss. Denn nach dieser Vorschrift kann der Bund, soweit das Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, den Ländern unter bestimmten Voraussetzungen Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände gewähren: Weil der Tatbestand damit (nur) Sachverhalte erfasst, bei denen die Länder ihre Investitionstätigkeit auf einem Regelungsgebiet entfalten, auf dem das Normierungsrecht grundsätzlich beim Bund liegt, könnte hierin eine weitere Fallgruppe weitgehend gebundener Landestätigkeiten erblickt werden. Bei genauerer Betrachtung können jedoch alle denkbaren Sachverhalte, die kumulativ die beiden Merkmale „verliehene Bundes-Gesetzgebungsbefugnisse“ 402 und „Sachinvestition403 der Länder“ aufweisen, einer der bereits angelegten Kategorien zugeordnet werden: Hat der Bund (1) von seinen Gesetzgebungsbefugnissen (noch) keinen Gebrauch gemacht, muss unterschieden werden: Zählen die jeweiligen Materien (a) zu den konkurrierenden Normgebungsinhalten, fallen sie gemäß Art. 72 Abs. 2 GG (im Betrachtungszeitpunkt) in den legislativen Gestaltungsbereich der Länder – die folglich mit Blick auf ihre Investitionstätigkeit keinen externen Beschränkungen unterliegen. Hat hingegen der Bund (b) auf die Wahrnehmung einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz verzichtet, so stehen den Ländern auf diesem Gebiet zwar nicht ohne Weiteres Legislativbefug401 Grundsätzlich sind die Thematiken des Art. 91b GG zwar der Kulturhoheit der Länder zuzuordnen, vgl. aber die Bundeskompetenzen gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 Var. 2 GG sowie die ungeschriebene Kompetenz zur Förderung der so genannten Großforschung (vgl. Heun, in: Dreier [Hrsg.], GG III, Art. 91b Rn. 7, dort Fn. 35). 402 Zum Streit um die Frage, inwieweit es dafür bei Materien der konkurrierenden Gesetzgebung auf die Erfüllung der Erforderlichkeitsvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG ankommt Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 274 ff. (bejahend); für die Gegenauffassung vgl. nur Hellermann, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 161. 403 Aufgrund des Regelungszwecks ist der Anwendungsbereich des Art. 104b GG solcherart zu beschränken, etwa Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 104b Rn. 9.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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nisse zu (vgl. Art. 71 GG); auch in dieser Variante dürfte aber den Ländern mangels bundesgesetzlicher Vorgaben ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum bei der Planung und Realisierung konkreter Förderprogramme zukommen. Fazit: Sämtliche Art. 104b-Konstellationen, in denen der Bund von einem bestehenden Gesetzgebungsrecht (noch) keinen Gebrauch gemacht hat, fallen im Betrachtungszeitpunkt nicht in die Kategorie der gebundenen Landesaufgaben, sondern sind den Gestaltungsaufgaben der Länder zuzurechnen404. In Bezug auf jene Varianten hingegen, bei denen (2) der Bund bereits von seinen Gesetzgebungsbefugnissen Gebrauch gemacht hat, muss ebenfalls differenziert werden. Werden (a) sowohl Ob als auch Wie der Investitionstätigung im Wesentlichen durch bundesgesetzliche Vorgaben determiniert, handelt es sich mangels Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „Investitionen der Länder“ nicht um einen Fall des Art. 104b GG. Will der Bund auf dieser normativen Grundlage Landesaufgaben mitfinanzieren, darf er sich nur sehr begrenzt Planungs- und Einwirkungsbefugnisse vorbehalten und muss den Ländern jedenfalls die Entscheidung über die Auswahl einzelner Projekte (und sogar weitgehend über die konkrete Verwendung der Mittel) belassen405. Mit Blick auf die Aufgabenbeschaffenheit dürfte es sich bei Sachverhalten der betrachteten Untergruppe (a) regelmäßig um Fälle der bereits behandelten Ausführung von Bundesgesetzen gemäß Art. 83 ff. GG406 – mit den einhergehenden Implikationen im Bezug auf die Finanzierungsverantwortung407 – handeln. Räumt/Räumen das/die Bundesgesetz(e) den Ländern dagegen (b) die von Art. 104b GG geforderten Spielräume ein, muss in einem nächsten Schritt nach der Intensität der bundesrechtlichen Rahmenvorgaben gefragt werden, um auf dieser Grundlage anschließend eine Zuordnung zu den ebenfalls bereits angesprochenen Fällen entweder der sonstigen408 auswärtig determinierten Landes(verwaltungs)aufgaben409 oder der Landesgestaltungskompetenzen vornehmen zu können. Da sich aus den Normierungsbereichen der Art. 91a, 91b und 104b GG folglich keine zusätzlichen Aufgabenkategorien ableiten lassen, bleibt es bei den eingangs dieses Abschnitts statuierten Gruppen. Im Hinblick auf die extern determinierten Aufgaben eines Landes ergeben sich somit die ersten Teilkriterien für die adäquanzbezogene Einschätzung seiner Fiskalausstattung: Die Finanzaufstellung eines Landes kann nur dann als aufgabengerecht erachtet werden, wenn sie ihm 404

Dazu sogleich unter bb). BVerfGE 39, 96 (115, 117 ff.); 41, 291 (310 ff.); 86, 148 (268), sämtlich zu Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG a. F. 406 Oben unter Punkt eins. 407 Oben unter Punkt zwei. 408 In Bezug auf die Ausführung der Bundesgesetze, die ja im Wesentlichen ebenfalls bundesgesetzlich vorgezeichnet ist. 409 Dazu oben unter Punkt drei. 405

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

die ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Finanzierungsverantwortung im Hinblick auf erstens die Ausführung von Bundesgesetzen gemäß Art. 83 ff. GG sowie die Erfüllung sonstiger bundes- und/oder gemeinschaftsrechtlich vorgeprägter Aufgaben ermöglicht. bb) Landesunmittelbare Aufgaben, im Besonderen: Gestaltungsaufgaben Bleiben diejenigen Aufgaben, die das Grundgesetz nicht dem Bund zuweist bzw. bei denen es eine solche Zuweisung nicht zulässt (vgl. Art. 30 GG), und deren Wahrnehmung daher gemäß Art. 72 Abs. 1, 70 Abs. 1 oder Art. 30 GG den Ländern zukommt. Mit Blick auf das föderative Typusmerkmal der Gewaltengliederung sind diejenigen unter ihnen von herausgehobener Bedeutung, bei denen den Ländern Entscheidungsspielraum nicht nur in administrativer, sondern auch in materieller Hinsicht zukommt. In diese Aufgabengruppe fallen nach aktueller Bundesverfassungsrechtslage insbesondere das Kindergarten-410, Kultur-, Schul- und Hochschulwesen411. Wenn Art. 79 Abs. 3 GG ausgehend vom bundesstaatlichen Leitbild vertikaler Machtbalance den „Erhalt der Länder als Zentren (. . .) politischer Entscheidung“ 412 fordert, so müssen die Länder unter Berücksichtigung ihres im Betrachtungszeitpunkt vorherrschenden Bestandes an Gestaltungsaufgaben eine realistische Chance haben, ihre Haushalte dementsprechend aufzustellen. Das bedeutet: Nach Abzug der Kosten, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von inhaltlich vorgeprägten landesunmittelbaren (Administrativ-)Aufgaben anfallen, müssen jedem im Betrachtungszeitpunkt existierenden413 Bundesland noch genügend Finanzmittel zur Sicherung seines politischen Eigengewichts nach der obigen Maßgabe verbleiben. cc) Sonderfall hybrider Beschaffenheit: Garantie der kommunalen Finanzausstattung Zu den bundesverfassungsmäßigen414 Länderpflichten könnte nach aktueller Ausgestaltung des Grundgesetzes auch eine (umfängliche oder partielle) Garan410 Die Sachkompetenz auf diesem Gebiet kommt nach zutreffender Auffassung den Ländern zu, vgl. zur Problematik Schoch/Wieland, Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, S. 47 ff. (auch mit Nachweisen zur Gegenposition). 411 Zu den landesspezifischen Kompetenzen eingehend Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 305. 412 Hesse, AöR 98 (1973) 1 ff. (14, 45); vgl. auch Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 29; Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 210. 413 Siehe Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 22: „(. . .) muß jedem Land (. . .) ein Kern eigener Aufgaben verbleiben (. . .)“, ebenso Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 8: „Zu dem (. . .) Hausgut jedes Bundeslandes gehört (. . .).“ (Hervorhebungen durch Verfasser).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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tiepflicht eines Landes für eine hinreichende Finanzausstattung seiner Kommunen zählen. Zwar sichert Art. 79 Abs. 3 GG die aktuelle bundesverfassungsrechtliche Stellung der Kommunen nicht per se ab – nicht einmal im Kern415. Da aber die Sicherung aufgabengerechter Landesfinanzausstattungen ein föderatives Postulat der Ewigkeitsklausel ist, und sich die Bemessung dieser Fiskalpositionen an der im jeweiligen Betrachtungszeitpunkt im Grundgesetz niedergelegten Gesamtheit der Landesaufgaben orientieren muss, heißt das: Sollte den Ländern aktuell eine Einstandpflicht bezüglich finanzieller Belastungen ihrer Gemeinden/Gemeindeverbände obliegen, so könnte derzeit nur dann von einer Erfüllung der Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG ausgegangen werden, wenn (bzw. solange) und soweit die Länder (noch) imstande sind, diese Aufgabe ohne Vernachlässigung ihrer übrigen Verfassungspflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen. Vor diesem Hintergrund scheint eine gesonderte Inaugenscheinnahme der Kommunalfinanzproblematik im Rahmen der vorliegenden Analyse geboten zu sein. Denn je nach Umfang der möglicherweise bestehenden Garantiepflichten könnte es sich bei Letzteren um im bisherigen Verlauf der Untersuchung noch nicht erfasste kostenträchtige Länderaufgaben handeln, die gegebenenfalls im Rahmen der Quantifizierung des einschlägigen Prüfungsmaßstabs (Art. 79 Abs. 3 GG) berücksichtigt werden müssten. Vor dem Hintergrund der zunehmend desolateren Finanzlage zahlreicher Kommunen416 soll im Folgenden die Länderfinanzproblematik aus dem geschilderten Blickwinkel beleuchtet werden.

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Ausgleichsfragen, die die Bundesverfassung dem Landesverfassungsbereich zuordnet und die daher prinzipiell dem Gestaltungsbereich der Länder unterliegen, müssen mit Blick auf die Bestimmung der zum 1. August 2009 vorherrschenden grundgesetzlichen Einstandspflichten der Länder für ihre Kommunen außen vor bleiben. 415 Hierzu oben unter A. III. 1. b). 416 Vgl. etwa FAZ vom 29. September 2011 (Regionalausgabe), S. 60; vom 9. September 2011, S. 17; vom 5. August 2011, S. 13; vom 4. Mai 2011, S. 11; zum Ganzen auch Wieland, in: Lange/Junkernheinrich (Hrsg.), Loccumer Protokolle 67/10, Gemeindefinanzpolitik in der Krise, S. 89 (90 ff.); ders., in: Schliesky/Ernst/Schulz (Hrsg.), Festschrift für Schmidt-Jortzig, S. 221 (224). Das gewaltige Ausmaß der kommunalen Finanzprobleme hat in jüngster Zeit zumindest einzelne Länder dazu veranlasst, entsprechende Entschuldungs- bzw. Hilfsprogramme auf den Weg zu bringen. So hat der nordrhein-westfälische Landtag am 8. Dezember 2011 das so genannte Stärkungspaktgesetz verabschiedet (GV. NW. 2011 S. 662), das überschuldeten und von Überschuldung bedrohten Kommunen Konsolidierungshilfen von insgesamt 5,85 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. Hessen will einen mit 3,2 Milliarden Euro bestückten „Kommunalen Schutzschirm“ aufspannen, der den Gemeinden und Kreisen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro für die kommunale Entschuldung und in Höhe der restlichen 400 Millionen Euro für Zinsverbilligungen zur Verfügung gestellt werden soll, vgl. dazu FAZ vom 21. Januar 2012 (Regionalausgabe), S. 58, vom 7. März 2012 (Regionalausgabe), S. 43 f.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

(1) Berücksichtigungspflichtigkeit etwaiger Einstandspflichten der Länder für ihre Kommunen? Ob und, falls ja, inwieweit von Bundesverfassungs wegen finanzielle Einstandspflichten eines Landes gegenüber seinen Gemeinden/Gemeindeverbänden statuiert werden, kann nur auf Grundlage einer gesonderten Betrachtung der kommunalen Aufgaben erfolgen. Dies wiederum setzt eine vorherige Kategorisierung dieser Aufgaben voraus. Mit Blick auf die im Rahmen dieser Untersuchung vorzunehmende Ableitung bundesverfassungsrechtlicher Kriterien für eine zutreffende Bemessung der Landesfinanzausstattungen bietet sich dabei folgende Einteilung an: Die kommunalen Aufgaben können in einem ersten Schritt in die gemeindliche Erfüllung der vom Land (bzw. sofern eine direkte Bundeszuweisung gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 Var. 2 GG fort gilt417: auch vom Bund) delegierten Obliegenheiten auf der einen und in die Wahrnehmung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises (Selbstverwaltungsaufgaben, dazu nachfolgend unter (c)) auf der anderen Seite aufgegliedert werden. In einem weiteren Schritt können sodann die Aufgabenkategorie des übertragenen Wirkungskreises in seine beiden Bestandteile zerlegt werden: in die Ausführung von Bundes- und Landesgesetzen, die, anders als die reglementierte Wahrnehmung von (echten418) Selbstverwaltungsaufgaben, prinzipiell uneingeschränkter Weisung (bzw. sofern es sich um unechte Selbstverwaltungsaufgaben handelt: äußerst hoher Normierungsdichte) unterliegt ((a), (b)). Existenz und gegebenenfalls Umfang fiskalischer Garantiefunktionen der Länder für ihre Kommunen sowie die etwaige Notwendigkeit der Berücksichtigung solcher Landespflichten im hiesigen Analysezusammenhang müssen für jede der drei Zielkategorien gesondert erörtert werden. Zur Klarstellung: Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung spielt das Problem der verwaltungsdogmatischen Klassifikation der übertragenen Gemeindeaufgaben (Stichworte: dualistisches vs. monistisches Aufgabenmodell) keine Rolle: Ausdrücklich benennt die Bundesverfassung in Art. 28 Abs. 2 GG nur die Kategorie der Selbstverwaltungsaufgaben. Da weiterhin das Selbstverwaltungsrecht – nur in Bezug auf einen begrenzten Aufgabenkreis (Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft) eingeräumt wird, – das Grundgesetz den Ländern aber gleichzeitig die Ausgestaltung ihrer Verwaltungsbinnenorganisation überlässt (und aufgrund ihrer revisionsfesten Staatlichkeit auch überlassen muss) – und damit gemäß Art. 70 GG implizit anerkennt, dass die Gliedstaaten ihren Kommunen (potentiell) auch Aufgaben über die in Art. 28 Abs. 2 GG umrissenen Inhalte hinaus übertragen dürfen, 417

Dazu sogleich unter (a) (aa). Zur Unterscheidung zwischen echten und lediglich formenmissbräuchlich so genannten Selbstverwaltungsangelegenheiten sogleich unter (c) (aa). 418

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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setzt die Bundesverfassung zwar indirekt auch die Existenzmöglichkeit einer zweiten, von den Selbstverwaltungsangelegenheiten zu unterscheidenden kommunalen Aufgabenkategorie voraus. Ob es sich bei deren Inhalten aber um von originären gemeindlichen Aufgaben zu scheidende, staatliche Auftragsangelegenheiten oder um Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung handeln soll, die – dem monistischen Weinheimer Entwurf zufolge – zusammen mit den Selbstverwaltungsangelegenheiten einem einheitlichen gemeindlichen Aufgabenbereich unterfallen sollen, ist von bundesverfassungsrechtlicher Warte aus schlicht nicht ersichtlich. Darum ist die dogmatische Einordnung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises für die hiesige Typisierung der Gemeindeaufgaben, die allein mit Blick auf eine eventuell bestehende grundgesetzliche Landesgarantenstellung für die Kommunalfinanzen vorzunehmen ist, prinzipiell ohne Belang. Da sich aber unabhängig von diesen normenhierarchischen Überlegungen auch der in Rede stehende bundesverfassungsrechtliche Bemessungsrahmen für aufgabengerechte Länderfinanzausstattungen letztlich an der fiskalischen Realität zu orientieren hat, sich diese Realität aber im Fall einer hier gegebenenfalls zu veranschlagenden Landeseinstandspflicht für die Gemeindefinanzen erst aus den entsprechenden Finanzvorschriften der Landesverfassungen i.V. m. der konkreten kommunalrechtlichen Aufgabensystematik ergibt, muss Letztere zumindest insoweit in den Blick genommen werden. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang jedoch allein, dass sowohl im Rahmen von Auftragsangelegenheiten als auch bei Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung ein potentiell unbeschränktes staatliches Weisungsrecht besteht419, weshalb die Kommunen bei beide Aufgabentypen keinen/kaum Einfluss auf die anfallenden Kosten haben: Hier liegt der fiskalische Gestaltungsspielraum im Wesentlichen auf der gemäß Art. 70 ff. GG inhaltlich normierungsbefugten staatlichen Ebene. (a) . . . hinsichtlich der Ausführung von Bundesgesetzen (ohne substantiellen kommunalen Entscheidungsspielraum)? Bis zum Inkrafttreten der ersten Föderalismusreformstufe im Jahr 2006 konnte eine Aufgabenträgerschaft der Gemeinden/Gemeindeverbände für den Vollzug von Bundesrecht auf zwei Arten begründet werden. Dabei fußt die erste Zuweisungsmöglichkeit auf dem Umstand, dass die Kommunen in staatsrechtlicher Hinsicht keine selbständige dritte Ebene bilden, sondern den Ländern eingegliedert sind420. Da Letzteren grundsätzlich die Ausführung der Bundesgesetze (als

419 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 98 unter Berufung auf Lange, in: Stein/Faber (Hrsg.), Festschrift für Ridder, S. 63 (65). 420 Siehe dazu bereits oben unter A. III. 1. b); vgl. auch Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 65; dies.,

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

eigene oder Auftragsangelegenheit) obliegt, und sie die diesbezügliche Einrichtung der Behörden, das Verwaltungsverfahren und damit auch die zuständigen Aufgabenträger bestimmen (Art. 83, 84 Abs. 1 Satz 1, 85 Abs. 1 [Satz 1 ! n. F.] Var. 1 GG), stand bzw. steht ihnen auch die Übertragung des Vollzugs von Bundesgesetzen auf die kommunale Verwaltungsebene frei ((bb)). Abgesehen von diesem Regelfall der Begründung kommunaler Aufgabenträgerschaft für den Vollzug von Bundesgesetzen, wurde zweitens aus Art. 83 Abs. 1 Var. 2 bzw. 85 Abs. 1 Var. 2 GG a. F. bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – entgegen der zweigliedrigen Organisation des deutschen Bundesstaats – eine kompetentielle Durchgriffsbefugnis des Bundes auf die kommunale Ebene hergeleitet421 ((aa)). (aa) Ausnahme: Fortgeltendes Bundesrecht gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 Var. 2, 3 GG (Bundesdurchgriffszuweisung) Aufgrund des (mit Blick auf den zweigliedrigen Staatsaufbau folgerichtigen) Fehlens bundesverfassungrechtlicher Finanzierungsansprüche der Kommunen gegen den Bund einer- und des Nichteingreifens landesverfassungsrechtlicher Ausgleichsregeln andererseits hatten Aufgabenzuweisungen dieser zweiten, außerordentlichen Art regelmäßig zur Folge, dass die Kommunen die teils erheblichen Zweck- und Verwaltungskosten des Gesetzesvollzugs nicht erstattet bekamen422. Diesem Missstand hat der verfassungsändernde Gesetzgeber des Jahres 2006 mit der Verankerung von an den Bund adressierten Durchgriffssperren auf die kommunale Ebene in Art. 84 Abs. 1 Satz 7 bzw. 85 Abs. 1 Satz 2 GG ein Ende bereitet. Bundesunmittelbar begründete kommunale Aufgabenträgerschaften gelten zwar gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 Var. 2 GG Var. 2 bzw. 3 GG fort, können aber durch Landesrecht ersetzt werden (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG). Hinsichtlich etwaiger Garantiefunktionen der Länder für die Finanzausstattungen ihrer Gemeinden/Gemeindeverbände nach Maßgabe der hier bis auf Weiteres allein relevanten Verfassungsrechtslage zum Zeitpunkt des (vermeintlichen) Inkrafttretens der Art. 109, 143d GG n. F. (1. August 2009) spielen bundesgesetzlich begründete Aufgabenzuweisungen an die Kommunen daher eine allenfalls untergeordnete Rolle. Angesichts dessen soll auf die oben angedeutete Kostenproblematik nach altem Recht nicht näher eingegangen, sondern mit Blick auf die hier Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, S. 63. 421 BVerfGE 22, 180 (209 f.); 77, 288 (298 f.); kritisch dazu Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 115 ff.; dies., Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, S. 69 ff. 422 Dazu Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 86; Meyer, Die Föderalismusreform 2006, S. 123 ff.; F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 84 (Lfg. 61, Januar 2011) Rn. 155; Henneke, DVBl. 2011, 125 (125 f.); vgl. auch Wieland, in: Schliesky/Ernst/Schulz (Hrsg.), Festschrift für Schmidt-Jortzig, S. 221 (221 f.).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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beleuchtete Landesfinanzproblematik lediglich festgehalten werden: Zwar besteht beim Bundesdurchgriff auf die kommunale Ebene nach zutreffender Auffassung eine prinzipielle Einstandspflicht der Länder im Rahmen einer allgemeinen Garantenstellung für die kommunale Finanzausstattung (zur Herleitung dieser Pflicht sogleich unter (dd))423. Dies spielt jedoch bei der Suche nach bisher noch nicht erfassten Landesaufgaben mit zusätzlichem Kosteneffekt letztlich keine Rolle. Denn selbst wenn die Länder im Fall direkter Aufgabenzuweisungen des Bundes an ihre Kommunen bundesverfassungsrechtlich zu einer kompletten Kostenübernahme verpflichtet wären – was aufgrund ihrer hier lediglich inakzessorischen Verantwortung (! „allgemeine Garantenstellung“) nicht der Fall ist –, stünden sie, wieder allein aus bundesverfassungrechtlicher Sicht, finanziell nicht schlechter als im grundgesetzlichen Normalfall, in dem sie selbst eine entsprechende kommunale Aufgabenträgerschaft für den Vollzug von Bundesrecht begründen (können)424: Hat der Bund den Kommunen den Gesetzesvollzug (1) als (unechte425) pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe426 aufgegeben, so gründet seine Durchgriffskompetenz in Art. 84 Abs. 1 Var. 2 GG a. F. Die zu betrachtende Vergleichskonstellation ist somit der Regelfall der Ausführung von Bundesgesetzen als landeseigene Angelegenheit – hier tragen indessen die Länder Zweck(Art. 104a Abs. 1 GG) und Verwaltungskosten (Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG) sogar umfassend. Handelt es sich demgegenüber (2) um eine Direktzuweisung als Auftragsangelegenheit, so muss sich der Bundesgesetzgeber auf Art. 85 Abs. 1 Var. 2 GG a. F. berufen (denn nur im Rahmen des Art. 85 GG greifen uneingeschränkte Weisungs- (Abs. 3 Satz 1) und Fachaufsichtsbefugnisse (Abs. 4 Satz 1), mit der Konsequenz, dass vergleichsweise die finanzverfassungsrechtlichen Konsequenzen einer regelmäßigen Bundesauftragsverwaltung beleuchtet werden müssen). Auch hier bleibt es bei der Landesübernahme der Verwaltungskosten gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG, wohingegen es nun der Bund ist, der die Zweckkosten trägt (Art. 104a Abs. 2 GG). An dieser Stelle könnte für Fälle einer per Bundeszuweisung begründeten kommunalen Auftragsverwaltung ein im Rahmen der bisherigen Analyse noch nicht identifizierter (bundes-)verfassungs423 Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, S. 158 f.; ders./Wieland, Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, S. 67; dies., Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 77; zum Ganzen auch Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, S. 246 ff.; Henneke, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, S. 39 ff. 424 Zum Grundsatz der Landesbefugnis für die Statuierung gemeindlicher Aufgabenträgerschaft Schoch/Wieland, Aufgabenzuständigkeit und Finanzierungsverantwortung verbesserter Kinderbetreuung, S. 62 ff.; dies., Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 56 f. 425 Vgl. sogleich unter (c) (aa). 426 Zur Differenzierungsnotwendigkeit zwischen Begründungs- und Wahrnehmungsmodalitäten bei weisungsfreien kommunalen Pflichtaufgaben Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 99 ff.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

unmittelbarer Ausgabenposten der Länder vermutet werden. Denn es scheint, die Gliedstaaten müssten im Rahmen ihrer allgemeinen Garantenfunktion für die Kommunalfinanzen (anders als im Regelfall des Art. 85 Abs. 1 GG) nötigenfalls zumindest teilweise für die Zweckkosten der auftragsweisen Ausführung von Bundesgesetzen aufkommen. Zwar müssten die Länder im Innenverhältnis zu ihren Kommunen (nach Maßgabe der landesrechtlichen Ausgestaltung ihrer bundesverfassungsrechtlichen Garantenstellung) unter Umständen tatsächlich in einem gewissen Umfang für die in Rede stehenden Kosten einstehen. Indessen stünde ihnen im bundesstaatlichen Außenverhältnis – jedenfalls bei stringenter Verfassungsinterpretation – gleichzeitig ein (akzessorischer) Anspruch gegen den Bund zu. Denn wenn die unregelmäßige Durchgriffskompetenz des Bundes zuvor in der Rechtsfolgenanweisung des Art. 85 Abs. 1 Var. 2 GG a. F. verortet wurde, dann mussten bzw. müssen zugrunde liegende Sachlagen notwendigerweise auch den Tatbestand dieser Norm („Führen die Länder die Bundesgesetze im Auftrage des Bundes aus (. . .).“ 427) erfüllen. Dass die kommunale Ausführung von Bundesgesetzen (bundes-)staatsrechtlich den Ländern zugerechnet wird, ist mit Blick auf den zweigliedrigen Föderalaufbau nur folgerichtig. Wenn es sich damit unter bundesorganisationsrechtlichen Vorzeichen aber um ein Tätigwerden des Landes handelt, so ist nicht einsichtig, warum dann nicht zugleich auch der Tatbestand des (zu Art. 85 GG ohnehin akzessorischen) Art. 104a Abs. 2 GG („Handeln die Länder im Auftrage des Bundes (. . .).“ 428) erfüllt sein sollte – mit der rechtsfolgenseitigen Konsequenz, dass der Bund zwar nicht unmittelbar an die Kommunen, wohl aber an die Länder zahlen müsste429. Nicht zuletzt stünde diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Länder“ der Kostentragungsregel des Art. 104a Abs. 2 GG im systematischen Einklang mit Art. 106 Abs. 9 GG, der für die Finanzverfassung die spezifische Schlussfolgerung aus der allgemeinen staatsrechtlichen Zuordnung der Kommunen zu den Ländern zieht, indem er die Einnahmen und Ausgaben der Erstgenannten als Einnahmen und Ausgaben der Gliedstaaten behandelt430.

427

Hervorhebung durch Verfasser. Hervorhebung durch Verfasser. 429 Die aus kommunaler Sicht entscheidenden Fragen nach Ob und Wie der landesinternen Weiterleitung dieser Gelder an die Gemeinden/Gemeindeverbände sind im Wesentlichen (Ausnahme: Grundgesetzlicher Rahmen der allgemeinen Landes-Garantenstellung, vgl. oben) dem Verfassungsraum der Länder zugeordnet und damit für die vorliegende Untersuchung ohne Belang. 430 Sollte eine solche Auslegung des Art. 104a Abs. 2 GG abgelehnt werden, stünde jedem einzelnen Land immer noch der Weg über Art. 125a Abs. 1 Satz 1 Var. 3 i.V. m. Satz 2 GG offen: Indem es die bundesgesetzliche Auftragszuweisung an seine Kommunen durch eine landesrechtliche ersetzt und damit im Außenverhältnis Bund-Land zugleich (ex post) den Regelfall des Art. 85 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG herstellt, müsste jedes Land (für sich) jedenfalls die (ex ante-)Anwendbarkeit des Art. 104a Abs. 2 GG im Einzelfall herbeiführen können. 428

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Fazit: Aus Einstandspflichten hinsichtlich der kommunalen Ausführung von Bundesgesetzen, die den Gemeinden/Gemeindeverbänden vor dem Wirksamwerden der Bundesstaatsreform (1. September 2006) unmittelbar vom Bund zugewiesen worden sind, erwachsen den Ländern grundsätzlich keine über das bereits Ermittelte hinausgehenden Kosten, die im Rahmen der Ausarbeitung handhabbarer Kriterien für die Bemessung einer angemessenen Landesfinanzausstattung berücksichtigt werden müssten. (bb) Regelfall: Landesrechtliche Zuweisung Nach aktuellem Bundesverfassungsrecht ungleich bedeutsamer ist die eingangs dieses Gliederungsabschnitts dargelegte Regel- (bzw. nunmehr: einzige) Möglichkeit der Begründung kommunaler Aufgabenverantwortung für den Vollzug von Bundesrecht: die landesrechtliche Zuweisung. Die Beantwortung der Fragen nach Existenz und Umfang einer etwaigen spezifischen Finanzierungsverantwortung der Länder gegenüber den Gemeinden/Gemeindeverbänden nach Bundesverfassungsrecht ist jedoch für den vorliegenden Untersuchungskontext auch in diesem Fall ohne Belang. Denn das Grundgesetz erklärt Zuständigkeitsordnung und Behördenorganisation prinzipiell zur Ländersache (Art. 83 i.V. m. 84 Abs. 1 Satz 1 bzw. 85 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 GG) und enthält folgerichtig keine Sonderbestimmungen für den Fall landesrechtlich begründeter kommunaler Aufgabenträgerschaft für den Vollzug von Bundesrecht. Und daher erfasst die Bundesverfassung entsprechende Sachverhalte lediglich im Rahmen der allgemeinen Kategorien der Landeseigen- bzw. Bundesauftragsverwaltung – mit den oben in die Aufgabengruppe eins eingegliederten Folgen bei der Kostentragung gemäß Art. 104a Abs. 1, 2, 5 Satz 1 GG431. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass den Ländern mit Blick auf kommunaler Aufgabenträgerschaften bezüglich der Ausführung von Bundesgesetzen (aus grundgesetzlicher Sicht) jedenfalls keine zusätzlichen, im Rahmen der Quantifizierung einer mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG angemessenen Landesfinanzausstattung berücksichtigungsspflichtigen Finanzierungspflichten erwachsen432. (b) . . . hinsichtlich der Ausführung von Landesgesetzen (ohne substantiellen kommunalen Entscheidungsspielraum)? Ebenso wie ein Land die Ausführung von Bundesgesetzen an die Gemeinden/ Gemeindeverbände delegieren kann, bleibt es ihm kraft seiner Organisationsho431

Vgl. unter aa). Zur Variante der Landeszuweisung als pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheit vgl. sogleich unter (c). 432

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

heit unbenommen, seinen Kommunen auch den Vollzug von Landesrecht433 (als pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheit434 oder Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises [Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung, Auftragsangelegenheit]) aufzugeben. Für die Zusammenstellung eines Maßgabenkanons bezüglich der Bemessung einer aufgabenadäquaten Länderfinanzausstattung spielen Modalitäten der Verwaltungsbinnenorganisation eines Landes jedoch auch bei dieser Konstellation keine Rolle. Denn aus (bundes-)staatsorganisationsrechtlicher Perspektive handelt es sich – gleich, ob das Land den Gesetzesvollzug der Landesverwaltung belassen oder kraft seiner Organisationsgewalt kommunalen Aufgabenträgern zugewiesen hat – um die Ausführung eines Landesgesetzes auf der staatlichen Ebene der Länder435. Die zugehörigen Sachverhalte sind ohne weitere Differenzierung der Kategorie der landesunmittelbaren Aufgaben436 zuzuordnen. Und daher sind auch die (bundes-)finanzverfassungsrechtlichen Konsequenzen dieser Variante gemeindlicher Aufgabenträgerschaft für die Länder bereits durch die im obigen Zusammenhang erarbeiteten Maßgaben abgedeckt. (c) . . . hinsichtlich der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben? Die dritte kommunale Aufgabenklasse ist nach aktuellem Bundesverfassungsrecht diejenige der Selbstverwaltungsangelegenheiten. (aa) Abgrenzung zu den anderen Kommunalaufgabenkategorien Bevor jedoch mit der Erörterung der Fragen nach Existenz, gegebenenfalls Umfang sowie Adressat einer diesbezüglichen Finanzgarantie nach derzeitigem Bundesverfassungsrecht begonnen werden kann, muss um einer klaren Darstellung willen zunächst auf Überschneidungen zwischen der Kategorie der Selbstverwaltungsangelegenheiten auf der einen und denjenigen der Ausführung von Bundes- bzw. Landesgesetzen auf der anderen Seite437 eingegangen werden. Denn die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Kommunen den Gesetzesvollzug in der Praxis oftmals als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe zuweist438 (und, so433 Nach der hier anhand des Grades inhaltlicher Einflussnahmemöglichkeiten vorgenommenen und daher im Wesentlichen der Verteilung der Legislativkompetenzen folgenden Einteilung sind Landesausführungsgesetze zu Bundesrecht nicht in die vorliegende Kategorie einzugliedern, sondern unterfallen der Gruppe landesextern determinierten Aufgaben (oben unter aa)). 434 Vgl. dazu sogleich auch unter (c). 435 Zur zweigliedrigen Staatsorganisation der Bundesrepublik Deutschland eingehend Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 53 ff. 436 Oben bb). 437 Dazu oben unter (a) bzw. (b). 438 Vgl. Maurer, in: Henneke/Maurer/Schoch (Hrsg.), Die Kreise im Bundesstaat, S. 139 (150 f., 160 ff.); dens., in: Schoch (Hrsg.), Selbstverwaltung der Kreise in

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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fern es sich tatsächlich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinn des Art. 28 Abs. 2 GG handelt, grundsätzlich auch als solche zuweisen muss439), begründet die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Abgrenzung. Als tauglicher Anknüpfungspunkt kommt dabei die im Schrifttum propagierte Erforderlichkeit einer Binnendifferenzierung innerhalb der Kategorie der (pflichtigen) Selbstverwaltungsangelegenheiten440 in Betracht. Diese Notwendigkeit wird auf den Umstand zurückgeführt, dass, obgleich bestimmte kommunale Aufgaben vom Gesetzgeber als Selbstverwaltungsaufgaben klassifiziert wurden und werden, viele unter ihnen von den Gemeinden/Gemeindeverbänden nach Art und Substanz nicht, wie von Art. 28 Abs. 2 GG postuliert, mit einem hinreichenden Maß an Eigenverantwortlichkeit wahrgenommen werden können. Dies wiederum kann zum einen bereits in einer unsachgemäßen gesetzgeberischen Aufgabenqualifizierung (fehlender Kommunalgebietsbezug) und/oder zum anderen in den faktischen Wahrnehmungsmodalitäten (aufgrund hoher Regelungsdichte: kein [hinreichender] Gestaltungsspielraum bei der der Aufgabenerfüllung) gründen. Daran anknüpfend können den Gemeinden/Gemeindeverbänden konkret zugewiesene Aufgaben dann jeweils in die Unterkategorien „formell/materiell“ 441 bzw. „mit/ohne Entscheidungsspielraum“ 442 eingegliedert werden. Dies zugrunde gelegt, sollen der hier angelegten Gruppe der Selbstverwaltungsaufgaben ausschließlich solche Materien unterfallen, die tatsächlich dem in Art. 28 Abs. 2 GG niedergelegten Leitbild der kommunalen Selbstverwaltung entsprechen, d. h. sowohl den erforderlichen Gebietsbezug aufweisen als auch hinreichenden Raum für eine eigenverantwortliche Wahrnehmung durch die Gemeinden/Gemeindeverbände lassen (und somit hinsichtlich der gesetzgeberischen Qualifizierung als materielle und mit Blick auf die Erfüllungsmodalitäten als Selbstverwaltungsaufgaben mit ausreichender kommunaler Einschätzungsprärogative einzustufen sind): Demzufolge fallen in die Kategorie der Selbstverwaltungsangelegenheiten nach der hier vorgenommenen Aufgliederung zum einen die freiwilligen und

Deutschland, S. 1 (24); ferner Schoch/Wieland, Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 45 f.; dies., Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 99 ff. 439 Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 84 Rn. 47; ders., ZG 2007, 21 (32); grundlegend zum Zusammenspiel von Art. 28 Abs. 2 und Art. 84 GG Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 399 ff. 440 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 99 ff.; dies., Kommunale Aufgabenträgeschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 45 ff.; vgl. auch Henneke, ZG 2002, 72 (79 ff.). 441 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 100 f.; dies., Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 45 f.; ferner Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 234; zur gegebenenfalls einhergehenden Problematik des Formenmissbrauchs bei (bloß) formellen Selbstverwaltungsangelegenheiten vgl. Schwarz, NVwZ 1997, 237. 442 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 101 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 234.

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zum anderen diejenigen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, die den obigen Maßgaben genügen443. (bb) Existenz und gegebenenfalls Umfang einer Einstandspflicht Ausgangspunkt für die Beantwortung der Fragen nach Existenz und Umfang einer finanziellen Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung ist Art. 28 Abs. 2 GG selbst. Denn wenn diese Norm den Gemeinden/Gemeindeverbänden ein prinzipielles Selbstverwaltungsrecht einräumt und es weiterhin außer Frage steht, dass der Verfassungsgeber Letzteres keinesfalls als bloße Formalgarantie konzipiert hat, sondern Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden – im Rahmen des derzeit geltenden Verfassungsrechts444 – (auch) einen bestimmten materiellen Aufgabenbestand gewährleistet445, dann setzt die Norm implizit auch die bundesverfassungsrechtliche Gewähr der zur Wahrnehmung dieser Rechtsposition erforderlichen Finanzmittel voraus446. Damit ist zum einen die Frage nach dem grundsätzlichen Ob einer verfassungskräftigen Sicherung der Kommunalfinanzen beantwortet. Zum anderen lässt sich mit Blick auf den prinzipiellen Umfang einer in Art. 28 Abs. 2 GG angelegten Fiskalgarantie schlussfolgern: Ihren Zweck, die kommunale Selbstverwaltung abzusichern, vermag solch eine Garantie nur dann zu erfüllen, wenn den Gemeinden/Gemeindeverbänden nach Abzug aller zur Erfüllung von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises sowie unechter Selbstverwaltungsaufgaben447 benötigten Finanzmittel noch hinreichende Ressourcen verbleiben, um ihre Selbstverwaltungsangelegenheiten mit dem von Art. 28 Abs. 2 GG geforderten Maß an Eigenverantwortlichkeit bezüglich des Ob und des Wie der Aufgabenerfüllung wahrzunehmen. Insoweit herrscht ein gewisser struktureller Gleichlauf zur Kernproblematik der Garantie hinreichender Länderfinanzausstattungen448. 443 Zur Klarstellung: Im Hinblick auf die hier relevante Suche nach etwaigen (im hiesigen Untersuchungskontext) berücksichtigungspflichtigen finanziellen Garantenfunktionen der Länder hinsichtlich der Erfüllung kommunaler Aufgaben wurden die oben als formelle Selbstverwaltungsangelegenheiten bzw. als solche ohne hinreichenden Entscheidungsspielraum bezeichneten Aufgabenbereiche damit bereits im Rahmen der Teilanalysen unter (a) und (b) in die Betrachtung einbezogen. 444 Demgegenüber „kennt“ Art. 79 Abs. 3 GG keine Kommunen, vgl. oben unter cc) (einleitender Text) bzw. unter A. III. 1. b). 445 Grundlegend BVerfGE 71, 25; zum Ganzen auch Schoch, Jura 2001, 121 (124 f., 130 ff.). 446 Instruktiv Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 177 ff. 447 Hierzu oben unter (aa). 448 Jedoch liegen sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Hürden bezüglich der zu wahrenden Eigenständigkeit im Fall der Länder höher. Denn gerade ihre zusätzlichen (im Bezug auf die Kommunen) inhaltlich-politischen Gestaltungskompetenzen heben die Länder aus dem Rang einer Verwaltungs- in den einer staatlichen Ebene.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Ergebnis: Die Länder trifft eine fiskalische (Mindest-)Ausstattungspflicht in Bezug auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Da indessen die Ausübung von Selbstverwaltungsaufgaben nicht zu Lasten des übertragenen gemeindlichen Wirkungskreises gehen darf, kann besagte Ausstattungsverpflichtung denknotwendig nur im Rahmen einer allgemeinen gliedstaatlichen Garantenstellung für aufgabenangemessene Gemeindefinanzausstattungen bestehen449. (cc) Adressat der Einstandspflicht Um etwas über den (die) Verpflichtungsadressat(en) dieser finanziellen Annexgarantie zu Art. 28 Abs. 2 GG in Erfahrung bringen zu können, müssen auf einer nächsten Erörterungsstufe zusätzlich (zu Art. 28 Abs. 2 GG) diejenigen Vorschriften der (Bundes-)Finanzverfassung in den Blick genommen werden, die explizite Aussagen zur Generierung der kommunalen Finanzausstattung im Speziellen und/oder im Allgemeinen zur finanzverfassungsrechtlichen Stellung der Gemeinden/Gemeindeverbände innerhalb der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen enthalten. 1. Das Grundgesetz trifft Festlegungen zu diesem Themenkomplex zum einen in den Art. 106 Abs. 5–9 und zum anderen in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 GG. Zwischen den Regelungen des Art. 106 GG kann wiederum nach der Angriffsrichtung differenziert werden: Erstens weisen die Absätze fünf bis sechs den Kommunen diverse eigene Einnahmequellen zu. Zweitens trifft Art. 106 Abs. 7 GG Bestimmungen über die Beteiligung der Gemeinden/Gemeindeverbände am Länderanteil der Gemeinschaftssteuern (Satz 1) bzw. am Aufkommen der Landessteuern (Satz 2); drittens statuiert Art. 106 Abs. 8 GG eine an den Bund adressierte Ausgleichsregel für Fälle, in denen der Bund (u. a.) in einzelnen Gemeinden/Gemeindeverbänden unzumutbare Sonderbelastungen verursacht. Und viertens schließlich enthält Art. 106 Abs. 9 GG die bereits erwähnte Regelung, der zufolge als Einnahmen und Ausgaben der Länder (im Sinne des Art. 106 GG) auch die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände zu gelten haben. Diesen Festlegungen des Art. 106 GG lässt sich mit Blick auf den Adressaten der Pflicht zur Sicherung einer aufgaben- (und damit zugleich Art. 28 Abs. 2-)gerechten Kommunalfinanzausstattung Folgendes entnehmen: Indem einerseits Art. 106 Abs. 5, 5a, 6 GG die einfachgesetzliche Konkretisierung der dortigen Vorgaben im Wesentlichen – d.h. in Bezug auf Abs. 5 und 5a insbesondere: hinsichtlich der Festsetzung der Beteiligungshöhe und des Verteilungsmaßstabs – dem Bundesgesetzgeber überlassen, Art. 106 Abs. 7 GG andererseits aber 449 Dazu Schoch/Wieland, Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 77; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, S. 246 ff.; vgl. auch Henneke, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, S. 39 ff.; dens., NdsVBl. 2011, 329 (335).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

mit Blick auf die Modalitäten der (obligatorischen) Beteiligung der Kommunen am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern (Satz 1) bzw. der (fakultativen) Beteiligung am Aufkommen der Landessteuern (Satz 2) den Landesgesetzgeber in die Pflicht nimmt, teilt die Bundesverfassung die staatliche Verantwortung für die Gewähr einer hinreichenden Kommunalfinanzausstattung beiden staatlichen Organisationsebenen zu: Grundsätzlich tragen Bund und Länder gemeinsam die Finanzierungsverantwortung. 2. In einem nächsten Schritt muss jedoch nach einer etwaigen Differenzierung im Bezug auf den Grad der (Teil-)Pflichtigkeiten gefragt werden. Normativ kann dazu an zwei verschiedenen Punkten angesetzt werden: a) Eine nähere Betrachtung der angesprochenen (spezifischen) finanzverfassungsrechtlichen Instrumente zur Ausstattung der Kommunen mit Mitteln in aufgaben- (bzw. Art. 28 Abs. 2-)gerechter Höhe (Art. 106 Abs. 5 bis 7 GG) ergibt, dass zwar sowohl der Bund als auch die Länder eine (einfachgesetzlich wahrzunehmende) Regelungsverantwortung für die Sicherung der Gemeindefinanzen tragen – es aber nur die Länder sind, die diesbezüglich auch mit eigenen Mitteln in die Pflicht genommen werden (vgl. Art. 106 Abs. 7 GG). Vor diesem Hintergrund kann die These aufgestellt werden, dass im System der Finanzverfassung die fiskalische Garantiefunktion bezüglich der Kommunalfinanzen primär den Ländern und erst in zweiter Linie – und nur hinsichtlich der konkreten Regelungsmodalitäten der gemeindeeigenen Finanzquellen gem. Art. 106 Abs. 5 bis 6 GG – auch dem Bund zugeteilt wird. b) Diese These wird durch eine Einbeziehung des Art. 28 GG in die Betrachtung, aus dessen zweiten Absatz sich die (Annex-)Garantie einer (nötigenfalls über das in Art. 106 Abs. 5 bis 7 GG Normierte hinausreichenden) Sicherung angemessener Gemeindefinanzen ergibt450, bestätigt. Denn wenn Art. 28 Abs. 3 GG dem Bund (lediglich) aufgibt, dafür Sorge zu tragen, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern (auch) den Bestimmungen des Art. 28 Abs. 2 GG entspricht, sich aber die finanzielle Absicherung des Selbstverwaltungsrechts substantiell allein in ebendieser Vorschrift verankern lässt451, dann folgt daraus, dass die Erfüllungspflicht hinsichtlich der Finanzpostulate des Art. 28 Abs. 2 GG nur den Ländern, dem Bund hingegen – prinzipiell – nur eine diesbezügliche Gewährleistungsverantwortung mit Blick auf das Landes(verfassungs)recht obliegt452. c) Das gefundene Ergebnis einer vorrangigen Inpflichtnahme der Länder fügt sich auch systematisch in das Konzept des zweigliedrigen Bundesstaats ein, dem

450

Vgl. oben unter (bb). Vgl. oben unter (bb). 452 Instruktiv Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 185 f. unter Bezugnahme auf BVerfGE 26, 172 (181). 451

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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zufolge die Kommunen, wie bereits dargelegt453, den Ländern zuzuordnen sind. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 GG, der im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs eine Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden postuliert, sowie der bereits mehrfach in Bezug genommene Art. 106 Abs. 9 GG tragen diese organisationsrechtliche Festlegung in den Regelungsbereich der Finanzverfassung454. 3. Fazit: Vorrangige Verpflichtete des gemeindlichen Anspruchs auf eine aufgabengerechte Finanzausstattung sind gem. Art. 28 Abs. 2 GG die Länder. Dabei kann die Maßgabe der Aufgabengerechtigkeit im Konkreten nur dann als erfüllt erachtet werden, wenn den Gemeinden/Gemeindeverbänden nach Abzug der gebundenen Finanzposten noch hinreichende Geldmittel zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer freiwilligen und pflichtigen (echten) Selbstverwaltungsangelegenheiten verbleiben. Damit besteht eine fiskalische Ländereinstandspflicht in Bezug auf die Wahrnehmung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. (dd) Umfang der Berücksichtigungspflichtigkeit der Einstandspflicht im vorliegenden Zusammenhang Mit spezifischem Blick auf den eigenen (materiellen) gemeindlichen Wirkungskreis ist in der gliedstaatlichen Garantiefunktion hinsichtlich einer adäquaten (Mindest-)Kommunalfinanzausstattung eine Landespflicht zu erblicken, deren Kostenfolgen im Rahmen/mit Hilfe der bisher herausgearbeiteten Länderaufgaben nicht vollständig abgebildet werden können. Im Hinblick auf die Quantifizierung aufgabenangemessener Länderfinanzausstattungen müssen daher bestimmte Aufgabenposten gesondert veranschlagt werden. Soweit allerdings die Gliedstaaten Bundesgesetze gemäß Art. 83 f. GG als eigene Angelegenheit ausführen, und dabei ihren Gemeinden/Gemeindeverbänden den Gesetzesvollzug als (echte) pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe übertragen – gegebenenfalls sogar übertragen müssen455–, werden diesbezügliche Ausgabenposten eines Landeshaushalts nach der hier zugrunde gelegten Länderaufgabentypologie bereits im Rahmen der Kategorie eins (fremdbestimmte Aufgaben)456 erfasst, deren ausgabenträchtigster Bestandteil die gliedstaatliche Ausführung 453

Vgl. oben unter A. III. 1. b). Hierzu eingehend Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 79 ff., 190 f. 455 Insoweit kann die kommunale Selbstverwaltungsgarantie als verfassungsrechtliche Schranke der Landesorganisationsbefugnisse im Rahmen der landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen gemäß Art. 83 f. GG in Erscheinung treten, vgl. zum Zusammenwirken von Art. 28 Abs. 2 und Art. 84 GG eingehend Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 399 ff.; Maunz, in: ders./Dürig (Begr.), GG, Art. 84 (Lfg. 24) Rn. 27; Henneke, ZG 2007, 21 (32); dens., in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/ Henneke (Hrsg.), GG, Art. 84 Rn. 47. 456 Vgl. oben unter (aa). 454

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

von Bundesrecht ist. Da weiterhin auch bezüglich gesetzgeberisch geregelter Gestaltungsaufgaben der Länder eine Option (bzw. Pflicht, s. oben) zur landesmittelbaren Ausführung im Rahmen bzw. nach Maßgabe des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gegeben ist, wurden auch diese Selbstverwaltungsmaterien hinsichtlich ihrer Kostenfolgen bereits – durch die Kategorie der landesunmittelbaren Aufgaben (dort: in der Untergruppe „politisch-gestalterische Aufgaben“) – erfasst457. Auch insoweit sind in der gliedstaatlichen Gewährleistungspflicht für angemessene Gemeindefinanzen damit keine zusätzlichen Ausgabenposten angelegt. In keiner der bisher angelegten Landesaufgabenklassen abgebildet ist unter dem Aspekt des Finanzbedarfs jedoch dasjenige, was von der fiskalischen Gewährleistungspflicht der Länder in Bezug auf eine Art. 28 Abs. 2-gerechte Wahrnehmung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts übrig bleibt: Jenseits der eigenverantwortlichen aber (in der Regel) pflichtigen Ausführung von Bundes- und Landesgesetzen im engeren Sinn muss den Gemeinden nach derzeitigem Bundesverfassungsrecht auch ein hinreichendes Entschließungs- und Auswahlermessen bezüglich der Erfüllung weiterer – freiwilliger – Selbstverwaltungsaufgaben verbleiben, die für gewöhnlich weniger sachspezifischen (und gegebenenfalls ausdrücklich auf die kommunalen Aufgabenträger zugeschnittenen) Ausführungsgeboten, sondern eher einem (tendenziell) allgemein(er) gehaltenen bundes- bzw. landesgesetzlichen Erfüllungsrahmen unterliegen458 (und daher regelmäßig nicht als Gesetzesvollzug im engeren Sinn klassifiziert werden können)459. Vor dem Hintergrund der vielerorts dramatischen Kommunalfinanzlage, die die Handlungsfähigkeit zahlreicher Gemeinden/Gemeindeverbände mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 GG in bedenklichem Ausmaß einschränkt460, ist es indessen gerade dieser Teil der Ländergarantiepflicht, der insbesondere für die finanzschwachen Länder erhebliche, ohne Vernachlässigung anderer Verfassungsaufgaben kaum zu bewältigende Zusatzbelastungen nach sich ziehen kann. Daher muss die Länderpflicht zur fiskalischen Absicherung der freiwilligen gemeindlichen Tä457

Vgl. oben unter (bb). Vgl. etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 114; Seewald, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Kap. Rn. 46. 459 Ein Beispiel hierfür ist die kommunale Durchführung der Energieversorgung – gesetzlicher Rahmen ist das Energiewirtschaftsgesetz –, die nach zutreffender Auffassung dem freiwilligen Selbstverwaltungsbereich zuzurechnen ist (siehe etwa BVerwG LKV 1996, 23 (24): „Wie immer (. . .) die örtliche Stromversorgung durchgeführt wird, so unterfällt jedenfalls die Entscheidung hierüber [Anmerkung des Verfassers: und damit auch diejenige über das „Ob“ der Erbringung] der gemeindlichen Selbstverwaltung.“; zur Gegenauffassung etwa Löwer, DVBl. 1991, 132 ff. 460 Vgl. die Bestandsaufnahme bei Junkernheinrich, in: Lange/Junkernheinrich (Hrsg.), Loccumer Protokolle 67/10, Gemeindefinanzpolitik in der Krise, S. 11 (12 ff.); ferner unter spezifischer Berücksichtigung der Ost-West-Unterschiede Lenk/Hesse, in: Lange/Junkernheinrich (Hrsg.), Loccumer Protokolle 67/10, Gemeindefinanzpolitik in der Krise, S. 53 (53 ff.). 458

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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tigkeit im Hinblick auf die Bemessung aufgaben-(sprich: Art. 79 Abs. 3)gerechter Länderfinanzpositionen im Auge behalten werden. (2) Zwischenergebnis zu cc) 1. Das Grundgesetz weist den Ländern eine allgemeine (aufgabeninakzessorische) Verantwortung für eine aufgabenadäquate Finanzausstattung ihrer Kommunen zu. 2. Eine über die bisher betrachteten Kategorien an Landesaufgaben noch nicht erfasste, zusätzliche Kostenbelastung kann den Bundesgliedern nur aus der (im Rahmen ihrer allgemeinen Garantenpflicht bestehenden) Teilpflicht zur finanziellen Absicherung der (freiwilligen) kommunalen Selbstverwaltung entstehen. 3. Allerdings wohnt gerade dieser Landespflicht das Potential inne, die Ausgabenseite eines Landeshaushalts unter Umständen erheblich mitprägen zu können. Im Rahmen der anstehenden Beurteilung der aktuellen grundgesetzlichen Absicherung der Länderfinanzen461 hinsichtlich der Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG sind die zur Erfüllung der besagten Einstandspflicht erforderlichen Mittel daher in Rechnung zu stellen. 4. Versucht man mit Blick auf den hier verfolgten ganzheitlich-systematischen Ansatz abschließend eine Anbindung dieser Landesgarantiefunktion an eines der und/oder beide föderative(n) Typusmerkmale, bleibt festzuhalten: a) Zwar wirkt, gerade im Hinblick auf die unter Kostengesichtspunkten beachtliche Teilgarantie, mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht die abzusichernde Rechtsposition vertikal gewaltenbalancierend – als Konkretisierung des gewaltengliedernden Bundesstaates kann die Einstandspflicht der Länder aber unter verfassungssystematischen Vorzeichen dennoch nicht begriffen werden. Denn gewaltenteilend wirken Kommunen, denen hinsichtlich originärer Gemeinde(verbands)angelegenheiten die Befugnis zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung zukommt, auch im Rahmen einer zentralistischen Staatsorganisation, und muss somit der besagte Effekt der kommunalen Selbstverwaltung strikt von demjenigen der föderativen Gewaltengliederung unterschieden werden. b) Auch den Ausprägungen des unitarischen Bundesstaats, der primär durch die Mitwirkung der Länder an der Erfüllung von Aufgaben gesamtstaatlichen Zuschnitts gekennzeichnet ist462, scheint die Landessicherungspflicht bezüglich der (freien) kommunalen Selbstverwaltung auf den ersten Blick nicht zurechenbar. Denn die Aufgabe, die Gemeinden/Gemeindeverbände finanziell in den Stand zu versetzen, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich regeln zu können, weist demgegenüber gerade einen stark regionalen Zug auf 461 462

Vgl. dazu den vierten Teil der Arbeit. Vgl. oben unter A. III. und IV.

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und wird vom Grundgesetz zudem dem Verfassungsraum der Länder zugeordnet (vgl. Art. 28 Abs. 2 i.V. m. Abs. 3 GG) – einerseits. Auf der anderen Seite dient aber die Garantenstellung der Länder in Bezug auf die kommunale Selbstverwaltung, gerade ausweislich des Art. 28 Abs. 3 GG und vor dem systematischen Hintergrund des Art. 28 Abs. 1 GG, erstens der Sicherung bundesstaatlicher Homogenitätsanforderungen – konkret: der Gewährleistung zumindest gleichwertiger kommunaler Eigenverwaltungsbefugnisse im Bundesgebiet. Zweitens lässt Art. 28 Abs. 2 GG den Ländern zwar grundsätzlich die freie Wahl der Mittel bezüglich der Umsetzung der Finanzgarantie, statuiert aber zugleich eine unumstößliche (gleichwohl im Konkreten präzisierungsbedürftige) inhaltliche Zielvorgabe. Mag auch die Fiskalpraxis in den Ländern anders aussehen: Da der Garantieumfang zumindest aus dogmatischer Sicht als (bundes-)verfassungsrechtlich determiniert erachtet werden kann, spricht einiges dafür, die unter Beschaffenheitsaspekten hybride Garantenstellung der Länder, jedenfalls hinsichtlich der kommunalen Selbstverwaltung, näher bei der Aufgabenkategorie eins (extern determinierte Landesaufgaben463) zu verorten als bei den politisch-gestalterischen Landesaufgaben, die in die zweite Gruppe fallen464. Und damit kann die Einstandspflicht jedenfalls auch als Ausfluss des unitarischen Bundesstaats begriffen werden. dd) Zwischenergebnis zu b) Die verfassungskräftig abzusichernde Finanzsausstattung eines Landes kann mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG nur dann als aufgabenangemessen erachtet werden, wenn dem Gliedstaat im Ergebnis ausreichende Finanzmittel zur Verfügung stehen, um 1. seine inhaltlich (weitgehend) nicht auf Landesebene bestimmten/bestimmbaren Aufgaben sowie 2. die landesunmittelbaren Befugnisse und Pflichten, wozu a) im Schwerpunkt organisatorisch-administrative und – vorliegend mit Blick auf die Landesstaatlichkeit von besonderem Interesse – b) politisch-gestalterische Sachbefugnisse zählen, ordnungsgemäß wahrnehmen zu können, die ihm zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt durch die Bundesverfassung entweder explizit aufgegeben oder infolge Art. 70, 30 GG mittelbar zuerkannt werden. Schließlich obliegt den Ländern nach derzeitiger Ausgestaltung des Grundgesetzes 463 464

Oben unter (aa). Oben unter (bb).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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3. mit ihrer allgemeinen Garantenstellung/Letztverantwortung für eine angemessene kommunale Finanzausstattung eine Pflicht hybrider Beschaffenheit, die bei der Bemessung aufgabengerechter Landesfinanzpositionen partiell gesondert in Rechnung gestellt werden muss. ee) Verbleib der Möglichkeit zur Verschuldung in Ausnahmesituationen Anders gewendet: Von der Angemessenheit der Finanzausstattung eines Landes kann nur dann ausgegangen werden, wenn ihm nach Abzug aller fremdbestimmten Ausgaben noch ausreichend Mittel zur Sicherung seines politischen Eigengewichts verbleiben465. Um vor diesem Hintergrund adäquat auf nicht oder schwer vorhersehbare ökonomische und tatsächliche Sonderlagen reagieren zu können, müsste den Ländern zumindest für die genannten Fälle die Möglichkeit zur Kreditaufnahme verbleiben. Bei einer bundesverfassungsrechtlichen Ausgestaltung von entsprechenden Ausnahmeregeln wäre zudem den teils erheblichen finanzstrukturellen und ökonomischen Unterschieden zwischen den Ländern Rechnung zu tragen466. Das Grundgesetz könnte daher keine strikten Ausnahmetatbestände vorgeben, ohne zu riskieren, insbesondere strukturschwachen Ländern unter Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG im Einzelfall erforderliche Handlungsmöglichkeiten abzuschneiden. Allenfalls könnte also ein großzügiger Rahmen abgesteckt werden, dessen konkrete Ausgestaltung aber vollumfänglich den einzelnen Ländern vorbehalten bleiben müsste467. ff) Conditio sine qua non nicht nur der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes: Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet Eine mit Blick auf die Länderstaatlichkeit angemessene Finanzausstattung hat jedoch nicht bloß hinreichenden Handlungsspielraum für eigenständige Landespolitik zu schaffen. Sie muss ebenso gewährleisten, dass die Länder sowohl 465 Vgl. Hesse, AöR 98 (1973), 1 (16); ähnlich Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 4; letztlich auch Selmer, NVwZ 2009, 1255 (1261), der dabei die Bedeutung der nichtkreditären (also: [primär] steuerlichen) Komponente der Finanzausstattung heraushebt; vgl. auch Aydin, KritV 93 (2010), 29 (36 ); a. A. Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, S. 263. 466 Instruktiv Wieland, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 030, S. 11 ff.; ferner Renzsch, in: Baus/Fischer/Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellung für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat, S. 91 (91 ff.). 467 Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 3.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

fremdbestimmte als auch eigene (Gestaltungs-)Aufgaben im Einklang mit gleichermaßen von Art. 79 Abs. 3 GG aufgestellten Vorgaben wahrnehmen können. Obgleich man das Leitbild einheitlicher bzw. gleichwertiger Lebensverhältnisse – außer im Rahmen von Festreden, wahlweise zum Jahrestag der Deutschen Einheit oder zu demjenigen des Mauerfalls – kaum mehr ansprechen kann, ohne sich postwendend den Vorwurf der Gleichmacherei einzuhandeln, drängt sich 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, angesichts eines wachsenden und sich verfestigenden Wohlstandsgefälles innerhalb des Bundesgebietes468, schon die Frage nach Existenz und gegebenenfalls Reichweite eines über eine bloße Ziel- bzw. Wunschvorstellung hinausreichenden verfassungskräftigen Postulats homogener Lebensumstände im Bundesstaat auf 469. Sollte es nämlich gelingen, einen entsprechenden Verfassungsauftrag herzuleiten, so müsste in weiteren Folgeschritten untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit sich diese Vorgabe auch auf Umfang und/oder Modalitäten einer verfassungskräftigen Garantie aufgabengerechter Länderfinanzausstattungen auswirken würde. Mit Blick auf die vorliegende Aufgabenstellung muss allerdings beachtet werden: Für den verfassungsändernden Gesetzgeber wäre solch ein (möglicherweise existierendes) Homogenitätspostulat nur dann verbindlich, sofern und soweit es auch im Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG verankert werden könnte. Die nachfolgende Betrachtung des skizzierten Problemkreises folgt einem dreistufigen Plan. Zunächst werden in einem vorbereitenden Abschnitt die zentralen Begrifflichkeiten (Lebensverhältnisse, Einheitlichkeit/Gleichwertigkeit) definiert sowie der (derzeitige und ursprüngliche) verfassungsrechtliche Textbefund geschildert ((1)). Daran schließt sich die Erörterung der eigentlichen Rechtsproblematik an: Enthält der Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG das Postulat einer verfassungskräftigen Absicherung (eventuell auch nur) eines (Mindest-)Maßes an Homogenität der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ((2))? Und falls ja: Welche Auswirkungen hätte dieser Befund dann auf die von Art. 79 Abs.3 GG eingeforderte verfassungskräftige Garantie aufgabenadäquater Länderfinanzausstattungen ((3))? (1) Grundlegendes (a) Klärung der Grundbegriffe 1: Lebensverhältnisse Bevor mit der Betrachtung des Verfassungstextes begonnen wird, ist es notwendig, ein Grundverständnis von der zentralen, aber unscharfen Begrifflichkeit 468 Dies geht sowohl aus Zahlen des Statistischen Bundesamts (dazu SZ vom 30. September 2010, S. 18) als auch noch deutlicher aus dem „Regionalen Armutsatlas für die Bundesrepublik“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor, dazu SZ vom 19. Mai 2009, S. 5. Über das Ost-West-Gefälle hinaus existiert indessen sowohl im Osten als auch im Westen ein Nord-Süd-Gefälle, vgl. SZ vom 19. Januar 2010, S. 17. 469 Vgl. zum Ganzen Aydin, KritV 93 (2010), 29 (36 f.).

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der „Lebensverhältnisse“ zu entwickeln. Denn je klarer die anfängliche Vorstellung dazu ausfällt, desto größer dürfte auch die Wahrscheinlichkeit sein, auch solche Verfassungsnormen auffinden und in die Betrachtung einbeziehen zu können, deren Wortlaut die Formel der „Wahrung/Herstellung470 der Einheitlichkeit/ Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ nicht ausdrücklich zitiert, die sachlich unter Umständen aber dennoch einschlägig sind. Da die anderen klärungsbedürftigen Begrifflichkeiten („Einheitlichkeit“ und „Gleichwertigkeit“) im Vergleich zu den „Lebensverhältnissen“ relativ fassbar sind, ist hier eine Vorab-Erörterung nicht zwingend erforderlich und erscheint es daher sinnvoller, deren Präzisierung in Kenntnis des grundgesetzlichen Textbefunds vorzunehmen. Zu den „Lebensverhältnissen“: Wenn Verfassungsnormen eine Beeinflussung des Homogenitätsgrades von „Lebensverhältnissen“ thematisieren, dann können „Lebensverhältnisse“ im Regelungszusammenhang dieser Vorschriften naturgemäß nur solche Umstände umfassen, die der rechtlichen bzw. staatlichen Steuerung zugänglich sind. Und daher muss es sich bei „Lebensverhältnissen“ im verfassungsrechtlichen Sinn, jedenfalls im Kern, um das finanz-staatliche und an die Einwohner adressierte Infrastruktur- und Leistungsangebot handeln471, 472. (b) Grundgesetzlicher Textbefund (aa) Aktuelle Rechtslage Der aktuelle Textbefund des Grundgesetzes zur Thematik homogener Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ist dünn: Die Bundesverfassung nimmt das Leitbild 470 Die seit 1994 in den Fassungen des Art. 72 Abs. 2 GG verankerte textliche Variante der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ brachte nichts normativ Neues, sondern bestätigte die vorausgegangene Verfassungsrechtsprechung zu Art. 72 GG Uf., der zufolge der Gesetzgeber auch schon aufgrund der ursprünglichen Formel („Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“) nicht nur bewahrend, sondern auch aktiv verändernd vorgehen konnte, vgl. BVerfGE 106, 62 (157); dazu Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 35; ferner Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 177 f. 471 Vgl. P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 17; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 27; Wieland, Gutachten zur Neugestaltung der Finanzbeziehungen zur Stärkung des Föderalismus im vereinten Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Landes Bremen, in: Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.), Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern und ihre Auswirkungen auf das Land Bremen, S. 161 ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 176; weitergehend Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 (158 f.), der unter Berufung auf BVerfGE 106, 62 (153 f.) darüber hinaus auch Rahmenbedingungen einbeziehen will, die sich auf die Lebenswirklichkeit auswirken, etwa die Regelung von Berufsausbildungen. 472 Im Folgenden werden auch die Begriffe „Lebensumstände“ und „Lebensbedingungen“ im eben dargelegten Sinn verwendet.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

„einheitlicher“ bzw. „gleichwertiger“ Lebensverhältnisse nur „torsenhaft“ 473 und nur in spezifischen Regelungszusammenhängen in Bezug; eine allgemeine und umfassende Statuierung der genannten Formel(n) als Prinzip fehlt hingegen474. Unmittelbar führt sie der aktuelle Verfassungstext an zwei Stellen an: Zum einen gewährt Art. 72 Abs. 2 GG dem Bund Zugriff auf bestimmte Materien der konkurrierenden Gesetzgebung unter anderem, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (. . .) eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“. Art. 105 Abs. 2 GG erstreckt diese Voraussetzungen in den Bereich der konkurrierenden Steuergesetzgebungskompetenzen des Bundes. Zum anderen enthält Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG die (ursprünglich auch in Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG Uf. enthaltene475) textliche Variante von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Die Vorschrift postuliert, „die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder (. . .) so aufeinander abzustimmen, daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird“ 476. Mittelbar hat der Grundgedanke homogener Lebensumstände darüber hinaus auch Eingang in andere Verfassungsnormen gefunden: Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG (Finanzhilfen des Bundes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet) und Art. 91a Abs. 1 GG (Mitwirkung des Bundes bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder, sofern dies (unter anderem) zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist) greifen das Leitbild mit anderem Wortlaut, aber vergleichbarer Stoßrichtung auf. Und nicht zuletzt muss die Zielsetzung jedenfalls eines gewissen Mindestmaßes an Homogenität der Lebensumstände im Bundesgebiet den Regelungen des vertikalen (Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG), insbesondere aber jenen des horizontalen (Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG) Finanzausgleichs zugrunde liegen477. Denn mit „welchem sonstigen Inhalt 473 Lerche, in: Blumenwitz/Randelzhofer (Hrsg.), Festschrift für Berber, S. 299 (299); vgl. ferner P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 15 ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 175. 474 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 175. 475 Dazu sogleich unter (bb) (a). 476 Dass sich die Leitlinie der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, anders als dies der Normtext des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG impliziert, bei der Aufteilung der Umsatzsteuer nur mittelbar auswirken kann, weil nicht die Binnenverteilung, sondern erst die Verwendung der Steuern im Außenbereich auf die Lebensverhältnisse einwirkt, ist im Rahmen der vorliegenden Fragestellung ohne Belang und sei daher nur am Rande angemerkt, vgl. dazu F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), 71 ff. (83). 477 Vgl. dazu sogleich auch die Ausführungen zu Art. 106 Abs. 3, 4 GG Uf. unter (bb) (b). Speziell mit Blick auf den horizontalen Finanzausgleich etwa Lerche, in: Blumenwitz/Randelzhofer (Hrsg.), Festschrift für Berber, S. 299 (303 ff.); im Anschluss daran Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 25 ff., insbesondere S. 27. Die Existenz einer dem Länderfinanz-

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sollte der Ausgleichsgedanke gefüllt und durch welchen andersartigen Gedanken sollte er legitimiert werden“ 478? Die ersichtlich gegen eine Unterschiede gänzlich einebnende Ausrichtung des Länderfinanzausgleichs gerichteten Anmerkungen jedenfalls, dass der den Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG zugrunde liegende Harmonisierungsgedanke erstens allenfalls auf die Sicherung von HomogenitätsMindeststandards ausgerichtet sein479 sowie zweitens die Bezugsgröße des Finanzausgleichs ausschließlich der Einwohner (als Grundrechtsträger), nicht aber die abstrakte Figur der Lebensverhältnisse sein könne, stehen dem hier Behaupteten nicht entgegen bzw. sind, was die zweite Einlassung angeht, unstreitig. Denn die Position, ein Mindestmaß an bundesstaatlicher Homogenität sei ein verfassungsrechtlicher Selbstzweck und nicht Mittler der „Gleichheit finanzstaatlichen Handelns gegenüber dem aufgrund Art. 3 Abs. 1 GG Gleichbehandlung beanspruchenden Grundrechtsberechtigten“ 480, wird in der finanzverfassungsrechtlichen Literatur – soweit ersichtlich – nicht vertreten481. Schließlich lässt sich auch die Entstehungsgeschichte des Finanzreformgesetzes 1969 nicht gegen eine dem Länderfinanzausgleich innewohnenden Harmonisierungsgedanken ins Feld führen. Zwar trifft es zu, dass 1967/8 eine Initiative, die Verteilung des Länderanteils an den Gemeinschaftssteuern – und damit einen substantiellen Teil der Generierung der Länderfinanzausstattungen – an der Maßgabe der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auszurichten, zurückgewiesen und stattdessen der (1949 als selbstverständlich vorausgesetzte482) Verteilungsmaßstab des örtliche Aufkommens bestätigt wurde483. Eine genetische Darstellung, die an diesem Punkt endet, unterschlägt indessen Wesentliches: Dass nämlich der Sturmlauf der ärmeren Länder gegen eine Bestätigung des örtlichen Aufkommens als Verteilungsausgleich zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Direktive eines Mindestmaßes an Vergleichbarkeit des öffentlichen Leistungsangebots im Bundesstaat konzediert letztlich auch P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 17, 23. 478 So fragt (mit Blick auf den horizontalen Finanzausgleich) Lerche, in: Blumenwitz/Randelzhofer (Hrsg.), Festschrift für Berber, S. 299 (303). 479 P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 17, 23. 480 P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 17, 23. 481 Vgl. für das Schrifttum bis zum Jahr 1984 insoweit Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 27. 482 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 400; vgl. auch K. Vogel/P. Kirchhof, in: Bonner Kommentar, Art. 107 (Zweitbearbeitung 1971) Rn. 7 sowie Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 107 Rn. 2. 483 P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 16 f., der im selben Zusammenhang darüber hinaus auch das Fehlschlagen des Versuchs, die Formel von der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ in Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG a. F. zu verankern, anführt; vgl. zum Ganzen auch die entstehungsgeschichtlichen Nachweise ebd. in den Fn. 25 ff.

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schlüssel seinerzeit nur durch das Zugeständnis gestoppt werden konnte, die reiche Länder begünstigende Wirkung dieses Maßstabs anschließend durch einen intensiven Länderfinanzausgleich wieder weitgehend zu relativieren484. Und daher sprechen die Entstehungsumstände des Finanzreformgesetzes von 1969 umgekehrt klar dafür, dass dem (horizontalen) Finanzausgleich jedenfalls ein (Mindest-)Harmonisierungsgebot zugrunde liegen muss. (bb) Grundgesetz-Urfassung An seiner soeben dargelegten Ausformung im aktuellen (einfachen485) Verfassungsrecht lassen sich die derzeitigen Implikationen des in Rede stehenden Leitbildes einheitlicher bzw. gleichwertiger Lebensverhältnisse ablesen. Und ein Überblick über die thematischen Schauplätze, die ein gegebenenfalls existierendes verfassungskräftiges Postulat der Wahrung der Einheitlichkeit/Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet derzeit betreffen würde, ist gerade mit Blick auf die Analyse des Problems, ob dieser Rechtssatz dann auch durch Art. 79 Abs. 3 GG (im Kern) der Verfassungsrevision entzogen wäre, unerlässlich. Indessen muss in verfassungsdogmatischer Hinsicht beachtet werden, dass nach der hier vertretenen Auffassung die Schutzgüter der Revisionsklausel nicht einmal „für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden“ können486. Dies hat, wie oben gezeigt wurde, zur Konsequenz, dass die im Rahmen der Konkretisierung der Schutzgehalte von Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Gesamtschau der verfassungspositiven Ausgestaltungen des jeweiligen Regelungsguts primär487 auf Grundlage derjenigen Konkretisierungen erfolgen muss, die in der originären Bundesverfassung enthalten waren488.

484 Vgl. Wieland, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 030, S. 13; ders., Eingangsstatement bei der gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Juni 2009 (Protokoll zur 138. Sitzung des Rechtsausschusses S. 15); vgl. zum Ganzen auch Selmer, VVDStRL 52 (1993), 11 ff. (25); dens./Brodersen, Finanzverfassungsrechtliche Grundfragen des horizontalen Finanzausgleichs, S. 32 f.; Lerche, in: Blumenwitz/Randelzhofer (Hrsg.), Festschrift für Berber, S. 299 (303); Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 27. 485 Unterscheide hiervon den normenhierarchisch übergeordneten Art. 79 Abs. 3 GG (vgl. auch schon im ersten Kapitel unter § 2). 486 So aber die Senatsmehrheit im bereits behandelten Judikat zu BVerfGE 30, 1 (24); hierzu bereits oben im ersten Kapitel unter § 3 A. V. 487 Zu den Konstellationen, in denen auch auf nicht-originäre Verfassungssätze abgestellt werden kann vgl. unter § 3 A. V. 488 Vgl. auch dazu unter § 3 A. V.

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(a) Unmittelbare Bekundung Unmittelbar wurde die Homogenität der Lebensverhältnisse in der Erstfassung des Grundgesetzes lediglich in Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG Uf. angesprochen. Anders als die aktuelle Normfassung und ihre Vorgängerin aus dem Jahr 1994 verlieh die Vorschrift dem Bund u. a. dann das Gesetzgebungsrecht, „soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil (. . .) die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert“. Die Modalitäten des Übergangs von der ursprünglichen Bedürfnis- zur aktuellen Erforderlichkeitsklausel sowie der verfassungsprozessuale Hintergrund der Novelle aus dem Jahr 1994 sind für den vorliegenden Untersuchungskontext von untergeordneter Bedeutung489. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Art. 72 Abs. 2 GG in seiner ursprünglichen Form anstelle des Begriffs der „Gleichwertigkeit“ denjenigen der „Einheitlichkeit“ führte. (b) Mittelbare Bekundung Ferner enthielt auch schon die ursprüngliche Bundesverfassung Normen, die, obgleich ihre Normtexte die entsprechenden Formeln nicht explizit führten, den Erhalt bzw. die Herstellung eines gewissen Maßes an Homogenität der Lebensumstände im Bundesgebiet thematisierten. Die erste dieser Regelungen war in Art. 29 Abs. 1 Sätze 1, 2 GG Uf., die beiden anderen waren in Art. 106 GG Uf. zu finden, der zum einen in seinen ersten beiden Absätzen die (vorläufige) bundesstaatliche Verteilung der Steuererträge festlegte, in diesem Zusammenhang zum anderen in den Absätzen drei und vier aber auch zwei Lastenausgleichsregelungen enthielt, in denen Vorläufer des aktuellen bundesstaatlichen Finanzausgleichs erblickt werden können490. (aa) Art. 29 Abs. 1 Sätze 1, 2 GG Uf. Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. postulierte im Zusammenhang mit der (nie erfolgten) Realisierung des bis 1976 in der Norm verankerten territorialen Neugliederungsauftrags491 eine Berücksichtigung (auch) „der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges (. . .)“. Anschließend wurde in Satz zwei klargestellt, die Neugliederung solle Länder schaffen, „die nach (. . .) Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können“. Zwar musste und muss es nicht Ziel einer Neugliederung nach Art. 29 GG sein, Länder mit iden489 Zu den Beweggründen der Novellierung des Art. 72 Abs. 2 GG vgl. bereits unter C. II. 2. a) cc) (1), insbesondere unter Fn. 263. 490 Dazu bereits oben unter 1. a) bb) (2) (b) (aa). 491 Dazu Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 126 Rn. 24 f. m.w. N.

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tischer finanzieller Leistungsfähigkeit zu kreieren492; gleichwohl kann (1) die Maßgabe, Länder zu schaffen, die nach ihrer Leistungsfähigkeit zu einer effektiven Aufgabenwahrnehmung imstande sind, insbesondere vor dem verfassungssystematischen Hintergrund des durch Art. 70 ff., 120 GG Uf. vorgezeichneten bundeseinheitlichen Erfüllungsniveaus im Sozialleistungsrecht, nur erreicht werden, wenn eine Neugliederung Länder mit annähernd vergleichbarer Finanzkraft entstehen lässt493. Wenn ferner im Rahmen der Erfüllung des Neugliederungsauftrags die Berücksichtigung von Aspekten der „wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit“ angemahnt wird, so kann dies zwar nicht unmittelbar auf föderative Homogenitätsvorstellungen zurückgeführt werden. Das genannte Kriterium weist vielmehr Bezüge zur Formel des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ (vgl. Art. 109 Abs. 2, Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG (aktuelle Fassung)) auf, die als Sammelbegriff für bestimmte ökonomische Indikatoren begriffen wird494. Wenn aber (2) die Sicherung ebendieses „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ durch regional unausgewogene Wirtschafts- bzw. Finanz(struktur)entwicklungen beeinträchtigt werden kann495, dann muss eine Neugliederung des Bundesgebiets, das dem Kriterium „Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit“ Rechnung trägt, zugleich auch das Ziel der Schaffung ökonomisch und finanziell annähernd gleich starker Länder verfolgen – mit den unter (1) geschilderten Konsequenzen für die Wahrung/Herstellung homogener Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Und soll schließlich (3) eine Neugliederung unter Berücksichtigung des sozialen Gefüges vorgenommen werden, dann zielt dies auf den Erhalt bzw. die Herstellung einer verhältnismäßig ähnlichen Sozialstruktur in den Ländern ab, was regelmäßig (a) (bei Zugrundelegung des örtlichen Aufkommens als Verteilungsmaßstab496) eine länderübergreifend annähernd vergleichbare Steuerkraft in Bezug auf die Einwohnerzahl sowie (b) einen jeweils ähnlich hohen/niedrigen Bevölkerungsanteil an Sozialleistungsempfängern und damit eine vergleichbare Belastung mit Sozialausgaben jedenfalls befördern dürfte. Weil beides (das unter (a) und (b) Gesagte) zusammengenommen aber wiederum eine annähernd gleiche finanzielle Potenz der Länder begünstigt, dürfte schließlich auch die Höhe der Mittel, die den Ländern letztlich für die Ausgestaltung des öffentlichen Leis-

492 Vgl. zur aktuellen Fassung des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG insoweit Kunig, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG I, Art. 29 Rn. 17. 493 Implizit ebenso Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 29 Rn. 17: „Art. 29 GG zielt insofern auf einen Abbau der Ursachen im Finanzkraftgefälle, Art. 107 auf den Ausgleich der Folgen fortbestehenden Gefälles.“ 494 Dazu etwa Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 109 Rn. 22; siehe auch die einfachgesetzliche Legaldefinition in § 1 StabG. 495 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 104b Rn. 14 im Rahmen der Klärung des Verhältnisses der beiden Förderungsziele „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ (Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG) und „Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet“ (Nr. 2). 496 Dazu bereits oben unter (aa).

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tungsangebots – mithin der Lebensverhältnisse im verfassungsrechtlichen Sinn497 – zur Verfügung stehen, vergleichbar ausfallen498. (bb) Art. 106 Abs. 3 GG Uf. Wenn weiterhin Art. 106 Abs. 3 GG Uf. es dem Bund ermöglichte, einen Teil der (laut Absatz zwei der Norm grundsätzlich den Ländern zugeteilten) Einkommen- und Körperschaftsteuer „zur Deckung seiner durch andere Einkünfte nicht gedeckten Ausgaben, insbesondere zur Deckung von Zuschüssen“ in Anspruch zu nehmen, „welche Ländern zur Deckung von Ausgaben auf dem Gebiete des Schulwesens, des Gesundheitswesens und des Wohlfahrtswesens zu gewähren sind“, dann konnte dieser (das Zugriffsrecht des Bundes auf Teilerträge der genannten Steuerarten begründenden) Ausgleichsregel eigentlich nur die Zielvorstellung einer relativen Homogenität der Lebensumstände in den Ländern zugrunde liegen. Denn erstens dürfte die Zugehörigkeit der angeführten Sachgebiete (sogar) zu den (wesentlichen) Lebensverhältnissen im oben unter Gliederungspunkt (a) dargelegten Sinn ohne Weiteres einleuchten. Und zweitens macht die Beschränkung der Empfangsberechtigung auf konkret bedürftige499 Länder – der Wortlaut des Art. 106 Abs. 3 GG Uf. nimmt gerade nicht die Ländergesamtheit in Bezug („welche Ländern (. . .) zu gewähren sind“) – nur dann einen Sinn, wenn gleichzeitig angenommen wird, dass die Norm auf die Wahrung bzw. Herstellung zumindest annähernd vergleichbarer Lebensumstände im Bundesgebiet abzielte. Denn die besagten Gesetzgebungsmaterien fielen bereits gemäß Art. 70 ff. GG Uf. überwiegend in den Zuständigkeitsbereich der Länder, die mit Blick auf diese Gebiete daher weitgehend nicht an bundesrechtliche Erfüllungsstandards gebunden waren. Damit aber stand es den Gliedstaaten, die Regel des Art. 106 Abs. 3 GG hinweggedacht, von Verfassungs wegen (innerhalb der wei-

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Vgl. oben unter (a). In den Fassungen des Art. 29 GG seit 1976 klingt der Homogenitätsgedanke nur noch schwach an, daher wurde oben unter (aa) auf die Erörterung der aktuellen Normfassung verzichtet: Denn erstens wurde aus dem (auch) harmonisierungsbedingten Neugliederungsauftrag eine entsprechende Option, und wurde zweitens das Kriterium der „Berücksichtigung des sozialen Gefüges“ durch dasjenige der „Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung“ abgelöst. 499 Wobei dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 106 Abs. 3 GG Uf. („Bedürftigkeit“ o. Ä.) wohl regelmäßig dann vorlag, wenn ohne eine Gewährung vom Zuschüssen die Leistungsfähigkeit eines steuerschwachen Landes nicht abgesichert werden konnte, vgl. Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG Uf. Dies erklärt sich in erster Linie aus dem genetischen Umstand, dass mit den in letztgenannter Vorschrift angeführten „Zuschüssen“ ursprünglich diejenigen des Absatzes drei gemeint waren. Obgleich später dann eine inhaltliche Umgestaltung des damaligen Art. 122b Abs. 4 vorgenommen wurde, blieb der erste Satzteil des ersten Satzes der Norm – mit Ausnahme des Verweises auf Absatz drei bezüglich der Zuschüsse – unverändert, dazu v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (788 f.). 498

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ten Grenzen des Art. 28 Abs. 1 GG Uf.500) zunächst einmal frei, das jeweilige Leistungsniveau ausschließlich an der eigenen Finanzkraft auszurichten. Daraus folgt aber: Hätten die Länder keine zusätzlichen Maßgaben zu beachten gehabt, wäre ein punktuell greifendes obligatorisches Ausgleichsinstrument wie das in Art. 106 Abs. 3 GG Uf. („zur Deckung von Zuschüssen, welche Ländern (. . .) zu gewähren sind“) vorausgesetzte entbehrlich gewesen. Da jedoch der Verfassungsgeber eine derartige Ausgleichsregel für notwendig erachtete, muss er bei der Schaffung des Art. 106 Abs. 3 GG Uf. offensichtlich zumindest eine weitere Vorgabe vor Augen gehabt haben, die die Länder mit Blick auf das Wie der Aufgabenwahrnehmung zu beachten hatten. Und soweit ersichtlich kann diese zusätzliche (Verfassungs-)Maßgabe – gerade auch mit systematischem Blick auf Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 und Art. 29 Abs. 1 Sätze 1, 2 GG Uf. – nur darin bestanden haben, das Versorgungsniveau in den angesprochenen Bereichen nicht dauerhaft und deutlich unter den Länderdurchschnitt absinken zu lassen. (gg) Art. 106 Abs. 4 GG Uf. Und wenn schließlich Art. 106 Abs. 4 GG Uf., über die in Absatz drei niedergelegte Möglichkeit zur themenspezifischen Lastenbeteiligung hinaus, noch eine allgemeine Ausgleichsregel enthielt, der zufolge der Bund Zuschüsse gewähren konnte, um „die Leistungsfähigkeit auch der steuerschwachen Länder zu sichern und eine unterschiedliche Belastung der Länder mit Ausgaben auszugleichen“ sowie „die Mittel hierfür bestimmten den Ländern zufließenden Steuern entnehmen“ durfte, so schlägt das Homogenitätsleitbild im Vergleich zu Art. 106 Abs. 3 GG Uf. sogar noch unvermittelter auf den Normtext durch. Denn zusätzlich zu dem auch im Rahmen der letztgenannten Vorschrift vorgesehenen Umverteilungsmechanismus zwischen ausgleichsbedürftigen und nicht ausgleichsbedürftigen Ländern – darauf nämlich läuft die dem Bund eingeräumte Möglichkeit der Regressnahme aus dem Steuertopf der Ländergesamtheit hinaus501 – legt die Re500 Da die in dieser Norm in Bezug genommene „verfassungsmäßige Ordnung“ nach zutreffender Auffassung das gesamte Landesrecht umfassen soll, sofern es zu den vorgegebenen Grundsätzen in Widerspruch geraten kann (str., dafür etwa Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG II, Art. 28 Rn. 60; a. A. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu [Begr.]/Hofmann/ Henneke [Hrsg.], GG, Art. 28 Rn. 5), wären in der besprochenen Konstellation auch entsprechende einfache Leistungsgesetze (theoretisch) an Art. 28 Abs. 1 GG Uf. zu messen gewesen. 501 Das Kompensationsverfahren des Art. 106 Abs. 4 GG Uf. setzt denknotwendig die Vorab-Betrachtung derjenigen (Gesamt-)Finanzlage voraus, die sich ergäbe, sofern die komplette Finanzmasse der Länder allein nach dem (gemäß Art. 107 GG Uf. vorläufig durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz festzulegenden) Verteilungsschlüssel zwischen den Ländern aufgeteilt würde. Folgt aus dieser Betrachtung, dass die Leistungsfähigkeit mindestens eines Landes nach Anwendung der regulären Verteilungsregeln nicht gewährleistet ist, kann der Bund Zuschüsse gewähren und zur Generierung der erforderlichen Mittel auf die Gesamtfinanzmasse der Länder zugreifen. Wenn aber die ausgleichsberechtigten Länder infolge der Zuschüsse im Vergleich zum regulären

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gel des Absatzes vier dank ihrer allgemeinen Ausrichtung unmissverständlich auch den ihr zugrunde gelegten Kerngedanken offen. Denn soll der Bund letztlich durch Umverteilung das generelle Leistungsvermögen steuerschwacher Länder sichern können (Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 1 GG Uf.), so bedeutet das (1): Der Lastenausgleich des Art. 106 Abs. 4 GG Uf. zielte (in seiner ersten Variante) auf eine relative Homogenisierung des Leistungskraft der Länder ab. Da weiterhin die Begünstigten von Landesleistungen regelmäßig der einzelne Landesbürger bzw. die Bürgergesamtheit (Infrastrukturleistungen!) ist bzw. sind, und sich Veränderungen in der Leistungsfähigkeit eines Landes somit unmittelbar und zuvörderst auf die Beschaffenheit der dortigen Lebensumstände auswirken, musste (2) ein Ausgleich nach Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 1 GG Uf. regelmäßig auch zu einer gewissen Harmonisierung der (bzw. Bewahrung harmonisierter) Lebensumstände im Bundesgebiet führen. Wenn aber – wie vorliegend – eine Größe (hier: das Leistungsvermögen eines steuerschwachen Landes) Bezugspunkt einer Regelung (hier: Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 1 GG Uf.) ist, die auf eine Modifizierung dieser Größe (hier: Anhebung des Leistungsvermögens) abzielt, die bezweckte Veränderung aber ihrerseits geeignet ist, für den Normgeber vorhersehbare Auswirkungen auf die Beschaffenheit einer anderen Größe (hier: Lebensumstände in diesem Land) hervorzurufen, so muss davon ausgegangen werden, dass Bezugspunkt der Regelung auch – und in bestimmten Fällen gerade – die zweite Größe ist. Dies zugrunde gelegt, kann (3) davon ausgegangen werden, dass die über die Anhebung des Leistungsvermögens steuerschwacher Länder vermittelte Folge der Sicherung jedenfalls eines Mindestmaßes an Homogenität der Lebensbedingungen im Bundesgebiet ein Ziel des Lastenausgleichs nach Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 1 GG Uf. war. Entsprechendes gilt für Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 GG Uf. („Ausgleich einer unterschiedlichen Belastung der Länder mit Ausgaben“). Denn außer in den (Ausnahme-)Fällen zum einen der überproportionalen Belastung durch Finanzierungslasten aufgrund des Betriebs gesamtstaatlich bedeutsamer Infrastruktureinrichtungen (bspw. See- und Flughäfen) und zum anderen überdurchschnittlich hoher Administrativausgaben (regelmäßig bei Stadtstaaten gegeben), dürfte der Eintritt der Konstellation „steuerstarkes Land/überproportionale Ausgabenbelastung“ auch schon im Jahr 1949 praktisch unmöglich gewesen sein. Denn über das Gesagte hinaus dürften überdurchschnittliche Kostenlasten eines Landes in aller Regel aus der Finanzierungsverantwortung für die Ausführung von Sozialgesetzen des Bundes resultieren. Wenn aber in einem Gliedstaat die Ausgaben in diesem Bereich über dem Länderdurchschnitt liegen, dann dürfte die Steuerkraft

Szenario mehr Mittel zur Verfügung haben sollen und diese Mittel letztlich dem Ländergesamttopf entnommen werden, dann folgt daraus zwangsläufig, dass den nicht ausgleichsberechtigten Ländern weniger Mittel verbleiben müssen, als ihnen nach Maßgabe des ordentlichen Verteilungsschlüssels eigentlich zustünden.

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des Landes regelmäßig in einem ähnlichen Ausmaß unterdurchschnittlich ausfallen. Denn (relativ besehen) hohe Landesausgaben im Bereich der sozialen Sicherung, dessen weitgehend bundeseinheitliche Normierung bezüglich der zu gewährenden Leistungsstandards bereits in der Grundgesetz-Erstfassung angelegt war502, indizieren einen überproportional hohen Bevölkerungsanteil an Sozialleistungsempfängern. Und dies wiederum lässt in der Regel503 den Schluss auf Struktur- und damit, bei Zugrundelegung des örtlichen Aufkommens als primärem Verteilungsmaßstab504, auf Steuerschwäche zu505. Daraus wiederum folgt, dass auch ein Ausgleich gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 GG Uf. regelmäßig steuerschwachen Ländern zugute kommen musste. Da aber der Erhalt eines Zuschusses zum Ausgleich überdurchschnittlicher Belastungen die Freigabe von bisher gebundenen Mitteln in entsprechender Höhe ermöglicht, musste letztlich auch eine Kompensation nach Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 GG Uf. in der Regel zu einer allgemeinen Anhebung der (Finanz- und) Leistungskraft eines Landes durch Umverteilungsmaßnahmen führen – mit der oben hergeleiteten Konsequenz hinsichtlich der Homogenitätszielsetzung. (dd) Übergreifende Ergänzungen zu (bb) und (gg) Dass mit den Normanalysen zu ihren Nachfolgeregelungen in Art. 107 Abs. 2 GG506 bereits vergleichbare Befunde offen gelegt wurden, stützt dabei die Einschätzungen zu Art. 106 Abs. 3, 4 GG Uf.507. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch der Entstehungsprozess der Art. 106 Abs. 3 und 4 GG Uf. die Annahme, die beiden Ausgleichsregeln seien auf die Sicherung jedenfalls eines Untermaßes vergleichbarer Lebensumstände im Bundesgebiet ausgerichtet, stützt. Denn die diesbezüglichen Beratungen im Parlamentarischen Rat (bzw. den betreffenden Ausschüssen) wurden durchgängig und unwidersprochen unter den Vorzeichen einer Annäherung der Finanzkraft der steuerstarken und -schwachen Länder geführt, was wie gezeigt nur vor dem Hintergrund einer Zielvorgabe der Sicherung bzw. Herstellung eines Homogeni-

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Dazu bereits oben unter A. III. 1. b). Ausnahmen von dieser Regel sind wiederum bei den Stadtstaaten denkbar, da es hier regelmäßig zu einer Ballung von Soziallasten kommt, dazu Wieland, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 030, S. 11. 504 Vgl. abermals oben unter (aa). 505 Zum Zusammenhang zwischen Sozialausgaben, Steuer- und Finanzkraft vgl. bereits oben unter (aa); ferner Renzsch, in: Baus/Fischer/Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellungen für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat, S. 91 (91 ff.). 506 Vgl. oben unter (aa). 507 Ebenso wie Letztere umgekehrt die Ergebnisse zum Homogenitätsbezug des aktuellen Finanzausgleichs untermauern. 503

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

157

täts(mindest)maßes bezüglich der Lebensbedingungen in den Ländern begriffen werden kann508. (g) Resümee zu (bb) Fazit: Die Grundgesetz-Erstfassung enthielt mit Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG Uf. eine Norm, bei der die Formel der „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ explizit Eingang in den Text gefunden hat sowie mit Art. 29 Abs. 1 Satz 1, Art. 106 Abs. 3 und 4 GG Uf. drei weitere Verfassungssätze, die (jedenfalls auch) auf die Wahrung bzw. Herstellung zumindest eines Mindestmaßes an Homogenität der Lebensumstände im Bundesgebiet ausgerichtet waren. (cc) Übergreifende Schlussfolgerung zu den Textbefunden In Bezug auf die Beantwortung der Frage, ob Art. 79 Abs. 3 GG ein wie auch immer geartetes Homogenitätspostulat mit Blick auf die Lebensbedingungen im Bundesgebiet enthält, kann hinsichtlich der in diesem Zusammenhang vorgenommenen Gesamtschau des thematisch einschlägigen (einfachen) Verfassungsrechts festgehalten und/oder gefolgert werden: 1. Ein unmittelbares Vereinheitlichungsgebot konnte der Bundesverfassung zu keinem Zeitpunkt entnommen werden. 2. Indessen enthalten/-hielten sowohl die aktuelle als auch die ursprüngliche Fassung des Grundgesetzes Verfassungssätze, die, mehr oder weniger intensiv, auf den Erhalt/die Herstellung jedenfalls eines Mindestmaßes an Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet abzielen/-zielten509 bzw. Letztere zumindest in Bezug nehmen/nahmen (Art. 72 Abs. 2 Uf./n. F.)510. 3. Die Frage, ob man diese Normierungslage mit der fast schon sakral anmutenden und polarisierenden Formel eines (mittelbaren) „Verfassungsauftrags der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ 511 fassen 508 Dazu v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (n. F.) 1 (1951), 1 (765 f., 785 ff.); siehe insbesondere auch einen Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, in dessen Rahmen ein Art. 122b Abs. 2 statuierte, dass die „Länder, denen (. . .) ein wesentlich höheres Steueraufkommen verbleibt, als dem Durchschnitt in sämtlichen Ländern entspricht, (. . .) an eine (. . .) Ausgleichskasse zugunsten der steuerschwachen Länder Beiträge zu leisten (. . .)“ hätten. Obgleich dieser Vorschlag aufgrund des konkret zugrunde gelegten Ausgleichsverfahrens abgelehnt wurde, blieb er doch in Bezug auf seinen stark unitarischen Grundtenor unwidersprochen. 509 Im Einzelnen sind dies: Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 bis 3, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 (mit der in Fn. 476 genannten Einschränkung), Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowie Art. 91a Abs. 1 GG für die aktuelle Grundgesetz-Fassung; für die Urfassung: Art. 106 Abs. 4 und 3 und Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG Uf. 510 Zu Art. 72 GG (Uf. und n. F.) sogleich unter (c). 511 So ausdrücklich Hettlage, VVDStRL 31 (1973), 99 (100) (Diskussionsbeitrag); in dieselbe Richtung bereits ders., VVDStRL 14 (1956), 2 (19 f.).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

kann, ist dabei nebensächlich und verstellt den Blick auf das normativ Wesentliche. 4. Dieses lässt sich allein aus der Beschreibung der Regelungslage folgern: Wenn, wie gezeigt wurde, – mehrere Verfassungssätze – gleichzeitig auf ein gewisses Maß an Homogenität der Lebensumstände im Bundesgebiet hinwirken/-wirkten, dann handelt(e) es sich bei dieser Vorgabe jedenfalls um ein verfassungskräftig verfolgtes (und zu verfolgendes) Ziel. (c) Klärung der Grundbegriffe 2: Einheitlichkeit/Gleichwertigkeit Auf Grundlage des Textbefunds können nun die ausstehenden Begriffsbestimmungen vorgenommen werden. Während Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG die bis 1994 auch in Art. 72 Abs. 2 GG Uf. verankerte Formel von der „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ enthält, spricht Art. 72 Abs. 2 GG seitdem von der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“. Sowohl „Einheitlichkeit“ als auch „Gleichwertigkeit“ indizieren einen gewissen Grad an Übereinstimmung mit Blick auf das jeweilige Bezugskriterium (hier: die Lebensverhältnisse in den verschiedenen Teilen des Bundesgebiets), der aber in beiden Fällen weniger als Gleichheit meint512. Dabei dürfte „Einheitlichkeit“ sprachlich eher zur Uniformität tendieren, wohingegen „Gleichwertigkeit“ mehr Spielraum für Unterschiede zu lassen scheint und damit einen geringeren Harmonisierungsgrad einfordert513. Im Übrigen jedoch sind beide Begriffe alles andere als regelungsstark und lassen daher Spielraum für divergierende Einschätzungen in Bezug auf das gebotene Ausmaß an Homogenität: Eine terminologische Betrachtung liefert damit nur sehr eingeschränkte Erkenntnisse. Mit Blick auf die Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit Art. 79 Abs. 3 GG die Homogenität der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet absichert, kann den hier behandelten Begrifflichkeiten des einfachen Verfassungsrechts aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle beigemessen werden. Denn im Untersuchungszusammenhang könnten sie allenfalls im Rahmen einer Gesamtschau der einschlägigen einfachen Verfassungsnormen (primär: der ursprüng512 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 176 f., der dies explizit mit Blick auf die „Einheitlichkeit“ feststellt und zwischen „Einheitlichkeit“ und „Gleichwertigkeit“ kaum Unterschiede sieht; a. A. Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 (162), der Einheitlichkeit und Gleichheit gleichsetzt. 513 L. Osterloh, in: Tipke/Söhn (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Christoph Trszalik, S. 181 (185); Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 35.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

159

lichen514) in Bezug genommen werden, welche aber mit Blick auf die Schutzbereichsbestimmung bei Art. 79 Abs. 3 GG ihrerseits nur eine (untergeordnete) unter mehreren auszuwertenden Erkenntnisquellen darstellt. (2) Enthält Art. 79 Abs. 3 GG ein Homogenitätspostulat bezüglich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet? Der obige Befund, dass Vorschriften sowohl der ursprünglichen als auch der aktuellen Grundgesetz-Fassung auf ein gewisses Maß an Homogenität bezüglich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet hinwirkten/-wirken, indiziert aber für sich genommen noch nicht, dass eine so umschriebene Normierungslage zugleich auch durch Art. 79 Abs. 3 GG der Verfassungsrevision entzogen sein muss. Denn revisionsfest wäre ein etwaiges Homogenitätspostulat nur, sofern und soweit es dem Grundsatzgehalt eines oder mehrerer der von Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Prinzipien zugerechnet werden könnte. (a) Umfassender Unitarisierungsauftrag Die Frage nach der Existenz eines in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten umfassenden Vereinheitlichungsgebots bedarf keiner eingehenden Erörterung. Denn jedenfalls schützt Art. 79 Abs. 3 GG die Substanz der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes. Und wenn der Grundidee des Bundesstaats sowohl umfassende Egalität als auch grenzenlose Vielfalt von vornherein fremd sind515, dann muss dieser Substanz zuvörderst die der Bundesstaatlichkeit immanente Spannungslage zwischen Autonomie und bündischer Einheit zugerechnet werden516. Ein auf möglichst vollständige Einebnung ausgerichtetes Homogenitätspostulat würde aber diese Regelungslage einseitig zugunsten der Unitarisierungskomponente – und damit das für die Bundesstaatlichkeit charakteristische Spannungsverhältnis schlechthin – auflösen517. Und aus diesem Grund kann Art. 79 Abs. 3 GG nicht nur keinen umfassenden Unitarisierungsauftrag enthalten, sondern dürfte umgekehrt die Verankerung solch eines Gebots im Grundgesetz aufgrund der Berührung der föderativen Verfassungssubstanz sogar gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen.

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Vgl. dazu im ersten Kapitel unter § 3 A.V. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 182; Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 63; in diese Richtung auch Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat: Theorie und Praxis, S. 160. 516 Hierzu systematisch grundlegend oben unter A. II. bis IV. 517 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 182; Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 63; ähnlich Kisker, in: Hesse/Renzsch (Hrsg.), Föderalstaatliche Entwicklung in Europa, S. 117 (138) und Birk, SuS 1993, 85 (86). 515

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

(b) Mindestsicherung Dies spricht aber noch nicht gegen eine Verortung einer Mindestsicherung der Homogenität zumindest hinsichtlich zentraler Lebensverhältnisse (verstanden als ein Kernbestand an staatlichen Infrastruktur- bzw. Sozialleistungen518). (aa) Verankerung über einfache Verfassungssätze? Aufgrund des verfassungsdogmatischen Hierarchieverhältnisses zwischen Art. 79 Abs. 3 GG auf der einen und allen übrigen (ursprünglichen und diesen nachfolgenden) Verfassungsvorschriften auf der anderen Seite519 wäre aber ein Versuch, solch eine Sicherung über die unter Gliederungspunkt (1) (b) geschilderten Verfassungssätze in der revisionsfesten Substanz des Grundgesetzes zu verankern, bereits im Ansatz fehlerhaft. Allerdings könnten die oben erörterten Verfassungssätze im Rahmen einer Gesamtschau des thematisch einschlägigen Verfassungsrechts520 in Bezug genommen werden – sofern die Konkretisierung einer/mehrerer der von Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Grundsätze im Hinblick auf ein Homogenitätspostulat dies erfordern sollte. (bb) Verankerung über Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG? Wenn es um die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet geht, dann liegt es nahe, den allgemeinen Gleichheitssatz auf ein entsprechendes Postulat hin zu befragen. Dabei könnte Art. 3 Abs. 1 GG prinzipiell in zweierlei Hinsicht in Bezug genommen werden. Zum einen könnte die Existenz eines grundrechtlichen (Teilhabe-)Anspruchs auf Herstellung/Wahrung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse mittels Beteiligung an staatlicher Finanzkraft angedacht521 und zum anderen der allgemeine Gleichheitssatz in seiner objektivrechtlichen Dimension als Richtschnur für die Auslegung anderer Verfassungssätze522 in den Blick genommen werden. Indes könnte die Verankerung eines etwaigen gleichheitsrechtlichen Homogenitäts(mindest)gebots grundsätzlich nur 518 Zum Verhältnis des verfassungsrechtlichen Begriffs der Lebensverhältnisse zum finanzstaatlichen Leistungsangebot vgl. oben unter (1) (a). 519 Vgl. hierzu im ersten Kapitel unter § 2. 520 Vgl. oben im ersten Kapitel unter § 3 A.V. 521 Dazu Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 183 f.; ferner P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 20 ff.; unter Bezugnahme auf den Letztgenannten Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 27; Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 (166). 522 Zur objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte vgl. etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 290 ff., speziell mit Blick auf die Homogenität im Bundesstaat Rn. 296.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

161

dann gelingen, sofern und soweit ein solches Postulat zudem dem Menschenwürdekern523 des allgemeinen Gleichheitssatzes zugerechnet werden könnte. Denn aus dem Grundrechtskatalog untersteht (als in Art. 1 GG niedergelegter Grundsatz) allein die Garantie der Menschenwürde unmittelbar dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG, und können daher Teilgewährleistungen anderer Grundrechte auch nur insoweit im Schutzbereich der Ewigkeitsklausel verortet werden. Ist bereits das Konstrukt einer partiellen Revisionsfestigkeit anderer Grundrechte als dem in Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegten umstritten524, so dürfte vorliegend die Verankerung eines gleichheitsrechtlichen Harmonisierungspostulats in der Revisionsnorm spätestens am Gebot einer restriktiven Bestimmung der Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG scheitern525. Dies umso mehr, als diese Interpretationsleitlinie gerade im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1 GG zu beachten ist. Denn aufgrund ihres fundamentalen Charakters unterfällt die Menschenwürdegarantie erstens – anders als die restlichen Schutzgehalte der Revisionsklausel – komplett dem Normbereich des Art. 79 Abs. 3 GG und ist zweitens in ungleich höherem Maße als andere Rechtsgüter der Gefahr einer Inflationierung bzw. eines Missbrauchs als „Allesproblemlöser“ 526 ausgesetzt: Und werden vor diesem Hintergrund die Sachlagen betrachtet, die Dreier in seiner Kommentierung des Art. 1 Abs. 1 GG beispielhaft für eindeutige Verletzungen des egalitären Gehalts der Norm anführt (Sklaverei, Leibeigenschaft, Menschenhandel etc.), so kann auf weitere Analyseschritte verzichtet und festgehalten werden, dass der Sachverhalt der Unterschreitung eines bestimmten Mindestmaßes an Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewiss nicht in diese Liste zweifelsfreier Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 GG eingereiht werden kann. Somit kann ein dem entgegenwirkendes Postulat auch nicht dem Würdekern des Art. 3 Abs. 1 GG zugerechnet werden, und scheidet daher die Verankerung eines revisionsfesten Homogenitätsgebots in Art. 79 Abs. 3 GG vermittels Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG aus. (cc) Verankerung über den sozialstaatlichen Teil des Verfassungskerns? Weiterhin kommt man in Anbetracht der egalitären Stoßrichtung einer gegebenenfalls von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Forderung nach Absicherung annähernd vergleichbarer Lebensumstände nicht um eine diesbezügliche Inaugen523 Dürig, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 1 (Erstbearbeitung 1958) Rn. 81, 85; ders., in: Spanner/Lerche/Zacher u. a. (Hrsg.), Festgabe für Maunz, S. 41 (45, 49); Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 37; ähnlich Denninger, JZ 1998, 1129 (1134). 524 Kritisch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 1 Abs. 1, Rn. 162 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3, Rn. 28; sowie Zacharias, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 57 ff. (78 ff.). 525 Dazu oben unter § 3 A.V. 526 So pointiert Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 1 Abs. 1, Überschrift vor Rn. 47 ff.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

scheinnahme des Sozialstaatsprinzips umhin. Denn Letzteres wurde vom Verfassungsgeber in Art. 20 GG verankert, und daher ist der Kern der Sozialstaatlichkeit nach nahezu einhelliger Auffassung den in der letztgenannten Norm niedergelegten Grundsätzen zuzurechnen – und somit durch die Ewigkeitsklausel der Verfassungsrevision entzogen527. Die Beantwortung der Frage, ob der Sozialstaatsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG ein Homogenitätspostulat zugeordnet werden kann, soll in drei Schritten erfolgen. Zunächst ist zu klären, ob eine Gewährleistung der Mindesthomogenität der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet überhaupt dem Normbereich des Sozialstaatsprinzips zugerechnet werden kann (a)). Bejahendenfalls muss anschließend dem Umstand, dass es sich bei der Forderung nach relativer Vereinheitlichung strukturell um ein Gleichheitspostulat handelt, Rechnung getragen werden, indem untersucht wird, ob und gegebenenfalls inwieweit das Scheitern der Begründung eines Harmonisierungsgebots über Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG528 auch der Herleitung einer entsprechenden Forderung auf Grund der sozialstaatlichen Verfassungsessenz entgegensteht (b)). Wenn und bejahendenfalls soweit der negative Befund zu den obigen Normen vorliegend keine Sperrwirkung entfalten sollte, ist schließlich danach zu fragen, ob die im ersten Schritt herausgearbeitete Rechtsposition auch dem von Art. 79 Abs. 3 GG allein geschützten Grundsatzgehalt der Sozialstaatlichkeit unterfällt (g)). (a) Mindesthomogenität: Gebot der Sozialstaatlichkeit? Ausgangspunkt für die Erörterung der Frage, ob der Sozialstaatlichkeit ein Mindestharmonisierungsgebot in Bezug auf die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet entnommen werden kann, ist das dem Sozialstaatsprinzip (neben anderen) zugrunde liegende Leitmotiv der „sozialen Gleichheit“ 529:

527 BVerfGE 84, 90 (121); 94, 49 (103); aus der Literatur etwa Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 52; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 63; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 45; a. A. Wiederin, VVDStRL 64 (2005), 53 (74 f.), etwas vorsichtiger Jestaedt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 29 Rn. 54, dort Fn. 294: „Auch das sozialstaatliche Prinzip lässt sich (. . .) zumindest auf der Grundlage einer am Willen des Verfassungs(gesetz)gebers orientierten Verfassungsauslegung nicht als gemäß Art. 79 Abs. 3 3. Alt. GG revisionsfest verstehen.“ 528 Oben unter (bb). 529 Die Begrifflichkeiten „Soziale Gerechtigkeit“, „Soziale Gleichheit“ und „Sozialer Ausgleich“ werden regelmäßig synonym verwendet, vgl. etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 215: „Es gilt der Gleichheit im Sinne gerechter sozialer Zuordnung.“; BVerfGE 5, 85 (198) („Soziale Gerechtigkeit“); Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 38 („Sozialer Ausgleich“); Zacher, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 28 Rn. 34 ff.; J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 1004 („Soziale Gerechtigkeit“).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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„Die gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger und eine annähernd gleiche Verteilung der Lasten, also die Herstellung sozialer Gleichheit aller Bürger im Staat ist das stärkste aller Motive sozialer Aktivität des Staates.“ 530

Die Forderung nach sozialem Ausgleich wird häufig mit dem Gebot der „Herstellung von Chancengleichheit“ in Verbindung gebracht531. Indessen könnte ein entsprechendes Postulat mit Blick auf die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes nicht so weit reichen, dass es auch die „Abmilderung bis hin zur Aufhebung entstandener Ungleichheiten, auch wenn diese aus gleichen Startchancen erwachsen sind“, umfasst532. Anderseits aber fordert die in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte sozialstaatliche Chancengleichheit im Unterschied zu dem im bürgerlich-liberalen Zeitalter vorherrschenden Verständnis mehr, als jedem Bürger bloß den gleichen Rechtsrahmen für seine Entwicklung zu gewähren. Der soziale Staat des Grundgesetzes muss darüber hinaus die faktischen Voraussetzungen für einen wirksamen Gebrauch von Freiheitsrechten gewährleisten, indem er dem entgegenstehende tatsächliche Hemmnisse beseitigt533 – etwa Zugangshindernisse zu Bildungseinrichtungen aufgrund finanzieller Barrieren534. Denn andernfalls könnten formal gleiche Startchancen nicht effektiv wahrgenommen werden. (aa) Bildung In Anbetracht der letztgenannten Beispielkonstellation muss dann aber auch gelten: Ebenso wie die Startchancen derjenigen, denen der Zugang zu einer staatlichen Bildungsreinrichtung aufgrund unübersteigbarer finanzieller Hürden verwehrt bleibt, hinter den Ausgangsmöglichkeiten jener zurückbleiben, die imstande sind, solch ein Hindernis aus eigener bzw. privater Finanzkraft aus dem Weg zu räumen, würden auch Bürger eines finanzschwachen Landes, dessen Bil530 Depenheuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, 1. Aufl., § 204 Rn. 89 unter Bezugnahme auf BVerfGE 5, 85 (198), wo allerdings auch die hohe Ausgestaltungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Postulats sozialer Gleichheit betont wird. 531 Dazu eingehend Axer, VVDStRL 68 (2009), 177 (208 ff.); Herzog, in: Maunz/ Dürig (Begr.), GG, Art. 20 VIII (Lfg. 28, 1980) Rn. 36 ff.; ferner Stern, Staatsrecht I, S. 929 f.; Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 40; sowie Kittner, in: Wassermann (Hrsg.), AK-GG I, 2. Aufl., Art. 20 Abs. 1–3 IV Rn. 33; vgl. auch Hesse, Die Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 212 ff. 532 So aber Kittner, in: Wassermann (Hrsg.), AK-GG I, 2. Aufl., Art. 20 Abs. 1–3 IV Rn. 33; kritisch zu Recht Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 38; ähnlich zurückhaltend auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 215. 533 Dazu eingehend Axer, VVDStRL 68 (2009), 177 (190 ff.); ferner Herzog, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 20 VIII (Lfg. 18, 1980) Rn. 40; Hesse, Die Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 214. 534 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 214; ähnlich Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 40.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

dungsangebot infolge einer Unterfinanzierung des entsprechenden Fachbudgets qualitativ dauerhaft und deutlich hinter dem eines anderen Gliedstaates zurückbleibt, gegenüber den Bürgern dieses (dann in aller Regel finanzkräftigeren) Landes in Nachteil geraten535. Denn ob individuelle Bildungsmöglichkeiten durch Finanzbarrieren oder durch relativen Qualitätsmangel beschnitten werden, kann im Ergebnis keine Rolle spielen. Bis hierher bedeutet das: Das sozialstaatliche Gebot der Chancengleichheit fordert von der zuständigen staatlichen Ebene – konkret also: von jedem einzelnen Land –, sein Bildungssystem so auszugestalten, dass die Bildungschancen seiner Bürger insoweit wenigstens annähernd so gut eingestuft werden können wie die entsprechenden Möglichkeiten aller übrigen Bundesbürger im Mittel. Anders gewendet: Sollte bereits das Bildungsangebot eines einzigen Landes in qualitativer Hinsicht dauerhaft und deutlich hinter dem entsprechenden Länderdurchschnitt zurückbleiben, würde dies einen Verstoß gegen das sozialstaatliche Postulat der Chancengleichheit nach sich ziehen. Bildungseinrichtungen jeglicher Art sind indessen zentrale Bestandteile des finanzstaatlichen Infrastruktur- und Leistungsangebots und damit, ausweislich der oben vorgenommenen Begriffbestimmung536, Lebensverhältnisse im verfassungsrechtlichen Sinn. (bb) Weitere Lebensverhältnisse Gewiss kommt der Bildungsinfrastruktur eine außerordentliche Bedeutung in Bezug auf die Problemstellungen sozialer (Chancen-)Gleichheit zu. Gleichwohl dürfte es sich dabei nicht um die einzige Teilmenge der Lebensverhältnisse handeln, die diesen Bereich inhaltlich betrifft. Beispielsweise ist auch die Höhe derjenigen staatlichen Leistungen, die sozial schwache Familien beziehen, geeignet, sich (jedenfalls mittelbar) auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Nachwuchses der Empfänger auszuwirken. Denn vom Leistungsumfang hängt es letztlich ab, ob bzw. inwieweit einer Familie Mittel zur Verfügung stehen, um etwa die Folgekosten des Schulbesuchs zu bestreiten bzw. eventuell vorhandene Begabungen ihres Kindes zu fördern und/oder Schwächen (beispielsweise durch die Ermögli535 Das angeführte Beispiel setzt freilich eine grundgesetzliche Kompetenzlage voraus, der zufolge die Aufgaben- (und Finanz-)Verantwortung für den Bildungsbereich im Wesentlichen bei den Ländern liegt. Diese – vorherrschende – Verfassungsrechtslage dürfte, jedenfalls mit Blick auf den Versuch einer schwerpunktmäßigen Verlagerung (insbesondere) der (schulischen) Bildungsbefugnisse auf den Bund, durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt sein (in diese Richtung Isensee, in: ders./Kirchhof [Hrsg.], HStR VI, Rn. 305; vgl. auch Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 129). Gleichwohl trägt der Kern der These auch abstrakt von dieser Kompetenzlage: Einmal angenommen, der Bund könnte entgegen Art. 79 Abs. 3 GG die zentralen Befugnisse im Bildungsbereich an sich ziehen, so müsste er für ein flächendeckend vergleichbares Bildungsangebot sorgen, andernfalls er in Konflikt mir dem sozialstaatlichen Gebot der Chancengleichheit geraten würde. 536 Vgl. oben unter (1) (a).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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chung des Besuchs von Nachhilfestunden) entgegenzuwirken. Ähnlich intensive Auswirkungen auf den Bereich der Chancengleichheit können den Materien der Daseinsvorsorge attestiert werden, vermittels derer „die infrastrukturellen Voraussetzungen einer zeitgemäßen, dem Stand der Zivilisation entsprechenden Persönlichkeitsentfaltung“ 537 sichergestellt werden – exemplarisch sei nur die Bereitstellung von (staatlichen) Gesundheitsdiensten erwähnt, bei dem die (faktische und verfassungsrechtliche) Problematik für den Fall erheblicher regionaler Qualitätsunterschiede besonders deutlich zutage tritt. Fazit: Aus dem sozialstaatlichen Gebot der Chancengleichheit lässt sich zumindest im Hinblick auf diesbezüglich relevante Lebensverhältnisse eine staatliche Verpflichtung ableiten, ein Mindestmaß an Homogenität im gesamten Bundesgebiet sicherzustellen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Lebensverhältnissen im verfassungsrechtlichen Sinn im Wesentlichen um staatliche Infrastruktur- und Sozialleistungen handelt, dürften die Lebensverhältnisse mehrheitlich in den sozial-egalitär bedeutsamen Bereich fallen. (gg) Bindung des finanzstaatlichen Leistungsangebots an den Bundesdurchschnitt Zur Klarstellung: Art. 1 Abs. 1 GG (i.V. m. der Sozialstaatlichkeit538) verpflichten den Staat im Konkreten lediglich zur Gewährleistung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein539. Dabei erstreckt sich der verfassungsrechtliche Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers auf diejenigen Mittel, die zur Sicherung seiner physischen Existenz, zur Ermöglichung der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen sowie zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben erforderlich sind540. Um auf das obige Beispiel zurückzukommen: Sozial schwache Familien bzw. deren Kinder könnten aus dem Sozialstaatsprinzip per se keinen Anspruch auf die staatliche Gewähr von Fördermöglichkeiten für die Entfaltung bestimmter Begabungen ableiten, die über den dargelegten Mindeststandard sowie das im Rahmen des schulischen Angebots Bereitgestellte hinausgehen. Allerdings wird durch den Bundesdurchschnitt der jeweils betrachteten Leistung ein gewisses – 537

Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 55. Obgleich ergänzend zu Art. 1 Abs. 1 GG regelmäßig auch das Sozialstaatsprinzip für die Herleitung dieser Garantie herangezogen wird (vgl. nur BVerfGE 125, 175 [221 ff.]), ergibt sich die Absicherung des Existenzminimums dogmatisch besehen bereits eigenständig aus der Menschenwürdegarantie, vgl. dazu sogleich unter (g). 539 Auch hierzu sogleich unter (g), vgl. ferner BVerfGE 40, 121 (133); 45, 187 (228); 82, 60 (85); 113, 88 (108 f.); für das Schrifttum etwa Kunig, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG I, Art. 1 Rn. 30, 36; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 15; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, Art. 1 Abs. 1 Rn. 155; Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 40. 540 BVerfGE 125, 175 (223). 538

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

im Konkreten präzisierungsbedürftiges – Mindestmaß für den Leistungsumfang festgelegt, das nirgends im Bundesgebiet unterschritten werden darf. Das bedeutet: Zwar müssen die staatlichen Organisationsebenen laut Bundesverfassung nicht mehr als das Existenzminimum absichern; wird aber im Bundesmittel deutlich mehr als dieser Mindeststandard gewährleistet, so resultieren daraus mit Blick auf das sozialstaatliche Chancengleichheitsgebot Unter-(und gegebenenfalls auch Ober-)Grenzen für die Festsetzung der Höhe der jeweiligen Leistung im gesamten Bundesgebiet, die jedenfalls über den Minimalerfordernissen der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins liegen dürften. (dd) Lebensverhältnisse, die in den Regelungsbereich der Länder fallen – Verfassungssystematische Überlegungen Bevor mit dem Versuch begonnen wird, das oben begründete Gleichwertigkeitsgebot im Grundsatzgehalt der Sozialstaatlichkeit gemäß Art. 20 Abs. 1 GG (und damit in Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG) zu verankern, müssen jedoch einige strukturelle Einwände aus dem Weg geräumt werden: Zwar soll nach dem oben Gesagten einerseits eine staatliche Gewährleistungspflicht in Bezug auf ein bundesweit annähernd einheitliches (Kern-)Bildungsangebot bestehen; andererseits aber begegnet ein (wie oben) auf Art. 20 Abs. 1 GG gestütztes Mindestharmonisierungsgebot hinsichtlich solcher Lebensverhältnisse Bedenken, deren Sachregelungsbefugnisse im Betrachtungszeitpunkt – was im angesprochenen (Hoch-)Schulbereich der Fall ist – den Ländern zugewiesen werden und daher primär dem Landesverfassungsraum unterstehen (dazu sogleich). Sollten aber vor diesem Hintergrund (a) Bedenken gegen die Herleitung einer Rechtsposition, die die staatliche Gewalt in den Ländern auch im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Sachkompetenzen541 bindet, ausgemacht werden und diese Bedenken (b) dogmatisch in konfligierendem Verfassungsrecht wurzeln, das dem Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG unterfällt, so könnte sich unter Umständen auch die hier anvisierte Verankerung des Gleichwertigkeitsgebots in der Sozialstaatsklausel der Ewigkeitsgarantie mit Blick auf die „Landes-Lebensverhältnisse“ erübrigen. Die angedeuteten Einwände fallen thematisch in den Bereich der Länderverfassungsautonomie.

541 In Abgrenzung zur Ausführungskompetenz in Bezug auf Bundesgesetze: Hier wird die Landesgewalt jedenfalls mittelbar über das auszuführende und vom Bundesgesetzgeber im Einklang mit den Vorgaben der Art. 20 Abs. 1–3 GG zu formulierende Bundesgesetz zur Mitwirkung an der Sicherung der staatlichen Beschaffenheit des Gesamtstaates verpflichtet.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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1. Die Grundsätze (jedenfalls des ersten Absatzes542) des Art. 20 GG treffen, naturgemäß mit Ausnahme der Bundesstaatlichkeit, unmittelbare Festlegungen nur für die staatlichen Gewalten und die Staatsstruktur des Bundes543. Entsprechende normative Vorgaben für die Ausgestaltung der Landesverfassungsordnungen hingegen finden sich in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG – was einer direkten Verpflichtungswirkung von Art. 20 Abs. 1 GG bezüglich der Länder entgegenstehen könnte. Nach Maßgabe des soeben unter (b) Gesagten müsste der Gehalt des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sich aber insoweit auf der Ebene des revisionsfesten Verfassungsrechts durchsetzen können, soll er gegen die Verankerung einer auch die länderkompetentiellen Lebensverhältnisse betreffenden Gleichwertigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG (über Art. 20 Abs. 1 GG) vorgebracht werden können. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG selbst untersteht zwar nicht per se dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG; indessen dürften die mittels Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG an die Länderebene gerichteten Inhalte dem revisionsfesten Verfassungsrecht unterfallen. Denn auf der einen Seite dürfte eine Verschärfung der dort statuierten Homogenitätsvorgaben rasch an die Grenze der Verfassungsautonomie der Länder und damit auch an diejenige ihrer durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Eigenstaatlichkeit stoßen544. Auf der anderen Seite würde aber auch eine Lockerung der Vorgaben den Charakter des Bundesstaates in den eines bloßen Staatenbundes verfälschen545: Nach alldem ist erstens die Verwertung von Argumenten, die sich auf die in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG enthaltenen Vorgaben stützen, (zumindest grundsätzlich) auch auf der Normebene des Art. 79 Abs. 3 GG zulässig. Aus dem Gesagten scheint zweitens aber auch hervorzugehen, dass es vorliegend eines Rückgriffs auf Art. 20 Abs. 1 GG unter Umständen gar nicht bedarf, sofern ein die Länder auch bei der Ausübung ihrer Sachkompetenzen bindendes Vergleichbarkeitspostulat hinsichtlich sozial-egalitär bedeutsamer Lebensverhältnisse sich über (aktuell in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegte) sozialstaat542 Umstritten ist, ob nicht zumindest Art. 20 Abs. 3 GG, anders als es das systematischen Zusammenspiel mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nahe legt, auch die staatliche Gewalt in den Ländern direkt verpflichtet, dafür etwa Stern, Staatsrecht I, S. 704; a. A. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 53; Tettinger/Schwarz, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 30; Kersten, DÖV 1993, 896 (901 f.). In BVerfGE 90, 60 (86) wurde offen gelassen, ob die Klauseln des Art. 20 Abs. 3 GG die Landesgewalten binden. 543 Antoni, in: Hömig (Hrsg.), Art. 20 Rn. 1; anders ausdrücklich Leisner, in: Sodan (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 1 (offenbar sogar in Bezug auf Art. 20 Abs. 1 GG). 544 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 56; Ausnahmen von dieser Regel müssen jedoch gerade im Hinblick auf die in Rede stehende föderative Finanzordnung zugelassen werden. Beispiel: Da zur Substanz der grundgesetzlichen Bundesstaatlichkeit gemäß Art. 79 Abs. 3 GG auch die konstruktive Verflechtung von Bundes- und Länderfinanzräumen gehört (Stichwort: „Gesamtgefüge“), wird die Länderstaatlichkeit, wie erläutert wurde, eben nicht schon dadurch verletzt, dass der Bund den Ländern kraft seiner Verfassung die strukturelle Schuldenaufnahme verbietet. 545 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 56.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

liche Homogenitätsvorgaben im Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG verankern ließe. Da indessen „die Homogenität des Bundes nicht in Gefahr“ ist, „solange der identitätsverbürgende Kern der Verfassung nicht angetastet wird“ 546 und mithin einiges dafür spricht, dass sich die „Grundsätze“ des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG mit den über Art. 79 Abs. 3 GG gesicherten decken547, folgt aus den obigen Ausführungen drittens: Die Grundsätze des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG legen die Landesverfassungsordnungen nur auf den Kerngehalt der für den Bund in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegten Fundamentalnormen (hier: der Sozialstaatlichkeit) fest548. Und daraus wiederum könnte man schließen wollen, dass hinsichtlich der im Betrachtungszeitpunkt den Landessachkompetenzen eingegliederten Lebensverhältnisse549 nur dann von einem bundesverfassungsrechtlich obligatorischen Mindestvergleichbarkeitspostulat bezüglich sozial-egalitär bedeutsamer Lebensverhältnisse (dann: gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG i.V. m. den Landesverfassungsordnungen) ausgegangen werden kann, wenn und soweit es gelingt, das Letzterem zugrunde liegende Chancengleichheitsgebot550 auch dem Grundsatzgehalt des Sozialstaatsprinzips zuzuordnen – was ja noch zu begründen wäre551. 2. Und selbst wenn dieser Nachweis gelingen sollte, könnte eingewendet werden, dass die Landesverfassungsordnungen aus strukturellen Gründen ohnehin nur einen auf das entsprechende Landesterritorium begrenzten Harmonisierungsauftrag enthalten könnten. Wenn somit aber die Sicherung homogener Lebensumstände im Bundesgebiet kein tauglicher Normierungsgegenstand einer Landesverfassung(sordnung) sei, so könne auch Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG keine diesbezüglichen Pflichten für den Landes(verfassungs)gesetzgeber552 begründen.

546

Hasso Hofmann, in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven, S. 146 (157). Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 62; J. Ipsen, Staatsrecht I Rn. 712; vgl. bereits oben unter 1. a) bb) (2) (a). 548 Zur Bindung der Landes(verfassungs)gesetzgebung an die Strukturprinzipien des Grundgesetzes vgl. Boehl, Verfassunggebung im Bundesstaat, S. 217 ff. 549 Im Sonderfall konkurrierender Gesetzgebungsmaterien gemäß Art. 72 i.V. m. Art. 74 GG hinge die Zuordnung im Übrigen vom (Nicht-)Gebrauchmachen des Bundes von seiner Normierungszuständigkeit (vgl. Art. 72 Abs. 1 GG) ab. 550 Vgl. oben unter (aa) bis (gg). 551 Die diskutierte Rechtsposition würde sich dann aber insoweit nicht aus dem sozialstaatlichen, sondern dem föderativen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG ergeben, der, wie oben dargelegt wurde, nicht bloß die Landesverfassungsautonomie, sondern auch deren Schranken enthält: in Gestalt von (derzeit in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nachgezeichneten) verfassungsstrukturellen Homogenitätsmindeststandards, zu denen auch den Kern der Sozialstaatlichkeit gehört. 552 Streitig ist, ob auch einfache Landesgesetze zur verfassungsmäßigen Ordnung gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG gehören, dafür: Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 60; implizit auch BVerfGE 9, 268; 83, 37; 83, 60 und 93, 37; zur Gegenauffassung vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 5. 547

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Dieser Einwand könnte, sollte er erhoben werden, leicht widerlegt werden. Denn daraus, dass es naturgemäß nicht möglich ist, die Staatsgewalt in einem Land zur Garantie bundesweit vergleichbarer Lebensverhältnisse zu verpflichten, folgt nicht zugleich, dass jede einzelne Landesverfassungsordnung von den im ihrem Rahmen konstituierten Landesorganen/-instanzen nicht den ihnen möglichen Teilbeitrag zur Sicherung der gesamtstaatlichen Gleichwertigkeit der Lebensumstände einfordern kann. Der Teilbeitrag jedes Pflichtadressaten würde dann darin bestehen, für den eigenen Kompetenzbereich sicherzustellen, dass die (relevanten finanzstaatlichen) Leistungsstandards nicht über einen längeren Zeitraum klar hinter den entsprechenden länderübergreifenden Durchschnittswerten zurückbleiben: Sollte also die Garantie eines Mindeststandards hinsichtlich der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bund zu den „Grundsätzen des (. . .) sozialen Rechtstaates im Sinne [des] Grundgesetzes“ 553 gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG zählen, träfe den Landes(verfassungs)gesetzgeber eine entsprechende Normierungsverpflichtung. Und an die aus diesem Gesetzgebungsauftrag resultierende(n) Norm(en) wäre dann – bei Art. 28 Abs. 1-konformer Ausgestaltung der Landesverfassungsordnung – jegliche Landesgewalt gebunden. Denn zu den rechtsstaatlichen Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG wiederum zählt die Verpflichtung der Staatsgewalt in den Ländern auf die (hier: Landes-)Verfassung und auf das sonstige (Landes-)Recht554. 3. Bleibt der ursprüngliche Einwand, Art. 20 Abs. 1 GG entfalte mit Ausnahme seiner bundesstaatlichen Inhalte keine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber der staatlichen Gewalt in den Ländern. Für diese maßgeblich seien allein die (gegenwärtig in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegten und revisionsfesten) föderativen Homogenitätsvorgaben bezüglich des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Weil aber deren Inhalte insoweit deckungsgleich mit den über Art. 79 Abs. 3 GG gesicherten Grundsätzen seien, könne ein sozialstaatliches (und auf den Gesamtstaat bezogenes) Gleichwertigkeitsgebot der Bundesverfassung im Hinblick auf Lebensverhältnisse, die der Ländergestaltungshoheit unterliegen, nur existieren, sofern die Position auch im Grundsatzgehalt des sozialen Staatsziels verankert werden könne. Da mit Blick auf die anvisierte Verankerung einer solchen Rechtsposition in den Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG ohnehin die Zugehörigkeit des Gleichwertigkeitspostulats zum Kern des Sozialstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 GG nachgewiesen werden muss, könnte im vorliegenden Kontext zwar dahinstehen, ob dieser Einwand systematisch korrekt ist bzw. ob nicht auch anderweitig eine direkte Pflicht der Staatsgewalt in den Ländern begründet werden kann, am Erhalt der Staatsstruktur des Bundes gemäß Art. 20 Abs. 1–3 GG mitzuwirken, wenn und soweit ihr Kompe553

Hervorhebung durch Verfasser. Implizit Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 65: „Im Bereich des Rechtsstaatsprinzips sind für die Länder verbindlich: (. . .) Vorrang der Verfassung, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes (. . .).“ 554

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

tenzbereich betroffen wird. Jedoch sei der verfassungsdogmatischen Vollständigkeit halber angemerkt, dass eine entsprechende Verpflichtung im unitarischen Föderalstaat erstens (auch für das nicht revisionsfeste Verfassungsrecht) jedenfalls aus der bündischen Komponente folgen muss: Wenn der (nach zutreffender Auffassung nicht in jedem Fall nur akzessorische555 und ferner Art. 79 Abs. 3 GG zugeordnete556) Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens über die speziell normierten Verpflichtungen hinausgehende Mitwirkungspflichten der Länder gegenüber dem Bund begründen kann557 und im Föderalstaat die grundsätzlichste aller Kooperationspflichten der Bundesglieder diejenige zur Mitwirkung beim Erhalt der Staatsstruktur des Gesamtstaates sein dürfte, dann muss diese Verpflichtung zur Substanz der Bundestreue gemäß Art. 20 Abs. 1 (bzw. Art. 79 Abs. 3 GG558) zählen. In der Praxis des einfachen Verfassungsrechts könnte diese Bindung somit direkt auf das bundesstaatliche Prinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG559 zurückgeführt werden. Alternativ könnte solch eine Kooperationspflicht zweitens aber auch ohne Bemühung des ungeschriebenen Verfassungsgebots bundesfreundlichen Verhaltens allein auf systematische Erwägungen gestützt werden. Denn wenn die Bundesverfassung der staatlichen Gewalt in den Ländern (mittels Art. 70 ff., 30 GG) Sachbefugnisse zuteilt, deren Wahrnehmungsmodalitäten einen potentiellen Einfluss auf die Wahrung der Fundamentalgrundsätze des Gesamtstaates gemäß Art. 20 Abs. 1–3 GG haben, so kann die grundgesetzliche Kompetenzübertragung – unterstellt man dem Verfassungs- (bzw. dem Revisionsgesetz-)geber die Absicht zur konsistenten Normgebung – von vornherein nur unter der Maßgabe erfolgen, dass die Länder eingeräumte Gestaltungsspielräume nötigenfalls mit Blick auf den Bund strukturerhaltend wahrzunehmen haben560. Zwar kann die Harmonisierung widerstreitender Verfassungssätze nicht durch einseitige Zugeständnisse erreicht werden, und müssen daher prinzipiell auch Abstriche bei den Rechtsgütern des Bundes in Betracht gezogen werden. Bei den vorliegend gegeneinander abzuwiegenden Rechtsposten von Bund und Ländern dürften sich aber

555 Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 41, a. A. etwa Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 21. 556 Wieland, KritV 91 (2008), 117 (120); vgl. zudem bereits oben unter 1. b). 557 Etwa Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 21. 558 Wie bereits oben angemerkt wurde, ist die Bundesstaatlichkeit der einzige Teilgehalt des Art. 20 Abs. 1 GG, der unmittelbar auf die staatliche Gewalt in den Ländern durchgreifen kann. 559 Gegebenenfalls zuzüglich einer vorgeschalteten Begründung der Bindung auch der Landesgewalt auf die Vorgaben der Bundesverfassung (und damit auch Art. 20 Abs. 1 GG) über Art. 20 Abs. 3 Hs. 1 und 2 GG (gegen einen unmittelbaren Durchgriff der Bindungsklauseln des Art. 20 Abs. 3 GG auf die Landesebene allerdings Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG II, Art. 28 Rn. 53; Kersten, DÖV 1993, 896 [901 f.]). 560 Zur Konkretisierung dieses Grundsatzes im Hinblick auf den jeweiligen Kompetenzträger auf Landesebene vgl. sogleich unter (3) (b).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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im Ernstfall die Erfordernisse der prinzipiellen Normen (hier: Art. 20 Abs. 1– 3 GG) gegen die Wahrnehmungsmodalitäten konkreter Länderkompetenztitel durchsetzen. 4. Aus alldem folgt für den vorliegenden Sachverhalt: a) Wenn und soweit die Sicherung der staatlichen Struktur des Bundes gemäß Art. 20 Abs. 1–3 GG (auch) von der Art der Ausübung von Sachkompetenzen auf Landesebene abhängig ist, reduziert sich der jeweilige Entscheidungsspielraum der Landesgewalt aufgrund bündischer und/oder verfassungssystematischer Erwägungen entsprechend. b) Sollte darüber hinaus der konkret zu sichernde Teilgehalt der Art. 20 Abs. 1– 3 GG – hier: eine sozialstaatliche Pflicht des Staates zur Wahrung/Herstellung der Mindestvergleichbarkeit bestimmter Lebensverhältnisse im Bund – dem durch Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG geschützten Kern des Art. 20 GG unterfallen, so gehört zu dieser Teilgarantie der Revisionsklausel zum einen auch eine entsprechende (potentielle) Mitwirkungspflicht der Länder. Sofern Letztere dogmatisch (auch) auf das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens gestützt wird, ist die Länderverpflichtung zum anderen außerdem Bestandteil der revisionsfesten Substanz der Bundestreue. (ee) Sonderfall nach derzeitigem Verfassungsrecht: Kommunen in Ausübung ihres Selbstverwaltungsrechts (ohne Fälle des Gesetzesvollzugs im engeren Sinn) 1. Bekanntlich kann das Postulat des Art. 79 Abs. 3 GG, aufgabengerechte Länderfinanzausstattungen verfassungskräftig zu garantieren, nur mit Blick auf den im konkreten Betrachtungszeitpunkt vorherrschenden Landesaufgabenkanon präzisiert werden561. Dieser Aufgabenkanon aber enthält eine bundesverfassungsrechtliche Gewährleistungspflicht für eine angemessene Gemeindefinanzausstattung, aus der, wie oben gezeigt, hinsichtlich des (freiwilligen) Selbstverwaltungsbereichs gesondert zu berücksichtigende562 Länderausgaben resultieren können. Die in zentralen Teilen, etwa mit Blick auf die Energieversorgung und den ÖPNV563, den sozialen Existenzbedingungen und damit eindeutig auch den zentralen Lebensverhältnissen zuzurechnenden Daseinsvorsorgematerien dürften regelmäßig als Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gemäß Art. 28 Abs. 2

561

Zur Problematik bereits oben unter b). Nach der hier vorgenommenen Systematisierung der Landesaufgaben und -ausgaben fallen im Rahmen der Ländergarantenstellung für die kommunale Finanzausstattung eigenständige Kosten nur mit Blick auf freiwilligen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises an, vgl. dazu oben unter cc) (1) (c) (dd). 563 Zur Zuordnung der beiden Materien zur Daseinsvorsorge etwa Tettinger/Erbguth/ Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 58. 562

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Satz 1 GG zu klassifizieren sein und unterliegen somit (jedenfalls auch) der eigenverantwortlich wahrzunehmenden Kompetenz- und Finanzierungsverantwortung der Kommunen564: Sollten folglich die Gemeinden/Gemeindeverbände im Rahmen ihrer freien (meint: nicht zugleich als Fall des Art. 83 f. GG oder des Vollzugs von Landes[sach]gesetzen zu klassifizierenden565) Selbstverwaltungstätigkeit einem in Art. 20 Abs. 1 GG wurzelnden Gleichwertigkeitsgebot hinsichtlich der Lebensverhältnisse im Bund unterworfen sein, so würde diese Bindung auch eine finanzielle Untergrenze für die kommunale Erbringung566 wesentlicher Infrastrukturleistungen nach sich ziehen – was sich wiederum auf den Deckungsrahmen der gliedstaatlichen Mindestausstattungspflicht in Bezug auf die Gemeindefinanzen und damit auf die Ausgabenseite der Länderhaushalte auswirken würde/könnte. Fraglich ist jedoch, ob eine kommunale Verpflichtung, bei der Herstellung relativ einheitlicher Lebensumstände im Bundesgebiet mitzuwirken, überhaupt gesondert nachgewiesen werden muss. Denn die gemeindlichen Selbstverwaltungsträger sind organisationsrechtlich, wie bereits mehrfach erläutert wurde, dem Verfassungsraum der Länder zuzurechen. Daher liegt es eigentlich nahe, besagte Kommunalpflicht nach Maßgabe der oben erarbeiteten allgemeinen Rahmenbedingungen für die Länder ohne weitere Prüfung als gegeben zu erachten. Indessen wird die Aufgabenverantwortung der Gemeinden im Hinblick auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gerade nicht (allein) durch Landesverfassungsrecht sondern – jedenfalls nach herrschender Auffassung, die in Art. 28 Abs. 2 GG keine Normativbestimmung, sondern eine Durchgriffsnorm erblickt567 – unmittelbar (auch) kraft Art. 28 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG konstituiert, und das bedeutet: Die Bundesverfassung nimmt die Kommunen entgegen dem Regelfall im zweigliedrig organisierten Bundesstaat des Grundgesetzes568 – der einer staatsrechtlichen Zuordnung der Kommunen zu den Ländern zugrunde liegt – direkt als Kompetenz- und Pflichtenadressaten in Bezug. Dann aber können angesichts dieser Ausnahmekonstellation auch mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 GG gegebenenfalls existierende bundesverfassungsrechtliche Verpflichtungen der auf Grundlage der Art. 28 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG handelnden Gemeinden/Gemeindeverbände nicht ohne Weiteres über den staatsrechtlichen Regelfall einer mittel564 Zur Verwurzelung der Daseinsvorsorge im kommunalen Bereich vgl. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 16 ff. 565 Vgl. oben unter cc) (1) (c) (aa). 566 Im Zusammenhang der Länderfinanzausstattung interessiert primär der gesetzlich (in der Regel) nur allgemein determinierte freie Selbstverwaltungsbereich, der nicht den fiskalisch bereits veranschlagten Kategorien des Vollzugs von Bundes- und Landesrecht unterfällt. 567 BVerfGE 1, 167 (174 f.); Stern, Staatsrecht I, S. 704; Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 28 Rn. 39; zur Gegenauffassung vgl. Löwer, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG I, Art. 28 Rn. 37 f. 568 Dazu grundlegend BVerfGE 13, 54 (78).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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baren grundgesetzlichen Ansprache der Kommunen als Teil organisierter Landesstaatlichkeit begründet werden. Dass aber eine kommunale Verpflichtung demzufolge – im Prinzip – eigens und (bundes-)verfassungsunmittelbar begründet werden muss, könnte sich durchaus auf die hier interessierende Bemessungsgrundlage angemessener Länderfinanzpositionen niederschlagen. Denn gelingt dieser eigenständige Nachweis nicht, und würden daher die Maßgaben eines Gleichwertigkeitsgebots hinsichtlich der Erbringung zentraler finanzstaatlicher Leistungen (mit Blick auf den durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltungsbereich) nicht auf die Gemeindehaushalte durchschlagen, so müsste die fiskalische Absicherung einer bundesweit annähernd einheitlichen Erfüllung zentraler kommunaler Infrastrukturaufgaben auch nicht im Rahmen der finanziellen Gewährleistungspflicht der Länder für ihre Gemeinden/Gemeindeverbände veranschlagt werden – eine Konsequenz, die vor allem finanzschwache Länder mit einem hohen Anteil strukturschwacher Regionen substantiell entlasten würde. 2. Indessen: Eine unmittelbare gemeindliche Mitwirkungspflicht würde – aufgrund der dann fehlenden gesetzesmediatisierten Verpflichtung auf Postulate des Art. 20 Abs. 1 GG – nur für Fälle eines (nahezu) unreglementierten kommunalen Gestaltungsspielraums eigenständige Bedeutung erlangen. Die kommunale Selbstverwaltung aber wird laut Art. 28 Abs. 2 Satz 1, 2 GG lediglich „im Rahmen/nach Maßgabe der Gesetze“ gewährleistet. Somit dürfte es, eine verfassungskonforme Kompetenzausübung auf der gemäß Art. 70 ff. GG zuständigen Legislativebene vorausgesetzt, regelmäßig keine konkreten Sachkonstellation geben, in denen ein im Hinblick auf Art. 20 Abs. 1–3 GG sensibler Teilbereich einer bestimmten Selbstverwaltungsmaterie zur substantiellen kommunalen Disposition steht. Denn Bundes- und Landesgesetzgeber haben unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten im Allgemeinen der Wesentlichkeitsdoktrin569 sowie – mit spezifischem Blick auf die kommunale Satzungsautonomie – dem Parlamentsvorbehalt Rechnung zu tragen, der die Grenze dessen markiert, was die Gesetzgebungsorgane der administrativen Normsetzung überlassen dürfen570. (Zur Klarstellung: An beide rechtsstaatliche Kerngebote sind mit Blick auf ihre Gestaltungsbereiche auch die Landesgesetzgeber jedenfalls571 über Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG i.V. m. den Landesverfassungsordnungen gebunden.) Dass weiterhin Gehalte, die in den engeren Bereich der Strukturprinzipien des Bundes hineinreichen, dem Wesentlichkeits- und dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, und damit diesbezüglich entscheidende Ausgestaltungsmodalitäten nicht der eigenverantwortlichen kommunalen Entscheidung zugänglich sein dürften, liegt auf der 569

Dazu Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 113 ff. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 119 ff. 571 Zur Frage des Durchgriffs von Art. 20 Abs. 3 GG auf die Länderebene vgl. oben in Fn. 559. 570

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Hand. Und kommt der zuständige Gesetzgeber vor diesem Hintergrund seiner prinzipiellen Regelungsverantwortung nach, darf er den Kommunen die Entscheidungshoheit in zentralen Fragen schließlich auch nicht mittels Ermessenseinräumung überantworten572. Konkret folgt daraus etwa: Da die nach zutreffender Auffassung573 dem (freiwilligen) gemeindlichen Selbstverwaltungsbereich zuzurechnende Energieversorgung als „soziale Existenzbedingung“ 574 unstreitig den zentralen Lebensverhältnissen unterfällt, muss der gemäß Art. 70 ff. GG zuständige Gesetzgeber (auch) tätig werden, um die hinsichtlich eines bundesweit vergleichbaren Mindestversorgungsstandards beachtlichen Teilaspekte festzusetzen. Im konkreten Fall beispielsweise ist der Bundesgesetzgeber dieser Pflicht nachgekommen, indem er im Rahmen der Wahrnehmung seiner Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 i.V. m. Art. 72 Abs. 2 und 1 GG a. F.575 in den §§ 36 ff., 49 ff. EnWG bundesweit beachtliche Mindestvorgaben für die Energielieferung an Letztverbraucher bzw. für die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Energieversorgung formuliert hat. Zwischenergebnis: – Ein in Art. 20 Abs. 1 GG verankertes Mindestharmonisierungsgebot reicht auch in den Regelungsbereich der kommunalen Selbstverwaltung hinein. – Die mit Blick auf dessen Einhaltung relevanten Inhalte dürften aber in aller Regel nicht in den gemeindlichen Dispositionsbereich fallen. Eine kommunale Verpflichtung, wesentliche finanzstaatliche (Infrastruktur-)Leistungen, die kraft Art. 28 Abs. 2 GG erbracht werden können, auf Dauer nicht signifikant unter den Bundesdurchschnitt absinken zu lassen, folgt dann implizit aus dem in Einklang mit Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltenden bundes-/landesgesetzlichen Rahmen. – Mit Blick auf eine Belastung der Länderhaushalte macht es jedoch keinen Unterschied, ob die kommunale Bindung an das Gleichwertigkeitsgebot direkter oder mittelbarer Art ist. Denn jedenfalls werden die Gemeinden/Gemeindeverbände verpflichtet, woraus für den Umfang der von den Ländern zu garantierenden Mindestfinanzausstattung folgt, dass sie die Kommunen in die Lage versetzen muss, zentrale Infrastrukturleistungen annähernd im Einklang mit dem diesbezüglichen Bundesdurchschnitt zu erbringen. 572 Eine Ermessenausübung wäre ohnehin nur im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen der gesetzlichen Grundlage möglich. 573 Dazu bereits oben in Fn. 459. 574 Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 55. 575 Das Energiewirtschaftsgesetz datiert auf den 7. Juli 2005, was in die Zeit vor dem In-Kraft-Treten der ersten Föderalismusreformstufe (28. August 2006) fällt; gleichwohl steht dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet der Energiewirtschaft gemäß Art. 72 Abs. 2 i.V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auch nach aktuellem Bundesverfassungsrecht zu.

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3. Und sollten sich den Kommunen in – für den Verfasser dogmatisch allerdings nicht ersichtlichen – Ausnahmefällen doch einmal mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 GG relevante Gestaltungsräume eröffnen, so bestünde diesbezüglich sogar eine unmittelbare Mitwirkungspflicht der Gemeinden/Gemeindeverbände bei der Sicherung der Bundesstruktur. Zwar kann diese direkte Verpflichtung der kommunalen Selbstverwaltungsträger (1) (jedenfalls) nicht (ohne Weiteres) schon über Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 Var. 1 GG hergeleitet werden. Denn selbst wenn (a) zur vollziehenden Gewalt im Sinne dieses Verfassungssatzes auch die kommunalen Selbstverwaltungsträger gehören sollten576 (was angesichts der Umstrittenheit des unmittelbaren Verpflichtungsvermögens von Art. 20 Abs. 3 GG auf Landesebene577 bereits nicht restlos überzeugen kann) und (b) die Normen des Grundgesetzes und damit auch Art. 20 Abs. 1 GG „Gesetz und Recht“ unterfallen578, so müsste trotz einer dann aus Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 Var. 1 GG resultierenden direkten (Bundes-)Verfassungsbindung der Gemeinden/Gemeindeverbände immer noch ein unmittelbarer und zudem die vollziehende Gewalt betreffender Durchgriff von Art. 20 Abs. 1 GG auf die Landesebene nachgewiesen werden579. Denn Letzterer sind die Kommunen (bundes-)staatsrechtlich, wie bereits mehrfach thematisiert wurde, nicht nur mit Blick auf ihre Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, sondern auch in ihrer Funktion als Selbstverwaltungsträger zugeordnet580. Mag nach umstrittener Auffassung (s. oben) die Wirksamkeit von (Teil-)Gehalten der Bundesstrukturnormen auf gliedstaatlicher Ebene hinsichtlich der Klauseln des Art. 20 Abs. 3 GG bejaht werden, so dürfte eine entsprechende Position in Bezug auf Art. 20 Abs. 1 GG kaum vertretbar sein. Dagegen sprechen zum einen der, im Unterschied zu demjenigen des Absatzes drei, klar gesamtstaatlich angelegte Normtext sowie zum anderen – dies kann auch der Behauptung eines Durchgriffs von Art. 20 Abs. 3 GG entgegengehalten werden – eine systematische Zusammenschau mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG. Denn sollte bereits Art. 20 Abs. 1 GG die Landesgewalten – nach der zugrunde gelegten Logik: über die Klauseln des Art. 20 Abs. 3 GG (! Art. 20 Abs. 1 GG unterfällt „Gesetz und Recht“) – auf die Prinzipien des republikanischen und demokratischen Sozialstaates verpflichten581, so würde dies die entsprechenden Homogenitätsstan576 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 65; vgl. auch Röhl, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Kap. Rn. 16. 577 Vgl. oben in Fn. 571. 578 Vgl. zur Zugehörigkeit des Verfassungsrechts zu „Gesetz und Recht“ im Zusammenhang des Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG aus der Verfassungsjudikatur etwa BVerfGE 78, 214 (227); aus dem Schrifttum Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 93. 579 Vgl. zur Problematik bereits oben unter (dd). 580 Bspw. BVerfGE 39, 96 (109). 581 Die Rechtsstaatlichkeit wird nicht von Art. 20 Abs. 1 GG, sondern von Art. 20 Abs. 2, 3 GG umfasst.

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dards in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG zu bloß deklaratorischen Maßgaben degradieren. (Begründung: Es ist überflüssig, Strukturvorgaben für die Länderverfassungen/-gesetze aufzustellen, wenn jegliche Landesgewalt ohnehin an die gegebenenfalls sogar weitläufigeren582 bundesverfassungsrechtlichen Standards des Art. 20 Abs. 1 GG gebunden ist.) Da weiterhin (2) die Bundestreue keine Anwendung auf nicht am Bundesstaatsrechtsverhältnis beteiligte Dritte wie die Gemeinden finden soll583, kann eine (bundes-)verfassungsunmittelbare kommunale Mitwirkungspflicht bei der Erfüllung von Postulaten des Art. 20 Abs. 1 GG auch auf diesem Weg nicht belastbar hergeleitet werden – obgleich die Auffassung, die Bundestreue sei auf die Gemeinden/Gemeindeverbände nicht anwendbar, angesichts der Tatsache, dass die Kommunen als mittelbare Staatsverwaltung Landesgewalt ausüben584, gewiss nicht unanfechtbar ist. Wohl aber ist es (3) möglich, analog zur obigen (Alternativ-)Begründung einer entsprechenden Verpflichtung der Landesgewalt im engeren Sinn (ohne kommunale Gewaltausübung), systematisch zu argumentieren: Wenn die Bundesverfassung in Art. 28 Abs. 2 GG das kommunale Selbstverwaltungsrecht anerkennt, dann muss diese Position in einem Konkordanzverhältnis zu den übrigen Normen des Grundgesetzes und hier vor allem zu den Strukturgrundsätzen des Bundes (Art. 20 Abs. 1–3 GG) stehen. Dann aber kann die Kompetenzgarantie durch die Durchgriffsnorm585 des Art. 28 Abs. 2 GG nur vorbehaltlich einer nötigenfalls bundes(struktur)freundlichen Nutzung der eingeräumten Gestaltungsräume durch die Kommunen erfolgen. Denn auch hier dürften sich wie im Zusammenhang der bereits erörterten Obergruppe kollidierender Landessachbefugnisse586 im Zweifel die Anforderungen der Art. 20 Abs. 1–3 GG gegen die kommunale Forderung möglichst unreglementierter Wahrnehmung einzelner Selbstverwaltungsaufgaben durchsetzen. Fazit: Auch für die Gemeinden/Gemeindeverbände folgt aus dem systematischen Erfordernis der Harmonisierung von Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 1–3 GG insoweit eine eigenständige (d.h.: nicht von der staatlichen Ebene der Länder abgeleitete) Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Damit würde ein etwaiges Mindesthomogenitätsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG die Kommunen 582

Dazu oben unter (dd). Bauer, Die Bundestreue, S. 296 ff.; ders., in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 40; Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 20 Rn. 21a; a. A. BVerwG DVBl. 1990, 46 (47). 584 Vgl. F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 84 (Lfg. 61, Januar 2011) Rn. 155. 585 Str., bejahend etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 92; für eine Klassifizierung als Normativbestimmung hingegen Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG I, Art. 28 Rn. 37 f. 586 Vgl. abermals unter (dd). 583

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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in jeder (auch nur theoretisch) denkbaren Konstellation direkt oder mittelbar binden – und mit Blick auf die finanzielle Letztverantwortung der Länder für die Sicherung angemessener Gemeindefinanzen vor allem Teile der kommunalen Finanzausstattung determinieren. (zz) Ergebnis zu (a) Dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG kann ein Gebot der Gewährleistung eines Homogenitätsmindestmaßes wenigstens hinsichtlich solcher – sowohl in den Gestaltungsbereich des Bundes als auch in den der Länder und Kommunen fallenden – Lebensverhältnisse entnommen werden, denen im Zusammenhang mit der Erfüllung des Chancengleichheitspostulats entscheidende Bedeutung zukommt. (b) Sperrwirkung des Befunds zu Art. 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG? Nachdem ein Gebot der Sicherung eines Mindestmaßes an Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse, jedenfalls mit Blick auf sozial-egalitär relevante Materien, prinzipiell im Normbereich der Sozialstaatlichkeit verortet werden konnte, muss in einem zweiten Schritt geklärt werden, ob im Rahmen des weiteren Untersuchungsverlaufs der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass es sich bei diesem Postulat wie gezeigt strukturell um eine gleichheitsrechtliche Position handelt. Denn oben scheiterte bekanntlich der Versuch, das Harmonisierungsgebot über Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG im Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG zu verankern. Vor diesem Hintergrund könnte eine entsprechende Sperrwirkung dieses Teilergebnisses auch für andere gleichheitsrechtliche Materien erwogen werden. Dabei lautet die zu beantwortende Frage: Ist es aus systematischem Blickwinkel zulässig, ein (relatives) Gleichheitsgebot mittels der sozialstaatlichen Verfassungsessenz dem Schutz der Ewigkeitsklausel zu unterstellen, obwohl ein entsprechendes Unterfangen über den Menschenwürdekern des allgemeinen Gleichheitssatzes erfolglos bleiben muss? Grundlegend kann zunächst festgehalten werden: Allein aus der Tatsache, dass eine Rechtsposition nicht dem Würdegehalt des Art. 3 Abs. 1 GG zugerechnet werden kann, ergibt sich im Gegenschluss nicht schon, dass dieses Postulat dem Menschenwürdekern des allgemeinen Gleichheitssatzes entgegensteht. Aus diesem Blickwinkel könnte der Verankerung eines Harmonisierungsgebots in Art. 79 Abs. 3 GG über den sozialstaatlichen Teil des Verfassungskerns jedenfalls nicht bereits der Einwand expliziter Unvereinbarkeit entgegengehalten werden. Andererseits: Wenn die Revisionsklausel eine Sicherung von Grundrechtspositionen (auch in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension) allenfalls bis zum Rand ihres Menschenwürdekerns deckt,

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

und Art. 3 Abs. 1 GG von dieser Restriktion nicht ausgenommen ist, liegt der Einwand zumindest nicht fern, in einer anderweitigen Einbeziehung egalitärer Rechtsinhalte in den Normbereich des Art. 79 Abs. 3 GG die Gefahr einer Umgehung dieser verfassungsgeberischen Wertung zu erblicken. Aber: Obwohl Gleichheitsthematiken ihren Regelungsbereich prägen, kann die Sozialstaatlichkeit dogmatisch nicht dem Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG zu(- bzw. unter-) geordnet werden, sondern hat – zumal als Verfassungsstrukturbestimmung – einen eigenständigen Normbereich. Daher können ausgehend vom Würdekern des allgemeinen Gleichheitssatzes keine normativ zwingenden Schlussfolgerungen in Bezug auf die egalitäre Substanz des Sozialstaatsprinzips gezogen werden. Das wird durch eine diesbezügliche Betrachtung des Garantiebereichs von Art. 79 Abs. 3 GG systematisch verifiziert. Denn Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG nimmt (in Verbindung mit Art. 20 GG) die Grundsatzgehalte der Strukturprinzipien – anders als die Grundrechte der Art. 2 ff. GG – unmittelbar in Bezug. Und daher genießt auch die Sozialstaatlichkeit einen eigenständigen Substanzschutz, der bei dogmatisch sauberem Vorgehen gerade nicht an den im Rahmen der anderen Untervariante des Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG geforderten Nachweis des Menschenwürdegehalts geknüpft werden darf. Daher steht der Teilbefund zu Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG einer Zuordnung von Gleichheitsinhalten zur Sozialstaatsklausel der Revisionsnorm nicht grundsätzlich im Weg. (g) Mindesthomogenitätspostulat: Zugehörigkeit zum Kerngehalt der Sozialstaatlichkeit? Um Bindungsvermögen auch gegenüber dem Revisionsgesetzgeber entfalten zu können, müsste das sozialstaatliche Mindesthomogenitätsgebot bezüglich sozial-egalitär bedeutsamer Lebensverhältnisse auch dem Kerngehalt des Sozialstaatsprinzips unterfallen. Die Sozialstaatlichkeit wird durch Art. 79 Abs. 3 GG nur in sehr begrenztem Umfang abgesichert587. Revisionsfest sind abstrakt lediglich die Sozialstaatsklausel als solche und die aus ihr resultierenden Staatszielbestimmungen, sozialer Bedürftigkeit abzuhelfen (abstrakt!) und für soziale Gerechtigkeit bzw. Gleichheit588 zu sorgen (wiederum ohne konkrete Implikationen)589. Wenn aber, um 587 BVerfGE 84, 90 (121, 126): „Grundelemente“; vgl. auch Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 46: Untersagung „nur zweifelsfrei eklatanter Verletzungen“; ähnlich Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 63: Verbot der „Anordnung oder gezielte[n] Eröffnung geradezu sozialstaatswidrigen Verhaltens“. 588 Die Begrifflichkeiten „Soziale Gerechtigkeit“, „Soziale Gleichheit“, „Sozialer Ausgleich“ u. Ä. werden regelmäßig synonym verwendet, dazu bereits oben in Fn. 529. 589 Statt vieler Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 66.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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das obige Zitat aufzugreifen, (1) die „gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger (. . .) also die Herstellung sozialer Gleichheit aller Bürger im Staat (. . .) das stärkste aller Motive sozialer Aktivität des Staates“ 590 sein soll, weiterhin (2) die staatliche Gewähr der zentralen faktischen Voraussetzungen für die effektive Wahrnehmung formal gleicher Startchancen ein Kernelement des Postulats sozialer Gleichheit ist591, eine so verstandene Chancengleichheit aber (3) nur garantiert werden kann, wenn in Bezug auf das Bundesgebiet eine wenigstens annähernd gleichmäßige Versorgung mit diesbezüglich bedeutsamen Sozial- und Infrastrukturleistungen (also: Lebensverhältnissen im verfassungsrechtlichen Sinn592) vorherrscht, dann sprechen (4) – bei aller im Zuge der Konkretisierung des Art. 79 Abs. 3-Schutzbereichs gebotenen Vorsicht593 – gute Gründe dafür, das Gebot der Mindestsicherung länderübergreifender Homogenität wenigstens bezüglich der oben herausgestellten Lebensverhältnisse dem sozialstaatlichen Verfassungskern zuzurechnen. Diesem Befund könnte entgegengehalten werden, dass dem sozialstaatlichen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG im Konkreten regelmäßig nur die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums entnommen wird594. Dies ändert aber zum einen nichts daran, dass auch die – soweit ersichtlich – unbestrittene595 abstrakte Garantie des staatlichen Auftrags zur Herstellung sozialer Gleichheit (s. oben) jedenfalls ein Mindestmaß konkreter Sicherungen erfordert, andernfalls ihr bloß eine symbolische, nicht aber eine normative Wirkung beigemessen werden könnte. Wie oben gezeigt wurde, hat indessen der Verfassungsgeber in Art. 79 Abs. 3 GG mehr niedergelegt als ein rein symbolisches, für den Revisionsgesetzgeber aber unverbindliches Bekenntnis zur Verfassungssubstanz596. Und wie ebenfalls bereits dargelegt wurde, gehört zu den Minimalvoraussetzungen für die normative Wirksamkeit der von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Zielbestimmung sozialer Gleichheit eine bundesweite Mindestharmonisierung wenigstens zentraler Lebensverhältnisse597. Zum anderen bedarf es zur Absicherung allein des sozialen Existenzminimums im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG aus dogmatischer Perspektive keiner separaten Sozialstaatsklausel: Wenn die Garantie der Menschenwürde der Revisionsnorm 590

Depenheuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, 1. Aufl., § 204 Rn. 89. Dazu oben unter (a). 592 Dazu oben unter (1) (a). 593 Dazu oben im ersten Kapitel unter § 3 A.V. bzw. C. 594 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 66 m.w. N. 595 Diese Einhelligkeit kann sich naturgemäß nur auf die Gesamtheit derjenigen beziehen, die grundsätzlich davon ausgehen, dass Art. 79 Abs. 3 GG auch den Kern des Sozialstaatsprinzips schützt. 596 Hierzu oben im ersten Kapitel unter § 1. 597 Vgl. oben unter (a). 591

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

nach zutreffender Auffassung598 ungeteilt unterfallen, und sich weiterhin bereits aus Art. 1 Abs. 1 GG die Sicherung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein ergeben soll599, dann folgt die Revisionsfestigkeit des sozialen Existenzminimums bereits eigenständig aus Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Verankert man vor diesem Hintergrund aber lediglich die Garantie des Existenzminimums als konkretes Schutzgut in der Sozialstaatsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG, so hätte Letztere über die abstrakte Absicherung eines kaum fassbaren sozialen Staatsziels hinaus, aus dem konturen- und daher normativ letztlich relativ wertlose Bekenntnisse zum Schutz sozial Bedürftiger und zum Streben nach sozialer Gerechtigkeit folgen sollen, keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Dieser Regelungsstand käme jedoch in Bezug auf die Sozialstaatlichkeit der unzulässigen Verkürzung des Art. 79 Abs. 3 GG auf eine – salopp formuliert – „in normative Formen gegossene Sonntagsrede“ bedenklich nahe: Wird von einer Absicherung der Sozialstaatlichkeit durch Art. 79 Abs. 3 GG ausgegangen, so macht dies folglich nur dann einen Sinn, wenn dieser Teilgarantie zugleich ein über die Garantie des Existenzminimums hinausgehender, eigenständiger Anwendungsbereich eröffnet wird. Dazu aber muss wenigstens eine weitere sozialstaatliche Rechtsposition als änderungsfest erachtet werden, die zumindest ansatzweise greifbar ist. Und dieser Posten könnte nach dem Gesagten in dem Gebot der Absicherung der Mindestvoraussetzungen sozialstaatlicher Chancengleichheit – und damit notwendigerweise (siehe oben) eines Homogenitätsminimums in Bezug auf wesentliche Lebensverhältnisse – erblickt werden600. Wie sich sogleich zeigen wird, muss dieses verfassungsdogmatische Glatteis aber gar nicht erst betreten werden. Denn auf eine Bemühung des sozialstaatlichen Verfassungskerns ist man, soviel sei vorweggenommen, für die Verankerung eines Mindestharmonisierungsgebots bezüglich der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik glücklicherweise nicht zwingend angewiesen. In Verbindung mit den folgenden Teilanalysen zum bundesstaatlichen und freiheitlich-demokra598 Allerdings unter strikter Beachtung des Gebots einer restriktiven Auslegung von Art. 1 Abs. 1 GG; wie hier Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 50; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 27; a. A. Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 34 f. 599 Etwa Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 30, 50 f.; Hans Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 1 Rn. 40; ferner Podlech, in: Denninger u. a. (Hrsg.), AK-GG, Art. 1 Abs. 1 (Grundwerk, 2001) Rn. 23. 600 Zurückhaltender noch Aydin, KritV 93 (2010), 29 (37); gegen eine Verankerung eines Homogenitätspostulats im sozialstaatlichen Teil des Verfassungskerns – jedoch ohne eingehende Begründung, sondern mit bloßem Verweis auf die Position Wolfs (Verfassungsrechtliche Grenzen der Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 46 f.), das Sozialstaatsprinzip verbiete insoweit lediglich eine Staatsverschuldung, die so hoch ist, dass dem künftigen Gesetzgeber kein ausreichender Handlungsspielraum zur Gewährung der zwingenden Vorgaben des Sozialstaates mehr verbleibe – Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, S. 160.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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tischen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG illustrieren jedoch die obigen Ausführungen zur Essenz der Sozialstaatlichkeit eingehend die engen inhaltlichen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Teilbereichen der Verfassungssubstanz. (dd) Verankerung über den bundesstaatlichen Teil des Verfassungskerns? (a) Mindestharmonisierung zentraler Lebensverhältnisse: Voraussetzung für die Wahrung/Herstellung der inneren Einheit im Bundesstaat „Die Ostdeutschen haben sich 1990 nicht nach der Vielfalt des Bundesstaates, sondern nach den gleichen Lebensverhältnissen wie in Westdeutschland gesehnt.“ 601

Zwar wurde oben aufgezeigt, dass die im Kern der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes angelegte Spannungslage zwischen bündischer Einheit und Autonomie einem umfassenden bundesweiten Unitarisierungsauftrag aus Art. 79 Abs. 3 GG entgegensteht602. Dass aber, wie in diesem Zusammenhang ebenfalls dargelegt wurde, eine grenzenlose föderative Vielfalt ebenso wenig mit dem ideellen Kern der Bundesstaatlichkeit vereinbar ist, deutet darauf hin, dass ein Mindeststandard an bundesweiter Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse in der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG nieder- bzw. dieser zugrunde gelegt sein könnte. Und in der Tat scheint ein solches Homogenitätsmindestmaß für die dauerhafte Existenz eines Bundesstaates gleich in zweierlei Hinsicht unabdingbar zu sein. Dabei ist beiden Aspekten eine enge Verknüpfung mit dem Themenkreis der inneren Einheit im Föderalstaat gemein. (aa) Eindämmung von Wanderungsbewegungen Erstens sind wenigstens annähernd einheitliche Lebensverhältnisse – insbesondere vor dem Hintergrund der oben besprochenen Chancengleichheitsthematik – eine unerlässliche Voraussetzung, um Binnenwanderungen unter einem für die föderative Einheit und damit für die Existenz eines Bundesstaates schlechthin bedrohlichen Maß zu halten. Denn je größer die Leistungsunterschiede in Bezug auf die staatliche (Sozial-)Infrastruktur im Bundesgebiet sind, desto eher und häufiger werden Bundesbürger aus Gliedstaaten mit vergleichsweise niedrigem Versorgungsniveau – seit 1990 sind dies im nationalen Vergleich insbesondere

601 Wieland, KritV 91 (2008), 117 (122) unter Verweis auf Badura, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1. Aufl., § 189 Rn. 30. 602 Vgl. oben unter (a).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

die neuen Länder603 – ihr Recht auf Freizügigkeit nutzen und „verstärkt dorthin umziehen, wo es die erwünschten Verhältnisse gibt“ 604. Kommt es dabei in bestimmten Ländern bzw. Regionen über einen längeren Zeitraum hinweg zu erheblichen Bevölkerungsverlusten, so bereitet dies einer Aufspaltung des Bundesgebietes in „lebenswerte“ Länder/Regionen und solchen, denen auf Dauer die Menetekel der Strukturschwäche und Perspektivlosigkeit anhaften, Grund und Boden. Dadurch wiederum steigt die Gefahr, dass Problemregionen den Anschluss an den Bundesdurchschnitt vollends verlieren, und in der Folge selbst mit staatlichen Förderprogrammen kaum mehr gegengesteuert werden kann605. Zurück bleiben schlimmstenfalls „verlorene Regionen“, deren Lage als derart hoffnungslos eingeschätzt wird, dass hinsichtlich solcher Landstriche mitunter geraten wird, der Staat solle seine Ressourcen nicht vergeuden und sich dort auf die Bereitstellung der infrastrukturellen Mindestvoraussetzungen (!) beschränken606. Dass ein vermehrtes Aufkommen derartiger Schieflagen zwischen verschiedenen Teilen der Bundesrepublik einer inneren Spaltung des Bundes Vorschub leisten und damit auf lange Sicht den Bestand eines Föderalstaates bedrohen kann, liegt auf der Hand. Ausmaß/Entwicklung der Migration von Ost- nach Westdeutschland nach/seit der Wiedervereinigung belegen den Zusammenhang zwischen ungleichen Lebensverhältnissen und innerstaatlicher Migration auf beängstigende Art: Die Bevölkerungszahl im Osten ist in den vergangenen 20 Jahren um 1,7 Millionen Menschen auf heute 13 Millionen geschrumpft. 2,7 Millionen Menschen zogen dabei direkt von Ost- nach Westdeutschland um, wohingegen im selben Zeitraum umgekehrt nur 1,6 Millionen Menschen den Weg aus dem Westen der Republik in den Osten fanden607. Dieser Trend konnte auch knapp zwanzig Jahre nach Vollendung der staatlichen Einheit Deutschlands noch nicht gebrochen werden608. 603 Neben das föderative Ost-West-Gefälle tritt indessen zunehmend ein regionales Stadt-Land-Gefälle, das sich in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen zeigt, vgl. dazu FAS vom 6. März 2011, S. 42 f. 604 Wieland, KritV 91 (2008), 117 (122); ders., DVBl. 1992, 1181 (1182); ähnlich Isensee, AöR 115 (1990), 249 (273); vgl. auch Axer, VVDStRL 68 (2009), 177 (187 f.). 605 SZ vom 23. Juni 2009, S. 20. 606 Zu entsprechenden Schlussfolgerungen im Rahmen eines vom damaligen Bundesverkehrsminister Tiefensee beim Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Auftrag gegebenen Gutachtens vgl. SZ vom 23. Juni 2009, S. 20; ähnlicher Gedankengang bei Göbel, in: FAZ vom 17. März 2011, S. 11. 607 Vgl. zu diesen Zahlen des Statistischen Bundesamtes SZ vom 30. September 2010, S. 18. 608 Dazu Berthold/Müller, Wirtschaftsdienst 2010, 591 ff. Die entsprechenden Zahlen für das Jahr 2008 beliefen sich auf 136.500 bzw. 85.000 – der Quotient entspricht ziemlich genau dem Relationswert der oben bezifferten Gesamtwanderungsströme OstWest/West-Ost seit 1990 (Quelle ist auch hier das Statistische Bundesamt, vgl. SZ vom 2. Oktober 2009, S. 8).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Damit aber nicht genug: Solange die Bevölkerungsrelationen unter den Ländern relativ stabil bleiben, ergeben sich zumindest keine erheblichen fiskalischen Folgeprobleme für die Länder mit Bevölkerungsverlusten. Im Fall massiver Abwanderungen jedoch trägt die innerstaatliche Migration zu einer weiteren Verschlechterung der Finanzlage eines „armen“ Landes bei. Denn eine negative Bevölkerungsdynamik impliziert zum einen, dass tendenziell die (aktuellen bzw. zukünftigen) Leistungsträger das Land verlassen, und zum anderen entsprechend eher die (insbesondere altersbedingt) weniger mobilen bzw. weniger leistungsfähigen Bevölkerungsteile, trotz gegebenenfalls vorherrschender Unzufriedenheit, ansässig bleiben. Die erste Teilimplikation führt zu unmittelbaren (zukünftigen) Einnahmenverlusten609. Aus der zweiten Teilkonsequenz resultiert, in Verbindung mit der aus finanzstaatlicher Sicht nachteiligen Entwicklung der Altersstruktur610, ein relativer Anstieg im Bevölkerungsanteil der Leistungsempfänger – und somit zusätzliche Ausgaben. Diese doppelte Belastung seines Haushalts wiederum zwingt das betroffene Land zu Ausgabenkürzungen und damit regelmäßig auch zu einer weiteren Einschränkung bei der Bereitstellung von finanzstaatlicher Leistungen – sprich: von Lebensverhältnissen im verfassungsrechtlichen Sinn. In der Folge büßt das Land bzw. die Region weiter an Attraktivität ein, was wiederum das Andauern und die Vertiefung von Abwanderung begünstigt: ein klassischer Teufelskreis. Dabei können Abwanderungsbewegungen zwar nicht ausschließlich auf die Unzufriedenheit mit dem staatlichen Versorgungsangebot vor Ort zurückgeführt werden. Insbesondere die primär privatwirtschaftlich determinierte Arbeitsmarktperspektive ist ein mindestens ebenso gewichtiger Bestandteil des Motivbündels611. Ein deutliches Zurückbleiben eines Gliedstaates hinter dem Bundesdurchschnitt bei zentralen Lebensverhältnissen begünstigt jedoch negative Entwicklungen auch in Bezug auf solche Lebensbedingungen, die nicht unmittelbar von finanzstaatlichen Leistungen festgelegt werden. Um auf das Arbeitsmarktbeispiel zurückzukommen: Umfang und Güte des finanzstaatlichen Leistungsangebots in einem Land stellen nicht zu unterschätzende Abwägungsposten im Rahmen privatwirtschaftlicher Standortentscheidungen dar. Denn zum einen ist eine möglichst gute Verkehrinfrastruktur für Unternehmen der allermeisten Bran-

609 Jedenfalls nach der aktuellen Ausgestaltung der Finanzverfassung in Verbindung mit ihren einfachgesetzlichen Konkretisierungen, die der hier am Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG zu beurteilenden Verschuldungsproblematik zugrunde liegt; näher dazu Renzsch, Ausgabenrestriktionen in Deutschland, S. 42 ff.; beispielsweise schlug sich im Jahr 2005 der Gewinn bzw. Verlust eines Bürgers mit ca. 2.200 Euro (Stadtstaaten etwa 3.000 Euro) bei den Einnahmen eines Landes nieder, vgl. Renzsch, in: Baus/Fischer/ Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellung für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat, S. 91 (98). 610 Nachweis bei Renzsch, Ausgabenrestriktionen der Länder in Deutschland, S. 95. 611 Vgl. dazu SZ vom 30. September 2010, S. 18.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

chen von entscheidender Bedeutung612. Zum anderen beeinflussen die finanzstaatlichen Rahmenbedingungen maßgeblich die Lebensqualität in einem Land. Und diese ist aus Gründen der Personalrekrutierung zumindest bei der Standortwahl für Unternehmenszentralen, in denen die Leitungsebenen angesiedelt sind, von Relevanz. Denn besonders qualifizierte Kandidaten für einen Führungsposten haben beruflich in der Regel die Wahl zwischen mehreren attraktiven Optionen und können es sich daher „leisten“, Entscheidungen bezüglich ihrer berufliche Zukunft nicht zuletzt in Abhängigkeit von den Lebensumständen rund um den potentiellen Arbeitsplatz, etwa der Güte der Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für den Nachwuchs oder dem kulturellen Angebot, zu fällen. Diese Aspekte der Lebensqualität aber sind den finanzstaatlichen Leistungsangeboten zuzurechnen oder eng mit diesen verbunden. Und weil zumindest größere Unternehmen dem geschilderten Zusammenhang Rechnung tragen müssen, ist die Chance von hinsichtlich zentraler Lebensverhältnisse klar unter dem Bundesdurchschnitt liegenden Ländern/Regionen, Sitze größerer Unternehmen zu beherbergen, in der Regel gering. Bleibt aber die Ansiedlung größerer Unternehmen aus, kann erstens der Mangel an gut bezahlten bzw. attraktiven Arbeitsplätzen nicht behoben werden. Dadurch bleibt aber eine Kernvoraussetzung dafür, dass Leistungsträgern Perspektiven eröffnet werden können, um dadurch zukünftigen Abwanderungen entgegenwirken (bzw. Zuwanderungen begünstigen) zu können, unerfüllt. Zweitens entgehen dem finanzschwachen Bundesland signifikante Steuereinnahmen. Und sollte an den Unternehmenssitz (über die Leitungsposten hinaus) auch noch eine beachtliche Anzahl „ordentlicher“ Arbeitsstellen gekoppelt sein, entgehen dem Land drittens obendrein noch dringend benötigte Arbeitsplätze, um seiner Strukturschwäche entgegenzuwirken. Aber nicht nur erhält (oder erhöht) die Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt die Abwanderungsquote. Ebenso stellt umgekehrt der kontinuierliche Verlust (vornehmlich) junger Bevölkerungsteile eine Gefahr für die Wirtschaftskraft des ohnehin bereits schwachen Landes dar. Denn er kann zu signifikantem Nachwuchsmangel in nahezu jeder Branche führen und damit zu einer Bedrohung für die betroffenen Unternehmen werden613. Zwischenergebnis: Die Unterdurchschnittlichkeit eines Landes in zentralen finanzstaatlichen Angeboten hat einen für diesen Gliedstaat negativen Einfluss auf unternehmerische Standortentscheidungen. Daher entstehen keine oder zu wenige (gerade gut bezahlte bzw. attraktive) Arbeitsplätze, die das Land aber dringend benötigt, um gegen seine Strukturschwäche ankämpfen – und dadurch nicht zu612 Bei der Auswahl von Produktionsstandorten ist dies mit Blick auf den Warentransport relevant; geht es um die Ansiedlung von Unternehmenszentralen, so muss in der Regel die Mobilität zumindest des Führungspersonals sichergestellt werden. 613 Vgl. dazu die Themenseite in der SZ vom 1./2. April 2010, S. 2 zum Nachwuchsmangel in Ostdeutschland im Allgemeinen und Mecklenburg-Vorpommern im Speziellen.

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letzt abwanderungswillige Leistungsträger halten zu können. Zu allem Überfluss vertieft umgekehrt eine fortdauernde Abwanderung ihrerseits die Strukturschwäche: ein zweiter, innerer „Teufelskreis im Teufelskreis“. Somit zeigt die vorstehende Gedankenkette auf, dass 1. relative Defizite in zentralen finanzstaatlichen Lebensverhältnissen sich regelmäßig auch unvorteilhaft auf Abwanderungsmotive jenseits der Unzufriedenheit mit der staatlichen (Sozial-)Infrastruktur auswirken, was schließlich 2. in eine fatale Abwärtsspirale mündet, in deren Rahmen sich die Kernursachen für die gemeinwohlschädliche Migration wechselseitig verstärken. An dieser Stelle kann und soll die Frage nicht beantwortet werden, ob die innerstaatlichen Wanderungsbewegungen bereits ein Ausmaß erreicht haben, das bereits die dauerhafte Stabilität der bundesstaatlichen Ordnung gefährdet. Wohl aber verdeutlichen die konkreten innerdeutschen Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre den Zusammenhang zwischen bundesweit wenigstens annähernd einheitlichen Lebensverhältnissen einer- und der für die Existenz eines Föderalstaats unabdingbaren Eindämmung von Binnenmigration andererseits. Soll Art. 79 Abs. 3 GG aber vor diesem Hintergrund die Substanz der föderativen Ordnung schützen können, dann muss die Klausel notwendigerweise auch die bundesweite Sicherung der Mindesthomogenität wesentlicher Lebensverhältnisse einfordern614. (bb) Sicherung der sozialen Stabilität Ein Homogenitätsmindestmaß in zentralen Lebensverhältnissen zielt aber nicht nur indirekt – als Grundbedingung für die Eindämmung innerstaatlicher Wanderungsbewegungen – auf die Wahrung des inneren bündischen Zusammenhalts. Denn darüber hinaus ist die Garantie wenigstens eines Mindestmaßes an Gleichwertigkeit zentraler Lebensverhältnisse zweitens unmittelbare Voraussetzung, um tief greifenden soziale Spannungen zwischen Bürgern aus ökonomisch ungleichen Teilen eines Bundesstaates dauerhaft vorbeugen zu können. Und im Zusammenhang dieser unmittelbaren Auswirkung des Harmonisierungsgrades der Lebensverhältnisse auf die Identifikation der Bundesbürger mit dem Föderalstaat richtet sich der Blick nicht auf die Abwanderungswilligen und -fähigen, sondern auf die auch weiterhin in strukturschwachen Ländern/Regionen ansässige Bevölkerung: Zurück bleiben tendenziell sozial verhältnismäßig schwache und eher ältere Bevölkerungsteile615, deren Unzufriedenheit und Ängste sich auch in ei614 Zur Problematik der Existenz einer staatlichen Garantenstellung für die Verfassungsexistenzvoraussetzungen sogleich unter (gg). 615 Zu diesem Zusammenhang Renzsch, Ausgabenrestriktionen der Länder in Deutschland, ferner die oben (Fn. 613) in Bezug genommene Themenseite in der SZ vom 1./2. April 2010, S. 2.

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ner schwindenden Identifikation mit dem bündischen Zusammenschluss niederschlagen. Um das konkrete Beispiel der Entwicklung in Ostdeutschland seit 1990 aufzugreifen: Wenn aus den Ergebnissen der – repräsentativen – Studie „20 Jahre friedliche Revolution 1989 bis 2009 – Die Sicht der Bürger der neuen Bundesländer“ des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2009 (Autor: Winkler)616 als Kernbefund heraussticht, dass 20 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch lediglich 25 (!) Prozent der Ostdeutschen sich „als richtige Bundesbürger“ fühlten617, und die Befragten in diesem Zusammenhang vor allem ihrem Unmut darüber Ausdruck verliehen, „dass man im Osten noch nicht die gleichen Lebensverhältnisse wie im Westen erreicht hat“ 618, so muss dies bedenklich stimmen. Wenn auch gemäß der besagten Untersuchung 18 Prozent der Bürger im Osten die Einheit im Jahr 2009 „vor allem als Gewinn“ und 20 Prozent sie „eher als Gewinn“ betrachteten, demgegenüber aber 30 Prozent die Wiedervereinigung weder als Gewinn noch als Verlust eingeschätzt haben sollen, und sich 23 Prozent sogar als Einheitsverlierer bezeichneten619, so geht aus dem Gesagten zwar einerseits hervor, dass zwei Jahrzehnte nach der Vollendung der staatlichen Einheit Deutschlands immerhin eine relative Mehrheit der Ostdeutschen die Wiedervereinigung eher positiv als negativ beurteilte (38 zu 23 Prozent). Andererseits folgt daraus aber auch, dass eine absolute (!) Mehrheit der Ostdeutschen (53 Prozent) der Studie zufolge die Auffassung vertreten haben soll, dass die Vorteile der Einheit – sprich: des Beitritts Ostdeutschlands zum westdeutschen Bundesstaat – ihre Nachteile nicht überwiegen. Dass aber vor diesem Hintergrund das Fortdauern und erst recht eine quantitative und qualitative Vertiefung des Gefühls, Bundesbürger zweiter Klasse620 zu sein – gleich, ob in Ost- der Westdeutschland –, die Identifikation mit dem Bund untergräbt und daher geeignet ist, auf lange Sicht die (bundes-)staatliche Stabilität Deutschlands zu gefährden, dürfte unmittelbar einleuchten. Zwar können sozialwissenschaftliche Studienbefunde des Jahres 2009 keinen Einfluss auf die rechtsdogmatische Bestimmung der revisionsfesten Substanz ei616 Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 1 ff. zur Repräsentativität der erhobenen Daten für die neuen Bundesländer einschließlich Ost-Berlin Winkler, a. a. O., S. 8; vgl. auch den entsprechenden Bericht in der SZ vom 21. Juli 2009, S. 1. 617 Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 47, dort Tabelle 8. 618 77 Prozent der Studienteilnehmer, Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 50, dort Abbildung 23. 619 Zu allen vier Werten Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 32, dort Tabelle 4. 620 Vgl. dazu das Vorwort Winklers zum Sozialreport 2010 des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg e.V. (Kurzfassung), S. 2.

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ner 60 Jahre zuvor erstmals in Kraft getretenen Verfassung nehmen. Jedoch kann an ihnen exemplarisch aufgezeigt werden, dass und wie ein dauerhaftes und deutliches Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet die Existenz eines Föderalstaates bedrohen könnte. Und hieraus wiederum können sehr wohl Schlussfolgerungen auf die Bestandsvoraussetzungen der durch Art. 79 Abs. 3 GG im Kern geschützten bundesstaatlichen Ordnung gezogen werden: Wenn (1) ein Föderalstaat nicht bestandsfähig ist, sofern auf Dauer erhebliche soziale Divergenzen zwischen seinen Teilen vorherrschen, das Entstehen solcher Unterschiede (2) aber nur verhindert werden kann, indem zentrale Lebensumstände, die der finanzstaatlichen Ausgestaltung unterliegen, wenigstens annähernd harmonisiert werden, die elementarste Voraussetzung für eine auch nur substantielle normative Absicherung der bundesstaatlichen Ordnung aber (3) – völlig unabhängig von der Konkretisierung dieses Grundsatzgehalts – darin zu erblicken ist, dass der Bundesstaat (solange der normative Schutz fortbestehen soll621) überhaupt existenzfähig ist, dann folgt daraus in Bezug auf die Föderativklausel (4): Die bundesstaatlichen Garantien des Art. 79 Abs. 3 GG müssen die elementaren Bestandsbedingungen eines Föderalstaates – und damit vor allem ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit wesentlicher Lebensumstände im Bundesgebiet – denknotwendig voraussetzen622. Denn wenn ein Bundesstaat per se aufhört zu existieren, dann bleibt, salopp formuliert, auch von der zu sichernden Substanz nichts mehr übrig. Allerdings kann damit nicht zugleich auch die Frage nach der Existenz einer staatlichen Garantiefunktion für solche Verfassungsvoraussetzungen bejaht werden623. (gg) (Verfassungs-)Geschichtliche Besonderheiten des deutschen Bundesstaatstypus’ Im Zusammenhang mit der für die Bestandsfähigkeit von Föderalstaaten unabdingbaren Mindestvergleichbarkeit wesentlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet müssen für die Bundesrepublik Deutschland zudem (verfassungs-)geschichtliche Spezifika in Rechnung gestellt werden624. Mit Blick auf die Schutzgutkonkretisierung bei Art. 79 Abs. 3 GG ist dabei primär die Entwicklung bis 1949 maßgeblich. 1. Im Unterschied zu anderen föderativ organisierten Gemeinwesen (etwa den USA oder der Schweiz) messen die Deutschen der Einheit des Zentralstaates tra621 Mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG endet dieser Schutz mit der Verabschiedung einer Nachfolgeverfassung, dazu oben im ersten Kapitel unter § 1 B. II. 622 Vgl. bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (37). 623 Dazu sogleich unter (gg). 624 Zur methodischen Rechtfertigung der Einbeziehung vorkonstitutioneller Entwicklungen bei der Präzisierung des Art. 79 Abs. 3 GG vgl. oben unter § 1 C. III.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

ditionell ein höheres Gewicht bei als der bundesstaatlichen Vielfalt625. Denn die föderale Staatsorganisation „steht in Deutschland geschichtlich in untrennbarem Zusammenhang mit dem Bemühen um die Gründung und Stärkung des Nationalstaates. Nachdem 1849 der Versuch, die nationale Einigung durch eine Revolution des Volkes zu erringen, gescheitert war, führte der Weg zur Reichsgründung über einen Zusammenschluss der Fürsten von oben her“ 626. Dieser Zusammenhang wird durch die bereits oben geschilderte Verfassungspraxis unter der Reichsverfassung von 1871 belegt: Das Machtzentrum verlagerte sich sehr schnell von den Fürsten auf das Reich627. Die Weimarer Reichsverfassung schwächte dann die Länder weiter gegenüber dem Reich628 – in Teilen der Staatsrechtslehre wurde seinerzeit sogar bezweifelt, dass die Weimarer Staatsorganisation eine föderative war629. Auch nach der völligen Gleichschaltung der Gliedstaaten durch die Nationalsozialisten und dem Zusammenbruch des Reichs wurde die Gründung der Bundesrepublik nicht primär seitens der Länder betrieben, sondern zentral von den Alliierten gesteuert630. Und schließlich forderte im Rahmen der Arbeiten an einer neuen Bundesverfassung eine Mehrheit der Mitglieder des Parlamentarischen Rats, im Gegensatz zu den Militärgouverneuren, einen starken Bund mit umfangreichen (Legislativbzw. Fiskal-)Kompetenzen631. Aus dem Geschilderten geht hervor, dass der deutsche Bundesstaat „auf der Skala vom Staatenbund zum Einheitsstaat (. . .) relativ näher bei letzterem einzu625 Wieland, KritV 91 (2008), 117 (124 f.), ders., in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (82 ff.); vgl. auch Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 (157). 626 Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (86). 627 Dazu bereits oben unter § 1 C. II. 1.; eingehend Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 ( 82 ff.); vgl. auch dens., KritV 91 (2008), 117 (123). 628 Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (84); ferner bereits oben unter § 1 C. II. 2. 629 Wieland, KritV 91 (2008), 217 (123) unter Verweis auf Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 224 ff.; siehe auch Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (85): „Die Länder mussten um die Anerkennung ihrer Staatlichkeit kämpfen (. . .).“ mit Nachweisen in Fn. 29. 630 Etwa Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 95 ff.; zur verwandten Fragestellung, ob der Grundgesetzgebung eine originäre Ausübung deutscher verfassungsgebender Gewalt zugrunde lag, bereits oben im ersten Kapitel unter § 3 A. III. 631 Vgl. Mußgnug, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR I, § 8 Rn. 42, zur auf eine weitgehende Dezentralisierung abzielende Gegenposition der alliierten Militärgouverneure vgl. dens., a. a. O., Rn. 79; zum im Parlamentarischen Rat vorherrschenden Bedürfnis nach starken Bundesbefugnissen mit spezifischem Blick auf die Finanzverteilung vgl. Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 6.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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ordnen“ 632 ist – und, sofern unhistorische Entwicklungen nicht politisch forciert werden, auf absehbare Zeit auch sein wird. 2. Dass aus einem zentralistisch geprägten Leitbild von der Beschaffenheit eines Föderalstaates naturgemäß eine primär gesamtstaatliche Sicht (insbesondere) auf die (sozialen) Themenstellungen der Lebensumstände im Bundesstaat resultieren wird, liegt auf der Hand. Und folgerichtig ist in Deutschland das Bedürfnis nach möglichst homogenen Lebensverhältnissen stärker ausgeprägt als in Bundesstaaten, in denen die föderale Vielfalt traditionell einen vergleichsweise hohen Stellenwert einnimmt633. Daher werden Unterschiede in den Lebensbedingungen hierzulande nur sehr bedingt akzeptiert. Der föderative Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG schützt den Kern der Bundesstaatlichkeit spezifisch grundgesetzlicher Ausprägung. Dass aber Letztere zutreffend nur vor dem Hintergrund der Bundesstaatsgeschichte Deutschlands gefasst werden kann, und aus dieser Historie eine im Vergleich zu anderen föderativen Traditionslinien höhere Gewichtung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesstaat resultiert, verleiht der Bedeutung der oben herausgearbeiteten Mindesthomogenitätsvoraussetzung für die Wirksamkeit der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG zusätzlichen Nachdruck. 3. Die föderale Entwicklung Deutschlands unter dem Grundgesetz fügt sich nahtlos in die unter 1. geschilderte zentralistisch geprägte Bundesstaatsgeschichte Deutschlands ein, die wie gezeigt mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach bundesweit vergleichbaren Lebensverhältnissen einhergeht. Mehr noch: Sie dürfte den starken unitarischen Grundzug des deutschen Bundesstaats-Typus’ noch verstärkt haben. Denn die deutsche Geschichte der letzten 65 Jahre ist geprägt zum einen durch eine über 40 Jahre andauernde Teilung, in deren Rahmen sich auch und gerade die Lebensverhältnisse in West- und Ostdeutschland sehr stark auseinander entwickelt haben – und zum anderen durch die Wahrnehmung einer gleichsam „über Nacht“ sich bietenden Chance zur (Wieder-)Herstellung der staatlichen Einheit. Beides begünstigt ein noch stärkeres Bedürfnis nach Einheit und Homogenität im Bundesstaat: Denn erstens sind zwei Teile einer Nation, die angesichts der aus vierzigjähriger Spaltung resultierenden kulturellen und ideellen Unterschiede eine tragfähige Grundlage für ein dauerhaftes Miteinander erst (wieder) erarbei632 Wieland, in: Enders/Masing (Hrsg.), Freiheit des Subjekts und Organisation von Herrschaft, S. 79 (90); ders., KritV 91 (2008), 117 (124). 633 Zu den traditionell hohen Homogenitätserwartungen in Deutschland siehe bereits Hettlage, VVDStRL 14 (1956), 2 (19): „Die öffentliche Meinung nimmt schon geringfügige Leistungs- und Belastungsunterschiede nicht mehr widerspruchslos hin.“; ferner P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 15; Selmer, VVDStRL 52 (1993), 11 (20); Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 (157).

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ten müssen, für das Gelingen dieses Prozesses auf eine Rahmenbedingung ganz besonders angewiesen: auf einen (befugnis-)starken und präsenten Zentralstaat, der die Annäherung sowohl moderiert als auch aktiv befördert. Zweitens hat sich im Zuge der Wiedervereinigung auch die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik wesentlich verändert. Denn die Bundesbürger in den ostdeutschen Ländern messen den Werten sozialer Homogenität und Sicherheit sozialisationsbedingt im Mittel (immer noch) eine wesentlich größere Bedeutung zu als die Westdeutschen634. Und drittens ist die Gelegenheit zur Herstellung der Einheit, neben der günstigen weltpolitischen Konjunkturlage („Glasnost“), vor allem der inneren Zersetzung der DDR durch ihre Bürger geschuldet. Zentrales Motiv für dieses Aufbegehren war aber, neben dem Bedürfnis nach der Einräumung bürgerlicher Freiheiten, das Streben nach dem wesentlich höheren ökonomischen Lebensstandard in der Bundesrepublik, der den Ostdeutschen als Beweis für die Überlegenheit des westlichen Systems galt635. Und weil folglich die Wiedererlangung der staatlichen Einheit 1990 untrennbar und zuvörderst mit der Erwartung der Ost-Bürger zumindest nach einer deutlichen Annäherung ihrer Lebensumstände an diejenigen in Westdeutschland verbunden ist636 – eine Erwartungshaltung, die seitens der damaligen Bundesregierung noch befördert wurde („blühende Landschaften“) – kommt im wiedervereinigten Deutschland der Forderung nach bundesweit annähernd gleichwertigen Lebensumständen für die (bundes-) staatliche Stabilität eine viel größere Bedeutung zu, als dies zu Zeiten der „alten“ Bundesrepublik mit ihren ohnehin relativ einheitlichen Lebensverhältnissen637 der Fall war. Aber auch hier gilt: Verstärkte Unitarisierungstendenzen nach dem erstmaligen Inkrafttreten des Grundgesetzes können keinen unmittelbaren Einfluss auf die dogmatische Bestimmung der revisionsfesten föderativen Verfassungssubstanz haben. Dies bedeutet aber nicht zugleich schon, dass im jeweiligen Beurteilungszeitpunkt vorherrschende tatsächliche Gegebenheiten (hier: gesteigertes Homogenitätsbedürfnis in der Bevölkerung) nicht im Rahmen der Erfüllung eines aus

634 Eingehend und nach Themenkomplexen aufgegliedert Arnhold, ifo Dresden berichtet 1/2009, 28 ff.; eine frühe Bestandsaufnahme zum Ganzen (Zeitpunkt: im Jahr sechs nach der Einheit) findet sich bei Keitel, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Sechs Jahre danach – Eine Standortbestimmung Deutschlands in Europa und in der Welt, S. 49 (65 f.), aus der, vor dem Hintergrund der aktuellen Studienergebnisse, deutlich wird, dass die besagten Mentalitätsunterschiede immer noch fest in der ostdeutschen Bevölkerung verankert sind. 635 Wieland, DVBl. 1992, 1181 (1181). 636 Vgl. dazu auch den Diskussionsbeitrag von Picker, in: Walter-Raymond-Stiftung (Hrsg.), Sechs Jahre danach – Eine Standortbestimmung Deutschlands in Europa und in der Welt, S. 79 (Diskussionsbeitrag). 637 Dazu Wieland, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 030, S. 1; ders., KritV 91 (2008), 117 (118).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Art. 79 Abs. 3 GG ableitbaren Postulats (hier mutmaßlich638: Sicherung einer bundesweiten Mindesthomogenität der Lebensverhältnisse, in diesem Zusammenhang: Ermittlung des gebotenen Mindestmaßes) in Rechnung gestellt werden könnten bzw. müssten639. Weil die Erörterung dieser Thematik, dies sei vorweggenommen, mit Blick auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung eine noch größere Rolle spielt, soll sie in Kenntnis der dortigen Problemstellung zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden640. (b) Ergebnis zu (dd) 1. Grundvoraussetzung für die (durch Art. 79 Abs. 3 GG postulierte) substantielle Sicherung der bundesstaatlichen Ordnung ist, dass Letztere überhaupt über die gesamte Dauer des zeitlichen Schutzrahmens641 existenzfähig ist. 2. Für die dauerhafte Bestandsfähigkeit eines Föderalstaates aber ist – ein Mindestmaß an Identifikation des Staatsvolkes mit dem Zusammenschluss – in allen Teilen des Bundesgebiets unerlässlich. 3. Für die Wahrung/Herstellung dieser inneren Einheit im Bundesstaat wiederum ist die Sicherung eines Minimums an Gleichwertigkeit (zumindest) zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gleich in zweierlei Hinsicht notwendig. a) Zum einen ist eine wenigstens annähernd einheitliche Versorgung mit wesentlichen Infrastruktur- und Sozialleistungen Voraussetzung, um innerstaatliche Migrationsbewegungen eindämmen zu können, die einer gemeinwohlschädlichen Aufspaltung des Bundesgebiets in „lebenswerte“ und weniger attraktive Länder/ Regionen Vorschub leisten bzw. diese verfestigen. b) Zum anderen kann der für die dauerhafte Wahrung des inneren föderativen Zusammenhalts notwendige Erhalt des sozialen Friedens zwischen Bürgern aus strukturell verschieden starken Teilen des Bundesgebiets nur sichergestellt werden, wenn die Lebensbedingungen in schwachen Ländern/Regionen zumindest nicht dauerhaft und deutlich unter den Bundesdurchschnitt fallen.

638 Die Einschränkung muss vorgenommen werden, weil die Begründung noch aussteht, dass der Staat, sofern ihm dies tatsächlich möglich ist, auch für das Vorliegen der Verfassungsvoraussetzungen Sorge tragen muss, hierzu sogleich unter (gg). 639 Vgl. dazu unter (hh) bzw. (ii). 640 Unter (hh). 641 Bei Art. 79 Abs. 3 GG endet der Garantiezeitrahmen mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die in Einklang mit den Vorgaben des Art. 146 GG steht, dazu bereits oben im ersten Kapitel unter § 1 B. II.

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4. Der Einheit des Zentralstaats und einer relativen Homogenität der Lebensverhältnisse wurden/werden im Föderalstaat deutscher Prägung ein höheres Gewicht beigemessen als der bundesstaatlichen Vielfalt. 5. Diese (verfassungs-)geschichtliche Tatsache erhöht für Deutschland die Relevanz wenigstens annähernd einheitlicher Lebensverhältnisse für eine dauerhaft stabile Existenz des Bundesstaats – und damit für eine wirksame Absicherung der föderativen Verfassungsessenz gemäß Art. 79 Abs. 3 GG. 6. Allerdings kann die diesbezügliche Historie nach 1949 nicht unmittelbar auf den Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG einwirken. 7. Dies schließt aber nicht auch aus, dass nachkonstitutionelle Entwicklungen – insbesondere mit Blick auf das fortdauernd hohe Homogenitätsbedürfnis der Ostdeutschen im wiedervereinigten Deutschland – im Rahmen der Erfüllung von Art. 79 Abs. 3-Postulaten in Rechnung gestellt werden können bzw. müssen. Bedingung dafür wäre aber die Bejahung einer staatlichen (Teil-)Garantenstellung für die Herstellung faktischer (materieller) Verfassungsvoraussetzungen642. (ee) Verankerung über den freiheitlich-demokratischen Teil des Verfassungskerns? 1. Der wie gezeigt ohne ein Mindestmaß an Einheitlichkeit zentraler Lebensumstände nicht zu wahrende/erzeugende innere Zusammenhalt eines Staatsvolkes ist aber nicht nur für den Erhalt der zugrunde gelegten staatsrechtlichen Organisationsform (hier: der bundesstaatlichen) konstitutiv, sondern zuvörderst für den Bestand des Gemeinwesens selbst. Diese Feststellung mag ein Gemeinplatz sein – die Banalität dieses Zusammenhangs kann jedoch, wie im Folgenden belegt werden kann, nicht dessen Korrektheit in Frage zu stellen. Im vorliegenden Untersuchungskontext besteht mit Blick auf die Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG die Notwendigkeit, den als trivial empfundenen Zusammenhang zwischen der Binnenstabilität einer (nationalen) Gemeinschaft einerund dem Grad der Identifikation seiner Bürger mit dem Gemeinwesen andererseits verfassungsdogmatisch handhabbar zu machen. Dabei gerät als tauglicher Anknüpfungspunkt zum Ersten der (diesbezüglich bereits in Augenschein genommene643) sozialstaatliche Verfassungskern in den Blick. Zum Zweiten wird in der Sache die Substanz der föderativen Ordnung betroffen644. Mehr noch als durch die Bundesstaatlichkeit wird die – auf die Tragfähigkeit der bürgerlichen Zustimmung angewiesene – Staatsorganisation der Bundesrepublik Deutschland

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Dazu sogleich unter (gg). Vgl. oben unter (cc). Vgl. oben unter (dd).

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allerdings durch ihre freiheitlich-demokratische Anlage geprägt645. Und daher muss zum Dritten nach normativ greifbaren Zusammenhängen zwischen der inneren Einheit des deutschen Gemeinwesens und der durch Art. 79 Abs. 3 GG gebotenen Sicherung der freiheitlich-demokratischen Essenz der Bundesverfassung gefragt werden. 2. Die Bezüge zwischen einem Homogenitätsmindeststandard hinsichtlich wesentlicher Lebensverhältnisse auf der einen und der Prävention gemeinwohlschädlicher Sozialkonflikte auf der anderen Seite wurden oben im Hinblick auf das bundesstaatliche Merkmal der Staatsorganisation Deutschlands bereits offen gelegt646. Das dort Gesagte kann auf die Problematik der notwendigen Bestandsvoraussetzungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung übertragen werden – mit dem Unterschied, dass Letztere in ungleich höherem Maß als die Bundesstaatlichkeit auf eine dauerhafte soziale Befriedung des Staatsvolkes angewiesen sein dürfte647. Denn mit der staatsrechtlichen Ausnahmestellung des Demokratieprinzips korrespondiert auf der rezeptiven Ebene der Umstand, dass das demokratische Element von den Bürgern als das herausragende Beschaffenheitsmerkmal der Staatsordnung wahrgenommen wird. Das aber bedeutet: Je größer und andauernder sozialer Unmut ausfällt, umso höher dürften erstens die Unzufriedenheitsraten mit der aktuellen Ausgestaltung des Gemeinwesens liegen – und desto intensiver damit zweitens die bürgerliche Identifikation mit dessen freiheitlich-demokratischem Markenkern schwinden. Zum einen kann dies sicherlich auf die weit über die Verfassungsdogmatik hinausreichende leitmotivische Wirkung des Demokratiebegriffs648 zurückgeführt werden. Ursächlich dafür dürfte zum anderen aber auch sein, dass mit den Wahlen die zentralen Möglichkeiten bürgerlicher Einflussnahme auf die Beschaffenheit des Gemeinwesens zu den Essentialien einer freiheitlich-parlamentarischen Demokratie, nicht aber per se auch zu denjenigen einer föderalen Staatsorganisation zählen. Gerade der letztgenannte Umstand dürfte indessen nicht bloß indirekt zur Anfälligkeit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegenüber substantiellen sozialen Schieflagen beitragen (indem er die besagte identifikatorische Ausnahmestellung des demokratischen Elements mitbegründet), sondern diese Labilität darüber hinaus auch noch unmittelbar befördern. Denn wie gesagt führt wachsender sozialer Unmut zu einer Zunahme bzw. Vertiefung staatsbürgerlicher Abwendung von der Solidargemeinschaft – was sich (regelmäßig) in einer Abnahme der Wahlbeteiligung auf allen Partizipationsebenen und zudem in sinkenden Zustim645

Hesse, AöR 98 (1973), 1 (10 f.). Vgl. oben unter (dd) (a) (aa) und (bb). 647 In diese Richtung auch Depenheuer, in: HStR IX, 1. Aufl., § 204 Rn. 48 mit Nachweisen in Fn. 130 f. 648 Statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 66: „politisches Ideal (wenn nicht Utopie)“. 646

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mungswerten zu anderen wesentlichen Strukturelementen einer (parlamentarisch-) demokratischen Staatsorganisation manifestiert649. Fazit: Sind wesentliche Lebensverhältnisse nicht in allen Teilen des Staatsgebiets zumindest annähernd einheitlich, schwächt dies die bürgerliche Identifikation mit dem Gemeinwesen. Schwindet in der Folge die innere staatliche Einheit, gefährdet dies insbesondere das demokratische Strukturelement650. Wie im Fall der bundesstaatlichen Essenz des Grundgesetzes gilt aber auch hier: Erodiert die freiheitlich-demokratische Grundordnung als solche, betrifft dies auch und gerade ihren durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerngehalt. 3. Und auch für den Zusammenhang zwischen der Zunahme sozialer Unzufriedenheit auf der einen (den Unmut über eine deutliche Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse inbegriffen) und sinkenden Zustimmungswerten zur Demokratie auf der anderen Seite – was bei langfristigem Andauern auch die freiheitlich-demokratischen Verfassungssubstanz untergraben muss – lassen sich konkrete Belege finden. Laut der bereits angeführten Studie des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg zur Sicht der Ostdeutschen auf „20 Jahre friedliche Revolution 1989 bis 2009“ aus dem Jahr 2009 wird die „soziale Sicherheit“ von der Mehrheit der Befragten als „wichtigster Wert“ angesehen (47 Prozent)651. Wenn ferner ein weiterer Teilbefund der Untersuchung – je prekärer der Sozialstatus einer Bevölkerungsgruppe, umso höher die Zustimmungswerte zur Aussage „als Ostdeutscher (. . .) die DDR wiederhaben“ zu wollen – eben zuvörderst mit den Differenzen im jeweiligen Grad sozialer Frustration in Verbindung gebracht wird652, dann steht die Bejahung der obigen Aussage nicht etwa für die Ablehnung des föderalen Zusammenschlusses mit den Westdeutschen, sondern vor allem für die Abwendung vom gegenwärtigen, als sozial ungerecht empfundenen politischen System – sprich: der freiheitlich-demokratischen Ordnung: Hieran lässt sich erstens exemplarisch der grundlegende Zusammenhang zwischen einer kontinuierlichen Zunahme sozialer Unzufriedenheit auf der einen und einem Identifikationsschwund in Bezug auf die demokratische Ordnung auf der anderen Seite ablesen. Und wenn eine Mehrheit der (re-

649 Konkrete Nachweise bei Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, S. 98 ff. zu: Politikverdrossenheit, erodierender Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie im eigenen Land, miserablem Image von Politikern als Repräsentanten des politischen Systems, Mitgliederschwund bei den Parteien „als notwendige Elemente aller demokratischen Grundordnungen, in denen Parlamente eine Rolle spielen“ (Morlok, in: Dreier [Hrsg.], GG II, Art. 21 Rn. 19). 650 Im Ergebnis ebenso Axer, VVDStRL 68 (2009), 177 (189). 651 Winkler, in: Sozialwissenschfatliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 1 (38), dort Tabelle 5. 652 Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 48.

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präsentativ ausgewählten653) Studienteilnehmer, befragt nach den Hauptursachen für die andauernden sozialen Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit der Entwicklung seit 1989, den Unmut über das Fortdauernden der Ungleichwertigkeit der Ost-Lebensverhältnisse im Vergleich zu denjenigen in Westdeutschland anführt (77 Prozent)654, so verweist dies655 zweitens im Besonderen auf die Notwendigkeit der Garantie eines entsprechenden Homogenitätsminimums für den stabilen Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands. Erfreulicherweise erachteten immer noch 67 Prozent der Befragten die Demokratie als abstraktes Gut für „sehr wichtig/wichtig“. Nach dem Gesagten kann es aber nicht mehr verwundern, dass demgegenüber nur elf (!) Prozent der Befragten angaben, „sehr zufrieden/zufrieden“ mit der konkret praktizierten Demokratie zu sein656. Dass ein anhaltender oder gar weiter ansteigender Vertrauensverlust hinsichtlich des Funktionierens des konkreten demokratischen Systems langfristig auch die Zustimmungsraten zur freiheitlich-demokratischen Ordnung als solcher sinken lassen und damit auf lange Sicht deren voluntative Existenzgrundlage ins Wanken bringen kann, liegt auf der Hand657. Abschließend muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen der entsprechenden Fragestellungen der zitierten Untersuchung – soweit ersichtlich – der Begriff der Lebensverhältnisse weder präzise definiert noch differenziert nach Sachbereichen abgefragt wurde. Folglich ist davon auszugehen, dass die Implikationen der Begrifflichkeit im besagten Studienkontext jedenfalls weiter reichen als die oben umrissenen Lebensverhältnisse im verfassungsnormativen

653 Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 8. 654 Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Studienzentrum Berlin-Barandenburg e.V. (Hrsg.), Umbruch, Heft 24 (2009), S. 1 (50), dort Abbildung 23. Dieser Misstand wurde von den Befragten ebenso mit „Identifikationsdefiziten“ bezüglich der Bundesrepublik („fühle mich nicht als richtiger Bundesbürger“) in Verbindung gebracht (ders., a. a. O., S. 49). 655 Bei Zugrundelegung der Annahme, dass stark divergierende Lebensverhältnisse auch zukünftig zu sozialer Unzufriedenheit bei Bürgern aus strukturschwachen Teilen Deutschlands hervorrufen werden. 656 Im Rahmen der Fragestellung wurde nicht zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalebene differenziert (implizit Winkler, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V. [Hrsg.], Umbruch, Heft 24 [2009], S. 41 ff.). Die Ergebnisse erscheinen vor dem Hintergund, dass demgegenüber 67 Prozent der Studienteilnehmer angaben, Demokratie abstrakt als „wichtig“ oder gar „sehr wichtig“ zu erachten, noch prägnanter, vgl. dens., a. a. O., S. 41 f. Im Rahmen einer vergleichbaren Umfrage hatten sich dagegen 61 Prozent der Westdeutschen zufrieden mit der praktizierten Demokratie in der Bundesrepublik gezeigt, vgl. dazu SZ vom 21. Juli 2009, S. 1; ein ähnliches Ergebnis referiert Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, S. 102 aus dem Datenreport 2008 des statistischen Bundesamtes. 657 Ähnlich Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, S. 95 ff.; im Ergebnis auch Depenheuer, in: HStR IX, 1. Aufl., § 204 Rn. 45 ff. (vgl. insbesondere Rn. 48).

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Sinn658. Dennoch dürfte das finanzstaatliche (Infrastruktur-)Leistungsangebot auch nach dem diffusen, nicht-juristischen Begriffsverständnis (mit) den gewichtigsten Teilbereich der Lebensverhältnisse bilden659. Und dies rechtfertigt die Heranziehung der obigen Studie im Rahmen des hiesigen Analysezusammenhangs. 4. Sicherlich ist für einen Fachfremden – wie den Verfasser der vorliegenden Arbeit – äußerste Vorsicht im Hinblick auf die Deutung und Verwendung sozialwissenschaftlicher Studienbefunde geboten. Vorliegend soll jedoch keine für die verfassungsdogmatische Untersuchung substanzielle These auf die obigen Ergebnisse gebaut, sondern lediglich zwei argumentativ bereits begründete Zusammenhänge660 beispielhaft faktisch illustriert werden: Zum einen hängt die langfristige Stabilität der demokratischen Grundordnung Deutschlands in hohem Maße von dem Erhalt des (relativen) Sozialfriedens zwischen den einzelnen Bevölkerungsteilen ab. Die soziale Stabilität wiederum kann zum anderen nur dann dauerhaft sichergestellt werden, wenn (zentrale) Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet jedenfalls annähernd einheitlich sind. Was aber „annähernd einheitlich“ in diesem Zusammenhang konkret bedeuten soll, vermag die Verfassungsdogmatik nicht zu beantworten – jedenfalls nicht ohne die Unterstützung durch sozialwissenschaftliche und ökonomische Expertise. Und daher muss es auch im Rahmen der vorliegenden Analyse bei der Erarbeitung präzisierungsbedürftiger Rahmenvorgaben bleiben661. (ff) Im Konkreten: Verknüpfung des Bestands der bundesstaatlichen und der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes: Niederschlag auf Ebene der Verfassungsvoraussetzungen Die im Grundsatzteil angesprochene systematische Verflechtung des demokratischen und des bundesstaatlichen Strukturmerkmals662 äußert sich somit auch auf der untergelagerten Ebene der faktischen Verfassungsvoraussetzung wenigstens annähernd einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Erstens: Einmal angenommen, für die bundesweite Mindesthomogenität (wesentlicher) Lebensverhältnisse könnte nicht langfristig garantiert werden, und (auch) in der Folge dieses Umstands würde die staatsbürgerliche Partizipation an 658 Etwa Einkommens- und Vermögensdifferenzen dürften implizit mitgedacht worden sein, vgl. die dahingehenden Erläuterungen Winklers zur identischen Fragestellung im Rahmen des Sozialreports 2010 des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg e.V. im Vorwort zu dieser Studie (Kurzfassung), S. 2. 659 Winkler im Vorwort zu: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V., Sozialreport 2010 (Kurzfassung), S. 2. 660 Oben unter 2. i.V. m. den Ausführungen zur Bundesstaatlichkeit unter (dd). 661 Dazu sogleich unter (hh). 662 Oben unter A. II.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Wahlen deutlich absinken – dann wären Landtagswahlen hiervon aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ausgenommen663. Da aber Art. 79 Abs. 3 GG den Erhalt der Länder als Zentren demokratisch legitimierter politischer Entscheidung schützt und deren dauerhafte Präsenz im Legislativbereich fordert664, gehört zum Kern der bundesstaatlichen Ordnung denknotwendig auch ein durch Wahlen legitimiertes (dauerhaftes) Gesetzgebungsorgan auf Landesebene. Und daher würde ein empfindlicher Vertrauensverlust in die Wirksamkeit politischer Partizipation nicht nur hinsichtlich der demokratischen, sondern – in Gestalt sinkender Beteiligungsraten bei den Wahlen zu den Landesparlamenten – auch bezüglich der föderativen Verfassungssubstanz eine Grundlagenerosion in Gang setzen. Und umgekehrt beeinträchtigt zweitens zunehmende Abwendung von der Landespolitik die demokratische Ordnung nicht nur unter dem Gesichtspunkt absinkender Wahlbeteiligungen, sondern auch im Hinblick auf ihre „spezifischen Vervollständigungen (. . .) [durch den] bundesstaatlichen Aufbau“ 665. Denn die föderative Ordnung ist „unter dem Aspekt demokratischer Beteiligung von wesentlicher Bedeutung. Im engeren Bereich der Länder können die staatlichen Angelegenheiten leichter im Übersehbaren, Durchschaubaren und Verstehbaren gehalten werden als im Bereich des Bundes, in dem die hohe Komplexität der Aufgaben und der zu entscheidenden Fragen demokratische Anteilnahme weitgehend erschwert“ 666. Im Umkehrschluss bedeutet das: Eine kontinuierlich zunehmende Entfremdung von Belangen des Gemeinwesens, deren Regelungsbefugnis im jeweiligen Betrachtungszeitpunkt bei den Ländern liegt, ist jedenfalls geeignet, sowohl die politische Willensbildung als auch die aktive Teilhabe der Bürger am politischen Leben substantiell zu erschweren – ohne die ein funktionsfähiges demokratisches System jedoch nicht dauerhaft bestehen kann. Ergo: Sollten durch ein deutliches – (auch) im Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse wurzelndes – Absinken bürgerlicher Anteilnahme am Gemeinwesen reale Funktionsvoraussetzungen der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes erodieren, so dürfte dies, über den bundesstaatsspezifischen Grundlagenentzug hinaus667, auch einer Unterhöhlung der föderativen Verfassungssubstanz Vorschub leisten – und umgekehrt. 663 Im Gegenteil – siehe Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, S. 99: „Der geringste Beitrag, den ein Bürger für seinen Staat leisten kann, besteht darin, alle vier Jahre rund eine halbe Stunde für die Wahl des Bundestages aufzubringen. Beim (. . .) Wahltermin am 18. September 2005 war dies fast jedem vierten Deutschen zu viel der Mühe. Noch deutlich weniger engagieren sich die Bürger für ihr Gemeinwesen, wenn es um die Landtage geht. Im Durchschnitt lag die Wahlbeteilung in den Bundesländern bei 58 Prozent, mit Sachsen-Anhalt als traurigem Schlusslicht. Dort schafften es im März 2006 nur 44 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne.“ 664 Vgl. oben unter A. II. 665 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (13, 45). 666 Hesse, AöR 98 (1973), 1 (13). 667 Vgl. oben unter (dd) (a).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

(gg) Staatliche Garantenstellung für materielle Verfassungsvoraussetzungen? Die Sicherstellung eines Mindestmaßes an sozialer Homogenität im Allgemeinen und in diesem Zusammenhang bundesweit wenigstens annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse im Besonderen ist wie gezeigt notwendig, um eine effektive Geltung sowohl der bundesstaatlichen als auch der freiheitlich-demokratischen Verfassungsessenz zu gewährleisten. Aber: Mit Blick auf die hiesige Problemstellung könnte Art. 79 Abs. 3 GG nur dann ein Mindestharmonisierungsgebot bezüglich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet enthalten, wenn und gegebenenfalls soweit den Staat (mit konkretem Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG: in Gestalt des Revisionsgesetzgebers) eine für ihn indisponible und nicht an Private delegierbare Garantieverpflichtung hinsichtlich solcher ökonomisch-sozialer Voraussetzungen träfe, deren er um seiner stabilen Existenz willen bedarf668. Denn hinsichtlich des finanzstaatlichen Infrastruktur- und Leistungsangebots, dem Kernstück der Lebensverhältnisse nach verfassungsdogmatischem Begriffsverständnis669, wäre, eine prinzipielle staatliche Garantiepflicht unterstellt, die Übertragung der Erfüllungsverantwortung auf Private nur in sehr begrenztem Umfang denkbar, etwa bei Materien der Daseinsvorsorge670. Und selbst in diesen Konstellationen müsste dem Staat – die Existenz des in Rede stehenden Mindestharmonisierungspostulats einmal unterstellt – zumindest eine verfassungskräftige Letzt- bzw. Gewährleistungsverantwortung671 für diejenigen Fälle verbleiben, in denen das freie Spiel der Marktkräfte nicht das normativ gebotene Ergebnis hervorbringt. Denn andernfalls bliebe das aus Art. 79 Abs. 3 GG ableitbare Postulat der Garantie einer Verfassungsrechtslage, in deren Rahmen die bundesweite Mindestvergleichbarkeit der Lebensverhältnisse in jedem Fall abgesichert wird, unerfüllt. Die grundsätzliche Existenz einer staatlichen Gewährleistungspflicht für die materiell-sozialen Verfassungsvoraussetzungen wird ausgehend von der Überlegung angenommen, dass „das Freiheitsrecht (. . .) ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos“ 672 sei. 668 Aktuell erlegt das Grundgesetz dem Bund eine solche Garantenstellung ausdrücklich in Bezug auf die Bahn (Art. 87e Abs. 4 GG), das Postwesen und die Telekommunikation (Art. 87f Abs. 1 GG) auf. 669 Vgl. oben unter 1. a). 670 Etwa die Erbringung von Sozialhilfezahlungen durch Private ist schlechterdings unvorstellbar. 671 Zwar bindet die Revisionsklausel direkt nur den (Revisionsgesetzgeber des) Bund(es). Mittelbar aber wird über eine den Art. 79 Abs.3-Maßgaben entsprechende Verfassungsrechtslage auch die staatliche Organisationsebene der Länder verpflichtet. 672 BVerfGE 33, 303 (331); eingehend zum Ganzen Depenheuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, 1. Aufl., § 204 Rn. 52 (weitere Nachweise ebd. in Fn. 137) sowie Axer, VVDStRL 68 (2009), 177 (190 ff.).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Würde aber im vorliegenden Untersuchungszusammenhang die Bejahung einer staatlichen Garantenstellung für materielle Verfassungsvoraussetzungen (und damit auch für eine Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse) auf dieses Argument gestützt, so müsste konsequenterweise auch eine entsprechende Rechtsposition auf Grundlage der sozialstaatlichen Verfassungssubstanz anerkannt werden. Denn auch im Rahmen der Begründung des sozialstaatlichen Gebots einer materiellen Minimalabsicherung rechtlich gleicher Entwicklungschancen, was wie gezeigt auch eine bundesweite Mindestvergleichbarkeit diesbezüglich bedeutsamer Lebensverhältnisse bedingt, nimmt der Aspekt staatlicher Gewähr für die Wahrnehmungsvoraussetzungen von Freiheitsrechten eine zentrale Rolle ein673. Da die beiden (vermeintlichen) Rechtspositionen auf verschiedenen normativen Wirkebenen angesiedelt sind (bzw. wären) – zum einen auf derjenigen unmittelbarer Verfassungspostulate, zum anderen auf der vorgelagerten Stufe faktischer Verfassungsvoraussetzungen –, wäre der behauptete Gleichlauf aus einem formal-dogmatischen Blickwinkel zwar erstens nicht zwingend. Da es sich in inhaltlicher Hinsicht aber in beiden Fällen um exakt dieselbe (vermeintliche) Rechtsposition handelt, die sich obendrein im Fall einer Bejahung jeweils auf dasselbe Argument stützt, könnte eine rechtlich unterschiedliche Behandlung der materiell identischen Problemstellungen nicht verfangen. Und auch wenn zweitens vieles für die Verankerung eines Mindesthomogenitätsgebots in der sozialstaatlichen Verfassungsessenz spricht674: Im Rahmen dieser Arbeit soll ein revisionsfestes Harmonisierungspostulat dergestalt begründet werden, dass dessen Existenz gerade nicht an einer positiven Beantwortung der Frage hängt, ob ein entsprechendes Gebot dem – im Allgemeinen als regelungsschwach angesehenen und daher äußerst restriktiv ausgelegten675 – sozialstaatlichen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG unterfällt. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle das teleologische Argument einer staatlichen Pflicht zur Sicherstellung der Gebrauchsvoraussetzungen von Freiheitsrechten ausgeklammert werden. Mit spezifischem Blick auf die Ewigkeitsklausel gilt aber: Aus der umfassenden Negation einer Garantenstellung des Staates für die ökonomisch-sozialen Wirksamkeitsvoraussetzungen seiner Verfassung würde zwingend die Inkaufnahme einer Beschädigung des Verfassungskerns auch für solche Fälle folgen, in denen es dem Staat möglich gewesen wäre, die Erosion der Verfassungssubstanz durch rechtzeitige Intervention – hier: zur (Wieder-)Herstellung der sozialen Homogenität – abzuwenden. Eine solche Sichtweise würde der Nichteinmischung des Staates im Zweifel einen höheren Stellenwert als dem wirksamen Schutz der von Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Strukturelemente einräumen –

673 674 675

Oben unter cc) (a). Oben unter cc) (g). Etwa Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 46.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

und die Norm damit, zumindest mit Blick auf die hier behandelten (Ernst-)Fälle, de facto zu einer Formalgarantie degradieren. Einer solchen Interpretation stehen indessen alle bisherigen Befunde zur Beschaffenheit grundgesetzlicher Schutznormen im Allgemeinen und der Ewigkeitsklausel im Speziellen entgegen. Denn im Rahmen der bisher vorgenommenen und durch die Verfassungsjudikatur belegten Konkretisierungen von Garantievorschriften der Bundesverfassung wurde der Schutz der jeweiligen Klausel immer auch auf die tatsächlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer rechtlichen (Teil-)Garantie bezogen: – Soll Art. 28 Abs. 2 GG die kommunale Selbstverwaltung schützen können, dann muss die Vorschrift vermittels des Postulats einer aufgabenadäquaten Kommunalfinanzausstattung zugleich die Wahrung bzw. Herstellung der finanziellen Wahrnehmungsvoraussetzungen der Selbstverwaltungsgarantie einfordern676. – Soll Art. 79 Abs. 3 GG die Staatlichkeit der Länder und in diesem Zusammenhang deren Erhalt als politische Entscheidungszentren schützen können, dann muss die Klausel zugleich die materiellen Garantievoraussetzungen durch die verfassungskräftige Gewähr angemessener Landesfinanzausstattungen absichern677. Und es ist nicht einsichtig, warum ausgerechnet auf der untergelagerten, fundamentalen Ebene der Verfassungsvoraussetzungen, ohne deren Vorliegen nicht bloß Teilgarantien der Strukturgrundsätze, sondern gleich die zugrunde gelegte Staatsstruktur als solche ins Wanken geraten kann, anders verfahren werden sollte. Einer im Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG angesiedelten Garantie bezüglich der materiellen Verfassungsvoraussetzungen könnte schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass der freiheitliche Staat die sozialen Bedingungen seiner Existenz nicht mittels paternalistischer Intervention sicherstellen dürfe, sondern sich auch insoweit primär auf private Initiative verlassen müsse678. Dass der „freiheitliche, säkularisierte Staat (. . .) von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann“ 679, ist für die ideellen Bestandsbedingungen des Gemeinwesens vor dem Hintergrund einer andernfalls vorliegenden Preisgabe

676

Dazu oben unter cc) (1) (c) (bb). Vgl. oben unter A. III. und IV. sowie unter B. I. 2. 678 Vgl. Depenheuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, 1. Aufl., § 204 Rn. 53, der seine Bedenken allerdings in Bezug auf eine exklusive Staatsverantwortung für die sozialen Verfassungsbedingungen äußert und letztlich, unter spezifischem Blick auf Ostdeutschland, doch eine „staatliche Aufgabe zur Angleichung der Lebensverhältnisse“ konzediert. 679 Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (60). 677

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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der freiheitlichen, sprich: eigenen Grundsubstanz nicht anzuzweifeln680. Bei den ökonomischen Verfassungsvoraussetzungen liegen die Dinge jedoch anders. Denn zur Substanz des grundgesetzlichen Gemeinwesens zählt neben dem – gewiss herausragenden – freiheitlich-demokratischen Element nun einmal auch die Sozialstaatlichkeit681. Und da sich das Leitbild des demokratischen Sozialstaates von demjenigen einer reinen freiheitlichen Demokratie gerade darin unterscheidet, dass der Erstgenannte es sich vorbehält, zu Zwecken (u. a.) der Förderung und Erhaltung nötigenfalls auch zu intervenieren682, stünde eine Garantiepflicht des Staates für die materiellen Bestandsbedingungen seiner Verfassung durchaus in Einklang mit dem ideellen Fundament der freiheitlich-sozialen Demokratie. Andererseits folgt aber – das muss hinzugefügt werden – aus dem freiheitliche Element auch, dass die Wahrnehmung der Garantieaufgabe niemals zu einer umfassenden sozialen Homogenisierung, sondern allenfalls zur Sicherung eines Minimalstandards führen darf/soll683. Zusammenfassend und ergänzend lässt sich somit festhalten: 1. Der demokratische Sozialstaat trägt jedenfalls eine Letztverantwortung für die Wahrung/Wiederherstellung der materiellen Verfassungsvoraussetzungen, soweit dies nicht zur Preisgabe eigener Grundwerte führt. 2. Die Garantenstellung umfasst die Pflicht, für wenigstens annähernd einheitliche (Kern-)Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu sorgen. 3. Diese Mindesthomogenität wiederum ist Bestandsvoraussetzung der freiheitlich-demokratischen und der bundesstaatlichen Verfassungssubstanz. 4. Weil Letztere durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesichert werden und insoweit keine Bedenken gegen eine staatliche Garantenstellung bestehen, fordert die Norm vom Novellierungsesetzgeber den Erhalt einer Verfassungsrechtslage ein, mit 680 Allerdings trifft diese Position nur im Grundsatz zu: Zwar gibt es keinen positiven staatlichen „Meinungszwang“. Aber auch der freiheitliche Staat des Grundgesetzes kennt sehr wohl „rote Linien“, deren Überschreitung er mit den Mitteln des Rechtszwanges ahndet, was sich beispielhaft an der Verbotsanordnung des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG bezüglich solcher Parteien ablesen lässt, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“. Indem er sich dergestalt die Befugnis einräumt, (zumindest) die offensive Ausbreitung verfassungsfeindlichen Gedankenguts vermittels des politischen Systems einzuhegen, wirkt auch der freiheitliche Staat darauf hin, die ethischen Mindestvoraussetzungen seiner Existenz zu schützen. 681 Diese wird im Rahmen der Frage nach einer Garantenstellung für die ethischen Verfassungsbedingungen nicht tangiert. 682 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 211 ff. 683 Für alles darüber Hinausgehende könnte der freiheitliche Sozialstaat aus ideellen Gründen tatsächlich nicht garantieren – selbst wenn dies theoretisch irgendwann einmal eine reale Bedingung für die Bestandsstabilität des grundgesetzlichen Gemeinwesens darstellen sollte.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

deren Instrumentarium ein Mindestmaß an Homogenität der Lebensverhältnisse im Bund sichergestellt werden kann. 5. Allerdings muss in der Praxis immer wieder aufs Neue kontrolliert werden, ob die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet den Gleichwertigkeitsanforderungen noch genügen – was aus Art. 79 Abs. 3 GG in zeitlicher Hinsicht insoweit einen Dauermaßstab machen würde. Der Normtext des Art. 79 Abs. 3 GG weist die Vorschrift aber als Maßstab zur gezielten (und daher regelmäßig auch einmaligen) Überprüfung von verfassungsändernden Gesetzen aus. Dass und warum das beschriebene Vorgehen dennoch von der Revisionsnorm gedeckt ist, soll weiter unten im Anschluss an die Fertigstellung der Ausführungen zur Garantie angemessener Landesfinanzausstattungen dargelegt werden684. Denn die Problematik betrifft nicht nur den soeben behandelten spezifischen Teilaspekt, sondern den Prüfungsmaßstab in seiner Gesamtheit. (hh) Abstrakter/konkretisierungsbedürftiger Mindesthomogenitätsstandard Allerdings sollte das Gesagte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Begriffsbildungs- und Regelungsvermögen des Verfassungsrechts im Hinblick auf die Bestimmung des im Einzelfall zu wahrenden Vergleichbarkeitsuntermaßes hinsichtlich zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ziemlich begrenzt ist685. Die im Konkreten als materielle Verfassungsvoraussetzungen abzusichernden Mindeststandards lassen sich erstens nur auf Grundlage der im jeweiligen Betrachtungszeitpunkt in der Bevölkerung vorherrschenden Homogenitätsbedürfnisse686 sowie zudem zweitens regelmäßig nur unter Zuhilfenahme fachdisziplinären Sachverstands bestimmen. In Bezug auf den erstgenannten Gesichtspunkt folgt daraus, dass dem im Zusammenhang der verfassungsnormativen Problemstellung der Wahrung/Herstellung bundesweit vergleichbarer Lebensumstände vertretenen Standpunkt, die öffentliche Meinung habe diesbezüglich keine normative Wirkung687, jedenfalls in dieser Pauschalität nicht gefolgt werden kann. Mit exemplarischem Blick auf die bereits mehrfach angesprochene Bildungsthematik bedeutet das etwa: Da das diesbezügliche Homogenitätsbedürfnis in der 684

Vgl. im ersten Kapitel des vierten Teils unter § 2. In diese Richtung auch Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 28; Wieland, in: Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.), Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern und ihre Auswirkungen auf das Land Bremen, S. 161 (196 f.); vgl. auch Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 60 f. 686 Zur Bedeutung der jeweils in der Bevölkerung vorherrschenden Homogenitätsvorstellungen zur Bestimmung des gebotenen Vergleichbarkeitsmaßes Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 60 mit weiterführenden Nachweisen in Fn. 124. 687 Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 157 (157). 685

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Bevölkerung – auch und gerade aufgrund der Mobilitätsanforderungen des Arbeitsmarkts – hier (jedenfalls gegenwärtig) so weit geht, dass sich in repräsentativen Umfragen regelmäßig eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger sogar für eine Übertragung der zentralen (schulischen) Bildungskompetenzen auf den Bund ausspricht – wobei diese Forderung in den neuen Bundesländern überdurchschnittlich häufig erhoben wird –688, dürfte das Mindestmaß der bundesweit zu wahrenden qualitativen Gleichwertigkeit in Bezug auf diesen Bereich vergleichsweise hoch anzusetzen sein. (ii) Zugrundelegung der jeweiligen Homogenitätsbedürfnisse in der Bevölkerung: keine unzulässige ex-post Modifizierung des Schutzbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG Und abschließend sei klargestellt: Dass nach dem Gesagten die konkreten Gleichwertigkeitsstandards auf Grundlage der im Betrachtungszeitpunkt in der Bevölkerung vorherrschenden Homogenitätsvorstellungen/-bedürfnisse – also: ausgehend von zeitlich der Grundgesetzgebung nachgelagerten verfassungsexternen Informationen – festgesetzt werden müssen, führt keinesfalls zu einer (nach der hier vertretenen Auffassung689 absolut) unzulässigen de facto-Abänderung des Garantiebereichs von Art. 79 Abs. 3 GG durch nachträglich in dessen Schutzgut der Sicherung bundesweiter Vergleichbarkeit zentraler Lebensverhältnisse hineingelesene verfassungsfremde Wertungen. Vielmehr handelt es sich um spezifische Auslegungserfordernisse, die sich zwingend aus der Struktur des in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht fixen (!) Harmonisierungspostulats ergeben: Erstens folgt aus dem Sicherungsgrund der Gleichwertigkeitsmaßgabe – dem dauerhaften Erhalt des für die Funktionsfähigkeit eines Gemeinwesens unabdingbaren inneren (Bevölkerungs-)Zusammenhalts690 – unweigerlich, dass die zu sichernden Homogenitätsstandards nur ausgehend von den entsprechenden Bevölkerungsbedürfnissen, also verfassungsexternen Informationen, festgesetzt werden können. Und weil eine dauerhafte Sicherung der inneren Einheit eine kontinuierliche Aktualisierung der dazu zu gewährleistenden Einheitlichkeitsmaßgaben voraussetzt, muss sich zweitens die Regelungskraft der konkreten Standards zwangsläufig auf den jeweiligen Beurteilungszeitpunkt beschränken691. 688 Dazu SZ vom 1./2. April 2010, S. 6 zu einer die Thematik betreffenden repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach; vgl. zum ausgeprägten Bedürfnis (und dem Gebotensein) von (Mindest-)Homogenitätsstandards in Bezug auf (Hoch-)Schulfragen auch Wieland, KritV 91 (2008), 117, (122 f.) sowie Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, S. 138 ff. 689 Vgl. oben im ersten Kapitel unter § 3. 690 Oben unter (dd) (a) bzw. (ee). 691 Vgl. mit Blick auf den zeitlichen Aspekt die Parallelproblematik im Rahmen der Erarbeitung von Kriterien für die Beurteilung der Aufgabengerechtigkeit von Länderfinanzausstattungen. Die Aussagekraft der Maßgaben ist auch hier an den Bestand der

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Auch insoweit bestehen damit keine dogmatischen Bedenken gegen eine revisionsfeste Verfassungsposition der Wahrung/Herstellung relativ einheitlicher Lebensverhältnisse im Bund. (jj) Ergebnis zu (b) und Schlussfolgerungen Verankerung über einfache Verfassungsnormen? 1. Einfache Verfassungssätze kommen aufgrund des normenhierarchischen Rangverhältnisses zwischen Art. 79 Abs. 3 GG und allen übrigen Grundgesetzvorschriften nicht als direkte Ankerpunkte für die Begründung der Revisionsfestigkeit eines Mindestvergleichbarkeitsgebots in Betracht. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Vorschriften der Grundgesetz-Urfassung (konkret: Art. 72 Abs. 2 GG Uf.) handelt. Verankerung über 79 Abs. 3 Var. 3 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG? 2. Auch eine Verankerung der in Rede stehenden Rechtsposition in Art. 79 Abs. 3 GG Var. 3 GG über den Menschenwürdekern des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) scheitert. Verankerung über den sozialstaatlichen Teil des Verfassungskerns? 3. Demgegenüber spricht vieles dafür, dass eine staatliche Verantwortung, zumindest bezüglich sozial-egalitär erheblicher Lebensverhältnisse ein bundesweites Vergleichbarkeitsminimum zu garantieren, der gemäß Art. 79 Abs. 3 Var. 3 GG änderungsfesten Substanz der Sozialstaatlichkeit unterfällt – worauf man aber letztlich für die Verortung eines Gleichwertigkeitspostulats im Schutzbereich der Ewigkeitsklausel nicht angewiesen ist (dazu sogleich). 4. Im Rahmen der Analyse zu 3. wurde mit Blick auf den weiteren Untersuchungsverlauf zudem deutlich: Adressaten jeglicher staatlicher Gewährleistungsverantwortung, die (auch) den Erhalt der staatlichen Struktur des Gesamtstaats gemäß Art. 20 Abs. 1–3 GG betreffen kann, sind neben dem Bund auch die Länder sowie, nach derzeitiger Ausgestaltung des Grundgesetzes, die Gemeinden/ Gemeindeverbände. Wenn und soweit den Gliedstaaten/ihren Kommunen im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung Gestaltungsspielräume bezüglich Art. 20 Abs. 1–3-relevanter Materien zustehen, können sich daher die jeweiligen Gestaltungsspielräume nötigenfalls entsprechend, je nach konkret gebotenem Maß an „Bundes(struktur)freundlichlichkeit“, verkürzen. konkreten föderativen Kompetenzordnung des Grundgesetzes gekoppelt, dazu oben unter b).

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Verankerung über den bundesstaatlichlichen Teil des Verfassungskerns? 5. Im Hinblick auf den föderativen Schutzbereich des Art. 79 Abs. 3 GG gilt: Ein Bundesstaat ist auf lange Sicht nicht existenzfähig, ohne dass die innere Einheit der gesamtstaatlichen Bevölkerung dauerhaft sichergestellt wird. Dieser (territoriale und mentale) Zusammenhalt wiederum kann nur gewährleistet werden, wenn und soweit es gelingt, a) einseitige (unausgewogene) Wanderungsströme innerhalb des Bundesgebiets zu minimieren sowie b) die relative soziale Homogenität der Bundesbevölkerung zu wahren (bzw. mit Blick auf die ostdeutschen Länder herzustellen), ohne deren Gegebensein sowohl das Schwinden der bürgerlichen Identifikation mit dem föderalen Zusammenschluss als auch die Entstehung/Beförderung gemeinwohlschädlicher Spannungen zwischen Bürgern aus ökonomisch ungleichen Teilen des Bundesstaates langfristig nicht verhindert werden können. Beides setzt das Vorhandensein annähernd einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet voraus. 6. Eine Analyse der Bundesstaats(rechts)geschichte Deutschlands ergibt, dass der Einheit des Zentralstaats und homogenen Lebensbedingungen hierzulande stets ein höherer Stellenwert eingeräumt wurde/wird als der föderativen Autonomiekomponente. Dies untermauert die Bedeutung vergleichbarer Lebensverhältnisse für die Bestandsfähigkeit des deutschen Föderalstaates. Verankerung über den freiheitlich-demokratischen Teil des Verfassungskerns? 7. Die Sicherstellung des inneren Bevölkerungseinheit ist aber nicht nur für den Erhalt der (hier: föderativen) staatsrechtlichen Organisationsstruktur essentiell, sondern zuvörderst für den Zusammenhalt des Gemeinwesens selbst. Weil aber zum einen die Bundesbürger das grundgesetzlich konstituierte Gemeinwesen vor allem mit dem freiheitlich-demokratischen Strukturmerkmal identifizieren, und sich zum anderen sozialer Unmut besonders in sinkenden Wahlbeteiligungen und Zustimmungsraten zu anderen wesentlichen Bestandteilen der grundgesetzlichen Demokratie niederschlägt, ist die demokratische Verfassungssubstanz unter Bestandssicherungsgesichtspunkten ganz besonders auf die Garantie bundesweit homogener (Kern-)Lebensverhältnisse angewiesen. Staatliche Garantenstellung für materielle Verfassungsvoraussetzungen? 8. Den Staat trifft eine bundesverfassungskräftige (Letzt-)Verantwortung für die Gewährleistung der ökonomisch-sozialen Verfassungsvoraussetzungen. Daraus folgt, dass er für die Einhaltung eines bundesweiten Homogenitätsmindest-

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standards bezüglich zentraler Lebensverhältnisse als notwendige Bestandgrundlage sowohl der bundesstaatlichen als auch der freiheitlich-demokratischen Grundordnung garantieren muss. 9. Wenn der demokratische Föderalstaat den besagten Mindeststandard um (nicht weniger als) seiner Existenz willen voraussetzt, wird eine dauerhafte Unterschreitung der entsprechenden Maßgaben nicht bloß irgendwelche normativen Teilprinzipien, sondern infolge gleichmäßigen Grundlagenentzugs immer gleich die bundesstaatliche und demokratische (Grund-)Ordnung als solche ins Wanken bringen. Dann aber muss die Verfassungsvoraussetzung der Gewährleistung bundesweit vergleichbarer Kernlebensverhältnisse auch dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG unterstehen. Konkretisierungsbedürftiger Mindesthomogenitätsstandard/Keine nachträgliche Veränderung des Schutzbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG 10. Mit Blick auf die Festsetzung konkreter Gleichwertigkeitsstandards ist das Regelungsvermögen des Verfassungsrechts jedoch begrenzt: Im Wesentlichen erschöpft es sich in den beiden Aussagen, dass hinsichtlich zentraler Lebensverhältnisse grundgesetzliche Vergleichbarkeitsmindeststandards zu wahren sind und Art. 79 Abs. 3 GG den Erhalt dieser Verfassungsrechtslage fordert. Da die relative Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eine Verfassungsvoraussetzung ist, lassen sich die konkreten Maßstäbe nur ausgehend von den im Betrachtungszeitpunkt in der Bevölkerung vorherrschenden Homogenitätsbedürfnissen präzisieren. 11. Dieses Vorgehen stellt keine unzulässige ex-post Modifizierung des Garantiebereichs von Art. 79 Abs. 3 GG dar. (c) Ergebnis zu (2) Revisionsfestes Homogenitätsgebot 1. Weil (dem Kern) der bundesstaatlichen Ordnung wie gezeigt692 eine nicht einseitig auflösbare Spannungslage zwischen Länderautonomie und bündischer Einheit zugrunde liegt, kann Art. 79 Abs. 3 GG nicht die Existenz einer Verfassungsrechtslage einfordern, der ein umfassendes Unitarisierungspostulat immanent ist. 2. Wohl aber setzt der Kernbereichsschutz, den Art. 79 Abs. 3 GG dem Bundesstaats- und dem Demokratieprinzip gewährt, die dauerhafte Absicherung wenigstens eines Mindestmaßes an Homogenität wesentlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet voraus. 692

Vgl. dazu die verfassungssystematischen Grundlegungen unter A.

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Verfassungssystematische Gesamtwürdigung 3. Mit spezifischem Blick auf die Substanz der Bundesstaatlichkeit: Dieses Resultat wird verifiziert durch eine Gesamtschau diverser verfassungsnormativer Konkretisierungen des Bundesstaatsprinzips in der Urfassung des Grundgesetzes693, deren Resultat nach den zugrunde gelegten methodischen Maßgaben694 im Rahmen der Präzisierung des Art. 79 Abs. 3-Schutzbereichs ergänzend heranzuziehen ist: Dem Befund zufolge enthielt die originäre Bundesverfassung an (für die Bundesstaatlichkeit) essentiellen Stellen mehrere Normen, die gleichzeitig auf die Gewährleistung jedenfalls eines Minimums an Vergleichbarkeit zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet hinwirkten. 4. Mit allgemeinem Blick auf die Verfassungssubstanz: Nach alldem können die Motive eines Minimums an sozialer Bevölkerungshomogenität im Allgemeinen und der gesamtstaatlichen Mindestvergleichbarkeit wesentlicher Lebensverhältnisse im Speziellen als innere Bindeglieder zwischen Teilbereichen des Grundgesetzkerns begriffen werden: Für die bundesstaatliche und demokratische Verfassungssubstanz stellen sie (a) einen gemeinsamen Bezugspunkt auf der Ebene der Verfassungsvoraussetzungen dar und tragen damit das systematische Prinzip der Einheit der Verfassung auch auf die (der rechtlichen im engeren Sinn vorgelagerte) Ebene realer Funktionsbedingungen. Und bedenkt man vor diesem Hintergrund, dass vieles für die Zugehörigkeit einer Mindesthomogenitätsgarantie, zumindest bezüglich sozial-egalitär relevanter Staats(infrastruktur)leistungen, auch zum sozialstaatlichen Verfassungskern spricht695 – unabhängig davon, dass für hiesige Zwecke nicht zwingend auf diesen Umstand zurückgegriffen werden muss und soll696 –, so lässt sich folgern: Indem der Verfassungsgeber das soziale Staatsziel im Grundgesetz verankerte und zudem in den Rang einer Strukturbestimmung hob, zog er (b) (jedenfalls auch) die normativen Konsequenzen aus der unter (a) geschilderten tatsächlichen Notwendigkeit. (3) Konsequenzen aus der Mindesthomogenitätsgarantie in Bezug auf das in Art. 79 Abs. 3 GG verankerte Postulat der Gewähr angemessener Landesfinanzausstattungen (a) Anknüpfungspunkte bei den bisherigen Befunden Bevor mit der Bestimmung konkreter Auswirkungen697 der staatlichen Gewährleistungspflicht für bundesweit vergleichbare Lebensverhältnisse auf den 693

Vgl. oben unter (1) (b) (bb). Oben im ersten Kapitel unter § 3 A.V. 695 Oben unter (b) (cc) (g). 696 Hierzu oben unter (b) (cc) (g) bzw. (gg). 697 Entgegen der hier vertretenen Auffassung bildet nach Koemm (Eine Bremse für die Staatsverschuldung, S. 161) „die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Ergeb694

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Gehalt der in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Forderung nach einer verfassungskräftigen Garantie angemessener Landesfinanzausstattungen begonnen wird, erscheint es sinnvoll, sich in einem vorbereitenden Schritt die gedanklichen Kernstücke der bisherigen Analyse zu vergegenwärtigen: 1. Handhabbare Kriterien für die Beurteilung der (Un-)Angemessenheit von Länderfinanzpositionen können nur mit Blick auf den zum Beurteilungszeitpunkt durch das Grundgesetz determinierten Aufgabenkanon der Gliedstaaten erarbeitet werden698. 2. Daher besteht die Notwendigkeit, die aktuellen verfassungsmäßigen Landespflichten/-kompetenzen in den Blick zu nehmen, wobei zwischen (weitgehend) fremdbestimmten Landesaufgaben sowie landesunmittelbaren Tätigkeiten (fast) ohne gestalterischen Einfluss auf der einen699 und solchen Aufgaben auf der anderen Seite unterschieden werden kann, bei deren Erfüllung den Gliedstaaten sachpolitischer Spielraum zukommt700. 3. Der erstgenannten Kategorie unterfallen insbesondere die regelmäßige Ausführungs(- und Finanzierungs-)Verantwortung in Bezug auf Bundesgesetze701, der zweiten Gruppe hingegen diejenigen Sachmaterien, deren Ausgestaltungsbefugnisse den Ländern mittels Art. 70 ff. bzw. Art. 30 GG zugeordnet werden702. 4. Ferner weist die Bundesverfassung den Gliedstaaten eine Aufgabe hybrider, da partiell von den Ländern beeinflussbarer Beschaffenheit zu, indem sie ihnen eine allgemeine (nicht aufgabenakzessorische) Garantiepflicht in Bezug eine angemessene Finanzausstattung ihrer Gemeinden/Gemeindeverbände auferlegt703. 5. Hieraus erwachsen den Ländern zusätzliche, das heißt nicht bereits über den Gesamtbereich „Gesetzesvollzug“ erfasste Kosten ausgerechnet aus dem für sie (zumindest unter bundesverfassungsdogmatischen Gesichtspunkten) indisponiblen Garantieteil der finanziellen Mindestabsicherung des (freiwilligen) kommunalen Selbstverwaltungsrechts704. 6. Jedenfalls der freiheitlich-demokratische und der föderative Garantiebereich des Art. 79 Abs. 3 GG verpflichten den (Bundes-)Revisionsgesetzgeber auf nis jedenfalls keinen justitiablen Maßstab für die Vereinbarkeit der Verfassungsänderungen mit der Identitätsgarantie des Grundgesetzes“. 698 Oben unter b). 699 Oben unter b) aa). 700 Oben unter b) bb). 701 Oben unter b) aa). 702 Oben unter b) bb). 703 Oben unter b) cc). 704 Oben unter b) cc) (1) (c).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

209

den Erhalt einer Verfassungsrechtslage, in deren Rahmen der Staat eine (Letzt-)Verantwortung in Bezug auf die Sicherstellung bundesweit annähernd homogener Lebensverhältnisse trägt705. (b) Relevante Verpflichtungstatbestände Auf dieser Grundlage müssen in einem nächsten Schritt die konkreten Fallkonstellationen identifiziert werden, bei denen die (einfach-)verfassungsrechtliche Bindung eines grundgesetzlichen Kompetenzträgers an das Postulat der Wahrung bundesweit vergleichbarer Lebensverhältnisse706 direkte oder mittelbare Auswirkungen auf die vorliegend interessierende Ausgabenseite eines Landeshaushalts haben kann: 1. Bundesgesetzgebung: Fällt eine Sachmaterie, deren Ausgestaltung Einfluss auf die Wahrung vergleichbarer Lebensverhältnisse im Gesamtstaat hat, in den Sachkompetenzbereich des Bundes, so hat dieser die herausgearbeiteten Mindesthomogenitätsstandards im Rahmen der Normgebung zu beachten. Da aber die entsprechenden Verwaltungs- (zuzüglich der Pflicht zum Erlass von formellem Ausführungsrecht) und Finanzierungsbefugnisse für den Regelfall den Gliedstaaten zugeordnet sind, kann die (landesunmittelbare oder mittelbare [! Kommunen]) Ausführung von finanzstaatlichen Bundesgesetzen, die auf die Wahrung/ Herstellung annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet abzielen, insbesondere für die Haushalte finanzschwacher Länder erhebliche Zusatzbelastungen nach sich ziehen707. 2. Landesgewalt: Mit Blick auf die in Rede stehende Länderfinanzthematik muss zwischen der Gesetzgebung und den (landesunmittelbaren 708) vollziehenden Funktionen (Exekutive, Administrative) unterschieden werden: a) Das Homogenitätsgebot verpflichtet den Landesgesetzgeber über die (bundes-)gesetzesmediatisierte Bindung beim Erlass von Ausführungsnormen zum Bundesrecht (s. oben) hinaus auch im Rahmen der eigenverantwortlichen Regelung zentraler Lebensverhältnisse. Diese Verpflichtung folgt, soweit man das

705

Oben unter (2). Oben wurde bereits ein einfachverfassungsrechtliches Harmonisierungsgebot bezüglich sozial-egalitär bedeutsamer Lebensverhältnisse auf Grundlage der Sozialstaatlichkeit begründet. Da aber darüber hinaus ein Gebot zur Absicherung annähernder Einheitlichkeit der (Kern-)Lebensverhältnisse in der revisionsfesten Substanz des Bundesstaats- sowie des Demokratieprinzips verankert werden konnte, muss das Homogenitätspostulat denknotwendig auch in den entsprechenden Bereichen der Art. 20 Abs. 1, 2 GG verankert sein. 707 Zu den korrespondierenden Landes- bzw. Kommunalpflichten/-befugnissen vgl. sogleich unter 2. und 3. 708 In Abgrenzung zur gemeindlichen Gewaltausübung, dazu (im Rahmen dieses Gliederungsabschnitts) sogleich unter 3. 706

210

3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

bundesstaatliche Prinzip als Ankerpunkt für das Harmonisierungspostulat heranzieht, unmittelbar aus Art. 20 Abs. 1 GG709. Stellt man hingegen primär auf das Demokratieprinzip (bzw. die Sozialstaatlichkeit) ab, so folgt die Bindung aus der bündischen Treueverpflichtung und/oder aus dem Erfordernis einer konsistenten Auslegung der Art. 20 Abs. 1–3, 70 ff. GG710: Den Landesgesetzgeber trifft demnach eine (bundes-)verfassungsunmittelbare Mitwirkungspflicht beim Erhalt der Staatsstruktur des Gesamtstaates gemäß Art. 20 Abs. 1–3 GG – nötigenfalls auch durch eine ganz bestimmte Art der Ausübung seiner Gestaltungsbefugnisse (Ermessensreduktion!). Er hat seinem Kompetenzregister zugeordnete wesentliche Lebensverhältnisse so auszugestalten, dass deren Erfüllungsniveau nicht dauerhaft und deutlich hinter dem entsprechenden Länderdurchschnitt zurückbleibt. b) Im Hinblick auf die vollziehende Gewalt muss wiederum zwischen der Ausführung von formellen Bundes- oder Landesgesetzen der beschriebenen Art auf der einen und dem Ausnahmefall der nicht gesetzesakzessorischen Verwaltungstätigkeit auf der anderen Seite unterschieden werden. Für Fälle der erstgenannten Aufgabengruppe folgt die Bindung an die Gleichwertigkeitsstandards bereits implizit aus dem Art. 20-koform auszugestaltenden Bundes-/Landesrecht, das auszuführen ist711. Dies gilt auch für in diesem Zusammenhang gesetzlich eingeräumte Ermessenspielräume (inklusive Verordnungsermächtigungen). Denn auch Gestaltungsoptionen können ja durch das ermächtigende Gesetz nur bis an dessen eigene verfassungsrechtliche Grenzen hin eingeräumt werden. Für in der Administrativpraxis gegebenenfalls auftretende Fälle einer (weitgehend) gesetzesfreien Verwaltung712 lässt sich eine Bindung der vollziehenden Landesgewalt an das Homogenitätsgebot analog der Verpflichtung des (gestaltenden) Landesgesetzgebers herleiten713. Auch im Hinblick auf die behandelten Sach- und Administrativbefugnisse der Gliedstaaten gilt also: Die aus der staatlichen Garantenstellung für bundesweit vergleichbare Lebensverhältnisse resultierenden (potentiellen) Einschränkungen 709 Das Bundesstaatsprinzip ist, wie oben unter (2) (b) (cc) (a) (dd) dargelegt wurde, der einzige Regelungsgehalt des Art. 20 Abs. 1 GG, der die staatliche Gewalt in den Ländern unmittelbar zu verpflichten vermag. 710 Vgl. eingehend unter (2) (b) (cc) (a) (dd). Zwar wurden die dortigen Überlegungen zur Bindung der Länder nur mit Blick auf eine Begründung des Homogenitätsgebots auf Grundlage der Sozialstaatlichkeit angestellt, beanspruchen aber hinsichtlich einer Herleitung aus dem Demokratieprinzip entsprechende Gültigkeit. 711 Vgl. bereits oben unter 1. und 2. a). 712 Die jedoch vorliegend, in Anbetracht des Parlamentsvorbehalts, der hinsichtlich der in Rede stehenden struktursensiblen Inhalte (Art. 20 Abs. 1, 2 GG!) gesetzliche Rahmenbedingungen einfordert, nur dann entstehen können, sofern und gegebenenfalls soweit das zuständige Gesetzgebungsorgan zuvor seinen rechtsstaatlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. 713 In der Variante „konsistente Auslegung“ müsste dann statt den Art. 70 ff. Art. 30 GG in Bezug genommen werden.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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der Landesgewalt bei der Wahrnehmung eigener und übertragener Aufgaben wirken sich auf die Höhe der entsprechenden finanzstaatlichen Leistungen – und damit auf die Beschaffenheit der Ausgabenseiten der Länderhaushalte aus. 3. Kommunen: Eine spezifische Erscheinungsform der vollziehenden Gewalt auf Landesebene wird, was für den Teilbereich der Selbstverwaltung bereits illustriert wurde714, durch die Gemeinden/Gemeindeverbände ausgeübt. Bezüglich der kommunalen Bindung an ein Art. 20 Abs. 1, 2 GG entnommenes Gleichwertigkeitsgebot muss zwischen dem übertragenen und dem eigenen Wirkungskreis unterschieden werden. a) Hinsichtlich des übertragenen Aufgabenbereichs folgt die Verpflichtung gesetzesmittelbar aus den auszuführenden Landes- bzw. (in Fällen der Art. 125a Abs. 1 Satz 1 Var. 2, 3 GG) Bundesgesetzen. b) Im Hinblick auf den eigenen Wirkungskreis muss weiterhin zwischen dem pflichtigen und dem freiwilligen Bereich differenziert werden. Für die erstgenannte Aufgabengruppe ergibt sich die Bindung der kommunalen Selbstverwaltungsträger an die Gleichwertigkeitsstandards, wie für die vollziehende landesunmittelbare Verwaltung und den übertragenen Gemeindeaufgabenkreis auch, implizit aus den auszuführenden Landes- bzw. Bundesgesetzen. Und angesichts des Wesentlichkeits- bzw. Parlamentsvorbehalts müsste eine Verpflichtung auf ein in Art. 20 Abs. 1, 2 GG wurzelndes Homogenitätsgebot auch hinsichtlich der freiwilligen Gemeindeaktivitäten – zumindest bei verfassungsgemäßer Ausübung der einschlägigen Legislativkompetenzen – aus den gesetzlichen Rahmenbedingungen folgen, die für den Sachbereich errichtet worden sind (Beispiel: §§ 36 ff., 49 ff. EnWG in Bezug auf die gemeindliche Durchführung der Energieversorgung715). Und sollten sich den Kommunen doch einmal substantielle Entscheidungsspielräume in Bezug auf das Erfüllungsniveau Art. 20-erheblicher finanzstaatlicher Leistungen eröffnen, so wären die Gemeinden/Gemeindeverbände, wie ebenfalls bereits dargelegt wurde716, aus systematischen Gründen (Harmonisierung von Art. 20 Abs. 1, 2 und Art. 28 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG717) sogar verfassungsunmittelbar auf die Sicherstellung eines bezüglich des restlichen Bundesgebiets annähernd einheitlichen Leistungsniveaus verpflichtet. Wie oben herausgearbeitet wurde718, ergeben sich für den hinsichtlich Art. 79 Abs. 3 GG zu ermittelnden Finanzbedarf der Länder durch die Kategorien des gliedstaatlichen (Bundes-/Landes-)Gesetzesvollzugs noch nicht erfasste Posten aus der fiskalischen Absicherungspflicht der Länder in Bezug auf die (freiwilli714 715 716 717 718

Vgl. oben unter (2) (b) (cc) (a) (ee). Oben unter (2) (b) (cc) (a) (ee). Oben unter (2) (b) (cc) (a) (ee). Oben unter (2) (b) (cc) (a) (ee). Vgl. unter cc) (1) (c) (dd).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

gen) gemeindlichen Selbstverwaltungstätigkeiten. Wenn aber – insbesondere mit konkretem Blick auf Kernmaterien der Daseinsvorsorge – die Erbringung zentraler Infrastrukturleistungen dieser Sparte kommunaler Aktivität zuzuordnen ist, die Gemeinden/Gemeindeverbände aber gehalten sind, sich diesbezüglich annähernd an dem durchschnittlichen bundesbezogenen Erfüllungsstandard zu orientieren, so bedeutet das (wieder vor allem mit primärem Blick auf die strukturschwachen Länder): Eine zusätzliche ausgabenseitige Determination der Länderhaushalte ergibt sich aus der bundesverfassungskräftigen Verpflichtung der Gliedstaaten, ihre Kommunen mit den notwendigen Finanzmitteln für eine den Eigenverantwortlichkeitsstandards des Art. 28 Abs. 2 GG719 genügende Wahrnehmung ihrer (freien) Selbstverwaltungstätigkeiten auszustatten. (c) Schlussfolgerungen Aus den aufgezeigten Verpflichtungskonstellationen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene folgt für die Bemessungskriterien einer aufgabenadäquaten Landesfinanzausstattung: Angemessen ist die Finanzausstattung eines Landes nur, wenn ein Gliedstaat (1) seine fremddeterminierten Ausgaben – also insbesondere die Kosten für den Vollzug von (im Einklang mit den besagten Homogenitätsvorgaben erlassenem) Bundesrecht gemäß Art. 83 ff. i.V. m. der (den) jeweils einschlägigen Bestimmung(en) des Art. 104a GG (Abs. 1, 2 bzw. 5 Satz 1) – bestreiten und (2) gleichzeitig die eigenen politisch-gestalterischen Aufgaben, die die Regelung von wesentlichen Lebensverhältnissen betreffen, unter der Maßgabe wahrnehmen kann, dass die entsprechenden finanzstaatlichen Leistungen nicht über einen längeren Zeitraum substantiell hinter dem diesbezüglichen Länderdurchschnitt zurückbleiben. Schließlich müssen einem Land (3) zudem ausreichende Finanzmittel zur Verfügung stehen, um nötigenfalls sicherstellen zu können, dass (potentielle) Mehrkosten bezüglich der Aufgabenwahrnehmung, die gegebenenfalls aus den in Rede stehenden Gleichwertigkeitsmaßgaben resultieren, für seine Gemeinden/Gemeindeverbände wenigstens hinsichtlich eines Kernbestands solcher Lebensverhältnisse, die gemäß Art. 28 Abs. 2 GG prinzipiell dem freiwilligen Selbstverwaltungsbereich zuzuordnen sind (Grundmaterien der Daseinsvorsorge!), keine unübersteigbare finanzielle Hürde im Rahmen der Entscheidung über den Aufgabenzugriff darstellen. Denn andernfalls dürfte das Land seine (derzeitigen) verfassungsrechtlichen Grenzen aus Art. 28 Abs. 2 GG überschreiten, der den Kommunen auch ein gewisses Untermaß an Eigenverantwortung bezüglich der Entscheidung über das Ob der Aufgabenerfüllung garantiert720, das jedenfalls mit Blick auf die Daseinsvorsorge greifen dürfte.

719 720

Näher zu diesen Standards Schoch, Jura 2001, 121 (126). Statt vieler Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 28 Rn. 114.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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Die unter (1) gelistete Ausgabenfolge ist, da der diesbezügliche Gestaltungsspielraum (größtenteils) nicht auf Länderebene liegt, bereits in der oben formulierten generellen Maßgabe enthalten, dass die ordnungsgemäße Ausführung von Bundesgesetzen bei der Bemessung der Länderfinanzpositionen in Rechnung gestellt werden muss. Entsprechendes gilt auch für die Schlussfolgerung zu (3). Auch die darin enthaltene fiskalische Vorgabe wird schon von der oben erörterten finanziellen Mindestgarantiepflicht der Länder bezüglich einer in Einklang mit Art. 28 Abs. 2 GG stehenden Wahrnehmung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts erfasst: Zwar mögen den Ländern kraft ihrer Organisationsgewalt weitreichende Einwirkungsbefugnisse auf die kommunale Aufgabenwahrnehmung zukommen. Nach derzeitigem Bundesverfassungsrecht finden diese Kompetenzen ihre Schranken jedoch zum einen in den Maßgaben des Art. 28 Abs. 2 GG (Verbleib einer substantiellen gemeindlichen Einschätzungsprärogative hinsichtlich des Aufgabenzugriffs) und zum anderen in Art. 20 Abs. 1, 2 GG zu entnehmenden Standards für die kommunale Aufgabenwahrnehmung – die die Länder über die gebotene landesgesetzliche Rahmengebung für die Erfüllung von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben (aufgrund der eigenen unmittelbaren Bindung an diese Vorgaben721) teilweise sogar selbst an die Gemeinden/Gemeindeverbände weiterreichen müssen. Anders liegen die Dinge jedoch mit Blick auf die Sachaufgaben der Länder: Weil sie es sind, denen auf diesem Gebiet die Gestaltungshoheit zukommt, ihre Einschätzungsprärogative sich aber wie gezeigt gegebenenfalls um die Homogenitätsvorgaben der Art. 20 Abs. 1, 2 GG verkürzt, muss daraus auch eine bisher noch nicht herausgearbeitete Restriktion des fiskalischen Spielraums, sprich: eine zusätzliche, gewiss nicht unerhebliche Determination der Länderhaushalte resultieren. Es reicht daher nicht, dass einem Land nach Abzug aller Pflichtausgaben genügend Mittel verbleiben, um eigene Gestaltungsaufgaben mit hinreichendem Ermessenspielraum wahrnehmen zu können. Darüber hinaus muss es diejenigen Aufgaben, deren Erfüllung wesentliche Lebensumstände seiner Bürger tangiert, so wahrnehmen können, dass die Qualität dieser Lebensumstände nicht dauerhaft und deutlich hinter dem Länderdurchschnitt zurückbleibt. Mit konkretem Blick auf eine derzeitige Kernkompetenz der Länder bedeutet das etwa: Sollte bereits ein Land trotz aller (mit Blick auf eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung im bisher dargelegten Sinn) zumutbaren Sparanstrengungen – über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht in der Lage sein, ein deutliches qualitatives Absinken seines Bildungsangebots – und damit der Bildungschancen seiner Bürger – unter das entsprechende Ländermittel abzuwenden, und – trifft die Finanzverfassung keine hinreichenden Ausgleichsvorkehrungen für solche Fälle, 721

Vgl. oben unter (b).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

so wäre das Gefüge derjenigen Grundgesetznormen, auf deren Basis die Finanzausstattung der Länder festgelegt wird722, unvereinbar mit Art. 79 Abs. 3 GG, damit verfassungswidrig und nichtig723. (d) Ergebnis zu (3) 1. Das Gleichwertigkeitspostulat aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG bindet (verfassungs-) unmittelbar oder (gesetzes-)mittelbar Bund, Länder und Kommunen umfassend bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. 2. Auf den derzeitigen bundesverfassungsmäßigen Aufgabenkanon der Länder wirkt das Harmonisierungsgebot somit insbesondere an drei Stellen ein: a) bei der Ausführung von (homogenitätskonform auszugestaltenden) Bundesgesetzen samt Vollzugsfinanzierung, b) bei der Wahrnehmung und Finanzierung eigener Gestaltungsaufgaben, die im Zusammenhang mit der Gewähr zentraler finanzstaatlicher Leistungen stehen und c) hinsichtlich der Länderpflicht, für eine aufgabenadäquate kommunale Finanzausstattung zu garantieren, die es den Gemeinden/Gemeindeverbänden auch ermöglichen muss, auf einen Mindestbestand (potentieller) freier Aufgaben – zu denen jedenfalls ein Kernbestand an Daseinsvorsorgematerien zählen dürfte – zugreifen zu können und diese im Fall eines Zugriffs, sofern sie wesentliche Lebensverhältnisse betreffen (auch hierzu dürften substantielle Aufgaben der Daseinsvorsorge gehören), annähernd im Einklang mit dem entsprechenden Erfüllungsniveau im Bundesmittel wahrnehmen zu können. 3. Fazit: Aufgabengerecht im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG können Länderfinanzausstattungen nur sein, wenn sie außer den zuvor herausgearbeiteten Maßgaben724 auch den budgetären Konsequenzen genügen, die aus den dargelegten Homogenitätsanforderungen folgen. gg) Ergebnis zu b) 1. Angemessen im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG ist nur eine Landesfinanzausstattung, die den Gliedstaat in die Lage versetzt, alle zum Betrachtungszeit-

722 Zu Umfang und Beschaffenheit des Prüfungsmaßstabs sogleich im ersten Kapitel des vierten Teils unter § 1. 723 Zur Nichtigkeitsfolge etwa BVerfGE 30, 1 (33) – abweichende Meinung der Richter Geller, v. Schlabrendorff, Rupp; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 6; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 14. 724 Vgl. oben unter aa) bis ee).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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punkt aus der Bundesverfassung ableitbaren Länderaufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. 2. Dies gilt zunächst für die nicht (primär) auf Länderebene determinierten Aufgaben, wozu zuvörderst die Vollzugs- und Finanzierungszuständigkeit für die Ausführung von Bundesgesetzen zählen. 3. Weiterhin muss mit Blick auf die landesunmittelbaren Befugnisse/Pflichten sowohl für die finanzielle Deckung des organisatorisch-administrativen (Personalkosten!) als auch des Gestaltungsbereichs (bundes-)verfassungskräftig garantiert werden. 4. Der letztgenannte, politische Aufgabenbereich ist für den Nachweis der Staatsqualität eines Landes von besonderer Bedeutung. Daher muss jedem im Betrachtungszeitpunkt existierenden Gliedstaat hinsichtlich seiner Gestaltungsaufgaben ein budgetärer Manövrierspielraum verbleiben, der geeignet ist, ihm ein Mindestmaß an eigenverantwortlicher Politikgestaltung zu ermöglichen. 5. Die Länder trifft nach derzeitiger Verfassungsrechtslage ihrerseits eine grundgesetzliche Garantiepflicht für eine aufgabengerechte Kommunalfinanzausstattung, aus der sich eine durch die obigen Kategorien noch nicht erfasste Kostenbelastung aus der materiellen Mindestsicherungspflicht bezüglich des (freien) Selbstverwaltungsbereichs gemäß Art. 28 Abs. 2 GG ergibt. 6. Mit spezifischem Blick auf die Ausgestaltung einer bundesverfassungsrechtlichen Länderschuldenregel gilt zudem: Um adäquat und schnell auf nicht oder schwer vorhersehbare ökonomische bzw. tatsächliche Sonderlagen reagieren zu können, muss den Gliedstaaten zumindest für diese Fälle die Möglichkeit zur Kreditaufnahme verbleiben. Um – derzeit existenten – erheblichen finanzstrukturellen bzw. ökonomischen Divergenzen zwischen den Ländern gerecht zu werden, müsste der Revisionsgesetzgeber des Bundes die konkrete Ausgestaltung solcher Ausnahmetatbestände weit(est)gehend den Ländern überlassen. 7. Dass auch die staatliche Pflicht, bundesweit wenigstens annähernde Homogenität in Bezug auf wesentliche Lebensverhältnissen zu gewährleisten, dem Schutzbereich der Revisionsklausel unterfällt, erhöht die Bemessungsanforderungen hinsichtlich der Länderfinanzpositionen: Angemessen ist die Fiskalausstattung eines Landes nur, wenn es nach Berücksichtigung der Maßgaben zu den Punkten eins bis sechs (noch) in der Lage ist, a) diejenigen seiner Gestaltungsaufgaben, die die Beschaffenheit wesentlicher Lebensverhältnisse seiner Bürger tangieren, im Einklang mit den Gleichwertigkeitsmaßgaben wahrzunehmen sowie b) auch seinen Kommunen – im Rahmen der besagten Garantenstellung725 – eine homogenitätskonforme Aufgabenwahrnehmung zu ermöglichen. 725

Dazu oben unter Punkt fünf.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

c) Gemeinschafts- bzw. völkerrechtliche Einwirkungen auf den Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG? Dabei bleibt es auch nach einer europa- sowie einer völkerrechtlichen Betrachtung. Denn selbst vermeintlich zwingende Vorgaben des Gemeinschafts- bzw. Völkerrechts726 wären nach (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V. m.) Art. 79 Abs. 3 GG727 nur insoweit vom zugehörigen Integrationsgesetz gedeckt, als dass sie den Kern der nationalen Verfassungssubstanz nicht antasteten. Folglich begrenzt nicht Gemeinschaftsrecht die Garantien des Art. 79 Abs. 3 GG, sondern dieser umgekehrt die innerstaatliche Beachtlichkeit europa- und völkerrechtlicher Vorgaben728. Nicht zuletzt dieser dogmatische Zusammenhang wurde vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem wegweisenden Lissabon-Urteil in aller Deutlichkeit hervorgehoben729. d) Maßgaben für die Generierung der Finanzausstattung aa) Modalitäten der Bereitstellung angemessener Länderfinanzausstattungen „Nur auf der Basis einer hinreichenden Finanzausstattung sind die Länder und ist der Bund in der Lage, die eigene Staatlichkeit zu entfalten. Insofern ist es unabdingbar, daß die bundesstaatliche Verfassung die finanziellen Positionen des Bundes und seiner Glieder absichert.“ 730

Art. 79 Abs. 3 GG trifft aber keine Aussage über das Wie der Bereitstellung731. Somit könnte die Bundesverfassung den Ländern beispielsweise – um 726 Der am 2. März 2012 von 25 EU-Staats- und Regierungschefs unterzeichnete Fiskalpakt (abrufbar unter http://european-council.europa.eu/media/639244/04_-_tscg.de. 12.pdf, [Seite zuletzt besucht am 2. Juni 2012]), der unter anderem eine Selbstverpflichtung der Unterzeichnerstaaten zur Begrenzung des jährlichen strukturellen Defizits auf maximal 0,5 Pronzent des nominalen BIP (Art. 3 Abs. 1 lit. b]) sowie zur Verankerung dieser Schuldenregel im nationalen (vorzugsweise Verfassungs-)Recht (Art. 3 Abs. 2) enthält, musste aufgrund des britischen und tschechischen Widerstandes gegen entsprechende Modifikationen der vertraglichen Grundlagen der EU in Form eines völkerrechtlichen Zusatzvertrags geschlossen werden. Eine parlamentarische Transformation in nationales Recht steht noch aus; zum Ganzen Herdegen, in: FAZ vom 5. April 2012, S. 7. 727 Vgl. zur Beachtlichkeit der Vorgaben des Art. 79 GG im Hinblick auf Zustimmungsgesetze für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge etwa Schmahl, in: Sodan (Hrsg.), GG, Art. 59 Rn. 19, Jarass, in: ders./Pieroth, GG, Art. 59 Rn. 15. 728 Vgl. bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (38); ähnlich Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung, S. 133 f.; a. A. Häde, AöR 135 (2010), 541 (549 ff.), für den der Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch vor Art. 79 Abs. 3 GG nicht Halt zu machen scheint; vgl. zum Ganzen auch bereits dens., in: Junkernheinrich/Scheller/Woisin (Hrsg.), Zwischen Reformidee und Funktionsanspruch, S. 133; dens., in: Baus/Eppler/ Wintermann (Hrsg.), Zur Reform der föderalen Finanzverfassung in Deutschland, S. 67; dens., Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 6 f.; ähnlich Ohler, DVBl. 2009, 1265 (1270). 729 BVerfGE 123, 267 (344). 730 BVerfGE 72, 330 (388).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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veranschaulichend wenige unter vielen denkbaren (Teil-)Optionen anzuführen – im Wesentlichen mittels vertikaler Finanzzuweisungen zu einer hinreichenden Finanzausstattung verhelfen und/oder (ergänzend) gewisse Spielräume auf den Ausgabenseiten ihrer Budgets eröffnen732, um auf diese Weise ehemals gebundene Landesmittel freizusetzen. Und sollte im hiesigen Garantiezusammenhang die Einräumung von (partieller) Ländersteuerautonomie ein effektives Mittel bezüglich der Einnahmenseite der Länderhaushalte darstellen – was indessen mit Blick auf strukturschwache Länder stark bezweifelt werden muss733 –, so wäre mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG auch diese (Teil-)Sicherungsoption zulässig. Fazit zu den Garantiemodalitäten: Jegliche Absicherungsmittel sind zulässig – wenn, soweit und solange nur die entsprechenden finanz- und kompetenzrechtlichen Instrumente des Grundgesetzes in ihrer Gesamtschau geeignet sind, jedem Land regelmäßig und dauerhaft zu einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung zu verhelfen. bb) Normierungsverantwortung und Einstandspflicht des Bundes Das bedeutet aber aus Sicht des Trägers der Novellierungsbefugnis auch: Wenn ihm die freie Wahl der Mittel eingeräumt wird und er zudem kraft seiner – klammert man den Verfassungsgeber aus – exklusiven Verfassungsgesetzgebungskompetenz allein in der Lage ist, für eine verfassungskräftige Absicherung der Länderfinanzen zu sorgen, dann trägt er zwangsläufig auch die ungeteilte Verantwortung für das (Nicht-)Erreichen des Sicherungserfolgs. Träger der Revisionsbefugnis ist nach derzeitigem und wohl auch änderungsfestem734 Verfassungsrecht der Bundesgesetzgeber, der das Grundgesetz nach Maßgabe der Art. 79 Abs. 1–3 GG durch qualifiziertes Bundesgesetz ändern kann. Denkt man den Gedankengang konsequent zu Ende, so folgt daraus zweierlei: 1. Dem Revisionsgesetzgeber erwächst aus dem Gebot, aufgabengerechte Länderfinanzpositionen verfassungskräftig abzusichern, eine Normierungsverantwortung, die sich zu einer Novellierungspflicht verdichten muss, wenn und 731 Kramer, Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung, S. 43; vgl. auch Aydin, KritV 93 (2010), 29 (39). 732 Freilich nur nach Maßgabe der revisionsfesten Inhalte, etwa des soeben behandelten Mindestgleichwertigkeitsgebots in Bezug auf die Lebensverhältnisse im Bund. 733 Vgl. bspw. Deubel, ZSE 5 (2007), 218 (229 ff.); zur Gegenauffassung vgl. etwa Fuest, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 119. 734 Dies wird im Schrifttum zwar nirgends ausdrücklich thematisiert, aber offenbar implizit vorausgesetzt, da die Änderungsproblematik mit Blick auf (den nicht per se revisionsfesten) Art. 79 Abs. 2 GG – soweit ersichtlich – stets auf Grundlage einer Novellierung im Bundesgesetzgebungsverfahren erörtert wird, vgl. etwa Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 127; Möller, Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die Schranken der Verfassungsrevision, S. 205 f.

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soweit die Verfassung des Bundes eine gleichmäßige Ausstattung aller Länder mit hinreichenden Mitteln in praxi nicht mehr gewährleisten kann. 2. Zwar sind dem verfassungsändernden Gesetzgeber im Rahmen seiner Normierungsverantwortung Auswahl und Ausgestaltung der Instrumente freigestellt, mittels derer für eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung garantiert werden soll. Doch auch wenn er sich nicht für eine Ausstattung der Länder primär über vertikale Bundeszuweisungen, sondern – wie gegenwärtig735 – für ein Mischsystem entschieden haben sollte, in dem originäre Einnahmenquellen der Länder sowie ein horizontaler Finanzausgleich im Vordergrund stehen und Zahlungen aus Bundesmitteln nur ausnahmsweise zur Auffüllung von nach Vollzug der vorgeschalteten Distributionsstufen noch verbliebenen Finanzlücken vorgesehen sind, hat der Bund (dessen Organe [Bundestag und Bundesrat] Träger der Revisionsbefugnis sind) eine fiskalische Garantenstellung zugunsten der Gliedstaaten inne736. Ergebnis: Der Bund muss eine flächendeckend aufgabengerechte Länderfinanzausstattung nötigenfalls aus eigenen Mitteln gewährleisten. An der Einstandspflicht des Bundes dürfte auch die Feststellung nichts ändern, dass die bundesstaatliche Verfassung nicht allein den Bund, sondern auch die Länder berechtigt und verpflichtet737. Denn dies ändert nichts daran, dass allein der Bundesgesetzgeber es kraft seiner Befugnis, das Grundgesetz durch qualifiziertes Bundesgesetz zu ändern (Art. 79 Abs. 2 GG), in der Hand hat, bei mangelnder Absicherung für eine Korrektur zu sorgen. Ebenso wenig wie einfache zustimmungspflichtige Bundesgesetze in organisationsrechtlicher Hinsicht – und allein dies ist hier von Belang – sowohl dem Bund als auch den Ländern zugeordnet werden können, obwohl beide Staatsebenen beteiligt sind und gebunden 735 Näher zum derzeit geltenden Verteilungssystem Wieland, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, II, S. 771 (786 ff.); vgl. auch im zweiten Kapitel des vierten Teils unter § 1 B. II. 736 Vgl. Wieland, in: Schliesky/Ernst/Schulz (Hrsg.), Festschrift für Schmidt-Jortzig, S. 221 (226); dens., in: v. Arnim (Hrsg.), Systemmängel in Demokratie und Marktwirtschaft, S. 9 (13); dens., in: Lange/Junkernheinrich (Hrsg.), Loccumer Protokolle 67/10, Gemeindefinanzpolitik in der Krise, S. 89 (93); dens., in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltige Finanzstrukturen im Bundesstaat, S. 229 (241); dens., Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 4; vgl. auch schon Aydin, KritV 93 (2010), 29 ff. (39 f.); wohl auch Tappe, DÖV 2009, 881 (888); kritisch Selmer, NVwZ 2009, 1255 (1261); Koemm, Eine Bremse für die Staatsverschuldung?, S. 263; Häde, LKV 2011, 97 (102) lehnt eine Garantenstellung des Bundes für eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung jedenfalls insoweit ab, als dies – wie hier angenommen wird – obligatorische Zuweisungen des Bundes aus seinem Haushalt zur Folge haben könnte. 737 Meyer, Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 5 f.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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werden, kann dies für zustimmungspflichtige qualifizierte Bundesgesetze nach Art. 79 Abs. 2 GG gefordert werden738. Es bleibt folglich dabei: Der Bund hat für eine aufgabengerechte Finanzposition der Länder mit seinen eigenen Finanzmitteln einzustehen. cc) Subsidiäre Einstandspflicht der Länder(-gesamtheit)? Im Anschluss an das Gesagte wäre eine nachrangige, ergänzende Inpflichtnahme der Ländergesamtheit auf Grundlage der (prinzipiell dem Schutzbereich der Revisionsklausel zuzurechnenden) bündischen Treuepflicht gemäß Art. 20 Abs. 1 GG allenfalls im Hinblick auf Konstellationen zu rechtfertigen, in denen der Bund – trotz Ausschöpfung aller fiskalischen und steuergesetzgeberischen Spielräume (Einnahmenseite!) – durch die Gewährung entsprechender Hilfen eine finanzielle Schmerzgrenze in Bezug auf seine eigene, ebenfalls durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte739 Staatlichkeit überschreiten würde. dd) Bei Eintritt des Sicherungsfalles: Notwendigkeit, die Bundeseinstandspflicht in (finanz-)verfassungsrechtlichen Handlungsinstrumenten verorten zu können 1. Ferner muss mit Blick auf die konkrete Erfüllung der Bundeseinstandspflicht dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine rechtsstaatliche Verfassung den unmittelbaren Schluss von einer Aufgabe auf Befugnisse verbietet740: Die Bundeseinstandspflicht kann daher aus sich heraus keine eigenständigen finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern begründen, sondern allenfalls dazu verpflichten, vorhandene verfassungsgesetzlich begründete Befugnisse möglichst auszuschöpfen741. Daher müsste sich die Finanzverantwortung des Bundes dogmatisch belastbar in ausdrücklich normierten Handlungsinstrumenten der (Finanz-)Verfassung verankern lassen können, auf deren Grundlage er dann, falls nötig, seiner bündischen Garantieverantwortung nachkommen könnte. 2. Da zudem die Bereitstellung hinreichender Finanzmittel auf die Ermöglichung einer verfassungsgemäßen staatlichen Aufgabenerfüllung schlechthin (hier: auf Landesebene) und damit auf nicht weniger als die grundlegende Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens abzielt, müsste unter den einschlägigen Hand738

Vgl. Aydin, KritV 93 (2010), 29 (39 f.). Str., bejahend etwa Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 43 ff., vgl. zur Gegenauffassung Möllers, Staat als Argument, 383 f. Allerdings wird die Kontroverse allein unter den Vorzeichen der Unaufgebbarkeit der Staatlichkeit der Bundesrepublik im Rahmen der europäischen Integration geführt. 740 Vgl. Wieland, ZSE 1 (2003), 527 (546). 741 BVerfGE 116, 327 (387). 739

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

lungsinstrumenten zumindest eines eine Beschaffenheit aufweisen, die es nicht lediglich dem Bund ermöglichte, seiner Einstandspflicht in verfassungsgesetzlich geregelten Bahnen nachkommen zu können, sondern darüber hinaus auch die Länder in die Lage versetzte, gebotene Beistandszahlungen notfalls zu den verfassungsmäßig vorgesehenen (d. h.: nicht zu den vom Bund diktierten) Konditionen erzwingen zu können. Dies setzte jedoch voraus, dass die Existenz eines Organs, das zur Kontrolle der Beachtung der Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG befugt ist, ebenfalls von der Revisionsklausel erfasst wird. a) Ausgangspunkt für die Verankerung eines solchen Postulats im Schutzbereich der Ewigkeitsgarantie könnte die bereits zuvor an zentralen Punkten dieser Untersuchung zutage geförderte Erkenntnis sein, dass Art. 79 Abs. 3 GG als effektive Norm des Verfassungsschutzes742 immer auch die faktischen Wirksamkeitsvoraussetzungen seiner materiell-rechtlichen Schutzgüter umfasst (Prinzip der Annexgarantie): – Wenn die Ewigkeitsklausel die freiheitlich-demokratische und die bundesstaatliche Essenz des Grundgesetzes absichern soll, dann muss die Norm auch die Erfüllung der hierzu notwendigen sozio-ökonomischen Voraussetzung einfordern, indem sie eine Verfassungsrechtslage für änderungsfest erklärt, in deren Rahmen wenigstens annähernd homogene Lebensverhältnisse im Bundesgebiet garantiert werden. Denn ist diese Bedingung nicht erfüllt, erodieren – wie gezeigt wurde – infolge Grundlagenentzugs auf lange Sicht sowohl die demokratische als auch die föderative Verfassungssubstanz743. – Wenn Art. 79 Abs. 3 GG im Rahmen seines bundesstaatlichen Schutzbereichs die Staatlichkeit der Länder und also deren Erhalt als politische Entscheidungszentren gewährleisten soll, dann setzt dies voraus, dass die Vorschrift zugleich die fiskalische Grundlage der Erfüllbarkeit dieser Gewährleistung garantiert, indem sie eine verfassungskräftige Absicherung angemessener Länderfinanzpositionen postuliert744. Denn andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Staatsqualität der Länder – trotz einer im Einklang mit Art. 79 Abs. 3 GG stehenden Verfassungsrechtslage – durch eine Unterfinanzierung der Länderebene unterhöhlt werden könnte. Und analog dazu wäre es nun möglich zu begründen, dass und warum Art. 79 Abs. 3 GG eine weitere Voraussetzung für die praktische Durchsetzbarkeit seiner materiell-rechtlichen Maßgaben erfassen könnte: Wenn die Revisionsnorm bestimmte Rechtsgüter dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers ent-

742 743 744

Dazu eingehend im ersten Kapitel unter § 3. Hierzu oben unter b) ff) (2) (b) (gg). Dazu oben unter A. III., IV. sowie B. I. 2.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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zieht, dann könnte die Bestandsklausel – folgt man der Logik der dargelegten Begründungsmuster – auch die Voraussetzung dafür gewährleisten, dass in der Verfassungspraxis eine Aushebelung ihrer Anordnungen durch schlichte Nichtbeachtung nötigenfalls verhindert oder zumindest erschwert werden könnte. Und diese Voraussetzung kann, soweit ersichtlich, nur in der verfassungskräftigen Statuierung einer diesbezüglichen Kontrolle erblickt werden. Diese müsste indessen nicht zwingend durch eine spezifische Verfassungsgerichtsbarkeit ausgeübt werden, denkbar wäre auch eine Überprüfung durch außerhalb des Justizsystems stehende (unabhängige) Organe745. Obgleich – soweit ersichtlich – weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung bisher die spezifische Fragestellung diskutiert wurde, ob in der Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers an Art. 79 Abs. 3 GG auch die Effektivität dieser Bindung durch ihre Überprüfung mitgedacht ist, so wurden doch vereinzelt zumindest die übergeordneten Fragen erörtert, (1) ob und bejahendenfalls (2) in welchem Umfang im Allgemeinen eine effektive Verfassungskontrolle über das Gewaltenteilungsprinzip und/oder den Grundsatz des Vorranges der Verfassung durch die Ewigkeitsgarantie abgesichert wird und ob es (3) in diesem Zusammenhang einer institutionellen Festlegung auf ein Verfassungsgericht bedarf 746. Wiewohl bei den Fragen nach der Revisionsfestigkeit einer spezifischen 745 So – allerdings nicht mit spezifischem Blick auf eine Überprüfung von Revisionsgesetzen am Maßstab der Bestandsgarantie, sondern allgemein zur Frage, welchen Organen eine Verfassungsmäßigkeitskontrolle im Einklang mit Art. 79 Abs. 3 GG zugewiesen werden könnte – Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 45; mit spezifischem Blick auf die Durchsetzung der Grundrechtsbindung des Staates Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 34. Eine Zuordnung der Verfassungsmäßigkeitskontrolle zur – prinzipiell von Art. 79 Abs. 3 GG garantierten (vgl. Bryde, in. v. Münch [Begr.]/Kunig [Hrsg.], GG III, Art. 79 Rn. 45; ähnlich Evers, in: Kahl u. a. [Hrsg.], Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 [Lfg. 45, Oktober 1982] Rn. 193 f.) – einfachen Gerichtsbarkeit, wie sie hinsichtlich der Grundrechtskontrolle für möglich erachtet wird (Sommermann, in: v. Mangoldt [Begr.]/Klein [Fortf.]/Starck [Hrsg.], GG II, Art. 20 Rn. 326; Bryde, in: v. Münch [Begr.]/Kunig [Hrsg.], GG III, Art. 79 Rn. 45; ders., Verfassungsentwicklung, S. 237; Dreier, in: ders. [Hrsg.], GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 34), dürfte allerdings im Hinblick auf die Überprüfung verfassungsändernder Gesetze am Maßstab der Föderativklausel des Art. 79 Abs. 3 GG ausscheiden. Denn anders als bei der Grundrechtskontrolle stehen sich bei allen in diesem Zusammenhang denkbaren Streitkonstellationen der Revisionsgesetzgeber und ein Landesorgan, also: zwei staatliche Organe, gegenüber. 746 Zur Gesamtthematik Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 45 i.V. m. 48; ders., Verfassungsentwicklung, S. 237; Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 193 f.; Alberts, Die Änderungsbefugnisse der Legislative im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 98 ff., 128 ff.; vgl. auch Sommermann, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 20 Rn. 326; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 75; Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 37; mit spezifischem Blick auf die Grundrechtskontrolle Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG II, Art. 79 Abs. 3 Rn. 34; bezüglich der Verfassungsgerichtsbarkeit für föderative Streitigkeiten vgl. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeit, S. 124.

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

Verfassungsgerichtsbarkeit747 sowie der Reichweite der notwendigen Prüfungskompetenzen748 unterschiedliche Positionen vorherrschen, besteht (jedenfalls unter denjenigen, die diesen Themenkomplex explizit ansprechen) Einigkeit darüber, dass die Garantie einer effektiven Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns von Art. 79 Abs. 3 GG umfasst wird749. Somit ist die hier entwickelte Position zur spezifischen Fragestellung, ob die Bestandsgarantie auch eine wirksame Überprüfung der Befolgung ihrer eigenen Maßgaben umfasst, mit dem im Schrifttum zur übergeordneten Problematik der Verfassungskontrolle vertretenen Standpunkt vereinbar. Und weiterhin könnte auf Grundlage dieses Standpunktes mit Blick auf die hiesige, spezifische Problemstellung argumentiert werden: Umfasst Art. 79 Abs. 3 GG die Garantie einer wirksamen Verfassungsmäßigkeitskontrolle, so ist angesichts der im Grundlagenteil dieser Untersuchung herausgearbeiteten dogmatischen Sonderfunktion der Ewigkeitsklausel als effektive Verfassungsschutznorm nicht einsichtig (bzw. bedarf es jedenfalls eines erheblichen Argumentationsaufwandes zu begründen), warum ausgerechnet die Kontrolle der Befolgung des mit Blick auf die besagte Schutzfunktion allen anderen Verfassungsvorschriften normenhierarchisch übergeordneten Art. 79 Abs. 3 GG selbst nicht von dieser Garantie umfasst sein sollte. Fazit: Nach alldem spricht vieles dafür, dass die Existenz eines Organs, das zur Kontrolle der Beachtung der Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG befugt ist, ebenfalls von der Revisisonsklausel erfasst wird. Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt bedeutet das bis hierhin: Aus den Befugnissen, die diesem Kontrollorgan von Verfassungs wegen zugewiesen werden, muss sich die Möglichkeit ergeben, überprüfen zu lassen, ob ein Novellierungsgesetz das Grundgesetz dahingehend ändert, dass eine angemessene Länderfinanzausstattung nicht mehr verfassungskräftig abgesichert wird.

747 Eine Revisionsfestigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit bejahen Alberts, Die Änderungsbefugnisse der Legislative im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 128 ff.; a. A. Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 193 f.; Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 45 i.V. m. 48; ders., Verfassungsentwicklung, S. 237; Sommermann, in: v. Mangoldt (Begr.)/Klein (Fortf.)/Starck (Hrsg.), GG II, Art. 20 Rn. 326; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 79 Rn. 75. 748 Dazu Evers, in: Kahl u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 (Lfg. 45, Oktober 1982) Rn. 193 f.; Alberts, Die Änderungsbefugnisse der Legislative im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 98 ff.; Bryde, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), GG II, Art. 79 Rn. 48. 749 Vgl. dazu die in Fn. 747 Genannten mit Ausnahme von Sachs, der zwar die Änderungsfestigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit unter Verweis u. a. auf Evers, Bryde und Sommermann ablehnt, sich aber anders als diese nicht auch mit der Frage auseinandersetzt, ob zumindest eine wirksame Verfassungsmäßigkeitskontrolle von Art. 79 Abs. 3 GG umfasst wird.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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b) Aber allein mit einer Möglichkeit zur Überprüfung, ob die substantiellen Verfassungsgüter weiterhin ordnungsgemäß in der Bundesverfassung verankert sind, ist für die Sicherung der praktischen Durchsetzung der Inhalte des Art. 79 Abs. 3 GG noch wenig erreicht, da auf diesem Weg einer Aushebelung der Wirksamkeit der durch die Ewigkeitsklausel garantierten Rechtspositionen durch schlichte Nichtbefolgung des entsprechenden einfachen Verfassungsrechts nicht entgegengetreten werden kann. Dazu wäre über den bisher begründeten Kontrollumfang hinaus insoweit (also: lediglich in Bezug auf die durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierte Verfassungssubstanz) eine Justitiabilität auch des einfachen Verfassungsrechts erforderlich. Kehrt man zu dem eingangs aufgegriffenen Befund zurück, dass in der Ewigkeitsgarantie nicht bloß ein symbolisches Bekenntnis zu den Staatsfundamentalgrundsätzen niedergelegt ist und daher Art. 79 Abs. 3 GG als effektive Verfassungsschutznorm, soweit als möglich, auch die praktischen Wirksamkeitsvoraussetzungen seiner Schutzgüter absichert, so müsste die Bestandsklausel auch die Verankerung der besagten Kontrollmöglichkeit im Grundgesetz einfordern. Denn ohne die beschriebene Ausweitung des Prüfungsumfangs kann die effektive Geltung der Kerninhalte des Grundgesetzes wie dargelegt nicht gewährleistet werden. Mit spezifischem Blick auf die hier relevante Fragestellung folgt daraus erstens: Die Befugnisse, die dem oben in Bezug genommenen Kontrollorgan verfassungsrechtlich zugewiesen werden, müssen eine Prüfung der Frage ermöglichen, ob eine angemessene Länderfinanzausstattung zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt gegebenenfalls nur durch die Gewährung von Bundeshilfen sichergestellt werden kann. Bejahendenfalls muss zweitens der Bund mit Blick auf seine Garantenstellung hinsichtlich einer hinreichenden Länderfinanzausstattung750 zur Bereitstellung der notwendigen Mittel verpflichtet werden können. Denn andernfalls könnte die durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierte Eigenstaatlichkeit der Länder durch eine Unterfinanzierung von Gliedstaaten unterhöhlt werden. Da ferner regelmäßig nur ein Not leidendes Land Interesse an einer Einleitung des Prüfvorganges haben wird und insoweit ein effektiver Schutz der Länderstaatlichkeit auf anderem Weg kaum sichergestellt werden könnte, dürfte sich drittens der Spielraum bei der prozessualen Ausgestaltung der dargelegten Vorgaben hinsichtlich der Verfahrenseinleitung darauf reduzieren, den Ländern selbst (bzw. einem/mehreren ihrer Organe) eine Befugnis zur direkten oder mittelbaren751 Initiierung der Kontrolle einzuräumen. 750

Vgl. oben unter bb). Da Art. 79 Abs. 3 GG den Verfassungsgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems der Verfassungskontrolle weder zur Beibehaltung einer spezifischen Verfassungsgerichtsbarkeit noch (grundsätzlich) zur Aufrechterhaltung konkreter Prüfungs- und Antragsbefugnisse verpflichtet (zum Ganzen in diesem Abschnitt unter 1., vgl. ferner Bryde, in: v. Münch [Begr.]/Kunig [Hrsg.], GG II, Art. 79 Rn. 48 mit Nachweisen auch zur Gegenauffassung), müsste den Ländern nicht zwingend ein unmittelbares Antragsrecht beim Verfassungsgericht bzw. beim zur Verfassungskontrolle befugten Organ ein751

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

c) Fazit: Sollte im Ernstfall der Bund die Erfüllung seiner Garantieverpflichtung verweigern oder die Gewährung von Finanzhilfen an Bedingungen knüpfen, die inhaltlich in den autonomen Verfügungsspielraum von Landespolitik hineinreichen – sicherlich nicht die abwegigsten Szenarien –, müssten die Länder sich auf eine verfassungsrechtlich ausdrücklich verbriefte und nötigenfalls einklagbare Garantie berufen können. Denn der mit Blick auf die Erfüllung eigener Sachaufgaben essentielle politische Handlungsspielraum der Gliedstaaten könnte allein durch frei verfügbare Gelder wiederhergestellt werden: Ist eine strukturelle Unterfinanzierung der Länder in der Bundesverfassung angelegt, müssen Folgesituationen verhindert werden, in denen die Länder als Bittsteller beim Bund vorstellig werden und sich aus einer Position finanzieller Schwäche heraus möglicherweise Autonomiebeschränkungen abhandeln lassen müssten – um an Gelder zu kommen, die ihnen mit Blick auf die Absicherung ihrer Staatlichkeit aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel bedingungslos zu überweisen wären752. 3. Die unter 1. und 2. dargelegten Erfordernisse sollten aber nur bzw. erst dann zum Tragen kommen, wenn in der Praxis eine angemessene Ausstattung eines Landes/mehrerer Länder mit Haushaltsmitteln tatsächlich über einen gewissen Zeitraum nicht mehr gewährleistet werden könnte753. Denn sollte diese Forderung unabhängig vom Eintritt des Sicherungsfalls erhoben werden, könnte der Novellierungsgesetzgeber dem Verdikt verfassungswidrigen Verhaltens nur entgehen, indem er in jedem Fall (eine) bedarfsabhängig greifende und einklagbare Ausgleichsklausel(n) im Grundgesetz verankerte. Diese Obligation dürfte aber kaum mit der oben herausgearbeiteten Wahlfreiheit des Revisionsgesetzgebers bei den Sicherungsmitteln vereinbar sein: Meint der verfassungsändernde Gesetzgeber, die gebotene Absicherung der Länderfinanzen auch ohne solche Klauseln erreichen zu können, so ist diese Einschätzung zu respektieren. Sobald allerdings der Sicherungserfolg entfällt, muss die Bundesverfassung Kompensationsinstrumente vorhalten, auf deren Grundlage Bundesmittel an Notlageländer fließen können, um einen (mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG) verfassungswidrigen Zugeräumt werden. In Betracht käme beispielsweise auch ein Beschwerderecht der Gliedstaaten vor einem zur Schlichtung von Bund-Länder-Streitigkeiten zuständigen Ombudsrat, das die zu klärenden Fragen dann nötigenfalls dem Verfassungskontrollorgan vorlegen könnte (Inzidentkontrolle). 752 Gleichwohl dürfte ein Notlageland im Zweifel eher Bundesübergriffe hinnehmen, als auf das Geld zu verzichten. Denn zum einen würde ein langwieriger Verfassungsprozess viel Zeit beanspruchen, die ein Not leidendes Land in der Regel nicht hat; zum anderen bestünde das Risiko, am Ende mit leeren Händen dazustehen. 753 Im Vorfeld der Festellung eines Sicherungsfalles wird man dem Bundesgesetzgeber ab dem erstmaligen Auftreten fiskalischer Schwierigkeiten eine gewisse Karenzzeit einräumen müssen, innerhalb der er durch einfachgesetzliche Maßnahmen (nach derzeitiger Verfassungsrechtslage bspw. durch Steuererhöhungen auf Grundlage des Art. 105 Abs. 2 GG) oder verfassungsgesetzliche Modifikationen der bundesstaatlichen Kompetenz- und/oder Finanzordnung eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung wiederherstellen könnte.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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stand abwenden zu können. Fehlen diese Instrumente dann, ist der verfassungsändernde Gesetzgeber gefordert, die Länderfinanzgarantie per Verfassungsänderung wiederherzustellen. ee) Folgerungen mit Blick auf das derzeitige Bundesverfassungsrecht Da – soviel sei vorweggenommen – die aktuelle föderative Finanzordnung des Grundgesetzes mit Blick auf die besagte Bundesgarantenstellung noch eingehend zu betrachten sein wird, hier nur soviel: Sollte die Bundesverfassung den Ländern vor dem Hintergrund der Kompetenzverteilung der Art. 83 ff., 70 ff., 30 GG i.V. m. den Lastentragungsregeln der Art. 104a Abs. 1 bis 5 GG eine aufgabenangemessene Finanzausstattung im Vorfeld des horizontalen Finanzausgleichs nicht sichern können und auch der gegenwärtige754 horizontale Finanzausgleich auf Grundlage der Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG selbst trotz Ausschöpfung des verfassungsrechtlichen Spielraums bis an die Grenzen des (von der Verfassungsrechtsprechung mit Blick auf Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG entwickelten) Nivellierungs-755 bzw. Schwächungsverbots756 nicht ausreichen, um den Ländern adäquate Finanzpositionen zu gewährleisten, so müsste der Bund für das Legislativversagen seiner Verfassungsrevisionsorgane (Bundestag und Bundesrat, vgl. Art. 79 Abs. 2 GG) einstehen und den entsprechenden Fehlbedarf aus eigenen Mitteln decken. Diese Transfers müssten auf Grundlage geschriebener grundgesetzlicher Ausgleichsinstrumente sowohl abgewickelt als auch notfalls von Länderseite erzwungen werden können. e) Ergebnis zu 2. Es kann auf das oben757 Festgehaltene verwiesen werden, jedoch mit folgenden Zusätzen: 1. Gemeinschaftsrecht vermag die Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG nicht zu modifizieren. 2. Wie das Gebot einer verfassungskräftigen Absicherung angemessener Finanzausstattungen umzusetzen ist, determiniert Art. 79 Abs. 3 GG zwar nicht. Der Bund hat aber als alleiniger Träger der Revisionsbefugnis für das Grundge754 Vgl. §§ 4 bis 10 des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I, S. 3955 [3956]), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 27. Mai 2010 (BGBl. I, S. 671). 755 Vgl. hierzu BVerfGE 72, 330 (390); Selmer, VVDStRL 52 (1993), 10 (49 ff.); Häde, Finanzausgleich, S. 238 ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 612 f.. 756 Dazu Hidien, DÖV 1998, 501 (502); Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 177; Kramer, Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung, S. 78 f. 757 Unter b) gg).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

setz eine Garantenstellung bezüglich der Herbeiführung des Sicherungserfolges inne, die ihn dazu verpflichtet, nötigenfalls unter Aufwendung eigener Mittel für aufgabengerechte Landesfinanzausstattungen zu sorgen. 3. Die Länder(-gesamtheit) müssen (muss) grundsätzlich nicht für die finanziellen Folgen eines derartigen revisionsgesetzgeberischen Versagens des Bundes (mit-)einstehen. 4. Da eine rechtsstaatliche Verfassung den unmittelbaren Schluss von einer Aufgabe auf Befugnisse verbietet und an der Erfüllung dieser Einstandspflicht für ein Notlageland gegebenenfalls der Erhalt staatlichkeitswahrender Finanzhilfen hängt, müsste die Garantieverpflichtung des Bundes im Sicherungsfall sowohl über geschriebene grundgesetzliche Ausgleichsinstrumente abgewickelt als auch nötigenfalls eingeklagt werden können. Meint der Revisionsgesetzgeber, für die Absicherung der Länderfinanzen auf die Verankerung entsprechender Vorschriften in der Bundesverfassung verzichten zu können, ist dies vor dem Hintergrund der gebotenen restriktiven Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG zwar prinzipiell mit der Ewigkeitsklausel vereinbar758 – allerdings nur, solange diese Rechnung aufgeht. Sobald dies nicht mehr der Fall ist, ist der Revisionsgesetzgeber aufgefordert, (durch die Verankerung solcher Ausgleichsklauseln oder anderweitig759) für die finanzielle Absicherung der Gliedstaaten zu sorgen. Das bedeutet: Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann sich nur dann in jedem Fall auf der sicheren Seite wähnen, sofern (vorsorglich) entsprechende Sicherungsinstrumente im Grundgesetz verankert wurden. 5. Mit Blick auf die derzeitige Verfassungsrechtslage bedeutet das: Reichen die primäre bundesstaatliche Finanzverteilung auf Grundlage der Art. 105 bis 107 Abs. 1 GG sowie der horizontale Finanzausgleich gemäß Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG nicht aus, um vor dem Hintergrund der aktuellen grundgesetzlichen Kompetenzordnung i.V. m. den Lastentragungsregeln der Art. 104a Abs. 1 bis 5 GG jedem Land aufgabengerechte Mittel zu sichern, ist der Bund verpflichtet, auf Grundlage geschriebener Handlungsinstrumente seiner Verfassung, mit eigenen Mitteln einzuspringen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung muss seitens der Länder verfassungsprozessual durchgesetzt werden können. II. Ergebnis zu B. 1. Die Staatsqualität der Länder ist mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG nur dann gewahrt, wenn ihnen ein Kernbestand an Aufgaben unentziehbar als Hausgut verbleibt760. Dieser Aufgabenbestand muss geeignet sein, für den Erhalt der Länder als politische Entscheidungszentren zu garantieren761. 758 759 760

Oben unter Punkt zwei. Vgl. abermals unter Punkt zwei. Vgl. oben unter I.

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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2. Aus den bereits oben762 resümierten Gründen gehören weder im Speziellen die Kreditautonomie noch im Allgemeinen inhaltliche Budgetentscheidungen zum absoluten Hausgut der Länder – jedenfalls nicht umfassend. 3. Wohl aber fordert Art. 79 Abs. 3 GG die verfassungskräftige Absicherung der finanziellen Voraussetzungen der Entfaltung von Landestaatlichkeit: Dass Grundgesetz muss sicherstellen, dass jedem im Betrachtungszeitpunkt existierenden Land dauerhaft eine aufgabenangemessene Finanzausstattung zur Verfügung steht763. 4. Dabei bemisst sich das Vorliegen der Angemessenheit, nach Maßgabe des unter Punkt eins Gesagten, insbesondere danach, ob jedem Land nach Abzug aller (vor-)festgelegten Haushaltsposten noch ein hinreichender fiskalischer Handlungsspielraum verbleibt, der ihm ein Minimum an eigenständiger Politikgestaltung ermöglicht764. 5. Zu den in weite(re)m Umfang determinierten Posten auf der Ausgabenseite der Länderhaushalte trägt auch die (Letzt-)Verantwortung der Länder für die Bereitstellung einer aufgaben(- bzw. Art. 28 Abs. 2-)gerechten kommunalen Finanzausstattung bei765. 6. Da der demokratische Bundesstaat nicht existenzfähig ist, wenn die zentralen Lebensumstände in seinen Teilen nicht wenigstens annähernd einheitlich sind, ist die Finanzaufstellung eines Landes nur angemessen, wenn es seine determinierten Aufgaben sowie seinen politischen Gestaltungsspielraum unter der Maßgabe erfüllen bzw. nutzen kann, dass wesentliche Lebensverhältnisse seiner Bürger nicht dauerhaft und deutlich hinter dem Länderdurchschnitt zurückbleiben766. 7. Um die so umschriebene (landes-)staatliche Handlungsfähigkeit auch in Sonderlagen aufrechterhalten zu können, darf den Ländern die Möglichkeit zur Nettokreditaufnahme in Ausnahmesituationen nicht genommen werden, deren Präzisierung ihnen weit(est)gehend selbst überlassen bleiben muss767. 8. Art. 79 Abs. 3 GG lässt zwar die freie Wahl der Mittel. Garantiert die Bundesverfassung aber nicht anderweitig für eine hinreichende Länderfinanzausstattung, so muss das Grundgesetz mittels geschriebener und einklagbarer Handlungsinstrumente sicherstellen, dass der Bund nötigenfalls mit eigenen Mitteln einzuspringen hat768. 761 762 763 764 765 766 767 768

Vgl. oben unter I. 2. b) bb). Unter I. 1. c). Vgl. oben unter I. 2. b). Vgl. oben unter I. 2. b) dd). Auch hierzu unter I. 2. b) dd). Vgl. bereits die Zwischenresümees unter I. 2. b) ff) (2) (b) (jj) bzw. (c). Vgl. oben unter I. 2. b) ee). Vgl. unter I. 2. d).

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3. Teil: Der Prüfungsmaßstab: Art. 79 Abs. 3 GG

C. Ergebnis zu § 2 1. Ausgangspunkte für die Präzisierung der (Länder-)Staatlichkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sind, nach Maßgabe des hier favorisierten funktional-systematischen Problemzugriffs, (prinzipiell) auf Grundlage der Grundgesetz-Erstfassung durchzuführende Analysen zum einen der normativen Konkretisierungen des föderalen Prinzips sowie zum anderen des Zusammenwirkens der Bundesstaatlichkeit mit den anderen Strukturgrundsätzen der Bundesverfassung. 2. Der erste, weichenstellende Befund dieser Untersuchungen lautet: Charakteristika der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes – und damit der Länderstaatlichkeit im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG – sind a) eine auf einem Mindestmaß autonomer Gestaltungsmöglichkeiten basierende (insbesondere vertikal) gewaltenbalancierende Funktion der Gliedstaaten, zugleich aber b) auch ein stark unitarischer Grundzug, der aus einer intensiven Einbindung der Länder in die Erfüllung von Aufgaben und Erfordernissen des Gesamtstaats resultiert769. 3. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen gegenläufigen Merkmalen kann nicht einseitig aufgelöst werden. Dementsprechend zeigte sich im Rahmen der weiteren Untersuchungen, dass zwar das formelle Haushaltsrecht zu den unentziehbaren Kernkompetenzen der Länder(-parlamente) gehört, nicht aber eine umfassende Entscheidungshoheit in inhaltlichen Budgetfragen – und daher, mit Blick auf die Schuldenregel der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5; 143d Abs. 1 Sätze 1–4, Abs. 2, 3 GG n. F., auch keine weitreichende Kreditautonomie770. 4. Damit die Länder (mit Blick auf die Staatlichkeitsproblematik insbesondere) ihre gewaltenbalancierende Funktion mittels politischer Gestaltung wahrnehmen, aber auch ihre gesamtstaatlichen Aufgaben ordnungsgemäß ausüben können, muss die Bundesverfassung den Gliedstaaten jederzeit eine (aufgaben-)angemessene Finanzausstattung garantieren771. 5. Garant für die Herbeiführung des Sicherungserfolgs ist kraft seiner exklusiven Revisionskompetenz hinsichtlich des Grundgesetzes der Bund772.

§ 3 Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens Zwar wurde der novellierungsfeste Grundsatz der Bundestreue im Rahmen dieser Arbeit bereits im Zusammenhang spezifischer Teilfragen der Fiskal-773 769 770 771 772

Vgl. zu beidem oben unter A. IV. Vgl. hierzu das Zwischenresümee unter B. I. 1. c). Vgl. hierzu das Zwischenresümee unter B. I. 2. b) gg). Vgl. dazu das Zwischenresümee unter B. I. 2. e).

2. Kap.: Mit Blick auf die Aufgabenstellung: Föderative Schutzgüter

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bzw. Einheitlichkeitsproblematik774 (hinsichtlich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet) punktuell in Bezug genommen. Jedoch könnte auch schon der grundlegende Umstand, dass der Bund den Ländern kraft seiner Verfassung (konkret: mittels der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Sätze 1–4, Abs. 2, 3 GG) die Möglichkeit zur strukturellen (Netto-)Kreditaufnahme komplett aus der Hand schlägt, die – dem revisionsfesten Gebot der Bundestreue innewohnende – föderative Kernpflicht des Bundes zur Rücksichtnahme auf seine Glieder betreffen. Allerdings könnten in den zuvor behandelten Teilgehalten der Länderstaatlichkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG die spezielleren Regelungen für die hiesige Problemstellung erblickt werden – was das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens vorliegend als zusätzlichen Prüfungsmaßstab sperren würde. Gegen ein Zurücktreten der Bundestreue könnte mit dem Argument jeweils verschiedener ideeller Wurzeln der beiden in Rede stehenden Art. 79 Abs. 3-Schuzgüter argumentiert werden: Während den aus der Staatlichkeitsgarantie folgenden Regelungsgrenzen des Bundes primär der funktionale Grundgedanke (insbesondere) der (vertikalen) Gewaltengliederung zugrunde liegt775, entspringt das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens dem Leitbild bündischer Solidarität776 – und damit nicht der Autonomie-, sondern der unitarischen (Grund-)Komponente des bundesstaatlichen Prinzips777. Andererseits: In Bezug auf den vorliegenden Sachverhalt haben beide Prinzipien sehr ähnliche inhaltliche Angriffsrichtungen. Sie wirken (bzw. hinsichtlich der Bundestreue: könnten), mit spezifischem Blick auf die Notwendigkeit, die budgetären Entscheidungsspielräume und die (finanz-)staatliche Handlungsfähigkeit der Länder zu wahren, als Kompetenzausübungsschranken für den verfassungsändernden Bundesgesetzgeber (wirken). Aufgrund der gebotenen Vorsicht bei der Berufung auf die Bundestreue als Grundsatz des ungeschriebenen Verfassungsrechts spricht indessen vorliegend mehr dafür als dagegen, die konkreten Gemeinsamkeiten stärker zu gewichten als die verfassungstheoretischen Unterschiede. Die Bundestreue soll daher im hiesigen Kontext als lex generalis gegenüber der Staatlichkeitsgarantie zurücktreten und nicht als zusätzlicher Prüfungsmaßstab bemüht werden.

773 774 775 776 777

Vgl. oben unter § 2 B. I. 2. a) cc). Vgl. oben unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (dd). Vgl. hierzu oben unter § 2 A. II. 1. Dazu ausführlich Bauer, Die Bundestreue, S. 377 ff. Vgl. hierzu oben unter § 2 A. III.

Vierter Teil

Anwendung auf die neue Rechtslage Erstes Kapitel

Vorüberlegungen Bleibt zu klären, ob der im Hinblick auf das Schuldenregime der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5; 143d Abs. 1 Sätze 1–4 GG konkretisierte Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG vom Inhalt der angeführten Normen berührt wird. Dazu ist der erarbeitete Maßstab an die obigen Vorschriften (gegebenenfalls zuzüglich weiterer Normen der Bundesverfassung) anzulegen. Zunächst muss aber ein korrespondierender Prüfungsgegenstand gefunden (§ 1) und zudem geklärt werden, zu welchem Zeitpunkt die Beurteilung zu erfolgen hat (§ 2).

§ 1 Prüfungsgegenstand Zunächst erscheint es nahe liegend, die Schuldenregel der Länder, wie zu Beginn der Analyse beabsichtigt778, einer isolierten Prüfung zu unterziehen. Sofern man die materielle Haushalts- bzw. Kreditautonomie der Länder als adäquaten Prüfungsmaßstab erachtet779, ist dies auch zutreffend, da für eine Beurteilung insoweit die gesonderte Betrachtung der Verschuldungsvorschriften ausreicht. Nach der hier vertretenen Auffassung zählt jedoch nicht die Kreditautonomie, sondern allein eine aufgabenadäquate Finanzausstattung zu den notwendigen Voraussetzungen der Länderstaatlichkeit. Weil aber alle auf einen Landeshaushalt einwirkenden Faktoren in ihrer Gesamtheit dafür verantwortlich sind, ob im Ergebnis eine hinreichende Finanzausstattung verbleibt, muss der Kontrollgegenstand für diesen Prüfungsmaßstab aus sämtlichen Grundgesetzvorschriften gebildet werden, die Einfluss auf die Zusammensetzung der Länderbudgets haben. Eine normenhierarchische Betrachtung verifiziert diesen Befund: Wollte man die restlichen Verfassungsnormen, die auf die Länderfinanzen durchschlagen, außen vor lassen und nur die Schuldenregel hinterfragen, so würden die Kriterien für das (Nicht-)Vorliegen verfassungswidrigen Verfassungsrechts nicht allein dem inso778

Oben im zweiten Kapitel des ersten Teils. Etwa H.-P. Schneider, Schuldenregelungen des Bundes für die Haushaltswirtschaft der Länder – Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, FöKoDrs. 134, S. 29 ff. 779

1. Kap.: Vorüberlegungen

231

weit anderen Normen übergeordneten780 Art. 79 Abs. 3 GG entnommen: Wie eben gezeigt wurde781, gibt die Vorschrift nur den Standard, nicht aber die Instrumente zur Zielerreichung vor. Dass vor diesem Hintergrund die Regelungsgehalte der nicht zur Disposition gestellten Vorschriften die Ausgleichsmöglichkeiten im Fall einer unzureichenden Finanzausstattung von vornherein auf eine regelmäßige Kreditaufnahme reduzieren würden, käme einer unzulässigen Verschärfung der Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG durch einfache Verfassungsnormen gleich, denen der Prüfungsgegenstand in der Normenhierarchie gleichgeordnet ist. Fazit: Bei der Bildung des Prüfungsgegenstandes aus der Gesamtheit der Verfassungsnormen, die zum Betrachtungszeitpunkt auf die Länderhaushalte einwirken, handelt es sich nicht um eine unzulässige Ausdehnung des Zugriffs von Art. 79 Abs. 3 GG über die in Rede stehende Verfassungsmodifikation (Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5; 143d Abs. 1 Sätze 1–4 GG) hinaus. Vielmehr gebieten erstens die konstruktive Struktur der konkreten Maßgabe (verfassungskräftige Absicherung angemessener Finanzausstattungen) sowie zweitens das angeführte normenhierarchische Argument, das infolge der konkreten Änderung modifizierte einschlägige Normengefüge insgesamt zu überprüfen782. Dagegen könnte schließlich auch nicht eingewendet werden, dass selbst in der Totalität der Verfassungsvorschriften, die die Zusammensetzung der Länderhaushalte beeinflussen, kein adäquater Prüfungsgegenstand für den Maßstab der Garantie angemessener Länderfinanzpositionen zu erblicken sei, da nicht so sehr das einschlägige Verfassungsrecht selbst, sondern primär die Gesamtheit der einfachgesetzlichen Konkretisierungen dieser Vorschriften die Struktur der Länderbudgets festlegten. Denn Art. 79 Abs. 3 GG kann Maßstab ausschließlich für verfassungsändernde Gesetze gemäß Art. 79 Abs. 1, 2 GG, nicht auch für einfache Gesetze sein. Aus diesem Grund kann die Revisionsklausel erstens ausschließlich eine verfassungskräftige Absicherung der Länderfinanzen einfordern, und ist es zweitens nicht statthaft, den Prüfungsgegenstand entsprechend zu erweitern. Aus einem Blickwinkel, der sowohl das Verfassungs- als auch das einfache Recht erfasst, ergibt sich: Sollte es dem einfachen (Bundes-)Gesetzgeber über einen längeren Zeitraum hinweg möglich sein, die Gesamtheit der entsprechenden Steuer- bzw. (der bundesstaatlichen Finanz-)Verteilungsgesetze so auszugestalten, dass zwar – jede einzelne dieser Vorschriften bei isolierter Betrachtung mit der entsprechenden grundgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage vereinbar ist, – unter dem Strich aber eine flächendeckend angemessene Länderfinanzausstattung dennoch nicht gewährleistet werden kann, 780 781 782

Etwa Stern, Staatsrecht I, S. 113 f. Oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) aa). Vgl. bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (40).

232

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

dann muss davon ausgegangen werden, dass die föderativen Finanz- und Kompetenzordnungen der Bundesverfassung dem Bundesgesetzgeber insoweit keine hinreichenden Vorgaben machen – und infolgedessen die von Art. 79 Abs. 3 GG postulierte verfassungskräftige Absicherung aufgabenadäquater Länderfinanzen nicht mehr gewährleistet ist. Dann würde die Gesamtheit der einschlägigen Verfassungsvorschriften insoweit gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen783.

§ 2 Beurteilungszeitpunkt Ob den Ländern hinreichende Mittel verbleiben, kann ausschließlich anhand der Betrachtung konkreter Haushaltslagen und nur vor dem Hintergrund des zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt gültigen Verfassungsrechts beurteilt werden. Da sich die Aussagekraft des Prüfungsresultats infolgedessen immer auf den Einzelfall und den ihm zugrunde liegenden Beurteilungszeitraum beschränkt784, muss in der Praxis immer wieder aufs Neue kontrolliert werden, ob Kompetenzund Finanzordnung des Grundgesetzes noch geeignet sind, jedem Land eine angemessene Finanzausstattung zu gewährleisten. Sollte diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt sein, wäre der Revisionsgesetzgeber gefordert785. Zwar folgt aus dem Gesagten, dass Art. 79 Abs. 3 GG insoweit als Dauermaßstab für das entsprechende (Verfassungs-)Normengefüge fungiert; da aber auch dieser Umstand aus der strukturellen Beschaffenheit des Art. 79 Abs. 3-Postulats einer verfassungskräftigen Garantie zureichender Länderfinanzausstattungen resultiert, kann im beschriebenen Vorgehen keine unstatthafte Ausdehnung des zeitlichen Zugriffs der Revisionsklausel und damit auch keine unzulässige Verengung des revisionsgesetzgeberischen Spielraums erblickt werden, im Gegenteil: Stellt man die Möglichkeit zur kontinuierlichen Überprüfung des Sicherungserfolgs in Abrede, reduziert man gleichzeitig die Wahlfreiheit des Novellierungsgesetzgebers in Bezug auf das Wie der Erfüllung der Länderfinanzgarantie – und zwar auf Null. Denn wenn einerseits die stetige Aktualisierung des Urteils über die verfassungsgesetzgeberische Umsetzung dieser Fiskalsicherung nicht statthaft sein soll, andererseits aber Art. 79 Abs. 3 GG unbedingt eine durchgängige Absicherung der Länderfinanzen durch das Grundgesetz einfordert, dann könnte diese Maßgabe – soweit ersichtlich – allein durch die Verankerung von bzw. einer General-Ausgleichsklausel(n) in der Bundesverfassung erfüllt werden786. Wie

783 Im Übrigen gilt: Entsprechend würde (insoweit) auch das Gesamtgefüge der einfachgesetzlichen Vorschriften gegen die in Art. 20 Abs. 1 GG (! Landesstaatlichkeit) verankerte Länderfinanzgarantie verstoßen. 784 Dazu bereits oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) (einleitender Abschnitt). 785 Vgl. auch hierzu Aydin, KritV 93 (2010), 29 (40 f.). 786 Vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd).

2. Kap.: Prognosen

233

bereits angedeutet787, scheint daher die Option der fortwährenden Überprüfung des Garantieerfolgs auch mit Blick auf die bei der Anwendung des Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Zurückhaltung beim Übergriff in den verfassungsgesetzgeberischen Gestaltungsspielraum geboten zu sein. Zweites Kapitel

Prognosen Auf dieser Grundlage sind die Verschuldungsregelungen zu betrachten. Dabei muss zwischen dem Übergangszeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 (§ 2) und der Zeit ab dem 1. Januar 2020 (§ 1) unterschieden werden, da die Vorgaben der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 GG gemäß Art. 143d Abs. 1 Sätze 3, 4 GG erst ab diesem Datum uneingeschränkt greifen. Weil sich Aussagen zur Ausgestaltung der Finanzverfassung und zur Haushaltsstruktur der Länder insbesondere für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 nur im spekulativen Rahmen bewegen können, liegen zum jetzigen Zeitpunkt die für eine Beurteilung notwendigen Informationen noch gar nicht vor. Für beide Zeiträume können daher unter Zugrundelegung der aktuellen Rechts- und Budgetstruktur(en) allenfalls Prognosen abgegeben werden. Aus Gründen der inhaltlichen Relevanz wird zunächst der spätere Zeitraum betrachtet.

§ 1 Zeitraum ab dem 1. Januar 2020 Sollte bis zum Anfang des Jahres 2020 das Grundgesetz insoweit nicht geändert werden, hätten neben der Schuldenregel der Art. 109 Abs. 3 Satz 1–3, 5 i.V. m. 143d Abs. 1 Satz 4 GG auch – Art. 28 Abs. 2 GG788, – Art. 91a, 91b789, Art. 91e Abs. 2 Satz 2 i.V. m. Satz 1 i.V. m. Abs. 1, Art. 104b, Art. 120 GG (die allesamt leges speciales zu den allgemeinen Lastenverteilungsregeln des Art. 104a GG enthalten); 787

Oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd). I.V. m. denjenigen Normen der Bundesverfassung, aus deren Zusammenspiel sich die staatsorganisationsrechtliche Zuordnung der Kommunen zu den Ländern ergibt dazu eingehend im zweiten Kapitel des dritten Abschnitts unter § 2 A. III. 3. b). 789 Dass der Bund bei Art. 91a und 91b GG einen Teil der Ausgabenlast trägt und Maßnahmen nach Art. 91b GG geeignet sein können, längerfristig die Wirtschafts- und Einnahmestruktur eines Landes zu verbessern (BVerfGE 86, 148 [267]), ändert nichts daran, dass ein einzelnes Land regelmäßig nicht die Entstehung neuer Kosten gegen den Mehrheitsbeschluss aller Länder abwehren kann und durch die Gemeinschaftsaufgaben ein erheblicher Teil der ohnehin geringen freien Verfügungsmasse gebunden wird, vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Vorb. v. Art. 91a Rn. 5. 788

234

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

– 104a Abs. 1–5 i.V. m. • Art. 120a bzw. Art. 91e Abs. 1790 bzw. Art. 83 ff. i.V. m. Art. 70 ff. GG, • Art. 30 GG sowie – Art. 104a Abs. 6 und vor allem – Art. 105–108 GG Einfluss auf die Zusammensetzung der Länderhaushalte.

A. Hohe Determiniertheit der Länderhaushalte Durch die Wahrnehmung seiner Befugnisse aus einigen dieser Normen prägt der Bund die Einnahmen- und Ausgabenstruktur der Länder in hohem Maße mit (I.), wohingegen die Möglichkeiten der Länder, auf die Struktur ihrer Haushalte Einfluss nehmen zu können, äußerst begrenzt sind (II.). I. Weitreichender Bundeseinfluss auf die gliedstaatliche . . . 1. . . . Einnahmenstruktur Die vertikale Aufteilung der Steuererträge in Art. 106 GG ist als Mischsystem konzipiert, das Elemente eines Verbund- mit denjenigen eines Trennmodells kombiniert791: Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG weist das Aufkommen der ertragreichsten Steuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer) Bund und Ländern gemeinsam zu (sog. „Großer Steuerverbund“)792, wohingegen Art. 106 GG die Ertragshoheit über die übrigen Steuern dem Bund (Absatz 1), den Ländern (Absatz 2) und den Gemeinden/Gemeindeverbänden (Absatz 6) ungetrennt zuordnet793. In Bezug auf die Gliedstaaten folgt daraus: Neben der je hälftigen Beteiligung am Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer (Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG) sowie dem bundesgesetzlich festzulegenden Anteil am Aufkommen der Umsatzsteuer (Art. 106 Abs. 3 Sätze 3, 4; Abs. 4 Sätze 1, 2 GG), wird ihnen gemäß Art. 106 Abs. 2 GG die alleinige Ertragshoheit über die Vermögen- (Nr. 1) und die Erbschaftsteuer (Nr. 2), über die Verkehrsteuern, soweit sie nicht nach Absatz 1 dem Bund oder nach Absatz 3 Bund und Ländern gemeinsam zustehen

790 Art. 120a und Art. 91e Abs. 1 GG enthalten Spezialregelungen zu der in den Art. 83 ff. GG niedergelegten Verwaltungskompetenzzuordnung. 791 Dazu eingehend, Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 102 ff. 792 Abzüglich der Gemeindeanteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer (Art. 106 Abs. 5 bzw. 6 GG). 793 Mit Blick auf die kommunale Ertragshoheit an der Gewerbesteuer ist jedoch zu beachten, dass Bund und Länder durch eine Umlage an deren Aufkommen beteiligt werden können, vgl. Art. 106 Abs. 6 Sätze 4 f. GG.

2. Kap.: Prognosen

235

(Nr. 3), über die Biersteuer (Nr. 4) sowie über die Spielbankabgabe (Nr. 5) zugeordnet. Gleichzeitig räumt das Grundgesetz dem Bund in Art. 105 Abs. 2 GG eine konkurrierende Steuergesetzgebungskompetenz „über die übrigen794 Steuern [ein], wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 vorliegen“. Kraft dieser Normierungsbefugnis kann der Bundesgesetzgeber für die entsprechenden Steuerarten den jeweiligen Steuertatbestand795 regeln, wodurch er die entsprechenden Ertragsvolumina determinieren kann. Mit Blick auf die Steuern, deren Erträge den Ländern (partiell) zugewiesen werden, folgt daraus zum einen: Über die erste Tatbestandsvariante der Norm hat der Bund gesetzgeberischen Zugriff auf die Ausgestaltung der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer, von dem er auch jeweils durch den Erlass eines Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuergesetzes Gebrauch gemacht hat – einschließlich der oben genannten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Quantität des jeweiligen Aufkommens796. Zum anderen verleiht ihm Art. 105 Abs. 2 Var. 2 i.V. m. Art. 72 Abs. 2 GG – abgesehen von der Grunderwerbsteuer (vgl. Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG), die dem Ausnahmetatbestand des Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG unterfällt797 – auch das Gesetzgebungsrecht in Bezug auf diejenigen Steuerarten, deren Erträge gemäß Art. 106 Abs. 2 GG den Ländern allein zugeordnet sind, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtsstaatlichen Interesse eine Regelung erforderlich macht“ (Art. 72 Abs. 2 GG) bzw. der bis 1994 geltenden Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG zufolge: „soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert“. Auch 794 In Bezug auf die zuvor in Absatz 1 gelisteten ausschließlichen Bundes- und denknotwendig auch auf die entsprechenden Landesmaterien in Absatz 2a; da Absatz 2a dem Absatz 2 nachfolgt, kann sich die dort enthaltene Vokabel „übrigen“ grammatikalisch eigentlich nicht auf die Titel der ausschließlichen Landesgesetzgebung beziehen, insoweit eine Einordnung dieser Materien unter einem Absatz 1a stringenter gewesen wäre. 795 Steuersubjekt, -objekt, Bemessungsgrundlage, die auf Letztere anzuwendenden Steuersätze sowie etwaige Steuervergünstigungen auf allen Tatbestandsebenen. 796 Vgl. exemplarisch etwa bei der Einkommensteuer: §§ 1 (Steuersubjekt), 2 Abs. 1 Satz 1 (Steuerobjekt), 3–3c (objektive Steuerbefreiungen), 2 Abs. 5 Satz 1 i.V. m. Abs. 2–4 (Bemessungsgrundlage, Verweise auf diverse Frei-/Entlastungsbeträge etc.), 32a ff. (Steuertarif, Tarifbesonderheiten) EStG. 797 Dazu sogleich unter II. 1.

236

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

von der Normierungsbefugnis des Art. 105 Abs. 2 Var. 2 GG hat der Bund durch den Erlass eines Vermögen- (Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG)798, Erbschaft- und Schenkung- (Nr. 2), Feuerschutz-799, Rennwett- und Lotterie-800 (Nr. 3) sowie Biersteuergesetzes (Nr. 4)801, wiederum einschließlich der dargelegten Möglichkeiten, die Ertragsvolumina zu determinieren802, weitläufig Gebrauch gemacht803. Nimmt man schließlich seine (ebenfalls wahrgenommenen804) Gesetzgebungskompetenzen hinsichtlich der Festsetzung von Ergänzungsanteilen aus dem Gesamtländeranteil am Aufkommen der Umsatzsteuer zugunsten finanzschwacher Länder (Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 GG) sowie bezüglich des horizontalen (Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 i.V. m. Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 GG) und des (optionalen) vertikalen Finanzaugleichs (Art. 107 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. Satz 1 i.V. m. Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 GG) hinzu, so bleibt festzuhalten: Das Grundgesetz räumt dem Bund die Möglichkeit ein, die Einnahmenseiten der Länderhaushalte durch seine Steuer- und Finanzausgleichsgesetzgebung in sehr hohem Maß zu

798 Im Anschluss an BVerfGE 93, 121 wird die Vermögensteuer jedoch seit 1997 nicht erhoben. Das Vermögensteuergesetz hat indes (in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. November 1990, BGBl. I, S. 2467, zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Oktober 2001, BGBl. I S. 2785) weiterhin Bestand. 799 Das Vermögensteuergesetz sowie das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz datieren auf den 17. April 1974 (BGBl. I, S. 949 bzw. S. 933), das Feuerschutzsteuergesetz auf den 21. Dezember 1979 (BGBl. I, S. 2353). Diese Gesetze wurden damit vor der im Jahr 1994 vorgenommenen Revision des Art. 72 Abs. 2 GG, dessen Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage (Art. 105 Abs. 2 Var. 2 GG) zufolge vorliegen müssen, erlassen. Gemäß Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gilt Recht, das auf Grund des Art. 72 Abs. 2 GG in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, (grundsätzlich, vgl. Satz 2) als Bundesrecht fort. Weil aber das VStG auch nach der novellierten Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG (i.V. m. Art. 105 Abs. 2 Var. 2 GG) als Bundesrecht hätte erlassen werden können (! Erforderlichkeitsklausel!), muss Art. 125a Abs. 2 GG nicht (analog) bemüht werden. Das VStG, das ErbStG und das FeuerschutzStG gelten damit unabhängig von dieser Vorschrift als Bundesrecht fort. 800 Beim Rennwett- und Lotteriegesetz vom 8. April 1922 (RGBl. I, S. 393) handelt es sich um vorkonstitutionelles Recht, das aber gemäß Art. 125 Nr. 1 GG in Bundesrecht transformiert (und seitdem durch zahlreiche Novellierungen implizit bestätigt) wurde. 801 Biersteuergesetz vom 15. Juli 2009 (BGBl. I, S. 1870, 1908) zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. Juni 2011 (BGBl. I, S. 1090). 802 Vgl. wiederum beispielhaft §§ 2 Abs. 1 (Steuersubjekt, subjektive Befreiungen), § 1 Abs. 1 (Steuerobjekt) 10 ff. (Bemessungsgrundlage, Steuerbefreiungen, Freibeträge etc.), 19 (Steuersätze, Härteausgleich) ErbStG. 803 Ausführungen zur Spielbankabgabe (Nr. 5) finden sich nachfolgend unter II. 1. 804 Vgl. das Maßstäbe- sowie das Finanzausgleichsgesetz vom 9. September 2001 (BGBl. I S. 2302, zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 29. Mai 2009 [BGBl. I S. 1170]) bzw. vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3955 f., zuletzt geändert durch Art. 24 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 [BGBl. I S. 2592]).

2. Kap.: Prognosen

237

determinieren. Und von dieser Möglichkeit hat er auch weitestgehend Gebrauch gemacht805. 2. . . . Ausgabenstruktur Auf der anderen Seite ermöglicht das umfangreiche Register konkurrierender Gesetzgebungsmaterien in Art. 74 GG es dem Bundesgesetzgeber, auch die Ausgaben der Länder in weitem Umfang vorzugeben. Da nach Art. 104a Abs. 1 GG die Ausgabenverantwortung prinzipiell der Aufgabenverantwortung folgt und die Länder gemäß Art. 83 f. GG die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheit ausführen, belasten (insbesondere) die im Zuge der Ausführung von Bundes(sozial)gesetzen anfallenden Zweckausgaben die Haushalte der Länder – speziell diejenigen der strukturschwachen mit ihren überproportional hohen Soziallasten806 – in erheblichem Maße807. Schließlich tragen die Länder im Zusammenhang mit der Ausführung von Bundesgesetzen gemäß Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 GG sowohl bezüglich der Eigen- als auch der Auftragsverwaltung (Art. 85 GG) auch noch die Administrativkosten808. II. Kaum Einflussnahmemöglichkeiten der Länder selbst auf ihre . . . Die Ergebnisse aus einer Betrachtung der demgegenüber äußerst begrenzten Mitgestaltungsmöglichkeiten der Länder in Bezug auf die Strukturen ihrer Haushalte vervollständigen das bis hierhin skizzierte Bild. 1. . . . Einnahmen Die Kehrseite der oben809 geschilderten Konzentration der Steuernormierungsbefugnisse beim Bund ist die nahezu vollständige Verdrängung der Gliedstaaten aus diesem für eine Einflussnahme auf den Umfang ihrer Finanzausstattung

805

Vgl. Aydin, KritV 93 (2010), 29 (41). Zu diesem Zusammenhang vgl. bereits oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (1) (b) (bb) (b) (gg). 807 Renzsch, in: Baus/Fischer/Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellung für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat, S. 91 (92 ff.); ders., Ausgabenrestriktionen der Länder in Deutschland, S. 67 f., 95 ff.; ähnlich Korioth, Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates zu den Gesetzesentwürfen BT-Drs. 16/12410 und 16/12400, BR-Drs. 262/09 und 263/09, S. 5; vgl. auch H. P. Schneider, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen am 22. Juni 2007, FöKoDrs, 031, S. 12 f. 808 Vgl. auch dazu bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (41 f.). 809 Unter I. 1. 806

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

essentiellen Gesetzgebungsbereich. Den Ländern verbleibt hinsichtlich des (bereits oben810 dargestellten) Bereichs ihrer Ertragshoheit lediglich die Kompetenz zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer811 (vgl. Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG) sowie eine zumindest ergänzende Normierungsbefugnis hinsichtlich der Spielbankabgabe812, die auch die Kompetenz zur Regelung des Abgabensatzes beinhaltet813. Indessen reichen die Ertragspotentiale beider Steuerarten zusammengenommen nicht einmal annähernd aus, um den Ländern effektive Einflussnahmemöglichkeiten auf ihre Einnahmenvolumina zu eröffnen. Zur Orientierung: In Nordrhein-Westfalen belief sich das Aufkommen der Grunderwerbsteuer im Jahr 2010 bei Gesamtsteuereinnahmen von gut 38 Milliarden Euro lediglich auf ca. eine Milliarde Euro814, der Ertrag der Spielbankabgaben für denselben Zeitraum bundesweit gerade einmal auf 129 Millionen Euro815. 810

Unter I. 1. Zu den örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, für welche die Länder, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind, ebenfalls eine Gesetzgebungsbefugnis innehaben (Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG), deren Aufkommen aber nicht den Ländern, sondern den Gemeinden zugeordnet wird, vgl. sogleich unter 2. b) bb). 812 Die Spielbankabgabe ist als Steuer zu klassifizieren, vgl. etwa Koenig, in: ders. (Hrsg.), AO, § 3 Rn. 44. Eine Normierungsbefugnis der Länder besteht nicht nur dann, wenn dieser Regelungsteilbereich als Teil einer einheitlichen Materie des Spielbankrechts angesehen, mit dieser dem Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit gemäß Art. 70 GG als ausschließliche Landesbefugnis klassifiziert wird (vgl. etwa Lauer, Staat und Spielbanken, Rechtsfragen des Staatshandelns in einem Spannungsfeld zwischen Erwerbswirtschaft und Gefahrenabwehr, S. 96 f.), sondern auch, wenn die entsprechende Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 105 Abs. 2 Var. 2 GG grundsätzlich als konkurrierende Bundeskompetenz eingestuft wird. Zwar würde dann der einschlägige § 5 SpielbankenVO 1938 („[1] Der Spielbankunternehmer ist verpflichtet, an das Reich eine Abgabe zu entrichten (Spielbankabgabe). [2] Der Reichsminister des Inneren bestimmt im Benehmen mit dem Reichsminister der Finanzen die Höhe der Spielbankabgabe und die Art ihrer Verwendung.“) gemäß Art. 125 Nr. 1 GG als Bundesrecht fortgelten. Verkürzt man diesen aber um die zwischenzeitlich modifizierten (vgl. Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG) Regelungen über die Zuständigkeit und die Ertragshoheit, so reduziert sich die bundesrechtliche Festlegung auf die bloße Aussage, dass eine Spielbankabgabe zu entrichten ist. Da weiterhin die Länder gemäß Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung haben, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, bleibt es ihnen unbenommen, ergänzende bzw. präzisierende Regelungen zur Spielbankabgabe zu erlassen (eingehend zum Ganzen BFH, NVwZ-RR 1996, 167 [168]). 813 BFH NVwZ-RR 1996, 167 (168); von diesem Recht haben auch alle Länder Gebrauch gemacht, vgl. exemplarisch jeweils § 8 HessSpielbankG. bzw. BWSpielbankenG. 814 Quelle: Überblick über die Steuereinnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen im Haushaltsjahr 2010, abrufbar unter http://www.fm.nrw.de/haushalt_und_finanzplatz/ haushalt/02_steuereinnahmen/pdf_download/2010_st_ein_pdf.pdf (Seite zuletzt besucht am 27. Januar 2015). 815 Quelle: Überblick über die kassenmäßigen Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2006-2010, abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium. 811

2. Kap.: Prognosen

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Vor diesem Hintergrund verbleiben (bzw. bezüglich der zweiten Option: verblieben) den Gliedstaaten für eine nennenswerte eigenständige Einnahmenpolitik lediglich zwei Möglichkeiten: erstens die Vermögensveräußerung, der aber tatsächliche und – soweit die geplante Veräußerung, was den Regelfall darstellen dürfte, die öffentliche Infrastruktur betrifft – unter Umständen auch rechtliche Grenzen gesetzt sind. Denn in diesem Fall würde ein etwaiger Veräußerungsvorgang jedenfalls grundsätzlich Bezüge zum (einfachverfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 1, 2 GG verankerten) Mindesthomogenitätsgebot hinsichtlich der (Kern-)Lebensverhältnisse im Bund aufweisen: Wenn und soweit gegebenenfalls zu garantierende Standards nicht (vollständig) über eine bloße Gewährleistungsverantwortung des Landes abgesichert werden könnten816, müsste von einem Verkauf abgesehen werden. Zweitens blieb den Ländern – bisher – die regelmäßige Kreditaufnahme. 2. . . . Ausgaben a) Kosten der Erfüllung fremddeterminierter Aufgaben (im Besonderen: Ausführung von Bundesgesetzen)/hoher zeitlicher Bindungsgrad der Personalkosten Wie gezeigt wurde817, sind infolge der gliedstaatlichen Finanzierungsverantwortung hinsichtlich der Zweck- und Verwaltungskosten des Eigen- (Art. 83 f. GG) sowie der Verwaltungskosten des Auftragsvollzugs von Bundesgesetzen (Art. 85 GG) ohnehin bereits große Teile der Finanzmittel der Länder von vornherein ihrer Dispositionsgewalt entzogen. Hinzu kommen Festlegungen durch Bund-Länder- und EU-Programme sowie sonstige Verpflichtungen, unter denen die Personalausgaben eine herausgehobene Bedeutung einnehmen818: Aus der

de/nn_4158/DE/BMF__Startsete/Service/Downlads/Abt__I/0602221a6009__Steuerar ten__2006_E2_80_932010,templateId=raw,property=publicationFile.pdf (Seite zuletzt besucht am 2. Juni 2012). 816 Da die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum auch für finanzschwache Bürger zum finanzstaatlichen Kernangebot und damit zu den wesentlichen Lebensverhältnissen zählen dürfte, könnte dies (partiell) auf den sozialen Wohnungsbau zutreffen: Sollten sich aufgrund der (weitgehenden) Privatisierung dieses Aufgabenbereichs in einem Land die finanziellen Konditionen der Wohnraumversorgung für die Anspruchsberechtigten in Bezug auf den entsprechenden Länderdurchschnitt dauerhaft und deutlich verschlechtern, so müsste daraus geschlossen werden, dass der Staat – hier also: das Land – seine Garantieverpflichtung über eine reine Gewährleistungskontrolle nicht hinreichend zu erfüllen imstande wäre. 817 Vgl. oben unter II. 2. 818 Vgl. zum Ganzen Bofinger/Lenk/H.-P. Schneider, Zukunftsfähige Finanzpolitik, S. 54.

240

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

grundsätzlichen Zuordnung der Verwaltungskompetenzen zur Länderebene819 (deren signifikanteste Ausprägung die besagte Vollzugszuständigkeit für Bundesrecht gemäß Art. 83 ff. GG darstellt) resultiert für die Gliedstaaten ein im Vergleich zum Bund deutlich höherer Personalbedarf und folglich auch -stand. Daher werden die Länderhaushalte anteilig stärker durch Personalausgaben – hier wiederum fallen insbesondere die Pensionslasten ins Gewicht820 – belastet als der Bundeshaushalt. Da aber diese Pensionslasten und auch sonstige Personalkosten (etwa aufgrund der Tarifbindung der Länder hinsichtlich der im öffentlichen Dienst Beschäftigten) kurzfristig nicht bzw. nur in deutlich geringerem Maße als Sach- und Investivausgaben beeinflussbar sind, tritt zum rein quantitativen Aspekt der Festlegung von Landesmitteln insoweit das Problem der zeitlichstrukturellen Dimension der Bindung als weiterer die Fiskalgestaltungskraft der Länder verkürzender Umstand hinzu821. Insoweit zielt auch der Verweis auf eine Erweiterung der gliedstaatlichen Finanzgestaltungshoheit infolge der Aufhebung der konkurrierenden Bundesbefugnis für die Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Art. 74a GG a. F.) im Rahmen der Föderalismusreform I ins Leere822. Denn diese Kompetenzverlagerung mag den Ländern mittel- und langfristig gewisse Kostensenkungsspielräume eröffnen (obschon noch auf Grund der alten Rechtslage – also: weitgehend ohne Landeseinfluss – begründete Pensionslasten die Länderhaushalte noch auf Jahre belasten dürften); da die Gliedstaaten aber untereinander im Wettbewerb um die Staatsbediensteten stehen, sind der Personalkostensenkung faktische Grenzen gesetzt, und dürfte es daher zum einen einer Illusion gleichkommen zu glauben, aus der Übertragung der in Rede stehenden Besoldungskompetenz auf die Länder könnten signifikante Einsparmöglichkeiten abgeleitet werden. Zum anderen vermag die Kompetenzverschiebung auch nichts am grundsätzlich hohen Personalbedarf der Gliedstaaten zu ändern, der wie erwähnt letztlich in der Zuweisung (des Großteils) der Administrativbefugnisse durch die Art. 83 ff., 30 GG begründet liegt und in Verbindung mit dem in Art. 104a Abs. 1 GG verankerten Prinzip der Vollzugskausalität ausgabenseitig maßgeblich zur besagten Rigidität der Länderhaushalte beiträgt. Ob und gegebenenfalls inwieweit den Ländern darüber hinaus noch Möglichkeiten zur Einflussnahme auf ihre Ausgabenvolumina zukommen, soll im Folgenden getrennt nach den zugrunde liegenden Aufgabengebieten erörtert wer-

819 820 821

Vgl. dazu oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 A. II. 1. Dazu Fuest im Gespräch mit der FAZ (Ausgabe vom 29. März 2011, S. 13). Dazu Hildebrandt, Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Länder, S. 22,

161. 822

So argumentiert aber bspw. Seitz (Wirtschaftsdienst 2008, 340 [344]).

2. Kap.: Prognosen

241

den823. Nachdem soeben mit der regelmäßigen Vollzugs- und Finanzierungszuständigkeit der Länder für Bundesgesetze gemäß Art. 83 ff., 104a Abs. 1, 5 Satz 1 Hs. 1 GG der vorliegend (d. h. mit Blick auf das Kostenvolumen) relevante Teilbereich der fremdbestimmten Länderaufgaben bereits erörtert wurde, müssen zum einen noch diejenigen Ausgabenposten betrachtet werden, die im Zusammenhang mit der gliedstaatlichen Garantenstellung für eine aufgabengerechte Kommunalfinanzausstattung (potentiell) anfallen (können) (b)). Zum anderen müssen etwaige Gestaltungsspielräume bei der Finanzierung landesunmittelbarer Aufgaben in Betracht gezogen werden (c)). b) Ausgaben im Zusammenhang mit der fiskalischen Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich einer aufgabenadäquaten kommunalen (Mindest-)Finanzausstattung Zusätzliche Gestaltungsspielräume auf der Ausgabenseite ihrer Haushalte könnten sich für die Länder im Hinblick auf jene Kosten auftun, die im Zusammenhang mit ihrer Garantieverpflichtung für eine aufgabengerechte (Mindest-) Finanzausstattung ihrer Kommunen anfallen824. Die einfachgesetzliche Konkretisierung dieser Finanzierungsverantwortung (die ohnehin bereits gemäß Art. 70 GG umfassend in den Kompetenzbereich der Länder fällt825) hat die Bundesverfassung derzeit in Art. 106 Abs. 7 GG in Form eines obligatorischen (Satz 1) und ergänzenden fakultativen (Satz 2) Kommunalfinanzausgleichs teilweise vorgezeichnet und dem Landesgesetzgeber überantwortet. Aus dieser Regelungskompetenz ergeben sich für die Länder direkte Gestaltungsoptionen hinsichtlich der Ausgleichs- bzw. Zuweisungsvolumina, sprich: der entsprechenden Ausgabenposten in den Landeshaushalten (aa)). Zudem sind diesbezüglich etwaige mittelbare Einflussnahmemöglichkeiten in Betracht zu ziehen, die den Ländern aus ihrer Normierungsbefugnis für das Kommunal(aufsichts)recht erwachsen könnten (bb)). aa) Unmittelbare Einflussnahmemöglichkeiten Die ihnen durch Art. 106 Abs. 7 bzw. 70 GG verliehenen Gesetzgebungsrechte hinsichtlich der Gemeindefinanzen haben sämtliche (Flächen-)Länder im We-

823 Zur dieser Untersuchung zugrunde gelegten Aufgliederung der Landesaufgaben vgl. ausführlich im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b). 824 Näher oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. II. 2. b) cc); zu Abgrenzungen bzw. Überschneidungen mit anderen Länderverpflichtungen siehe ebd. 825 Wohl aus diesem Grund bezeichnet Henneke (in: Schmidt-Bleibtreu [Begr.]/Hofmann/Henneke [Hrsg.], GG, Art. 106 Rn. 138) die Regelung in Art. 106 Abs. 7 Satz 2 GG als eine deklaratorische.

242

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

sentlichen durch die Schaffung eines zweigliedrigen Kommunalfinanzausgleichs wahrgenommen: Der im Rahmen ihrer Landesverfassungen begründeten Konnexität zwischen Aufgabenverursachung und Ausgabenlast826 folgend, wird erstens ein aufgabenakzessorischer Finanzausgleich durchgeführt, der die Kostenerstattung bei landesgesetzlichen Aufgabenübertragungen regelt. Darüber hinaus werden im Rahmen eines allgemeinen Finanzausgleichs zweitens weitere Landeszuweisungen getätigt, die, nachdem der aufgabenakzessorische Finanzausgleich – theoretisch – die Finanzierung von im Hinblick auf die Erfüllungsmodalitäten weitgehend festgelegten Kommunalaufgaben gewährleisten soll, vor allem auf die Sicherung eines Mindestmaßes freier gemeindlicher Aktivität abzielen. Faktisch eröffnet ihre umfassende Regelungskompetenz in Bezug auf die Kommunalfinanzen den Gliedstaaten einen nicht unerheblichen fiskalischen Gestaltungsspielraum. Denn einmal abgesehen davon, dass es ihnen kraft ihrer Normierungsbefugnis sogar grundsätzlich827 freisteht, das derzeit vorherrschende landes(verfassungs)rechtliche Ausgleichssystem – einschließlich der Grundentscheidung für das Prinzip der Gesetzgebungskausalität – komplett zugunsten eines anderen Finanzierungskonzepts aufzugeben, ist bereits die Praxis des aktuellen Kommunalfinanzausgleichs durch die Versuche der Länder geprägt, den auf ihnen lastenden budgetären Anpassungsdruck zu Lasten ihrer Gemeinden/Gemeindeverbände abzumildern: 1. Aufgabenakzessorischer Finanzausgleich: Zwar bietet der aufgabenakzessorische Finanzausgleich de iure kaum Spielräume, um die Höhe der erforderlichen Ausgleichszahlungen zu beeinflussen. Denn zum einen umfassen nahezu alle828 ihm zugrunde liegenden landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsbestimmungen auf Tatbestandebene nicht bloß die (landesrechtliche) Übertragung von staatlichen, sondern von sämtlichen öffentlichen Aufgaben. Da hierzu auch die pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben zählen, scheidet eine Kostenabwälzung auf die Kommunen mittels Zuweisung in deren eigenen Aufgabenkreis – eigentlich – aus. Zum anderen folgen die in Rede stehenden Normen rechtsfolgenseitig, soweit ersichtlich, mittlerweile ausnahmslos dem strikten Konnexitätsprinzip und fordern für den Fall einer gemeindlichen Mehrbelastung durch die übertragene Aufgabe ausdrücklich einen „angemessenen“ oder sogar „entsprechenden“ Aus-

826 Art. 71 Abs. 3 BWVerf., Art. 83 Abs. 3 BayVerf., Art. 97 Abs. 3 BbgVerf., Art. 137 Abs. 6 HessVerf., Art. 72 Abs. 3 MVVerf., Art. 57 Abs. 4 NdsVerf., Art. 78 Abs. 3 Satz 2 NWVerf., Art. 49 Abs. 5 RhPfVerf., Art. 87 Abs. 3 SachsAnhVerf., Art. 120 SaarlVerf., Art. 85 Abs. 2 SächsVerf., Art. 49 Abs. 2 SchlHVerf., Art. 93 Abs. 1 ThürVerf. 827 Zu den verfassungsrechtlichen Schranken des Regelungsspielraums sogleich unter III. 2. b). 828 Einzige Ausnahme: Art. 93 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf.

2. Kap.: Prognosen

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gleich829, anstatt den Landesgesetzgeber lediglich zu einer nicht näher spezifizierten und damit der legislatorischen Interpretation in hohem Maße zugänglichen Kostendeckungsregelung zu verpflichten (sog. relatives Konnexitätsprinzip)830. In praxi hat dies die Länder bisher jedoch nicht daran gehindert (und hindert sie auch aktuell nicht daran), das Kompensationsvermögen der aufgabenakzessorischen Kostenregeln weitgehend einzuebnen, indem Mittel in entsprechender Höhe aus dem allgemeinen Finanzausgleich abgezogen wurden (werden)831. In Verbindung mit einer zusätzlichen (Neu-)Übertragung kostenträchtiger Aufgaben, konnten/können so beträchtliche Vollzugskosten für Bundes- und Landesgesetze auf die Gemeinden/Gemeindeverbände abgewälzt und dadurch entsprechende Mittel im Landesetat freigesetzt werden. Dass diese Übung aus kommunalem Blickwinkel besehen nicht nur fiskalisch verheerend, sondern zudem verfassungsrechtlich zumindest problematisch ist, liegt auf der Hand832. 2. Allgemeiner Finanzausgleich: Die soeben beschriebene Praxis, die getrost der Kategorie „Verschiebebahnhof“ zugeordnet werden kann, wird dadurch ermöglicht, dass die gebotene Höhe der Zuweisungen im allgemeinen kommunalen Finanzausgleich im Vergleich zum aufgabenakzessorischen Zweig deutlich weniger präzise bestimmbar ist. Das eröffnet den Landtagen Interpretations- und damit auch fiskalische Gestaltungsspielräume, die ihnen von den Landesverfassungsgerichten auch weitgehend belassen werden833. Justitiabel sollen in diesem

829 Sie folgen damit dem strikten Konnexitätsprinzip, dazu näher Schoch/Wieland, Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz, S. 68 f.; dies., Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 161 ff.; andere Einteilung bei Groh, LKV 2010, 1 (3 f.), die nur diejenigen Vorschriften, die einen „entsprechenden“ oder „erforderlichen“ Ausgleich vorsehen, unter die strikte Konnexität fasst, einen „angemessenen“ Ausgleich aber dem relativen Konnexitätsprinzip zuordnet. 830 Bspw. Art. 57 Abs. 4 NdsVerf. a. F.: „Den Gemeinden und Landkreisen (. . .) können durch Gesetz staatliche Aufgaben übertragen werden, wenn gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen werden.“; Näheres zur relativen Konnexität bei Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 165 ff. 831 Vgl. nur Groh, LKV 2010, 1 (6 f.). 832 Dazu sogleich unter d). 833 Vgl. demgegenüber StGH Nds., DVBl. 1998, 185: Hier wurden ausnahmsweise das vom Landesgesetzgeber bestimmte Finanzausgleichsvolumen sowie die Festsetzung der Verbundquote für verfassungswidrig befunden; zudem das Urteil des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 2012 (Az. VGH N 3/11, abrufbar unter: http://www.mjv.rlp.de/Gerichte/Verfassungsgerichtshof/Entscheidungen/binarywriter servlet?imgUid=cd596276-1a75-31a8-c126-e477fe9e30b1&uBasVariant=11111111-11 11-1111-1111-111111111111, Seite zuletzt besucht am 27. Januar 2015), in dem die Vorschriften des rheinland-pfälzischen Finanzausgleichsgesetzes über die Finanzausgleichsmasse und die Schlüsselzuweisungen der Jahre 2007 ff. für unvereinbar mit der landesverfassungsrechtlichen Selbstverwaltungs- und Finanzausstattungsgarantie erklärt

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

Zusammenhang nur eklatant fehlsame Ausgleichsbeträge sein834. Eine außerordentliche Befähigung zur Weitsicht dürfte nicht notwendig sein, um mit Blick auf den betrachteten Zeitraum (ab dem 1. Januar 2020) zu erkennen: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Länder den ihnen eingeräumten Spielraum nicht bloß zur Gegenfinanzierung (!) ihrer aus der Durchführung des aufgabenakzessorischen Finanzausgleichs resultierenden Kosten, sondern auch im Hinblick auf das strukturelle Verschuldungsverbot der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG zu nutzen wissen werden835. bb) Mittelbare Einflussnahmemöglichkeiten Ergänzend können die Länder über die Kommunalaufsichtsbehörden auf eine intensivere Ausschöpfung der eigenen gemeindlichen Einnahmequellen hinwirken, um sodann den zu erwartenden Mehreinnahmen entsprechende Mittel aus dem allgemeinen Kommunalfinanzausgleich abziehen zu können. Denn sind die Kommunen – was in aller Regel der Fall ist – auf Krediteinnahmen angewiesen, müssen sie sich die Kreditaufnahme von der jeweils zuständigen (Rechts-)Aufsichtsbehörde entweder im Ganzen oder unter Umständen auch bezüglich jedes einzelnen Kredits genehmigen lassen836. Dabei kann die Genehmigung unter Bedingungen erteilt und/oder mit Auflagen versehen werden. Über diese Instrumente kann die Aufsichtsbehörde die Erteilung der Genehmigung an die Durchführung von Haushaltssanierungsmaßnahmen knüpfen und in diesem Zusammenhang auch die Erhöhung von kommunalen Beiträgen und Gebühren, der Realsteuerhebesätze (vgl. Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG) und, sofern die Länder ihren Kommunen ein entsprechendes Satzungsrecht eingeräumt haben837, der örtliwurden. Dem Urteil wird eine potentielle Signalwirkung in Bezug auf die Entwicklung der entsprechenden Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte attestiert, vgl. Wieland, LTO, 21. Februar 2012; vgl. zudem FAZ vom 15. Februar 2012, S. 1, 4; vom 16. Februar 2012, S. 4; vom 23. Februar 2012, S. 4; zu diesem Judikat zugrunde liegenden Beschluss des OVG Koblenz vom 15. Dezember 2010 (LKRZ 2011, 134) Wieland, in: Schliesky/Ernst/Schulz (Hrsg.), Festschrift für Schmidt-Jortzig, S. 221 (228 ff.); zu vergleichbaren Klagen hessischer Kommunen und Landkreise, die beim Staatsgerichtshof in Wiesbaden anhängig sind, vgl. FAZ vom 16. Februar 2012 (Regionalausgabe), S. 55. 834 Schmidt-Jortzig, DVBl. 2007, 96 (102); ebenso Groh, LKV 2010, 1 (4) m.w. N. in Fn. 35. 835 Ähnlich (allerdings nicht unter spezisicher Bezugnahme auf den allgemeinen Finanzausgleich) J. Ipsen, NdsVBl. 2009, 153 (156); vgl. zum Ganzen auch Henneke, NdsVBl. 2009, 121 (127 f.); Wieland, in: Lange/Junkernheinrich (Hrsg.), Loccumer Protokolle 67/10, Gemeindefinanzpolitik in der Krise, S. 89. 836 Vgl. exemplarisch § 103 bzw. § 114j HessGO. 837 Den Ländern kommt diesbezüglich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu, vgl. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Haben sie ihren Kommunen besagtes Satzungsrecht nicht eingeräumt, können die Länder natürlich selbst für eine entsprechende Anhebung sorgen.

2. Kap.: Prognosen

245

chen Verbrauch- und Aufwandsteuern einfordern. Signifikante kommunale Mehreinnahmen (und nach anschließender Kürzung des kommunalen Finanzausgleichs: entsprechende ausgabenseitige Spielräume in den Landeshaushalten) können aber auf diesem Weg aufgrund der selbst bei umfassender, deutlicher und landesweiter Erhöhung vergleichsweise geringen Einnahmepotentiale dieser Quellen nicht erzielt werden838. c) Kosten der Erfüllung landesunmittelbarer Aufgaben Die Kategorie landesunmittelbarer Aufgaben wurde oben839 anhand des jeweils vorhandenen Grades an politischem Gestaltungsspielraum nochmals in Teilgebiete aufgegliedert. Mit Blick auf die inhaltlich vorgeprägten (Administrativ-)Aufgaben, deren Determination gleichwohl nicht von der Bundes- (oder europäischen) Ebene herrührt, kann auf das oben Gesagte verwiesen werden: Eine Einflussnahme auf die entsprechenden Teilausgabenvolumina kann allenfalls im Rahmen allgemeiner Maßnahmen zur Verwaltungsoptimierung erfolgen. Weil aber die Beschaffenheit eines Verwaltungsapparates im Wesentlichen durch Umfang und inhaltlichen Zuschnitt der zu erfüllenden Aufgaben festgelegt wird, und zu seinen Charakteristika aus den soeben840 dargelegten Gründen ohnehin eine gewisse strukturelle Determination zählt, eröffnen sich den Ländern auch auf diesem Teilaufgabengebiet keine substantiellen fiskalischen Verfügungsspielräume. Anders liegen die Dinge bei den Gestaltungsaufgaben der Länder, deren Erfüllung regelmäßig die Ausübung von Sachgesetzgebungsbefugnissen gemäß Art. 72 Abs. 1 bzw. Art. 70 GG zugrunde liegt. Denn die Kompetenz zur Festlegung von Inhalten, die sowohl die sächlichen als auch (mittelbar) die administrativen Vollzugskosten determinieren, ist hier ja gerade der Landesebene zugeordnet. III. Resümee und verfassungsrechtliche Würdigung zu A.: Aufgabenangemessene Finanzausstattung (insbesondere finanzschwacher) Länder ohne Einnahmen aus Krediten möglicherweise nicht gewährleistet 1. Ländereinnahmen Insbesondere seine konkurrierenden Steuergesetzgebungskompetenzen gemäß Art. 105 Abs. 2 GG sowie seine Normierungsbefugnisse hinsichtlich des bundes838 839 840

Groh, LKV 2010, 1 (3). Im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) bb). Vgl. oben unter a).

246

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

staatlichen Finanzausgleichs gemäß Art. 107 Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2 GG verschaffen dem Bund die Möglichkeit, die Ländereinnahmen weitestgehend festzulegen. Die Gliedstaaten selbst können bzw. konnten demgegenüber die Einnahmenseite ihrer Haushalte lediglich über tatsächlichen und rechtlichen Grenzen unterliegende Vermögensveräußerungen sowie bisher über eine regelmäßige Kreditaufnahme beeinflussen. 2. Länderausgaben Auf der anderen Seite kann der Bund über seine konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnisse gemäß Art. 74 GG (teilweise i.V. m. Art. 72 Abs. 2 GG) auch die Ausgaben der Länder in weitem Umfang vorgeben. a) Kosten der Erfüllung fremddeterminierter Aufgaben, Länderausgabenautonomie Da nach Art. 104a Abs. 1 GG die Ausgabenverantwortung prinzipiell der Aufgabenverantwortung folgt und die Länder gemäß Art. 83 f. GG die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheit ausführen, belastet insbesondere die Sozialgesetzgebung des Bundes die Haushalte der Länder, vor allem diejenigen der strukturschwachen mit ihren vergleichsweise hohen Sozialausgaben, ganz erheblich. Komplementär verhält es sich mit der Länderausgabenautonomie: Zur Bindung eines beträchtlichen Teils ihrer Finanzmittel im Zusammenhang mit dem weitestgehend fremdbestimmten Vollzug von Bundesrecht – allenfalls bei den Administrativausgaben haben die Länder hier kraft Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 GG geringe Einflussnahmemöglichkeiten – kommt die fiskalische Auswirkung des aufgabenbedingt hohen Personalbedarfs der Länder hinzu: Aufgrund des bei Personalkosten auch unter dem Gesichtspunkt der Festlegungsdauer hohen Determinationsgrades sind den Gliedstaaten, jedenfalls kurzfristig, auch insoweit die Hände gebunden. b) Ausgaben im Zusammenhang mit der fiskalischen Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich einer aufgabenadäquaten kommunalen (Mindest-)Finanzausstattung aa) Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG Was ihre Garantiepflicht für eine hinreichende (Mindest-)Kommunalfinanzausstattung angeht, so stehen den Ländern kraft ihrer Gesetzgebungsbefugnisse aus Art. 106 Abs. 7, 70 GG nach aktueller Bundesverfassungsrechtslage durchaus gewisse Einschätzungsspielräume in Bezug auf die gebotene Beschaffenheit der

2. Kap.: Prognosen

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Gemeindefinanzpositionen zu. Von diesen Spielräumen haben bzw. machen sie auch (bisher schon) ausgiebig Gebrauch (gemacht), mit dem – zweifelhaften – Erfolg, dass sie abgesehen von generellen Kürzungen der Kommunalfinanzmittel auch einen Teil der (bezüglich des Bundesrechts für sie weitgehend indisponiblen841) Kosten des Gesetzesvollzugs auf die Kommunen abwälzen und infolgedessen entsprechende eigene Mittel freisetzen konnten bzw. können. Diese Praxis überschreitet ihre bundesverfassungsrechtlichen Grenzen aber dann, wenn die Kommunalfinanzausstattung in einem Land ein bestimmtes Minimum unterschreitet und die Gemeinden/Gemeindeverbände infolgedessen ihr Selbstverwaltungsrecht nicht mehr auf Grundlage der in Art. 28 Abs. 2 GG statuierten Mindeststandards bezüglich (a) des Aufgabenzugriffs sowie (b) einer eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung wahrnehmen können842. Zu diesen Minimalanforderungen zählt jedenfalls, dass es den Kommunen möglich sein muss, sich über den übertragenen und pflichtigen eigenen Aufgabenkreis hinaus auch der (im Wesentlichen) eigenverantwortlichen Durchführung eines Mindestmaßes an freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten widmen zu können843. Aus Sicht der Länder steht die Garantie einer entsprechenden Finanzausstattung (jedenfalls bezüglich des angesprochenen substantiellen Bereichs der kommunalen Selbstverwaltung) auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer eigenen Leistungsfähigkeit844, da es sich bei dieser Gewährleistung nicht in erster Linie um eine leistungsrechtliche Teilposition des Selbstverwaltungsrechts, sondern primär um eine Annexsicherung zum unbedingt gewährleisteten Kernbereichsschutz durch Art. 28 Abs. 2 GG handelt845. In Anbetracht des bereits mehrfach thematisierten länder-

841

Vgl. oben unter a). Statt vieler Schoch, Jura 2001, 121 (124); dazu auch bereits im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) cc) (1) (c) (bb). 843 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 181 m.w. N. in Fn. 181; vgl. auch Henneke, NdsVBl. 2011, 329 (335). 844 In dem Sinn, dass ein Defizit der auf Landesebene verfügbaren Finanzmasse gleichmäßig auf Land und Kommunen aufgeteilt werden muss (vgl. etwa VerfGH Thüringen, LKV 2010, 220; Groh, LKV 2010, 1 [7 f.] sowie Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu [Begr.]/Hofmann/Henneke [Hrsg.], GG, Art. 28 Rn. 78; Darstellung der Gegenposition unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des VerfGH RheinlandPfalz bei Wieland, in: Schliesky/Ernst/Schulz (Hrsg.), Festschrift für Schmidt-Jortzig, S. 221 [229 f.]). 845 Dies zu vertreten, bedeutet nicht, die fiskalischen Realitäten in den Ländern zu negieren bzw. von Letzteren etwas Unmögliches zu verlangen. Denn sollte ein Land nicht in der Lage sein, seinen Kommunen diesen finanziellen Mindeststandard ohne die Vernachlässigung/Nichterfüllung anderer bundesverfassungsrechtlicher Aufgaben zu gewährleisten, so folgt daraus, dass die Finanzausstattung des Landes selbst mit Blick auf die föderative Staatlichkeitsgarantie keine aufgabenangemessene ist. Dann aber greift nach der oben entwickelten Position die entsprechende Garantiepflicht des Bundes, der Letzterer mittels Zuweisung der erforderlichen Gelder nachkommen muss. Diese Lösung ist nicht nur systematisch stringent, sondern auch sachgerecht, da – wie 842

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

übergreifend desolaten Zustands der Kommunalfinanzen dürften die Gliedstaaten der in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Grenze schon in der Vergangenheit – also: noch ohne die durch das neue Schuldenregime bewirkte Verschärfung des fiskalischen Anpassungsdrucks – zumindest bedenklich nahe gekommen sein. Eine zukünftige Intensivierung der beschriebenen Praxis käme daher nach derzeitiger Verfassungsrechtslage wohl einem kalkulierten Verfassungsbruch gleich846. bb) Bundesweite Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse gemäß Art. 20 Abs. 1, 2 GG Ferner müssen die absehbaren Folgen solch eines Vorgehens auch im Hinblick auf die seitens Art. 20 Abs. 1, 2 GG847 von den Ländern eingeforderte Wahrung/ Herstellung bundesweit zumindest annähernd einheitlicher (Kern-)Lebensverhältnisse analysiert werden. Dies umso dringlicher, als besagtes Postulat immer nur in Ansehung der zum Betrachtungszeitpunkt in der Bevölkerung vorherrschenden Homogenitätsvorstellungen konkretisiert werden kann848 und das in Deutschland traditionell hohe Gleichwertigkeitsbedürfnis aktuell849 – insbesondere in den Ostländern – besonders ausgeprägt zu sein scheint850. Zu dem Quantum kommunaler Kernaufgaben, hinsichtlich deren Erfüllung den Gemeinden/ Gemeindeverbänden grundsätzlich sowohl das Entschließungs- als auch das Auswahlermessen verbleiben müssen, dürfte (zumindest) ein Kernbestand zentraler Daseinsvorsorgematerien zählen851. Da aber dieser als Teil der „sozialen Existenzbedingungen“ 852 den wesentlichen Lebensverhältnissen zuzurechnen ist,

soeben gezeigt – allein der Bund es kraft seiner Steuergesetzgebungsbefugnisse in der Hand hat, die Einnahmen der Länder anzuheben. Solange er dies im Bedarfsfall nicht tut, soll er dafür aus eigenen Mitteln haften müssen. 846 Vgl. zur Gesamtproblematik Wieland, in: Lange/Junkernheinrich (Hrsg.), Loccumer Protokolle 67/10, Gemeindefinanzpolitik in der Krise, S. 89 ff. 847 Zur Klarstellung: Im vorliegenden Zusammenhang ist nicht Art. 79 Abs. 3 GG, sondern sind die Art. 20 Abs. 1, 2 GG einschlägig, da hier die derzeitgen Grenzen der Verfügungsautonomie der Länder, nicht aber die Schranken der Revisionsgesetzgebung erörtert werden. Da oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (a) festgestellt wurde, dass die Verankerung eines umfassenden Unitarisierungsauftrags gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen dürfte, können auch die Art. 20 Abs. 1, 2 GG wie Art. 79 Abs. 3 GG nur einen Mindesthomogenitätsstandard absichern. 848 Dazu näher im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (hh). 849 Auch bezüglich der Homogenitätsvorstellungen kann der Prognose für die Zeit ab dem 1. Jamuar 2020 lediglich der Ist-Zustand zugrunde gelegt werden. 850 Dazu oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (dd) (a) (bb) und (gg) bzw. (ee) und (hh). 851 Vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (ee). 852 Gröschner, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 55.

2. Kap.: Prognosen

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unterliegen die Kommunen (auch) auf diesem Gebiet freier Betätigung den Vorgaben des Gleichwertigkeitspostulats853. Sollten die Länder vor diesem Hintergrund das Niveau der Gemeindefinanzierung weiter absenken, so dürften sich besonders finanzschwache Kommunen zukünftig des Öfteren in folgendem Entscheidungsdilemma wiederfinden: Entweder sie sehen sich (bei grundsätzlich vorhandenem Wahrnehmungswillen) außerstande, auf den besagten Mindestbestand an Daseinsvorsorgematerien zuzugreifen, weil ein Erfüllungsniveau, das annähernd dem Bundesmittel entspricht, aus fiskalischen Gründen nicht gewährleistet werden kann854; dann würde dieser Entscheidung eine empfindliche Einschränkung des kommunalen Entschließungsermessens bezüglich des Aufgabenzugriffs auf einem wesentlichen Bereich der freien Selbstverwaltung zugrunde liegen – da es um den substantiellen Teil des Selbstverwaltungsrechts geht: ein unzulässiger Eingriff in den Kernbereich des Art. 28 Abs. 2 GG. Oder aber – das ist die zweite Möglichkeit – die Kommunen entschließen sich zur Aufgabendurchführung, obwohl ihre finanzielle Lage eine homogenitätskonforme Erfüllung eigentlich nicht zulässt; in diesem Fall geraten sie selbst (direkt oder, falls vorhanden, mittelbar über den jeweiligen einfachgesetzlichen Rahmen) in Konflikt mit den dargelegten grundgesetzlichen Vorgaben. Beide Wege wären aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht gangbar. Zudem: Aus einem gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel besehen droht eine Intensivierung gemeinwohlschädlicher Binnenwanderungen zwischen ökonomisch unterschiedlich starken Teilen des Bundes. Das lässt befürchten, dass strukturschwache Regionen den Anschluss an den Bundesdurchschnitt vollends verlieren könnten, wodurch wiederum bereits bestehende Wohlstandsgefälle im Bundesgebiet sich vertiefen dürften. Dies aber würde sehr wahrscheinlich die innere (soziale) Spaltung im Bundesstaat befördern und damit einer Erosion sowohl der föderativen als auch der demokratischen Verfassungssubstanz infolge Grundlagenentzugs Vorschub leisten855. Ergebnis: 1. Sollten die Gliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Ausgestaltung des Kommunalfinanzwesens die ihnen auferlegten verfassungsrechtlichen Schranken nicht ohnehin bereits überschritten bzw. die Kommunen gegebenenfalls zur Überschreitung ihrer (eigenen) Gren-

853 Dazu eingehend im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (ee). 854 Dann müssten allerdings die Länder selbst eine homogenitätskonforme Aufgabenerfüllung, entweder im Wege der Eigennausführung oder (soweit möglich) durch Private, sicherstellen. Gelingt dies nicht, so verstoßen die Länder selbst gegen die Homogenitätsvorgaben aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG. 855 Zum Ganzen eingehend im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (dd) (a) (bb) und (gg) bzw. (ee) und (hh).

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

zen verleitet haben, so bieten sich den Ländern auf dem Gebiet der Gemeindefinanzierung mit Blick auf die Beschneidung ihrer eigenen fiskalischen Gestaltungsmöglichkeiten durch die neue Schuldenregel jedenfalls keine (bundes-)verfassungskonformen Kompensationsspielräume – zumindest nicht nach derzeitigem Verfassungsrecht. 2. Sollten darüber hinaus auch im weiteren Untersuchungsverlauf keine verfassungsrechtlich haltbaren Verfügungsspielräume ausgemacht werden können, und die Länder in Anbetracht des neuen Schuldenregimes faktisch – zumindest auch – zu weiteren Einschnitten bei der Finanzierung ihrer Kommunen gezwungen sein, so hätte dies Folgen für die rechtliche Beurteilung des vorliegend betrachteten Verfassungsnormengefüges: a) Dass finanzschwachen Ländern mangels verfassungskräftiger Gewährleistung hinreichender Finanzpositionen nichts anderes übrig bliebe, als weitere substantielle Restriktionen bei der Gemeindefinanzierung vorzunehmen, durch die sie in Konflikt mit Art. 28 Abs. 2 GG (bzw. Art. 20 Abs. 1, 2 GG856) geraten oder ihre Gemeinden/Gemeindeverbände in Konflikt mit Art. 20 Abs. 1, 2 GG setzen würden, stellt sich sowohl im Hinblick auf den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerngehalt der Bundestreue als auch auf denjenigen der Rechtsstaatlichkeit als äußerst problematisch dar. b) Insbesondere wäre jedoch die Einhaltung des Mindesthomogenitätspostulats im Hinblick auf die in Rede stehenden Kommunalmaterien nicht mehr gewährleistet. Der Revisionsgesetzgeber müsste dann insoweit nachbessern. c) Kosten der Erfüllung landesunmittelbarer Aufgaben Bleiben die landesunmittelbaren Aufgaben. aa) Erhalt der Länder als politische Entscheidungszentren In Bezug auf den landesunmittelbaren Aufgabenteilbereich der Sachaufgaben steht den Ländern von Bundesverfassungs wegen ein signifikanter inhaltlicher und damit hinsichtlich der (selbst wahrgenommenen oder den Kommunen zugewiesenen) Ausführungstätigkeit auch ein fiskalischer Gestaltungsspielraum zu; dieser muss den Gliedstaaten aber mit Blick auf die in Art. 79 Abs. 3 GG verankerte Staatlichkeitsgarantie – jedenfalls im Kern – auch verbleiben, damit der Er-

856

Vgl. zu dieser Variante in Fn. 847.

2. Kap.: Prognosen

251

halt der Länder als Zentren politischer Entscheidung857 unter den jeweiligen Bedingungen der fiskalischen Realität gewährleistet ist. Diese Maßgabe aber macht die dargelegte Rigidität der Länderetats vorliegend zum verfassungsrechtlichen Problem. Denn aufgrund der hohen Vorfestlegung ihrer Haushalte infolge der vorstehend erörterten Determinanten – einige nehmen gar eine Bindung von „in der Regel 90 bis über 100%“ 858 an – mussten bzw. müssen sich vor allem strukturschwache Länder den verfassungsrechtlich gebotenen budgetären Mindestspielraum oftmals erst durch eine regelmäßige Kredit(neu)aufnahme erschließen859. Wird ihnen durch das Verbot struktureller Neuverschuldung nun auch noch diese letzte (Selbsthilfe-)Möglichkeit genommen, so steht zu befürchten, dass sich Landespolitik zukünftig vor allem in finanzschwachen Ländern – abgesehen von der Suche nach möglichst verfassungsfesten Wegen, einen Teil der verbleibenden Kosten auf ihre Kommunen abwälzen zu können860 – weitgehend im Zusammenkürzen eigener Gestaltungsaufgaben und deren Kosten erschöpfen wird. Dann aber müsste ernsthaft bezweifelt werden, dass für die Staatlichkeit der Länder auch ab dem 1. Januar 2020 noch flächendeckend garantiert werden kann. Falls nicht, würden die Länder „von Körperschaften ,am Rande der Staatlichkeit‘ zu ,höchstpotenzierten Gebietskörperschaften‘ in einem dezentralisierten Einheitsstaat absinken“ 861. Die Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG wären dann nicht mehr gewahrt.

857 Dazu Lerche, VVDStRL 21 (1964), 66 (83 ff.), Hesse, AöR 98 (1973), 1 (14, 45); dazu eingehend auch bereits im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2, dort insbesondere unter A. II. 3. bzw. IV. sowie B. I. 858 Renzsch, in: Baus/Fischer/Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellung für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat, S. 91 (92); ähnlich Bofinger/Lenk/H.-P. Schneider, Zukunftsfähige Finanzpolitik, S. 19 f.; H.-P. Schneider, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen am 22. Juni 2007, FöKoDrs 031 S. 5; a. A. Seitz, Wirtschaftsdienst 2008, 340 (348); ders., Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen vom 22. Juni 2007, FöKoDrs. 023, S. 13, der jedenfalls einen deutlich geringeren Bundeseinfluss sieht. 859 Korioth, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 31 (36); Fassbender, NVwZ 2009, 737 (740); vgl. insoweit auch das Gutachten „Finanzielle Stabilität des Deutschen Föderalstaates“ des wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vom Juli 2005, FöKoDrs. 010, S. 10, dort Punkt 24. 860 Dazu oben unter Punkt drei. 861 BVerfGE 34, 1 (19).

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

bb) Bundesweite Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse gemäß Art. 20 Abs. 1, 2 GG Auch was den politischen Gestaltungsraum der Länder angeht, würde eine deutliche Restriktion des Erfüllungsniveaus durchgreifenden Bedenken mit Blick auf das bereits im Rahmen der kommunalen Teilproblematik aufgerufene862 Gleichwertigkeitsgebot863 begegnen: Da der Sachkompetenzbereich der Länder durch das Sujet der inneren Sicherheit864 sowie das Gesundheits-865, Kultur-, Schul-866 und Hochschulwesen geprägt wird, dürfte die Aufgabenerfüllung auf diesem Gebiet regelmäßig zentrale Lebensverhältnisse betreffen. Dabei beanspruchen die oben867 geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der Gewährleistung des inneren Zusammenhalts im demokratischen Bundesstaat auch diesbezüglich uneingeschränkte Gültigkeit. Besondere Aufmerksamkeit muss jedoch zum einem dem Gebiet der inneren Sicherheit und zum anderen den Bildungsthematiken868 gewidmet werden. Denn was den erstgenannten Teilbereich betrifft, ist der vorherrschende Standard an innerer Sicherheit ein Hauptgradmesser für die Beurteilung der Lebensqualität in einem Bundesland und damit ein wesentlicher Abwägungspunkt im Rahmen von (Binnen-)Wanderungsentscheidungen869. Was den Bildungsbereich angeht, ist das im Allgemeinen schon hohe Homogenitätsbedürfnis der Bundesbürger870 aus nachvollziehbarem Grund (Mobilitätsanforderungen des Arbeitsmarktes!) sogar derart ausgeprägt, dass regelmäßig klare Umfragemehrheiten zugunsten einer Übertragung der substantiellen Bildungszuständigkeiten auf den Bund zustande kommen871. Daraus folgt aber für die finanzschwachen Länder: Wollen sie (a) den vermittels Art. 20 Abs. 1, 2 GG an sie gerichteten872 Homogenitätsanforderungen gerecht werden, (b) gegenüber den

862

Vgl. oben unter b) bb). Dazu eingehend im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff). 864 Zur Zuordnung dieses Sachbereichs zu den Lebensverhältnissen im verfassungsrechtlichen Sinn implizit Berthold/Müller, Wirtschaftsdienst 2010, 591 (591, 593 ff.). 865 Vgl. insoweit aber die Einschränkungen, die aus dem Gebrauchmachen des Bundes von seinen konkurrierenden Kompetenzen gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, 19a i.V. m. Art. 72 Abs. 1 sowie (bezüglich Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a) Abs. 2 GG resultieren können. 866 Vgl. dazu auch oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (dd). 867 Vgl. unter b) bb). 868 Vgl. auch bereits oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (aa). 869 Berthold/Müller, Wirtschaftsdienst 2010, 591 (591, 593 ff.). 870 Vgl. abermals unter b) bb). 871 Vgl. für den schulischen Bereich etwa SZ vom 1./2. April 2010, S. 6; zum Ganzen bereits oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. b) ff) (2) (b) (hh). 872 Dazu oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (cc) (a) (dd) bzw. (3) (b). 863

2. Kap.: Prognosen

253

stärkeren Ländern nicht noch weiter an Boden verlieren sowie (c) nicht noch tiefer in den oben beschriebenen873 Abwärtssog aus fortdauernden Bevölkerungsverlusten und zunehmender Strukturschwäche geraten, werden sie bezüglich dieser finanzintensiven Sachbereiche zukünftig nicht bloß keine/kaum Spielräume für Einsparungen haben, sondern ihre finanziellen Anstrengungen sogar eher noch weiter verstärken müssen. Angesichts der dargelegten fiskalischen Realitäten in den betroffenen Ländern steht jedoch, namentlich hinsichtlich des Bildungsbereichs, zu befürchten, dass ein Verbot der strukturellen Neuverschuldung bei Zugrundelegung der derzeitigen bundesstaatlichen Finanzarchitektur einen bereits bestehenden Teufelskreis eher noch verschärfen wird: Verminderte Zukunftschancen führen regelmäßig zu höheren Soziallasten, was wiederum eine noch höhere Belastung des Landeshaushaltes und damit in der Regel wiederum stärkere Kürzungen im Bildungsetat nach sich zieht874. Aus alldem wird deutlich: In der Zeit ab dem 1. Januar 2020 wird immer wieder aufs Neue sorgfältig zu überprüfen sein, ob für die bundesweite Einhaltung der Homogenitätsanforderungen hinsichtlich des Sachaufgabenbereichs der Länder noch (bundes-)verfassungskräftig garantiert werden kann. Falls nicht, wäre die zugrunde liegende Verfassungsrechtslage unvereinbar mit Art. 79 Abs. 3 GG. Erneut wäre der Revisionsgesetzgeber zur Korrektur aufgerufen. 3. Fazit Im Anschluss an die vorstehenden Erörterungen kann ein viergliedriges Fazit zur strukturellen Beschaffenheit der Länderhaushalte formuliert werden, das einen mit Blick auf die Erfüllung der einschlägigen finanzföderativen Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG bedenklich stimmen muss: 1. Sicherlich herrschte über Jahrzehnte hinweg eine gewisse haushälterische Laxheit (auch) in den Ländern; die Gesamtschau der vorstehenden Ausführungen impliziert aber, dass zumindest finanzschwache Länder bereits vor der Novellierung des Staatsschuldenrechts an struktureller Unterfinanzierung litten. 2. (Primär) darauf ist das kontinuierliche Anwachsen der Schulden in den finanzschwachen Gliedstaaten zurückzuführen875: Anders als dem Bund, der über

873

Oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (dd) (a)

(aa). 874 Renzsch, in: Baus/Fischer/Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellung für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat, S. 91 (94); vgl. auch Aydin, KritV 93 (2010), 29 (42). 875 Korioth, KritV 91 (2008), 187 (193 f.): „Die seit 1990 im Vergleich der Länderhaushalte auffallend gleichförmige Verschuldung (Ausnahmen bilden vor allem Bayern, Berlin und Bremen) deutet finanzielle Zwänge an, die nicht allein auf individuelle landespolitische Entscheidungen zurückführbar sein können.“

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

seine umfassenden Steuergesetzgebungsbefugnisse maßgeblichen Einfluss auf die Höhe seiner Einnahmen hatte und auch immer noch hat, blieb jedenfalls strukturschwachen Ländern, neben der nach aktuellem Verfassungsrecht zumindest grenzwertigen Teilverlagerung des fiskalischen Drucks auf die Kommunen – vielleicht dem deutlichsten Indikator einer strukturellen Unterfinanzierung der schwachen Gliedstaaten –, oftmals nur die Flucht in die Verschuldung, um eine (annähernd) verfassungsmäßige Aufgabenerfüllung gewährleisten zu können876. 3. In diesem Zusammenhang erfordert der Erhalt der durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Staatsqualität der Länder aber in jedem Fall, dass diese in der Lage sein müssen, über die Erfüllung inhaltlich vorgeprägter übertragener oder eigener Aufgaben hinaus, immer auch ein Minimum an Sachaufgaben eigenverantwortlich, aber – was insbesondere von wirtschaftswissenschaftlicher Seite oftmals übersehen oder nicht hinreichend gewürdigt wird877 – zugleich auch im Einklang mit anderweitigen Verfassungsvorgaben wahrnehmen zu können – Stichpunkt: annähernde Gleichwertigkeit zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. 4. Schlägt ihnen jedoch der Bund vor diesem Hintergrund kraft seiner Verfassung auch noch die Notoption der strukturellen Neuverschuldung aus der Hand, so muss mit Blick auf die Zeit nach dem 1. Januar 2020 vorläufig festgehalten werden: Es bestehen zumindest begründete Zweifel daran, dass es auf Grundlage der derzeitigen Kompetenz- und Finanzvorschriften der Bundesverfassung (soweit sie bisher in den Blick genommen wurden) gelingen kann, flächendeckend für eine aufgabenangemessene Länderfinanzausstattung im dargelegten Sinn878 zu garantieren.

876

Ähnlich Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 3; vgl. auch Korioth, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 31 (36); dens., JZ 2009, 729 (732); ferner Fassbender, NVwZ 2009, 737 (740); implizit auch Hancke, Defizitbegrenzung im Bundesstaat, S. 162; dens., DVBl. 2009, 621 (626). 877 Vgl. statt vieler Seitz, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 135 (143 ff.), der erstens die Hauptursache für die überdurchschnittliche Verschuldung finanzschwacher Länder in den Mehrausgaben sieht, die besagte Länder sich leisten, um ein annähernd vergleichbares Versorgungsniveau bei öffentlichen Gütern zu erreichen und daraus zweitens folgert, diesen Anstrengungen müsse Einhalt geboten werden. Vor dem Hintergrund der hier erarbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben müsste die Problemlösung dagegen bei einer Anpassung der Fiskalausstattung finanzschwacher Länder ansetzen (direkt oder indirekt [mittels Aufgabenreduktion oder Kostenübernahmen durch den Bund]). Eine „große Lösung“ könnte bspw. im Zusammenhang einer grundlegenden Revision der föderativen Finanzordnung erreicht werden, in deren Rahmen auch prinzipielle Modifikationen bei den Verteilungsmaßstäben für die bundesstaatliche Finanzmasse vorgenommen würden (dazu näher Wieland, JZ 2006, 751 [755], ders., Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 030 S. 8 f., 11 ff.). 878 Vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2.

2. Kap.: Prognosen

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B. Lösungsansätze: Kompensationsmöglichkeiten für das Verbot struktureller (Neu-)Verschuldung . . . Dann aber wären die Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG nur gewahrt, wenn und soweit die verfassungskräftige Absicherung einer aufgabengerechten Länderfinanzausstattung – inklusive der verfassungsprozessualen Durchsetzbarkeit879 – anderweitig sichergestellt werden könnte. Das hierzu erforderliche Instrumentarium könnte in Teilregelungen der Novelle (I.) und/oder in bereits zuvor existierenden (Finanz-)Verfassungssätzen (II.) enthalten sein. I. . . . im Rahmen der Novelle? 1. Keine expliziten Ausgleichsinstrumente vorgesehen Da wie gezeigt vieles auf eine strukturelle Unterfinanzierung der Länder hindeutet, wäre eigentlich eine grundlegende Revision der gegenwärtigen Finanzordnung, der die relative Gleichheit der Wirtschafts- und Finanzkraft der westdeutschen Länder Ende der sechziger Jahre zugrunde liegt880, angezeigt gewesen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass das Steueraufkommen in den ostdeutschen Ländern mit ungefähr 40 v. H. auch ca. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer weit unter dem Durchschnitt des Steueraufkommens in den Westländern881 lag und sich an diesem Umstand aufgrund des schleppenden ökonomischen Konvergenzprozesses882 und der Binnenwanderungsbewegungen883 auf absehbare Zeit auch nichts Wesentliches ändern dürfte, hätte dabei wohl auch die Verteilung des Länderanteils an der Einkommen- und Körperschaftssteuer nach dem Schlüssel des örtlichen Aufkommens (vgl. Art. 107 Abs. 1 Satz 1 GG) einer kritischen Überprüfung unterzogen werden müssen884. Entgegen der Vorgabe, der Revisionsgesetzgeber möge für eine „Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung“ 885 (auch) der Länder Sorge tragen,

879

Dazu oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd). Vgl. Wieland, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 030, S. 1; ders., KritV 91 (2008), 117 (118). 881 Vgl. hierzu Tabelle 4 bei van Deuverden, IWH-Pressemitteilung 11/2010 (Langfassung), 1 (10). 882 Näher dazu Sinn, in: Wirtschaftswoche vom 1. Oktober 2011, S. 44. 883 Oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ff) (2) (b) (dd) (a) (aa). 884 Zu dieser Forderung Wieland, Schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Anhörung vom 22. Juni 2007, Fö KoDrs. 030, S. 11 ff. 885 Vgl. im Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, BT-Drs. 16/3885 auf S. 3. 880

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

wurde jedoch keine entsprechende Überarbeitung der föderativen Finanzordnung vorgenommen. Aber auch weniger weitreichende punktuelle Modifikationen an den gegenwärtigen Verteilungsmechanismen konnten nicht realisiert werden886: Den Ländern über die Gewährung größerer Steuerautonomie mehr Einflussnahmemöglichkeiten auf ihre Einnahmen zu eröffnen887, hat der Revisionsgesetzgeber vorläufig ebenso abgelehnt wie ein Gegensteuern über die primäre Steuerverteilung888. Und auch auf der Ausgabenseite wurde nichts für eine Entlastung getan, etwa durch eine (über die Regelung des Art. 104a Abs. 3 GG hinausgehende) verfassungsgesetzliche Durchbrechung der Vollzugskausalität (Art. 104a Abs. 1 GG), durch die eine intensivere Beteiligung des Bundes an den Vollzugskosten seiner Gesetze hätte herbeigeführt werden können889. Da schließlich auch die Zahlung von Konsolidierungshilfen laut Art. 143d Abs. 2 Satz 1 GG auf den Übergangszeitraum (1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2019) beschränkt wurde, hält die Novelle keine spezielle Kompensation für das strukturelle Verschuldungsverbot bereit. 2. Art. 79 Abs. 3-konforme Interpretation der Art. 109 Abs. 3 Sätze 2, 3 GG/Bedarfsorientierte Ausgestaltung der Ausnahmetatbestände durch den Landes(verfassungs)gesetzgeber gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG Vor diesem Hintergrund erhält vorliegend ein Teilpostulat des Art. 79 Abs. 3 GG zusätzliches Gewicht. Oben890 wurde herausgearbeitet, dass das Grundgesetz den Ländern die strukturelle Schulden(neu)aufnahme nur unter der Maßgabe verbieten kann, dass jedenfalls Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, die es den Ländern ermöglichen, ihr politisches Eigengewicht auch unter außerordentlichen ökonomischen und tatsächlichen Bedingungen absichern zu können. Dabei gilt aufgrund der teils erheblichen finanzstrukturellen und ökonomischen Unter-

886

Vgl. zum Folgenden Aydin, KritV 93 (2010), 29 (43). Zu dieser Forderung Hans Hofmann, in: Baus/Fischer/Hrbek.(Hrsg.), Föderalismusreform II: Weichenstellung für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen im Bundesstaat, 78 (81 ff.); kritisch Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 12; vgl. zudem im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) aa). 888 Dazu Bofinger/Lenk/H.-P. Schneider, Zukunftsfähige Finanzpolitik, S. 17. 889 H.-P. Schneider, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen am 22. Juni 2007, FöKoDrs. 031, S. 4, 19 f. 890 Im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ee). 887

2. Kap.: Prognosen

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schiede zwischen den Ländern: In der Bundesverfassung dürften mit Blick auf die Aufrechterhaltung der fiskalischen Handlungsmöglichkeiten auch der finanzschwacher Länder lediglich rudimentäre Ausnahmetatbestände verankert werden, deren Konkretisierung aber vollständig den Gliedstaaten überlassen bleiben müsste891. Der novellierte Art. 109 Abs. 3 GG eröffnet Bund und Ländern in Satz 2 (i.V. m. Satz 3 bis 5) die Möglichkeit, solche Ausnahmeregeln für konjunkturelle und tatsächliche Notsituationen vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder sollen diese „im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen“ – welcher normative (Mehr-)Wert auch immer dieser Floskel zugedacht wurde – selbst regeln (Satz 5). Damit sind die Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG nur bei einer weiten Auslegung der Art. 109 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG erfüllt, die den Ländern eine komplett eigenständige Konkretisierung der Ausnahmetatbestände gemäß Satz 5 ermöglicht: „Welche Regelungen die Länder zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung treffen und was unter außergewöhnlichen Notsituationen zu verstehen ist, müssen die Länder vollständig selbst entscheiden. (. . .) Auch das Gebot einer ,entsprechenden Tilgungsregelung‘ in Art. 109 Abs. 3 Satz 3 GG n. F. ist nur dann mit der Staatlichkeit der Länder und damit mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar, wenn die Tilgungsplanung vollständig der (. . .) Entscheidung der Länderparlamente überlassen bleibt.“ 892 Mit spezifischem Blick auf die Absicherung angemessener Länderfinanzausstattungen in Zeiten einer (ab dem 1. Januar 2020) uneingeschränkt greifenden Schuldenregel gilt darüber hinaus: Den Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG (in Bezug auf die Sätze 2 und 3) in der aufgezeigten Art zu interpretieren, erscheint allein schon deshalb geboten, damit die Länder sich über passgenaue Konkretisierungen der in den Sätzen 2 und 3 enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe (s. oben) die Möglichkeit eröffnen können, nötigenfalls selbst so weit als möglich für die Generierung staatlichkeitswahrender Finanzpositionen Sorge zu tragen893.

891

Hierzu bereits im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b) ee). Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 3. 893 Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 3; ders., in: Schliesky/Ernst/Schulz (Hrsg.), Festschrift für SchmidtJortzig, S. 221 (225); vgl. zudem bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (43). 892

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

II. . . . im Rahmen des hergebrachten Instrumentariums der bundesstaatlichen Finanzverfassung? 1. Vorüberlegungen Reicht dies im Ernstfall nicht aus, um die finanzielle Position jedes im Betrachtungszeitpunkt existierenden Landes abzusichern, könnte ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG ohne neuerliche Verfassungsrevision nur durch die Verankerung der gebotenen Länderfinanzgarantie in bereits bestehenden, nötigenfalls entsprechend weit auszulegenden Handlungsinstrumenten abgewendet werden894. Dabei ist die nachfolgende Betrachtung an dem oben895 herausgearbeiteten Befund auszurichten, dass der Bund für den Fall einer unzureichenden Absicherung der Länderfinanzen durch seine Verfassung als Ultima Ratio mit eigenen Mitteln haftet. Somit erscheint es als sinnvoll, diejenigen Ausgleichsinstrumente, die Finanzzuweisungen des Bundes an seine Glieder vorsehen bzw. ermöglichen, zuletzt zu erörtern. Auch im Übrigen bietet es sich an, mögliche Kompensationsgrundlagen in der systematischen Abfolge der Verteilungsstufen zu betrachten, denen sie im Rahmen der gegenwärtigen föderalen Finanzordnung eingegliedert sind: Zunächst müssen die Steuern normiert werden (2.). Sodann sind die Erträge aus den erhobenen Steuern zwischen Bund und Ländergesamtheit aufzuteilen sowie der ermittelte Länderanteil am Gesamtsteueraufkommen auf die einzelnen Gliedstaaten zu verteilen (3.). Anschließend sind im horizontalen Finanzausgleich gemäß Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG gegebenenfalls (weitere896) Korrekturen an der Einnahmenverteilung zwischen den Ländern vorzunehmen (4.). Und sollte auch der horizontale Finanzausgleich nicht ausreichen, um jedes Land dauerhaft mit aufgabenangemessenen Finanzmitteln auszustatten, ist wie gesagt der Bund gefordert (5.). 2. Abhilfe über die Wahrnehmung von Steuergesetzgebungsbefugnissen gemäß Art. 105 Abs. 2 GG? Wie bereits dargelegt wurde897, kommen dem Bund hinsichtlich der Steuern, deren Erträge den Ländern zugewiesen sind, gemäß Art. 105 Abs. 2 GG umfassende Normierungsbefugnisse zu. Daher kann der Bundesgesetzgeber die Finanzposition der Länder grundsätzlich über eine entsprechende Ausübung dieser Gesetzgebungskompetenzen anheben: Insbesondere über Erhöhungen bei den

894

Vgl. im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd). Vgl. im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) bb). 896 Bereits auf der primären Verteilungsstufe können gemäß Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG erste Korrekturen vorgenommen werden, dazu sogleich unter 2. b). 897 Vgl. oben unter A. I. 1. 895

2. Kap.: Prognosen

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ertragreichsten Steuern (insbesondere Einkommen- und Körperschaftsteuer898) könnte er die Einnahmenbasis der Länder verbreitern. Aber auch eine Wiedereinführung der Vermögen-, eine Ertragsteigerung bei der Erbschaftsteuer und/oder jegliche andere Erhöhungen von Landessteuern899 würden sich positiv auf die Finanzausstattung der Länder auswirken. Eine Lösung über Steuererhöhungen würde sich vor allem dann anbieten, sollte zukünftig eine Mehrheit der Länder nicht mehr über eine aufgabengerechte Finanzausstattung verfügen. Indessen kann eine gezielte Unterstützung einzelner Notlageländer über die Ausübung von Steuergesetzgebungsbefugnissen nicht auf den Weg gebracht werden. Vor allem aber können in Steuererhöhungen schon deshalb keine zuverlässigen Abhilfeoptionen erblickt werden, weil bestimmte politische Konstellationen – zumal angesichts häufig gegenläufiger Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und Bundesrat – seit jeher eine nicht bzw. kaum übersteigbare Hürde in Bezug auf ihre Durchsetzbarkeit darstellen. 3. Abhilfe im Rahmen der Primärverteilung der Steuererträge? a) Vertikal: Art. 106 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 3 Sätze 3, 4 GG (Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländergesamtheit) Gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 GG sind die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer neu festzusetzen, wenn das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich divergiert. Dabei besteht eine (nötigenfalls verfassungsprozessual einklagbare900) Revisionsverpflichtung für den Fall einer erheblichen und nachhaltigen Divergenz901. Ob eine solche vorliegt, muss auf Grundlage eines Vergleichs der Deckungsquoten von Bund und Ländern festgestellt werden902. Für den hier behandelten Sicherungsfall dürfte aber zumindest eine exklusive Lösung über Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 GG in aller Regel ausscheiden. Denn nicht nur die Deckungsquote der Länder, sondern auch diejenige des Bundes hat sich (kontinuierlich) verschlechtert903, und daher dürfte der Tatbestand des 898 Eine weitere Erhöhung der Umsatzsteuer wäre indessen unter Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit problematisch, näher dazu Wieland, in: v. Arnim (Hrsg.), Systemmängel in Demokratie und Marktwirtschaft, S. 9 (15 f.); ders., in: Kahl (Hrsg.), Nachhaltige Finanzstrukturen im Bundesstaat, S. 229 (238 f.). 899 Vgl. oben unter A. I. 1. 900 Vgl. insoweit Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 106 Rn. 27; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 106 Rn. 21. 901 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 106 Rn. 27 m.w. N. in Fn. 122. 902 Näher dazu Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 106 Rn. 27; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 106 Rn. 74 ff. 903 Vgl. Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 3.

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 GG angesichts des Erfordernisses einer erheblichen und nachhaltigen Divergenz regelmäßig nicht greifen. Ob der Bundesgesetzgeber bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Revisionsklausel gleichwohl auf der Grundlage der Art. 106 Abs. 3 Sätze 3, 4 GG eine Neufestsetzung der Umsatzsteueranteile vornehmen kann, ist umstritten904. Selbst wenn man dies unterstellt, gilt auch hier: Eine Revision nach Art. 106 Abs. 3 Sätze 3, 4 GG hätte eine Änderung des Umsatzsteueranteils der Ländergesamtheit zur Folge. Somit könnten keine zielgerichteten Finanzhilfen an einzelne, besonders bedürftige Länder gerichtet werden, deren Staatlichkeit bedroht ist. Ergebnis: Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 und Abs. 3 Sätze 3, 4 GG böten sich mit Blick auf den hier behandelten Sicherungsfall vor allem dann als Kompensationsgrundlage an, sofern der fiskalisch bedingten Bedrohung der Länderstaatlichkeit eine Unterfinanzierung der gliedstaatlichen Ebene als Ganze zugrunde läge. Eine selektive Unterstützung einzelner Länder könnte über eine Revision der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländergesamtheit indessen nicht auf den Weg gebracht werden. b) Horizontal: Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG (Ergänzungsanteile aus dem Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen) In einem nächsten Schritt müssen die auf die Ländergesamtheit entfallenden Einnahmen den einzelnen Gliedstaaten zugeordnet werden. Bereits auf dieser horizontalen Stufe der Steuerdistribution hält die Bundesverfassung ein erstes Instrument zur Korrektur der Einnahmenverteilung bereit. Gemäß Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG können durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz für maximal 25% des Ländergesamtanteils am Umsatzsteueraufkommen Ergänzungsanteile für solche Länder vorgesehen werden, deren Einnahmen aus den Landessteuern, aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer und nach Art. 106b GG je Einwohner unter dem Länderschnitt liegen. Anders als Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 bzw. Abs. 3 Sätze 3, 4 GG eröffnet Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG damit die Möglichkeit zur Auffüllung der Finanzkraft finanzschwacher Länder, und ist daher die Tauglichkeit der Bestimmung als verfassungsrechtliche Grundlage für Ausgleichzahlungen bei Eintritt des hier behandelten Sicherungsfalles zwar grundsätzlich höher einzustufen als diejenige der angesprochenen Regelungen des Art. 106 GG. Indessen könnten zum einen auch über diese Norm keine gezielten Unterstützungszahlungen an

904 Bejahend Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 106 Rn. 27; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 106 Rn. 21; a. A. etwa Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, S. 361 ff.

2. Kap.: Prognosen

261

einzelne Notlageländer auf den Weg gebracht werden. Zum anderen hat der Bundesgesetzgeber seine Ausgleichsermächtigung ohnehin bereits zum jetzigen Zeitpunkt vollständig ausgeschöpft905, so dass Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG vorliegend als Kompensationsgrundlage ausscheiden muss. 4. Abhilfe im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs gemäß Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG? Schwerpunktmäßig erfolgt die Annäherung der unterschiedlichen Länderfinanzpositionen jedoch nicht schon auf der Ebene der (horizontalen) Steuerertragsverteilung über Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG, sondern erst auf der nächsten Verteilungsstufe. Nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1, 2 GG hat der Bundesgesetzgeber sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird: Der horizontale Finanzausgleich soll nötigenfalls die Ergebnisse der primären Steuerverteilung unter den Ländern korrigieren, soweit diese im Lichte der bundesstaatlichen Solidargemeinschaft als unangemessen erscheinen, auch wenn man die Eigenstaatlichkeit der Länder berücksichtigt906. Bereits in der Vergangenheit hat der Bundesgesetzgeber versucht, die kontinuierlich zunehmende Einschränkung des budgetären Gestaltungsspielraums der finanzschwachen Länder teilweise über eine Ausweitung des horizontalen Finanzausgleichs zu kompensieren907. Da zu erwarten ist, dass sich infolge des regelmäßigen Verbots struktureller Verschuldung ab dem 1. Januar 2020 der fiskalische Manövrierspielraum insbesondere der besagten Länder noch weiter verengen wird, könnte bzw. müsste zwar gegebenenfalls auch eine abermalige Ausdehnung des Länderfinanzausgleichs in Betracht gezogen werden – deren kompensatorisches Potential sollte indessen nicht überschätzt werden. Abgesehen davon, dass auch über Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG keine gezielten Hilfszahlungen an ein Notlageland gerichtet werden können, sind einer Ausweitung des horizontalen Finanzausgleichs sowohl faktische als auch rechtliche Grenzen gesetzt. Erstens stößt bereits die aktuelle Ausgestaltung des Finanzausgleichs bei drei der derzeit vier Geberländer auf derart geringe Akzeptanz, dass diese in regelmäßigen Abständen mit einer verfassungsgerichtlichen Anfechtung der aktuellen

905

Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 107 Rn. 21. Wieland, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 771 (790); Näheres zum Normprogramm und zu den Ausgleichsmodalitäten bei Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 537 ff. sowie Häde, Finanzausgleich, S. 224 ff. 907 Vgl. Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates am 4. Mai 2009, S. 3. 906

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

Regelungen drohen908 – nicht zuletzt aufgrund der Gewissheit, sich im Hinblick auf eine zukünftige Novellierung mit einer Zweidrittelmehrheit der Empfängerländer im Bundesrat konfrontiert zu sehen. Berücksichtigt man zudem, dass die Schuldenregel ja bereits zum jetzigen Zeitpunkt auch die Zahler unter erheblichen fiskalischen Druck setzt (und auch zukünftig setzen wird), folgt: Eine gegen den erbitterten Widerstand der Geberländer erwirkte substantielle Erhöhung der Ausgleichsintensität wäre geeignet, die voluntative Grundlage der bündischen Solidarität bzw. des politischen und rechtlichen Miteinander der Länder nachhaltig zu beschädigen. Zweitens wird das Volumen des über den Länderfinanzausgleich zu erzielenden Transfers zwischen Geber- und Nehmerländern verfassungsrechtlich ohnehin durch das Verbot der vollständigen Finanzkraftnivellierung909 beschränkt, das im Rahmen des unitarischen Finanzausgleichs die auf Diversität abzielende Gegenkomponente der Bundesstaatskonzeption910 zur Geltung bringen soll. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann angesichts der bereits nach seiner jetzigen Fassung relativ hohen Angleichungswirkung des horizontalen Finanzausgleichs911 nicht auf eine deutliche Ausweitung der Zahlungen zugunsten finanzschwacher Länder zur Kompensation des Wegfalls regelmäßiger Kredit(neu)einnahmen ab dem Haushaltsjahr 2020 spekuliert werden. Berücksichtigt man schließlich vor dem Hintergrund der beiden genannten Aspekte drittens, dass im Länderfinanzausgleich gegenwärtig mit gerade einmal sieben bis acht Milliarden Euro pro Jahr weniger als 2 v. H. der gesamten Steuereinnahmen von Bund und Ländern bewegt werden912, so wird deutlich: Eine auf dieser Grundlage vorzunehmende bestenfalls geringe Ausweitung des horizontalen Finanzausgleichs – mehr wird angesichts des oben Gesagten kaum möglich sein – dürfte für sich genommen schwerlich zur Bereitstellung der Zusatzmittel ausreichen, die gegebenenfalls erforderlich sein werden, um ab dem 1. Januar 2020 nötigenfalls dauerhaft die Staatlichkeit mehrerer Länder gleichzeitig absichern zu können.

908

Vgl. zum Dauerkonflikt zwischen Geber- und Nehmerländern Häde, LKV 2011,

1 ff. 909 Statt vieler Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 612 f.; Häde, Finanzausgleich, S. 238 ff. 910 Vgl. dazu im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 A. III. 4. 911 Näheres bei Seitz, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung, S. 135 (139). 912 Vgl. Bofinger/Lenk/H.-P. Schneider, Zukunftsfähige Finanzpolitik, S. 28; auch Korioth, in: Baus/Fischer/Hrbek (Hrsg.), Föderalismusreform II, Perspektiven einer Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, S. 67 (73) („weniger als 10 v. H. der [. . .] zu verteilenden gesamten Steuereinnahmen“); dens., in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Der Föderalstaat nach dem Berlin-Urteil, S. 49 (62).

2. Kap.: Prognosen

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5. Abhilfe durch Ausgleichszahlungen des Bundes? Sollten bei einem etwaigen Eintritt des Sicherungsfalles selbst kumulative Lösungsversuche über die bisher erörterten Finanzierungsregeln des Grundgesetzes nicht ausreichen, um jedem Land auch ohne die Einräumung der regelmäßigen Möglichkeit zur strukturellen Neuverschuldung dauerhaft eine aufgabenadäquate Finanzposition zu sichern, so würde spätestens dann als Ultima Ratio die Pflicht des Bundes in den Mittelpunkt rücken, notfalls aus eigenen Mitteln eine angemessene Finanzausstattung der Länder zu garantieren913. Wie oben914 gezeigt wurde, müsste die Wahrnehmung dieser Finanzverantwortung aber auf der Grundlage von ausdrücklich normierten Handlungsinstrumenten der Bundesverfassung erfolgen können. Diesbezüglich geraten gleich mehrere Vorschriften in den Blick. a) Art. 106 Abs. 4 Sätze 2, 3 GG (Mehrbelastungsausgleich) Gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 2 i.V. m. Satz 1 GG kann eine finanzielle Mehrbelastung der Länder, die daraus resultiert, dass ihnen durch Bundesgesetz zusätzliche Ausgaben auferlegt oder Einnahmen entzogen werden, außer durch eine Neufestsetzung des Beteiligungsverhältnisses von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer auch mit (durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz zu gewährende) Finanzzuweisungen des Bundes ausgeglichen werden, wenn die Mehrbelastung auf einen kurzen Zeitraum begrenzt ist. Dieser Mehrbelastungsausgleich ist eine Erscheinungsform des vertikalen Finanzausgleichs, die außerhalb des regulären Finanzausgleichssystems steht und nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist915. Zwar dürfte selbst unter Zugrundelegung einer (grenzwertig) extensiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Einnahmenentzug“, die unter Letzteren auch schon die Versagung bloßer Einnahmemöglichkeiten der Länder fasst, bereits nicht belastbar zu begründen sein, dass das (durch qualifiziertes Bundesgesetz [vgl. Art. 79 Abs. 1, 2 GG] in der Bundesverfassung verankerte) Verbot der Generierung kreditärer (Neu-)Einnahmen gemäß Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 GG dieser Begrifflichkeit unterfallen soll. Jedenfalls liegt aber einem Eintritt des vorliegend behandelten Sicherungsfalles prinzipiell eine strukturelle Unterfinanzierung der Länderebene zugrunde916. Da aber eine über Art. 106 Abs. 4 Sätze 2,

913 Vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) bb); vgl. auch schon Aydin, KritV 93 (2010), 29 (43 ff.). 914 Vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd). 915 Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 106 Rn. 110. 916 Dazu eingehend unter A.

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

3 GG zu kompensierende Mehrbelastung auf einen kurzen Zeitraum begrenzt bleiben muss, scheidet vorliegend ein Ausgleich über diese Vorschrift aus917. b) Art. 106 Abs. 8 GG (Sonderbelastungsausgleich) Ebenso wenig kann der Bund seiner Einstandspflicht über die in Art. 106 Abs. 8 Satz 1 GG verankerte Kompensationsregel nachkommen, der zufolge er, sofern er in einzelnen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) besondere Einrichtungen veranlasst, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) unmittelbar Mehrausgaben oder Mindereinnahmen (Sonderbelastungen) verursachen, den erforderlichen Ausgleich gewährt, wenn und soweit den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) nicht zugemutet werden kann, die Sonderbelastungen zu tragen918. Denn bei der bundesverfassungsrechtlichen Normierung eines strukturellen Neuverschuldungsverbots handelt es sich nicht um die Veranlassung einer besonderen Einrichtung – abgesehen davon, dass die Schuldenregel an alle Länder, nicht bloß, wie ein Ausgleich nach Art. 106 Abs. 8 Satz 1 GG voraussetzen würde, an einzelne Gliedstaaten gerichtet ist. c) Art. 91a; 91b Abs. 1, 3; Art. 104b GG (Mischfinanzierungstatbestände) Weiterhin könnte erwogen werden, die Zuführung von Bundesmitteln an Not leidende Länder über den Einsatz von Mischfinanzierungen gemäß Art. 91a und 91b GG und/oder von Investitionshilfen gemäß Art. 104b GG zu bewerkstelligen919. Gemäß Art. 91a Abs. 1 GG wirkt der Bund auf ausgewählten Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Dabei trägt er je nach Aufgabengebiet die Hälfte bzw. mindestens die Hälfte der Ausgaben in jedem Land, Art. 91a Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Hs. 1 GG. Art. 91b Abs. 1 GG wiederum eröffnet Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Bund und Ländern auf bestimmten Gebieten der Wissenschaftsförderung auf Grund von (Verwaltungs-)Vereinbarungen, wobei auch die Kostentragung in einer Vereinbarung geregelt wird, Art. 91b Abs. 3 GG. Schließlich kann der Bund gemäß Art. 104b Abs. 1 Satz 1 GG, soweit das Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht (vgl. aber die Ausnahmetatbestände in Art. 104b Abs. 1 Satz 2 GG), den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeut917

Vgl. hierzu bereits Aydin, KritV 93 (2010), 29 (43). Näher zu den Anspruchsvoraussetzungen Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/ Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 106 Rn. 112 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 106 Rn. 20. 919 Auch zum Folgenden Aydin, KritV 93 (2010), 29 (43 f.). 918

2. Kap.: Prognosen

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same Investitionen der Länder und der Gemeinden (Gemeindeverbände) gewähren, die 1. zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder 2. zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder 3. zur Förderung des Wirtschaftswachstums erforderlich sind. Investitionsarten und -modalitäten sind dabei durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz oder auf Grund des Bundeshaushaltsgesetzes durch Verwaltungsvereinbarung zu regeln, Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG. Ob und, falls ja, inwieweit Mischfinanzierungen im hier behandelten Sicherungsfall eine wirksame Handhabe für die Zuführung von Finanzhilfen an Not leidende Länder darstellen, ist zweifelhaft. 1. Der politische Handlungsspielraum und damit die Staatlichkeit eines hilfsbedürftigen Landes können allein durch die Bereitstellung frei verfügbarer Gelder gewahrt/wiederhergestellt werden920. Da weiterhin der in Rede stehende Sicherungsfall insbesondere durch ein akutes Defizit an fiskalischem Handlungsspielraum gekennzeichnet ist, dürfte dabei zuvörderst die Zuführung von nicht zweckgebundenen Soforthilfen an das Notlageland geboten sein; demgegenüber werden Zahlungen auf der Grundlage von Art. 91a, 91b und 104b GG zweckgebunden getätigt. Allerdings könnte der Einsatz von Bundesmitteln, die nach Maßgabe dieser Vorschriften an Länder gezahlt werden, die Freigabe von vormals zur Aufgabenfinanzierung (nur in Bezug auf Zweckausgaben!921) eingeplanten Geldern ermöglichen und somit indirekt dazu führen, dass den Gliedstaaten ein größerer Teil ihrer Finanzmittel zur freien Verfügung stünde. Dies setzte indessen voraus, dass die Länder verpflichtet wären, das/die vom Bund auf Grundlage der Art. 91a Abs. 3, Art. 91b Abs. 3 bzw. Art. 104b GG mitzufinanzierende(n) Projekt(e) auch bei hinweggedachter Bundesbeteiligung (in entsprechendem finanziellen Umfang) durchzuführen. Bedingung hierfür wäre wiederum, dass der Bund die geplante(n) Sachmaßnahme(n) kraft seiner Normierungsbefugnisse auch gesetzlich durchsetzen könnte. Dann nämlich hätten die Länder prinzipiell die entsprechenden Vorschriften gemäß Art. 83 f. GG als eigene Angelegenheit auszuführen sowie gemäß Art. 104a Abs. 1 GG die zugehörigen Zweckausgaben zu tragen. Ist der Bundesgesetzgeber Träger entsprechender Normierungszuständigkeiten, von denen er in der Vergangenheit Gebrauch gemacht hat (in naher 920

Dazu oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd). In Bezug auf die Verwaltungskostentragung bleibt es hinsichtlich sämtlicher Mischfinanzierungstatbestände bei der Regel des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Var. 1 GG (vgl. hinsichtlich Art. 91a und 91b GG Heun, in: Dreier [Hrsg.], GG III, Art. 91a Rn. 31 bzw. Art. 91b Rn. 19 sowie bezüglich Art. 104b GG – vor dem Hintergrund, dass Art. 104b GG eine Ausnahme zur Regelung des Art. 104a Abs. 1 GG normiert – Heintzen, in: v. Münch [Begr.]/Kunig [Hrsg.], GG II., Art. 104a Rn. 53: „Hinsichtlich der Verwaltungsaugaben ist Art. 104a V Ausnahme von den Ausnahmen zu Art. 104a I [. . .].“). 921

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

Zukunft Gebrauch machen will) und revidierte (verzichtete) er (auf) diese Gesetzgebung zugunsten einer gemeinschaftlichen Aufgabenwahrnehmung und -finanzierung gemäß Art. 91a, 91b oder 104b GG, so hätte der Bund die Möglichkeit, die Länder hinsichtlich der Zweckausgaben der in Rede stehenden Maßnahmen zu entlasten (nicht in dem Ausmaß zu belasten, wie es bei einer zukünftigen Kostentragung gemäß Art. 104a Abs. 1 GG i.V. m. Art. 83 GG der Fall wäre) – Ergebnis: die Freigabe (Nichteinbindung) von Landesfinanzmitteln, die bis dato (zukünftig) für den Vollzug von Bundesgesetzen aufgewendet werden mussten (hätten aufgewendet werden müssen). Hinsichtlich dieser Kette an Voraussetzungen müssen Art. 91a, 91b und 104b GG gesondert in den Blick genommen werden. a) Was die in Art. 91a GG geregelten Fallgruppen angeht, so ist die Mitwirkung des Bundes an der Wahrnehmung von Länderaufgaben, die die im ersten Absatz der Norm niedergelegten Kriterien erfüllen, obligatorisch (vgl. Abs. 1 Satz 1 Hs. 1: „Der Bund [. . .] wirkt [. . .] mit [. . .].“)922. Da folglich die Alternativkonstellation der alleinigen Vollzugs- und Finanzierungsverantwortung eines Landes hier gar nicht existieren kann, kann nach dem oben Gesagten auch der Einsatz von Mischfinanzierungen gemäß Art. 91a GG nicht zu einer Freisetzung von Mitteln auf der Ausgabenseite eines Landeshaushaltes führen. b) Anders liegen die Dinge in Bezug auf ein Vorgehen über Art. 91b GG. Denn hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 der Norm geregelten Materien wirken Bund und Länder fakultativ zusammen („Bund und Länder können [. . .] zusammenwirken [. . .].“). Wenn und soweit ferner wenigstens eine der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Voraussetzungen vorliegt, hat der Bund Gesetzgebungsbefugnisse bezüglich der Förderung der wissenschaftlichen Forschung (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG). Diesem Sachgebiet sind jedenfalls auch die in Art. 91b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 GG genannten Materien (Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen bzw. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen) zuzuordnen. Hat der Bund ein Projekt, das einer Realisierung nach Art. 91b GG zugänglich ist, in der Vergangenheit kraft seiner Normierungsbefugnis aus Art. 72 Abs. 2 i.V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG bereits gesetzlich auf den Weg gebracht oder aber solch ein Vorgehen für die Zukunft ins Auge gefasst, kann er dies zugunsten einer gemeinschaftlichen Aufgabenwahrnehmung und -finanzierung gemäß Art. 91b Abs. 1, 3 GG rückgängig machen bzw. davon absehen und so die Länder bei der (Zweck-)Kostentragung entlasten923. 922 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), GG, Art. 91a Rn. 1; Kienemund, in: Hömig (Hrsg.), GG, Art. 91a Rn. 2. 923 Wenn und soweit der Bund ein entsprechendes Förderprojekt auch durch den Erlass eines Geldleistungsgesetzes auf den Weg bringen kann, hat er allerdings auch die (dann näher liegende) Möglichkeit, eine Zweckkostenbeteiligung über Art. 104a Abs. 3 GG herbeizuführen (vgl. [zu Art. 91b GG a. F.] Mager, in: v. Münch [Begr.]/Kunig

2. Kap.: Prognosen

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c) Und auch über den Einsatz von Investitionshilfen gemäß Art. 104b GG kann der Bund eine Freigabe von Finanzmitteln initiieren, die die Empfängerländer ursprünglich für die Begleichung von Zweckkosten des Vollzugs bestimmter Bundesgesetze eingeplant hatten. Denn im Zuge der Neufassung der Vorgängerregelung Art. 104a Abs. 4 GG a. F. als Art. 104b GG im Rahmen der Föderalismusreform I wurde die Investitionshilfekompetenz des Bundes einschränkend an das Bestehen von Gesetzgebungsbefugnissen des Bundes geknüpft924. Daher gilt bezüglich potentieller Bundesmaßnahmen auf Grund von Art. 104b GG (abgesehen von jenen Fallgestaltungen, die unter die im Zuge der Föderalismusreform II als Absatz 1 Satz 2 in die Vorschrift eingefügten Ausnahmetatbestände fallen): Ist der Bund zuvor auf Grund seiner Sachregelungsbefugnisse auf Kosten der Länder (! Art. 83 f. i.V. m. Art. 104a Abs. 1 GG) investiv tätig geworden (steht solch ein Tätigwerden bevor) und wurden (werden) dabei die inhaltlichen Maßgaben erfüllt, die Art. 104b GG an eine zu fördernde Investition der Länder stellt, so könnte sich der Bund insoweit aus der Gesetzgebung zurückziehen (insoweit auf eine Normierung verzichten) und so die Investitions(sach)befugnis freigeben925 (nicht von ihr Gebrauch machen). Sollten die Länder sich nun angesichts der Aussicht auf die Freigabe eines Teils ihrer verplanten Mittel dazu entscheiden, selbst (den vormaligen/geplanten des Bundes entsprechende) Investitionsprogramme aufzulegen, könnte der Bund ihnen über Art. 104b GG Finanzhilfen gewähren und sie auf diesem Weg hinsichtlich der Zweckkosten der entsprechenden Maßnahmen entlasten926. Im Ergebnis hätten die Länder einen größeren Teil ihrer Finanzmittel zur freien Verfügung als im Vergleichsfall, in dem der Bund das Investitionsprojekt gesetzlich durchsetzte und die Länder re[Hrsg.], GG II, Art. 91b Rn. 39; zur Beteiligungsmöglichkeit des Bundes über Art. 104a Abs. 3 GG sogleich unter d)). 924 Näheres zu dieser Voraussetzung und zu den entsprechenden genetischen Hintergründen der Novellierung bei Meyer, Die Föderalismusreform 2006, S. 274 ff.; Hellermann, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 160 f. 925 Vgl. Art. 72 Abs. 1, Art. 71 Abs. 1 bzw. – wenn und soweit als Substitut für das legislative Tätigwerden des Bundes eine nicht gesetzesakzessorische Investitionsentscheidung der Länder denkbar erscheint – Art. 30 GG. 926 Eine alternative Bundesbeteiligung an Zweckausgaben über Art. 104a Abs. 3 GG dürfte hier, anders als bei den Art. 91b-Konstellationen, in keinem Fall möglich sein. Denn Geldleistungen im Sinn des Art. 104a Abs. 3 GG sind gegenleistungsunabhängige Zuwendungen an private oder öffentliche Empfangsberechtigte (etwa Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu [Begr.]/Hofmann/Henneke [Hrsg.], GG, Art. 104a Rn. 25), wohingegen unter den Investitionsbegriff des Art. 104b dauerhafte, langlebige Anlagegüter (Sachinvestitionen) oder die Förderung von Sachinvestitionen Dritter fallen (ders., a. a. O., Art. 104b Rn. 13). Da direkte Sachinvestitionen nicht über finanzielle Zuwendungen bewerkstelligt werden können, scheidet ein Vorgehen des Bundes über Art. 104a Abs. 3 GG bezüglich der ersten Untergruppe der Art. 104b-Investitionen aus. Aber auch an den Zweckkosten einer Förderung von Sachinvestitionen Dritter kann sich der Bund nicht über Art. 104a Abs. 3 GG beteiligen, da solche Fördergelder zweckgebunden vergeben werden, eine Geldleistung im Sinn des Art. 104a Abs. 3 GG aber gerade gegenleistungsunabhängig zu gewähren ist.

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gelmäßig die alleinige (Ausführungs- und) Finanzierungsverantwortung zu tragen hätten. 2. In Fällen des Art. 91a GG sowie im Hinblick auf diejenigen Konstellationen der Art. 91b und 104b GG hingegen, bei denen eine Bundesbeteiligung nicht zu einer kurzfristigen Freisetzung gebundener Landesmittel führt, können über den Einsatz von Mischfinanzierungen bzw. Investitionshilfen – ähnlich wie über die Möglichkeit des Bundes, Standortentscheidungen zugunsten eines Landes in einer extremen Haushaltsnotlage zu treffen – nur langfristig wirksame Verbesserungen an der Einnahmenstruktur der Länder erreicht werden927. Gelingt es, die gebotene Zuführung von Akuthilfen auf Grund anderer Ausgleichsinstrumente zu bewerkstelligen, so können darüber hinaus langfristig angelegte Programme gemäß Art. 91a, 91b und 104b GG (die jedenfalls in Fällen der Investitionsförderung nach Art. 104b GG auch gezielt [nur] auf einzelne Notlageländer ausgerichtet werden können928) zwar grundsätzlich zur strukturellen fiskalischen Gesundung eines Notlagelandes aufgelegt werden929; in diesem Zusammenhang sollten jedoch die folgenden drei Gesichtspunkte nicht aus den Augen verloren werden: Zum Ersten binden die Eigenanteile der Länder an den Mischfinanzierungen einen erheblichen Teil der Mittel, die den Gliedstaaten für Investitionen in den betreffenden Aufgabenbereichen zur Verfügung stehen930. Dies gilt naturgemäß insbesondere für die finanzschwachen Länder – und damit gerade für die potentiellen Beistandsbedürftigen der hier behandelten Sicherungskonstellation. Durch diese Bindung von Finanzmitteln wird der Zweck der akuten Abhilfebemühungen – die Sicherung/Wiederherstellung des durch die Staatlichkeitsgarantie gewährleisteten politischen Handlungsspielraums eines Notlagelandes mittels der Bereitstellung frei verfügbarer Gelder – ein Stück weit konterkariert. Diese Gefahr besteht ferner auch deshalb, weil zum Zweiten dem Einsatz von Mischfinanzierungen und Investitionshilfen in Bezug auf die Länder auch kostensteigernde Effekte attestiert werden, für die unter anderem eigens eingerichtete, kostenintensive Koordinierungs- und Verwaltungsapparate sowie der auf 927

BVerGE 86, 148 (267); vgl. auch Wieland, ZSE 1 (2003), 527 (546). BVerfGE 86, 148 (267 f.); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 104b Rn. 10; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr,)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 104b Rn. 27. 929 Zur Eignung der Art. 91a, 91b und 104b GG als Grundlage für die gezielte Durchführung längerfristig angelegter Sanierungsmaßnahmen in Notlageländern vgl. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 104b Rn. 27. Die den dortigen Ausführungen zugrunde gelegte Haushaltsnotlage unterscheidet sich jedoch von der hier behandelten Konstellation darin, dass das Notlageland sich übermäßig verschuldet hat. Vgl. zur Gegenüberstellung beider Sachverhalte sogleich unter e) ee) (4). 930 Vgl. bezüglich Art. 91a und 91b GG a. F., Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 222; ferner Henle, Finanzpolitik und Finanzverfassung, S. 265; Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 139 Rn. 129. 928

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Länderseite angeblich vorherrschende Wunsch nach Abschöpfung anderweitig bereitgestellter Mittel verantwortlich gemacht werden931. Schließlich eröffnen die Mischfinanzierungstatbestände der Art. 91a, 91b und 104b GG dem Bund – trotz aller im Zuge der Föderalismusreform I an den Tag gelegten Entflechtungsbemühungen – immer noch nicht unerhebliche Einwirkungsmöglichkeiten auf prinzipiell eigenverantwortlich wahrzunehmende Aufgabenbereiche der Länder und beeinträchtigen so die – im vorliegenden Problemzusammenhang gerade abzusichernde – Gestaltungsautonomie der Länder. 3. Somit lautet das Fazit zur Eignung der Mischfinanzierungstatbestände als Grundlage für die Durchführung von Abhilfemaßnahmen im hier behandelten Sicherungsfall: a) Die zuvörderst notwendige Akutversorgung eines Notlagelandes mit frei verfügbaren Haushaltsmitteln kann nur über die Art. 91b und 104b GG und in deren Rahmen auch nur hinsichtlich der dargelegten spezifischen Fallgestaltungen vorgenommen werden. b) Aber auch mit Blick auf die Durchführung struktureller Sanierungsmaßnahmen auf Grund der Mischfinanzierungstatbestände ist Vorsicht geboten, da die Gemeinschaftsfinanzierungen einen erheblichen Teil frei verfügbarer Landesgelder binden, ausgabensteigernde Effekte in sich bergen und dem Bund im Planungs- und Koordinierungsstadium (auch nach den Novellen der Jahre 2006 und 2009 noch) erhebliche Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Erfüllung originärer Länderaufgaben eröffnet werden. c) Zumindest ein schwerpunktmäßiges Tätigwerden des Bundes über die in Rede stehenden Handlungsinstrumente wäre daher wenig geeignet und dürfte in aller Regel nicht ausreichen, um bei Eintritt der hier behandelten Notlage umfassend für die Eigenstaatlichkeit des/der betroffenen Landes/Länder garantieren zu können. Über die Mischfinanzierungstatbestände könnten somit allenfalls flankierende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. d) Art. 104a Abs. 3 GG (Fakultative Beteiligung des Bundes an den Zweckkosten seiner Geldleistungsgesetze) Gemäß Art. 104a Abs. 3 Satz 1 GG können Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Die Norm enthält eine weitere (Möglichkeit zur) Durchbrechung des Konnexitätsgrundsatzes des Art. 104a Abs. 1 GG und gibt dem Bund damit ein zusätzliches Instrument zur

931 Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 222 f., 227 ff.; Waldhoff, KritV 91 (2008), 213 (218, 221); Korioth, ZG 2007, 1 (5).

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finanziellen Entlastung seiner Glieder an die Hand. Soll aber die Übernahme von Zweckausgaben932 nicht gleichzeitig zu einem Gestaltungsverlust auf Länderseite führen, muss der Kostenanteil des Bundes unter der 50-Prozent-Marke bleiben. Denn trägt der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr, wird das entsprechende Gesetz von den Ländern nicht mehr als eigene Angelegenheit, sondern im Auftrag des Bundes ausgeführt (Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG). Konsequenz: Dem Bund kommen über Art. 85 Abs. 2 bis 4 GG weiterreichende Planungs-, Aufsichts- und Weisungsbefugnisse hinsichtlich des Gesetzesvollzuges zu, als sie ihm im Regelfall, der Landeseigenverwaltung, nach Maßgabe der Art. 84 Abs. 2 bis 5 GG zustünden (im Einzelnen: Möglichkeit der Bundesregierung zur Regelung der einheitlichen Ausbildung von Beamten und Angestellten, Bestellung der Leiter der Mittelbehörden im Einvernehmen mit der Bundesregierung, regelmäßiges Weisungsrecht der obersten Bundesbehörden, Bundesaufsicht über Gesetz- und Zweckmäßigkeit der Ausführung). Zudem ist es dem Bund auch über Art. 104a Abs. 3 GG nicht möglich, gezielt zugunsten von Notlageländern tätig zu werden. Trotzdem: Vorbehaltlich der geschilderten Einwände dürften Zweckkostenübernahmen auf Grund von Art. 104a Abs. 3 GG zu einer Verbesserung der Finanzsituation von Not leidenden Ländern (mit) beitragen können933. e) Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG (Ergänzungszuweisungen des Bundes) Bleiben noch die Ergänzungszuweisungen des Bundes934. Gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG kann der Bund leistungsschwachen Ländern aus seinen Mitteln Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs gewähren. aa) Normzweck und Einordnung in das föderative Finanzverteilungssystem Ziel des in den Art. 106 f. GG niedergelegten mehrstufigen Verfahrens zur Verteilung des bundesstaatlichen Finanzaufkommens ist es, Bund und Ländern im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen mit denjenigen Finanzmitteln auszustatten, die sie benötigen, um die ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Auf-

932 Vgl. hinsichtlich der Verwaltungsausgaben abermals Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Var. 1 GG. 933 Vgl. Aydin, KritV 93 (2010), 29 (44). 934 Auch zum Folgenden – der Erörterung der Frage nach einem Kompensationsbeitrag von Bundesergänzungszuweisungen hinsichtlich der hier in den Blick genommenen Länderfiskalproblematik – Aydin, KritV 93 (2010), 29 (44 f.).

2. Kap.: Prognosen

271

gaben ordnungsgemäß wahrnehmen zu können935. Die Bundesergänzungszuweisungen bilden einen abschließenden Bestandteil dieses Distributionssystems, der die Vornahme von definitiven Korrekturen im Hinblick auf solche Fälle ermöglichen soll, in denen die Steuerverteilung innerhalb der Ländergesamtheit und auch der angemessene Ausgleich unter den Ländern unter dem Strich noch keine aufgabenangemessene Finanzausstattung erbringen936. Daraus folgt zwar, dass Ergänzungszuweisungen gegenüber den aufgrund der Primärverteilung der Steuererträge zugewiesenen Mitteln und gegenüber den Ausgleichsleistungen im horizontalen Finanzausgleich nur subsidiär sind937. Andererseits ist damit aber nicht auch gesagt, dass Ergänzungszuweisungen im Verhältnis zum Länderfinanzausgleich nur geringfügig sein dürfen938. Im Gegenteil kann die Erreichung des in Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG angeführten Ausgleichszwecks der ergänzenden Finanzbedarfsdeckung es gerade erfordern, Bundesergäzungszuweisungen in einer Höhe bereitzustellen, die gegenüber dem horizontalen Finanzausgleich nicht nur geringfügig ist939. bb) Tatbestand der Leistungsschwäche Soll Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG vorliegend als Ausgleichsregel fungieren können, müsste der hier erörterte Sachverhalt die Voraussetzungen des zentralen Normmerkmals der Leistungsschwäche erfüllen. Letztere meint die mangelnde Fähigkeit eines Landes, mit den nach dem horizontalen Finanzausgleich vorhan935 Etwa BVerfGE 32, 333 (338); 55, 274 (300); 72, 330 (388); 86, 148 (264); 116, 327 (378); vgl. auch Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 99 ff.; Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, § 139 Rn. 59; Kube, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, S. 2 f. 936 Vgl. Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes, S. 13 f. 937 Etwa Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 107 Rn. 92; Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes, S. 21 ff.; Kube, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, S. 22; Ingenlath, Die Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 II 3 GG, S. 161 ff. 938 BVerfGE 72, 330 (403, 419 f.); 101, 158 (233); Lerche/Pestalozza, Die bergrechtliche Förderabgabe im System des horizontalen Finanzausgleichs und der Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 II GG, S. 103; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 113; Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes, S. 96 f.; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, Art. 107 Rn. 92; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 107 Rn. 10; a. A. Kube, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, S. 23; Kisker, Der bergrechtliche Förderzins im bundesstaatlichen Finanzausgleich, S. 51; Fischer-Menshausen, in: v. Münch (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 107 Rn. 22. 939 Vgl. Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 113 i.V. m. 117 f.; ähnlich Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes, S. 96 f.; a. A. Kisker, Der bergrechtliche Förderzins im bundesstaatlichen Finanzausgleich, S. 51 f.; H. Fischer, Finanzzuweisungen, S. 256 f.

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

denen Mitteln die von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen940. Die hier behandelte fiskalische Notsituation basiert auf der Annahme, dass Länder ab dem 1. Januar 2020 aufgrund des Wegfalls regelmäßiger Einnahmen aus Krediten Schwierigkeiten damit haben könnten, ihre verfassungsrechtlich begründeten Aufgaben im vollen Umfang ordnungsgemäß zu erfüllen. Diese Schwierigkeiten wiederum wären auf eine (abzüglich der kreditären Einnahmen) nicht aufgabengerechte Finanzausstattung eines Landes – die sich im Wesentlichen aus den nach dem horizontalen Finanzausgleich vorhandenen Mitteln zusammensetzt – zurückzuführen: Gerade dieser Mangel hätte ja durch eine regelmäßige (Netto-) Neuverschuldung, zumindest kurzfristig, ausgeglichen werden sollen. Folglich wäre der Tatbestand der Leistungsschwäche erfüllt. Bei Eintritt des hier erörterten Sicherungsfalles käme Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG daher prinzipiell als Grundlage für verfassungsrechtlich gebotene Finanzhilfen des Bundes an Not leidende Länder in Betracht. cc) Primär einschlägig: Allgemeine Tatbestandsvariante des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG Gründe für eine Leistungsschwäche können eine unterdurchschnittliche Finanzkraft nach Durchführung des horizontalen Finanzausgleichs oder Sonderbedarfe bzw. Sonderlasten sein941. Dementsprechend werden zwei Arten von Bundesergänzungszuweisungen unterschieden. Zur Abhilfe bezüglich des erstgenannten Falles kann der Bundesgesetzgeber die Finanzkraft der leistungsschwachen Länder generell anheben, indem er ihnen allgemeine Ergänzungszuweisungen gewährt. Diesbezüglich bleibt er weitgehend an die Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs gebunden: Er darf nur solche Länder unterstützen, „deren Finanzausstattung nach den Ergebnissen des horizontalen Finanzausgleichs in einem Maße unter dem Länderdurchschnitt geblieben ist, das unangemessen erscheint, aus den Mitteln der übrigen Länder jedoch nicht ausgeglichen werden könnte (. . .)“ 942. Dabei verdichtet sich das dem Bundesgesetzgeber eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Gewährung von Ergänzungszuweisungen umso mehr zur Rechtspflicht, je weniger die Finanzausstattung eines leistungsschwachen Landes im horizontalen Finanzausgleich an den Länderdurchschnitt herangeführt worden ist943. Ist hingegen die Leistungsschwäche eines Landes auf bestimmte Sonderbedarfe und/oder Sonderlasten zurückzuführen, kann der Bundesgesetzgeber diese über Sonderbedarfszuweisungen mitfinanzieren. Im Unterschied zu den allgemei940 941 942 943

BVerfGE 116, 327 (384). BVerfGE 116, 327 (384). BVerfGE 116, 327 (381). BVerfGE 72, 303 (403).

2. Kap.: Prognosen

273

nen Zuweisungen sind hier die Bindungen an die Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs deutlich gelockert, und dürfen daher Zuweisungen „leistungsschwachen Ländern im Ausnahmefall auch bei überdurchschnittlicher Finanzkraft gewährt werden oder diesen eine überdurchschnittliche Finanzkraft verschaffen und so die Finanzkraftreihenfolge der Länder verändern, solange außergewöhnliche Gegebenheiten vorliegen (. . .)“ 944. Charakteristikum der hier behandelten fiskalischen Notlage eines Landes ist ein Missverhältnis zwischen seinem Finanzaufkommen auf der einen und seinen Auf(- bzw. Aus-)gabenbelastungen auf der anderen Seite, das infolge des Fehlens der Möglichkeit offenbar wird, die entsprechende Lücke durch regelmäßige Krediteinnahmen zu schließen. Obgleich bereits aus heutiger Sicht vieles für eine strukturelle Unterfinanzierung zumindest einiger fiskalschwacher Länder spricht945 und daher auch mögliche zukünftige Finanzengpässe der Länder (zumindest kurz- und mittelfristig) im Kern hierauf zurückzuführen sein dürften, gilt doch: Ob für etwaige finanzielle Schieflagen der Gliedstaaten nicht auch landesspezifische Sonderlasten (mit-)ursächlich sein werden, kann selbstredend nicht im Vorhinein bestimmt werden. An dieser Stelle kann daher nur festgehalten werden: Je nachdem wie ein etwaiger Sicherungsfall in der Zukunft gelagert sein wird, dürften vorrangig allgemeine, im Einzelfall jedoch auch Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (alternativ oder kumulativ) als verfassungsgesetzliche Handlungsinstrumente in Betracht gezogen werden können. dd) Im Ernstfall: Notwendigkeit einer Auslegung des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG, die in Einklang mit Art. 79 Abs. 3 GG steht Zwar ergibt sich aus Systematik und Ausgestaltung des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG als Ermessensvorschrift der subsidiäre Charakter der Norm; als vertikale Ausgleichskomponente soll sie im Anschluss an den horizontalen Finanzausgleich eigentlich nur als Lückenschließer dienen946. Kann aber die finanzielle Position eines Landes/mehrerer Länder im hier behandelten Sicherungsfall selbst über einen kumulativen Einsatz der vorgeschalteten Handlungsinstrumente der bundesstaatlichen Finanzordnung nicht hinreichend abgesichert werden, muss (sofern eine Lösung über eine neuerliche Verfassungsrevision vermieden werden soll) deren Staatlichkeit notfalls mittels einer in Einklang mit den Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG stehenden Interpretation des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG gewahrt werden. Im Wege einer entsprechenden Auslegung der Vorschrift würde 944 945 946

aa).

BVerfGE 116, 327 (382). Vgl. oben unter A. III. insbesondere unter 3. (Fazit). Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 107 Rn. 33; vgl. zudem bereits oben unter

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

sich das Entschließungsermessen des Bundesgesetzgebers auf Null reduzieren947. Die einfachgesetzlichen Konkretisierungen ihrerseits wären nur dann mit dem so interpretierten Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG vereinbar, sollten die Anspruchsvoraussetzungen es ermöglichen, die Fiskalausstattung von Ländern, die zu einer verfassungsgemäßen Aufgabenerfüllung nicht mehr in der Lage sind, beständig im erforderlichen – also: staatlichkeitswahrenden – Maß anzuheben. Letztlich ist Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG auch die einzige Verfassungsnorm, mittels derer ein Notlageland nötigenfalls nicht zweckgebundene Hilfszahlungen des Bundes verfassungsprozessual einfordern könnte948. ee) Grenzen einer Lösung über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG Sollte jedoch in der Zeit ab dem 1. Januar 2020 ein Zustand eintreten, in dem (a) sogar Gliedstaaten mit einer nach dem horizontalen Finanzausgleich nicht unterdurchschnittlichen Finanzposition Schwierigkeiten hätten, auf Grundlage dieser Finanzausstattung ihre Aufgaben in Einklang mit den oben949 herausgearbeiteten Kriterien wahrzunehmen und sollten diese Schwierigkeiten dabei (b) nicht auf gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG berücksichtigungsfähige Sonderlasten zurückgeführt werden können, so würde ein Versuch, dieser Situation über (dann: allgemeine) Bundesergänzungszuweisungen abzuhelfen, den Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG überschreiten. Denn wie bereits oben angedeutet wurde950, können Empfänger allgemeiner Bundesergänzungszuweisungen nur Länder mit einer nach Durchführung des Länderfinanzausgleichs unterdurchschnittlichen Finanzausstattung sein. Dies lässt sich zwar ebenso wenig wie be947 Zur Ermessenreduktion bei Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG vgl. BVerfGE 72, 330 (403); ferner Ingenlath, Die Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 II 3 GG, S. 89; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG III, Art. 107 Rn. 33; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 107 Rn. 49; K. Fischer, Bundesergänzungszuweisungen im Länderfinanzausgleich, S. 33. 948 Zur entsprechenden Vorgabe des Art. 79 Abs. 3 GG vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd). Von den anderen Ausgleichsgrundlagen, die auf eine Gewährung von Bundesgeldern abzielen, ermöglichen außer Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG nur die Art. 91b, 104b und 104a Abs. 3 GG – allerdings mit erheblichen Einschränkungen – eine (mittelbare) Zuführung frei verfügbarer Haushaltsmittel (vgl. oben unter c) und d)). Unter diesen Normen, die allesamt als Ermessenvorschriften ausgestaltet wurden, kann sich die Finanzierungskompetenz des Bundes, soweit ersichtlich, nur im Rahmen des Art. 104b GG im Einzelfall zu einer Rechtspflicht verdichten (vgl. [zu Art. 104a Abs. 4 GG a. F.] BVerfGE 39, 96 [113]); Heun, in: Dreier [Hrsg.], GG III, Art. 104b Rn. 6). Aufgrund der engen Voraussetzungen, in deren Rahmen überhaupt nur mittels Art. 104b GG eine Freisetzung von vormals gebundenen Landeshaushaltsmitteln erzielt werden kann, dürfte in aller Regel aber auch diese Vorschrift als materiellrechtliche Grundlage für eine Länderklage vor dem Bundesverfassungsgericht ausscheiden. 949 Im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. b). 950 Oben unter bb).

2. Kap.: Prognosen

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reits die Unterscheidung zwischen allgemeinen und Sonderbedarfszuweisungen unmittelbar dem Normtext des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG entnehmen, ergibt sich aber aus der Binnensystematik des föderativen Finanzverteilungsinstrumentariums, dessen Ziel es ist, Bund und Länder aufgabenangemessen mit Finanzmitteln auszustatten951. Auf die Erreichung dieser Zielsetzung wirken die vier aufeinander aufbauenden und bezogenen Distributionsstufen952 im Rahmen ihrer jeweiligen eigentümlichen Funktionsbestimmung hin953. Vor diesem Hintergrund kann der spezifische Teilzweck der in Art. 106 Abs. 1 bis 4 GG niedergelegten vertikalen Einnahmenverteilung (aus gliedstaatlicher Sicht) nur darin erblickt werden, eine für eine aufgabengerechte Ausstattung beider staatlicher Ebenen ausreichende954 Finanzmasse in einem ersten, grundlegenden Verteilungsschritt zwischen Bund und Ländergesamtheit dergestalt aufzuteilen, dass die den Ländern insgesamt zugewiesene Finanzmasse ausreicht, um nach der anschließend unter den einzelnen Gliedstaaten durchzuführenden (Um-)Verteilung grundsätzlich jedem Land eine aufgabenadäquate Finanzposition zu sichern. Nach Maßgabe dieser Zielbestimmung für die erste Stufe des föderativen Finanzverteilungssystems können ergänzende, nachträgliche Finanztransfers von der Bundes- auf die Länderebene über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG hingegen nur noch dann gerechtfertigt werden, wenn die dadurch abzuhelfenden Schwierigkeiten auf länderspezifischen Aspekten basieren und daher im ersten Verteilungsschritt, der ja die Ländergesamtheit in Bezug nimmt, noch gar nicht hätten berücksichtigt werden können. Solche Besonderheiten können – soweit ersichtlich – nur in landestypischen Sonderlasten und/oder finanzstrukturellen Defiziten einzelner Gliedstaaten erblickt 951 Dazu bereits oben unter aa); weiterhin Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 420; Wieland, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 771 (787); Kube, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, S. 4 f. 952 Hierzu oben unter 1. 953 So oder ähnlich BVerfGE 116, 327 (378); 72, 330 (383); 86, 148 (213 f.); 101, 158 (214); vgl. auch Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 420; Wieland, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht II, S. 771 (787); Kube, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, S. 4 f. 954 Andernfalls würde gelten: Da der Bund nicht nur eine hinreichende Finanzposition der Länder garantieren, sondern auch die ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen können muss, wäre der Bundesgesetzgeber dann verpflichtet, die notwendigen Einnahmensteigerungen (a) durch Steuererhöhungen über seine Steuergesetzgebungsbefugnisse gemäß Art. 105 Abs. 2 GG und/oder (b) – sofern man dieser Norm auch ein freies Steuerfindungsrecht des Bundes entnehmen will (so bspw. L. Osterloh, NVwZ 1991, 823 [827 f.]; a. A. etwa Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 106 Rn. 2) – durch Erträge aus neu geschaffenen Steuern zu erzielen (vgl. auch bereits oben unter 2.). Sollten die Mehreinnahmen nicht ausreichen, um beiden staatlichen Ebenen die Erfüllung ihrer Verfassungsaufgaben zu ermöglichen, blieben – soweit ersichtlich – nur noch die Alternativen, mittels Verfassungsänderung die Staatsaufgaben bzw. deren Zuschnitt im Rahmen des nach Art. 79 Abs. 3 GG Möglichen entsprechend zu reduzieren bzw. zu modifizieren und/oder die Schuldenregeln des Art. 109 Abs. 3 (i.V. m. Art. 115) GG zu lockern.

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

werden, die nicht auf eine generelle Unterfinanzierung der Länderebene zurückzuführen sind. Wenn aber im Anschluss an den Länderfinanzausgleich selbst Länder mit durchschnittlicher oder gar überdurchschnittlicher Finanzkraft ergänzender Mittel bedürften, um die ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben erfüllen zu können, ohne dass hierfür spezifische Sonderlasten verantwortlich wären, dann läge diesem Umstand zwangsläufig eine strukturelle Unterfinanzierung der Länderebene im Ganzen zugrunde: Eine Abhilfe über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG müsste dann zum einen in Bezug auf (über-)durchschnittlich finanzkräftige Länder ausscheiden. Angesichts der weitgehenden und grundsätzlichen Unterfinanzierung der gliedstaatlichen Ebene würde zum anderen aber auch eine Anhebung der Fiskalposition von nach dem Länderfinanzausgleich unterdurchschnittlich finanzstarken Ländern auf ein aufgabengerechtes Niveau die dargelegten systematisch bedingten Grenzen des Anwendungsbereichs von Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG überschreiten955. Stattdessen müsste dann im Anschluss an das oben Gesagte eine grundsätzliche Lösung für die Länderfinanzproblematik über eine Erweiterung der staatlichen Einnahmenbasis956 bzw. über Korrekturen auf der Stufe der vertikalen Steuerertragsaufteilung (Art. 106 GG) gesucht werden. Hinsichtlich der letztgenannten Option hätte sich der Bundesgesetzgeber des einzig variablen Elementes dieser Verteilungsebene zu bedienen: Er müsste die Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 GG entsprechend revidieren957. Sollte das nicht ausreichen, um der Länderebene hinrei955 Sofern die Auffassung geteilt wird, das bezüglich des horizontalen Finanzausgleichs entwickelte Verbot der Nivellierung der Länderfinanzkraft sei grundsätzlich auch bei der Gewährung von (allgemeinen) Bundesergänzungszuweisungen zu beachten (etwa BVerfGE 116, 327 [381]; Häde, Finanzausgleich, S. 239; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 612; gegen die Geltung des Nivellierungsverbots im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG Ingenlath, Die Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 II 3 GG, S. 68 ff.; in der Sache ähnlich Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, S. 114 f.), ließe sich dieses Ergebnis (zumindest mit Blick auf die allgemeine Variante des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG) auch über das Nivellierungsverbot herleiten. Dieses untersagt dem Finanzausgleichsgesetzgeber, die Nehmer- bzw. Geberländer auf 100 v. H. der bundesdurchschnittlichen Finanzkraft zu heben bzw. zu senken (vgl. statt vieler Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 612). Wenn nun unabhängig von Sonderlasten selbst die Fiskalposition (über-)durchschnittlich finanzkräftiger Länder für eine verfassungsgemäße Aufgabenwahrnehmung nicht ausreicht, könnte auch Gliedstaaten mit unterdurchschnittlicher Finanzkraft mittels (allgemeiner) Bundesergänzungszuweisungen keine aufgabengerechte Finanzausstattung verschafft werden. Denn die entsprechenden Finanzhilfen dürften deren Fiskalkraft aufgrund des Nivellierungsverbotes nicht einmal auf das Ländermittel heben. 956 Dies insbesondere dann, wenn die verfügbare Gesamtfinanzmasse nicht ausreichen sollte, um Bund und Ländern gleichzeitig aufgabenangemessene Finanzpositionen zu gewähren; zu dieser Konstellation bereits unter Fn. 954; vgl. auch unter 2. 957 Die Revisionsverpflichtung des Bundes könnte nötigenfalls verfassungsprozessual eingeklagt werden, vgl. dazu und zum Ganzen oben unter 3. a).

2. Kap.: Prognosen

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chende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, bedeutete dies (da wie gezeigt auch ein Ausgleich über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG ausscheiden müsste), dass die Bundesverfassung eine aufgabengerechte Finanzausstattung nicht mehr hinreichend absicherte: Die entsprechende Maßgabe des Art. 79 Abs. 3 GG wäre nicht mehr gewahrt, der Revisionsgesetzgeber müsste daher nachbessern. Hierzu könnte er zum einen die erste Stufe des gegenwärtigen Verteilungssystems punktuell modifizieren, indem er die festen Zuteilungsquoten bei den Bundes- und Landessteuern (Art. 106 Abs. 1, 2 GG) sowie bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer (Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG) abänderte bzw. die Festsetzung dieser Quoten entsprechend den oben in Bezug genommenen Regelungen zur Umsatzsteuerverteilung dem (einfachen) Bundesgesetzgeber überantwortete, um künftig eine bedarfsgerechte Anpassung der Beteiligungsverhältnisse auch ohne Verfassungsrevision zu gewährleisten. Darüber hinaus stünde es dem verfassungsändernden Gesetzgeber nach Maßgabe des oben Herausgearbeiteten958 zum anderen aber auch frei, die bundesstaatliche Finanz- und/oder Kompetenzordnung des Grundgesetzes anderweitig – selbst grundlegend – zu modifizieren, sofern im Ergebnis eine verfassungsgemäße Aufgabenwahrnehmung beider staatlicher Ebenen sichergestellt wäre. Fazit: Liegt eine generelle Unterfinanzierung der Länderebene vor, kann eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung aus systematischen Gründen nicht über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG sichergestellt werden. ff) Möglicherweise entgegenstehende Wertungen aus BVerfGE 116, 327? Im Zusammenhang mit der vorstehend959 ausgeführten Sicherungsoption gerät abschließend das Berlin-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in den Blick: In diesem Judikat vom 19. Oktober 2006 anlässlich des Begehrens des Landes Berlin, ihm ab dem Jahr 2002 Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zweck der Haushaltssanierung zuzubilligen, verschärfte das Gericht die Voraussetzungen für die Gewährung solcher Sanierungshilfen so erheblich, dass sich im Hinblick auf die (auch für den hier behandelten Sicherungsfall maßgebliche) Dogmatik des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG die Frage nach der Abstrahier- bzw. Übertragbarkeit bestimmter Kernpositionen aus dem Berlin-Urteil geradezu aufdrängt. Die diesbezügliche Erörterung gliedert sich in fünf Teilabschnitte. Nachdem in einem vorbereitenden Schritt kurz die (bundes-)verfassungsgerichtlichen Kernaussagen zum Umgang mit Haushaltsnotlagen der Länder bis zum 19. Oktober 2006 skizziert werden ((1)), folgen zusammenfassende Schilderungen des dem 958 959

Im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) aa). Unter aa) bis ee).

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

Berlin-Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts ((2)) sowie – mit spezifischem Blick auf den hier behandelten Sicherungsfall – des Judikats selbst ((3)). In einem nächsten Schritt erfolgt eine Gegenüberstellung der unter (2) geschilderten Fallgestaltung mit der hiesigen Problemstellung ((4)), um auf dieser Grundlage dann für Letztere (möglicherweise) maßgebliche Wertungen aus dem Berlin-Urteil extrahieren und gegebenenfalls auf den Sicherungsfall anwenden zu können ((5)). (1) Haushaltsnotlagen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bis zum Berlin-Urteil Nur vor dem Hintergrund der hergebrachten Karlsruher Judikatur zum Umgang mit Haushaltsnotlagen von Ländern kann die Verschärfung der Voraussetzungen nachvollzogen werden, die der Zweite Senat im Berlin-Urteil in Bezug auf die Zubilligung von Sanierungszuweisungen des Bundes gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG vorgenommen hat. (a) BVerfGE 72, 330 Erstmals stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner finanzausgleichsrechtlichen Leitentscheidung vom 24. Juni 1986960 einen (wenn auch verhältnismäßig vagen) Bezug zwischen der Haushaltssituation eines Landes und der Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG her. Der Zweite Senat führt im Rahmen seiner Darstellung des grundgesetzlichen Finanzverteilungssystems anlässlich seiner Ausführungen zu den Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zunächst aus, dass über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG auch ein Ausgleich von Sonderlasten einzelner Länder erfolgen könne, Ergänzungszuweisungen jedoch nicht zur Abhilfe für Situationen dienten, „die eine unmittelbare und voraussehbare Folge von politischen Entscheidungen bilden, die von einem Land in Wahrnehmung seiner Aufgaben selbst getroffen werden“ 961. Aber: „Ausnahmen hiervon mögen sich aus dem Bundesstaatsprinzip ergeben, wenn die Haushaltssituation eines Landes gerade eine Unterstützung im Wege der Ergänzungszuweisungen unabweislich fordert und Abhilfe auf andere Weise (Art. 104a Abs. 4 GG) nicht zu verwirklichen ist.“ 962 (b) BVerfGE 86, 148 In einem weiteren finanzausgleichsrechtlichen Referenzjudikat vom 27. Mai 1992 geht der Zweite Senat noch einen Schritt weiter. Im Rahmen des zugrunde 960 961 962

BVerfGE 72, 330. BVerfGE 72, 330 (405). BVerfGE 72, 330 (405).

2. Kap.: Prognosen

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liegenden Verfahrens musste er sich unter anderem mit den Einlassungen Bremens und des Saarlandes auseinandersetzen, ihre Haushaltssituation sei im Rahmen der seinerzeitigen Vorschriften des Finanzausgleichsgesetzes, die die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen regelten, nicht bzw. nur unzureichend berücksichtigt worden963. In diesem Zusammenhang rekurriert das Gericht zunächst auf die im Rahmen von BVerfGE 72, 330 kund getane Position, auch Lasten, die auf die Haushaltsnotsituation eines Landes zurückzuführen seien, könnten mit Blick auf Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG als berücksichtigungsfähiger Sonderbedarf im Betracht kommen, wenn eine Abhilfe auf andere Weise nicht möglich sei964 – allerdings (das wurde in der Vorgängerentscheidung zumindest nicht ausdrücklich hervorgehoben) nur in dem Umfang, der der Funktion der Ergänzungszuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichs als abschließendes Ausgleichselement für ergänzende Korrekturen entspreche965, konkret: Die gewährten Zuweisungen müssten sich „der Sache und dem Umfang nach noch als (vorübergehende) Hilfe zur Selbsthilfe des betroffenen Landes darstellen“ 966. In einem nächsten Gedankenschritt jedoch – und hier liegt hinsichtlich der Bezüge zwischen Haushaltsnotlagen und dem Instrument der Ergänzungszuweisungen das entscheidende Novum gegenüber dem Urteil aus dem Jahr 1986 – führt der Senat aus, bei einer extremen Haushaltsnotlage eines Landes („die seine Fähigkeit zur Erfüllung der ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben in Frage stellt und aus der er sich mit eigener Kraft nicht befreien kann“ 967) sei das bundesstaatliche Prinzip als solches berührt. Aus ihm erwachse den anderen Gliedern der bundesstaatlichen Gemeinschaft968 die Pflicht, mit konzeptionell aufeinander abgestimmten Maßnahmen dem betroffenen Land beizustehen969. Die in Art. 20 Abs. 1 GG wurzelnde Pflicht bundesstaatlicher Hilfeleistung begründe zwar nicht aus sich heraus eigene Regelungs- und Eingriffsbefugnisse neben dem Grundgesetz; sie vermöge aber „die Wahrnehmung bestehender Befugnisse nach Grund und Umfang zu dirigieren“ und „bestehende Verpflichtungen zu intensivieren (. . .)“ 970. Dies könne sich auch auf die Interpretation der Vorschrift des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG auswirken: „In einem solchen Ausnahmefall erweitert sich, von der verfassungsbegründeten bundesstaatlichen Hilfe963

BVerfGE 86, 148 (161 ff.). BVerfGE 86, 148 (260 f.). 965 BVerfGE 86, 148 (261); vgl. auch oben unter aa). 966 BVerfGE 86, 148 (261). 967 BVerfGE 86, 148 (264). 968 Vorrangiges Handlungssubjekt sei aber, aufgrund der ihm allein zugewiesenen finanzverfassungsrechtlichen Abhilfeinstrumente, der Bund (BVerfGE 86, 148 [265]). 969 BVerfGE 86, 148 (263). 970 BVerfGE 86, 148 (265 f.). 964

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

leistungspflicht normativ dirigiert, ihr Sinn und Zweck. Der Umfang der Bundesergänzungszuweisungen kann dann das sonst zulässige Ausmaß vorübergehend überschreiten“ 971. Unbeschadet dieser Ausführungen stehe dem Bund zwar weiterhin ein Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum bezüglich Auswahl und Kombination der zur Verfügung stehenden Abhilfeinstrumente zu; jedoch könne sich die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative je nach Beschaffenheit der extremen Haushaltsnotlage und ihrer Ursachen dahin verengen, dass bestimmte Mittel (hier also: Bundesergänzungszuweisungen) eingesetzt werden müssten972. Mit Blick auf die zu beurteilenden Sachverhalte weist das Gericht anhand bestimmter Indikatoren nach, dass die Haushaltsnotlagen des Saarlandes und Bremens ein vergleichsweise extremes Ausmaß erreicht hätten, dem (allein973) mit Bundesergänzungszuweisungen, die sich im Rahmen ihrer normalen Funktion („Hilfe zur Selbsthilfe“) hielten, nicht wirksam abgeholfen werden könne974. Folglich komme die bundesstaatliche Hilfeleistungspflicht zum Tragen. Von einer Reduktion des legislativen Einschätzungsspielraums auf die Entscheidung zur Gewährung von (außerordentlichen) Sanierungshilfezuweisungen könne man derzeit zwar noch nicht ausgehen; der Bundesgesetzgeber sei „aber gehalten, sich unverzüglich über die Wege klarzuwerden, auf denen die alle Glieder des Bundes treffende Hilfeleistungspflicht verwirklicht werden soll und dann die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen“ 975. (c) BVerfGE 101, 158 Im seinem Urteil vom 11. November 1999 arbeitet der Zweite Senat (unter anderem) eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bundesgesetzgebers heraus, die Maßstäbe der Finanzverteilung nach Art. 106 und Art. 107 GG in einem Gesetz zu konkretisieren und zu ergänzen976. Unter den Vorgaben, die das Gericht dem Maßstäbegesetzgeber in diesem Zusammenhang auferlegt, finden sich auch Maßgaben bezüglich der Modalitäten der Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen977. Dabei wird im Wesentlichen auf die entsprechenden Passagen der vorangegangenen Entscheidungen zurückgegriffen, wobei allerdings 971

BVerfGE 86, 148 (269). BVerfGE 86, 148 (269). 973 Erweisen sich über eine Hilfe zur Selbsthilfe hinausgehenden Maßnahmen als erforderlich, soll dies aber der vorübergehenden Gewährung ordentlicher SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen nicht entgegenstehen, da diese dazu beitragen könnten, eine weitere Verschlechterung der Haushaltslage hintanzuhalten (BVerfGE 86, 148 [261 f.]). 974 BVerfGE 86, 148 (262). 975 Bezogen auf das Saarland BVerfGE 86, 148 (271); für Bremen in Zusammenhang mit der Verweisung auf S. 274 des Urteils. 976 BVerfGE 101, 158 (217 ff.). 977 BVerfGE 101, 158 (223 ff.). 972

2. Kap.: Prognosen

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der subsidiäre Charakter der Ergänzungszuweisungen besonders herausgehoben wird.978 Der Zweite Senat äußert sich überdies im Speziellen – wenn auch knapp – zu den Bezügen von Bundesergänzungszuweisungen und der Sanierung von Länderhaushalten: „§ 11 Abs. 6 FAG gewährt den Ländern Bremen und Saarland zum Zwecke der Haushaltssanierung Sonder-Bundesergänzungszuweisungen, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 1992 (BVerfGE 86, 148 [258 ff.]) als vorübergehende Hilfe zur Selbsthilfe zulässig sind.“ 979 Diese Aussage ist zumindest missverständlich. Denn der Gesetzgeber hatte sich seinerzeit entschieden, der verfassungsgerichtlich festgestellten Hilfeleistungspflicht gegenüber Bremen und dem Saarland durch die Gewährung von „Sonder-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung“ gemäß § 11 Abs. 6 FAG a. F. nachzukommen. Wie oben dargelegt wurde, sollen aber solche Sanierungszuweisungen laut dem Urteil aus dem Jahr 1992, auf das der Zweite Senat sich beruft, nur im Rahmen eines Sondertatbestandes des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG realisiert werden können. Dieser wird aber vom Normalregime der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen bezüglich Haushaltsnotlagen dogmatisch dadurch abgegrenzt, dass die Haushaltssituation ein so extremes Maß angenommen haben muss, dass das Not leidende Land gerade nicht mehr zur Selbsthilfe fähig ist und infolgedessen die Zuführung von im Volumen und in der Zeitdauer der Gewährung über ordentliche Ergänzungszuweisungen hinausgehende Sanierungshilfen durch die anderen Glieder der bundesstaatlichen Gemeinschaft erforderlich wird. Insgesamt fällt das Fehlen von Positionierungen hinsichtlich der 1992 entwickelten bundesstaatlichen Hilfspflicht bei extremer Haushaltsnotlage bzw. deren Aktualisierung in Gestalt von außerordentlichen Sonderbedarfszuweisungen auf. Dadurch werden diese Rechtskonstrukte zwar weder explizit bestätigt noch revidiert; nimmt man allerdings zu diesem „Schweigen“ erstens die augenfällige Hervorhebung der lediglich ergänzenden Ausgleichsfunktion des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG980 und zweitens den (zustimmenden) Verweis auf die degressive Ausgestaltung der seinerzeit Bremen und dem Saarland zugebilligten Sanierungshilfen981 hinzu, so könnte man darin retrospektiv einen ersten Schritt in Richtung der Restriktion des Anwendungsbereiches von Sanierungs-Bundesergänzungszuweisungen erkennen wollen, die knapp sieben Jahre später im Rahmen des Berlin-Urteils vorgenommen werden sollte982. 978

BVerfGE 101, 158 (232 f.). BVerfGE 101, 158 (235). 980 BVerfGE 101, 158 (232 f.). 981 BVerfGE 101, 158 (235). 982 Zutreffend Hancke, Defizitbegrenzung im Bundesstaat, S. 51; zu diesen Restriktionen sogleich unter (3). 979

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

(2) Zugrunde liegender Sachverhalt gemäß dem Normenkontrollantrag des Senats von Berlin vom 4. September 2003 Der Normenkontrollantrag, den der Senat von Berlin am 4. September 2003 gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V. m. §§ 13 Nr. 6, 76 Nr. 1 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht einreichte, zielte auf die Feststellung der Unvereinbarkeit von Vorschriften des Finanzausgleichsgesetzes mit Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG ab, soweit die Normen ab dem Jahr 2002 keine Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung für Berlin vorsahen bzw. -sehen. Diesbezüglich war zwischen zwei Zeiträumen zu unterscheiden: – Hinsichtlich des Zeitraumes von 2002 bis 2004 enthielt das zum 1. Januar 2005 außer Kraft getretene983 Finanzausgleichsgesetz984 in § 11 Abs. 6 Regelungen bezüglich der Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung. Ihnen zufolge erhielten Bremen und das Saarland für die Jahre 1999 bis 2004 jene Sanierungshilfen, die das Bundesverfassungsgericht beiden Ländern in seinem Urteil vom 27. Mai 1992985 zuerkannt hatte. – Zum Zeitpunkt der Antragseinreichung war bereits eine Novelle des Finanzausgleichsgesetzes verabschiedet worden (vgl. Art. 5 § 11 SFG), die gemäß Art. 12 Abs. 2 Hs. 1 SFG am 1. Januar 2005 in Kraft treten sollte und ab diesem Zeitpunkt keine Sanierungszuweisungen mehr an Haushaltsnotlageländer vorsah bzw. -sieht. Folglich waren Gegenstände des Antrags zum einen § 11 Abs. 6 FAG a. F. und zum anderen Art. 5 § 11 SFG. Vor diesem normativen Hintergrund brachte der Prozessbevollmächtigte des Senats von Berlin vor, das Land befinde sich spätestens seit 2002 in einer extremen Haushaltsnotlage986, aus der es sich trotz Erbringung erheblicher Eigenanstrengungen nicht aus eigener Kraft befreien könne987. Daher habe Berlin nach 983 Vgl. Art. 12 Abs. 2 Hs. 2 des Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I, S. 3955 [3963]). 984 Finanzausgleichsgesetz vom 23. Juni 1993 (BGBl. I, S. 944 [977]) in der zum Zeitpunkt der Antragseinreichung maßgeblichen Fassung, die es infolge einer Änderung durch Art. 1 des Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I, S. 3955) erhalten hatte. 985 Dazu oben unter (1) (b). 986 Normenkontrollantrag, S. 43 ff., abrufbar unter http://www.berlin.de/imperia/ md/content/senatsverwaltungen/finanzen /haushalt/normenkontrollantrag.pdf?start&ts= 1118223502&file=normenkontrollantrag.pdf. 987 Normenkontrollantrag, S. 45 f. i.V. m. 13 f.

2. Kap.: Prognosen

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Maßgabe der dem Verfassungsgerichtsurteil vom 27. Mai 1992 zugrunde liegenden Kriterien einen Anspruch auf Sanierungshilfen988 (primär) gegenüber dem Bund989. Dabei sei der in Bezug auf die Auswahl der Sanierungsmittel grundsätzlich bestehende Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Bundesgesetzgebers im Konkreten auf die Entscheidung zur Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen geschrumpft. Denn auf andere Weise könne der zur Haushaltssanierung erforderliche außerordentliche Finanzbedarf nicht befriedigt werden990. Auch unterliege die Gewährung von Sanierungszuweisungen in extremen Haushaltsnotlagen dem föderativen Gleichbehandlungsgebot991. Da die extreme Haushaltsnotlage Berlins jedenfalls nicht minder bedrohlich sei als die extremen Haushaltsnotlagen Bremens und des Saarlandes, müsse der Bundesgesetzgeber Berlin Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung nach gleichen Bemessungsmaßstäben gewähren wie den beiden früheren Haushaltsnotlageländern992. Daher sei zum einen Berlin (hinsichtlich der Jahre 2002 bis 2004) in den Empfängerkreis von Leistungen gemäß Art. 11 Abs. 6 FAG (a. F.) einzubeziehen; zum anderen müsse Art. 5 § 11 SFG entsprechend ergänzt werden993. (3) Kernaussagen des Urteils (mit Blick auf die hiesige Problemstellung) Demgegenüber hält das Gericht die angegriffenen Regelungen mit Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG und dem Bundesstaatsprinzip für vereinbar, soweit Berlin ab 2002 zum Zweck der Haushaltssanierung keine Bundesergänzungszuweisungen gewährt wurden. Den Ausführungen zum konkreten Fall (Maßstab und Anwendung) ((b)) stellt der Zweite Senat einen Grundsatzteil994 voran, in dem er – 988

Normenkontrollantrag, S. 43 ff. Normenkontrollantrag, S. 46 f. i.V. m. 35 f. 990 Normenkontrollantrag, S. 46. 991 Normenkontrollantrag, S. 42 f. 992 Normenkontrollantrag, S. 47. 993 Normenkontrollantrag, S. 47. 994 Den in Rede stehenden Abschnitt mit Blick auf die Urteilsfindung im konkreten Fall als Maßstabsteil zu bezeichnen, wäre missverständlich. Denn der Maßstab, den der Senat im Teil C. II. des Judikats des an die budgetäre Situation Berlins anlegt, ist in der Sache als eine Melange zum einen aus den Kriterien des Jahres 1992 und zum anderen den unter Abschnitt C. I. des Berlin-Urteils ausgeführten neuen Maßgaben zu charakterisieren: So rekurriert das Gericht beispielsweise hinsichtlich bestimmter Notlageindikatoren auf die im Rahmen von BVerfGE 86, 148 entwickelten Vorgaben, um sie dann gemäß der neuen Leitlinien (erheblich) zu verschärfen bzw. zu ergänzen (dazu BVerfGE 116, 327 [399 ff.]). Daher mag die Behauptung, bereits nach den früher angewandten Maßstäben sei von einer (extremen) Haushaltsnotlage Berlins auszugehen (BVerfGE 116, 327 [389]), dem Zweiten Senat zwar als Rechtfertigung dafür dienen, die Bedeutung der neu geschöpften Rechtsfigur des „bundesstaatlichen Notstands“ (dazu sogleich 989

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

mehr als deutlich – seine prinzipielle Sicht auf die Gewährung von Sanierungshilfen in Gestalt von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen darlegt ((a)). Richtungsweisend für die Beurteilung der Zulässigkeit und gegebenenfalls die Präzisierung der Modalitäten einer Abhilfe zukünftiger Notsituationen über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG werden die dort aufgestellten Maßgaben, nicht mehr die im Rahmen von BVerfGE 86, 148 entwickelten Kriterien sein. (a) Grundsatzteil Über eine Einordnung der Bundesergänzungszuweisungen in das bundesstaatliche Verteilungssystem der Finanzverfassung, bei der sich das Gericht unter Betonung des subsidiären Charakters des Instruments im Wesentlichen auf die betreffenden Passagen der oben dargestellten Urteile beruft995, gelangt der Senat zum verfassungsdogmatischen Kernstück der Entscheidung: „Der Einsatz des Instruments der Bundesergänzungszuweisungen zum Zweck der Sanierung des Not leidenden Haushalts eines Landes stößt auf grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken.“ 996 Diese Bedenken rühren von dem Umstand her, dass das Gericht eine Haushaltsnotlage prinzipiell nicht (mehr) als Unterfall des zuweisungslegitimierenden Merkmals des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG, der Leistungsschwäche, anerkennen mag997. Begründung: Beide in Betracht kommenden Ursachen für eine Notlage seien nicht von Zweck und Systematik des Finanzausgleichs im Allgemeinen bzw. des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG im Besonderen gedeckt. Seien die Kreditaufnahmen in der Vergangenheit auf eine nicht durch objektive Aufgaben erzwungene übermäßige Aufgabenpolitik des Landes zurückzuführen, so spreche gegen einen Ausgleich mittels Bundesergänzungszuweisungen, dass Länder für die haushaltspolitischen Folgen eigenständiger Entscheidungen aufgrund ihrer politischen Autonomie grundsätzlich selbst einzustehen hätten. Sei hingegen – zweite Möglichkeit – die Haushaltsnotlage Folge einer unzureichenden Finanzausstattung, begründe die Anerkennung von Bundesergänzungszuweisungen als Sanierungsinstrument die Gefahr der Verschleppung notwendiger struktureller Lösungen über die vorgelagerten regulären Instrumente des Finanzverteilungssystems998. In einem nächsten Gedankenschritt wird die zuvor postulierte strikte Herausnahme von Haushaltsnotlagen aus dem tatbestandlichen Einzugsbereich des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG jedoch ein Stück weit relativiert, „aber auch nur für

unter (b)) im Unklaren lassen zu können; den Nachweis für die Korrektheit der Aussage bleibt er indessen schuldig (BVerfGE 116, 327 [399 ff.]). 995 BVerfGE 116, 327 (377 ff.). 996 BVerfGE 116, 327 (382). 997 BVerfGE 116, 327 (383 ff.). 998 BVerfGE 116, 327 (384 ff.).

2. Kap.: Prognosen

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den Fall einer ,extremen‘ Haushaltsnotlage: Weil und soweit Situationen eintreten, in denen die verfassungsrechtlich gebotene Handlungsfähigkeit eines Landes anders nicht aufrecht zu erhalten ist, ist bundesstaatliche Hilfeleistung durch Mittel zur Sanierung als ultima ratio erlaubt und dann auch bundesstaatlich geboten“ 999. Sanierungshilfen des Bundes an Not leidende Länder sollen allerdings nur noch für den neu geschöpften Ausnahmefall des „bundesstaatlichen Notstands“ in Betracht kommen. Obgleich das Gericht den Terminus – sicherlich bewusst1000 – nicht näher definiert, lässt es zumindest die Grundzüge dieser Begrifflichkeit erkennbar werden. 1. Der bundesstaatliche Notstand soll eine nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrende Existenzbedrohung eines Landes als verfassungsgerecht handlungsfähigen Trägers staatlicher Aufgaben bezeichnen1001. 2. Die Klassifizierung einer Haushaltslage als bundesstaatlicher Notstand setze ferner voraus, dass das Land alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der Abhilfe erschöpft habe, so dass sich eine Bundeshilfe als einziger Ausweg darstelle1002. 3. Der Eintritt eines bundesstaatlichen Notstandes erfordere schließlich nicht nur ein extremes Ausmaß der Haushaltsnotlage „im absoluten Sinn einer Existenzbedrohung des betroffenen Landes sondern auch im relativen Sinn eines Vergleichs mit den Verhältnissen der übrigen Länder“ 1003. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Postulats einer auch aus relationalem Blickwinkel bestehenden Extremität der Haushaltsnotlage ist für den Senat die Notwendigkeit, die unmittelbar aus dem Bundesstaatsprinzip folgende Hilfspflicht der Föderalgemeinschaft bei einer Existenzbedrohung eines ihrer Glieder über explizit in der Verfassung bereitgestellte Handlungsinstrumente – hier: Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG – auszuüben. Aus diesem Grund bleibe der Einsatz von Sanierungs-Bundesergänzungszuweisungen an die verfassungsrechtlichen Grenzen des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG gebunden: „Die Leistungsschwäche eines Landes als Voraussetzung einer möglichen Bundesergänzungszuweisung (. . .) ist ein relationaler, kein absolut zu definierender Zustand. Stets ist die Relation zwischen dem Durchschnitt aller Länder und dem potentiell beistandsbedürftigen Land entscheidend.“ 1004

999 1000

BVerfGE 116, 327 (387). Vgl. zu den mutmaßlichen Motiven der Nicht-Offenlegung Rossi, JZ 2007, 394

(397). 1001 1002 1003 1004

BVerfGE 116, 327 (377); vgl. zudem Leitsatz 2. b). BVerfGE 116, 327 (390 ff.); vgl. zudem Leitsatz 2. b). BVerfGE 116, 327 (387); vgl. zudem Leitsatz 2. a). BVerfGE 116, 327 (387).

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

(b) Ausführungen zum konkreten Fall In Bezug auf die budgetäre Situation Berlins kommt der Zweite Senat zu dem Ergebnis, ein bundesstaatlicher Notstand lasse sich derzeit nicht feststellen. Das Land befinde sich lediglich in einer angespannten Haushaltslage, die es mit großer Wahrscheinlichkeit aus eigener Kraft überwinden könne1005. An Ausführungen zu dem der Urteilsfindung zugrunde gelegten Maßstäben (Datenmaterial sowie zur Tauglichkeit und konkreten Gewichtung der zur Verfügung stehenden Analysekriterien1006)1007 schließt sich der Anwendungsteil an, in dessen Rahmen der Zweite Senat im Einzelnen darlegt, warum nach seiner Auffassung in Berlin keine Haushaltsnotlage der Art vorherrsche, die einen Anspruch des Landes auf Sanierungszuweisungen des Bundes begründen würde. Was das im Jahr 1992 vom Bundesverfassungsgericht beispielhaft für eine (einfache) Haushaltsnotlage herangezogene Indiz des „Doppelten über der länderdurchschnittlichen Kreditfinanzierungsquote“ 1008 angehe, so sei dieses zwar für den Zeitraum von 1995 bis 2004 überwiegend erfüllt, was aber – und hier erfolgt eine erste konkrete Verschärfung der im Rahmen von BVerfGE 86, 148 formulierten Maßgaben – ohne Berücksichtigung weiterer Indikatoren noch keine substantiellen Rückschlüsse im Hinblick auf das Bestehen eines Sanierungshilfeanspruchs zulasse1009. Bezüglich der Zins-Steuer-Quote1010 konzediert das Gericht zwar, die Werte Berlins bewegten sich ab 2002 nahe an dem Wert, der nach der bisherigen Rechtsprechung als Orientierungs-Schwellenwert bezeichnet werden könne (Überschreitung des Länderdurchschnitts der Zins-SteuerQuote zumindest um 71,7 v. H.1011); eine zudem erforderliche über Jahre hinweg andauernde Überzeichnung der länderdurchschnittlichen Zins-Steuer-Quote1012 könne jedoch nicht festgestellt werden1013. Mit Rücksicht auf die primäre Zweckrichtung des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG sei – konkrete Ableitung aus dem 1005

BVerfGE 116, 327 (394). BVerfGE 116, 327 (394 ff.). 1007 Zum Verhältnis des hier als Grundsatzteil titulierten Urteilsabschnitts C. I. zum der konkreten Entscheidungsfindung zugrunde gelegten Maßstab vgl. oben in Fn. 994. 1008 Die Kreditfinanzierungsquote bildet die Nettokreditaufnahme in Relation zu den bereinigten Aufgaben ab, näher dazu Färber, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Finanzkrise im Bundesstaat, S. 83 (87 f.). 1009 BVerfGE 116, 327 (399 f.). 1010 Die Zins-Steuer-Quote indiziert den Anteil der Steuereinnahmen (nach Finanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen), den ein Land einschließlich seiner Gemeinden für die in der Vergangenheit aufgenommenen Kredite bezahlen muss, näher dazu Färber, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Finanzkrise im Bundesstaat, S. 85 (89 f.). 1011 Vgl. BVerfGE 86, 148 (259 f.). 1012 Dabei handelt es sich um eine weitere konkrete Verschärfung der Maßgaben aus BVerfGE 86, 148, vgl. dazu nur Häde, in: Konrad/Jochimsen (Hrsg.), Der Föderalstaat nach dem Berlin-Urteil, S. 13 (14). 1013 BVerfGE 116, 327 (403). 1006

2. Kap.: Prognosen

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zuvor im Grundsatzteil formulierten Postulat einer auch relativ als extrem zu wertenden Haushaltsnotlage – zudem die Situation anderer leistungsschwacher Länder in den Blick zu nehmen1014: Die Zins-Steuer-Quoten (und die Schuldenstände) von acht anderen Ländern zeigten vergleichbar prekäre Haushaltssituationen auf. Bei einer solchen Häufung prekärer Haushaltslagen könnten isolierte Haushaltsnöte aber nur in besonders krassen Konstellationen geeignet sein, den bundesstaatlichen Notstand zu begründen. Die Zins-Steuer-Quote Berlins tauge daher nicht zum Beleg für das Vorliegen eines bundesstaatlichen Notstands1015. Auch die Betrachtung der Primärsalden im Zeitraum zwischen 1995 und 2004 zeige für fast alle Länder Schwierigkeiten, die laufenden Ausgaben mit den laufenden Einnahmen zu decken1016. Die Primäreinnahmensituation der Berliner Haushaltswirtschaft sei von 1995 bis 2004 insgesamt als zumindest durchschnittlich zu bezeichnen1017. Schließlich verleiht das Gericht seiner Überzeugung Ausdruck, Berlin habe gute Chancen, die fiskalische Notsituation aus eigener Kraft zu bewältigen. Wie nicht zuletzt ein entsprechender Vergleich mit Hamburg nahe läge, seien sowohl auf der Einnahmen- als auch (insbesondere) auf der Ausgabenseite erhebliche noch auszuschöpfende Einsparpotentiale zu vermuten1018. Insgesamt könne man daher nicht annehmen, dass das Land Berlin in wenigen Jahren unweigerlich in die Lage gerate, seine verfassungsmäßigen Aufgaben nicht mehr erfüllen zu können. (4) Gegenüberstellung der Sachverhalte/Inhaltliche und dogmatische Rahmenbedingungen für die Übertragbarkeit von Wertungen aus BVerfGE 116, 327 auf die hiesige Problemstellung Um beurteilen zu können, ob und gegebenenfalls inwieweit eine Adaption von Wertungen aus dem Berlin-Urteil auf die hier erörterte fiskalische Ländernotlage in Betracht zu ziehen ist, muss eine vergleichende Betrachtung dieses Sachverhaltes in Bezug auf jene Fallkonstellation vorgenommen werden, auf der die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zur Zuordenbarkeit von Sanierungshilfen zur Ausgleichsregel des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG fußen. Charakteristisch für beide Sachlagen ist der aufgrund Fiskalmangels unmittelbar bevorstehende Eintritt des Unvermögens eines Landes, seine verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben verfassungskonform erfüllen zu können. Unterschiede sind dagegen bei den Ursachen festzustellen, auf die das Fehlen einer zur 1014 1015 1016 1017 1018

BVerfGE 116, 327 (403). BVerfGE 116, 327 (404). BVerfGE 116, 327 (404). BVerfGE 116, 327 (405). BVerfGE 116, 327 (405 ff.).

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

verfassungsgemäßen Aufgabenwahrnehmung ausreichenden Finanzausstattung zurückgeht: Die Haushaltsnotlage, auf der die Sanierungshilfenproblematik basiert, resultiert aus überbordenden Zinszahlungs- und Tilgungsverpflichtungen aufgrund einer übermäßigen Kreditaufnahme eines Landes in der Vergangenheit, die wiederum regelmäßig – jedenfalls auch – auf eine nicht hinreichend aufgabengerechte Finanzposition zurückzuführen ist1019. Die fiskalische Notsituation hingegen, die in der Zeit ab dem Haushaltsjahr 2020 insbesondere auf vergleichsweise finanzschwache Gliedstaaten zukommen könnte, wäre zwar (ein mit Blick auf Art. 109 Abs. 3 Satz 1 i.V. m. Satz 5 GG verfassungskonformes Verhalten der Länder vorausgesetzt) keine Folge exorbitanter Schuldenlasten. Sollte sie tatsächlich eintreten, dürfte die Notlage aber bei Zugrundelegung des verfassungsrechtlichen Finanzverteilungssystems im Kern – wie der Vergleichssachverhalt auch (s. oben) – auf eine unzureichende Finanzausstattung des Landes nach den jeweils vorgelagerten grundgesetzlichen Zuteilungsmechanismen zurückzuführen sein; dies jedenfalls legt die oben1020 durchgeführte Analyse nahe. Zwischenfazit: Bei beiden Sachlagen handelt es sich (auch) um – einmal eine mittelbare, in der anderen Konstellation sogar eine direkte – Folgeerscheinung einer strukturellen Unterfinanzierung eines Landes/mehrerer Länder. In sachlicher Hinsicht könnten daher Standpunkte aus der Berlin-Entscheidung, die diese Problematik betreffen, prinzipiell auch vorliegend einschlägig sein. Aus einem verfassungsdogmatischen Blickwinkel bedingt die oben herausgearbeitete Divergenz zwischen den Sachverhalten indessen einen Unterschied auch auf der Ebene des zur Verfügung stehenden Abhilfeinstrumentariums. Während bei Eintritt eines bundesstaatlichen Notstands Lasten, die aus der extremen Haushaltsnotlage eines Landes resultieren, nur im Wege einer den Regeltatbestand des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG ausdrücklich erweiternden Interpretation ausnahmsweise als Sonderbedarf berücksichtigt werden können1021 und folglich das entsprechende (Sonder-)Regime des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG einschlägig ist, greifen in Bezug auf den anderen Fall nur die regulären Rechtsfolgenvarianten der Norm (insbesondere die allgemeine)1022. Daraus folgt hinsichtlich der Beantwortung der Frage nach der Übertragbarkeit von Passagen aus dem Berlin-Urteil auf den hier behandelten Sachverhalt: Nur solche Wertungen könnten auf die vorliegend erörterte Problemstellung angewendet werden, die Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG in toto, d.h.: nicht bloß dessen unregelmäßige Spielart der Sanierungszuweisungen in Bezug nehmen. Dazu wiederum müssten die Argumentationen, die diese Positionen tragen, dogmatisch 1019

Vgl. dazu BVerfGE 116, 327 (386). Unter A. 1021 BVerfGE 116, 327 (383 ff.); BVerfGE 86, 148 (263, 265 f.); vgl. auch schon oben unter (1) (b) (c). 1022 Dazu bereits oben unter cc). 1020

2. Kap.: Prognosen

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beim variantenübergreifenden Normmerkmal der Leistungsschwäche1023 ansetzen, dessen Erfüllung hinsichtlich beider (bzw. sofern man in der Gewährung von Sanierungszuweisungen dogmatisch eine eigenständige Rechtsfolge des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG erblicken will1024: bezüglich aller drei) Ausformungen der Vorschrift eine Zubilligung von Zuweisungen erst legitimiert. (5) Auf dieser Grundlage: Eventuell auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbare Wertungen aus dem Judikat 1. Infolge einer Gesamtschau der erarbeiteten inhaltlichen und verfassungsdogmatischen Maßgaben für die Übertragung von Wertungen aus dem Berlin-Urteil auf den hiesigen Sachverhalt gerät eine zweistufige Argumentationsfigur des Gerichts in den Blick. – Zunächst verbannt der Senat Fiskalnotlagen, die auf eine übermäßige Kreditfinanzierung des Landes in der Vergangenheit zurückgehen, grundsätzlich aus dem Tatbestand der Leistungsschwäche. Denn die potentiellen Ursachen für solch eine Haushaltsnotlage – darunter auch eine aufgabeninadäquate Finanzausstattung in der Vergangenheit – stünden nach Zweck und Systematik des Finanzausgleichs einer Kompensation über außerordentliche Sanierungs-Bundesergänzungszuweisungen entgegen1025. – Nur in einem Ausnahmefall, den kennzeichnet, dass (a) der Einsatz aller anderen zur Verfügung stehenden grundgesetzlichen Hilfsinstrumente nicht ausreichen und (b) ein Land alle eigenen Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben sollte sowie (c) die fiskalischen Probleme des Landes sowohl am Maßstab seiner verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben als auch in Bezug auf die übrigen Länder als extrem zu werten sind, sollen Sanierungshilfen des Bundes gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG i.V. m. dem Bundesstaatsprinzip zulässig und dann auch geboten sein. 2. Durch die Anknüpfung an das Leistungsschwächemerkmal ist der dogmatische Rahmen für eine Anwendung dieser Gedankenabfolge auf die hier behandelte Problemstellung zwar grundsätzlich gegeben. Ob dies jedoch auch hinsichtlich der inhaltlichen Übertragbarkeitsvoraussetzungen gilt, bedarf näherer Erörterung. Denn ausdrücklich richten sich die Bedenken des Senats nur gegen die Zuordnung überschuldungsbasierter Haushaltsnotlagen zum Tatbestand der Leis1023 Zwar mag es je nach einschlägiger bzw. gewählter Variante Auslegungsunterschiede geben (dazu BVerfGE 116, 327 [381 f.]); jedoch hat der Gesetzgeber bei Sonderbedarfszuweisungen den größeren Gestaltungsspielraum (ebd.), daher dürften diesbezügliche Überlegungen zur Restriktion des Leistungsschwäche-Merkmals erst recht die allgemeine Tatbestandsvariante treffen. 1024 So wohl Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes, S. 142 ff. 1025 Vgl. oben unter (3) (a).

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

tungsschwäche. Zwar wird im Rahmen der Begründung dieser Position auch auf das Tertium Comparationis der hier behandelten Problematik und des BerlinSachverhalts – eine strukturelle Unterfinanzierung bzw. nicht hinreichend aufgabengerechte Finanzausstattung eines Landes in der Vergangenheit1026 – abgehoben. Indessen wäre es unzulässig, daraus zu schließen, der Senat habe fiskalische Probleme eines Landes aufgrund dessen unzureichender Finanzposition generell aus dem Tabestandsmerkmal der Leistungsschwäche herausdefinieren wollen. Eine solche Lesart der entsprechenden Urteilspassage könnte dogmatisch kaum begründet werden, da ja – wie oben dargelegt – die originäre Zweckbestimmung des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG nach Telos und Systematik des Verfahrens zur föderativen Finanzaufkommensverteilung gerade auf ebendiese Problematik abzielt: Ländern, die aufgrund einer unterdurchschnittlichen Finanzausstattung nach den ersten drei Distributionsschritten und/oder aufgrund von Sonderlasten zu einer verfassungsgemäßen Aufgabenerfüllung noch nicht (zulänglich) in der Lage sind, Mittel zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs zur Verfügung stellen zu können (bzw. nötigenfalls zu müssen1027)1028. Und diese Erkenntnis scheint im Übrigen auch den in Bezug genommenen Überlegungen des Zweiten Senats zugrunde zu liegen: „Sind die Kreditaufnahmen in der Vergangenheit Folge unzureichender Finanzausstattung des Landes, so führt die Sanierung durch Bundesergänzungszuweisungen zu einem Ergebnis, das Zwecken und Systematik des Finanzausgleichs zuwiderspricht, denn es geht in der Sache um die Notwendigkeit, Defizite regulärer Ausgleichsmaßnahmen horizontaler oder vertikaler Art nachträglich zu beheben. Aus dieser Perspektive begründet die Anerkennung von Bundesergänzungszuweisungen als Sanierungsinstrument die Gefahr, notwendige durchgreifende Lösungen, etwa durch (. . .) angemessene Berücksichtigung von Sonderbedarfen eines Landes aufzuschieben oder zu unterlassen.“ 1029 Da Sonderbedarfe im gegenwärtigen (auch schon zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs am 19. Oktober 2006 vorherrschenden) Verteilungsverfahren nur über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG berücksichtigt werden können1030, legen die vorstehenden Ausführungen nahe, dass das Bundesverfassungsgericht zu den regulären Ausgleichsmaßnahmen vertikaler Art, deren Defizite seiner Auffassung zufolge grundsätzlich nicht post festum über außerordent1026 1027

Dazu oben unter (4). Zur Ermessensreduktion bei Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG vgl. oben unter cc) und

dd). 1028

Vgl. allerdings zu den Grenzen einer Kompensation oben unter ee). BVerfGE 116, 327 (385). 1030 Wollte man in der im Rahmen des Länderfinanzausgleichs in Bezug auf Stadtstaaten bzw. dünn besiedelte Flächenländer zugestandenen Möglichkeit, die reale Einwohnerzahl je Land (und damit den Vergleichsmaßstab) ausnahmsweise zu modifzieren (vgl. BVerfGE 72, 330 [401 f.]; 86, 148 [439]; 101, 158 [230]), eine mittelbare Anerkennung von Sonderbedarfen erblicken, so wäre eine Berücksichtugung Letzterer – in engen Grenzen – auch bereits über Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG möglich. 1029

2. Kap.: Prognosen

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liche Sanierungszuweisungen auszugleichen sind, auch regelmäßige (allgemeine und Sonderbedarfs-)Bundesergänzungszuweisungen zählen dürfte1031. (6) Ergebnis zu ff) Nach der hier vertretenen Auffassung sind die den Anwendungsbereich der Sanierungs-Bundesergänzungszuweisungen erheblich einschränkenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Berlin-Urteil nicht auf das Normalregime des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG übertragbar. Einer Abhilfe der hier behandelten Problemlage über reguläre Bundesergänzungszuweisungen innerhalb des oben1032 nachgezeichneten Rahmens sollten sie daher – unabhängig davon, ob man den Ansichten des Zweiten Senats folgt – nicht im Wege stehen. gg) Ergebnis zu e) Nach alldem könnte in der Zeit ab dem 1. Januar 2020 eine angemessene Länderfinanzausstattung mittels Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG prinzipiell verfassungskräftig garantiert werden: Denn aus der Norm können sowohl eine Möglichkeit des Bundes, den Gliedstaaten bei Eintritt des Sicherungsfalles die zur Abhilfe erforderlichen Finanzmittel zukommen zu lassen, als auch korrespondierende Ansprüche der Länder hergeleitet werden, auf deren Erfüllung sie nötigenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht klagen könnten1033. Eine Abhilfe über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG käme allerdings dann nicht mehr in Frage, wenn selbst durchschnittlich oder gar überdurchschnittlich finanzkräftige Länder unabhängig von Sonderlasten keine aufgabenadäquate Finanzausstattung aufweisen sollten. Denn dann läge eine generelle Unterfinanzierung der Länderebene vor, der aus systematischen Gründen erstens – insbesondere für den Fall, dass die verfügbare Finanzmasse nicht ausreichen sollte, sowohl den Bund als auch die Länder aufgabengerecht auszustatten – über eine (einfachgesetzliche) Verbreiterung der staatlichen Einnahmenbasis, zweitens über eine Revision der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländergesamtheit gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 GG bzw., sofern dies für eine Absicherung einer aufgabengerechten Länderfinanzposition nicht ausreichen sollte, drittens über eine neuerliche Verfassungsänderung begegnet werden müsste, in deren Folge eine bedarfsgerechte Länderfinanzausstattung wieder gewährleistet werden könnte.

1031 Zur Unterscheidung zwischen regulären Bundesergänzungszuweisungen und dem Sonderregime des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG (i.V. m. dem Bundesstaatsprinzip) im Zusammenhang mit der Sanierung der Haushalte überschuldeter Länder vgl. oben unter (1) (b) und (c). 1032 Unter aa) bis dd). 1033 Zur entsprechnenden Maßgabe des Art. 79 Abs. 3 GG vgl. oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd).

292

4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

f) Ungeschriebene bundesstaatsrechtliche Grundlage für Hilfszahlungen des Bundes? Ausgehend von der Annahme, dass durch die Novelle vom 29. Juli 2009 keine verfassungswidrige Rechtslage etabliert werden sollte, könnte noch erwogen werden, notfalls direkt aus dem bundesstaatlichen Prinzip eine Rechtsgrundlage zur Abwicklung der gebotenen Hilfszahlungen des Bundes herleiten zu wollen. Da das Bundesstaatsprinzip selbst aber – wie bereits oben im Maßstabsteil dargelegt1034 – keine eigenständigen finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern begründen, sondern allenfalls dazu verpflichten kann, vorhandene Befugnisse möglichst auszuschöpfen, muss die Erwägung bereits im Ansatz steckenbleiben. g) Ergebnis zu 5. Hinsichtlich des Versuchs, die verfassungskräftigen Absicherung einer aufgabengerechten Länderfinanzausstattung für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 mittels solcher Handlungsinstrumente nachzuweisen, über die Bundeszahlungen an Länder abgewickelt werden können, bleibt festzuhalten: 1. Hierfür grundsätzlich ungeeignet erscheinen die Regelungen zum Mehrbzw. Sonderbelastungsausgleich gemäß Art. 106 Abs. 4 Sätze 2, 3 bzw. Abs. 8 GG. 2. Die Mischfinanzierungstatbestände der Art. 91a, 91b und 104b GG sind für die vorliegend notwendige Zuführung von Akuthilfen nur sehr bedingt geeignet. Über diese Grundlagen können allenfalls Soforthilfen flankierende, langfristig wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. 3. Obgleich Art. 104a Abs. 3 GG zum einen keine Handhabe zur gezielten Unterstützung Not leidender Länder bietet und – soll kein Gestaltungsverlust auf Länderseite einsetzen – zum anderen die 50-Prozent-Beteiligungsschwelle nicht erreicht bzw. überschritten werden darf, könnten Zweckkostenübernahmen auf Grund dieser Vorschrift zumindest in gewissem Umfang zu einer Anhebung der Finanzausstattungen von Notlageländern mit beitragen. 4. Aus Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG könnte nötigenfalls ein verfassungsprozessual durchsetzbarer Anspruch eines unterfinanzierten Landes gegenüber dem Bund abgeleitet werden, ihm Ergänzungszuweisungen zwecks Sicherstellung einer aufgabengerechten Finanzausstattung zu gewähren – solange der abzuhelfenden Sachlage keine generelle Unterfinanzierung der Länderebene zugrunde läge. Das heißt: Für den Fall, dass nicht bloß solche Länder ihre verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen könnten, die nach dem horizontalen Finanzausgleich eine 1034

Im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd).

2. Kap.: Prognosen

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unterdurchschnittliche Finanzkraft aufweisen, wäre die Maßgabe des Art. 79 Abs. 3 GG, dass die entsprechende Haftungsverpflichtung des Bundes aus eigenen Mitteln im vorhandenen verfassungsrechtlichen Handlungsinstrumentarium verankert werden können muss, nicht gewahrt. 6. Ergebnis zu II. 1. Über eine entsprechende Ausübung seiner Steuergesetzgebungsbefugnisse gemäß Art. 105 Abs. 2 GG hinsichtlich der Gemeinschafts- bzw. Landessteuern könnte der Bund einer Erosion der Länderfinanzposition zwar wirksam entgegentreten. Zum einen könnte aber eine gezielte Unterstützung einzelner Not leidender Länder auf diesem Weg nicht erreicht werden, und dürfte zum anderen ein zuverlässiger Rückgriff auf diese Abhilfeoption aufgrund vorhandener politischer Durchsetzbarkeitshürden nicht gesichert sein. 2. Auch eine Kompensation für das Neuverschuldungsverbot über eine Revision bzw. Festsetzung der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 3 Sätze 3, 4 GG käme vor allem dann in Betracht, sollte der Länderebene generell das Unvermögen einer verfassungsgerechten Aufgabenwahrnehmung drohen. Eine gezielte Auffüllung der Finanzkraft einzelner Notlageländer kann über den Hebel der Umsatzsteuerverteilung hingegen ebenfalls nicht erreicht werden. 3. Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG scheidet vorliegend schon deshalb als Ausgleichsgrundlage aus, weil der Bundesgesetzgeber die ihm verliehene Ermächtigung zur Vorsehung von Ergänzungsanteilen für finanzschwache Länder bereits gegenwärtig im vollen Umfang ausgenutzt hat. 4. Bedenkt man, dass im horizontalen Finanzausgleich zum jetzigen Zeitpunkt weniger als 2 v. H. der gesamten Steuereinnahmen von Bund und Ländern bewegt werden und dessen Ausgestaltung bei schon gegenwärtig hoher Ausgleichsintensität durch das Verbot vollständiger Finanzkraftnivellierung begrenzt wird, so wird deutlich, dass auch Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG wenig zur Lösung der hier erörterten Problemstellung beitragen können. 5. Unter den Vorschriften, über die ein Ausgleich aus Mitteln des Bundes vorgenommen werden kann, weist Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG kompensatorisches Potential auf. Aus dieser Vorschrift lässt sich nötigenfalls ein einklagbarer Anspruch eines Not leidenden Landes gegenüber dem Bund auf ergänzende Finanzhilfen für die Sicherstellung einer aufgabenangemessenen Finanzausstattung herleiten. Sollte indessen ein Zustand eintreten, in dem selbst (über-)durchschnittlich finanzkräftige Länder nicht mehr über eine aufgabengerechte Fiskalposition verfügen – und läge mithin eine generelle Unterfinanzierung der Länderebene vor –, könnte dieser Situation aus systematischen Gründen nicht über die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen abgeholfen werden. Dann wäre dem Postulat

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4. Teil: Anwendung auf die neue Rechtslage

des Art. 79 Abs. 3 GG nicht entsprochen, die Pflicht des Bundes, eine aufgabenadäquate Länderfinanzausstattung nötigenfalls aus eigenen Mitteln sicherzustellen, in bestehenden verfassungsrechtlichen Ausgleichsregeln verorten zu können. III. Ergebnis zu B. Da wie gezeigt auch im Rahmen der Verfassungsnovelle vom 29. Juni 2009 für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 keine spezifischen Kompensationsmöglichkeiten im Hinblick auf etwaige Finanzengpässe im Zusammenhang mit dem neuen Schuldenregime vorgesehen wurden, bietet die (Finanz-)Verfassung in ihrer derzeitigen Gestalt nicht in jedem Fall Gewähr für die Absicherung einer aufgabengerechten Länderfinanzausstattung.

C. Ergebnis zu § 1 Unter dem Strich stimmt die Prognose für die Zeit ab 2020 zumindest teilweise bedenklich: Bleibt es bei der derzeitigen Verfassungsrechtslage, käme für den Fall, dass eine flächendeckend aufgabenadäquate Finanzausstattung der Länder respektive deren Staatlichkeit nicht ohne Hilfszahlungen des Bundes garantiert werden könnte, als verfassungstextliche Grundlage für die Verankerung einer einklagbaren Haftungspflicht des Bundes nur Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG in Betracht. Ändert sich zudem nichts an der hohen Determiniertheit der Länderhaushalte oder verengen sich – was zu befürchten ist – die Verfügungsspielräume weiter, so können Situationen eintreten, in denen Länder auf Bundeshilfen angewiesen sind. Zwar könnte dann der Bund Not leidenden Ländern deren Staatlichkeit wahrende Hilfen über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG zukommen lassen; hilfsbedürftige Gliedstaaten könnten auf Grundlage dieser Norm die Erfüllung der Garantieverpflichtung des Bundes auch einklagen. Beides würde aber dann an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen, wenn selbst durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich finanzkräftige Länder auf die Gewährung ergänzender Hilfszahlungen angewiesen sein sollten. Denn nach der Systematik des gegenwärtigen Verfahrens zur Generierung des gesamtstaatlichen Finanzaufkommens und dessen Verteilung auf Bund und Länder könnte dieser Situation nicht über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG abgeholfen werden, der nicht als Generalausgleichsklausel1035 ausgestaltet, sondern funktional in ein mehrstufiges Verteilungsverfahren integriert wurde. Ein Zustand weitgehender Unterfinanzierung der Länderebene müsste im Rahmen der Einnahmenerzielung bzw. der ersten Distributionsstufe (Bund-Ländergesamtheit) behoben werden. Wollte oder könnte aber der Bundesgesetzgeber dieses Erhebungs- und/oder Verteilungsdefizit nicht mithilfe des dafür vorgesehenen Instrumentariums korrigieren, müsste davon ausge1035

Dazu oben im zweiten Kapitel des dritten Teils unter § 2 B. I. 2. d) dd).

2. Kap.: Prognosen

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gangen werden, dass die zum Betrachtungszeitpunkt geltende föderative Finanz(i.V. m. der entsprechenden Kompetenz-)ordnung des Grundgesetzes in Ansehung der vorherrschenden fiskalischen Realität nicht (mehr) adäquat oder zwingend genug ausgestaltet und daher nicht geeignet wäre, eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung zu garantieren. Die im dritten Teil der Untersuchung herausgearbeiteten Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG bezüglich der Absicherung der Länderfinanzen wären nicht gewahrt. Dann wäre der Revisionsgesetzgeber endgültig gefordert, anderweitig für eine wirksame Garantie der Länderfinanzausstattung zu sorgen.

§ 2 Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 Auch für den Übergangszeitraum gilt, dass die bundesstaatliche Verfassung die finanzielle Position der Länder absichern muss. Art. 143d Abs. 1 Satz 3 i.V. m. Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG verpflichten ab dem Haushaltsjahr 2020 ausnahmslos alle Länder auf die Zielvorgabe eines strukturell ausgeglichenen Haushalts. Dass Art. 143d Abs. 2 GG aber gleichzeitig Empfänger und Höhe der Konsolidierungshilfen beschränkt bzw. festlegt1036, könnte einem Land, das trotz größtmöglicher Haushaltsdisziplin zu einem vollständigen Defizitabbau nicht ohne substantielle Einbußen an Gestaltungskraft in der Lage ist, den Weg zu verfassungsrechtlich gebotenen Finanzhilfen versperren. Für den Fall, dass die veranschlagte jährliche Summe für ein Empfängerland nicht ausreichen und/oder die Finanzausstattung eines nicht berechtigten Landes nicht bloß zeitweilig unter das erforderliche Mindestmaß absinken sollte, gilt das unter § 1 Gesagte.

1036 Beides ist aus Sicht der föderativen Gleichheit nicht unproblematisch: Zur Höhe Korioth, Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Finanzausschusses des Bundesrates zu den Gesetzesentwürfen BT-Drucksachen 16/12410 und 16/12400, BR-Drucksachen 262/09 und 263/09, S. 10 f.; vgl. zur Auswahl der Empfänger den Redebeitrag des Ministerpräsidenten Sellering (Meckenburg-Vorpommern) in der entscheidenden Bundesratssitzung vom 12. Juni 2009 (Plenarprotokoll 859, S. 244).

Fünfter Teil

Gesamtergebnis in Thesen Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung war die Frage, ob das neue Länderschuldenregime der Art. 109 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 GG (i.V. m. den Übergangsregelungen in Art. 143d GG) mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar ist (erster und zweiter Teil). Dazu wurde nach einer Darstellung der in Rede stehenden Vorschriften (zweiter Teil) zunächst der Prüfungsmaßstab in den Blick genommen (dritter Teil). Anschließend wurde die neue Länderschuldenregel im Hinblick auf die hier relevanten Schutzgehalte des Art. 79 Abs. 3 GG getrennt nach Regelund Übergangszeitraum betrachtet (vierter Teil). Die dabei zutage geförderten Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Art. 79 Abs. 3 GG bindet den Revisionsgesetzgeber als einziger materieller Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen. Eine mit Blick auf die durch Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Gehalte der Art. 1 und 20 GG vorgenommene Auslegung der zentralen Normmerkmale der „Grundsätze“ und des „Berührens“ ergibt, dass die Revisionsklausel nur deren identitätsstiftenden Kern schützt – diesen aber absolut. 2. Die spezifischen Ableitungen des Art. 79 Abs. 3 GG können nur vor dem Hintergrund der konkret zu beurteilenden Fallgestaltung und nur mit funktionalsystematischem Blick auf a) die Gesamtheit der für sich genommen nicht revisionsfesten Konkretisierungen des/der einschlägigen Strukturprinzips/-prinzipien und b) (gegebenenfalls) die von der in Rede stehenden Konstellation gestreiften anderen Fundamentalgrundsätze sowie deren verfassungsrechtliche Präzisierungen herausgearbeitet werden. Maßgeblich für beide Betrachtungen ist (prinzipiell) die Erstfassung des Grundgesetzes. 3. Da die Inhalte der beiden ersten Tatbestandsvarianten des Art. 79 Abs. 3 GG auch zum Garantiegehalt der dritten Variante der Norm zählen, kann für die Vornahme der Schutzgutkonkretisierung bezüglich der hier behandelten Problematik von einem einheitlichen föderativen Schutzbereich ausgegangen werden. 4. Zusätzlich zu den unter 2. angeführten Maßgaben gilt: Da sich die grundgesetzliche Gesamtkonzeption der Bundesstaatlichkeit im Allgemeinen sowie ein ihr angemessenes Verständnis von Länderautonomie bzw. -staatlichkeit im Spe-

5. Teil: Gesamtergebnis in Thesen

297

ziellen zutreffend nur vor dem Hintergrund der föderativen Verfassungstradition Deutschlands erschließen lassen, ist in Zweifelsfällen insoweit die Betrachtung übergreifender verfassungsgeschichtlicher Entwicklungslinien in den Prozess der Schutzgutkonkretisierung einzubeziehen. 5. Auf Basis der so aufbereiteten methodischen Grundlage zeitigt ein erster analytischer Zugriff auf den bundesstaatlichen Verfassungskern folgendes Zwischenergebnis: Typusbestimmende Merkmale der Bundesstaatskonzeption des Grundgesetzes sind a) eine auf dezentralisierender Aufgabenverteilung beruhende gewaltengliedernde Wirkung, zugleich aber b) eine mit Blick auf den Aufgabenzuschnitt weitgehend fremdbestimmte Hilfsfunktion der Länder bei der Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben. 6. Im Hinblick auf die Verfassungspraxis bedarf es einer beim Einzelfall ansetzenden Austarierung dieser gegenläufigen Grundmotive, konkret: a) Soll die Ewigkeitsklausel die (vertikal) gewaltenbalancierende Architektur des Bundesstaats effektiv absichern können, so muss Art. 79 Abs. 3 GG auch deren Funktions(mindest)voraussetzungen schützen. Den zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt existierenden Ländern muss daher verfassungskräftig ein Mindestbestand an Sachkompetenzen zugeordnet sein, der ihnen politisch bedeutsames Handeln ermöglicht. Zugleich muss die Bundesverfassung ihnen eine Finanzausstattung garantieren, die sie in die Lage versetzt, diese Befugnisse mit dem dazu erforderlichen Entscheidungsspielraum wahrzunehmen. Nur dann kann von einer eigenen Staatlichkeit der Länder ausgegangen werden b) Dass andererseits der Verfassungsgeber den Gliedstaaten in der Erstfassung des Grundgesetzes die Ausführung kostenintensiver Bundes(sozial)gesetze zugewiesen und somit eine erhebliche Fremddetermination der Länderhaushalte in Kauf genommen hat, lässt darauf schließen, dass er die materielle Budgethoheit der Landtage jedenfalls nicht in einem umfassenden Sinn der föderalen Verfassungssubstanz zugeordnet bzw. als essentielle Bedingung der Länderstaatlichkeit anerkannt haben kann. 7. Eine vom Befund zu 6. b) ausgehende und diesen vertiefende Untersuchung bestätigt: Was für die materielle Budgetautonomie im Allgemeinen festgestellt wurde, gilt im Speziellen auch für die Kreditautonomie. Den Ländern darf das Recht zur eigenverantwortlichen Schuldenaufnahme zwar nicht komplett entzogen werden; um adäquat auf nicht oder schwer vorhersehbare ökonomische und tatsächliche Sonderlagen reagieren zu können, muss den Gliedstaaten zumindest für diese Fälle die Möglichkeit zur Kreditaufnahme verbleiben. Mehr umfasst die revisionsfeste Garantie der Länderstaatlichkeit aber weder unter dem Gesichtspunkt der Organisationshoheit noch unter demjenigen der Gewährleistung eines unentziehbaren Kernbestands an Länderaufgaben bzw. -befugnissen.

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5. Teil: Gesamtergebnis in Thesen

8. Grundlage für die Bemessung einer im unter 6. a) dargelegten Sinn zureichenden Länderfinanzausstattung ist der konkrete Aufgabenkanon, der den Ländern zum jeweiligen Beurteilungszeitpunkt von der Bundesverfassung zugewiesen wird. Angemessen kann eine Finanzposition demnach nur sein, wenn den Gliedstaaten unter dem Strich genügend Mittel zur Verfügung stehen, um a) ihre inhaltlich und damit auch finanziell weitgehend determinierten Aufgaben erfüllen, darüber hinaus aber auch b) ihre politisch-gestalterischen Befugnisse mit dem hierzu erforderlichen Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit wahrnehmen zu können. 9. Zudem muss im Rahmen der Quantifizierung einer adäquaten Länderfinanzausstattung in Rechnung gestellt werden, dass die Länder nach derzeitiger Bundesverfassungsrechtslage für eine gewisse (Mindest-)Finanzposition ihrer Gemeinden/Gemeindeverbände garantieren müssen. Den Kommunen hat über die zur Erfüllung von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und des inhaltlich determinierten Selbstverwaltungsbereiches erforderlichen Gelder hinaus ein Mindestquantum an Finanzmitteln zu verbleiben, das es ihnen ermöglicht, ihre (echten) Selbstverwaltungsaufgaben mit dem von Art. 28 Abs. 2 GG geforderten Maß an Eigenverantwortlichkeit bezüglich des Ob und des Wie der Aufgabenerfüllung wahrzunehmen. 10. Im bundesstaatlichen und demokratischen Teil der Verfassungssubstanz ist zudem das Postulat der Absicherung zumindest annähernd gleichwertiger (Kern-) Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verankert. Diese Maßgabe bindet neben dem Bund auch die Länder und ihre Kommunen. a) Die Finanzaufstellung eines Landes ist folglich nur angemessen, wenn das Land neben den festgelegten Aufgabenbereichen auch seine politischen Gestaltungsbefugnisse unter der Maßgabe nutzen kann, dass wesentliche Lebensverhältnisse seiner Bürger, die in den gliedstaatlichen Sachaufgabenbereich fallen, nicht dauerhaft und deutlich hinter dem Länderdurchschnitt zurückbleiben. b) Da zudem auch die Kommunen unmittelbar oder gesetzesmediatisiert durch das Mindesthomogenitätsgebot verpflichtet werden, muss das Land im Rahmen seiner allgemeinen Garantenstellung hinsichtlich einer angemessenen Kommunalfinanzausstattung1037 nötigenfalls dafür Sorge tragen können, dass seine Gemeinden/Gemeindeverbände auch einen Kernbestand an freien Aufgaben im Einklang mit den Homogenitätsvorgaben wahrzunehmen imstande sind. 11. Gemeinschaftsrecht vermag die Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG nicht zu modifizieren. 12. Bezüglich der Bereitstellungsmodalitäten einer angemessenen Länderfinanzausstattung lässt Art. 79 Abs. 3 GG zwar die freie Wahl der Mittel. Dem 1037

Dazu oben unter Punkt neun.

5. Teil: Gesamtergebnis in Thesen

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Bund erwächst aber aus seiner exklusiven Revisionskompetenz, kraft der er allein für eine verfassungskräftige Absicherung der Länderfinanzposition sorgen kann, eine Garantieverpflichtung, nötigenfalls unter Einsatz eigener Mittel für eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung zu sorgen. 13. Da eine rechtsstaatliche Verfassung den unmittelbaren Schluss von einer Aufgabe auf Befugnisse verbietet und an der Erfüllung dieser Einstandspflicht für ein Notlageland gegebenenfalls der Erhalt staatlichkeitswahrender Finanzhilfen hängt, müsste die Garantieverpflichtung des Bundes im Sicherungsfall sowohl über geschriebene grundgesetzliche Ausgleichsinstrumente abgewickelt als auch die Erfüllung der Obliegenheit notfalls eingeklagt werden können. 14. Dem grundsätzlich ebenfalls bei Art. 79 Abs. 3 GG verorteten Gebot bundesfreundlichen Verhaltens können im Hinblick auf die hier untersuchte Problemstellung keine konkreten Maßgaben entnommen werden, die über die aus der Staatlichkeitsgarantie abgeleiteten Inhalte hinausgehen. Daher wird die Bundestreue vorliegend nicht als zusätzlicher Prüfungsmaßstab in Bezug genommen. 15. Weil alle auf die Zusammensetzung eines Landeshaushaltes einwirkenden Faktoren in ihrer Gesamtheit dafür verantwortlich sind, ob jedem Land unter dem Strich eine aufgabengerechte Finanzausstattung verbleibt, kann ein dem erarbeiteten Maßstab angemessener Prüfungsgegenstand nicht lediglich aus den Art. 109 Abs. 3 Abs. 3 Sätze 1–3, 5 i.V. m. Art. 143d Abs. 1 Sätze 1–4 GG gebildet werden. Er ist vielmehr aus sämtlichen Vorschriften des Grundgesetzes zusammenzusetzen, die Einfluss auf die Ausgestaltung der Länderbudgets nehmen. 16. Ob den Ländern hinreichende Mittel verbleiben, kann ausschließlich anhand der Betrachtung konkreter Haushaltslagen und nur vor dem Hintergrund des zum jeweiligen Betrachtungszeitpunkt gültigen Verfassungsrechts beurteilt werden. Da sich die Aussagekraft des Prüfungsresultats infolgedessen immer auf den Einzelfall und den ihm zugrunde liegenden Beurteilungszeitraum beschränkt, muss in der Praxis immer wieder aufs Neue kontrolliert werden, ob Kompetenzund Finanzordnung des Grundgesetzes noch geeignet sind, jedem Land eine angemessene Finanzausstattung zu gewährleisten. 17. Aussagen zur zukünftigen Ausgestaltung der Finanzverfassung und zur Haushaltsstruktur der Länder können sich insbesondere mit Blick auf den Regelzeitraum ab dem Haushaltsjahr 2020 nur im spekulativen Rahmen bewegen, weshalb unter Zugrundelegung der derzeitigen Rechts- und Budgetstrukturen gegenwärtig für beide Zeiträume allenfalls Prognosen abgegeben werden können. 18. Insbesondere seine konkurrierenden Steuergesetzgebungskompetenzen gemäß Art. 105 Abs. 2 GG sowie seine Normierungsbefugnisse hinsichtlich des bundesstaatlichen Finanzausgleichs gemäß Art. 107 Abs. 2 i.V. m. Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG verschaffen dem Bund die Möglichkeit, die Ländereinnahmen weitestgehend festzulegen. Die Gliedstaaten selbst können bzw. konnten demgegenüber

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5. Teil: Gesamtergebnis in Thesen

die Einnahmenseite ihrer Haushalte lediglich über tatsächlichen und rechtlichen Grenzen unterliegende Vermögensveräußerungen sowie bisher über eine regelmäßige Kreditaufnahme beeinflussen. 19. Auf der anderen Seite sind auch die Ausgaben der Länder in weitem Umfang determiniert: a) Da nach Art. 104a Abs. 1 GG die Ausgabenverantwortung prinzipiell der Aufgabenverantwortung folgt und die Länder gemäß Art. 83 f. GG die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheit ausführen, kann der Bund über seine konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnisse gemäß Art. 74 gegegebenfalls i.V. m. Art. 72 Abs. 2 GG erheblichen Einfluss auf die Ausgabenseite der Länderhaushalte nehmen. Insbesondere die Sozialgesetzgebung des Bundes fällt hier ins Gewicht. b) Gleichzeitig sorgt die administrative Prägung des Länderaufgabenkanons dafür, dass (nur eingeschränkt disponible) Personalkosten einen hohen Anteil der gliedstaatlichen Ausgaben ausmachen. c) Im Hinblick auf ihre Garantiepflicht für eine kommunale Mindestfinanzausstattung dürften sich die Länder bereits jetzt günstigstenfalls (!) an der Untergrenze des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegen – gerade auch mit Blick auf die Bindung der Kommunen an das Mindesthomogenitätsgebot1038. Eine weitere Ausdünnung der Kommunalfinanzierung käme daher wohl einem kalkulierten Verfassungsbruch gleich. d) Was ihre Sachbefugnisse angeht, so muss den Ländern mit Blick auf die Wahrung ihrer Eigenstaatlichkeit zwar eine signifikante inhaltliche und daher auch fiskalische Einschätzungsprärogative verbleiben; aufgrund der vorstehend dargelegten hohen Festlegung ihrer Haushalte konnten bzw. können sich vor allem finanzschwache Länder den erforderlichen budgetären Mindestspielraum oftmals erst durch eine regelmäßige Kredit(neu)aufnahme erschließen. Wird ihnen durch das Verbot struktureller Neuverschuldung nun auch noch diese letzte Möglichkeit zur Selbsthilfe genommen, steht zur befürchten, dass sich Landespolitik zukünftig weitgehend im Zusammenkürzen eigener Gestaltungsaufgaben und deren Kosten erschöpfen wird. 20. Fazit: Vor dem Hintergrund der hohen Festlegung ihrer Haushalte muss zum einen ernsthaft bezweifelt werden, ob die Staatlichkeit vor allem finanzschwacher Länder auch in Zukunft noch gewahrt werden könnte. Da der gliedstaatliche Sachaufgabenbereich durch das Sujet der inneren Sicherheit sowie das Gesundheits-, Kultur-, Schul- und Hochschulwesen geprägt wird, begegnete eine deutliche Restriktion des Erfüllungsniveaus in finanzschwachen Ländern zum anderen erheblichen Bedenken hinsichtlich des Art. 79 Abs. 3-Postulats einer 1038

Dazu oben unter Punkt 10. b).

5. Teil: Gesamtergebnis in Thesen

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verfassungskräftigen Garantie annähernder Gleichwertigkeit zentraler Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. 21. Da – dies ist mit Blick auf die Prognose für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 bedeutsam – die Zahlung von Konsolidierungshilfen laut Art. 143d Abs. 2 Satz 1 GG auf den Übergangszeitraum (1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2019) beschränkt wurde und in ihrem Rahmen auch darüber hinaus keine spezifischen Kompensationsregelungen für das Verbot struktureller Neuverschuldung vorgesehen wurden, bietet die Verfassungsnovelle vom 29. Juli 2009 selbst keine Gewähr für die zukünftige Einhaltung der Vorgaben des Art. 79 Abs. 3 GG. Mit spezifischem Blick auf den Regelzeitraum ab dem Haushaltsjahr 2020 erlangt daher ein Teilpostulat der Revisionsnorm zusätzlich an Bedeutung: Den Ländern die Ausgestaltung der Ausnahmeregelungen gemäß Art. 109 Abs. 2 Sätze 2, 3 GG vollständig zu überlassen, ist allein schon deshalb notwendig, damit sie über passgenaue Konkretisierungen der unbestimmten Rechtsbegriffe bei Bedarf soweit als möglich selbst für Abhilfe sorgen können. 22. Reicht dies im Ernstfall nicht aus, um die finanzielle Position jedes im Betrachtungszeitpunkt existierenden Landes abzusichern, könnte ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG ohne neuerliche Verfassungsrevision nur durch die Verankerung der gebotenen Länderfinanzgarantie in bereits bestehenden, nötigenfalls weit auszulegenden Handlungsinstrumenten der Finanzverfassung abgewendet werden. (Spätestens) als Ultima Ratio würde dabei die Pflicht des Bundes in den Mittelpunkt rücken, eine zureichende Finanzausstattung der Länder notfalls aus eigenen Mitteln zu gewährleisten (dazu sogleich unter e)–h)). a) Bundesgesetzlich herbeizuführende Steuererhöhungen auf dem Gebiet der Gemeinschafts- bzw. Landessteuern dürften zwar grundsätzlich (mit) das wirksamste Mittel sein, um einer Erosion der finanziellen Basis der Länder entgegenzuwirken. Zum einen kann auf diesem Weg aber keine gezielte Unterstützung einzelner Not leidender Länder erreicht werden. Und zum anderen dürfte die Gangbarkeit dieses Weges hinsichtlich der politischen Durchsetzbarkeit mit erheblichen Hürden behaftet sein. b) Auch eine Kompensation über eine Revision bzw. Festsetzung der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern gemäß Art. 106 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 3 Sätze 3, 4 GG käme vor allem dann in Betracht, sollte der Länderebene generell das Unvermögen einer verfassungsgerechten Aufgabenwahrnehmung drohen. Eine gezielte Auffüllung der Finanzkraft einzelner Notlageländer kann über den Hebel der Umsatzsteuerverteilung hingegen ebenfalls nicht erreicht werden. c) Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Ts. 2 GG scheidet vorliegend schon deshalb als Ausgleichsgrundlage aus, weil der Bundesgesetzgeber die ihm verliehene Ermächtigung zur Vorsehung von Ergänzungsanteilen für finanzschwache Länder bereits gegenwärtig im vollen Umfang ausgenutzt hat.

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d) Bedenkt man, dass im horizontalen Finanzausgleich zum jetzigen Zeitpunkt weniger als 2 v. H. der gesamten Steuereinnahmen von Bund und Ländern bewegt werden und dessen Ausgestaltung bei schon gegenwärtig hoher Ausgleichsintensität durch das Verbot vollständiger Finanzkraftnivellierung begrenzt wird, so wird deutlich, dass auch Art. 107 Abs. 2 Sätze 1, 2 GG wenig zur Lösung der hier erörterten Problemstellung beitragen können. e) Mehr- bzw. Sonderbelastungsausgleich gemäß Art. 106 Abs. 4 Sätze 2, 3 bzw. 8 GG erscheinen zur Absicherung der Länderfinanzen grundsätzlich ungeeignet. f) Die Mischfinanzierungstatbestände der Art. 91a, 91b und 104b GG sind für die vorliegend notwendige Zuführung von Akuthilfen nur sehr bedingt geeignet. Über diese Vorschriften können allenfalls Soforthilfen flankierende, langfristig wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. g) Obgleich Art. 104a Abs. 3 GG zum einen keine Handhabe zur gezielten Unterstützung Not leidender Länder bietet und – soll kein Gestaltungsverlust auf Länderseite einsetzen – zum anderen die 50-Prozent-Beteiligungsschwelle nicht erreicht bzw. überschritten werden darf, könnten Zweckkostenübernahmen auf Grund dieser Vorschrift zumindest in gewissem Umfang zu einer Anhebung der Finanzausstattungen von Notlageländern mit beitragen. h) Sollte auch der kumulative Einsatz der (zumindest partiell) geeigneten unter den angeführten Instrumenten nicht ausreichen, um jedem im Betrachtungszeitpunkt existierenden Land eine aufgabengerechte Finanzausstattung zu sichern, so käme als verfassungsgesetzliche Handlungsgrundlage nur noch Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG in Betracht. Im Unterschied zu den übrigen potentiellen Abhilfeinstrumenten böte Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG einem Not leidenden Land zudem die erforderliche materiellrechtliche Handhabe, nicht zweckgebundene Hilfszahlungen des Bundes notfalls verfassungsprozessual einklagen zu können1039. Zwar sollen Bundesergänzungszuweisungen im Anschluss an den horizontalen Finanzausgleich grundsätzlich nur als Lückenschließer dienen; wird aber die vorausgesetzte Ausnahmesituation zum Regelfall und garantiert die Bundesverfassung nicht anderweitig für die finanzielle Position der Länder, sollte deren Staatlichkeit mittels einer den Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG genügenden Interpretation des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG abgesichert werden können. Dem dürfte auch die im Berlin-Urteil vorgenommene erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs von außerordentlichen Sanierungs-Bundesergänzungszuweisungen nicht entgegenstehen – unabhängig davon, ob man dem Bundesverfassungsgericht in der Sache zustimmt oder nicht. Denn die entsprechenden Ausführungen des Zweiten Senats lassen sich m. E. nicht auf das vorliegend maßgebliche Normalregime des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG übertragen. Da Art. 107 Abs. 2 Satz 3 1039

Vgl. oben unter Punkt 13.

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GG aber nicht als eine Art Generalausgleichsklausel konzipert, sondern in ein mehrstufiges Verteilungsverfahren eingegliedert wurde, unterliegt der Anwendungsbereich von Bundesergänzungszuweisungen systematischen Grenzen. So könnte einer generellen Unterfinanzierung der Länderebene, von der spätestens dann auszugehen ist, wenn selbst Länder mit durchschnittlicher oder sogar überdurchschnittlicher Finanzkraft nach dem Länderfinanzausgleich über keine aufgabengerechte Finanzausstattung verfügen, nicht über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG abgeholfen werden. Für diesen Fall einer strukturellen Unterfinanzierung selbst (über-)durchschnittlich finanzkräftiger Länder blieben zwei Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG – die Verankerung der Garantiehaftung des Bundes in vorhandenen verfassungsrechtlichen Handlungsinstrumenten und damit auch die Einklagbarkeit eines korrespondierenden Hilfsanspruchs Not leidender Länder – unerfüllt. 23. Fazit: Unter dem Strich stimmt die Prognose für die Zeit ab 2020 zumindest teilweise bedenklich: Bleibt es bei der derzeitigen Verfassungsrechtslage, käme für den Fall, dass eine flächendeckend aufgabenadäquate Finanzausstattung der Länder respektive deren Staatlichkeit nicht ohne Hilfszahlungen des Bundes garantiert werden könnte, als verfassungstextliche Grundlage für die Verankerung einer einklagbaren Haftungspflicht des Bundes nur Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG in Betracht. Ändert sich zudem nichts an der hohen Determiniertheit der Länderhaushalte oder verengen sich – was zu befürchten ist – die Verfügungsspielräume weiter, so können Situationen eintreten, in denen Länder auf Bundeshilfen angewiesen sind. Zwar könnte dann der Bund Not leidenden Ländern deren Staatlichkeit wahrende Hilfen über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG zukommen lassen; hilfsbedürftige Gliedstaaten könnten auf Grundlage dieser Norm die Erfüllung der Garantieverpflichtung des Bundes auch in Karlsruhe einklagen. Beides würde aber dann an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen, wenn selbst durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich finanzkräftige Länder auf die Gewährung ergänzender Hilfszahlungen angewiesen sein sollten. Denn aus systematischen Gründen könnte dieser Situation nicht über Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG abgeholfen werden: Ein Zustand weitgehender Unterfinanzierung der Länderebene müsste im Rahmen der Einnahmenerzielung bzw. auf der ersten Distributionsstufe (Bund-Ländergesamtheit) behoben werden. Wollte oder könnte aber der Bundesgesetzgeber dieses Erhebungs- und/oder Verteilungsdefizit nicht mithilfe des dafür vorgesehenen Instrumentariums korrigieren, müsste davon ausgegangen werden, dass die zum Betrachtungszeitpunkt geltende föderative Finanz(- i.V. m. der entsprechenden Kompetenz-)ordnung des Grundgesetzes in Ansehung der vorherrschenden fiskalischen Realität nicht (mehr) adäquat oder zwingend genug ausgestaltet und daher nicht geeignet wäre, eine aufgabengerechte Länderfinanzausstattung zu garantieren. Die im dritten Teil der Untersuchung herausgearbeiteten Maßgaben des Art. 79 Abs. 3 GG bezüglich der Absicherung der Länderfinanzen wären nicht gewahrt. Dann wäre der Revisionsgesetzgeber endgültig gefordert, anderweitig

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für eine wirksame Garantie einer aufgabenangemessenen Länderfinanzausstattung zu sorgen. 24. Auch hinsichtlich des Übergangszeitraumes vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 (vgl. Art. 143d Abs. 1 Satz 3 bzw. Abs. 2 Satz 1 GG) gilt, dass die Bundesverfassung die finanzielle Position der Länder absichern muss. Sollte die in Art. 143d Abs. 2 Satz 2 GG veranschlagte jährliche Summe für ein Empfängerland nicht ausreichen und/oder die Finanzausstattung eines nicht empfangsberechtigten Landes nicht bloß zeitweilig unter das erforderliche Mindestmaß absinken, gilt das oben Gesagte.

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Sachverzeichnis „Abhör-Urteil“ (BVerfGE 30, 1) 46 f., 53, 56, 59 Annexgarantie, Prinzip der 89 f., 118, 121 f., 138 f., 187, 192 ff., 199 f., 220 ff., 247 Ausführungsverantwortung – der Kommunen für Bundes- und Landesgesetze 131 ff. – der Länder für Bundesgesetze 84 ff., 124 f., 209, 237, 240 f., 246 Auslegung, verfassungskonforme – der Ausnahmetatbestände in Art. 109 Abs. 3 Sätze 2, 3 GG 256 f. – des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG siehe Bundesergänzungszuweisungen – und verfassungskonforme (. . .) „Berlin-Urteil“ (BVerfGE 116, 327) 277 f., 282 ff. Bestandsklausel siehe Ewigkeitsklausel Bildungskompetenzen der Länder 91 f., 128, 163 f., 213 f., 252 f. Binnenwanderungen – drohende Intensivierung von 249, 252 – Eindämmung von 181 ff. Budgethoheit der Landtage – formelle 108 f. – kein umfassender Bestandsschutz durch Art. 79 Abs. 3 GG 89 ff., 108 ff. – materielle 108 ff. Bundesdurchgriffszuweisung 132 ff. Bundesergänzungszuweisungen – allgemeine 272 ff., 288 ff. – Grundlegendes und Einordnung in föderales Finanzverteilungssystem 270 ff.

– Leistungsschwäche-Tatbestand 271 f., 284 ff. – Sanierungszuweisungen als außerordentliche Sonderbedarfszuweisungen 277 ff., 288 ff. – Sonderbedarfszuweisungen 272 f., 277 ff., 288 ff. – Subsidiarität 271, 273, 278 ff. – und verfassungskonforme Auslegung 273 ff., 279 ff. – siehe auch „Berlin-Urteil“ – siehe auch „Finanzausgleich I–III“ – siehe auch Haushaltsnotlagen – siehe auch Notstand, bundesstaatlicher bundesfreundliches Verhalten siehe Bundestreue Bundesländer – Finanzposition strukturschwacher 237, 246 ff., 251 ff. – Hilfsfunktion bei Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben 72, 81 ff., siehe auch Bundesstaat – unitarischer Bundesrat 77 Bundesstaat(s) – verfassungsgeschichtliche Besonderheiten des deutschen 187 ff. – unitarischer 71, 82 ff., 111 f., 143, 187 ff., 229 Bundesstaatlichkeit – gewaltenbalancierende Funktion 76 ff., siehe auch Gewaltengliederung – integrales Verständnis 69, 75 – typusbestimmende Merkmale 69 ff., 74 ff. – siehe auch Föderativgarantie – siehe auch Wechselwirkungen, systematische

Sachverzeichnis Bundestreue, Grundsatz der 116, 169 ff., 176 f., 219, 228 f., 250 Bundesverfassungsgericht – Rechtsprechung zu Haushaltsnotlagen 278 ff. – siehe auch „Abhör-Urteil“ – siehe auch „Berlin-Urteil“ – siehe auch „Finanzausgleich I–III“ – siehe auch „Großer Lauschangriff“ – siehe auch „Hausgut-Entscheidung“ – siehe auch „Lissabon-Urteil“ Daseinsvorsorge 85 f., 165, 171 f., 198, 212, 249 Demokratieprinzip 70 ff., 76 ff., 192 ff. Einflussnahmemöglichkeit, geringe – der Länder auf Zusammensetzung ihrer Haushalte 237 ff. Einkommensteuer – gesetzgeberischer Zugriff des Bundes auf Ausgestaltung der 234 f., 258 f., 277 Erbschaftsteuer 236 Ergänzungsanteile siehe Umsatzsteuer – Vorwegausgleich Ewigkeitsklausel – als Dauermaßstab 202, 232 f. – als einziger materieller Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen 43 f. – als Kerngehaltsgarantie 46 ff., 55 ff., 59 f. – Begriffsklärung „Berühren“ 55 ff. – Begriffsklärung „Grundsätze“ 46 ff. – Bindungswirkung für Revisionsgesetzgeber 31 f., 38 ff. – bundesstaatlicher Schutzbereich siehe Föderativgarantie – GG-Urfassung als maßgebliche Auslegungshilfe 54, 82 ff., 101 ff. – Reichweite des Bestandsschutzes 44 ff., 55 ff. – verfassungssystematische Schutzgutkonkretisierung 55, 76 ff.

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Finanzausgleich – horizontaler siehe Umsatzsteuer – Vorwegausgleich sowie Länderfinanzausgleich – kommunaler 241 ff. – vertikaler 148, 263 ff., siehe auch Bundesergänzungszuweisungen sowie Mehrbelastungsausgleich „Finanzausgleich I“ (BVerfGE 72, 330) 278 „Finanzausgleich II“ (BVerfGE 86, 148) 278 ff. „Finanzausgleich III“ (BVerfGE 101, 158) 280 f. Finanzausstattung, aufgabenangemessene – der Kommunen 128 ff., 241 ff., 247 ff. – der Länder siehe Staatlichkeit der Länder – aufgabenangemessene (. . .) – Normierungsverantwortung des Bundes bezüglich Länderebene 217 ff. – Wahlfreiheit des Bundes bezüglich Sicherungsmittel 217, 232, 277 Finanzierungsverantwortung – der Länder für Ausführung von Bundesgesetzen 84 ff., 106 f., 124, 209, 225, 237, 239 ff., 246 – Durchbrechung der Vollzugskausalität zugunsten der Länder 256, 269 f. Finanzreformen, grundlegende – Föderalismusreform II 25 ff. – Reform von 1955/56 25 – Reform von 1969 25, 149 f. Finanzverfassung – bundesstaatliche 139 ff., 258 ff. – der Urfassung des GG 102 ff., 153 ff. Föderalismusreform II 25 ff. Föderativgarantie – allgemeine Sicherung der bundesstaatlichen Verfassungssubstanz 62 ff. – einheitlicher bundesstaatlicher Schutzbereich 66 ff. – Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse als Annexgarantie 181 ff., siehe auch Lebensverhältnisse

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Sachverzeichnis

– Teilgarantie der Landesstaatlichkeit 74 ff., siehe auch Staatlichkeit der Länder – siehe auch Bundesstaatlichkeit Garantenstellung – staatliche für materielle Verfassungsvoraussetzungen 198 ff. Garantieverpflichtung – der Flächenländer für Finanzausstattung der Kommunen 128 ff., 138 ff., 211 ff., 241 ff., 246 ff. – des Bundes für Finanzausstattung der Länder 217 ff., 258 ff., 263 ff. – Justitiabilität der Bundespflicht 219 ff., 291 – Notwendigkeit der normativen Verankerung der Bundespflicht 219 ff., 263, 292 – siehe auch Finanzausstattung, aufgabenangemessene – Wahlfreiheit – siehe auch Normierungsverantwortung – siehe auch Verfassungsrevision – Pflicht (. . .) Geldleistungsgesetze des Bundes – fakultative Beteiligung des Bundes an Zweckkosten 269 f. Gemeinschaftsaufgaben 125 f., 127 f., 148, siehe auch Mischfinanzierungstatbestände Gemeinschaftsrecht – Einwirkungen auf Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG 216 Gewalt, verfassungsändernde – Verhältnis zu verfassungsgebender nach GG 31 ff. Gewaltengliederung – horizontale 76 ff. – vertikale 76 ff., 90 ff., 110 f., 229 Gleichbehandlungsgebot, föderatives 28, 283 „Großer Lauschangriff“ (BVerfGE 109, 279) 47, 49 f., 59 Großer Steuerverbund 234

Grunderwerbsteuer 235, 238 „Hausgut-Entscheidung“ (BVerfGE 34, 9) 92 ff., 119 ff. Haushaltsautonomie der Länder siehe Budgethoheit der Landtage Haushaltsnotlagen – und Gewährung von Sanierungszuweisungen 277 ff. – siehe auch Notstand, bundesstaatlicher Hebesatzrecht 244 Homogenitätsgebot – bezüglich der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet siehe Lebensverhältnisse – des Art. 28 Abs. 1 GG 95, 101 f., 167 ff. Investitionshilfen des Bundes 126 f., 148, siehe auch Mischfinanzierungstatbestände Justitiabilität – der fiskalischen Garantieverpflichtung des Bundes zu Gunsten der Länder siehe Garantieverpflichtung – Justitiabilität (. . .) Körperschaftsteuer – gesetzgeberischer Zugriff des Bundes auf Ausgestaltung der 234 f., 258 f., 277 Kommunen – als „dritte Ebene“ im zweigliedrigen Bundesstaat 87 – Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises 131 ff., 211 – Ausführung von Bundesgesetzen 131 ff., 211 – Ausführung von Landesgesetzen 135 f., 211 – Finanzausstattung, aufgabenangemessene siehe Finanzausstattung, aufgabenangemessene – der Kommunen – Kategorisierung der Aufgaben der 130 f., 136 ff.

Sachverzeichnis – Kommunaler Finanzausgleich siehe Finanzausgleich – kommunaler – Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben 86 ff., 135 ff., 171 ff., 211 f., 246 ff. Kompetenzordnung, bundesstaatliche – in GG-Urfassung 76 f., 82 ff. Konnexitätsregeln siehe Finanzierungsverantwortung Konsolidierungshilfen 29, 256, 295 Kreditautonomie der Länder – kein umfassender Schutz über Art. 79 Abs. 3 GG 93 ff. – Verbleib der Verschuldungsoption bezüglich Ausnahmesituationen 145, 256 f. – siehe auch Staatlichkeit der Länder – Kreditautonomie (. . .) – siehe auch Budgethoheit der Landtage Kriegsfolgelasten 83 Länderfinanzausgleich(s) – bundesweite Mindesthomogenität der Lebensverhältnisse als Leitmotiv des 148 ff. – faktische Grenzen einer Ausweitung des 261 f. – und Absicherung aufgabenangemessener Finanzausstattung der Länder 261 f. – und Nivellierungsverbot 225, 262 – und Schwächungsverbot 225 Landesaufgaben – fremdbestimmte 124 ff., 239 ff., siehe auch Bundesländer – Hilfsfunktion (. . .) sowie Bundesstaat – unitarischer – Garantie der kommunalen Finanzausstattung 128 ff., 138 f., siehe auch Garantieverpflichtung – der Flächenländer (. . .) – Gestaltungsaufgaben 128, 245, 250 ff. – Kategorisierung anhand föderativer Typusmerkmale 120 f. – landesunmittelbare ohne (signifikanten) Gestaltungsspielraum 128, 245

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Landeshaushalt – Ausgabenseite 106 f., 209 ff., 237, 239 ff., 246 ff. – Determinierung durch Bund 89 f., 103 ff., 234 ff., 246 ff. – Einnahmenseite 103 ff., 234 ff., 237 ff., 245 f. – geringe Einflussnahmemöglichkeit der Länder auf Zusammensetzung 237 ff. Landesverfassungen – Bestimmungen über Schuldenaufnahme 96 ff. Lebensverhältnisse – Bindung von Ländern und Kommunen an Mindesthomogenitätsgebot 209 ff., 248 ff., 252 f. – Einheitlichkeit der 147 ff., 158 f. – Gleichwertigkeit der 147 ff., 158 f. – im verfassungsrechtlichen Sinn: Begriffsklärung 146 ff. – Konkretisierungsbedürftigkeit des Mindesthomogenitätsstandards 202 f. – Konsequenzen aus Mindesthomogenitätspostulat für Garantie aufgabenangemessener Finanzausstattung der Länder 208 ff., 248 ff., 252 f. – Mindesthomogenität zentraler Lebensverhältnisse als materielle Verfassungsvoraussetzung 181 ff., 192 ff., 249, 252, siehe auch Garantenstellung – Postulat der Mindesthomogenität zentraler 145 ff., 160 ff., 239, 248 ff., 252 f. „Lissabon-Urteil“ (BVerfGE 123, 267) 216 Mehrbelastungsausgleich 263 f. Mischfinanzierungstatbestände 264 ff., siehe auch Investitionshilfen des Bundes sowie Gemeinschaftsaufgaben Neugliederung des Bundesgebiets 70, 151 ff. Nivellierungsverbot siehe Länderfinanzausgleich – Nivellierungsverbot

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Norddeutscher Bund 70 Normenkontrollantrag – des Berliner Senats vom 4. September 2003 282 f. Normierungsverantwortung – des verfassungsändernden (Bundes-) Gesetzgebers bezüglich Absicherung der Länderfinanzen 217 ff. Notstand, bundesstaatlicher 285 ff. Novellierungspflicht siehe Verfassungsrevision – Pflicht (. . .) Örtliches Aufkommen 149 f., 152, 156, 255 f. Ordnung, bundesstaatliche siehe Bundesstaatlichkeit Organisationshoheit der Länder – und Kreditautonomie 93 ff. Parlamentarischer Rat 52, 58, 63 ff., 102 f., 156, 188 Personalausgaben der Länder 239 f., 246 Prüfungsgegenstand(s) – notwendige Erweiterung des ursprünglichen 230 ff. Rechtsstaatsprinzip 76 ff., 250 Reichsverfassung – von 1871 70 f., 188 – Weimarer 34 f., 51, 71 f., 98 f., 188 Sachkompetenzen der Länder, unentziehbarer Mindestbestand siehe „HausgutEntscheidung“ sowie Staatlichkeit der Länder – Minimum (. . .) Sanierungshilfen siehe Bundesergänzungszuweisungen – Sanierungszuweisungen (. . .) Schenkungsteuer 236 Schuldenregel, grundgesetzliche – Ausnahmetatbestände und deren bedarfsgerechte Konkretisierung durch die Länder 28, 145, 257

– Länderregel: Darstellung 28 f. – Tilgungsregelung, verbindliche 28, 257 – Übergangsbestimmungen 28 f., 295 Schuldenstandsquote 25 Schwächungsverbot siehe Länderfinanzausgleich – Schwächungsverbot Selbstverwaltungsaufgaben der Kommunen siehe Kommunen – Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben Sonderbelastungsausgleich 264 Sozialgesetzgebungskompetenzen – der Länder in GG-Urfassung 85 ff. – des Bundes in GG-Urfassung 82 ff. Soziallasten der Länder 237, 253 Sozialstaatsprinzip 72, 80 ff., 161 ff., 201 Staatlichkeit der Länder – als Ausprägung (vornehmlich) vertikaler Gewaltengliederung 90 ff., siehe auch Gewaltengliederung – als Wesensmerkmal der bundesstaatlichen Ordnung 74 ff. – aufgabenangemessene Finanzausstattung als Essentialie der 79 ff., 88 ff., 105 f., 117 ff., 245 ff., 255 ff. – Kreditautonomie als Essentialie der 93 ff., 145 – Minimum an politisch-gestalterischen Befugnissen als Essentialie der 79, 89 ff., 251 f., siehe auch „Hausgut-Entscheidung“ Steuerautonomie der Länder 217, 256 Steuerertragsaufteilung – horizontale 260 f. – in GG-Urfassung 104 ff. – vertikale 234 f., 259 f., 276 f. Steuergesetzgebungsbefugnisse – der Länder 237 f. – des Bundes 234 ff., 245, 258 f. – in GG-Urfassung 103 ff. Tilgungsregelung, verbindliche 28 Trennsystem 234 f.

Sachverzeichnis Übergangsregelungen 28 f., 295 Umsatzsteuer – Revision der Anteile zwischen Bund und Ländergesamtheit 259 f., 276 – Vorwegausgleich 236, 260 f. Unantastbarkeitsgarantie siehe Ewigkeitsklausel Unionsrecht siehe Gemeinschaftsrecht Unterfinanzierung, strukturelle – der Kommunen 241 ff., 246 ff. – der Länder 234 ff., 253, 273 ff., 287 ff. Urfassung des Grundgesetzes 54, 77, 82 ff., 100 ff., 150 ff. Verbrauch- und Aufwandsteuern, örtliche 245 Verbundsystem 234 f. Verfassungsautonomie der Länder 101 f. Verfassungsrevision – Pflicht des verfassungsändernden (Bundes-)Gesetzgebers zur 217 f., 225, 277, 295

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Verfassungsstrukturgrundsätze – siehe Bundesstaatlichkeit – siehe Demokratieprinzip – siehe Rechtsstaatsprinzip – siehe Sozialstaatsprinzip Vermögensteuer 236, 259 Verschuldung – Flucht der Länder in strukturelle 251, 254 f. Völkerrecht – Einwirkungen auf Schutzgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG 216 Vollzugskausalität siehe Finanzierungsverantwortung Wechselwirkungen, systematische – zwischen bundesstaatlicher Ordnung und demokratischem sowie sozialem Rechtsstaat 74 ff., 161 ff., 196 f. Wesensgehaltsgarantie 49 ff., 56 f. Zins-Steuer-Quote 286 f.