Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen,: dargestellt am Beispiel der Personalzusatzkosten [1 ed.] 9783428487400, 9783428087402

Die Belastungen der deutschen Unternehmen mit Personalzusatzkosten haben eine Höhe erreicht, die heute die Wettbewerbsfä

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Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen,: dargestellt am Beispiel der Personalzusatzkosten [1 ed.]
 9783428487400, 9783428087402

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 696

Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen Dargestellt am Beispiel der Personalzusatzkosten

Von Walter Leisner

Duncker & Humblot · Berlin

WALTER LEISNER

Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 696

Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen dargestellt am Beispiel der Personalzusatzkosten

Von Prof. Dr. Walter Leisner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Leisner, Walter: Die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Unternehmen : dargestellt am Beispiel der Personalzusatzkosten / von Walter Leisner. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 696) ISBN 3-428-08740-2 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08740-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort Diese Untersuchung gilt einer grundsätzlichen Frage des Wirtschaftsverfassungsrechts von gegenwärtig außerordentlicher Aktualität: Läßt das Grundgesetz es zu, daß die Betriebe immer weiter mit gesetzlichen Lohnzusatzkosten für den Einsatz der Arbeitnehmer belastet werden - oder gibt es dafür Verfassungsschranken? Muß solche nicht ein Gesetzgeber achten, der vor allem durch ständige Steigerungen der Sozialversicherungsbelastungen eine Situation geschaffen hat, aufrechterhält, j a laufend verschärft, in der zahllosen, vor allem mittelständischen, aber auch größeren deutschen Unternehmen der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit droht, gegenüber den EU-Partnern, ostdeutscher, amerikanischer oder asiatischer Konkurrenz? Dies ist als die schwerste Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für die Arbeitsplätze in diesem Lande bereits erkannt worden. Schweigt hier wirklich die Verfassung, überläßt sie insbesondere die Entwicklung der Sozialbelastungen dem Gestaltungsbelieben des Gesetzgebers? Daß die Sozialversicherung in gegenwärtiger Ausdehnung und Intensität voll nicht aufrechterhalten werden kann, ist schon ein ökonomischer Gemeinplatz. Hier soll gezeigt werden, daß der gegenwärtige Zustand auf Entwicklungen beruht, deren Korrektur die Verfassung nicht nur zuläßt, sondern tendenziell verlangt. Damit wird das Grundgesetz nicht überfrachtet: Wer ihm in einer so dramatisch sich zuspitzenden Lage keine Aussage entnehmen will, läßt es verkümmern zu einer Sammlung politischer Spruchweisheiten ohne Bezug zu drängender Aktualität. Dem Verfasser ist bewußt, daß er hier in vielem Neuland betreten muß; doch er weiß sich darin nicht allein. Die Arbeit ist aus einem Rechtsgutachten entstanden, das für den Bayerischen Handwerkstag erstattet wurde; gerade für viele Handwerksbetriebe werden ja die Lohnzusatzkosten immer mehr zur Existenzbedrohung. München, i m Dezember 1995 Walter Leisner

Inhaltsverzeichnis

Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten und die daraus sich ergebenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen

11

I. Der Begriff der Personalzusatzkosten (PZK)

11

1. Die statistischen Erfassungskategorien

11

2. Die Personalkostenbelastung der Betriebe

12

3. Betrachtung der durchschnittlichen PZK-Belastung

13

II. Die Globalzahlen zu den PZK und ihre Entwicklung - internationaler Vergleich

15

1. Der erreichte Zustand: nahezu Lohnverdoppelung

15

2. Kontinuierlich stärkeres Ansteigen der PZK als der Direktentgelte

16

3. Internationaler Vergleich

17

III. „Gesetzliche" und „tarifliche" PZK

20

1. Die Begriffe - die Aufgliederung der PZK

20

2. Das Ansteigen der gesetzlichen und tariflich/betrieblichen PZK

21

3. Tariflich/betriebliche PZK - nicht Gegenstand dieser Untersuchung

22

IV. Die Sozialversicherungsbeiträge - Hauptfaktor der gesetzlichen PZK-Belastung

25

1. Höhe und Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge

25

2. Senkungspotential der gesetzlichen PZK in der Sozialversicherung

26

V. Die öffentliche Diskussion und die Stellungnahme der Verbände

27

1. Fach- und Tagespresse

27

2. Die Stellungnahme des Handwerks

29

VI. Methode und Plan der Untersuchung

31

8

Inhaltsverzeichnis

Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen - rechtliche Notwendigkeit und Möglichkeit I. Grundrechtliche Belastungsgrenzen für PZK - Allgemeines

33 33

1. Der Begriff der „unerträglichen Abgabenlast"

33

2. Hoheitliche Abgaben-Belastung - ein „Eingriff in wirtschaftliche Grundrechte

34

3. PZK und Steuern - Vergleichbarkeit hinsichtlich der Verfassungsschranken

35

II. Die Belastungsgrenze im Falle der PZK - praktisch je erreichbar?

36

1. Die Belastungsgrenze mit hoheitlichen Abgaben - grundsätzlich unerreichbar?

36

2. Die Belastungsgrenze - eine „theoretische" Schranke?

37

III. Die Problematik einer Feststellung des Überschreitens verfassungsrechtlicher Belastungsgrenzen

40

1. Globalwirtschaftlicher Charakter der Sozialbelastungen - daher Schrankenwirksamkeit schon im „bedrohten Vorfeld"

40

2. „Unzumutbare Belastungen" - nach Durchschnitts-Betrachtung

42

3. Die erforderliche Eigeninitiative des Unternehmers zur Lastentragung

44

4. Die Bedeutung des Marktes - die Abwälzung(smöglichkeit) hoheitlicher Lasten

49

5. Fazit: Die Verfassung - eine faßbare Schranke für belastende Abgaben —

52

6. Marktöffnung und Realitätsbezug in der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

53

IV. Faßbare Belastungsgrenzen aus der Verfassung - eine Notwendigkeit gerade in der wirtschaftsneutralen parlamentarischen Demokratie

55

1. Die parlamentarische Demokratie - Staatsform der hoheitlichen Belastungsdynamik

55

2. Keine Wirtschaftsverfassung im GG - aber wirtschaftlicher Freiheitsschutz - „Wirtschaftsfreiheit"

57

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten, insbesondere aus dem Eigentum Privater

59

1. Belastungsgrenzen aus der Gleichheit?

60

2. Berufs/Gewerbefreiheit als Belastungsschranke - zu realisieren über Steuerverschonung

61

Inhaltsverzeichnis 3. Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz als Ertragsschutz für die Unternehmen

64

4. PZK und Wettbewerbsfreiheit

69

VI. Die Gesamt-Abgabenbelastung - Grundlage der Beurteilung der gesetzlichen PZK

72

1. Der Einwand der Multikausalität der Unternehmensgefährdung - das Kumulationsproblem

72

2. Die Anerkennung der Summation in den Einheitswertbeschlüssen des BVerfG

73

3. Eine überfällige Folgerung: Einbeziehung der Inflation in die Gesamtbetrachtung

74

VII. Mittelstandsförderung - von der Zulässigkeit zum Gebot kraft Verfassung

75

1. Legitimation gegenüber der Gleichheit

75

2. Die Wende zur „Mittelstandsförderung als Verfassungsgebot"

76

Gesamtergebnis von Teil Β

77

C. Die Überdehnung der Sozialversicherung - ein wesentlicher Grund für überhöhte PZK

78

I. Die Fragestellung - Sozialversicherungs-Verfassungsrecht und Senkung der PZK

78

1. Notwendigkeit der Untersuchung des „Speziai-Verfassungsrechts" der Sozialversicherung

78

2. Die großen Fehlentwicklungen der Sozialversicherung aus Unternehmersicht

79

II. Fehlentwicklungen der Sozialversicherung - Wege der Korrektur

81

1. Der „weite Gestaltungsraum" des Gesetzgebers - kein Belastungsblankett .

81

2. Der „ausdehnungsfähige Gattungsbegriff Sozialversicherung" - Abkoppelung von der Tradition?

82

3. Abkoppelung der Sozialversicherung vom „Versicherungsbegriff' - grenzenloser „Ausgleich"?

87

4. Abkoppelung der Sozialversicherung vom Arbeitsverhältnis?

94

5. Der Arbeitgeberanteil - Verfassungsschranken nach dem BVerfG

100

10

Inhaltsverzeichnis III. Arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht - Legitimation, aber auch Schranke der Sozialversicherungs-Belastung des Arbeitgebers 105 1. Die Rechtsprechung des BVerfG

105

2. Der Inhalt des arbeitsrechtlichen Fürsorgebegriffs und die Sozialversicherung - Anknüpfung an das Beschäftigungsverhältnis

106

3. Folgerungen für ein einschränkendes Verständnis der SozialVersicherungsVerpflichtungen des Arbeitgebers

108

IV. Kritik der sozialversicherungsfremden Lasten - Sozialversicherungsbeiträge sind nicht Steuern

110

1. „Fremdlasten" - bisher ein diffuser Begriff

110

2. Die eigentliche Fremdlast - primärer Nutzen außerhalb der Versichertengemeinschaft

112

3. Fremdlasten der Sozialversicherung - ein unerträglicher Verstoß gegen Abgabengleichheit und Finanzverfassung: „Beiträge statt Steuern"

114

V. Die wichtigsten Konsequenzen einer verfassungskonformen Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung - die Gefahr eines „Hineinwachsens der PZK-Belastungen in Verfassungswidrigkeit" 117 1. Beseitigung verfassungswidriger Belastungen der Sozialversicherung

117

2. Überprüfung bisheriger Belastungen in einer veränderten Marktkonstellation

118

3. Keine neuen, die PZK steigernden Belastungen

119

Ausblick: Die Belastungsgrenzen rechtlich sichern

122

Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten und die daraus sich ergebenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen

I. Der Begriff der Personalzusatzkosten (PZK) 1. Die statistischen Erfassungskategorien Bei der Beurteilung der Kostenbelastung der Unternehmen durch Personal ist auszugehen von den Erfassungskategorien des Statistischen Bundesamtes 1 . Sie werden auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zugrundegelegt 2 . Oberbegriff sind dabei die Personalkosten der Unternehmen. Sie umfassen die Löhne und Gehälter sowie die Sozialkosten. - Löhne und Gehälter stellen die Brutto- und Sachbezüge dar, d. h. vor Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, aber ohne Arbeitgeberanteile, welche zu den Sozialkosten zählen. Voraussetzung ist ein vertragliches Lohn-, Gehalts- oder Ausbildungsverhältnis zum Unternehmen. Einbezogen werden sämtliche Bezüge aus nichtselbständiger Arbeit i m steuerrechtlichen Sinn. Bei den Arbeitern ergibt sich dieses „Entgelt für die geleistete Arbeit 4 ' durch Multiplikation der geleisteten Arbeitsstunden mit den Bruttostundenlöhnen. Bei den Angestellten wird zur Bestimmung des Entgeltes für geleistete Arbeit das Bruttojahresverdienst zugrundegelegt; von ihm werden abgezogen die Sonderzahlungen (Gratifikationen, Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen) sowie das Entgelt für arbeitsfreie Tage (Urlaub, Krankheitstage, gesetzliche Feiertage, sonstige Ausfallzeiten). - Personalzusatzkosten;

dazu zählen

• Entgelt für arbeitsfreie Tage (Urlaub, gesetzliche Feiertage, Krankheitstage, sonstige Ausfallzeiten); • Sonderzahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Tantiemen);

1 Vgl. etwa Statistisches Bundesamt, Unternehmen und Arbeitsstätten, Fachserie 2, Reihe 1.1 Kostenstruktur im Handwerk 1990, S. 15/16. 2 Siehe ζ. B. Institut der Deutschen Wirtschaft, Argumente zu Unternehmensfragen (im folgenden „Argumente"), ζ. B. 1994 und 1995 jeweils Nr. 5.

12

Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten •

Vorsorgeaufwendungen, insbesondere Sozialversicherungsbeiträge, Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung;

• sonstige PZK (etwa Familienhilfen, Kosten der Berufsausbildung). Diese Daten werden für das produzierende Gewerbe vom Statistischen Bundesamt seit 1966 für den Dienstleistungsbereich seit 1978 im Abstand von drei Jahren, seit 1984 werden sie i m Vierteljahresabstand erhoben. Darüber hinaus erfolgte durch wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen 3 eine Fortschreibung bis 1994. Diese Daten werden i m folgenden, insbesondere zu I I - IV, zugrundegelegt.

2. Die Personalkostenbelastung der Betriebe Die Personalausgaben im Sinn von vorstehend 1 sind heute insgesamt einer der wichtigsten Produktionskostenfaktoren; entsprechend bedeutsam wirken sich die PZK aus. Zwar nimmt weithin in der produzierenden gewerblichen Wirtschaft die Arbeitsintensität ab, insbesondere seit Mitte der 80er Jahre, durch verstärkten Maschineneinsatz und Rationalisierungen. Dies gilt aber vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, für die Industrie, hier wieder insbesondere bei größeren Betrieben 4 . Dennoch ist das Gewicht des Kostenfaktors PZK noch immer nicht nur erheblich, sondern entscheidend. Als Beispiel für die Bedeutung der Personalkosten als Anteil der gesamten betrieblichen Kosten in einem zwar personalintensiven, andererseits aber auch materialintensiven Handwerksbereich diene das Schreinerhandwerk. Dort wird ein Personalkostenanteil von ca. 30 % angenommen, neben ca. 40 % Materialkosten, ca. 20 % Sachkosten (von Abschreibungen über Verwaltungs- bis zum Zinsaufwand) und ca. 10 % kalkulatorischen Kosten (Eigenkapitalverzinsung, Unternehmerlohn) 5 . In volkswirtschaftlicher Betrachtung ist überdies zu berücksichtigen, daß in den Materialkosten, ebenso wie auch in den Sachkosten, wiederum nicht unbedeutende Personalkostenanteile enthalten sind. Insgesamt dürfte also die Personalkostenbelastung sogar den bedeutendsten Kostenfaktor überhaupt für viele gewerbliche Betriebe darstellen. Hinzu kommt - was bei der i m folgenden durchzuführenden verfassungsrechtlichen Untersuchung von Bedeutung ist - daß diese Personalkostenbelastung sich 3 Bis 1994 durch das Institut der Deutschen Wirtschaft (Fn. 2), sowie etwa durch Kornhardt, U., Standortfaktor PZK - Wettbewerbsbeeinträchtigung arbeitsintensiver Produktionsweisen durch einseitige Belastung des Faktors Arbeit mit Sozialabgaben, Kontaktstudium Wirtschaftswissenschaft, hgg. v. Seminar für Handwerkswesen der Universität Göttingen 1995, vgl. insbes. S. 15. 4 Vgl. Kornhardt (Fn. 3), S. 20. 5

Quelle: Landesverband und Fachverband Holz und Kunststoff Baden-Württemberg und Bayern, Stundensatz im Schreinerhandwerk: 70 DM - warum? Gemeinsame Informationsbroschüre.

I. Der Begriff der Personalzusatzkosten (PZK)

13

weitestgehend aus Entgelten und entgeltabhängigen Leistungen, wie den PZK ergibt. A u f sie hat der Unternehmer jedoch beiweitem nicht jenen gestalterischen Einfluß der Eigeninitiative, wie er ihm bei Materialbeschaffung, ja sogar teilweise bei Sachkosten zur Verfügung steht: Das Verhalten der Tarifparteien seines Bereichs setzt hier dem Einzelunternehmer Vorgaben, von denen er nur in engen Grenzen überhaupt abweichen kann. PZK werden überdies weitgehend durch politische Entscheidungen des Gesetzgebers bestimmt (vgl. i m folgenden III, IV). Die PZK sind daher größtenteils für den Unternehmer „feste Posten", an denen er durch unternehmerische Initiative nichts mehr ändern kann 6 - solange er nicht entweder Maschinen statt Menschen einzusetzen oder seine Produktion ins Ausland zu verlagern vermag. Gerade i m Handwerk ist aber der Einsatz von Maschinen nur begrenzt möglich, eine Produktionsverlagerung ins Ausland nahezu ausgeschlossen.

3. Betrachtung der durchschnittlichen PZK-Belastung a) Die Belastung mit PZK, wie die mit Personalkosten überhaupt, hängt i m einzelnen vor allem ab von der Personalintensität der jeweiligen Produktionsstruktur. Es liegt auf der Hand, daß es dadurch zu oft ganz unterschiedlichen Belastungen kommen kann, etwa zwischen dem „Handwerk" und der „Industrie", oder auch zwischen größeren und kleineren Betrieben. So wird in einer neueren Untersuchung 7 , mit Bezug auf die Wertschöpfung i m Betrieb, für das Handwerk eine Belastungsquote von 47,7 % errechnet, für die Industrie jedoch nur eine solche von 36,4 %. Die i m Jahre 1961 vom Bundesverfassungsgericht getroffene faktische Feststellung, beim Handwerk seien „die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit ausgewogen in einer Hand vereint" 8 , dürfte heute also in solcher Allgemeinheit nicht mehr gelten. Vielmehr werden neuere Vorschläge, die Zusatzkosten nach ihren Bemessungsgrundlagen tiefgreifend zu verändern 9 , gerade damit begründet, der unterschiedlichen Belastung kapital- und personalintensiver Betriebe durch PZK müsse entgegengewirkt werden 1 0 . Andererseits kommt eine neuere wirtschaftswissenschaftliche Untersuchung 11 zu dem Ergebnis, daß „die angestrebte Entlastung kleiner und mittlerer Betriebe 6

Kritisch deshalb zu den Arbeitgeberanteilen Simon, G., Der Arbeitgeber 1993, S. 7 (8). 7 Kornhardt (Fn. 3), S. 21. 8 BVerfGE 13, S. 97 (112).

9

Etwa durch Einführung einer Maschinensteuer, vgl. im folgenden C V. So etwa Ruland, F., in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, hgg. v. Bieback, 1986, S. 143. 11 Elixmann u. a., Grenzen für wirtschaftliche Auswirkungen alternativer Bemessungsgrundlagen für die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, Institut für Gesellschaftsund Wirtschaftswissenschaften der Universität Bonn 1985, vgl. insbes. S. 33. 10

14

Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

bei der Wahl anderer (nicht lohnbezogener) Bemessungsgrundlagen unbestimmt sein wird". Auch dürfte sich die PZK-Belastungslage innerhalb des Handwerks, j a innerhalb jeder der nach Größenordnung bestimmten Betriebsklassen weithin unterschiedlich darstellen. b) A u f solche weithin durch betriebswirtschaftliche Strukturbesonderheiten oder spezielle Marktlagen geprägte Belastungsunterschiede insbesondere zwischen „Industrie" und „Handwerk" - die es i m einzelnen durchaus geben mag - kann also die folgende, in ihrem Schwerpunkt verfassungsrechtliche Untersuchung nicht näher eingehen. Vielmehr soll sie von einer an durchschnittlichen PZK-Werten für das produzierende Gewerbe orientierten Betrachtung ausgehen. Diese Globalbetrachtung der wirtschaftlichen Belastungssituation ist schon deshalb erforderlich, weil bei einer Prüfung der PZK-Belastungen am Maßstab der Verfassung, sei es durch den Gesetzgeber oder ein Gericht, immer nur ein allgemeiner Durchschnitt zugrundegelegt werden kann. Eine Feststellung, die Belastungsgrenze sei etwa für einen bestimmten Handwerksbereich überschritten, mag zwar zu einem gerichtlichen Eingreifen in diesem „Einzelfall" führen. Fraglich ist jedoch, ob es dann auch dazu kommen wird, daß die Frage der „Belastungsgrenze" als solche für die PZK aus der Sicht der Verfassung gestellt und daß allgemein über Wege einer verfassungskonformen Entwicklung nachgedacht wird. Die folgende Untersuchung w i l l aber gerade auch einen Beitrag zu einer solchen allgemeinen, rechtspolitisch wirkenden Bewußtseinsbildung liefern.

Ergebnis Die „Personalzusatzkosten" sind nach Kategorien des Statistischen Bundesamtes zu ermitteln. Sie sind Bestandteil der Lohnkosten und umfassen insbesondere Entgelte für arbeitsfreie Tage, Sonderzahlungen (ζ. B. das Urlaubsgeld), vor allem aber Vorsorgeaufwendungen, insbesondere Beiträge zur Sozialversicherung. Zuverlässige Globaldaten sind bis Ende 1994 vorhanden. Die Personalkosten sind heute überall i m produzierenden Gewerbe einer der wichtigsten, in nicht wenigen Bereichen, bei volkswirtschaftlicher Betrachtung ohnehin, der wohl wichtigste Produktionskostenfaktor in Deutschland. Die Steigerung der in den Personalkosten enthaltenen, weitestgehend mit diesen anwachsenden PZK wirkt sich für die Betriebe nicht nur wegen ihrer absoluten Höhe, sondern auch deshalb besonders belastend aus, weil sie durch Unternehmerinitiative weithin gar nicht abgefangen werden kann; insbesondere i m Handwerk können Menschen nur begrenzt durch Maschinen ersetzt, die Produktion kann kaum ins Ausland verlegt werden. Überdies sind PZK in hohem Maße Ergebnis politischer Entscheidungen. Eine Untersuchung möglicher Belastungsgrenzen für produzierende Betriebe muß von deren durchschnittlicher PZK-Belastung ausgehen. Die PZK mögen nach

II. Die Globalzahlen zu den PZK und ihre Entwicklung

15

Betriebsgröße und Unternehmensgegenstand durchaus signifikante Unterschiede aufweisen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion sind jedoch deren Ausmaß und Bedeutung i m einzelnen nicht voll gesichert. Obwohl vieles dafür sprechen mag, daß die PZK-Belastung gerade bei mittelständischen Handwerksunternehmen besonders schwer ist, muß aus rechtlicher Sicht eine Globalbetrachtung schon deshalb Platz greifen, weil hier verfassungsrechtliche - äußerste - Maßstäbe aufzusuchen sind. Diese müssen für globale Entwicklungen gelten, dürfen sich nicht an Einzelbewegungen orientieren.

II. Die Globalzahlen zu den PZK und ihre Entwicklung internationaler Vergleich 1. Der erreichte Zustand: nahezu Lohn Verdoppelung Das produzierende Gewerbe in Deutschland war 1993 bereits (die folgenden Zahlen betreffen die westlichen Länder) mit PZK in Höhe von global mehr als 80 % des Direktentgelts belastet. M i t der Pflegeversicherung könnte es nun, wenn die vorgesehene Kompensation unvollständig bliebe, zu einem weiteren Ansteigen kommen. Schon 1988 wurden dabei i m einzelnen - nach Beschäftigten-Größenklassen - Schwankungen zwischen 67 und 90 % bei den PZK errechnet. Damit sind die PZK heute der Größenordnung nach zum „zweiten Lohn" geworden; anders ausgedrückt: Der (oft sogenannte) „Soziallohn" ist dabei, den (direkten) „Leistungslohn" einzuholen. Da er an diesen letzteren weitestgehend durch gesetzliche Automatismen gekoppelt ist (Sozialversicherungsbeiträge, Lohnfortzahlung) verhandeln die Tarifpartner heute offen i m wesentlichen nur mehr über „halbe Summen", während die „Gesamtsummen" natürlich, meist stillschweigend, in die Berechnungen eingehen, vor allem auf Arbeitgeberseite. Bedenklich bleibt jedoch, daß in der Allgemeinheit damit ein unrichtiges Bild über die Einsätze bei den Tarifauseinandersetzungen entsteht. Eindeutig ergibt sich jedoch daraus: Die Begriffe „Lohnnebenkosten" oder „Personalnebenkosten", früher allgemein gebraucht, liegen längst völlig neben der Sache. Was nahezu ebenso gewichtig ist wie der „Direktlohn" verdient das Beiwort „neben-" nicht mehr. Diese Größenordnung der PZK wirft an sich schon die Frage nach Belastungsgrenzen der Betriebe auf, insbesondere danach, ob den Sozialpartnern weiterhin i m jetzigen Umfang auch ein wesentlich politisch bestimmter Automatismus von „Soziallöhnen" aufgezwungen werden darf (vgl. dazu i m folgenden III). Schon die „absoluten Zahlen" der PZK beeindrucken, geht doch die Allgemeinheit - und auch der gängige Sprachgebrauch - beim Begriff „ L o h n " nicht etwa von „der einen Lohnhälfte", sondern eindeutig vom Primat des Direktentgelts aus, auch was

Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

16

die Größenordnung anlangt. Davon kann heute jedoch nicht mehr die Rede sein. Damit geraten die Entgeltvorstellungen in einem undurchsichtigen „Entgeltgestrüpp" ins Wanken. In der Gesellschaft muß dies zu steigender Verunsicherung über die Leistungsgerechtigkeit von den Betrieben geforderter Lohnkosten führen. Ein Beispiel genüge: I m Schreinerhandwerk liegt der Stundenlohn bei etwa 21 D M , die PZK betragen rund 18 D M . Unter Einrechnung von Sachkosten, kalkulatorischen Kosten und einer mäßigen Wagnis / Gewinnmarge für den Unternehmer (ca. 4 D M ) muß dieser die Stunde dem Kunden mit über 70 D M berechnen 12 . Da der Arbeitnehmer von seinen 21 D M noch Steuern und Sozialabgaben zu entrichten hat, bleibt ihm ein Netto-Lohn als „Direktentgelt" von etwa 11 bis 12 D M . Dem Bürger, bei dem der Handwerker tätig ist, wird in aller Regel nicht bewußt sein, daß dieser höchstens ein Sechstel des berechneten Stundensatzes „nach Hause trägt"; erfährt er es, so wird er wohl unverhältnismäßig hohe Unternehmergewinne unterstellen, was dem Erscheinungsbild des Handwerks in der Öffentlichkeit abträglich sein muß. Die Problematik verschärft sich jedoch noch erheblich, betrachtet man die Entwicklung der PZK.

2. Kontinuierlich stärkeres Ansteigen der PZK als der Direktentgelte Bliebe das prozentuale Anteilsverhältnis von Direktentgelten und PZK bei längerfristiger Betrachtung einigermaßen konstant, so könnten die Unternehmer zwar die Höhe der PZK beklagen, der Staat, insbesondere der Gesetzgeber, könnte sie dann jedoch mit einer wenigstens politischen Plausibilität (vgl. zum rechtlichen Aspekt unten III, 3) auf die Tarifautonomie verweisen: Wenn sie so hohe Lohnsteigerungen abschlössen und die „automatisch" dem folgenden PZK nicht den Gewerkschaften vorhielten, so hätten sie eben derartige Belastungen als tragbar akzeptiert. Nicht Gesetzgeber und Verfassung, sondern allein die Tarifvertragsparteien seien Adressaten ihrer Klagen. Die Statistik zeigt jedoch ein anderes Bild: 1966 betrugen die PZK i m produzierenden Gewerbe etwa 43 % 1 3 , 1993 mindestens 84 %. Von 1971 bis 1995 stiegen sie, bei gleichen Berechnungsgrundlagen, von gut 71 % auf über 85 % 1 4 .

12 13

Berechnungsquelle siehe Fn. 5.

Siehe Kucera, G., Die Bedeutung der Personalzusatzkosten, Internationales Gewerbearchiv 1991, S. 94 ff., Tabelle 2. 14 Institut der Deutschen Wirtschaft (Fn. 2); diese Zahlen beziehen sich auf Betriebe mit über 50 Beschäftigten. Bezieht man auch Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten ein, wie dies neuerdings der amtlichen Statistik entspricht, so liegen die PZK im Westen 1994 bei 80,2 % der Direktentgelte.

II. Die Globalzahlen zu den PZK und ihre Entwicklung

17

Nachdenklich stimmen dabei nicht nur die nun erreichten Zahlen (vgl. oben 1) sondern auch die hier offenkundig werdende Dynamik der PZK, welche die Lohndynamik noch erheblich übertrifft. Die Statistik weist aus, daß es seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten nicht gelungen ist, den prozentualen Anstieg für mehr als ein oder zwei Jahre zu stoppen, nie eine wesentliche Tendenzwende 15 herbeizuführen, durch einen Rückgang der PZK-Prozentsätze vom Direktentgelt. Vielmehr ist ein zwar neuerdings langsamerer, insbesondere aber doch kontinuierlicher Anstieg derselben zu beobachten 16 . Angesichts verschärften Wettbewerbs und damit wesentlich verengter kalkulatorischer Margen kann bereits ein (weiterer) Anstieg um 1 oder 2 % wirtschaftlich gesehen die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Betriebskategorien gefährden. Aus tarifvertraglicher Sicht ist überdies zu berücksichtigen, daß die prozentuale Steigerung weitgehend unabhängig eintritt von der Tarifpolitik der Sozialpartner. Die Entwicklung der PZK erfolgt sicher multikausal, aber eben auch, und gerade in letzter Zeit, unter dem Einfluß sozialpolitischer Entscheidungen des Gesetzgebers 1 7 (dazu näher unten III).

3. Internationaler Vergleich a) Die ganze Problematik der PZK wird jedoch erst sichtbar i m internationalen Vergleich. Bei den Arbeitskosten liegt, unter den 20 größten westlichen Industrienationen, Deutschland mit 42,67 D M pro Stunde i m Jahr 1993 bei weitem an der Spitze. Der Abstand zur folgenden Schweiz beträgt über 3 D M / Stunde, der zu Japan über 5 DM/Stunde. Der „teuerste" unter den großen europäischen Partnern, Frankreich, erreicht 28,50 D M pro Stunde, erreicht nur zwei Drittel des deutschen Niveaus. Von den anderen großen Konkurrenten Deutschlands liegen die USA bei 27,84, Italien bei 27,13 DM/Stunde, Großbritannien bei der guten Hälfte der deutschen Belastung 1 8 . Daß unter diesen Umständen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen erheblich gefährdet ist, bedarf keiner näheren Begründung 1 9 .

15 Von einer solchen kann nicht gesprochen werden, wenn der prozentuale Anstieg in einer Größenordnung von 0,1 bis 0,2 % jährlich zurückgeht, wie dies 1992 bis 1994 in Westdeutschland der Fall war - übrigens auch nur, wenn man die kleineren Betriebe (10 bis 50 Beschäftigte) hinzurechnet; legt man die bisherigen Erfassungsmethoden (Betriebe mit über 50 Beschäftigten) zugrunde, so geht der Anstieg dagegen sogar kontinuierlich weiter. 16 Führende Wissenschaftler sagen sogar PZK-Quoten nach der Jahrtausend wende von 90 % voraus, vgl. Insititut der Deutschen Wirtschaft 10/1995. 17 Vgl. dazu die Darstellung der Gründe der Globalerhöhungen in letzter Zeit bei Hemmer, E., Personalzusatzkosten in der westdeutschen Wirtschaft. 18 Institut der Deutschen Wirtschaft, Argumente 1994, Nr. 7. 19 Siehe dazu Kornhardt (Fn. 3).

2 Leisner

18

Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

b) Was nun dabei die deutsche PZK-Quote anlangt, so wird sie nur von Belgien, Österreich, Italien und Frankreich noch übertroffen, von den Niederlanden und Spanien erreicht. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß alle diese Länder wesentlich unter dem deutschen Gesamt-Arbeitskostenniveau liegen (vgl. vorstehend), so daß sie sich verhältnismäßig höhere soziale Absicherungen durch PZK leisten können, zum Teil leisten müssen, weil Eigenvorsorge nicht in gleichem Maß wie in Deutschland möglich wäre. Die Verbindung zwischen einem - bei weitem - Höchststand bei den Gesamtarbeitskosten und zugleich doch noch einer sehr hohen PZK-Quote führt jedoch zu einer exorbitanten Belastung der westdeutschen Unternehmen, gerade mit PZK. Diese lag denn auch 1993 - in absoluten Zahlen - an einsamer Spitze sämtlicher Industrieländer, bei 19,22 D M - gegenüber Frankreich mit 13,78 D M , den USA mit 8,39 D M , Großbritannien mit 6,50 D M . c) Noch weit ungünstiger für deutsche Wettbewerbsfähigkeit fällt ein Vergleich mit osteuropäischen Arbeitskosten aus 2 0 . 1993 wurden für die früheren Satellitenländer der Sowjetunion bereits extrem niedrige Arbeitskosten gemeldet 2 1 - sie schwanken zwischen Rußland (58 DM im Monat) und Ungarn (403 D M im Monat) - zum Vergleich: Westdeutschland: 3575 D M / M o n a t . Die PZK-Quote lag zugleich in den osteuropäischen Ländern zwischen 54 % und 68 %, obwohl doch soziale Sicherungsstrukturen in diesen Staaten, oder jedenfalls die Bereitschaft zu sehr weitgehender sozialer Sicherung, sich erhalten haben. Die PZK erreichten dort 4 % bis 8 % der entsprechenden Leistungen westdeutscher Betriebe, teilweise lagen sie noch wesentlich darunter. Selbst wenn sich hier in letzter Zeit eine gewisse Anhebung ergeben sollte nach wie vor sind die PZK-Kostenbelastungen in Osteuropa gegenüber Deutschland „außerhalb jeder Konkurrenz". d) Die Lage in Südostasien, einem typischen Verlagerungsgebiet für das deutsche produzierende Gewerbe, ist ebenfalls besorgniserregend. 1993 wurden in keinem dieser Länder auch nur 50 % der deutschen Arbeitskosten erreicht, in einigen Staaten (Thailand, Malaysia) lagen sie wenig über einem Zehntel (!) der westdeutschen Zahlen, in manchen Ländern (Indonesien, China) noch wesentlich darunter 2 2 . Vor allem fällt auch in diesen Ländern auf, daß die PZK-Quote nur in Singapur und Korea bei 48 % und 43 % liegt, in den anderen Ländern jedoch weit unter der Hälfte des westdeutschen entsprechenden Prozentsatzes 23 . Bereits so hoch industrialisierte Länder kommen also mit einem Bruchteil westdeutscher PZK aus. 20 Dies hat insbesondere Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Handwerks, das in zunehmendem Maß der Konkurrenz osteuropäischer Handwerksunternehmen ausgesetzt ist, bis hin zum Baubereich. 21 Argumente Nr. 6, 1993 und aktuell 7/94; vgl. auch I.W.-Trends, Dokumentation, 1 /95, S. 1 ff. 22 I.W.-Trends 1 /95, S. 8. 23 aaO.

II. Die Globalzahlen zu den PZK und ihre Entwicklung

19

Man mag die Aussagekraft dieser Zahlen, ebenso wie die der osteuropäischen, im einzelnen kritisch hinterfragen - die allgemeine Wettbewerbssituation zeigen sie klar, die Größenordnung jedenfalls wird nur zu deutlich. Angesichts dieser - zugegebenermaßen stets globalen - Zahlen muß sich in Deutschland generell, und nicht nur bei den deutschen Unternehmen, die Frage stellen, wielange hierzulande noch internationale Konkurrenzfähigkeit aufrechterhalten werden kann. Der i m Wege der europäischen Integration ständig zunehmende westeuropäische Wettbewerb sowie der sich rasch intensivierende Wettbewerb mit den Ländern Osteuropas legt sogar die Auffassung nahe, daß es nicht mehr genügen kann, das erreichte sehr hohe Niveau nicht noch weiter zu steigern, daß es vielmehr erheblich gesenkt werden muß. Wenn daher im folgenden die Frage der Belastungsgrenzen aufgeworfen wird, so kann diese nicht ohne Berücksichtigung dieser internationalen Wettbewerbsdynamik beantwortet werden.

Ergebnis Die PZK liegen heute i m westdeutschen produzierenden Gewerbe bei über 80 % des Direktentgelts, haben sich also zu einem „zweiten (Sozial-)Lohn" entwickelt. Der sie verharmlosende Ausdruck „Lohnnebenkosten" ist daher nicht (mehr) angebracht. Den Kunden der deutschen Unternehmen wie der Öffentlichkeit ist nicht mehr zu vermitteln, daß etwa ein Schreiner- oder Malergeselle nur ein Sechstel dessen „nach Hause trägt", was der Unternehmer für die Stunde berechnen muß. In den letzten drei Jahrzehnten sind überdies die PZK noch erheblich rascher gestiegen als die Direktentgelte. Ihr Prozentsatz an diesen letzteren hat sich in diesem Zeitraum nahezu verdoppelt. In den letzten drei Jahren ist das Niveau zwar i m wesentlichen konstant geblieben, die (steigende) Tendenz hat sich jedoch - das zeigt langfristige Betrachtung - bisher noch nie umkehren lassen. I m internationalen Vergleich steht Westdeutschland bei den Arbeitskosten eindeutig an der Spitze, nach der Quote der PZK gehört es gleichzeitig auch noch zur Spitzengruppe der Industrieländer; dies führt dazu, daß die PZK, absolut gesehen, in Westdeutschland beiweitem die höchsten auf der Welt sind. Vergleicht man Arbeitskosten und PZK-Quote Westdeutschlands mit den entsprechenden Zahlen der osteuropäischen Länder, so zeigt sich eine Belastung derartiger Unternehmen dort in einer Größenordnung von 4 bis 8 % des westdeutschen Standards. In ähnlichen Größenordnungen bewegen sich die entsprechenden Werte in den fernöstlichen Konkurrenzländern Deutschlands. Unter diesen Umständen muß sich, angesichts des sich intensivierenden westeuropäischen und des einsetzenden osteuropäischen Wettbewerbs, die Frage stellen, ob ohne Belastungsgrenzen bei den PZK die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produktion in absehbarer Zeit noch gesichert werden kann. 2*

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

I I I . „Gesetzliche" und „tarifliche" PZK 1. Die Begriffe - die Aufgliederung der PZK In allen aussagekräftigen Lohnkostenstatistiken - auch in denen des Statistischen Bundesamtes 24 - werden die PZK in gesetzliche und tariflich / betriebliche PZK gegliedert. Die gesetzlichen PZK umfassen vor allem Sozialversicherungsbeiträge (mehr als zwei Drittel), Bezahlung für Ausfallzeiten sowie Entgeltfortzahlung i m Krankheitsfall. Bei den tariflich /betrieblichen stehen i m Vordergrund Urlaub(sgeld) (fast die Hälfte), Sonderzahlungen (Gratifikationen) sowie die betriebliche Altersversorgung 25 . Bereits nach Berechnungen auf der Grundlage amtlicher Statistiken stehen also die gesetzlichen zu den betrieblich / tariflichen PZK-Belastungen etwa i m Verhältnis 45 % : 55 %. Dies gilt für das produzierende Gewerbe insgesamt. Betrachtet man dagegen zentrale Bereiche des Handwerks, so kehrt sich der Prozentsatz um: Die tariflichen und die freiwilligen Leistungen umfassen nur etwa 45 %, die gesetzlichen dagegen ca. 55 % der P Z K 2 6 . Doch auch dieses Bild ist noch - und zwar erheblich - zugunsten der gesetzlichen Kosten korrekturbedürftig. Dies gilt vor allem für den wichtigsten Posten der tariflich / betrieblichen Kosten, die Urlaubskosten, infolge des Bundesurlaubsgesetzes sowie für die Arbeitsbefreiungen nach §§616 BGB: Sie sind weithin durch gesetzliche Regelungen veranlaßt, bauen jedenfalls auf diesen auf. Das Handwerk errechnet daraus „bereinigte" Zahlen: Danach betragen die dem Gesetzgeber zuzurechnenden, die also unter gesetzlichem Zwang vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten etwa 76 %, die „eigentlichen" von den Tarifpartnern frei ausgehandelten oder von Unternehmen freiwillig gewährten PZK nur etwa 24 % 2 7 . Nun mag man zweifeln, ob etwa das Bundesurlaubsgesetz mit der Gesamtheit seiner Verpflichtungen den gesetzlichen PZK zugerechnet werden kann, nachdem hier immerhin längere Entwicklungen tariflicher Praxis i m Wege eines „gesetzlichen Minimalsockels" festgeschrieben worden sind. Allerdings ist damit nicht nur den Tarifpartnern langfristig jede Unterschreitungsmöglichkeit abgeschnitten, was an sich schon zu einem wesentlichen Flexibilitätsverlust geführt hat. Die gesetzliche Festlegung eines Mindestsockels führt, nach allen Erfahrungen der Tarifvertragsverhandlungen, naturgemäß zu einem veränderten „Verhandlungsklima", in dem gerade diese Position, weil weitestgehend i m öffentlichen Interesse zementiert, nun nicht abgebaut werden darf, sondern ausgebaut werden muß. Es kann al-

24 Vgl. Fn. 1. 25 Angaben nach I.W.-Argumenten Nr. 5/1995. 26 Vgl. Betriebswirtschaftliche Informationsstelle des deutschen Maler- und Lackiererhandwerks, Frankfurt, Planwerte 1996, S. 9. 27 So für das Maler- und Lackiererhandwerk die Berechnungen nach Fn. 26.

III. „Gesetzliche" und „tarifliche" PZK

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so nicht vermutet werden, das Bundesurlaubsgesetz sei an sich und vollständig „überflüssig" (gewesen); dann hätte es ja, schon aus rechtsstaatlichen Gründen, gar nicht erlassen werden dürfen. Man mag also über den Umfang der Korrekturbedürftigkeit des Verhältnisses gesetzliche / betriebliche PZK streiten 28 . Nicht bestreiten läßt sich, daß für verschiedene Kategorien - und wohl vor allem für Sektoren des Handwerks - die „gesetzlich verursachten" PZK nicht unerheblich über den tariflich / betrieblich von den Unternehmen zugestandenen liegen werden. Es wäre Aufgabe der wirtschaftswissenschaftlichen Statistik, diesen Begriff der „gesetzlich verursachten P Z K " schärfer herauszuarbeiten.

2. Das Ansteigen der gesetzlichen und tariflich / betrieblichen PZK Belastungsbedeutsam ist jedoch auch die jeweilige Entwicklungsdynamik dieser PZK-Bestandteile. Die Langzeitbetrachtung zeigt ein unterschiedliches Bild: - Die gesetzlichen PZK haben in nahezu vollständiger Kontinuität zwischen 1978 und 1994 prozentual gegenüber dem Direktentgelt zugenommen 2 9 . - Bei den tariflich / betrieblichen Kosten sind dagegen deutliche „Sprünge" zwischen 1978/81 und 1981/84 festzustellen (jeweils Zunahmen von über 4 %). Seit 1984 sind sie über 9 Jahre hinweg i m wesentlichen konstant, in den letzten Jahren sogar leicht rückläufig. Dies kann nur wie folgt gedeutet werden: Während es den Unternehmern gelang, vor allem in ihrer Tarifpolitik, die PZK auf dem - wenn auch insgesamt sehr hohen - Niveau festzuhalten, ist die Dynamik der gesetzlichen PZK ungebrochen, i m Sinn eines langsamen, aber sicheren Ansteigens. Es ist daher schon ökonomisch sachgerecht, die Frage nach einer Belastungsgrenze für PZK in erster Linie für die gesetzlichen PZK zu stellen.

Ergebnis PZK gliedern sich, etwa hälftig, in gesetzliche und tariflich / betriebliche Belastungen. In der Industrie überwiegen dabei wohl die tariflichen, i m Bereich des Handwerks eher die auf Gesetz beruhenden PZK. Ordnet man die „gesetzlich veranlaßten", tariflich ausgestalteten PZK den gesetzlichen zu, so verschieben sich die Relationen zugunsten gesetzlicher PZK. 28 Obwohl hier rationale Kriterien kaum zur Verfügung stehen, kommt es doch auch auf die - nicht zuletzt verhandlungspsychologische - Bedeutung der gesetzlichen Festlegung für die Tarifabschlüsse an. 29 Argumente, Nr. 5/1995.

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

Während die gesetzlichen vor allem auch in den letzten Jahren, in ihrem Prozentverhältnis zu den Direktentgelten ständig ansteigen, sind die tariflich / betrieblichen PZK in letzter Zeit i m wesentlichen konstant geblieben. Den Tarifpartnern ist es also, zumindest in der Krisenzeit, gelungen, hier einen weiteren prozentualen Anstieg zu vermeiden. Es ist daher schon ökonomisch sachgerecht, die Frage nach einer Belastungsgrenze in erster Linie für die gesetzlichen PZK aufzuwerfen.

3. Tariflich/betriebliche PZK - nicht Gegenstand dieser Untersuchung Die folgende Untersuchung beschäftigt sich ausschließlich mit den gesetzlichen PZK, die betrieblich verursachten bleiben dagegen außer Betracht. Dies ergibt sich aus rechtlichen Überlegungen, die aber bereits an dieser Stelle, bei der Umschreibung des zu beurteilenden Sachverhalts, anzustellen sind. Tariflich / betriebliche PZK sind - soweit sie nicht „gesetzlich verursacht" sind; vgl. vorstehend 1 - rechtlich gesehen freiwillige, insbesondere vertraglich vereinbarte Leistungen, mögen sie auch unter einem „sozialen Druck" der Gewerkschaftsseite zustandegekommen sein. Sie haben daher eine andere rechtliche Qualität als die gesetzlichen PZK, welche auf normativen Grundlagen beruhen, die von der Hoheitsgewalt unentrinnbar gesetzt und daher der Privatautonomie unzugänglich sind. Verfassungsrechtliche Schranken gibt es also nur für die gesetzlichen PZK, nicht aber für die vereinbarten - jeder Rechtsgenosse kann grundsätzlich privatautonom jedem anderen soviel bieten wie er will. Eine Argumentation zur Rechtfertigung der außerordentlichen Höhe der PZK liegt aber nahe: daß diese ja etwa zur Hälfte von den Unternehmen selbst „vertraglich (mit-)verursacht" seien, von diesen also nicht kritisiert werden dürften. Dies gelte schon deshalb, weil auch die Höhe der gesetzlichen PZK weitestgehend lohnabhängig gestaltet und daher auf die Mitentscheidung der Unternehmer zurückzuführen sei; diese hätten es in der Hand, durch moderate Tarifabschlüsse zugleich auch die PZK in Grenzen zu halten, soweit erforderlich zu senken. Wenn dies wegen des Widerstandes der Gewerkschaften nicht möglich sei, habe es die Staatsgewalt jedenfalls nicht zu verantworten, die ja nicht in die verfassungsrechtlich gewährleistete Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) eingreifen dürfe. Dieser Gedankengang überzeugt nicht. Gerade wegen der Tarifautonomie ist es allein Sache der Sozialpartner, tarifliche PZK zu vereinbaren. Es gibt keinen Rechtssatz des Verfassungs- oder des einfachgesetzlichen Sozialrechts, nach welchem die Hoheitsgewalt die von ihr gesetzlich auferlegten PZK mit der Höhe der vereinbarten PZK rechtfertigen dürfte. Anders ausgedrückt: Wenn Unternehmer ihren Mitarbeitern freiwillig entgegenkommen, so darf der Hoheitsstaat nicht deshalb „nochmals ebenso viel" von den Unternehmern verlangen und erzwingen. A u f

III. „Gesetzliche" und „tarifliche" PZK

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freiwillige und vertraglich zugebilligte Leistungen mag unter gewissen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer bestehen 30 . Doch all dies bleibt i m Bereich der Privatautonomie. Wenn der Staat die von ihm auferlegten PZK rechtfertigen will, so obliegt ihm dafür nach der Verfassung eine Legitimationslast gegenüber den betroffenen Bürgern (Unternehmern); er kann dieser nicht unter Hinweis auf das genügen, was diese Bürger j a ohnehin untereinander privatautonom tätigten. Anderenfalls dürfte der Gesetzgeber all das ohne weiteres als gesetzliche Verpflichtung festlegen, was Bürger untereinander frei vereinbaren. Die Privatautonomie als Begründung für ihre gesetzliche Einschränkung - das wäre abwegig. I m vorliegenden Zusammenhang wäre eine solche Argumentation mit der Tarifvertragsfreiheit unvereinbar. Was die Tarifpartner vereinbaren, gibt dem Gesetzgeber keine Eingriffs- oder Belastungsrechte. Die Tarifvertragsfreiheit bedeutet vielmehr umgekehrt gerade die Freiheit der Sozialpartner, je nach ihrer Lage eben mehr oder weniger an Lasten zu übernehmen, nicht aber sich solche durch den Gesetzgeber auferlegen zu lassen. Auch eine Lohnautomatik gesetzlicher PZK kann an diesem Ergebnis nichts ändern: Abgesehen davon, daß die Belastungsquote mit gesetzlichen PZK gar nicht vollständig mit der der tariflichen PZK synchronisiert ist (vgl. vorstehend 2) selbst wenn sie es wäre, bleibt es immer noch etwas ganz anderes, Lohnzuwächse vertraglich zu vereinbaren - eben privatautonom - oder dafür sogleich nahezu in derselben Höhe mit einem „Soziallohn' 4 kraft Gesetzes belastet zu werden. Hier muß auch die vertragliche Wirklichkeit zu ihrem Recht kommen: Die Unternehmer können gar nicht den Arbeitnehmern so wenig anbieten, daß sie einen Zustand gesenkter PZK erreichen könnten. Und selbst wenn man dem nicht folgen wollte: Auch wenn die Unternehmer noch so wenig Lohn zugeständen - an der PZKQuote könnten sie nichts ändern. Was sie aber bekämpfen, ist nicht die Lohnhöhe, für die sie ja selbst verantwortlich sind, sondern eine PZK-Quote, die immer gleich bleibt oder steigt, wie weit die Tarifpartner auch den Lohn absenken wollten. Diese PZK-Quote bringt überdies Lohnzugeständnisse der Arbeitgeber weithin um ihre sozialpolitische Wirksamkeit gegenüber Arbeitnehmern und Allgemeinheit - es wird dort nicht klar, welche Lasten die Unternehmer wirklich übernehmen; und diese Quote nimmt zugleich Kostensenkungsabsichten der Arbeitnehmer zu nicht geringem Teil die Wirksamkeit. Der Automatismus von Löhnen und PZK steht daher i m Widerspruch zu einer Tarifvertragsfreiheit, welche die Sozialpartner zur Berücksichtigung ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Lage befähigen soll. Als „Klotz am Bein der tariflichen Lohnpolitik" bringt die hohe PZK-Quote die Tarifvertraglichkeit weitgehend um die ihr doch wesentliche Flexibilität. Weder wirtschaftlich noch rechtlich können also gesetzliche PZK-Belastungen mit betrieblichen legitimiert werden, selbst wenn sie de facto in Verhandlungen 30 Wie das Beispiel des Urlaubs beweist, siehe Hueck/Nipperdey, rechts I, 7. Aufl. 1963, S. 393/394.

Lehrbuch des Arbeits-

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

über die letzteren einfließen. Tarifliche, mehr noch betriebliche PZK werden vom Arbeitgeber eben privatautonom aus unternehmerischen, letztlich betriebsbezogenen Gründen gewährt; mit den gesetzlichen soll primär einer sozialpolitischen allgemeineren Verantwortung genügt werden, die damit keinesfalls vergleichbar und auch durchaus nicht unbestritten i s t 3 1 . Wer sich also ökonomisch zur Legitimation der gesetzlichen PZK auf die „freiw i l l i g übernommenen" PZK beruft, sollte bedenken, daß mindestens ebensogut die umgekehrte Argumentation vertretbar ist: Wenn Unternehmer schon soviel an Lohn bezahlen, können sie füglich auch mehr an sozialer Eigenvorsorge von ihren Arbeitnehmern verlangen. Dies ist jedenfalls ebenso überzeugend wie das Gegenargument: Weil schon soviel an Lasten „freiwillig" übernommen werde, dürfe auch soviel gesetzlich noch zusätzlich überbürdet werden. Wie immer man also das Verhältnis sehen mag - die gesetzlichen PZK sind ein aliud gegenüber den tariflich/betrieblichen; allein den gesetzlichen Belastungen gegenüber stellt sich die Belastungsfrage.

Ergebnis Diese Untersuchung beschäftigt sich allein mit den gesetzlichen PZK. Bei diesen nur kann nach einer verfassungsrechtlichen Belastungsgrenze gefragt werden, während tariflich / betriebliche PZK demgegenüber ein aliud darstellen, da sie i m Bereich der Privatautonomie vereinbart oder einseitig gewährt werden. Der Einwand, die Unternehmen dürften die Höhe der PZK nicht rügen, nachdem sie diese doch (fast) zur Hälfte durch eigenes Verhalten verursacht hätten, überzeugt nicht. Der Staat kann die - aber notwendige - Legitimation für abgabenbelastende Gesetzgebung nicht aus dem privatautonomen Verhalten der Tarifpartner gewinnen. Auch auf die Lohnsteigerungen darf sich der Gesetzgeber nicht berufen, mit der Begründung, er habe doch weithin nur eine Lohnautomatik für gesetzliche PZK festgelegt. Die Unternehmen wenden sich nicht gegen die Lohnhöhe, die sie mit zu verantworten haben, sondern gegen die großenteils gesetzlich fixierte daran anknüpfende Höhe des „zweiten Lohnes". Den Arbeitnehmern wie der Allgemeinheit gegenüber wird ihr lohnpolitisches Verhalten dadurch belastet, daß jedes Entgegenkommen i m Bereich der Löhne derart einschneidende PZK-Folgen auslöst, kraft Gesetzes. Dies bedeutet i m Ergebnis eine erhebliche Einengung der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG).

31 Vgl. dazu Simon,. G., Arbeit und Sozialpolitik, 1-2/93, S. 7 (8).

IV. Die Sozialversicherungsbeiträge

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IV. Die Sozialversicherungsbeiträge Hauptfaktor der gesetzlichen PZK-Belastung 1. Höhe und Anstieg der Sozial Versicherungsbeiträge a) Die Höhe der gesetzlichen PZK (vgl. oben III, 1) ist heute zu mehr als zwei Dritteln zurückzuführen auf die Beitragshöhe zur gesetzlichen Sozialversicherung. In besonderer Weise dürfte dies für kleinere Betriebe und damit für große Teile des Handwerks zutreffen. Dies zeigen schon die Globalstatistiken der PZK: Während bei der früheren Globalerfassung aller produzierenden Betriebe 3 2 , welche nur alle Unternehmen mit 50 und mehr Arbeitnehmern einbezog, 1993 ein Verhältnis der Sozialversicherungs-PZK zu den gesamten gesetzlichen PZK von 24,4 % : 37,4 % (im Verhältnis zu den Direktentgelten) festzustellen war, ergibt die Erfassung aller Betriebe mit über 10 Beschäftigten für dasselbe Jahre 1993 ein Verhältnis von 26,5 % : 36,3 %. Daraus folgt, daß das eigentliche Problem der hier zu untersuchenden Belastungsgrenze für PZK i m Bereich der Sozialversicherung liegt. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß gerade die Neueinführung einer weiteren „Säule" der gesetzlichen Sozialversicherung, der Pflegeversicherung, die Kritik der Unternehmerseite in besonderer Weise hervorgerufen hat. Die erwähnten Zahlen belegen überdies, daß sich an der Gesamtbelastung mit gesetzlichen PZK solange nichts wesentliches wird ändern lassen, wie es nicht gelingt, dem prozentualen Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge Einhalt zu gebieten. b) Dies wird noch deutlicher, wenn man die Anstiegsdynamik der Sozialversicherung berücksichtigt und sie mit der der anderen Bestandteile der gesetzlichen PZK vergleicht. Während die Sozialversicherungsbeiträge von 1978 bis 1993 stetig angestiegen sind (von 19,8 % auf 24,4 % des Direktentgelts) 3 3 , ohne daß auch nur in einem einzigen Dreijahreszeitraum der Anstieg zum Stillstand gekommen wäre, der sich übrigens von 1992 bis 1994 ebenso kontinuierlich fortsetzt 3 4 , ist dies bei den beiden anderen Hauptbestandteilen der gesetzlichen PZK nicht der Fall: Bei bezahlten Ausfallzeiten und Entgeltfortzahlung i m Krankheitsfall liegen die Prozentsätze zum Direktentgelt 1994 niedriger als 1978 und sie sind überdies über viele Jahre konstant geblieben. Das bedeutet nicht, daß für diese PZK keinerlei Reformbedarf besteht, wenn von einer verschärften Wettbewerbslage auszugehen ist (vgl. vorstehend II); es spricht jedoch dafür, dabei das Hauptaugenmerk auf die Sozialversicherungsbeiträge zu lenken.

32 Vgl. Argumente (Fn. 2), Nr. 5/1994. 33 Argumente (Fn. 2), Nr. 5/1994. 34 Argumente (Fn. 2), Nr. 5/1995.

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

c) Diese Betrachtungsweise liegt um so näher, wenn man die Entwicklungen der Sozialversicherung - außerhalb der Pflegeversicherung - beobachtet, die sich bereits abzeichnen: Ohne die Rentenreform von 1992 hätte sich der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung nach Berechnungen der Arbeitgeberseite noch wesentlich stärker erhöht 3 5 ; die Arbeitgeberseite kann kaum damit rechnen, daß die von Automatismen geprägte Anstiegsdynamik der Sozialversicherungs-PZK immer wieder durch eine Gesetzeskorrektur gebremst werden wird, welche politisch so schwer durchzusetzen ist wie die von 1992 - es sei denn, im politischen Allgemeinbewußtsein werde die Existenz von auch rechtlich bedeutsamen Belastungsgrenzen wirksam. Überdies zeichnen sich in der Alterssicherung bereits Steigerungsentwicklungen der Sozialversicherungs-PZK ab, insbesondere bei den familienbezogenen Leistungen: Würden generell 3 Erziehungsjahre gutgeschrieben, so entstünden bereits in der Anfangsphase Mehraufwendungen von über 14 Mia. D M i m Jahr. Bei einer Ausweitung der Kindererziehungszeiten auf 6 Jahre je Kind wäre sogar mit - in Zukunft noch steigenden - Reformkosten von über 35 Mia. D M jährlich zu rechnen; das entspricht etwa 2,5 Beitragspunkten 36 .

2. Senkungspotential der gesetzlichen PZK in der Sozialversicherung Wie entscheidend die Gesamtproblematik der PZK von den Versicherungsbeiträgen abhängt, belegen Berechnungen sowohl von Arbeitgeberseite als auch durch die Sozialversicherungsträger. So errechnen die Träger der Sozialversicherung, der Beitragssatz zur Rentenversicherung könnte um bis zu 2 % niedriger ausfallen, wenn die beitragsfinanzierten versicherungsfremden Leistungen aus dem Steueraufkommen finanziert würden 3 7 . Für die gesetzliche Krankenversicherung ( G K V ) wird festgestellt: Würden die Aufwendungen für die Mitversicherung beitragsfreier Familienmitglieder in die Steuerfinanzierung überführt, dann könnte der Beitragssatz zur G K V i m Westen um 3,4 %, i m Osten immerhin um 2,3 % abgesenkt werden 3 8 . Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung könnte um 2,8 % niedriger ausfallen, würden die arbeitsmarktpolitischen Leistungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert 3 9 .

35 BDA, Sozialstaat vor dem Umbau, 1994, S. 29. 36 Husmann, J., Erwartungen der gesetzlichen Rentenversicherung an die nächste Legislaturperiode, aktuelles Presseseminar des VDR am 21.122. 11. 1994, S. 40. 37 Ruland, F. (Fn. 10), S. 62. 38 Seffen, Α., in: Arbeitgeber Nr. 12/ 1994. 39 Seffen, aaO.

V. Die öffentliche Diskussion

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Das Senkungspotential der Sozialversicherungsbeiträge, und damit der gesetzlichen PZK, liegt also eindeutig primär bei den Beiträgen zur Sozialversicherung. Der Sozialversicherungsgesetzgeber ist es daher, bei dem zuerst ein an Belastungsgrenzen orientiertes Umdenken einsetzen müßte. Anderenfalls ist ein kontinuierliches weiteres Ansteigen der PZK insgesamt zu erwarten.

Ergebnis Die Höhe der gesetzlichen PZK ist zu mehr als zwei Dritteln auf die Beiträge zur Sozialversicherung zurückzuführen, insbesondere i m Bereich kleinerer Betriebe des Handwerks. Gerade deshalb hat sich dort vor allem Widerstand gegen die Pflegeversicherung als „neue Säule der Sozialversicherung" formiert. Die Sozialversicherungsbeiträge sind überdies stärker prozentual gestiegen als die anderen gesetzlichen PZK (bezahlte Ausfallzeiten, Entgeltfortzahlung i m Krankheitsfall), die seit langem i m etwa gleichen prozentualen Verhältnis zum Direktentgelt stehen. Das bedeutet nicht, daß bei neuen Wettbewerbsentwicklungen nicht auch diese Kostenfaktoren in Reformüberlegungen einzubeziehen sind; es lenkt aber primär den Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge, zumal sich dort neue Steigerungsentwicklungen (vor allem bei den familienbezogenen Beiträgen) bereits abzeichnen. Umgekehrt zeigen neuen Berechnungen, daß sich die Sozialversicherungsbeiträge für Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung erheblich absenken ließen, würden die Versicherungsbeiträge von versicherungsfremden Leistungen entlastet. Das Senkungspotential der PZK liegt also vor allem i m Bereich der Sozialversicherung. Die rechtliche Untersuchung möglicher Belastungsgrenzen muß der Sozialversicherung daher besondere Aufmerksamkeit schenken.

V. Die öffentliche Diskussion und die Stellungnahme der Verbände 1. Fach- und Tagespresse In den Buch- und Pressemedien haben die hier aufgeworfenen Fragen seit langem, insbesondere seit Beginn der 80er Jahre, zu einer lebhaften Diskussion geführt 4 0 . Anfang des laufenden Jahrzehnts wurden diese Erörterungen dichter und 40 Vgl. aus den 80er Jahren insbes. folgende Veröffentlichungen: Merklein, R., Griff in die eigene Tasche, 1980; dies., Die Rentenkrise, 1986; Bundesverband der Selbständigen, Kongreß „Wer die Sozialkosten künftig zahlen wird", IMPULSE, 10/1985; Arbeitsbedingungen

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten

lebhafter; i m Zusammenhang mit der Rentenreform und, vor allem, neuerdings der Pflege ver Sicherung, kam es in der Fachpresse immer häufiger zu kritischen Äußerungen über das System des „Soziallohnes". Diese reichten von Einzelproblemen, wie der Änderung von Bemessungsgrundlagen der Sozialversicherungsbeiträge, bis hin zu allgemeinen Fragestellungen, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einem Umbau des Sozialstaats standen. Immer wieder, und sogar an zentraler Stelle, spielte dabei die Höhe der PZK eine Rolle, als selbständige Thematik oder als herausragendes Beispiel für die Notwendigkeit von Reformen. Naturgemäß standen dabei Beiträge von Arbeitgeberseite i m Vordergrund 41 . Die führenden Organe der Tagespresse haben dies aufgenommen, immer häufiger in den letzten beiden Jahren 42 . Darin kommt das zunehmende Unbehagen der Öffentlichkeit über den gegenwärtigen Zustand, insbesondere über die steigenden Belastungen mit dem „zweiten Lohn" deutlich zum Ausdruck. Sie finden, soweit ersichtlich, keine Verteidiger, um so weniger, als hier die Rentenversicherungsträger weithin mit den Unternehmen einig gehen. Lauter wird insbesondere die Kritik an den ausufernden Sozialversicherungsbeiträgen, vor allem an den „versicherungsfremden Belastungen", die aus Steuermitteln finanziert werden sollten. Die Frage nach verfassungsrechtlichen Grenzen dieser Belastungsentwicklungen wird bereits vereinzelt aufgeworfen 43 . Eine Rückbesinnung auf die Verfassungsproblematik kommt jedoch auch in den zahlreichen kritischen Äußerungen zu

und -kosten in acht fernöstlichen Ländern, Arbeit und Sozialpolitik, 3/1986; Miegel, M., Sicherheit im Alter, Vorwort von Kurt Biedenkopf, Stuttgart 1981; BDA, Soziale Selbstverwaltung, 1 /1987; Schmähl, W., Alternativen der Rentenfinanzierung, Deutsche Angestellten Versicherung 2/1987; Kannengießer, W., Deutsche Angestelltenversicherung 6/1986; Frankfurter Institut für Wirtschaftspolitische Forschung e.V. (Kronberger Kreis), Reform der Alterssicherung. 41 Vgl. f. viele Kucera/Kornhardt, Personalzusatzkosten, Internationales Gewerbearchiv 1991, S. 94 ff.; Schmähl, W., Die Finanzierung der Renten im vereinten Deutschland, Wirtschaftsdienst 1992, S. 29 ff.; Blasum, E., Wohlfahrtsstaat in der Transformationskrise, Arbeitgeber 1993, S. 330; Louven, in: Macher und Märkte, Report 11 /1994; Hansen, V., Arbeitgeber 1994, S. 118 ff., 314 ff.; Seffen, Α., Arbeitgeber 1994, S. 458 ff.; Pehl, G., Die Rentenversicherung bleibt finanzierbar, Soziale Sicherheit 1994, S. 446 ff.; Ruf, Th., Reform des Beitragssystems der Sozialversicherung, Die Sozialversicherung 1994, S. 1 ff.; Forum, in: Steuer und Gewerbe 1993/94, Bemessungsgrundlage der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung in der Diskussion; BDA, Sozialstaat vor dem Umbau, Soziale Selbstverwaltung 1995, S. 9 ff. 42 Vgl. aus diesem Zeitraum u. a. Handelsblatt, 24. 3. 1993, Der zweite Lohn; Münchner Merkur, 26. 3. 1993, Arbeitslasten müssen sinken; DK, 5. 5. 1993, Mit Arbeitskosten an der Spitze; SZ, 15. 4. 1993, Der Schub beim zweiten Lohn; Bayernkurier, 19. 6. 1993 {Heribert Späth), Grenzen der Belastbarkeit mit PZK wie Abgabenquote insgesamt erreicht; SZ, 26. / 27. 11. 1994, Bund als Kostentreiber des unbezahlbar teuren Sozialstaats; Handelsblatt, 29./ 30. 10. 1994, Versicherungsfremde Leistungen zu hoch; Handelsblatt, 6./7. 1. 1995, Sozialpolitik nicht nur ein Kostenfaktor (Winfried Schmähl)', FAZ, 22. 2. 1995 ÇHausser, Hans Heinz), Verfassungsrechtliche Festschreibung einer Quote der Sozialleistungen; Rhein. Merkur, 13. 10. 1995 (Rieker, H.). « Klar bei Hausser (Fn. 42).

V. Die öffentliche Diskussion

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Fehlentwicklungen einer Sozialstaatlichkeit zum Ausdruck, die immerhin i m GG verankert ist (Art. 20, 28), und in deren Namen gerade immer weitere Formen des „Soziallohnes" und dessen Steigerung sich entwickeln. Die i m folgenden zu untersuchenden Fragen nehmen also eine höchst aktuelle Problematik auf, die in der Öffentlichkeit allgemein, nicht zuletzt i m Zusammenhang mit der Pflegeversicherung, große Besorgnis hervorruft. Es läßt sich wohl behaupten, daß nunmehr das öffentliche Recht, insbesondere das Verfassungsrecht, als solches aufgerufen ist, die Frage der Belastungsgrenzen der PZK zu stellen und Wege zu deren praktikabler Gestaltung aufzuzeigen.

2. Die Stellungnahme des Handwerks Fachverbände des Handwerks nehmen gerade in letzter Zeit zunehmend zu Fragen der PZK Stellung, versuchen, ihren Mitgliedern wie deren Kunden und der Öffentlichkeit zu vermitteln, weshalb die deutschen Unternehmen Stundensätze von einsamer Welthöhe ihren Auftraggebern berechnen müssen. Neuerdings hat sich nun auch die Bundes Vereinigung der Fach verbände des Handwerks zu Wort gemeldet. A u f der Grundlage einer Globalanalyse der volkswirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland wird dort ein Forderungskatalog aufgestellt, der sich vor allem mit den PZK und hier wieder in erster Linie mit Fehlentwicklungen - aus der Sicht des Handwerks - der Sozialversicherung befaßt: - Zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird darauf hingewiesen, daß der Staatsanteil am Sozialprodukt sich von knapp einem Drittel auf über die Hälfte erhöht hat; daß der Sozialanteil des Sozialprodukts von unter einem Viertel auf über ein Drittel gestiegen ist; daß die Anlageinvestitionen 1960 um 6,4 % höher als die Sozialleistungen lagen, heute jedoch um 33,6 % darunter; daß die Wochenarbeitszeit sich kostentreibend um 6,5 Stunden vermindert hat, die geleistete Jahresarbeitszeit um 540 Stunden gesunken ist; daß der Jahresurlaub sich verdoppelt hat und die Soziallöhne bei Krankheit, Mutterschaft und Bildungsurlaub auf die Arbeitgeber überwälzt wurden; daß die Abgabenbelastung der Arbeitnehmerverdienste sich verdoppelt hat. - Als entlastungswirksames Sofortprogramm wird gefordert, die beitragsfinanzierten versicherungsfremden Leistungen schrittweise in die Finanzierung aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu überführen. Für die einzelnen Bereiche der Sozialversicherung wird insbesondere gefordert: • Rentenversicherung: Keine weitere Finanzierung der „Sozialversicherung Ost" durch die „Sozialversicherung West"; Anhebung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung; Stärkung des Äquivalenzprinzips und der Eigenvorsorge, insbesondere durch Verlängerung der Beitragszeiten und Verkürzung der Rentenlaufzeiten über versicherungsmathematisch kalkulierte Zu- und

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten Abschläge, Einschränkung und Neubewertung beitragsfreier Zeiten, Stärkung der Lohnersatzfunktion bei BU-/EU-Renten, erforderlichenfalls auch langfristige Absenkung des Rentenniveaus. • Pflegesozialversicherung: Insbesondere Aufbau einer privatversicherungsrechtlichen Pflegeabsicherung i m Kapitaldeckungsverfahren. • Krankenversicherung insbesondere: Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen (Schwangerschaft, Mutterschaft und Pflegebedürftigkeit) aus allgemeinem Steueraufkommen; Einschränkung der Lohnfortzahlung i m Krankheitsfall, Ersetzung derselben durch eine sozialversicherungsrechtliche Lösung; Absenkung der hundertprozentigen Lohnfortzahlung - stufenweise auf 8 0 % . • Arbeitsschutz/Unfallversicherung: Streichung der Wegeunfälle aus dem Leistungskatalog; Beteiligung der Arbeitnehmer. • Arbeitslosenversicherung, Finanzierung der vereinigungsbedingten Arbeitsmarktfolgekosten aus dem allgemeinen Steueraufkommen. • Finanzierung sämtlicher arbeitsmarktpolitischer Leistungen über Steuern 44 .

Damit sind konkrete Positionen in der sozialpolitischen Diskussion markiert. I m folgenden ist zu prüfen, ob sich solche Einzelforderungen, ebenso wie das Anliegen der Senkung der Belastungen insgesamt, aus rechtlicher Sicht untermauern lassen - oder ob hier nichts anderes ist als „reine Sozialpolitik" i m verfassungs- oder gar i m rechtsleeren Raum.

Ergebnis Die sozialpolitische Diskussion um das Ansteigen der PZK wird seit deren Beginn in den 70er Jahren in Fach- und Tagespresse geführt. Angesichts des spektakulären Anwachsens dieser Belastungen, in den 80er Jahren, hat sie sich intensiviert, mit der Diskussion um die Pflegeversicherung in den letzten beiden Jahren in besonderem Maße. I m Vordergrund standen dabei volkswirtschaftliche Überlegungen, ob diese Form der Sozialstaatlichkeit noch weiterhin zu finanzieren sei. Die Verfassungsrelevanz dieser Fragestellung wird durchaus gesehen, nur vereinzelt werden daraus aber konkrete rechtliche Forderungen (Festschreibung einer „Sozialquote" i m GG) abgeleitet. Die Verbände des Handwerks haben Ende 1994 einen Katalog von grundsätzlichen Forderungen zur Entlastung von PZK vorgelegt, der sich vor allem auf die Sozialversicherungsbeiträge bezieht. I m Mittelpunkt steht die Kritik an den versi44 Beschluß der Vollversammlung der Bundesvereinigung der Fachverbände des deutschen Handwerks vom 24. 11. 1994 in Aachen.

VI. Methode und Plan der Untersuchung

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cherungsfremden Leistungen der Sozialversicherung und die Forderung, dort zu einer versicherungskonformen Äquivalenz zurückzukehren. Dieser Stand der ökonomischen und sozialpolitischen Diskussion verlangt eine rechtliche, insbesondere eine verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit den Problemen der PZK-Belastungsgrenzen, den wichtigsten Entwicklungen, welche zum heutigen Belastungsstand geführt haben und zu den Möglichkeiten, diesen abzumildern.

VI. Methode und Plan der Untersuchung Aus diesem im wesentlichen ökonomischen Befund ergibt sich für die rechtliche Untersuchung die Notwendigkeit des Einsatzes einer kombinierten Methode, welche Global- und Einzelbetrachtung zusammenführt. - A u f dem wichtigsten Belastungsfeld, dem der Sozialversicherung, ist zu fragçn, ob nicht eine Reihe von Belastungen Fehlentwicklungen eben dieses Sozialversicherungsrechts darstellen, insbesondere in immer weiterer Abkehr vom Versicherungs- und damit vom Äquivalenzdenken. Insbesondere völlig versicherungsfremde Belastungen stehen dabei i m Vordergrund. Dies alles ist aber nicht (nur) in einer Einzelbetrachtung, als isolierter Belastungsfaktor, zu würdigen, sondern auf seine Legitimation mit Blick auf die Grundprinzipien des Sozialversicherungsrechts zu überprüfen (im folgenden C). - Eine Belastungsgrenze für PZK kann letztlich politisch nur in der Weise praktisch fixiert und gewahrt werden, daß Einzelbetrachtungen zu den wichtigsten PZK-Belastungsfaktoren angestellt werden. Einhergehen muß damit jedoch eine weiter ausholende Gesamtbetrachtung darüber, ob der Gesetzgeber, nach Wort und Geist der Verfassung, nicht doch gewisse äußerste Belastungsgrenzen von Unternehmenskategorien oder für die deutschen Unternehmen schlechthin zu achten hat. M i t anderen Worten: Es fragt sich, ob sich eine Verfassungskategorie „globale Belastungsgrenze" wenigstens umrißhaft entwickeln läßt. Daß dies dann nur einen äußersten Rahmen darstellen kann, daß es dennoch bei rechtlicher Beurteilung immer wieder auf den Einzelfall ankommen wird, liegt ebenso auf der Hand wie die Erkenntnis, daß es eines hohen Maßes an Verfassungsloyalität bedarf, beim Gesetzgeber wie bei den Gerichten, um dies in Rechtswirksamkeit umzusetzen. Dennoch werden Einzelbetrachtungen, etwa zu Zweigen der Sozialversicherung, rechtlich nur wirken können, wenn hinter ihnen die Vorstellung von einer letzten, allgemeinen Belastungsgrenze steht, welche insbesondere auch für PZK gilt. Diese Untersuchung ist daher zunächst (im folgenden B), durchzuführen.

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Α. Der Sachverhalt: Der Anstieg der Personalzusatzkosten Ergebnis

Der wirtschaftlich besorgniserregende Befund der hohen PZK kann rechtlich nur mit einer Methode beurteilt werden, welche Global- und Einzelbetrachtung zusammenführt. Deshalb werden i m folgenden die besonders PZK-wirksamen Belastungsfaktoren, insbesondere i m Bereich der Sozialversicherung, untersucht. Dabei wird dort die Entwicklung an den Grundprinzipien dieses Bereichs gemessen. Erforderlich ist jedoch auch eine - wesentlich verfassungsrechtliche - Untersuchung, ob es etwas gibt wie eine globale „Belastungsgrenze", welche der Gesetzgeber i m Namen wirtschaftlicher Freiheit zu achten hat. Nur wenn ein solcher, und sei es auch nur ein sehr allgemeiner, Rahmen anzunehmen ist, kann ein gesetzgeberisches Umdenken bei den PZK erwartet werden.

B. Globale rechtliche Belastungsgrenzen rechtliche Notwendigkeit und Möglichkeit I. Grundrechtliche Belastungsgrenzen für PZK - Allgemeines 1. Der Begriff der „unerträglichen Abgabenlast" Die PZK haben eine solche Höhe erreicht, daß sie bereits zu einer entscheidenden Belastung der Unternehmen geworden sind; überdies steigen sie auch prozentual zum Direktlohn ständig an. 4 5 Aus der Sicht vor allem des Handwerks wird behauptet, sie würden zur „unerträglichen L a s t " 4 6 , Wettbewerbsunfähigkeit drohe auf breiter Front in der gewerblichen Wirtschaft, einerseits durch zu hohe Exportpreise 4 7 , andererseits durch importierte Billigleistungen von Konkurrenten. Wenn sich nun in der Tat herausstellt - wofür nach den Ergebnissen zu oben A vieles spricht - daß vor allem die sich verschärfende Wettbewerbslage zahlreiche Unternehmen, vielleicht sogar (Teile von) Branchen zur Aufgabe zwingt, so wäre dies eindeutig Folge der - insbesondere Sozial- - Gesetzgebung über die PZK. Denn der Verlust der „letzten Prozente" an Rentabilität ist eben betriebswirtschaftlich entscheidend. Die Größenordnung der gesetzlichen PZK ist ohne weiteres und an sich, wie dargelegt, von einem Gewicht, welches „das Faß zum Überlaufen bringt". Dann könnte nicht daran gezweifelt werden, daß Unrentabilität mit der Folge des Zwangs zur Betriebsaufgabe durch die Hoheitsgewalt des Staates verursacht wäre. Die Tatsache, daß dieser „letzte Tropfen" auch durch besonders hohe allgemeine Steuern hinzugefügt werden könnte, ändert daran nichts: Zunächst wären stets die betriebsnäheren Abgaben zu untersuchen, nicht solche, welche in Steuergleichheit allen Bürgern auferlegt werden. Daß es also den Begriff der „unerträglichen Belastung" (betriebs-)wirtschaftlich gibt, und zwar für einzelne Unternehmen wie für ganze Kategorien, ist ebenso unbestreitbar wie die Möglichkeit, daß dies auf hoheitliche Abgabenlast wie die PZK zurückzuführen ist. Daran ändert es nichts, daß es auch noch andere Gründe für eine solche Belastungssituation geben mag, wenn diese insgesamt für die Unternehmen zu einer „unentrinnbaren" zu werden droht. 45 So die Ergebnisse von oben A; vgl. auch Berenz/Brock/Worzalla, S. 381 (384). 4 6 aaO., S. 383. 4 7 Simon, G., Arbeitgeber 1993, S. 8.

3 Leisner

Arbeitgeber 1991,

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

Dann aber muß auch die Frage nach verfassungsrechtlichen Grenzen einer solchen hoheitlichen Abgabenbelastung gestellt werden.

2. Hoheitliche Abgaben-Belastung - ein „Eingriff 4 in wirtschaftliche Grundrechte Die Verfassung verbietet die Verletzung wirtschaftlicher Grundrechte der Bürger (insbes. aus Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG) ebenso wie der inländischen juristischen Personen (Art. 19 Abs. 3 GG). Dazu kommt es vor allem durch „Eingriffe", welche einen wirtschaftlichen Freiheitsraum der Unternehmen begrenzen oder versperren. Dies kann jedoch auch durch die hoheitliche Auferlegung von Abgaben aller Art geschehen. Anerkannt ist, daß „Abgaben" als „Eingriffe" gewollt sein und wirken können, die verbreitete Praxis der Lenkung durch Steuern beweist es 4 8 . Fest steht jedoch auch, daß eine spezifische Lenkungsabsicht des Gesetzgebers nicht Bedingung ist für die Annahme eines Grundrechtseingriffs, der zur Grundrechtsverletzung wird, wenn er nicht durch spezielle verfassungsrechtliche Legitimation gedeckt ist. Es kommt vielmehr allein auf die grundrechtsverletzende Wirkung einer hoheitlich verordneten Abgabe a n 4 9 . In der Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, daß auch gesetzliche Bestimmungen ohne berufsregelnde Zielsetzung durch mittelbare oder tatsächliche Auswirkungen den Schutzbereich des Art. 12 GG (Berufsfreiheit) verletzen können 5 0 . Jedenfalls aber sind Abgabengesetze in ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen 51 . Selbst wenn also Abgabennormen das „Vermögen" des Betroffenen nicht als Schutzgut i m Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG verletzen sollten 5 2 , so besteht doch kein Zweifel daran, daß sie an den Grundrechten zu messen sind, wie später noch näher darzulegen sein wird (im folgenden IV). Wenn also Abgaben freiheitsbeschränkende Wirkungen zeigen, können sich Belastungsgrenzen für sie aus den Grundrechten ergeben.

48 Grundlegend dazu neuerdings Arndt, H. W., Lenkung durch Steuern und andere Abgaben auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts, in: Fröhler, L. (Hg.), WiVerw 1990/ 91, S. 1 ff.; speziell ζ. B. des Umweltschutzes vgl. Meßerschmidt, K., Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, S. 110 ff., beide m. zahlr. Nachw.; Grundsätze für diese Lenkung finden sich etwa in BVerfGE 38, S. 61 (81/82). 49 H. L., vgl. f. viele Papier, H.-J., Der Staat 1972, S. 494 f.; Tipke, K., Die Steuerrechtsordnung I, 1993, S. 439. so Siehe etwa BVerfGE 13, S. 181 (185 f.); 62, S. 291 (308); 81, S. 68 (121 f.).

51 BVerfGE 87, S. 153 (169) std. Rspr. 52 So BVerfGE in std. Rspr., vgl. etwa E 30, S. 250 (271 f.); 45, S. 272 (296); 65, S. 196 (209); 74, S. 129 (148); weit. Nachw. bei Tipke (Fn. 49), S. 444; Nachw. über zustimmende Meinungen im Schrifttum bei von Münch/Kunig, GG, 1992, Art. 14 Rdnr. 23; Nachw. zu krit. Stimmen im Schrifttum in Β Κ (Kimminich), Art. 14 GG, S. 56.

I. Grundrechtliche Belastungsgrenzen für PZK

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3. PZK und Steuern - Vergleichbarkeit hinsichtlich der Verfassungsschranken Die vorstehend dargestellten Grundsätze über die Notwendigkeit, die Frage nach verfassungsrechtlichen Belastungsgrenzen zu stellen, sind für Steuergesetze entwickelt worden, während die Problematik für Sozialabgaben wie die PZK bisher nicht in vergleichbarer Weise grundrechtlich vertieft wurde 5 3 . Dennoch ist es zulässig, ja geboten, hier im folgenden die für steuerliche Abgabennormen entwikkelten Grundsätze auch auf sozialrechtliche Abgabenbelastungen, insbesondere auf die PZK anzuwenden. Den Steuern ist, jedenfalls nach ihrem Begriff 5 4 , wesentlich, daß sie einerseits der Finanzierung von Gemeinlasten dienen, i m Interesse der Allgemeinheit, andererseits, und vor allem, sollen damit Mittel für den (in der Regel allgemeinen) öffentlichen Haushalt 5 5 aufgebracht werden. Anders die Sozialabgaben 56 : Sie kommen bestimmten Adressatengruppen zugute, nicht allgemein den öffentlichen Haushalten. Sie sind also in diesem Sinn weit stärker „zielgerichtet", auf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Unternehmer, als Steuern, die grundsätzlich lediglich an den Tatbestand der Einkunftserzielung anknüpfen. M i t dieser ihrer stärkeren Zielausrichtung kommen sie Eingriffen weit näher als es bei Steuern der Fall ist: Gerade die PZK wollen ein ganz bestimmtes „soziales Verhalten" der Arbeitgeber erzwingen. Wenn also grundrechtlich begründete Belastungsgrenzen schon für Steuern anzunehmen sind, allein aus deren Wirkung heraus, so gilt dies erst recht für die PZK. Sie „wirken" ja in dem hier angenommenen Extremfall einer Belastung, welche zur Unrentabilität, ja zur Betriebsaufgabe führt (vgl. oben 1), in einer sehr schwerwiegenden Weise auf die zentralen ökonomischen Freiheiten der Unternehmer, indem sie deren Freiheitsbetätigung „sozial orientieren" wollen.

Ergebnis Dem Begriff der „unerträglichen Belastung" kommt betriebswirtschaftliche Bedeutung zu: Wenn es gerade die außerordentlich hohen PZK sind, welche gewerb53

Der Grund dafür liegt vor allem darin, daß sich die Kritik, etwa an den Sozialversicherungsbeiträgen, bisher weniger auf deren Höhe gerichtet hat, als vielmehr auf Abweichungen von der Grundstruktur der Sozialversicherung (Äquivalenz) oder auf ihre Zielsetzung der Umverteilung (vgl. im folgenden C). 54 Dazu BVerfGE 67, S. 256 (282). 55

Zum Steuerbegriff grundlegend Isensee, J., in: Staatsfinanzierung im Wandel, hgg. von Hansmeyer, Schriften des Vereins für Socialpolitik n.F. 134 (1983), S. 435 (438 ff.). 56 Siehe zu den Unterschieden zwischen Steuern und Soziallasten für viele Krause, P., VSSR 1986, S. 115 (117, 133 ff.); Isensee, J., Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, S. 52; Selmer, P., Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht 1972, S. 368 f.; Picot, G., RdA 1979, S. 16(19). 3:

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

liehe Tätigkeit ganzer Kategorien auf Dauer unrentabel werden lassen, insbesondere in einer sich verschärfenden Wettbewerbslage, so stellen eben sie die nicht mehr tragbare Kostenlast dar; da sie weitgehend von der Staatsgewalt hoheitlich den Unternehmen auferlegt werden, muß sich ihnen gegenüber die Frage stellen, wo die verfassungsrechtlichen Grenzen liegen. Wirtschaftliche Grundrechte der Bürger und der deutschen juristischen Personen (insbesondere Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG), dürfen nicht durch hoheitliche Eingriffe verletzt werden. Nach herrschender Lehre stehen hoheitlich auferlegte Belastungen solchen Eingriffen gleich, wenn sie vergleichbare Wirkungen hervorbringen; auf diese kommt es nach herrschender Lehre an, nicht auf die Form des hoheitlichen Zugriffs. PZK können, wenn sie unerträglich werden, freiheitsbeschränkend wirken. Grundsätze zu verfassungsrechtlichen Grenzen hoheitlicher Abgabenbelastungen sind bisher vor allem für die Steuern, nicht aber vergleichbar etwa für Sozialversicherungsabgaben, den Hauptbestandteil der gesetzlichen PZK, entwickelt worden. Für sie müssen jedoch ähnliche Prinzipien gelten, stehen sie doch, in ihrer eindeutigen „sozialen Zielrichtung", den Verbots- und Lenkungseingriffen näher als die meisten „ungezielten" Steuern.

I I . Die Belastungsgrenze im Falle der P Z K praktisch je erreichbar? 1. Die Belastungsgrenze mit hoheitlichen Abgaben grundsätzlich unerreichbar? Die gesetzlichen PZK werden hier darauf geprüft, ob sie nach ihrer betrieblichen Belastungswirkung, d. h. nach ihrer Höhe, gegen die Verfassung verstoßen (können). Dagegen könnte von vorneherein sprechen, daß bisher, soweit ersichtlich, noch nie ein Abgabengesetz für verfassungswidrig erklärt worden ist, weil es etwa gegen Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) verstoßen hätte 5 7 . Dasselbe gilt für eine etwaige Verletzung der Eigentumsgarantie (vgl. dazu unten IV). Selbst für ein Schrifttum, welches diese Belastungsgrenze seit langem betont, konnte festgestellt werden 5 8 : „Keiner der Autoren kann zur Zeit geltende Steuern nennen, die enteignend wirken, auch nicht in ihrem Zusammenwirken." Diese Feststellungen können jedoch nicht bedeuten, daß eine Verfassungswidrigkeit nie, unter keinen wie immer gearteten Umständen, in Betracht kommen könnte, die Untersuchung hier also abzubrechen wäre. Es entspricht dem Wesen 57 Nachw. zur Rspr. d. BVerfG bei Tipke (Fn. 49), S. 438. 58 Tipke, aaO., S. 449, nach einem Überblick über zahlreiche Stellungnahmen im Schrifttum.

II. Die Belastungsgrenze - praktisch je erreichbar?

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einer Verfassungsjudikatur, welche stets die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu achten hat, daß sie immer wieder Gesetze, und vor allem Abgabennormen, als verfassungsgemäß anerkennt, weil eben die Verfassungsgrenzen noch nicht überschritten seien. Die Beispiele in der Judikatur des BVerfG sind Legion. Dann aber kommt es doch - oft „ m i t einem M a l " - zu einer verfassungsgerichtlichen Sanktion, wie sich etwa bei der Judikatur zum Schutze der Ehe und Familie als Schranke der Steuergesetzgebung zeigt 5 9 . Belastungs-, ja Eingriffsschranken haben in der Verfassungsjudikatur stets und ganz wesentlich den Charakter „äußerster" Grenzen. Es gibt keinerlei Vermutung dafür, daß sie „nie" erreicht werden könnten; dies muß auch für immer weiter steigende gesetzliche PZK gelten. Anderenfalls würde die gesamte Verfassungsjudikatur zu einem praktisch unbeachtlichen Recht „seltener Ausnahmen" werden. Vielmehr gilt: In dem Maß, in welchem das Verfassungsgericht Schranken näher in seiner Judikatur verdeutlicht, erkennt es an, daß diese auch erreicht werden können, wenn sich entsprechende Sachlagen entwickeln. Die Untersuchung einer Belastungsgrenze der PZK darf also nicht schon an dieser Stelle abbrechen, auch wenn sich etwa Art. 14 Abs. 1 GG bisher als wenig wirksame Schranke der staatlichen Abgabegewalt erwiesen h a t 6 0 ; dies gilt um so mehr, als das BVerfG gerade neuerdings faßbare Grenzen zu entwickeln beginnt (vgl. i m folg. V). Nichts spricht also dafür, daß eine Verfassungsschranke gesetzlicher PZK nicht schon erreicht wäre oder in absehbarer Zukunft, etwa in einer sich verschärfenden Wettbewerbssituation, nicht sogar überschritten werden könnte.

2. Die Belastungsgrenze - eine „theoretische" Schranke? a) In der Rechtsprechung des BVerfG finden sich nun Erkenntnisse, nach denen eine dem Gesetzgeber durch die Verfassung unzweifelhaft gezogene Grenze eine lediglich „theoretische" Schranke darstellen soll. Bei der Ausschaltung atomarer Gefahren ist von einem „Restrisiko" die Rede, welches zwar nicht zu leugnen sei, aber vom Gesetzgeber, weil „theoretisch", vernachlässigt werden dürfe 6 1 . Ähnlich meint das Gericht in einer frühen Entscheidung zu der Frage, ob eine Verfassungsnorm gegen die Verfassung verstoßen könne, dies sei ein eher „theoretischer Fall"62 Diese Formulierungen sind unglücklich. Die Rechtsdogmatik kennt keine Unterscheidung zwischen „theoretisch" und „praktisch", i m Hinblick auf die Wirksam-

59 Dazu näher neuerdings Arndt/Schumacher, Nachw.

AöR 118 (1993), S. 513 (564 ff.) m.

60 Nachw. aus dem Schrifttum zu dieser Frage in BK (Kimminich), Art. 14 GG Rdnr. 62. 61 BVerfE 49, S. 89 ff. (137 ff.). 62 BVerfG E 3, S. 225 ff. (233).

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

keit von Normen. Es kann lediglich eine größere oder geringere Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Normwirkungen geben. Eine Norm (normative Grenze), die nicht wirksam werden kann, hat keine „(rein) theoretische", sie hat überhaupt keine Bedeutung und ist infolgedessen wegen Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit (Art. 20, 28 GG) verfassungswidrig und nichtig, weil sie geeignet ist, einen unzutreffenden Rechtsschein aufrechtzuerhalten. Das BVerfG hat allerdings, soweit ersichtlich, derartige Formulierungen in letzter Zeit nicht mehr gebraucht. Mehr noch: Gerade die früher als „theoretisch" bezeichnete Frage der „verfassungswidrigen Verfassungsnormen" stellt das Gericht neuerdings ganz selbstverständlich in den Zusammenhang, in dem sie eben auft r i t t 6 3 . Es fehlt jeder Hinweis auf den „theoretischen" Charakter der Verfassungsschranke oder auch nur auf die Unwahrscheinlichkeit ihres Eingreifens. Es geht also von vorneherein nicht an, etwaige Verfassungsschranken der Abgabenlast mit der Bemerkung abzutun, sie seien ohnehin praktisch nicht erreichbar. b) Gerade die Verfassungsschranken für hoheitlich auferlegte Abgabenbelastungen hat das BVerfG nie als „theoretische i( oder auch nur in seltenen Fällen zu erreichende bezeichnet. Vielmehr findet sich, i m Zusammenhang mit der wichtigsten Schrankenziehung für Steuergesetze, aus Art. 14 Abs. 1 GG, schon in seiner früheren Judikatur lediglich die Formulierung, die Verfassung werde „grundsätzlich" nicht verletzt, es sei denn, es gelte die „Ausnahme" der Erdrosselung 64 . Daß dies eine „seltene" Ausnahme sei, wird nicht festgestellt. Später formuliert das Gericht etwa: „Dem Steuerzugriff der deutschen Hoheitsgewalt ist durch Art. 14 Abs. 1 GG jedenfalls eine äußerste Grenze gesetzt . . . " (Herv. v. Verf.) 6 5 . Dies bedeutet das Gegenteil einer Begrenzung, die „theoretisch", d. h. „praktisch nie" zu erreichen oder gar zu überschreiten wäre: Sie muß vielmehr ständig präsent sein, bei allen Betrachtungen - weil sie „jedenfalls" gilt. Dies bezeichnet jedoch nur das M i n i m u m der möglichen Schranken Wirkung; eine bereits weiter im Vorfeld eingreifende ist nicht auszuschließen, muß also „jedenfalls" auch stets geprüft werden. Dies ist für Steuergesetze ausgesprochen worden. Da die PZK als „sozial gezielte Belastungen" näher bei den „Eingriffen" liegen (vgl. oben I, 3), für welche die Verfassungsschranken keineswegs lediglich „Ausnahmecharakter" haben, ist es in ihrem Fall erst recht nicht gerechtfertigt, von vorneherein die Möglichkeit der Verfassungswidrigkeit abzulehnen oder nur als eine „ganz entfernte Möglichkeit" beiseite zu lassen. Nie ist denn auch bisher für Sozialabgaben generell ausgesprochen worden, sie entsprächen, ohne Rücksicht auf ihre Belastungswirkungen, eben

63 BVerfGE 84, S. 90 ff. (118 f.).

64 Vgl. ζ. B. bereits aus der früheren, noch erheblich gesetzesfreundlicheren Phase der Judikatur BVerfGE 30, S. 250 (272 m. RV.) Näher im folgenden V zu der Überholung dieser Judikatur in der neuesten Rechtsprechung des BVerfG. 65 BVerfGE 63, S. 343 (368).

II. Die Belastungsgrenze - praktisch je erreichbar?

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„ i m Zweifel 4 ' der Verfassung, Verfassungswidrigkeit sei hier nur ferne oder gar theoretische Ausnahme. c) Hier war besonders zu betonen, daß die Frage nach der Verfassungswidrigkeit von PZK keine - wie immer verstandene - nur „theoretische" ist. Sie stellt sich vielmehr, insbesondere in einer sich verschärfenden Wettbewerbssituation (vgl. oben A) heute entweder ganz neu oder doch in einer Akzentuierung, welche dramatische Züge annehmen könnte. Dann aber ist es unzulässig, aus verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, die in einer anderen gesamtwirtschaftlichen Situation getroffen wurden, ableiten zu wollen, Verfassungswidrigkeit komme hier von vorneherein nicht in Betracht. Unberechtigt ist es, darüber hinaus, aus Zustimmung oder Ablehnung gegenüber bisheriger Judikatur und Gesetzgebungspraxis generell, in einem Gefühl von Bestätigung oder Enttäuschung, vorschnell zu folgern, man habe sich bei den PZK mit der Verfassungsfrage nicht zu befassen, weil ähnliche Probleme bisher noch nicht vergleichbar behandelt und entschieden worden seien. „Bisher zulässig - also auch weiterhin zulässig" - das wäre eine primitive Übersteigerung des favor legis; und das BVerfG ist, dafür gibt es hinreichende Belege, eben stets für eine verfassungsrechtliche Überraschung gut . . . (vgl. zu einer solchen unten V, 2, 3). Dies muß in solcher Deutlichkeit unterstrichen werden, weil sich diese Untersuchung vor allem an die Gesetzgebung und die diese vorbereitende Exekutive wendet. Hier muß das Bewußtsein für ein sich möglicherweise aufbauendes Verfassungsrisiko entwickelt werden. Zu erinnern ist, gerade i m Zusammenhang mit den PZK, an die bereits früher mahnenden Worte des B V e r w G 6 6 . „Die Einbeziehung jedes neuen, sich über das ganze Bundesgebiet erstreckenden Berufsstandes in die Sozialversicherung setzt daher eine sorgfältige Prüfung seiner sozialen und wirtschaftlichen Situation voraus und verlangt wegen der weitreichenden und schwer übersehbaren Auswirkungen auf andere Lebensgebiete ein behutsames Vorgehen." Die Parallele zu den PZK, die ja in noch weiterreichender Globalität belasten, liegt auf der Hand. Eine Vermutung für die Verfassungsmäßigkeit immer weiter steigender PZK gibt es also nicht. d) Verfassungsschranken entfalten überdies nicht nur Verbotswirkungen im Falle ihrer Überschreitung. Mindestens ebenso bedeutsam, praktisch wohl noch weit wichtiger, ist ihre Fernwirkung auf die Gesetzgebungspolitik, welche stets bestrebt sein wird, gerade bei derartig finanziell gravierenden Festlegungen gebührenden Abstand zur Verfassungsschwelle zu wahren. Von berufener finanzpolitischer Seite konnte festgestellt werden: „Die bloße Existenz der bestehenden Verfassungsgrenzen entfaltet einen wirksamen regulierenden Einfluß und bildet somit einen Schutz

66 BVerwGE 17, S. 74 (79).

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

gegen eine irrationale Haushaltspolitik" 6 7 . Was hier für die Fernwirkungen des Art. 115 GG ausgesprochen wurde, trifft, angesichts des besonderen Ranges der Freiheitsrechte, erst recht für Verfassungsschranken sozialer Abgabenpolitik zu, die sich aus den Grundrechten der Verfassung entwickeln lassen.

Ergebnis Verfassungsrechtliche Belastungsgrenzen von PZK sind nicht von vorneherein unerreichbar. Daß bisher noch kein Steuergesetz wegen der globalen Schwere der Belastung kassiert worden ist, beweist nicht, daß gesetzliche PZK nie verfassungswidrig sein oder werden könnten. Je eingehender vielmehr in der Verfassungsrechtsprechung grundgesetzliche Schranken der Abgabebelastung verdeutlicht worden sind, desto mehr spricht dies dafür, daß sie auch überschritten werden können. Solche Schranken sind auch keineswegs „nur theoretischer Natur". Dieser früher gelegentlich verwendete unglückliche Ausdruck wird neuerdings nicht mehr gebraucht; auch in solchen Fällen findet vielmehr die normale Verfassungsprüfung statt. Bei Steuerbelastungen ist vielmehr oft von „äußersten", „jedenfalls" zu beachtenden Verfassungsgrenzen die Rede, die zwar „Ausnahme" sein sollen, nicht aber als „seltene Ausnahme" bezeichnet werden. Die Verfassungsfrage nach der Zulässigkeit von (steigenden) PZK darf also nicht als „theoretisch", „ i n der Praxis sich ohnehin nicht stellend" oder mit der Begründung beiseite geschoben werden, auch bisher sei es noch nie zu vergleichbaren Grenzziehungen gekommen. Die Frage der verfassungsrechtlichen Grenzüberschreitung muß vielmehr, gerade bei Sozialabgaben, jeweils besonders sorgfältig geprüft werden. Bestehende Verfassungsgrenzen entfalten überdies eine Fernwirkung auf die Sozialpolitik des Gesetzgebers. Sie sind daher auch dann zu beachten, wenn sie noch nicht erreicht worden sind.

III. Die Problematik einer Feststellung des Überschreitens verfassungsrechtlicher Belastungsgrenzen 1. Global wirtschaftlicher Charakter der Sozialbelastungen - daher Schrankenwirksamkeit schon im „bedrohten Vorfeld" Die dargelegte grundsätzliche Existenz und Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Belastungsgrenzen für den staatlich auferlegten „zweiten Lohn" bedeutet jedoch nicht, daß die spezifischen Probleme verkannt werden dürften, die sich ge67 Gandenberger, O., zit. bei Hauser, H., FAZ 22. 2. 1995.

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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rade bei der Feststellung derart global wirkender Verfassungsschranken für große Bereiche der gewerblichen Wirtschaft, vielleicht für diese insgesamt erheben. Hier geht es ja um drohende Unrentabilität, und zwar etwa ganzer Zweige des Handwerks. Wird derartiges für einzelne Bereiche überzeugend nachgewiesen und auf überhöhte PZK zurückgeführt, so könnte dem entgegengesetzt werden, in anderen Sektoren der gewerblichen Wirtschaft würden diese Kosten doch auch getragen, und schon aus Gleichheitsgründen würde es dann nicht leicht fallen, nur für einzelne Kategorien Sozialkosten der Betriebe zu senken. Die Fragestellung der Gesamtkosten sieht sich also notwendig in eine „Gesamtbetrachtung großer Bereiche" gedrängt, etwa „des Handwerks als solchen", oder gar der „gewerblichen Wirtschaft als ganzer". Deshalb wurden ja auch (oben A) die dem entsprechenden Globalzahlen dargestellt. Eben diese notwendige Globalisierung der verfassungsrechtlichen Schrankenbetrachtung muß jedoch dazu führen,, daß die rechtlichen Anforderungen an den Begriff der übermäßigen und damit verfassungswidrigen Abgabenbelastung nicht überspannt werden dürfen. Denn es kann nicht der Nachweis erbracht - und er darf daher auch nicht gefordert - werden, daß etwa die gegenwärtigen PZK das gesamte deutsche Handwerk unrentabel werden oder die gewerbliche Wirtschaft zusammenbrechen lassen. Nicht zuletzt deshalb, weil eben eine solche „probatio per absurdum" nie gelingen kann, konnte sich weithin wohl die Meinung verfestigen, nach verfassungsrechtlichen Belastungsgrenzen für soziale Abgaben sei schon deshalb nicht zu fragen, weil der Fall nachweisbarer Unerträglichkeit ohnehin nie eintreten könne. Dies wäre jedoch ein Kurzschluß; er würde die Absurdität unterstellen, daß hier eine Verfassungsschranke nur wirksam werden könne, wenn die gesamte deutsche Wirtschaft aufhöre zu funktionieren. Vielmehr muß gelten: Gerade weil die „Sozialbelastungs-Grenzfrage" nur global beantwortet werden kann, müssen die Voraussetzungen für das Eingreifen der Verfassungsschranken entsprechend „vorverlegt" werden. M i t anderen Worten: Schon wenn ernste Anzeichen für eine schwere Bedrohung ganzer gewerblicher Kategorien durch überhöhte PZK sprechen, muß der freiheitsachtende Sozialstaat sein soziales Belastungspotential entsprechend zurücknehmen. Daß dies Grundprinzipien des deutschen öffentlichen Rechts entspricht, zeigt ein Blick auf die herkömmliche Dogmatik des Gefahrenbegriffs i m Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung („.Polizeirecht"): Dort ist anerkannt, daß Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr (hier: Zurücknahme sozialer Belastungen) bei nicht auszuschließendem exorbitanten Schaden (hier: Unrentabilität ganzer Wirtschaftszweige) auch dann schon einsetzen müssen, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens noch verhältnismäßig gering ist; drohender Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeit kompensieren sich 6 8 . So liegt es auch hier: Selbst wenn noch keineswegs sicher ist, wann Schäden von branchenweitem Ausmaß infolge Gefahrenabwehr 1985, S. 223 f.; Berner/Köhler, 68 Drews/Wacke/Vogel/Martens, 1994 Rdnr. 10 zu Art. 2; Lisken/Denninger, Handb. des Polizeirechts 1992, S. 121.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

überhöhter PZK eintreten werden, gilt es, dagegen Vorsorge zu treffen; denn angesichts des hohen individual- und gesamtwirtschaftlich möglichen Schadens dürfen an die Eintrittswahrscheinlichkeit eben keine allzuhohen Anforderungen gestellt werden. Grundsätze des geltenden Abgaben-Verfassungsrechts weisen bereits konkrete Wege in diesem Sinne auf:

2. „Unzumutbare Belastungen" nach Durchschnitts-Betrachtung a) Der Begriff der „unzumutbaren Belastung" wird in der deutschen Staatspraxis als Schranke der Gesetzgebung durchaus anerkannt. So verlangte der Bundesrat im Mineralölbevorratungsfall den Ausgleich „unzumutbarer Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit etwa durch unverhältnismäßig hohe Betriebsaufwendung e n " 6 9 . Dabei kommt es jedoch stets darauf an, ob die Belastung unter „normalen Umständen" noch getragen werden kann. Dies entspricht einem herkömmlichen Grundsatz des deutschen öffentlichen Rechts 7 0 . Auch neuerdings wird festgestellt, „daß es nicht auf die Wirkung i m individuellen Fall ankommen kann, sondern auf die durchschnittliche Wirkung ankommen muß. Ein Steuergesetz ist nicht verfassungswidrig, wenn es zwar zum Ruin eines bestimmten, einzelnen Steuerpflichtigen beiträgt, wenn aber alle anderen Steuerpflichtigen oder jedenfalls die große Mehrheit der Steuerpflichtigen der nämlichen Berufsgruppe die Steuer ohne Schwierigkeit zu zahlen in der Lage sind. Tritt der Bankrott nur in Einzelfällen ein, so wird dafür primär nicht die Steuer ursächlich sein, sondern ökonomisches Fehlverhalten" 7 1 (vgl. dazu i m folgenden 3). Bei der Beurteilung eines Gesetzes kommt es eben auf dessen generelle Wirkungen an, nicht auf den Einzelfall, auf dort möglicherweise auftretende Härte, weshalb auch der „normale Vermögensertrag" zugrundezulegen ist, nicht ein „besonders ungünstig angelegtes Vermögen"72. Dem Gesetz als allgemeiner Regelung ist es allein angemessen, auf seine generellen Wirkungen abzustellen, darauf hebt auch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung a b 7 3 . Un vorhersehbaren Auswirkungen muß durch eine Härteklausel begegnet werden 7 4 . Die betreffende Abgabenbelastung muß also jedenfalls unter norma69 BVerfGE 30, S. 292 (329). 70 So schon BVerwGE 6, S. 242 (268) m. Zit. zur Rspr. des PrOVG. 71 Tipke (Fn. 49), S. 439/40. 72 Tipke, aaO., S.441. 73 Vgl. etwa BVerfGE 14, S. 76 (101); 16, S. 147 (165, 187); 31, S. 8 (29); 38, S. 61 (85 ff.) usw. 74 Vgl. BVerfG NJW 1976, S. 101 m. Nachw.; Friauf, K.H., StuW 1977, S. 59 (65 ff.); Schmidt-Bleibtreu, B., DÖV 1989, S. 489 (495 f.).

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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len Umständen eine wirtschaftlich noch sinnvolle Rendite zulassen 75 , wobei eine Erhöhung der Rentabilitätsgrenze durch Steuern allerdings zulässig i s t 7 6 . Eine Einzelfallbetrachtung scheidet daher bei der Beurteilung von Abgabengesetzen aus; dies muß auch für die gesetzliche Auferlegung von PZK gelten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß hier eine Härteregelung schon aus Gleichheitsgründen und i m Interesse der begünstigten Arbeitnehmer Problemen begegnet. b) Diese „Durchschnittsbetrachtung" der „generellen Wirkung" einer Abgabennorm ist deshalb so wichtig, weil sich aus ihr ergibt, daß es auf nähere, besondere Umstände von Einzelfällen oder Gruppen von Betroffenen nicht ankommen kann. Die Belastungsgrenze wird eben über das „tatsächliche Durchschnittsverhalten" einer großen Zahl von Betroffenen ermittelt. Entscheidend bleibt für jedermann, wie es seinesgleichen i m Durchschnitt tatsächlich halten, nur so läßt sich ja der „Normalfall" konstruieren, von dem hier auszugehen ist. Letztlich öffnet sich damit das Verfassungsrecht jener Marktwirtschaft, der es sich ja in Art. 109 Abs. 2 GG dadurch schon verpflichtet sieht, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht eben im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu verwirklichen i s t 7 7 . Wesentlich ist nicht, was der Staat etwa vom Betroffenen verlangen w i l l (vgl. näher dazu noch i m folgenden 3), sondern wie sich die Betroffenen tatsächlich wirtschaftlich in ihrer Mehrheit verhalten - eben weil hier nicht wesentlich auf den Staat, sondern auf den Markt Rücksicht zu nehmen ist. In diesem Sinn gilt das Demokratiegesetz der Mehrheit über den Markt, den Ausdruck der ökonomischen Demokratie. Dies bedeutet: Da die Markt- insbesondere die Wettbewerbsverhältnisse sich täglich, auch tiefgreifend, ändern, kommt es für die Zumutbarkeit gesetzlicher PZK darauf an, ob sie „durchschnittlich" die Existenz der Betriebe bedrohen. Dabei kann aber wiederum eine Betrachtung der gesamten abgabenverpflichteten Wirtschaft entscheidend sein, eine branchenspezifische Betrachtung ist schon aus Wettbewerbsgründen geboten. Praktisch wird begründeten Berechnungen der jeweils interessenvertretenden Verbände hier erhebliche Bedeutung zukommen. Denn nur über ihre Feststellungen läßt sich letztlich ein generelles Branchen verhalten überzeugend nachweisen. Dieses „Durchschnittsverhalten", die „Durchschnittserträglichkeit" wird nun aber durch eine Durchschnittsreaktion bestimmt, welche zeigen muß, ob in diesem Normalfall die Belastung „erträglich" ist. Die zentrale Frage geht dahin, ob die Hoheitsgewalt normative Anforderungen an dieses „durchschnittliche Reaktionsverhalten" stellen und damit die Zumutbarkeitsschwelle (beliebig) erhöhen kann.

75 Papier, H.-J., Der Staat 1972, S. 503 m. Nachw. 76 BVerfGE 29, S. 327 (332). 77 Siehe dazu Stern, K , Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland III/1, 1988, S. 882, m. Nachw. zum Meinungsstand; Maunz-Dürig, {Papier), Art. 14 GG, Rdnr. 186.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen Ergebnis

Die Feststellung, ob die PZK-Belastung verfassungsrechtliche Abgabenschranken überschreitet, muß notwendig eine gewisse Globalbetrachtung größerer betroffener Bereiche, zumindest ganzer Branchen, zugrundelegen. Dabei kann jedoch nicht verlangt werden, daß Gesamtbranchen oder gar die Gesamtwirtschaft unmittelbar vom Zusammenbruch bedroht seien. Die Forderung nach einer solchen Beweisführung wäre absurd. Vielmehr muß die Belastungsschranke, angesichts des großen einzel- wie volkswirtschaftlich drohenden Schadens, schon in einem Vorfeld einsetzen, sobald die Bedrohung deutlich sichtbar wird. Dies entspricht einem allgemeinen, etwa auch dem Polizeirecht zugrundeliegenden Grundsatz, daß bei schwerem drohenden Schaden geringere Anforderungen an dessen Eintrittswahrscheinlichkeit zu stellen sind. Die „unzumutbare Belastung" ist in einer „Durchschnitts-Betrachtung" zu ermitteln. Es kommt darauf an, ob i m „Normalfall" die Last noch getragen werden kann; dies entspricht der generellen Wirkung des Gesetzes. Der Durchschnitt ermittelt sich wiederum nach dem tatsächlichen Verhalten der Angehörigen einer gewissen Branche, aus Gründen des Wettbewerbs; auf Einzelfälle kann es nicht ankommen. Dieses Durchschnitts- oder Normalverhalten wird in der Regel primär vom Markt bestimmt. Belegt wird es vor allem durch Untersuchungen und Berichte der jeweiligen Verbände.

3. Die erforderliche Eigeninitiative des Unternehmers zur Lastentragung a) Das GG w i l l einen Freiheitsraum sichern, der insbesondere auch die Dispositionsfreiheit des Unternehmers umfaßt 7 8 . Dazu gehört, daß dieser sich innerhalb der Schranken der Verfassung und der verfassungsmäßigen Gesetze auf hoheitliche Bindungen einstellt, auf sie wirtschaftlich reagiert. Die Diskussion über diese unternehmerische Dispositionsfreiheit wird daher im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG geführt. Aussagen zu dieser Dispositionsbefugnis haben allerdings eine allgemeinere Bedeutung: Es fragt sich, was dem Unternehmer bei einer Zusammenschau seiner durch wirtschaftliche Grundrechte geschützten Freiheitssphäre von der Hoheitsgewalt (noch) zugemutet werden darf, die ihn (etwa mit PZK) belastet 7 9 . Erst dann, wenn er auch bei solchem Verhalten die hoheitlichen Belastungen nicht mehr zu tragen vermag, greifen die Verfassungsschranken ein. b) Dabei muß allerdings eines klar sein, was, soweit ersichtlich, bisher nicht vertieft worden ist: Die Reaktionsfreiheit gegen staatlichen belastenden Zwang, wel78 Dazu näher Erichsen, H.-U., in: Handb. des Staatsrechts VI, 1989, S. 893 (1211). 79

In einer früheren Entscheidung bereits ist das BVerfG gerade von einer derartigen Zusammenschau ausgegangen, BVerfGE 4, S. 7(16).

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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che zur wirtschaftlichen Handlungsfreiheit gehört, und ihrerseits durch Art. 2 Abs. 1 GG garantiert ist, darf nicht wiederum zur Legitimation staatlicher Belastungen eingesetzt werden. Dies aber geschähe, wenn etwa PZK-Spitzenlasten schon deshalb als erträglich unterstellt würden, weil die betroffenen Unternehmer ja dagegen i m Namen ihrer Dispositionsfreiheit reagieren könnten. Hoheitliche Eingriffe und Belastungen lassen sich nicht kurzerhand mit der Freiheit des Betroffenen begründen, sich dem zu entziehen; dies wäre eine absurde „Legitimation des Hoheitszwanges durch die Freiheit". Bei der Beantwortung der Frage, was dem Betroffenen an Reaktion zugemutet werden darf, kommt es gewiß auch auf die isoliert betrachtete Schwere der Belastung an. Diese ist jedoch wiederum in Beziehung zu setzen zu dem, was die Hoheitsgewalt an unternehmerischer Freiheit beläßt. Je weitergehend diese durch Belastungen eingeschränkt wird, desto weniger an Reaktionsmöglichkeit bleibt dem Betroffenen. Insoweit ist zur Bestimmung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit die vom BVerfG zu Art. 5 GG entwickelte Wechselwirkungslehre heranzuziehen80 Überdies ist zu berücksichtigen, daß die Reaktionsfreiheit der Betroffenen nicht nur aus der Einzel- oder Gesamtbelastung durch hoheitliche Maßnahmen abgelesen werden darf; sie ergibt sich, mindestens ebenso gewichtig, aus der allgemeinen wirtschaftlichen Situation, insbesondere aus der jeweiligen Marktlage. Da dies alles ständigen und zum Teil tiefgreifenden Änderungen unterworfen ist, kann es auch für die gesetzlichen Belastungen, wie etwa die PZK, keine absolute, unveränderliche verfassungsrechtliche Belastungsgrenze geben; diese ist vielmehr variabel, je nach der markt-möglichen Eigeninitiative der Unternehmer. c) Daraus ergibt sich eine allgemeine, gerade für das vorliegende Thema grundsätzliche Erkenntnis: Die eingreifende oder belastende Hoheitsgewalt darf nicht ihrerseits auch noch abschließend definieren, was an Reaktionsinitiativen den Unternehmern zuzumuten ist. Dies bestimmt sich vielmehr ganz wesentlich nach der jeweiligen Marktlage, die insgesamt in aller Regel vom Gesetzgeber nicht wesentlich zu beeinflussen ist. So wenig wie der Gesetzgeber das „tatsächliche Durchschnittsverhalten" normativ bestimmen darf (vgl. oben 2), ebensowenig - und aus den gleichen Gründen - steht ihm ein Bestimmungsrecht darüber zu, was an Reaktion dem eigeninitiativ handelnden Unternehmen zumutbar ist. Und eine zweite, ebenso wesentliche Erkenntnis ergibt sich: Die Verfassungsprüfung belastender Gesetze darf sich auch jetzt nicht damit begnügen, blanketthaft auf eine Unternehmerinitiative zu verweisen, die „schon noch ausreichende Reaktionsmöglichkeiten eröffnen " werde. Wird dies zur Pauschalformel, so laufen die Verfassungsschranken nicht nur gegenüber Abgabenbelastungen leer, sie werden gegenüber jeder Art von staatlichem Eingriff entwertet.

so BVerfGE 1, S. 198 (208 f.); BVerfGE 12, S. 113 (124 f.).

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. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

Bedauerlicherweise gehen offenbar nicht wenige Autoren - stillschweigend von der Funktion der „Unternehmerinitiative als Begründungsblankett für Belastungen und Eingriffe" aus. Gerade die hier vorzunehmende Betrachtung gibt Anlaß, an die Notwendigkeit zu erinnern, den Eigeninitiativraum der Unternehmer stets näher zu bestimmen. M i t Aufforderungen an die Unternehmer, „stramme Haltung anzunehmen", „die Belastung werde schon zu tragen sein", oder allein mit dem Hinweis auf eine einzelne - isoliert betrachtet - nicht allzuschwere Belastung, kann den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügt werden, zieht man die heute bereits oft nur geringen wettbewerblich bedingten Kalkulationsmargen in Betracht. Maßstab darf auch nicht der „außerordentlich tüchtige" Unternehmer sein - damit würde man sich wiederum von der Durchschnittsbetrachtung (oben 2) entfernen. d) Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich zur Judikatur des BVerfG über die Unternehmerinitiative: Die Belastung durch das Investitionshilfegesetz wurde mit der Begründung gerechtfertigt, „trotz dieser Beschränkung bleibt noch den Betroffenen weiter Spielraum, um sich als verantwortliche Unternehmer wirtschaftlich frei zu entfalten" (Herv. v. Verf.) 8 1 . In ständiger Rechtsprechung hat sodann das Gericht die Formel geprägt, eine Abgabe verletze dann den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG nicht, „wenn den Betroffenen ein angemessener Spielraum bleibe, sich wirtschaftlich frei zu entfalten. Dieser Spielraum ist gegeben, soweit die Abgabenbelastung verhältnismäßig i s t . " 8 2 . Dieser Bereich der Dispositionsfreiheit wird auch als „Kern der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit" bezeichnet 83 . Das Gericht stellt daher - folgerichtig - fest: „ E i n angemessener Spielraum zur Entfaltung von Unternehmerinitiative ist unantastbar" 84 . Die demnach festzustellende „Verhältnismäßigkeit" wird jeweils nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelt, mit Schwerpunkt zunächst auf dem Nachweis, daß es ein weniger belastendes Mittel zur Zielerreichung nicht gebe. Dabei kann allerdings der Gesetzgeber unschwer die Zwecke so bestimmen, daß sie nur über derartige Belastungen zu erreichen sind, indem er eben die Form der Zielerreichung, damit aber die Belastung selbst, gleich in die Zwecke mit hineinnimmt. Derartiges wird ständig i m Bereich der Sozialversicherung versucht und soll dann eben auch die hohen PZK rechtfertigen 85 : Die Arbeitnehmer könnten nur oder gerade auf diese Weise ausreichend gesichert werden. Soweit die PZK nicht in einer Weise erhoben und gesteigert werden, die geradezu dem Wesen der Sozialversicherung widerspricht (dazu i m folgenden C), läßt sich dann eine überzeugen81 BVerfGE 82 BVerfGE 245). 83 BVerfGE 84 BVerfGE

4, S. 7(16). 12, S. 341 (347 f.); 48, S. 102 (115 f.); 75, S. 108 (154); 78, S. 232 (244/ 78, S. 232 (246). 65, S. 196 (210); unter Hinw. auf E 50, S. 290 (366) m. weit. Nachw.

85 Zur Rechtsprechung des BVerfG in diesem Zusammenhang vgl. Maschmann, F., SGb 1991, S. 300 (305).

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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de Belastungsalternative kaum noch aufzeigen, damit aber auch kein „milderes Mittel 4 '. e) Der Schwerpunkt der Problematik der „ verhältnismäßigen Belastung " verlagert sich also auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, die Zumutbarkeit. Hier begnügt sich das Gericht jedoch in neuerer Zeit mit der Feststellung einer bestimmten Abgabenbelastung nach ihrer Größenordnung, j a nach ihrer isoliert betrachteten Höhe, welche die Unternehmer nicht allzuschwer belaste 86 . Zunächst ist es an sich schon nicht unproblematisch, wieder einmal den Begriff der Verhältnismäßigkeit einzusetzen, der mehr und mehr zu einer inhaltslosen A l lerweltsformel verkommt, welche klare Entscheidungen überflüssig macht. Wie soll auch hier eine Verhältnismäßigkeit zwischen völlig Unvergleichbarem festgestellt werden: auf der einen Seite der grundrechtlich gesicherten Wirtschaftsfreiheit, bis hin zum Untergang ganzer Branchen, - auf der anderen Seite einer großen sozialen Vision vom möglichst vollständig zu sichernden Arbeitnehmer. Vor allem aber setzt Verhältnismäßigkeit Abwägbarkeit voraus. Hier aber geht es, jedenfalls auf der Seite der Unternehmer, um absolute Werte, die nur entweder zu sichern sind - oder eben nicht: die wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens. Gerade den für die Verhältnismäßigkeitsabwägung typischen „Mittelwert" kann es hier kaum geben. Jedenfalls sind aber nun die oben a bis d entwickelten Grundsätze zu beachten, soll die Verhältnismäßigkeit gegenwärtig hoher und ständig ansteigender PZK beurteilt werden. Ein derartiger Sachverhalt ist bisher noch nicht auf seine Verfassungsmäßigkeit untersucht worden. Diese wird ja nicht etwa (nur) wegen einer bestimmten, isoliert zu betrachtenden Mehrbelastung in Zweifel gezogen, die ihrerseits dann wiederum „absehbar konstant" bliebe. Vielmehr geht es um einen dynamischen Erhöhungsprozeß von Abgaben in kleinen Schritten; jeder dieser Schritte kann sicher, isoliert betrachtet, nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Wohl aber sprechen bereits erhebliche Anzeichen dafür, daß die Summation (oder Integration) dieser Schritte spätestens in absehbarer Zeit zu unerträglichen Belastungen für ganze Branchen führen wird (vgl. dazu unten VI). Das BVerfG wird sich dann aufgerufen sehen, über einen Begriff der „dynamischen Belastung" zu urteilen, die sich sowohl aus der Steigerungsdynamik der PZK als auch, andererseits, aus einer sich verschärfenden Wettbewerbslage ergibt. Wenn das Gericht nicht an den eigentlichen und den heute typischen Problemen des Wirtschaftsverfassungsrechts, in herkömmlich-statischer Betrachtung, vorbeigehen will, so muß es sich dieser Herausforderung stellen; einer Entscheidung über die Steigerungsdynamik der PZK kann es auf Dauer nicht ausweichen. Das BVerfG kann diese Problematik insbesondere nicht unter globalem Hinweis auf seine bisherigen Entscheidungsformeln, von einer hinreichend weiten unternehmeri-

86 So zur monatlichen Beitragsbelastung der Nebenerwerbslandwirte aus der Sozialversicherung BVerfGE 78, S. 232 (246); zur Künstlersozialabgabe E 75, S. 108 (154 f.).

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

sehen Dispositionsbefugnis, zur Kenntnis nehmen.

bewältigen. Die Verfassungsjudikatur

muß den Markt

Eines jedenfalls steht fest: Globalhinweise auf Unternehmerinitiative rechtfertigen die PZK schon heute nicht, noch weniger auf Dauer.

Ergebnis Das GG sichert die unternehmerische Dispositionsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Erst wenn sie hoheitliche Belastungen nicht zur Erträglichkeit mildern kann, verletzen diese die Verfassung. Allerdings darf diese unternehmerische Reaktionsfreiheit nicht als solche zur Rechtfertigung einer Belastung dienen - Legitimation von Hoheitszwang durch Freiheit gibt es nicht; hier muß vielmehr die Wechselwirkungslehre des BVerfG gelten. Vor allem aber wird das Reaktionspotential der Unternehmer, etwa auf steigende PZK, nicht vom Gesetzgeber, sondern vom Markt bestimmt. Der belastende Gesetzgeber kann also nicht festlegen, was den Unternehmen an Reaktionsmöglichkeiten zuzumuten ist. Daher darf auch nicht blanketthaft auf eine Eigeninitiative verwiesen werden, welche die Belastungen schon erträglich machen werde. Nach dem BVerfG ist ein „angemessener Spielraum" unternehmerischer Eigeninitiative unbedingt zu achten; er ist, nach dem BVerfG, in VerhältnismäßigkeitsBetrachtung zu bestimmen. Abgesehen von erheblichen Bedenken gegen den Einsatz dieses Begriffs hier, wo es kaum etwas abzuwägen gibt und wo sich unvergleichbare Größen gegenüberstehen - die Erforderlichkeit kann allerdings die Gesetzgebung meist selbst bestimmen, durch Festlegung der Ziele. Daher ist bei der Zumutbarkeit anzusetzen, insbesondere i m Fall der PZK. Hier kann nicht nach den bisher in der Verfassungsjudikatur zugrundegelegten Kriterien allein entschieden werden, ob eine bestimmte (zusätzliche) Belastung, isoliert betrachtet, noch für die Unternehmen erträglich ist. Vielmehr wird über eine dynamisch verlaufende Steigerungsentfaltung zu urteilen sein, in Zusammenschau mit einer ebenso dynamisch verlaufenden Marktentwicklung. Das BVerfG wird hier also gegebenenfalls neue Kriterien entfalten müssen. Globalhinweise auf Unternehmerinitiative oder - absolut gesehen - geringere Belastungssteigerungen genügen jedenfalls nicht. Außergewöhnliche Unternehmeranstrengungen dürfen nicht verlangt, vor allem aber muß der Markt in der Verfassungsjudikatur stets zur Kenntnis genommen werden.

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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4. Die Bedeutung des Marktes die Abwälzung(smöglichkeit) hoheitlicher Lasten a) Die Bedeutung des Markts, der jeweiligen Marktlage, ist in der bisherigen Verfassungsdoktrin, insbesondere in der Verfassungsrechtsprechung, noch längst nicht hinreichend zur Kenntnis genommen worden, insbesondere nicht bei der Beurteilung der Erträglichkeit gesetzlich auferlegter Lasten wie der PZK. Hier ist das Staatsrecht nicht ausreichend mit der Ökonomie abgestimmt. Für wirtschaftswissenschaftliche Betrachtung ist es selbstverständlich, daß in erster Linie der Markt über die Erträglichkeit von betrieblichen Belastungen entscheidet. Dies gilt vor allem für administrierte Belastungen, denen daher die liberale Nationalökonomie zunehmend skeptisch gegenübersteht. Eine entsprechende Entwicklung hat sich i m wirtschaftspolitischen Bewußtsein der Allgemeinheit vollzogen: Die - überaus wichtige - Unternehmerinitiative kann den Markt ausnützen, nicht aber gegen ihn agieren. M i t der rasch zunehmenden Globalisierung der Märkte nimmt überdies die Möglichkeit einzelunternehmerischer Marktbeeinflussung ständig ab. Vor allem aber gilt: „Gewinn" ist nicht etwa wesentlich unternehmerische Dispositionsmasse, die stets zur Verfügung stünde und auf ihre Belastbarkeit vom Gesetzgeber getestet werden dürfte; Gewinn ist vielmehr das zu Erwirtschaftende in der (jeweiligen) Marktsituation, auf welche der Gesetzgeber Rücksicht nehmen muß, w i l l er nicht die Grundlage wirtschaftlicher Freiheit zerstören. In der Rechtsprechung des BVerfG aber halten sich noch immer Vorstellungen einer Art von „vormarktwirtschaftlicher" Betrachtung, welche den „Unternehmergewinn" vom Markt isoliert zu erfassen versuchen. Dann kann kurzerhand vom Unternehmer erwartet werden, „Gewinnminderungen" eben hinzunehmen; „eine allgemeine Pflicht des Gesetzgebers, die Adressaten öffentlicher Lasten vor Rentabilitätsminderungen zu schützen, läßt sich dem Verfassungsrecht nicht entnehm e n . " 8 7 Dies liegt auf der - ebenfalls einseitigen, weil allzu apodiktischen - Linie einer Rechtsprechung, welche künftige Verdienste wie Verdienstmöglichkeiten völlig aus dem Eigentumsschutz ausklammern w i l l 8 8 - in scharfem Gegensatz zu ökonomischer Betrachtung, welche den voraussichtlichen, unter normalen Umständen zu erzielenden Gewinn ganz selbstverständlich zur Wertermittlung, etwa bei der Kaufpreisbildung, heranzieht. Das Staatsrecht dagegen w i l l das Eigentum von seinem Wert abkoppeln - das Unternehmen damit vom Markt. b) Wie bereits dargelegt (vgl. oben 3), kann jedoch eine sachgerechte Beurteilung der gesetzlichen PZK und ihrer verfassungsrechtlichen Belastungsgrenzen nur Platz greifen, wenn die jeweilige, die sich entwickelnde Marktsituation mit ein-

87 BVerfGE 30, S. 292 (313/314, 325). Diese Entscheidung erging übrigens Anfang 1971, gerade zu jener Zeit, in welcher eine neu an die Macht gekommene politische Richtung damit umging, „die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen." 88 Std. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 28, S. 119 (142 m. RV); 30, S. 292 (335); 45, S. 272 (296); 65, S. 196 (209); 68, S. 193 (222) usw. 4 Leisner

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

bezogen wird. M i t anderen Worten: Solche Belastungen, welche ja für längere Zeiträume auferlegt werden, müssen einen „Sicherheitsabstand der Markterträglichkeit" einkalkulieren, der es auch bei zu erwartenden Marktschwankungen ausschließt, daß die Rentabilität des Durchschnitts der Betriebe gefährdet wird. Entscheidend wird es dabei darauf ankommen, inwieweit die Unternehmer die ihnen hoheitlich auferlegten Belastungen ab-, insbesondere auf ihre Kunden überwälzen können. Gerade für PZK-wirksame Belastungen ist ökonomisch die Voroder Rückwälzungsmöglichkeit schlechthin entscheidend 89 . Sollte es sich dagegen für die Unternehmer nur um „durchlaufende Posten" handeln, so wäre dies grundrechtlich unbeachtlich 9 0 . Ob und inwieweit hier tatsächlich abgewälzt werden kann, läßt sich nur aufgrund von branchenspezifischen, von eingehenden ökonomischen Einzeluntersuchungen feststellen. Feststehen dürfte, daß ein sich intensivierender, insbesondere ein internationaler, Wettbewerb dem jedenfalls (immer) enge(re) Schranken zieht. Rechtlich entscheidend ist jedoch, welche juristischen Kategorien hinsichtlich der „Lastenerleichterung durch Abwälzung" eingesetzt werden, ob damit dem „ M a r k t " Rechnung getragen werden kann; denn es liegt die Gefahr nahe, daß durch pauschale Formeln über eine „ja mögliche Abwälzung" das eigentliche Problem der gesetzlichen Lasten - abgewälzt wird, vom Staat auf die Unternehmen. c) Das Schrifttum ergeht sich hier in recht allgemeinen Wendungen, soweit ersichtlich, ohne das Problem hinreichend zu vertiefen, wie etwa: Würden alle Unternehmer gleich hoch belastet, so könne auch die Überwälzung einer hohen Steuer gelingen 9 1 . Für Abgabenbelastungen wie die PZK setzt dies allerdings nicht nur voraus, daß die Lohnkostenintensität zwischen konkurrierenden Unternehmen (annähernd) die gleiche ist, sondern, und vor allem, daß kein internationaler, insbesondere „grenzüberschreitender innereuropäischer" Wettbewerb stattfindet. Das PZKProblem läßt sich daher mit solchen vereinfachenden Grundsätzen nicht lösen. Überdies steht dem die ebenfalls allgemeine, aber zutreffende, Erkenntnis entgegen, daß solche Belastungen dann zu höheren Preisen führen 9 2 , jedoch nicht sicher ist, ob der Markt diese akzeptiert, oder vielmehr auf andere Bedürfnisse oder andersartige Formen der Bedürfnisbefriedigung ausweicht. Der Rechtsprechung der Fachgerichte war auch früher die Bedeutung der Abwälzung in diesem Zusammenhang durchaus bewußt 9 3 . Das BVerfG geht an die Frage der Überwälzbarkeit nur gelegentlich, aber meist recht unbefangen-pauschalierend heran. So heißt es u. a., eine „kalkulatorische Überwälzung" könne zur Rechtfertigung einer Belastung genügen, wenn der Unternehmer diese nämlich als

89 Vgl. Schmähl, W., DRV 1993, S. 358 (371). 90 Simon, G., Arbeit und Sozialpolitik 1-2/93, S. 7 (8). 91 Tipke (Fn. 49), S. 441. 92 Siehe in diesem Sinn bereits Ipsen, H.P., AöR 90 (1965), S. 393 (436). 93 Vgl. etwa BVerwGE 6, S. 247 (270).

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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Posten seiner Selbstkosten behandle; dann könne er die geeigneten Maßnahmen treffen, um die Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens zu sichern (Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten) 9 4 . Dabei wird jedoch das Abwälzungsproblem - und damit die Marktlage - ignoriert, auf die Abwälzbarkeit kommt nichts mehr an. Es wird einfach unterstellt, daß der Unternehmer durch betriebswirtschaftliche Maßnahmen die Belastungen erträglich gestalten könne; dies lenkt zu der bereits abgelehnten These zurück, solche Belastungen könnten eben durch Unternehmerinitiative entschärft werden - was aber erat demonstrandum - also ein glatter Zirkelschluß 9 5 . Ebenso marktblind ist die Behauptung, eine (kalkulatorische) Überwälzbarkeit sei selbst dann ausreichend gegeben, wenn die belastete Aktivität überhaupt noch Gewinn abwerfe 9 6 - es fragt sich doch, ob dieser Gewinn nach der typischen Unternehmens- und der Marktlage genügen kann, um auf Dauer Unrentabilität zu verhindern. Schlechthin abwegig ist die in früheren Entscheidungen mehrfach getroffene Feststellung 97 , Abwälzung auf den Preis sei ein wirtschaftlicher Vorgang, es hänge letztlich von der Marktlage ab, ob die Überwälzung gelinge. Mehr als die durch Gesetz nicht gehinderte Möglichkeit der Steuerüberwälzung sei nicht zu fordern. Das wird dann noch dahin präzisiert 9 8 , daß es dabei auf die Marktlage überhaupt nicht ankomme. „Die situationsbedingte und prinzipiell variable Marktlage ist kein geeignetes Kriterium für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes. Rechtliche Hindernisse für eine Abwälzung der Bevorratungskosten enthält das Gesetz jedenfalls nicht." Dies müßte dazu führen, daß die Marktlage als solche unbeachtlich wäre. Auch wenn sie eindeutig und evident keinerlei Abwälzung gestatten sollte, wäre jede Kostenbelastung der gewerblichen Wirtschaft zulässig, solange nur eine - auch eine wirtschaftlich gesehen gar nicht mögliche - Abwälzung nicht gesetzlich unterbunden würde. Weiter läßt sich die Markt-, ja Ökonomieblindheit nicht treiben. Kaum ein Belastungsgesetz wird Abwälzung untersagen. Die Akte über Belastungsgrenzen der gewerblichen Wirtschaft wäre dann zu schließen. Das BVerfG hat allerdings derartige unhaltbare Formulierungen, soweit ersichtlich, später nicht mehr gebraucht. Es beschränkt sich darauf, die Abwälzung als Maßnahme zu erwähnen, die i m Bereich der Unternehmerinitiative getroffen werden könne und „möglicherweise" die Belastung der Unternehmen mindere 9 9 ; doch auch hierbei w i l l es wohl offenlassen, was denn der Markt dem Unternehmer gestatte.

94 95 96 9v 98 99 4*

BVerfGE 31, S. 8 (20); vgl. auch E 14, S. 76 (96). Kritisch dazu auch Scholz/Aulehner, BB 1991, S. 73 (75/76). Vgl. Fn. 94. BVerfGE 14, S. 76 (95 ff.); 27, S. 375 (384). BVerfGE 30, S. 292 (326). BVerfG DVB1. 1987, S. 945.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

Daß es für die Beurteilung einer Abgabe von Bedeutung sein muß, ob der Gesetzgeber selbst von deren Abwälzbarkeit ausgeht 1 0 0 , dies also ausdrücklich zum Bestandteil seines Abgabensystems erhebt 1 0 1 , liegt auf der Hand. Doch umgekehrt darf bei der Auferlegung von Lasten, wie etwa der PZK, nicht dahingestellt bleiben, ob Abwälzung möglich sein wird, wenn sie andernfalls unerträglich zu werden drohen.

5. Fazit: Die Verfassung - eine faßbare Schranke für belastende Abgaben Allgemein ist vielmehr zu fordern: Abgaben (wie auch die PZK) darf der Gesetzgeber nicht „marktblind 4 ' auferlegen. Wäre dies zulässig, so könnten in der Tat Verfassungsgrenzen der Unternehmensbelastung wohl nie erreicht werden; denn die Marktgegebenheiten sind es doch in aller Regel, welche eine Belastung erst unerträglich werden lassen, eine abwälzbare Last aber ist keine Belastung mehr. Gesetzgeber und Verfassungsgericht werden sich Gedanken über Belastungsgrenzen immer häufiger machen müssen, vor allem zur Höhe der PZK. Wenn sie dabei „am Markt vorbei" entscheiden, diesen als unvorhersehbar-variable Größe abtun, gibt es überhaupt keinen wirtschaftlichen Grundrechtsschutz mehr. Dann entfernt sich eine marktabgehobene Gesetzgebung entscheidend von der Wirklichkeit. Demgegenüber ist, als Ergebnis dieses Abschnitts, festzustellen: Verfassungsschranken für Belastungen wie die PZK gibt es> sie sind „ nicht nur theoretisch können vielmehr erreicht und überschritten werden, auch i m Falle der PZK. Dies ist der Fall, wenn - Unrentabilität für den Durchschnitt einer Branche ernstlich droht, - dies nicht durch normal-durchschnittliche Unternehmerinitiative verändert werden kann, - weil insbesondere der Markt jede Weitergabe der Belastung verhindert, - wobei es nicht nur auf einzelne Belastungen, sondern auch auf globale, in ihrer Dynamik zu betrachtende Entwicklungen ankommt. Was die PZK anlangt, so zeigt eine solche Betrachtung, daß ernst zu nehmende Anzeichen für ein erhebliches Verfassungsrisiko sprechen, wenn sich die Markt-, insbesondere die Wettbewerbslage weiterhin so entwickelt wie in den letzten Jahren.

100 Wie etwa beim Kohlepfennig, BVerfGE 91, S. 186 (209). ι 0 1 Dann wäre eine abweichende Feststellung unter Umständen eine Systemwidrigkeit, vgl. dazu BVerfGE 59, S. 36 (49) m. Nachw.; 66, S. 214 (223/224).

III. Problematik einer Feststellung des Überschreitens

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Ergebnis Das Verfassungsrecht hat das Gewicht des Marktes bei der Bestimmung der Belastungsgrenzen nicht hinreichend erkannt, es fehlt hier die erforderliche Abstimmung mit einer Ökonomie, welche heute, ebenso wie das allgemeine Bewußtsein, die zentrale Bedeutung des Marktes klar erfaßt hat. Behauptungen, daß etwa Unternehmer eben „Gewinnminderungen hinzunehmen" hätten, oder daß Gewinnchancen keinen Verfassungsschutz genössen - obwohl der Markt sie wertmäßig honoriert - entspringen vormarktwirtschaftlichem Denken. Vielmehr muß bei der hoheitlichen Auferlegung von Lasten stets die Marktsituation in ihrer Entwicklung gesehen, von Gesetzgeber und Verfassungsrechtsprechung mit einbezogen werden. Deshalb ist dabei sorgfältig zu prüfen, ob diese Lasten - auch die PZK - über Preise abgewälzt werden können. Schrifttum und Judikatur zur Abwälzungsfrage zeigen jedoch, daß weithin noch ein „marktblindes" Denken vorherrscht. So soll es etwa zur Belastungslegitimation genügen, wenn der Gesetzgeber Abwälzung nicht rechtlich verhindert. Entscheidend ist aber, und vom Gesetzgeber prognostisch zu ermitteln, ob Abwälzung möglich ist. Ob die PZKBelastung bei weiterem Anwachsen marktmäßig noch getragen werden kann, erscheint bei zunehmender Wettbewerbsverschärfung zweifelhaft. Die Verfassung zieht also, bei richtiger Betrachtung, faßbare Grenzen hoheitlicher Belastungen, wenn insbesondere die Marktlage einbezogen wird. I m übrigen kommt es eben auf die branchendurchschnittlichen Auswirkungen an, wobei die globale Entwicklungsdynamik der Belastung(en) zu berücksichtigen ist.

6. Marktöffnung und Realitätsbezug in der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gerade bei den Steuern, welche weitgehend zu den PZK analogiefähig sind, hat das BVerfG in neuerer, insbesondere aber in jüngster Zeit eine deutliche Wende vollzogen: Die Notwendigkeit des Realitätsbezugs wurde bei den Steuerbemessungsgrundlagen schon seit einiger Zeit betont 1 0 2 . Die verfassungsrechtliche Grundlage dafür ist das Gebot der Verwirklichung rechtlicher und tatsächlicher Gleichbelastung 1 0 3 . Nun hat das BVerfG in den Einheitswertbeschlüssen 104 ausgesprochen: „Die Bemessungsgrundlage muß . . . die Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden." Damit wird diese Realitätsöffnung zur prinzipiellen Grundlage eines weittragenden Verdikts - der Aufhebung zeitferner, damit aber eben auch realitätsferner Einheits102 Vgl. etwa BVerfGE 61, S. 319 (346); 66, S. 214 (233); 67, S. 290 (297); 82, S. 60 (88). 103 So das Zinsbesteuerungsurteil, BVerfGE 84, S. 239 (268, 271). 104 BVerfG NJW 1995, S. 2615 (VermSt) u. S. 2624 (ErbSt).

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. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

werte. A n den Gesetzgeber richtet sich also das klare Verbot marktblinder Besteuerung; denn auf den Märkten bilden sich gerade die durch Abgaben zu belastenden Werte. Deshalb darf der Gesetzgeber auch nicht tatenlos zusehen, wenn Steuerpflichtige durch die „Realität Inflation" in eine verschärfte Steuerprogression hineinwachsen 1 0 5 . A u f das Vorliegen einer „Lenkungsabgabe" 1 0 6 darf sich die Legislative nicht berufen, wenn sie schwerere Belastungen „einfach nur geschehen läßt", ohne zu dieser Realität Stellung zu nehmen, sie in ihren Willen aufzunehmen 1 0 7 . Vielmehr muß der Lenkungswille stets deutlich erkennbar, die Tatbestände, von deren abgabenrechtlicher Belastung die Lenkung ausgehen soll, müssen klar normativ umrissen sein. b) Die erwähnten Einheitswert-Beschlüsse haben, über bisherige Ansätze weit hinaus, eine entschiedene und entscheidende „Realitätswende" und eine ebenso klare „Marktöffnung " der Abgabengewalt zur Pflicht gemacht. Diese Aussage zu den eigentumsbelastenden Steuern muß auch für den Gesamtbereich der Sozialabgaben i.w.S., damit vor allem für die gesetzlichen PZK gelten. Denn das BVerfG führt dort - im ErbSt-Beschluß - aus: Der Gesetzgeber muß berücksichtigen, „daß die Existenz von bestimmten Betrieben - namentlich von mittelständischen Unternehmen - durch die zusätzlichen Belastungen dieser Steuer gefährdet werden kann." Diese Betriebe sind zu verschonen, weil und soweit sie „ i n besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet sind". Dies zeige sich vor allem in ihren Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern. Damit ist ausdrücklich die Einbeziehung der Sozialversicherungsbelastung, ja wohl der gesamten PZK, in die Gesamtbelastungsbetrachtung (vgl. näher unten V I ) gefordert. Gerade die PZK wachsen, infolge von tatsächlichen, wesentlich marktgesteuerten Entwicklungen, ständig an, ohne daß der Gesetzgeber jeweils eine deutliche sozialpolitische Lenkungsentscheidung trifft. A u f sozialpolitische Lenkung der PZK darf sich die Staatsgewalt also schlechthin nicht berufen. Vielmehr muß sie erkennen, was sich in der Realität hier vollzieht: eine ständig zunehmende Belastung, die zu „ganz anderen PZK ( < als früher geführt hat. Diese wachsen ebenso sicher in die Verfassungswidrigkeit hinein, wie dies bei den Einheitswerten des Grundvermögens der Fall war. Daß dem Gesetzgeber die (politische) Kraft fehlt, diesem „Automatismus der Realitätsentfernung" entgegenzutreten, ja sich mit ihm auch nur näher zu befassen, rechtfertigt seine Untätigkeit ebensowenig wie im Bereich der Einheitswert-Besteuerung. Nicht legitimieren kann ihn schließlich die Tatsache, daß die steigenden PZK praktisch alle Gewerbetreibenden annähernd - wenn auch wohl kaum vollständig - gleichmäßig belasten. Selbst wenn insoweit eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ausschiede (vgl. dazu näher unten V, 1), so wäre doch eine solche des Eigen105 Krit. dazu Maunz/Dürig 106

(Papier), Art. 14 GG, Rdnr. 182.

Vgl. dazu den Überblick bei Arndt, H. W., Lenkung durch Steuern, hg. v. Fröhler, WiVerw 1990/1, S. 1 ff. 107 Siehe Fn. 104.

IV. Faßbare Belastungsgrenzen aus der Verfassung

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tumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) gegeben, infolge übermäßigen Zugriffs auf die Erträge gewerblicher Tätigkeit (dazu unten V, 3). Die Untätigkeit des Gesetzgebers gegenüber den steigenden PZK gerät also, nach der neuesten Rechtsprechung des obersten Gerichts, in eine Zone hohen Verfassungsrisikos, infolge fehlenden Realitätsbezugs.

Ergebnis I m Steuerrecht verlangt das BVerfG in seiner neueren Rechtsprechung eine realitätsbezogene Gestaltung der Besteuerung, da eben auch die „tatsächliche" Gleichbelastung zu sichern sei. In den neuesten Grundsatzentscheidungen zu den Einheitswerten werden zeitferne, unrealistische Bemessungsgrundlagen aufgehoben. Daraus ergibt sich klar das Verfassungsverbot marktblinder Abgabenbelastung. Es gilt auch für die gesetzlichen PZK. Denn auch sie sind bei der notwendigen Beobachtung der Gesamtbelastung mit Abgaben einzubeziehen, wie der ErbSt-Beschluß ausdrücklich feststellt. Ebensowenig wie bei den Einheitswerten kann sich der Gesetzgeber auf sozialpolitische „Abgabenlenkung" berufen, wenn er untätig bleibt gegenüber dem kontinuierlichen Anstieg der PZK. Nach der neuesten Rechtsprechung des obersten Gerichts bewegt sich also der PZK-Gesetzgeber bereits in einer Zone hohen Verfassungsrisikos.

IV. Faßbare Belastungsgrenzen aus der Verfassung eine Notwendigkeit gerade in der wirtschaftsneutralen parlamentarischen Demokratie 1. Die parlamentarische Demokratie - Staatsform der hoheitlichen Belastungsdynamik Die Belastungsgefahr, gegen welche nur die Verfassung schützen kann, kommt für die Unternehmen nicht aus einer oft übervorsichtig-einzelentscheidenden Verfassungsjudikatur. Gesetzgeberische Dynamik, bis hin zum Sozialaktionismus, ist vielmehr die eigentliche Ursache insbesondere der ständig anwachsenden PZK-Belastung. Das Parlament als Vertreter des rechtlich (fast) allmächtigen Volkssouveräns glaubt nicht selten, sich mit seinen Normen über die Wirklichkeit, vor allem auch über den Markt hinwegsetzen zu können. Der von ihm repräsentierte „Allgemeine W i l l e " tritt dann über Realität und Markt. So hatte es jener Kommunismus getrieben, der sich j a auch „demokratisch" nannte.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

Doch auch in westlichen Demokratien steht i m Raum die furchtbare Maxime: „The power to tax involves the power to destroy 4 ' 1 0 8 . Dem mag man die vage Hoffnung entgegensetzen, die in demokratischer Freiheit gewählten Volksvertreter würden schon nicht ihre eigenen Staatsgrundlagen zerstören, daher ergebe sich daraus „keine wirkliche Gefahr für den freiheitlichen Rechtsstaat i m allgemeinen und für das Privateigentum i m besonderen 4 ' 109 . Diese Hoffnung ist eine rein faktisch-politische, mit rechtlichen Grenzen hat sie nichts zu tun. Begründet werden könnte sie nur mit einer radikaldemokratischen Ideologie, welche als Glaubenssatz aufstellt, daß die Gewählten des Volkes nicht freiheitsgefährdend handeln werden, und wenn sie ihren Bürgern und Unternehmen noch soviel an Belastung auferlegen 1 1 0 . Das reduziert dann die Bedeutung der Verfassung auf den Satz: „ N o taxation without representation". A n die Stelle „unverrückbar festgeschriebener Maximaltarife" sei „die formale Begrenzung der staatlichen Besteuerungsgewalt durch das Prinzip der parlamentarischen Mehrheitsentscheidung getreten" 1 1 1 . Dies kann jedoch nicht bis zu einer grundsätzlichen Ablehnung von Verfassungsschranken für die Abgabengewalt führen, sie widerspräche eindeutig dem GG. Träfe es zu, so wäre die Freiheit der Bürger völlig der jeweiligen - einfachen - Parlamentsmehrheit ausgeliefert. Einer Verfassung, eines Grundrechtsschutzes bedürfte es nicht mehr. Grundrechtskatalog und Verfassungsgerichtsbarkeit könnten abgeschafft werden. Vielmehr gilt das gerade Gegenteil: Eben die soziale Belastungsdynamik, welche von einer Volksvertretung ausgeht, die sich immer zuallererst den Interessen der Arbeitnehmer, der großen Mehrheit ihrer Wähler, verpflichtet sehen wird, fordert festen, unbedingten Schutz der „wirtschaftlichen Minderheit 44 , der Unternehmer, gegen ausufernde gesetzliche PZK. Jean-Jaques Rousseau, der große Theoretiker der Volkssouveränität, hat den Satz aufgestellt, der in der Mehrheitsentscheidung zum Ausdruck kommende „Allgemeine Wille 4 4 sei eben auch der der unterlegenen Minderheit. Gerade die vorliegende Problematik gibt Anlaß, dies durch eine Sicht der „anderen Seite dieser Medaille" zu ergänzen: Die Interessen der Mehrheit (der Arbeitnehmer), vor allem an wohlbezahlten, weil produktiven, Arbeitsplätzen, werden durch einen sinnvollen Schutz der Minderheit (der Unternehmer) gegen sozialgestaltende, umverteilende politische Parlamentsdynamik gewahrt. Eine solche Belastungsdynamik hat denn auch das BVerfG nie global gerechtfertigt, geschweige denn dem Gesetzgeber zur Pflicht gemacht.

•08 Chief Justice John Marshall, zit. bei Tipke (Fn. 49), S. 454. 109 So Tipke, aaO. no Dies entspricht der Auffassung des Verfassungsrichters Böckenförde, der aber mit seiner abweichenden Meinung zu den Einheitswertbeschlüssen des BVerfG isoliert geblieben ist (vgl. Fn. 104), die immerhin mit 7:1 Stimmen ergangen sind, m So Mußgnug, R., JZ 1991, S. 993 (994/995).

IV. Faßbare Belastungsgrenzen aus der Verfassung

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2. Keine WirtschaftsverfassUng im GG aber wirtschaftlicher Freiheitsschutz - „Wirtschaftsfreiheit" a) Gegenüber Bestrebungen, dem Gesetzgeber Belastungsschranken für Abgaben entgegenzusetzen 112 , wird herkömmlich geltend gemacht, damit werde die „wirtschaftspolitische Neutralität" des GG beeinträchtigt, welches nach dem BVerfG aber eine bestimmte „Wirtschaftsverfassung" nicht habe bringen woll e n 1 1 3 . Dies ist jedoch keineswegs als eine Legitimation grenzenlosen Abgabenbeliebens des Gesetzgebers zu verstehen. Abgelehnt werden sollte vielmehr nur die verfassungsrechtliche Zementierung eines bestimmten (nationalökonomischen) Wirtschaftssystems, etwa der „sozialen Marktwirtschaft" 1 1 4 . Auch eine Festlegung des Staates auf eine dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechende Ausgabenpolitik kann aus diesem Grunde wohl kaum gefordert werden 1 1 5 , denn angesichts des juristisch nicht eindeutigen, nur aus wirtschaftswissenschaftlichen Modellvorstellungen zu entwickelnden Begriffs einer solchen „Wirtschaftlichkeit" müßte auch dies auf eine „systematische Bindung" des Gesetzgebers hinauslaufen. Er wäre nicht nur in der Höhe der Belastung gebunden, sondern auch noch in der Verwendung von deren Ergebnissen. A n der Festlegung von Belastungsgrenzen für den Gesetzgeber kann dieses „Systemverbot" schon deshalb nichts ändern, weil es die Staatsgewalt j a gerade nicht in eine bestimmte Gesamtordnung hineinzwingt; sie darf nur gewisse dirigierende Vorgaben nicht normativ setzen, i m übrigen ist sie in der Gestaltung ihrer Wirtschaftspolitik frei, insbesondere in der Art der Belastungsgestaltung, in deren Lenkungseinsatz, in der Verwendung der aufkommenden Mittel. Allenfalls kann sich aus verfassungsrechtlichen Belastungsgrenzen ein an den Gesetzgeber gerichtetes Verbot ergeben, ein bestimmtes (etwa kommunistisches) Wirtschaftssystem zu verwirklichen. Doch dies bedeutet noch längst nicht die positive Entscheidung für ein bestimmtes ökonomisches System; nur eine solche aber ist ausgeschlossen. b) Insbesondere ist die Achtung wirtschaftlicher Grundrechte mit der „wirtschaftspolitischen Neutralität des G G " nicht nur nicht unvereinbar, sie wird gerade dadurch gewährleistet; denn einerseits verlegt diese die Gestaltung der Wirtschaftsverfassung weithin in die Entscheidung der privaten Wirtschaftsakteure, bringt damit aber gerade die vom GG gewünschte „offene" Wirtschaftsverfassung 1 1 6 . Zum anderen wirken diese Freiheitsrechte eben wesentlich nur punktu112

Nachw. etwa bei Kimminich, BK, Art. 14 GG, Rdnr. 62; Papier, Maunz/Dürig, Art. 14 GG, Rdnr. 168. 113 Vgl. BVerfGE 4, S. 7 (13 f.), weit. Nachw. zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung und der dieser folgenden h. L. im Schrifttum Stern, K., Das Staatsrecht der BRD, III/ 1, 1988, S. 883; BreuerR., Hdb. d. Staatsr., VI, 1989, S. 893/894. 114 Siehe eingehende Nachw. bei Stern (Fn. 113), S. 881 ff. us Mit beachtlichen Gründen vertreten von von Arnim, H. H., VVDStRL 39 (1981), S. 310 ff. 116 Vgl. dazu Breuer (Fn. 113), Rdnr. 19.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

ell ni\ ein „System", eine „normative Wirtschaftsverfassung" können sie schon deshalb gar nicht hervorbringen 1 1 8 . Für die Wirtschaftsordnung des G G 1 1 9 bedeuten aber diese wirtschaftlichen Grundrechte doch auch grundsätzlich-systematisch Wesentliches: Eine grundgesetz-konforme Wirtschaftsordnung ist keine tabula rasa, die Verfassung gewährt nicht nur einzelne Abwehrrechte, sondern sie bietet wertentscheidende Grundsatzn o r m e n 1 2 0 , auch für den ökonomischen Bereich. Weil stets hier das GG zu beachten ist, zwingen diese Grundrechte zur Annahme einer „gemischten Wirtschaftsverfassung" 1 2 1 . Später wurde i m selben Sinne festgestellt, es sei ein „institutioneller Zusammenhang der Wirtschaftsverfassung" anzunehmen 1 2 2 . Von einem Gleichklang der wirtschaftspolitischen Aussagen des GG „ m i t der freiheitlichen politischen Ordnung" sei auszugehen 123 . Neutralität des Die heute eindeutig h.L. versteht also die „ wirtschaftspolitische GG " im Sinne einer von der Verfassung vorgegebenen freiheitlichen Wirtschaftsordnung. M i t ihr sind verfassungsrechtliche Belastungsgrenzen für hoheitlich auferlegte Abgaben nicht nur vereinbar, sie werden von ihr insoweit gefordert, als die „Wirtschaftsfreiheit" der Bürger, insbesondere der Unternehmen, durch Überlastung gefährdet wird. Eingriffs- und Belastungsfreiheit sind die beiden wichtigsten, sich ergänzenden Formen der Freiheit. c) Deshalb kann, über und jenseits von einzelnen grundrechtlichen Verbürgungen, von einer grundgesetzlich garantierten Wirtschaftsfreiheit gesprochen werden. Vor Jahrzehnten hatte bereits H.P. Ipsen, mit unbestrittener staatsrechtlicher Autorität, dieser Wirtschaftsfreiheit selbst Gewicht jenseits einzelner Grundrechte zuerk a n n t 1 2 4 : „Die grundrechtliche Wirtschaftsfreiheit (steht) als unternehmerische Dispositionsfreiheit, d. h. als solche und ohne substantielle Artikulation kraft Eigentum, Berufs-, Vertragsfreiheit oder sonstwie, in Frage"; sie muß „eigenständig und eigenwertig" gesehen werden. Folgerichtig werden nun auch in der führenden neueren Dogmatik die verschiedenen wirtschaftlichen Teilfreiheiten als Einheit einer großen Wirtschaftsfreiheit begriffen 1 2 5 .

117 Stern {Fn. 113), S. 884. i· 8 Näher dazu Leisner, W., Selbstbedienungsgroßhandel und Verfassungsrecht, 1986, S. 108/109. 119 Literatur dazu bei Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht 1994, S. 231 /232. 120 Breuer (Fn. 113), Rdnr. 20. 121 So bereits die seinerzeit führenden Autoren Huber, E. R., Wirtschaftsverwaltungsrecht I, 1953, S. 30 f.; ders., DÖV 1956, S. 97 (101); Dürig, G., in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 44. 122 Badura/Rittner/Rüthers, Mitbestimmungs-Gesetz 1976 und Grundgesetz, 1977, S. 246 ff. 123 Stern (Fn. 113), S. 884. 124 Ipsen, H. P., in: Kaiser, J., Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, II, 1966, S. 63 (95 f.).

125 Grundlegend Scholz, R., Maunz/Dürig, Art. 12 GG, Rdnr. 123, 185.

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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Diese Wirtschaftsfreiheit aber kann überhaupt nur in faßbaren vermögensrechtlichen Grenzen der Abgabengewalt gesichert werden. Denn nur dies schützt das eigentliche Zentrum dieser Wirtschaftsfreiheit, die Freiheit einer Disposition, welcher der Abgabenstaat ständig Mittel und damit Entscheidungsräume entzieht. Und gerade die Vorstellung von einer allgemeinen Wirtschaftsfreiheit entspricht in ihrer Globalität jener in eben solcher Allgemeinheit ansetzenden und wirkenden Abgabengewalt des Hoheitsstaates. Die Wirtschaftsordnung des GG und die aus ihr sich ergebende Wirtschaftsfreiheit des Bürgers verlangen also faßbare Verfassungsschranken für Abgabenbelastungen mit PZK.

Ergebnis Der Staatsform der Demokratie ist eine an sich grenzenlose Belastungsdynamik der wirtschaftlichen Tätigkeit der Bürger wesentlich; denn die Mehrheit wird immer die Minderheit zur Kasse bitten. Hoffnungen, die Volksvertreter würden schon die ökonomischen Grundlagen von Freiheit und Staat achten, beruhigen nicht; dann bedürfte es keiner Verfassung. Diese muß vielmehr die Minderheit der Unternehmer gegen die von Parlamentariern stets umworbene Wähler-Mehrheit der Arbeitnehmer schützen. Die angebliche wirtschaftspolitische Neutralität des GG, das Fehlen einer „formalen Wirtschaftsverfassung", steht verfassungsrechtlichen Belastungsschranken nicht entgegen. Dies schließt nur die verfassungsrechtliche Zementierung eines ökonomischen Systems aus. Belastungsgrenzen zwingen den Staat nicht in ein solches, sie stellen nur Freiheiten her, sichern damit eine „offene Wirtschaftsverfassung". Die heute h.L. wertet die wirtschaftlichen Grundrechte i m Sinne einer vom GG vorgegebenen freiheitlichen Wirtschaftsordnung; sie kann sich nur in klaren Belastungsgrenzen entfalten. Auszugehen ist sogar von einer globalen Wirtschaftsfreiheit des GG, jenseits von grundrechtlichen Einzelverbürgungen. Sie kann nur innerhalb von vergleichbar global wirkenden Belastungsgrenzen gesichert werden.

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten, insbesondere aus dem Eigentum Privater Zur Grenzziehung für Abgabenbelastungen aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit i m wirtschaftlichen Bereich) wurde bereits i m wesentlichen oben (III) Stellung genommen. Hier sind nun insbesondere näher zu prüfen die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG (Allgemeiner Gleichheitssatz), Art. 12 Abs. 1

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

GG (Berufsfreiheit), Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsfreiheit) sowie der besondere Aspekt der Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 / Art. 12 Abs. 1 GG).

1. Belastungsgrenzen aus der Gleichheit? Daß Art. 3 Abs. 1 GG Maßstab auch für gesetzliche PZK sein darf, steht fest. Denn das BVerfG hat nicht selten an dieser Vorschrift gerade die wichtigsten Belastungen gemessen, welche zu PZK führen, die des Sozialversicherungsrechts. Dabei hat es jedoch dem Gesetzgeber lange Zeit eine außerordentlich weite Gestaltungsbefugnis, entsprechend der herkömmlichen W i l l k ü r f o r m e l 1 2 6 , zuerkannt 1 2 7 . Dies wird sich auch nach der „neuen Gleichheitsformer' des Gerichts kaum ändern: Die Gleichheit ist (nur) „verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten i m Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen k ö n n t e n " 1 2 8 . Dabei genügt - nach wie vor - die Wahrung einer „Typengerechtigkeit" 1 2 9 . Zwar ist nun jeweils nach der Leistungsfähigkeit des Abgabenschuldners besonders zu frag e n 1 3 0 , und dem kommt auch für die Sozialversicherung Bedeutung z u 1 3 1 . Doch i m vorliegenden Zusammenhang der PZK geht es nicht um die Belastungsgleichheit zwischen einzelnen Gruppen von PZK-Betroffenen 1 3 2 , sondern vor allem um die globale Belastungsgleichheit aller, oder doch (beiweitem) der meisten unter ihnen. Zwar verbietet die Leistungsfähigkeit generell die „übermäßige Belastung" mit Abgaben; doch es ist ihr hier immer nur die Gleichheitsbeziehung zu anderen, weniger Belasteten, wesentlich 1 3 3 - es fehlt bei den PZK wohl doch an einer solchen nachweisbaren, ungleich stärker fühlbaren Belastung gewisser Gruppen 1 3 4 .

126 Vgl. f. viele etwa BVerfGE 29, S. 327 (335); siehe dazu den Rechtsprechungsüberblick bei Loritz, K. G., NJW 1986, S. 1 (5). 127 Siehe etwa BVerfGE 11, S. 105 (114 ff.); 14, S. 312 (319); 36, S. 383 (392 ff.); 44, S. 70 (90); 48, S. 227 (234 f.); 53, S. 313 (328 ff.). 128 Seit BVerfGE 55, S. 72 (88) std. Rspr.; vgl. neuerdings etwa BVerfGE 81, S. 228 (236); vgl. Maschmann (Fn. 85), S. 306. 129 BVerfGE 14, S. 76 (101 /102). 130 BVerfGE 61, S. 319 (343); 66, S. 214 (222 f.); 67, S. 290 (297); 68, S. 143 (152 f.); 72, S. 200 (260); 74, S. 182 (200); 81, S. 228 (236), std. Rspr. für den Bereich der Sozialversicherung. 131 Dazu Ruland (Fn. 10), S. 293/294. 132 Dies ist der eigentliche Gegenstand der weit ausgebauten Abgaben-Gleichheitsrechtsprechung des BVerfG, vgl. etwa den Überblick bei Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 3 GG, Rdnr. 496 ff. 133 So auch in den neuesten Einheitswertbeschlüssen des BVerfG (Fn. 104). 134 BVerfGE 30, S. 292 (332).

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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Bleibt also als Verfassungsschranke der PZK aus der Gleichheit eine vom Gericht bereits früher gestellte Frage, „ob das System der Sozialversicherung auf dem Hintergrund seiner geschichtlichen Entwicklung i m ganzen gesehen willkürlich i s t " 1 3 5 . Dazu aber kann nur in systematischer Zusammenschau einer Systemüberprüfung der Sozialversicherung Stellung genommen werden (unten C, II).

Ergebnis Art. 3 Abs. 1 GG (Allgemeiner Gleichheitssatz) ergibt keinen Verfassungsmaßstab für eine Beschränkung der Höhe der PZK. Diese trifft die Groß-Kategorie der Unternehmer weitgehend einheitlich; jedenfalls führen Belastungsunterschiede zwischen Gruppen von diesen nicht zu „ungleich fühlbareren Belastungen" einzelner Kategorien. Der Gleichheit aber ist der Gruppenvergleich wesentlich.

2. Berufs / Gewerbefreiheit als Belastungsschranke zu realisieren über Steuerverschonung Die PZK-Belastungen berühren den beruflich-gewerblichen Bereich der Unternehmen. Sie stellen hier jedenfalls eine Berufsausübungsregelung dar, deren Auswirkungen sich allerdings bis zur Berufssperre steigern k ö n n e n 1 3 6 , wenn sie nämlich gewissen Berufskategorien, etwa Handwerkern, die Ausübung ihres Berufs nicht nur erschweren, sondern geradezu unmöglich machen. a) In der Rechtsprechung des B V e r f G 1 3 7 ist zwar seit langem die ursprünglich vorherrschende Auffassung aufgegeben, eine solche berufsregelnde Wirkung einer Belastung müsse gezielt vom Gesetzgeber als solche gewollt s e i n 1 3 8 , was man von den PZK nicht behaupten kann. Eine objektiv berufsregelnde Tendenz der Belastung genügt, mit anderen Worten: Es kommt auf ihre tatsächliche berufshemmende Wirkung a n 1 3 9 . Wesentlich ist nur mehr ein „enger Zusammenhang" mit der Ausübung des Berufes 1 4 0 - bei den PZK ist er ohne weiteres zu bejahen. Hier liegt mehr vor als die „allgemeine Möglichkeit einer Beeinträchtigung" 1 4 1 . Art. 12 Abs. 1 GG scheidet auch nicht deshalb als verfassungsrechtliche Grundlage für eine PZK-Belastungsgrenze aus, weil die PZK auf die Berufs / Gewerbe135 BVerfGE 29, S. 221 (244). 136 Nach der Stufenlehre zur Schrankendogmatik des Art. 12 GG im Apothekenurteil, BVerfGE 7, S. 377 (398 ff.). 137

Überblick bei Tipke (Fn. 49), S. 436 ff., ebenda Literaturnachweise.

'38 BVerfGE 14, S. 76 (100). 139 BVerfGE 41, S. 1 (21); 81, S. 108 (121); vgl auch schon 13, S. 181 (186); 16, S. 147 (162). 140 BVerfGE 13, S. 181 (186), seither ständige Rechtsprechung. 141 Tipke (Fn. 49), S. 437.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

freiheit nur wirtschaftlich geringfügige Auswirkungen hätten 1 4 2 . Es läßt sich nicht annehmen, diese Belastung könne schon nach ihrer Höhe nicht berufsregelnd wirken, was das BVerfG gerade bei der Prüfung der Künstlersozialabgabe untersucht hatte 1 4 3 . Auch versagt der unter Umständen steuerlegitimierende Einwand einer wesentlich „unspezifischen Wirkung" der Abgabenlast bei den PZK: Sie betreffen gerade „spezifisch" die Berufs/GeWerbetätigkeit, knüpfen an eben diese an. Dennoch wäre Art. 12 GG nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG wohl kaum als Grundlage einer wirksamen PZK-Belastungsgrenze in Betracht gekommen. Denn das Gericht hat schon früh - jedenfalls für Steuergesetze - ausgesprochen, sie könnten „nur unter besonderen Umständen" den berufsgrundrechtlichen Bereich berühren 1 4 4 . Wenig später wurde verdeutlichend verlangt, die Belastung müsse eine bestimmte - wichtige - ökonomische Aktivität „ i n aller Regel wirtschaftlich unmöglich m a c h e n " 1 4 5 . BVerfG und BVerwG verlangten, die Abgabe müsse, solle Art. 12 Abs. 1 GG als verletzt angesehen werden, dazu führen, „daß die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen nicht mehr in der Lage wären, den gewählten Beruf ganz oder teilweise zur Grundlage ihrer Lebensführung zu m a c h e n " 1 4 6 . Nur dann wäre also die Berufsfreiheit berührt, mit der Folge, daß die Abgabe besonderer Legitimation bedürfte; als Beeinträchtigung nur der Berufsausübungsfreiheit dagegen wäre sie, in Abwägung zu durch die Belastung verfolgten „vernünftigen Gründen des Gemeinwohls" zulässig; für die PZK würden diese sich ohne weiteres auffinden lassen, i m öffentlichen Interesse an der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer. Dieses würde wohl sogar, nach dem Abwägungsschema des Apothekenurteils, eine bis in die Berufswahl hineinwirkende - wenn auch nicht notwendig diese aufhebende - Belastungshöhe legitimieren. Einen Nachweis aber, daß ihr die Berufstätigkeit durch PZK geradezu „unmöglich" gemacht werde, könnte wohl keine größere Unternehmerkategorie erbringen, und wenn überhaupt, so erst nach ihrer wirtschaftlichen Vernichtung eben durch diese. Letztlich läuft dies eben auf die „Erdrosselungswirkung" von Abgaben hinaus 1 4 7 - eine wirtschaftlich viel zu weit gezogene Belastungsschranke für den Gesetzgeber, wenn überhaupt von einer solchen hier die Rede sein kann. Bisher ist denn auch keine Abgabenbelastung je an Art. 12 GG gescheitert. b) Die neueste Einheitswertrechtsprechung des BVerfG hat hier allerdings, wie auch beim Eigentum (vgl. i m folgenden 3), eine deutliche Wende eingeleitet, durch allgemeine Gefährdungsvermutungen. I m ErbSt-Beschluß 1 4 8 heißt es nun, der Ge142 BVerfGE 14, S. 76 (101); ähnlich 42, S. 374 (384/385); 47, S. 1 (22). 143 BVerfGE 75, S. 108 (153/154), unter Hinw. auf E 37, S. 1 (17 ff.). 144 BVerfGE 26, S. 1 (12). 145 BVerfGE 29, S. 327 (332). 146 BVerwG NVwZ 1989, S. 1176, unter Hinw. auf BVerfGE 31, S. 8 (29) und 30, S. 292 (314) sowie BVerwGE 48, S. 1 (9). 147 BVerfGE 31, S. 8(23). 148 Fn. 104, S. 2625.

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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setzgeber habe bei der Gestaltung der Abgabenlast zu berücksichtigen, „daß die Existenz von bestimmten Betrieben - namentlich von mittelständischen Unternehmen - durch zusätzliche finanzielle Belastungen . . . gefährdet werden kann.' 4 Daraus ergibt sich ein Verfassungsgebot auf Steuerverschonung durch Freibeträge. A n sich sind diese Grundsätze auch auf die Sozialabgaben anwendbar, denn die gebotene Steuerverschonung soll ja gerade die besondere Belastung der Betriebe mit - u. a. - Sozialversicherungsbeiträgen kompensieren 1 4 9 . Eine Abgabenverschonung muß also nicht und kann auch kaum durch Einschränkung der Sozialbelastung bei „bestimmten Betrieben", etwa beim Mittelstand oder Teilen desselben, realisiert werden: Sollen gerade dort dann die Arbeitnehmer weniger an sozialer Sicherung erhalten, oder selbst mehr dafür aufwenden müssen, als bei größeren Unternehmen? Dasselbe gilt für Überlegungen des VermSt-Beschlusses des B V e r f G 1 5 0 , bei der Neugestaltung dieser Abgabe sei den besonderen Ertrags Verhältnissen bei gewerblich eingesetzten Vermögensgütern Rechnung zu tragen dies kann durch Steuerverschonung bewirkt werden, nicht durch Sozialabgabenbelastung bei bestimmten Betrieben. Immerhin hat sich hier eine auch berufs-grundrechtlich bedeutsame Wende 1 5 1 vollzogen: Der Gesetzgeber hat nicht mehr darauf zu warten, bis eine existenzgefährdende Belastung sich bei einzelnen Kategorien herausstellt, er kann sich (dann) auch nicht nur mehr mit Härteklauseln begnügen: Es gibt „Erdrosselungslagen" für ganze große, normativ erfaßbare Unternehmenskategorien; der Gesetzgeber hat solchen zu vermutenden Gefährdungen schon i m weiten Vorfeld ihrer Realisierung durch Entlastung zu begegnen. Dann aber steht nichts einer weiteren, ebenfalls berufs / gewerbegrundrechtlichen Folgerung i m Weg: Wenn eine hoheitliche Belastungsgefahr derart typisch zu erwarten ist, so muß dem auch dann entgegengewirkt werden, wenn sie bei gewerblichen „Großkategorien", wie etwa dem Handwerk, auftritt. Mit anderen Worten: Die bisherige „Erdrosselung " war keine Belastungsschranke, die neue „Erdrosselungsvermutung " kann für gewisse, auch größere Unternehmenskategorien zu einer solchen werden. c) Die neue Verfassungsrechtsprechung hat, wie dargelegt - und das ist vielleicht das Wichtigste - einen Weg gewiesen, wie sich diese Entlastung durch PZK existenzgefährdeter Betriebe praktisch bewerkstelligen läßt, ohne die gleiche soziale Sicherung der Abeitnehmer aufzuheben: über Steuerentlastung, welche PZKLasten kompensiert. Wenn i m ErbSt-Beschluß 1 5 2 ausdrücklich Steuerverschonung wegen der „besonderen Gemeinwohlverpflichtung 44 bestimmter Unternehmen gefordert wird, dabei aber „Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern 44 an erster Stelle genannt

149 BVerfG, aaO. 150 BVerfG (Fn. 104), S. 2618. 151 In dem Zitat von Fn. 150 wird ausdrücklich auf Art. 12 Abs. 1 GG hingewiesen. 152 Fn. 148.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

werden, so können damit nur PZK gemeint sein, die durch Steuerverschonung zu kompensieren sind. Dies kann nicht nur auf die ErbSt beschränkt sein. W i l l der Gesetzgeber einen (annähernd) gleichen Arbeitnehmer-Standard sozialer Sicherung bewahren, was eine Senkung der Soziallasten ausschließt, so ist er zu einer steuerlichen Entlastung verpflichtet, welche die Gesamtabgabenlast (vgl. unten V I ) erträglich macht. Dies mag als „Steuersubvention" eingestuft und kritisiert werden es ist nicht mehr eine solche als die nun vom höchsten Gericht unmißverständlich und von Verfassungs wegen geforderten Freibeträge für gewerbliche Aktivitäten. Die Einheitswert-Beschlüsse haben also eine berufs / gewerberechtliche Wende gebracht, vor allem aber eine nun darzustellende eigentumsrechtliche.

Ergebnis In die Berufs / Gewerbefreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) kann durch Auferlegung von Abgaben eingegriffen werden; gezielt muß dies nicht erfolgen, es genügt die objektiv berufsregelnde Tendenz, die sich etwa aus einer berufshemmenden Wirkung ergibt. Diese wäre an sich bei hohen PZK anzunehmen. Dennoch hätte sich nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG aus der Berufsfreiheit wohl keine Verfassungsschranke für derartige Belastungen ableiten lassen, weil die Grenze der „Erdrosselung" nur eine „äußerste" war, die bisher nie erreicht wurde. Die Einheitswertbeschlüsse des BVerfG haben jedoch nun eine Wende gebracht: Bestimmte Kategorien von Betrieben - namentlich mittelständische - müssen danach in ihren Erträgen steuerlich verschont werden, soweit hier eine Existenzgefährdung normativ zu unterstellen, nicht: i m einzelnen nachzuweisen ist. In die Belastung, an der sich das auszurichten hat, müssen nach dem Gericht auch Sozialabgaben, also auch gesetzliche PZK, einbezogen werden. Da eine kategorienmäßige Verschonung von Unternehmen von (Teilen der) PZK aber wegen der Arbeitnehmer-Rechte praktisch kaum möglich ist, läßt sich dies verfassungsgemäß durch entsprechend gezielte Steuerverschonung kompensatorisch erreichen; denn nach der Entscheidung des BVerfG stehen Sozial- und Steuerbelastung in einem Kompensationsverhältnis. Insoweit ist Art. 12 Abs. 1 GG zur Schranke der PZK geworden; es ist ein Weg gewiesen, wie deren Wirkung zu realisieren ist.

3. Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz als Ertragsschutz für die Unternehmen a) PZK-Belastungen könnten nur dann Schranken aus Art. 14 Abs. 1 GG finden, wenn sie den Schutzbereich des Eigentums g rundrechts berühren. Dies mochte bisher deshalb zweifelhaft sein, weil fraglich war, ob der (Gewerbe-)Betrieb als solcher eigentumsgeschützt sei, i m Sinne des Verfassungsrechts. Der B G H hat zwar

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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in ständiger Rechtsprechung solchen Eigentumsschutz des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs" angenommen 1 5 3 . Das BVerfG hatte jedoch in neuerer Zeit offengelassen, ob dieser Betrieb als solcher oder ob nur in ihm eingesetzte (einzelne) Betriebsmittel eigentumsgeschützte Rechtspositionen verliehen 1 5 4 ; es bereitet ihm offenbar Schwierigkeiten, einen eigentumsgeschützten Wert des „Betriebes" von den nicht eigentumsgeschützten Gewinnchancen aus demselben zu unterscheiden (vgl. oben III, 4). Es wurde bereits dargelegt, daß diese Bedenken unbegründet sind, daß vielmehr aus Gründen marktrealer Betrachtung als „Eigentum" zu sichern ist, was der Markt als solches bewertet. Nun hat das BVerfG jedoch durch die Einheitswert-Beschlüsse 155 anerkannt, daß jedenfalls vor einer hoheitlichen Abgabenbelastung Art. 14 Abs. 1 GG den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schützt. Das Gericht spricht dort von „Wirtschaftsgütern" und „Wirtschaftseinheiten", die als solche nicht übermäßig belastet werden dürften. Letzterer Begriff kann nur das „Unternehmen" bezeichnen; und in der Tat fordert das Gericht gerade für Unternehmen im ErbSt-Beschluß ausdrücklich unter gewissen Voraussetzungen Abgabenverschonung durch Freibeträge (vgl. oben 2, b, c), und zwar unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 GG. Also muß das Unternehmen durch dieses Grundrecht auch gegen soziale Abgabenbelastung wie die PZK geschützt sein, die ja, wiederum nach dem erwähnten Beschluß, zu den dort behandelten Steuern in einem Verhältnis der Kompensation stehen (vorstehend 2, c). b) Nach bisheriger Rechtsprechung des BVerfG bestand kaum eine Chance, der staatlichen Abgabengewalt, also auch den PZK, Verfassungsschranken aus Art. 14 GG zu ziehen. Das Steuerverfassungsrecht befand sich seit vielen Jahren in einem bedauerlichen Zustand. Begonnen hatte es mit der - unhaltbaren - Behauptung, Abgaben könnten das Eigentum nicht verletzen, weil sie vom Steuerschuldner nicht aus dem steuer-tatbestandlichen Wirtschaftsgut, sondern aus seinem Vermögen zu erfüllen seien 1 5 6 . Dieses Vermögen sei als solches durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht geschützt 1 5 7 . Das staatsrechtliche Schrifttum reagierte heftig, warf sich in breitem Einsatz zum Schutz des Eigentums in dessen „offene F l a n k e " 1 5 8 . Immerhin antwortete darauf Karlsruhe mit der Formulierung, ausnahmsweise könne auch ein Abgabengesetz

153 BGHZ 23, S. 157 (162 f.); 78, S. 41 (44); BGH NJW 1980, S. 387. 154 BVerfGE 51, S. 193 (221 f.); 68, S. 193 (222/223). iss BVerfG NJW 1995, S. 2615 (Vermögensteuer), S. 2624 (Erbschaftsteuer). 156 Entscheidend ist doch allein, daß es der Steuertatbestand einer bestimmten Vermögensmehrung ist, der die Zahlungspflicht auslöst. 157 Vgl. ζ. B. BVerfGE 30, S. 250 (271 f.); 45, S. 272 (296); 65, S. 196 (209); 74, S. 129 (148), std. Rspr.; weit. Nachw. bei Tipke (Fn. 49), S. 444. 158 Eingehende Überblicke über die eindeutig h.L., welche Art. 14 GG als Schranke auch der Besteuerung ansah, etwa bei Kimminich, BK, Art. 14 GG, Rdnr. 55 ff.; Tipke, aaO. 5 Leisner

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

das Eigentumsgrundrecht verletzen, „wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen (Erdrosselungswirkung)" 1 5 9 . Nicht in einem Fall ist dies auch nur näher erwogen worden - es war nichts als eine „theoretische Schranke", die ohnehin wohl nur in Einzelfällen hätte eingreifen, dann aber allenfalls Härteklauseln hätte erzwingen können. Weit seltener schon sprach das Gericht vom Fall einer „konfiskatorischen Steuer" 1 6 0 , oder von der Notwendigkeit, Substanzeingriffe zu vermeid e n 1 6 1 . Irgendwelche Folgerungen hatte das Gericht gerade aus dem Begriff der Substanzwahrung jedoch bisher nicht gezogen. In Bibliotheken hat sich das Schrifttum um dieses Problem der Eigentumsschranken der Besteuerung b e m ü h t 1 6 2 : Das Ergebnis blieb, seit Jahrzehnten, gleich Null. Der Abgabengesetzgeber konnte frei die Abgabenhöhe bestimmen, und er tat dies nicht mit der Zurückhaltung weit vorgrundgesetzlicher Steuergewalten, etwa in einer Kaiserzeit, auf die sich erstaunlicherweise gerade auch jene berufen, welche dem Parlament als Vertreter des Volkssouveräns eine freie Steuergasse schlagen w o l l e n 1 6 3 . In der Tat, hier hatte sich ein Stück Radikaldemokratie bisher erhalten: die Abgeordneten Vertreter des Volkssouveräns walteten i m nahezu grundrechtsfreien Raum, die Gleichheit trieb sie allenfalls in immer breitere Belastungen - und all dies, obwohl die Lenkungswirkung der Abgaben längst erkannt w a r 1 6 4 , vom Einzeldirigismus bis zur Sozialgestaltung. Das deutsche Staatsrecht hatte insgesamt schon resigniert, vor dieser laufenden „Steuerentwertung" zentraler Grundrechte - da kam die Wende aus Karlsruhe. c) Der Einheitswert-Beschluß zur VSt hat insbesondere drei neue, geradezu revolutionäre Grundsätze zum Eigentumsschutz gegen Abgaben aufgestellt, die entsprechend auch für PZK-Belastungen von Bedeutung sind, weil diese zu Steuern, nach dem ErbSt-Beschluß, ja in einem kompensatorischen Verhältnis stehen (siehe oben 2, c): aa) Abgabenbelastung nur nach der Ertragsfähigkeit eines Vermögens gute s (Wirtschaftseinheit)·. Jedes Unternehmen ist nach „typisch zu erwartenden Sollerträgen" in seiner Ertragsfähigkeit zu bewerten. Unternehmensinhaberschaft als solche begründet keine die Abgaben rechtfertigende erhöhte Leistungsfähigkeit. Damit ist die unglückliche Formel von der allein verbotenen „grundlegenden Veränderung der Vermögensverhältnisse des Abgabenschuldners" 1 6 5 wie das daran anknüpfende Kriterium der „Erdrosselung" 159 Vgl. f. viele BVerfGE 30, S. 250 (272 m. RV); weit. Nachw. bei Tipke, aaO. 160 Etwa in BVerfGE 23, S. 288 (315). 161 Z.B. BVerfGE 57, S. 104; 63, S. 343 (368). 162 Siehe etwa die Nachw. bei Tipke (aaO.). 163 Neuerdings etwa Böckenförde in seinem abweichenden Votum zu den Einheitswert-Beschlüssen (Fn. 104), S. 2620. 164 Siehe f. viele Arndt, H. W., Lenkung durch Steuern, hg. v. Fröhler, WiVerw 1990/1, S. 1 ff.

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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endlich überholt, nach Jahrzehnten unfruchtbarer, nun wirklich „rein theoretischer" Diskussionen: Abgabenbelastung der Unternehmen verletzt nicht erst dann die Verfassung, wenn sie die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährdet, auch nicht erst, wenn sie zu vermuten, zu unterstellen ist (vgl. oben 2, b, c), sondern schon dann, wenn sie zur „schrittweisen Konfiskation" sich steigert. Im Falle der PZK wäre dies etwa der Fall, wenn der Unternehmer unter dem Druck der Abgaben sein Unternehmen verkleinern, damit i m Wert reduzieren muß, oder wenn er sich gezwungen sieht, zu dessen Erhaltung ständig anderweites Kapital zuzuschießen. Insoweit greift also der Verfassungsschutz des Art. 14 GG noch vor dem des Art. 12 GG ein. bb) Substanzwahrung: Die Abgabenbelastung muß die Substanz des Vermögens, den Vermögens stamm, unberührt lassen. Endlich wird dieses Substanzkriterium ernst genommen 1 6 6 ; es begründet überzeugend den Grundsatz „Abgaben nur nach Vermögen" 1 6 7 - nun ist dieses eigentumsgeschützt. cc) Gesamtbelastung des Sollertrags - nur etwa zur Hälfte: Dies ist das bedeutendste neu formulierte Prinzip des Steuerverfassungsrechts: Die steuerliche Gesamtbelastung muß „in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleiben". Weitergehende Belastungen laufen „einer vom Gleichheitssatz gebotenen Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit zuwider." Diese längst fällige Folgerung wird aus dem Text des Art. 14 Abs. 2 GG gezogen: Der Eigentumsgebrauch dient „zugleich" dem privaten Nutzen und dem Wohl der Allgemeinheit. „Zugleich - grundsätzlich zu gleichen Teilen" - gewiß eine konstruktive Auslegung; doch welche andere Interpretation kann diesem Schlüsselwort gerecht werden, über das mehr als vier Jahrzehnte einfach hinweggelesen wurde. „Dem Berechtigten muß ein privater Ertragsnutzen verbleiben"; dies war die einzige Möglichkeit, Art. 14 GG gegenüber der Steuergewalt wirksam werden zu lassen. Das durch ihn „geschützte Freiheitsrecht darf nur soweit beschränkt werden, daß dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung i m wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen . . . erhalten wird." Endlich ist diese Privatnützigkeit mehr als nur eine Begriffsmoluske; sie bedeutet „mindestens halber Nutzen dem Eigentümer". Die Formel wird weit über den Steuerbereich hinaus wirken. Endlich ist das Privateigentum wieder als „liberté utile" bekräftigt. Was nutzen Rechte ohne einen Wert, den der Markt vor allem den Erträgen entnimmt? Der VermStBeschluß hat mit den zitierten Formulierungen Eigentumssicherheit wieder-

Vgl. F n . 159. 166 Zur früher hier wenig klaren Rechtsprechung des BVerfG vgl. etwa BVerfGE 41, S. 269 (281); in 42, S. 263 (295) war unklar von der „Substanz des Rechts" die Rede. 167 Vgl. Fnen. 156, 157. 165

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

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gebracht - ein positives Signal für den Standort Deutschland. Seit Generationen verunsichert das Steuerrecht das Eigentum; nun wird dieses durch Steuer-Verfassungsrecht gesichert, i m Zusammenklang von Bestands- und Nutzungsschutz 1 6 8 . Die Auswirkungen gerade dieses neuen, überzeugenden Prinzips auf die Abgabenbelastung mit gesetzlichen PZK liegen auf der Hand; auch sie sind in die Gesamtbelastung einzubeziehen (vgl. dazu i m folgenden VI). Diese darf nur soweit gehen, daß sie dem Unternehmer einen angemessenen Ertrag aus seinem Eigentum, aus dem Unternehmen als solchem beläßt. Nun wird sich dies gewiß nicht so leicht pauschalierend feststellen, festlegen lassen, wie beim Kapital- oder beim Grundvermögen, weil eben die individuelle Unternehmerleistung hier eine wesentliche Rolle spielt, insbesondere auch in kleineren Verhältnissen des Handwerks. Auch dort geht man aber von typischen Unternehmergewinnmargen aus, ermittelt diese kalkulatorisch und legt sie auch, als Ertragskomponente, bei einer Veräußerung oder Verpachtung des Betriebes zugrunde. Es muß also möglich sein, diese Größe des „typischen Unternehmensertrages" auch gegenüber Abgabenbelastungen zur Geltung zu bringen, und davon müssen ja auch die EinheitsWertbeschlüsse des BVerfG ausgehen. Dann aber wirkt sich dessen „Hälftigkeitsrechtsprechung" auch gegenüber den PZK aus: Nehmen sie derart zu, daß die Unternehmensgewinne nach Besteuerung nachweisbar und allgemeintypisch die erwähnten Ertragsmargen erheblich und auf Dauer unterschreiten, so kann Entlastung über Steuern (vgl. oben 2, b, c), i m Namen des Eigentumsschutzes, verlangt werden. Die Einzelheiten sind wirtschaftspolitisch zu entscheiden, aber auch nur mehr sie; der Verfassungsrahmen liegt nunmehr fest. Mit diesen, das gesamte Wirtschaftsverfassungsrecht revolutionierenden Beschlüssen, hat daher das BVerfG eine neue, tragfähige Grundlage für Verfassungsschranken gesetzlicher PZK-Belastungen gelegt.

Ergebnis Der (eingerichtete und ausgeübte) (Gewerbe-)Betrieb genießt als solcher den Eigentumsschutz der Verfassung (Art. 14 Abs. 1 GG). Dies entspricht der Judikatur des B G H und nunmehr auch der des BVerfG, das in den Einheits Wertbeschlüssen vom Verfassungsschutz für „Wirtschaftseinheiten" ausgeht. Der Bürger war bisher durch das Grundrecht des Eigentums Privater kaum gegen die Abgabengewalt des Staates geschützt. Art. 14 GG zog ihr, nach der bishe168

Schon lange hatte das Schrifttum dies gefordert, mit der Folge, daß auch ein Teil der Erträge dem Eigentümer bleiben müßten; vgl. etwa Rüfner, W., DVB1. 1970, S. 882; Bettermann, Κ. Α., ZRP 1974, S. 18; Kimminich, im BK, Art. 14 GG, Rdnr. 65; Papier, in Maunz/ Dürig, Art. 14 GG, Rdnr. 172; Draschka, K., Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Einzelnen, 1982, S. 177.

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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rigen Rechtsprechung des BVerfG, nur die rein „theoretische" Schranke, es dürften die Vermögens Verhältnis se des Pflichtigen „nicht grundlegend beeinträchtigt" werden. Die Einheitswert-Beschlüsse haben nun eine grundsätzliche Eigentumswende gebracht: Die Abgabenlast muß aus den Erträgen jedes Wirtschaftsgutes, jeder Wirtschaftseinheit getragen werden können. Die Substanz des Vermögens ist unbedingt geschützt. Der Sollertrag jeder Kategorie von Vermögensgütern, also auch der Gewerbeunternehmen, gebührt höchstens zur Hälfte dem Hoheitsstaat, die andere Hälfte muß dem Eigentümer bleiben. Für die gesetzliche PZK-Belastung, die bei der Anwendung dieser Steuerprinzipien zu berücksichtigen ist, bedeutet dies, daß der typische Unternehmergewinn durch Steuern, unter Berücksichtigung auch der Sozialabgaben, nicht zu mehr als der Hälfte entzogen werden darf; erforderlichenfalls ist durch Steuerverschonung zu kompensieren. Damit hat das BVerfG eine neue, tragfähige Grundlage für Verfassungsschranken gesetzlicher PZK-Belastungen gelegt.

4. PZK und Wettbewerbsfreiheit Die Höhe der PZK belastet die deutschen Unternehmen vor allem in ihrem Wettbewerbsverhalten, sie schränkt ihre Wettbewerbsfähigkeit ein, insbesondere in den grenzüberschreitenden Beziehungen (dazu näher oben A). Es liegt daher nahe, daß sich die Betroffenen auch auf die „Wettbewerbsfreiheit" berufen. a) Als grundrechtliche Bindung ist diese zwar prinzipiell anerkannt 1 6 9 , aber i m einzelnen nicht voll geklärt. Früher wurde sie überwiegend aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitet, neuerdings wird sie meist als ein Aspekt der Berufs / Gewerbefreiheit gesehen 1 7 0 . Insbesondere in Literatur und Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht wird sie i m Zusammenhang mit der „Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung" behandelt (vgl. zu dieser oben IV, 2 ) 1 7 1 . Das BVerfG beschäftigt sich mit ihr in früheren Entscheidungen 1 7 2 . Vor allem wird damit der „anerkannte Rechtssatz" in Zusammenhang gebracht, daß Freiheit der Preisbildung bestehe 1 7 3 .

169 v g i . Nachw. bei Breuer (Fn. 113), S. 121/122; früher Dürig, G., in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 48 ff. 170 Für viele Scholz, Rin: Maunz/Dürig, Art. 12 GG, Rdnr. 79 ff. 171 Vgl. etwa BGH GRUR 1958, S. 557 (558); BGH DB 1977, S. 392 (393); BGH GRUR 1979, S. 55 (56); Sirch, Α., BB 1956, S. 1049; Schricker, G., GRUR 1975, S. 349 (350); Schricker/Lehmann, WRP 1977, S. 289. 172 Vgl. etwa BVerfGE 4, S. 7 (24); siehe auch 21, S. 292 (297); 32, S. 311 (317 f.). 173 BGH GRUR 1979, S. 55 (56).

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

Ungeklärt ist allerdings noch immer, ob sich hier neuestens eine rechtlich faßbare Ausprägung der „allgemeinen Wirtschaftsfreiheit" entwickelt h a t 1 7 4 , oder ob lediglich die entsprechenden Ausgangs-Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 12 Abs. 1 GG) unter diesem Aspekt eine besondere Akzentuierung erfahren, etwa in dem Sinne, daß es bereits genügt, daß ein Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit oder deren übermäßige Belastung für sich genommen die Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung trägt. Dies wird hier, unter Einbeziehung der Wettbewerbsfreiheit in die Berufs / Gewerbefreiheit, mit der wohl herrschenden L e h r e 1 7 5 , angenommen. b) Für die Verfassungsschranken überhöhter PZK kann dies bedeutsam werden: Sie zwingen j a in aller Regel die Unternehmer zu Abwälzungsversuchen (vgl. oben III, 4), welche sich in so hohen Preisen niederschlagen können, daß darunter die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend leidet. Dann aber entwickeln sich die gesetzlichen PZK zu etwas wie einer - über Marktzwänge wirkenden - „Preisbindung nach oben", und es liegt daher nahe, darin die Verletzung des Verfassungsgrundsatzes zu sehen, nach dem eine freie Wirtschaft gebundene Preise eben nicht k e n n t 1 7 6 , also auch keine wesentlich hoheitlich beeinflußten. Doch auch wenn man so weit nicht gehen will, gewinnt der Wettbewerbsaspekt insbesondere bei der Berufs/Gewerbefreiheit (oben 2, b, c), aber auch bei der Eigentumsfreiheit (3, e), besondere akzentuierende Bedeutung, nach der neueren Rechtsprechung der Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG. Das Gericht hatte dort zwar keine Veranlassung, auf die Wettbewerbswirkung einer überhöhten Steuerbelastung besonders einzugehen, daher konnte es auch das Grundrechtsproblem der Wettbewerbsfreiheit als solcher umgehen. Daß es jedoch heute längst nicht mehr dem anfänglich von ihm vertretenen Grundsatz folgt, die Unzulässigkeit einer Veränderung der Wettbewerbslage könne sich „nur aus besonderen Umständen" ergeb e n 1 7 7 , ist an folgendem abzulesen: Das BVerfG leitet nun aus Art. 12 Abs. 1 GG das Gebot einer gewerbekonformen Abgabenverschonung von VermSt ab. Aus Art. 14 Abs. 1 GG ergibt sich nach ihm die Verfassungsverpflichtung, bestimmte Unternehmen von der ErbSt zu entlasten, da sie sonst in Existenzgefahr geraten könnten. Diese von der Verfassung nicht gewollten, aus grundrechtlichen Gründen zu verhindernden Entwicklungen wären jedoch in erster Linie, wenn nicht sogar ausschließlich, Ergebnisse einer Wettbewerbslage, welche eine übermäßige Steuerbelastung zu Ungunsten der Steuerpflichtigen beeinflussen würde. Die Existenzgefährdung kann sich aber nur daraus ergeben, daß die Unternehmen infolge solcher Überlastung anderweitem Wettbewerb nicht mehr standhalten können. Der in den Beschlüssen nicht ausdrücklich angesprochene Wettbewerbsaspekt ist also sogar eine tragende Begrün•74 175 176 177

Dazu Leisner (Fn. 118), S. 106. Vgl. insbes. Scholz (Fn. 170). BVerfGE 21, S. 292 (297). BVerfGE 4, S. 7(24).

V. Abgaben-Belastungsgrenzen aus Einzelgrundrechten

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dung von deren Schrankenziehungswirkung aus der Berufs / Gewerbefreiheit. Nichts anderes gilt für die Schrankenbegründung aus der Eigentumsfreiheit (vgl. oben 3, c): Wenn die Steuern aus dem Ertrag aufzubringen sind, wenn sogar etwas von diesem dem Inhaber bleiben muß, so ergibt sich diese Notwendigkeit, unter bestimmten ökonomischen Bedingungen, eben aus der Wettbewerbslage: Wenn die Unternehmen als Wirtschaftseinheiten nicht einen derartigen Gewinn abwerfen, so sind sie eben nicht mehr national und international konkurrenzfähig; dies zeigt sich sogleich darin, daß sie die - regelmäßig erforderlichen - Finanzierungsmittel nicht mehr erhalten werden, deren Ertragsstandards heute überwiegend auf internationalen Märkten gesetzt werden, aufgrund grenzüberschreitender Konkurrenz. Daraus folgt: Die aus Abgabenüberlastung erwachsende Konkurrenzunfähigkeit der Unternehmen ist die erste und wichtigste ökonomische Begründung für die Richtigkeit der neuen Judikatur des BVerfG. Des Rückgriffs auf den Nachweis der Verletzung einer speziellen Wettbewerbsfreiheit bedarf es insoweit nicht. Wenn die PZK gerade unter diesem Gesichtswinkel zu einer Überlast anwachsen - wofür nach den Ergebnissen zu oben A viele Anzeichen sprechen - so ist gerade die drohende Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit eine entscheidende Begründung für die vom höchsten Gericht nun wirksam gezogenen Verfassungsschranken aus der Berufs / Gewerbe- und aus der Eigentumsfreiheit: Sie schützen vor allem die Wettbewerbsfreiheit.

Ergebnis Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen vor allem gerät durch steigende PZK in Gefahr; dies könnte eine grundrechtlich garantierte Wettbewerbsfreiheit beeinträchtigen. Nicht voll geklärt ist jedoch, ob es eine solche als eigenständige Verbürgung gibt. Überwiegender Auffassung entspricht es, daß sie als spezieller Aspekt der Berufs / Gewerbefreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) gesichert ist. Doch gerade nach den neuen Einheitswert-Beschlüssen des BVerfG gewinnt der Konkurrenzaspekt besondere Bedeutung, obwohl er dort nicht ausdrücklich angesprochen werden mußte. Die durch Art. 12 und 14 GG gebotene Steuerverschonung rechtfertigt sich bei Unternehmen primär aus einer Existenzgefährdung oder Ertragsschwäche, welche sich i m Wettbewerb ergibt, durch dessen Belastungsgrenzen für die Betriebe. Eine PZK-Überlast gewinnt daher Schrankenlegitimation in erster Linie aus einer durch sie gefährdeten Wettbewerbsfreiheit; dafür spricht gegenwärtig vieles.

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

VI. Die Gesamt-Abgabenbelastung - Grundlage der Beurteilung der gesetzlichen PZK 1. Der Einwand der Multikausalität der Unternehmensgefährdung - das Kumulationsproblem Die Suche nach allgemeinen, verfassungsrechtlichen Belastungsgrenzen der Unternehmen, insbesondere mit PZK, begegnete bisher vor allem einer Schwierigkeit: Viele Gründe wirken hier sicher zusammen, kumulieren sich zu einer Gesamtgefährdung der Wettbewerbsfähigkeit. Selbst wenn man Leistung oder Versagen der Unternehmer i m Wege einer Durchschnittsbetrachtung ausklammert (dazu oben III), so bleibt noch immer eine i m einzelnen schwer zu übersehende Multikausalität, welche in der Diskussion um den „Standort Deutschland" deutlich geworden ist. Sogar innerhalb der gesetzlich verordneten Belastungen ist es in der Regel nahezu unmöglich, präzise den ökonomisch gefährdenden Wirkungsbeitrag einzelner Lasten zu definieren. Vor allem darin liegen die Grenzen der Überzeugungskraft wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchungen. Die rechtliche Entwicklung, insbesondere die des Steuerrechts, hat hier jedoch, gerade in letzter Zeit, große Fortschritte gemacht. Sie hat die ökonomische Kausalitätsproblematik überspielt, die Belastungskumulation als solche berücksichtigt: Es ist „nicht isoliert auf die finanzielle Bürde durch die untersuchte Steuerart allein, sondern auf die auf einem bestimmten Steuerobjekt liegende Gesamtsteuerbelastung abzustellen" 1 7 8 . Hier müssen die speziellen Abgaben zusammengesehen werden mit den allgemeinen Unternehmensteuern. „ I n diesem Sinne muß man zu den Unternehmensteuern auch die ESt und die VSt rechnen, soweit diese erwirtschaftete Einkünfte oder der Einkunftserzielung dienendes Vermögen betreff e n " 1 7 9 . Klar formuliert Paul Kirchhof 18°: „Die Steuergesamtlast des einzelnen setzt sich aus verschiedenen Steuerarten zusammen . . . Diese Belastung durch mehrere Steuerarten i m deutschen Vielsteuersystem ist vom Gesetzgeber aufeinander abzustimmen. Für das Gleichmaß und Übermaß der staatlich ausgeübten Besteuerungsgewalt ist letztlich die Gesamtbelastung durch alle, den einzelnen erfassenden Steuern maßgebend. Der Steuerpflichtige ist letztlich durch die Gesamtwirkung der verschiedenen Steuern, weniger durch die Ausgestaltung einer Einzelsteuer beschwert."

178 Scholz/Aulehner,

BB 1991, S. 73 (76).

•79 Tipke, Fn. 49, unter Hinw. auf E. Höhn. 180 NJW 1987, S. 3217 (3223).

VI. Die Gesamt-Abgabenbelastung

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2. Die Anerkennung der Summation in den Einheitswertbeschlüssen des BVerfG Als Berichterstatter der Einheitswertbeschlüsse des BVerfG hat Kirchhof dies durchgesetzt; die Gesamtbelastung der Unternehmen findet daher nun nicht mehr nur „theoretische" Schranken an der Verfassung 181 . I m VermSt-Beschluß heißt es: „Die Gesamtbelastung durch eine Besteuerung des Vermögenserwerbs, des Vermögensbestandes und der Vermögensverwendung ist vom Gesetzgeber so aufeinander abzustimmen, daß das Belastungsgleichmaß gewahrt und eine übermäßige Last vermieden w i r d " 1 8 2 . Dabei sind Einkommen- und Ertragsteuern, aber auch indirekte Steuern einzubeziehen, die „den konkreten Vermögensgegenstand vorbelas t e n " 1 8 3 . Mehr noch: Der ErbSt-Beschluß verlangt ausdrücklich auch die Berücksichtigung sozialrechtlicher Belastungen 1 8 4 . Daß es für Verfassungsschranken nur auf die „Gesamtsteuerbelastung" ankommen kann, klang auch schon früher gelegentlich in Karlsruhe a n 1 8 5 . Nun gelten drei neue Feststellungen: Gesamtbelastung ist ein allgemein-fundamentales Kriterium; sie ist nicht nur auf das Gesamtvermögen, sondern auch auf einzelne Vermögensgegenstände zu beziehen; auch alle anderen hoheitlichen Belastungen sind zu berücksichtigen. In der Diskussion um die PZK der Unternehmen ist damit eines neues Kapitel aufgeschlagen: i m Durchbruch zum „Summationsdenken" bei kumulierten Belastungen. Dem Gesetzgeber bleibt nun zwar, bei multikausaler Verursachung - etwa durch PZK, Steuerlast, Indienstnahme von Unternehmen 1 8 6 , insbesondere zu Verwaltungshilfe - immer noch ein praktisch sehr bedeutsames Wahlrecht, wie er die erforderliche Entlastung bewirken will: Er kann global die PZK absenken oder zu kompensierenden Steuerverschonungen übergehen (vgl. oben IV, 2, b, c). Dabei wird er sich wohl an der Globalität der Entlastungsnotwendigkeit und an sozialpolitischen Kriterien orientieren müssen: Je allgemeiner gerade die Unternehmen als entlastungsbedürftig erscheinen, desto näher liegt eine Zurücknahme der PZK, soweit die Interessen der Arbeitnehmer dies sozialpolitisch zulassen. Anderenfalls muß - gezielter - durch Steuerverschonungen, insbesondere durch Freibeträge, geholfen werden.

181

Wie noch Tipke (Fn. 179) annahm. 182 BVerfG NJW 1995, S. 2616. 183 BVerfG NJW 1995, S. 2617. 184 BVerfG NJW 1995, S. 2625. 185 BVerfGE 40, S. 109 ( 118 /119) - aber nur einfache Gesetzgebung referierend.

186 Dazu BVerfGE 22, S. 380 (384); 30, S. 292 (312); 57, S. 139 (158); 68, S. 155 (176); grundlegend Ipsen, H. P, AöR 90 (1965), S. 393 (417 ff.); ferner Maurer, H., Allg. Verwaltungsrecht 1994, Rdnr. 62; Wolf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 1987, S. 415; Selmer (Fn. 56), S. 94.

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. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

3. Eine überfällige Folgerung: Einbeziehung der Inflation in die Gesamtbetrachtung Das BVerfG hat 1978 über die kumulative BelastungsWirkung von Abgaben und Geldentwertung entschieden und dabei ausgeführt: Nicht die Besteuerung der Zinsen sei zu beanstanden, sondern die Entwertung des Vermögens, die aber nicht Gegenstand des Verfahrens sei. Ob gegen die Inflation mit verfassungsrechtlichen Mitteln vorgegangen werden könne, sei nicht Gegenstand des Verfahrens. „ A u f jeden Fall besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, daß der Staat einen Ausgleich der Geldentwertung gerade durch Verzicht auf Steuereinnahmen herbeif ü h r t " 1 8 7 . I m Schrifttum 1 8 8 wurde zwar zugegeben, daß die Feststellung der Kausalität staatlicher Rechte oder Realakte schwierig sei, die zur Geldentwertung führt e n 1 8 9 ; dennoch wurde scharfe Kritik aus der Sicht der Eigentumsgarantie l a u t 1 9 0 . Sie ist gerade nach den Einheitswert-Beschlüssen des BVerfG berechtigt. Es geht nicht darum, ein inflationsförderndes wirtschaftspolitisches Verhalten des Staates zu verhindern, was faktisch ohnehin kaum (rechtzeitig) möglich wäre. Gegenstand verfassungsrechtlicher Rüge muß vielmehr stets die vom Staat auferlegte Abgabenbelastung sein. Diese ist allerdings nun zunächst in ihrer Kumulation zu erfassen und sodann darauf zu prüfen, ob sie „übermäßig belastet". A n dieser Belastungssituation sind die Ertragsbelastungen auszurichten. Dann aber kann es nicht gleichgültig sein, welchen „Wert" die Inflation den Steuerpflichtigen „tatsächlich" noch beläßt. Wenn Einheitswerte deshalb verfassungswidrig sind, weil sie Realitätsbezug nicht mehr erkennen lassen, so leidet eine Besteuerung an demselben Fehler, welcher die „Realität Inflation" ausklammert; übrigens war es ja nicht zuletzt auch diese, welche zur Realitätsferne der Einheitswerte geführt hat. „Realitätsnahe" Besteuerung kann also an der Geldentwertung nicht vorübergehen. Gleich wer an ihr die Schuld trägt - der Staat darf nicht Erträge entziehen, die real gar nicht vorhanden sind, denn dadurch verstieße er insbesondere gegen das eigentumsverfassungsrechtliche Hälftigkeitsgebot (vgl. oben IV, 3). Der Einwand dagegen aus dem „Nominalwertprinzip Mark gleich Mark" geht fehl; denn die neue Realitätsöffnung der Abgabenpolitik wäre - realitätsfern, wenn sie gerade hier bei einer gesetzlichen Fiktion stehen bliebe. Es ist also die Inflationsfrage im Rahmen neu erkannter Kumulationsbedeutung von Belastungen ebenfalls neu zu überdenken.

187 188 189 190

BVerfGE 50, S. 57 (106/107). Vgl. Nachw. bei Tipke (Fn. 49), S. 456 ff. Vgl. etwa Papier, Maunz/Dürig, Art. 14 GG, Rdnr. 185. Siehe Kimminich im BK, Art. 14 GG, Rdnr. 63 m. Nachw.

VII. Mittelstandsförderung - von der Zulässigkeit zum Gebot kraft Verfassung

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Ergebnis Wirtschaftliche Gefährdungen für Unternehmen, insbesondere von deren Wettbewerbsfähigkeit, entstehen multikausal, auch im Zusammenwirken mehrerer gesetzlicher Belastungsursachen. Hier liegen auch die Hauptprobleme der Aussagekraft ökonomischer Untersuchungen. Im Steuerrecht ist jedoch neuerdings allgemein anerkannt worden, daß stets von der Gesamtsteuerbelastung auszugehen ist, nicht von der isolierten Wirkung einzelner Abgaben. Die Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG haben dies bekräftigt und erweitert: Stets kommt es bei der verfassungsrechtlichen Schrankenziehung gegenüber staatlich auferlegten Lasten allein auf die Gesamtbelastung an. In diese sind auch Vorbelastungen der Unternehmen mit Sozialabgaben, also insbesondere die gesetzlichen PZK, mit einzubeziehen. Dem Gesetzgeber bleibt dann die Entscheidung, wie er eine erträgliche Gesamtbelastung herstellen w i l l - durch Senkung der Soziallasten oder über Steuerverschonung. Auch die Frage der Berücksichtigung der Inflation bei der Beurteilung von Abgabenlasten muß i m Lichte der neuesten Rechtsprechung des BVerfG neu gestellt werden. Die frühere Feststellung des Gerichts, Geldentwertung und Steuer seien getrennt zu beurteilen, ist durch den neuen Realitätsmaßstab für die Abgabengewalt überholt. Es geht nicht um Verfassungskritik an staatlichem inflationsfördernden Verhalten, sondern allein um die Erfassung der tatsächlichen Ertragslage, in welcher belastet wird.

VII. Mittelstandsförderung - von der Zulässigkeit zum Gebot kraft Verfassung 1. Legitimation gegenüber der Gleichheit Die hohen PZK belasten den Mittelstand besonders, die „kleineren und mittleren Unternehmen", nach dem Sprachgebrauch des Europäischen Wirtschaftsrechts. Dies gilt insbesondere für das Handwerk als solches. Selbst wenn es bei wirtschaftlicher Betrachtung nach dem Zahlenverhältnis nicht wesentlich ungünstiger steht als größere Betriebe der „Industrie", so fehlen ihm doch in aller Regel einerseits die Verlagerungsmöglichkeiten ins Ausland, andererseits und vor allem aber die betrieblichen Umorganisationsmöglichkeiten und die finanziellen Ressourcen sowie die Finanzierungsmöglichkeiten der meisten Großbetriebe. Was diese als Einschränkungen, an „Gesundschrumpfen" noch überstehen können, führt bei mittelständischen Betrieben in aller Regel bereits zur akuten Existenzgefährdung. Eine Besserstellung mittelständischer Betriebe durch den Gesetzgeber ist daher, trotz vielfacher wirtschaftspolitischer Kritik an ungenügender Mittelstandsförderung, immer wieder erfolgt und dann auch vom BVerfG nicht selten als verfas-

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Β. Globale rechtliche Belastungsgrenzen

sungsrechtlich beachtlich gegenüber dem Gleichheitsgebot anerkannt w o r d e n 1 9 1 , wenn auch gelegentlich Mittelstandsprivilegierung nicht als hinreichender Differenzierungsgrund angesehen w u r d e 1 9 2 , oder sogar der Begriff „Mittelstand" als schwer definierbar erscheinen m o c h t e 1 9 3 . A n sich entspricht auch der Schutz mittelständischer Existenzen der Sozialstaatlichkeit 1 9 4 und: „Einen gewissen Ausgleich zwischen leistungsschwächeren und leistungsfähigeren Mitgliedern einer Gruppe zu Lasten der letztgenannten herbeizuführen, ist ein legitimes Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik" 1 9 5 . Diese gesamte „Mittelstandsrechtsprechung" - bei der übrigens auffällt, daß sie sich auf die Periode etwa 1960-1975 konzentriert - war auch stets den tatsächlichen, den Marktverhältnissen und -entwicklungen gegenüber geöffnet 1 9 6 . Ihre verfassungsrechtliche Bedeutung war aber die einer Rechtfertigung von Gesetzen, nicht der Begründung einer verfassungsrechtlichen Entlastungsverpflichtung. Als Grundlegung einer „Verfassungsschranke" gegenüber den PZK taugte sie also wenig, auch nicht zugunsten eines Handwerks, für welches das BVerfG ausdrücklich Mittelstandsförderung gut h i e ß 1 9 7 .

2. Die Wende zur „Mittelstandsförderung als Verfassungsgebot" Auch hier haben die Einheitswert-Beschlüsse des B V e r f G 1 9 8 nun den Durchbruch zu einer faßbaren Verfassungsverpflichtung des Abgabengesetzgebers gebracht: Zum Schutze bestimmter Betriebe gegen die Auswirkungen der ErbSt muß er nunmehr „namentlich für mittelständische Unternehmen" Steuerverschonungen vorsehen, die deren Existenzgefährdung ausschließen. Mittelständische Unternehmen werden nun also, mit besonderer Plausibilität, auf der Senkung von PZK-Belastungen oder steuerrechtlichen Kompensationen für diese Last, bestehen dürfen. Zwar gefährden hohe PZK die Existenz dieser Wirtschaftseinheiten nicht mit der gleichen Typizität, wie dies etwa bei der ErbSt der Fall sein mag; eine Analogie läßt sich aber, mit gebotener Vorsicht, durchaus ziehen. Entscheidend ist die Grundsatzerkenntnis des BVerfG: Mittelstandsschutz ist nunmehr Schranke der Abgabengesetzgebung. 191 Vgl. ζ. B. BVerfGE 13, S. 97 (110 ff.); 16, S. 147 (182 ff.); 21, S. 160 (169); 23, S. 50 (59 ff.); 39, S. 210 (227 ff.). 192 Siehe etwa BVerfGE 19, S. 101 (114 ff.). 193 BVerfGE 21, S. 292(299). 194 Sojedenfalls implizit BVerfGE 16, S. 147 (185). 195 BVerfGE 39, S. 210 (237), unter Hinw. auf E 37, S. 1 (24). 196 Besonders deutlich etwa in BVerfGE 21, S. 292 (300/301). 197 BVerfGE 13, S. 97 (110). 198 BVerfG NJW 1995, S. 2624.

Gesamtergebnis von Teil Β

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Ergebnis Die „kleinen und mittleren Unternehmen", der „Mittelstand", etwa das Handwerk, leiden sicher besonders unter hohen PZK, selbst wo die Betriebe dadurch nicht unverhältnismäßig schwerer belastet werden als die größeren der „Industrie": Es fehlen dort Kapitalkraft, Organisationsspielraum, Verlagerungsmöglichkeiten, Finanzierungsspielräume. Mittelstandsförderung ist stets vom Gesetzgeber betrieben, vom BVerfG in nicht wenigen Fällen als Privilegierungsgrund anerkannt worden, vor allem für das Handwerk. Verfassungsrechtliche Schranken oder Gesetzgebungsgebote wurden aus dem Begriff jedoch bisher nicht entwickelt. Auch hier bringt die neueste Rechtsprechung des BVerfG eine Wende: Von der ErbSt müssen „namentlich" mittelständische Unternehmen, weil durch diese Abgabe typisch in ihrer Existenz gefährdet, in besonderer Weise verschont werden. Mag dies auch nicht in gleicher Typizität für die PZK gelten - in vorsichtiger Analogie läßt sich auch für sie ein Privilegierungs- oder ein steuerliches Kompensationsgebot begründen. Mittelstandsschutz ist zur verfassungsrechtlichen Abgabenschranke geworden.

Gesamtergebnis von Teil Β Verfassungsschranken der staatlichen Abgabengewalt gibt es; neuerdings hat das BVerfG sie insbesondere aus dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) gewonnen, aber auch aus der Berufs/Gewerbefreiheit (Art. 12 GG). Der Abgabengesetzgeber hat vor allem stets realitätsnah zu belasten. Den Mittelstand hat er besonders zu schonen.

C· Die Überdehnung der Sozialversicherung ein wesentlicher Grund für überhöhte PZK I. Die Fragestellung - Sozialversicherungs-Verfassungsrecht und Senkung der PZK 1. Notwendigkeit der Untersuchung des „Spezial-Verfassungsrechts" der Sozialversicherung Die Höhe der gesetzlichen PZK hat ihren beiweitem wichtigsten Grund in den Sozialversicherungsbelastungen, welche die Unternehmen - und übrigens auch die Arbeitnehmer - zu tragen haben. Dies wurde bereits deutlich (oben A , IV). Nirgends bei den PZK trifft so deutlich wie hier den Gesetzgeber die Verantwortung für eine höchst bedenkliche wirtschaftspolitische Entwicklung, nicht primär die Tarifpartner. Jedenfalls fügt hier die Gesetzgebung den tarifpolitischen Entscheidungen einen selbstlaufenden Automatismus von gefährlicher Dimension hinzu. Die Allgemeinheit hat dies - in Umrissen - erkennen müssen, gerade i m Zusammenhang mit der Einführung einer sozialen Pflegeversicherung; Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Versicherungsträger machen geschlossen Front gegen eine daraus folgende - und sich ständig steigernde - Überhöhung der PZK. Daß es angesichts so starken politischen und sozialen Drucks noch immer nicht zu größeren, kostensenkenden Gesetzeskorrekturen gekommen ist, mag einen Hauptgrund darin haben, daß dann weit mehr als bisher die Sozialversicherung aus den staatlichen Haushalten, insbesondere über Bundeszuschüsse, finanziert werden müßte 199, wenn auch eine Vollfinanzierung nicht zulässig wäre, weil sie dem Wesen der Sozialversicherung widerspräche 2 0 0 . Der gesetzgeberische Trägheitswiderstand gegen derartige Forderungen findet allerdings eine entscheidende Stütze in der rechtlichen Entwicklung der Sozialversicherung, die wesentlich wiederum von der Rechtsprechung des BVerfG geprägt ist. Aus ihr wird ein so weiter sozialrechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers abgeleitet, daß die - politisch meist „bequemere" - Belastung der Sozialpartner eben weit näher liegt als Finanzierung über Steuern. Vor allem aber scheint sich daraus geradezu eine Verfassungslegitimation für diese Sozialbelastungsform herleiten zu lassen. Dann aber kann es doch kaum Verfassungsschranken für PZK geben, welche sich ihrerseits

199 Ruland(Fn. 10), S. 171. 200 Maunz, Th., in: Maunz/Dürig, Art. 74 GG, Rdnr. 173.

I. Die Fragestellung

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auf ein solches „Verfassungsrecht der Sozialversicherung" stützen könnten, mit ihren weiten Gesetzgebungsspielräumen. Die bisher zu den Verfassungsschranken gesetzlich auferlegter Abgabenbelastungen entwickelten Grundsätze (vgl. oben B) könnten also weitgehend in ihrem wichtigsten Bereich der PZK leerlaufen, weil das „Spezial-Verfassungsrecht" der Sozialversicherung sie unterliefe. Schon deshalb ist es an der Zeit, kritisch diesen Normenbereich mit seinen Gestaltungswirkungen gegenüber der Abgabengesetzgebung zu untersuchen - oder gar mit seinen angeblichen „Sozialaufträgen" an den Gesetzgeber; denn auch dies noch wird aus solchem höchstrangigen Sozialrecht abgeleitet. Darüber hinaus ist aber zu prüfen, ob sich nicht verfassungsrechtliche Grundsätze aufzeigen lassen, welche eine Senkung von Sozialversicherungs-PZK nicht nur gestatten, sondern sogar gebieten. Denn es genügt nicht, die allgemeine und grundsätzliche Existenz von Belastungsschranken aus der Verfassung abzuleiten; es muß auch ein konkreterer Beitrag zu möglicher Senkung der PZK versucht werden. Besonders wirksam kann dafür bei der Sozialversicherungs-Problematik angesetzt werden.

2. Die großen Fehlentwicklungen der Sozialversicherung aus Unternehmersicht Aus der Sicht der mit steigenden PZK belasteten Unternehmen ist diese besorgniserregende Entwicklung vor allem zurückzuführen auf große, seit langem laufende Fehlentwicklungen der Sozialversicherung, die es zu korrigieren gelte. I m Anschluß an das bereits oben Dargelegte (A, V, 2) kann diese Kritik, insbesondere seitens des Handwerks, wie folgt zusammengefaßt werden: a) Der Kreis der Versicherten ist zu weit ausgedehnt, Versicherungsbedürftigkeit und (damit) Versicherungsberechtigung sind übersteigert. Dies tritt vor allem in drei Erscheinungsformen auf: - Einbeziehung nicht schutzwürdiger Personenkreise - etwa der Höherverdienenden - in die Sozialversicherung, Fragen der Beitragsbemessung. - Gewährung von Versicherungsschutz unter erleichterten Bedingungen für an sich Schutzwürdige - etwa Probleme der Verlängerung der Beitragszeiten und Verkürzung der Rentenlaufzeiten. - Versicherungsschutz für Familienangehörige - vor allem i m Krankheitsfall. Alle diese Erweiterungen, welche seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in unterschiedlicher Intensität stattfanden, haben nicht nur zu hohen Belastungssteigerungen für die Unternehmen geführt, sie weisen auch alle jeweils eine erhebliche Steigerungsdynamik auf, die sich grundsätzlich-begrifflich, so scheint es, kaum be-

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

grenzen läßt, etwa i m Fall von Erleichterungen bei der Gewährung von Rentenansprüchen. b) Die Versicherungsleistungen schiedenen Richtungen:

sind übersteigert;

auch dies zeigt sich in ver-

- Fälle werden einbezogen, welche kein dem Unternehmen, dem Arbeitgeber zurechenbares Risiko abdecken (Beispiel: Wegeunfälle bei der Unfallversicherung, Pflege Versicherung) ; - Leistungen werden erbracht, welche keiner eigentlichen sozialen Risikovorsorge mehr dienen, weil dieser gegenüber zuviel geboten wird (Beispiel: Rentenniveau); - gewisse Leistungen kommen den Versicherten gar nicht zugute (Beispiel: Finanzierung der arbeitsmarktpolitischen Lasten der Arbeitslosenversicherung). c) Die Eigenbeteiligung der Versicherten ist zu gering. Die Eigenvorsorge könnte auf allen Gebieten der Sozialversicherung erheblich verstärkt werden, insbesondere bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Alle diese Ursachen wirken zusammen - und dies nun nicht nur aus der Sicht der Unternehmer, sondern objektiv feststellbar. Sie führen, in einem äußerst komplexen Belastungszusammenhang, zu der Höhe der gesetzlichen PZK. Sicher kann diese nur durch (vielfache) Einzelreformen fühlbar gesenkt werden. Doch über „pragmatische" Einzeldiskussionen allein läßt sich solches nicht erreichen. Vielmehr muß zuerst die Existenz und Notwendigkeit verfassungsrechtlicher allgemeiner Belastungsgrenzen erkannt werden; dies ist oben unter Β dargetan worden. Sodann ist aber zu prüfen, ob sich die dargestellten „Fehlentwicklungen " bei den Belastungen nicht auf allgemeine Fehlentwicklungen der Sozialversicherung als solcher zurückführen lassen. Nur wenn sich erweisen läßt, daß die Entwicklung der Sozialversicherung insgesamt sich von der Verfassung entscheidend entfernt hat, oder doch zu entfernen beginnt, versagt die verfassungsrechtliche Legitimation der Sozialversicherung gegenüber der Verfassung. Nur dann können die vorstehend entwickelten Belastungsgrenzen überhaupt zum Tragen kommen, dann allein läßt sich auch eine rechtspolitische Wende aus solchen Erkenntnissen heraus erwarten und durchsetzen. Aufgabe dieses Teiles der Untersuchung ist es, diese kritische Prüfung mit dem Ziel durchzuführen, allgemeinen, grundsätzlichen Fehlentwicklungen des Systems der Sozialversicherung in verfassungsrechtlicher Betrachtung nachzugehen.

Ergebnis Die Höhe der gesetzlichen PZK beruht vor allem auf den steigenden Belastungen der Unternehmen durch die Sozialversicherung. Die Gefährlichkeit dieser Entwicklung ist heute allgemein erkannt. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Sozialversi-

II. Fehlentwicklungen - Wege der Korrektur

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cherungsträger stimmen hier in ihrer Grundsatzkritik überein. Die Zurückhaltung des Gesetzgeber gegenüber notwendigen Reformen kommt vor allem aus der dann notwendigen Finanzierung der Sicherung über Steuern. Eine verfassungsrechtliche Stütze findet sie in der Annahme einer allgemeinen verfassungsrechtlichen Legitimation des Systems der Sozialversicherung; aus dieser könnte sich eine „große sozialversicherungsrechtliche Ausnahme" von der Wirkung der allgemeinen verfassungsrechtlichen Belastungsschranken ergeben. Dieses „Verfassungsrecht der Sozialversicherung" muß daher kritisch überprüft werden. Aus der Sicht der Unternehmen, etwa des Handwerks, haben sich vor allem drei korrekturbedürftige Fehlentwicklungen ergeben: zu weite Ausdehnung des Kreises der Versicherten, Übersteigerung der Versicherungsleistungen, zu geringe Eigenbeteiligung und Eigenvorsorge der Versicherten. Zu prüfen ist, ob sich diese Entwicklungen, die in ihrem Zusammenspiel zu den überhöhten gesetzlichen PZK geführt haben, von den Verfassungsvorgaben der Sozialversicherung entfernen. Erst wenn hier allgemeine Fehlentwicklungen sich zeigen, kann speziellere Einzelkritik zu wirksamen Reformen führen, denen dann scheinbare Globalbegründungen aus dem Sozialversicherungs-Verfassungsrecht nicht mehr entgegengesetzt werden können.

II. Fehlentwicklungen der Sozialversicherung Wege der Korrektur 1. Der „weite Gestaltungsraum" des Gesetzgebers kein Belastungsblankett Die Annahme größerer Fehlentwicklungen der Sozialversicherung, mit Blick auf die Verfassung, ist von vorneherein problematisch, wenn dem Gesetzgeber hier eine blankettartige Gestaltungsfreiheit zusteht - von Verfassungs wegen. Schon früh wurde dem Gesetzgeber vom BVerfG allgemein bestätigt, daß ihm hier „ein weiter Raum für die Gestaltung verbleibe, innerhalb dessen er Maß und Art der i m Interesse des Gemeinwohls notwendigen oder doch vertretbaren Eingriffe in die Freiheit zu bestimmen" h a b e 2 0 1 . In diesem weiten Raum habe er „das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und der sozialstaatlichen Ordnung zu l ö s e n " 2 0 2 . Schon zur Weimarer Zeit habe der soziale Rechtsstaat „den Ausgleich der durch die moderne Gesellschaft entstehenden Belastungen angestrebt" 2 0 3 . Nun sei es (zulässiger) Trend der staatlichen Sozialpolitik wie der allgemeinen Gesellschaftspolitik, „daß möglichst allen sozialen Schich201 BVerfGE 10, S. 354. 202 BVerfGE 29, S. 221 (235). 203 BVerfGE 11, S. 105(113). 6 Leisner

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

ten des Volkes eine Versorgung gesichert wird, die ihnen ein ausreichendes Maß an Konsumkraft e r h ä l t " 2 0 4 M i t solchen und ähnlichen allerallgemeinsten, rechtlich kaum mehr faßbaren Formulierungen wurde in der Nachkriegszeit die rasche Entfaltung, insbesondere Erweiterung, der Sozialversicherung höchst global gerechtfertigt. Später hat sich das BVerfG zwar mit solchen Aussprüchen zurückgehalten, die Formel vom „weiten Gestaltungsraum" in der Sozialversicherung aber weiterverwendet 2 0 5 . In den meisten Betrachtungen zum Verfassungsrecht der Sozialversicherung wird daher auf diese Gestaltungsfreiheit laufend und recht pauschal Bezug genommen, sei es am Beginn von Betrachtungen - um alle folgenden möglichen Begrenzungen gleich zu relativieren - sei es an deren Ende, i m Sinn einer Art von „Öffnungs-Generalklausel", mit demselben Ziel. Verfassungsrechtliche Untersuchung sollte jedoch vorsichtiger verfahren: Es gilt stets, zunächst die konkreteren Aussagen zur gesetzgeberischen Belastungsfreiheit zu prüfen, nicht von vorneherein ein Klima der Gesetzgebungsentbindung, bis hin zu virtueller Schrankenlosigkeit, zu akzeptieren oder gar zu schaffen. Beachtlich ist ja auch, daß zwar das BVerfG solche weite Formeln immer wieder gebraucht, sie auch stets mit dem Begriff der „Gestaltung" verbindet - was auf die technische Ausgestaltung primär hinweist nicht aber sie auf die Höhe oder Schwere der damit verbundenen Belastungen bezieht. Ein Blankett für Belastungshöhe bietet die Formel von der (sozialversicherungsrechtlichen) Gestaltungsfreiheit jedenfalls nicht.

2. Der „ausdehnungsfähige Gattungsbegriff Sozialversicherung" - Abkoppelung von der Tradition? a) Der Begriff der „Sozialversicherung " kommt im GG nur sporadisch, gewissermaßen „am Rande" vor, in Art. 74 Nr. 12, 87 Abs. 2, 120 Abs. 1 G G 2 0 6 . Er wird dort weder definiert, noch werden andere als kompetenzrechtliche Festlegungen über ihn getroffen. Das Sozialversicherungs-Verfassungsrecht ist also i m wesentlichen Richterrecht, vor allem des BVerfG und BSG. „Sozialversicherung" wurde zwar zunächst vom BVerfG von einem Recht der „sozialen Sicherheit" abgehoben, als ein engerer B e g r i f f 2 0 7 . Dies sollte bei Reformüberlegungen stets bedacht werden: Sozialversicherung ist von der Verfassung dann nicht mehr gedeckt, wenn sie in einem Recht der „sozialen Sicherheit" aufgeht. Auch bleibt stets zu bedenken, daß die Verfassung nicht einfach die (jeweils)

204 205 206 207

BVerfGE 29, S. 221 (242). Vgl. f. viele BVerfGE 53, S. 313 (326) m. Nachw. Siehe dazu Bogs, W., Festgabe für Muthesius, 1960, S. 47. Vgl. BVerfGE 11, S. 105 (111 f.); 62, S. 354 (366).

II. Fehlentwicklungen - Wege der Korrektur

83

bestehende Sozialversicherung „festschreibt" 2 0 8 - kein sozialversicherungsrechtlicher Entwicklungsstand ist irreversibel 209. Daß aber - umgekehrt - der „Sozialversicherung" als solcher erhebliche Entwicklungsdynamik innewohnt, daß sie keineswegs auf den Zustand von 1949 oder die Vorverfassungssituation der Länderverfassungen 210 festgelegt werden darf, ist ebenfalls unbestritten 2 1 1 . b) Das BVerfG bezeichnet die Sozialversicherung als einen weitgefaßten „verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff 1der alles umfasse, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstelle 2 1 2 - eine Leerformel, der bedauerlicherweise das Schrifttum ohne die erforderliche Grundsatzkritik gefolgt i s t 2 1 3 . Ebensowenig hilfreich ist die pauschale Feststellung, Karlsruhe gehe damit von einem „weiten Begriff der Sozialversicherung" a u s 2 1 4 . Zutreffend ist vielmehr, gerade für das Verständnis eines solchen „Typus- und Ordnungsbegriffs" lediglich eine Deutung, nach welcher er „durch einen festen (Wesens-)Kern konstituiert wird - einen Grundbestand von Prinzipien, welche die Identität der Kompetenzmaterie ausmachen"215. c) Doch das Gericht hat zunächst nicht diese Folgerung gezogen, sondern grundsätzlich die Erweiterungsfähigkeit der Sozialversicherung betont: So wurde etwa die Abschaffung der Jahresverdienstgrenze tendenziell g e b i l l i g t 2 1 6 ; das Kindergeldgesetz wurde gut geheißen mit der Begründung, die Entwicklung zum sozialen Rechtsstaat strebe den „Ausgleich der durch die moderne Gesellschaftsentwicklung bestehenden Belastungen" a n 2 1 7 . Die Schaffung neuer sozialer Versicherungen wurde auf solcher Grundlage ebenfalls ratifiziert, wie etwa die der gesetzlichen Alterssicherung für Landwirte ( G A L ) 2 1 8 . Einen Höhepunkt erreichte die Erweiterung des Sozialversichertenkreises mit der Billigung der Künstlersozialabgabe 219 , welche nun auch - erstmals - auf ernst208 BVerfGE 39, S. 302 (314/315); dies folgt auch nicht aus der Sozialstaatlichkeit, vgl. Isensee, J., DRV 1980, S. 145 (147). 209 Krause (Fn. 56), S. 128. 210 Krause, aaO., S. 121. 211 Isensee (Fn. 208), S. 147; Krause (Fn. 210). 212 BVerfGE 11, S. 105 (111 /112); BVerfG DVB1. 1987, S. 942 (943). 213 Vgl. z. B. Maunz, Maunz/Dürig, GG, Art. 74, Rdnr. 170; von Maydell/Ruland, SRH, 1988, S. 118; Papier, H.-J., ZSR 1990, S. 344; zurückhaltender hier die Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwGE 17, S. 74 (79); BayVerfGHE n.F. 12, S. 14 (17 f.). 214 Vgl. f. viele etwa Bogs, H., in: Veröffentlichung des Vereins für Versicherungswiss., 1973, S. 270 (271) m. Nachw., Brackmann, K., Handb. d. Sozialversicherung, 1/1, 1988, 88 m II. 215 Isensee (Fn. 56), S. 45, unter Hinw. auf BVerfGE 23, S. 12 (23). 216 BVerfGE 29, S. 221 (238 ff.). 217 BVerfGE 11, S. 105(112/113). 218 Siehe dazu eingehend schon BSGE 22, S. 92 ff., ihm folgend BVerfGE 25, S. 314 (320); zustimmend etwa Bogs, H. (Fn. 214), S. 51 ff. *

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

zunehmenden Widerstand i m Schrifttum stieß 2 2 0 . Doch insgesamt und allgemein wurde die Ausdehnungsfähigkeit der Sozialversicherung ohne nähere Schrankenziehung hingenommen 2 2 1 , insbesondere die Ausweitung der Versicherungspflicht als zulässig angesehen 222 . d) M i t dieser Rechtsprechung war das Gericht im Ergebnis weit über den Bees hatte zwar reich der „klassischen Sozialversicherung" hinausgegangen 223; selbst immer wieder die lange geschichtliche Entwicklung der Sozialversicherung nachgezeichnet, ihr aber nicht ausdrücklich eine „Beschränkung auf Tradition" entnommen 2 2 4 . Da mochte es zwar betonen, zu prüfen sei, „ob das System der Sozialversicherung auf dem Hintergrund seiner geschichtlichen Entwicklung i m ganzen gesehen willkürlich" s e i 2 2 5 - es hat eben der Auffassung Vorschub geleistet, die Sozialversicherung sei „nicht allein aus traditionalistischer Sicht zu interpretier e n " 2 2 6 - was immer das heißen mag; sie sei nicht nur eine Versicherung für Notlagen, wie beim Bismarck'schen Schwachenschutz, über seine Hilfe in Notsituationen dürfe sie hinausgehen 2 2 7 , sich in ihren Ausgestaltungen von Bisherigem auch unterscheiden 228 - wie weit? M i t dieser Entwicklung der Sozialversicherung schien diese weitestgehend abgekoppelt von einer Tradition, aus der allein sich doch letztlich ihre verfassungsrechtlichen Wesenselemente, ihr verfassungsrechtlicher Kern bestimmen lassen. Der Grundgesetzgeber hat diese Einrichtung 1949 vorgefunden - also kann er seine Kompetenzregelungen (vgl. oben a) doch nur an dem haben ausrichten wollen, was damals schon „typisch" war für diese Sicherungsform - was eben „der Sache nach", mit Blick auf die gesetzlichen Regelungen dieser Zeit, auch heute noch Sozialversicherung sein kann. Gelingt es nicht, derartige Wesenselemente faßbar herauszuarbeiten, so enthält die Verfassung mit ihren einfachen, noch dazu lediglich kompetenzrechtlichen Hinweisen auf die Sozialversicherung nur globale Blankettnormen, mit denen sich jede beliebige Belastung rechtfertigen läßt, der gegenüber dann verfassungsrechtliche Belastungsgrenzen schlechthin versagen. Dies ist in der Tat wohl das Grund Verständnis nicht weniger Autoren des Sozialrechts, die gar nicht mehr vertieft dar219 BVerfGE 75, S. 108 (146 ff.). 220 Vgl. etwa Friauf H., DB 1991, S. 1773 (1775 ff.); vor ihm bereits Isensee (Fn. 55), S. 460; Ruland (Fn. 10), S. 148; krit. auch Osterloh, L., NJW 1982, S. 1617 (1621 f.). 221 Siehe f. viele Krause (Fn. 56), S. 123; Bogs (Fn. 214), S. 51. 222 z.B. Ruland (Fn. 10), S. 163 f. 223 Vgl. BVerfGE 11, S. 105(111). 224 Siehe f. viele BVerfGE 29, S. 221 (235 ff.). 225 BVerfGE 29, S. 221 (244). 226 Maydell/Ruland (Fn. 213). 227 Nachw. dazu bei Brackmann (Fn. 214), S. 81 n; gegen Beschränkung auf Notlagen wendet sich das BVerfG in std. Rspr., siehe etwa BVerfGE 75, S. 108 (146 ff.). 228 Siehe dazu etwa BSGE 23, S. 37 (39).

II. Fehlentwicklungen - Wege der Korrektur

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über nachdenken, ob diese oder jene Belastung der Sozialversicherung, ob deren Höhe insgesamt den Betroffenen verfassungsrechtlich zuzumuten ist, den Arbeitgebern, aber auch den Arbeitnehmern. Diese - man muß schon sagen typische - sozialrechtliche Grundstimmung 2 2 9 darf nicht die Behandlung der Problematik der Verfassungsgrenzen der PZK bestimmen; denn aus ihr heraus könnten praktisch sozialrechtliche Belastungen in einem nicht mehr nur grundrechtsverdünnten, sondern nahezu grundrechtsfreien Bereich auferlegt werden, weil eben der Sozialversicherungs-Gesetzgeber diese Sicherungsformen „immer weiter fortentwickeln" dürfte. e) Doch die Sozialversicherung ist kein traditionsentbundenes Belastungsreservat der Gesetzgebung, gegenüber insbesondere grundrechtlichem Verfassungsschutz. Das BVerfG hat dies denn auch anerkannt und selbst zu Zeiten einer wahren Sozialversicherungs-Euphorie in der immer wohlhabender werdenden Bundesrepublik bereits versucht, die wesentlichen Strukturelemente der Sozialversicherung herauszuarbeiten, damit aber auch deren verfassungsrechtliche Schranken. In seiner ersten Grundsatzentscheidung bereits hat das BVerfG die wesentlichen Elemente herausgestellt, welche mit Verfassungsrang das Wesen der Sozialversicherung bestimmen - und zwar eben doch in seiner Prägung durch die „klassische" Sozialversicherung 230: aa) Deckung eines möglichen in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs; bb) durch Verteilung

auf eine organisierte

cc) sachorientierter Anknüpfungspunkt ten und Beitragspflichtigen 231.

Vielheit; schließlich

in den Beziehungen zwischen Versicher-

Damit sind die Kriterien, wenn auch in denen sich nun die Beurteilung möglicher nach denen diese auch zu korrigieren sind. im folgenden unter 3, der „Sachorientierte i m wesentlichen unter 4 behandelt.

sehr allgemeiner Form, klar fixiert, an Fehlentwicklungen zu orientieren hat, Die „Bedarfsdeckung" (bb) wird dabei Anknüpfungspunkt" (cc) im folgenden

Hier aber bleibt noch dreierlei zu betonen: - Die herkömmliche Organisation der Sozialversicherung in Form öffentlichrechtlicher, weitgehend autonomer, juristischer Personen wird vom BVerfG von Anfang an als besonders charakteristisch für das B i l d der Sozialversicherung im verfassungsrechtlichen Sinn bezeichnet 2 3 2 , später heißt es, es komme „insbeson229 Aus der heraus etwa Otto Emst Krasney, in dem Rechtsgutachten zu Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Pflegeversicherung im Rahmen der Sozialversicherung, Masch., Dez. 1991, die Pflegeversicherung rechtfertigen konnte. 230 BVerfGE 11, S. 105 (112) - bis zur Entscheidung über die Künstlersozialabgabe, BVerfGE 75, S. 108 (146 ff.). 2 31 So die „Formelergänzung" im BVerfGE 75, S. 108 (147). 232 Vgl. BVerfGE 11, S. 105 (112).

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung dere auf die organisatorische Bewältigung ihrer Durchführung" a n 2 3 3 . Die Versuchung liegt dann nahe, die Schaffung einer derartigen Organisation für die verfassungsrechtliche Legitimation der Sozialversicherung genügen zu lass e n 2 3 4 . M i t anderen Worten: Jede Gestaltung der Sozialversicherung, damit aber auch die Höhe der durch sie verursachten Unternehmensbelastungen, könnte dann schon deshalb vor der Verfassung bestehen, weil sie in der Selbstverwaltungsorganisation die „Verteilung auf eine organisierte Vielheit" vornähme. Damit hätte es eine - materiellrechtlich nicht beschränkte - staatliche Organisationsgewalt in der Hand, die übrigen o.e. verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen leerlaufen zu lassen. Dies wäre jedoch abwegig: Die Organisationsformen der Sozialversicherung legitimieren nicht die Höhe der auf ihrer Grundlage auferlegten Belastungen.

-

" Von einer Abkoppelung der Sozialversicherung von ihrer Tradition" kann nach der Rechtsprechung nicht und darf auch nicht die Rede sein. Nur eine solche Verbindung ermöglicht es vielmehr, Fehlentwicklungen, in einer gewissen Rückblende, zu korrigieren. Dies bildet Ausgangspunkt und Rechtsgrundlage für die folgenden Untersuchungen zu den Kriterien des „Bedarfs" und zu dem „sachorientierten Anknüpfungspunkt", vor dem sich die eingangs dargestellten möglichen Fehlentwicklungen müssen rechtfertigen lassen.

- Selbst wenn man jedoch die Traditionsbindung der Sozialversicherung wesentlich mit einbezieht, so dürfte doch ein Gesichtspunkt allein die Korrektur einer Fehlentwicklung nicht tragen können: daß die gesicherten Personen nicht sicherungsbedürftig, weil wirtschaftlich hinreichend leistungsfähig seien. Schranken in der Bestimmung der generellen Schutzwürdigkeit eines bestimmten Versicherungskreises lassen sich, nach der bisherigen Verfassungsrechtsprechung, dem Gesetzgeber kaum mehr ziehen, da gerade das BVerfG die ständige Ausweitung dieser Kategorie immer wieder gebilligt hat. Dies ist aber auch für die hier zu untersuchenden Fragen, insbesondere aus der Sicht des Handwerks, nicht von wesentlicher Bedeutung. Denn seine PZK erhöhen sich nicht erheblich wegen solcher Erweiterungen des Kreises der Schutzbedürftigen. Die Problematik der Beitragszeiten und der Rentenlaufzeiten gehört jedoch zur Frage der „Bedarfsdeckung" im Rahmen einer „Versicherungslösung", die diesen Namen verdient (im folgenden 3), die des Schutzes der Familienmitglieder in den Bereich des „Bezugspunktes Arbeitsverhältnis" (im folgenden 4). Jedenfalls ist schon jetzt festzustellen: Der Begriff der Sozialversicherung kann nicht als globale Rechtfertigung der Höhe durch sie verursachter PZK dienen; aus ihm ergeben sich - umgekehrt - Verfassungsschranken.

233 BVerfGE 62, S. 354 (366). 234 Zutr. Selmer (Fn. 56), S. 370/371.

II. Fehlentwicklungen - Wege der Korrektur

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Ergebnis „Sozialversicherungsrecht' 4 ist nicht „Recht der sozialen Sicherheit"; der Begriff legitimiert keine Auferlegung von Lasten zur Verwirklichung derart allgemeiner Zwecke. Sozialversicherung ist ein „verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff (BVerfG). Dies schließt aber die Annahme eines „Kernes" dieses Regelungsbereichs nicht aus. Sozialversicherung ist ein ausdehnungsfähiger Begriff, das BVerfG hat daher insbesondere die Erweiterung der Versicherungspflicht immer wieder gebilligt. Sozialversicherung kann, über den Bereich der „klassischen Sozialversicherung" hinaus, nicht nur gegen Notlagen schützen. Damit scheint der Begriff weitestgehend von der Tradition dieses Bereichs abgekoppelt zu sein. Es droht dann aber die Gefahr, daß er zur globalen Blankettnorm wird, mit der jede Sozialversicherungs-Belastung verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre, auch gegenüber anderweiten Versicherungsschranken. Das BVerfG hat jedoch, andererseits, betont, das Wesen der Sozialversicherung sei doch durch die „klassische Sozialversicherung" in wesentlichen Elementen geprägt: Deckung eines möglichen Bedarfs, sachorientierter Anknüpfungspunkt in den Beziehungen zwischen Versicherten und Beitragspflichtigen sowie Organisation in den herkömmlichen Formen autonomer öffentlich-rechtlicher Träger. Typisch sozialversicherungsrechtliche Organisation allein legitimiert jedoch nie die Höhe durch sie auferlegter Belastungen. „Abkoppelung des Verfassungsrechts der Sozialversicherung von der Rechtstradition" dieses Bereiches ist unzulässig. Nur letztere ermöglicht die Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung aus den vorerwähnten materiellen Wesenselementen dieser Sicherungsform. Die Sicherungsbedürftigkeit eines Personenkreises kann jedoch der Gesetzgeber, nach der Rechtsprechung des BVerfG, in aller Regel bestimmen und auch wesentlich erweitern. Doch dies ist für die PZK-Problematik nicht von entscheidender Bedeutung; denn die Frage etwa der Mitversicherung von Familienangehörigen gehört zu dem davon zu unterscheidenden Problemkreis des „Bezugspunktes Beschäftigungsverhältnis". Keinesfalls kann die Höhe der gesetzlichen PZK einfach aus dem Begriff der Sozialversicherung legitimiert werden.

3. Abkoppelung der Sozialversicherung vom „Versicherungsbegriff" - grenzenloser „Ausgleich"? a) Eine Reihe wichtiger Phänomene der Sozialversicherung, welche gerade die Höhe der PZK wesentlich beeinflussen, müssen heute zu der Frage führen, ob

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

diese Sicherungsform überhaupt noch den Namen „Versicherung" verdient, ob sie sich damit nicht auch von ihrem verfassungsgeprägten Leitbild (vgl. vorstehend 2) entfernt, vielleicht damit geradezu verfassungswidrig zu werden droht, jedenfalls aber grundrechtliche Verfassungsschranken nicht mehr grenzenlos durchbrechen kann. Dies betrifft - einerseits die Gewährung von Sozialversicherungs-Schutz unter immer weiter erleichterten Bedingungen, - vor allem aber die Übersteigerung der Versicherungsleistungen (vgl. oben I, 2, a, b). Beidem ist gemeinsam, daß eine Privatversicherung nie bereit und in der Lage sein würde, derartige Leistungen bei vergleichbaren Beitragsleistungen der Versicherten zu gewähren. Es fragt sich daher, ob hier nicht Fehlentwicklungen der Sozialversicherung liegen, welche sich aus deren Begriff als einer „Versicherung" bereits ergeben, also an sich schon sozialversicherungsrechtlich zu korrigieren sind. Von den vorstehend 2, e dargestellten wesentlichen Verfassungselementen des Sozialversicherungs-Begriffs betrifft dies im wesentlichen den „,schätzbaren Bedarf ' der Versicherten, in seinem versicherungsrechtlichen Bezug zu der „Verteilung a u f die Sozialversicherten. b) Die Sozialversicherung ist in ihrer gesamten geschichtlichen Entwicklung stets als eine Form der Versicherung ausgestaltet gewesen; dies gilt auch heute. Es ist mehr denn je i m Bewußtsein einer Allgemeinheit verankert, welche sich berechtigte Sorgen macht, ob angesichts der demographischen Entwicklung die heutige Generation noch von schwächeren künftigen Generationen gesichert werden kann. Zuwenig ist klar, daß diese Besorgnis allein schon zeigt, daß i m allgemeinen Bewußtsein die Sozialversicherung eben - Versicherung ist. Die „.Beiträge" von Arbeitnehmern und Arbeitgebern stellen also das zentrale Wesenselement nicht nur der Privat-, sondern auch der Sozialversicherung d a r 2 3 5 . Das „Selbsterdienen" des Versicherungsschutzes steht im Zentrum der Sozialversicherung - der Versicherungsnehmer ist gerade kein „gottgeschenktes Almoseno b j e k t " 2 3 6 - die „Eigenleistungen" der Beitragszahler 2 3 7 . Deshalb hat auch das BVerfG den Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz zuerkannt 2 3 8 . Auch die Risiken, welche durch die Sozialversicherung abgedeckt werden sollen, sind, an sich, grundsätzlich „typische Versicherungsrisiken", sie sind versiche-

235 Isensee (Fn. 55), S. 447. 236 Vgl. Brackmann (Fn. 214), 81 n; Bogs, W. (Fn. 210), S. 47 (54). 237 Vgl. etwa BVerfGE 69, S. 272 (304); 72, S. 9 (19); 76, S. 220 (235); BSGE 69, S. 66 (77). 238 Ruland(Fn. 10), S. 153.

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rungsfähig - nicht allgemeine Lebensbedürfnisse sollen erfüllt, es soll Schutz gegen Wechselfälle des Lebens geboten werden 239. Dies schließt auch bis ins einzelne gehende Vorsorge dagegen e i n 2 4 0 , die grundsätzlich sogar die Kinder erfassen k a n n 2 4 1 - allerdings fragt es sich, ob hier noch eine hinreichende Verbindung zum Arbeitsverhältnis besteht (vgl. dazu näher 4). Allerdings ist gerade bei der Abgrenzung „Wechselfälle des Lebens - Lebensbedürfnisse" als Versicherungsgegenstand auch die freiheitliche Grundkonzeption der Verfassung zu beachten 2 4 2 : Der Begriff der „Wechselfälle" darf nicht so weit ausgedehnt werden, daß er die Bedürfnisbefriedigung in einem Umfang mit erfaßt, welcher diese aus der allgemeinen Vorsorgefreiheit freier Bürger vollständig ausschließt 2 4 3 . Die versicherungstypische „Unsicherheit", gegen welche auch durch die Sozialversicherung vor allem geschützt werden s o l l 2 4 4 , mag hier weitergehend ausgeschlossen werden als es der Versicherungsbegriff an sich erfordert; auch sie ist aber eben ein typisches Versicherungselement der Sozialversicherung und dieser eigentümlich. Der „.Risikoabdeckungsbezug" prägt also grundlegend Sozialversicherung wie Privatversicherung 245 . Sozialversicherungsrechtliche Risiken können mithin an sich auch über das für die Privatversicherung typische Kapitaldeckungsverfahren bewältigt werden 2 4 6 . Hans Zacher konnte daher formulieren 2 4 7 : „Die Sozialversicherung hat in erster Linie Versicherung zu sein, d. h. gegenseitige Deckung eines zufälligen und schätzbaren (Geld-)Bedarfs zahlreicher gleichartig Bedrohter" (Herv. v. Verf.). c) Demgegenüber ist schon früher die Frage gestellt worden, ob in der Sozialversicherung überhaupt „eine Versicherung i m Rechtssinne" gesehen werden k ö n n e 2 4 8 . Jedenfalls handle es sich um eine Sicherung anderer A r t 2 4 9 , die nicht versicherungsrechtlich, sondern „sozialpolitisch" zu beurteilen sei und zu einem besonderen „Sozialrechtsverhältnis" führe 2 5 0 . Die Sozialversicherung decke nicht 239 Dazu Krause (Fn. 56), S. 123. 240 Brackmann (Fn. 214), 81 n. 241 „Zu den Wechselfällen des Lebens gehört ... auch der Kindersegen", Köttgen, Α., Festschr. f. Muthesius, 1960, S. 19 (38). 242 Dazu Grabau, F.-R., ZRP 1993, S. 142 (144). 243 Daß dies eine Rentenversicherung nicht ausschließt, ist selbstverständlich; dies gilt auch im Bereich der Privatversicherung; vgl. Bogs (Fn. 206), S. 53. 244 Zacher, H., Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der BRD, 1980, S. 56; Brackmann (Fn. 214), S. 81 m II. 245 Siehe u. a. Krause (Fn. 56), S. 133; vgl. auch Isensee, J., ZRP 1982, S. 137 (141 f.). 246 Krasney, BKK 1992, S. 549 (550). 247 248 249 250 Rdnr.

Gestützt auf den allgemeinen Versicherungsbegriff (Fn. 244), S. 52. Zu früheren Diskussionen vgl. Nachw. bei Krause (Fn. 56), S. 124/125. Für viele Bogs (Fn. 214), S. 48. Vgl. etwa Doetsch, W. (Hrsg.), Handb. z. Sozialrecht, Stand: 1989, Gruppe 2, S. 607, 17 m. Nachw.; siehe auch Ruland (Fn. 10), S. 152/ 153.

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nur versicherungsfähige Risiken ab, sie verwirkliche darin zugleich einen sozialen Lastenausgleich, dies sei ihr wesensgemäß 251 . Diese häufig geäußerte Meinung stellt keine eigentlich herrschende Lehre dar. Denn was das Wesen eines solchen „Ausgleichs" sei, bleibt i m D u n k e l n 2 5 2 - es sei denn, man sehe dieses Wesen ganz einfach in Umverteilung 2 5 3 und endet dann bei dem Satz: „Umverteilung ist nicht gleichheitswidrig, sie bewirkt soziale G l e i c h h e i t " 2 5 4 - oder gar in allgemeinen Solidaritäts-, ja Brüderlichkeitserwägungen 255 . Dabei läßt sich dann auf den Begriff einer „Solidargemeinschaft" hinweisen, welche j a die traditionelle Organisationsform der Sozialversicherung darstelle 2 5 6 . I m wesentlichen stützt sich diese Auffassung auf das erste bedeutsame Urteil des BVerfG zur Sozialversicherung, in dem es h e i ß t 2 5 7 : „Der Einwand der Beschwerdeführer, es fehle an einem individuellen Risiko, ohne das eine „Versicherung" nicht denkbar wäre, geht fehl, da die Sozialversicherung nicht vom Risikobegriff der Privatversicherung ausgeht; sie enthält von jeher auch ein Stück staatliche Fürsorge (BVerfGE 9, 124 (133); 10, 141 (166)). Allerdings steht der Fürsorgegedanke beim Kindergeldgesetz im Vordergrund. Doch hindert das nicht die Qualifikation als Sozialversicherung, wenn man ihre heutige Bedeutung in der staatlichen Sozialpolitik berücksichtigt." d) Die vorstehend dargestellte Auffassung im Schrifttum hat die Bedeutung des „Ausgleichs' 1 für die Sozialversicherung weit übersteigert. Das BVerfG hat in der zitierten Entscheidung nicht etwa ausgesprochen, der Fürsorge-Ausgleichsgedanke könne „das Versicherungsprinzip völlig verdrängen" 2 5 8 . Qualifikation als Sozialversicherung wird lediglich dadurch nicht ausgeschlossen, daß „der Fürsorgegedanke i m Vordergrund" steht 2 5 9 . Dies wird überdies in Zusammenhang mit den Fürsorgepflichten des Arbeitgebers i m modernen Arbeitsverhältnis gebracht, dient also ersichtlich in erster Linie der Begründung der Beitragspflicht des Arbeitgebers, nicht der eines umverteilenden Ausgleichs, um den es in dieser Entscheidung gar nicht ging. Übrigens ist es durchaus möglich, den „Kindersegen" als versicherbares Risiko zu betrachten 2 6 0 , daher kann dann auch das dort behandelte Kinder-

251 Krause (Fn. 56), S. 126 (135); Kloepfer, M., VSSR 1994, S. 1546 ff.; Zacher (Fn. 244), S. 54; Rüfner, W., Handb. d. Staatsrechts III, 1988, § 80, Rdnr. 116; Ruland (Fn. 10), S. 152. 252 Vgl. Bogs, W. (Fn. 206), S. 48. 253 Krause (Fn. 56), S. 135 m. Nachw. 254 Krause, aaO. 255 Kloepfer (Fn. 251), S. 158 ff. 256 Brackmann (Fn. 214), S. 81 n; vgl. dazu auch Isensee (Fn. 56), S. 47 f. 257 BVerfGE 11, S. 105(114). 258 So aber - zu weitgehend - Krause (Fn. 56), S. 126, der übrigens selbst dem kritisch gegenübersteht (aaO.). 259 Vgl. auch BVerfGE 21, S. 362 (378). 260 Vgl. oben Fn. 241; nicht überzeugend ist die Gegenauffassung, dazu Nachw. aus der damaligen sozialpolitischen Diskussion in BSGE 6, S. 213 (228).

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geld unter diesem Gesichtspunkt noch der Sozialversicherung zugeordnet werden. Bemerkenswert ist überdies, daß das BVerfG eben vor allem von „Fürsorge" spricht 2 6 1 ; „Lastenausgleich" dagegen wird insbesondere dort erwähnt, wo es um die soziale Lastenverteilung zwischen den Sozialpartnern geht. Nirgends steht, soweit ersichtlich, der „Ausgleich" als Form der Nivellierung im Vordergrund, nie wird dies als ein „Grundprinzip" der Sozialversicherung bezeichnet. Auch kann keine Rede davon sein, daß das Sozialstaatsprinzip, als dessen gesetzgeberische Umsetzung die Sozialversicherung erscheinen mag, „den Staat u. a. dazu verpflichtet, Solidarität zwischen organisierten Interessen zu schaffen und notfalls auch zu erzwingen" 2 6 2 : Verpflichtet wird der (Sozialversicherungs-)Gesetzgeber durch die Sozialstaatsklausel zu nichts, allenfalls gestattet sie ihm etwas. Ausdrücklich hat übrigens das BVerfG ausgesprochen, die Sozialversicherung enthalte zwar ein wesentliches Element sozialer Fürsorge, sei aber mindestens ebenso stark durch die versicherungsrechtliche Komponente geprägt 2 6 3 . Die im Schrifttum, nicht hinreichend begründet, angenommene Dualität der Grundprinzipien der Sozialversicherung 264, das Spannungsverhältnis zwischen Versicherung einerseits - Ausgleich zum anderen, muß also überdacht werden: Allzurasch verfallen dogmatisch bemühte Schriftsteller in solche Begrifflichkeit, welche die Bedeutung der „Fürsorge", des „Ausgleichs" weit überzeichnet. Diese kommen allenfalls als maßvolle Korrektur des Versicherungsprinzips in Bet r a c h t 2 6 5 ; die Solidarität darf nicht überdehnt werden 2 6 6 , beim Äquivalenzprinzip der Versicherung muß es bleiben, und sei es auch in einer gewissen Erweiterung auf Globaläquivalenz für den beitragszahlenden und Leistungen empfangenden Personenkreis 267 . Die Leistung muß dem Interesse der Versicherten entsprechen, für dessen Befriedigung sie Beiträge entrichten. Die Steigerung der Sozialversicherung zu einem „Sozialhilfemechanismus höheren Grades" widerspricht dem allgemeinen Sozialversicherungsbewußtsein in der Bevölkerung; sie läßt sich nicht aus der Rechtsprechung des BVerfG ableiten; sie verengt übermäßig den Versicherungsbegriff, indem sie als Gegenstand sozialen Ausgleichs ausgibt, was ohne weiteres versicherbares Risiko sein kann. Vor allem aber steht hinter ihr das Bemühen, die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung zu rechtfertigen, die ja nicht als „reine Versicherungssubvention" erscheinen dürfen 268. 261 Vgl. etwa BVerfGE 9, S. 124 (133); 10, S. 141 (166); 21, S. 362 (378); 25, S. 314 (323); 28, S. 324 (348 ff.) usw. 262 Kloepfer (Fn. 251), S. 159. 263 BVerfGE 28, S. 324 (349). 264 Vgl. f. viele Doetsch (Fn. 250); Maschmann (Fn. 85), S. 303. 265 Bogs, H. (Fn. 214), S. 278. 266 Siehe Isensee (Fn. 55), S. 454. 267 Vgl. Isensee, aaO., S. 453; Kloepfer (Fn. 251), S. 157. 268 Zu deren Legitimationsbedürftigkeit vgl. Ruland (Fn. 10), S. 149.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

Die Sozialversicherung mag - insbesondere in der Lasten Verteilung zwischen den Versicherten - eine Versicherung eigener Art sein: Versicherung bleibt sie, sie muß sich nach deren Grundkriterien auch behandeln lassen. e) Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Belastungen, die in ihrem Namen über PZK den Unternehmen auferlegt werden dürfen: Sie müssen stets zuallererst nach Versicherungsgesichtspunkten kalkuliert werden; an einem solchen Ergebnis sind dann allenfalls marginale Korrekturen noch anzubringen. Wesentliche Konsequenzen lassen sich daraus für die oben (a) dargestellten Kritikpunkte des Handwerks an der Sozialversicherungs-Belastung ableiten: Der Versicherungsschutz kann nicht, unter Berufung auf die Ausgleichsfunktion der Sozialversicherung, immer weiter, ungemessen ausgedehnt werden, - weder durch Erleichterung des Zugangs zu den Versicherungsleistungen (Wartezeiten und ähnliches), - noch, vor allem, durch immer weitere Steigerung der Versicherungsleistungen, insbesondere i m Rentenbereich. Vielmehr muß sich all dies messen lassen an dem fundamentalen Kriterium der Abdeckung des „Risikos gegen Wechselfälle des Lebens". Dieses darf nicht auf „Befriedigung jedes Lebensbedürfnisses" erweitert werden. Wäre dies zulässig, so könnte die KFZ-Versicherung wie die Rechtsschutzversicherung als Sozialversicherung ausgestaltet werden, diese dürfte sogar bis zur „Kleidungs-, Wohnungsund Lebensmittelversicherung" ausgebaut werden - denn für all dies kann selbstverständlich „fürsorgerisch Vorsorge" getroffen werden, dort überall bestehen „elementare Bedürfnisse"; der Begriff der „Fürsorge" ist als solcher völlig konturenlos, aus ihm läßt sich kein Wesenselement der Sozialversicherung erschließen. Weiter führt dagegen der „Lastenausgleichs-Begriff", nimmt man ihn nur ernst, legt man das Schwergewicht zutreffend auf das Wort „Last. Nur was eine solche ist, darf auch sozialversichert werden; und nur soweit zur Abdeckung dieses Lastenrisikos die individuelle Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht ausreicht, greift seine Solidargemeinschaft ein, kann es dann „Ausgleich" geben, auch mit staatlicher Unterstützung. Sozialversicherung ist nicht Ausgleich (an sich), Umverteilung, Nivellierung, sondern all dies nur, soweit es versicherungsrechtlich nötig ist, um bestimmte versicherbare Lasten zu tragen. Praktisch bedeutet dies: Erhöhung der Renten oder deren erleichterte Gewährung lassen sich nicht „an sich" schon aus dem Begriff der Sozialversicherung als einem „sozialen Ausgleich" ableiten. Jeder Schritt in diese Richtung - und auch bereits der heute erreichte Zustand - ist kritisch zu überprüfen, - nicht darauf, ob hier ein Ausgleichs-, ein Nivellierungspotential sich erschließt, sondern - ob gerade dies für die Versicherten so lebenswichtig ist - wenn auch nicht i m Sinn eines Existenzminimums, wohl aber etwa in der Sicherstellung durch-

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schnittlicher Lebensführung 2 6 9 , daß der Arbeitnehmer mit diesem Risiko nicht alleingelassen werden darf. Das lenkt nicht etwa zu einer „Notlagen-Sozialversicherung" zurück, rechtfertigt aber auch nicht eine Lebensstandardversicherung. Vor allem jedoch stellt es auch die Frage nach der Möglichkeit zumutbarer Eigenvorsorge. Alle diese Fragen müssen in eingehender sozialpolitischer Diskussion geklärt werden, ohne jedes Besitzstandsdenken, das hier keinen Platz hat, mit alleinigem Blick auf die konkrete jeweilige Lage der Versicherten, nicht aus irgendwelchen sozialreformerischen Grundhaltungen heraus. Gewissen politischen Richtungen ist es bisher gelungen, die Sozialversicherung einzuspannen zur Erreichung ihrer Ziele, der Umgestaltung der Gesellschaft durch massive Nivellierung. Unterstützt wurden sie darin durch manche moralisierenden Bestrebungen, welche Züge einer Sozialversicherungs-Romantik tragen. A l l dies hat mit geltendem Verfassungsrecht nichts zu tun. Dessen Abgabenschranken (vgl. oben B) dürfen also nicht unter Berufung auf eine Sozialversicherung zurückgeschoben werden, die ihrerseits nur Hilfe zur Lastentragung sein darf, nicht zur einebnenden Bedürfnisbefriedigung durch hoheitlichen Zwang. Die Sozialversicherungs-Belastungen der PZK können daher ohne weiteres von Verfassungs wegen abgemildert werden, aufgrund einer unideologischen, realitätsbezogenen Lastendiskussion; und diese muß ablaufen; denn die Sozialversicherung gibt dem Gesetzgeber kein Blankett zu (ständig fortschreitender) allgemeiner Bedürfnisbefriedigung der Quasi-Gesamtheit aller Bürger, das er verfassungsrechtlichen Abgabenschranken (vgl. oben B) entgegenhalten dürfte.

Ergebnis Die Sozialversicherung darf nicht vom Versicherungsbegriff abgekoppelt, als ein System grenzenloser Bedürfnisbefriedigung i m Namen eines „sozialen Ausgleichs" eingesetzt werden. Die Sozialversicherung ist in ihrer gesamten Entwicklung stets als eine Form der Versicherung ausgestaltet gewesen, die nicht allgemeine Lebensbedürfnisse erfüllt, sondern Schutz gegen typische Wechselfälle des Lebens bietet. Auch i m sozialrechtlichen Schrifttum wird daher betont, daß sie stets und in erster Linie Versicherung bleiben muß. Sozialer Lastenausgleich durch Fürsorge ist auch Aufgabe der Sozialversicherung, nach der Rechtsprechung des BVerfG, jedoch nicht etwa zur umverteilenden Herstellung der materiellen Gleichheit. Hinweise des BVerfG auf diesen Lastenausgleich sind i m Schrifttum zum Teil weit übersteigert worden, als gebe es eine 26

9 Was ja auch zu steuerrechtlicher Verschonung führen muß, vgl. nun die Einheitswertbeschlüsse des BVerfG zur VSt und ErbSt, NJW 1995, S. 2615 u. S. 2624.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

„Dualität" von Sozialversicherungs-Prinzipien: „Versicherung" und „Ausgleich". In Wahrheit ist letzterer nur Hilfe zur Erfüllung der Versicherungsfunktion. Gewünscht ist nicht „Ausgleich als solcher" im Sinn der Nivellierung, sondern Ermöglichung von Lastentragung durch kollektive Versicherungsformen. Entscheidend ist also stets, ob überhaupt eine sozial zu versichernde Last besteht, nicht ein in Eigenvorsorge zu erfüllendes privates Bedürfnis. Der konturenlose Begriff der „Fürsorge" als solcher legitimiert keine Sozialversicherungs-Belastung. Praktisch bedeutet dies: Erleichterter Zugang zu Sozialversicherungs-Leistungen und deren Steigerung lassen sich nicht kurzerhand aus einem „Ausgleichsbedürfnis" herleiten, sie müssen in eingehender Prüfung aus der Lasten-Lage der jeweiligen Periode begründet werden. Dabei darf Besitzstandswahrung kein entscheidendes Kriterium sein. Sozialversicherung ist keine Lebensstandardversicherung. Entgegengewirkt werden muß politischen Bestrebungen, welche die Sozialversicherung primär als gesellschaftsveränderndes Nivellierungsinstrument einsetzen wollen. Sozialversicherungsbelastungen über PZK können daher ohne weiteres auch nach einem „Verfassungsrecht der Sozialversicherung" abgemildert werden, aufgrund einer unideologischen, realitätsbezogenen Lastendiskussion. Sozialversicherung gibt dem Gesetzgeber kein Blankett zu (ständig sich steigernder) allgemeiner Bedürfnisbefriedigung der Quasi-Gesamtheit aller Bürger, das er verfassungsrechtlichen Abgabenschranken entgegenhalten dürfte.

4. Abkoppelung der Sozialversicherung vom Arbeitsverhältnis? a) Ein „sachorientierter Anknüpfungspunkt" ist für jede Sozialversicherungs-Belastung Voraussetzung, in den Beziehungen zwischen Versicherten und Beitragspflichtigen (vgl. oben 2, e). Dies betrifft vor allem die Legitimation der Beitragspflicht der Arbeitgeber (vgl. i m folgenden 5), hat aber zunächst auch selbständige Bedeutung: Der Versicherungsschutz muß an einen bestimmten Lebenssachverhalt anknüpfen. Wenn die Aussage des BVerfG von der „Prägung der Sozialversicherung" durch deren „klassische Formen" auch nur noch irgendeine Bedeutung haben soll, so kann dieser Anknüpfungspunkt nur in einem liegen: im Arbeitsverhältnis des Versicherten. Rentenversicherung greift ein, weil bei typisierender Betrachtung der Arbeitnehmer nicht mehr arbeiten kann, dies gilt für die Kranken-, Unfall- und vor allem für die Arbeitslosenversicherung. Sozialversicherung ist ganz wesentlich „ Versicherung gegen das Lebensrisiko " - das ist anerkannt - des Verlustes der Arbeit 210, nicht Bedürfnisbefriedigung in Form von Arbeitsentgeltersatz - das ist ein wesentlicher Unterschied.

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Die Notwendigkeit dieser zentralen Grundlage des Sozialversicherungs-Verhältnisses ergibt sich unmittelbar aus der Rechtsprechung des BVerfG, vor allem aber daraus, daß der Arbeitgeber ja Beiträge zu dieser Versicherung zu leisten hat (vgl. unten 5). Er tritt aber mit dem Arbeitnehmer nur an einem „Anknüpfungspunkt" in Beziehung, der ihrer beider Beiträge trägt und verbindet: eben dem Arbeitsverhältnis. Was sich also nicht unmittelbar auf dieses (Arbeitsunfall) oder doch mittelbar darauf zurückführen läßt (Verlust der Arbeit) kann nie, und zwar nach der Verfassung nicht, Gegenstand der Sozialversicherung sein, „versicherbares Risiko" in ihrem Sinn; denn das BVerfG hat, vor allem mit seiner Rechtsprechung zum „ A n knüpfungspunkt", Verfassungsrecht der Sozialversicherung gesetzt. Wichtig ist die nähere Betrachtung des ,Risikos des Verlustes der Arbeit" als „Anknüpfungspunkt". Wenn man es in dem Sinne verstehen wollte, daß die Sozialversicherung für alle Bedürfnisbefriedigung einspringt, die nicht erfolgen kann, „ w e i l jemand nichts verdient", so wäre dies nichts anderes als Sozialhilfe. Entscheidend ist: Er kann nichts mehr verdienen, deshalb wird er so gestellt, als verdiene er weiter, oder so, daß er wieder verdienen kann - jeweils in seinem Arbeitsverhältnis. Alle anderen Wechselfälle des Lebens gehören zur privaten Lebenshaltung, gehen also die Sozialversicherung nichts an, ζ. B. allgemeiner, nicht arbeitsverhältnisbezogener Rechtsschutz 2 7 1 . b) Dagegen ist eingewandt worden, die G K V und die Rentenversicherung erauf Umstände zubrächten auch dann Leistungen, „ wenn der Versicherungsfall rückzuführen ist, die mit dem Beschäftigungsverhältnis keinerlei Berührungspunkte haben, ζ. B. bei Schwangerschaftsbeschwerden, den nicht dem Ausgleich dienenden Spitzenbelastungen im Sport, bei rein privaten handwerklichen Verrichtungen im eigenen Hause, bei Verkehrsunfällen im Rahmen der Freizeitgestaltung ... Ein Zusammenhang zwischen dem Versichertenrisiko und dem Beschäftigungsverhältnis wird vielmehr - aus der Natur der Sache - nur in der gesetzlichen Unfallversicherung vorausgesetzt" (Herv. v. Verf.) 2 7 2 . Das Argument verkennt die Bedeutung des „Anknüpfungspunktes Arbeitsverhältnis". Dieses verlangt in der Tat keine Kausalitätsbeziehung zwischen dem Beschäftigungsverhältnis und dem Ereignis, das zum Verlust der Arbeitsfähigkeit führt. Vielmehr genügt es, daß ein Vorkommnis diesen Verlust bewirkt, das auch i m privaten Bereich liegen kann; dies löst eben dann den Versicherungsschutz aus. Diese Kausalität, die allerdings sozialversicherungs-notwendig ist, wird nur unterbrochen durch Umstände, welche sich der Versicherte selbst zuzuschreiben hat, also aus dem Grundgedanken des Eigen- oder Mitverschulden des „Geschädigten" 2 7 3 . Dies alles sind durchaus versicherungs270 Siehe f. viele Isensee (Fn. 55), S. 453 (459); Picot (Fn. 56), S. 21; vgl. auch André, H., ZRP 1976, S. 177(179). 271 Daher kann es keine Sozialversicherung als Rechtsschutzversicherung geben, vgl. André (Fn. 270). 272 Krasney (Fn. 229), S. 549. 273 Darauf baut die - allerdings sehr beschäftigtenfreundliche - arbeitsgerichtliche Rechtsprechung auf, vgl. Nachw. bei Schmatz/Fischwasser/Geyer/Knorr, Vergütung der Arbeit-

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

rechtliche Gedankengänge. Auch der sozialversicherungs-rechtliche Mutterschutz 74, rechtfertigt sich grundsätzlich daraus, daß die Arbeitnehmerin ihrer Tätigkeit nicht nachgehen kann, jedenfalls nicht dazu gezwungen werden soll; auch dies gehört zur „Sozialversicherung als Arbeitsverlust-Versicherung". Eine ganz andere Frage ist es, ob die Kausalität zwischen dem den Sozialversicherungsschutz auslösenden Ereignis und dem Verlust des Arbeitsentgeltanspruchs, damit aber mit dem Arbeitsverhältnis, nicht doch dann unterbrochen ist, wenn den Arbeitnehmer zwar i m Ergebnis kein Verschulden trifft, das die Versicherung auslösende Ereignis aber einer „ v o m Arbeitsverhältnis weit entfernten Risikosphäre" entstammt und überdies ein solches Risiko höchst gering ist. Diese Frage stellt sich insbesondere gegenüber der sozialen Pflege Versicherung. Eine derart weite Entfernung ist allerdings beim Krankheitsfall des Rentners nicht notwendig anzunehmen 2 7 5 : Er kann zwar nicht mehr zur Arbeitsunfähigkeit des Versicherten führen, weil dieser bereits altersbedingt arbeitsunfähig ist. Doch erscheint die G K V hier als „Verlängerung der Rentenversicherung": Der Eintritt des RentenVersicherungsfalls führt zum Verlust des Arbeitsentgelts und auch des Krankenversicherungsschutzes für Beschäftigte - also darf für den Fall sozialversicherungsrechtlich Vorsorge getroffen werden, daß die typisch und ständig auftretende Krankheitsbelastung, die sonst aus der G K V für Beschäftigte abgedeckt werden würde, nun durch die G K V der Rentner übernommen wird. Das Prinzip der Ankoppelung des Sozialversicherungs-Schutzes an das Arbeitsverhältnis ist also in all diesen Fällen klar durchgehalten. c) Eine schwerwiegende Durchbrechung des Grundsatzes des ArbeitsverhältnisBezuges liegt allerdings in der von Arbeitgeberseite denn auch nachdrücklich gerügten Einbeziehung von Familienmitgliedern in die Leistungen der sozialen Krankenversicherung. Diese und alle ähnlichen Formen eines Familienleistungsausgleichs 276 weisen keinen eindeutigen Bezug mehr zum Beschäftigungsverhältnis der Eltern auf. Anders als bei deren Krankenvorsorge droht hier der Verlust der Arbeitsmöglichkeit und damit des Arbeitsentgelts nicht, es sei denn in den - atypischen - Fällen, in denen der Arbeitnehmer seiner Tätigkeit nicht mehr nachgehen könnte, weil er sich um seine kranken, aber nicht über Sozialversicherung betreuten Kinder kümmern müßte. Kinder als solche sind nicht notwendig ein Arbeitsplatzrisiko; Krankheiten der Kinder aber wären es nur, wenn gerade die Nichtversicherung die Arbeit unmöglich machte.

nehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 1995, § 3 EFZG, insbes. Rdnrn. 96 ff., zu den Verkehrsunfällen Rdnrn. 120 ff., zu Sportunfällen Rdnrn. 126 ff.; vgl. auch BAG DB 1972, S. 395 ff.; BAG DB 1982, S. 706; Baumer/Fischer/Salzmann, Die gesetzliche Unfallversicherung, Stand: 1994, RVO § 550, vor allem Nr. 5, 10, 13, 15, 23. 274 Dazu, insbes. zu der - sehr unterschiedlichen - Belastung der Arbeitgeber, vgl. Picot (Fn. 56), S. 21. 275 Diesen Fall erwähnt ebenfalls Krasney (Fn. 272). 276 Vgl. krit. zur Pflegeversicherung Schmähl (Fn. 89), S. 370.

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Vielmehr droht hier eine schwere und grundsätzliche Gefahr der Überdehnung der Sozialversicherung: Der Solidargemeinschaft, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, wird die Abdeckung eines Risikos zugemutet, das durch das Arbeitsverhältnis nicht nur nicht verursacht ist, sondern seinerseits keine Auswirkung auf das Beschäftigungsverhältnis und den sich aus diesem ergebenden Entgeltanspruch hat. Es handelt sich schlicht um eine Belastung aus persönlicher Lebensführung der Arbeitnehmer, welche eben für ihre Kinder aufkommen müssen. Der Gesetzgeber mag sie davon steuerlich entlasten, weil die Allgemeinheit ein demographisches Interesse an Kindern hat; die anderen Arbeitnehmer und die Arbeitgeber haben keinerlei Interesse daran, daß Kinder geboren werden - es sei denn, das höchst entfernte, daß auf diese Weise vielleicht künftig dadurch leichter die Sozialversicherung gehalten, damit auch ihren Interessen gedient werden kann. Dieses Interesse ist aber zu weit hergeholt, als daß es eine Belastung gerade der Sozialversicherung rechtfertigen könnte; auch wird es durch das „allgemeine Interesse am Kindersegen" der gesamten Bürgergemeinschaft vollständig überlagert. Dies hat also mit dem „Sozialversicherungs-Anknüpfungspunkt Beschäftigungsverhältnis" nichts mehr zu tun, es ist systemfremd und bringt die Gefahr mit sich, daß bald auch andere beschäftigungsfremde Risiken über Sozialversicherung bewältigt werden sollen (vgl. dazu unten III). Damit aber würde die Sozialversicherung, völlig systemfremd, zur „Bedürfnisbefriedigungs-Versicherung persönlicher Lebensführung" - eine glatte und schwerwiegende Fehlentwicklung der Sozialversicherung von grundsätzlicher Bedeutung. Die Kritik der Arbeitgeber am Familienleistungsausgleich für den Bereich der Sozialversicherung ist also berechtigt. d) Der notwendige Beschäftigungsverhältnis-Bezug der Sozialversicherung und der von ihr erbrachten Leistungen mag dadurch hergestellt werden, daß „Versicherungsschutz gegen den Verlust der Arbeit und ihres Entgeltes" geboten w i r d 2 7 7 . Nirgends und zu keiner Zeit ist es aber, soweit ersichtlich, je als „Wesen der Sozialversicherung" bezeichnet worden, daß diese eine „Lebensstandardversicherung" biete, „wie wenn der Versicherte arbeitet". Es mag ein Ziel der Arbeitnehmer· Vertreter sein, „Nichtarbeitende so zu stellen, wie wenn sie arbeiteten"; doch es kann keine Rede davon sein, daß dies je auch der die heutigen Formen prägenden „klassischen Sozialversicherung" eigentümlich gewesen, oder daß das BVerfG dies zum Wesen der Sozialversicherung erklärt hätte. Zwar gehört die „Beschränkung auf Notlagen" nicht zu diesem Wesen, auf ihre Beseitigung muß sich die Sozialversicherung nicht reduzieren lassen. Doch i m selben Zusammenhang betont das Gericht, was dieses Wesen der Sozialversicherung ausmacht: „Das soziale Bedürfnis nach Ausgleich besonderer L a s t e n " 2 7 8 . D.h. aber: Weder müssen diese Lasten den Betroffenen vollständig abgenommen werden, noch ist damit die Verpflichtung zu eigenen Anstrengungen der Versicherten unvereinbar - die ange277 Vgl. die Fn. 270 Zitierten. 278 BVerfGE 75, S. 108 (S. 146). 7 Leisner

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

sichts der „besonderen Lasten" auch besonders intensiv sein sollten - und schließlich müssen nicht „sämtliche" Lasten ausgeglichen werden; nur für die „besonderen" ist dies zu fordern. Die gängige Forderung, die Sozialversicherung müsse aus ihrem Beschäftigungsverhältnis-Bezug heraus zur Vermeidung jedes Abstrichs von dem Lebensstandardführen, den eine volle Beschäftigung sichert, läßt sich aus diesem - notwendigen - Bezug zwischen Sozialverhältnis und Beschäftigungsverhältnis nicht herleiten, ja sie widerspräche Grundvorstellungen, welche gerade i m Bereich der Sozialversicherung stets gegolten haben: Der Nichtarbeitende kann ohne weiteres schlechter gestellt werden als der voll in Arbeit Stehende, und diesem ist es zuzumuten, angemessene Vorsorge dafür zu treffen, daß sein Lebensstandard in etwa kontinuierlich hoch bleibt, selbst beim Verlust von Arbeit und Arbeitsentgelt. M i t Selbstverständlichkeit ist es stets hingenommen worden, daß der Rentner, wie auch der pensionierte Beamte erheblich weniger verdienen als aktiv Berufstätige; die Alimentationspflicht des Dienstherrn gilt zwar auch gegenüber dem Ruhestandsbea m t e n 2 7 9 - aber eben nur in abgeschwächtem Maße. Daß sogar noch weitere Pensionsabsenkung möglich wäre, unterliegt keinem Zweifel. Also kann es auch keine „Sozialversicherung als Kaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung" für Aufrechterhaltung des Lebensstandards aktiver Berufstätigkeit geben. Dasselbe gilt für andere Sozialleistungen. Der Forderung von Arbeitgeberseite auf Einschränkung des Lebensstandardschutzes i m Krankheitsfall kann also nicht ein Prinzip der deutschen sozialen Sicherung entgegengehalten werden, das sich bereits aus Grundsätzen der beschäftigungsverhältnis-bezogenen Sozialversicherung ergäbe. Der Beschäftigungsverhältnis-Bezug der Sozialversicherung sagt über die Höhe der Renten und Leistungen im Krankheitsfalle nichts aus. Er kann - und muß aufrechterhalten bleiben, ohne daß dies notwendig zur „Lebensstandardsicherung aus aktiver Arbeit" führen müßte. Eher trifft das Gegenteil zu: Aus dem Beschäftigungsverhältnis-Bezug folgt doch, daß sich „etwas ändern kann - wenn nicht muß - " , wenn nicht (mehr) gearbeitet wird. Dies dürfte in der Gesellschaft ganz allgemein konsensgetragen sein. Arbeitgeber-Forderungen auf Einschränkung des Sozialstatus in solchen Fällen steht also wohlverstandenes Sozialversicherungs-Verfassungsrecht nicht entgegen, es stützt sie vielmehr. e) Das BVerfG hat in seiner Künstlersozialabgaben-Entscheidung den dort geprägten Begriff des „sachorientierten Anknüpfungspunktes" über das arbeitsrechtliche Beschäftigungsverhältnis hinaus erweitert: Diesem können „besondere Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen" gleichzustellen sein, die etwa „aus auf Dauer ausgerichteten integrierten Arbeitszusammenhängen oder aus einem kulturgeschichtlich besonderen Verhältnis gleichsam symbiotischer Art entste-

279 Hilg, G., Beamtenrecht, 3. Aufl. 1990, S. 316 f.; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Komm., Rdnr. 271 ff. zu Art. 33.

GG-

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h e n 2 8 0 " . Diese Entscheidung bringt eine wesentliche Ausweitung des „Anknüpfungspunktes Beschäftigungsverhältnis" 281 . Ihre Lösung ist scharf kritisiert word e n 2 8 2 - mit Recht: Vermarkter sind nicht Arbeitgeber, sie tragen keinerlei Verantwortung für ihre Lieferanten, die Künstler. Der schwammige Begriff des „symbiotischen Verhältnisses" könnte jeden Wirtschaftstätigen in soziale Verantwortung für Zulieferer und Kunden zwingen: Die Marktwirtschaft würde in einem System vertikaler Versorgungs-Verzunftung aufgelöst. Dies war also eine schwere Fehlentscheidung, bei der jedenfalls schon die „besonderen" Umstände des Künstlerischen jedes erweiternde Verständnis ausschließt. Für den vorliegenden Zusammenhang aber hat sie keine Wende gebracht: Der Begriff „Arbeitsverhältnis" ist erweitert, der notwendige BeschäftigungsverhältnisBezug der Sozialversicherung aber bestätigt worden.

Ergebnis Ein Wesenselement der Sozialversicherung liegt in dem für sie notwendigen sachlichen „Anknüpfungspunkt": Versicherungspflicht und Versicherungsleistungen erwachsen traditionell aus einem „Beschäftigungsverhältnis-Bezug". Sozialversicherung ist wesentlich „Versicherung gegen das Lebensrisiko des Verlustes der Arbeitsmöglichkeit". Das BVerfG hat diesen Bezug auf „Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen" ausgedehnt (Künstlersozialabgabe), die sich aus „auf Dauer ausgerichteten integrierten Arbeitszusammenhängen oder aus einem kulturgeschichtlich gewachsenen Verhältnis gleichsam symbiotischer A r t " entwikkeln. Damit wurde der Begriff des Arbeitsverhältnisses erweitert, der notwendige Bezug zur Beschäftigung jedoch nicht aufgehoben. Der Beschäftigungsverhältnis-Bezug verlangt nicht, daß das Arbeitsverlustrisiko aus der Arbeit selbst kommen muß. Stets aber muß ein „Arbeitsrisiko" vorhanden sein (ζ. B. Schwangerschaft). Soweit das Risiko eindeutig dem Arbeitnehmer zuzurechnen ist (Risikosportunfälle und ähnliches), tritt der Versicherungsschutz zurück, aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des Mitverschuldens heraus. Eine Fehlentwicklung der Sozialversicherung stellen Leistungen für Familienmitglieder dar, weil diese Risiken Arbeitsplatz und Arbeitsentgelt nicht gefährden. Sie haben keinen Platz in der Sozialversicherung, müssen vielmehr von der Gemeinschaft übernommen werden. 280 BVerfGE 75, S. 108 (158). 281 Siehe dazu u. a. Osterloh, L., NJW 1982, S. 1617 (1621); Friauf, (1775 ff.). 282 Isensee (Fn. 55), S. 461 f.; Ruland (Fn. 10) S. 147 f. 7*

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Der Beschäftigungsverhältnis-Bezug der Sozialversicherung bedeutet nicht, daß diese eine „Lebensstandard-Kaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung" darstellt. Die Sozialversicherung hat „besondere Lasten" auszugleichen, nicht unbedingt einen erreichten sozialen Status zu sichern. Den Grundprinzipien des deutschen Versorgungsrechts entspricht es vielmehr, umgekehrt, daß der Nichtarbeitende weniger verdient als der Arbeitende. Arbeitgeberforderungen auf Einschränkung der Lohnfortzahlung i m Krankheitsfall können also nicht Sozialversicherungsprinzipien einer „Lebensstandardsicherung" entgegengehalten werden.

5. Der Arbeitgeberanteil Verfassungsschranken nach dem BVerfG a) Die PZK-Belastung erwächst maßgeblich aus der Beitragsverpflichtung der Arbeitgeber zur Sozialversicherung. In ihrem Namen darf von den Arbeitgebern daher nur verlangt werden, was sich nach Finanz- und Sozialversicherungs-Verfassungsrecht als Abgabe legitimieren läßt: Es muß deshalb insoweit eine besondere Verantwortung der Arbeitgeber jenen Arbeitnehmern gegenüber anzunehmen sein, welchen die Leistungen der Sozialversicherung ja ausschließlich zugute kommen. Eine solche Legitimationsverpflichtung der Abgabe durch besondere Gründe, die sich schon aus freiheitsrechtlichen Gründen e r g i b t 2 8 3 , ist denn auch, soweit ersichtlich, bisher nie grundsätzlich in Zweifel gezogen worden. Meinungsverschiedenheiten bestehen aber seit langem darüber, an welchen verfassungsrechtlichen Maßstäben diese „fremdnützige Abgabe sui generis" 2 8 4 zu messen ist, die man auch „fremdnützige Sonderabgabe" genannt h a t 2 8 5 . Untechnisch ausgedrückt: Wieweit darf man Arbeitgeber zwingen, ihre Arbeitnehmer zu versichern, für sie also eine Art von „Versicherungs-Fürsorge" zu übernehmen? Gerade die hier heute erreichte Belastung wird von Arbeitgebern, sie wird auch in der Öffentlichkeit kritisiert. Eines ist sicher: Die Zeit beruhigender Legitimations-Formeln, wenn nicht Floskeln, ist vorbei. Die Wirtschaftslage verlangt überzeugende Begründungen. b) Einfach macht es sich die „Soziallohntheorie": „Der Sozialversicherungsbeitrag des Arbeitgebers ist versteckter Lohn für den Arbeitnehmer" 2 8 6 . Doch dieser Auffassung steht nicht nur entgegen, daß der Arbeitgeber als solcher Schuldner seines eigenen Sozialversicherungsbeitrages ist, diesen nicht etwa für den Arbeit283 Vgl. Friauf (Fn. 281), S. 1774 ff. 284 Isensee (Fn. 55), S. 459. 285 So etwa Arndt, H. W., DRV 1987, S. 282 (287); ähnlich Maunz, in: Maunz-Dürig, GG Art. 24 Rdnr. 174; Picot (Fn. 56, S. 20); Ruland (Fn. 10), S. 153; kaum weiter führt die Bezeichnung als „drittpersonennützige Finanzierungsabgabe", Wegmann, B., Transferverfassungsrechtliche Probleme der Sozialversicherung, 1987, S. 143. Zur nationalökonomischen Qualifikation als Kostensteuer Nachw. bei Isensee (Fn. 208), S. 149. 286 Zacher (Fn. 244), S. 57; vgl dazu auch Arndt (Fn. 285), S. 285 f.; Ruland (Fn. 10), S. 147, vor allem aber Isensee (Fn. 208), S. 149 ff.

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nehmer abführt. Vor allem ist zu berücksichtigen: Was der Arbeitgeber an Lohn in (tarif-)vertraglicher Freiheit bezahlen will, entscheidet er selbst, was er an die Sozialversicherung abzuführen hat, entscheidet der Gesetzgeber. Lohnzahlung ist Ausdruck der Privatautonomie, bedarf als solche keiner Legitimation; Sozialversicherungsbeitragspflicht dagegen ist hoheitlicher Belastung-Eingriff des Gesetzgebers und muß sich daher vor der Verfassung, vor den Grundrechten speziell legitimieren. c) Wäre der Arbeitgeber-Beitrag eine Sonderabgabe, so müßte er innerhalb einer in sich homogenen Gruppe erhoben, vor allem sodann gruppennützig verwendet werden 2 8 7 . Schon von einer Gruppenhomogenität kann hier nicht gesprochen werden - Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen sich interessenmäßig wesentlich gegenüber, und dies sogar kraft Verfassung, noch deutlicher in der politischen, ökonomischen und soziologischen Wirklichkeit. Erst recht kann von einer gruppennützigen Verwendung der Arbeitgeber-Beiträge für beide Gruppen schlechthin nicht die Rede s e i n 2 8 8 . Die für Sonderabgaben erforderliche Gruppenhomogenität darf nicht durch - postulierte - „Solidarität" zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ersetzt werden 2 8 9 . In der soziologischen Wirklichkeit existiert eine solche nicht; und „zugute kommen" die Arbeitgeber-Beiträge den Arbeitgebern nur dann, wenn man von der These ausgeht, alles, was den Arbeitnehmern nütze, nütze auch dem Arbeitgeber - bei aller Fürsorgepflicht und Treuepflicht der Sozialpartner untereinander ist dies eine unerträgliche Fiktion: Sie lenkt wieder zurück zur bereits abgelehnten Soziallohn-Fiktion und sie läuft auf eine simplistische Negation einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen Antagonismen hinaus: des Verteilungskampfes zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Selbst wenn man hier um vermittelnde Positionen sich b e m ü h t 2 9 0 - eine Solidarabgabe i m finanzrechtlichen Sinne des BVerfG könnten die Arbeitgeber-Beiträge nur sein, wenn man von der Erfüllung auch gruppenübergreifender Interessen in der Sozialversicherung ausgehen w o l l t e 2 9 1 , wobei man nur der eben kritisierten Fiktion wieder verfällt und sogar in die Nähe national-solidaristischer Vorstellungen der Vergangenheit gerät 2 9 2 . Der letzte Ausweg ist dann die Annahme, der Ge-

287 Diese Kriterien hat das BVerfG aufgestellt, vgl. E 55, S. 274 (306 f.); 67, S. 256 (275 ff.); 82, S. 15 (179 ff.); in E 91, S. 186 (203) wird dies bereits als „gefestigte Rechtsprechung" bezeichnet; vgl. dazu Loritz, K.-G., NJW 1986, S. 1 (2 f.). Drei Richter des BVerfG hatten damals immerhin sogar die Sonderabgaben noch enger eingrenzen wollen (vgl. E 55, S. 329 ff.). 288 Dies alles ist schon von Isensee (Fn. 56), S. 50 ff. überzeugend nachgewiesen worden (vgl. auch dens., Fn. 55, S. 455 ff.); siehe auch Leisner, W., Sozialversicherung und Privatversicherung, 1974, S. 90 ff. m. Nachw. 289 Dazu Nachw. bei Krause (Fn. 56), S. 127 ff. 290 Vgl. etwa Papier, H.-J., AöR 100 (1975), S. 640 (645). 291 Wie etwa Kloepfer, M., VSSR 1974, S. 155 (158) mit Nachweisen. 292 Unter Hinw. (Fn. 291) auf Petraschek, K , System der Philosophie des Staates und des Völkerrechts, 1938, S. 235 ff.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

setzgeber dürfe die homogenen Gruppen bestimmen 2 9 3 - also gerade jene Instanz, welche durch dieses verfassungsrechtliche, vor- und übergesetzliche Kriterium finanzverfassungsrechtlich gebunden werden soll; der Zirkel wäre perfekt. Das Ergebnis war damals und ist heute vielmehr unausweichlich: Als finanzverfassungsrechtliche Sonderabgabe wäre der Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung eindeutig verfassungswidrig 294. d) Das BVerfG konnte daher die Arbeitgeberbeiträge, damit das Gesamtsystem der Sozialversicherung, nur dadurch retten, daß es rein kompetenzrechtlich argumentierte 2 9 5 : Sozial Versicherungsbeiträge seien keine Sonderbeiträge i m Sinne dieser (Sonderabgaben-)Rechtsprechung; denn bei ihnen könne es nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben über nicht-allgemeine, nur einzelnen Gruppen auferlegte Abgaben kommen: Art. 74 Ziff. 12 GG gestatte ja nur eine Beitragsverwendung für die Sozialversicherung. Das BVerfG hat also eine noch entscheidend weitergehende Auffassung des Schrifttums nicht übernommen, nach der sich die Arbeitgeber-Beiträge unmittelbar, kompetenz- wie materiellrechtlich, aus Sozialversicherungs-Verfassungsrecht legitimieren sollten: Die Sozialversicherung stelle eben, neben den klassischen Abgaben, insbesondere der Steuer, ein zweites, grundgesetzlich abgesichertes öffentliches Abgabensystem zur Verfügung, das an den klassischen finanzrechtlichen Kategorien überhaupt nicht zu messen s e i 2 9 6 . Zwar hat das BVerfG damit den einigermaßen klaren Maßstab der Gruppenhomogenität und Gruppennützigkeit für die Arbeitgeber-Beiträge zur Sozialversicherung eindeutig aufgegeben; es hat jedoch nicht entschieden, daß den Arbeitgebern alles an Belastungen auferlegt werden darf, was irgendwie als „Sozialversicherung" konzipiert sei. Denn in derselben Künstlersozialhilfe-Entscheidung 297 wurde nicht nur allgemein die Lehre vom „sachorientierten Anknüpfungspunkt" entwickelt, an dem sich alle Sozialversicherung mit ihren Beitrags Verpflichtungen stets auszurichten habe; das Gericht hat darüber hinaus konkrete, einschränkende Folgerungen daraus gezogen, welchen im Rahmen verfassungsrechtlicher Belastungsgrenzen-Betrachtung, insbesondere zu den PZK, entscheidendes Gewicht zukommt:

293 Kloepfer (Fn. 291), S. 161. 294 Die Problematik der vorstehend dargestellten, in sich konsequenten verfassungsrechtlichen Position (Arbeitgeber-Beitrag als Sonderabgabe) lag darin, daß sie „zuviel bewiesen" hätte - nämlich die Verfassungswidrigkeit sämtlicher Arbeitgeber-Beiträge, nicht nur deren Überdehnung in Künstlersozialabgabe und sozialer Studentenversicherung. 295 BVerfGE 75, S. 108 (S. 147 ff.). 296 Osterloh, L., NJW 1982, S. 1617 (1619 ff.); ähnlich bereits Krause (Fn. 56), S. 129; krit. Friauf (Fn. 281), S. 1775. Dogmatisch beruhen allerdings die Positionen des BVerfG und die hier dargestellte „sui-generis-Doktrin" auf demselben Gedanken: Es genüge die kompetenzrechtliche Erwähnung der Sozialversicherung in Art. 74 Ziff. 12 GG, um diese Sonderabgabe auch materiell-verfassungsrechtlich zu legitimieren. 297 BVerfGE 75, S. 108 (157 ff.).

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- Erwägungen (abgabenrechtlicher Art) zur Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber reichen nicht aus. Das bedeutet: Nicht weil sie „sozial oder ökonomisch stärker sind", müssen sie für „sozial Schwächere" zahlen. Dies ist eine hochbedeutsame, in ihren Auswirkungen gar nicht zu überschätzende Aussage: Die unterschwellige Legitimation der meisten Sozialversicherungstheorien läuft ja gerade darauf hinaus, den Arbeitgeber als den stets - vermeintlich - Stärkeren immer weitergehend zur Kasse zu bitten. Sie ist verfassungsrechtlich schlechthin unhaltbar. Näher dazu i m folgenden II. - Ein „am Gerechtigkeitsdenken orientierter, sachlich einleuchtender Grund" muß stets für die fremdnützige Sozialversicherungs-Abgabepflicht des Arbeitgebers sprechen. Daraus hat sich dann eine besondere Legitimation zu ergeben. „Dafür sind beliebige Konfigurationen, die sich der Gesetzgeber fallweise zusammensuchen kann, nicht ausreichend". Zweierlei ist also dem Gesetzgeber verwehrt: • allein schon aus der organisatorischen Einordnung und Verwaltung einer Abgabenlast „als Sozialversicherung" eine materielle Verfassungslegitimation abzuleiten; und • die durch die Tradition geprägten, klassischen Wesenselemente der Sozialversicherung immer weiter auszudehnen - zu überdehnen. Bei jedem Schritt muß vielmehr die Gerechtigkeitsfrage stets neu gestellt werden, und in jeder neuen wirtschaftlichen und sozialen Situation. Damit ist die Frage einer Berechtigung der PZK-Höhe nicht pauschal und „ein für allemal" zu beantworten. Die PZK-Höhe ist ein „offenes Problem", sie darf und muß für jede neue Abgabe und in jeder neuen Lage neu entschieden werden. - „Der Gesetzgeber kann sich seiner Regelungskompetenz für die Sozialversicherung nicht bedienen, um dadurch Mittel für die Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben aufzubringen . . . Ein Einsatz der Sozialversicherungsbeiträge zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates ist ausgeschlossen." Dieses Verbot der Finanzierung sozialversicherungsfremder Aufgaben ist unten I I I noch vertiefend zu untersuchen. Bedauerlich ist, daß die Entscheidung zur Künstler sozialab gäbe weithin nur als ein Erweiterungsblanko für den Gesetzgeber der Sozialversicherung verstanden worden ist. Es gilt vielmehr, sie als dogmatische Grundlage einer Beschränkung der Sozialversicherung zu entfalten; dann lassen sich aus ihr auch Belastungsgrenzen für Arbeitgeberbeiträge und damit auch für die PZK gewinnen. Ob diese Schranken ebenso wirksam sind wie die finanzverfassungsrechtlichen Grenzen für (andere) Sonderabgaben, und ob der gemeinsame Nenner für alle diese Abgaben (nur) die Beachtung der Verhältnismäßigkeit sein k a n n 2 9 8 , mag hier offenbleiben. Eindeutig ist nur: Schranken für Arbeitgeber-Leistungen gibt es hier nach der Ver-

298 Vgl. in diesem Sinne Friauf(Fn.

281), S. 1776.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

fassung, und mögen sie auch ebenso sui generis sein wie die Sozialversicherung überhaupt. Ergebnis Ein Zentralproblem grundsätzlicher Art war von jeher die Rechtfertigung des Arbeitgeber-Beitrags zur Sozialversicherung. Für diesen „fremdnützigen Beitrag" besteht eingehender Begründungszwang. Allgemeine Hinweise auf eine nicht näher definierte Treue- oder Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer reichen ebensowenig aus wie eine Berufung auf die „sozial stärkere Stellung" des Arbeitgebers. Auch die „Soziallohntheorie", welche Sozialversicherungsbeiträge als Teil des geschuldeten Arbeitsentgelts betrachtet, genügt als Legitimation nicht: Es ist etwas ganz anderes, ob der Arbeitgeber privatrechtlich eine Leistung erbringt, oder ob er vom Staat hoheitlich in Folgelasten gezwungen wird. M i t guten Gründen ist lange Zeit der Arbeitgeberanteil als „Sonderabgabe" angesehen worden. Dann aber wäre er vor der Verfassung kaum zu rechtfertigen, weil weder Gruppenhomogenität der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht, noch gruppennützige Verwendung der so aufgebrachten Mittel gewährleistet ist. Das BVerfG mußte daher den Arbeitgeberanteil als Beitrag sui generis aus der Sozialversicherungskompetenz des Gesetzgebers unmittelbar legitimieren. Dies führte jedoch notwendig zu Schrankenziehungen, die das Gericht gerade in jener Künstlersozialabgaben-Entscheidung vorgenommen hat, die manchmal als Blankoscheck für immer stärkere Arbeitgeberbelastung mißverstanden wird: Aus der „Leistungsfähigkeit", der „sozialen Stärke" des Arbeitgebers läßt sich dessen Verpflichtung nicht begründen; bei jedem Neuordnungsschritt muß, mit Blick auf die Tradition, die Gerechtigkeitsfrage gestellt werden. Über den Arbeitgeberbeitrag lassen sich nicht allgemeine Staatsaufgaben finanzieren. Zusammenfassend können aus all dem für die Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung, die in erster Linie zu der Überhöhung der PZK geführt haben, insbesondere folgende Konsequenzen gezogen werden: - Das Sicherungsbedürfnis der Versicherten darf nicht beliebig und immer weiter gesteigert, der Zugang zu Versicherungsleistungen ihnen nicht ständig erleichtert werden. Der Gesetzgeber darf die traditionelle Risikoprägung der Sozialversicherung nicht i m Namen einer „Volksversicherung" aus den Augen verlieren. -

Sozialversicherung muß stets in erster Linie „Versicherung" bleiben. Die Eigenbeteiligung der Versicherten ist zu verstärken, weil sonst der fundamentale Äquivalenzgrundsatz aller Versicherung aufgegeben würde.

- Anknüpfungspunkt der Sozialversicherung, und damit auch Legitimation für Arbeitgeberbeiträge, muß stets das Beschäftigungsverhältnis bleiben; Sozialversicherung legitimiert sich nur als Versicherung gegen das Lebensrisiko des (vorübergehenden, teil weisen oder endgültigen) Entgeltverlustes des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber ist nicht allgemeiner Garant von dessen einmal erreichtem so-

III. Arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht

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zialen Status als solchem. Für Risiken, die dem Beschäftigungsverhältnis fremd sind oder allzuweit von diesem entfernt ihre Ursache haben, hat er nicht aufzukommen. - Aus dem Wesen der Sozialversicherung ergibt sich nicht etwas wie das Prinzip einer Volldeckung nach Art einer Kaskoversicherung. Sie verlangt weder nach ständiger Dynamisierung, noch fordert sie die Erreichung einer bestimmten Leistungshöhe. Der Arbeitgeber kann nicht einfach unter Berufung auf seine soziale Leistungsfähigkeit zu Beiträgen herangezogen werden; und wäre dies zu bejahen, so müßte seine Belastung erst recht in einer gefährdenden wirtschaftlichen Situation vermindert werden.

I I I . Arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht - Legitimation, aber auch Schranke der Sozialversicherungs-Belastung des Arbeitgebers 1. Die Rechtsprechung des BVerfG a) Das oberste Gericht hat in früheren Entscheidungen die Beitragslast des Arbeitgebers zur Sozialversicherung mit dessen Fürsorgepflicht in Zusammenhang gebracht: Den Arbeitgebern seien die Leistungen für das Kindergeld „ i n Erfüllung ihrer sozialen Fürsorgepflicht" zuzumuten 2 9 9 . „Das entspricht dem Gedanken der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für seine Arbeitnehmer, der i m modernen Arbeitsrecht und in seiner Auslegung durch die Arbeitsgerichte stark hervortritt und seinen Niederschlag oft in tarifrechtlich vereinbarten oder freiwilligen Sozialleistungen der Arbeitgeber f i n d e t " 3 0 0 . Wenig später heißt es: „Bei dieser Beitragserhebung stehen i m Sozialversicherungsrecht der Risikoausgleich unter den versicherten Arbeitnehmern und die allgemeine Fürsorge für die Arbeitnehmer i m Vordergrund" 3 0 1 . Diese Stelle zeigt übrigens, daß der i m Sozialversicherungsrecht überstrapazierte Begriff des „Ausgleichs" (vgl. dazu oben I, 3) vom Gericht nicht primär i m Sinne einer sozialen Nivellierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verstanden wurde, sondern als Ausdruck einer „Versicherung auf Gegenseitigkeit zwischen den Arbeitnehmern" - was mit den traditionellen Versicherungsvorstellungen durchaus im Einklang steht. b) Das BVerfG hat damit jedoch weder die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht als „Anknüpfungspunkt" der Sozialversicherungsbelastung der Arbeitgeber betracht e t 3 0 2 noch gar als „eindeutigen Legitimationsgrund" für diese 3 0 3 - es hat lediglich

299 BVerfGE 11, S. 105(114). 300 aaO.,S. 116. 301 BVerfGE 14, S. 312(317). 302 Picot (Fn. 56), S. 21.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

einen Zusammenhang zur arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht hergestellt, in einer selbst in der Judikatur dieses Gericht sehr vagen Weise. Der Hinweis auf diese Fürsorgepflicht des Arbeitsrechts ist überdies - mit Recht - vom Gericht nicht zu einer allgemeinen Formel des Sozialversicherungsrechts entwickelt worden; er ist isoliert geblieben. Dennoch wirkt er noch heute bewußtseinsprägend, was das Gericht wohl damals andeuten wollte: Es geht von einer allgemeinen, das Sozialversicherungsrecht traditionell prägenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus, deren Inhalte sich (u. a.) auch aus dem Arbeitsrecht ergeben. Dieses ist also allenfalls eine Stütze der Rechtsanalogie, aus der der allgemeine Fürsorgegrundsatz abgeleitet wird. Legt man dies zugrunde, so fragt sich jedoch, was sich gerade aus dem Arbeitsrecht für einen solchen sozialversicherungsrechtlichen Fürsorgegedanken ergibt, ob sich aus jenem nicht auch Schranken dieses Prinzips gewinnen lassen. Dies ist um so wichtiger, als ja „Fürsorge" an sich ein nahezu konturlos weiter Begriff ist.

2. Der Inhalt des arbeitsrechtlichen Fürsorgebegriffs und die Sozialversicherung Anknüpfung an das Beschäftigungsverhältnis a) Derartige Verbindungen vom Arbeitsrecht zum Sozialversicherungsrecht zu ziehen, ist allerdings - das sei vorweg bemerkt - schon an sich nicht unproblematisch. Die Rechtsprechung des BVerfG, welche hier eine Parallele herstellen wollte (vgl. oben 1, b) sah sich bereits damals nachdrücklicher Kritik ausgesetzt 304 . In der Tat läßt sich jedenfalls nicht jede Sozialversicherungsbelastung der Arbeitgeber auf deren arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht zurückführen 3 0 5 . Die Verbindung der beiden Materien, i m Sinne der gegenseitigen Sinnerfüllung oder gar Legitimation, ist keineswegs ein Standardthema der arbeitsrechtlichen Literatur. Soweit ersichtlich, wird es in den großen Werken dieser Rechtsdisziplin, i m Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht, die eingehend dargestellt wird, gar nicht vertiefend angesprochen 306 . Soweit derartiges i m übrigen arbeitsrechtlichen Schrifttum geschieht 3 0 7 , wird das Arbeitsrecht eher als konkretisierende Einschränkung einer allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gesehen; gewarnt 303 Arndt (Fn. 285), S. 286 f., unter Berufung vor allem auf Henseler, P., Begriffsmerkmale und Legitimation von Sonderabgaben, 1984, S. 138 ff. 3 °4 Vgl. etwa Selmer (Fn. 56), S. 370 m. Nachw. 3 05 Arndt (Fn. 303). 506 Vgl. etwa Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, 7. Aufl. 1963, S. 390 ff.; Gaul, D., Das Arbeitsrecht im Betrieb I, 8. Aufl. 1986, S. 408 ff.; Schaub, G., Arbeitsrechtshandbuch, 7. Aufl. 1992, S. 817 ff. - um nur einige Abhandlungen aus verschiedenen Zeitperioden zu erwähnen. 307 So insbes. bei Picot (Fn. 56).

III. Arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht

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wird davor, hier ein Blankett zur Erweiterung der Sozialversicherung anzunehm e n 3 0 8 , da sich aus der arbeitsrechtlichen Fürsorge kein allgemeines sozialrechtliches Schutzprinzip gewinnen lasse 3 0 9 . b) Das arbeitsrechtliche Fürsorgeprinzip ist zwar ein Grundsatz, der diese Materie allgemein p r ä g t 3 1 0 , ebenso wie die Treuepflicht der Arbeitnehmer 3 1 1 ; dynamisch entwickelt sich sein Inhalt, „entsprechend den sich wandelnden Sozialbedürfnissen des schutzwerten Arbeitnehmers" 3 1 2 . Sein Inhalt ist auch, wegen der Vielgestaltigkeit der Einzelfälle, erschöpfender Definition nicht zugänglich 3 1 3 , wandelbar darüber hinaus mit den sozialpolitischen Anschauungen 3 1 4 . Seine weite inhaltliche Ausdehnung 3 1 5 ergibt sich schon daraus, daß die arbeitsrechtlichen Beziehungen ihrem Wesen nach die „Doppelnatur" sowohl vermögensrechtlicher als auch personenrechtlicher Bezüge aufweisen 3 1 6 : Die Fürsorge gilt eben auch, wenn nicht vor allem, der „Person" des Arbeitnehmers 3 1 7 . Wie die Treuepflicht den Arbeitnehmer auch in seinem außerhalb von Arbeitsleistung und Vergütung liegenden Verhalten nicht b i n d e t 3 1 8 , so trägt der Arbeitgeber auch keine Verantwortung für seine Mitarbeiter, die über deren Arbeitstätigkeit hinausreicht. c) Dies bedeutet nun aber eines nicht: daß der Bezug der Fürsorge des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer, der über das Beschäftigungsverhältnis läuft, nicht doch stets entscheidend bliebe: Die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht wirkt nur in Vertragsanbindung 3 1 9 , denn es handelt sich eben um eine arbeitsvertragliche Verpflichtung 3 2 0 . Ihr Inhalt ist eindeutig eine vertragsbezogene, nicht eine vertragsunabhängige Globalsicherung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber; denn hier geht es um vertragliche Nebenpflichten 3 2 1 . So ist die allgemeine Fürsorgepflicht auch i m ArbGB-Entwurf definiert 3 2 2 . Dem entspricht schließlich auch die Ausgestaltung der Fürsorge in verselbständigten Fürsorgepflichten i m einzelnen, die einen engen Begriffsinhalt zeigen, der bis ins einzelne auf das Arbeitsverhältnis aus-

308 Friauf (Fn. 220), S. 1779. 309 Hueck/Nipperdey (Fn. 306), S. 391 m. Nachw. zur Problematik. 310 Vgl. Arndt (Fn. 285), S. 291. 311 Hueck/Nipperdey (Fn. 306), S. 390 m. Nachw. 312 Gaul (Fn. 306), S. 413. 313 Gaul, aaO., S. 414. 314 Schaub (Fn. 306), S. 825. 315 Vergleichbar der des § 242 BGB, vgl. Hueck/Nipperdey (Fn. 306), S. 391. 316 Gaul (Fn. 306), S. 408; Hueck/Nipperdey (Fn. 306), S. 390. 317 Gaul, aaO. S.413. 318 Gaul, aaO., S. 409. 319 Hueck/Nipperdey (Fn. 306), S. 391. 320 Schaub (Fn. 306), S. 818. 321 Schaub (Fn. 306), S. 818. 322 Schaub, aaO., S. 819.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

gerichtet ist; dasselbe gilt für die allgemeine Fürsorgepflicht 3 2 3 . Überall ist das Bestreben der Anbindung des arbeitsrechtlichen Schutzes an das Beschäftigungsverhältnis erkennbar, nicht aber eine Tendenz zu einer allgemeinen Persönlichkeitsoder gar zu einer „Lebenssicherung 4 '. Nachdrücklich wird daher gerade i m Arbeitsrecht davor gewarnt, eine Fürsorgepflicht zu überspannen; sie dürfe nicht „strapaziert" werden 3 2 4 . Von einer Ausweitungstendenz i m Inhalt der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht kann also nicht die Rede sein - mit einer Maßgabe allerdings: Der ArbeitnehmerBegriff i s t nicht unerheblich erweitert worden, durch Anerkennung „sozialer Verantwortung" des Arbeitgebers auch in arbeitnehmerähnlichen Beziehungen 3 2 5 . Doch gerade dies war auch überzeugender Kritik ausgesetzt 326 , gerade aus der Sicht des Arbeitsrechts.

3. Folgerungen für ein einschränkendes Verständnis der Sozialversicherungs-Verpflichtungen des Arbeitgebers Berechtigt ist also zwar der Rückgriff auf die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht zur Inhaltsbestimmung jener allgemeinen Fürsorgeverpflichtung der Arbeitgeber, welche deren Sozialversicherungs-Belastungen tragen soll. Doch daraus ist das Gegenteil dessen abzuleiten, was aus solcher Parallelität meist allzurasch gefolgert wird: die immer weitere Steigerung der Leistungspflichten der Arbeitgeber. Gerade wenn man beides zusammen s i e h t 3 2 7 , so ergibt sich eindeutig: Der Bezug zum Beschäftigungsverhältnis, zum Arbeitsvertrag muß stets bei Fürsorgeleistungen erhalten bleiben (vgl. oben I, 4), nur er legitimiert die Leistungen des Arbeitgebers, i m Arbeitsrecht wie auch i m Recht der Sozialversicherung. In beiden Bereichen aber ist auch dies wiederum eng zu verstehen: Nicht i m Sinn einer sich erweiternden Garantenstellung des Arbeitgebers für Lebensrisiken des Arbeitnehmers, für Gefahren, die diesem aus gänzlich beschäftigungsfernen Bereichen drohen, sondern in Beschränkung auf den arbeits- wie sozialrechtlich einzigen Berührungspunkt der beiden Partner: eben das Beschäftigungsverhältnis. Wenn man schon das Arbeitsrecht zu Sinnerfüllung und Legitimation der Sozialversicherung einsetzen will, so darf dabei eines nicht vergessen werden: Unbeschadet noch so weitgehender gesetzlicher Verpflichtungen des Arbeitgebers - das Arbeitsrecht ist und bleibt primär wesentlich privatrechtliches Vertragsrecht. Diesem 323 Schaub, aaO., S. 823. 324 Hueck/Nipperdey (Fn. 306), S. 292 f., unter Hinw. auf das BAG, welches ja auch gegen die Arbeitgeber-Pflichten im Rahmen des Mutterschutzes erhebliche Bedenken geäußert hatte (BAG 23, S. 416 ff.). 325 Näher dazu m. Nachw. Picot (Fn. 56), S. 16 ff. m. Nachw. 326 Picot, aaO., S. 21 f. 327 Wie es etwa anklingt bei Krause (Fn. 56), S. 131 f.

III. Arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht

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aber ist der abwägende Interessenausgleich gleichgestellter Bürger wesentlich, nicht eine parastaatliche paternalistische Fürsorgeverpflichtung, wie sie der Hoheitsstaat dem Bürger gegenüber zu tragen hat. Deshalb kann der Arbeitgeber nicht zum „beliehenen Sozialunternehmer des Staates" gemacht werden, auch nicht über eine PZK-treibende Sozialversicherung. Diese muß vielmehr interessenausgleichend zurückgenommen werden, wenn sich die Lage des „Vertragspartners Arbeitgeber" - wie gegenwärtig - derart ungünstig zu entwickeln droht. Das private Arbeitsrecht und seine Fürsorgepflicht mahnt die hoheitliche Sozialversicherung, sich ihrer Wesensgrenzen bewußt zu sein, aus dem was sie materiellrechtlich ist wie das Arbeitsrecht: Gleichordnungsbeziehung zwischen Bürgern. Und wenn schon Parallelentwicklungen zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht festzustellen sind, wie etwa deutlich in der Ausweitung des Kreises schutzwürdiger Personen 3 2 8 , so müssen auch die nicht erweiternden, sondern einschränkenden Parallelen zwischen beiden Rechtsgebieten erkannt und verfolgt werden, nimmt man das BVerfG (vgl. oben 1) beim Wort: Sozialversicherung ist eben nicht - Lebensversicherung globaler Art. Kaum etwas gibt es, was so wichtig ist für eine markt- und damit arbeitsvertragskonforme Bewußtseinsveränderung wie diese Erkenntnis; nur dann können die PZK in der Sozialversicherung auf das beschränkt werden, was der Arbeitnehmer leistet - was der Arbeitgeber leisten kann.

Ergebnis Das BVerfG hat früher die Arbeitgeber-Beiträge zur Sozialversicherung in Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht gebracht, welche den Arbeitgebern im modernen Beschäftigungsverhältnis obliege. Die sozialversicherungsrechtliche Fürsorgepflicht ist mit dieser arbeitsrechtlichen zwar nicht identisch, bedeutsame Parallelen sind jedoch unverkennbar. . Dies rechtfertigt aber keine Erweiterung der Fürsorgepflichten des Arbeitgebers in der Sozialversicherung - im Gegenteil. Nähere arbeitsrechtliche Betrachtung zeigt, daß doch die Fürsorgepflicht streng arbeitsvertragsbezogen verstanden und bis ins einzelne ausgestaltet ist; sie ist Berufsfürsorge, nicht allgemeine Lebensfürsorge. Das Arbeitsrecht bürdet dem Arbeitgeber gerade keine allgemeine Verantwortung für Lebensrisiken des Arbeitnehmers auf - also darf dies auch über Sozialversicherung nicht geschehen. Sicherbar sind nur arbeitsbezogene Risiken. Das Arbeitsrecht fordert, als wesentliches Privatrecht, stets auch die Abwägung der Belange beider Partner - also muß dies auch die Sozialversicherung und die Entwicklung der PZK prägen. Diese Erkenntnis aus dem Arbeitsrecht muß zu einer Bewußtseinsveränderung i m Bereich der Sozialversicherung führen; sie ist zu beschränken auf das, was der Arbeitnehmer leistet, was der Arbeitgeber leisten kann. 328 Vgl. d a z u oben c am Ende einerseits - die Künstlersozialabgabe (BVerfGE 75, S. 108 ff.) zum anderen.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

IV. Kritik der sozialversicherungsfremden Lasten Sozialversicherungsbeiträge sind nicht Steuern 1. „Fremdlasten" - bisher ein diffuser Begriff a) Die Personalzusatzkosten haben die oben unter A dargestellte Höhe i m Bereich der Sozialversicherung vor allem auch deshalb erreicht, weil der Sozialversicherung, damit der Versichertengemeinschaft, Aufgaben gesetzlich zugewiesen wurden, die mit Sozialversicherung nichts zu tun haben, nachdem sie den Beitragszahlern der Sozialversicherung in keiner Weise zugute kommen (können). Sie liegen daher vollständig außerhalb des „normalen" Kompetenzbereiches der Sozialversicherungsträger. Dieses Problem ist seit über zwei Jahrzehnten i m Schrifttum unter dem Stichwort „Fremdlasten" allgemein erkannt; es wurden ihm mehrmals eingehende Untersuchungen g e w i d m e t 3 2 9 . Dennoch hat dies bisher die politisch Verantwortlichen unbeeindruckt gelassen; der Gesetzgeber ist sogar, im Rahmen der Wiedervereinigung, zu einer schwerwiegenden Verstärkung der Fremdbelastungen der Sozialversicherung übergegangen. Dies konnte vordergründig damit legitimiert werden, daß ja Fremdlast nur sei, was den Sozialversicherungs-Trägern als eine Aufgabe gesetzwidrig angesonnen oder von ihnen unter Gesetzesverstoß übernommen werde; die Fremdlasten beruhen aber in der Regel auf Gesetz. Der Hinweis auf I V § 30 Abs. 2 SGB, der dieses Verbot ausspricht, führt schon deshalb nicht weiter, weil das SGB, als einfaches Gesetz, den künftigen Gesetzgeber nicht binden k o n n t e 3 3 0 . Vielmehr ist auch hier klar die Verfassungsfrage zu stellen: Welche Aufgaben darf der Gesetzgeber der Sozialversicherung deshalb nicht zuweisen, weil sie mit Sozialversicherung nichts zu tun haben ? Solche Grenzen muß es geben, sonst wäre die Sozialversicherung ein „Staat im Staat", der Begriff Sozialversicherung wäre völlig inhaltsleer; die rein organisatorische Form der Erfüllung einer Aufgabe „als Sozialversicherung" könnte zur Legitimation jeder Sozialversicherungs-Belastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern genügen. Dies widerspricht jedoch eindeutig der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. oben II, 2, e). b) Daß die verbreitete Kritik an den Fremdlasten 3 3 1 bisher wirkungslos geblieben, daß sie insbesondere von der Rechtsprechung nicht aufgenommen worden i s t 3 3 2 , beruht vor allem auf einem: Der Begriff „Fremdlasten" wurde von Anfang an allzuweit gefaßt\ ihm wurde alles zugeordnet, was man aus irgendwelchen 329

Bahnbrechend Isensee, J., Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, passim, inbes. S. 23, 42, 57 f.; Krause, P., Fremdlasten der Sozialversicherung, VSSR 1980, S. 115 ff., dort auch weit. Nachw. 330 Vgl. Krause (Fn. 329), S. 116. 331 Vgl. die bei Fn. 329 zitierten Autoren, sowie etwa noch Doetsch, W., (Hrsg.), HZS, Erläuterung zu SGB IV, 1, Gr. 2, Rdnrn. 16 f.; Ruland (Fn. 10), S. 150. 332 Siehe Krause (Fn. 329), S. 119 f.

IV. Kritik der sozialversicherungsfremden Lasten

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Gründen nicht der Sozialversicherung zugeordnet wissen wollte. „Fremdlasten" ist damit zu einem Sammelbegriff für angebliche oder wirkliche Fehlentwicklungen der Sozialversicherung geworden; aus ihm konnten daher justiziable Verfassungsschranken kaum mehr abgeleitet werden. So wurde schon 1980 berichtet 3 3 3 , daß als Fremdlasten etwa bezeichnet wurde: - Abdeckung von Risiken, die per se keine Risiken der Sozialversicherung sein könnten, etwa im Falle von Mutterschafts- und Haushaltshilfe, des Krankengeldes bei Erkrankung eines Kindes, der Hilfe zur Abtreibung, der Empfängnisverhütung und Sterilisation in der Krankenversicherung, der Prävention oder Rehabilitation in der Renten- und Arbeitslosenversicherung; - personelle Uberdehnung der Sozialversicherung, versicherung;

ζ. B. durch die Künstlersozial-

- Gewährung von Leistungen der Sozialversicherung unter allzu erleichterten Bedingungen , ζ. B. Anrechnung von Ausfall-, Ersatz- und Zurechnungszeiten, Gutbringen oder Anrechnung früherer Beiträge usw.; - Einbeziehung von Risiken, die in den Verantwortungsbereich eines Schädigers gehören oder deren Entstehung „zu weit vom Beschäftigungsverhältnis entfernt ist"; - Leistungen der Sozialversicherung, die nicht nur den Angehörigen der Risikogemeinschaft, sondern schlechthin der Allgemeinheit zugute kommen, etwa Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Fortbildung. Wird all dies als „Fremdbelastung" betrachtet, so liegt darin nichts als die Forderung einer Reform der Sozialversicherung an Haupt und Gliedern; politisch gerät der Begriff zu einem zwar eindrucksvollen, aber kaum allzu erfolgversprechenden allgemeinen politischen Schlagwort. Vor allem jedoch bleibt undeutlich, worin denn nun jenes Wesen der Sozialversicherung gesehen wird, von dem sich die „Fremdlast" entfernen soll - in der Schutzbedürftigkeit, im Nutzen der Leistung, im Bezug zum Beschäftigungsverhältnis oder einfach in der Höhe der Leistun„334 gen . Nicht zuletzt aber ist die Fremdlastenproblematik auf- und untergegangen in der Diskussion um die Sozialversicherungsbeiträge als „Sonderabgaben", weil das nicht Gruppenhomogene oder nicht Gruppennützige sogleich als Fremdlast erschien (vgl. oben II, 5, c). Nachdem das BVerfG dies aber anders gesehen hatte, schien auch der Fremdlast als Grenze der Sozialversicherung die rechtliche Spitze genommen.

333 Krause, aaO., S. 117 ff. m. Nachw. 334 Zu weit faßt daher den Begriff auch Maschmann (Fn. 85), S. 302.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

2. Die eigentliche Fremdlast - primärer Nutzen außerhalb der Versichertengemeinschaft Es gilt, gerade in der gegenwärtigen Situation, die Fremdlastdiskussion wieder aufzunehmen, allerdings mit einem wesentlich engeren, einigermaßen griffigen Inhalt dieses Begriffes. Die personelle oder die Leistungsüberdehnung sollte nicht mehr als „Fremdlast' 4 bezeichnet werden. Denn in diesen Fällen wird vielleicht zuviel an Sozialversicherungsleistung geboten, oder solchen Versicherten, die nicht eigentlich schutzbedürftig sind. Diese Grenzen aber sind weithin flexibel, wenn nicht fließend, der Versichertengemeinschaft werden hier nicht etwa Belastungen aufgebürdet, die gänzlich außerhalb des Kreises ihrer Mitglieder als solcher entstehen, und bei der Definition dieses Kreises der Schutzbedürftigen beläßt die Rechtsprechung dem Gesetzgeber einen besonders weiten Gestaltungsraum. Eine Fremdlast liegt dagegen jedenfalls dann vor, wenn die Leistungen der Sozialversicherung, primär oder gar ausschließlich, Interessen befriedigen, die außerhalb der Solidargemeinschaft der Sozialversicherungsbeitragszahler als solcher liegen. Dann wird durch die Fremdlast kein „Arbeitsplatzrisiko" der Arbeitnehmer mehr abgedeckt, für das (auch) die Arbeitgeber mit ihren Beiträgen einzustehen hätten, nach dem herkömmlichen Grundgedanken der Sozialversicherung. Fremdlast ist also alles, was keine Verbindung zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als solchem gegenüber seinem Arbeitnehmer als solchem mehr aufweist; diese Verbindung aber wird durch das konkrete Beschäftigungsverhältnis hergestellt (vgl. oben I, 1, 4), und zwar zwischen einem Arbeitgeber und einem Mitglied der Gemeinschaft versicherter Arbeitnehmer, dem das Risiko des Verlustes dieses seines Arbeitsplatzes drohen kann. Als Fremdlasten sind daher eindeutig verfassungswidrig nicht etwa, wie bereits dargelegt, alle möglichen Übersteigerungen der Sozialversicherung, sondern vor allem zwei Komplexe: a)

Belastungen der Sozialversicherungsträger mit Berufsförderungsaufgaben aus der Tätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit, „Berufsvermittlung, Berufsberatung und Fortbildung sind keine Aufgaben für die Beitragsfinanzierung" 3 3 5 . Hier geht es um Begründung von Beschäftigungsverhältnissen, nicht um Risikovorsorge für deren Verlust. Es gibt keine Solidargemeinschaft von Arbeitgebern etwa mit Personen, die noch nie Arbeitnehmer waren. Beiträge der Arbeitgeber zu ihren Gunsten würden bedeuten, daß ihr „Recht auf Arbeit" gleichgestellt würde dem Recht am Arbeitsplatz, dem legitimen Interesse des Arbeitnehmers an dessen Erhaltung, an weiterer Entlohnung aus ihm. Einst hatte der Kommunismus den Arbeitgebern vorgeworfen, sie seien an der Erhaltung einer „industriellen Reservearmee" interessiert, an „möglichst wenig Beschäftigung"; nun läßt sich dies nicht in der Form umkehren, daß die Arbeitgeber auch noch verpflichtet werden, Leistungen für „möglichst viel Beschäftigung" 335 Rieker, H., Rhein. Merkur 13. 10. 1995.

IV. Kritik der sozialversicherungsfremden Lasten

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zu erbringen, denn dies liegt völlig außerhalb ihres Interessenbereichs als Arbeitgeber. Arbeitsförderungsmaßnahmen lassen sich auch nicht mit der Begründung in die Solidarität der Sozialpartner einbeziehen, es handle sich dabei doch nur um eine verlängerte Form von Arbeitslosenversicherung: Diese letztere ist Versicherung, weil sie ein Risiko abdeckt, die Arbeitsförderung soll Chancen eröffnen; „Versicherung auf Chancen" gibt es nicht. b)

M i t dem Bestandsschutz für ostdeutsche Rentner sind die westdeutschen Sozialversicherungsträger schon vor der Wiedervereinigung belastet worden, wenn Ostdeutsche in die Bundesrepublik übersiedelten 336 , nach 1989 hat sich dies in großem Umfang fortgesetzt: Die Versichertengemeinschaft West muß i m Ergebnis für Leistungen an Personen aufkommen, die selbst dazu gar nichts oder nur unverhältnismäßig weniger als Arbeitgeber und Arbeitnehmer i m Westen aufgewendet haben. Dies aber kann allenfalls aus nationaler, aus Bürgersolidarität verlangt werden, nicht aber nach dem Recht einer Sozialversicherung, die von jeher auf der Idee einer zwar weiten, aber doch fest umrissenen Solidargemeinschaft aufbaut 3 3 7 , vor allem aber immerhin auch wesentlich auf einem Äquivalenzdenken 3 3 8 , das wesentliche Beiträge der begünstigten Versicherten voraussetzt. Diese eindeutige Überspannung der Solidargemeinschaft läßt sich auch nicht unter Hinweis auf die Zulässigkeit der Einrichtung eines Verbund- und Ausgleichssystems zwischen den (westdeutschen) Sozialversicherungs-Trägern rechtfertigen 3 3 9 - hier wurde allenfalls die Solidargemeinschaft vergrößert, aber sie bestand immer noch aus äquivalent Beiträge zahlenden Arbeitnehmern. Daß schließlich den Sozialversicherungsträgern früher sogar die Stationierungslasten für fremde Truppen aufgebürdet wurden, ist schon seinerzeit scharf kritisiert w o r d e n 3 4 0 . Diese Regelungen waren ein eindeutiger Verstoß gegen Sozialversicherungs-Verfassungsrecht und konnten daher auch die späteren „Rentenregelungen Ost" nicht legitimieren.

Selbst wenn die Sozialversicherungsträger sich, weil insoweit nicht grundrechtslegitimiert, nicht gegen solche wirkliche Fremdlasten wehren können, die ihnen durch Gesetz auferlegt werden 3 4 1 , so muß eine solche Fehlentwicklung die Beitragspflichtigen, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, zur Anfechtung von Bescheiden berechtigten, deren Höhe jedenfalls teilweise auf solchen Fremdlasten beruht. Vor

336 337 (94). 338 339 340

Siehe Ruland (Fn. 10), S. 150. Etwa BVerfGE 25, S. 314 (321); 29, S. 221 (241); 75, S. 108 (154 f.); BSGE 22, S. 92 Isensee (Fn. 208), S. 148. Vgl. BVerfGE 23, S. 12 (22 ff.); 36, S. 383 (392 ff.). Siehe ζ. B. Weber., Werner, DRV 1963, S. 149 (153).

341 Vgl. BVerfGE 21, S. 362; dazu m. Nachw. Krause (Fn. 56), S. 119. 8 Leisner

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

allem aber ist es hohe Zeit, daß der Gesetzgeber schnellstens derartige verfassungswidrige Fehlentwicklungen korrigiert, welche nicht nur unvereinbar sind mit jeder an Gerechtigkeitsdenken orientierter Betrachtungsweise, sondern darüber hinaus gegen Grundprinzipien der Finanzverfassung, ja der demokratischen Staatsform verstoßen:

3. Fremdlasten der Sozialversicherung - ein unerträglicher Verstoß gegen Abgabengleichheit und Finanzverfassung: „Beiträge statt Steuern" a) Jedenfalls bei den vorstehend dargestellten „echten Fremdlasten' 4 der Sozialversicherung wird diese eindeutig zur Erbringung von Leistungen gezwungen, die dem ausschließlichen, jedenfalls aber klar vorrangigen Interesse der Gemeinschaft aller Bürger dienen. Daher ist dies über Steuern zu finanzieren, nicht über Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dies wird denn auch seit langem mit Nachdruck gefordert 3 4 2 : Gemeinlasten, deren Finanzierung jedermann zugute kommt, dürfen nur aus Steuermitteln gedeckt werden 3 4 3 . In der Kohlepfennig-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht dies mit aller Klarheit hervorgehoben 344 . Es zieht damit nur die Konsequenz aus dem Steuerbegriff 3 4 5 und aus dem von jeher anerkannten dogmatischen Unterschied zwischen Steuer und (Sozialversicherungs-)Beitrag 3 4 6 . Dabei ist vom „Vorrang der Steuer 44 auszugehen, weil eben alle außersteuerlichen Ausgaben, auch die Beiträge zur Sozialversicherung, besonderer Legitimation bedürfen 3 4 7 . b) Eine solche Rechtfertigung kann keinesfalls in einer „allgemeinen Tendenz zu Sozialversicherungs-Beiträgen statt Steuern 44 als Form unterstaatlicher Lastenverteilung 3 4 8 gefunden werden; soweit es sie gibt, ist sie schlechthin verfassungswidrig. Sie läßt sich auch nicht aus der Kindergeldentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 349 legitimieren. Dort hat das Gericht zwar ausgesprochen, es liege „ i m gesetzgeberischen Ermessen, den Familienlastenausgleich teilweise durch steuerrechtliche Vergünstigungen und teilweise durch das Kindergeld herbeizuführen. 44 Doch dies mochte für die sozialversicherungsrechtliche Kindergeldleistung (gerade) noch diskutabel sein, mit einer Begründung, auf die sich das Bundesver342 Zur Position der Arbeitgeber vgl. Berenz/Brock/Worzalla (Fn. 45, S. 382 f.); siehe ferner Friauf(Fn. 220), S. 1773, 1778; Arndt (Fn. 285), S. 295. 343 Krause (Fn. 56), S. 132. 344 BVerfGE 91, S. 186(201 ff.). 345 Dazu Isensee (Fn. 55), S. 439 ff. 346 Siehe f. viele Krause (Fn. 56), S. 117, 133 ff.; Isensee, aaO., S. 52; Picot (Fn. 56), S. 19; Selmer (Fn. 56), S. 368 ff. 347 Wegmann, B., Transferverfassungsrechtliche Probleme der Sozialversicherung, 1986, S. 151; Picot, aaO., S. 20. 348 picot (Fn. 56), S. 17, dazu ders. krit. ebenda S. 20. 349 BVerfGE 11, S. 109 (116 f.).

IV. Kritik der sozialversicherungsfremden Lasten

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fassungsgericht seinerzeit eben gestützt h a t 3 5 0 : Das Kindergeld schließe eine bedeutsame Lücke, „und zwar wiederum in einer Weise, die spezifisch ist für den Kreis derer, die nach diesem Gesetz Leistungen empfangen sollen", d. h. die Arbeitnehmer, auf welche sich, nach dem Bundesverfassungsgericht, die Fürsorgepflicht der Arbeitgeber erstreckt. Bei den vorstehend genannten Fremdlasten (Berufsförderung, Ost-Lasten) gibt es einen solchen Anknüpfungspunkt überhaupt nicht. Überdies ist äußerst fraglich, ob man heute noch, nachdem die finanzverfassungsrechtlichen Unterschiede zwischen Beiträgen und Steuern in jahrzehntelanger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts präzisiert worden sind, die Austauschbarkeit dieser Finanzierungsinstrumente immer weiter auf eine mehr als 35 Jahre zurückliegende Entscheidung des Gerichts stützen kann. Sozialversicherungsbeiträge und Steuerbelastungen sind schließlich auch nicht deshalb nach dem freien Willen des Gesetzgebers austauschbar, weil dieser ja Zuschüsse zur Sozialversicherung vorsieht 3 5 1 . Diese traditionelle, der Sozialversicherung wesentliche Gestaltung ist nicht etwa stets damit gerechtfertigt worden, daß man auf diese Weise „Fremdlasten" der Sozialversicherung abdecken w o l l t e 3 5 2 . Vielmehr wollte eine über Steuern sozialisierende Staatsgewalt ein weitgehend nivellierendes Sozialversicherungssystem damit funktionsfähig halten; gewünscht war also ein Transfer zugunsten der schwächeren Arbeitnehmer-Glieder der Versichertengemeinschaft. Dies kann nun nicht nach Belieben umetikettiert werden in eine Art von „Ablöse" immer weitergehender Fremdlasten der Sozialversicherung: Derartiges könnte allenfalls dann gelten, wenn der Gesetzgeber gerade dies ausdrücklich jeweils bei Zuschußgestaltung gewollt - und wenn er dann die Zuschüsse i m einzelnen entsprechend erhöht hätte; davon aber kann nicht die Rede sein. c) Die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes von Sozialversicherungs-Beiträgen an Stelle von Steuern liegt auf der Hand und bedarf seit dem Kohlepfennig-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 353 keiner näheren Begründung mehr: Gemeinlasten müssen - der Begriff bereits sagt es - von allen Bürgern getragen werden, und zwar über Steuern; Versicherungslasten tragen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Übergänge kann es hier nicht geben, etwa in dem Sinne, daß diese Fremdlasten „sowohl der Versichertengemeinschaft als auch der Allgemeinheit" zugute kämen; dann könnte man ja alle öffentlichen Interessen zugleich zu privaten erklären und dafür bestimmte Benutzer zur Kasse bitten. Jedenfalls aber müßten dann die anteiligen Lasten der begünstigten Privaten (Versichertengemeinschaft) vom Gesetzgeber genau anteilig beziffert werden, i m Wege einer eindeutigen Vorteilsausgleichung. Davon kann bisher auch nicht ansatzweise gesprochen werden. 350 aaO.,S. 116 f. 351 Dazu näher m. Nachw. Isensee (Fn. 56), S. 46 f. 352 Mag sie nun auch gelegentlich mit diesen in Zusammenhang gebracht werden, vgl. Ruland (Fn. 10), S. 149. 353 BVerfGE 91, S. 186 (201 ff.). 8:

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

Wenn einer Kategorie von Bürgern besondere Lasten für die Gemeinschaft auferlegt werden - hier: Arbeitnehmern und Arbeitgebern - so bricht dies die Abgabengleichheit, damit aber die praktisch wichtigste Ausprägung des überstaatlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 G G ) 3 5 4 . Zugleich ist sogar noch das unabänderliche (Art. 79 Abs. 3 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG) Demokratieprinzip damit aufgegeben: Die Verantwortung für Gemeinschaftsinteressen liegt eben beim Volkssouverän, nicht bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern - solange man nicht Versichertengemeinschaft und Staatsvolk gleichsetzt. Geschähe dies aber, so verließe man erst recht die demokratische Staatsform: Die Wahrnehmung zentraler öffentlicher Interessen würde privaten Gruppen anvertraut - ein Rückweg in faschistoide Ständestaatlichkeit. Diese Gefahr ist so ernst, daß - endlich - einer Vermischung von Sozialrecht und Staatsverfassung energisch ein Riegel vorgeschoben werden muß, der jede Fremdlast der Sozialversicherung aussperrt.

Ergebnis Seit langem wird i m Fachschrifttum und in der Publizistik kritisiert, daß den Trägern der Sozialversicherung „Fremdlasten" auferlegt werden, Leistungen, die mit den Aufgaben der Sozialversicherung nichts zu tun hätten. Bedauerlicherweise ist dieser Begriff der „Fremdlasten" auf alle Leistungen ausgedehnt worden, deren Berechtigung i m Rahmen der Sozialversicherung als problematisch erschien: von der Ausweitung der Schutzbedürftigkeit über die hohen Leistungssteigerungen bis hin zur Befriedigung von Interessen, die „außerhalb der Versichertengemeinschaft" anzusiedeln sind. Damit wurde das Wort zum Sammelbegriff für Sozialversicherungs-Kritik, es verlor seine verfassungsrechtliche Präzision. Fremdlasten sind solche Abgaben, welche Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht i m Interesse ihrer Versicherungsgemeinschaft auferlegt werden, sondern i m Interesse der Bürgergemeinschaft. Die wichtigsten Beispiele sind heute Arbeitsförderungs- und Berufsbildungsmaßnahmen einerseits, zum anderen die Gewährleistung eines Bestandsschutzes für die Sozialversicherungsleistungen in den neuen Ländern. Dies alles sind Gemeinlasten, die nur durch Steuern finanziert werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Begriff im Kohlepfennig-Urteil präzisiert. Der Gesetzgeber darf also nicht nach Belieben „Sozialversicherungsbeiträge statt Steuern" auferlegen; auch die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung legitimieren eine solche Gestaltung nicht, sie dienen vielmehr dem sozialausgleichenden Funktionieren der Sozialversicherung. Diese Fremdlasten sind daher eindeutig verfassungswidrig; gegen ihre Berücksichtigung in der Sozialversicherung können sich die Betroffenen, insbesondere die Arbeitgeber, rechtlich zur Wehr setzen, bis hin zur Verfassungsbeschwerde. Sie 354 BVerfGE 1, S. 208 (243 f.); 6, S. 84 (91).

V. Konsequenzen einer Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung

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stellen eine der schwersten vorstellbaren Verletzungen des Grundgesetzes dar: Sie brechen die Abgabengleichheit der Bürger, setzen Versichertengemeinschaft und Staatsvolk gleich und verlassen damit den Boden der demokratischen Staatsform.

V. Die wichtigsten Konsequenzen einer verfassungskonformen Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung - die Gefahr eines „Hineinwachsens der PZK-Belastungen in Verfassungswidrigkeit" Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt es nicht nur das Gegensatzpaar „Verfassungsmäßigkeit - Verfassungswidrigkeit". Seit langem ist anerkannt, daß gewisse Belastungen, wie bisher - vielleicht „gerade noch" - als erträglich erscheinen mochten, im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung, vor allem durch sie, schließlich unerträglich werden. Das eindeutigste Beispiel aus letzter Zeit bieten die Einheits werte des Grundbesitzes: Jahrzehntelang erschienen sie als „noch tragbar", die Frage ihrer Verfassungswidrigkeit jedenfalls noch als klärungsbedürftig 3 5 5 . M i t einem M a l ging dann das verfassungsrechtliche Fallbeil nieder, und dies mit sogar noch erstaunlich kurzen Änderungsfristen 3 5 6 . Diese Beschlüsse haben auch insofern eine neue Dimension verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung eröffnet, als das „Hineinwachsen in Verfassungswidrigkeit durch Zeit und Markt" erstmals klar ins staatsrechtliche Bewußtsein getreten ist. Gerade bei komplexen Bewertungsfragen, wie den Werten von Grundstücken - und eben auch der Belastung von Unternehmen mit Personalzusatzkosten - kann sich Verfassungsrisiko durch Marktentwicklung zur Verfassungswidrigkeit steigern - und gerade in dieser Entwicklung stehen wir heute. Die Personalzusatzkosten sind unerträglich hoch und steigen weiter (oben A ) ; die Verfassung fordert und setzt normative Belastungsgrenzen für sie (oben B); i m Sozialrecht vor allem lassen sich diese verwirklichen (vgl. diesen Abschnitt C). Dies bedeutet: Der Gesetzgeber kann der Gefahr der Überlastung der Unternehmen, bis hin zur Verfassungswidrigkeit, nur entgegenwirken, wenn folgende sozialrechtliche Entwicklungslinien ohne Verzug verfolgt werden:

1. Beseitigung verfassungswidriger Belastungen der Sozialversicherung a) Die (oben I I I dargestellten) Fremdlasten der Sozialversicherung sind evident verfassungswidrig. M i t den konturlosen, teilweise sozialromantischen Rechtfertigungsformeln der Sozialversicherung (vgl. oben I, II) lassen sie sich nicht legiti355 Vgl. m . Nachw. Leisner, W., NJW 1995, S. 2591 (2592 f.). 356 BVerfG NJW 1995, S. 2615 - Vermögensteuerbeschluß, BVerfG NJW 1995, S. 2624 Erbschaftsteuerbeschluß.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

mieren. Nationale Solidarität wird hier sozialrechtlich mißbraucht. Das Absenkungspotential der Personalzusatzkosten ist keineswegs unerheblich, das die Haushaltsfinanzierung solcher Belastungen aktivieren könnte. Dies wäre ein offener, ehrlicherer Weg, in einer Marktwirtschaft Unternehmen zu entlasten, als sie anderweitig zu subventionieren. b) Beschäftigungsferne Interessen dürfen nach der Verfassung nicht durch Sozialversicherungsbelastungen verfolgt werden: Der Familienleistungsausgleich ist über Steuern zu finanzieren. Der Beschäftigungsbezug der Sozialversicherung muß wieder ernster genommen werden. Die Lehens- und Gutsherren früherer Zeit haben schon vor Generationen das ius primae noctis verloren - sollen sie jetzt doch wieder Verantwortung für die Familienplanung ihrer Arbeiter übernehmen müssen? Wann endlich wird sich der grundrechtlich gesicherte Respekt der Privatsphäre auch der Arbeitnehmer i m Sozialrecht durchsetzen? c) Lohn- und beschäftigungsunabhängige Sozialversicherung ist verfassungswidrig, insbesondere die früher viel diskutierte „Maschinensteuer" 357. Sie scheitert bereits an dem notwendigen Zusammenhang aller Sozialversicherungs-Leistungen mit dem Beschäftigungsverhältnis (oben I, 4). Ein Zusammenhang mit einer noch so weit gefaßten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist hier gänzlich ausgeschlossen; eine Verantwortlichkeit gegenüber irgendwelchen unbekannten potentiellen Arbeitnehmern, welche durch Maschineneinsatz von Beschäftigung ausgeschlossen werden, wäre ein juristisch-begriffliches monstro simile, ökonomisch eine Art von Freikauf von Attentaten maschinenzerstörender Wegelagerer aus den Urzeiten des englischen Liberalismus. Das Ethos einer menschlichen Sozialversicherung ginge vollends verloren.

2. Überprüfung bisheriger Belastungen in einer veränderten Marktkonstellation a) Das bisherige Sozialrecht Deutschlands ist gekennzeichnet durch die Großzügigkeit eines reichen Landes: Erweiterung des Kreises der Schutzwürdigen, Anhebung von Sozialleistungen, erleichterter Zugang zu ihnen, immer größere Beschäftigungsferne der versicherten Risiken (Sportunfälle) haben zu einer Überdehnung der Personalzusatzkosten geführt. Vor Jahren mochte es noch eine allgemeine Gesetzgebungsfrage ohne Verfassungsbezug sein, ob nicht die Selbstverantwortung des einzelnen Arbeitnehmers i m Namen der Subsidiarität gestärkt werden müsse 3 5 8 . Heute ist daraus eine Verfassungsfrage geworden, in einer veränderten, sich immer weiter wandelnden Marktkonstellation. Die Frage der Überlastung der 357

Die Ergebnisse der eingehenden Untersuchungen von Josef Isensee (DRV 1980, S. 146 ff.) und Hans-Wolgang Arndt (DRV 1987, S. 282 ff.) sind bisher, soweit ersichtlich, auch nicht in Ansätzen widerlegt worden. 358 In diesem Sinne etwa Norbert Blüm, Solidarität und Subsidiarität in der Sozialpolitik, MMG 83, S. 1.

V. Konsequenzen einer Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung

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Betriebe, aus Art. 12 und 14 GG gestellt, verlangt eine Neubewertung des Belastbarkeitspotentials von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, i m Namen des Verfassungsprinzips der Verhältnismäßigkeit. M i t anderen Worten: Es steht dem Gesetzgeber nicht mehr frei, beliebig Sozialpolitik zu Lasten leistungsfähiger Arbeitgeber zu betreiben; er muß das Überleben der Betriebe ermöglichen, nicht zuletzt i m Namen der Arbeitnehmer. Die Sozialgesetzgebung darf nicht in den Raum der Verfassungswidrigkeit dadurch hineinwachsen, daß sie sich, angesichts der Wettbewerbssituation, faktisch für größere Bereiche als eine Art von objektiver Berufssperre auswirkt. Überragende Gemeinschaftsinteressen, die solches rechtfertigen könnt e n 3 5 9 sind nirgends ersichtlich - i m Gegenteil: Selbst die Interessen der vom Arbeitsplatz bedrohten Arbeitnehmer sprechen dagegen. b) Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist keine Leistung der Sozialversicherung; und doch steht sie traditionell in untrennbarem, sozialrechtlichen Zusammenhang mit deren Leistungen, als eine Art von „Voll-Rente während der Krankheitszeit' 4 , die vom Arbeitgeber zu entrichten ist. Die Belastungen der Betriebe aus der Lohnfortzahlung sind außerordentlich hoch; hier liegt eines der wichtigsten Senkungspotentiale der Personalzusatzkosten. Für die Lohnfortzahlung gelten grundsätzlich dieselben Überlegungen, die in diesem Teil der vorliegenden Untersuchung für die Sozialversicherungs-Belastungen angestellt wurden; in der Tat wären j a die so von den Arbeitgebern erbrachten Leistungen ohne weiteres auch einer Sozialversicherungs-Lösung zugänglich. Der Gesetzgeber muß also auch hier prüfen, ob eine Beschränkung nicht einer neuen, durch den Markt erzwungenen Verhältnismäßigkeit der Belastungen der Arbeitgeber entspricht. Diese streben eine stufenweise Einschränkung um ein Fünftel an, beginnend mit wenigen Karenztagen. Der Widerstand der Arbeitnehmer-Vertretungen ist verständlich, doch er löst die Belastungsfrage nicht, die, wie dargelegt, zu einem Verfassungsproblem hinaufzuwachsen droht. M i t erregten Mißbrauchsdiskussionen ist wenig gewonnen; hier geht es um die Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber einerseits, um eine Lastenverteilung zwischen den Arbeitnehmern auf der anderen Seite. Selbstverantwortung, Selbstversorgung bleiben aber leere Worte, wenn sie nicht auch hier ebenso in die Diskussion kommen wie i m Recht der Sozialversicherung.

3. Keine neuen, die PZK steigernden Belastungen Die Arbeitgeber können eine Überprüfung ihrer gegenwärtigen Belastungen am Maßstab der Verfassung fordern; doch sie haben durchaus sogar noch weitere zu erwarten. Das Abgabenerfindungsrecht der Staatsgewalt treibt immer neue Blüten im Steuerrecht - aber auch im Sozialrecht. Geht man von der globalen Fürsorgepflicht aller Arbeitgeber für alle Arbeitnehmer aus - und diese undifferenzierte Be359 Vgl. BVerfGE 7, S. 377 ff. (405 f.) - Apothekenurteil.

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C. Die Überdehnung der Sozialversicherung

trachtungsweise beherrscht weitgehend das Sozialrecht - so ist schwer einzusehen, weshalb etwa nicht - eine soziale obligatorische Rechtsschutzversicherung eingeführt werden sollte, damit sich insbesondere der „Arbeitnehmer gegen den übermächtigen Arbeitgeber wirksam zur Wehr setzen k a n n " 3 6 0 , - die Sozialversicherung auch die Kosten des Transports der Kinder der Arbeitnehmer zur Schule übernehmen s o l l t e 3 6 1 . Die alten Diskussionen um die Studentensozialversicherung 362 haben bereits die schwer einzugrenzenden Ausweitungstendenzen der Sozialversicherung erkennen lassen. Sie liefen schon früher auf eine „Volksversicherung durch Sozialversicherung" hinaus, wobei wiederum Versichertengemeinschaft und Bürgergemeinschaft gleichgesetzt wurden. Die herrschende Lehre hat dem von jeher eine Absage erteilt. Über die „Gesetzgebungskompetenz Sozialversicherung" (Art. 74 Nr. 12 GG) darf eine derartige allgemeine, sozial umverteilende Bedürfnisbefriedigung der Bürgerschaft nicht eingeführt werden 3 6 3 . Eine andere Frage, die hier nicht vertieft werden kann, ist es, ob es weitere Kompetenzvorschriften gibt, die derartiges gestatten, und ob es grundrechtlich zulässig ist. Das Verfassungsrecht der Sozialversicherung jedenfalls öffnet dem sozialrechtlichen „Vorsehungsstaat" (Etat-providence) so weit die Tore nicht; er muß auf die Abdeckung echter Beschäftigungsrisiken beschränkt bleiben 3 6 4 . Daß dennoch die Ausweitung der Sozialversicherung in Richtung auf eine faktische Volksversicherung immer weiter verfolgt wird, hat sich neuerdings eindrucksvoll gezeigt bei der Diskussion um die Einführung einer sozialen Pflegeversiche360

Eingehend diskutiert bereits vor Jahrzehnten, vgl. André , S., ZfR 1976, S. 177 ff. 361 Mußgnug, R., Fs. f. Forsthoff, 1972, S. 259 (287).

362 Dazu Bogs, H., Veröffentlichung des Vereins für Versicherungswissenschaft, 1973, S. 270 (274); ablehnend die h.L., etwa Isensee (Fn. 56), S. 52 ff.; ders. (Fn. 55), S. 456 ff.; Papier, H.-J., AöR 100 (1975), S. 644 f.; Ruland (Fn. 10), S. 163; a.A. Kloepfer, M., VSSR 1974, S. 156 ff. 363 Nachw. bis 1980 bei Krause (Fn. 56), 121 f.; ablehnend außer den dort Genannten noch Maunz, Th., in: Maunz/Dürig, Art. 74, Rdnr. 172; André (Fn. 360); von Einem, H.-J., SGb 1991, S. 53; Grabau, ZRP 1993, S. 142 (143); Zacher, H., Sozialpolitik und Verfassung, 1980, S. 50 ff.; zweifelnd bereits Köttgen , Α., Fs. f. Muthesius, 1960, S. 19 (37 f.). 36 4 Dies wäre auch dann noch Verfassungsgebot einer Sozialversicherung, wenn in diese etwa alle restlichen Bevölkerungsgruppen einbezogen würden, ζ. B. die Beamten als ebenfalls „abhängig Beschäftigte" oder Hausfrauen als in einem ,,symbiotischen(!)" Beschäftigungsverhältnis Tätige (vgl. BVerfGE 75, S. 108 ff.). Die Basis der Sozialversicherung würde zwar dann praktisch mit der aktiven Bürgerschaft weitestgehend zusammenfallen; doch auch dann blieben noch unüberschreitbare Grenzen zu einer Volksversicherung: Nur Beschäftigungs-, nicht allgemeine Lebensrisiken dürften so abgedeckt werden, Kosten der allgemeinen Lebensführung könnten auf diese Weise nicht finanziert werden. Immerhin sollten private Arbeitgeber, welche die Einbeziehung von Beamten in die Sozialversicherung befürworten die allerdings nur unter Änderung von Art. 33 GG zulässig wäre - bedenken, daß sie damit einer gerade für sie gefährlichen Ausweitung der Sozialversicherung das Wort reden.

V. Konsequenzen einer Korrektur von Fehlentwicklungen der Sozialversicherung

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rung. Sie zeigt jedenfalls, daß die Tendenz zur Anhebung der PZK durch gesetzlichen Zwang ungebrochen ist. Die erste und wichtigste Forderung zur Vermeidung von verfassungswidrigen Überlastungen muß also lauten: Keine Einbeziehung weiterer Risiken in die Sozialversicherung. Was das Bundesverwaltungsgericht schon früh für die Einbeziehung neuer Berufsstände in die Sozialversicherung ausgesprochen h a t 3 6 5 , gilt auch heute noch für jede Erweiterung der Sozialversicherung und damit Verstärkung der Personalzusatzkosten-Belastungen: Sie setzt „eine sorgfältige Prüfung (der) sozialen und wirtschaftlichen Situation voraus und verlangt wegen der weitreichenden und schwer übersehbaren Auswirkungen auf andere Lebensgebiete ein behutsames Vorgehen."

Ergebnis Die schwerwiegenden Fehlentwicklungen des Sozialrechts, insbesondere der Sozialversicherung, müssen unverzüglich korrigiert werden, sonst wachsen die durch Sozialversicherungs-Belastungen ständig sich steigernden PZK-Belastungen insgesamt „ i n Verfassungswidrigkeit hinein". Daß solches durch Zeitablauf und Marktentwicklung geschehen kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, zuletzt eindrucksvoll in den EinheitsWertbeschlüssen dieses Gerichts. Dies erfordert: - Beseitigung verfassungswidriger Belastungen der Sozialversicherung, d. h. Finanzierung der „Fremdlasten" durch Steuermittel, keine Befriedigung beschäftigungsferner Interessen (Familienleistungsausgleich) durch Arbeitgeber-Beiträge. Eine lohn- und beschäftigungsunabhängige Sozialversicherung, wie etwa eine „Maschinensteuer", wäre verfassungswidrig. - Überprüfung bisheriger Belastungen in einer veränderten Marktkonstellation, insbesondere des (erleichterten) Zugangs zu Leistungen der Sozialversicherung, sowie von deren Höhe. A u f den Prüfstand gehört auch die Lohnfortzahlung i m Krankheitsfall, die in einem engen Ergänzungsverhältnis zur Sozialversicherung steht, als „Arbeitsentgelt-Kaskoversicherung für den Krankheitsfall zu Lasten der Arbeitgeber". Die Selbstbeteiligung der Versicherungsbegünstigten muß verstärkt werden, wenn anderenfalls den Betrieben verfassungswidrig Belastungen drohen. - Das bisher so rege praktizierte „Sozialversicherungs-Erfindungsrecht" des Gesetzgebers darf nicht zu neuen Belastungen der Betriebe führen, wie sie bereits früher diskutiert worden sind. Eine Volksversicherung allgemeiner Bürgerbedürfnisbefriedigung zu Lasten der Arbeitgeber ist verfassungswidrig. Daß hier neue Belastungen den Betrieben ins Haus stehen, hat die soziale Pflegeversicherung eindrucksvoll bewiesen. 365 BVerwGE 17, S. 74 (79).

Ausblick: Die Belastungsgrenzen rechtlich sichern Die Untersuchung hat ergeben, daß die Höhe der PZK zu schwersten Belastungen für die Betriebe führt, insbesondere infolge der gesetzlich auferlegten Lasten, vornehmlich der Sozialversicherung. Dies bedroht die grundrechtlich gesicherte Wirtschaftsfreiheit der Unternehmen, vor allem ihre nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit gerät in Gefahr. Verfassungsrechtliche Belastungsschranken verbieten es, daß dieser Zustand „ i n Verfassungswidrigkeit hineinwächst". Verhindert werden kann dies praktisch am ehesten induktiv: durch Verringerung der verschiedenen Einzelbelastungen und Vermeidung des Entstehens neuer Belastungen (vgl. C, IV). Die Globalbelastung wird aber nur dann wesentlich sinken, wenn all dies aus einem gesetzgeberischen Gesamtkonzept heraus erfolgt, nicht in isolierender Behandlung einiger Symptome. Der hier entwickelte Begriff der Belastungsgrenzen verlangt von Verfassungs wegen eine solche Gesamtschau, so wie neuerdings auch der Begriff der steuerlichen Gesamtbelastung Anerkennung gefunden hat. Rechts- und staatsgrundsätzlich kann dies nur erreicht werden, wenn der „mündige Bürger" ganz ernst genommen wird, auch in seiner Mitverantwortung für seine soziale Sicherung. Daß dies eine tiefgreifende Bewußtseinsveränderung bei den allgemein-politisch und sozialpolitisch Verantwortlichen voraussetzt, liegt auf der Hand. Doch Markt und Wettbewerb werden dazu zwingen, dafür sprechen heute alle Anzeichen. Induktive Einzelschritte können also wohl nicht mehr genügen, erfolgen sie nicht mit Blick auf eine letztlich deduktiv zu bestimmende Globalgrenze der Belastung der deutschen Unternehmen mit gesetzlichen Personalzusatzkosten. Dieser allgemeinere Weg wurde bereits in der Diskussion um die soziale Pflegeversicherung beschritten, wohl erstmals, und er ist weithin konsensgetragen: Weitere Belastungen bedürfen ausreichender Kompensation durch anderweite Entlastungen. Dies muß zu einem zentralen Grundsatz der Sozialpolitik werden und es ist fortzuentwickeln: Wo die bereits bestehenden Belastungen unerträglich werden, für ganze Kategorien, vor allem des Handwerks, da verlangt die Wirtschaftsfreiheit neue Kompensationen; soweit diese nicht durch Senkung der Sozialbelastungen erreichbar sind, bleibt nur der Weg steuerlicher Entlastung offen. Die neuen Dimensionen von Märkten und Wettbewerb verlangen auch eine neue Dimension gesetzgeberischer Überlegungen und Entscheidungen: Die verfassungsrechtlichen Belastungsgrenzen der Wirtschaftsbetriebe in Deutschland dürfen nicht immer erst in Karlsruhe überprüft, die rechtliche Verantwortung vom Gesetzgeber darf nicht zum höchsten Gericht weitergeschoben werden. Das Bundesverfassungs-

Ausblick: Die Belastungsgrenzen rechtlich sichern

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gericht ist nicht ein „Rechtsausschuß des Parlaments mit Vetorecht". Vornehmste Aufgabe der Vertreter des Volkssouveräns ist heute die Verfassungsprüfung gesetzgeberischer Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Belastungsgrenzen der Betriebe. Nur sie kann den Standort Deutschland sichern, nicht eine a posterioriKontrolle durch acht Richter. Die fast schon einhundertmal zahlreicheren Volksvertreter können so die Marktwirtschaft ernst nehmen, die jedermann ständig i m Munde führt. Optimale Lösungen werden sich bei Fragen solchen Schwierigkeitsgrads, wie sie die PZK stellen, nicht sogleich finden lassen. Verfassungsrechtlich ist Entscheidendes bereits gewonnen, wenn die Belastungsgrenzen der Verfassung stets i m Bewußtsein bleiben, wenn daher jede neue Belastungsentscheidung „näher beim Grundgesetz steht" als die bisherige Situation. Hier sollte wenigstens das BrandtWort stehen können: „ M a n hat sich bemüht."