Verfassungsrechtliche Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern: Lokale Grundversorgung - Staatsfreiheit - Finanzierung [1 ed.] 9783428482351, 9783428082353

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Verfassungsrechtliche Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern: Lokale Grundversorgung - Staatsfreiheit - Finanzierung [1 ed.]
 9783428482351, 9783428082353

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MARTIN WILHELMI

Verfassungsrechtliche Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern

Schriften zu Kommunikationsfragen Band 21

Verfassungsrechtliche Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern Lokale Grundversorgung · Staatsfreiheit · Finanzierung

Von

Dr. Martin Wilhelmi Rechtsanwalt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wilhelmi, Martin:

Verfassungsrechtliche Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Bundesländern : lokale Grundversorgung, Staatsfreiheit, Finanzierung I von Martin Wilhelmi. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zu Kommunikationsfragen ; Bd. 21) Zug!.: Passau, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08235-4 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4239 ISBN 3-428-08235-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort

Diese Arbeit wurde im Sommersemester 1994 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Zugrundegelegte Rechtsnormen sowie herangezogene Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand vom April 1994. Die Veröffentlichung erfolgt in inhaltlich unveränderter Fassung. Mein herzlicher und besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Herbert Bethge, meinem Doktorvater, der die Anregung zu diesem Untersuchungsgegenstand gab, den Fortgang der Arbeit mit freundlicher Unterstützung begleitete und innerhalb kürzester Zeit das Erstgutachten erstellte. Herr Professor Dr. Ferdinand 0. Kopp trug mit seinem rasch erstatteten Zweitgutachten dazu bei, daß die mündliche Doktorprüfung bereits am 21. Juli 1994 stattfinden konnte. Auch ihm spreche ich meinen Dank aus. Weiterhin danke ich Herrn Wissenschaftlichem Assistenten Dr. Jochen Rozek filr seine stete Bereitschaft zur weiterführenden Stellungnahme. Diese Schrift bildet den akademischen Abschluß einer lehr- und erlebnisreichen Zeit der juristischen Ausbildung in Passau; ich widme sie meinen Eltern und Camilla. Hamburg, im August 1994

Martin Wilhelmi

Inhaltsverzeichnis

Einführung und Problemstellung ..........................................................................

21

1. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991..........................

24

1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989 .............................................

24

A.

Die frühen Kapitel.......................................... .........................................

24

B.

Nachkriegsrundfunk in Westdeutschland........ .........................................

26

Die grundrechtlich abgesicherte Rundfunkfreiheit............... ............

27

II. Die Rundfunkentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts........

28

I. Das Deutschland-Fernsehen-Urteil .............................................

29

I.

C.

2. Das Mehrwertsteuer-Urteil.........................................................

30

3. Das FRAG-Urteil ........................................................................

32

4. Das Niedersachsen-Urteil.................. .........................................

34

5. Der Baden-Württemberg-Beschluß ............................................

36

6. Das Nordrhein-Westfalen-Urteil.................................................

37

7. Der Hessen 3-Beschluß...............................................................

37

8. Das Rundfunkgebühren-Urteil........... .........................................

38

III. Zusammenfassung............................................................................

40

Nachkriegsrundfunk in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik......................................................

41

Staatsrundfunk ..... ...... .... ............. ................. ...................... ..............

41

I.

II. Zentralisierung .. ... ........ ............... .......... ................................ ........ ...

41

III. Programminhalt................................................................................

42

IV. Finanzierung.....................................................................................

42

V. Rundfunk in der Verfassung............................................................

43

VI. Rundfunkversorgung........................................................................

43

VII. Zusammenfassung ............................................................................

44

8

Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk zwischen Oktober 1989 und 31. Dezember 1991....................................................................

A.

B.

45

Der Medienbeschluß der Volkskammer vom 5. Februar 1990 ................

46

I.

Zustandekommen .. ........................ ... .. ..... ....... .. .. ...... ...... ... .... ....... ....

46

II.

Inhalt des Medienbeschlusses und Vergleich mit der westdeutschen Rundfunkordnung ......... .. .............................. .... .. ........ ....

48

I. Materielle Regelungen................................................................

48

a) "Dienende" Freiheit auch in der DDR...................................

49

b) Informations- und Darstellungsrechte ...................................

49

c) Journalistischer Freiraum......................................................

52

aa) Mitbestimmung..............................................................

52

bb) Auskunft .................................... ........ .. ..........................

54

d) Entscheidung fllr Rundfunk als Kulturgut............................

56

2. Verfahrensregelungen .................................................................

57

a) Medienkontrollrat .................................................. ... .......... ..

57

b) Hörfunk- und Fernsehrat.......................................................

58

III. Zusammenfassung und Darstellung der weiteren Gesetzgebung .....

59

Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 ...........................................

61

I.

62

Regelung des Rundfunks durch den Bund ....................................... I. Zuständigkeit ..............................................................................

62

2. Grenzen.......................................................................................

63

Art. 13 III Nr. 2; I, li iVm Anlage I Kapitel li Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 9 Einigungsvertrag - Rundfunk als Einrichtung der öffentlichen Verwaltung.............................................................

63

III. Art. 20 I iVm Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Einigungsvertrag- Übergangsregelung fllr die Rundfunkmitarbeiter ........... ................................................................. ............

64

IV. Art. 36 Einigungsvertrag- der "Einrichtungs"-Rundfunk................

65

li.

I. Die Einrichtung, ihre Organe und die StaatsfreiheiL .. ... ... .. ... .. ..

66

a) Der Rundfunkbeauftragte............. ..... .. .... ............... ... ............

67

b) Der Rundfunkbeirat ..................................... ........... ..............

68

c) Das Zusammenwirken der Organe........................................

70

2. Einzelne Maßnahmen der Einrichtung in der Kritik...................

72

a) Frequenzvergabe und Staatsfreiheit des Rundfunks ........... ..

73

b) Programminhalt und Grundversorgung ................................

75

3. Finanzierung und staatlicher Einfluß ..........................................

77

Inhaltsverzeichnis a) Zulässigkeil staatlicher Zuschüsse an die Einrichtung..........

78

b) Höhe der Zuschüsse ................................. .... ........................ .

79

4. Das Ende der Einrichtung...........................................................

79

5. Zusammenfassung......................................................................

81

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern seit dem 1. Januar 1992

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich............................... ...... A.

9

82 83

Begriffsbestimmungen..... .........................................................................

83

Die Grundversorgung............................. ..........................................

83

I. Die Grundversorgungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ...... ......................................... ........................................

85

a) "Dienende" Funktion der Rundfunkfreiheit........... ... .. .... .. .. ..

85

b) Auslegung der Rundfunkfreiheit........ ....... ............. .... .. ... .. ... .

85

I.

aa) Technische Voraussetzungen.........................................

86

bb) Wirtschaftliche Voraussetzungen..................................

86

cc) Wettbewerbsvoraussetzungen........................................

87

c) Ergebnisse der Auslegung.....................................................

87

aa) Private Anbieter. ............ .... ............... ..... .. .. ........... ..... ... .

87

bb) Gleichgewichtige Vielfalt.. ............................................

88

d) Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Konsequenz des dualen Rundfunksystems..... .........

88

e) Ergänzung der Grundversorgungsrechtsprechung ................

91

2. Die Grundversorgung im Schrifttum ... .. .. .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. ... .. .

92

a) Das Schrifttum vor der Vierten Rundfunkentscheidung .......

93

aa) Grundversorgung als Ableitung aus Sozialstaats- und Demokratieprinzip ........... ...... .... ............... .... ......... ... .. ...

94

bb) Grundversorgung in einer gemischten Rundfunkverfassung..... ......................................................................

96

a) Grundversorgung als bloße Ergänzung privater

ß)

Programme .................................................. ............

96

Grundversorgung als Existenzgefährdung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ............................

99

b) Das Schrifttum zur Vierten Rundfunkentscheidung ............. 100 aa) "Kleiner Grundversorgungsbegriff" .. .. .......................... 102

10

Inhaltsverzeichnis bb) "Großer Grundversorgungsbegriff' ............................... 104 cc) Zusammenfassung .............................................. .......... . 107 c) Das Schrifttum zur weiteren Grundversorgungsrechtsprechung....................................... ....................................... 108 aa) "Mindestversorgung" ..... .. ... .. .. .......................... ... ....... .. . 109 bb) "Grenzziehung oder Aufgabenteilung" ... .. .... .. .. .... .. ....... 111 cc) "Lokal- und Regionalrundfunk" .................................... 113 3. Die Grundversorgung in den Rundfunkgesetzen ........................ 114 4. Stellungnahme zum Grundversorgungsbegriff........................... 115 a) Ersatzbegriff"Vollversorgung" ............................................ 116 b) Kernbereich der Grundversorgung.... .......... .. .... ...... .............. 117 aa) Technische Empfangbarkeil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ................................... .................................. 117 bb) Vorkehrungen zur Vielfaltssicherung ............................ 119 cc) Inhaltlicher Standard der öffentlich-rechtlichen Programme ............................ ....... ................................. 119 dd) Anforderungen an den Programminhalt und strukturelles Defizit des privaten Rundfunks............................ 120 ee) Grundversorgung ist Vollversorgung ............................ 124 c) Das Verhältnis von Grundversorgung und Zusatzversorgung ................................................................................. 124 II.

Der lokale Bereich............................................................................ 125 I. Die Gesetzeslage......................................................................... 127 a) Nordrhein-Westfalen............................................................. 127 b) Baden-Württemberg.............................................................. 129 2. Der Kommunikationsraum als soziologischer Begriff................ 129 a) Allgemeiner Bedeutungsinhalt... ........... .................. .... .. .... ... . 130 b) Das Merkmal der persönlichen Überprüfbarkeit im lokalen Kommunikationsraum................... .............. .. .... .............. .. .... 130 c) Einordung in die Gebietsstruktur ............................ .... .. .... .... 131 d) Die Bedeutung der Massenmedien........................................ 132 e) Zusammenfassung................................................................. 134 3. Der Kommunikationsraum als rundfunkrechtlicher Begriff....... 134 a) Vorgabe ftlr den Landesgesetzgeber ..................................... 134 b) Vorgabe flir die endgültige Festlegung von lokalen Sendegebieten................................................................................. 135 c) Zusammenfassung................................................................. 136

Inhaltsverzeichnis B.

11

Das Verfassungsgebot einer lokalen Gf#lndversorgung durch ö/fentlich-rechtlichen Rundfunk............................................................... 136 I.

Lokale Grundversorgung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts...... ......................................................................... 137 I. Das Niedersachsen-Urteil ........................................................... 137 2. Der Baden-Württemberg-Beschluß ............................................ 138 3. Das Nordrhein-Westfalen-Urteil................................................. 139 4. Zusammenfassung der Rechtsprechung und weiterer Gang der Untersuchung.............................................................................. 140

Il.

Verfassungsrechtliche Begründung einer lokalen Grundversorgung durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk ............................................ 141 1. Der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts......................... 142

2. Kritik an der Rechtsprechung ..................................................... 142 a) Gleichsetzung von Grundversorgung und gleichgewichtiger Vielfalt.. ................................................................................ 143 b) Herabstufung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks............. 145 c) "more ofthe same" ................................................................ 146 3. Das Gebotensein lokaler Grundversorgung. .. .. ........................... 147 a) Grundversorgung im landesweiten Bereich.......................... 147 b) Parallelen im lokalen Bereich ............................................... 148 aa) Technische Parallelen.................................................... 148 bb) Wirtschaftliche Parallelen.............................................. 149 cc) Parallelen zum übergeordneten Rundfunk..................... 150 c) Mögliche Kritik an der Parallelbetrachtung ............. ............. 151 4. Das Problem der unbegrenzten Programmexpansion ................. 152 a) Äußere Expansion ................................................................. 154 b) Innere Expansion .. .. .. ... .. .. .. .. ... .. ... .. .. ... .. .. ... .. .. ... .. .. ... ... ... .. .. ... 156 5. Zusammenfassung...................................................................... 157 III. Tatsächliches Bedürfnis nach lokaler Grundversorgung durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere in den neuen Bundesländern.................................................................................. 158 I. Nochmals: Die ablehnende Haltung des Bundesverfassungsgerichts ... .. ... ..... .. ..... .. ........... .......... ....... ...... ......... .... ... ............... 158 2. Lokales Grundversorgungsbedürfnis aufgrund der Verhältnisse in den örtlichen Kommunikationsräumen der neuen Bundesländer.. ........................................................................................ 159 a) Geschichtliches Argument.................................................... 159

Inhaltsverzeichnis

12

aa) Rückblick....................................................................... 159 bb) Umkehrung des damaligen Meinungsbildungsprozesses........................................................................ 161 cc) Abkehr vom Zentralismus............................................. 163 dd) Größere Darstellungsvielfalt.......................................... 165 b) Gleichgewichtsargument....................................................... 166 aa) Förderung kommunikativer Chancengleichheit............. 166 bb) Keine ausreichende Absicherung der Chancengleichheit in den Rundfunkgesetzen .............................. 169 3. Lokales Grundversorgungsbedürfnis aufgrundder Verhältnisse in den örtlichen Kommunikationsräumen allgemein .................. 171 a) Mangel an lokalbezogenen Themen...................................... 171 b) Fehlende publizistische Leistungsfähigkeit des privaten Lokalrundfunks........... .......................................................... 173 aa) Privater Lokalrundfunk in fast allen Bundesländern ..... 173 bb) Problemlage................................................................... 174 cc) Abhilfe........................................................................... 177 4. Zusammenfassung...................................................................... 177

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks ................................................... 179 A.

Bestandsaufnahme................................................................................... 179 I.

Die Verfassungsrechtsprechung zum Gebot der Staatsfreiheit......... 179 1. Herleitung. .... ... .. .. .... .. .. .. .. .... .. .... ...... .... ....... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ...... ...... .. 180 2. Inhalt und Grenzen ..................................................................... 182 a) Erste Rundfunkentscheidung (Deutschland-Fernsehen) ....... 182 b) Zweite Rundfunkentscheidung (Mehrwertsteuer)................. 182 c) Dritte Rundfunkentscheidung (FRAG).................... ............. 183 d) Vierte Rundfunkentscheidung (Niedersachsen).................... 183 e) Fünfte Rundfunkentscheidung (Baden-Württemberg). .. .. .. .. . 185 f) Sechste Rundfunkentscheidung Nordrhein-Westfalen) ........ 186

g) Siebte Rundfunkentscheidung (Hessen 3) ............................ 186 h) Achte Rundfunkentscheidung (Rundfunkgebühren)............. 187 3. Adressatenkreis.... ....................................................................... 188 a) Legislative............................................................................. 189 b) Exekutive .............................................................................. 190 aa) Landesregierungen......................................................... 190

Inhaltsverzeichnis

13

bb) Landesmedienanstalten .. .. .. ...... .... .. ......... .. .. .. ... ....... ..... .. 191 cc) Sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts .. 192 cx) Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ... 192

ß)

Gemeinden .............................................................. 192

y) Öffentlicher Dienst.................................................. 193

Ö) Rundfunkanstalten....... ............................................ 193

c) Parteien .. ...... ....... ............. ...... ......... .... .. ............... ... ... .... .. .. ... 193 d) Gerichte................................................................................. 195 e) Landesrechnungshöfe .... .. .. .. .. ... .. .. .. ... .. ... .. ... .. .. ... .. .. ... .. .. .. .. .. . 196 Il.

Die Literatur zum Gebot der Staatsfreiheit................ .......... .... .. .... ... 196 1. Herleitung ...... ............ ..... .... .. .......... ................................... ......... 196 2. Inhalt und Grenzen ......... ...... .. .. ...................................... ............ 198 a) Verbot staatlicher Beherrschung des Programmbereichs .... .. 198 b) Verbot staatlicher Einflußnahme auf den Programmbereich

199

c) Verbot staatlicher Einflußnahme überhaupt.......................... 199 3. Adressatenkreis.. ......................................................................... 200 a) Einzelbeschreibung .... ................. .... ...... ........... .... .. ............ ... 200 aa) Parlament, Regierung und Opposition........................... 200 bb) Parteien .......................................................................... 201 cc) Kommunale Gebietskörperschaften ............................... 202 dd) Sonstige Adressaten....................................................... 203 b) Quantitative und qualitative Unterscheidung............ ............ 203 aa) Quantitative Unterscheidung............................. ............ 203 bb) Qualitative Unterscheidung .. ...... .. ........... .......... ............ 205 111. Stellungnahme zum Gebot der Staatsfreiheit ................................... 206 B.

Die Staatsfreiheit des Rundfunks in den neuen Bundesländern ............... 207 I.

Der Mitteldeutsche Rundfunk .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... .. ..... . 208 I. Rundfunkbeirat und Gründungsintendant................................... 209 a) Verfassungswidrigkeit des Gründungsverfahrens ................. 210 b) Mögliche Rechtfertigung durch die Übergangssituation ...... 212 2. Rundfunkrat. ............................................................................... 214 a) Pluralistische Zusammensetzung .......................................... 214 aa) Benannte gesellschaftliche Gruppen .............................. 214 bb) Unbenannte gesellschaftliche Gruppen.......................... 215 cc) Landesregierungen und Parlamentsparteien .. .. .. .. .. .. .. .. .. 215 b) Verfassungsrechtliche Bewertung......................................... 216

14

Inhaltsverzeichnis aa) Zurechnung der Rundfunkratsmitglieder zum Staat.. .... 216 a) Die Vertreter der Landesregierungen und Parla-

ß)

mentsparteien................... .. ...................................... 216 Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände ..... 219

y) Die Entsandten der Industrie- und Handels-

kammern sowie der Handwerksverbände... .. .... ... .... 221 ö) Die Entsandten der unbenannten gesellschaftlichen

Gruppen................... ................................................ 222 (I) Parlaments- und regierungsnahe Auswahl .... .. .. 223 (2) Überschreitung des grundrechtliehen Ausgestaltungsauftrags................................................ 225 bb) Höhe der Staatsquote ..................................................... 227 cc) Zulässigkeil der Staatsquote .......................................... 228 3. Verwaltungsrat. ........................................................................... 230 4. Zusammenfassung ...................................................................... 231 II.

Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg.................. ............ ........... 231 l. Die Gründung und die Organisation des ORB ........................ ... 232

a) Gründung.. ............................................................................ 232 b) Organisation.......................................................................... 233 2. Die Kooperationsproblematik........... .......................................... 234 a) Staatsvertragliche Regelung und Verfassungsrechtsprechung............................ .......................................... 234 b) Verstoß gegen die Gewährleistungen der Programmgestaltungsfreiheit ........... ........ .... .. .. ........ .............................. ..... .... 236 aa) Abschlußverpflichtung .... .. .................................. .......... 236 bb) Vorgeschriebener Kooperationspartner ......................... 238 3. Das problematische Verhältnis des ORB zur Medienanstalt Berlin-Brandenburg.. ..... .... .. .. .... ..... ....... .... .. .......... ....... .... .... .. .... 241 a) Aufsichtsfunktion der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ... 241 b) Frequenzzuordnung und Wettbewerbsförderung durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ....................................... 242 aa) Organisation der Medienanstalt Berlin-Brandenburg .... 242 bb) Staatsfreiheit der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.... 243 a) Zusammensetzung des Medienrats .......................... 243

ß)

Wahl der Medienratsmitglieder ............................... 247

4. Zusammenfassung ...................................................................... 249 III. Der Norddeutsche Rundfunk in Mecklenburg-Vorpommern.... ....... 250

Inhaltsverzeichnis

15

I. Umorganisation des Norddeutschen Rundfunks nach der Wiedervereinigung .......... ........ ..... ............ .. ....... .. .. ...... ......... ...... 251 a) Vergrößerung des Rundfunkrats und StaatsanteiL... ........... 251 b) Wegfall der unbenannten Gruppen ....................................... 252 c) Einrichtung von Landesrundfunkräten ................................. 253 2. Keine unzulässige Inpflichtnahme des Norddeutschen Rundfunks durch die Staatsvertragsländer ........... .. ......... .... ... ...... ....... 254

3. Abschnitt: Rundfunkfinanzierung ..................................... ............. .. ......... 255 A.

Staatliche Finanzgarantie for die lokale Grundversorgung .................... 255 I.

Begründung der Finanzgarantie ... ..... ...... .................. .... .. ... ........... ... 255 l. Die allgemeine Finanzgarantie ..... .. .... ......... .. .. .... ... .... .. ....... ..... .. 256

2. Die besondere Finanzgarantie für die Grundversorgung ....... ..... 257 II.

Mögliche Einschränkungen der Finanzierungsart durch ein verfassungsrechtliches Werbeverbot ... .... .. .. ....... ...... ....... .. .. ... .. ............. 259 I. Einschränkungen zum Schutz der privaten Rundfunkanbieter ... 260 2. Einschränkungen zur Wahrung der inhaltlichen Programmvielfalt......................................................................................... 261

B.

Die finanzielle Rechtsposition einer neugegründeten und wirtschaftlich schwachen Rundfunkanstalt im ARD-Verbund am Beispiel des ORB .. ... 263 I.

Die allgemeine Ausgangslage .. ....... .. .... ..... .. ....... .... .. ......... ....... ....... 263

II.

Die problematische Situation des ORB. ... .. .. ....... .. .. ......... .. .. ... ......... 264

III. Finanzierungsmöglichkeiten aus der Sicht des ORB........................ 267 I. Die Grundzüge des derzeitigen Finanzierungsverfahrens........... 267 a) Die Rundfunkgebühr und der ARD-Finanzausgleich .. ........ . 267 aa) Die Rundfunkgebühr ..................................................... 267 bb) Der ARD-Finanzausgleich ............................................. 269 b) Die Einnahmen aus der Wirtschaftswerbung ........................ 271 c) Die sonstigen Einnahmen ..................................................... 271 2. Die Rechtsstellung des ORB..... ...... ... .................. .. ....... .. .. ....... ... 272 a) Die Rechtsstellung im Verhältnis zum Staat......................... 273 aa) Das Land Brandenburg als Anspruchsgegner..... ..... .. ... . 273 a) Anspruch auf staatliche Haushaltsmittel.................. 274

ß)

Anspruch aufweitere bestimmte Einnahmequellen sowie Möglichkeiten einer gesetzlichen Neuordnung der Finanzierungsgrundlagen .. ...... ... ..... .... 276

16

Inhaltsverzeichnis y) Auflösung des ORB und Neuorganisation ... ........... 279

bb) Die anderen Bundesländer und der Bund als Anspruchsgegner ....................................... .. .... .............. 281 b) Die Rechtsstellung im Verhältnis zu den anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten................... .......... 281 aa) Die ARD-Anstalten als Anspruchsgegner .......... ........... 282 a) Ansprüche aus dem ARD-Finanzausgleich ..... .. ...... 282

ß)

Subsidiarität dieser Ansprüche................................ 285

bb) Einzelne Rundfunkanstalten als Anspruchsgegner ........ 287 c) Die Rechtsstellung im Verhältnis zu den Rundfunkteilnehmern ................................................................................ 287 3. Prozessuale Probleme ................................................................. 288 a) Möglichkeit einer Klage gegen das Land Brandenburg ........ 289 aa) Aus dem allgemeinen Finanzgewährleistungsanspruch. 289 bb) Aus einem besonderen Finanzgewährleistungsanspruch........................... ................................ ....... ..... .. 292 b) Möglichkeit einer Klage gegen die übrigen im ARDVerbund zusammengeschlossenen Anstalten ........................ 293 IV. Zusammenfassung ............................................................................ 294

3. Teil: Gesamtzusammenfassung und abschließende Würdigung .................... 296 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 301 Sachwortverzeichnis ................................................................................................. 320

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

andere(r) Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

abw.M.

abweichende Meinung

a.F.

alte Fassung

AtP

Archiv flir Presserecht - Zeitschrift flir das gesamte Medienrecht

AK

Alternativkommentar

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ARD

Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland

Art.

Artikel

arte

Association Relative a Ia Television Europeenne

BAG

Bundesarbeitsgericht

BayMG

Gesetz über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und anderer Mediendienste in (Bayerisches Mediengesetz)

Bayern BayRG

Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts "Der Bayerische Rundfunk" (Bayerisches Rundfunkgesetz)

BayVBI.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BB

Betriebsberater

BbgVerf.

Verfassung des Landes Brandenburg

BbgVerfGG

Brandenburgisches Verfassungsgerichtsgesetz

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972

BetrVG [1952)

Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952

BGH

Bundesgerichtshof

BremLMG

Bremisches Landesmediengesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

2 Wilhelmi

18

Abkürzungsverzeichnis

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

bzw.

beziehungsweise

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders.

derselbe

DFF

Deutscher Fernsehfunk

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe( -n)

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DRADAG

Drahtloser Dienst Aktiengesellschaft

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt

DW/DLF-Gesetz

Gesetz über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts

epd

Evangelischer Pressedienst

EV

Einigungsvertrag

f.

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Fn.

Fußnote

FuR

Film und Recht

GEZ

Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland

GG

Grundgesetz

HmbMedienG

Hamburgisches Mediengesetz

HessRuFuG

Gesetz über den Hessischen Rundfunk

HPRG

Gesetz über den privaten Rundfunk in Hessen (Hessisches Privatrundfunkgesetz)

Hrsg.

Herausgeber

HS.

Halbsatz

iSv

im Sinne von

iVm

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

Abkürzungsverzeichnis KG

Kammergericht

KJ

Kritische Justiz

LMedienG Ba.-Wü.

Landesmediengesetz Baden-Württemberg

LRG NW

Rundfunkgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen

LRG Rh.-Pf.

Landesrundfunkgesetz

LRG S.-H.

Rundfunkgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesrundfunkgesetz)

LS

Leitsatz

MDR-StV

Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR)

MitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz)

MP

Media Perspektiven

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NDR-StV

Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk vom 17./18. Dezember 1991

NDR-StV [ 1980]

Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk vom 20. August 1980

NdsLaRuFuG

Niedersächsisches Landesrundfunkgesetz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NWDR

Nordwestdeutscher Rundfunk

o.ä.

oder ähnliches

ORB-Gesetz

Gesetz über den "Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg" (ORB-Gesetz)

OVG

Oberverwaltungsgericht

19

POS

Partei des demokratischen Sozialismus

PRG S.-A.

Gesetz über den privaten Rundfunk in Sachsen-Anhalt

RBG

Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts- Radio Bremen -(Radio-Bremen-Gesetz)

RGMV

Rundfunkgesetz ftir das Land Mecklenburg-Vorpommem

RIAS

Rundfunk im Amerikanischen Sektor von Berlin

Rn.

Randnummer(-n)

ROW

Recht in Ost und West, Zeitschrift für Rechtsvergleichung und innerdeutsche Rechtsprobleme

2*

20

Abkürzungsverzeichnis

RRG

Reichsrundfunkgesellschaft

RuFu-StV

Rundfunkstaatsvertrag

s.

I. Seite(-n); 2. siehe; 3. Satz

SaarlRuFuG

Rundfunkgesetz flir das Saarland

SächsPRG

Gesetz über den privaten Rundfunk und neue Medien in Sachsen (Sächsisches Privatrundfunkgesetz)

SDR-Gesetz

Gesetz Nr. 1096 Rundfunkgesetz

SDR-Satzung

Satzung flir den "Süddeutschen Rundfunk" in Stuttgart

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SFB-Gesetz

Gesetz über die Errichtung einer Rundfunkanstalt "Sender Freies Berlin"

SFB-Satzung

Satzung der Rundfunkanstalt "Sender Freies Berlin"

sog.

sogenannte(-r/-s)

StV-BB

Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks

SWF-StV

Staatsvertrag über den Südwestfunk

TPRG

Thüringer Privatrundfunkgesetz

u.a.

unter anderem(/n)

V.

vom/von

vgl.

vergleiche

VerwArchiv

Verwaltungsarchiv

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WDR-Gesetz

Gesetz über den "Westdeutschen Rundfunk Köln" (WDR-Gesetz)

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZDF

Zweites Deutsches Fernsehen

ZRP ZUM

Zeitschrift flir Rechtspolitik Zeitschrift flir Urheber- und Medienrecht

Soweit Abkürzungen in diesem Verzeichnis nicht besonders erläutert sind, wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993.

Einführung und Problemstellung Rundfunk 1 spiegelt den jeweiligen sozialen und politischen Zustand einer Gesellschaft wider. Im Spiegelbild der deutschen Geschichte ist seit dem Herbst 1989 ein grundlegender Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erkennen. Der Rundfunk hat diesen Wandel aber nicht nur abgebildet, er hat auch gleichzeitig aktiv daran mitgewirkt. Dies verdeutlichen die Ereignisse am geschichtlich bedeutsamen 9. November 1989 in Berlin: Der Informationssekretär der Ost-Berliner Bezirksleitung der SED, GUnter Schabowski, hatte eine Sitzung des Zentralkomitees seiner Partei verlassen, war vor die Internationale Pressekonferenz getreten und soll auf die Frage eines Journalisten nach dem Zeitpunkt der - vom Zentralkomitee eigentlich fiir den I 0. November 1989 vorgesehenen - Grenzöffnung irrtUmlieh geantwortet haben: "... unverzUglich"2. Diese Nachricht vernahmen und verbreiteten die Journalisten gegen 19.00 Uhr. Das Geschehen in derselben Nacht an der Berliner Mauer ist als "die erste Fernsehrevolution der Welt" beschrieben worden3. Verbreitung und Kommentierung der Nachricht durch die Massenmedien und die damit ausgelöste Massenbegeisterung sind zugleich eindrucksvolles Beispiel illr die vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Doppelfunktion des Rundfunks, nicht

1 Hier und im folgenden verstanden als gemeinsamer Begriff ftlr Hörfunk und Fernsehen; andere Erscheinungsformen des Rundfunks (ihrerseits seit § I I, 111 Landesmediengesetz BadenWUrttemberg vom 16. Dezember 1985, GBI. S. 539, üblicherweise als "rundfunkähnliche Kommunikationsdienste" zusammengefaßt) werden, soweit erforderlich, gesondert bezeichnet; vgl. auch BVerfGE 74, 297 (350); Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 136 ff. sowie die Legaldefinition des Rundfunkbegriffs durch Art. I § 2 I RuFu-StV, kommentiert in: Ring, Medienrecht, C-0.3, § 2, Rn. 5 ff.; vormals wurde nach "Hörrundfunk" und "Femsehrundfunk" unterschieden, vgl. BVerfGE 12, 205 (226); Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 21 ff.; Lerche, Landesbericht, S. 15 (22, dort Fn. I); Wendt, in: v. MUnch!Kunig, Grundgesetz, Band I , Art. 5, Rn. 57. 2 Berichtet nach Egon Krenz, dem Nachfolger Erich Honeckers als Staats- und Parteichef der DDR, Wenn Mauem fallen, S. 181 f. ; vgl. auch Buschschlüter, ARD-Jahrbuch 1990, S. 110. 3 Hanke, RuF 1990, 319 (319, 322); allgemein zur Stellung der elektronischen Medien im gesellschaftlichen Zusammenleben Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 224 ff.; ders., ZUM 1991,

325 (334).

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Einführung und Problemstellung

nur als "Medium", sondern auch als wichtiger "Faktor" der individuellen und der öffentlichen Meinungsbildung4 . Im Dritten Reich und in der DDR ist die Medium-Funktion des Rundfunks über 50 Jahre lang von der jeweiligen Regierung für deren Zwecke ausgenutzt worden; gleichzeitig wurde die Eigenständigkeit des Rundfunks als Faktor im Meinungsbildungsprozeß zurückgedrängt. Als im Osten Deutschlands ftir den Rundfunk noch einmal die Stunde Null schlug, bot sich die Gelegenheit zu seiner Neuordnung. Denn seit dem 3. Oktober 1990 gilt im gesamten vereinigten Deutschland die in Auslegung des Art. 5 I 2 GG vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitete Rundfunkverfassung, in welcher der Begriff Rundfunkfreiheit keine leere Formel ist. Den neugebildeten Ländern stand es offen, aufgrund ihrer Gesetzgebungskompetenz für das Rundfunkwesen die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen auf eigene Art auszugestalten. Das ist indessen nur sehr begrenzt geschehen, die Rundfunklandschaft im Osten Deutschlands ist im wesentlichen den westlichen Vorbildern nachempfunden worden. Rundfunkvertreter aus den alten Ländern hatten "Entwicklungshilfe" geleistet und jeweils eine Patenschaft für eines der neuen Länder übernommen5. Daher überrascht es nicht, daß sich aus verfassungsrechtlicher Sicht ähnliche Fragestellungen wie vor der Wiedervereinigung ergeben - freilich eingekleidet in neue Sachverhalte. Auf diese Fragen müssen angesichts der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit und der tatsächlichen Besonderheiten im Osten Deutschlands neue Antworten gefunden werden. Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit drei Problemkreisen des Rundfunkwesens, die in der alten Bundesrepublik angelegt und auf die neugeschaffene Medienordnung der Beitrittsländer übertragen worden sind. Es sind dies: Der Verfassungsauftrag zur Grundversorgung der Bevölkerung, das Verfassungsgebot der Staatsfreiheit des Rundfunks und schließlich die verfassungsrechtlich problematische Rundfunkfinanzierung.

4 Vgl. BVertDE 83,238 (296); E 74,297 (323); E 73, 118 (152); E 57, 295 (319 f.); E 35, 202 (222); E 12, 205 (260). 5 Das WDR-Gesetz etwa diente als Vorbild ftlr Brandenburg, der Bayerische Rundfunk beriet Sachsen, der Hessische Rundfunk war in Thüringen an der Neuordnung beteiligt und der Norddeutsche Rundfunk erweiterte Organisation und Sendegebiet aufMecklenburg-Vorpommem, vgl. Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 188; ein zeitweise erörtertes "Reißverschlußverfahren" mit Neuerungen ftlr beide Teile Deutschlands hat nicht stattgefunden, dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 39; ders., MP 1990, 133 (133); Odermann, RuF 1990,377 (382); Ho.ffmann-Riem, AfP 1991, 472 (474 f.).

Einflihrung und Problemstellung

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Vor der im zweiten Teil dieser Arbeit vorzunehmenden Erörterung der genannten verfassungsrechtlichen Rundfunkprobleme in den neuen Bundesländern ist es hilfreich, zunächst übersichtsartig die Anfange des Rundfunks in Deutschland darzustellen und so die Verschiedenartigkeit der Rundfunkorganisation in den Grenzposten zweier ehemals widerstreitenden Weltideologien zu veranschaulichen. Dabei soll versucht werden, die besondere verfassungsrechtliche Ausgangssituation des ostdeutschen Beitrittsgebiets im Vergleich zur grundrechtlich abgesicherten Rundfunkentwicklung im Westen deutlich zu machen.

1. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991 1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989 A. Die frühen Kapitel Nach ersten technischen Experimenten6 am Anfang dieses Jahrhunderts begann im Oktober 1923 die Geschichte des (zunächst Hör-)Rundfunks in Deutschland. Seine Entwicklung unterlag von Beginn an staatlicher Einflußnahme. Es war die Reichspost, die in der Weimarer Republik sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Leitung des Rundfunks übernahm 7 . Daneben griffen nicht selten der ReichsinnenministerS und die Länderregierungen9 in die Programmgestaltung ein. Obwohl Art. 118 WRV das Recht der freien Meinungsäußerung garantierte, wurde der zunächst ausschließlich in privater Rechtsform veranstaltete Rundfunk mit Hilfe eines verwaltungsrechtlichen Instrumentariums von Genehmigungsbedingungen und Programmrichtlinien einem zensurähnlichen System "staatlicher Einflußnahme und Überwachung"IO unterworfen.

6 Dazu ausfilhrlich Poh/e, Rundfunk als Instrument, S. 24 f.; ergänzend sei hingewiesen auf Fischer, Dokumente zur Geschichte des deutschen Rundfunks und Fernsehens, Göttingen 1957, der eine Auflistung sämtlicher filr die frühe deutsche Rundfunkgeschichte bedeutsamen Daten vornimmt. 7 Sogar die technischen Ausstrahlungsgebiete der Sender waren den Bezirken der jeweiligen Oberpostdirektionen nachgebildet, vgl. Hahlefeldt, ARD-Jahrbuch 1991, S. 20 (21); vgl. auch Pohle, Rundfunk als Instrument, S. 28 ff. und Schülle, Regionalitat, S. 91 f., Tabelle 8. 8 Vgl. Pohle, Rundfunk als Instrument, S. 36 ff.; Bausch, Rundfunk im Kräftespiel, S. 145 und Bredow, Ätherwellen, S. 241 f. 9 Vgl. Poh/e, Rundfunk als Instrument, S. 40 ff.; Bausch, Rundfunk im Kräftespiel, S. 40 ff. und Bredow, Ätherwellen, S. 253 ff. 10 BVerfUE 12,205 (232). "Politische Vorzensur", Bausch Rundfunk im Kräftespiel, S. 55 ff., 145 ff. mit Einzelheiten zu den Richtlinien und ihrer Anwendung.

I. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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Der Beweggrund fiir das fmanzschwache Reichspostministerium, Rundfunk mit Hilfe des privaten Kapitals zu veranstalten war die im Gefolge der Weltwirtschaftskrise über Deutschland hereinbrechende dramatische Geldentwertung. In den Jahren 1923 und 1924 betrieb und genehmigte die Reichspost die Gründung regionaler Programmgesellschaften des privaten Rechtsll, die sie mit der Herstellung von Rundfunkprogrammen beauftragte. Damit konnte der Reichspostminister die finanzielle Verantwortung verschieben, ohne seinen tatsächlichen Einfluß zu verlieren. Denn alle privaten Programmgesellschaften in der Weimarer Republik hatten sich verpflichten müssen, einer 1925 auf Drängen des Postministeriums gegründeten Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) mit Sitz in Berlin 12 ihre jeweilige Anteilsmehrheit zu überschreiben. Der Post wurden 1926 mehr als die Hälfte (51%) der Geschäftsanteile dieser Reichsrundfunkgesellschaft ohne eine Gegenleistung übertragen. Auf diese Weise gelang es schließlich dem Staat, ohne eigene finanzielle Aufwendungen die Stimmenmehrheit in den Organen der Programmgesellschaften zu übernehmen. Eine einfachgesetzliche Regelung des Rundfunks ist in der Zeit bis 1933 nie getroffen worden. Entscheidungen fielen zwischen den Regierungen des Reiches und der Länder, ohne Beteiligung der Parlamente. Staatlich eingesetzte politische Überwachungsausschüsse und kulturelle Beiräte kontrollierten den Rundfunk. Diese mit Reichs- und Ländervertretern besetzten Gremien hatten gegenüber den privaten Gesellschaften weitgehende EinspruchsrechteD in Fragen der Programmgestaltung. Zudem war der Bezug von Nachrichten durch Bestimmungen der RRG auf zentrale staatliche Informationsdienste 14 beschränkt worden. Im übrigen durften "Auflagenachrichten" angeordnet wer-

11 Nordische Rundfunk AG (NORAG), Hamburg; Berliner Funk-Stunde AG; Ostmarken Rundfunk AG (ORAG), Königsberg i. Pr.; Schlesische Funk-Stunde AG, Breslau; Westdeutsche Rundfunk AG (WERAG), Köln; Mitteldeutsche Rundfunk AG (MIRAG), Leipzig; Südwestdeutsche Rundfunk AG, Frankfurt am Main; SUddeutsche Rundfunk AG (SÜRAG), Stuttgart; Deutsche Stunde in Bayern GmbH, München; zusätzlich der zentrale Reichssender Deutsche Welle GmbH, Berlin. Näher Schütte, Regionalität, S. 26 ff.; ausfilhrlich auch Pohle, Rundfunk als Instrument, S. 42 ff. und Bausch, Rundfunk im Kräftespiel, S. 28 ff., 151 ff. 12 Zu Entstehung und Aufgaben der RRG Pohle, Rundfunk als Instrument, S. 47 ff. und Schütte, Regionalität, S. 93 ff. 13 Niedergelegt in den Richtlinien der RRG, abgedruckt bei Bausch, Rundfunk im Kräftespiel, S. 197 ff. (Anhang); zur Art und Weise der ProgrammUberwachung, ders., a.a.O., S. 140 ff. 14 Das Nachrichtenmonopol hatte die in staatlichem Mehrheitsbesitz befindliche "Drahtloser Dienst AG" (DRADAG), Berlin; Nachrichtenstelle filr Wirtschaftsmeldungen war die ebenfalls staatlich behrerrschte "Eildienst GmbH"; dazu Pohle, Rundfunk als Instrument, S. 56 ff., 137 und Bausch, Rundfunk im Kräftespiel, S. 75 ff.

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 3 I. Dezember I 99 I

den. Darunter verstand man Sendungen, in denen öffentliche Mitteilungen und Reden von Regierungsmitgliedern direkt übertragen werden mußten 15. Ab dem 30. Januar 1933 geriet das gerade zehn Jahre alte Medium zum Propagandainstrument der Nationalsozialisten. Rundfunk wurde von der Regierung zur alleinigen Reichsangelegenheit erklärt. Die Länder verloren das ihnen bis dahin eingeräumte Mitspracherecht. Der Reichsminister fiir Volksaufklärung und Propaganda bestimmte und kontrollierte das Programm 16. Dieses wurde im wesentlichen aus Berlin gesendet und wandelte sich mit dem Kriegsverlauf inhaltlich vom Propaganda- zum Durchhaltefunk. Bei der Post verblieb lediglich die technische Abwicklung der Rundfunkveranstaltung.

B. Nachkriegsrundfunk in Westdeutschland Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs begann ein neuer Abschnitt in der Rundfunkgeschichte. Zunächst hatten die alliierten Westmächte ein generelles Verbot der Veranstaltung von Rundfunk durch deutsche Stellen verhängt und die beschlagnahmten Sendeanlagen selbst betrieben17. Doch nach und nach wurden auch Deutsche wieder ermächtigt und später sogar beauftragt, die eigene Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen zu versorgen. Dies geschah 15 Ein Restbestand solcher Auflagesendungen ist bis heute erhalten geblieben: In den Rundfunkgesetzen, -Staatsverträgen und Mediengesetzen werden die Rundfunkveranstalter angehalten, den obersten Staatsorganen des Landes und des Bundes Sendezeit filr wichtige öffentliche Mitteilungen bereitzustellen (Verlautbarungsrecht), vgl. Art. 4 II Nr. 5 BayRG; § 3 Nr. 5 HessRuFuG; § II NDR-StV; § 25 RBG; § 9 I SaariRuFuG; § 3 111 SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz; § 2 IV Nr. 8 a.E. SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-Gesetz; § 6 II SWF-StV; § 8 I WDR-Gesetz; § 14 I MDRStV; § 10 I ORB-Gesetz; ebenso§ 57 I, 111 StV-BB; §56 I LMedienG Ba.-WU.; § 24 BremLMG; § 23 HPRG; § 20 NdsLaRuFuG; § 20 LRG Rh.-Pf.; § 24 LRG S.-H.; § 25 RGMV; § 21 SächsPRG; § 22 PRG S.-A.; § 25 TPRG sowie Art. I § 24 RuFu-StV. Eine ausfilhrliche verfassungsrechtliche Einordnung des Verlautbarungsrechts unternimmt Bi/stein, Rundfunksendezeiten filr amtliche Verlautbarungen, S. 39 ff. Schürmann, AfP 1993, 435 (438 ff.) beschreibt insbesondere verfassungskonforme Auslegung und Schranken des Verlautbarungsrechts; zur Zulässigkeil eines staatlichen "Bulletin-Rundfunks" vgl. bereits Herrmann, Fensehen und Hörfunk, S. 250 m.w.N; auch Lerche, Landesbericht, S. 15 (67 f.). 16 "Der Rundfunk gehört uns, niemandem sonst! ... Der Rundfunk hat sich der Zielsetzung, die sich die Regierung der nationalen Revolution gestellt hat, ein- und unterzuordnen!", Propagandaminister Joseph Goebbels vor Rundfunkintendanten im März 1933, zit. n. Di/ler/MühiBenninghaus, ARD-Jahrbuch 1991, S. 30 (33). 17 Auch als Reaktion auf den schnellen Wiederaufbau des Rundfunks im Sektor der Sowjetischen Militäradministration: Bereitsam 13. Mai 1945, filnfTage nach der deutschen Kapitulation, waren die ersten Nachrichten des Berliner Rundfunks aus dem sowjetischen Teil der Stadt zu hören. Die Amerikaner gründeten danach den "Rundfunk im amerikanischen Sektor" RIAS Berlin; von britischer Seite wurde die Einrichtung eines NWDR-Studios in Berlin unterstützt; vgl. Vogt, Entwicklung des Rundfunkrechts, S. 16 ff.

1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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durch Errichtung von selbstverwalteten Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts. Rechtsgrundlage für deren Betrieb unter strenger alliierter Aufsicht waren entweder Rundfunkverordnungen der jeweiligen Militärregierungen oder Gesetze der Länder, auf deren Inhalt die Besatzungsmächte wesentlichen Einfluß nahmen 18. Auf diese Weise sollten eingedenk der bisherigen Rundfunkentwicklung in Deutschland die Unabhängigkeit der Anstalten vom Staat und ihre politische Neutralität gewährleistet werden19. I. Die grundrechtlich abgesicherte Rundfunkfreiheit

Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 stand der Rundfunk zum ersten Mal in Deutschland auf verfassungsrechtlich wirksam abgesichertem Boden. Das Grundgesetz gewährleistete in seinem Grundrechtsteil die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk20 und schützte ihren Wesensgehalt21. Gleichzeitig waren Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung zur Achtung dieser Freiheit verpflichtet22 . Der Rahmen ihrer Einschränkbarkeit ist ebenfalls im Grundgesetz abgesteckt worden23. Die Gewährleistung der Berichterstattungsfreiheit wurde als allgemeine Generalklausel formuliert. Damit war die rechtliche Anpassung an zukünftige technische Veranstaltungs-, Sende- und Empfangsmöglichkeiten im Grundsatz gesichert24. Einzelfragen der Rundfunkveranstaltung mußten deshalb aber noch offen bleiben. Seit 1949 ist, insbesondere mit Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) im Jahre 1950, mit der stufenweisen Einführung des Fernsehens in der Folgezeit und mit der Einführung privaten Rundfunks Mitte der achtziger Jahre eine

18 Näher zu Grundlage und Entstehung der einzelnen Anstalten Jank, Die Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes, S. 15 ff. 19 Vgl. BVerfGE 31, 314 (327) sowie Vogt, Entwicklung des Rundfunkrechts, S. 22; Reichert, Autonomie des deutschen Rundfunks, S. 32; Roß, RuF 1979, 252 (255); Ladeur, RuF 1978, 141 (141 ); Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (389); Kollek, Rechtsfragen der Rundfunkfinanzierung, S. 31 f. 20 Vgl. Art. 5 I 2 GG. 21 Vgl. Art. 1911 GG. 22 Vgl. Art. I lli GG. 23 Vgl. Art. 5 11 GG.

24 Zum Bedeutungswandel des Verfassungsbegriffs Rundfunk nach Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten vgl. BVerfGE 74,297 (350); vgl. BVerfGE 73, 118 (154) zur Einbeziehung des zugrundeliegenden Lebenssachverhalts bei der Auslegung von Verfassungsbegriffen und BVerfGE 50, 290 (338) allgemein zur Notwendigkeit einer relativen Offenheit der Verfassungsordnung.

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Vielzahl neuer Fragen zur Auslegung des Rundfunkgrundrechts hinzugekommen. Ihre Klärung war und ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. II. Die Rundfunkentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Die Karlsruher Richter haben bislang achtmal - in den sogenannten "Rundfunkentscheidungen"25 - zu einzelnen verfassungsrechtlichen Problemen des Rundfunks gesprochen und damit gleichzeitig die Rahmenbedingungen der Rundfunkordnung verbindlich26 festgelegt. Bei der folgenden Kurzzusammenfassung dieser Entscheidungen soll im Dienste der besseren Überschaubarkeit zunächst auf eine Darstellung der häufig und heftig widerstreitenden Literaturmeinungen zu jeder der Entscheidungen weitgehend verzichtet werden. Deren Aufnahme und Würdigung durch das Schrifttum ist dem zweiten Teil der Arbeit vorbehalten.

25 Vgl. BVerfGE 12,205 ff. (Deutschland-Fernsehen); E 31,314 ff. (Mehrwertsteuer); E 57, 295 ff. (FRAG); E 73, 118 ff. (Niedersachsen); E 74, 297 ff. (Baden-Württemberg); E 83, 238 ff. (Nordrhein-Westfalen); E 87, 181 ff. (Hessen 3-Fernsehwerbung); BVerfG, ZUM 1994, 173 ff. (Rundfunkgebühren); ebenfalls bedeutsam BVerfGE 35, 202 ff. (Lebach); E 47, 198 ff. (Parteiwerbung); E 59,231 ff. (Freie Mitarbeiter). Nur am Rande sei angemerkt, daß die bisweilen gebrauchte Sammelbezeichnung Rundfunk-"Urteile" seit 1987 nicht mehr zutrifft (ungenau deshalb Stock, JuS 1992, 383 [383, dort Fn. 3]; Fink, DÖV 1992, 805 [805 m. Fn. 6, 807 ff.]; Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 46, 113; Ricker, ZUM 1989, 331 ff.; Degenhart, Jura 1988, 21 ff.; Kuli, AfP 1987, 568 tT.; Seemann, DÖV 1987, 844 ff.; Ladeur, ZUM 1987, 491 [498, dort Fn. 34]), denn in den Verfassungsbeschwerdeverfahren BVerfGE 74, 297 ff. und E 87, 181 ff. hat das Gericht nicht durch Urteil, sondern ohne mUndliehe Verhandlung in Form eines Beschlusses entschieden, vgl. §§ 94 V 2; 25 I, II BVerfGG. 26 Die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich gern. § 31 BVerfGG iVm Art. 94 II I GG auf alle Träger öffentlicher Gewalt und geht inhaltlich noch Ober die Wirkungen der allgemeinen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen hinaus, da neben der Entscheidungsformel auch die "tragenden Gründe" an dieser Bindungswirkung teilnehmen (vgl. BVerfGE I , 14 [37] und E 40, 88 [93 f.]). Die Fachgerichtsbarkeit richtet sich bei der Auslegung des Art. 5 I GG denn auch nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgrund seiner Letztentscheidungskompetenz in Einzeltlilien vorgegebenen rechtsgestaltenden Grundsätzen; näher zur faktischen Bindung auch der "obiter dicta" Kuli, AfP 1987, 462 (464). Zum Streit im Schrifttum um die Abgrenzung zwischen tragenden und nichttragenden Gründen sowie zum Vorwurf der "Kanonisierung" der Entscheidungsgründe vgl. die Gegenpositionen bei E. Klein, in: Benda/Kiein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1237 ff. und Pesta/ozza, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 90 ff., jeweils m.w.N.; vgl. auch Luetjohann, Nicht-normative Wirkungen des Bundesverfassungsgerichts, S. 5, 13, 38 ff. sowie jUngst Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungsund Entscheidungsmaßstab ftlr die Landesverfassungsgerichte, S. 82 ff.

1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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1. Das Deutschland-Fernsehen-Urteil In der ersten27 dieser Entscheidungen ist die bis dahin ungeklärte Streitfrage nach der Gesetzgebungskompetenz im Rundfunkwesen beantwortet worden. Schon in der Weimarer Republik hatten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reich und den Ländern bestanden. Von beiden Seiten wurde das Recht beansprucht, die Angelegenheiten des Rundfunks allgemeinverbindlich zu ordnen. Der Streit wurde damals jedoch nicht ausgetragen. In Kompromißvereinbarungen verzichteten die Länder darauf, ihren auf die Polizei- und Kulturhoheit gestützten Anspruch einzufordern. Als Gegenleistung erhielten sie einen anteiligen Einfluß auf die Veranstaltung der Rundfunksendungen28. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik hat der Streit wiederaufgelebt29 und angedauert, bis das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1961 entschied, daß dem Bund weder aus seiner Zuständigkeit fiir das Post- und Fernmeldewesen30 noch aus anderen Rechtsgrundlagen ein Gesetzgebungsrecht fiir den Rundfunk zustehe. Damit bleibe es bei der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zu Gunsten der Länder31 . Die Gründung der streitgegenständlichen, vom damaligen Bundeskanzler Adenauer ins Leben gerufenen "Deutschland-Fernsehen-GmbH" sei infolgedessen verfassungswidrig32.

27

Vgl. BVertGE

12, 205 ff.

2S Vgl. Schütte, Regionalität, S.

114.

29 Zu der Ober zehnjährigen Auseinandersetzung um die Gesetzgebungskompetenz ftlr den

Rundfunk vgl. Peters, Zuständigkeit des Bundes, S. 12; Krüger, Rundfunk im Verfassungsgeftlge, S. I f. FUr eine Kompetenz der Länder etwa Leiling, Gesetzgebungsbefugnis, S. 60; Krause, Zuständigkeit, S. 102; Ein Verzeichnis der damaligen wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Rundfunkrechts weist Zehner, Der Femsehstreit, 2. Band, S. 21 ff. nach. 30 Vgl. Art. 73 Nr. 7 GG. 31 Gern. Art. 30, 70, 83 ff. GG; vgl. BVerfGE 12, 205 (225 ff.). Der verfassungsgerichtliche "Femsehstreit" findet bei Zehner, Der Femsehstreit, ausfuhrliehe Darstellung; die mUndliehen Vorträge der Verfahrensbeteiligten zur Rundfunkzuständigkeit sind im 2. Band, S. 101 ff. abgedruckt. 32 Vgl. BVerfGE 12, 205 (241 f. , 250); vgl. auch §§ I, 5 Gesetz Ober die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts v. 29. November 1960 (BGBI. I, S. 862) "Deutsche Welle" (DW) und "Deutschlandfunk" (DLF). Danach sind die Sendungen der DW ausschließlich ftlr das Ausland bestimmt. Bullinger, AfP 1985, 257 (258) beschreibt die DW mit ihrer Zielvorgabe einer nationalen Selbstdarstellung nach außen als "säkularen 'Missionshörfunk', der im Ausland ebenso hingenommen wird wie ausländischer 'Missionshörfunk' im Inland" (einfache Anftlhrungszeichen im Original); zur DW als 1Trägerin der Rundfunkfreiheit Niepal/a, ZUM 1993, 109 (112 ff.). Der DLF hatte den - inzwischen erledigten - Auftrag, Rundfunksendungen in erster Linie ftlr die Deutschen in der DDR zu veranstalten, dazu Jh/efeld, ZUM 1987, 604 (606 ff.). Das Bundesverwaltungsgericht hat dies als gesamtdeutsche Angelegenheit angesehen und die ungeschriebene Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes kraft Natur der Sache bejaht, vgl. BVertGE 75, 79

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Die Vorbereitungen der Regierung zur Errichtung eines Bundesfernsehens waren außerdem Anlaß für mahnende Worte des Gerichts zum verfassungsrechtlichen Gebot der Staatsfreiheit und zur gesetzlichen Organisation des Rundfunks. Da dieser zu einem "unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmittel" geworden sei, durch das "Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung mitgebildet wird"33, müsse neben dem individuellen Jedermann-Grundrecht auf ungehinderte Äußerung seiner Meinung die institutionelle Eigenständigkeil des Rundfunks besonders gesichert werden. Angesichts der aus technischen Gründen und wegen hohen finanziellen Aufwands vorhersehbar kleinen Zahl von Anbietern seien im Vergleich zum Pressewesen für den Rundfunk neutralisierende Vorkehrungen zu treffen, um eine äußere Einflußnahme auf die Rundfunkveranstaltung unmöglich zu machen. Die als "Sondersituation"34 beschriebenen Verhältnisse erforderten es, die in Art. 5 I 2 GG gewährleistete Freiheit des Rundfunks zu verwirklichen, indem dieser weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird und höchstens einer beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht unterworfen ist. Folglich müsse die Veranstaltung von Rundfunk in der Weise organisiert sein, "daß alle in Betracht kommenden Kräfte ... Einfluß haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können, und daß für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich sind, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten"35 . Art. 5 I GG fordere deshalb den Erlaß entsprechender gesetzlicher Ausgestaltungsregelungen durch die Länder. 2. Das Mehrwertsteuer-Urteil In der nachfolgenden, 1971 ergangenen, Zweiten Rundfunkentscheidung bekräftigte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum gesetzlichen Ausgestaltungs- und Organisationsvorbehalt Denn der Rundfunk sei inzwischen nicht mehr nur unentbehrlich, sondern "infolge der Entwicklung in (81 f.); ebenso Lerche, Zum Kompetenzbereich des Deutschlandfunks, S. 12 ff. ; 17rieme, AöR, 88. Band (1963), S. 38 (48 f.); nach Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 272 f. handelte es sich um "quasi-auswärtige Angelegenheiten", die unter Art. 73 Nr. I GG zu subsumieren seien; ders., AöR, 90. Band (1965), S. 286 (317 f.). 33 Seide Zitate BVerfGE 12, 205 (260). An dieser Stelle wird das erste Mal die Bedeutung des Rundfunks als "Medium und Faktor" des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses hervorgehoben, vgl. auch oben Fn. 4. 34 BVerfGE 12, 205 (261). 35 BVerfGE 12, 205 (262 f.) .

1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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der Fernsehtechnik, zu einem der mächtigsten Kommunikationsmittel und Massenmedien geworden, das wegen seiner weitreichenden Wirkungen und Möglichkeiten sowie der Gefahr des Mißbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflußnahme auf die öffentliche Meinung nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden kann"36. Dabei seien unter Berichterstattung nicht nur Nachrichtensendungen und politische Kommentare zu verstehen. Die Mitwirkung des Rundfunks am Prozeß der Meinungsbildung erstrecke sich ebenso auf den Kultur- und den Unterhaltungsbereich3 7. Anlaß fiir die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Wege einer von acht ARD-Rundfunkanstalten eingelegten Verfassungsbeschwerde und eines Normenkontrollantrags des Landes Hessen war abermals ein Streit über die Rundfunkhoheit. Diesmal ging es um die vom Bund beanspruchte, allerdings von Ländern und Rundfunkanstalten bestrittene, Kompetenz zur Regelung einer Umsatzsteuerpflicht fiir Rundfunkanstalten38. In ihrer Entscheidung lehnte die Mehrzahl der Richter eine Zuständigkeit des Bundes zur Besteuerung des öffentlich-rechtlichen Gebührenaufkommens ab. Die Umsatzsteuergesetzgebungskompetenz sei auf die Erfassung privatwirtschaftliehen Leistungsaustausches beschränkt. Die Rundfunkanstalten erfiillten jedoch eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung. Privatwirtschaftlicher Leistungsaustausch als steuerlich bedeutsamer Tatbestand finde bei der eigentlichen Tätigkeit, der Programmveranstaltung, nicht statt. Die den Anstalten zufließende Rundfunkteilnehmergebühr sei nicht wirtschaftliche Gegenleistung für den Programmempfang, also auch nicht Umsatz im Gesetzessinne, sondern Mittel zur Finanzierung der Gesamtveranstaltung Rundfunk als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge39.

36 BVerfGE 31, 314 (325).

37 Vgl. BVerfGE 31, 314 (326) unter Bezugnahme aufBVerfGE 12, 205 (260). 38 Im Wege der Gesetzesfiktion sollte die Tätigkeit der Rundfunkanstalten einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gleichgestellt werden, vgl. BVerfGE 31, 314 (333). 39 Vgl. BVerfGE 31, 314 (329 f.). Wie groß die Meinungsverschiedenheiten in der Beratung gewesen sind, deuten die mit vier zu drei Stimmen denkbar knappe Entscheidung und die Niederlegung je eines bestätigenden und eines ablehnenden Sondervotums an. Die im Vergleich zur UrteilsbegrUndung weit umfangreichere abweichende Meinung der überstimmten Richter stützt sich im wesentlichen auf den Gedanken, daß nicht schon eine öffentlich-rechtliche Rechtsform, sondern erst die Ausübung öffentlicher Gewalt die Annahme einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ausschließt. Die Programmtätigkeit der staatsfrei organisierten Anstalten sei jedoch gerade nicht öffentliche Gewalt unter Einsatz von Befehl, Gebot und Zwang, BVerfG, a.a.O., s. 341 f., 349.

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Bereits in der Zulässigkeitsprüfung des Verfahrens hatte das Gericht eine auf Art. 5 I 2 GG gestützte Befugnis der Rundfunkanstalten zur Einlegung von Verfassungsbeschwerden ausdrücklich anerkannrfO. Als Anstalten des öffentlichen Rechts sei ihnen zwar die Inanspruchnahme von Grundrechten grundsätzlich wesensfremd im Sinne von Art. 19 III GG, da sie eine öffentliche Aufgabe wahrnähmen. Obwohl sie Einrichtungen des Staates seien, verteidigten sie jedoch Grundrechte in einem Bereich, in dem sie entsprechend ihrer verfassungsrechtlich gebotenen selbstverwalteten Organisation vom Staat unabhängig sind41. 3. Das FRAG-Urteil Aufgrund einer Bewerbung der Freien Rundfunk Aktiengesellschaft (FRAG) zur Veranstaltung von Rundfunk im Saarland hatten die Karlsruher Richter im Jahre 1981 erstmals über die Verfassungsmäßigkeit von Privatfunk in der Bundesrepublik42 zu befinden. An der grundsätzlichen Zulässigkeit privaten Rundfunks ließen sie keinen Zweifel43. Damit waren fiir das in der nächstfolgenden Rundfunkentscheidung "duales Rundfunksystem"44 getaufte Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk die verfassungsrechtlichen Weichen gestellt. Gleichzeitig bekräftigte das Gericht die Notwendigkeit landesgesetzlicher Vorkehrungen zur Sicherung der - hier erstmals ausdrücklich so bezeichneten - "Rundfunkfreiheit"45. Als "dienende

40 Vgl. BVerfUE 31,3 14 (322). 41 Den grundrechtliehen Freiraum einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und die gleichwohl bestehenden Pflichten innerhalb dieses Freiraums beschreibt Bethge, NJW 1982, I (3 f.); ders., NJW 1982,2145 (2147 f.). 42 Die Bewerbung erfolgte auf Grundlage des Gesetzes zur Veranstaltung von Rundfunksendungen im Saarland (GVRS) v. 7. Juni 1967 (Amtsbl. S. 478); zur Entstehungsgeschichte Ring, Medienrecht, C-0.3, "Entstehungsgeschichte", Rn. 8 f. 43 Vgl. BVerfUE 57,295 (318). 44 BVerfUE 73, 118 (125, 157). 45 BVerfUE 57, 295 (319 f.). Diese Formulierung ist nicht (nur) eine sprachliche Vereinfachung, sie ist dem Begriff der Pressefreiheit nachgebildet und verdeutlicht damit im Anschluß an BVerfDE 35, 202 (222 f.), daß der Funktionsbereich des Rundfunks sich nicht im bloßen "Berichten" erschöpft, sondern grundsätzlich jede Form der Darstellung und Sendung umfaßt. Bis dahin war -jedenfalls in den Rundfunkentscheidungen - eher zitierend von der "Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk" (vgl. Wortlaut des Art. 5 I 2 GG) und allgemein von der "Freiheit des Rundfunks" die Rede (vgl. BVerfUE 12, 205 [261]; E 31,314 [326); ebenso BayVerfUH, N.F. 30, 78 [94)). Das FRAG-Urteil faßt die bisherige Rechtsprechung zusammen und beschreibt den Umfang verfassungsrechtlicher Gewährleistung durch die "Rundfunkfreiheit". Auf Folgeprobleme dieser Kurzbezeichnung deutet Bethge, JZ 1985, 308 (311 , dort Fn. 47).

1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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Freiheit" erfiille sie wie alle Garantien des Art. 5 I GG die Aufgabe "der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung"46. Diese Meinungsbildung vollziehe sich in einem "Prozeß der Kommunikation", also durch Äußerung und Verbreitung von Meinungen sowie durch deren Kenntnisnahme. Insgesamt schütze Art. 5 I GG sowohl die subjektiven Kommunikationsrechte des einzelnen als auch objektiv den Kommunikationsprozeß selbst47. Die rechtliche Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit sei auch nach einem möglichen Fortfall der bereits in der Ersten Rundfunkentscheidung festgestellten Sondersituation weiterhin erforderlich, ergänzten die Verfassungsrichter48. Diese den Ländern aufgetragene Ausgestaltung unterliege dem Vorbehalt des Gesetzes, da die zu treffenden Entscheidungen den grundrechtsrelevanten Bereich der Meinungsfreiheit beträfen und deshalb "wesentlich"49 filr die Verwirklichung von Grundrechten· seien. Mit Gesetzen zur Ausgestaltung des Grundrechts dürfe der Gesetzgeber jedoch nicht die Schwelle zu dessen Beschränkung überschreiten. Eine solche sei nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 II GG zulässig50. 46 BVertGE 57,295 (319). 47 Vgl. BVerfGE 57,295 (319 f.). Eine Gewichtung der subjektiven und der objektiven Elemente der Rundfunkfreiheit ist hier nicht erkennbar. Die "Frage eines grundrechtliehen Anspruchs auf die Veranstaltung privater Rundfunksendungen" wird sogar ausdrücklich offengelassen, a.a.O., S. 318. In BVerfGE 12, 205 (260 f.) und E 31, 314 (326) neigt das Bundesverfassungsgericht indessen zur Hervorhebung der objektiv-institutionellen Seite der Rundfunkfreiheit Vgl. aber auch die allgemeine Bewertung der "klassischen Grundrechte" als vorrangig individualbezogen, freilich in anderem Zusammenhang, BVertGE 50, 290 (336 f.). 48 Sie trugen mit diesem Hinweis der fortschreitenden technischen Entwicklung, die möglicherweise zu einer Vervielfachung der heute bekannten Übertragungsmöglichkeiten filhrt, Rechnung, vgl. BVerfGE 57,295 (322); im gleichen Sinne BVerwGE 39, 159 (164). 49 BVerfGE 57, 295 (320 f., 324) mit Bezugnahme auf das in BVertGE 47, 46 (78 f.) unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip erarbeitete Merkmal "wesentlich" als Auslöser filr gesetzgeberischen Regelungsbedarf, vgl. auch BVerfGE 49, 89 (126 f.). Dieses Kriterium ist in der Literatur als zu allgemein kritisiert worden: Für eine Differenzierung nach Sachgebieten, insbesondere im Schulwesen, z.B. Pies/ce, DVBI. 1979, 329 (329) - Schulrecht; H. Wagner, DVBI. 1978, 839 (840)- Atomrecht und Damkowski, DVBI. 1978, 229 (231 f.) - Hochschulrecht; vgl. auch Goerlich/Radeck, JZ 1989, 53 (60); SchTUlpp, in: v. Münch!Kunig, Grundgesetz, Band I, Art. 20, Rn. 46; Eber/e, DÖV 1984, 485 (487 f.); Erichsen, VerwArchiv, 70. Band (1979], S. 249 (252); ders., VerwArchiv, 69. Band [1978], S. 387 (393 ff.); ders., VerwArchiv, 67. Band [1976], S. 93 (96). Im Rundfunkverfassungsrecht sind Anwendbarkeit und Umfang der "Wesentlichkeitstheorie" überwiegend unbestritten, vgl. insofern aber das vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, BayVGH, BayVBI. 1988, 685 ff. eingeleitete Verfahren der konkreten Normenkontrolle, in dem unter anderem die Kompetenz des Gesetzgebers in Sachen Festsetzung der Rundfunkgebühr angezweifelt wurde; dazu Bethge, NJW 1990, 2451 f. ; die entsprechende Zuständigkeit des Gesetzgebers ist vom Bundesverfassungsgericht indessen im Grundsatz bestätigt worden, s. unten I. Teil I . Abschnitt B II 8. 50 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320 f.). 3 Wilhelmi

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Zu den Fragen, die der Gesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit zu regeln habe, gehörten auch die Entscheidung über die Grundlinien der Rundfunkordnung. Im Rahmen des zugrunde gelegten Ordnungsmodells habe er sicherzustellen, daß das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im wesentlichen entspricht. Ferner seien Leitgrundsätze verbindlich zu machen, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegense1t1ger Achtung gewährleisten. Die Rundfunkgesetze müßten eine begrenzte Staatsaufsicht vorsehen, den Zugang zur Veranstaltung privater Rundfunksendungen·regeln und, solange dieser nicht jedem Bewerber eröffnet werden kann, Auswahlregelungen treffen 51 . Auf welche Weise der Gesetzgeber seine Aufgabe zur Sicherung der Meinungsvielfalt in der Bevölkerung erfiille, sei ihm von der Verfassung jedoch nicht vorgeschrieben. Maßgebend sei allein, daß freie umfassende und wahrheitsgemäße Meinungsbildung gewährleistet ist. Das könne grundsätzlich sowohl bei einer binnen- als auch bei einer außenpluralistischen Aufsichtsstruktur von öffentlich- oder eben auch privatrechtlich organisierten Veranstaltern der Fall sein52 . 4. Das Niedersachsen-Urteil Mit der Vierten Rundfunkentscheidung wurde nur fiinf Jahre später die Dekadenfolge der bisherigen Entscheidungen beendet und nach der "dienenden Freiheit" aus dem FRAG-Urteil ein weiterer Begriff in die Verfassungsrechtsprechung eingefUhrt. Er ist nach wie vor heftig umstritten und sein Inhalt bislang noch nicht vollständig geklärt: Die "Grundversorgung" 53 . Nach Auffassung des Bundesverfassungerichts ist sie "unerläßlich" und "umfaßt die essentiellen Funktionen des Rundfunks fiir die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik". Sie erfiille den

Vgl. BVerfUE 57, 295 (Leitsatz 2). Vgl. BVerfUE 57, 295 (325 f.). 53 BVerfDE 73, 118 (157 f.). Der Begriff tauchte in der rundfunkrechtlichen Literatur bereits im Jahre 1975 bei Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 302, 328, 332, 346, 378 auf; dort allerdings eher verstanden als eine aus dem Sozialstaats- und Demokratieprinzip abgeleitete flächendeckende Mindest- oder Basisversorgung mit sachlicher Berichterstattung, die den Bürger in die Lage versetze, überhaupt am Prozeß demokratischer Willensbildung teilzunehmen; das Bundesverfassungsgericht legt demgegenüber einen weiter gefaßten Grundversorgungsbegriff zugrunde, s. sogleich im Text und ausfilhrlich unten 2. Teil I. Abschnitt AI I. 51

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1. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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"klassischen Auftrag des Rundfunks", der neben seiner Rolle fiir die Meinungsund politische Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehender Information seine kulturelle Verantwortung beinhaltet. Um diesem im Dienste der Demokratie und der Kultur stehenden klassischen Rundfunkauftrag in seiner vollen Breite zu entsprechen, ist also dem Kommunikationsbedürfnis der Bevölkerung in weitesten Sinn Rechnung zu tragen. Das Publikum muß in den Sparten Information, Unterhaltung und Kultur mit den fllr die individuelle und öffentliche Meinungsbildung unerläßlichen Grundlagen versorgen werden. Nur ein Programm, welches die genannten Bereiche vollständig abdeckt, ist mithin der Grundversorgung zuzurechnen. Die Niedersachsen-Entscheidung enthält auch eine klare Aufgabenzuweisung: Die Grundversorgung sei Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, da diese technisch nahezu die gesamte Bevölkerung erreichten und darüber hinaus zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage seien. "Solange und soweit" die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Aufgabe wirksam erfllllten, sei fllr die Kontrolle des neu hinzugekommenen privaten Rundfunks im Hinblick auf die Breite seines Programmangebots und die gleichgewichtige Meinungsvielfalt von Verfassungs wegen lediglich ein Grundstandard maßgebend54. An den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind damit, anders als noch im FRAG-Urteil, deutlich höhere Anforderungen gestellt worden, als an die damals im Aufbau befindliche private Konkurrenz55 . Als Grund nennt das Gericht die wirtschaftliche Abhängigkeit privater Rundfunkveranstalter von der Höhe ihrer Einschaltquoten, die wiederum maßgeblich fllr die Summe der Werbeeinnahmen - der hauptsächlichen Finanzierungsquelle der Privatveranstalter - seien. Unter dem Druck, massenattraktive Programme zu möglichst niedrigen Kosten zu verbreiten, sei zu erwarten, daß aufwendige Sendungen fllr 54 Dieser verminderte Grundstandard "umfaßt aber nach wie vor die wesentlichen Voraussetzungen von Meinungsvielfalt, die gegen konkrete und ernsthafte Gefihrdungen zu schützen sind: die Möglichkeit ftir alle Meinungsrichtungen - auch diejenigen von Minderheiten -, im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen, und den Ausschluß einseitigen, in hohem Maße ungleichgewichtigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung, namentlich die Verhinderung des Entstehens vorherrschender Meinungsmacht", BVerfGE 73, 118 (160), Hervorhebungen im Original. 55 Vgl. BVerfGE 57, 295 (324 ff.). Die "Sondersituation" des Rundfunks im Vergleich zur gedruckten Presse rückt damit als Rechtfertigung ftlr besonders strenge inhaltliche Anforderungen bei der Rundfunkgesetzgebung in ein neues Licht. Ursprünglich waren die Knappheit von technischen Übertragungswegen und die Höhe der notwendigen finanziellen Aufwendugen im Rundfunk der Grund, überhaupt eine gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit zu verlangen (vgl. BVerfGE 12, 205 [261 , 263]), trat dann aber in den Hintergrund, da die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen zur Sicherung der Rundfunkfreiheit auch bei einem Wegfall der genannten Beschränkungen fortbestehe (vgl. BVerfGE 57, 295 [322 f.]). 3*

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I . Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31 . Dezember 1991

Minderheiten nur in geringem Umfange zu sehen und zu hören seien. Erst mit solchen Programmbestandteilen sei jedoch der klassische Rundfunkauftrag in seiner ganzen Breite erftlllt56. Beide Veranstalter - öffentlich-rechtlich und privatrechtlich organisierte sind eingebunden in eine Organisationsform, die im Niedersachsen-Urteil mit dem Etikett "duales Rundfunksystem" versehen worden ist57 . Die öffentlichrechtlichen Anstalten unterliegen in diesem System aber nicht nur besonderen Anforderungen im Hinblick auf die Sicherung der Grundversorgung mit dem Ziel freier und umfassender Meinungsbildung, ihnen sind, um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, auch Vorrechte gegenüber den Privatveranstaltern eingeräumt worden. Im wesentlichen sind dies die staatliche Gewährleistung der Rundfunkfinanzierung durch Teilnehmerentgelte und eine Bestandsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Sicherstellung seiner technischen, organisatorischen und personellen Vorbedingungen58.

5. Der Baden-Württemberg-Beschluß Die Fünfte Rundfunkentscheidung nahm wenige Monate danach die "jedenfalls durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten"59 zu sichemde Grundversorgung noch einmal auf und lieferte eine sowohl negativ als auch positiv formulierte Erläuterung. Danach beschränkt der Grundversorgungsauftrag die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht auf eine bloße Mindest- oder Teilversorgung der Bevölkerung mit Rundfunk. Sie fUhrt auch nicht zu einer Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk. Wesentlich sind vielmehr drei Elemente: Eine Übertragungstechnik, die den Empfang ftlr alle ermöglicht, ein inhaltlicher Programmstandard, der dem klassischen Rundfunkauftrag in seiner vollen Breite entspricht sowie eine wirksame organisatorische und verfahrensrechtliche Si-

BVertDE 73, 118 (155 f.). BVerfDE 73, 118 (125, 157). Ein Jahr später wurde das Nebeneinander von öffentlichrechtlich und privatrechtlich organisiertem Rundfunk von den Landesgesetzgebern im Rundfunkstaatsvertag vom 3. April 1987 (vgl. den 4. Absatz der Präambel und Art. 7 ff.) auch einfachgesetzlich anerkannt. Zu den Wurzeln der Privatfunkgesetzgebung und den Erfahrungen aus mehreren örtlichen Kabelpilotprojekten in der Bundesrepublik seit 1984 Winkel, in: Ringen um den Medienstaatsvertrag, S. 146 ("medienpolitischer Urknall", a.a.O., S. 154); vgl. auch epd/ Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 13. Dezember 1986, S. 5 ff. 58 Vgl. BVerfDE 73, 118 (158). 59 BVerfDE 74, 297 (325). 56 57

l. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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cherung gleichgewichtiger Vielfalt in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen60. 6. Das Nordrhein-Westfalen-Urteil

In der Sechsten Rundfunkentscheidung, die im Jahre 1991 erging, wurde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk über den jeweiligen Bestand hinaus auch die Weiterentwicklung verfassungsrechtlich zugesichert61. Schon im vorangegangenen Baden-Württemberg-Beschluß war festgestellt worden, daß die rundfunkähnlichen Kommunikationsdienste62 als technische Neuerungen ebenfalls vom Schutzbereich der Rundfunkfreiheit umfaßt werden. Der sechste Karlsruher Richterspruch erweiterte den Umfang der staatlichen Gewährleistung: Der Grundversorgungsauftrag zur Sicherung der Rundfunkfreiheit lasse sich in der publizistischen Konkurrenzsituation des dualen Systems und angesichts der Fortschritte in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht nur erfiillen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in seiner zukünftigen Entwicklung geschützt sei63. 7. Der Hessen 3-Beschluß

In seiner Siebten Rundfunkentscheidung, aus dem Jahre 1992, hat das Bundesverfassungsgericht allgemeine Grundsätze zu Art und Umfang der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten formuliert64. Dabei steht das "Kriterium der Erforderlichkeit"65 im Mittelpunkt der Aus-

Vgl. BVerfGE 74, 297 (325 f.). Vgl. BVerfGE 83, 238 (298 ff.). 62 Gemeint sind Bildschirm-Text und Abonnement-Fernsehen, vgl. BVerfGE 74, 296 (350); s. auch oben Fn. I. 63 Vgl. BVerfGE 83, 238 (298). 64 Vgl. BVerfGE 87, 181 (200 ff.). Dieser Beschluß hat, ebenso wie schon die Fünfte und die Sechste Rundfunkentscheidung mit ihren schnellen Abfolgen, den stetig steigenden Entscheidungsbedarf im Rundfunkverfassungsrecht deutlich gemacht; entgegen der bei Herrmann, ZUM 1991, 325 (325), anklingenden Erwartung, hat sich die "medienpolitische Hektik" noch nicht gelegt Hintergrund des Hessen 3-Beschlusses war eine Verfassungsbeschwerde des Hessischen Rundfunks gegen das staatsvertragliche Werbeverbot ftlr Dritte Femsehprogramme, vgl. Art. I, 2 II I, 2 des Hessischen Zustimmungsgesetzes zum Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland iVm Art I§ 15 II I RuFu-StV. Zur Sach- und Rechtslage vor der Werbeverbotsregelung im RuFu-StV Gallwas, ZUM 1986, I ff. 65 BVerfGE 87, 181 (202) mit Bezugnahme aufSVertUE 74,297 (342). 60 61

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führungen: Der Landesgesetzgeber habe im Rahmen seiner "finanziellen Gewährleistungsptlicht" 66 den Rundfunkanstalten die Finanzierung derjenigen Programme zu ermöglichen, deren Veranstaltung zur Wahrnehmung der spezifischen Funktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erforderlich sind. Aus dieser Feststellung sei "die zur Entscheidung von Finanzfragen erstrebenswerte Quantifizierung" 67 zwar noch nicht zwingend abzuleiten; es seien aber Eingrenzungen möglich. So unterfielen jedenfalls die für die Ausführung des Grundversorgungsauftrags unerläßlichen Mittel dem Erforderlichkeitskriterium. Da das Tätigkeitsfeld der öffentlich-rechtlichen Anstalten jedoch nicht auf die Grundversorgung beschränkt sei, hätten die Anstalten, dank ihrer grundrechtliehen Programmautonomie, bis zum Erreichen der "Erforderlichkeitsgrenze"68 zusätzlich freie Hand bei der Bestimmung solcher Programmaufgaben, die den Aufwand für die unerläßliche Grundversorgung übersteigen69. Vorrangige Finanzierungsart für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei das Gebührenverfahren, dessen Rechtfertigung in der Sicherstellung der essentiellen Funktionen des Rundfunks sowie der Grundversorgung liege70. Daneben seien andere Finanzierungsquellen, namentlich Werbeeinnahmen, nicht untersagt, solange die Gebührenfinanzierung nicht in den Hintergrund gedrängt werde. Eine Mehrzahl von Einnahmequellen könne sogar geeignet sein, einseitige Abhängigkeiten zu lockern und die Programmgestaltungsfreiheit der Rundfunkanstalten zu stärken. Der Landesgesetzgeber sei indessen nicht verfassungsrechtlich verpflichtet, Werbeeinnahmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu gestatten. Die Anstalten hätten lediglich einen Anspruch darauf, daß ihre Tätigkeit überhaupt hinreichend gesichert ist71 . 8. Das Rundfunkgebühren-Urteil Auch die bislang letzte, am 22. Februar 1994 ergangene achte rundfunkrechtliche Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat ihren

87, 181 (198, 200, 203). (203). 68 BVerfGE 87, 181 (202, 206). 69 Vgl. BVerfGE 87, 181 (201, 203). 70 Vgl. BVerfGE 87, 181 (199 f.). 71 Vgl. BVerfGE 87, 181 (200).

66 BVerfGE

67 BVerfGE 87, 181

I. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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Schwerpunkt im Bereich der Rundfunkfinanzierung72 . Ausgangsproblem waren hier jedoch nicht die Einnahmen aus der Wirtschaftswerbung, sondern die Hauptfinanzierungsquelle der öffentlich-rechtlichen Anstalten - die Rundfunkgebühren. Aufgrund eines Vorlagebeschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs war eine verfassungsgerichtliche Stellungnahme zum Verfahren der staatlichen Gebührenfestsetzung notwendig geworden 73. Die Karlsruher Richter erklärten die gegenwärtige Praxis einer Festsetzung durch staatsvertragliche Vereinbarung der Länder mit anschließender Umsetzung in Landesrecht im Grundsatz fiir verfassungsmäßig. Es waren jedoch wichtige Einschränkungen zu machen, die sich in erster Linie aus dem Grundsatz der Programmneutralität der Gebührenfinanzierung und damit letztlich aus dem allgemeinen Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat an seine vorherige "Erforderlichkeits"Rechtsprechung angeschlossen, in welcher den Rundfunkanstalten ausdrücklich das Recht zuerkannt wurde, das fiir ihre Funktionserfiillung Notwendige selbst zu bestimmen74 . Ein Alleinentscheidungsrecht über die Höhe der ihnen zufließenden Gebühren sei den Rundfunkanstalten indessen nach wie vor verwehrt, da die Anstalten keine Gewähr böten, sich tatsächlich stets im Rahmen des Funktionsnotwendigen zu halten 75. Deshalb dürfe die Letztzuständigkeit fiir die Gebührenbestimmung bei den staatlichen Landesgesetzgebern verbleiben. Dieser unterliege jedoch einigen Bindungen, denn die gesetzlich festzulegende Rundfunkgebühr habe die unterschiedlichen Interessen der Rundfunkanstalten, der Rundfunkteilnehmer und des Staates auszugleichen. Das Gelingen dieses schwierigen Ausgleichs müsse vor allem durch ein angemessenes Verfahren gewährleistet werden, welches staatliche und andere Einflußnahme auf den Kern der Rundfunkfreiheit, auf die Programmveranstaltung, ausschließt; es sei ein "prozeduraler Grundrechtsschutz" geboten76. Das bisherige Verfahren sei zu beanstanden, weil es zum einen die "rein politische Entscheidung" der staatlichen Spitzenorgane ermögliche, die eine ausreichende Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht sicherstellten77 und weil zum anderen die ohne gesetzliche Grundlage mit Be-

72 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 ff. (bislang nicht in die amtliche Sammlung aufgenommen). 73 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (181 ff.); BayVGH, BayVBI. 1988,685 ff. 74 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (181); BVerfGE 87, 181 (201 f.). 75 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (181); BVerfGE 87, 181 (202).

76 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (182). 77 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (183).

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

ratungsaufgaben betraute Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) nicht die nötige Unabhängigkeit zum Staate aufweise78. Eine denkbare Möglichkeit zur Abhilfe sei ein dreigliedriges Verfahren, in welchem die Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten als Grundlage der Gebührenentscheidung heranzuziehen wären, von der die Landesgesetzgeber ihrerseits nur abweichen dürften, wenn sie dafilr eine Rechtfertigung durch das Normziel der Rundfunkfreiheit nachweisen können. Die Aufgabe einer fachlichen Überprüfung des angemeldeten Bedarfs könne durch eine gesetzlich zu regelnde Sachverständigenkommission erfolgen, die staats-, politik- und rundfunkfrei zusammengesetzt ist. Letztlich hätten jedoch die Landesgesetzgeber über die gebotene Neuorganisation des Gebührenfestsetzungsverfahren zu befinden- und zwar "alsbald"79. 111. Zusammenfassung In den beschriebenen "leading cases" hat das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage eines nüchternen Verfassungssatzes der sich schnell wandelnden80 Rundfunkmaterie verfassungsrechtliches Rückgrat verliehen. Die Feststellung der Länderkompetenz, die Bestätigung der - auch prozessualen Grundrechtsflihigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die Anerkennung des "dualen Rundfunksystems", die Prägung und Ausdeutung der Begriffe "Rundfunkfreiheit" und "Grundversorgung", die Festschreibung einer öffentlich-rechtlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie und schließlich die Vorgaben zur Finanzierung des Anstaltsrundfunks ergeben trotz teilweise heftiger Ablehnung im rundfunkrechtlichen Schrifttum festen Boden für eine freiheitliche Rundfunkverfassung81 . Davon ist der Ostteil Deutschlands lange Zeit weit entfernt gewesen.

1994, 173 (184). 1994, 173 (185). 80 Vgl. BVerfGE 83, 238 (299); Bethge, DÖV 1983, 369 (369); Seemann, DÖV 1987, 129 (130); Berg, MP 1986, 689 (691). 81 Im gleichen Sinne Eberle, AtP 1993, 422 (426). Erklärtes Ziel des Bundesverfassungsge78 79

Vgl. BVerfG, ZUM Vgl. BVerfG, ZUM

richts ist ein Gesamt-Rundfunksystem, das im Rahmen des (technisch, d. Verf.) Möglichen dem verfassungsrechtlich Gebotenen (Erfllllung des klassischen Rundfunkauftrags, d. Verf.) entspricht, vgl. BVerfGE 73, 118 (157); E 31, 314 (339, Sondervotum der drei Oberstimmten Richter). Das Gegenteil dieser Zielvorgabe wird von Saxer, MP 1990, 717 (721) als "Exekutivpublizistik" bezeichnet.

l. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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C. Nachkriegsrundfunk in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik I. Staatsrundfunk

In der sowjetischen Besatzungszone fand sich der Rundfunk bis zur Gründung der DDR fest im Würgegriff von Propaganda und Zensur der Siegermacht. Die sowjetische Militärregierung hatte zwar die Hauptabteilung Kultur der "Deutschen Verwaltung filr Volksbildung" an der inhaltlichen und rechtlichen Rundfunkverantwortung beteiligt, sich aber die Befugnis zur Letztentscheidung über das Programm vorbehalten. An der staatlichen Rundfunkkontrolle änderte sich nach dem 7. Oktober 1949, dem Tag der Staatsgründung der DDR, nur wenig: Es wechselten die Organe zur Beaufsichtigung des Rundfunks, das Regierungsamt für Information der DDR übernahm als "weisungsberechtigtes staatliches Lenkungsorgan zur Informierung der Öffentlichkeit" auch die "Anleitung" des Rundfunks und Rundfunkredakteure wurden in "Propagandisten" umbenannt82. Damit blieb der Rundfunk ein Medium zur Willensbeeinflussung unter bewußtem und gezieltem Ausschluß des Volkes - das Gegenteil von Staatsfreiheit83. II. Zentralisierung Am 21. Dezember 1949 waren, anläßtich der Berichterstattung zu Stalins 70. Geburtstag, erstmals sämtliche auf DDR-Gebiet bestehenden Landessender zusammengeschaltet worden. Die Zentralisierung von Rundfunkorganisation und Programmgestaltung fand im Jahre 1952 mit Gründung des Staatlichen Rundfunkkomitees durch die DDR-Regierung sowie mit der Umstrukturierung der fünf Länder in 14 Verwaltungsbezirke ihre Vollendung. Vor Gründung der DDR hatte zumindest ein formelles Mitwirkungsrecht der sowjetisch verwalteten Länder in Programmfragen bestanden.

82 Vgl. Diller/Mühl-Benninghaus, ARD-Jahrbuch 1991, S. 30 (38 ff.); Wandtke, ZUM 1993, 587 (590); Frank, KJ 1992, 463 (464 f.); Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, 32 f.; zum Berufsbild des "sozialistischen Journalisten" Hoff, RuF 1990, 385 ff. Im Ubrigen

wurde in der DDR unter Rundfunk begrifflich nur der Hör-Funk verstanden und vom FernsehFunk unterschieden, s. auch oben Fn. I. 83 Vgl. dazu BVerfGE 20, 56 (99); s. auch unten 2. Teil 2. Abschnitt.

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Seit 1968 unterstanden Hörfunk und Fernsehen der DDR je einem Staatlichen Aufsichtskomitee, das seinerseits unmittelbar der Abteilung "Agitation und Propaganda" im Politbüro der Staatspartei SED verantwortlich war und keinerlei demokratische oder vielfaltssichernde Funktion erfüllte84. III. Programminhalt Leitmotiv der fast ausschließlich aus Berlin gesendeten Hörfunk- und Fernsehprogramme waren zum einen die Siegesmeldungen von der heimischen Arbeitsfront und zum anden die Abwertung des Klassenfeindes im Westen. Die Gedanken des ideologischen Kampfes und des nationalen Vergleichs waren bestimmend für den Inhalt der Sendungen. Durch Gleichschaltung sämtlicher Hörfunk- und Fernsehprogramme wurden die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung behindert und die Vielfalt bestehender Meinungen unterdrückt. Eine innere Ablehnung der DDR-Medien durch die Bevölkerung war die Folge. Das ließen nicht zuletzt die vielen nach Westen ausgerichteten Empfangsantennen auf den Dächern der DDR-Bürger erkennen85. IV. Finanzierung Auch in der DDR wurden von den Rundfunkteilnehmern Gebühren verlangt. Die Summe der Einnahmen aus diesen Gebühren war indessen so gering, daß der Hörfunk etwa die Hälfte und das Fernsehen ein Viertel des Aufwands mit staatlichen Zuschüssen deckten86. Damit war das Rundfunksystem neben der inhaltlichen und der organisatorischen auch noch einer finanziellen Staatskontrolle unterworfen.

84 Dazu Wille, ZUM 1990, 15 (16 f.); Geserick, ARD-Jahrbuch 1991, S. 44 (53). 85 Vgl. die eingehende Untersuchung des Zuschauer- und -hörerverhaltens in den neuen Ländern von K. Hesse, Westmedien in der DDR, S. 41 ff. sowie Dohlus, ARD-Jahrbuch 1991, S. 80 (83 f.). "Nur verschwindend wenige Jugendliche (4%) konnten eine volle Übereinstimmung der Informationen aus DDR-Medien mit ihren Lebenserfahrungen bestätigen", zitiert nach Holzweißig, RuF 1990, 365 (374), Klammerangabe im Original; zu solchen Angaben freilich Stiehler, RuF 1990, 357 ff. , der die Schwierigkeiten empirischer Medienforschung in der DDR darstellt; zur Krise des kulturellen Selbstverständnisses in der DDR Spie/hagen, epd/Kirche und Rundunk 1991, Nr. 45 v. 12. Juni 1991 , S. 7 ff. 86 Dazu Wille, ZUM 1991, 15 (16); die Gebühren betrugen zuletzt ftlr den Hörfunk 2 Mark (Ost), ftlr das Fernsehen waren sie nach DFF I und OFF 2 gestaffelt und lagen bei 7 bzw. 10 Mark (Ost) monatlich, vgl. ARD-Jahrbuch 1991, S. 56.

l. Abschnitt: Der Rundfunk bis Oktober 1989

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Produktwerbung ist nur zeitweise in den Fernsehprogrammen geschaltet worden. Sie war jedoch weniger ein Mittel zur Rundfunkfinanzierung, als vielmehr ein planwirtschaftliches Instrument der Absatzsteuerung87. V. Rundfunk in der Verfassung Die Verfassung der DDR gewährte zwar in ihrem Art. 27 den Bürgern die freie Meinungsäußerung sowie die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens88 . Eine einfachgesetzliche Umsetzung dieser Freiheiten hat jedoch nie stattgefunden. Zudem fehlte es an einer Möglichkeit der individuellen Verwirklichung und der gerichtlichen Kontrolle der fraglichen Verfassungsaussagen, die zudem durch den in Art. 1 I DDR-Verfassung festgeschriebenen ausschließlichen Führungsanspruch der Staatspartei abgewertet wurden89. VI. Rundfunkversorgung

1989, im Jahr der gesellschaftlichen und politischen Wende, strahlte der DDR-Hörfunk fünf landesweite Programme und zwölf Regionalprogramme ftlr die 14 Verwaltungsbezirke der DDR aus, daneben ein Programm für die in der Lausitz ansässige Bevölkerungsminderheit der Sorben9° und einen Auslands-

87 Ab 1960 liefen einmal wöchentlich "Tausend Tele-Tips" als werbeähnliche Kundeninformationen Ober den Bildschirm, die 1976 wieder eingestellt wurden, dazu Geserick, ARD-Jahrbuch 1991, S. 44 (52). 88 Art. 27 Abs. I DDR-Verf. (i. d. Fass. v. 7. Okt. 1974, GBI. DDR I, Nr. 47): "Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern"; Abs. 2: "Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet". 89 Vgl. Wandtke, ZUM 1993,587 (587); Kleinwächter, MP 1990, 133 (133); Holzweißig, RuF 1990, 365 (367 ff.) erläutert den Machtmechanismus der SED zur Steuerung des Rundfunks; aufschlußreich zu Auslegung und Anwendung der DDR-Verfassung Wille, ZUM 1991, 15 (15), die feststellt, "Die in der Verfassung verankerten Medienfreiheiten blieben unverbindliche, nicht justitiable Leitsätze, wobei auch das Fehlen einer Verfassungsgerichtsbarkeit begünstigend wirkte"; vgl. auch Mampel, ROW 1985, 61 ff. sowie die Reformüberlegungen auf der Tagung am Zentrum fur interdisziplinäre Forschung in Bielefeld v. 14/15. Dezember 1990, Tagungsbericht bei Vesting, DÖV 1991, 455 ff.; zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in der DDR Markowits, ROW 1987, 265 (268 ff.); zu geheimen Rechtsprechungsanweisungen in der DDR Schroeder!Gräf, ROW 1987,291 ff. 90 "Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sorbischer Nationalität haben das Recht zur Pflege ihrer Muttersprache und Kultur", Art. 40 S. I DDR-Verf. Nach Mampel, DDR-Verf., Art. 40, Anm. II 2 c, unterlag dieses Recht allerdings - wie alle sozialistischen Grundrechte "Beschränkungen durch die sozialistische Gesellschafts- und Staatsordung"; ähnlich Rodenbach,

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dienst. Das DDR-Fernsehen produzierte seit dem Sendebeginn am 21. Dezember 1952 das Programm "DFF 1" und ab dem 3. Oktober 1969 ein weiteres Programm, "DFF 2", in Berlin-AdlershofH. Regionale Voll- oder Fensterprogramme gab es im Fernsehen nicht, im Rundfunk nur sehr begrenzt. Einem Bedürfnis der Bevölkerung nach Darstellung von Themen mit regionaler und lokaler Bedeutung wurde nicht Rechnung getragen92. Seit 1973 war der bis dahin von der Regierung stillschweigend geduldete Empfang westdeutscher Programme auch offiziell erlaubt93. Privat veranstalteter Rundfunk existierte nicht. Die DDR-Verwaltung genehmigte lediglich privat gebildete "Antennengemeinschaften", die sich zum Empfang von West-Programmen über eine gemeinsame Satellitenempfangsanlage zusammengeschlossen hatten. Beweggrund fiir diese vermeintliche Lockerung der staatlichen Rundfunkkontrolle war die Hoffnung, durch nachfolgende Aufschaltung von linientreuen Kommentatoren auf die Satellitenkanäle ein Zerrbild der westlichen Wirklichkeit zeichnen zu können94. VII. Zusammenfassung Wie dargestellt, bildeten sich in der DDR eine meinungsmonopolisierende und im Westen Deutschlands eine vergleichsweise meinungsoffene Rundfunkordnung95 heraus. Die Unterschiede in den beiden deutschen Staaten hätten größer kaum sein können.

ROW 1985, 271 ff. Zur Kritik an der verfassungsrechtlichen Sonderstellung des slawischen Bevölkerungsanteils als "Vorzeige-Minderheit" vgl. den Bericht "Ein Film, der am Vorzeige-Image kratzt", in: Süddeutsche Zeitung v. 21. Oktober 1993. 91 Die volle Bezeichnung lautete "Deutscher Femsehfunk". Dessen Programme sollten die Bevölkerung mit Information, Unterhaltung, Kultur und Bildung versorgen; die Auffassung über die Ausftlllung dieser Programmvorgaben wich freilich stark von derjenigen im Westen ab. Vgl. auch die Übersicht über die Rundfunksender der DDR bei Ring, Medienrecht, C-0.3, "Entstehungsgeschichte", Rn. 99. 92 Zum gleichwohl regen Interesse der DDR-Bürger an ihrer "Nahwelt" Spie/hagen, epd/ Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (8).

93 Dazu näher Wolfgang Schmidt, MP 1982, 668 (673); Ricker/Müller-Malm, ZUM 1987, 208 (215), haben sich damals umgekehrt wegen unsachlicher und nicht wahrheitsgetreuer Berichter-

stattung grundsätzlich gegen die Einspeisung des DDR-Fernsehens in bundesdeutsche Kabelnetze ausgesprochen.

94 Dazu Ring, Medienrecht, C-0.3, "Entstehungsgeschichte", Rn. 90; vgl. auch Wolfgang Schmidt zum damaligen Entwicklungsstand der neuen Medien in der DDR, MP 1982, 668 (670 ff.). 95 Vgl. auch Bullinger, AfP 1991,465 (472); Kuli, AfP 1990, 81 (81).

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk zwischen Oktober 1989 und 31. Dezember 1991 Die hier ebenso allgemein wie ungenau mit dem Begriff "Wende" beschriebene Kette von Ereignissen im Anschluß an die Kapitulation der Honecker-Regierung stellt sich bei näherer Betrachtung nicht als geradlinige Entwicklung dar. In der DDR hat keine klassische Revolution96 im Wege einer gewaltsamen Ablösung der Regierung und einer grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltung durch eine Gruppe von Revolutionsträgem stattgefunden97. Das zeigt sich in mehrfacher Hinsicht: Die zahlreichen Massendemonstrationen und Botschaftsbesetzungen in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 waren überwiegend ohne Gewalttätigkeiten verlaufen98 . Viele Angehörige der früheren Staatspartei behielten vorerst wichtige Regierungsämter und einige maßgebende Stimmen in der Bevölkerung sprachen sich nach ersten persönlichen Erfahrungen mit den Schattenseiten einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Staats- und Gesellschaftsordnung fiir eine Beibehaltung der DDREigenstaatlichkeit im Zeichen von Hammer und Zirkel aus. Auch wurde der Rundfunk nicht als Sprachrohr fiir Umsturzparolen vereinnahmt, sondern vielmehr bewußt in die gerade erkämpfte Medienfreiheit entlassen. Die Situation des Rundfunks in den neuen Bundesländern am I . Januar 1992, nach dem Aufbrechen des sozialistischen Machtmonopols und nach dem rechtlich geordneten Beitritt zum Grundgesetz ist deshalb eher vergleichbar mit der Resultierenden eines Parallelogramms unterschiedlicher gesellschaftlicher und politischer Kräfte. Diese Kräfte haben teilweise in gesetzlichen Regelungen ihren positiven Ausdruck gefunden. Im folgenden sollen die beiden

96 Vgl. etwa Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 20, 9. Auflage, Mannheim 1977 sowie Brockhaus Enzyklopädie, Band 15, 17. Auflage, Wiesbaden 1972. 97 Deshalb die Bezeichnung als "friedliche und demokratische Revolution" in der Präambel des Vertrages Uber die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBI. II S. 537); "importierte Revolution", Ho.ffmann-Riem, AfP 1991, 472 (472); "nachholende Revolution", Habermas, in: Die Zeit Nr. 20 v. 10. Mai 1991, S. 63. 98 Vgl. etwa den Bericht von Engert, ARD-Jahrbuch 1990, S. 78 (80).

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Gesetze, die die wesentlichen Schritte der östlichen Bundesländer auf dem Wege zu einer freiheitlichen Rundfunkverfassung verkörpern, mit der Rundfunkfreiheil nach Art. 5 I 2 GG verglichen werden. Es sind der Medienbeschluß der Volkskammer und Art. 36 des Einigungsvertrags (EV). A. Der Medienbeschluß der Volkskammer vom 5. Februar 1990

I. Zustandekommen Ungeachtet des Massenansturms von ausreisewilligen DDR-Bürgern auf die bundesdeutschen Botschaften in Budapest, Prag und Warschau wurde am 7. Oktober 1989 der 40. Jahrestag der Staatsgründung wie üblich mit einer Veranstaltung im Berliner Palast der Republik gefeiert. Wie üblich war auch die weihevolle Inszenierung des Fernsehspektakels allein auf den Vorsitzenden Erich Honecker zugeschnitten99. Am Abend kam es in Ost-Berlin zu spontanen Demonstrationen gegen die SED-Herrschaft. Auf den Kundgebungen forderten die Demonstranten auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne persönliche Nachteile, sie beanspruchten umfassende Information durch die Medien und sie verlangten die Gewährleistung der Medien als freie und unabhängige Institutionen 100. Daraufhin setzte innerhalb des DDR-Rundfunks eine harte Auseinandersetzung zwischen Bewahrern und Erneuerem der bisherigen Rundfunkordnung ein, in der die Vertreter einer freiheitlichen Denkweise schließlich die Oberhand gewannen. So fand am 19. Oktober 1989 im DDR-Fernsehen erstmals eine LiveSendung mit Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten im direkten Gespräch mit Bürgern statt. Der "Schwarze Kanal" des Karl Eduard von Schnitzler, fast 30 Jahre lang Paradesendung der DDR-Propaganda, sendete am 30. Oktober zum letzten Mal. Und am 9. November war der historische Ver99 Eine genaue Untersuchung der Bildregie bei der Fernsehübertragung vom "Totentanz im Palast" liefert Hoff, Vom Totentanz im Palast zum Tanz auf der Mauer, S. 142 ff. Sie ergibt, daß die Fernsehaufbereitung in diesem Fall das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erreichte: Der körperlich und geistig angeschlagene Honecker wirkte in den häufigen Großeinsteilungen eher farblos, während der nachfolgende Festredner, Michael Gorbatschow mit seiner Mahnung: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!", trotzeiner vergleichsweise unvorteilhaften Bildgestaltung lebendig erschien. 100 Vgl. Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 7.

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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sprecher eines SED-Sekretärs vor internationalen Rundfunk- und Pressevertretern Anlaß für eine "Fernseh-Revolution" vor der geöffneten Berliner Mauer 101 . Nachfolgend verschwand der gesamte Apparat, der vormals den Rundfunk in der DDR kontrolliert hatte entweder durch die Auflösung der Verwaltungsorgane oder durch den Rücktritt der Organwalter 102. Das Informations- und Meinungsmonopol der SED war aufgehoben. Im Verlauf dieser von der Bevölkerung ausgehenden Öffnung des Staates nach außen wie nach innen erklang auch der Ruf nach einer gesetzlichen Absicherung der gerade errungenen Medienfreiheit Der Ministerrat griff diese auf den Demonstrationen und am inzwischen eingerichteten Runden Tisch erhobene Forderung notgedrungen auf und beauftragte im Dezember 1989 den Minister für Justiz, eine bis dahin in der DDR nicht gekannte Mediengesetzgebung auszuarbeiten. Daraufhin konstituierte sich eine 50köpfige Mediengesetzgebungskommission aus Vertretern der am Runden Tisch sitzenden Gruppierungen und anderer Organisationen mit gesellschaftlicher Bedeutung103. Die Kommission war sich einig, daß die Ausarbeitung des Gesetzes für ein eigenes Rundfunkmodell der DDR bis zu seinem lokrafttreten längere Zeit in Anspruch nehmen werde, daß gleichzeitig aber praktische Fragen auf Klärung drängten 104. Deshalb wurden zunächst Grundsätze für die Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit aufgestellt und der Volkskammer als Übergangslösung vorgeschlagen I 05. Der sodann von der Volkskammer gefaßte Medienbeschluß 106 hatte vorläufigen Charakter und galt nach dem Wortlaut 101 S. oben Fn. 2, 3. Näher zu Art und Inhalt der DDR-Propagandasendung "Der Schwarze Kanal" K. Hesse, Westmedien in der DDR, S. 41. 102 Am II. November 1989 Obernahmen die Mitglieder des Staatlichen Komitees für Rundfunk öffentlich die Verantwortung ftlr ihre frühere Tätigkeit und erklärten ihren sofortigen Rücktritt; nachfolgend löste der Ministerrat der DDR sowohl das Staatliche Komitee ftlr Rundfunk als auch das ftlr Fernsehen mit Wirkung zum 30. November 1989 auf, vgl. ARD-Jahrbuch 1991, S. 58. 103 Vgl. Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 10 ff. 104 Z.B. Umorganisation oder Weiterführung von Hörfunk und Fernsehen der DDR?, Werbung im Programm?, Die Neuordnung der Frequenzen und nicht zuletzt die Zulassung privater Rundfunkanbieter. 105 Vgl. Wille, ZUM 1991, 15 (17); näher zur Ausarbeitung dieser Grundsätze Kleinwächter, MP 1990, 133 ff. 106 GBI. DDR I, S. 39 f.; abgedruckt z.B. in: AfP 1990, 23 f. und in: MP 1990, 126 f. Vgl. dazu Kuli, AfP 1990, 81 ff.; Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 16 ff.; Spielhagen epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 ff. ; Frank, KJ 1992,463 (465 ff.); Ho.ffmann-Riem, AfP 1992,472 ff.

I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

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seiner Präambel "bis zum Erlaß von gesetzlichen Regelungen zu den Medien". Praktisch handelte es sich um eine als Beschluß bezeichnete allgemeinverbindliche Regelung, die nach DDR-Recht verfassungsgemäß zustande gekommen war107 und die bis dahin leere Verfassungsformel von der Freiheit des sozialistischen RundfunkslOS erstmals einfachgesetzlich auffüllte. Il. Inhalt des Medienbeschlusses und Vergleich mit der westdeutschen Rundfunkordnung Der Medienbeschluß war thematisch dreigeteilt: Er sicherte die allgemeinen Medienfreiheitsrechte, er normierte das Wirken der Medien und ihrer Mitarbeiter und er enthielt Regelungsaufträge hinsichtlich der neu zu gestaltenden Medienordnung der DDR. Auf diese Weise wurden sowohl inhaltliche als auch Verfahrensfragen geregelt. 1. Materielle Regelungen Die Organisatoren des Übergangsrundfunks wollten in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht an die Vergangenheit anknüpfen. Als Zielvorstellung wurde die Umgestaltung des Rundfunks in öffentlich-rechtliche Anstalten formuliert 109. Es sollte schließlich "Kompatibilität" 110 mit dem Rundfunksystem des Westens unter Wahrung eines eigenständigen DDR-Rundfunks erreicht werden. Dazu gehörten die positive Absicherung der Rundfunkfreiheit und eine vielfaltsgeprägte Veranstaltung des Kulturträgers Rundfunk.

107 Dieser Rechtssetzungsakt war als "Beschluß" zu bezeichnen, weil der Runde Tisch nach dem Wortlaut der DDR-Verfassung nicht zu den im llirmlichen Gesetzgebungsverfahren initiativbefugten Gremien zahlte, vgl. die abschließende Aufzahlung in Art. 65 I DDR-Verf. Im Beschlußverfahren hatte die Volkskammer dagegen ein formloses Selbstbefassungsrecht, von dem sie- auf Anregung des Runden Tisches - zur Verabschiedung des Medienbeschlusses auch Gebrauch machte. Ebenso wie die Gesetze der Volkskammer waren auch ihre Beschlüsse "grundsätzlich", "endgültig" und "ftlr jedermann verbindlich", Art. 49 I DDR-Verf. Dazu Mampel, DDR-Verf., Art. 49, Anm. II und Art. 65, Anm. II. 108 S. oben Fn. 88 f. 109 Vgl. Ziff. II Abs. I S. 2 Medienbeschluß. Für die Zeit des Übergangs wurden Hörfunk

und Fernsehen der DDR von zwei unabhängigen, nicht der Regierung unterstehenden öffentlichen Einrichtungen verkörpert.

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11 Kleinwächter, MP 1990, 133 (133); Odermann, RuF 1990,377 (382).

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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a) "Dienende" Freiheit auch in der DDR Die erste Übereinstimmung mit dem westlichen Rundfunkverständnis ist in der Überschrift des Medienbeschlusses angedeutet. Dort wird die Medienfreiheit erst an dritter Stelle hinter der Meinungs- und der Informationsfreiheit genannt. Mit dieser Rangfolge wurde gemeinsam mit den nachfolgend geregelten Mediengeboten 111 deutlich gemacht, daß die Betätigung in Rundfunk und Presse nicht frei ist, sondern zweckgebunden zur Förderung des aus gegenseitiger Meinungsäußerung und Meinungsbildung bestehenden Kommunikationsprozesses112. Die Medienfreiheit wurde damit ebenso wie die in Art. 5 I 2 GG angelegte verfassungsgsrechtliche Kommunikationsgrundlage als gesellschaftlich gebundene, als "dienende Freiheit" ll3 verstanden. b) Informations- und Darstellungsrechte Das in der Medienordnung des Grundgesetzes selbstverständliche Recht jedes Bürgers, die eigene Meinung frei und ohne persönliche Nachteile zu äußern, ist nach der friedlichen Revolution an die Spitze der neuen Medienfreiheiten in der DDR gerückt wordenll 4. Darüber hinaus verbriefte der Medienbeschluß das grundlegende Recht des einzelnen auf wahrhaftige, ausgewogene und auch vielfiiltige Information. Dieses Recht war gegen die Medien schlechthin gerichtet. Dasselbe galt fUr das Recht staatlicher, politischer, gesellschaftlicher und religiöser Organisationen und aller Minderheiten auf angemessene Darstellung in den Medien ll5. Ob diese Rechte auch gerichtlich durchsetzbar sein sollten, läßt sich durch eine wörtliche Auslegung des Medienbeschlusses nur schwer ermitteln, denn seine Sprachregelung ist uneinheitlichll6. Unter Berücksichtigung der Sinnge-

Vgl. Ziff. 2; 4 S. 1; 6; 9 Abs. I S. 2 Medienbeschluß. Zu dessen Schutz wurde Ziff. I Medienbeschluß wortgleich mit Art. 19 II UNOKonvention Uber die politischen und zivilen Rechte v. I5. Dezember I966 formuliert. 113 BVertDE 57, 295 (3I9). 114 Vgl. Ziff. I Medienbeschluß; dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 20. IIS Vgl. Ziff. 4 S. I und Ziff. 9 Abs. I S. I Medienbeschluß. 116 Der Wechsel zwischen den Formulierungen " ... haben das Recht, ... " (Bsp.: Ziff. 4 S. I; 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1), "Das Recht ... ist zu gewährleisten." (Bsp.: Ziff. 4 S. 2; 9 Abs. 2 S. 1), " ... ist zu sichern ... " (Bsp.: Ziff. 13 S. 2) und " ... sind nicht verpflichtet ... " (Bsp.: Ziff. 7 Abs. I S. 3, Abs. 2 S. 2) ist wenig nachvollziehbar. III

112

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

bung, also die Herstellung der besagten Kompatibilität mit dem westlichen Rundfunksystem, muß eine Klagbarkeit der genannten Informations- und Darstellungsrechte nachträglich eher verneint werden. Denn bei materiellrechtlicher Betrachtung, insbesondere des Rechts auf Darstellung ergeben sich erhebliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem westlichen Rundfunkverfassungsrecht. Für die gedruckte Presse steht jedenfalls der grundgesetzlich gewährte Tendenzschutz entgegen. Art. 5 I GG begründet insoweit ein individuelles Abwehrrecht der Pressel17. Der Rundfunk genießt zwar nicht denselben Tendenzschutz wie die gedruckte Presse 11 8, doch wird die elektronische Teildisziplin der Massenmedien durch Art. 5 I 2 GG auf anderem Weg ebenfalls vor einem Ansturm von Darstellungsansprüchen der beschriebenen Organisationen bewahrt. So ist der Rundfunk von Verfassungs wegen infolge seiner Sondersituation - der "Beschränktheit von Frequenzen und Finanzen" 11 9 - nicht dem freien Kräftespiel des (Meinungs-)Marktes ausgeliefert worden. Die Landesgesetzgeber haben zum Zwecke der ihnen von der Verfassung aufgegebenen Absicherung der Meinungsvielfalt den Rundfunk mit Gremien ausgestattet, die sich im Idealfall in einer die Vielfalt der Meinungen widerspiegelnden Weise aus Vertretern gesellschaftlich bedeutsamer Gruppen zusammensetzen. Die in die Rundfunkräte entsandten Vertreter sorgen als Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit für Ausgewogenheit bei der Darstellung der vielfaltigen Meinungen in dem von den Redakteuren gestalteten und vom Intendanten verantworteten

117 Vgl. BVerfGE 52, 283 (296). Einfachgesetzliche Ausprägungen dieses Verfassungsgrundsatzes finden sich etwa in § 118 I Nr. 2 BetrVG; § I IV S. I Nr. 2 MitbestG und § 81 BetrVG [1952]. Kuli, NJW 1982, 2227 ff. sieht in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa BAG, NJW 1982, 124 f.) eine "Erosion des Tendenzschutzes" und damit einen Widerspruch zur eben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 118 Der Rundfunk ist verfassungsrechtlich dem Gebot der Ausgewogenheit verpflichtet, vgl. BVerfGE 59, 231 (258): Die Rundfunkveranstalter "dürfen in ihrem Gesamtprogramm nicht eine Tendenz verfolgen, sondern sie müssen im Prinzip allen Tendenzen Raum geben". Diesem Gebot unterliegen sowohl die Öffentlich-Rechtlichen als auch die Privaten, wenngleich letztere in einem geringeren Maße als die öffentlich-rechtlichen Garanten der Grundversorgung (s. oben I. Teil I. Abschnitt B II 4 und zuletzt BVerfG, ZUM 1994, 173 (181); E 83, 238 [320 f.]). Nur scheinbar eine Ausnahme bilden die Spartenprogramme (zum Begriff vgl. Art. I § 2 II Nr. 2 RuFu-StV). Denn sie sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur dann zulässig, wenn in einer dualen Rundfunkordnung die gleichgewichtige Vielfalt im Gesamtprogramm aller Veranstalter nicht gefllhrdet wird, vgl. BVerfGE 83, 238 (296 f.); grundlegend BVerfGE 74, 297 (345 f.) . 119 Bethge, ZUM 1991,337 (337). Diese Sondersituation ist vom Bundesverfassungsgericht bereits in seiner ersten Rundfunkentscheidung festgestellt worden, vgl. BVerfGE 12, 205 (261); "Frequenzargument" und "Finanzargument", Ossenbühl, DÖV 1972,293 (295).

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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Programm 120. Sie haben keine Befugnis zur eigenen und unmittelbaren Programmgestaltung. Zwar dient die Rundfunkfreiheit nach dem überwiegend institutionellen Ausgangsverständnis des Bundesverfassungsgerichts 121 der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und verhilft allen bedeutsamen Meinungen zur Verbreitung über den Rundfunk. Doch kommt danach einzelnen Gruppen, Parteien und sonstigen Meinungsträgem kein gerichtlich durchsetzbares Recht auf Sitz und Stimme im Rundfunkrat oder gar auf anteilige Sendezeit zu 122. Unter dem Grundgesetz lautet die Rundfunkgrundregel für individuelle und öffentliche Meinungsträger also anders als nach dem Konzept des Medienbeschlusses: Re-Präsentation statt Präsenz123.

§

120 Vgl. BVerfGE 83, 238 (333); so auch Bullinger, in: lsensee/Kirchhof, Staatsrecht VI, 142, Rn. 119; Stern/Bethge, Die Rechtsstellung des Intendanten, S. 61. 121 S. oben Fn. 47.

122 Vgl. etwa den ablehnenden Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Antrag eines Landessportbunds auf Berucksichtigung im Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks, abgedruckt in: AfP 1992, 131 f. Ansätze fllr ein mehr individualrechtliches Verständnis der Rundfunkfreiheit finden sich bei Ricker, Rundfunkkontrolle durch Rundfunkteilnehmer?, S. 4 7 ff., 65 ff. Dort wird filr stärkeren Einfluß des einzelnen durch zumindest repressive Programmkontrolle im Wege einer fönnlichen Popularbeschwerde bei objektiv-rechtlichen Verstößen gegen gesetzliche Programmanforderungen eingetreten; so auch bereits Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (388 f.); ähnlich Ti/mann, Rechtsschutz filr Medienverbraucher, S. 292 f.; ebenfalls zweifelnd gegenUber einer Uberwiegend institutionellen Sicht der Rundfunkfreiheit Gabriel-Bräutigam, ZUM 1991, 466 (470); nachdrUcklieh ftlr eine private Rundfunkunternehmerfreiheit unmittelbar aus Art. 5 I 2, 12 I GG bereits Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 117 ff.; auch Pestalozza, ZRP 1979,25 (28 f.); Barth, Rundfunkuntemehmerfreiheit, S. 21 ff; nach Starck muß die "primär objektiv-rechtliche Gewährleistung" der "grundrechtlichen Nonnalität des subjektiven Rechts weichen", NJW 1992, 3257 (3263); Geiger vertritt die Auffassung, den gesellschaftlich relevanten Gruppen sei auch unmittelbar im Programm die Rede und Darstellungszeit zu eröffnen, AfP 1977, 256 (260); a.A. z.B. Grimm, VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 47 (72). 123 "Die Teilhabe der gesellschaftlichen Gruppen am binnenpluralen Rundfunk erfolgt nicht unmittelbar selbst, sondern durch Dolmetscher, die gesellschaftlich kontrollierten Journalisten", Ory, AfP 1987,466 (470). Nur in Ausnahmefllllen von herausragender Bedeutung filr die Willensbildung der Bevölkerung räumen die westlichen Ländergesetze ausgewählten Dritten begrenzte Sendezeit ein, vgl. Art. 4 II Nr. 2-4 BayRG; § 3 Nr. 7 S. 2 HessRuFuG; § 15 I, II NDR-StV; § 9 II, III, V SaariRuFuG; § 2 IV Nr. 1-4 SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-Gesetz; § 6 I SWF-StV; § 8 II, III WDR-Gesetz; ebenso § 27 DW/DLF-Gesetz; § II I, III, IV ZDF-StV sowie § 56 II LMedienG Ba.-WU.; § 24 II BremLMG; § 24 HPRG; § 21 NdsLaRuFuG; § 19 II-IX LRG NW; § 21 LRG Rh.-Pf.; § 25 LRG S.-H.; auch die Rundfunkregelungen der neuen Länder enthalten entsprechende Bestimmungen, vgl. § 14 II-IV MDR-StV; § 10 II-IV ORB-Gesetz und § 57 II, III StV-BB; § 26 RGMV; § 22 SächsPRG; § 23 PRG S.-A.; § 26 TPRG. Zum Gedanken der Repräsentation im "Integrationsfunk" Saxer, MP 1990,717 (726 f.); Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 322 m.w.N. 4*

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

c) Journalistischer Freiraum Den Rundfunkmitarbeitern wurde im Medienbeschluß ein persönliches Selbstbestimmungs- und Verweigerungsrecht zugesprochen flir den Fall, daß Themenstellung und Auftrag ihren Überzeugungen widersprächen. Dieses individuelle und themenbezogene Freiheitsrecht war unter der Bezeichnung "Gewissensvorbehalt und Überzeugungsschutz" im Geltungsbereich des Grundgesetzes bereits anerkannt124. Zusätzlich sah der Medienbeschluß nach innen und nach außen wirkende Rechte flir die DDR-Journalisten vor, die weit über die ihren westlichen Kollegen125 gewährte grundrechtliche Freiheit hinausgingen. aa) Mitbestimmung Innerhalb der Medienunternehmungen waren Statuten zu errichten, in denen die "Programmatik und Struktur" der Medien, hier des Rundfunks, geregelt werden sollten 126. Besagte Statuten beinhalteten sowohl die Organisation der rundfunkinternen Verwaltung - ähnlich den Satzungen und Ordnungen westdeutscher Rundfunkanstalten - als auch eine redaktionelle Mitbestimmung. Eine verfassungsrechtlich zwingende Mitbestimmung auf Redaktionsebene127 stößt nach den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des öffentlichrechtlichen Rundfunks indessen zu Recht auf Bedenken. Sie begründet nämlich zusätzlich zu dem fraglos jedem Journalisten zustehenden staatsgerichteten Abwehrrecht aus Art. 5 I 2 GG einen selbstverfaßten rechtlichen Freiraum gegenüber der Rundfunkanstalt und ist damit geeignet, die rundfunkfreiheitssichernde Funktion der öffentlich-rechtlichen Anstalt zu gefährden.

124 Vgl. Ziff. 7 Abs. I S. 2 Medienbeschluß; dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 24 ff.; zu Gewissensvorbehalt und Überzeugungsschutz vgl. nur Wendt, in: v. Münch!Kunig, Grundgesetz, Art. 5, Rn. 35. 125 Zur Rechtsstellung des "programmgestaltenden Rundfunkmitarbeiters" zuletzt BVerfD, AfP 1993,470 (471). 126 Vgl. Ziff. 13 S. I, 2 Medienbeschluß. 127 Diese ist deutlich abzugrenzen gegen die betriebliche Mitbestimmung der gesamten Belegschaft, vertreten durch Betriebs- bzw. Personalräte. Die Variante einer Mitwirkung der Personalvertretung in den Rundfunkräten kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben, dazu Ho.ffmann-Riem, Rundfunkfreiheit durch Rundfunkorganisation, S. 55 f.

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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Dieser Problemkreis ist bereits in den siebziger Jahren unter der Kurzbezeichnung "Innere Rundfunkfreiheit" 128 juristisch eingehend diskutiert worden. Befllrworter der redaktionellen Selbstorganisation unter Begründung einer anstaltsinternen Machtposition leiten ihren Standpunkt im wesentlichen aus dem Bedürfnis nach sachkundiger Kontrolle dt(r Anstaltstätigkeit her 129. Dem ist heute wie damals entgegenzuhalten, daß es von Verfassungs wegen allein die Rundfunkanstalten sind, die das Grundrecht der Rundfunkfreiheit zugunsten der Allgemeinheit treuhänderisch gebunden wahrnehmen. Die notwendige Kontrolle des Rundfunks im Interesse der Allgemeinheit wird in parlamentsähnlicher Weise ausschließlich von verfassungsrechtlich legitimierten Aufsichtsorganen, den Rundfunkräten, wahrgenommenl3°. Zwar wird diesen Gremien - zumindest in der gegenwärtigen Zusammensetzung - nur begrenztes Vertrauen hinsichtlich ihrer Staatsfeme geschenkt, doch muß dem häufig beklagten "ungenierten Parteienzugriff•131 auf anderem Wege entgegengetreten werden. Durch positive Mitbestimmungsrechte der Programm-Mitarbeiter bei der Wahrnehmung anstaltlieber Rundfunkaufgaben würde statt der zu Recht beanstandeten Einseitigkeit in den Rundfunkräten die Zuflilligkeit der Redakteursvertretungen Einzug halten. Dem verfassungsrechtlich abgesegneten, binnenpluralistisch geprägten Organisationsmodell der Rundfunkaufsicht durch "gesellschaftlich relevante Gruppen" 132 würde auf diese Weise

128 Bzw. "Innere Pressefreiheit". Vgl. etwa Ho.ffmann-Riem, Redaktionsstatute im Rundfunk, S. 27 ff.; ders., Innere Pressefreiheit als politische Aufgabe, S. 3, 14 ff., 17; Jpsen, Mitbestimmung im Rundfunk, S. 27 f., jeweils m.w.N.; Bethge, UFITA, Band 58 [1970], S. 117 ff., zusammenfassend ders., UFITA, Band 69 [1973], S. 143 ff.; Schwerdtner, BB 1971, 833 (837 ff.); Müller/Pieroth, Politische Freiheitsrechte der Rundfunkmitarbeiter; Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (386); Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 252; Roellecke, AfP 1971, 10 (10 f.). Zurückhaltend hinsichtlich einer erneuten Diskussion, nunmehr auf europarechtlicher Ebene Kuli, AfP 1993, 430 (434 f.). 129 So etwa Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 302 f.; Müller!Pieroth, Politische Freiheitsrechte der Rundfunkmitarbeiter, S. 41; "Sachnahe und sachverständige Wächter der Rundfunkfreiheit", Ho.ffmann-Riem, Redaktionsstatute im Rundfunk, S. 103 ff., der seine Position später jedoch wieder einschränkt und sich zwar "filr institutionell abgesicherte Formen der Interessenartikulation der Mitarbeiter" einsetzt, gleichzeitig aber vor "möglichen Gefahren filr die Interessenneutralität der Treuhänderrolle" warnt, RuF 1979, 143 (160). Geboten sei "vielmehr die Entwicklung von Ansätzen zur Einbeziehung der Rezipienten in die Mitwirkungskonstruktion". Dazu kritisch Ossenbühl, DÖV 1977,381 (383, 386, dort Fn. 35). 130 Vgl. BVerfGE 31, 314 (328); BVerfGE 83, 238 (300). Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (384 f.) sieht in der treuhänderischen Wahrnehmung der Rundfunkfreiheit durch die Aufsichtsgremien eine Parallele zur Grundrechtstreuhand der Eltern filr ihr Kind gern. Art. 6 II I GG. 131 Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 127; vgl. auch unten I. Teil 2. Abschnitt A II 2 b. 132 BVerfGE 83, 238 (300 f., 332 ff.). Zwar hält das Bundesverfassungsgericht in der

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

noch weniger genügt. Daher hatte der Medienbeschluß nach der Regelung einer direkten gesellschaftlichen Präsenz im Rundfunk auch in diesem Punkt das Ziel der Herstellung einer "Kompatibilität" mit der grundgesetzliehen Rundfunkordnung verfehlt. bb) Auskunft Unter den journalistischen Befugnissen mit Außenwirkung ist das Recht der Medien auf umfassende Auskunft hervorzuheben. Staatliche, politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Einrichtungen waren verpflichtet, den programmschaffenden Medienmitarbeitern im Zusammenhang mit deren beruflichen Tätigkeit Auskünfte zu erteilen. Erklärtes Ziel dieser Regelung war die Erfiillung der "öffentlichen Aufgabe" sowie "wahrheitsgetreue Information" durch die Medien133. Bei einer Erörterung des beschriebenen Anspruchs im Lichte des Grundgesetzes ist nach den möglichen Anspruchsverpflichteten zu unterscheiden. Soweit private Rechtssubjekte betroffen sind, wird dem Erforschungsinteresse von Rundfunk und Presse durch das Grundrecht auf informationelle 'Selbstbestimmung Einhalt geboten. Dieses ist ein grundrechtliches Abwehrrecht, das natürlichen Personen und juristischen Personen des Privatrechts gleichermaßen zusteht13 4. Die unterschiedlichen Auffassungen in Rechtsprechung und Litera-

genannten Entscheidung eine Redakteursbeteiligung (als Auswahlkriterium ftlr die Zulassung privater Rundfunkveranstalter; näheres bei Ory, AfP 1988, 336 [337 ff.]; dazu Bethge, AfP 1989, 525 ff.) im Grundsatz filr zulässig; dies jedoch nicht im Sinne einer subjektiven Freiheit zur Selbstverwirklichung, sondern als eine das Vielfaltsgebot fbrdernde Mitsprache, a.a.O., S. 321. Obwohl diese Formulierung von Stock, JuS 1992, 383 (385) freudig als bislang in Karlsruhe nie gehörte "goldene Worte" begrüßt wird, bringt sie im Kern nichts neues. Sie bestätigt nur die tatsächliche Auswahl- und Entscheidungsfunktion, die die Redakteure im täglichen Sendebetrieb erfiillen und die sie zum Bestandteil eines "Faktors" der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung macht. Vgl. auch das deutliche Sondervotum der drei oberstimmten Richter in der Mehrwertsteuer-Entscheidung, BVerfGE 31, 314 (340), wonach die berufsmäßigen Akteure innerhalb der Rundfunkanstalten sich nicht als "Herr" des Rundfunks verstehen dürfen, sondern lediglich das Instrument der gesellschaftlich relevanten Kräfte und Gruppen sind und diesen zu dienen haben. Entsprechend sind landesrechtliche Vorkehrungen fur eine redaktionelle Mitbestimmung zu .lesen, vgl. etwa§ 40 NDR-StV; § 12 SaarlRuFuG; § 30 II, 31 WDR-Gesetz; § 311 Nr. 2 MDR-StV; § 27 ORB-Gesetz sowie Wendt, in: v. Münch!Kunig, Grundgesetz, Band I, Art. 5, Rn. 56. 133 Vgl. Ziff. 8 Medienbeschluß; dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 22. 134 Vgl. BVerfGE 65, I (41 ff.), wo das Recht aufinformationelle Selbstbestimmung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 I iVm Art. I I GG entwickelt wird; Rechtsgrundlage filr juristische Personen des Privatrechts ist Art. 14 GG, vgl. BVerfGE 67, 100 (142 f.); E 77, I

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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tur bezüglich eines gerichtlich durchsetzbaren Auskunftsanspruchs gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere Behörden sind indessen bis heute nicht restlos beigelegt. Einige Autoren leiten einen klagbaren Anspruch unmittelbar aus der Verfassung ab135. Die Auslegung des Art. 5 I GG ergebe gemeinsam mit dem Demokratiegebot die Notwendigkeit einer lückenlosen Information der Massenmedien über die Tätigkeit des Staates, die wiederum mit Hilfe der Medien erst durchschaubar und kontrollierbar für die Bürger würde. Eine andere Auffassung kommt unter Berufung auf die "öffentlichen Aufgabe" der Medien zu demselben Ergebnis136. Die dritte Literaturmeinung unterstützt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts137. Das Gericht sieht regelmäßig keine Forderungsrechte unmittelbar aus dem Grundgesetz erwachsen 138. Erst nach Konkretisierung durch den einfachen Gesetzgeber könne möglicherweise ein publizistischer Anspruch entstanden sein. Der ebenso unbestimmte wie unbestimmbare Begriff der "öffentlichen Aufgabe" in den Landespressegesetzen helfe jedenfalls nicht weiter139.

(46) und NJW 1991,2129 (2132); ebenso der Bundesgerichtshofallerdings unter Bezugnahme auf Art. 19 III GG, NJW 1986, 2951 (2951); die Grenzen der ~;rundrechtlich gewährleisteten Informationsbeschaffungsfreiheit im Privatrechtsverhältnis verdeutlicht Wente, ZUM 1987, 167 (169).

135 Vgl. Groß, Presserecht, S. 172 f.; Hamann/Lenz, Das Grundgesetz, Art. 5, Anm. B. 6; Jerschke, Informationsrecht der Presse, S. 239; M Lö.ffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 18. Kapitel, Rn. 6. 136 Vgl. Starck, AfP 1978, 171 (175) und Scheer, Deutsches Presserecht, Teil II, § 4, dort Einl. II; Sobotta, Das Informationsrecht der Presse, S. 123 ff.; ein subjektiv-öffentliches Recht aus der im Grundsatzlieh anerkannten öffentlichen Aufgabe verneint indessen Czajka, Pressefreiheit und öffentliche Aufgabe der Presse, S. 160. 137 BVerwGE 70,310 (313); vgl. etwa Wend/, in: v. MUnch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band I, Art. 5, Rn. 35; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht II, § 35, Rn. 62; Herzog, in: Maunz/DUrig, Grundgesetz, Band I, Art. 5 I, II, Rn. 137. FUr den Fall, daß der Landesgesetzgeber seiner Regelungspflicht nicht nachkomme, sei Auskunft im Umfange eines "Minimalstandards" indessen verfassungsunmittelbar zu bejahen, so Schröer-Schallenberg, InformationsansprUche der Presse gegenOber Behörden, S. 36; so auch Ho.ffmann-Riem, AK-GG, Art. 5 Abs. I, 2, Rn. 99; ähnlich bereits Scheuner, VVDStRL, Heft 22 [1965], S. I (78). Das Bundesverfassungsgericht hatte in Fragen des Umfangs presserechtlicher Auskunftsverpflichtungen bislang nicht zu entscheiden. 138 Als Ausnahme nennt das Bundesverwaltungsgericht diejenigen Falle, in denen solchen Grundrechten vom Bundesverfassungsgericht zum Erfolge verholfen wurde, die anders nicht mehr hatten verwirklicht werden können, vgl. BVerwGE 70, 310 (315); dies sind etwa: BVerfUE 33, 303 (330 ff.)- I. Numerus clausus-Urteil; E 35, 79 (114 ff.)- I. Hochschulurteil und aus der Verwaltungsrechtsprechung BVerwGE 27, 360 (362 ff.)- ErsatzschulurteiL 139 Ein Versuch, die Bedeutung der "öffentlichen Aufgabe" ftlr den Prozeß der freien Meinungsbildung rechtlich zu erfassen, gelingt auch dem Bundesverfassungsgericht nicht eindeutig, vgl. die Deutungen in: BVerGE 20, 162 (174 f.); E 31 , 314 (329 und 337 ff. -abweichende Meinung der drei Oberstimmten Richter). Zu den Folgen eines Mißverständnisses Uber die Bedeu-

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Denn abgesehen von den Auslegungsschwierigkeiten bei der verfassungsrechtlichen Begründung des Auskunftsanspruchs muß bereits der Versuch einer greifbaren Bestimmung von Anspruchsgegenstand und Anspruchsinhaber fehlschlagen: Der Inhalt des Begriffs Auskunft unterläge in jedem Streitfall der Unsicherheit gerichtlicher Einzelentscheidungen; und "potentieller Herausgeber von Presseerzeugnissen kann ... jeder sein" 140, so daß der Auskunftsanspruch in die Nähe eines JedermannGrundrechts geriete. Die Jedermann-Rechte im Bereich der Meinungs- und Informationsfreiheit sind jedoch bereits in Art. 5 I I GG beschrieben. Dort ist lediglich von den allgemein zugänglichen Quellen die Rede, nicht vom Zugänglichmachen bestimmter Quellen. d) Entscheidung fiir Rundfunk als Kulturgut Die Schöpfer des Medienbeschlusses sahen neben dem subjektiven Gehalt der Informationsfreiheit mit individuellen Abwehr- und sogar Forderungsrechten auch eine institutionelle Prägung der Medienrechte. Der Rundfunk wurde in Übereinstimmung mit der westlichen Verfassungsrechtsprechung als Kulturgut, nicht als Wirtschaftsgut verstanden. Entgegen der europäischen Tendenz zur Vermarktung des Rundfunks als Dienstleistung fiel die Entscheidung fiir einen Rundfunk als schützenswerten Träger der Kulturl41.

tung der öffentlichen Aufgabe im Bereich der staatlichen Parteienfinanzierung vgl. BVerfGE 20, 56 (96 f.); kritisch Bethge, UFITA, Band 58 [1970], S. 117 (125, m.w.N.); ders., NJW 1982, 2145 (2148 f.), wonach die "öffentliche Aufgabe" lediglich faktisch-soziologisch bedeutsam sei, juristisch hingegen nicht beim Wort genommen werden dürfe; "soziologisches Wichtigkeitsattribut", ders., AöR, 104. Band [1979], S. 54 (286); ablehnend auch Schnur, VVDStRL, Heft 22 [1965], S. 101 (113 ff.). Vgl. die entsprechenden rundfunkrechtlichen Regelungen§ 51 LMedienG Ba.WO.; § 19 HPRG sowie§ 27 RGMV; § 21 TPRG. 140 BVerwGE 39, 159 (164). 141 "Kultur vor Kommerz", Kleinwächter, MP 1990, 133 (134, 136); vgl. auch Wandtke, ZUM 1993, ·587 (587, 591); Wille, ZUM 1991, 15 (19); vgl. dagegen die sog. EG-Femsehrichtlinie vom 3. Oktober 1989, abgdruckt in: MP Dokumentation 11/89, S. 107 ff.; dazu Klute, AtP 1991, 595 ff.; vgl. auch Eberle, AtP 1993, 422 ff.; Schwartz, AtP 1993, 409 ff.; Herrmann, ZUM 1991, 325 (335 ff.); ftlr Niewiarra, ZUM 1991, 351 (355) etwa ist Rundfunk eine Dienstleistung gern. Art. 59 ff.; 128 IV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) i.d.F. vom 7. Februar 1992 wie andere (der EG-Vertrag nennt insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche) Tätigkeiten auch.

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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Über die Veranstaltung privaten Rundfunks wurde keine Einigung erreicht. Das duale System war dem Medienbeschluß fremd142.

2. Verfahrensregelungen a) Medienkontrollrat Kennzeichnend für die Anliegen der Volksvertreter am "Runden Medientisch"143 war die Schaffung eines demokratisch gewählten und unabhängigen Vertrauensträgers für Bürger und Journalisten: Der Medienkontrollrat der DDR 144. Das Gremium sollte die Durchführung des Medienbeschlusses sichern und war außerdem an den Personalentscheidungen zur Ernennung der Hörfunk- und Fernsehintendanten sowie des Direktors der Nachrichtenagentur ADN zu beteiligen 145. Damit kontrollierte der Rat gerade nicht den Rundfunk und seine Mitarbeiter, wie es noch die Aufgabe der ehemaligen Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR gewesen war. Er vertrat vielmehr nach dem Vorbild des schwedischen Ombudsman 146 die Interessen der Öffentlichkeit und der Rundfunkschaffenden. Weiterhin wurden Vorkehrungen zur Verhinderung einer Abhängigkeit von Regierung und privater Wirtschaft getroffen 147. Insgesamt war die Absicht erkennbar, im Rahmen der gesellschaftlichen und politischen Neugestaltung in

142 Lediglich in einem Teilbereich privater Rundfunkveranstaltung ist sozialistischer Ballast abgeworfen worden, indem die Lizenzpflicht ftlr Film- und Rundfunkanbieter aufgehoben wurde, vgl. Ziff. II Abs. I S. 4 Medienbeschluß; dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 31 f. 143 Wandtke, ZUM 1993, 587 (587); Kleinwächter, MP 1990, 133 (133). 144 Dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 34 ff. 14 5 Vgl. Ziff. 12 Medienbeschluß. 146 Vgl. Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 35; Wandtke, ZUM 1993, 587 (591); ftlr die Einsetzung eines Ombudsman im Rundfunk generell Ti/mann, Rechtsschutz filr Medienverbraucher, S. 291; zur Einrichtung des Ornbudsman zum Schutze der Menschen gegen eine vom Staat ausgehende Übermacht Köhler, Ombudsman ftlr deutsche Bundesländer. In Ziff. 15 Medienbeschluß war zusätzlich eine auch im Westen unbekannte direkte Beteiligung der Bevölkerung am Gesetzgebungsverfahren vorgesehen: Das geplante Mediengesetz sollte als Entwurf zunächst in der Öffentlichkeit vorberaten und erst danach den Gesetzgebungsorganen zugeleitet werden. 147 Vgl. Ziff. II Medienbeschluß.

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

der DDR die Abwendung von einem stalinistisch geprägten Mediensystem auch organisatorisch abzusichern. b) Hörfunk- und Fernsehrat Es war die Idee des Medienbeschlusses, den Rundfunk bis zur Errichtung öffentlich-rechtlicher Anstalten so bürgernah wie möglich zu veranstalten und die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben. So waren fiir Hörfunk und Fernsehen jeweils die Bildung gesellschaftlicher Räte vorgesehen148, ähnlich den gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen, denen die Rundfunkaufsicht entsprechend dem Vielfaltserfordernis des Grundgesetzes zugewiesen ist. Während im Westen jedoch allgemein eine parteipolitische Anhindung der Rundfunkräte beklagt wird 149, waren in den neugebildeten Räten des DDRÜbergangsrundfunks parteipolitische Richtungskämpfe eher die Ausnahme; im Vordergrund stand die Sacharbeit150. Anders als in der Bundesrepublik war dies eine gelungene Verwirklichung binnenpluralistischer Rundfunkorganisation. Das Funktionieren der damaligen parteifernen Aufsicht bietet Anlaß zum Überdenken der Rundfunkwirklichkeit im Westen. Diese ist geprägt von parteipolitischen Interessen, die nach dem Muster der parlamentarischen Fraktionsdisziplin bis in die Abstimmungen der Aufsichtsgremien hineinreichen. Nicht selten werden die Kandidaten fiir die Besetzung der Rundfunk- und Verwaltungsratssitze im voraus ausgehandelt und im Wege der Blockwahl ernannt151. 148 Vgl. Ziff. II Abs. I S. 2; 13 S. 3 Medienbeschluß; "Vorläufer der Rundfunkrate in den Lllndem", Spie/hagen, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (9). 149 Mit deutlichen Wendungen wie etwa: "Notwendigkeit politischer Abrllstung", Ho.ffmannRiem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutsch1and, S. 16; "Denaturierung zum Parteienrundfunk", Bullinger, in: /sensee/Kirchhoj, Staatsrecht VI, § 142, Rn. 92; "Pfründen filr Funktionllre", Geiger, AfP 1977, 256 (259 f.); "Dysfunktionalitat der Rundfunkrllte", Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (385); "Zustand verfassungsrechtlicher Illegalitllt", ders., DÖV 1972, 293 (297); vgl. auch Stolleis, VVDStRL, Heft 44 [1986], S. 7 (24) m.w.N. sowie anschaulich Fritz Schenk, Chef vom Dienst beim ZDF, in: Welt der Medien v. 26. Januar 1993: "Es ist nicht wahr, daß die Parteien Einfluß auf die öffentlich-rechtlichen Sender haben - sie gehören ihnen". 150 Vgl. Spie/hagen, damalige Vorsitzende des DDR-Hörfunkrats, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (9); auch Odermann, stellvertretender Vorsitzender des Medienkontrollrates, RuF 1990,377 (383), begrUßt die Erfahrungen mit einem weitgehenden Ausschluß politischer Parteien aus den "gesellschaftlichen Aufsichtsräten"; ders., epd/Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 12. Dezember 1990, S. 5 (7 f.). 151 Vgl. etwa die langwierigen Abstimmungsverhandlungen zur Besetzung der NDR-Verwaltungsratssitze zwischen den politischen Parteien und die Anfechtung dieses Verfahrens vor dem OVG Hamburg, dargestellt z.B. im Hamburger Abendblatt v. 10. und 12. August 1992 sowie 18.

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Möglichkeit einer "Ausrichtung der Kontrollgremien an Parteilinien" 152; eine tatsächliche Geflihrdung des von Verfassungs wegen staats- und gruppenfreien Rundfunks durch den Einfluß von Parteien und Freundeskreise sieht das Gericht indessen bislang nicht. Es bleibt abzuwarten, ob die Karlsruher Richter angesichts der organisatorischen Vielfalt im gewendeten DDR-Rundfunk den Problemkreis des staatlichen Einflusses aufgreifen und eingrenzende Aussagen zur Auswahl der "maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte" des "neutralisierten Trägers" der Rundfunkveranstaltung im binnenpluralen Modell treffen153. Auch wenn dies in den nichttragenden Gründen der Entscheidung, also als obiter dictum, geschähe wäre freilich die unübersehbare Signalwirkung des fiir die Letztentscheidung zuständigen Verfassungshüters gewährleistet. III. Zusammenfassung und Darstellung der weiteren Gesetzgebung Die am Runden Tisch erarbeiteten Grundsätze haben die wesentlichen aus der Bevölkerung kommenden Forderungen verwirklicht 154. In verständlicher

Mai 1993. Nach einer Meldung der Deutschen Presseagentur-Landesdienst Nord v. 27. August 1992 ist der Vorschlag, in den NDR-Verwaltungsrat keine oder nur wenige Parteimitglieder zu entsenden von den Rundfunkratsmitgliedern als "völlig unrealistisch" bezeichnet worden. Dazu sei angemerkt, daß den politischen Parteien von Verfassungs wegen kein einklagbares Recht zusteht, überhaupt in den Rundfunkräten berücksichtigt zu werden, vgl. die Verwerfung eines entsprechenden Antrags der Schleswig-Holsteinischen F.D.P. auf Mitwirkung im Rundfunkrat des NDR durch das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 60, 53 (62 ff.) sowie ausftlhrlich unten 2. Teil 2. Abschnitt A I 3 c; II 3 a bb. 152 Vgl. BVerfGE 83,238 (335); kritische Ansätze bereits in BVerfGE 73, 118 (170 f.). 153 Diese Erwartung erscheint derzeit nicht mehr so verfehlt, wie noch von Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (388) angenommen, da die Einflußnahme politischer Parteien auf den Rundfunk in immer neuen Zusammenhängen sichtbar wird, vgl. jüngst BVerfGE, ZUM 1994, 173 (180, 184 f.) zu den Grenzen staatlicher und politischer Mitwirkung in einer Sachverständigenkommission zur Feststellung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. 154 Vgl. z.B. den Standpunkt des NEUEN FORUM zu Grundlinien einer künftigen Medienordnung, abgedruckt in: RuF, 1990, 462 ff.; die Gemeinsame Erklärung der Mediengewerkschaften in Ost und West zur künftigen Rundfunkstruktur auf dem Territorium der DDR, abgedruckt in: RuF 1990, 466 ff. sowie das Positionspapier des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) v. II. September 1990, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 73 v. 15. September 1990, S. 9 f.; vgl. auch "Überlegungen ftlr die zukünftige Medienordnung in einem vereinten Deutschland", Entwurf der Medienkommission der SPD (West) v. 18. Juni 1990, RuF 1990, 459 fT. und "Eckwerte ftlr die Medienordnung in einem vereinigten Deutschland", Beschluß des Bundesfachausschusses Medienpolitik der CDU (West) am 30. Mai 1990, RuF 1990, 455 ff. Allerdings blieben auch eine Reihe von Vorschlägen und Ideen auf der Strecke, vgl. dazu Wandtke, ZUM 1993, 587 (591); Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 312 ff.; Ho.ffmann-Riem, AfP 1991, 472 (474 f.).

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I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

Reaktion auf die Erfahrungen mit staatsgelenkten Medien sind diese Grundsätze im Bereich der Gruppenpräsenz im Rundfunk, bei der rundfunkinternen redaktionellen Mitbestimmung und bei den Auskunftsansprüchen der Journalisten allerdings so weit geraten, daß die Gefahr einer Übermacht des Rundfunks und der Medien insgesamt als "Vierte Gewalt"155 im Staate nicht mehr auszuschließen war. Daneben hatte die Handhabbarkeit einiger Vorschriften unter den bisweilen unklaren Formulierungen zu leiden. Hervorzuheben ist indessen neben der Einrichtung gesellschaftlicher Räte zur Aufsicht über den öffentlichen Rundfunk der DDR vor allem deren überwiegend parteiferne Arbeit 156. Mit Herstellung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am l. Juli 1990 und dem damit nahegerückten Beitritt der DDR zum Grundgesetz verloren Mediengesetzgebungskommission und Medienkontrollrat, die ja unter der Voraussetzung einer fortbestehenden DDR-Eigenstaatlichkeit gebildet worden waren, an Einfluß. Da der Auftrag der Medienorganisatoren zeitlich auf den Erlaß endgültiger Gesetze befristet war, neigte sich ihr Mandat auch formell dem Ende zu. Ein letzthin noch ausgefertigtes Rundfunküberleitungsgesetz 157 sollte lediglich die Überftlhrung des DDR-Rundfunks in die Fernseh- und Hörfunkordnung des Grundgesetzes bewirken. Es wurde nach sieben Tagen von dem am

155 Verstanden als Zuordnungssubjekt gesetzlicher Kompetenzen mit staatsorganisatorischer Bedeutung. Eine gesetzliche Festlegung der Massenmedien in dieser Weise stößt in der Literatur zu Recht überwiegend auf Ablehnung, da mit Kompetenzen von Staats wegen notwendig auch ebensolche Pflichten einhergehen. Diese sind jedoch nicht mit dem Verfassungsgebot der Staatsfreiheit der Medien vereinbar, vgl. etwa Stern, Staatsrecht II, § 36 V 3 a y, Bullinger, in: Isensee/Kirchhof, Staatsrecht VI, § 142, Rn. 67 mit Fn. 122; Schnur, VVDStRL, Heft 22 [1965], S. 101 (115, dort Fn. 30); a.A. M Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 3. Kapitel, Rn. 25 und Kleinwächter, MP 1990, 133 (133). 156 Obwohl ein beidseitig wirkendes "Reißverschlußverfahren" zwischen der Bundesrepublik und der DDR zur Schaffung einer neuen föderalen Rundfunkordnung stattfinden sollte, sind in den alten Bundestandem bislang keine parteifernen Rundfunkgremien in Sicht, vgl. Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 39; ders., MP 1990, 133 (139); Odermann, RuF 1990,377 (382); Ho.ffmann-Riem, AfP 1991,472 (474 f.). 157 Rundfunküberleitungsgesetz der DDR vom 14. September 1990 (GBI. DDR I, S. 1563); dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundeslandem, Rn. 58 ff.; Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (16, dort Fn. 34); Wille, ZUM 1991, 15 (20); Odermann, RuF 1990, 377 (382) und epd!Kirche und Rundfunk Nr. 76 v. 26. September

1990, s. 7.

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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3. Oktober I 990 irrkraftgetretenen Einigungsvertrag überholt und darin nicht zur Weitergeltung bestimmtl58.

Vorher schon war durch ein DDR-Gesetz die Treuhandanstalt gegründet worden 159. Ihr Weiterbestehen auch nach dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz wurde in Art. 25 des Einigungsvertrags geregelt. Der Treuhandauftrag zur Privatisierung und Sanierung der früheren volkseigenen Betriebe ließ den Rundfunk jedoch unberührt. In den medienrechtlichen Zuständigkeitsbereich der Treuhandanstalt fielen im wesentlichen die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen, um die alsbald ein heftiger Wettbewerb westdeutscher und internationaler Verlage ausbrach. Der einsetzende "Wildwuchs" im Pressebereichl60 blieb im Rundfunk jedoch aus, denn der flächendeckenden Versorgung mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk war durch Gesetz Vorrang vor der Zulassung von Privatfunk eingeräumt worden 161. Außerdem kontrollierte die Deutsche Post, später die Telekom, die rur den Rundfunk erforderliche Sendetechnik. B. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990

In Art. 1 I des Eingungsvertrags (EV) 162 ist der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland geregelt worden. Mit dem Wirksamwerden dieses Beitrittsam 3. Oktober 1990 wurde der Geltungsbereich des Grundgesetzes auf die runf noch von der DDR-Volkskammer neugegründeten Bundesländer und auf Ost-Berlin ausgeweitet 163 ; gleichzeitig ist die DDR als Rechtssubjekt erloschen.

158 Vgl. Art. 9 111 Einigungsvertrag; bisweilen wird allgemein das "normative Defizit des Einigungsprozesses" beklagt, so Habermas, Die Zeit Nr. 20 v. 10. Mai 1991, S. 63; ähnlich Wille, ZUM 1991, 15 (15). 159 Treuhandgesetz der DDR vom 17. Juni 1990 (GBI. DDR I, S. 300). 160 Ho.ffmann-Riem, AfP 1991, 472 (475, 479); Einzelheiten bei Muzik, Die Medienmultis, s. 40 ff. 161 Damit wurde der Verfassungsauftrag zur Sicherung des technischen Vorrangs ftlr die der Grundversorgung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erftlllt, vgl. BVerfGE 73, 118 (158) und E 83, 238 (298); vgl. auch einen entsprechenden Beschluß des Landtags von Sachsen-Anhalt, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 31 v. 24. April 1991, S. 9; dazu Bullinger, AfP 1991,465 (470); Ho.ffmann-Riem, AfP 1991,472 (481). 162 Vgl. auch das Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands- Einigungsvertragsgesetz- v. 23. September 1990 (BGBI. II, S. 885). 163 Vgl. Art. 3 EV; sowie DDR-Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik v. 22. Juli 1990- Ländereinftlhrungsgesetz- (GVBI. I S. 955) iVm Art. I I 2 EV.

62

I. Teil: Rundfunk in Deutschland bis zum 31. Dezember 1991

I. Regelung des Rundfunks durch den Bund

Die letzten fiir den ehemaligen DDR-Rundfunk bedeutsamen gesetzlichen Regelungen finden sich in den Art. 13, 20 und insbesondere in Art. 36 EV. Darin hat der Bundesgesetzgeber Teile der ursprünglich den neuen Ländern zustehenden Rundfunkkompetenz wahrgenommen. I. Zuständigkeit Damit ist von dem in Art. 70 I GG verankerten Grundsatz der Länderzuständigkeit abgewichen worden, ohne daß sich dies aus den Zuständigkeitskatalogen der Art. 72 ff. GG ergeben hättel64. Gleichwohl ist die Rechtfertigung fiir eine Regelung des Rundfunks durch den Bund angesichts der deutschen Wiedervereinigung im Grundgesetz zu finden. Gemäß Art. 23 S. 2 GG (a.F.) und in Verwirklichung des im letzten Satz der Präambel (a.F.) formulierten Verfassungsauftrags 165 war der Bund verpflichtet, auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit hinzuwirken und im gegebenen Falle deren Voraussetzungen gesetzlich zu regeln 166. "Für die damit zwangsläufig verbundenen, unaufschiebbaren gesetzgeberischen Aufgaben ergibt sich daraus zugleich eine entsprechende aus der Natur der Sache folgende Gesetzgebungskompetenz" 167. Die Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk ist eine solche unaufschiebbare gesetzgeberische Aufgabe als "eine Art der modernen Daseinsvorsorge" 168. Mithin war der Bund zuständig fiir eine sofortige Wahrnehmung der Rundfunkgewährleistungspflicht.

Vgl. auch BVerfGE 12, 205 (225 ff.). "Dem Vorspruch des Grundgesetzes kommt nicht nur politische Bedeutung zu, er hat auch rechtlichen Gehalt. Die Wiedervereinigung ist ein verfassungsrechtliches Gebot", BVerfGE 36, I (17). 166 Vgl. BVerfGE 84, 90 (118); E 84, 133 (148); E 82, 316 (320); E 36, I (17); E 5, 85 (127 f.). 167 BVerfGE 84, 133 (148); grundlegend zur Gesetzgebungkraft "Natur der Sache" das ver· fassungsgerichtliche Rechtsgutachten BVerfGE 3, 407 (421 f.); Hasper, ZUM 1991, 272 (283) geht fehl, wenn er die Übergangszuständigkeit des Bundes mit knappem Verweis auf Art. 30 GG in Abrede stellt. 16S BVerwGE 39, !59 (168); E 60, 162 (208). 164

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2. Grenzen Diejenigen gesetzlichen Maßnahmen, die im Gefolge der Ausgestaltung der staatlichen Wiedervereinigung vom Bundesgesetzgeber getroffen wurden unterliegen, neben dem für alle Gesetze dieser Art geltenden Verhältnismäßigkeitsgebot169, im Bereich des Rundfunks zusätzlich dem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz von der wechselseitigen Pflicht des Bundes und seiner Gliedstaaten zu bundesfreundlichem Verhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits früh festgestellt, daß der Satz vom bundesfreundlichen Verhalten auch bei Maßnahmen des Bundes auf dem Gebiete des Rundfunks von grundsätzlicher Bedeutung istl70. Durch die Regelung der Rahmenbedingungen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik im Einigungsvertrag ist zwischen dem Bund und den hinzugetretenen Gliedstaaten der erloschenen DDR ein Rechtsverhältnis entstanden, das filr die hier in Rede stehende Rundfunkversorgung eine vorläufige Einstandspflicht des Bundes begründet 171 . Es war Inhalt dieser Pflicht, daß der Bund die Rundfunkangelegenheiten der Länder solange regeln mußte, aber auch nur solange regeln durfte, bis diese organisatorisch und personell zum Erlaß eigener Gesetz in der Lage waren. Diesem Umstand trugen die vorgenannten Bestimmmungen durch ihre begrenzte Geltungsdauer und die geringe Intensität ihres Regelungsgehalts Rechnung 172. li. Art. 13 III Nr. 2; I, li iVm Anlage I Kapitel li Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 9 Einigungsvertrag - Rundfunk als Einrichtung der öffentlichen Verwaltung

Diese Regelung betraf den Übergang der im Dienste der öffentlichen Verwaltung der DDR stehenden Einrichtungen auf die neuen Bundesländer. Sie stellte klar, daß auch der DDR-Rundfunk zu den Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung gezählt wurde.

169 Vgl. etwa BVerfGE 84, 133 (152). 170 Vgl. BVerfGE 12, 205 (255) unter Hinweis auf die Herleitung aus dem Bundesstaatsprinzip, dazu BVerfGE 8, 122 (138) sowie BVerfGE I, 299 (315) und E 117 (131). 171 Pflichten aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens sind akzessorischer Natur und können aus sich heraus keine Verbindlichkeit begrUnden, vgl. BVerfGE 42, 103 (117); Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 294. 172 Vgl. 2. und 3. Absatz der Denkschrift zum Einigungsvertrag (Art. 36), BT-Drucksache 1117760, S. 355 (374).

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Auf Grundlage dieser Regelung ist "Radio Berlin International", der ehemalige Auslandshörfunk der DDR in die Zuständigkeit des Bundes übergegangen und von diesem unmittelbar durch den Einigungsvertrag aufgelöst worden. Der frühere Ost-Berliner "Deutschlandsender" wurde dazu bestimmt gemeinsam mit dem RIAS Berlin und dem Deutschlandfunk in einem bundesweiten Hörfunk, dem "DeutschlandRadio" aufzugehen. Bis zu dessen Schaffung hatte die Bundesregierung die Einrichtungen des DDR-Deutschlandsenders der ARD und dem ZDF gemeinsam Uberantwortet 173 . "Rundfunk der DDR" und "Deutscher Femsehfunk" wurden dagegen gemäß Art. 36 EV weitergeftihrt. III. Art. 20 I iVm Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Einigungsvertrag - Übergangsregelung ftir die Rundfunkmitarbeiter Entsprechend der organisatorischen Einordnung des DDR-Rundfunks in die öffentliche Verwaltung waren die Rundfunkmitarbeiter Angehörige des öffentlichen Dienstes 174. Für sie galten vom Zeitpunkt des Beitritts an besondere Übergangsrege Iungen: Die Arbeitsverhältnisse derjenigen Bediensteten, die in aufzulösenden Bereichen des DDR-Rundfunks tätig waren, wurden ausgesetzt und unterlagen der allgemeinen "Warteschleifen"-Regelung 175. Die beim "Rundfunk der DDR" und beim "Deutschen Femsehfunk" Bediensteten blieben davon zunächst unbeeinträchtigt. Ihr neuer Arbeitgeber war die "Einrichtung zur Weiterftihrung des Rundfunks gemäß Art. 36 EV". Im Hinblick auf die erhebliche Überbesetzung des Rundfunks und auf die Vorbelastung von Teilen des Rundfunkpersonals wurde jedoch noch einmal eine große Zahl von Kündigungen ausgesprochen. Die rechtlichen Möglichkeiten zur Lösung von Arbeitsverhältnissen, insbesondere zur außerordentlichen Kündigung waren durch den Einigungsvertrag im Vergleich zum Kündigungsschutz des allgemeinen Arbeitsrechts wesentlich

173 Vgl. Art. 5 § 3 RuFu-StV und die Protokollerklärung aller Länder zu Art. 5 § 3 II RuFuStV im Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz zur Unterzeichnung des Rundfunkstaatsvertrags am 31. August 1991, abgedruckt bei Ring, Medienrecht II, C-0, "1. Protokollerklärungen". Zur Neuordnung des Bundesrundfunkwesens Gabriel-Bräutigam, DVBI. 1990, 1031 (1037). 174 Zur begrifflichen Unscharfe dieser Wendung im Verhältnis der beiden deutschen Staaten untereinander vgl. BVerfGE 84, 133 (149). 175 Darin waren Wartegeld sowie Um- und Fortbildungsmaßnahmen vorgesehen, bis eine Weiterverwendung des Bediensteten oder die endgültige Auflösung des Dienstverhältnisses feststand; die Rechtmäßigkeit dieser Regelung ist verfassungsgerichtlich bestätigt worden, vgl. BVerfGE 84, 133 ff.

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erweitert worden. Während eine ordentliche Kündigung weiterhin nur aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt176 war, wurden die Voraussetzungen ftlr die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist und damit der erforderliche wichtige Grund 177 filr eine außerordentliche Kündigung gesetzlich erweitert. Der Einigungsvertrag trug der besonderen Situation in der ehemaligen DDR Rechnung, indem er als Regelbeispiele eines wichtigen Grundes Verstöße gegen die Menschlichkeit oder gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Tätigkeit filr das frühere Ministerium ftlr Staatssicherheit/Amt ftlr nationale Sicherheit aufzählte. IV. Artikel36 Einigungsvertrag- der "Einrichtungs"-Rundfunk Diese Vorschrift bestimmte, daß sowohl der Hör- als auch der Fernsehfunk vorläufig, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 1991 in der Rechtsform einer gemeinschaftlichen, staatsunabhängigen, rechtsfähigen Einrichtung der neuen Bundesländer und des Landes Berlin weitergefilhrt würden. Zur Handlungsfähigkeit verhalfen ihr ein Rundfunkbeauftragter sowie ein achtzehnköpfiger Rundfunkbeirat als Organe. Auftrag der Einrichtung war die übergangsweise Versorgung der Bevölkerung mit Hörfunk und Fernsehen nach den allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bis zum 31. Dezember 1991 mußte die Einrichtung durch einen gemeinsamen Staatsvertrag der neuen Länder entweder aufgelöst oder in öffentlich-rechtliche Anstalten einzelner oder mehrerer Länder überfUhrt werden, andernfalls war sie mit diesem Datum unmittelbar kraft Gesetzes aufgelöst. Ein entsprechender Staatsvertrag ist indessen nicht geschlossen worden, denn jedes Bundesland hatte am Ende des Jahres 1991 die gesetzlichen Vorbereitungen ftlr einen neugegründeten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohne Einbeziehung der Übergangseinrichtung getroffen 178. Dies erftlllte gleichzeitig deren im Eini176 Vgl. § I I, II KSchG sowie Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt lli Nr. I Abs.4 EV. 177 Vgl. § 6261 BGB; zur Erläuterung des Begriffs vgl. Putzo, in: Palandt, BGB, § 626, Rn. 37 ff. 178 Vgl. Staatsvertrag Uber den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) v. 30. Mai 1991 mit den Zustimmungsgesetzen der beteiligten Länder Sachsen (Gesetz v. 27. Juni 1991, GVBI. S. 169), Sachsen-Anhalt (Gesetz v. 25. Juni 1991, GVBI. LSA S. II I) und Thüringen (Gesetz v. 25. Juni 1991, GVBI. S. 118); Gesetz Uber den "Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg" (ORB-Gesetz) v. 25. September 1991 (GVBI. Brbg. S. 472); Gesetz zur übergangsweisen Regelung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Mecklenburg-Vorpommem v. 28. November 1991 5 Wilhelmi

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gungsvertrag niedergelegten Auflösungstatbestand. Doch obwohl das von Art. 36 EV geschaffene Gebilde selbst nicht mehr existiert, hat dessen vierzehnmonatiges Bestehen Bedeutung über diesen Zeitraum hinaus. Bei rückblickender Betrachtung begegnen der Einrichtung und dem Wirken ihrer Organe einige verfassungsrechtliche Bedenken. 1. Die Einrichtung, ihre Organe und die Staatsfreiheit Der Einigungsvertrag enthielt in seinem Art. 36 I den gesetzlichen Auftrag zur Weiterführung des früheren DDR-Rundfunks durch die Einrichtung. Eine genauere Beschreibung ihrer Aufgaben wurde der Einrichtung nicht beigegeben, weshalb sich hinter der gewählten Bezeichnung eher ein bloßer Name als ein organisationsrechtlicher Funktionshinweis verbarg. Die Rechtsnatur der Einrichtung blieb nach dem Wortlaut des Art. 36 EV unklar. Nach den Maßstäben des allgemeinen staatlichen Organisationsrechts zeichnete sich jedoch das Bild einer durch Gesetz begründeten, selbstverwalteten und rechtsfähigen öffentlichen Körperschaft mit anstaltlichem Einschlag ab. Bei dieser Bewertung wird nicht verkannt, daß sich die Rechtsnatur der Körperschaft und diejenige der Anstalt nach gewichtiger Lehrmeinung grundsätzlich ausschließenl79. Dennoch waren in der Einrichtung beiderlei Elemente vereinigt: Sie wurde materiell von den neuen Ländern als einer Vielheit von (Körperschafts-)Mitgliedern getragen, gleichzeitig aber aus der staatlichen Ver-

- Vorschaltgesetz -, abgedruckt in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 95 v. 4. Dezember 1991, S. 23. Dadurch erübrigte sich die zeitweilig gestellte Frage nach einer "Notkompetenz" der Einrichtung zur Weiterfilhrung des Rundfunks Ober den 31. Dezember 1991 hinaus, vgl. Ricker, AfP 1991, 482 (483); weiterhin den Tagungsbericht in: AfP 1991, 510 (511), wonach der Rundfunkbeauftragte erklärt hat, er mache auch ohne gesetzliche Grundlage weiter; vgl. weiter Bethge, AfP 1992, 13 (14); Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundeslllndem, Rn. 83 f. 179 So Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, § 84 I 3 (Rn. 3 f.), III (Rn. 17 ff.), IV (Rn. 33 ff.); § 98 I I a-e (Rn. 1), I 3 (Rn. 13 m.w.N.), insbesondere zur rechtsgeschichtlichen Herleitung des Anstaltsbegriffs; vgl. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 III; Rudolf, in: Erichsen!Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 56 Rn. 15. Eine abschließende verfassungs-

oder verwaltungsrechtliche Begriffsbestimmung fehlt jedoch, das räumen auch Wolf/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht II, § 98 I h (Rn. 6 f.) ein; ähnlich Forstho.ff, Verwaltungsrecht I, § 25 I 2 (S. 491): "zahlreiche Mischformen"; die "Multifunktionalität der öffentlich-rechtlichen Anstalt ... als variables Mehrzweckinstrument der öffentlichen Verwaltung im modernen Rechts- und Sozialstaat" betont Breuer, VVDStRL, Heft 44 [1986], S. 213 (223, 231) in seinem Bemühen, die "eingeschlafene Diskussion" um den Anstaltsbegriff Otto Mayers wiederzubeleben; vgl. auch BVerwGE 32, 299 (301 f.).

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waltung ausgegliedert, um in anstaltsartiger Organisationsform, selbstverwaltet die Rundfunkversorgung als gesetzliche Aufgabe zu erfiillen 180. Die Einrichtung erlangte ihre Handlungsfähigkeit mit der Bildung zweier Organe - Rundfunkbeauftragter und Rundfunkbeirat181. Unstimmigkeiten ergaben sich sowohl beim Wahlverfahren zur Ernennung des Beauftragten als auch hinsichtlich der Vorschriften zur Errichtung des Beirats. a) Der Rundfunkbeauftragte Der Leiter der Einrichtung wurde am 15. Oktober 1990, dem Tag nach den ersten Landtagswahlen in den neuen Ländern gewählt. Da zu diesem Zeitpunkt die in Art. 36 Ili 1 EV als vorrangiges Wahlgremium benannte Volkskammer nicht mehr bestand, blieb nur noch die in Satz 2 der Rechtsgrundlage hilfsweise vorgesehene Ernennung durch die Landessprecher182 und den Oberbürgermeister von Berlin. Die Landessprecher haben jedoch nicht persönlich gewählt, sondern ihre jeweiligen Vertreter zur Wahl des Rundfunkbeauftragten bestimmt, ohne daß ein solcher Weg in Art. 36 EV eröffnet gewesen ist. Diese gewillkürte Vertretung fand keine Rechtfertigung durch zwingende persönliche Hinderungsgründel83_ Die Fragen nach der gesetzlichen Legitimation der Wahlvertreter und damit des Rundfunkbeauftragen seien an dieser Stelle nur angedeutet 184. Zur Vermeidung von Zweifelsfragen hätte etwa eine Ernennung

180 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stellt eine Einrichtung dem Wortsinne nach jedenfalls eine "organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit" dar, vgl. BVerfGE 84, 133 (151). 181 Vgl. Art. 36 II bis IV EV; dazu Kleinwächter, in: Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundeslllndem, Rn. 77 ff. 182 Deren Aufgabe war die vorläufige Wahrnehmung der jeweiligen Landesinteressen, vgl. epd!Kirche und Rundfunk Nr. 81 v. 13. Oktober 1990, S. 18 und Stern ("Regierungsbeauftragte"), Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit im Einigungsvertrag, S. 23; zur vorläufigen Einsetzung staatlicher Organwaller im Bereich gemeindlicher Selbstverwaltung vgl. Pappermann, DVBI. 1972, 753 ff.; Bad. VGH, VwRspr. 4. Band (1952], S. 197 ff. 183 Vgl. Protokoll der Wahl des Rundfunkbeauftragen, abgedruckt in: FUNK-Korrespondenz Nr. 42 v. 19. Oktober 1990, "Dokumentation Medienpolitik", S. 26; zur Unvertretbarkeit von Organkompetenzen Wol.ff/Bachoj, Verwaltungsrecht II , § 75 I j I, 2 (Die Ausfilhrungen finden sich derzeit allerdings nur in der vierten Auflage des Lehrbuchs. Auf diese ist vorläufig zurückzugreifen, weil die aktuelle filnfte Auflage neu gegliedert und der Abschnitt "Organe" nicht mehr darin enthalten ist). 184 Dazu näher Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (479), der eine "verfassungsrechtlich ... brüchige ... Exekutivnähe des Auswahlverfahrens" feststellt; ähnlich Bullinger, AfP 1991 , 465 (468); Frank, KJ I992, 463 (468 f); vgl. auch die kritische Berichterstattung in der Branchenpresse zu Person und Ernennung des Rundfunkbeauftragten, etwa in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 77 v. 29. September 1990, S. 10; Nr. 81 v. 13. Oktober 1990, S. 18; Nr. 82 v. 17. Oktober

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des Beauftragten durch das weitere Organ der Einrichtung, den Rundfunkbeirat, in Erwägung gezogen werden können. b) Der Rundfunkbeirat Gemäß Art. 36 IV 1, 2 EV waren von den Landtagen der fiinf neuen Bundesländer und von der Berliner Stadtverordnetenversammlung jeweils drei und damit insgesamt "18 anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als Vertreter gesellschaftlich relevanter Gruppen" zu wählen 185. Ob mit dieser Regelung die in Art. 36 I 1 EV festgelegte Vorgabe der Staatsunabhängigkeit eingelöst wurde, ist zweifelhaft. Denn sowohl die Auswahl der gesellschaftlich relevanten Gruppen als auch die Ernennung der diese Gruppen vertretenden Persönlichkeiten lagen ausschließlich bei den staatlichen Gesetzgebungskörperschaften der Beitrittsländer. Dies ist nahezu einzigartig im Vergleich zu den Landesrundfunkordnungen in den alten Bundesländern. Dort werden die Kollegialorgane im öffentlichrechtlichen und im privaten Rundfunk in der Mehrzahl nach einem ständischen Entsendungssystem gebildet 186 : Die gesellschaftlich relevanten Gruppen sind vom Gesetzgeber im voraus abstrakt-generell festgelegt. Die Ernennung und Entsendung ihrer Repräsentanten bleibt der Selbstbestimmung dieser Gruppen überlassen. Lediglich die den Gesetzgebungsorganen selbst zustehenden Vertreter werden direkt vom Parlament gewählt und entsandt. In anderen Fällen hat sich der Gesetzgeber statt dessen fiir ein parlamentarisches VorschlagAuswahl-System entschieden. Auch darin sind die ausgewählten Gruppen mit gesellschaftlicher Bedeutung bereits gesetzlich vorgeschrieben. Doch an Stelle eines Entsendungsrechts steht ihnen lediglich das Recht zu, dem Gesetzgeber eine Kandidatenliste zu dessen Auswahl vorzuschlagen !87 .

1990, S. 5; Nr. 85 v. 27. Oktober 1990, S. 3 f., 9. 185 Eine namentliche Auflistung findet sich etwa in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 100/101 v. 19. Dezember 1990, S. 15. 186 Vgl. Art. 6 II, II1 BayRG; § 5 II HessRuFuG; § 17 I, IV NDR-StV; §§ 8 I; 9 1-III RBG; § 16 I, II SaarlRuFuG; § 6 III, IV SFB-Satzung iVm § 2 SFB-G; § 411, III SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-G; § II I SWF-StV; § 1711-V WDR-Gesetz sowie§ 65 I, II LMedienG Ba.-WU.; Art. 13 I, II BayMG; § 36 1-III BremLMG; § 39 I, IV HPRG; § 30 I, II NdsLaRuFuG; §55 II-V LRG NW; § 45 1-III LRG Rh.-Pf.; § 2411-VI LRG S.-H. 187 Vgl. §§ 3 11-IV, 7 II-IV DW/DLF-Gesetz und § 21 I, III, IV ZDF-StV, wonach bei

näherem Hinsehen ein Mischverfahren unter Einbeziehung ständischer Komponenten mit einem jeweils unterschiedlichen hohen Anteil von staatlich ausgewählten Gremienmitgliedern Anwendung findet. Nur im Harnburgischen Mediengesetz ist ein reines Vorschlag-Auswahl-System

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Das hier soeben als ständisches System beschriebene Verfahren wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als ein die Freiheit des Rundfunks gewährleistendes und deshalb zulässiges Mittel zur staatsfreien Rundfunkaufsicht bezeichnet 188 . Und auch das Vorschlag-Auswahl-System zur Herstellung von Vielfalt in kollegialen Rundfunkorganen wird grundsätzlich noch in Übereinstimmung mit Art. 5 I 2 GG zu sehen sein 189. Denn dem weitreichenden staatlichen Einflußbereich können sich die Gruppen durch entsprechende Gestaltung ihrer Vorschlagslisten letzthin wirksam entziehen und auf diese Weise den staatlichen Einfluß wieder eingrenzen. Ein ausschließlich beim Gesetzgeber liegendes Auswahl- und Ernennungsverfahren wie im Fall des Art. 36 IV 1, 2 EV reicht indessen schon weit in die Verbotszone bestimmender staatlicher Einflußnahme hinein. Der grundsätzlich "weite Gestaltungsraum"190 des Gesetzgebers enthält dafilr keinen entsprechenden Kompetenztitel. Die Regelung war deshalb zu unbestimmt, um der Möglichkeit einer Auslieferung der Einrichtung an den Staat wirksam zu begegnen. Durch Art. 36 IV EV war nicht sichergestellt, daß die Allgemeinheit auch tatsächlich in ihrer Vielfalt repräsentiert wurdel91. Zwar sollte der Einrichtungsrundfunk

verwirklicht worden (vgl. § 55 11, lll HmbMedienG), welches Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 197 als verfassungswidrig kritisiert: "Dieses Verfahren läßt befUrchten, daß nur parteipolitisch 'genehme' Kandidaten nominiert werden" (einfache AnfUhrungszeichen im Original); ähnlich Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 122 ff. Die Grenze zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeil wegen Verstoßes gegen das Staatsfreiheitsgebot dUrfte jedenfalls dann überschritten sein, wenn der Gesetzgeber - direkt oder indirekt - selbst die Mehrheit der Gremienmitglieder bestimmt, vgl. Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 48 f. 188 So schon BVerfGE 12, 205 (261 f.); zuletzt E 83, 238 (326 f., 333) mit Hinweis auf die entsprechende Zulässigkeil bei der externen Kontrolle privater Rundfunkanbieter; eher ablehnend Starck, ZRP 1970,217 (218 f.), da es sowohl an der pluralistischen Repräsentation als auch an der demokratischen Legitimation der ausschließlich ständisch geprägten Aufsichtsgremien fehle. 189 Dieses Verfahren dUrfte auch Rossen, ZUM 1992, 408 (412 ff.) noch genügen; bejahend A. Hesse, DÖV 1986, 177 (187); dagegen Jarass, ZUM 1986, 303 (318); ebenfalls zustimmend Stern/Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 65 f.; aus der Rechtsprechung vgl. OVG LUneburg, DÖV 1979, 170 (171 f., m. zust. Anm. Kewenig) mit der- allerdings inzwischen vom Bundesverfassungsgericht überholten (BVerfGE 83, 238 [301 f., 333 f.] ; vgl. dazu die abw. Meinung in BVerfGE 31 , 315 [338 ff.])- Begründung, die Beteiligung gesellschaftlich relevanter Gruppen stehe im Dienst der gruppeneigenen Interessen. Weil der einzelne BUrger an der Wahrnehmung des ausschließlich ihm zustehenden Rundfunkgrundrechts gehindert sei, müsse er sich wenigstens über die ihn repräsentierende Gruppe an der Rundfunkorganisation beteiligen dürfen. 190 BVerfGE 83, 238 (334). 191 Dazu BVerfGE 57, 295 (330 f.); die Liste der tatsächlich gewählten Persönlichkeiten vermag solche Zweifel kaum zu entkräften, abgedruckt in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 100/101 v. 19. Dezember 1990, S. 15. Ablehnend gegenüber diesem Modell, dem übrigens der Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg nachgebildet ist (vgl. § 11 I StV-BB) A. Hesse, DÖV 1986, 177 (186); Rossen, ZUM I992, 408 (412 ff.); wohl auch Kleinwdchter, in: Kresse, Die Rundfunk-

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staatsunabhängig sein, doch bestand aufgrund des Verfahrens zur Beiratsbesetzung die Besorgnis einer - verständlichen - Loyalität der ernannten Persönlichkeiten gegenüber den berufenden Staatsorganen. Es könnte eingewendet werden, daß eine abstrakt-generelle Bestimmung der gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen aus der Sicht des Art. 36 EV kaum möglich war, weil sich in einer Gesellschaft, die vor kurzem erst ein zentral gelenktes Herrschafts- und Überwachungssystem überwunden hatte noch überhaupt keine Interessenverbände zusammenfinden und organisieren konnten 192 . Dem ist entgegenzuhalten, daß in den Art. 36 EV für den Fall eines tatsächlich vorgefundenen Mangels an bereits organisierten Meinungsträgem jedenfalls Sicherungen zur Abwehr einer möglichen Auslieferung an den Staat hätten eingebaut werden müssen. Dabei wäre etwa nach dem Vorbild der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht an das Erfordernis einer qualifizierten ZweiDrittel-Mehrheit zu denken. Auch Regelungen zur Unvereinbarkeit von Staatsamt und Beiratssitz sowie zur Weisungsunabhängigkeit der Beiratsmitglieder hätten im Dienste des Rundfunkfreiheitsgedankens gestanden. Schließlich war die Möglichkeit gegeben, Minderheitsfraktionen in den Landtagen gesetzlich mit einem eigenen Vorschlagsrecht auszustatten. Eine unzulässige Bevormundung der noch nicht handlungsfähigen neuen Bundesländer wäre auf diesem Weg im übrigen nicht eingetreten, da sie bereits ab dem Zeitpunkt des Beitritts an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks gebunden waren 193 . c) Das Zusammenwirken der Organe Der Rundfunkbeauftragte wurde in Art. 36 III 2 iVm I 2 EV zur Leitung und zur Vertretung der Einrichtung bestimmt. Er hatte ferner dafür Sorge zu tragen, daß die Bevölkerung "nach den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichrechtlichen Rundfunks mit Hörfunk und Fernsehen" versorgt würde. Daneben war ein ausgeglichener Haushaltsplan aufzustellen 194. Der Rundfunkbeirat

ordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 81. 192 Das gibt Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (10, dort Fn. 3) zu Bedenken; ahnlieh Spie/hagen, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (9). Notwendigkeit und Funktion der Verbände im demokratischen Willensbildungsprozeß beschreibt Kaiser in: 1sensee/Kirchhof, Staatsrecht 11, § 34, Rn. 2 ff. 193 Vgl. Art. 3 EV. Der Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Art. 36 I 2 EV hatte insofern nur bestätigende Eigenschaft. 194 Diese Aufgaben waren mit dem gesetzlichen Auftrag eines Intendanten vergleichbar, so

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hatte gemäß Art. 36 IV 3, 4 EV "in allen Programmfragen ein Beratungsrecht und bei wesentlichen Personal-, Wirtschafts- und Haushaltsfragen ein Mitwirkungsrecht". Außerdem war dem Gremium ein Recht zur Abberufung und zur Neuwahl des Einrichtungsleiters jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit eingeräumt worden 195 . Gemessen an diesen normativen Vorgaben stellt sich indessen die Frage, ob der Rundfunkbeauftragte bisweilen seine internen Befugnisse überschritten und damit die Wirksamkeit der Einrichtungsmaßnahmen in Frage gestellt hat. Entsprechende Kritik hat die Arbeit der Einrichtung während ihres gesamten Bestehens begleitet 196. Die Leitungsfunktion des Beauftragten war intern begrenzt durch die Beteiligungsrechte des Beirats. Eine detailgenaue Beschreibung und Abgrenzung der Rechtspositionen im Innenverhältnis der Einrichtung ist bei der Beurteilung der Außenwirkung nicht erforderlich. Denn die internen Befugnisse der Organe einer juristischen Person sind grundsätzlich getrennt vom Außenverhältnis der zugehörigen juristischen Person zu betrachten. Das gilt im bürgerlichen, im Straf- und im Handelsrecht ebenso wie auf dem Gebiet des Rundfunkrechts 197. Unbeschadet der organschaftliehen Verantwortung und

etwa Ho.ffmann-Riem, Afl> 1991, 472 (479). 195 Diese nur knapp geregelte Verteilung der Kompetenzen entspricht im wesentlichen dem Kern der deutlich umfangreicheren Aufgabenkataloge westlicher Rundfunkgesetze und -Staatsverträge, vgl. Art. 7 III BayRG; § 9 HessRuFuG; 18 II, IIJ NDR-StV; § 10 RBG; § 15 II, III SaarlRuFuG; § 7 I SFB-Satzung iVm § 2 SFB-G; § 5 SDR-Satzung iVm § 3 I SOR-G; § 9 SWFStV; § 16 II, III WDR-G. Der Einrichtungsbeirat hatte im Programmbereich zwar lediglich ein Recht zur Beratung, doch stand dem Gremium bei Verstößen des Beauftragten gegen öffentlichrechtliche Programmgrundsätze (vgl. Art. 36 I 2 EV) die wohl harte aber zugleich effektive Sanktion der Abberufung zu. Insgesamt war die gesetzliche Stellung des Beirats stark genug, um seiner Funktion gerecht zu werden; vgl. dagegen BVerfGE 57, 295 (330 f.), wo ein Rundfunkbeirat zu beurteilen war, der vom Bundesverfassungsgericht wegen seiner gesetzlichen Beschränkung auf bloße Beratung, Erörterung und Empfehlung als ungeeignet zur Vielfaltssicherung angesehen wurde. 196 Neben den Beanstandungen von außen (vgl. etwa Ho.ffmann-Riem, Afl> 1991, 472 [480]; Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 [17 f.]; Bul/inger, Afl> 1991, 465 [468]; Ricker, Afl> 1991, 482 ff.) war auch innerhalb der Einrichtung Nervosität erkennbar: Beiratsmitglied GUnter Gaus verließ das Gremium vorzeitig mit der Erklärung, dies sei die "Ohnmachtsveranstaltung" eines "Hampelmännervereins", epd/Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 14 f.; ein Antrag des Beiratsmitglieds Wilfried Hampel auf Abberufung des Beauftragten hatte keinen Erfolg, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 88 v. 9. November 1991; S. 10 f., Nr. 90 v. 16. November 199I , S. 16; mit Stilverfehlungen im "rechtsdUnnen Raum" wird die Führungsarbeit in epd/Kirche und Rundfunk Nr. 95 v. I. Dezember 1990, S. 3 bezeichnet; "zu entscheiden hatten wir nichts", so die Bilanz des Beiratsmitglieds Lutz Borgmann, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 83 v. 23. Oktober I991, S. IS. Der Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl, Afl> 1991, 510 (511) rechtfertigte seine Entscheidungsfreude mit Zeitdruck und Handlungsbedarf. 197 Wie Stern!Bethge, Rechtsstellung des Intendanten, S. 37 ff. veranschaulicht haben. Dort

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dienstvertragliehen Haftung des Beauftragten bei Mißbrauch oder Überschreitung seiner Geschäftsfiihrungsbefugnis im Innenverhältnis198, kam seinen Maßnahmen als Vertretungsorgan der Einrichtung jedenfalls verbindliche Außenwirkung zu. 2. Einzelne Maßnahmen der Einrichtung in der Kritik Eine der ersten Maßnahmen der Einrichtung war die Neuordnung der Femsehfrequenzen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR im Dezember 1990: Das Programm ·oFF I wurde eingestellt und über dessen Senderkette das westdeutsche ARD-Gemeinschaftsprogramm ausgestrahlt. Auf bis dahin weitgehend ungenutzte Frequenzen wurde das Programm des ZDF aufgeschaltet OFF 2 schließlich wurde in DFF-Länderkette umbenannt, produzierte Zulieferungen fiir die ARD und sendete zudem ein von der Einrichtung selbst getragenes Femsehprogramm. In diesem Programm fanden sich mehrere beim Publikum beliebte Sendungen der beiden ehemaligen DDR-Sender sowie ein Anteil, den Eins plus, der ehemalige, kulturorientierte, Satellitensender der ARD, zur VerfUgung gestellt hatte 199. Daneben ordnete die Einrichtung den Hörfunk neu, so daß in jedem der neuen Länder eine eigenes Landesprogramm zu empfangen war. Weiterhin wurde in einem standardisierten Fragebogenverfahren versucht zu erforschen, welchen der insgesamt 12.500 Mitarbeiter200 des DDR-Rundfunks wegen Menschenrechtsverletzungen oder wegen Mitwirkung im früheren wird gleichzeitig der Nachweis geftlhrt, daß § II V (heute VI) SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz, der eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Intendanten gegenüber Dritten als einziges der Landesgesetze ausdrücklich ftlr unwirksam erklärt, die Bestätigung eines auch im Rundfunkrecht geltenden allgemeinen Grundsatzes darstellt; im gleichen Sinne A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 121; vgl. auch Ho.ffmann-Riem, Redaktionsstatute im Rundfunk, S. 45 f. 198 Alsultimaratio hätte eine Auseinandersetzung zwischen den Organen innerhalb der Einrichtung auch gerichtlich im Wege des ftlr die öffentlich-rechtlichen Anstalten entwickelten Rundfunkverfassungsstreitverfahrens ausgetragen werden können, dazu grundlegend Stern/ Bethge, Rechtsstellung des Intendanten, S. 82 ff.; vgl. auch Neyses, Rundfunkstreitverfahren, S. 19 ff.; anknüpfend A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 121 f.; Puttfarcken, Beiträge zum Medienprozeßrecht, S. 63 (67 ff.). Die Zulässigkeil dieses prozessualen Instruments ist auch in der Rechtsprechung angenommen worden, vgl. VG Hamburg, DVBI. 1980,491 (491 f.). 199 Diese Maßnahmen wurden von den ftlnf Ministerpräsidenten der neuen Länder genehmigt. Vorgesehen war ein Zulieferungsanteil des DFF von 6 bis 7% am ARD-Gesamtprogramm, vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 97 v. 8. Dezember 1990, S. 11. Zur Neuordnung der Programme im einzelnen vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 99 v. 15. Dezember 1990, S. 13 ff. ; eine Übersicht über die weitergeftlhrten Sendungen findet sich in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 100/101 v. 19. Dezember 1990, S. 5 ff. 200 Angabe nach epd/Kirche und Rundfunk Nr. 30 v. 20. April 1991, S. 7; vgl. auch Frank, KJ 1992, 463 (469).

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Staatsicherheitsdienst das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt werden mußte. Zusätzlich sprach die Einrichtung zahlreiche betriebsbedingte ordentliche Kündigungen aus, um die erhebliche personelle Überbesetzung in Hörfunk und Fernsehen abzubauen. Mit ihren Maßnahmen, so wurde der Einrichtung vorgeworfen, habe sie gegen ihren gesetzlichen Auftrag gemäß Art. 36 I 2 EV verstoßen20l. Entsprechend dieser Vorschrift war die Bevölkerung der neuen Bundesländer "nach den allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Hörfunk und Fernsehen zu versorgen". Daß die genannten Maßnahmen mit diesen Grundsätzen im Einklang waren, wurde insbesondere in Teilen der juristischen Literatur bezweifelt202, muß aber aus heutiger Sicht im wesentlichen bejaht werden. a) Frequenzvergabe und Staatsfreiheit des Rundfunks Die Verteilung von Rundfunkfrequenzen berührt unmittelbar die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit. Diese kann durch eine Ordnung der technischen Übertragungswege erst verwirklicht werden. Deshalb tragen Frequenzmaßnahmen zur Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit bei und unterliegen als wesentliche Entscheidungen im grundrechtsrelevanten Bereich dem Vorbehalt des Gesetzes203. Im Bereich des privaten Rundfunks regeln zumeist die Landesmediengesetze die Bedingungen einer Lizenz- und Frequenzvergabe durch die zuständigen Landesmedienanstalten204. Den öffentlich-rechtlichen

201 Zu den gegen das "Mühlfenzl-Modell" zur Neuordnung der Programme geäußerten Bedenken vgl. epd!Kirche und Rundfunk Nr. 94 v. 28. November 1990, S. 10; Nr. 95 v. I. Dezember 1990, S. 3 f., 13 f. und Nr. 98 v. 12. Dezember 1990, S. 14; zu den weiteren Maßnahmen vgl. epd!Kirche und Rundfunk Nr. 23/24 v. 27. März 1991, S. 14 f. und Nr. 30 v. 20. April 1991, s. 7 ff. 202 Vgl. insbesondere Bullinger, AfP 1991, 465 (468 ff.); Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (479 ff.); Ricker, AfP 1991 , 482 ff.; Frank, KJ 1992, 463 (468 ff.) und Rossen, Öffentlichrechtlicher Rundfunk in den neuen Ländern, Dokumentation, S. 9 (17 ff.). 203 Vgl. BVerfGE 57, 295 (319 ff.) mit Bezugnahme auf das in E 47, 46 (78 f.) vorgestellte Wesentlichkeitskriterium; s. auch oben Fn. 49. Vor Einftlhrung der dualen Rundfunkordnung waren die Anstalten frei bei der Bestimmung der Anzahl ihrer Programme - der allgemeine gesetzliche Auftrag zur Versorgung eines Gebietes mit Rundfunk reichte aus. Heute ist ftlr zusätzliche, jenseits der Grundversorgung angesiedelte Programme eine besondere Ermächtigung des Landesgesetzgebers erforderlich, vgl. Art. I § 18 RuFu-StV; vgl. auch Starck, NJW 1992, 3256 (3260). Kritisch gegenüber einem "Expansionsrundfunk" der Rundfunkanstalten Bullinger, JZ 1987, 928 (928); Kresse/ Kennel, ZUM 1994, !59 (160). 204 Vgl. z.B. §§ 16 ff. HmbMedienG; §§ 4 ff.; 23 ff. LRG NW.

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Rundfunkanstalten werden ihre Sendekanäle überwiegend durch die Gesetzgebungskörperschaften der Länder zugewiesen205. Der Einrichtung sind filr ihren öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch Gesetz indessen keine besonderen Frequenzen zur VerfUgung gestellt worden. Da sie aber den Hör- und Fernsehfunk der DDR auftragsgemäß "weiterfUhren" sollte, konnte dies nur auf den bis dahin benutzten Wegen geschehen. Folgerichtig hat sich die Einrichtung bei der Programmneuordnung zum überwiegenden Teil auch im Rahmen der bereits vorhandenen Frequenzen bewegt, was nicht zu beanstanden ist. Der Wechsel der Programminhalte auf diesen Frequenzen betrifft ein weiter unten zu erörterndes Problem206. Dem Vorhalt, die Einrichtung habejedenfalls im Falle der ZDF-Verbreitung auf bislang ungenutzten Kanälen jenseits ihrer Befugnisse gehandelt207 ist zuzugeben, daß eine Erstvergabe von technischen Übertragungskapazitäten nicht der Zweckbestimmung des Art. 36 I l EV im Sinne einer bloßen Weiterfilhrung entsprach. Dennoch hat die Einrichtung zulässig gehandelt, da sie mit der Aufschaltung des ZDF ein weiteres öffentlich-rechtliches Programm verbreitete. Und nur ein solches kam nach den in Art. 36 I 2 EV niedergelegten Grundsätzen in Frage. Mit dieser Maßnahme wurde die dem öffentlichrechtlichen Rundfunk grundrechtlich abverlangte Angebotsvielfalt gefördert. Die Gefahr eines, wie stets bei frequenzgestaltenden Entscheidungen zu besorgenden, verfassungswidrigen mittelbaren Eingriffs in die Staatsfreiheit des Rundfunks208 war gering. Zwar wurde durch das Wahlverfahren der die gesellschaftlichen Gruppen im Rundfunkbeirat vertretenden Persönlichkeiten eine Loyalität dieser Vertreter gegenüber den berufungsberechtigten Ländern begünstigt. Doch bis zur Auflösung der Einrichtung konnte nach Art. 36 I 2 EV publizistischer Wettbewerb209 privater Veranstalter ohnehin nicht stattfmden, so daß das Risiko einer vermeintlich zulassungsfreundlichen aber vielfaltsfeindlichen vorweggenommenen Programmanpassung210 durch mögliche Be205 Vgl. z.B. § 6 NDR-StV; § 3 11 WDR-Gesetz. 206 S. unten I . Teil 2 . Abschnitt B IV 2 b. 207 So Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (480); zurückhaltend auch Bullinger, AfP

(468, dort Fn. 33).

1991, 465

208 Seit BVerfGE 12, 205 (262) ist es ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß der Rundfunk weder dem Staat noch einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werden darf, s. auch BVerfGE 73, 118 (182 f.), E 83, 238 (322 f.) und E 87, 181 (201) sowie unten 2. Teil 2. Abschnitt. 209 Zum BegriffBVerfGE 74,297 (331 f.); vgl. auch§ 91 Nr. 1 BB-StV. 210 So aber die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegenüber einer staatlich beeinflußten Frequenzvergabe unter konkurrierenden öffentlich-rechtlichen und privaten Bewerbern,

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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werher ausgeschlossen war. Die Frequenzvergabe an das ZDF bewirkte auch keine tatsächlich bindende Vorwegnahme späterer Entscheidungen der Landesgesetzgeber. Deren Möglichkeiten zur abstrakt-generellen Regelung von Vergabekriterien blieb unberührt2 11 . Die Frequenzentscheidungen der Einrichtung waren nämlich jederzeit rückholbar, und die Einrichtung selbst stand unter dem Vorbehalt jederzeitiger Abberufung durch eine staatsvertragliche Einigung der neuen Länder212. Nur mit dieser Maßgabe war es aus verfassungsrechtlicher Sicht hinnehmbar, daß die staatsnah berufene Einrichtung eine eigene Frequenzentscheidung traf'213. b) Programminhalt und Grundversorgung Im Ergebnis ist auch aus programmrechtlicher Sicht nichts gegen die übergangsweise Neuordnung der Programme durch die Einrichtung einzuwenden. In der rundfunkrechtlichen Literatur wird angenommen, die Einrichtung habe den ihr obliegenden Auftrag zur Grundversorgung der Bevölkerung mißachtet, indem sie in den neuen Bundesländern Programme der westlichen Nachbarn verbreitet habe214 . Es kann jedoch bereits bezweifelt werden, ob die Einfilhrung des Begriffs der Grundversorgung in die Diskussion um den Einrichtungsrundfunk überhaupt zulässig ist. Schließlich wird dieser vom Bundesverfassungsgericht geprägte Begriff ausschließlich im Zusammenhang mit vgl. BVerfGE 83,238 (323); E 73, 118 (183). 211 Auf die Frage, wie ein entsprechendes Frequenzvergabegesetz formuliert werden muß, um nicht als Einzelfallregelung nach Art. 19 I I GG verfassungswidrig zu sein, kann hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu Kreile, ZUM 1993, 130 (131). 212 Vgl. 2. und 3. Absatz der Denkschrift zum Einigungsvertrag, BT-Drucksache 1117760, S. 355 (374) und die Äußerung des Leiters der Einrichtung über sein Verständnis vom Auftrag des Art. 36 EV in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 88 v. 7. November 1990, S. 8 f. und Nr. 27 v. 10. April 1991, S. II f. 213 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt eine Frequenzentscheidung der Verwaltung aufgrund ihrer eigenen Bewertung gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks, vgl. BVerfGE 83, 238 (323 f.); E 73, 118 (182 f.). Dem ist zuzustimmen. Die Feststellung in BVerfGE 83, 238 (323 f.), um Freiheit von staatlicher Beherrschung zu gewährleisten, seien die Entscheidungen nicht- wie in verfassungswidriger Weise vom damaligen§ 3 I I LRG NRW vorgegeben - in das freie Ermessen der Land~sregierung zu stellen, sondern nach abstrakt-generellen Vorgaben des Gesetzgebers zu treffen, vermag hingegen nicht restlos zu überzeugen. Denn gesetzliche Vergabekriterien enthalten in erheblichem Umfang unbestimmte Rechtsbegriffe, die letztlich doch wieder Entscheidungsfreiräume ftlr die staatliche Exekutive öffnen. Ein möglicher Ausweg wäre die Einsetzung von unabhängigen Gremien oder die Überantwortung an die Landesmedienanstalten, vgl. Stock, JuS 1992, 383 (387); Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 254 ff.; Eber/e, Rundfunkübertragung, S. 100 ff. 214 So etwa Bullinger, AfP 1991 , 465 (468).

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einer dualen Rundfunkordnung verwendet215. Die Einfiihrung privaten Rundfunks durch die Einrichtung ist im Einigungsvertrag jedoch ausgeschlossen worden. Es sollte lediglich der bereits vorhandene Rundfunk - wenn auch mit neuer Zielsetzung - weitergefilhrt werden. Aufgrund dieser Monopolstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann die Grundversorgung also nicht K,riterium fiir die Beurteilung des Einrichtungsrundfunks sein. Der Einigungsvertrag selbst verweist auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkgrundsätze als Maßstab fiir Programmentscheidungen. Trotz aller Schwierigkeiten bei dem Versuch einer genaueren Inhaltsbestimmung dieser Grundsätze216 steht fest, daß der Einrichtungsfunk jedenfalls am Muttergrundrecht des Rundfunks schlechthin, an der Rundfunkfreiheit also, zu messen ist. In programmrechtlicher Hinsicht folgt daraus, daß im Gesamtprogramm zur Herstellung und Wahrung der Rundfunkfreiheit sowohl die Vielfalt der Gegenstände als auch die Vielfalt der Meinungen angemessen zum Ausdruck kommen muß217 . Dieses grundrechtliche Vielfaltserfordernis hat das Bundesverfassungsgericht indessen an anderer Stelle wieder abgeschwächt und ausdrücklich den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt. In seiner Vierten Rundfunkentscheidung verlangt das Gericht, "daß das Rundfunksystem in seiner Gesamtheit dem verfassungsrechtlich Gebotenen im Rahmen des Möglichen entspricht"218. Das war hier der Fall: Bedingt durch den Auftrag zur organisatorischen und personellen Umbildung des DDR-Rundfunks und durch notwendige Verbannung von sozialistisch belasteten Sendungen hatten sich große Programmlücken aufgetan, die teilweise durch Übernahmen von öffentlich-rechtlichen Sendem der alten Bundesländer ausgeglichen werden konnten. Zusammen mit den selbst hergestellten Zulieferungen filr das ARD-Gemeinschaftsprogramm und dem Programm der DFF-Länderkette hat die Einrichtung ihren Auftrag zur Darstellung und Förderung des Meinungsbildungsprozesses

215 Vgl. BVerfGE

87, 181 (199 f.); E 83,238 (297, 299); E 74,297 (324); E 73, 118 (157 f.).

216 Der Text des Einigungsvertrags schweigt insoweit. Auch der Wortlaut des Grundgesetzes

fuhrt nicht weiter. Die in Art. 33 V GG genannten "hergebrachten Grundsätze des Berufsbearntentums" sind ausschließlich bei der Regelung des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen; siebetreffen einen besonderen Sachverhalt und sind filr rundfunkrechtliche Kompetenzfragen nicht fruchtbar zu machen, vgl. die Übersicht bei Matthey, in: v. MUnch, Grundgesetz, Band 2, Art. 33, Rn. 41. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinen Entscheidungen an keiner Stelle ausdrücklich auf"allgemeine Grundsatze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" bezogen. 21? Vgl. BVerfGE 83, 238 (315). 2 18 BVerfGE 73,

118 (157); vgl. auch schon BVerfGE 31,314 (338).

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im Rahmen des in den neuen Bundesländern personell und finanziell Möglichen erfiillt219. 3. Finanzierung und staatlicher Einfluß Die Finanzierung des Rundfunks stellt ein besonders geeignetes Mittel zur Durchsetzung staatlicher Interessen dar22 0. Dieser Grundsatz gilt auch fiir die Zuwendungen des Bundes an den Einrichtungsrundfunk. Zur teilweisen Deckung ihres Haushalts in Höhe von insgesamt I, 2 Milliarden Mark22 1 flossen der Einrichtung Finanzmittel auf zwei unterschiedlichen Wegen zu. Gemäß Art. 36 V EV waren ihr mit Teilnehmergebühren als Vorrangfinanzierung und mit Werbe- sowie sonstigen Einnahmen aus unterstützender Randbetätigung222 als Ergänzungsfinanzierung dieselben Einnahmequellen erschlossen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den alten Ländern. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wie das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht hat223. Problematisch sind dagegen die vom Bundesinnenministerium geleisteten finanziellen Zuschüsse224 . Denn einerseits hat der Gesetzgeber zwar die Pflicht, den von ihm mit der öffentlich-

219 Dies bescheinigen sogar Kritiker der Programmneuordnung wie etwa Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (18 f.); wohl auch Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (480); vgl. epd!Kirche und Rundfunk Nr. 17 v. 6. März 1991, S. 16 f. und Nr. 30 v. 20. April 1991, S. 3 ff. Ein -wieder verworfener -Gegenvorschlag war das Angebot der ARD, der DFF solle das westliche Gemeinschaftsprogramm vollständig übernehmen und darin lediglich eigene Regionalfenster schalten, ohne ein eigenes Programm zu veranstalten, vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 73 v. 15. September 1990, S. 6; das wäre zwar billiger gewesen, hätte aber die Programmvielfalt in den neuen Ländern weniger gefbrdert. Außer der schlichten Empfehlung, die Gesetzgebung abzuwarten (vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 12. Dezember 1990, S. 14) sind übrigens - soweit ersichtlich - keine weiterfilhrenden Vorschläge filr ein Übergangsprogramm gemacht worden. 220 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (182); BVerfGE 87, 181 (198); E 83,238 (310 f.); E 74, 297 (342) und ausfilhrlich BayVGH, BayVBI. 1988, 685 (687) im Ausgangsverfahren zur Ent· scheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 22. Februar 1994, ZUM 1994, 173 ff.; vgl. auch Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 314 f.; Hoffmann-Riem, JZ 1989, 247 ff.; ders. RuF 1979, 143 (162); gegen die Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs Merznicht, Der "Aufsichtsgroschen", S. 87 f.; Bethge, NJW 1990,.2451 f. ; ders., Grundprobleme einer Spaltung der Rundfunkgebühr, S. 36. 221 Angabe nach epd/Kirche und RundfunkNr. 4 v. 19. Januar 1991, S. 10. 222 Vgl. BVerfGE 83, 238 (313). 223 Vgl. BVerfGE 87, 181 (199 f.) ; E 83, 238 (310); ebenso Bethge, DÖV 1988, 97 (98 f.); vgl. auch Art. I § II I RuFu-StV. 224 Etwa 43 Millionen Mark Anfangsfinanzierung, vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 99 v. 15. Dezember 1990, S. 15 f.

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rechtlichen Rundfunkversorgung betrauten Veranstalter die zur Erfiillung seiner Aufgabe erforderlichen Mittel zur VerfUgung zu stellen225 . Andererseits ist diese finanzielle Rundfunkgewährleistungspflicht aber in ihrem Umfang begrenzt durch das Verbot staatlicher Einflußnahme auf die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit Es ist also zu fragen, ob und in welcher Höhe der Einrichtung Geldmittel aus dem Bundeshaushalt zugewiesen werden durften. a) Zulässigkeit staatlicher Zuschüsse an die Einrichtung Bei der Wahl der Finanzierungsform genießt der Gesetzgeber einen großen Handlungsspielraum. Er ist lediglich gebunden durch die Zielsetzung der Rundfunkfreiheit: Förderung des freien individuellen und öffentlichen Kornmunikationsprozesses durch Programmvielfalt sowohl in gegenständlicher Hinsicht wie auch in Bezug auf die in der Gesellschaft anzutreffenden Meinungen226. Die Gewährung von direkten Zuschüssen ist ihm dadurch nicht von vornherein verwehrt227, es sei denn damit würde eine bestehende Wettbewerbssituation verzerrt228 oder eine Einflußnahme auf die Programmgestaltung

225 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (181); BVerfGE 87, 181 (198); E 83, 238 (310); vgl. auch Art. I § 10 I I. HS sowie den 4. Absatz a. E. der Präambel zum RuFu-StV. Dieser gesetzgeberischen Pflicht entspricht im übrigen ein klagbares Recht der Rundfunkanstalten auf funktionsgerechte Finanzausstattung, grundlegend Bachof/Rudolf, Verbot des Werbefernsehens durch Bundesgesetz?, S. 34; Stern/Bethge, Funktionsgerechte Finanzierung, S. 39 f.; ebenso Bethge, DÖV 1988, 97 (100); kritisch Gersdorj, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 332 f.; s. auch unten 2. Teil 3. Abschnitt AI 2. 226 Vgl. BVerfGE 87, 181 (198 f.); E 57, 295 (319 f.). Diese Anforderung an das Gesamtprogramm gilt unabhängig davon, ftlr welche Organisationsform des Rundfunks sich der Gesetzgeber entscheidet, BVerfGE 83, 238 (315). 227 So die überwiegende Meinung im Schrifttum, vgl. Stern/Bethge, Funktionsgerechte Finanzierung, S. 48; "als ultima ratio", Bethge, DÖV 1988, 97 (100); Thieme, Rundfunkfinanzierung im Bundesstaat, S. 32 f.; Kollek, Rechtsfragen der Rundfunkfinanzierung, S. 62 ff.; Linck, NJW 1984, 2433 (2435); gegen jede unmittelbare Regelungskompetenz des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Rundfunkfinanzierzung der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, BayVBI. 1988, 685 ff. in seiner inzwischen entschiedenen (vgl. BVerfG v. 22. Februar 1994, ZUM 1994, 173 ff.) Richtervorlage gern. Art. 100 I GG zum sog. "Kabelgroschen"; dagegen Bethge, NJW 1990, 2451 f.; ders., Grundprobleme einer Spaltung der Rundfunkgebühr, S. 35 f., der eine "staatliche Befassungs- und Einwirkungskampelenz" auf dem Gebiet der Rundfunkgebühren aus der Funktionsverantwortung des Staates und aus dem Parlamentsvorbehalt ableitet (Hervorhebung im Original); vgl. auch Merznicht, Der "Aufsichtsgroschen", S. 57 ff. mit weiteren Rechtsprechungshinweisen; Gersdorj, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 314 f.; Wa/ter Schmidt, Die Rundfunkgebühr in der dualen Rundfunkordnung, S. 69 ff. 228 Vgl. BVerfGE 80, 124 (133 f.); E 20, 162 (175) ftlr den Bereich staatlicher Pressesubventionen; dazu auch Detterbeck, ZUM 1990, 371 (374 f.); Hoffmann-Riem, JZ 1989, 842 (842 f.); Seewald, JR 1976,448 (452 f.), Anm. zu OVG Berlin, DVBI. 1975, 905 (906 f.).

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des Rundfunks bewirkt. Mit dieser Maßgabe ist eine ausnahmehafte und übergangsweise staatliche Bezuschussung des Rundfunks im Grundsatz hinnehmbar229. Die Entscheidung über die Gewährung ist eine wesentliche, da sie im grundrechtsrelevanten Bereich der Rundfunkfreiheit angesiedelt ist. Sie unterliegt damit dem Vorbehalt des Gesetzes23°. Dementsprechend ist vom Bundestag ein Haushaltsgesetz über Adressat und Höhe der Zahlungen förmlich verabschiedet worden231. b) Höhe der Zuschüsse Zu klären bleibt, ob durch die Höhe der Zuwendungen die Möglichkeit einer staatlichen Einflußnahme auf das Rundfunkprogramm der Einrichtung bestanden hat. Zum Aufbau der Einrichtung flossen Finanzmittel in Höhe von etwa 43 Millionen Mark aus Bonn. Diese, fiir sich genommen, nicht unerhebliche Summe stellt im Vergleich zum Jahresetat 1991 der Einrichtung von I, 2 Milliarden Mark und einem Bilanzgewinn von 158 Millionen Mark232 jedoch lediglich eine nachrangige Zusatzfinanzierung dar. Überdies ist das Geld vom Bund weder mit einer zwingenden Zweckbestimmung versehen worden noch war der Betrag so bedeutsam, daß trotz fehlender Zweckbestimmung eine Programmbeeinflussung - etwa in Richtung einer regierungsfreundlichen Berichterstattung - wahrscheinlich gewesen wäre. Eine grundrechtswidrige "Indienstnahme" des Einrichtungsrundfunks fiir außerpublizistische Zwecke233 ist letzthin nicht ersichtlich.

4. Das Ende der Einrichtung Die Rechtsfolgen einer Auflösung der Einrichtung durch Zeitablauf am 31. Dezember 1991 waren im Einigungsvertrag nur unzureichend geregelt. Art. 36 VI 3, 4 EV sah lediglich den nach dem jeweiligen Gebührenaufkommen zu bemessenden anteiligen Übergang sowohl des Aktiv- als auch des Passivvermögens auf die Trägerländer der Einrichtung vor. Das hat "immense juristische

229 Dazu näher unten 2. Teil 3. Abschnitt B 111 2 a aa a.

230 Vgl. BVerfGE 87,

181 (200) und oben I. Teil I. Abschnitt B II 3. "3. Nachtragshaushalt", epd!Kirche und Rundfunk Nr. 99 v. 15. Dezember 1990, S. 15. 232 Angaben nach epd!Kirche und Rundfunk Nr. 99 v. 15. Dezember 1990, S. 15, Nr. 91192 v. 23. November 1991, S. 14. 233 Vgl. BVerfGE 87, 181 (201). 231

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Anschlußprobleme" 234 ausgelöst, insbesondere im Hinblick auf eine große Zahl an- und rechtshängiger Kündigungsschutzklagen der Rundfunkbediensteten23S. Zwar war die Einrichtung endgültig erloschen und es ließ sich auch keine Fiktion des Fortbestehens herleiten, doch durfte allein aufgrundder hoheitlichen Umorganisation eines Funktionsträgers kein Untergang von Verbindlichkeiten eintreten236. Dies ergibt sich im wesentlichen aus dem allgemeinen Vertrauensschutzgedanken, der seinerseits im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verankert ist23 7. Materieller Anspruchsgegner und prozessual passivlegitimiert waren die Träger der aufgelösten Einrichtung, also die neuen Bundesländer sowie das Land Berlin als Gesamtschuldner 238.

234 Bethge, AfP 1992, 13 (13); vgl. auch Wandtke, ZUM 1993, 587 (591) sowie die Berichte in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 90 v. 16. November 1991, S. 15 f.; Nr. 91/92 v. 23. November 1991, S. 14 f. und in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 6. Juli 1992; 21. und 20. Dezember sowie 16. November 1991. 235 Nach Auflösung der Einrichtung waren zu Beginn des Jahres 1992 etwa 1.500 Kündigungsschutzklagen anhängig, ftlr die im Abwicklungshaushalt vorsorglich 60 Millionen Mark zurückgestellt worden waren, Angaben nach FUNK-Korrespondenz Nr. 28 v. 9. Juli 1992, S. 5; vgl. auch den Bericht "Auch die Abwickler werden abgewickelt", in: Süddeutsche Zeitung v. 10. Dezember 1992. Habermas, Die Zeit Nr. 20 v. 10. Mai 1991, S. 63 beklagt allgemein das "normative Defizit des Einigungsprozesses". 236 "Kein Guillotine-Effekt", Bethge, AfP 1992, 13 (17); ähnlich BGH, DÖV 1977, 529 (529 f.). Dies solle im Arbeitsrechtjedoch nur bedingt gelten entschied das LAG Berlin, AfP 1993, 680 (681 f.), da der Bestandsschutz des Arbeitnehmers nach § 613a BGB ftlr solche Betriebsübergänge nicht gilt, die wie im Falle des vorläufig weitergeftlhrten Hörfunksenders "OS-Kultur" auf einem Hoheitsakt an Stelle eines Rechtgeschäfts beruhen; zu weiteren arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten bei der Insolvenzsicherung Bethge, Staatshaftung ftlr den staatsfreien Rundfunk?, S. 79 f. 23 7 Vgl. Art. 20 III GG; daraus erschließt Bethge, AfP 1992, l3 (15 ff.) eine "staatliche Gewährträgerhaftung" als Ausgleich zwischen staatlicher Freiheit zur Um-Organisation einerseits und der Gefahr eines ersatzlosen Fortfalls des öffentlich-rechtlichen Schuldners andererseits, ders. , Staatshaftung ftlr den staatsfreien Rundfunk?, S. 69 ff. mit ausftlhrlicher Begründung. 238 Gern. § 421 BGB. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, gründeten die Länder mit der "Neue Fünf Länder Gesellschaft zur Abwicklung der Rundfunkeinrichtung gern. Art. 36 rn.b.H." (NFL) und der "Neue Länder Grundstücksverwertungs- und Verwaltungs-GmbH" (NLG) Rechtssubjekte, die die - haftungsrechtliche - Nachfolge der Einrichtung antreten sollten, vgl. FUNKKorrespondenz Nr. 28 v. 9. Juli 1992, S. 5 f. Näher zu Umfang und Fortgang der Abwicklung FUNK-Korrespondenz Nr. 18 v. 7. Mai 1993, S. 15 ff.; Frankfurter Rundschau v. 27. Dezember 1991 ; epd/Kirche und Rundfunk Nr. 73 v. 18. September 1991 , S. 8 f. sowie§ 50 ORB-Gesetz. Das Auseinandersetzungsguthaben der Einrichtung betrug schließlich etwa 270 Millionen Mark, von denen 201 Millionen Mark dem MDR, 49,3 Millionen Mark dem ORB und 20,3 Millionen Mark dem um Mecklenburg-Vorpommem erweiterten NDR zugewiesen wurden, vgl. ARDJahrbuch 1993, S. 118.

2. Abschnitt: Die Wende im Rundfunk

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5. Zusammenfassung Im Rückblick kann festgestellt werden: Die Ernennung des Rundfunkbeauftragten litt an einer zu dünnen demokratischen Rechtfertigung und dem Verfahren zur Wahl des Einrichtungsbeirats muß eine beachtliche Staatsnähe vorgeworfen werden. Mögliche Überschreitungen interner Befugnisse durch den Leiter der Einrichtung haben die Außenwirkung seiner Handlungen als Vertreter der Einrichtung jedoch nicht berührt. Die Maßnahmen der Rundfunkeinrichtung im Bereich der Programm- und Frequenzordnung halten im Hinblick auf ihre Vorläufigkeit und ihre jederzeitige Rückholbarkeit durch die Länder einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Dasselbe gilt filr die einstweilige Wahrnehmung der Länderbefugnisse im Bereich des Rundfunks durch den Bund. Mit Bezug auf die teilweise Finanzierung aus dem Staatshaushalt kann in Ansehung von Höhe und Verwendungsfreiheit der Zuwendungen ein Vorwurf staatlicher Einflußnahme nicht durchgreifen. Die Abwicklung der Einrichtung oblag den neuen Bundesländern und Berlin als Gesamtschuldnern.

6 Wilhelmi

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern seit dem 1. Januar 1992 Der Hauptteil dieser Arbeit ist einer verfassungsrechtlichen Untersuchung des neugegründeten Rundfunks in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gewidmet. Die genannten Bundesländer haben ihre Rundfunkorganisation - wie im ersten Teil dargelegt - überwiegend nach den Vorbildern der westlichen Nachbarn ins Werk gesetzt. Dennoch bilden sie in der rundfunkverfassungsrechtlichen Diskussion einen Posten, der besonders zu berücksichtigen ist. Grundversorgung, Staatsfreiheit und Finanzierung des Rundfunks erscheinen nach dem lokrafttreten des Grundgesetzes auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in einem neuen Licht. Mit Blick auf die dortigen Besonderheiten und Bedürfnisse ist eine Neubestimmung der in den alten Bundesländern entwickelten Grundsätze des Rundfunkverfassungsrechts notwendig. Dies soll eine genauere Betrachtung der angesprochenen Problemkreise deutlich machen. In deren Verlauf wird auf die Grundzüge der bundesverfassungsgerichtliehen Rechtsprechung zurückzugreifen, deren Umsetzung durch die Landesgesetzgeber zu untersuchen sowie das einschlägige Schrifttum zu berücksichtigen sein 1.

1 Im Mittelpunkt dieser Untersuchung wird zwangsläufig der öffentlich-rechtliche Bereich der dualen Rundfunkordnung stehen. Seine Existenz und Entwicklung bilden unter den derzeitigen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten die Rechtfertigungsgrundlage filr das duale Nebeneinander im Rundfunk Oberhaupt. Daher haben die neuen Bundesländer die Errichtung des öffentlichrechtlichen Rundfunks vorrangig betrieben und abgeschlossen, s. dazu oben I. Teil, Fn. 161. Die gesetzlichen Vorarbeiten filr die Veranstaltung privaten Rundfunks sind mittlerweile zwar ebenfalls beendet, Anlaufschwierigkeiten in organisatorischer, wirtschaftlicher und programmlicher Hinsicht lassen indessen noch keine abschließende Beurteilung zu. Verfassungsrechtliche Probleme des privaten Rundfunks werden deshalb im thematischen Zusammenhang mit denen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks behandelt werden. Die Rundfunkanstalt(en) des Bundesrechts, DW (und vormals DLF), unterliegt(en) im Gefolge der deutschen Wiedervereinigung eigenständigen Rechtsproblemen und kann(können) daher unter der hiesigen Themenstellung nur am Rande erörtert werden, näher dazu Puhl, DVBI. 1992,933 ff. ; Gabriel-Bräutigam, DVBI. 1990, 1031 ff.

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich Der erste Problemkreis betrifft die Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunk. Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zum dualen Rundfunksystem herangezogene "Grundversorgung" ist nach wie vor einer der umstrittensten Begriffe im deutschen Rundfunkverfassungsrecht. In der Literatur reichen die Auffassungen von vorbehaltloser Zustimmung bis zu vollkommener Ablehnung. Eine erschöpfende Abhandlung der damit verbundenen Rechtsprobleme würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen; es soll lediglich ein Teilbereich der Grundversorgung herausgegriffen werden. Dieser Teilbereich ist bislang in der Lehre nur ansatzweise hinterfragt2 und vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich von einer abschließenden Stellungnahme ausgenommen worden3 . Gleichwohl kommt ihm, insbesondere unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bevölkerungs- und Kommunikationsstrukturen innerhalb des vereinten Deutschlands eine hervorgehobene Bedeutung zu - gemeint ist die Grundversorgung im lokalen Bereich. A. Begriffsbestimmungen

Vor einer Erörterung in der Sache bedarf es freilich einer genaueren Untersuchung der beiden maßgeblichen Begriffe "lokal" und "Grundversorgung". I. Die Grundversorgung

Die "Grundversorgung" ist vom Bundesverfassungsgericht in seine Auslegungs- und Argumentationskette zu Art. 5 I 2 GG als RechtsbegrifF einge-

2 Vgl. etwa Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 142 f.; Niepal/a, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 129 ff.; "Offener Posten", Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 403. 3 Vgl. BVerfGE 74, 297 (327). 4 So auch Grawert, AfP 1986, 277 (279); Kuli, Atl' 1987, 462 (463), spricht von einem "unbestimmten Gerichtsbegriff"; ders., Atl' 1987, 568 (572).

6•

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

gliedert worden. Ihr nahezu überraschendes5 Auftauchen in der Rechtsprechung blieb natürlich nicht ohne Reaktionen in der Literatur; inzwischen ist das einschlägige Schrifttum kaum noch überschaubar. Die literarischen Anhänger6 der Grundversorgungsrechtsprechung sehen sich im wissenschaftlichen Streit mit einer entschiedenen Gegnerschaft7, die den streitbefangenen Begriff eng auslegt oder dessen Erforderlichkeit überhaupt verneint. Eine positive und abschließende Definition der Grundversorgung ist bisher nicht gelungen. Ebensowenig vermag jedoch die völlige Ablehnung der Grundversorgungslehre zu überzeugen. Zur Vorbereitung einer Stellungnahme, die ihrerseits als Grundlage zur Erörterung einer lokalen Grundversorgung werden soll ist es erforderlich, Rechtsprechung (I), Literatur (2) und Gesetze (3) in einer Darstellung der wesentlichen Aussagen aufzuarbeiten.

5 Nach Stock, RuF 1987, 5 (16) wurde der Begriff der Grundversorgung "unversehens ... den medienrechtlichen und medienpolitischen Debatten der siebziger Jahre entlehnt". In der Tat ist weder eine vorherige Andeutung noch eine Bezugnahme auf die einschlägige Literatur in der Rechtsprechung zur Rundfunkverfassung auszumachen; insofern geht die vom Bundesinnenministerium erstellte "Medienpolitische Analyse des 4. Rundfunkurteils", epd!Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 13. Dezember 1986, S. 21 (22) fehl in der Annahme, das Bundesverfassungsgericht habe den Ausdruck Grundversorgung "ersichtlich in Anlehnung an das Sozialrecht" verwendet (vgl. C I 3 der Analyse); vgl. auch Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 67; Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten, S. 33; Berg, AfP 1987, 457 (458). Lediglich einmal hat der Erkennende Senat offen auf eine Literaturstimme zurückgegriffen, nämlich in BVerfDE 73, 118 (158), wo zur näheren Erläuterung der "essentiellen Funktionen" des Rundfunks auf Bul/inger, AfP 1985, 257 (258 ff.) verwiesen wird. Zeid/er, AöR, 86. Band [1961], S. 361 (382 f.) berichtet in einer Anmerkung zur DeutschlandFernsehen-Entscheidung (BVerfDE 12, 205 ff.) "aus eigener Erfahrung", daß die Abfassung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht mit kaum einem Zitat jedenfalls nicht auf nachlässige Auseinandersetzung mit der Literatur zurückzuftlhren sei. Die Kritik an dem sehr sparsamen Gebrauch von Belegen sei gleichwohl berechtigt, denn sowohl die Prozeßparteien als auch die sonstigen Leser in Wissenschaft und Praxis hätten "ein berechtigtes Interesse daran, die Gründe von FUr und Wider bei der Verwertung von Fachstimmen zu hören und Belege daftlr in den Gründen zu finden"; zur wenig ausgeprägten Zitierfreudigkeit des Bundesverfassungsgerichts, die jedoch nicht Ober ständigen Einfluß und ebensolche Kontrolle durch die Wissenschaft hinwegtäuschen dürfe auch Bethge, AöR, 114. Band [1991], S. 521 (522 f.). In der höchstrichterlichen Verwaltungsrechtsprechung ist dagegen eine deutlichere Neigung zur Veröffentlichung der herangezogenen Quellen festzustellen, vgl. etwa die zahlreichen Rechtsprechungs- und Literaturhinweise in der Entscheidung zu einem Verlegerfernsehen in Berlin, BVerwGE 39, !59 (163 f., 166 ff.). 6 Vgl. stellvertretend ftlr viele hier nur Berg, MP 1986, 799 (800); ders., AfP 1987, 457 (458 f.). 7 Vgl. ebenfalls stellvertretend ftlr viele hier nur Kuli, AfP 1987, 462 (463 ff.); ders., AfP 1987, 568 (572).

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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I. Die Grundversorgungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Karlsruher Richter haben das verfassungsrechtliche Fundament fUr die Grundversorgungskonstruktion in ihrer am 4. November I986 ergangenen Vierten Rundfunkentscheidung gelegt8. a) "Dienende" Funktion der Rundfunkfreiheit Das Gericht geht bei seiner Argumentation zur Grundversorgung von den folgenden Formulierungen aus: "Maßgebend fUr die verfassungsrechtliche Beurteilung ist die in Art. 5 Abs. I S. 2 GG gewährleistete Freiheit des Rundfunks. Die Rundfunkfreiheit dient der gleichen Aufgabe wie alle Garantien des Art. 5 Abs. I GG: der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung (BVerfGE 57, 295 [3I9 f. ]). Diese vollzieht sich in einem Kommunikationsprozeß, in welchem dem Rundfunk die Aufgabe eines 'Mediums' und 'Faktors' zukommt: Es obliegt ihm, in möglichster Breite und Vollständigkeit zu informieren; er gibt dem Einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zu meinungsbildendem Wirken und ist selbst an dem Prozeß der Meinungsbildung beteiligt. "9 b) Auslegung der Rundfunkfreiheit Die Auslegung dieser Grundrechtsgarantie freier Meinungsbildung muß nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts unter Berücksichtigung der "Sondersituation" 10 des Rundfunks infolge beschränkter Frequenzen und

8 Vgl. BVerfGE 73, 118 ff. 9 BVerfGE 73, 118 (152), einfache Anftlhrungszeichen und Klammersetzung im Original. 10 BVerfGE 73, 118 (154). Diese Sondersituation wird vom Bundesverfassungsgericht erstmals bereits im Deutschland-Fernsehen-Urteil (vgl. BVerfGE 12, 205 [261]) erwähnt und dort, wie auch in den Folgeentscheidungen (vgl. BVerfGE 31, 314 [325 f.); E 57, 295 [322]), zur Grundlage besonderer verfassungsrechtlicher Vorkehrungen fllr den Rundfunk im Vergleich zur Presse gemacht. Aber erst in seiner vierten Entscheidung zum Rundfunkverfassungsrecht geht das Gericht näher auf die tatsächlichen Grundlagen der Sondersituation ein (vgl. BVerfGE 73, 118 [121 ff.]); dazu Seemann, ZUM 1987, 255 (256 ff.) m.w.N.; Lange, ZUM 1986, 441 (443 ff.); Rudolph, ZUM 1986, 451 (451 f.). Die Beurteilung der Rechtslage im Deutschland-FernsehenUrteil "ohne ausreichende empirische Erfahrung und Analyse" bemängelt Ossenbühl, DÖV 1977, 381 (386); ähnlich Grimm, RuF 1987, 25 (32 f.); Schmitt Glaeser, Kabelkommunikation und Verfassung, S. 100. Hoffmann-Riem, RuF 1979, 143 (148) meldet Zweifel bezUglieh der vom Gericht angenommenen Vie1fllltigkeit im Pressebereich an.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Finanzen im Vergleich zur Presse stattfinden; sie ist der Grund dafiir, daß ein der Presse vergleichbares Marktmodell fiir den Rundfunk verfassungsrechtlich nicht in Betracht kommt. Diese Sondersituation bildet den konkreten Lebenssachverhalt, auf den das Grundrecht der Rundfunkfreiheit bezogen ist und dessen Berücksichtigung Voraussetzung fiir eine die normierende Wirkung der Rundfunkfreiheit entfaltende Auslegung istll. Die Sondersituation ist nach den Erkenntnissen des Gerichts bis zum Zeitpunkt seiner Vierten Rundfunkentscheidung nicht entfallen, sie hat sich seit den vorangegangenen Entscheidungen jedoch teilweise verändert. Die näheren Umstände werden aus drei Blickwinkeln dargestellt. aa) Technische Voraussetzungen Ein flächendeckender Versorgungsgrad mit Rundfunk sei nur fiir die mit einfachem Antennenaufwand zu empfangenden terrestrischen Frequenzen gegeben. Das folge aus einer Bestandsaufnahme aller technischen Voraussetzungen der Rundfunkveranstaltung. Bei den terrestrischen Übertragungswegen herrsche nach wie vor Angebotsknappheit Mit zusätzlichen Antennenkanälen könne nur sehr begrenzt gerechnet werden. Die Möglichkeiten zur Programmübertragung mittels der neuen elektronischen Medien, Breitbandkabel und Satellitendirektabstrahlung, seien demgegenüber zwar vielfältiger. Sie erreichten jedoch aufgrund zurückhaltender Verkabelung durch die Telekom und wegen hoher Anschluß- und Betriebskosten bei der Nutzung der neuen Medien nicht den Versorgungsgrad terrestrischer Frequenzen. Letztere bildeten daher "noch längere Zeit hindurch" die einzige Möglichkeit "alle Teilnehmer im Bereich eines Bundeslandes, im regionalen sowie im lokalen Bereich" mit Rundfunk zu versorgen 12. bb) Wirtschaftliche Voraussetzungen Die wirtschaftlichen Voraussetzungen fUr die Veranstaltung von Rundfunk, insbesondere von Fernsehprogrammen sieht das Bundesverfassungsgericht als weiterhin problematisch an. Das Gericht betont die Notwendigkeit hoher An-

II Vgl. BVertUE 73, 118 (154); Bethge, AöR, 116. Band [1991], S. 521 (526). 12 Beide Zitate BVertUE 73, 118 (121 ff.).

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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fangsinvestitionen und erheblicher Verbreitungskosten bei insgesamt begrenzten Werbeeinnahmen 13. cc) Wettbewerbsvoraussetzungen Daneben wird auf die gegenüber der bisherigen Rundfunkrechtsprechung verschärften publizistischen Wettbewerbsbedingungen verwiesen, denen der inländische Rundfunk zunehmend ausgesetzt sei. Die vom Europarat, von Parlament und Kommission der Europäischen Gemeinschaft sowie durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geförderte europaweite Rundfunkintegration bewirke ein erhöhtes Angebot aus dem Ausland gesendeter Programme 14. c) Ergebnisse der Auslegung Die vom Bundesverfassungsgericht ermittelte Sondersituation des Rundfunks hat sich demnach nur leicht verschoben und besteht in technischer, wirtschaftlicher und wettbewerblieber Hinsicht fort. Die Auslegung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit unter Einbeziehung der dargelegten Umstände fUhrt die Karlsruher Richter zu zwei bedeutsamen Erkenntnissen. aa) Private Anbieter Zum einen wird festgestellt: "Die Programme privater Anbieter vermögen der Aufgabe umfassender Information nicht in vollem Ausmaß gerecht zu werden."15 Dies liege daran, daß die Verbreitung privater Programme hauptsächlich über die neuen Medien, gemeint ist die Kabel- und Satellitentechnik, nur teilweise die Erfiillung der Medium-und-Faktor-Funktion des Rundfunks zulasse. Außerdem stehe einer umfassenden Aufgabenerfiillung die nahezu ausschließliche Werbefinanzierung des Privatrundfunks entgegen. Denn Einnahmen aus Wirtschaftswerbung setzten hohe Einschaltquoten voraus, weshalb überwiegend massenattraktive Programme mit geringem Kostenaufwand produziert würden, so die Einschätzung des Gerichts. Sendungen, die nur fiir eine

73, 118 (123 f.). 73, 118 (124, 156). BVerfGE 73, 118 (155).

13 Vgl. BVerfGE

14 Vgl. BVerfGE 15

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

geringe Zahl von Rundfunkteilnehmern von Interesse sind und zusätzlich hohen Kostenaufwand erfordern, seien folglich filr die werbungtreibende Wirtschaft und damit auch filr die privaten Rundfunkveranstalter unattraktiv 16. Die ganze Breite umfassender Information, ohne die es keine "Meinungsbildung" im Sinne der Garantie des Art. 5 I 2 GG geben kann, werde auf diese Weise nicht erreicht. bb) Gleichgewichtige Vielfalt Zum anderen unterliege die gleichgewichtige Vielfalt ("Ausgewogenheit") 17 in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen aufgrund der erläuterten Sondersituation in erhöhtem Maße unvermeidlichen Schwankungen. Dies finde seine Ursache insbesondere in der bereits erwähnten nur beschränkten Empfangbarkeit nicht-terrestrisch verbreiteter Programme. Gleichzeitig störten vermehrt von außen herangetragene und damit der VerfUgung des Landesgesetzgebers entzogene Programme 18 die volle landesgesetzlich geregelte Gleichgewichtigkeit im Gesamtprogramm19. d) Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Konsequenz des dualen Rundfunksystems Es sei dem zur Organisation des Rundfunks berufenen Landesgesetzgeber überlassen, so das Bundesverfassungsgericht, aufwelche Weise dieser den dargelegten Gefährdungen der Rundfunkfreiheit entgegentritt und Vorsorge trifft. Jedenfalls müsse das Rundfunksystem in seiner Gesamtheit "dem verfassungs-

16 Vgl. BVerfGE 73, 118 (155 f.), beispielhaft werden "anspruchsvolle kulturelle Sendungen" genannt. 17 An die Stelle der "Ausgewogenheit" ist nunmehr die "gleichgewichtige Vielfalt" als Zielvorgabe des Bundesverfassungsgerichts filr den Rundfunk gerückt; beide Begriffe sind aber im gleichen Sinne zu verstehen, vgl. etwa BVerfGE 83,238 (296 f.); auch Kuli, AfP 1987, 365 (367); Ossenbühl, DÖV 1977,381 (386 ff.). 18 Namentlich Programme aus anderen Bundesländern und aus dem Ausland, die unmittelbar Uber Haus- oder Satellitenantenne zu empfangen sind sowie solche herangeftlhrten Programme, die kraftrechtlicher Verpflichtung (vgl. etwa Art. 39 ff. BayMG; §§ 37 ff. LRG NW; §§ 41 ff. HmbMedienG) in das jeweilige Kabelnetz einzuspeisen sind; dazu näher unten 2. Teil 1. Abschnitt B II 3 b cc. 19 Allerdings wird eingeräumt, daß nicht genau feststellbar sei, wann gleichgewichtige Vielfalt besteht oder zu erwarten ist, weil es sich um einen "Zielwert" handle, der sich stets nur annäherungsweise erreichen lasse, vgl. BVerfGE 73, 118 (156 f.).

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich rechtlich Gebotenen

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im Rahmen des Möglichen" entsprechen20. Dies könne

auch in einer dualen Rundfunkordnung, wie sie sich mittlerweile in sämtlichen Bundesländern mit Ausnahme Bayems2 1 herausgebildet hat der Fall sein. Dazu heißt es wörtlich: "In dieser Ordnung ist die unerläßliche 'Grundversorgung' Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, zu der sie imstande sind, weil ihre terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und weil sie nicht in der gleichen Weise wie private Veranstalter aufhohe Einschaltquoten angewiesen, mithin zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind."22 Das Gericht verabschiedet sich damit von seiner noch im vorangegangenen FRAG-Urteil vertretenen Auffassung, Ausgewogenheitsmängel beim privaten Rundfunk seien schlechthin unannehmbar, da sie "das fiir die Gesamtheit der dem einzelnen Teilnehmer zugänglichen inländischen Programme wesentliche Gleichgewicht des 'Zu-Wort-Kommens' der gesellschaftlichen Gruppen stören, wenn nicht aufheben" würden23 . Da die gleichgewichtige Meinungsvielfalt le-

20 BVerfGE 73, 118 (157). 21 Vgl. Art. lila II I BV: "Rundfunk wird in öffentlicher Verantwortung und in öffentlichrechtlicher Trägerschaft betrieben"; zur verfassungsrechtlichen Problematik dieses öffentlichrechtlichen Trägerschaftsvorbehalts, zu seiner gesetzlichen Ausgestaltung sowie zur praktischen Handhabung Bethge, ZUM 1994, I ff.; ders., Rundfunkfreiheit und öffentlich-rechtlicher Organisationsvorbehalt, S. 32 ff.; ders., ZUM 1987, 199 (204 ff.); ders., ZUM 1986, 357 ff.; ders. ZUM 1986,255 (259 ff.); Lerche, ZUM 1993,441 ff.; Stettner, ZUM 1993, 174 ff.; ders., ZUM 1992, 456 (466 ff.); ders., ZUM 1986, 559 ff.; Schütz, ZUM 1993, 55 ff.; Knüller, Verfassungswidrigkeil des Art. II! a II I BV?, S. 29 ff.; Kresse, ZUM 1992, 353 f.; ders., Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 432 ff. ; Bornemann, ZUM 1992, 483 ff.; ders., BayVBI. 1991, 129 ff.; Renck-Laujke, BayVBI., 1991, 237 f.; Stock, JZ 1991, 645 (646 ff.); Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 303 ff.; Jäde, BayVBI. 1990, 183 f.; Degenhart, ZUM 1988,47 (53 ff.); ders., ZUM 1987, 595 (596 ff.); ders., AfP 1987,371 ff.; Schmitt G/aeser, ZUM 1986, 330 (331 ff.); ders., ZUM 1985, 523 ff.; Obermayer, ZUM 1985, 461 ff.; vgl. auch BayVerfGH, NJW 1992,3289 f.; BayVerfGH, ZUM 1992,370 ff.; BayVerfGH, AfP 1991, 616 f.; BayVerfGH, N.F. 43, 170 ff.; BayVerfGH, N.F. 40, 69 ff.; BayVerfGH, N.F. 39, 96 ff.; BayVerfGH, N.F. 30, 78 ff. sowie BayVGH, ZUM 1992, 632 ff.; BayVGH, ZUM 1992, 378 ff.; BayVGH, BayVBI. 1990, 179 ff.; BayVGH, BayVBI. 1988, 17 ff.; Art. I§ 38 RuFu-StV und den Bericht "Der Gesetzgeber soll sich aus der Zwickmühle befreien", in: Süddeutsche Zeitung v. 14. April1992. 22 BVerfGE 73, 118 (157), einfache Anfllhrungszeichen im Original. 23 BVeriUE 57, 295 (324), einfache Anfllhrungszeichen im Original. Die Literatur hat diese Änderung in der Verfassungsauslegung als "Paradigmenwechsel vom 3. zum 4. Rundfunkurteil" registriert, so etwa ausfllhrlich Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 34, 38 f.; "Prllmissentausch", Grimm, RuF 1987, 25 (30 ff.); "Prllmissenwechsel", Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 401 f.; "Spektakuläre, wahrscheinlich folgenschwere Kurskorrektur in Richtung Marktrundfunk", Stock, RuF 1987, 5 (7 ff.), Hervorhebung im Original; ders., NJW 1987, 217

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

diglich ein Zielwert sei, der sich nicht als exakt meßbare Größe verstehen lasse und daneben ohnehin teilweise der landesrechtliehen Ordnung entzogen sei, könne es nur darauf ankommen, daß die einfachgesetzlichen Vorkehrungen "dazu bestimmt und geeignet sind, ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichem"24 . Dem in der FRAG-Entscheidung hervorgebrachten Maßstab der funktionalen Gleichwertigkeit von öffentlich-rechtlichem und privatem Programmangebot wird auf diese Weise der Boden entzogen. Für das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk bedeutet das: "Solange und soweit jedoch die Wahrnehmung der genannten Aufgaben jedenfalls durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam sichergestellt ist, erscheint es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. "25 Für die Kontrolle privater Programme solle danach nur noch ein "Grundstandard"26 gleichgewichtiger Vielfalt maßgeblich sein, der bereits mit dem "Ausschluß einseitigen, in hohem Maße ungleichgewichtigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme"27 auf die öffentliche Meinungsbildung erreicht ist. Die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rahmen der Grundversorgung gestellten Aufgaben umfassen seine "essentiellen Funktionen" sowohl für die demokratische Ordnung als auch filr das kulturelle Leben in der Bundesrepublik28. Der verfassungsrechtliche Grundversorgungsauftrag wird damit letztlich aus dem Demokratie- und dem Kulturstaatsprinzip abgeleitet. Er erfährt durch das Bundesverfassungsgericht eine inhaltliche Aufgliederung in die Bereiche Meinungs- und politische Willensbildung, Unterhaltung, laufende und Hintergrundberichterstattung, Information sowie kulturelle Verantwortung. Zusammengefaßt ergeben die genannten Bereiche wiederum den "klassischen Auftrag des Rundfunks"29, der folglich nichts anderes ist als die inhaltliche

(221, 223); vgl. auch Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. I 00 ff. 24 BVertDE 73, 118 (156, 159). 25 BVerfGE 73, 118 (158 f.). 26 BVertDE 73, 118 (159 f.). 27 BVertDE 73, 28 BVertDE 73, 29 BVertDE 73,

118 (160). 118 (157 f.) unter Bezugnahme aufBVerfGE 35,202 (222). 118 (158).

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

91

Zielbestimmung der Grundversorgung. Diese Inhaltsbestimmung ist jedoch kein Selbstzweck, die Grundversorgungslehre bewirkt eine funktionale Kornpelenzzuweisung an die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die daraus ihre Rechtfertigung für Bestand und Gebührenfinanzierung herleiten. Im Wege dieser Auslegung der Rundfunkfreiheit findet die Grundversorgung bereits im Regelungsbereich des Grundrechts ihre Verankerung. Sie steht im Dienste des grundrechtliehen Normziels und ist deshalb vom einfachen Gesetzgeber im Rahmen seines ansonsten weiten Ausgestaltungsspielraums zu beachten. Sie kann nicht nach Art. 5 II GG eingeschränkt werden. e) Ergänzung der Grundversorgungsrechtsprechung Nur fünf Monate nach diesen Ausruhrungen hatte das Bundesverfassungsgericht erneut Anlaß zu einem Richterspruch von allgemeiner rundfunkrechtlicher Bedeutung. Im Baden-Württemberg-Beschluß30 schob der wiederum zuständige Erste Senat unter anderem Begründungselemente zum jüngst entwikkelten Grundversorgungsbegriff nach. Er formulierte negativ, daß mit Grundversorgung nicht die Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf eine Mindestversorgung gemeint sei. Ebensowenig handele es sich um eine Grenzziehung oder Aufgabenteilung - etwa nach Informations- und Unterhaltungsgesichtspunkten - zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk. Positiv dargestellt seien die wesentlichen Bestandteile der Grundversorgung: "Eine Übertragungstechnik, bei der ein Empfang der Sendungen filr alle sichergestellt ist, bis auf weiteres mithin die herkömmliche terrestrische Technik (BVerfGE 73, 118 [123]); weiterhin der inhaltliche Standard der Programme im Sinne eines Angebots, das nach seinen Gegenständen und der Art ihrer Darbietungen oder Behandlung dem dargelegten Auftrag des Rundfunks nicht nur zu einem Teil, sondern voll entspricht; schließlich die wirksame Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen."31 Die Entscheidung darüber, welche Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im einzelnen der unerläßlichen Grundversorgung zuzurech-

30 BVerfGE 74, 297 ff. 31 BVerfGE 74,297 (326), Klammersetzung im Original.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

nen sind, ließ das Gericht ausdrücklich offen. Jedenfalls könne diese Frage nicht isoliert fiir einzelne Programme oder Programmteile beantworten werden, weil Grundversorgung stets eine Mehrzahl von Programmen voraussetze32. Diese Position ist aus Karlsruhe in den folgenden Jahren abermals bestätigt worden33 . Es wurde ergänzt, die Grundversorgung sei sowohl in gegenständlicher als auch in zeitlicher Hinsicht "offen und dynamisch" und "allein an die Funktion gebunden, die der Rundfunk im Rahmen des von Art. 5 I GG geschützten Kommunikationsprozesses zu erfiillen hat"34_ Denn angesichts der schnellen technischen Fortentwicklung des Rundfunkwesens würde eine auf den gegenwärtigen Zustand bezogene Garantie nicht ausreichen, die Wahrnehmung der Grundversorgung sicherzustellen. Aus dieser funktionsbezogenen Betrachtungsweise haben die Verfassungshüter unter den Bedingungen des dualen Rundfunksystems fiir dessen öffentlich-rechtliche Seite neben dem bereits im Niedersachsen-Urteil festgeschriebenen Bestandsschutz zusätzlich eine Entwicklungsgarantie in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht abgeleitet35 . 2. Die Grundversorgung im Schrifttum Das Bundesverfassungsgericht hat die in Rede stehende Wendung indessen nicht erfunden; sie ist bereits elf Jahre vor der Vierten Rundfunkentscheidung in das juristische Schrifttum eingefiihrt worden. Die erstmalige Erwähnung und Erläuterung durch Herrmann im Jahre 197536 war Auftakt fiir eine Vielzahl von Auslegungs- und Ausdeutungsversuchen in der Literatur. Die einschlägigen Veröffentlichungen bieten allerdings bis heute ein äußerst uneinheitliches Bild. "Der vieldeutige, schillemde Terminus"37 hat eine so unterschiedliche

Vgl. BVerfDE 74, 297 (326). Vgl. BVerfGE 83,238 (297 f.); E 87, 181 (199); BVerfD, ZUM 1994, 173 (181). 34 BVerfGE 83, 238 (299), Hervorhebung im Original. 35 Vgl. BVerfDE 83, 238 (298 f); E 87, 181 (198); BVerfD, ZUM 1994, 173 (181); beschränkt auf die technische Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war diese Auffassung des Gerichts schon in der vorangegangenen Entscheidung angeklungen, vgl. BVerfDE 74, 297 (350 f.). 36 Vgl. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 297 ff., 302, 332, 346. 37 Stock, RuF 1987, 5 (16); ders., NJW 1987, 217 (221, dort Fn. 35); ebenso Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 393; Seemann, DÖV 1987, 844 (845); "oszillierend", Libertus, Grundversorgung und Funktionsgarantie, S. 28 nach Stock, RuF 1987, 5 (20); vgl. auch Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 44; Enz, ZUM 1987, 58 (67). 32 33

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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und bisweilen gegensätzliche Interpretation erfahren, "daß der Leser versucht ist, zweimal hinzusehen, ob wirklich von derselben Sache oder wenigstens von derselben Fundstelle die Rede ist"38. Die Deutungsvielfalt in der Wissenschaft ist ähnlich umfangreich wie die Meinungsvielfalt in der Bevölkerung, die nach Auslegung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Grundversorgung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu gewährleisten ist39. Im folgenden ist das Schrifttum zum Grundversorgungsbegriff soweit wie möglich zusammengefaßt und nach Gemeinsamkeiten in der Argumentation geordnet worden. Da sich die Literaturquellen jedoch in vielen Fällen als Einzelmeinungen verstehen, denen weitgehende Übereinstimmungen fremd sind, wurde bei ihrer Darstellung unmittelbar an die einzelnen Autoren angeknüpft; deren namentliche Nennung mag die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der Auffassungen zusätzlich hervorheben. a) Das Schrifttum vor der Vierten Rundfunkentscheidung Bei näherer Untersuchung der vor dem Niedersachsen-Urteil veröffentlichten Literatur lassen sich dennoch zwei Grundlinien in der Argumentation ausmachen40. Die eine - mehr ableitende - Begründung geht aus von den Verfassungsgrunds~itzen des Sozialstaats- und Demokratieprinzips, eine andere - eher hinleitende - Auffassung beschreibt die Bedeutung der Grundversorgung vor dem Hintergrund einer heraufziehenden gemischten Rundfunkverfassung.

38 Berg, AfP 1987, 457 (457); ähnlich Enz, ZUM 1987, 58 (67); eine nähere geschichtliche Erläuterung gibt Stock, Zur Theorie des Koordinationsrundfunks, S. 95 ff., I 03 ff. 39 Vgl. BVerfGE 74,297 (325); E 73, 118 (159). Fuhr, ZUM 1987, 145 (151, dort Fn. 72) unterschätzt die damalige rundfunkrechtliche Diskussion um den Grundversorgungsbegriff, wenn er annimmt, daß der Begriffvor seiner Einftlhrung in die Verfassungsrechtsprechung "überhaupt nur ganz vereinzelt" verwandt worden ist und zu erkennen glaubt, es sei dabei hauptsächlich um die Frage einer sozialgerechten Ausgestaltung des Rundfunkwesens gegangen, vgl. dazu den folgenden Text. 40 Dabei soll nur die rundfunkrechtliche Literatur herangezogen werden; die Verwendung des Begriffs "Grundversorgung" in anderen Rechtsgebieten ist hier ohne Bedeutung und bleibt deshalb außer Betracht, vgl. dazu Niepal/a, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 32 m.w.N. Auch auf die allgemeinen rundfunkpolitischen Auseinandersetzungen der siebziger und achtziger Jahre kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, vgl. dazu Berg, AfP 1987,457 (458).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

aa) Grundversorgung als Ableitung aus Sozialstaats-und Demokratieprinzip Herrmann stellt fest, "eine gleichmäßige Rundfunkgrundversorgung gehört zu dem durch das Sozialstaatsgebot gesicherten sozialen Besitzstand der Bürger"41. Die im wesentlichen in den Art. 20 und 28 GG verankerte Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik gewährleiste eine Grundversorgung mit Rundfunkprogrammen zu sozialen Bedingungen. Dabei könne diese Grundversorgung je nach Entscheidung der Gesetzgeber mit einem, zwei oder mehr Fernseh- oder Hörfunkprogrammen erreicht werden42 . Die Aufrechterhaltung einer an sozialstaatliehen Prinzipien orientierten Grundversorgung der Allgemeinheit mit Informationen durch Hörfunk und Fernsehen gehöre zu den durch das Sozialstaatsprinzip gebotenen Maßnahmen der zuständigen staatlichen Örgane43. Ihnen obliege es, fiir eine "wenigstens in ihrem Grundbestand sozial gestaltete Rundfunkkommunikation zu sorgen"44 . Im übrigen erfordere auch das Demokratieprinzip eine Grundversorgung der Allgemeinheit mit einem Mindestmaß fiir die allgemeine Meinungsbildung wichtiger Information45. Schmitt Glaeser bezieht sich auf diese Argumentation mit der Feststellung, daß "das Sozialstaatsprinzip fiir das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Grundversorgung mit Rundfunkprogrammen zu sozialen Bedingungen fordert"46. H. Klein sieht eine sowohl aus dem Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit als auch aus dem demokratischen Prinzip erwachsende Aufgabe des Staates, "den Fluß des Informationsstroms vom Informationsgeber zum Informationsempfänger, in dem von der Verfassung vorgegebenen Rahmen, d.h. auch: in dem unentbehrlichen Mindestmaß, zu gewährleisten"47. Der Staat habe dafiir Sorge zu tragen, daß jedermann eine "Mindest- (Grund-)versorgung mit Rundfunk erhält", so daß sich jeder Bürger ohne weiteres aus dem Rundfunk informieren kann48.

41 Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 332. 42 Vgl. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 297, 346. 43 Vgl. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 302. 44 Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 298.

Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 299. 46 Schmitt Glaeser, Kabelkommunikation und Verfassung, S. 101; "Daseinsvorsorgeleistungen i.S. einer 'Grundversorgung"', ders., BayVBI. 1985, 97 (105), Abkünung und Anftlhrungszeichen im Original. 47 H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 58 f. 48 H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 60, Klammersetzung im Original; ders., Der Staat, 20. Band [1981 ], S. 177 (196); nach Ricker, AfP 1980, 140 ( 145) bedeutet das "ein ausgewogenes Vollprogramm". 45 Vgl.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Oppermann spricht von der '"daseinsvorsorgenden' Aufgabe und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunksektors, nämlich eine meinungsvielfältige 'Rundfunkgrundversorgung' der Bevölkerung in informierender, meinungsbildender wie auch kultureller und unterhaltender Richtung beständig zu gewährleisten "49. Geiger nennt die Grundversorgung nicht ausdrücklich, beschreibt aber ausfiihrlich, daß der Gesetzgeber aufgrund verfassungsrechtlicher Zentralentscheidungen, dem Demokratie- und dem Sozialstaatsgebot, verpflichtet sei, durch gesetzliche Maßnahmen die Informationsfreiheit zu sichem50. Fuhr/Krone leiten aus den verfassungsrechtlichen Geboten der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit einen gleichfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten "Grundsatz der kommunikativen Versorgungsgerechtigkeit"51 ab. Diesem Grundsatz entspringe ein Teilhabeanspruch der Bürger gegen den Staat, der sich aber nur "generell auf eine bloße Rundfunkmindest- oder -grundversorgung bezieht"52. Danach habe der Staat die chancengleiche Teilhabe der gesamten Bevölkerung am Prozeß der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung zu sozialverträglichen Bedingungen zu sichern. Diesen Zweck erfulle in einem binnenpluralen Rundfunksystem "bereits ein Programm einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, da in ihm die Auffassungen und Meinungen sämtlicher relevanten politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen in einem ausgewogenen Verhältnis vertreten sind und mit dieser intramedialen Vielfalt dem vom Sozialstaatsprinzip lediglich geforderten elementaren rezeptioneilen Informationsbedürfnis Rechnung getragen wird"53. In Zusammenfassung der bis an diese Stelle gesichteten Literatur können Übereinstimmungen vorerst nur hinsichtlich des Ursprungs und des Umfangs der Grundversorgung festgestellt werden. Bei einer Ableitung aus dem Demokratie- und Sozialstaatsgebot wird der Begriff überwiegend als Verwirklichung eines rundfunkrechtlichen Prinzips der notwendigen Minimalversorgung

49 Oppermann, JZ 1981, 721 (729), einfache Anfilhrungszeichen im Original; ähnlich Schmitt Glaeser, BayVBI. 1985,97 (105). 50 Vgl. Geiger, AfP 1977, 256 (259, 262 f.); ebenso Schardt, ZUM 1986, 429 (431); Böckenförde/Wieland, AtP 1982, 77 (82). 51 Fuhr/Krone, FuR 1984, 630 (631 f.). 52 Fuhr/Krone, FuR 1984, 630 (632); ähnlich zur Begründung eines Teilhabeanspruchs, jedoch ohne Beschränkung auf eine Mindest- oder Grundversorgung Pestalozza, ZRP 1979, 25

(29).

53 Fuhr/Krone, FuR 1984, 630 (632), Hervorhebung im Original. Gegen die Begrenzung auf nur ein Programm ausdrUcklieh Enz, ZUM 1987, 58 (67).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

verstanden. Doch bereits in der Frage der Umsetzung dieser Minimalversorgung, etwa nur durch ein Programm oder aber durch mehrere Programme, bestehen unterschiedliche Auffassungen. bb) Grundversorgung in einer gemischten Rundfunkverfassung Schon einige Jahre vor Einfiihrung des privaten Rundfunks sind in der Literatur erste wissenschaftliche Vorarbeiten fiir ein öffentlich-rechtliches und privates Nebeneinander in der Rundfunklandschaft geleistet worden. Dieses heute unter der Überschrift "duales Rundfunksystem" bekannte Nebeneinander wurde auch als "gemischte Rundfunkverfassung" bezeichnet54 . Das Verhältnis der beiden Seiten dieses Mischsystems zueinander sowie die Bedeutung der Grundversorgung darin waren jedoch noch unklar. c:x) Grundversorgung als bloße Ergänzung privater Programme

Nach Herleitung der Grundversorgung aus den Verfassungsgeboten der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit erläutert Herrmann seinen Standpunkt zur Bedeutung der Grundversorgung in einer Rundfunkordnung nach einem möglichen Wegfall des staatlichen Betriebsvorbehalts. Unter der Textüberschrift "Schutz vor dem Mißbrauch der Macht der Rundfunkkommunikation?" wird zunächst auf die Möglichkeiten des Rundfunkunternehmers hingewiesen, die Rundfunkteilnehmer sekundenschnell und nach seinen Vorstellungen zu stimulieren, zu unterhalten und zu informieren. Sodann wird als Schutz vor dieser Gefährdungslage aber nicht der völlige Ausschluß privater Interessenten von der Rundfunkunternehmung in Erwägung gezogen, sondern vielmehr deren grundsätzliche Zulässigkeil bejaht, "wenn die Bürger die Möglichkeit haben, auch Fernseh- und Hörfunkprogramme öffentlicher Rundfunkunternehmen ... zu empfangen; denn in diesem Fall kann der Bürger seine Meinungsbildung (auch) auf eine ausgewogen-neutrale Grundversorgung stützen"ss.

54 Oppermann, JZ 1981, 721 (728); ebenso Scholz, JZ 1981, 561 (563); vgl. auch Bethge, ZUM 1987, 199 (202); ders., JZ 1985,308 (310); Ory, AfP 1987, 466 (468). 55 Herrmann, Fensehen und Hörfunk, S. 345, Hervorhebung und Klammersetzung im Original. Herrmann erinnert dabei an die These Krügers, Die öffentlichen Massenmedien, S. 69 ff.: "Der Einsatz öffentlicher Massenmedien als Möglichkeit der Korrektur eines zur Fehlleistung tendierenden Marktes privater Massenmedien".

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Die so beschriebene Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll hier kurz als "Ergänzungsfunktion" zusammengefaßt werden, da sie die nach der dargelegten Konzeption zu erwartenden Fehlsamkeilen im Programm von privat gefilhrten Rundfunkunternehmen zu einer Gesamt-Ausgewogenheil und Neutralität ergänzt. Bei H. Klein erscheint diese Begründung im Grundsatz noch einmal. Doch wird gleichzeitig in vorsichtiger Weise das Zukunftsbild eines sich zunehmend wandelnden Rundfunks entworfen. Darin vermindert sich die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in dem Maße, in dem andere gesellschaftlich relevante Rundfunkveranstalter die außenplurale Darstellung der Meinungsvielfalt übernehmen: "Sicher ist nur, daß ... Private zur Veranstaltung zugelassen werden müssen. Daneben aber können die öffentlich-rechtlichen Anstalten fortbestehen. Ja, man wird mindestens filr eine gewiß nicht zu kurz zu bemessende Übergangszeit davon auszugehen haben, daß, um die Pluralität und die Chancengleichheit filr Programmacher wie Rezipienten aufrechtzuerhalten, die Rundfunkanstalten bestehen bleiben müssen. Ihnen obliegt die Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunk. "56 Die Dauer dieser Übergangszeit solle sich nach dem technischen Fortschritt bei der Schaffung neuer Übertragungsmöglichkeiten filr private Rundfunkprogramme richten. Zudem sei zu berücksichtigen, ob und inwieweit die gesellschaftlich relevanten Gruppen ihrerseits tatsächlich Rundfunk veranstalten wUrden und damit Notwendigkeit und Rechtfertigung filr ihren bereits in den Anstalten verkörperten privilegierten Status entfallen lassen57. Damit wurde ein Standpunkt eingenommen, der von der oben erwähnten späteren Rechtsprechung zur Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überholt werden sollte58. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfilllt in dieser Sichtweise nur noch eine sekundäre "Komplementär-"59 oder "Kompensationsfunktion"60 filr den im Wandel befindlichen Privatfunk. Oppermann räumt ein, "daß der öffentliche Sektor auch im Rahmen einer sich allmählich entwickelnden gemischten Rundfunkverfassung so oder so von

56 H Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 79; ders., Der Staat, 20. Band [1981], S. 177 (197); ähnlich Bullinger, Kommunikationsfreiheit im Strukturwandel der Telekommunikation, S. 94 f.

79 f. 58 Vgl. BVerfGE 74, 297 (350 f.); E 83, 238 (298). 57 H Klein, Die Rundfunkfreiheit, S.

59 Scholz,JZ 1981,561 (563). 60 Hoffmann-Riem, AöR, 109. Band [1984), S. 304 (329). 7 Wilhelmi

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

einer hervorragenden, primären Bedeutung bleiben wird"6 1. Es bestehe nicht der geringste Zweifel am Überdauern des öffentlich-rechtlichen Rundfunksektors mit Auftrag und Funktion der Rundfunkgrundversorgung der Bevölkerung. Der den Privatfunk regelnde Rundfunkgesetzgeber habe deshalb die Aufgabe, "den öffentlichrechtlichen Anstalten auch unter den künftig 'gemischten' Strukturen dasjenige wirtschaftlich/finanzielle Fundament aus Gebührenaufkommen (und u.U. auch künftig aus Teilen der Werbeeinnahmen) zu erhalten, dessen sie zur ständigen Realisierung einer solchen 'Grundversorgung' bedürfen"62. Mit diesen Worten ist nichts anderes gemeint als die finanzielle Bestandsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die nachfolgend im Niedersachsen-Urteil tatsächlich Einzug in die Verfassungsrechtsprechung gehalten hat. Die Grundversorgung wird hier als eine beständige Größe für die öffentlichrechtliche Vielfaltssicherung angesehen; Schmitt Glaeser schreibt ihr eine "Auffangfunktion" zu63. Die genannten Auffassungen setzen sich in dem Mehrzahl mit Bedeutung und Umfang der Grundversorgung auseinander, die in einer sich wandelnden Rundfunkordnung jedenfalls von den öffentlich-rechtlichen Anstalten wahrzunehmen sei. Dabei geht es in der Hauptsache um die Bestimmung des beim öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbleibenden Restpostens von Aufgaben nach dem Hinzutreten privater Anbieter. Doch mit den erwähnten Etiketten "Ausfallbürgschaft", "Komplementär-" "Kompensations-" oder "Auffangfunktion" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die volle Breite der Literaturmeinungen zu dessen Rolle in einer gemischten Rundfunkordnung noch nicht beschrieben.

6 1 Oppermann, JZ 1981, 721 (729); ähnlich Scholz, JZ 1985, 561 (563).

62 Oppermann, JZ 1981, 721 (729), einfache Anftlhrungszeichen und Klammersetzung im Original. 63 Schmitt Glaeser, BayVBI. 1985,97 (105). Kiefer, MP 1985, 15 (22), stellt fest, daß den öffentlich-rechtlichen Garanten der Grundversorgung als ROstzeug im publizistischen Wettbewerb der "Zugang zu allen technischen, programmliehen und wirtschaftlichen Innovationen der Gegenwart und der Zukunft" gewährt werden müsse, "also strategische Freiheit, wie sie jede Unternehmung hat". Damit sind bereits die von der Verfassungsrechtsprechung erst in der Sechsten Rundfunkentscheidung (BVerfGE 83, 238 [298]) gewährten Entwicklungsgarantien angedeutet worden.

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

99

ß) Grundversorgung als Existenzgeflihrdung des öffentlichrechtlichen Rundfunks

So beanstandet etwa Hoffmann-Riem, daß das Programm der ÖffentlichRechtlichen von den Beftirwortem des Privatfunks als "Alibi ftir die Interesseneinseitigkeit anderer Sendungen"64 verstanden werde und als "Lückenbüßer"65 zur "Ausgewogenheits-"66 und "Kulturreserve"67 verkomme. Es sei nicht zulässig, den öffentlich-rechtlichen Veranstaltern eine "kompensatorische Programmgestaltung"68 aufzuerlegen, also eine Pflicht zur zielgerichteten Gegenläufigkeit zwecks Austarierung der Ungleichgewichte69. Aber auch eine als allgemeine und ungerichtete Ergänzung des privaten Programms verstandene Grundversorgung Jasse den verfassungsrechtlichen Programmauftrag leiden. Zudem drohe der zur Grundversorgung in diesem Maße verpflichtete Anstaltsrundfunk unter einen letztlich vielleicht sogar tödlichen Anpassungsdruck zu geraten70. Denn die Konkurrenz um das Publikum könne auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk veranlassen, "Massenattraktivität um (fast) jeden Preis zur primären Richtschnur des Programms" zu machen, womit jedoch wiederum das Gebot publizistischer Vielfalt verletzt würde und gleichzeitig die Rechtfertigung ftir die gegenüber dem kommerziellen Rundfunk privilegierende Gebührenfinanzierung entfielen71 . Aus der Sicht der kommerziellen Veranstalter sei es dagegen möglicherweise sogar zu begrüßen, dem öffentlichrechtlichen Konkurrenten die ftir eigene Zwecke unattraktiven Programmbestandteile zuschieben zu können und sich selbst "auf lukrative Programmangebote zu begrenzen"72.

64 Ho.ffmann-Riem, ZRP 1980, 31 (36). 65 Ho.ffmann-Riem, RuF 1984,32 (47); ders., MP 1980,362 (362). 66 Ho.ffmann-Riem, ZRP 1980, 31 (36). 67 Ho.ffmann-Riem, MP 1980, 362 (362); weitere anschauliche Bezeichnungen: "Resteverwerter", "Nischenfunk", a.a.O.; Ho.ffmann-Riem faßt seine Gesamtbewertung des Urteils

als "Kapitulation vor dem Machbaren" zusammen, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 13. Dezember 1986, S. 9 (10). 68 Ho.ffmann-Riem, AöR, 109. Band [1984], S. 304 (329); ähnlich Bethge, JZ 1985,308 (310). 69 "Dies wUrde zu einer Verfehlung der bisherigen Programmauftrags fllhren", Ho.ffmannRiem, AöR, 109. Band [1984], S. 304 (329). 70 Vgl. Ho.ffmann-Riem, RuF 1984, 32 (47 f.). 71 Vgl. Ho.ffmann-Riem, RuF 1984,32 (48), Klammersetzung im Original. 72 Ho.ffmann-Riem, RuF 1984, 32 (48). 7*

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Diesen Gedanken hatte bereits Stock eingebracht, indem er auf eine grundsätzliche Gefährlichkeit der Grundversorgungsargumentation überhaupt verwies73. Der Grundversorgungsauftrag an die öffentlichen Anstalten degradiere diese zum "Defizitausgleich" privaten Tendenzfunks74. In dieser Ordnung sei im übrigen ungeklärt, an welcher Stelle die Grundversorgung zwischen einerseits "komplementären" und andererseits "konkurrierenden Programmstrukturen"75 anzusiedeln sei. Die nachgezeichnete massive Kritik an den Versuchen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mittels seines Grundversorgungsauftrags in die Rolle des fehlerkorrigierenden Bestandteils einer gemischten Rundfunkverfassung zu drängen, stützt sich auf die damalige, im FRAG-Urteil geschaffene Rechtslage, nach der an den Rundfunk in seiner Gesamtheit von Verfassungs wegen dieselben Vielfaltsanforderungen zu stellen waren - ohne Ansehung einer öffentlichen oder privaten Veranstalterregie76. Die in der Literatur zum Ausdruck gebrachten Bedenken ergaben sich aus einem Mißtrauen gegenüber der tatsächlichen Umsetzung dieses verfassungsrechtlichen Gleichwertigkeilsgebots durch die privaten Rundfunkveranstalter; es wurde das Entstehen eines meinungsmäßigen und gegenständlichen Ungleichgewichts im Gesamtprogramm befurchtet77. Die zum Niedersächsischen Landesrundfunkgesetz ergangene Vierte Rundfunkentscheidung veränderte mit der Einfiihrung des Grundversorgungsbegriffs diese Rechtslage und verlagerte auf diese Weise auch den Schauplatz der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. b) Das Schrifttum zur Vierten Rundfunkentscheidung In der Niedersachsen-Entscheidung hat der Erste Senat des Bundesverfas-

73 Stock, Zur Theorie des Koordinationsrundfunks, S. 98. Grimm, VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 46 (77 f.) sieht die Gefahr einer "kulturellen Austrocknung des Rundfunks" als Folge seiner Kommerzialisierung. Es werde zwar in der Literatur vorgeschlagen, dieser Gefahr durch einen öffentlich-rechtlichen Garanten der Grundversorgung und "Kulturreserve" zu begegnen; zweifelhaft sei aber, ob sich ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der "die kulturrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes gegen die ökonomischen Imperative durchsetzt" im publizistischen Wettbewerb behaupten kann. 74 Stock, Zur Theorie des Koordinationsrundfunks, S. 98. 75 Stock, Zur Theorie des Koordinationsrundfunks, S. 97. 76 Vgl. BVerfGE 57,295 (324).

77 Vgl.

Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 32 f.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

101

sungsgerichts den Streit darüber entschieden, welche rechtliche Organisationsform des Rundfunks das bestehende duale System zu beherrschen bestimmt ist. Der Vorrang wurde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgrund eines Versorgungsvorteils bei der flächendeckenden Programmverbreitung sowie aufgrund eines Zuverlässigkeitsvorteils bei der umfassenden Programmvielfaltssicherung zugewiesen78 . Der privatrechtlich organisierte Rundfunk bleibt nach Auffassung der Verfassungsrichter aufgrund seines geringeren technischen Versorgungsgrads und insbesondere aufgrund seiner werbeabhängigen Finanzierung dahinter zurück. Als Folge davon ist dem Privatfunk ftlr sein Programm nur ein Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt vorgegeben worden, während die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Rahmen der ihnen obliegenden Grundversorgung den Rundfunkauftrag in seiner vollen Breite zu erftlllen haben. Dieses Stufenverhältnis der beiden Organisationsformen zueinander erledigte mit seinem "Paradigmenwechsel"79 gegenüber dem Gleichwertigkeitsgebot des FRAG-Urteils einen Teil des vorausgegangenen Literaturstreits, doch die - bei näherer Betrachtung des Stufenverhältnisses - verbleibende Unsicherheit rief eine neue Diskussion hervor: Die Verfechter eines hier so bezeichneten "kleinen Grundversorgungsbegriffs" treten die Nachfolge derjenigen Literaturstimmen an, die vormals den gebührenfinanzierten Anstaltsfunk in einer bloßen Ergänzungsfunktion zu dem werbefinanzierten und deshalb vielfaltsschwachen Privatrundfunk gesehen hatten. Ihnen stehen die Anhänger eines "großen Grundversorgungsbegriffs" gegenüber, die die Beschränkung auf ein Minimal- oder Ausgleichsprinzip ablehnen und darunter die allein den öffentlich-rechtlichen Anstalten obliegende rundfunkfreiheitssichernde Vollversorgung verstehen. Diese Vollversorgung soll gleichzeitig die Rechtfertigung für eine verfassungsrechtliche Bestandsund Entwicklungsgarantie des Anstaltsrundfunks sein.

78 Das Niedersachsen-Urteil ist deshalb auch als "Magna Charta des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" bewertet worden, Bethge, ZUM 1987, 199 (202); ders., ZUM 1991, 337 (338); ähnlich Berg, MP 1986, 689 (689 f.); Grimm, Ruf 1987,25 (28); kritisch Kuli, AfP 1987,462 (462). 79 Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 34, 38 f.; "Prämissenwechsel", Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 401 f.; "Prämissentausch", Grimm, Ruf 1987, 25 (30); "Kurskorrektur", Stock, RuF 1987, 5 (5 f.), "unauffillliges overruling", ders. , a.a.O., S. 9; ders., NJW 1987, 217 (221, 223); vgl. auch "Medienpolitische Analyse des 4. Rundfunkurteils" durch das Bundesinnenministerium, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 13. Dezember 1986, S. 21 (22) und oben 2. Teil I. Abschnitt AI I d.

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

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aa) "Kleiner Grundversorgungsbegriff' Kuli sieht im Niedersachsen-Urteil die Absage des Gerichts an jede expansive öffentlich-rechtliche Vision sowie an jede Festschreibung des Bestehenden. Man solle eher "von einer 'Funktionsgarantie' sprechen: hinsichtlich eines ungeschützten Bestandes, der einerseits zur Disposition des Gesetzgebers steht und andererseits Einbußen bei der Reichweite, entsprechend dem Vordringen der privaten Programme hinnehmen muß".80 Grundversorgung beschreibe die ursprüngliche Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks81 , die vor allem in seinem Kulturauftrag bestehe. Das Gegenteil von Grundversorgung stellten "Zusatzversorgung, Vollversorgung, Überversorgung" dar; damit sei ein duales System, welches auf beiden Seiten "Begrenzungen bei den Frequenzen, bei der Finanzierung und bei den Inhalten" voraussetze nicht aufzubauen82 . Schmitt Glaeser warnt vor einer verfassungsrechtlichen Festschreibung und mahnt gleichzeitig zur Korrektur der bereits einfachgesetzlich geregelten Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie führe zu einer "erdrückenden Privilegierung" der Rundfunkanstalten und beinhalte die "konkrete Gefahr des Austrocknens des privaten Rundfunks", der ohnehin einen gravierenden Nachholbedarf habe83. Wenn ihnen nichts Essentielles entzogen werde, dann seien die öffentlich-rechtlichen Anstalten ohnehin "Selbstläufer", die einer "ewigen" Bestands- und Entwicklungsgarantie nicht bedürften. Die Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasse jedenfalls für die nächste Zukunft lediglich seine bisherigen Daseinsvorsorgeleistungen 84. Seemann macht die Hinwendung der Verfassungsrechtsprechung zu einem Qualitätsgedanken im Rundfunkwesen aus85. Das Gericht setze nicht mehr allein auf seine bekannte Vielfaltsformel und suche die Besonderheit des Rundfunks wie früher in der Sphäre der Meinungsfreiheit, sondern entdecke zusätzlich ein qualitätsbezogenes Merkmal. In der Vierten Rundfunkentscheidung sei

°

8 Kuli, AfP

1987, 365 (368), einfache Anfllhrungszeichen im Original.

81 " ... -bevor sie aus Sorge vor privatwirtschaftlicher Konkurrenz das Konzept der Kanalverstopfung ersonnen und teilweise schon realisiert haben", Kuli, AfP 1987, 462 (464); ebenso Selmer, Bestands- und Entwicklungsgarantien fllr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, S. 58 f. 82 Beide Zitate Kuli, AfP 1987,462 (464); ders., ZUM 1987,355 (357). 83 Schmitt Gfaeser, DVBI. 1987, 14 (20); ders., AöR, 112. Band [1987], S. 215 (260). 84 Zustimmend Ricker/Müller-Mafm, ZUM 1987, 208 (209); ähnlich Ory, AfP 1987,

(468).

85 Vgl. Seemann, ZRP

1987, 37 (38).

466

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

103

als neues Leitbild der dualen Rundfunkordnung die Zusammengehörigkeit von Grundversorgung und Ergänzungsversorgung zu erkennen: Da private Veranstalter nach Auffassung des Gerichts der Vielfaltsformel nicht gerecht werden könnten, sei ihnen die "dauerhafte Ergänzungsversorgung" zugewiesen worden86. "Als neue Basis sollte an den Gedanken des Qualitätsstandards niit einem auf dem Boden der Komplementarität beruhenden qualitativ funktionierenden System gedacht werden."87 Grundversorgung sei "wohl nicht gleichbedeutend mit der jetzt bestehenden Vollversorgung, sondern sicherlich eine reduzierte Form der Vollversorgung"88. Danach sei filr den Gesetzgeber die Rückfilhrung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den traditionellen territorialen Rundfunk vorgegeben. Das bedeute insbesondere eine Finanzierung ausschließlich durch Gebühren, die Eindämmung wirtschaftlicher Betätigung der Rundfunkanstalten und zusätzlich keinen weiteren Ausbau der Rundfunkprogramme, weder außerhalb noch innerhalb der jeweiligen Sendegebiete89_ Insgesamt ergebe sich damit "eine relativ saubere Trennung des privatrechtliehen und öffentlich-rechtlichen Marktsegments"90. Grawert leitet aus der Beifügung "unerläßlich"91 einen Minimalumfang der Grundversorgung ab. Die Betonung des "klassischen Auftrags des Rundfunks" und seiner "essentiellen Funktionen" durch das Bundesverfassungsgericht legten zusätzlich die Annahme nahe, daß qualitativ und/oder quantitativ erhebliche Programmausweitungen im Lokalbereich und Technikänderungen bei den neuen Medien von der Grundversorgung nicht mehr erfaßt werden; die Entwicklungsmöglichkeiten des privaten Rundfunks dürften nicht durch übermäßige Bestands- und Entwicklungsgarantien filr den etablierten öffentlichrechtlichen Anstaltsrundfunks erschwert werden92. Eine Kompetenz der Anstalten zur "Mehr- und Sonderversorgung" der Bevölkerung lasse sich aus der

86 Seemann, ZRP

(260 f.).

1987, 37 (38

f.); ders., DÖV

1987, 129 (135); ders., ZUM 1987, 255

8? Seemann, ZRP 1987, 37 (39). 88 Seemann, DÖV 1987, 129 (135); ähnlich die vom Bundesinnenministerium erstellte "Medienpolitische Analyse des 4. Rundfunkurteils", epd/Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 13. Dezember 1986, S. 21 (22 f.). 89 Als Beispiele werden u.a. die Weiterverbreitung dritter Fernsehprogramme in andere BundesHinder sowie öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramme im lokalen Bereich genannt, Seemann, ZRP 1987, 37 (39); ders., DÖV 1987, 129 (135). 90 Seemann, ZUM 1987,255 (269); ders., ZRP 1987,37 (39).

91 BVerfGE 73, 118 (157). 92 Vgl. Grawert, AfP 1986, 277 (279); zustimmend Kuli, AfP

1987, 365 (368).

104

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Vierten Rundfunkentscheidung nicht herauslesen93. Im Verhältnis der beiden derzeitigen Erscheinungsformen des Rundfunks sei "offenbar von korrelativen Positionsbestimmungen des privaten und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Verfassungsebene auszugehen. ... Die beiden Funktionsbereiche ergänzen sich zu einem Gesamtprogramm und sollen dieses so gliedern, daß mit einem ungefähren programmliehen 'Gleichgewicht' gerechnet werden kann."94 bb) "Großer Grundversorgungsbegriff' Berg sieht die Grundversorgung als ein "Schlüsselwort der Entscheidung" an und tritt ausdrücklich solchen Interpretationen des Niedersachsen-Urteils entgegen, die die als unbestimmten Verfassungsbegriff eingeftlhrte Grundversorgung auf eine "Mindestversorgung mit dem Notwendigsten" reduzieren9 5. Die Aufgabe der Grundversorgung sei "nicht mißzuverstehen im Sinne einer Minimalversorgung. Dies folgt sowohl aus der Umschreibung der Programmsparten und dem Hinweis auf die 'essentiellen Funktionen' des öffentlichrechtlichen Rundfunks in der Demokratie als auch aus der Bewertung eines voll funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Voraussetzung für einen mit verringerten Anforderungen bedachten privaten Rundfunk"96. Die Einordnung der Grundversorgung als unerläßlich für die Sicherung der Rundfunkfreiheit lasse Beschränkungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksektors auf einen "status quo oder quo minus" scheitem97. Erst die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Absage an den Gedanken einer nur kompensatorischen Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erlaube überhaupt, sich einen weiteren, vorrangig kommerziell dominierten Bereich "zu leisten"98. Aus der Beschreibung der unverzichtbaren Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Karlsruher Richter lasse sich "eine Funktionsgarantie entnehmen und damit eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlichrechtlichen Rundfunk"99.

93 Vgl. Grawert, AfP 1986, 277 (280). 94 Grawert, AfP 1986, 277 (280), einfache Anfilhrungszeichen im Original. 95 Berg, MP 1986,689 (690). 96 Berg, MP 1986, 799 (800), einfache Anfilhrungszeichen im Original. 97 Berg, AfP 1987,457 (459); zustimmend Fuhr, ZUM 1987, 145 (152). 98 Berg, AfP 1987, 457 (459); "Ohne die Existenz dieser 'Grundversorgung' wäre privatwirtschaftlicher Rundfunk evident verfassungswidrig", Hecker, ZUM 1987, 276 (277), einfache Anfilhrungszeichen im Original. 99 Berg, MP 1986, 799 (800); ebenso Enz, ZUM 1987, 58 (69); zustimmend auch Badura, JA

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Nach Bethge ist die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems "praktisch die Geschäftsgrundlage, deretwegen privater Rundfunk trotz seiner Defekte und Defizite überhaupt funktionieren kann und verfassungsrechtlich tolerabel erscheint" 100. Die landesgesetzlichen Privatfunkmodelle, die gegenwärtig und in absehbarer Zeit keine zureichende Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt zu realisieren vermögen, könnten in ihrem zweitrangigen Standard hingenommen werden, weil als "Auffanggröße" die grundversorgungsverpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorhanden seien. Die Entscheidung darüber, was alles zur unerläßlichen Grundversorgung gehört, falle in die Einschätzungsprärogative der anstaltsintemen, pluralistisch legitimierten Gremien 10 1. In ähnlicher Weise versteht Grimm die Vierte Rundfunkentscheidung: Grundversorgung bestehe aus einem "'inhaltlich umfassenden Programmangebot', dessen Existenz erst das reduzierte Angebot der privaten Veranstalter rechtfertigt". Freilich sei es diesen nicht verwehrt, ihrerseits Programme fiir Minderheiten und zu hohen Produktionskosten auszustrahlen; es könne ihnen nur, weil wirtschaftlich nicht einträglich, nicht abverlangt werden 102. Die Koppelung des privaten Rundfunks an die Funktionsflihigkeit des öffentlichenrechtlichen Rundfunks habe ein Interesse der Privatunternehmer an einem Fortbestehen der hergebrachten Anstalten zur Folge. Eine Bestands- und Entwicklungsgarantie sei aus verfassungsrechtlicher Sicht jedoch vor allem deshalb zu befiirworten, weil andernfalls die Wettbewerbsflihigkeit des An1987, 180 (186) unter ausdrücklicher Ablehnung Grawerts, AfP 1986, 277 (279) in Fn. 62 und mit dem Zusatz, daß es zuerst in der Verantwortung der Anstalten liege, Ober Art und Ausmaß der zu gewahrleistenden Rundfunkversorgung zu befinden; dieser Gedanke klingt bei Berg, AfP 1987, 457 (460 f.) ebenfalls an; deutlicher Bethge, ZUM 1987, 199 (202); s. auch sogleich im Text. 100 Bethge, ZUM 1987, 199 (202). 101 Bethge, ZUM 1987, 199 (202), wobei auch ein "kondominiales Mitentscheidungsrecht" der Landesparlamente in Erwägung gezogen wird; dazu näher ders., ZUM 1991, 337 (340); ausftlhrlich zur "Kondominialverwaltung" im Rundfunk Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 100 f., 572 ff.; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 370 halt ein "Kondominium" zwischen Staat und Landesmedienanstalten in Fragen der Werbebeschränkung ftlr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter dem Gesichtspunkt der Staatsfreiheit ftlr unbedenklich, eine staatliche Beteiligung an der Vergabe zukünftiger Frequenzen hingegen ftlr nicht zulässig, a.a.O., S. 244 ff., 250. 102 Grimm, RuF 1987, 25 (29), einfache Anftlhrungszeichen im Original. Der Autor war übrigens spater als berichterslattender Bundesverfassungsrichter an der Sechsten, Siebten und Achten Rundfunkentscheidung des Erkennenden Ersten Senats beteiligt und ist auch weiterhin ftlr das Sachgebiet "Rundfunk- und Pressefreiheit - Art. 5 I GG" zuständig, vgl. den Bericht "Das BVerfD: Zahlen und Kammerzustllndigkeiten", NJW 1990, 2452 (2453) sowie BVerfDE 87, 414; E 83, 404 (Richterspiegel).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

staltsfunks und damit letztlich auch der Grundversorgungsauftrag gefährdet würden 103. Dieser Auftrag sei "durchaus anspruchsvoll und keineswegs reduktionistisch" gemeint104. Auch Hoffmann-Riem knüpft an die vom Gericht vorgenommene "symbiotische Verklammerung" 105 des privaten mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem an. Das Modell wird mit einem Hochseilakt beider Systeme verglichen, bei dem das öffentlich-rechtliche System im Falle eines Absturzes den Privatfunk mit in die Tiefe risse, selbst jedoch weich in einem Netz landen würde. Es sei daher verfehlt, von der Grundversorgung als Überversorgung zu sprechen; die Pflicht zur Grundversorgung ziele auf eine "Vollversorgung" und umfasse "alle Sparten des Rundfunks, insbesondere auch Unterhaltung". Zudem sei diese Pflicht auf alle Bevölkerungsteile ausgerichtet. Der öffentlichrechtliche Rundfunk dürfe daher "nicht zum Nischenrundfunk reduziert werden". Um seine Aufgabe erftillen zu können, stehe ihm eine Bestands- und Entwicklungsgarantie zu 106. Für Ladeur beinhaltet der Grundversorgungsauftrag nicht etwa, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten ftir die "'gehobene Kultur' und die anspruchsvolle qualifizierte politische Information zuständig wären. Vielmehr folge daraus, daß ihr Programm sowohl eine kulturelle und politische Aufgabe zu erftillen hat, als auch ftir das Massenpublikum attraktiv sein muß" 107. Auf solchem Wege ergebe sich ein Zielkonflikt ftir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in dem dieser allerdings vor einem vollen wirtschaftlichen Leistungswettbewerb mit den privaten Konkurrenten zu bewahren sei. Rossen erkennt im Niedersachsen-Urteil eine gefährliche Distanz zu dem vorausgegangenen FRAG-UrteiJ108. Während mit der FRAG-Entscheidung der Entwurf einer Kommunikationsverfassung gelungen sei, die freie und umfassende Meinungsbildung wirkungsvoll gewährleiste, öffne der in der Folgeentscheidung eingeftihrte vieldeutige Begriff "Grundversorgung" die Tore zu

Vgl. Grimm, RuF 1987,25 (33, 35). RuF 1987, 25 (33). 105 Hoffmann-Riem, medium 1987, 17 (20). 106 Vgl. Hoffmann-Riem, medium 1987, 17 (20). Auch Hecker, ZUM 1987, 276 (277, 280) erkennt in der Niedersachsen-Entscheidung keine Hinwendung zu einer "funktionale Äquivalenz" zwischen den beiden Rundfunksystemen; der Vorrang des öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrags erstrecke sich sogar bis in den lokalen Bereich hinein, a.a.O., S. 278. 107 Ladeur, ZUM 1987,491 (498), einfache AnfUhrungszeichen im Original. 108 Vgl. Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 394 f. 103

104 Grimm,

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

107

einem deregulierten pressenahen Marktrundfunk. Damit entstehe "die Gefahr eines verfassungsrechtlich nicht mehr legitimierbaren 'Dammbruches"•l 09 . Stock heftlewortet zwar der Sache nach "eine ungebrochen vitale, aus sich heraus entwicklungsflihige und demgemäß abzusichernde 'Vollversorgung"', an der sich auch die "erforderliche Funktionsgarantie (Bestands-, Entwicklungs-, Finanzgarantie)" für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk orientieren müsse: Der öffentliche Sektor sei auf Dauer zu stellen, er dürfe nicht von irgendwelchen Verfallstheoremen überschattet werden 11 0. Doch der Grundversorgungsbegriff "oszilliere" in merkwürdiger Weise, er enthalte zahlreiche bedenkliche Momentelll und es bestünden funktionswidrig-restriktive Lesarten11 2. Der mißverständliche Ausdruck "Grundversorgung" solle deshalb künftig gemieden werden 113 . cc) Zusammenfassung Die Grundversorgung ist durch die Vierte Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts als unbestimmter Rechtsbegriff in die größtenteils richterrechtlich herausgebildete Rundfunkverfassung eingefilhrt worden. Eine Bezugnahme auf die bis dahin im wissenschaftlichen Schrifttum geleisteten dogmatischen Vorarbeiten zu Herleitung, Inhalt und Umfang des Begriffs ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Dies hat unterschiedliche Ansätze in der literarischen Aufnahme der Entscheidung herausgefordert. In einschränkender Auslegung der Verfassungsrechtsprechung wird ein "kleiner Grundversorgungsbegriff' vertreten. Darunter ist eine bloße, hinter dem Privatfunk zurücktretende Komplementärfunktion zu verstehen: Die der Grundversorgung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben nur einen Minimalauftrag bei der ergänzenden Sicherung des Meinungsbildungsprozesses; entsprechend ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seinem

109 Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 395, einfache Anftlhrungszeichen im Original. 110 Stock, RuF 1987, 5 (21), einfache Anftlhrungszeichen und Klammersetzung im Original. 111 Stock, RuF 1987, 5 (20). 112 Stock, RuF 1987, 5 (24). 113 "Hier tun sich Abgründe auf', Stock, RuF 1987, 5 (21); Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 65 bezeichnet die Wortwahl "Grundversorgung" durch das Bundesverfassungsgericht als "ungiUcklich", weil sie keine RUckschlUsse auf den Begriffsinhalt zulasse.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Bestand auch nur insoweit geschützt, als es filr die Erfilllung einer solchen Minimalversorgung erforderlich ist. Ein demgegenüber erweitertes Verständnis der Grundversorgung läßt sich unter der Überschrift "großer Grundversorgungsbegriff' zusammenfassen. Damit ist gemeint: Privater Rundfunk steht zum öffentlich-rechtlichen Alleingaranten der Grundversorgung in einem akzessorischen Nachordnungsverhältnis, eine funktionale Gleichgewichtigkeit der beiden Organisationsformen ist abzulehnen. Für die Gewährleistung des Auftrags zur Vollversorgung der Bevölkerung gebührt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk folglich eine umfassende Bestands- und Entwicklungsgarantie. c) Das Schrifttum zur weiteren Grundversorgungsrechtsprechung Im Baden-Württemberg-Beschluß hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die wenige Monate zuvor entwickelten Grundsätze einer dualen Rundfunkordnung bestätigt 114. Insbesondere der im Mittelpunkt dieser Ordnung stehende, und sofort stark umstrittene Grundversorgungsbegriff erfuhr dabei Erläuterung und Ergänzung. Es müsse im Prinzip dafilr Sorge getragen werden, so noch einmal das Bundesverfassungsgericht, daß ftlr die Gesamtheit der Bevölkerung Programme geboten werden, welche umfassend und in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags informieren, und daß im Rahmen dieses Programmangebots Meinungsvielfalt in der verfassungsrechlieh gebotenen Weise gesichert ist 11 5. Deshalb sei die jedenfalls durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu sichemde Grundversorgung weder auf eine Mindestversorgung beschränkt noch handele es sich um eine Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen Anstalts- und Privatfunk116. Wesentlich seien vielmehr eine flächendeckende Übertragungstechnik, ein Programmstandard im Sinne des klassischen Rundfunkauftrags sowie die organisatorische und verfahrensrechliehe Vielfaltssicherung117. Sodann finden sich in dem Beschluß einzelne Rundfunkbereiche aufgezählt, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht der Grundversorgung zuzurechnen sind;

114 Vgl. BVerfDE 74, 297 (324 ff.). 115 Vgl. BVerfDE 74, 297 (325).

116 Vgl. BVerfDE 74, 297 (325 f.). 117 Vgl. BVerfDE 74, 297 (326).

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

109

namentlich der Lokal- und Regionalfunk 11 8, die Veranstaltung von Spartenprogrammen119 und die rundfunkähnlichen Kommunikationsdienste 120. In der Sechsten Rundfunkentscheidung, dem Nordrhein-Westfalen-Urteil, erklärte das Bundesverfassungsgericht den Grundversorgungsbegriff als gegenständlich und zeitlich offen und dynamisch. Sowohl die Reichweite als auch die Grenzen der Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seien allein funktional im Hinblick auf die Erfilllung des klassischen Rundfunkauftrags zu bemessenl21. Der Hessen 3-Beschluß und das Rundfunkgebühren-Urteil haben als Siebte und Achte Rundfunkentscheidung diesen Standpunkt noch einmal uneingeschränkt bekräftigtl22. Die positiv formulierten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur näheren Bestimmung des Grundversorgungsbegriffs - flächendeckende Übertragungstechnik, volle Wahrnehmung des klassischen Rundfunkauftrags, Vielfaltssicherung durch Organisation und Verfahren - finden in ihrer Allgemeinheit überwiegend die Zustimmung des Schrifttums; unterschiedliche Auffassungen herrschen jedoch gegenüber den negativen Abschiebtungen des Streitgegenstands: "Keine Mindestversorgung", "keine Grenzziehung oder Aufgabenteilung" sowie "kein Lokal- bzw. Regionalfunk". aa) "Mindestversorgung"

Starck etwa argumentiert, Grundversorgung könne in Wahrheit nur eine Mindestversorgung sein. Mit Rücksicht auf die von allen Rundfunkteilnehmern zu entrichtende Gebühr müsse der Gesetzgeber den öffentlich-rechtlichen Anstalten "ein höheres Maß an Auflagen in bezug auf die Vielfalt der Thematik, 118 Da gleichgewichtige Meinungsvielfalt im regionalen und lokalen Rundfunk des Landes Baden-WUrttemberg bereits durch dessen gesetzliche Ordnung des privaten Rundfunks sichergestellt sei, BVerfGE 74, 297 (327 ff.). 119 Die sich nur an einen begrenzten Teilnehmerkreis richten und auch thematisch begrenzt sind, so daß sie ftlr sich genommen umfassende Information und Meinungsbildung nicht ermögli· chen, BVerfGE 74, 297 (345 f.). 120 Diese Dienste allerdings nur "vorerst" und zwar nur solange wie sie nicht in erheblichem Umfang an die Stelle des herkömmlichen Rundfunks treten, BVerfGE 74, 297 (353); ebenso BVerfGE 83, 238 (302 f.). Unter der Bezeichnung "rundfunkähnliche Kommunikationsdienste" faßt das Gericht Videotext sowie Ton· und Bewegtbilddienste auf Abruf und auf Zugriff zusarn· men, BVerfGE 74, 297 (352). 121 Vgl. BVerfGE 83, 238 (298 ff.). 122 Vgl. BVerfGE 87, 181 (199 f.); BVerfG, ZUM 1994, 173 (181).

110

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

die politische Ausgewogenheit und das Niveau der Sendungen machen"123. Für das, was die privaten Rundfunkveranstalter leisten könnten, z.B. Rockmusik und Schlager im Radio sowie Action-Filme und leichtere Unterhaltung im Fernsehen, bedürfe es keines gebührenfinanzierten Grundversorgungsauftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten; dieser Auftrag sei daher auf alles "Qualitätsvolle" zu beschränken 124. Schmitt Glaeser bemängelt, der 4. November 1986 12 5 sei vom Bundesverfassungsgericht als Stichtag fiir einen ausreichenden Grundversorgungsstandard "willkürlich dekretiert" worden 126. Zudem hätten sich die Rundfunkanstalten bis zu diesem Datum schon so sehr "aufgebläht", daß die Grundversorgung zum "funktionellen Monopol" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geraten und die private Konkurrenz chancenlos sei127. Bethge hingegen stellt fest, daß sich das vom Bundesverfassungsgericht gezeichnete Leitmodell der "publizistischen Konkurrenz" zwischen beiden Teilen des dualen Rundfunksystems nicht mit einer Vorstellung von Grundversorgung als Mindestversorgung vereinbaren lassel28. Die Grundversorgung könne nur dynamisch begriffen werden, da sie "das ausgleichende Korrektiv fiir die Fehlsamkeiten des privaten Rundfunks" sei129. Goerlich!Radeck argumentieren ähnlich !30 und ergänzen, daß die vermeintliche Festlegung der Karlsruher Richter auf das Datum des 4. November 1986 lediglich eine Momentaufnahme vom Umfang der Grundversorgung darstelle, und daß die verwendete Formulierung ("zumindest") auf die Offenheit des Grundversorgungsbestands insgesamt hindeute. Hoffmann-Riem versteht die Grundversorgungsrechtsprechung ebenfalls als auf eine Vollversorgung mit sämtlichen fiir die freie Meinungsbil-

123 Starck, NJW 124 Starck, NJW

1992, 3257 (3262). 1992,3257 (3262 f.); ebenso Kuli, AtP 1987, 568 (572).

125 Das Verkündungsdatum der Vierten Rundfunkentscheidung; BVerfGE nimmt auf diesen Tag ausdrücklich Bezug.

74, 297 (326)

1987, 837 (839). 1987, 837 (838 f.); im gleichen Sinne Ricker, ZUM 1987, 331 (336 f.); auch die Bedenken Bu/lingers, JZ 1987, 928 (928) gehen in diese Richtung, wenn er von 126 Schmitt Glaeser, DÖV

127 Schmitt Glaeser, DÖV

"Expansionsrundfunk" spricht. I2S Bethge, ZUM 1991, 337 (339).

129 Bethge, ZUM 1991, 337 (339); ders., AöR, 116. Band [1991], S. 521 (526); so auch Herrmann, ZUM 1991,325 (326); ders. , ZUM 1989,448 (449). "Für eine Minimierung der Funktion der öffentlich-rechtlichen Anstalt ('öffentlich-rechtliche Pflicht und private Kür') ergeben sich ... keine zwingenden Anhaltspunkte", Degenhart, ZUM 1988, 47 (49), einfache Anfiihrungszeichen und Klammersetzung im Original; ders., DVBI. 1991,510 (514). 130 Vgl. Goerlich/Radeck, JZ 1989, 53 (57 ff.); Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (12, dort Fn. 155).

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

111

dung der Bürger wichtigen Programminhalten gerichtete Maßgabe, sowohl fiir die Massen- ("Grundversorgung fiir alle") als auch fiir die Minderheiteninteressen131. Die Bezugnahme auf den "klassischen Rundfunkauftrag" sowie die Erwähnung des Stichtags 4. November 1986 deuteten daraufhin, so HoffmannRiem, daß die Programminhalte, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor der Einrichtung des dualen Systems wahrgenommen hat, in qualitativer und quantitativer Hinsicht auch weiterhin zu Grundversorgung zählenl3 2. Hendriks bilanziert diese Rechtsprechung mit der Kurzformel: '"Grundversorgung fiir alle' mit Rundfunk im Sinne eines Vollkonzepts durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Zusatzversorgung durch die privaten Veranstalter".133 bb) "Grenzziehung oder Aufgabenteilung" Im Anschluß an die Fünfte Rundfunkentscheidung wirft Kuli die Frage auf: "Grundversorgung also nur eine fa~;on de parler?"l3 4 Es sei unerfindlich, weshalb des Bundesverfassungsgericht aus seinen klaren Worten, insbesondere zum Gebührenprivileg der Rundfunkanstalten in einem dualen System, nicht die Konsequenz einer Begrenzung der Anstalten auf den Kulturauftrag ziehe. Ricker folgert aus der gerichtlichen Ablehnung einer Aufgabenteilung innerhalb des dualen Systems, daß der Gedanke einer einseitigen Akzessorietät des Rundfunks derzeit fehlgehe135. Spätestens dann aber, wenn der private Rundfunk über eine den öffentlich-rechtlichen Sendem vergleichbare technische Reichweite verfUge, also von nahezu der gesamten Bevölkerung empfangen werden könne, seien die Privatveranstalter in der Lage, ihrerseits zur Grundversorgung beizutragen. Sie hätten unter diesen Bedingungen den massenattraktiven Anteil der Gesamtrundfunkversorgung zu übernehmen; der öffentlichrechtliche Rundfunk habe sich in entsprechender Weise, vorrangig aus dem Unterhaltungsangebot zurückzuziehen. Damit werde eine "Arbeitsteilung zwischen beiden Systemen" verwirklichtl36.

131 Vgl. Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 44. 132 Ebenso Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 387. 133 Hendriks, ZUM 1988,209 (210), einfache Anftlhrungszeichen im Original. 134 Kuli, AfP

1987, 568 (572).

135 Ricker, ZUM 1989,331 (334). 136 Ricker, ZUM 1989, 331 (335); ders., Medientage München 1992, Dokumentation, Band 1, S. 52 (57).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Die Idee von einem "Hineinwachsen" 137 des Privatfunks in die Grundversorgungsaufgabe wird auch an anderer Stelle im Schrifttum vertreten. So stellt Schrnitt Glaeser fest, "Grundversorgung kann sich aus öffentlich-rechtlichen und privaten Programmen bilden, jedes hat dem anderen gegenüber Ergänzungs/unktion, auch die privaten gegenüber den öffentlich-rechtlichen"l3 8. Seemann ist der Auffassung, eine "Substitution der von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern zu bewirkenden Grundversorgung durch private Veranstalter" erschiene im Prinzip und bei entsprechender Technik möglich, da das Bundesverfassungsgericht den Gedanken der Komplementarität und Arbeitsteilung zwischen den beiden Rundfunksystemen verneint habe 139. Bethge hält dem entgegen, daß eine "Privatisierung der Grundversorgung ausgeschlossen" sei. "Es gehört zu den Charakteristika der Grundversorgung als Rechtsbegriff, daß sie keine Funktion umschreiben kann, die beliebig zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Veranstaltern austauschbar wäre."l40 Grundversorgung sei für private Rundfunkveranstalter nur insoweit interessant und erheblich, als sie im Rahmen ihrer Autonomie zu einer inhaltlich entsprechenden Programmplanung berechtigt, keinesfalls aber verpflichtet seienl41. Nach Ory wird durch den Grundversorgungsauftrag klargestellt, "daß die Aufgaben des Rundfunks im dualen System nicht geteilt sind, es nicht zwei Ausgewogenheiten gibt, sondern, daß beide Teile des dualen Systems zusammenwirken".142 Hoffmann-Riem lehnt eine programminhaltliche Aufgabenteilung ab, wenn er feststellt, Grundversorgung beziehe sich ausschließlich auf Vollprogramme und damit auf die traditionellen Programmsparten Information,

Selmer/Gersdorf, DVBI. 1992, 79 (80). Schmill Glaeser, DÖV 1987, 837 (839), Hervorhebungen im Original. 139 Seemann, DÖV 1987, 844 (846). "Hineinwachsen ... nicht ausgeschlossen", Degenhart, Jura 1988, 21 (26, 29); ders., ZUM 1988, 47 (49); vgl. auch Starck, NJW 1992, 3257 (3259); Goer/ich/Radeck, JZ 1989, 53 (57); Bullinger, JZ 1987,928 (931). 140 Bethge, ZUM 1991, 337 (339); allgemein zur Funktionsbestimmung der öffentlich-rechtlichen Anstalten durch den Gesetzgeber ders., DVBl. 1986, 859 (864 f.); Zuck, MDR 1987, 717 (719) hält die Erkenntnis fllr "unausweichlich", daß ein Veranstalter, der sein Programm über Werbeeinnahmen finanziert, nie einen Grundversorgungsauftrag übernehmen kann. 141 Wer als Privatfunkveranstalter eine andere Medienpolitik favorisiere, sei "von einer Art publizistischer Todessehnsucht" besessen, Bethge, Medientage München 1992, Dokumentation, Band 1, S. 62 (67); ders., ZUM 1991, 337 (339 f.); fllr Stock, MP 1991, 133 (136) ist eine Qualitlltssteigerung der privaten Rundfunkveranstalter als "Konvergenz nach oben ... verfassungsrechtlich durchaus wünschenswert", die öffentlich-rechtliche Grundversorgung werde jedoch der Sache nach niemals entbehrlich werden; ähnlich Berg, MP 1987, 737 (738); vgl. auch Herrmann, ZUM 1989, 448 (448) in Erwiderung auf Ricker, ZUM 1989,331 ff. und oben Fn. 135 f. 142 Ory, ZUM 1987, 427 (429). 137

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1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Kultur, Unterhaltung, Bildung und Beratung1 43. Nur so werde dem Umstand Rechnung getragen, daß Rundfunk sowohl im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen Lebensbereich Wirkung entfaltet. Schmidt schließlich verweist darauf, daß der Programmauftrag auch gegenüber dem Staat unteilbar sei und daß die Rundfunkanstalten im Rahmen ihres verfassungsrechtlichen Programmauftragsfrei in der Gestaltung ihres Sendeschemas seien 144. cc) "Lokal- und Regionalrundfunk" Nach Hiligrober darf der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Grundsatz, wonach im lokalen Bereich eine Grundversorgung nach der filr landesweiten Rundfunk geltenden Art nicht nötig sei, nicht so verstanden werden, daß es keinen lokalen Rundfunkauftrag und kein durch Veranstaltung freien Rundfunks zu befriedigendes lokales Informationsbedürfnis gäbel 45. Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts bedeute lediglich, daß die Grundversorgung im lokalen Bereich nicht notwendig durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geleistet werden müsse. "Es liegt hier also ein Fall von Grundversorgung durch private Rundfunkveranstalter vor", folgert Starck aus dem BadenWürttemberg-Beschlußl46. Darin schätze das Bundesverfassungsgericht die durch private Anbieter erbrachte Vielfaltsdarstellung in den regionalen und lokalen Sendegebieten als hinreichend ein und erkläre eine eigene Grundversorgung im Bereich regionaler und lokaler Programme durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nicht filr eindeutig geboten. Seemann fragt, warum dieser Gedankengang (lokale Grundversorgung als Mittel der Meinungsvielfalt, ausgefilllt von privaten Veranstaltern) nicht auch auf landesweite Programme übertragen werden könne, womit der Begriff "Grundversorgung" insgesamt in Frage zu stellen sei147. Hoffmann-Riem sieht das vom Bundesverfassungsgericht in die Vielfalt des privaten Lokal- und Regionalfunks gesetzte Vertrauen als in der praktischen

143 Vgl. Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeulschland, S . 41. Nach Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 387 wird mit dem richterlichen Hinweis auf die kulturelle Verantwortung des Rundfunks gleichzeitig die erhebliche Reichweite der Grundversorgungsaufgabe verdeutlicht. 144 Vgl. Waller Schmidt, ZUM 1989, 263 (265 f.). 145 Vgl. Hillgruber, AfP 1993, 525 (527). 146 Starck, NJW 1992, 3257 (3259); vgl. auch Ricker, ZUM 1989, 331 (334); Ory, ZUM 1987, 427 (428). Ebenso, jedoch bezogen auf das Nordrhein-Westflllische Lokalfunkmodell, Degenhart, DVBI. 1991, 510 (517). 147 Seemann, DÖV 1987, 844 (847). 8 Wilhelmi

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Anwendung gescheitert an 148. Er bezweifelt, daß private Veranstalter bei der Bedienung lokaler und regionaler Kommunikationsbedürfnisse die qualitative Aufgaben berücksichtigen können, die vom Bundesverfassungsgericht generell für die Grundversorgung definiert worden sind149. Bei dem gegenwärtigen Entwicklungsstand des lokalen und regionalen Rundfunks sei es für den Gesetzgeber schwer, hinreichende Sicherungen dafür einzubauen, daß die Privatveranstalter in dem genannten Bereich aus eigener Kraft eine Programmversorgung schaffen, die dem Grundversorgungsstandard gerecht wird 150. Hecker stellt zunächst fest, daß Medienforschung und politikwissenschaftliche Forschung die besondere Bedeutung des lokalen und regionalen Bereichs für die öffentliche Meinungsbildung belegten, was von der Rechtsprechung des Karlsruher Verfassungshüters inhaltlich bestätigt werde 151. Daraus sei für die verfassungsrechtliche Beurteilung regionaler und lokaler Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abzuleiten, daß derartige Programmangebote "nicht nur verfassungsrechtlich zulässig sind, sondern im Falle der Zulassung privatwirtschaftlicher Rundfunkangebote im lokalen und regionalen Raum verfassungsrechtlich geboten sind" I 52_ 3. Die Grundversorgung in den Rundfunkgesetzen

Die weitaus magerste Erkenntnisquelle zur Bestimmung des Begriffs "Grundversorgung" stellen die einfachgesetzlichen Regelungen dar. Es wird erkennbar, daß die Umsetzung der Grundversorgung aus der verfassungsrechtlichen Begriffswelt in die tägliche Rechtsanwendung nicht unproblematisch ist. In der Mehrzahl der landesgesetzlichen Rundfunkregelungen ist der Begriff "Grundversorgung" nach wie vor unerwähnt geblieben153, obwohl deren Vor-

148 Vgl. Ho.ffinann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 54 ff. 149 Vgl. Ho.ffinann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56. 150 Ähnlich Goer/ich/Radeck, JZ 1989, 53 (58). 151 Vgl. Hecker, ZUM 1987, 276 (277 f.); ebenso Enz, ZUM 1987, 58 (70). 152 Hecker, ZUM 1987, 276 (278), Hervorhebung im Original; Selmer, Bestands- und Entwicklungsgarantien ftlr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, S. 84 rechnet - ohne nähere Begründung - lokale Fensterprogramme im Hauptprogramm zur Grundversorgung, Lokalberichterstattung außerhalb dieser Fenster dagegen zur grundversorgungsfernen quantitativen Rundfunkerweiterung. 153 Die allgemeine Feststellung des vormaligen ARD-Vorsitzenden Friedrich Nowottny, ARD-Jahrbuch 1992, S. 17 (17), der Grundversorgungsbegriff sei inzwischen "gesetzlich verbrieft", ist insofern mißverständlich, da sie zu der unrichtigen Annahme Anlaß gibt, die Grundversorgung sei fester Bestandteil sämtlicher Rundfunk- und Mediengesetze der Länder.

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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schriften überwiegend noch nach Erlaß der Vierten Rundfunkentscheidung im November 1986 geändert worden oder überhaupt erst in Kraft getreten sind. Soweit die Rundfunk- und Mediengesetze die Grundversorgung aber beim Namen nennen, geschieht dies ausschließlich im Zusammenhang mit der Vergabe von Übertragungsmöglichkeiten und dient. als Rechtfertigung fiir die vorrangige Zuweisung der Frequenzen und Kanäle an die öffentlich-rechtlichen Anstalten 154. Damit wird die Grundversorgung aber lediglich in ihrer übertragungstechnischen Bedeutung berücksichtigt. Eine nähere Erläuterung oder gar Definition ist in den Gesetzen nicht vorgenommen worden 15 5. Dies ist indessen nur folgerichtig, da das Bundesverfassungsgericht nachdrücklich auf die Offenheit und Dynamik der Grundversorgung verweist und keine abschließende Beurteilung anbietet. Die weitgehende Zurückhaltung der Landesgesetzgeber zeigt, daß diese die Grundversorgung im Auslegungsbereich des Karlsruher "Ersatzgesetzgebers"156, nicht aber im Bereich ihrer eigenen Ausgestaltungsbefugnis liegend ansehen.

4. Stellungnahme zum Grundversorgungsbegriff Grundversorgung ist ein Begriff, der dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 I 2 GG) zur Anwendbarkeit verhilft 157. Da die Rundfunkfreiheit unmit-

Goerlich/Radeck, JZ 1989, 53 (61) deuten die Möglichkeit eines subjektiv-rechtlichen Anspruchs des Einzelnen gegen den zuständigen Gesetzgeber auf Sicherstellung der Grundversorgung durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk an. 154 Vgl. § 61112 NDR-StV; § 3 114 ORB-Gesetz; §§ 5, 6 II a.E. StV-BB; § 5 II 2 RGMV; § 4 li 2 SächsPRG; § 2 S. 2 PRG S.-A.; § 3 I Nr. I, II, 111 Nr. I TPRG sowie Art. I § 34 llld RuFuStV. 155 Lediglich in Thüringen wurde ein Ist-Zustand der Grundversorgung gesetzlich festgeschrieben, der letztlich aber doch wieder eine Öffnungsklausel enthält: "Die Grundversorgung ... erfolgt durch das terrestrisch verbreitete Fernsehprogramm des ZDF und durch die im Staatsvertrag Ober den MDR vorgesehenen Programme des MDR sowie durch weitere Rundfunkprogramme dieser Anstalten, soweit diese im Rahmen der weiteren Entwicklung des Rundfunkwesens zur Grundversorgung der Bevölkerung Thüringens erforderlich werden", § 3 II TPRG; vgl. auch Waller Schmidt, ZUM 1989, 263 (267). 156 Bethge, Medientage MOnehen 1992, Dokumentation, Band I, S. 62 (64); ders., AöR, 116. Band [1991], S. 521 (522); ders., ZUM 1991,337 (338). 157 Rundfunkorganisationsrecht ist "angewandtes Verfassungsrecht", Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 15; ähnlich Hoffmann-Riem, Rundfunkfreiheit durch Rundfunkorganisation, S. 19. Nur durch die rechtsgewinnende Auslegung der Rechtsprechung kann die "Aktualität der Grundrechte" gesichert werden, vgl. Bethge, JZ 1991, 306 (306). Die Notwendigkeit und die Probleme einer Umsetzung der Verfassungstheorie in die soziale Wirklichkeit schildert Morlok, Verfassungstheorie, S. 192 ff. Ob der Weg Ober die Grundversorgung als die einzige Möglichkeit zur Verwirklichung der Rundfunkfreiheit anzusehen ist, hängt von einem mehr subjektiv- oder 8*

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

telbar geltendes (Grund-)Recht im Sinne von Art. I III GG ist, muß ihr Bedeutungsgehalt letztverbindlich vom Bundesverfassungsgericht als dafilr zuständige Instanz festgelegt werden. Dazu ist mit Einfilhrung der Grundversorgung in die Rundfunkverfassung durch die Karlsruher Richter ein wesentlicher Beitrag geleistet worden. Der Ausdruck muß daher akzeptiert werden; er strahlt nicht nur vorübergehend als bloße "Supernova vom juristischen Begriffshimmel"158, sondern wird das Rundfunkrecht auf Dauer begleiten. Fraglich bleibt jedoch, wie der Verfassungsbegriff auszulegen ist. a) Ersatzbegriff "Vollversorgung" Bei Betrachtung der Literaturbeiträge zur Diskussion um die Grundversorgung ist die Bemühung erkennbar, filr den im Streit befindlichen Ausdruck Ersatzbegriffe mit erhöhtem Aussagewert zu finden: Minimal-, Mehr-, Zusatz-, Sonder-, Ergänzungs-, Voll- und Überversorgung sind einige Beispielel59, die den Gegenstand des Meinungsstreits jedoch in der Mehrzahl nicht wirklich erklären können. Einzig eine Hinwendung zu dem Begriff "Vollversorgung" verspricht Gewinn:

mehr objektiv-rechtlich geprägten Verständnis dieser Freiheit ab. Hier wird entsprechend der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten, gesetzlich auszugestaltenden "dienenden Freiheit" des Rundfunks, an der sich auch nach einem Fortfall der rundfunkrechtlichen Sondersituation nichts ändert (vgl. an dieser Stelle nur BVerfGE 57, 295 [320 ff.]) ein Oberwiegend objektiv-institutionelles Verständnis zugrundegelegt; zur subjektiv-individuellen Auslegung der Rundfunkfreiheit vgl. nur H. Klein, Der Staat, 20. Band [1981], S. 177 (189 ff.) grundlegend m.w.N. 158 Kuli, AfP 1987,462 (462). Unter dem Begriff"Supernova" werden in der Astronomie Fixsterne verstanden, die - anfänglich sehr lichtschwach - aufgrund einer atomaren Reaktion kurzzeitig in hunderttausendfachem Lichtausbruch erstrahlen und dann ebenso schnell in sich zusammenfallen, vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 23, 9. Auflage, Mannheim 1978; Brockhaus Enzyklopädie, Band 13, 17. Auflage, Wiesbaden 1971. 159 Vgl. Bullinger, JZ 1989, 928 (928, dort Fn. 9); Hendriks, ZUM 1988, 209 (209 f.); Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 393; Stock, RuF 1987, 5 (15); Kuli, AfP 1987,462 (464); ders. , ZUM 1987, 355 (357); Seemann, ZRP 1987, 37 (38 f.); ders. , DÖV 1987, 844 (846); HoffmannRiem, medium 1987, 17 (20); Ladeur, ZUM 1987, 491 (497); Fuhr, ZUM 1987, 145 (152); Enz, ZUM 1987, 58 (67); Grawert, AfP 1986, 277 (280); Berg, MP 1986, 799 (800); ders., MP 1986, 689 (690). Der Versuch einer wörtlichen oder semantischen Auslegung des eigentlichen Grundversorgungsbegriffs ist zwar bisweilen unternommen worden, bislang jedoch ohne wesentlichen Gewinn geblieben, vgl. die Befunde von Niepal/a, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 63 ff.; Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 66 f. ; Ricker, ZUM 1989, 331 (332 f.); Berg, AfP 1987, 457 (457 f.); Seemann, DÖV 1987, 844 (846); Kuli, AfP 1987,462 (464 f.); ders., AfP 1987, 568 (572); Schmitt Glaeser, DÖV 1987, 837 (839).

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Mit dieser Wendung wird das Ziel des Grundversorgungsauftrags in der Weise umschrieben, daß sowohl den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Rundfunkordnung Rechnung getragen als auch die umfassende Reichweite des Begriffs veranschaulicht wird. Dies ergibt sich aus einer Untersuchung der vom Bundesverfassungsgericht geprägten "Tatbestandsmerkmale" der Grundversorgung. b) Kernbereich der Grundversorgung In Anlehnung an die Rundfunkrechtsprechung und unter Berücksichtigung der sich wandelnde tatsächlichen Bedingungen, denen der Lebenssachverhalt "Rundfunk" unterliegt, ist der Grundversorgungsbegriff letztlich nur noch über eines seiner ursprünglich drei Merkmale zu bestimmen. aa) Technische Empfangbarkeil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks So verliert zum einen das Unterscheidungskriterium einer flächendeckenden Empfangbarkeil fiir die gesamte Bevölkerung160 infolge der technischen Entwicklung stetig an Bedeutung. Die flächendeckenden terrestrischen Frequenzen werden fortschreitend von den neuen Medien - Kabel- und Satellitentechnik ergänzt oder sogar ersetzt und büßen dadurch ihr früheres Reichweitenmonopol ein. Zwar bleibt die Verlegung des Breitbandkabels durch die Telekom hinter der ursprünglichen Planung zurück, und auch die volle Anschlußdichte der Rundfunkteilnehmer an die bereits verlegten Kabelnetze ist noch nicht erreicht. Doch schafft die Programmabstrahlung durch Satelliten direkt an die Teilnehmer eine Möglichkeit des Rundfunkempfangs, die derjenigen erdgebundener Sender nicht nachsteht. Zudem unterliegt der Satellitendirektempfang in geringerem Maße als der herkömmliche Antennenempfang technischen Störungen oder Unzulänglichkeiten161 und liefert aufgrund der verwendeten Digitaltechnik eine bessere Bild- und Tonqualität Die dargestellte Empfangsmöglichkeit findet ihre schnelle Umsetzung in die Rundfunkwirklichkeit zu sinkenden Preisen 162. Diese technische Entwicklung wird von den Landes-

160 "Grundversorgung ftlr alle", BVerfGE 73,

118 (158); E 74, 297 (326).

l61 Z.B. durch WettereinflUsse oder Abschattungen von Bergen, Gebäuden o .ä.; näher zur

Verbreitung der Kabel- und Satellitentechnik, insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 279 ff. 162 Dieser Umstand hat private Rundfunkveranstalter, insbesondere in den neuen Bundeslän-

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

gesetzgebem nicht nur gebilligt, sondern auch ausdrücklich gesetzlich gefördert. Sämtliche Bundesländer haben in der Präambel zum Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland ihre Bereitschaft erklärt, die bisherige Frequenzaufteilung umfassend zu überprüfen sowie bestehende Doppel- und Mehrfachversorgungen abzubauen, um zusätzliche Übertragungsmöglichkeiten fiir private Veranstalter zu gewinnen 163. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Reichweite des überwiegend mit Kabelund Satellitentechnik verbreiteten privaten Rundfunks gegenüber der terrestrischen Sendetechnik "noch immer" beschränkt ist, wie das Bundesverfassungsgericht am 5. Februar 1991 in seiner Sechsten Rundfunkentscheidung ausgesprochen hat 164 . Jedenfalls ist die Verbreitung der neuen Medien, insbesondere der Satellitentechnik inzwischen so groß, daß die Empfangbarkeit fiir alle als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen grundversorgenden öffentlich-rechtlichen und nicht-grundversorgenden privaten Programmen deutlich an Trennschärfe eingebüßt hat. Die bereits eingeleitete Umverteilung der terrestrischen Frequenzen von öffentlich-rechtlichen zu privaten Rundfunkveranstaltem165 trägt wesentlich dazu bei.

dem, bereits veranlaßt, teilweise auf eine terrestrische Verbreitung ihrer Programme zu verzichten, vgl. den Bericht "SAT.I und RTL offenbar ohne Interesse an Empfang über Antenne", in: dpa-informationen 35/93 v. 2. September 1993, S. 8 f.; Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 283 f. sagt voraus: "Die ehemalige DDR wird das erste Gebiet Europas sein, in dem der Satellitendirektempfang die überwiegende technische Grundversorgung der Bevölkerung bildet"; vgl. auch Wendt, in: v. Münch!Kunig, Grundgesetz, Band I, Art. 5, Rn. 49.

163 Vgl. 6. Absatz der Präambel zum RuFu-StV v. 31. August 1991; noch vor dieser Erklärung der Bundesländer, die sich allgemein auf alle technischen Formen der Programmübertragung erstreckt, ist im 5. Absatz, 3. Satz der Präambel vorgesehen worden, daß weitere terrestrische Frequenzen gleichgewichtig unter den privaten Veranstaltern aufzuteilen sind. Zur Rechtsnatur der Präambel Ring, Medienrecht, C-0.3, "Präambel", Rn. 14.

164 BVerfGE 83, 238 (298). Anders bereits Starck, NJW 1992, 3257 (3262): "Der gegenwärtige Stand der Verbreitungsmöglichkeiten von Rundfunk, insbesondere durch Kabel und Satellit, verbietet es, weiterhin von einer Sondersituation zu sprechen"; ähnlich Degenhart, ZUM 1988, 47 (50); Schmitt G/aeser, AöR 112. Band [1987], S. 215 (218 ff.).

165 Vgl. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts v. 15. Dezember 1992 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gesetzlichen Zuteilung zweier vormals vom WDR genutzter terrestrischer Frequenzen an den Privatveranstalter VOX, BVerfGE 88, 25 ff., dazu Kreile, ZUM 1993, 130 f.; vgl. auch die Berichte "Vox verdrängt den NDR", in: Hamburger Abendblatt v. 23. Januar 1993; "Neuordnung der Rundfunklandschaft von Berlin und Brandenburg", in: FUNKKorrespondenz Nr. 30-31 v. 30. Juli 1993, S. 9 f; "Brandenburg: UKW-Frequenz ftlr Private ausgeschrieben", in: FUNK-Korrespondenz Nr. I v. 8. Januar 1993, S. 19 sowie§§ 6, 7 StV-BB.

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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bb) Vorkehrungen zur Vielfaltssicherung Ein weiteres Merkmal der Grundversorgung war bei strenger Anwendung der Verfassungsrechtsprechung schon von Anfang an als zweitrangig anzusehen. Die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen166. Denn diese Vorkehrungen sind lediglich ein Mittel zur Erreichung des Hauptziels einer umfassenden inhaltlichen Programmqualität cc) Inhaltlicher Standard der öffentlich-rechtlichen Programme Damit ist das dritte und weithin bedeutendste "Tatbestandsmerkrnal" der Grundversorgung angesprochen: Ein inhaltlicher Programmstandard, der dem "klassischen Rundfunkauftrag" nicht nur zum Teil, sondern voll entsprichtl67. Dieser Auftrag umfaßt die "essentiellen Funktionen" des Rundfunks, also die Beteiligung an der Meinungs- und politischen Willensbildung, an der Unterhaltung, an aktueller und Hintergrundinformation sowie an der kulturellen Veranwortung als Medium und Faktor168. Erst mit der vollständigen Erfilllung des besagten Auftrags in allen seinen dargestellten Funktionsbereichen auf einem entsprechenden qualitätsbezogenen Programmstandard können letztlich die Rundfunkfreiheit und damit die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung in einem umfassenden Sinn gewährleistet werden. Mit welchen organisa-

166 BVerfGE 74, 297 (326); "Rundfunkfreiheit ist organisierte Freiheit und ihre Sicherung ist ein Organisations- und Verfahrensproblem", Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 42. 167 Vgl. BVerfGE 74, 297 (326); vgl. auch Niepal/a, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 167; Fuhr, ZUM 1987, 145 (153). 168 Vgl. BVerfGE 73, 118 (157 f.); E 74,297 (324). Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 89 f. stellt fest, daß der klassische Rundfunkauftrag von der Aufgabentrias Information, Bildung und Unterhaltung geprägt werde, welche sich wiederum aus den einfachen Rundfunkgesetzen, Staatsverträgen und Satzungen ergebe. Dies ist mißverständlich, denn eine entsprechende Bezugnahme auf das einfache Rundfunkrecht findet sich in den einschlägigen Passagen der Rundfunkentscheidungen nicht. Die Rundfunkgesetze, Staatsverträge und Satzungen sind vielmehr umgekehrt dem verfassungsrechtlich vorgefundenen klassischen Rundfunkauftrag nachgeordnet und müssen diesem in seinen sämtlichen Sparten (Information, Bildung, Unterhaltung und Kultur) inhaltlich angepaßt werden. Vgl. auch Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (12), der als Vermittlungsleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das gesamte Feld der "herkömmlichen Rundfunkaufgaben" versteht, die "von Verfassungs wegen" verlangt werden; Grimm, VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 46 (71) argumentiert gar mit vorkonstitutionellem Bezug, wenn er feststellt, das Grundgesetz habe den Rundfunk als Instrument zur kulturellen Integration bereits vorgefunden; im gleichen Sinne Bullinger, AfP 1985, 257 (258 ff.).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

torisehen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen der Gesetzgeber die Zielvorgabe "Sicherung des klassischen Rundfunkauftrags" erfüllen will, unterliegt seiner freien Beurteilung169. dd) Anforderungen an den Programminhalt und strukturelles Defizit des privaten Rundfunks Bei näherer Betrachtung des bestehenden dualen Gesamt-Rundfunksystems mit seinen beiden unterschiedlich organisierten Teilbereichen wird offenbar, daß lediglich der gebührenfinanzierte und öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunk dem verfassungsrechtlichen Anspruch in vollem Umfang gerecht werden kann. Nur der Anstaltsrundfunk ist nach den Gegebenheiten der bestehenden dualen Konstruktion in der Lage, im Dienste freier und umfassender Meinungsbildung den nötigen Inhalt und die nötige Vielfliltigkeit des Programms im Sinne einer Vollversorgung zu sichern. Die scheinbar abschwächende Bezugnahme der Grundversorgungsrechtsprechung auf die tatsächlichen Rahmenbedingungen dieser Grundversorgung mit dem "solange-und-soweit"-Vorbehalt170 findet keinen Rückhalt in der vorangegangenen richterlichen Einschätzung und Bewertung des dualen Rundfunksystems. Einerseits setzt das Bundesverfassungsgericht stillschweigend voraus, daß der private Bestandteil des dualen Rundfunksystems möglicherweise doch einmal den strengen Vorgaben eines Programmstandards entsprechen könnte, der von der Grundversorgung vorausgesetzt wird. Andererseits erkennt das Gericht klar die Leistungsgrenzen des werbefinanzierten privaten Rundfunks und hebt sodann deren strukturell bedingte Unaufhebbarkeit deutlich hervor 171. Die Anerkennung der öffentlich-rechtlichen Anstalten als alleinige Garanten eines Rundfunks, der in allen Belangen und in vollem Umfang dem Programminhalts- und Vielfaltserfordernis gerecht wird, beruht in der Hauptsache auf der einem überwiegend durch Werbung finanzierten Rundfunk innewohnenden ursprünglichen Schwäche. Ein Rundfunkunternehmen, das einen Teil seiner Sendezeit an Werbekunden verkauft, ist gezwungen, die übrige Sendezeit so zu

169 Vgl. BVerfGE 74,297 (323 f.); E 73, 188 (152 f.); E 57, 295 (321). 170 " ... nach Lage der Dinge in erster Linie ... ", "solange und soweit ... ", BVerfGE 73, (158); ebenso BVerfGE 74,297 (325). 171 Vgl. BVerfGE 73, 118 (155, 157).

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1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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gestalten, daß sie mit einem möglichst großen Publikum in Kontakt gerät172. Hohe Einschaltquoten sind der Beleg daftlr, daß die Werbebotschaften auf eine große Zahl von Werbeadressaten treffen. Hohe Einschaltquoten zeigen aber auch an, daß das betreffende Programm inhaltlich eher massen- als minderheitenattraktiv ausgerichtet ist. Private Veranstalter sind auf einen überwiegenden Anteil solcher massenattraktiven Programme angewiesen. Um in der Konkurrenz um Zuschauer und Werbeeinnahmen zu bestehen, sind sie gezwungen, sich bei ihrer Programmplanung vorrangig an den Gesetzen der Wirtschaftlichkeit und weniger an den Gesetzen der Meinungs- und Gegenstandsvielfalt auszurichten. Durch diesen existentiellen Zielkonflikt wird die Erftlllung des klassischen Rundfunkauftrags durch werbeabhängige Privatveranstalter letztlich vereitelt 173 . Die Schwierigkeit, den von Verfassungs wegen ftlr den gesamten Rundfunk geforderten umfassenden Programmanforderungen gerecht zu werden, liegt also weniger in der Organisation als in der wirtschaftlichen Grundlage der Rundfunkveranstaltung. Entsprechend diesen Ausgangsbedingungen stellt sich die tägliche Programmpraxis dar: Zur Schaffung eines geeigneten Werbeumfelds vollzieht sich eine vorauseilende Programmanpassung der privaten Veranstalter. Inhalt und Stimmung von Programm und Werbespot werden im voraus aufeinander abgestimmt, damit der zum Werbeadressaten herabgestufte Rundfunkteilnehmer die geschaltete Werbung nicht als störend empfindet und zudem möglichst empfänglich für die Botschaft der Werbung istl74. Zudem nehmen die Werbe172 Vgl. BVerfDE 83, 238 (311); Hoffmann-Riem, Ruf 1984, 32 (44 f.) spricht sogar von einem "'Verkauf der Hörerschaft an die werbende Wirtschaft", der- ökonomisch betrachtet- das eigentliche Geschäft des werbefinanzierten Rundfunks sei (einfache Anftlhrungszeichen im Original). Ebenso Niepal/a, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 56. Goer/ich/Radeck, JZ 1989, 53 (57) bezeichnen den wirtschaftlichen Wettbewerb um die Rundfunkteilnehmer als "Desintegrations- und Segregationsfaktor"; ausftlhrlich zur Bedeutung der Einschaltquote ftlr die tägliche Programmgestaltung Enz, ZUM 1987, 58 (73 ff. ). 173 ... und ein "kulturelles Defizit" hinterlassen, so Grimm, VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 46 (75); ausftlhrlich zu diesem Zielkonflikt BVerfDE 73, 118 (155 f.), wo namentlich "anspruchsvolle kulturelle Sendungen" genannt werden, a.a.O., S. 156; es kommenjedoch auch noch andere als Werberahmenprogramm ungeeignete Sendeformen in Betracht wie z.B. Live-Übertragungen aus dem Deutschen Bundestag, die unmittelbar der demokratischen Wissens- und Willensbildung dienen; vgl. auch Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56: "ökonomische Imperative"; Goer/ich/Radeck, JZ 1989, 53 (57). 174 Nach Niepal/a, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 56 droht die private Programmproduktion damit zur "Fortsetzung der Werbung mit anderen Mitteln" zu werden. Vgl. auch Hoffinann-Riem, RuF 1984, 32 (45 ff.) mit Vergleichen zur usamerikanischen Situation des privaten Rundfunks ("aufgedrängte Werbung"); ders., MP 1980, 362 (368); ders., Ruf 1979, 143 (152 f.), insbesondere zur Chancenlosigkeit des "mündigen" Rezipienten bei der Abwehr der bezeichneten Einwirkungen.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

kunden selbst einen zwar mittelbaren aber gleichwohl wirksamen Einfluß auf die Gegenstände und die Art ihrer Darbietung, indem sie Sendungen - unter Hervorhebung ihrer eigenen Produkte - selbst herstellen und den Rundfunkveranstaltern unentgeltlich zur Ausstrahlung überlassen175. Auf diese Weise sparen die privaten Rundfunkunternehmen eigene Produktionskosten ein. Ähnliche Formen der Wahrnehmung wirtschaftlicher Drittinteressen bei Programmentscheidungen stellen das "Sponsoring" 176 und das "Product Placement" 177 dar. Schließlich ist in den werbefinanzierten Privatprogrammen die Neigung feststellbar, unter Vernachlässigung des restlichen Programmauftrags vor allem solche Sendungen auszustrahlen, die sich an die kauffreudigsten Werbezielgruppen richten 178.

175 Diese Fonn der Produktpräsentation, insbesondere in Fernsehsendungen wird auch als "Bartering" bezeichnet. Ein Beispiel daftlr ist die komplette Herstellung der Fernsehserie "Springfield Story" im Jahre 1987 durch den international tätigen Konzern Procter & Gamble mit anschließender Überlassung an RTL plus im Tausch gegen Werbezeit Deramerikanische Name "Soap-Operas" ftlr Produktionen dieser Art deutet an, daß es zuerst die Haushaltswaren- und Hygieneartikelhersteller waren, die das Werbeumfeld im Rundfunkprogramm selbst bestimmten, indem sie ihre Zielgruppen thematisch ansprachen und dabei ihre Produkte ins rechte Licht rückten. Aus Bartering-Vereinbarungenzwischen Jacobs Suchard und SAT.I sind Game Shows wie z.B. "Heiter Weiter" und "Krypton Factor" entstanden, vgl. die Nachweise bei Herkströter, ZUM 1992, 395 (400, dort Fn. 23); zu Schwierigkeiten, den dargelegten Tatbestand gesetzlich wirksam, insbesondere durch Art. I § 6 II Rufu-StV zu erfassen ders. a.a.O., S. 400. Ein weiteres Beispiel gibt Hoffmann-Riem, Ruf 1984, 32 (39, dort Fn. 26). Im Hörfunk findet ein vergleichbarer "Programmhandel" im Rahmen von Zuliefergeschäften statt; Erscheinungsfonneo und Gefahren solcher Programmzulieferungen beschreibt Wöste, MP 1989,9 ff. 176 Sponsoring bezeichnet die Hingabe von Geld- und Sachmitteln durch ein Wirtschaftsunternehmen ("Sponsor") als Gegenleistung ftlr die Einräumung von Werbemöglichkeiten außerhalb der üblichen Werbeblocks, dazu ausftlhrlich Henning-Bodewig, AfP 1991, 487 (488) m.w.N.; vgl. auch Weiand, NJW 1994, 227 (231 f.) ; Herkströter, ZUM 1992, 395 (405 f.); Will, MP 1992,24 (26 f.); Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 171 ff.; Krei/e, ZUM 1991, 568 (570) sowie v. Wallenberg, ZUM 1994, 293 ff. mit einer synoptischen Darstellung der Sponsoring-Regelungen im öffentlich-rechtlichen und im privaten Rundfunk. Art. I § 7 RuFu-StV läßt das Sponsoring von einzelnen Sendungen unter bestimmten Voraussetzungen (keine Einflußnahme auf die redaktionelle Unabhängigkeit der Sendung; Nennung des Sponsors, um jedenfalls eine verborgene Einflußnahme auf Zuschauer und Zuhörer auszuschließen; kein Sponsoring von Nachrichtensendungen) zu. Die direkte wirtschafliehe Unterstützung von öffentlichen Ereignissen ("Ereignissponsoring", etwa von Fußballspielen und anderen Sportveranstaltungen) darf dagegen weder von öffentlich-rechtlichen noch von privatrechtliehen Rundfunkveranstaltern durch Einblendungen o.!l. unterstützt werden; vgl. BGHZ 117, 353 ff. m. zust. Anm. Weiand, ZUM 1992, 81 ff. 177 Zu Geschichte und Unzulässigkeil des "Product Placement" als andere Bezeichnung ftlr verbotene Schleichwerbung vgl. Henning-Bodewig, AfP 1991, 487 ff.; Herkströter, ZUM 1992, 395 (401 f.). 178 Leicht zu erweckende "Kauffreude" wird im Rundfunkmarketing vor allem bei der Altersgruppe der 14 bis 29jährigen vennutet. Ältere Menschen haben zwar regelmäßig eine größere Finanzkraft, sie geben ihr Geld jedoch vergleichsweise weniger spontan aus; ihre Kaufentscheidun-

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Diese Verfahrensweisen verstoßen auf Verfassungsebene gegen das Vielfaltsgebot sowie gegen das Verbot einer Auslieferung des Rundfunks an einzelne gesellschaftliche Sonderinteressen 179. Daneben sind Bedenken nicht von der Hand zu weisen, daß bei kritischen Berichten aus dem Betätigungsbereich möglicher oder tatsächlicher Werbekunden bei privaten Rundfunkveranstaltern die Neigung zu einer der Sache nach nicht gebotenen Zurückhaltung oder gar zu einer Unterdrückung von Informationen bestehtl80. Insgesamt ist festzuhalten, daß die nahezu alleinige Finanzierung aus Werbeeinnahmen eine Anflilligkeit für Programm- und Meinungsbeeinflussung hervorruft, die dem Verfassungsgebot nach gleichgewichtiger Vielfalt und inhaltlichem Programmstandard entgegensteht. Dieser Umstand wird auch als "strukturelles Defizit" bezeichnetl81 .

gen sind bereits gefestigt. Damit wird das Publikum ab 30 ftlr die werbungtreibende Wirtschaft ebenso wie ftlr private Rundfunkveranstalter mit zunehmendem Alter uninteressant. Zu diesem "gerontophoben Verhalten" vgl. die Berichte "Oma springt vom Dach", in: Der Spiegel v. 23. August 1993, S. 160 (169); "Opa guckt in die Röhre", in: Die Welt v. 14. Mai 1993 und "Bei den Zuschauern unter 30 sitzen ARD und ZDF in der letzten Reihe", in: Welt am Sonntag v. 21. März 1993. 179 Vgl. BVerfGE 83, 238 (296); E 12, 205 (262); auch E 57, 295 (323); deutlich BVerwGE 39, 159 (167): "Die ausschließliche Finanzierung durch Werbesendungen wUrde aber die einseitige Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die werbenden Firmen, also durch Kreise der Industrie, des Handels und des Gewerbes zur Folge haben." Ho.ffmann-Riem, RuF 1984, 32 (47) sieht in der dargestellten Programmpraxis eine Kollision mit dem verfassungsrechtlichen Gebot publizistischer Vielfalt. 180 Beispielhaft seien hier die Verbraucherberatung sowie Warentestsendungen, beide vom Grundversorgungsauftrag umfaßt, genannt. Nach Herkströter, ZUM 1992, 395 (400, dort Fn. 21) sollte diese Gefahr jedoch "nicht überzeichnet werden", wie eine Parallelbetrachtung der Printmedien zeige. Dem ist entgegenzuhalten, daß das der Medienarbeit schlechthin innewohnende Spannungsverhältnis zwischen der Unabhängigkeit in den Redaktionen einerseits und der Loyalität gegenüber Werbekunden andererseits entscheidend von den jeweiligen wirtschaftlichen Grundlagen geprägt wird. So kann nicht übersehen werden, daß ein wesentlicher wirtschaftlicher Festposten im Zeitungs- und Zeitschriftengewerbe der Verkaufspreis ist; die elektronischen Privatmedien sind hingegen fast ausschließlich auf die Finanzierung aus Werbeeinnahmen angewiesen, vgl. Art. I § 25 RuFu-StV. Vgl. auch Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56; Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 56. 181 Vgl. nur Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 53 f. (dort Fn. 36 m.w.N.) sowie S. 58. Es soll freilich nicht verschwiegen werden, daß die dargestellten Zusammenhänge zwischen Programm und Werbung auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk feststellbar sind, vgl. dazu die Berichte "Reifen und Profil", in: SUddeutsche Zeitung v. 29. November 1993; "Das ZDF in der Grauzone", in: SUddeutsche Zeitung v. 2. Oktober 1993; "Man liebt Deutsch", in: SUddeutsche Zeitung v. 9. Juni 1993 und "ARD: Programmliehe Hölle am Vorabend", in: Hamburger Abendblatt v. 25. März 1993. Aufgrund der überwiegenden Fi-

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

ee) Grundversorgung ist Vollversorgung In Anlehnung an die Programmleistung, dem klassischen Rundfunkauftrag inhaltlich in vollem Umfang Rechnung zu tragen, kann von einer Vollversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten gesprochen werden. Sie ist gleichbedeutend mit der von der Verfassungsrechtsprechung herausgearbeiteten Grundversorgung, die ja - wie gezeigt - ebenfalls im wesentlichen einen inhaltlichen Programmstandard im Sinne des klassischen Rundfunkauftrags voraussetzt182. c) Das Verhältnis von Grundversorgung und Zusatzversorgung Bisweilen wird im wissenschaftlichen Schrifttum unter Vollversorgung die Summe einer juristischen Gleichung - Grundversorgung plus Zusatzversorgung gleich Vollversorgung183 - verstanden. Diese Annahme beruht auf einer beschränkenden Auslegung, die den bereits beschriebenen kleinen Grundversorgungsbegriff184 befürwortet. Die rundfunkrechtliche Kategorie der Zusatzversorgung kann nur dann anerkannt werden, wenn sie diejenigen Programme einschließt, die das Bundesverfassungsgericht als "jenseits der

nanzierung von ARD und ZDF aus GebUhreneinnahmen, welche jUngst wieder vom Bundesverfassungsgericht als die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk "gemäße" Art der Finanzierung bestätigt worden ist (vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 [181]), stellt sich diese Neigung aber jedenfalls nicht als "strukturelles Defizit" dar; vgl. im übrigen auch BVerwGE 39, 159 (169). Wegen ihrer möglichen und tatsächlichen Einwirkungen auf das Programm unterliegt sowohl die volle als auch die anteilige Finanzierung des Rundfunks durch Werbeeinnahmen zwingend dem Parlamentsvorbehalt, vgl. Bethge, NJW 1990, 2451 (2452); ders., JZ 1985, 308 (314); Degenhart, Jura 1988,21 (23); Ory, AfP 1987, 466 (470); a.A. BayVGH, BayVBI. 1988, 685 ff.; filr den privaten Rundfunk offenlassend BVerfGE 57,295 (324).

182 BVerfGE 74, 297 (326); dazu Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 388, auch S. 400, 404, 419: '"Grundversorgung' meint Vollversorgung, wie das Bundesverfassungsgericht in nicht mehr

steigerungsfllhiger Deutlichkeit und Insistenz feststellt" (einfache Anfilhrungszeichen im Original); im gleichen Sinne Stock, MP 1991, 133 (136); ders., RuF 1987, 5 (24). 183 Die "Medienpolitische Analyse des 4. Rundfunkurteils", erstellt vom Bundesinnenministerium, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 98 v. 13. Dezember 1986, S. 21 (22) definiert Grundversorgung "als 'Vollversorgung minus X' wobei X die Spannweite umfaßt, die zwischen Vollversorgung und Grundversorgung liegt" (einfache Anftlhrungszeichen im Original); Ku//, AfP 1987, 462 (464 f.) spricht von "Begrenzungen" der Grundversorgung durch die "Zusatzversorgung"; Bullinger, JZ 1987, 928 (928) bezeichnet die Programme "jenseits der Grundversorgung" als Zusatzversorgung; im gleichen Sinne Seemann, ZRP 1987, 37 (39) der mit dem Ausdruck "Ergänzungsversorgung" argumentiert; ders., DÖV 1987, 129 (135); vgl. auch Grawert, AfP 1986,277 (279 f.). 184 S. oben 2. Teil I. Abschnitt A I 2 b aa.

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Grundversorgung" angesiedelt beschreibt 185 . Doch kann aus diesem Modell gerade keine Einschränkung des umfassenden Grundversorgungsauftrags hergeleitet werden. Denn erst, wenn die Anforderungen an die Grund- bzw. Vollversorgung erftillt sind, kann es eine Zusatzversorgung geben186. Diese Zusatzversorgung kann folglich auch nicht den strengen Vielfaltsanforderungen unterliegen, die an die Grundversorgung gestellt werden, sondern hat nur noch den allgemeinen Programmanforderungen des Art. 5 I 2 GG zu genügen187. Wer dagegen Voll- und Grundversorgung miteinander gleichsetzt, schlägt sich auf die Seite des ebenfalls bereits benannten großen Grundversorgungsbegriffs188; letzteres ist hier geschehen189. II. Der lokale Bereich Nunmehr ist der Begriff "lokal" verfassungsrechtlich handhabbar zu machen und seine Bedeutung filr den Rundfunk zu erforschen. Art. 5 I 2 GG erwähnt nur den "Rundfunk" schlechthin. Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk ist aber als Grundrecht formuliert und damit auf einen konkreten Lebenssachverhalt bezogen 190. Das Bestehen verschiedener Erscheinungsformen und Verbreitungsgebiete fiir die Rundfunkveranstaltung wird vom Grundgesetz also vorausgesetzt191. Bereits ein Blick in

185 Vgl. BVerfUE 74, 297 (332); auch Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 38. 186 Beispielsweise mit dem kulturorientierten deutsch-französischen Spartenkanal "arte", der teilweise aus dem öffentlich-rechtlichen Gebührenaufkommen finanziert wird. 187 Diese sind vom Gesetzgeber als "Leitgrundsätze verbindlich zu machen, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten", BVerfGE 73, 118 (153, 199); E 57,295 (325); E 12,205 (263). 188 S. oben 2. Teil I . Abschnitt A I 2 b bb. 189 Wobei versucht wurde, ohne weihevolle "Apotheose" der öffentlich-rechtlichen Anstalten (Kuli, AfP 1987,365 [367]; ders., ZUM 1987,355 [356]) auszukommen. 190 Zur notwendigen Einbeziehung des jeweiligen Lebenssachverhalts bei der Auslegung der Rundfunkfreiheit vgl. BVerfUE 73, 118 (154); E 74, 297 (350); E 83, 238 (299, 302); Bethge, DÖV 1983, 369 (369); Seemann, DÖV 1987, 129 (130); Berg, MP 1986, 689 (691); s. auch oben I. Teil I . Abschnitt B I mit Fn. 24. 191 Vgl. etwa BVerfUE 73, 118 (154): "Entstehung eines europäischen oder sogar über Europa hinausreichenden Rundfunkmarktes"; BVerfUE 12, 205 (251): "Überregional" und BVerfGE 74,297 (327): "Regional- und Lokalprogramme", "Landesweite Programme". Zum "traditionellen gebietsbezogenen Rundfunk" sowie zu dessen Wandel in Funktion und Erscheinung Bullinger, AfP 1985,257 (258 ff.).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

die Programmzeitschriften zeigt weit- und europaweit ausgestrahlte Programme192, nationale Veranstalter193, Sendungen, die die Bevölkerung eines bestimmten Bundeslandes ansprechen194 und schließlich auch solche, die sich an ein Publikum in kleineren Gebieten richten l95. Der Versuch einer näheren Beschreibung dieser letztgenannten Gebiete stößt auf wenig trennscharfe Begriffsbildungen in Gesetzestexten 196, Rechtsprechung 197 und Literatur 198. Danach wird im wesentlichen die folgende abgestufte Einteilung vorgefunden: Überregional, regional, subregional, lokal. Allen diesen "Nahräumen"199 sind

192 Etwa CNN (Cable News Network) aus Atlanta!USA; Super Channel aus London!England und euroNEWS aus Lyon/Frankreich. 193 In Deutschland z.B. ARD, ZDF, RTL plus, SAT.l. 194 Wie die Dritten Programme der ARD-Länderanstalten. 195 Vgl. etwa die "Frankenschau" des Bayerischen Fernsehens, die "Aktuelle Stunde" des WDR-Landesfemsehprogramms und die "Abendschau" des SFB. 196 Vgl. § 5 II I NDR-StV; § Ia Nr. I SaariRuFuG; § 4 I11 I WDR-Gesetz; § 17 II I Nr. 3, 4 LMedienG Ba.-Wü., vgl. dazu die amtl. Begr., S. 65 ff. (I 2, V 5 b), abgedruckt bei Bullinger/Gödel, LMedienG Ba.-Wü., Kommentar; Art. 23, 24 BayMG; §§ 2 I Nr. I, 31 HmbMedienG; §§ 2 II Nr. 3 HPRG; § 12 NdsLaRuFuG; §§ 2 II, 23 ff., 31 LRG NW; § 12 IV LRG Rh.-Pf.; § 5 II Nr. 4 RGMV; § 3 SächsPRG; § 13 S. 2 PRG S.-A.; §§ 2 II Nr. 3, 18 S. I TPRG; vgl. auch 5. Absatz 3. Satz der Präambel zum RuFu-StV, dazu Ring, Medienrecht, C-0.3 "Präambel", Rn. 13. 197 Vgl. BVerfGE 74, 297 (327 f.) ; E 73, 118 (154, 177). 198 Vgl. etwa Südfunk-Hefte, Band 4: Kurpfalz-Radio. Ein subregionales Versuchsprogramm, S. 5 und die Klarstellung dazu in: Südfunk-Hefte, Band II: Regionalisierung im Hörfunk, S. 43, 92; sowie Meister, Integration eines Kommunikationsraumes, S. 122 f.; Landesregierung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Medienland Nordrhein-Westfalen, Band 22, S. 88 ff.; Teichert, Die Region als publizistische Aufgabe, S. 87 ff.; ders., MP 1981, 204 (204 f.); Kopper, Gutachten zu § 31 LRG NW, S. 21 ff.; Fuchs/Schenk, MP 1984,211 (215); Halejeldt, ARD-Jahrbuch 1983, S. 62 (63); Jarren/Knoche, MP 1981, 188 (197 f.); Gericke, MP 1980, 544 (544 f.); Saxer, MP 1978, 367 (368, dort Fn. I); Hilf, MP 1977, 549 (550 f.); ARD-Kommunique v. 19. Januar 1972, MP 1972, 43 (44) und aus der juristischen Literatur Strohmeier, BayVBI. 1993, 417 (422); Häberle, AöR, 118. Band [1993], S. I (2 ff.); Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 142 f.; Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 129 ff.; Hecker, ZUM 1987, 276 (277 ff.); Enz, ZUM 1987, 58 (70); Ory, AfP 1987, 466 (469 f.); Berg, AfP 1987, 457 (461); ders., MP 1986, 799 (800); Grawert, AfP 1986, 277 (279); Bullinger, AfP 1985, 257 (265); Ossenbühl, DÖV 1972, 293 (293 f.); Stern, in: Rundfunkrecht und Rundfunkpolitik, S. 26 (50); eine gemeinschaftliche "rechts- und sozialwissenschaftliehe Untersuchung" findet sich bei Schröder/Si/1, Das nordrhein-westflilische Lokalfunkmodell, S. 343 ff. 199 Jarren/Knoche, MP 1981, 188 (197). Eine genauere Abgrenzung der Nahraumkategorien voneinander wird häufig vermieden. Statt dessen finden die Begriffe "subregional" und "lokal" fast ausschließlich synonyme Anwendung oder aber "lokal" wird kurzerhand mit "kommunal" gleichgesetzt, dazu Jarren/Knoche, a.a.O., S. 193 f. sowie Mast/ Weigert, Medien in der Region, S. 18 ff. Teichert, MP 1981, 204 (204) macht eine bisweilen "wildwüchsige Handhabung" der unterschiedlichen Bezeichnungen aus; ähnlich Gericke, MP 1980, 544 (544 f.). Die Entdeckung der Nahwelt" schildert Halefeldt, ARD-Jahrbuch 1983, 62 ff.; vgl. auch Hojjmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 52; Hecker, ZUM 1987, 276 (278 f.).

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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zwei Merkmale gemeinsam. Sie umschreiben räumliche Verhältnisse und setzen diese in Bezug zu den Bedingungen menschlichen Daseins. Im folgenden sollen die den lokalen Raum prägenden Bedingungen nachgezeichnet werden. I. Die Gesetzeslage Eine Bestandsaufnahme der landesgesetzlichen Rundfunkbestimmungen erweist sich dabei als wenig ergiebig: Das Bestehen räumlicher Eigenheiten innerhalb der landesweiten Sendegebiete öffentlich-rechtlicher Anstalten wird von den Rundfunkgesetzen zwar mitunter zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter erläutert200. Den Privatfunkgesetzen der Länder sind lokale Verbreitungsgebiete weniger fremd, doch wird deren genaue Einteilung in die Zuständigkeit der Landesmedienanstalten überwiesen, wenn nicht kurzerhand die Übereinstimmung mit Verwaltungsgrenzen angeordnet oder eine nähere Bestimmung gänzlich unterlassen wird201. Verwertbare Ansätze zur Festlegung lokaler Sendegebiete finden sich lediglich in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg. a) Nordrhein-Westfalen Die größte gesetzliche Regelungstiefe ist in Nordrhein-Westalen auszumachen. In § 31 des Nordrhein-Westflilischen Landesrundfunkgesetzes (LRG NW) sind der zuständigen Landesmedienanstalt genaue Kriterien vorgegeben, nach denen sie durch Satzung die Verbreitungsgebiete fiir lokale Rundfunkprogramme festzulegen hat. Entsprechend diesen Kriterien sind von der Landesmedienanstalt jedoch hauptsächlich wirtschaftliche Erwägungen anzustellen. Vorrangige Zielvorgabe ist ausdrücklich die wirtschaftliche Trag-

200 Vgl. § 5 II I NDR-StV; § 4 111 I WDR-Gesetz; §§ Ia Nr. I; II I SaariRuFuG; § 21 MDRStV; §§ 2 II, 4 111 ORB-Gesetz. Vgl. auch Jost, Die Beteiligung der Gemeinden an den "Neuen Techniken", S. 49. Kritisch zur geringen Gewichtung regionaler Elemente in den Rundfunkgesetzen im Vergleich zur Häufigkeit allgemeiner politischer Generalklauseln Hilf, MP 1977, 549

(553).

20I Vgl. Art. 11 S. 2 Nr. 5; 23 12 BayMG; § II II BremLMG; §§ 21 Nr. I, 2; 16 IV; 31 ff.; 53 II Nr. I HmbMedienG; §§ 2 II Nr. 3; 4 I; 6 I Nr. 5 HPRG; §§ 3 I; 12 NdsLaRuFuG; §§ 5 I I; 7 I 2 2. HS; 9 Nr. 4; 12 IV 1 LRG Rh.-Pf.; §§ Ia Nr. I; 39 II I, II1 Nr. 2 SaariRuFuG; §§ 3 IV; 9 I I Nr. 2, II LRG S .-H.; §§ 3 V; 5 II I Nr. 4; 13 I Nr. 2; 14 II I RGMV; §§ 3 I 2; 5 I I SächsPRG; §§ 5 I; 13 S. 2 PRO S.-A.; §§ 2 I Nr. 7, II Nr. 3; 5 I; 7 I Nr. 5; 11 I-111 TPRG.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

fiihigkeit des zu bestimmenden Ausstrahlungsraums für den werbermanzierten Privatfunk202. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß wesentlicher Inhalt des Rundfunkgrundrechts die Absicherung freier Meinungsbildung aufgrund eines vielfaltigen Programmangebots ist203, unabhängig von der Organisationsform des Rundfunks204 und unabhängig von wirtschaftlichen Marktchancen205 . Die grundrechtlich garantierte Rundfunkfreiheit setzt nämlich einen maßgeblich an Vielfaltserwägungen ausgerichteten Rundfunk voraus. Wirtschaftliche Kriterien sind vom Gesetzgeber zwar insoweit zu berücksichtigen, als der private Rundfunk nicht solchen Bedingungen unterworfen werden darf, die ihn erheblich erschweren oder unmöglich machen206. Der private Lokalrundfunk in Nordrhein-Westfalen würde indessen allein durch eine gesetzliche Rückstufung der wirtschaftlichen Erfolgsaussichten zu Gunsten der Kommunikationsförderung nicht notwendig in die Nähe der "Erschwerungs- bzw. Unmöglichkeitsgrenze" geraten207. Der Leitgedanke der Meinungsbildungsfreiheit kann bei der Festlegung von Sendegebieten jedenfalls nicht in der Weise wirtschaftlichen Erfordernissen nachgeordnet werden, wie das in § 31 LRG NW geschehen ist. Diese Vorschrift ist deshalb für die Gewinnung von Kriterien zur rundfunkrechtlichen Konkretisierung des lokalen Bereichs nicht geeignet. Auch die öffentlich-rechtliche Gesetzeslage vermag keine Klarheit zu verschaffen. So ist der WDR lediglich in einer Soll-Vorschrift angehalten, der "regionalen Gliederung ... des Sendegebietes" im Programm Rechung zu tragen208. Zögerliche Versuche des WDR, in Ausftillung dieses Gesetzesauftrags 2°2 Maßgebend ist damit eine "medienökonomische Betrachtungsweise", Kopper, Gutachten zu § 31 LRG NW, S. 2. Schröder/Si/1, Das nordrhein-westflilische Lokalfunkmodell, S. 336; § 3 I 2 SächsPRG schreibt ftlr die Bestimmung von lokalen Sendegebieten neben der Berücksichtigung der verftlgbaren Frequenzen ebenfalls eine Beachtung "der wirtschaftlichen Tragfllhigkeit" vor. 203 "Die Ausgestaltung darf allein der Sicherung der Rundfunkfreiheit dienen", BVerfUE 74, 297 (334); das gilt auch filr den "jeweiligen engeren räumlichen Bereich", BVerfUE, a.a.O., S. 327. 2°4 Vgl. BVerfUE 83, 238 (295 f.); E 74, 297 (323 f.); E 73, 118 (153, 157); E 57, 295 (319ff.). 205 Vgl. BVerfUE 74, 297 (335). 2°6 Vgl. BVerfUE 83,238 (297, 311 f.); E 73, 118 (157). 207 V. Wallenberg, ZUM 1992, 387 (392) kritisiert im Hinblick auf Art. 1 § 21 II-V RuFuStV, daß ein Oberwiegend ökonomischer Ansatz ftlr die Feststellung und Sicherung der Meinungsvielfalt untauglich sei; Hecker, ZUM 1987, 276 (279) beanstandet allgemein, daß medienstrukturelle Fragestellungen in der Debatte um den Regional- und Lokalrundfunk von einem Konzept der "Planungssicherheit" ftlr private Veranstalter verdrängt wOrden. Ein solches Konzept zur Sendegebietsplanung fordert etwa Ory, AfP 1987, 466 (470), um Presse und private Veranstalter wirtschaftlich abzusichern. 208 Vgl. § 4 1111 WDR-Gesetz.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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an die Stelle der bisherigen sechs Regionalfenster im Landesfernsehprogramm "West 3" ein Metropolenfernsehen ftlr elfBallungsräume treten zu lassen, sind von greifbaren Ergebnissen weit entfemt209. b) Baden-Württemberg Die Regelung des baden-württembergischen Rundfunkrechts zu Festlegung von lokalen Verbreitungsgebieten des Hörfunks ist näher am Gedanken der Meinungs- und Gegenstandsvielfalt in den örtlichen Bereichen ausgerichtet: § 17 I Nr. 2, II I Nr. I Baden-Württembergisches Landesmediengesetz enthält mehrere Vorgaben, unter denen zwar auch die wirtschaftliche Tragflihigkeit eines Sendegebiets aufgeführt ist. Dieses Kriterium tritt jedoch als zweitrangig hinter die Maßgabe zurück, "zusammenhängende Kommunikations-, Kulturund Wirtschaftsräume" zu versorgen. Als Untergrenzen für solche Verbreitungsgebiete wird indessen pauschal eine technische Reichweite von mindestens 300.000 Einwohnern angegeben; die "regionale" Hörfunkveranstaltung beginnt bei mindestens I ,5 Millionen Einwohnern.

2. Der Kommunikationsraum als soziologischer Begriff Erst ein "Seitenblick in die Soziologenwerkstatt"2IO verhilft zu weitergehenden Erkenntnissen, die auch ftlr das Rundfunkrecht fruchtbar zu machen sind. Aus Anleihen bei den Politik-, Kommunikations- und Raumplanungswissenschaften ergibt sich als ein definitionsfähiger Begriff der "Kommunikationsraum"211 .

209 Sie werden von der Sendeanstalt als "unverbindliche Gedankenspiele" bezeichnet, vgl. den Bericht "WDR bereitet 'Metropolenfemsehen' vor", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 15 v. 26. Februar 1994, S. 20 (einfache Anftlhrungszeichen im Original).

210 Hilf, MP 1977, 549 (551). Zu den Gegenstllnden und Methoden von Politikwissenschaft und Soziologie sowie zu deren Verdiensten um das Verfassungsrecht eingehend Morlok, Verfassungstheorie, S. 34 ff. Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 422 verweist auf die Notwendigkeit, sich "im steten Kontakt zu den einschlägigen sozialwissenschaftliehen Forschungen ... der Fundamente eines grundgesetzkonformen Rundfunkverfassungsrechts zu vergewissern". Vgl. auch beispielhaft die historische und teleologische Auslegung eines soziologischen Begriffs ("Freie Berufe") durch das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 10, 354 (364). 211 Jarren, RuF 1986, 310 (311, 322 ff.); Fuchs/Schenk, MP 1984, 211 ff.; Jarren/Knoche, MP 1981, 188 (193 f.); Meister, Integration eines Kommunikationsraumes, S. 119 ff.; Teichert, MP 1981, 204 (204 f.); Saxer, MP 1978, 367 (376 f.); Hilf, MP 1977, 549 (550 f.). In der juristischen Fachliteratur findet sich der Begriff, soweit ersichtlich, nur bei Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 52 ff. Eher versteckt und ohne Erläuterung erwahnen auch § 31 9 Wilhelmi

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

a) Allgemeiner Bedeutungsinhalt Der Wortlaut beschreibt einen abgrenzbaren Ereignisraum, in welchem Kommunikation stattfindet. Die Wendung "Kommunikation" bezeichnet dabei den direkten und indirekten Austausch von Gedanken und Meinungen, also die Verständigung zwischen Menschen. Menschliche Verständigung kann unabhängig von der Zahl der Beteiligten im Rahmen einer zweiköpfigen Kleingruppe bis hin zum Kreis der gesamten Erdbevölkerung stattfmden212. Ebenso vielfiiltig wie die Zahl der Beteiligten ist auch der thematische Inhalt der Kommunikation. So ergeben sich beispielsweise die streng hoheitlich geprägte213, die freiwillig-interessenbezogene214 und die private Verständigung215. Schließlich lassen sich die Vorgänge menschlicher Verständigung auch nach räumlichen Bezugsgrößen einteilen. Bei der Ermittlung von einzelnen Kommunikationsräumen wie auch bei deren Abgrenzung voneinander kann folglich nach den beteiligten Personen, nach den behandelten Themen sowie nach räumlichen Merkmalen unterschieden werden. In jedem dieser Räume vollziehen sich jedenfalls private und öffentliche Meinungsbildung in einer Weise, die von den Karlsruher Verfassungsrichtern allgemein als "Prozeß der Kommunikation" zusammengefaßt wird216. b) Das Merkmal der persönlichen Überprüfbarkeil im lokalen Kommunikationsraum Der kleinste und ursprünglichste Bereich, in dem der KommunikationsproI 3 Nr. 2 LRG NW; § 17 II I Nr. I LMedienG Ba.-WO. den "Kommunikationsraum". 212 Vgl. Meister, Integration eines Kommunikationsraumes, S. 122. Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 36 f. spricht von der "Gruppenöffentlichkeit" in vielfllltigen Kommunikationsprozessen, die sowohl in gegenständlicher als auch in personeller Hinsicht gliederbar sind ("Forumsartige Gruppenkommunikation"). Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, S. 84 ff. beschreibt die technische Entwicklung der Kommunikation, die ganze Länder "in eine einzige Nachbarschaft" verwandelt und letztlich zu dem bekannten Bild von der Erde als "global village" geführt hat. Vgl. auch Saxer, MP 1990, 717 (719). Ebenfalls zur Bildung öffentlicher Meinungen in verschiedenen Gebieten bereits Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 218 ff. m.w.N. 2! 3 Etwa zwischen BOrgern und Beamten zur Klärung eines Vorgangs im Über-!Unterordnungsverhältnis. 21 4 Z.B. im beruflichen oder wirtschaftlichen Verkehr. 215 Wie im Familien- oder Freundeskreis. 21 6 Vgl. BVerfGE 83,238 (295); E 74,297

(323); E 73, 118 (152); E 57, 295 (319). Der Gesamtkomplex "gesellschaftliche Kommunikation" ist bei Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 29 ff. Gegenstand ausftlhrlicher Erörterung.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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zeß stattfmdet ist der lokale Kommunikationsraum. Nur hier kann es menschliche Verständigung über diejenigen Themen geben, die von den an der Kommunikation Beteiligten noch selbst und ohne einen wesentlich erhöhten Aufwand nachzuvollziehen sind. Die Themen der Verständigung liegen inner~alb der Reichweite persönlicher Überprüfbarkeit. Überprüfbarkeit ist dabei sowohl in ihrer objektiven als auch in ihrer subjektiven Bedeutung zu verstehen. Der Begriff setzt objektiv eine nur begrenzte räumliche Distanz zwischen dem Einzelnen und dem Gegenstand seines Interesses oder Bedürfnisses voraus217. Außerdem ist das Kommunikationsthema filr den einzelnen vor seinem persönlichen Erlebnishintergrund in die eigene Gedankenwelt einordnungsflihig218. Daneben ist die subjektive Vorstellungswelt innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen von Bedeutung. Die Beschreibung des eigenen Lebensraums durch die Menschen, ihr Zugehörigkeitsgeflihl, ist zwar in natürlicher Weise wechselhaft, weil situations-, schicksals- und interesseabhängig. Eine vollständige empirische Ermittlung der örtlichen Kommunikationsbedingungen sollte jedoch vor subjektiven Bindungsfaktoren nicht haltmachen, die als "Heimatgeflihl" im weiteren Sinne zusammengefaßt werden können2I9_ c) Einordnung in die Gebietsstruktur Innerhalb der so beschriebenen Bereiche wird sich regelmäßig jeweils ein Zentrum im Städteplanerischen Sinne befinden, welches die wichtigsten Funktionen menschlicher Daseinsvorsorge erfilllt. In seinen Ausdehnungen kann ein

Freie Meinungsbildung, S. 70 f. betont die Möglichkeit der "Wahrheitskontrolle". Die praktische Bedeutung dieser persönlichen Überprüfbarkeil ftlr ein "bUrgernahes Programm" verdeutlichen Ronge/Pozelt, RuF 1987, 55 (60); Teicher/, MP 1981, 204 (216) hebt die "Relevanz" von örtlichen Vorgängen und Informationen "ftlr die eigene Lebenssituation" der Bewohner eines Kommunikationsraums hervor. 219 Stern, in: Rundfunkrecht und Rundfunkpolitik, S. 26 (50) spricht vom "Geftlhl der 'regionalen Nestwärme"' (einfache Anftlhrungszeichen im Original). Die veranschaulichende Sozialberichterstattung durch Kommunikations- und Medienatlanten begnügt sich häufig mit Strukturuntersuchungen und -darstellungen nach äußerlich erkennbaren Merkmalen, vgl. Jarren, RuF 1986, 310 (323, 324 ff.); anders die Analyse der Umfeld- und Einflußkriterien im lokalen Rundfunk in: BLM-Schriftenreihe, Band 11, S. 19 ff., wo unter der "Fülle von Informationen" deren es bedarf, "um die Basisbedingungen eines Lokalprogramms am Standort zu beschreiben" auch das Geftlhl der Bindung an den Wohnort berücksichtigt wird, a.a.O., S. 36 ff.; dieses Bindungsgeftlhl findet seine soziologische Systematisierung wiederum in "mental maps", vgl. W Meier, Kommunikation und Medien, 11/1993, 21 (22); Drengberg/Rust, MP 1986, 312 (314); Teicherl, MP 1981, 204 ff. 217 Rossen, 218

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

lokaler Kommunikationsraum etwa dem Umfang der größeren Landkreise erreichen220. Dennoch verbietet sich die vorbehaltlose Gleichsetzung mit hoheitlich gezogenen Verwaltungsgrenzen. Denn die auf organisationsrechtliche Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Landesebenen bezogene Kommunikation deckt nur einige Bereiche der bereits angedeuteten Themenvielfalt ab. Wirtschaftliche, kulturelle, politische oder soziale Verständigung im lokalen Bereich mag zwar Verwaltungsgrenzen berühren, vollzieht sich jedoch in jeweils eigenen gewachsenen Bezugsräumen unabhängig von der staatlichen Verwaltungsorganisation221. Die Landkreise bieten gleichwohl in vielen Fällen eine tatsächliche Übereinstimmung mit dem oben genannten Merkmal der persönlichen Überprüfbarkeil filr den Einzelnen. Kreisgebiete sind überschaubar und persönlich "erfahrbar", sie lassen sich regelmäßig innerhalb kurzer Zeit durchqueren. d) Die Bedeutung der Massenmedien Bei dieser Betrachtung wird selbstverständlich auch die Rolle der Massenmedien berücksichtigt, die bei der Ermittlung von Kommunikationsräumen jedoch letztlich keine entscheidende Berücksichtigung finden können. Die Medien gewinnen ihre Bedeutung im lokalen Kommunikationsraum dadurch, daß sich auch hier die menschliche Verständigung nicht ausschließ-

220 Er kann aber auch deutlich kleiner sein, wie das Beispiel der bayerischen Marktgemeinde Massing im Landkreis Rottal-Ion zeigt: Für einen Teil dieser Gemeinde wird seit 1989 in privater Initiative einiger BUrger ein werbe- und entgeltfreies Lokalfernsehprogramm betrieben, welches die Ereignisse im Sendegebiet thematisch abdeckt und großen Zuspruch bei den etwa 2.000 Zuschauern findet, vgl. den Bericht "Die Moderatorio steht am Küchentisch", in: SUddeutsche Zeitung v. 29. Janur 1994. Siege/mann, OLM-Jahrbuch 1992, S. 61 (62) stellt fest: "Je kleinräumiger das Sendegebiet ist, desto höher das Interesse". Metropolen wie Frankfurt und München sowie die Stadtstaaten Berlin, Harnburg und Bremen bilden freilich den Rahmen filr einen Kommunikationssachverhalt eigener Art. Dieser ist von dem hier in Rede stehenden Kommunikationsraum zu unterscheiden und als Objekt der Sozialforschung gesondert zu untersuchen; insoweit muß auf entsprechende soziologische Untersuchungen verwiesen werden, vgl. etwa Bewertung der wirtschaftlichen Tragfllhigkeit eines Ballungsraurn-Fernsehens in Hamburg, HAM-Gutachten, S. 21 ff.; Renckstorf/Ehmcke, Landesprogramme von Hörfunk und Fernsehen in Hamburg, S. 120, 166 f.; Renckstorj/Rohland, Hörfunk und Fernsehen in Berlin, S. 144 ff. 221 Vgl. Jarren, RuF 1986, 310 (322 f.); Enz, ZUM 1987, 58 (70) beschreibt das Lokale als "Verkleinerung des Lebens in Iandes- und bundesweiter Dimension" und zwar in allen Bereichen des spezifisch lokalen Geschehens, ohne Beschränkung auf das politische Leben; zur Unbeachtlichkeit von Ländergrenzen in einem gewandelten Regionalverständnis auch Gericke, MP 1980, 544 (544 f.).

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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lieh in persönlicher Weise, als "face-to-face"-Kommunikation222 vollzieht. Die Gedanken zu vielen Themenbereichen werden tatsächlich auf indirektem Wege ausgetauscht - eben durch die Medien übermittelt. Denn trotz der beschriebenen Überschaubarkeit des lokalen Bereichs ist es dem einzelnen aufgrund persönlicher Gegebenheiten nicht immer möglich, sich durch eigene Anschauung und Erfahrung jederzeit über sämtliche Ereignisse und Zusammenhänge in diesem Raum zu unterrichten223. Die Übermittlungsfunktion im Lokalbereich erft1llen derzeit hauptsächlich örtlich verbreitete Druckmedien, also Lokalzeitungen oder -beilagen, ergänzt durch privaten Lokalrundfunk, soweit dieser landesgesetzlich zugelassen ist. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk findet auf dieser Verbreitungsebene in vergleichbarem Umfang nicht statt224. Die genannten Massenmedien werden neben dem bloßen Inhalt der Artikel und der Sendebeiträge durch die Art der Aufbereitung ihrerseits zu einem Gegenstand menschlicher Kommunikation225. Gleichwohl stellen auch Lokalzeitung und -rundfunk in ihrer "Faktor"-Funktion nur einen weiteren Bruchteil der gesamten Themenvielfalt eines Kommunikationsraums dar. Sie sind damit kein tauglicher Maßstab ftlr die Ermittlung eines lokalen Kommunikationsraums. Eine weitere Erwägung spricht ebenfalls dagegen, die Grenzen der ortsbezogenen Kommunikation entsprechend den medienwirtschaftlich bestimmten Verbreitungs- bzw. Sendegebieten zu ziehen. Denn privatrechtlich organisierte und privatwirtschaftlich orientierte Medien gewährleisten nicht, daß auch dünner 222 Teichert, MP 1981,204 (221). 223 Bereits Herrmann, Fernsehen und

Hörfunk, S. 298 spricht von "äußeren Verhaltnissen und Ereignissen ... , die der unmittelbaren Beobachtung durch den Einzelmenschen wegen ihrer Feme und Komplexität entzogen sind, an deren Kenntnis der Einzelmensch jedoch ein vitales Interesse hat". Langenbucher, MP 1989, 618 (618, 625) sieht lokalen Rundfunk zum Ersatz ftlr vonnals übliche Direktkontakte zum "neuen Dorfbrunnen" werden, an dem sich öffentliche und private Kommunikation zunehmend vennischen. Danach dürfte die untere Eintrittsgrenze in den Bereich der "Massenkommunikation", wie sie von Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 42 ff. definiert wird, auch schon in örtlichen Kommunikationsräumen erreicht sein. 224 Ausgenommen ist freilich das ausschließlich "in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft" (vgl. Art. lila II I BV) durch die BLM betriebene Sondennodeli des bayerischen Lokalrundfunks. Im übrigen beschränkt sich die öffentlich-rechtliche Versorgung mit lokalem Rundfunk im hier beschriebenen Sinne auf einzelne Ballungsräume (z.B. durch das "Hamburger Journal" des N3-Programms, das Bremische Stadtmagazin "Buten & Binnen" oder die "Abendschau" des SFB im Bereich des Fernsehens sowie etwa die "Hamburg-Welle" im NDR I-Hörfunk). 225 Der Rundfunk ist Medium und eben auch Faktor der freien Meinungsbildung, vgl. BVerfGE 83, 238 (296); E 74, 297 (323); E 73, 118 (152); E 57, 295 (320); E 35, 202 (222); E 12, 205 (260). Zur "'Faktor'-Eigenschaft" der Massenkommunikationsmittel sowie zur "Verzerrung kommunikativer Beziehungen", gemessen am Modell der "idealen Sprechsituation" Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 33 ff., 72 (einfache Anftlhrungszeichen im Original).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

besiedelte und damit als Werbemarkt :fiir private Massenmedien bedeutungslose Gebiete gleichwertig versorgt werden226. Insgesamt kann also das Vorhandensein lokaler Massenmedien das Bestehen und die Grenzen eines Kommunikationsraums durchaus anzeigen, ein zwingender Rückschluß ist jedoch nicht möglich. e) Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten, daß ein lokaler Kommunikationsraum immer dort besteht, wo die Themen menschlicher Verständigung objektiv einen räumlich abgrenzbaren Teil der Bevölkerung betreffen, von den Betroffenen sowohl entfernungsmäßig als auch aufgrund des eigenen Erfahrungshorizonts noch persönlich überprüft werden können und auch subjektiv als unmittelbar bedeutsam empfunden werden. 3. Der Kommunikationsraum als rundfunkrechtlicher Begriff a) Vorgabe fiir den Landesgesetzgeber Der Landesgesetzgeber findet in seinem Hoheitsgebiet bereits Kommunikationsräume im eben dargelegten Sinne vor. Diese zur Grundlage der Festlegung lokaler Sendegebiete zu machen, entspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot, sicherzustellen, daß "auch im regionalen und lokalen Rundfunk ... die bestehende Meinungsvielfalt des jeweiligen engeren räumlichen Bereichs zum Ausdruck gelangt", wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat227. Engere Vorgaben zur Konkretisierung einzelner lokaler Kommunikationsräume sind einer verfassungsrechtlichen Festlegung jedoch entzogen. Auf dieser Ebene verbietet sich insbesondere das Setzen näher bestimmter normativer Bedingungen, die etwa an Einwohnerzahlen, Arbeits- oder Freizeitbedingungen in einem

226 Ein Beispiel ftlr ungleichgewichtige Versorgung von Kommunikationsräumen durch die Massenmedien gibt Teichert, MP 1981, 204 (222); vgl. auch Mast/Weigert, Medien in der Region, S. 20 f.; Jarren, RuF 1986,310 (322 f.). 227 BVerfDE 74, 297 (327); daraufnimmt BVerfDE 83, 238 (327 f.) Bezug: "Auch der lokale Rundfunk dient aber der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Das setzt ein Programm voraus, in dem jedenfalls das lokale Meinungsspektrum in möglichster Breite und Vielfalt wiederkehrt"; besondere Erwähnung findet der lokale Bereich als Maßstab ftlr die Verbreitung von Rundfunksendungen bereits in BVerfDE 73, 118 (154).

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Bereich anknüpfen228. Solche allgemeinen, oberhalb der landesrechtliehen Festsetzungen angesiedelte Maßgaben könnten dazu fUhren, daß historisch gewachsene oder auch im Wandel befmdliche Verflechtungen einzelner Gebiete nur unzureichend berücksichtigt werden229. Es ist vielmehr dem Gesetzgebungsorgan des jeweiligen Landes überlassen, im Rahmen seines grundrechtliehen Ausgestaltungsauftrags den Besonderheiten des jeweiligen Hoheitsgebietes Rechnung zu tragen230. Die oben beschriebenen Kriterien stellen ein abstraktes Leitmodell dar, das bei der Ausgestaltungsentscheidung zugrundegelegt werden muß. b) Vorgabe für die endgültige Festlegung von lokalen Sendegebieten Die namentliche Einzelbestimmung lokaler Sendegebiete ist der landesgesetzlichen Bestimmung jedoch entzogen. Zwar sind nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitstheorie231 die für die Verwirklichung von Grundrechten "wesentlichen" Sachverhalte durch den formellen Gesetzgeber selbst zu regeln. Im Rundfunkrecht können dies aber lediglich die Maßstäbe sein, nach denen Lage und Größe örtlicher Verbreitungsgebiete generell festzulegen sind. Eine Bestimmung der einzelnen Sendegebiete durch die Parlamente liefe dem verfassungsrechtlichen Verbot einer staatlichen Beherrschung des Rundfunks zuwider, da auf diese Weise die Rundfunkverbreitung innerhalb des Landes (partei-)politischen Interessen untergeordnet werden könnte. Der endgültige Zuschnitt lokaler Sendegebiete muß daher in die Hände

228 So aber z.B. Teichert, Die Region als publizistische Aufgabe, S. 89. 229 Auf die Gefahren einer zu stark pauschalierten Betrachtung verweisen Jarren/Knoche, MP

1981, 188 (193).

230 Auf der einfachgesetzlichen Ebene wird das soeben im Text geschilderte Risiko einer Verallgemeinerung von Kommunikationsbedingungen verringert; die Vorgaben müßten jedoch Ober bloße Richtwerte ftlr die Minimal- oder Maximalgröße lokaler Verbreitungsgebiete wie sie in § 17 li 2 LMedienG Ba.-WO. (mindestens 300.000 Einwohner) oder in § 31 I 3 Nr. I LRG NW (nicht mehr als 600.000 Einwohner) enthalten sind hinausgehen. Auch Einteilungen nach Sendereichweiten, wie sie Jens, MP 1989, 23 (28) unternimmt (bis 15 Kilometer: lokal; bis 50 Kilometer: regional) oder W Meier, Kommunikation und Medien, 1111993, 2I (23) vorschlägt (mindestens 150.000 Einwohner ab 15 Jahren) lassen keine gezielte Bezugnahme auf Kommunikationsstrukturen erkennen. Die Berücksichtigung räumlicher und kultureller Unterschiede innerhalb eines Bundeslandes ist im Gesetz Ober den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) in Ansätzen verwirklicht worden: § § 4 III, 16 li Nr. 14 ORB-Gesetz heben die Oberwiegend in der Lausitz (Süd-Ost-Brandenburg) ansässige slawische Bevölkerungsminderheit der Sorben hervor; ausftlhrlich zu Geschichte und Rechtsstatus der Sorben Rodenbach, ROW 1985, 271 ff.; vgl. auch unten 2. Teil I . Abschnitt B III 2 b bb. 23! Näher zur Wesentlichkeitstheorie im Rundfunkrecht oben I. Teil, Fn. 49.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

eines staatsfreien Entscheidungsträgers gelegt werden; in Betracht kämen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und im privaten Rundfunk die Landesmedienanstalten. c) Zusammenfassung Der lokale Kommunikationsraum bildet also einen juristisch nutzbaren Begriff, der als Bezeichnung eines tatsächlichen Lebenssachverhalts bei der Bestimmung lokaler Rundfunkverbreitungsgebiete von Bedeutung ist232. Er muß vom einfachen Gesetzgeber bei der Errichtung von Maßstäben fiir den Zuschnitt von Sendegebieten und von den staatsfreien Entscheidungsträgem bei deren endgültigen Festlegung beachtet werden. B. Das Veifassungsgebot einer lokalen Grundversorgung durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk Nach diesen vorbereitenden begrifflichen Erörterungen muß nun das eigentliche Problem ins Visier genommen werden. Ergibt sich also aus Art. 5 I 2 GG das Gebot, Grundversorgung durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auch im lokalen Bereich zu gewährleisten? Wie bereits dargestellt wurde233, ist diese Frage in der medienrechtlichen Literatur höchst umstritten und fmdet auch in der Rechtsprechung keine endgültige Antwort. Im folgenden ist zu zeigen, daß sich ein Verfassungsgebot, die Grundversorgung auch im Lokalrundfunk öffentlich-rechtlich zu gewährleisten, sowohl aus rechtlichen Erwägungen, wie auch aus einer tatsächlichen Notwendigkeit, insbesondere in den neuen Bundesländern ergibt. Vorher sollen kurz die eher ablehnenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zum Thema "lokale Grundversorgung" aufbereitet werden, die sodarm den Gegenstand kritischer Betrachtung darstellen.

232 Zum konkreten Lebenssachverhalt im Verhältnis zur Auslegung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit vgl. BVertUE 83, 238 (299, 302); E 74, 297 (350); E 73, 118 (154) sowie allgemein zur Auslegung von Verfassungsbestimmungen BVertUE 79, 127 (143 f.); E 74, 102 (115 f.); E 74, 51 (57); E 3, 407 (422); E 2, 380 (401). 233 S. oben 2. Teil I. Abschnitt AI I, 2.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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I. Lokale Grundversorgung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Ausgangspunkt der Überlegungen muß auch hier wieder die Auslegung des Art. 5 I 2 GG durch die Karlsruher Verfassungsrichter sein. I. Das Niedersachsen-Urteil Eine Berücksichtigung des lokalen Bereichs im Rundfunkverfassungsrecht fmdet sich erstmalig im Niedersachsen-Urtei1234, durch welches auch der Grundversorgungsbegriff in die Verfassungsrechtsprechung eingeftihrt worden ist. Dort wurde die "Sondersituation" des Rundfunks gegenüber der Presse im Hinblick auf die Knappheit der technischen Übertragungswege auf zwei verschiedene Verbreitungsgebiete bezogen: "Landesweit" und "lokal". Solche Programme, die ftir die Gesamtheit der Bevölkerung in eben diesen beiden Bereichen empfangbar sein sollten, seien noch ftir längere Zeit auf die terrestrische Übermittlung angewiesen, stellte das Gericht fest235. Dabei wurde deutlich, daß das Bundesverfassungsgericht landesweite und lokale Verbreitungsgebiete in ihrer Bedeutung ftir die Rundfunkfreiheit als grundsätzlich gleichwertig ansieht. Der lokale Bereich ist in diesem Urteil auch noch an anderer Stelle erwähnt worden236. Im Zusammenhang mit der Beteiligung privater Zeitungsverlage an solchen Unternehmen, die landesweiten Privatfunkveranstaltern Programme ftir lokale oder regionale Fensterprogramme zuliefern, mahnten die Karlsruher Richter strenge gesetzliche Vorkehrungen an, um der Gefahr eines lokalen "Doppelmonopols" von Zeitungsunternehmen entgegenzuwirken237. Angesichts der bereits entstandenen Monopolstellungen von Zeitungsunternehmen im lokalen und regionalen Bereich müsse vorherrschende multimediale Meinungsmacht verhindert werden. Auch hier ist erkennbar, daß den beschriebenen

234 BVertGE 73, 118 ff. -Vierte Rundfunkentscheidung, ergangen am 4. November 1986; darin war das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz v. 23. Mai 1984 (GVBI. S. 147) auf seine Vereinbarkeil mit dem Grundgesetz überprüft und in mehreren Punkten wegen Verstoßes gegen Art. 5 I 2 GG ftlr nichtig erklärt worden. Daraufhin wurde vom Niedersächsischen Landtag eine Neufassung des Gesetzes verabschiedet und am 16. März 1987 bekannt gemacht (GBVI. S. 44); s. auch oben I. Teil I. Abschnitt B II 4 . 235 BVertGE 73, 118 (154). 236 BVertüE 73, 118 (177 f.). 237 BVertGE 73, 118 (177).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Nahbereichen vorn Bundesverfassungsgericht eine große Bedeutung fiir den Rundfunk zuerkannt wird. 2. Der Baden-Württernberg-Beschluß Am ausruhrliebsten hat sich das Bundesverfassungsgericht mit nahbereichsbezogenen Programmen bislang in der Folgeentscheidung beschäftigt; solche Programme bildeten den Schwerpunkt des Baden-Württernberg-Beschlusses238. Das zu überprüfende Mediengesetz des Landes Baden-Württernberg hatte den beteiligten Landesrundfunkanstalten - SDR und SWF - unter anderem die Veranstaltung sowie die Verbreitung regionaler und lokaler Programme untersagt239. Mit diesem Verbot sollte privaten Lokalfunkanbietem eine Aufbauchance gegeben werden, indem sie von einer Konkurrenz der öffentlichrechtlichen Anstalten weitgehend freigestellt wurden. Der gesetzliche Ausschluß der Anstalten von einem Teil der Rundfunkbetätigung fand indessen nicht die Billigung des Bundesverfassungsgerichts, da er gegen Art. 5 I 2 GG verstoße: Die derzeitige duale Ordnung des Rundfunks rechtfertige sich nämlich einmal durch "die Chance eines Mehr an inhaltlicher Vielfalt" und zum anderen durch den entstehenden "publizistischen Wettbewerb"240. Dadurch werde die von Art. 5 I 2 GG geforderte freie Meinungsbildung ermöglicht und geschützt. Es stehe dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen nicht offen, bestimmte Rundfunkprogramme zu untersagen oder sonst zur Verkürzung der Meinungsbildung beizutragen, weshalb es den öffentlich-rechtlichen Anstalten landesgesetzlich nicht verwehrt werden könne, auch im Nahbereich Rundfunk zu veranstalten. Die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Regional- und Lokalprogramrne, so stellte das Gericht klar, ergebe sich hingegen nicht aus dem Gesichtspunkt

238 BVerfDE 74,297 ff.- Fünfte Rundfunkentscheidung, ergangen am 24. März 1987; bereits am 3. Januar 1986 hatte der Erste Senat dem SDR, trotzentgegenstehenden Wortlauts des BadenWürttembergischen Landesmediengesetzes, im Wege der einstweiligen Anordnung gewährt, die Lokalsendungen von "Radio Stuttgart" vorläufig weiter auszustrahlen, BVertDE 71, 350 ff.; dazu Hecker, ZUM 1987, 276 ff.; s. auch oben I. Teil I. Abschnitt B II 5. 239 Vgl. § 13 II I, 2 LMedienG Ba.-Wü., alte Fassung v. 16. Dezember 1985 (GBI. 1985, 539); diese Vorschriften sind vom Baden-Württembergischen Landtag durch Art. I Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Baden-Württemberg v. 14. Dezember 1987 (GBI. 1985, 728) den Vorgaben der Fünften Rundfunkentscheidung entsprechend geändert worden. 240 BVertDE 74,297 (331 f.).

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

139

einer in diesen Bereichen notwendigen, aber fehlenden Grundversorgung: "Im Blick auf die Aufgabe, die durch die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung geprägte individuelle Besonderheit des regionalen und lokalen Bereichs zur Darstellung zu bringen, ist eine zu der Iandes- oder bundesweiten Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hinzutretende eigene Grundversorgung ftlr diesen Bereich nicht eindeutig geboten. Denn die Zahl möglicher Themenstellungen ftlr spezifisch regionale oder lokale Sendungen dürfte kaum hinreichen, insoweit die Notwendigkeit eines über das Programmangebot privater Veranstalter wesentlich hinausgehenden breiten und vollständigen Angebots der Landesrundfunkanstalten zu begründen. Auch könnten weder private noch öffentlich-rechtliche Regional- und Lokalprogramme ihre Sendungen ganztägig mit Gegenständen von spezifisch-regionalem oder lokalem Bezug bestreiten; sie dürften sich ohnehin auf einige Stunden am Tag beschränken. Für die räumlich begrenzt zu empfangenden Programme ohne jenen Bezug ist aber die Grundversorgung bereits durch die landesweiten Programme gewährleistet. Auch im regionalen und lokalen Rundfunk, dem mit Recht eine wachsende Bedeutung zugeschrieben wird, muß allerdings wirksam sichergestellt sein, daß in ihm die bestehende Meinungsvielfalt des jeweiligen engeren räumlichen Bereichs zum Ausdruck gelangt. Um dies zu erreichen, wäre insoweit eine Grundversorgung durch die Landesrundfunkanstalten dann geboten, wenn gleichgewichtige Meinungsvielfalt im regionalen und lokalen Rundfunk nicht bereits durch die gesetzliche Ordnung des privaten Rundfunks gleich wirksam sichergestellt wäre. n241 3. Das Nordrhein-Westfalen-Urteil Die Sechste Rundfunkentscheidung hatte das nordrhein-westfltlische "ZweiSäulen-Modell" zur Veranstaltung lokalen Rundfunks zu beurteilen242 . Deshalb sind die Erkenntnisse ausschließlich auf den lokalen Bereich beschränkt worden, ohne auf andere Nahbereiche einzugehen. Die Karlsruher Richter befanden abermals, daß grundsätzlich für lokalen Rundfunk verfassungsrechtlich nichts anderes gelte als ftlr landesweiten Rund-

241 BVerfUE 74, 297 (327). 242 Vgl. BVerfUE 83, 238 ff.; vgl. auch §§

116.

23 ff. LRG NW und oben I. Teil I. Abschnitt B

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

funk: "Er muß rechtlich so ausgestaltet werden, daß er imstande ist, dem verfassungsrechtlichen Ziel freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu dienen. Dieses Ziel verlangt auch im lokalen Bereich gleichgewichtige Vielfalt der Meinungen im Gesamtangebot des Sendegebiets. Dafilr hat der Gesetzgeber Sorge zu tragen. n243 Die lokale Grundversorgung wird jedoch wiederum als "weder nötig noch möglich" bezeichnet244.

4. Zusammenfassung der Rechtsprechung und weiterer Gang der Untersuchung Insgesamt ist den genannten Entscheidungen zu entnehmen, daß das Bundesverfassungsgericht den gebietsbezogenen nationalen Rundfunk245 auf zwei Ebenen beurteilt: Zum einen auf der Länderebene, gemäß der föderalen Kompetenzregelung des Grundgesetzes filr das Rundfunkwesen und zum anderen auf der regionalen bzw. lokalen Ebene, der "mit Recht eine wachsende Bedeutung zugeschrieben wird"246. Der Begriff "regional" ist nach der weiter oben vorgenommenen Begriffsbestimmung fiir die hiesigen Zwecke unerheblich247 und wird deshalb an dieser Stelle ausgesondert. Der Begriff "lokal" ist vom Bundesverfassungsgericht jeweils ohne eine Erläuterung aus den zu überprüfenden Landesgesetzen und aus den Vorträgen der Verfahrensbeteiligten übernommen worden. Seine rechtliche und tatsächliche Bedeutung bleibt in der Rechtsprechung daher letztlich unklar248 .

BVertUE 83, 238 (324). BVertUE 83, 238 (327, 329) unter Bezugnahme aufSVertUE 74, 297 (327). 245 Vgl. BVertUE 73, 118 (!58); Begriffnach Bullinger, AfP 1985,257 (258 ff.). 246 BVertUE 74, 297 (327); E 73, 118 (154). Damit bilden diese beiden Ebenen den "Ausschnitt sozialer Wirklichkeit", der im Hinblick auf das Normziel des Art. 5 I 2 GG, also Freiheit des Rundfunks durch ungehinderte und umfassende Meinungsbildung, zu ordnen ist, dazu Grimm, RuF 1987,25 (31). 247 S. oben 2. Teil I . Abschnitt A II 2 b; im übrigen ist öffentlich-rechtlich veranstalteter Regional-Rundfunk in der weiteren Verfassungsrechtsprechung lediglich unter dem Gesichtspunkt funktionsgerechter Finanzierung behandelt worden. So betont die Siebte Rundfunkentscheidung (BVertUE 87, 181 [204]), daß regionale Programme zwar im Rahmen der Grundversorgung nicht eindeutig geboten, aber gleichwohl "erforderlich" seien, um jedenfalls in den weitläufigen und in den Mehr-Lander-Sendegebieten den besonderen regionalen "Identifikations- und Informationsbedürfnissen der Empfilnger Rechnung zu tragen". Entsprechend hoch müsse die Finanzierung der Rundfunkanstalten bemessen sein; ob das auch fllr lokale Programme gilt, wurde ausdrücklich offengelassen. Eingehend zum Begriff "Regionalismus" Häberle, AöR, 118. Band [1993], S. I (2 ff.). 248 Insoweit kann nach oben auf die Begriffsbestimmung im Gliederungspunkt A II dieses 243

244

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

141

Die verfassungsrechtlichen Kernaussagen zur Grundversorgung im lokalen Bereich sind in den Ausführungen des Baden-Württemberg-Beschlusses zu fmden249. Darin ist eine Aufteilung einerseits nach rechtlichen und andererseits nach tatsächlichen Gesichtspunkten vorgenommen worden: In verfassungsrechtlicher Hinsicht werden Notwendigkeit und möglicher Adressat eines lokalen Grundversorgungsauftrags erörtert (II). In tatsächlicher Hinsicht werden die Zahl der in Frage kommenden Themenstellungen sowie die zu erwartende tägliche Sendedauer eines grundversorgungsorientierten Lokalfunks eingeschätzt (III). Dieser Aufteilung folgt auch die weitere Erforschung des lokalen Grundversorgungsauftrags. II. Verfassungsrechtliche Begründung einer lokalen Grundversorgung durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk Zunächst soll noch einmal festgehalten werden, daß die auf lokale Bereiche bezogene Sendetätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts durchaus zulässig ist. Wenn und soweit öffentlich-rechtlicher Rundfunk im lokalen Bereich veranstaltet wird, was der Baden-Württemberg-Beschluß ausdrücklich billigt, dann geschieht dies nach Ansicht der Verfassungsrichter jedoch "jenseits der Grundversorgung" 250, also auf einem Gebiet, welches in der Literatur auch als "Zusatzversorgung" beschrieben wird251 . Bislang werden von den Landesrundfunkanstalten keine Vollprogramme für lokale Kommunikationsräume veranstaltet; die öffentlich-rechtliche Lokalversorgung beschränkt sich auf einige wenige Fernsehsendungen ftlr bestimmte Ballungsräume252 und einzelne Hörfunkfenster, die in landesweiten Programmen geöffnet werden253. Im Rahmen dieser örtlichen Z11satzversorgung mit Rundfunkprogrammen dürfen sich die Anstalten im publizistischen Wettbewerb mit privaten Lokalveranstaltern zur Förderung eines freien und ungehinderten MeinungsbilTeils und Abschnitts der Arbeit verwiesen werden. 249 Vgl. BVerfUE 74, 297 (327); s. auch oben 2. Teil I. Abschnitt BI 2. 250 BVerfUE 74, 297 (332, 340); E 87, 181 (204). 251 S. oben 2. Teil I. Abschnitt A 14 c. 252 Z.B. Berlin, Harnburg und Bremen. 253 Etwa in den Programmen B I, hr 4, NDR I und MDR I.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

dungsprozesses betätigen254, sie müssen es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht. 1. Der Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts Nach den Feststellungen des Baden-Württemberg-Beschlusses ist öffentlichrechtlicher Lokalrundfunk also verfassungsrechtlich zulässig, er ist indessen nicht geboten. Dieses soll gelten, solange die - auch im lokalen Bereich geforderte - gleichgewichtige Meinungsvielfalt durch die gesetzliche Ordnung des privat organisierten Lokalrundfunks sichergestellt sei255. Lediglich fiir den Fall, daß die gleichgewichtige Vielfalt von der gesetzlichen Ordnung nicht abgesichert wird, wäre insoweit eine Grundversorgung durch die Landesrundfunkanstalten geboten256.

2. Kritik an der Rechtsprechung Diese rechtliche Argumentation ist unschlüssig und stellt einen Bruch mit den vom Karlsruher Ersatzgesetzgeber bis dahin aufgestellten Regeln des Rundfunkverfassungsrechts dar; der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts setzt sich damit in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung in Sachen

254 Vgl. BVerfGE 74, 297 (332 f.). 255 Die Vorkehrungen des Baden-Württembergischen Landesmediengesetzes sind als eine solche Ordnung angesehen worden. Danach, so stellten die Karlsruher Richter fest, sei gleichgewichtige Meinungsvielfalt gesichert, indem Vorsorge dagegen getroffen wurde, daß einzelne gesellschaftliche Kräfte vorherrschenden oder sonst in hohem Maße ungleichgewichtigen Einfluß auf die Bildung der öffentlichen Meinung durch Rundfunk im Verbreitungsgebiet erhalten(§ 22 I LMedienG Ba.-WU., alte und neue Fassung; s. auch oben Fn. 238 f.). Die Meinungsbildungsfreiheit galt als gewahrt, wenn entweder der Veranstalter selbst von Vertretern der im Verbreitungsgebiet wesentlichen Meinungsrichtungen getragen wird(§ 22 II I Nr. I LMedienG Ba.-WU., alte und neue Fassung) oder wenn der Veranstalter sowohl nach seiner Organisation, insbesondere durch Bildung eines Programmbeirats aus Vertretern der im Verbreitungsgebiet wesentlichen Meinungsrichtungen, als auch nach seinem Programmschema und seinen Programmgrundsätzen rechtlich die Gewähr daftlr bietet, daß seine Sendungen insgesamt ein ausgewogenes Meinungsbild vermitteln (§ 22 II I Nr. 2 LMedienG Ba.-WU., alte und neue Fassung). Auf diesem binnenpluralistisch geprägten Weg ist nach den Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichts die gleichgewichtige Vielfalt in einer Weise gesichert, welche den ftlr die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geltenden Regelungen grundsätzlich nicht nachsteht und deshalb als hinreichend anzusehen ist, vgl. BVerfGE 74, 297 (328); allgemein zu Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren Bethge, NJW 1982, I ff. 256 Vgl. BVerfGE 74, 297 (327).

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

143

"duale Rundfunkordnung" 257 . Dies fordert in mehrfacher Hinsicht Kritik heraus. a) Gleichsetzung von Grundversorgung und gleichgewichtiger Vielfalt Die vorbehaltlose Gleichsetzung von Grundversorgungsgarantie und privater Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im lokalen Kommunikationsraum kann nicht überzeugen. Denn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt generell und ohne Ansehung der Größe eines Sendegebiets die volle Wahrnehmung des Grundversorgungsauftrags, also die Erfilllung aller seiner drei Voraussetzungen. Dies ist neben der besagten organisatorischen und verfahrensrechtlichen "Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen" und neben flächendeckender Empfangbarkeit filr die gesamte Bevölkerung vor allem ein inhaltlicher Programmstandard im Sinne eines Angebots, das nach seinen Gegenständen und der Art ihrer Darbietungen oder Behandlung dem klassischen Auftrag des Rundfunks in vollem Umfang entspricht258 . Der inhaltliche Programmstandard ist das Kernstück der Grundversorgung259; er kann durch gesetzliche Vielfaltsanforderungen an die Organisation und das Verfahren der Privatveranstalter nicht ersetzt werden. Unabhängig von ihrem inneren Aufbau sind private Rundfunkveranstalter weder im örtlichen noch im landesweiten Verbreitungsgebiet in der Lage, Programme auf dem Standard des klassischen Rundfunkauftrags zu veranstalten, solange sie sich im wesentlichen aus Werbeeinnahmen fmanzieren260. Dieser Umstand ist vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen klar herausgearbeitet und zum Angelpunkt der Grundversorgungs-

257 Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 129 spricht in diesem Zusammenhang von "Ungereimtheiten" in den Darlegungen des Gerichts, die "inkonsequent" bleiben. 258 Vgl. BVerfGE 74, 297 (326). 259 Dazu ausfuhrlieh oben 2. Teil l. Abschnitt A I 4 b. 260 Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, "daß die Rundfunkprogramme privater Anbieter Informationen nicht in der vollen Breite der Meinungen und kulturellen Strömungen vermitteln werden ... weil die Anbieter zur Finanzierung ihrer Tätigkeit nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus Wirtschaftswerbung angewiesen sind", BVerfGE 73, 118 (155). Zu den- noch sehr entfernt liegenden - Möglichkeiten eines grundsätzlich werbefreien privaten Fernsehens, das sich nur noch aus Einnahmen im "Pay-Per-View"- oder "Pay-Per-Channel"-Verfahren finanziert vgl. die Berichte "Realistische Visionen eines neuen Femsehzeitalters", in: Süddeutsche Zeitung v. 22. Juni 1993; "Die Öffentlich-Rechtlichen als Dinosaurier", in: FUNK-Korrespondenz Nr. 24 v. 18. Juni 1993, S. I (2) sowie "Zeitgemäße Anpassung", in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 16 v. 2. März 1993, S. 3 ff. zu Pay-TV-Piänen des ZDF.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

rechtsprechung gemacht worden261. Da dem privaten Rundfunk das oben beschriebene "strukturelle Defizit"262 aufgrund seiner Werbefmanzierung auch auf der örtlichen Ebene anhaftet, ist nicht nachvollziehbar, warum er dort dennoch zur vollen Wahrnehmung des klassischen Rundfunkauftrags geeignet sein soll, der ja umfassende Information in sämtlichen Programmbereichen, also auch in den nicht massenattraktiven, beinhaltet. Anders wäre die Verfassungsrechtslage möglicherweise zu beurteilen, wenn die Karlsruher Richter von vornherein und endgültig ausgeschlossen hätten, daß auch im lokalen Bereich Programme veranstaltet werden müssen, die dem Grundversorgungsauftrag Genüge tun. Wenn von Verfassungs wegen festgeschrieben worden wäre, daß im örtlich begrenzt sendenden Rundfunk eine organisatorische und verfahrensrechtliche Absicherung gleichgewichtiger Meinungsvielfalt bereits ausreicht, daß auf den inhaltlichen Programm-Maßstab der landesweiten Grundversorgung hingegen verzichtet werden karm, darm wäre zumindest der hier erhobene Vorwurf der Widersprüchlichkeit gegenstandslos263. So bleibt jedoch dunkel, warum eine private Lokalrundfunkstation nur fiir die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt vorzusorgen hat, einem öffentlichrechtlichen Veranstalter auf örtlicher Ebene dagegen ersatzweise der volle Grundversorgungsstandard abverlangt würde. Im übrigen fiihrt der im BadenWürttemberg-Beschluß gewiesene Weg - verfassungsrechtlich unzulässig - zu einer freien Entscheidung des einfachen Gesetzgebers darüber, ob er die Grundversorgung im örtlichen Nahbereich einfUhrt oder nicht.

261 Vgl. BVerfGE 73, 118 (155 ff.); E 83, 238 (297). Auch im "allgemeinen Teil" der auf den Lokalrundfunk bezogenen Baden-WUrttemberg-Entscheidung, werden anfangs noch pauschal die Risiken einer ausschließlichen Werbefinanzierung beschrieben (vgl. BVerfGE 74, 297 [324]) hinsichtlich der lokalen Rundfunkverbreitung jedoch nicht weiter erwähnt (BVerfGE, a.a.O., S. 327 ff.). 262 Dazu oben 2. Teil I. Abschnitt A I 4 b dd. Nach Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56 ist es "zweifelhaft, ob die privaten Veranstalter bei der Bedienung lokaler ... KommunikationsbedUrfuisse die qualitative Aufgaben berUcksichtigen können, die vom BVerfG generell fllr die Grundversorgung definiert worden sind" (AbkUrzung im Original); ebenso Enz, ZUM 1987, 58 (70 f.). 263 Freilich wUrde mit dieser Gedankenfllhrung die Bedeutung der Grundversorgung insgesamt in Frage gestellt, wie bereits Seemann, DÖV 1987, 844 (847) angemerkt hat, s. auch oben 2. Teil I. Abschnitt A I 2 c bb; Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 410 f. benennt "der Vollstandigkeit halber" die "hypothetische Alternative", in der der funktionale Ansatz des FRAGUrteils aufgegeben und damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Ergebnis entbehrlich erscheinen wUrde; ebenfalls zweifelnd gegenUber der Fähigkeit privater Programme, den inhaltlichen Standard der Grundversorgung zu erreichen Rüggeberg/Radeck, RuF 1993, 66 (73).

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

145

b) Herabstufung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Im Mittelpunkt der Rundfunkrechtsprechung steht die Feststellung, daß in der dualen Ordnung die unerläßliche Grundversorgung Sache der öffentlichrechtlichen Anstalten ist, zu der diese imstande sind, weil sie nicht in gleicher Weise wie private Veranstalter auf hohe Einschaltquoten angewiesen sind und deshalb, im Gegensatz zu jenen, ein inhaltlich umfassendes Programmangebot im Sinne des klassischen Rundfunkauftrags sicherstellen können264. Der örtliche Bereich ist von den Verfassungsrichtern - ebenso wie der landesweite Bereich - als eine Sendegebietsgattung anerkannt worden265, in der eine eigene Grundversorgung grundsätzlich notwendig ist. Wie bereits dargestellt266, soll das im lokalen Bereich aber nur subsidiär, beim Fehlen einer vielfaltssichernden gesetzlichen Ordnung des Privatfunks gelten. Anders als in landesweiten Sendegebieten wird die Grundversorgung im lokalen Bereich nicht als "unerläßlich"267 bezeichnet. An ihre Stelle kann ein die gleichgewichtige Meinungsvielfalt sichernder Privatfunk treten. Diese Konstruktion läuft zwar nicht auf eine "Grundversorgung durch Private" hinaus, wie sie bisweilen im Schrifttum angenommen wird268. Sie hat aber im Ergebnis eine akzessorische Eintritts- und Ersatzfunktion der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung zur Folge269, die beim Bestehen privaten Lokalrundfunks im Hintergrund bleiben muß und nur dann aktiviert wird, wenn die gleichgewichtige Meinungsbildung nicht durch die gesetzliche Ordnung des privaten Rund-

264 Vgl. BVerfUE 74, 297 (325 f.); E 73, 118 (157 f.). 265 Die grundsätzlichen Eigenheiten lokaler Sendegebiete werden auch in der Literatur gesehen, Hecker, ZUM 1987, 276 (277) beschreibt lokale Sendungen als "besondere Programmkategorien gegenüber landesweiten Programmen"; Kuli, AfP 1987, 568 (571) hebt sie als "eine bestimmte räumliche Dimension des Rundfunks" hervor. 266 S. oben 2. Teil I. Abschnitt B I 2, II I . 267 BVerfUE 73, 118 (157); E 74,297 (324); E 83, 238 (297).

268 Vgl. etwa Starck, NJW 1992, 3257 (3259); Goer/ich/Radeck, JZ 1989, 53 (58); Ory, ZUM 1987, 427 (428); "Grundversorgung wird damit zum Mittel der Meinungsvielfalt", Seemann, DÖV 1987, 844 (847); Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 55; dieser macht

später insgesamt einen "transitorischen Charakter" der Grundversorgungsgewährleistung aus, a.a.O., S. 97 f.; gegen eine solche Auffassung Bethge, Medientage München 1992, Dokumentation, Band I, S. 62 (69, These II). Zum Gedanken eines "Hineinwachsens" des Privatrundfunks in die Grundversorgungsaufgabe s. auch oben 2. Teil I . Abschnitt A I 2 c bb. 269 Vgl. Niepalla, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 131; "ihre Funktion kann auch von privaten Veranstaltungen ausgeftlllt werden", Seemann, DÖV 1987, 844 (847); ähnlich Degenhart, DVBI. 1991, 510 (517); vgl. auch Ricker, ZUM 1989,

331 (334).

10 Wilhelmi

146

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

funks sichergestellt ist. Die Zuweisung einer solchen nachgeordneten Funktion an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet einen Rückschritt innerhalb der Fünften Rundfunkentscheidung, in welcher noch wenige Sätze vorher ausdrücklich klargestellt worden war, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht auf eine "Aufgabenteilung" oder "Mindestversorgung" beschränkt ist270 . c) "more ofthe same" Schließlich enthüllen die filr beide Bestandteile des dualen Rundfunksystems unterschiedlichen Maßgaben eine weitere Ungereimtheit in der Verfassungsrechtsprechung zur freien Meinungsbildung im örtlichen Bereich. Aus verfassungsgerichtlicher Sicht soll ja im Lokalbereich allein die Sicherung gleichgewichtiger Meinungsvielfalt durch die privaten Veranstalter ausreichen und gleichzeitig bestimmend filr die Funktion des Lokalrundfunks sein. Solange nun dem privaten Rundfunk tatsächlich die Darstellung gleichgewichtiger Vielfalt gelingt, unterläge öffentlich-rechtlich organisierter Lokalrundfunk - da unter diesen Bedingungen nicht grundversorgungspflichtig - lediglich den herabgesetzten Programmanforderungen "jenseits der Grundversorgung". Damit trügen zwar, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt, "die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Bereicherung und Vielfalt des Programmangebots bei"271, aber eben nur auf einer qualitativ niedrigeren Anforderungsebene212. Aufgrund der minder strengen Anforderungen wäre mit dieser Art lokalen Anstaltsrundfunks lediglich ein "more of the same"273 erreicht,

BVerfGE 74, 297 (326). 271 BVerfGE 74, 297 (332). 272 So auch Niepa/la, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 133 f.; ebenso bereits Seemann, OÖV 1987, 844 (846) und Ory, ZUM 1987,427 (428). 273 So wird bisweilen die lediglich fonnale - nicht inhaltliche - Angebotsvennehrung bezeichnet; näher Ricker, ZUM 1989, 331 (335); Hecker, ZUM 1987, 276 (279); Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 243 ff. betont die "qualitative Dimension von Vielfalt" im Gegensatz zu einer rein übertragungstechnisch bedingten "Vielzahl des Gleichen", die im Ergebnis zu einer "mehr oder weniger weitgehenden Destabilisierung und Desintegration des gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhangs" fUhrt; dem ist zuzustimmen, vgl. unten 2. Teil 1. Abschnitt B III 2 b bb; auch Niepa/la, Die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 134; Ho.ffmann-Riem, RuF 1984, 32 (46 f.); ders., MP 1980, 362 (369); Grimm, VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 46 (75). Teichert, MP 1981, 204 (216 ff.) schildert die Gefahren einer undifferenzierten Angebotserweiterung aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht; insbesondere die Vergrößerung von "lnfonnationsdistanzen" zwischen den gesellschaftlichen Gruppen sei zu beftlrchten. Dieses Problem wird in der einschlägigen Literatur unter dem Signalbegriff "Wissenskluft-Hypothese" behandelt, zusammenfassend Bonfadelli, RuF 1980, 173 (177 ff.) sowie aus verfassungsrechtlicher Sicht Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 244, 106 (dort Fn. 88 270

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

147

dessen Beitrag zur umfassenden Meinungsbildung zweifelhaft und dessen Gebührenrechtfertigung damit fragwürdig ist. 3. Das Gebotensein lokaler Grundversorgung Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, nach der in lokalen Sendegebieten die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt in den Programmen ausreiche und die Erftlllung des Grundversorgungsauftrags nur hilfsweise erforderlich sei, ist auch aus einem anderen Grund anfechtbar. Das zeigt ein Parallelvergleich mit der Verfassungsrechtsprechung zum landesweiten Rundfunk, nach der nur unter Sicherung der "unerläßlichen Grundversorgung"274 die Ausgestaltung eines dualen Systems zulässig ist. In beiden Verbreitungsgebieten, im lokalen wie im landesweiten, besteht aber dieselbe durch das duale Rundfunksystem bedingte Geflihrdungslage fUr die grundrechtlich geschützte Rundfunkfreiheit Diese Freiheit ist ein Verfassungsbegriff, der einer Konkretisierung bedarf. Die grundrechtliehen Gewährleistungen der Rundfunkfreiheit können sich immer nur auf ein bestimmtes Sendegebiet als zugehörigen Lebenssachverhalt beziehen. Innerhalb dieses Sendegebiets ist dann zu ermitteln, ob das Verfassungsziel der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung gewahrt ist oder nicht275. a) Grundversorgung im landesweiten Bereich Verfassungsrechtlich hervorgehoben werden das landesweite276 sowie das lokale277 Sendegebiet Zur Sicherung der Rundfunkfreiheit in einem dualen System hat das Bundesverfassungsgericht fiir landesweite Sendegebiete die ErfUllung des Grundversorgungsauftrags zur Vorbedingung erklärt. Mit Erftillung dieses Auftrags sei sichergestellt, daß nahezu die gesamte Bevölkerung

m.w.N.), 230 (dort Fn. 92). 274 Zuletzt BVerfGE 83, 238

(297).

275 Vgl. BVerfGE 73, 118 (162). 276 Vgl. BVerfGE 83, 238 (329); E 74, 297 (328); E 73,

118 (154 f., I 'i7). 238 (324 ff.); E 74, 297 (327); E 73, 118 (154). Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 55 erkennt in dieser Rechtsprechung die Unterscheidung 277 Vgl. BVerfGE 83,

zwischen einer allgemeinen, Iandes- oder bundesweiten und einer "bereichsbezogenen Grundversorgung". 10*

148

von einem könne278.

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

inhaltlich umfassenden Programmangebot erreicht werden

b) Parallelen im lokalen Bereich Es ist nicht ersichtlich, warum diese Forderung nach Vollversorgung nicht auch für lokale Sendegebiete Gültigkeit hat279. Die in der Vierten Rundfunkentscheidung vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen "modernen Entwicklungen auf dem Gebiet des Rundfunks", die einen freien Kommunikationsprozeß beeinträchtigen können und damit die Grundversorgung "unerläßlich"280 machen, wirken im gleichen Maße landesweit wie lokal: aa) Technische Parallelen Die technische Entwicklung, also insbesondere Art und Anzahl der Übertragungsmöglichkeiten, verhält sich ähnlich wie die landesweite Frequenzsituation. Es bestehen nach wie vor Reichweitenunterschiede zwischen den zumeist öffentlich-rechtlich belegten terrestrischen Frequenzen und der noch überwiegend vom privaten Rundfunk genutzten Kabel- und Satellitentechnik Diese Unterschiede werden jedoch, insbesondere unter Berücksichtigung des lokalen Bereichs zunehmend ausgeglichen, indem privaten Veranstaltern ebenfalls reichweitenstarke erdgebundene Sendemöglichkeiten gesetzlich zugestanden werden281 . Das Argument der beschränkten Frequenzen tritt also insgesamt immer weiter in den Hintergrund. Aus diesem Argument kann deshalb ein

278 Vgl. BVertDE

73, 118 (157).

279 Zumal die Darstellung der durch die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung

geprägten individuellen Besonderheit des jeweiligen engeren räumlichen Bereichs in Karlsruhe deutlich als "Aufgabe", jedoch - aus wenig nachvollziehbaren Gründen - eben nicht als Grundversorgungs-Aufgabe formuliert wurde, BVertDE 74, 297 (327); dazu Hi/lgrnber, AfP 1993, 525 (526 f.). 280 BVertDE 73, 118 (152 ff.).

281 Vgl. dazu den 5. Absatz der Präambel zum RuFu-StV; diese Bestimmung bezieht sich nur aufFernsehprogramme, da die Frequenzsituation im Hörfunk bereits weniger angespannt ist. Daß die Landesmedienanstalten ihren staatsvertragliehen Förderungsauftrag ernst nehmen, zeigen die zahlreichen Zulassungen von privaten Fernsehveranstaltern auf terrestrischen Frequenzen etwa in München, Berlin, Hamburg, Nürnberg, Stuttgart, Leipzig, Chemnitz und anderen Städten, vgl. den Bericht "Ein Mantel, der viele Millionen Mark wert ist", in Süddeutsche Zeitung vom 19. Oktober 1993 sowie dpa-informationen 49/93 v. 25. Oktober 1993, S. 10.

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

149

Grundversorgungsauftrag auch im lokalen Bereich nicht mehr zwingend hergeleitet werden282 . bb) Wirtschaftliche Parallelen In wirtschaftlicher Hinsicht ist die öffentlich-rechtlich gewährleistete Grundversorgung hingegen nach wie vor unerläßlich. Private Rundfunkanbieter sind im lokalen ebenso wie im Iandes- oder bundesweiten Sendebereich nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus Wirtschaftswerbung angewiesen2 83; sie stehen vor denselben "ökonomischen Imperativen"284 und leiden an denselben "strukturellen Gebrechlichkeiten "285. Auch die werbefinanzierten lokalen Programmanbieter sind gezwungen, möglichst massenattraktive, unter dem Gesichtspunkt der Maximierung von Zuschauer- und Hörerzahlen erfolgreiche Programme zu möglichst niedrigen Kosten zu verbreiten. Dabei werden Sendungen, die nur fiir eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind und dazu noch einen hohen Aufwand an Produktionskosten erfordern, regelmäßig zurücktreten oder gänzlich fehlen, obwohl erst mit ihnen die ganze Breite umfassender Meinungsbildung im Sinne des Art. 5 I 2 GG abgedeckt wird286.

S. bereits oben 2. Teil I. Abschnitt A I 4 b aa sowie A I I b aa. "Diktat der Einschaltquoten", Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56; ders., RuF 1984, 32 (44); zur Ermittlung von Einschaltquoten vgl. z.B. den Bericht "Wie sicher sind die Einschaltquoten im Fernsehen", in: Welt der Medien v. 13. Juli 1993; s. auch oben 2. Teil I . Abschnitt A I I b bb. 284 Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56. Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 409 verweist auf "Funktionsimperative des ökonomischen Systems", die zu einer "Konkurrenz um Einschaltquoten" zwingen; ähnlich Enz, ZUM 1987, 58 (70 f.); Grimm, RuF 1987, 25 (32); ders., VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 46 (75). 285 Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 416; s. auch oben 2. Teil I. Abschnitt A I 4 b dd. 286 Vgl. BVerfGE 73, 118 (155 f.). Diese Einschätzung der Verfassungsrichter wird in der täglichen Sendewirklichkeit bestätigt. So ist etwa das norddeutsche Regionalmagazin "RTL Nord Live" des privaten Fernsehveranstalters RTL plus bereits zweimal von den zuständigen Aufsichtsgremien (Unabhängige Landesanstalt ftlr das Rundfunkwesen in Schleswig-Holstein - ULR, Landesrundfunkausschuß Niedersachsen) gerügt worden, weil dessen Sendungen in gegenständlicher Hinsicht deutlich hinter dem vorgegebenen Umfang regionaler Berichterstattung zurückgeblieben waren, vgl. den Bericht "Landesrundfunkanstalt droht RTL wegen Rechtsverletzung", in: dpa-inforrnationen 44/92 v. 29. Oktober 1992, die Meldungen "Entzug der Lizenz?", in: Hamburger Abendblatt v. 6. März 1993 und "ULR weist RTL-Widerspruch gegen Beanstandung zurück", in: FUNK-Korrespondenz Nr. 22 v. 4. Juni 1993, S. 27 f. Auch die Hessische Landesanstalt ftlr privaten Rundfunk (LPR) hat das in ihrem Zuständigkeitsbereich ausgestrahlte RTL-Regionalprogramm "Hessen-Report" wegen eines zu geringen Regionalanteils beanstandet, vgl. FUNK-Korrespondenz Nr. 26 v. 2. Juli 1993, S. 8 (II). Näher zu den "ungeliebten Kindern" der nationalen 282 283

150

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

cc) Parallelen zum übergeordneten Rundfunk Als weiteren Umstand, der eine Gewährleistung der Grundversorgung erforderlich macht, hat das Bundesverfassungsgericht die Entwicklungen auf dem bundes-, europa- und weltweiten Rundfunkmarkt genannt287 . Diese Entwicklungen wirken auf die Landesebene ein und lassen damit auch den lokalen Bereich nicht unberührt. Anders formuliert, eine zunehmende Anzahl nationaler und internationaler Programme wird von außen in die einzelnen Bundesländer hineingesendet Diese Programme sind dort entweder unmittelbar288 zu empfangen oder aber aufgrund einer technischen Weiterverbreitung, zu der die Länder sich staatsvertraglich verpflichtet289 haben. In beiden Fällen sind die betreffenden Programme einer VerfUgung der Landesgesetzgeber entzogen und damit geeignet, die Darstellung gleichgewichtiger Meinungsvielfalt im Gesamtprogramm eines Landes zu stören290. Gleichzeitig wird aber auch die Meinungsvielfalt in den einzelnen örtlichen Bereichen, aus denen ein Bundesland besteht beeinträchtigt291. Ungleichgewichtigkeiten im Gesamtprogramm sind jedoch nach der höchstrichterlich entwickelten Rundfunkverfassung nur dann hinnehmbar, wenn jedenfalls in den Programmen der öffentlich-rechtli-

Anbieter RTL und SAT.l, mit denen die begehrten landesweiten Frequenzen "erkauft" wurden Siege/mann, OLM-Jahrbuch 1992, S. 61 (61); Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 55; Enz, ZUM 1987, 58 (70 f.) folgert allgemein, daß privater Rundfunk nicht geeignet ist, anspruchsvollere und aufwendigere lokale Sendungen zu veranstalten und ein breit angelegtes Angebot zu sichern. 287 BVerfGE 73,

118 (156); s. auch oben 2. Teil!. Abschnitt AI I b cc.

288 Über (Satelliten-)Antenne. Zur völkerrechtlichen Problematik des internationalen Satelli-

tendirektrundfunks vgl. Gornig, ZUM 1992, 174 (175 ff.). 289 Vgl. Art. I § 35 RuFu-StV; die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der Länder bei der Regelung der Rundfunkverbreitung folgt letztlich aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens, der zu gegenseitger Abstimmung, Rücksichtnahme und Zusammenarbeit verpflichtet, näher BVerfGE 73, 118 (196 f.); ausftlhrlich v. Hoftzbrinck, Einspeisung von Rundfunkprogrammen in Kabelanlagen, S. 27 ff.; vgl. auch Vogel, ZUM 1992, 21 ff.; zur Kabeleinspeisung aus verfassungsrechtlicher Sicht Castendyk, ZUM 1993, 464 (466 ff.) sowie OVG Berlin, ZUM 1993, 495 ff.; Poil, ZUM 1991, 122 ff. untersucht die Weiterleitung von Rundfunkprogrammen in Kabelanlagen nach urheberrechtliehen Kriterien. 290 BVerfGE 73, 118 (156 f.); "Die technisch-wirtschaftliche Entwicklung läßt so die Rundfunkkompetenz eines einzelnen Bundeslandes mehr und mehr leerlaufen, soweit es um überregionale Programme geht", Buflinger, AfP 1985, 257 (258). Die Grenzen landesrechtlicher Regelungsgewaltgegenüber aus dem Ausland in das Hoheitsgebiet eines Bundeslandes hineingestrahlten (Porno-)Programmen veranschaulicht die Rechtsprechung des VG Hannover, AfP 1993, 691

(691).

291 Buffinger, AfP 1985, 257 (261) stellt dar, wie sogar aus dem Ausland gesendete Programme gezielt als "lokale" Sendungen verbreitet werden können.

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

151

eben Anstalten die Vielfalt der bestehenden Meinungsrichtungen unverkürzt zum Ausdruck gelangt292 - im landesweiten wie im lokalen Bereich. c) Mögliche Kritik an der Parallelbetrachtung Gegen die Herleitung einer lokalbezogenen Grundversorgung aus der für das bestehende duale Rundfunksystem typischen Geflihrdungslage spricht auf den ersten Blick, daß dieses Rundfunksystem von den Landesgesetzgebern auf der örtlichen Ebene unterschiedliche Ausgestaltung erfahren hat. Dabei haben sich letzthin zwei Grundmodelle herausgebildet: Zum einen wird das Hauptgewicht auf selbständige Einzelstationen gelegt, die in ihrer Gesamtheit das Land flächendeckend mit lokalem Rundfunk versorgen und zeitweise auf ein Ralunenprogramm zurückgreifen können293. In anderen Gesetzen wird das Leitbild eines privaten Landesrundfunks, teilweise ergänzt durch Lokalstationen verfolgt294. Insoweit kann auf lokaler Ebene nicht schlechthin vom Bestehen eines dualen Systems nach dem Muster des landesoder bundesweiten Rundfunks gesprochen werden. Gleichwohl besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht die Notwendigkeit, die Programmgewährleistungen der Grundversorgung auch auf die örtlichen Bereiche zu erstrecken. Denn bei näherem Hinsehen wird deutlich, daß die örtlichen Kommunikationsräume aus dem Blickwinkel der Rundfunkfreiheit auch dann der öffentlichrechtlichen Grundversorgung bedürfen, wenn dort (noch) keine lokalen Vollprogrammangebote veranstaltet werden. Die gesetzlichen Bestimmungen derjenigen Länder, die sich grundsätzlich für einen Privatrundfunk auf landesweiter Ebene entschieden haben sind nämlich gar nicht so "lokalfeindlich" wie es zunächst den Anschein hat. Neben dem 5. Absatz der Präambel zum Staatsver-

292 Wobei eine "Kompensation" erklärtermaßen ausscheidet, BVerfUE 73, 118 (158 f.). 293 Diesem Modell entspricht die Organisation des lokalen Rundfunks in: Baden-WUrttemberg (§§ 17 II, 111; 14b LMedienG Ba.-WU.), Nordrhein-Westfalen (§§ 2 VIII Nr. 3; 4 ff.; 23 ff. LRG NW) und - nach Maßgabe des landesverfassungsrechtlich vorgegebenen öffentlich-rechtlichen Trägerschaftsvorbehalts gern. Art. lila II I BV- Bayern (Art. 23 ff. BayMG, vgl. auch oben die Nachweise bei Fn. 20). 294 Entsprechende Regelungen finden sich in: Berlin und Brandenburg (§§ 30 111 Nr. 4; 35 IIIV StV-BB), Harnburg (§§ 2 I Nr. 2; 16 ff.; 31 ff. HmbMedienG), Mecklenburg-Vorpommem (§§ 3 V; 5 II I Nr. 4; 14 II I RGMV), Sachsen(§ 3 SächsPRG), Hessen(§§ 2 II Nr. 3; 6 I Nr. 5; 10 II, 111; 16 HPRG), Niedersachsen (§ 12 NdsLaRuFuG, vgl. dazu BVerfUE 73, 118 [177]), Rheinland-Pfalz (§§ 7 I-IV; 9 Nr. 4 LRG Rh.-Pf.), Schleswig-Holstein (§§ 3 IV; 9 II LRG S.-H.), Sachsen-Anhalt(§ 13 PRG S.-A.), Thüringen(§§ 2 I Nr. 7, II Nr. 3, 4; 7 I Nr. 5; II I, 111 TPRG); offengelassen im Saarland (vgl. nur § 39 III Nr. 2 Saar!RufuG).

152

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

trag über den Rundfunk im vereinten Deutschland und Art. 1 § 20 VI dieses Staatsvertrags enthalten die betreffenden Landesgesetze Vorschriften filr eine zusätzliche Zulassung von einzelnen Lokalveranstaltern, filr das Öffnen lokaler Fensterprogramme oder auch filr die Sendung lokaler Beiträge in privaten Landesprogrammen29S. Da solche privat veranstalteten lokalen Programme oder Einzelsendungen ebenfalls ausschließlich durch Werbeeinnahmen finanziert werden, gewinnt die angesprochene, filr das gegenwärtige duale Rundfunksystem typische Gefährdungslage auch hier Gewicht296. Ferner sind die Einwirkungen Iandes- und bundesweiter sowie internationaler Programme auf die Meinungsbildung in örtlichen Kommunikationsräumen nicht zu unterschätzen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit einer landesweiten Grundversorgung durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der nur noch begrenzten Regelungsgewalt der Landesgesetzgeber im Bereich der Meinungsbildungsfreiheit begründet. Diese Regelungsgewalt erflihrt ihre Beeinträchtigung durch von außen in die Länder hineingestrahlte Programme sowie durch den Zwang zur Weiterverbreitung herangefilhrter Programme297. Von diesem Argument ist der inhaltliche Standard des Gesamtprogramms ebenso betroffen wie die Meinungsvielfalt auf örtlicher Ebene. Mit der stetigen Zunahme der besagten Programme, von der die lokalen Bereiche nicht unberührt bleiben, steigt die Bedeutung der Grundversorgung als Gewährleistung für eine auf beiden Ebenen vielfliltige und nicht durch wirtschaftliche Erwägungen beeinflußte Meinungsbildung.

4. Das Problem der unbegrenzten Programmexpansion Die Erkenntnis, daß lokale Grundversorgung durch öffentlich-rechtliche Veranstalter von Verfassungs wegen geboten ist muß nicht nur gegen eine bislang unentschlossene Rechtsprechung bestehen, sie muß sich auch gegen eine ablehnende Haltung im rundfunkrechtlichen Schrifttum behaupten. Die damit angesprochenen Literaturstimmen beanstanden allgemein einen öffentlichrechtlichen "Expansionsrundfunk"298, der eine "Verknappungsstrategie"299 bei

295 Vgl. die Gesetzesnachweise in der vorangehenden Fußnote. 296 In diesem Sinne auch BVertGE 73, 118 (177 f.) zur "Fensterlösung" in Niedersachsen. 297 S. oben 2. Teil I. Abschnitt B II 3 b aa.

298 Ricker, ZUM 1989, 331 (336); Seemann, ZRP 1987, 37 (39); Ory, AfP 1987, 466 (469); ähnlich Grawert, AfP 1986, 277 (279). 299 Schmill Glaeser, DÖV 1987, 837 (838); ders., BayVBI. 1985, 97 (102); Bullinger, JZ

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

153

der Frequenzbelegung anwende, um "Marktverstopfung"3°0 zu erreichen. Dabei wird insbesondere auch gegen einen Anstaltsrundfunk auf lokaler Ebene zu Felde gezogen30I. In der Tat ist mit einer öffentlich-rechtlichen Grundversorgung im lokalen Bereich auch die Belegung von zusätzlichen Antennenfrequenzen, Satellitenund Kabelkanälen verbunden, da der öffentlich-rechtliche Rundfunk bislang keine Vollprogramme anbietet, die sich gezielt an die Bevölkerung örtlicher Kommunikationsräume richtet302. Deshalb muß auf die erwähnte Ablehnung öffentlich-rechtlicher Programmausdehnung eingegangen werden, soweit sie sich auf zusätzliche Lokalprogramme bezieht.

1987, 928 (928). 300 Selmer, Bestands- und Entwicklungsgarantien filr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, S. 58 f.; Kuli, ZUM 1987, 355 (357); ders., AfP 1987, 462 (465); Schmitt G/aeser, DVBI. 1987, 14 (20); Emmerich, AfP 1986,206 (206). 301 Grawert, AfP 1986, 277 (279, 281 f.) gibt am Beispiel des dem WDR gesetzlich eingeräumten Rechts auf Beteiligung an einem Rahmenprogramm filr die lokale Rundfunkveranstaltung "verfassungsrechtlichen Bedenken gegen übermäßige Kompetenzerweiterungen von der Grund- zur Mehrversorgung" Ausdruck. Dadurch trete eine Überlegenheit des WDR in programmlicher, institutioneller und funktioneller Hinsicht ein, die den Wettbewerb mit den Privatveranstaltern verflllsche. Ebenfalls ablehnend gegenüber einer öffentlich-rechtlichen Lokalrundfunkveranstaltung, jeweils zum Baden-Württemberg-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts Ory, ZUM 1987, 427 (429 f.); Seemann, DÖV 1987, 844 (847); ders., ZRP 1987, 37 (39); Schmitt G/aeser, DÖV 1987, 837 (839). Gegen die von den genannten Autoren erhobene Forderung nach "funktionaler Äquivalenz" innerhalb des dualen Systems - auch im lokalen Bereich - Heclrer, ZUM 1987, 276 (278); Denninger, ZUM 1987, 479 (482 ff.). Im Zivilrechtsweg ist mittlerweile entschieden worden, die Beteiligung des WDR am privatrechtlich organisierten Veranstalter des Rahmenprogramms filr Nordrhein-Westflilische Lokalradioanbieter stelle einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht dar, weshalb die Untersagung des Bundeskartellamts zu Recht erfolgt sei, vgl. KG, ZUM 1992, 436 (440 ff.); zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des (Bundes-)Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen neben dem landesgesetzlich zu regelnden Rundfunkrecht vgl. BGHZ llO, 371 (375 ff.); zur Anwendbarkeit des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb vgl. BGHZ 110, 279 (284 ff.). 302 Es ist keine eindeutige Neigung der ARD-Anstalten erkennbar, sich dieser Räume besonders anzunehmen, vgl. schon ARD-Kommunique v. 19. Januar 1972, MP 1972, 43 (43 f.); eine Ausnahme bildete das öffentlich-rechtliche Kabelpilotprojekt Dortmund, welches allerdings im August 1990 ausgelaufen ist, vgl. dazu die Berichte "Die Dortmunder Fehde", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 70 v. 5. September 1990; "Erinnerungen an ein Experiment", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 59 v. 28. Juli 1990; gern. § 56a WDR-Gesetz werden die freigewordenen Frequenzen nunmehr filr ein Lokalfenster im WDR-Landesprogramm genutzt. Im Rahmen der Bestandsund Entwicklungsgarantie wird "öffentlich-rechtlicher Lokalrundfunk" lediglich als allgemeine Zukunftsperspektive reserviert, vgl. Berg, MP 1986, 799 (800); im Gespräch ist die begrenzte Öffnung von einzelnen örtlichen Programmfenstern in landesweiten Programmen, vgl. etwa die Berichte "WDR bereitet 'Metropolenfemsehen' vor", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 15 v. 26. Februar 1994, S. 20 (einfache Anfilhrungszeichen im Original); "BR will regionaler werden", in: Süddeutsche Zeitung v. 24. Juni 1993.

154

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Ansatzpunkt für die Erörterung ist die Frage nach dem Umfang der unerläßlichen Grundversorgung. Wie bereits dargestellt303, tragen dazu diejenigen Programme bei, die in dem jeweiligen Sendegebiet flächendeckend empfangbar sind, inhaltlich dem Standard umfassender Vielfalt entsprechen und schließlich das Zu-Wort-Kommen der verschiedenen Meinungsrichtungen gewährleisten. Eine weitergehende Ausdeutung der Grundversorgung, etwa hinsichtlich bestimmter Programme oder gar einzelner Sendungen ist einer verfassungsnormativen Festschreibung entzogen, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Baden-Württemberg-Entscheidung hervorgehoben hat- es sei stets "eine Mehrzahl von Programmen" notwendig, heißt es dort304 . Das Problem einer inhaltlichen Bestimmung des Grundversorgungsbegriffs kann demnach als ein Fließsystem unterschiedlicher (Programm-) Kräfte begriffen werden, dessen konstanter Soll-Wert305 die Grundversorgung ist. a) Äußere Expansion Bei manchen Entwicklungen im öffentlich-rechtlichen Teilbereich des dualen Rundfunksystems ist in der Tat zweifelhaft, ob sie zum Erreichen dieses Soll-Wertes beitragen. Die Kritik im Schrifttum hebt denn auch darauf ab, daß bestimmte Programm- und Betätigungsformen weder vom Grundversorgungsauftrag noch von der darüber hinausgehenden Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gedeckt seien306 . So wirft etwa die europaweite Rundfunksatellitenausstrahlung von inhaltlich auf ein bestimmtes

303 S. oben 2. Teil I. Abschnitt A I I e. 304 BVerfGE 74, 297 (326). Nach Goerlich/Radeck, JZ 1989, 53 (58) sind die zur Grundver-

sorgung gehörenden Programme "positiv ... nur in einer Momentaufnahme zu bestimmen". 305 Als Führungsgröße im Sinne der allgemeinen Lehre von den selbsttätigen Regel-, Steuerungs- und Rückkoppelungssystemen (Kybernetik); vgl. Wörterbuch der Kybernetik, 2. Aufl., Berlin 1968. 306 Zuletzt etwa Kresse/Kennel, ZUM 1994, I59 (160); ausftlhrlich Selmer, Bestands- und Entwicklungsgarantien ftlr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, S. 82 ff.; zum Funktionsbereich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten außerhalb der Sendung von Programmen A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 90 ff. mit einer Übersicht der unterschiedlichen Auffassungen im Schrifttum; Enz, ZUM 1987, 58 (61) beschreibt die Beweggründe ftlr die Rundfunkanstalten, das Programm über den eigentlichen Gesetzesauftrag hinaus zu erweitern. Daß die Aufgabenbestimmung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch schon vor Einftlhrung des dualen Systems Schwierigkeiten bereitete, insbesondere in Fragen der Wirtschaftswerbung und des Handels mit Film-Cassetten schildert lpsen, DÖV 1974, 721 ff. m.w.N. Im übrigen erkennt auch das Bundesverfassungsgericht bei den Rundfunkanstalten im Grundsatz "ein Selbstbehauptungs- und Ausweitungsinteresse, das sich gegenüber der ihnen auferlegten Funktion verselbständigen kann", BVerfGE 87, 181 (202).

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

155

Bundesland bezogenen Dritten Fernsehprogrammen der ARD-Anstalten307 die Frage auf, ob auch außerhalb des gesetzlich festgelegten Sendegebiets Grundversorgung stattfinden kann. Zu den Zweifelsflillen sind zudem die als europäische Gemeinschaftsunternehmen betriebenen Kabel- und Satellitenprogramme 3sat und arte zu rechnen. Diese werden aus dem öffentlich-rechtlichen Gebührenaufkommen mitfinanziert, können aber technisch nicht von allen Gebührenzahlem empfangen werden308. Die ARD-Hörfunklandschaft schließlich erfährt eine Erweiterung um solche Programme, die lediglich an bestimmte Zielgruppen gerichtet sind und damit die Meinungsbildung nur im Hinblick auf diese Zielgruppen, nicht aber umfassend fördern309. Daneben sind Tätigkeiten der Rundfunkanstalten zu nennen, die vollends aus dem Grundversorgungsbereich herausfallen. Sie sind nur noch als eine "jenseits der Grundversorgung" wahrgenommene, allerdings verfassungsrechtlich zulässige, öffentlich-rechtliche "Zusatzversorgung" zu rechtfertigen310: Die Herausgabe von Programmzeitschriften311, die Unterhaltung von Rund-

307 N 3, MDR, WDR, SWF 3 und Bayerisches Fernsehen sind zusätzlich zu ihrer flächendeckenden terrestrischen Verbreitung in dem jeweiligen Bundesland über das ASTRASatellitensystem auch in ganz Europa zu empfangen. 308 "Grundversorgung ftlr alle"(?), BVerfGE 73, 118 (!58); vgl. auch den Bericht "Das 'andere' Fernsehen lebt", in: SUddeutsche Zeitung v. 8. Oktober 1993 (einfache Anftlhrungszeichen im Original). Ebenfalls problematisch wäre die Einftlhrung eines öffentlich-rechtlichen Pay-TV-Kanals, vgl. dazu das Interview mit dem Intendanten des ZDF in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 16 v. 2. März 1994, S. 3 ff. sowie die Meldung "ZDF will Abonnenten", in: SUddeutsche Zeitung v. II. November 1993. 309 Z.B Bayern 5 als reine Nachrichtenwelle, vgl. dazu den Bericht "Akustischer Fernschreiber", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 42 v. I. Juni 1991, S. 7 ff.; die Rockmusikstation Radio Bremen 4, vgl. dazu "Regionaler Anspruch nur teilweise erftlllt", in: SUddeutsche Zeitung v. 4. September 1992 und seit April 1994 N-joy Radio, das ftlnfte Hörfunkprogramm des NDR, im Format eines jugendorientierten Musikprogramms, vgl. dazu "NDR: Geplantes lugendradio ist keine 'Privatsender-Kopie"', in: dpa-Landesdienst Nord v. 2. August 1993 (einfache Anftlhrungszeichen im Original). 310 Dann allerdings ohne Finanzierungs- und Frequenzvorrang vor privaten Anbietem, also im freien publizistischen Wettbewerb, BVerfGE 74, 297 (332, 340). 311 Nach BVerfGE 83, 238 (312 ff.) ist die "Veröffentlichung von Druckwerken mit vorwiegend programmbezogenem Inhalt" durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn und soweit die Zeitschriften dem Programmauftrag als eine "lediglich unterstUtzende Randbetlltigung" zugeordnet werden können; ebenso bereits Bethge, JZ 1986, 366 (368 ff.); a.A. Schmilt Glaeser, BayVBI. 1985, 97 (102); Scholz, Rundfunkeigene Programmpresse?, S. 41 f., 65. Näher zur "Randbetlltigung" Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 127 ff.; A. Hesse,JZ 1991, 357 (359); ders., Rundfunkrecht, S. 92 f.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

funkorchestern3 12 und die Vergabe von Fördennitteln313 erfiillen den Programmauftrag allenfalls noch in seiner Randzone. Zu den genannten Erscheinungsfonneo öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann hier nicht abschließend Stellung genommen werden; sie berühren den Problemkreis der externen Programmausdehnung3 14. Die in Rede stehende Lokalversorgung ist dagegen der "inneren Expansion"315 , d.h. Programmvennehrung innerhalb eines bestehenden Sendegebiets, zuzurechnen. b) Innere Expansion Das Gebot, innerhalb der jeweils gesetzlich bestimmten landesweiten Sendegebiete zielgerichtet lokale Kommunikationsräume mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk zu versorgen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht weder am Rande noch außerhalb des Grundversorgungsauftrags, sondern in dessen Mittelpunkt angesiedelt. Die auch in den Darstellungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich abgegrenzten "lokalen" oder "engeren räumlichen Bereiche"316 sind eigenständige Sendegebiete mit eigenem Grundversorgungsbedürfnis3 17. Anders als zur Rechtfertigung der beschriebenen öffentlich-rechtlichen "Zusatzversorgung" wird hier nicht etwa argumentiert, die verfassungsrechtliche Bestands- und Entwicklungsgarantie des Anstaltsrundfunks erlaube neben der Grundversorgung auch die Veranstaltung lokaler Programme. Aus der Notwendigkeit lokaler Grundversorgung folgt - umgekehrt - eine Entwick-

312 Vg1. z.B. den Bericht "Konzert der NDR-Bigband mit jungen Solisten", in: dpa-Landesdienst Nord v. 27. Oktober 1992. 313 Vgl. z.B. den Bericht über die 35. Nordischen Filmtage in Lübeck, die unter maßgeblicher Beteiligung des NDR stattfanden, "Festival vor dem Aus?", in: Hamburger Abendblatt v. 29. September 1993. 314 Bedenken gegenüber ungebundener Sendegebietsausdehnung und Programmvermehrung durch die Rundfunkanstalten im Schutze der verfassungsrechtlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie äußern etwa Starck, NJW 1992, 3257 (3259); Kuli, AfP 1987, 568 (571); Bu/linger, JZ 1987, 928 (928 f., 931); Schmitt Glaeser, BayVBI. 1985, 97 (102 f.). Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 38 f. weist auf die Schwierigkeit einer deutlichen Abgrenzbarkeit zwischen Grund- und Zusatzversorgung hin, die es geboten erscheinen lasse, den Programmauftrag ftlr den Rundfunk möglichst weit zu fassen; zu "Programmintensivierungen, extensivierungen und -differenzierungen" ausftlhrlich Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 139 ff. 315 Begriffe bei Bullinger, JZ 1987, 928 (928); ihm folgend Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 235; Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 132. 31 6 BVerfGE 73, 118 (154); E 74,297 (327). 31 7 S. oben 2. Teil I. Abschnitt B II 3 und unten 111.

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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lungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch fiir diese Sendegebiete. Es liegt auf der Hand, daß sich diese Garantie zunächst auf die Einrichtung des öffentlich-rechtlichen Lokalrundfunks bezieht und erst nachfolgend dessen Bestand- und Entwicklung umfassen kann318. 5. Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten, daß Grundversorgung nicht nur in landesweiten, sondern auch in lokalen Sendegebieten von Verfassungs wegen geboten ist. Die lokalen Sendegebiete müssen den bestehenden Kommunikationsräumen nachgebildet werden. Ihre Festlegung erfolgt nach den von den Landesgesetzgebern vorzuzeichnenden Maßstäben in einem staatsfreien Verfahren. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den beiden Ebenen der Grundversorgung ist teilweise widersprüchlich, indem sie zwar fiir den überörtlichen Bereich die Gewährleistung der unerläßlichen Grundversorgung verlangt, fiir lokale Sendegebiete aber - ohne nähere Begründung - die organisatorische und verfahrensrechtliche Sicherung der Meinungsvielfalt durch private Veranstalter als zunächst ausreichend ansieht. Weiterhin ist nicht nachvollziehbar, warum öffentlich-rechtlicher Rundfunk im lokalen Bereich verfassungsrechtlich erst dann in die Pflicht zur Grundversorgung genommen werden soll, wenn lediglich eines ihrer "Tatbestandsmerkmale", nämlich die organisatorisch und verfahrensrechtlich abgesicherte gleichgewichtige Meinungsvielfalt, nicht durch die gesetzliche Ordnung des privaten Rundfunks sichergestellt ist. Auf diese Weise wird im Ergebnis dem einfachen Gesetzgeber die Entscheidung darüber in die Hand gegeben, ob überhaupt Grundversorgung geleistet werden soll. Es steht jedoch der Rundfunkverfassung entgegen, die qualitative Gewährleistung des inhaltlichen Programmstandards einfachgesetzlicher Beliebigkeit zu unterwerfen. Zudem treten bei einer Parallelbetrachtung der landesweiten und der lokalen Sendebereiche keine solchen rechtlichen Umstände zutage, die zwar landesweit zwingend, lokal aber nur ersatzweise eine Grundversorgung gebieten. Der Vorwurf einer ungerechtfertigten Programmexpansion durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geht jedenfalls hinsichtlich der lokalen

318 So auch Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 37 am Beispiel der öffentlich-rechtlichen Rundfunkplanung in Mecklenburg-Vorpommem.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Grundversorgung fehl; diese ist kein Zweifelsfall des verfassungsrechtlichen Programmauftrags, sondern gehört zu dessen Kernbereich. III. Tatsächliches Bedürfnis nach lokaler Grundversorgung durch öffentlichrechtlichen Rundfunk, insbesondere in den neuen Bundesländern Ebenso wie die rechtlichen Ausfilhrungen des Bundesverfassungsgerichts zur lokalen Grundversorgung unzureichend begründet und teilweise widersprüchlich sind, greifen die überwiegend tatsachenbezogenen Erwägungen der Karlsruher Richter zu kurz und gehen teilweise fehl. 1. Nochmals: Die ableh:nende Haltung des Bundesverfassungsgerichts Eine eigene Grundversorgung filr den engeren räumlichen Bereich sei "nicht eindeutig geboten", heißt es in der Fünften Rundfunkentscheidung. Als Begründung dient dem Erkennenden Senat die Annahme, daß die Zahl möglicher Themenstellungen filr nahraumbezogene Sendungen kaum ausreichen "dürfte", ein über das Programmangebot privater Veranstalter wesentlich hinausgehendes breites und vollständiges Anbebot der Landesrundfunkanstalten zu rechtfertigen. Weiterhin wird in Zweifel gezogen, daß Nahraurnprogramme überhaupt - ungeachtet einer privaten oder öffentlich-rechtlichen Organisationsform - ihre Sendungen ganztägig mit Gegenständen aus dem Ausstrahlungsgebiet bestreiten können319. Zwar machen die Karlsruher Verfassungsrichter eine "wachsende Bedeutung" des nahraumbezogenen Rundfunks aus und heben ausdrücklich dessen Aufgabe hervor, die durch die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung geprägte individuelle Besonderheit des jeweiligen Nahraums zur Darstellung zu bringen. Gleichzeitig wird ein jedoch Themenmangel in diesen Nahräumen unterstellt, der es lokalen Rundfunkprogrammen verwehre, "ganztägig" zu berichten320. Auch ein den Inhalts- und Vielfaltsansprüchen der Grundversorgung genügendes öffentlichrechtliches Programm würde nach dieser Auffassung kein Mehr an gegenständlicher Vielfalt liefern können. Das öffentlich-rechtliche Leistungsvermögen würde demnach teilweise überschießen und müßte mangels Berichterstattungsmasse am Ende leerlaufen.

319 BVerfDE 74,297 (327).

320 BVerfGE 74, 297 (327); E 83, 238 (327).

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

159

Diese Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts stammt aus einer Zeit, in welcher der private Rundfunk, insbesondere der private Lokalrundfunk sich am Anfang seiner Entwicklung befand. Die Einschätzung ist zudem auf den Westteil Deutschlands beschränkt gewesen. Es soll sogleich dargestellt werden, daß die Situation im Osten Deutschlands aus heutiger Sicht ein erhöhtes Maß an nahraumbezogenen Rundfunkprogrammen auf dem Standard öffentlich-rechtlicher Grundversorgung erfordert (2). Im übrigen wird ein Blick auf die Rahmenbedingungen des Baden-Württemberg-Beschlusses deutlich machen, daß die damals angenommenen Umstände auch ftlr die alten Bundesländer nicht mehr zutreffen (3). 2. Lokales Grundversorgungsbedürfnis aufgrundder Verhältnisse in den örtlichen Kommunikationsräumen der neuen Bundesländer Das Bedürfnis nach öffentlich-rechtlich veranstaltetem Lokalrundfunk auf dem programmliehen Standard der Grundversorgung läßt sich nicht nur aus verfassungsrechtlichen Erwägungen herleiten, sondern auch aus den tatsächlichen Umständen in den neuen Bundesländern. Deren besondere Situation liegt sowohl in der geschichtlichen Entwicklung (a) als auch im gegenwärtigen Verhältnis zu den alten Bundesländern (b) begründet. a) Geschichtliches Argument aa) Rückblick Derjenige Teil Deutschlands, der mit Inkrafttreten des Einigungsvertrags am 3. Oktober 1990 in die föderale Staatsorganisation des Grundgesetzes eingegliedert wurde, ist die längste Zeit in diesem Jahrhundert einer totalitär geprägten und zentralistisch gelenkten Staatsgewalt unterworfen gewesen. Über 50 Jahre haben sowohl die nationalsozialistische als auch nachfolgend die marxistische Diktatur das staatliche Gewalt- und Meinungsmonopol beansprucht321 . Entsprechend vollzog sich im Ostteil Deutschlands die Meinungsbildung "von oben nach unten", also von der Regierungs- und Verwaltungsebene hinab zur

321 Dazu Chr. Meier, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 46 v. RuF 1990,377 (377).

15. Juni 1991, S. 6 (7); Odermann,

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Bevölkerung322 . Zur Steuerung dieser Meinungsdiktatur bedienten sich das NS- und auch das SED-Regime vor allem der Massenmedien. Auf gedrucktem wie auf elektronischem Wege war die vorgegebene Staatsmeinung allgegenwärtig; die freie Formulierung und die Verbreitung ureigener Gedanken der ostdeutschen Bevölkerung in den Medien hat seit der nationalsozialistischen Machtübernahme bis in die Zeit der demokratischen Wende hinein nie stattfmden können3 23. Der in seiner Darstellungskraft die Druckmedien weit übertreffende Rundfunk324 geriet schon kurze Zeit nach seiner technischen Entdeckung und während der beginnenden Massenverbreitung zum Instrument staatlicher Lenkung. Die Menschen lernten das neue Medium sogleich als zentralistisches Sprachrohr der regierenden Gewalt kennen, und auch die nachfolgende Generation wurde von diesem instrumentalisierten Rundfunk begleitet, der im wesentlichen zur zentral gelenkten Meinungsbeeinflußung, nicht aber zur freien Meinungsbildung bestimmt war325. Der "Hauptstadt-Rundfunk" aus Berlin ließ weder in gegenständlicher noch in personeller Hinsicht Vielfalt zu. Das freie Zu-Wort-Kommen gesellschaftlich bedeutsamer Gruppen war unterbunden. Zudem waren Themenstellungen aus dem räumlichen Nahbereich von zweit-

322 Der "Grundsatz der Volkssouveränität" bestand in der DDR nur auf dem Papier der DDRVerfassung, vgl. Präambel und insbesondere Art. 2 I I DDR-Verf.: "Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen ausgeübt." Dieser Grundsatz ist jedoch von dem ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Führungsanspruch der SED aus den Angeln gehoben worden, vgl. Art. I S. 2 DDR-Verf.: Die DDR "ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen". Dazu Wille, ZUM 1991, 15 (15, 17): "Das ewige Spannungsfeld zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit gestaltete sich auf dem Gebiet der DDR als tiefes Auseinanderklaffen zwischen Sein und Sollen"; vgl. auch Kleinwächter, MP 1990, 133 (133) sowie Kuli, AfP 1990, 81 (81). Bereits in dem zuvor unter Art. 118 der Weimarer Reichsverfassung veranstalteten Rundfunk wurde "ein System staatlicher Einflußnahme und Überwachung verwirklicht, das einer Zensur nahekam", BVerfGE 12,205 (232). 323 Deshalb gehörte der Ruf nach Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit auch zu den "demokratischen Grundforderungen des 9. Oktober 1989 in der DDR", Kleinwächter, MP 1990, 133 (133); vgl. auch Frank, KJ 1992, 463 (465); Wille, ZUM 1991, 15 (17); Odermann, RuF

1990, 377 (378).

324 Stern/Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 42, 45, 51 mit Bezug aufBVerfGE 12,205 (244) sowie auf Krüger, Rundfunk im Verfassungsgefllge, S. 45 ff.; vgl. auch ders., Die öffentlichen Massenmedien, S. 74; Starck, NJW 1992, 3257 (3263); Herrmann, ZUM 1989,448 (449); Thieme, AöR, 88. Band [1963], S. 38 (40 f.).

325 Spie/hagen, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (9) spricht von der durch die DDR-Medien "vorgegaukelten Realität"; ähnlich Wille, ZUM 1991, 15 (15 f.); s. auch oben I. Teil I. Abschnitte A und C.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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rangiger Bedeutung und mußten hinter der Darstellung gesamtstaatlicher Interessen im Rundfunk zurücktreten326. Die grundlegende Wende der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Ostteil Deutschlands hat mit lokrafttreten des Einigungsvertrags lediglich formal ihren Abschluß gefunden. In allen Lebensbereichen dauert die Neuorientierung der Bevölkerung an327. Auch im Rundfunk mußte ein Neuanfang gefunden werden. Verabschiedung der Rundfunkgesetze und Einrichtung der Rundfunkanstalten in den neuen Bundesländern sind indessen nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer veränderten Funktion des Rundfunks gewesen. Es soll noch einmal hervorgehoben werden, daß der öffentliche Kommunikationsprozeß in Ostdeutschland bis zum Ende des Jahres 1989 streng parallel zur zentralen staatlichen Gewaltausübung "von oben nach unten" verlief; der Rundfunk hatte von Beginn an dazu beigetragen. bb) Umkehrung des damaligen Meinungsbildungs•prozesses Da sich gesellschaftliche und politische Willensbildung in den neuen Bundesländern dem Grundgesetz entsprechend nunmehr "von unten nach oben" vollzieht328, sind die Wurzeln des Rundfunks als Medium und Faktor der Wissens- und Meinungsbildung in der Bevölkerung angelegt. Dies setzt einen Rundfunk voraus, der sich in seinen kleinsten Verbreitungsgebieten den örtli-

326 Daraus folgt in der Zeit nach der Wende ein "Bedürfnis nach dezentraler medialer Kommunikation", Spie/hagen, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (9); vgl. auch Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (16 f.); zur fehlenden Vielfalt im Programm des DDR-Rundfunks Wille, ZUM 1991, 15 (16). 327 Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (9 f.) ist zuzustimmen, wenn er die aufgrund Art. 4 Nr. I des Einigungsvertrags in die Präambel des Grundgesetzes eingefUgte Feststellung der nunmehr vollendeten Einheit Deutschlands anzweifelt; der Vereinigungsprozeß sei noch lange nicht vollendet und weise zudem eine "weit unterschätzte Tiefendimension" hinsichtlich der inneren Annäherung der beiden Bevölkerungsteile in Ost und West auf; ähnlich Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (472 f.); "OrientierungsbedUrfnis der Menschen", Spie/hagen, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v . 12. Juni 1991, S. 7 (8). 328 Vgl. Art 20 II I GG: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus"; dazu ausfUhrlieh BVertGE 20, 56 (99); diese Darlegungen zur "Eigenart des Willensbildungsprozesses im demokratischen Gemeinwesen" entwickelt BVerfGE 69, 315 (345 ff.) weiter- und gelangt schließlich zur grundsätzlichen Bedeutung der Versammlungsfreiheit ftlr die politische Willensbildung. Der Leitgedanke der Volkssouveränität war bereits in der ursprUngliehen Formulierung des Art. I Abs. 1 GG im Chiernsee-Entwurf angelegt: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen", zit. n. JöR, N.F. I [1951], S. 48; zum "demokratischen Prinzip der Volkssouveränität" auch GersdorJ, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 58 ff.; Stein, in: AK-GG, Art. 20, Rn. 10; Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 94; Thieme, AöR, 88. Band [1963], S. 38 (44 f.). II Wilhelmi

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

eben Kommunikationsräumen anpaßt und nach Organisation und Programmstandard in der Lage ist, die Vielfalt der Gegenstände und Meinungen dieser Räume darzustellen. Örtliche Kommunikationsräume umfassen jeweils die Gebiete einiger Gemeinden, ohne jedoch zwingend mit deren Verwaltungsgrenzen übereinzustimmen329. Gemeinden wiederum sind vorkonstitutionelle, ursprüngliche Gebietskörperschaften und gehören zu den Grundlagen des demokratischen Bundesstaats330. Der sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Bedeutung muß auch ein freiheitlicher Rundfunk als konstituierendes Wesensmerkmal der demokratischen Staatsorganisation33l Rechnung tragen. Mit dieser Feststellung soll jedoch nicht der Ruf nach einem "Kirchturmsender" ftir jede einzelne Gemeinde laut werden. Die unterste Ebene der Rundfunkorganisation erstreckt sich vielmehr auf die örtlichen Kommunikationsräume332, die ihrerseits nach den Merkmalen der persönlichen Überprütbarkeit vor dem individuellen Erfahrungshorizont der Bevölkerung in einem gemeinsamen Erlebnisraum bestimmt sind. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht bilden diese Nahräume333 die kleinsten Einheiten der allgemeinen Willens- und Meinungsbildung; sie stehen damit am Anfang des mehrstufigen öffentlichen Kommunikationsprozesses334. Zur Gewährleistung der grundrechtlich geschützten freien individuellen und öffentlichen Kommunikation bedarf es eines Rundfunks, der bereits in den kleinsten räumlichen Kommunikationseinheiten in vielfaltssichernder Weise seine Medium- und Faktor-Funktion erftillt und damit die umfassende Willensbildung "von unten nach oben" erst ermöglicht335. S. oben 2. Teil I. Abschnitt A II 2 c. Vgl. etwa Art. ll II l BV; Art. I BayGO sowie Art. 28 II GG. 331 Vgl. BVertDE 35,202 (221 f.); E 20,56 (97 f.); 162 (174 f.). 33 2 So auch Hecker, ZUM 1987, 276 (277). 333 Vgl. Jarren, RuF 1986,310 (312, 316); s. auch oben 2. Teil I. Abschnitt A II 2, 3. 334 Ory, AfP 1987, 466 (470) stellt fest: "Der örtliche Kommunikationsprozeß ist fester Bestandteil dieser besonders intensiven Teilhabe der BUrger am örtlichen Leben. Meinungsbildung der Allgemeinheit und Willensbildung des Volkes berühren sich im örtlichen Bereich direkt". Bereits Ossenbühl, DÖV 1972, 293 (300) hatte auf die grundlegende Bedeutung eines lokalen (Fernseh-)Rundfunks filr die Sicherung des "'Vorfeldes' demokratischer politischer Willensbildung" hingewiesen (einfache Anftlhrungszeichen im Original). 335 Hier wird an die in der rundfunkrechtlichen Literatur bereits Ende der siebziger Jahre erkannte Verankerung der Grundversorgung im verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip (s. oben 2. Teil l. Abschnitt A I 2 a aa) angeknüpft, ohne daß jedoch einer "wohlfahrtsstaatlich unterflitterten Erziehungsdiktatur durch die Massenmedien" das Wort geredet werden soll, vgl. Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 245; Ory, AfP 1986, 466 (470) und insoweit zustimmend Hecker, AfP 1987, 329

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l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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cc) Abkehr vom Zentralismus Ebenso wie in der Bevölkerung der alten Bundesländer, bestand auch unter den Bürgern der DDR ein großes Bedürfnis nach Berichterstattung aus ihrer Nahwelt Dieses ist von der Regierung jedoch jahrzehntelang unterdrückt worden336. Der Erlaß von Rundfunkgesetzen, die Errichtung von Landesrundfunkanstalten sowie die daraus erwachsende Föderalisierung des Rundfunks in den neuen Bundesländern markiert zwar eine deutliche Abkehr von den ehemals zentral auf die Hauptstadt ausgerichteten Programmen. Eine "Sogwirkung Berlins"337, insbesondere im Verbreitungsgebiet des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) ist indessen nicht von der Hand zu weisen. Die MillionenHauptstadt liegt inmitten des vergleichsweise dünn besiedelten Flächenstaats Brandenburg und bildet damit zugleich den Medienschwerpunkt des Landes338. Neben dem publizistischen Übergewicht Berlins ist auch in rundfunkrechtlicher Hinsicht eine Ausrichtung auf die Metropole festzustellen: Die angespannte wirtschaftliche Situation des Berliner SFB und des Brandenburgischen ORB haben die beteiligten Gesetzgebungskörperschaften veranlaßt, im "Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks" (StV-BB) das Verhältnis der beiden Rundfunkanstalten zueinander zu regeJn339. In der Präambel des Vertragswerks ist die Schaffung 276 (277 f.). Auch das Bundesverfassungsgericht stellt die Grundversorgungsaufgabe - freilich ohne erkennbare Bezugnahme auf die literarischen Vorarbeiten - in den Dienst der demokratischen Ordnung, vgl. BVerfGE 73, 118 (157 f.); E 35,202 (221 f.). 336 Vgl. Spie/hagen, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (8 f.). Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (16 f.) berichtet vom Publikumserfolg, den die gleich nach der Wende noch vom DDR-Rundfunk eingeleitete Regionalisierung "vor Ort" hatte. 337 Kammann, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 48 v. 22. Juni 1991, S. 3 (5); vgl. auch Grätz, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 44 v. 8. Juni 1991, S. 5 (7). 338 Vgl. dazu das Interview mit dem ORB-Intendanten Rosenbauer, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 5 v. 22. Januar 1992, S. 3 (4), in dem dieser über eine nicht zu übersehende "Anspruchshaltung Berlins" klagt sowie auf die Besorgnis der Brandenburgischen Bevölkerung vor einer Konzentration des Kommunikationsprozesses auf Berlin und Potsdam hinweist. 339 Die insbesondere in den§§ I II; 3 StV-BB vorgesehene Zusammenarbeit ist ausdrUcklieh als "Verpflichtung" formuliert worden; gegen eine solche Verpflichtung sowie gegen die staatsvertraglich festgelegte Verteilung der technischen Übertragungsmöglichkeiten (§§ 4 ff. StV-BB) haben die betroffenen Rundfunkanstalten gemeinsam Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der im wesentlichen ein unzulässiger staatlicher Eingriff in das Grundrecht der Rundfunk- und Programmfreiheil gerügt wird, vgl. dazu FUNK-Korrespondenz Nr. 30 v. 23. Juli 1992, S. 3 f. sowie unten 2. Teil 2. Abschnitt B II 2. Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 117 hatte bereits in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf "Rundfunk Brandenburg" (auszugsweise abgedruckt ebenda S. 145 ff.) die Schaffung einer "Einlllnder-Rundfunkanstalt" 11*

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

einer "Region Berlin-Brandenburg als Medienstandort" vorgegeben worden340. Über die Einhaltung dieser Zielvorgabe wacht die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) mit Sitz in Berlin341. Bezogen auf das Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) ist der Vorwurf laut geworden, die beteiligten Gesetzgeber und Staatsvertragspartner hätten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit voller Absicht nicht unterhalb der Landesebene organisiert, um "die Belange der privaten Anbieter zu berücksichtigen"342. Ob eine solche Absicht tatsächlich in die Regelungen des MDR-Staatsvertrags eingeflossen ist, läßt sich nicht eindeutig feststellen 343. Es ist aber immerhin erkennbar, daß der Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen MDR auf der Landesebene haltmacht344. Dagegen schließen die Privatfunkgesetze der Staatsvertragsländer grundsätzlich auch die Berichterstattung im Nahraum in den Programmauftrag mit ein. Es wird der jeweils zuständigen Medienanstalt überlassen, ob und in welchem Umfang lokale Voll- oder Fensterprogramme privat veranstaltet werden sollen3 45. Im Ergebnis unterliegt es der Entscheidung der zur Zulassung, Beaufsichtigung und Förderung des Privatfunks berufenen Medienanstalten, örtliche Sendegebiete zu bestimmen und darin privaten Rundfunk zuzulassen, ohne daß gleichzeitig öffentlich-rechtlicher Rundfunk als Grundversorgungsgarant in demselben Sendegebiet veranstaltet wird. Das stößt deshalb auf verfasangesichts der Kostensituation in der Medienwirtschaft als "gewagtes Unterfangen" bezeichnet. 340 ORB-lntendant Rosenbauer Ober das Sendegebiet seiner Rundfunkanstalt: " ... eine gemeinsame Landesidentität gibt es so gar nicht", vgl. Interview in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 5 v. 22. Januar 1992, S. 3 (9). 341 Rossen, ZUM 1992, 408 (408) erkennt denn auch zu Recht eine "strategisch schlechterdings zentrale Position" der Medienanstalt, vgl. §§ 8 ff. StV-BB.

342 Zit. nach dem Bericht "Wenig Interesse fllr Regionales", in: Frankfurter Rundschau v. 21. November 1991; vgl. auch den Bericht "MDR will politisches Magazin fllr ARD-Programm", in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 91/92 v. 23. November 1991, S. 17 (18) sowie Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (22 f.). Ory, ZUM 1987, 427 (433) befllrchtet, daß sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Entwicklungsgarantie von der Politik wieder abkaufen lassen: "Verzicht aufRegionalisierung hier gegen einen Satellitentransponder da". 343 Vgl. etwa den "Vennerk zur Gründung einer Dreiländeranstalt (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen)", niedergelegt von den Ministerpräsidenten der beteiligten Länder am 14. Februar 1991, abgedruckt in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 31 v. 24. April 1991, S. 23 f. oder auch den Bericht "Rundfunkstreit in Thüringer Koalition", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 40 v. 25. Mai 1991, S. 10 f. Jedenfalls wurde ein gesetzlicher Ausschluß öffentlich-rechtlicher Konkurrenz zu Gunsten privater Lokalprogramme die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschreiten, weil dadurch die "publizistische Konkurrenz als Lebenselement der Meinungsfreiheit" unzulässig verkürzt wUrde, vgl. BVerfGE 74, 297 (332 ff.). 344 Vgl. 345 Vgl.

§§ 4; 6 II MDR-StV. §§ 2 II 2; 3 I, II SächsPRG; § 13 S. 2 PRG S.-A.; §§ II I 2, III; 18 S. I TPRG.

I. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

165

sungsrechtliche Bedenken, weil im lokalen Bereich, insbesondere durch das strukturelle Defizit des werbefinanzierten Privatfunks bedingt dieselbe Geilihrdungstage fUr die freie Meinungsbildung und damit ftlr die Rundfunkfreiheit besteht wie auf der Landesebene346. dd) Größere Darstellungsvielfalt Die Einrichtung öffentlich-rechtlichen Lokalrundfunks mit Grundversorgungsgarantie in den neuen Bundesländern vergrößert schließlich die Darstellungsvielfalt im Gesamtprogramm. Auf diese Weise kommen diejenigen lokalbezogenen Meinungen zu Wort und es werden diejenigen Gegenstände von örtlicher Bedeutung berücksichtigt, die in den Zeiten der Meinungsdiktatur gezielt unterdrückt worden waren und nach der Wende in den öffentlich-rechtlichen Landesprogrammen nur von untergeordneter Bedeutung sind. Damit ist nicht gemeint, daß die Aufsichtsgremien der Landesrundfunkanstalten zwingend um solche Repräsentanten zu erweitern seien, die von örtlichen gesellschaftlich relevanten Gruppen zu entsenden wären. Es ist von Verfassungs wegen Sache des einfachen Gesetzgebers, darüber zu befinden, auf welche Weise die Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gebildet werden; die Entscheidung über Auswahl und Anzahl der im Allgemeininteresse stehenden Sachwalter bleibt ihm überlassen3 47 . Der Ruf nach einer vergrößerten Darstellungsvielfalt durch öffentlich-rechtliche Lokalprogramme auf dem Grundversorgungsstandard bezieht sich vielmehr auf die Schaffung einer zusätzlichen Programmebene öffentlicher Auseinandersetzung, die verstärkt die nahraumbezogenen Besonderheiten bei der Meinungsbildung der Bevölkerung in Ostdeutschland berücksichtigt. Auf diesem Wege würde sich die in den alten Bundesländern herausgebildete, hauptsächlich bundes- und landesbezogene Massenkommunikation durch Rundfunk den besonderen Strukturen in den neuen Bundesländern öffnen und anpassen. Dort besteht ein

346 Deshalb stehe dem MDR ein Rückzug aus dem Regional- und Lokalbereich nicht offen, folgert Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (22 f.), vgl. auch BVerfGE 83,238 (301). Es liege vielmehr in der Logik eines kleinräumig spezifizierten und den besonderen ostdeutschen Kommunikationsstrukturen angepaßten Grundversorgungsauftrags, diesen Bereich verstärkt ins Auge zu fassen. 347 Vgl. BVerfGE 83, 238 (333 ff.). Gleichwohl findet eine gesetzlich vorgesehene tatsächliche Teilhabe lokaler Gruppen, namentlich solcher mit kultureller Zielsetzung, an einem örtlichen Rundfunk grundsätzlich die Billigung der Karlsruher Richter, vgl. BVerfGE a.a.O., S. 328.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

erheblicher "Artikulationsdruck" in der über lange Zeit mundtot gemachten Bevölkerung348 . b) Gleichgewichtsargument Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der auf lokaler Ebene organisiert ist, die Vielfalt der Gegenstände und Meinungen zur Darstellung bringt und auch inhaltlich dem Grundversorgungsstandard entspricht, kann erheblich zur Angleichung der noch immer unterschiedlichen Lebensbedingungen im vereinigten Deutschland beitragen. aa) Förderung kommunikativer Chancengleichheit Die formale Errichtung des Rundfunks in den neuen Ländern und die Aufnahme des Sendebetriebs am I. Januar 1992 um 0.00 Uhr sind planmäßig vonstatten gegangen. Bei aller äußeren Perfektion ist jedoch anzumerken, daß das

im Westen bestehende duale Rundfunksystem der ostdeutschen Bevölkerung geradezu übergestülpt worden ist349. Dieses Rundfunksystem hat seinen Ursprung in einer Gesellschaftsordnung, die von freiheitlicher, demokratischer Meinungs- und Willensbildung in der Bevölkerung getragen wird. Dort jedoch,

348 Eine solche Notwendigkeit - auch im räumlichen Nahbereich - beschreibt Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (II ff., 22); vgl. auch Spie/hagen, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (8 f.); ORB-Intendant Rosenbauer macht ein "wirkliches Artikulationsbedürfuis" in der Bevölkerung aus, "endlich seine eigene Meinung auch in den Medien frei äußern zu können", dem trage der ORB u.a. durch überdurchschnittlich viele 0-TonReportagen in seinen Programmen Rechnung, vgl. das Interview in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 5 v. 22. Januar 1992, S. 3 (8). "Seit der Wende besteht im Geftlhl der eroberten Freiheit ein sich immer wieder deutlich äußernder Drang zu lokalen Programmaktivitäten", Henle, OLM-Jahrbuch 1992, S. 68 (69). Ein Bedürfuis nach umfassender Information durch lokal verbreitete Medien in den neuen Bundesländern besteht auch deshalb, weil die DDR-Zensur immer wieder lokalbezogene Themen aus der Berichterstattung ausgeblendet hatte, wenn diese geeignet waren, den Sozialismus zu kritisieren, so Jens Reich bei seinem Gastvortrag "Die Medien in der DDR vor, während und nach der Wende" am 10. Januar 1994 an der Universität Hamburg. 349 Saxer, MP 1990, 717 (721 ); stärkere Formulierungen findet etwa Habermas, Die Zeit Nr. 20 v. 10. Mai 1991, S. 63: Begegnung mit einem "besitzergreifenden Territorialfetischismus"; "Kolonialistische Landnahme", Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (19); Chr. Meier, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 46 v. 15. Juni 1991, S. 6 (7, 9) spricht von "umkrempeln" und "Unterwerfung"; Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 60 erkennt, daß von der "weitgehend westlich dominierten Medienszene in dem Gebiet der ehemaligen DDR" die Gefahr einer "Interpretationsherrschaft über das gemeinsame gesellschaftliche Geschehen" ausgehe; vgl. auch den Bericht "Der vergessene Osten", in: Die Woche v. 29. Juli 1993, S. 7 und oben I. Teil2. Abschnitt A III.

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

167

wo über mehrere Jahrzehnte hinweg obrigkeitliche Bevormundung, Bespitzelung und Einschüchterung das gesellschaftliche Zusammenleben begleitet haben, sind beim plötzlichen Austausch aller Kommunikationsmaßstäbe Orientierungsprobleme der Menschen entstanden350. Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk muß sich deshalb als ein "wichtiges Forum gesellschaftlichen Lernens"351 beweisen. Damit ist die vom Bundesverfassungsgericht immer wieder hervorgehobene Vermittlungsfunktion des Rundfunks352 angesprochen. Diese Funktion soll dazu beitragen, die - ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte "kommunikative Chancengleichheit"353 zu sichern. Die Gleichheit der Chancen beim Prozeß der Meinungsbildung hatjedoch während der Vereinigung der beiden deutschen Staaten erheblichen Schaden genommen. Mit der Wende ist der Gegensatz zwischen einer weltoffenen und föderalen westlichen Gesellschaftsform hüben und einer international isolierten und zentralistisch ausgerichteten Ordnung drüben deutlich zu Tage getreten. Aus der längeren Übung im Umgang mit den Medien der Massenkommunikation ist letzthin eine kulturelle Überlegenheit im Westen entstanden354. Aus dem Blickwinkel der Rundfunkfreiheit, welche ja im Dienste der freien Meinungsbildung steht, ist zunächst das Gesamtrundfunksystem in die Pflicht 350 "Der Zugang zum Westfernsehen war eben doch kein Garant gemeinsamer kultureller und sozialer Werte in Ost und West gewesen", so Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (473); im gleichen Sinne Bullinger, AfP 1991, 465 (465) und Spie/hagen, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (8). 351 Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (14); nichts anderes ist gemeint, wenn das Bundesverfassungsgericht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk "integrierende Funktion fllr das Staatsganze" zuschreibt, BVertGE 31 , 314 (329). 352 Vgl. zuletzt BVertG, ZUM 1994, 173 (180). 353 Dazu grundlegend BVertGE 25, 256 (265); dieser Verfassungsgrundsatz findet bereits Erwahnung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zur Vereinbarkeil des neu in die Landesverfassung eingefUgten Art. lila, BayVertGH 30, 78 (97); vgl. Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 244 m.w.N.; zur Anwendung dieses Grundsatzes in den neuen Bundesländern Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (11); vgl. auch den von Fuhr/Krone, FuR 1984, 630 (630 f.) entwickelten Gedanken der "kommunikativen Versorgungsgerechtigkeit"; s. ferner oben 2. Teil 1. Abschnitt AI 2 a aa. 354 Viele Bürger der DDR stuften sich aufgrund einer fehlenden "kulturellen Identität" selbst als "Bürger zweiter Klasse" ein - "medial aufgeschlossen, aber real ausgeschlossen", Spie/hagen, epd!Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 7 (7); "Wir fllhlen uns im Brackwasser der Weltgeschichte ... das Versagersyndrom verinnerlicht", Reich, Die Zeit Nr. 46 v. 12. November 1993, S. 60; eingehend auch Hoffmann-Riem, AfP 1991, 472 (473 f.); ders., Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 59 f.; Wandtke, ZUM 1993, 587 (587); Bullinger, AfP 1991,465 (465) hebt die Notwendigkeit einer schonenden Bewußtseinsanpassung der ostdeutschen Bevölkerung hervor, da andernfalls "nostalgische Erinnerungen an die Geborgenheit in planwirtschaftlicher Unfreiheit" geweckt würden. Die Massenmedien hätten hier eine besondere Verantwortung, die in hinweisender und erklärender Berichterstattung zum Ausdruck kommen müsse.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

genommen, dieses Mißverhältnis zum Ausgleich zu bringen. Die Programme privater Veranstalter leiden indessen aufgrundihrer vollständigen Finanzierung aus Werbeeinnahmen an einem "strukturellen Defizit"355, insbesondere in kultureller Hinsicht. Deshalb bleibt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nur die Ermöglichung der umfassenden Meinungsbildung in der Bevölkerung der neuen Bundesländer überlassen, er muß dort gleichzeitig filr die der Kommunikation notwendig vorgelagerte Wissensbildung sorgen. Das Wissen um Problemzusammenhänge sowie um die Regeln einer wirksamen öffentlichen Auseinandersetzung ist unverzichtbare Voraussetzung filr die öffentliche und individuelle Meinungsbildung. Wissens- und Meinungsbildung haben sich in Ostdeutschland nicht frei entfalten können, solange die Massenmedien den Kommunikationsprozeß gezielt beeinflußten. Nach dem Fall der sozialistischen Meinungsdiktatur vollzieht sich der Vorgang öffentlicher und individueller Meinungsbildung durch den Rundfunk der neuen Bundesländer im wesentlichen nach westlichem Vorbild. Dieser Kommunikationsprozeß als "Vorformung des staatspolitischen Willens im gesellschaftlichen Raum"356 hat seinen Ursprung aber innerhalb des persönlichen Erfahrungshorizonts jedes einzelnen, weshalb der zur Förderung der Kommunikation berufene Rundfunk auch dort, also im örtlichen Kommunikationsraum, anzusetzen hat35 7. Dabei ist die Gleichmäßigkeit der örtlichen Rundfunkversorgung sicherzustellen358.

355 Dazu ausftlhrlich oben 2. Teil I. Abschnitt A I 4 b dd. Die privaten Rundfunkveranstalter befinden sich noch im wirtschaftlichen Aufbau und können schon deshalb nicht voll in die (Programm-)Pflicht genommen werden, vgl. den Bericht "Privater Hörfunk in den neuen Bundesländern: Zwischenbilanz", in: FUNK-Korrespondenz Nr. I v. 8. Januar 1993, S. 17 ff. 356 Stern/Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 45. 357 Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (13); ähnlich Bullinger, AtP 1991, 465 (465), in dessen Begriftlichkeit es sich hier um "inneren Missionsrundfunk" handeln dUrfte, ders., AtP 1985, 257 (260). Freilich tut sich das Problem auf, die Mündigkeit des (ostdeutschen) BUrgers bei der staatlichen Neuorganisation zunächst zugrundezulegen und dann doch wieder stUtzen zu müssen. Nach Grimm, VVDStRL, Heft 42 [1984), S. 46 (76) ist dieser Zwiespalt nur aufzulösen, "wenn sich die Stützungsmaßnahmen selbst wieder aus dem Verfassungsziel der personalen Entfaltung bestimmen"; zum "Argument des mündigen Rezipienten" in unterschiedlichen Kommunikationssystemen Hoffmann-Riem, RuF 1979, 143 (153 f.). 358 Dazu noch einmal BayVerfUH 30, 78 (97), wo als Rechtfertigung ftlr eine öffentlichrechtliche Trägerschaft des Rundfunks u.a. "die Gleichmllßigkleit der regional begrenzten Rundfunkversorgung" hervorgehoben wird.

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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bb) Keine ausreichende Absicherung der Chancengleichheit in den Rundfunkgesetzen Die verfassungsrechtliche Verankerung des öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrags filr die lokalen Kommunikationsräume der neuen Bundesländer liegt um so näher, als es an einer einfachgesetzlichen Absicherung der beschriebenen kommunikativen Chancengleichheit in Ostdeutschland fehlt. Die gesetzlichen Regelungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben den kommunikativen Nachholbedarf in Ostdeutschland unberücksichtigt gelassen: In dem zwischen Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern geschlossenen NDR-Staatsvertrag vom 1. März 1991 (NDR-StV) wird das einzige ostdeutsche Vertragsland ausdrücklich nur in den §§ 46, 47 berücksichtigt. Dort finden sich "Übergangsbestimmungen filr den Rundfunkrat, Landesrundfunkrat Mecklenburg-Vorpommern und Verwaltungsrat" sowie die Verpflichtung des NDR zur Versorgung MecklenburgVorpommerns mit Landeshörfunk- und -fernsehprogrammen. Diese Programme sind inhaltlich auf die jeweiligen Länder bezogen359. "Regionale Verbreitungsgebiete" werden zwar benannt360, aber nicht näher erläutert; sie unterliegen zudem einem Kann-Vorbehalt und stehen im übrigen nur der Hörfunk- nicht aber der Fernsehberichterstattung offen. Der Vier-LänderStaatsvertrag orientiert sich deutlich an den Landesprogrammen als unterster Stufe der Sendegebietseinteilung. Der Gesamtprogrammauftrag verlangt zwar, neben der internationalen, nationalen und länderbezogenen Berichterstattung36l auch die "norddeutsche Region"362 zu berücksichtigen. Diese wenig aussagekräftige Pauschalbezeichnung vernachlässigt jedoch die Unterschiede in Landschaft und Bevölkerung des norddeutschen Gesamtsendegebiets; sie nimmt vor allem keine Notiz von der besonderen Situation des jüngsten Staatsvertragspartners363.

359 Vgl. § 3 111 NDR-StV. 360 Vgl. § 3 I 3 NDR-StV. 361 Vgl. § 5 I I NDR-StV. 362 Vgl. § 5 I 2 NDR-StV. 363 Darüber hilft auch der allgemeine Grundsatz in § 7 II 3 NDR-StV nicht hinweg, nach dem das Programm des NDR u.a. die "Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland" zu fbrdem habe. Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 54 beschreibt MecklenburgVorpommem als Land mit unterschiedlichen Teilidentitllten und unterschiedlichen Wirtschaftsregionen. Beides verursache besondere Anforderungen der "Kommunikationsdiversifizierung", die ihrerseits in der fbderalen Rundfunkverfassung verankert sei und sich den kulturellen, landsmannschaftlichen, raumbezogenen und ethnischen Besonderheiten anzupassen habe. Rossen, in:

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

In ähnlicher Weise ist der Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk vom 30. Mai 1991 (MDR-StV) zwischen den neuen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ausgestaltet worden. Auch hier ist international, national und länderbezogen zu berichten364; letzteres ebenfalls in Landesprogrammen, filr die keinerlei örtliche Berichterstattung festgeschrieben ist. Der Staatsvertrag hält zwar zur Errichtung von Regionalstudios an365, deren Aufgabe und Gewichtung im Gesamtprogramm bleiben jedoch unerwähnt366. Das Gesetz über den "Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg" vom 25. September 1991 (ORB-Gesetz) fordert immerhin zur "Beachtung der regionalen Gliederung des Sendegebiets"367 auf. Die Suche nach einer Bezugnahme auf solche Merkmale und Eigenheiten in Brandenburg, die bei der (Wieder-) Herstellung einer, vom Rundfunk zu fördernden, lokalen Identität bestimmend sind, bleibt hingegen vergeblich. Einzelne Kommunikationsräume werden nicht genannt - mit einer Ausnahme: Die Beachtung der sorbischen Kultur und Sprache im ORB-Programm368. Diese Herausstellung geht auf Art. 25 der Brandenburgischen Verfassung zurück, der den besonderen landesverfassungsrechtlichen Schutz der sorbischen Belange vorschreibt369. Eine derartige Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (55, dort Fn. 224) sieht das mecklenburg-vorpomrnersche "Identitätsproblem" im Vergleich zu den drei anderen Staatsvertragsländern als "besonders scharf' an. 364 Vgl. § 6 I I MDR-StV. 365 Vgl. § 2 I 2 MDR-StV. 366 Nach Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (60) soll die tatsächliche Errichtung der Regionalstudios "späteren Entscheidungen vorbehalten" bleiben, die aber bislang nicht gefallen sind. Auch der MDR ist allgemein zur Förderung der "Zusammengehörigkeit im vereinigten Deutschland" verpflichtet worden (vgl. § 8 I 2 MDR-StV). Diese Formulierung hat indessen mehr anmahnenden als verbindlichen Charakter und unterschätzt die - auch innerhalb der Vertragsländer bestehende - Vielfllltigkeit der Bevölkerungsteile, vgl. etwa den Bericht: "Wenig Interesse fUr Regionales", in: Frankfurter Rundschau v. 21. November 1991, darin die zitierte Äußerung eines ostdeutschen Rundfunkjoumalisten: "Hier ist einer erst Vogtländer oder Erzgebirgler und dann erst Sachse". 367 Vgl. § 2 II ORB-Gesetz. 368 Vgl. § 4 III ORB-Gesetz; vgl. auch§ 16 II Nr. 14 ORB-Gesetz, der ein Entsendungsrecht der Sorben zum Rundfunkrat vorsieht. 369 Diese Verfassungsnorm ist ein Erbe der sozialistisch-einheitlichen Weltanschauung der DDR-Regierung, in deren Rahmen die Sorben als Aushangeschild ftlr einen angeblichen Minderheitenschutz und damit als Legitimation des Einheitsgedankens benutzt wurden, vgl. Art. 40 DDR-Verf. sowie Mampel, DDR-Verf., Art. 40, Anm. II 2 c, der darauf hinweist, daß sich die Sorben bei der Ausübung des beschriebenen "sozialistischen Grundrechts" den Forderungen der Partei- und StaatsfUhrung der DDR unterzuordnen hatten, s. auch oben I. Teil I. Abschnitt C VI. Die Verfassung des Freistaates Sachsen enthält ebenfalls Vorschriften, in denen der sorbische Bevölkerungsanteil des Landes besondere Erwähnung findet (Art. 6 SächsVerf.: "Das sorbische

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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alleinige Hervorhebung einer einzelnen Bevölkerungsgruppe erscheint angesichts der sonstigen Vielfiiltigkeit in Bevölkerung und Landschaft des Flächenstaates Brandenburg, jedenfalls in rundfunkrechtlicher Hinsicht, nicht gerechtfertigt. 3. Lokales Grundversorgungsbedürfnis aufgrund der Verhältnisse in den örtlichen Kommunikationsräumen allgemein Von der besonderen Situation in den neuen Bundesländern abgesehen, sprechen auch Umstände von gesamtdeutscher Bedeutung für eine öffentlich-rechtliche Grundversorgungsgewährleistung im Lokalbereich. a) Mangel an lokalbezogenen Themen Der bereits dargestellten370 Annahme des Bundesverfassungsgerichts, ein grundlegender Themenmangel in örtlichen Sendegebieten verwehre privaten wie öffentlich-rechtlichen Lokalprogrammen eine ganztägige Berichterstattung aus diesen Gebieten und verhindere zudem ein wesentlich über die Privatprogramme hinausgehendes Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist entgegenzutreten. Die Zahl möglicher Themenstellungen ist nämlich von nachrangiger Bedeutung. Maßgebend für die lokale Meinungsbildung durch den Rundfunk ist nicht . die quantitative Aufzählung, sondern die qualitative Aufbereitung der Themen. Letztere leistet privater Rundfunk unter den derzeitigen Finanzierungsbedingungen nur in einem begrenzten Umgang, wie das Bundesverfassungsgericht

Volk"). Das Sächsische Privatrundfunkgesetz beschränkt sich indessen auf eine Berücksichtigung der Sorben im Aufsichtsgremium der Sächsischen Landesanstalt ftlr neue Medien (der "Versammlung", vgl. §§ 27 III Nr. I; 29 I 2 Nr. 16; 31 SächsPRG) und verzichtet auf eine gesonderte Nennung bei der Festschreibung der Grundsätze ftlr den privaten Rundfunk, vgl. § 2 II 2 SächsPRG. V. Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer, S. 62 f. begrUßt die genannten Verfassungsnonnen als Ausdruck verfassungsrechtlicher Eigenstllndigkeit; Häber/e, JöR, N.F. 40 [1991/92], S. 291 (354 ff.) beftlrwortet gar, einen "Sorbenschutz-Artikel" beispielgebend auch in das Grundgesetz aufzunehmen. Der Autor räumt aber immerhin ein, daß dabei andere Volksund Kulturgruppen unberücksichtigt blieben, so daß der verfassungsrechtliche Minderheitenschutz eigentlich einer grundlegenden Lösung bedürfe. Dieser Gedanke kann hier nicht vertieft werden - im Rundfunkrecht, welches kraft Grundrechtsgebot der Vielfalt verpflichtet ist, erscheint die Hervorhebung einzelner Bevölkerungs-, Kultur- oder Interessengruppen jedenfalls UberfiUssig, wenn nicht sogar bedenklich. 370 S. oben 2. Teil I. Abschnitt B III l.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

selbst feststellt37l. Entsprechend dieser Erkenntnis muß ein duales System im lokalen Kleinformat durch die Inhalts- und Vielfaltsgewährleistung öffentlichrechtlicher Grundversorgung ebenso abgesichert sein wie dies im Landesmaßstab "unerläßlich"372 ist, zumal gerade im räumlichen Nahbereich "von Meinungsvielfalt oft nicht mehr gesprochen werden kann", wie das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle zugesteht373. Denn auch im lokalen Bereich gibt es "Sendungen, die nur filr eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind und die oft - wie namentlich anspruchsvolle kulturelle Sendungen - einen hohen Kostenaufwand erfordern"374. Diese werden bei einer rein privaten Berichterstattung "in der Regel zurücktreten, wenn nicht gänzlich fehlen, obwohl erst mit ihnen die ganze Breite umfassender Information zu erreichen ist, ohne die es keine 'Meinungsbildung' im Sinne der Garantie des Art. 5 Abs. I Satz 2 GG geben kann"375. Für eine gegenüber der Landesebene deutlich verringerte Anzahl von lokalen Themen bei der Rundfunkberichterstattung im weiteren Sinne liefert die Verfassungsrechtsprechung im übrigen keinerlei Belege. Darauf kommt es jedoch auch nicht an. Soweit der lokale Kommunikationsraum tatsächlich nicht ausreichend Stoff filr lokale Nachrichten, Kultur und Unterhaltung zu liefern vermag, wäre dies ein Problem der vom einfachen Gesetzgeber zu regelnden Organisation des Sendeumfangs. Die grundsätzliche Gebotenheit lokalen Rundfunks mit öffentlich-rechtlichen Programmgewährleistungen wird dadurch nicht in Frage gestellt.

Vgl. BVerfGE 74,297 (331 f.); E 73, 118 (157 ff.). BVerfGE 74, 297 (324 ff.); E 73, 118 (157). 373 BVerfGE 74, 297 (338); BayVerfGH, N.F. 39, 96 (158) stellt fest, die Gefahren des Entstehens einer vorherrschenden, multimedialen Meinungsmacht seien "in örtlich begrenzten Sendegebieten größer als bei landesweit verbreiteten Programmen". Bereits im Jahre 1969 hat Stern, in: Rundfunkrecht und Rundfunkpolitik, S. 26 (50) darauf hingewiesen, daß die vielfach monopolisierte Lokalpresse ftlr sich allein nicht mehr in der Lage sei, die ftlr einen demokratischen Willensbildungsprozeß notwendige Meinungsvielfalt und Informationsbreite anzubieten; Rundfunkprogramme, die landschaftlichen Besonderheiten und Kulturwerten Rechung trügen, seien daher "eine notwendige Ergänzung". 374 BVerfGE 73, 118 (155f.). 375 BVerfGE 73, 118 (156), einfache Anftlhrungszeichen im Original; auch Enz, ZUM 1987, 58 (70 f.) sieht die Anwendbarkeit dieser verfassungsgerichtlichen Bestandsaufuahme auf den lokalen Rundfunk; zu dem angeblichen Themenmangel vgl. die anderslautenden Ergebnisse der von Teichert, MP 1981, 204 ff. durchgeftlhrten "Untersuchung zu Themenpräferenzen des Publikums im Sendegebiet des SUdwestfunks - Regionale Information: Ein Problem des Inhalts, nicht des Umfangs". 371

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1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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b) Fehlende publizistische Leistungsflihigkeit des privaten Lokalrundfunks Nach den ersten Erfahrungen mit lokalem Privatrundfunk in Deutschland ist die anfiingliche Begeisterung der Veranstalter inzwischen einer eher nüchternen Sichtweise gewichen3 76. Das rührt in der Hauptsache von der Enttäuschung wirtschaftlicher Erwartungen her und zieht Auswirkungen auf den Prozeß der lokalen Meinungsbildung nach sich. Aus rundfunkrechtlicher Sicht ist Abhilfe geboten durch die Einftlhrung von lokalem Rundfunk, der öffentlichrechtlich veranstaltet wird und dabei den Anforderungen der Grundversorgung genügt, wie die nähere Betrachtung zeigt. aa) Privater Lokalrundfunk in fast allen Bundesländern Die Gesetzgeber nahezu sämtlicher Bundesländer haben die Veranstaltung privatrechtlich organisierten Rundfunks in örtlichen Sendegebieten grundsätzlich zugelassen3 77 und den Privatveranstaltern die "Berücksichtigung lokaler und regionaler Beiträge" aufgegeben378. Bei der normativen Umsetzung der Idee vom lokalen Rundfunk sind indessen unterschiedliche Wege eingeschlagen worden. Diese Wege fUhren entweder zu einem Modell selbständiger, wenn auch in der Regel "mantelgestützter" Einzelstationen379, zu einem Nebeneinander von Landes- und Lokalveranstaltern mit der Möglichkeit einer programmliehen Verbindung380 oder aber zu einem regelmäßig landesweiten Rundfunk, dessen Sendungen ftlr nahraumbezogene Fensterprogramme auseinandergeschaltet werden können381. Doch unabhängig von seiner jeweiligen or-

376 Vgl. etwa Gustedt, epd/Kirche und Rundfunk Nr. 3 v. 16. Januar 1991, S. 3 (4). 377 Mit Ausnahme Bayerns, wo Rundfunk gern. Art. lila II I BV nur in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft veranstaltet werden darf; zu diesem noch immer umstrittenen "Sonderweg", zu seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeil und zur tatsächlichen Handhabung vgl. die Nachweise oben 2. Teil I. Abschnitt A I I d. 378 Vgl. Art. I § 20 VI RuFu-StV sowie den 5. Absatz der Präambel. 379 In Baden-Württemberg ist diese Organisationsform der gesetzlich beabsichtigte Regelfall, denn obgleich nach§ 17 I Nr. 2 LMedienG Ba.-Wü. die Zulassung gleichrangig sowohl ftlr landesweite als auch ftlr lokale Verbreitungsgebiete ausgesprochen werden kann, wird der lokale Rundfunk nachfolgend deutlich ausftlhrlicher geregelt (vgl. §§ 17 II, 111; 14b LMedienG Ba.Wü.); gleiches gilt ftlr Nordrhein-Westfalen (vgl. §§ 2 VIII Nr. 3; 4 ff.; 23 ff. LRG NW). 380 Geregelt in: Berlin und Brandenburg (vgl. §§ 30 111 Nr. 4; 35 II-VI StV-BB), Harnburg (vgl. §§ 2 I Nr. 2; 16 ff.; 31 ff. HmbMedienG), Mecklenburg-Vorpommem (vgl. §§ 3 V; 5 II I Nr. 4; 13 I Nr. 2; 14 II I RGMV, dazu Steinmann, OLM-Jahrbuch 1992, S. 81 [83]), Sachsen (vgl. § 3 SächsPRG, dazu Kühn, OLM-Jahrbuch 1992, S. 86 ff.). 381 So bestimmt in: Hessen (vgl. §§ 2 II Nr. 3; 61 Nr. S; 10 I-VII; 16 HPRG), Niedersachsen

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

ganisatorischen Ausgestaltung hat privater Rundfunk im örtlichen Bereich noch immer eine tatsächliche Vormachtstellung; die öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten haben die gezielte Versorgung lokal begrenzter Gebiete bislang nicht näher ins Auge gefaßt382. bb) Problemlage Die im privaten Alleinbetrieb beackerten lokalen Felder tragen indessen häufig nicht die erhofften finanziellen Früchte und liegen in publizistischer Hinsicht zuweilen sogar brach. Diese Problemlage hat ihren Ursprung in einer regelmäßig schwierigen finanziellen Situation der lokalen Fernseh- und Radioprogramme383 . Trotz durchweg großem Interesse in der Bevölkerung an "bürgemah" veranstaltetem Rundfunk384 fUhren niedrige Werbeerträge und Mißmanagement, aber auch

(vgl. § 12 NdsLaRuFuG), Rheinland-Pfalz (vgl. §§ 7 I-IV; 9 Nr. 4 LRG Rh.-Pf.), Schleswig-Holstein (vgl. §§ 3 IV; 9 II LRG S.-H.), Sachsen-Anhalt (vgl. § 13 PRG S.-A., dazu Schurig, OLMJahrbuch 1992, S. 77 [77]), Thüringen (vgl. §§ 2 I Nr. 7, II Nr. 3, 4; 7 I Nr. 5; II I, II1 TPRG, dazu Henle, OLM-Jahrbuch 1992, S. 68 [69 ff.]); offengelassen im Saarland (vgl. §§ Ia Nr. I; 39 III Nr. 2 SaariRuFuG). 382 Abgesehen von einer im Grundsatz beanspruchten Lokalrundfunkoption als eine Konsequenz der öffentlich-rechtlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie, vgl. Berg, MP 1986, 799 (800). Eine Ausnahme bildet das gern. § 56a WDR-Gesetz als lokales Fenster im WDR-Landesprogramm weitergeftlhrte Kabelpilotprojekt Dortmund, welches vom Bundesverfassungsgericht ftlr zulässig erklärt worden ist, BVerfG, AfP 1991, 522 (522). Zum beachtlichen Teilnehmerinteresse an diesem öffentlich-rechtlichen Lokalfernsehen vgl. die Untersuchung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Medienland Nordrhein-Westfalen, Band 6, S. 42 ff. sowie die Darstellung bei Baacke/Schäfer, MP 1989, 74 ff. und die Berichte "Die Dortmunder Fehde", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 70 v. 5. September 1990; "Erinnerungen an ein Experiment", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 59 v. 28. Juli 1990. 383 Vgl. etwa die bundesweite Untersuchung zu Kosten und Finanzierung von Programmangeboten des lokalen Rundfunks der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Medienland Nordrhein-Westfalen, Band 14, S. 51 ff. Bereits die Voruntersuchung der Landesregierung NordrheinWestfalen, Medienland Nordrhein-Westfalen, Band II, S. 196, kommt zu der Erkenntnis: "Es ist unwahrscheinlich, daß werbefinanzierte lokale Fernsehprogramme in der Bundesrepublik Deutschland die Rentabilitätsschwelle erreichen. Auch ftlr lokale Hörfunkprogramme, die primär durch lokale Werbung finanziert werden sollen, gibt es nur in wenigen Städten und Kreisen der Bundesrepublik Existenzchancen". 384 Vgl. Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 52; Heim/Heyn, MP 1989, 38 (40) sowie den Bericht "Die Moderatorio steht am Küchentisch" in: SUddeutsche Zeitung v. 29. Januar 1994, in dem ein Lokalfernsehsender ftlr einen Teil der bayerischen Marktgemeinde Massing im Landkreis Rottal-Inn beschrieben wird, der - in privater Initiative einiger BUrger werbe- und entgeltfrei betrieben - das Geschehen im Sendegebiet thematisch abdeckt, die Betroffenen zu Wort kommen läßt und sich großer Beliebtheit bei den etwa 2.000 Zuschauern erfreut.

l. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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bisweilen bewußt hingenommene Mittelknappheit einiger Anbieter385 zu Schwierigkeiten. lnfolge "ökonomischer Imperative"386 und finanzieller Sparmaßnahmen entstehen Geflihrdungen filr den Kommunikationsprozeß auf örtlicher Ebene, auf der das strukturelle Defizit eines werbefinanzierten Privatrundfunks besonders deutlich zu spüren ist387. So werden etwa die Personalkosten gemindert, indem an ausgebildetem Redaktionspersonal gespart und ein "Praktikanten-Funk"388 veranstaltet wird. Zudem ist Werbung durch Moderatoren innerhalb redaktioneller Programmteile keine Seltenheit389. Ein weiteres Problem stellt die zunehmende Entfremdung örtlicher Programme von ihrem Sendegebiet durch Programmteile mit überörtlichem Bezug

385 Diese wird insbesondere dort geduldet, wo örtliche Doppelmonopole bestehen und die Zeitungsverleger sich nicht innerhalb des eigenen Hauses die Schlagzeilen des nächsten Tages vorwegnehmen lassen, andererseits aber auch die Lokalfunklizenz nicht zu Gunsten eines Konkurrenten freigeben wollen, vgl. den Bericht "Ausgang offen", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 25/26 v. 6. April 1991, S. 6 (13); W. Meier, Kommunikation und Medien, 11/1993, 21 (26) sowie Jens, MP 1989, 23 (24 ff.) mit einer Bestandsaufnahme von wirtschaftlichen Presse- und Rundfunkvemetzungen in den örtlichen Sendegebieten der alten Bundesländer. Zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber vorherrschender "multimedialer Meinungsmacht" vgl. BVerfGE 83, 238 (324 ff.); E 74, 297 (338); E 73, II 8 (177 f.). 386 Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 56. Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 409, verweist auf "Funktionsimperative des ökonomischen Systems", die zu einer "Konkurrenz um Einschaltquoten" zwingen; ähnlich Enz, ZUM 1987, 58 (70 f.); Grimm, RuF 1987,25 (32); ders., VVDStRL, Heft 42 [1984], S. 46 (75). 387 Vgl. BVerfGE 74, 297 (338); BayVerfGH, N.F. 39,96 (158). 388 Vgl. den Bericht "Ausgang offen", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 25/26 v. 6. April 1991, S. 6 (II) nach einem Jahr lokalem Rundfunk in Nordrhein-Westfalen, welcher von Stock, JuS 1992, 383 (383, 385), als "einigermaßen riskant" und "gewagtes Experiment" eingeschätzt worden ist. Auch in Bayern kommen "Rationalisierungsmaßnahmen der Veranstalter im Programmbereich" in der Beschäftigungsstruktur zum Ausdruck, vgl. die Wirtschaftlichkeitsanalyse Bayerischer Lokalradios in: BLM-Schriftenreihe, Band 23, S. 11 . Der Bayerische Journalistenverband (BJV) fordert, daß jeder (bayerische) Sender "mindestens einen Vollredakteur mit journalistischer Ausbildung" anzustellen habe, der ausschließlich im redaktionellen Teil des Programms und keinesfalls ftlr Werbezwecke eingesetzt werden dürfe. Im übrigen sei ein "Mindestmaß journalistischer Beiträge" festzuschreiben, zit. n. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 45 v. 12. Juni 1991, S. 17. 389 Bei dieser Form der Werbung wird die Bekanntheil des Moderators ausgenutzt und es fallen keine Produktionskosten ftlr Werbespots oder -trailer an; ein Beispiel daftlr sind die "LiveReader", die jedoch einen Verstoß gegen des gesetzliche Trennungsgebot des Art. 1 § 6 III 1 RuFu-StV darstellen; zur Werbung durch Moderatoren vgl. die Berichte "Ausgang offen", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 25/26 v. 6. April 1991, S. 6 (13); "(Bezahlte) Kleine Welten?", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 18 v. 7. März 1992, S. 4 ff. (Klammer- und Zeichensetzung im Original) sowie die Untersuchungen der lokalen Hörfunklandschaft in Nordrhein-Westfalen von Reidt, Rundfunkwerbung im lokalen Rundfunkprogramm, S. 74 ff. und in Bayern von Heim/Heyn, MP 1989, 38 (47).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

dar. Viele Lokalstationen veranstalten ihre Hörfunk- oder Fernsehsendungen im Rahmen eines Mantelprogramms. Dieses Programm wird außerhalb der lokalen Verbreitungsgebiete hergestellt und über einen Fernmeldesatelliten abgestrahlt. Die Lokalanbieter können sich jederzeit aufschalten, um eigene Programmaufwendungen zu sparen. Durch eine solche Auffanglösung werden direkte Produktionskosten vermieden, da sich die Veranstalter von Mantelprogrammen regelmäßig mit einer Beteiligung am örtlichen Werbeaufkommen zufrieden geben. Zusätzlich wächst ihnen der Ertrag aus selbst akquirierter Werbung fiir das Rahmenprogramm zu. Schließlich sind auch wirtschaftliche und gesellschaftsrechtliche Verflechtungen zwischen örtlichen Veranstaltern und Anbietern der Rahmenprogramme feststellbar. Die Geflihrdung des lokalen Programmauftrags beginnt dort, wo die örtlichen Veranstalter ihre redaktionelle Verantwortung fti.r die auf ihrer Frequenz verbreiteten Sendungen aus der Hand geben. Ähnlich problematisch ist die Zulieferung redaktionell gestalteter Einzelbeiträge an die örtlichen Radio- und Fernsehstationen von wirtschaftlich oder sonst eigeninteressierten Programmhändlern. Mit diesen regelmäßig entgeltfreien Programmüberlassungen filllt der lokale Privatrundfunk auf kostengünstige Weise seine Sendezeit und die Lieferanten der Beiträge haben Gelegenheit, direkt ihre wirtschaftlichen und ideellen Interessen zu llirdern. Auch dieser Art der Beschaffung von Sendematerial stehen publizistische Bedenken entgegen. Denn die besagten Sendebeiträge weisen zumeist keinen besonderen lokalbezogenen Inhalt auf, sie sind vor Ort nicht mehr redaktionell zu bearbeiten und sie können die Beitrags-"Verwerter" leicht in eine programmliehe oder wirtschaftliche Abhängigkeit stürzen390. Die beispielhaft aufgezählten redaktionellen Maßnahmen werden in unterschiedlicher Art und Häufigkeit verwirklicht. Insgesamt ist festzustellen, daß der lokale Programmauftrag durch Vielfalts- und Inhaltsmängel infolge von Einsparungen teilweise in erheblichem Maße verfehlt wird39 1. Damit ist die im 390 Ausfuhrlieh zu Mantelprogrammen und Programmzulieferungen sowie zur Gefahr der Vielfaltseinbuße durch "Networkbildung" Wöste, MP 1989, 23 (26); vgl. auch Schröder/Sil/, Das nordrhein-westßllische Lokalfunkmodell, S. 443 ff. und den Bericht "Ein Mantel, der viele Millionen Mark wert ist", in: SUddeutsche Zeitung v. 19. Oktober 1993; zu den (wirtschaftlichen) Vorteilen U. Schnell, Kommunikation und Medien, 11/1993, 27 ff. 39 ! Vgl. Enz, ZUM 1987, 58 (70 f.); Rüggeberg/Radeck, RuF 1993, 66 (73); Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 54 ff.; Schröder/Sil/, Das nordrhein-westßllische Lokalfunkmodell, S. 66 ff., 477 ff., jeweils m.w.N. Stock, JuS 1992, 383 (386) beftlrchtet, daß das nordrhein-westßllische Lokalrundfunkmodell ebenso einer "Verflachung und Verarmung" anheimfallen könne, wie sie z.B. beim suddeutschen Lokalfunk vorkomme; zurückhaltend auch der

1. Abschnitt: Grundversorgung im lokalen Bereich

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Baden-Württemberg-Beschluß zum Ausdruck gebrachte Zuversicht des Bundesverfassungsgerichts in die publizistische Leistungsflihigkeit des lokalen Privatrundfunks von der tatsächlichen Entwicklung überholt worden392. cc) Abhilfe Dies kann aus dem Blickwinkel der Rundfunkfreiheit nur hingenommen werden, wenn auch im örtlichen Sendegebiet die Grundversorgung und damit die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung durch einen Rundfunk ohne strukturelles Defizit gewährleistet ist. Damit soll indessen keine Abwertung des öffentlich-rechtlich rechtlichen Rundfunks auf eine bloße Ergänzungsfunktion zum Ausgleich der Fehlsamkeiten in privaten Lokalprogrammen vollzogen werden393. Es wird vielmehr dem rundfunkfreiheitssichernden Verfassungsgrundsatz Rechnung getragen, nach welchem das duale System nur dann zulässig ist, wenn zuvor die umfassende Versorgung durch den öffentlichrechtlichen Rundfunk sichergestellt ist394.

4. Zusammenfassung Neben der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit besteht auch das tatsächliche Bedürfnis nach Veranstaltung lokalen Rundfunks auf dem Standard öffentlich-rechtlicher Grundversorgung. Dieses Bedürfnis besteht in besonderem Maße in den neuen Bundesländern, ist jedoch letztlich nicht auf diese beschränkt. Nach einer jahrzehntelangen zentralstaatlichen Meinungsdiktatur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist vom Rundfunk als Medium und Faktor des Kommunikationsprozesses nunmehr dem lange unterdrückten Artikulationsbedürfnis der Bevölkerung, insbesondere im örtlichen Bereich Rechnung zu tragen. Gleichzeitig ist in Abkehr vom sozialistischen Rundfunk-Zentralismus die demokratische Meinungs- und Willensbildung "von unten nach oben" zu förDirektor der Landesanstalt ftlr Rundfunk Nordrhein-Westfalen (LtR) Schneider, vgl. das Interview in: dpa-informationen 23/93 v. 10. Juni 1993, S. 2 (4 f.); vgl. weiter den Bericht "BadenWUrttemberg: Mehr nicht-kommerzielle Radios geplant", in: FUNK-Korrespondenz Nr. 26 v. 2. Juli I993, S. II, in dem von einer "desaströsen Alltagssituation" der ersten Lokalradiogeneration die Rede ist. 392 So auch Rüggeberg/Radeck, RuF 1993, 66 (73). 393 S. oben 2. Teil I. Abschnitt A I 2 a bb a . 394 Vgl. zuletzt BVertU, ZUM I994, 173 (I SI). 12 Wilhelmi

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

dem. Die verfassungsrechtliche Absicherung der örtlichen Meinungsbildungsfreiheit im Rundfunk trägt schließlich auch zur Herstellung kommunikativer Chancengleichheit zwischen Ost und West bei, nachdem die Rundfunkgesetzgeber der neuen Länder in dieser Hinsicht enthaltsam geblieben sind. Die Einschätzung der tatsächlichen Programmleistungen des Rundfunks in örtlichen Kommunikationsräumen durch das Bundesverfassungsgerichts hat sich in der täglichen Redaktions- und Sendepraxis nicht bestätigt. Zudem kann der lediglich behauptete Themenmangel der EinfUhrung einer öffentlich-rechtlichen Grundversorgung nicht entgegengehalten werden, da es nicht auf die Anzahl der Themen, sondern auf die Art ihrer Aufbereitung ankommt. Letztere kann vom werbefinanzierten privaten Lokalrundfunk aufgrund seines strukturellen Defizits nicht im notwendigen Umfang geleistet werden.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks Die "Staatsfreiheit" des Rundfunks gehört neben der Grundversorgung, welche bereits Gegenstand der Erörterung war I, zu den tragenden Grundsätzen der Rundfunkverfassung. Das Gebot der Staatsfreiheit ist in den Karlsruher Rundfunkentscheidungen als ein wesentlicher Bestandteil der grundrechtsgeschützten Rundfunkfreiheit erkannt worden. Diese verfassungsgerichtliche Zuordnung hat ihre Übernahme in die übrige Rechtsprechung sowie in das rundfunkrechtliche Schrifttum gefunden. Gleichwohl bestehen unterschiedliche Auffassungen über Ursprung, Inhaltsbestimmung und Reichweite des Staatsfreiheitsgebotes ebenso wie über den Kreis seiner Adressaten. Eine kurze Bestandsaufnahme soll deshalb verdeutlichen, welche Ausprägungen die rundfunkrechtliche Staatsfreiheit in den westlichen Bundesländern erfahren hat und wo im einzelnen Kritik ansetzt. Darauf aufbauend werden die Bestimmungen und Besonderheiten der neuen Bundesländer aus dem Blickwinkel der Staatsfreiheit beleuchtet; dabei treten erhebliche Mißstände zutage, denen es abzuhelfen gilt. A. Bestandsaufnahme I. Die Verfassungsrechtsprechung zum Gebot der Staatsfreiheit

Wenngleich sich das Bundesverfassungsgericht zuweilen als "Ersatzgesetzgeber"2 auf dem Gebiet des einfachen Bundes- oder Landesrechts betätigt, so liegt seine Hauptaufgabe doch in der letztverbindlichen Entscheidung von Fragen und Meinungsverschiedenheiten, die auf die Auslegung des Grundge-

1 S. oben 2. Teil I. Abschnitt. 2 Bethge, Medientage München 1992, Dokumentation, Band I, S. 62 (64); ders., AöR, 116. Band [1991], S. 521 (522); ders., ZUM 1991, 337 (338); vgl. auch§ 31 BVerfGG iVm Art. 94 ll IGG. 12*

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

setzes zurückgehen3 - als "Hüter der Verfassung"4. Das Problem staatlichen Einflusses im Lichte der grundgesetzliehen Meinungsbildungsfreiheit haben die Karlsruher Richter in allen acht Rundfunkentscheidungen angesprochen5; die richterlichen Erkenntnisse6 lassen sich übersichtsweise zusammenfassen. 1. Herleitung Das Staatsfreiheitsgebot hat bereits in der Ersten Rundfunkentscheidung Erwähnung gefunden. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, in dessen Mittelpunkt der Staat als Rundfunkveranstalter stand: Die Bundesregierung hatte im Jahre 1960 die "Deutschland-Fernsehen-GmbH" gegründet. Diese Gesellschaft sollte ab dem I. Januar 1961 als zweites Programm zu den Sendungen der ARD-Anstalten hinzutreten mit der Aufgabe, solche Sendungen zu veranstalten, "die den Rundfunkteilnehmern in ganz Deutschland und im Ausland ein umfassendes Bild Deutschlands vermitteln sollen"7. Alleinige Gesellschafterin war die Bundesrepublik Deutschland. Diese staatliche Beherrschungsmacht wurde in den Entscheidungsgründen ausdrücklich fiir verfassungswidrig erklärt8. Der Rundfunk gehöre nämlich, so das Gericht, ebenso wie die Presse, zu den unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmitteln, durch die Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung mitgebildet wird. Art. 5 GG und die darin enthaltene bundesverfassungsrechtliche Garantie der Freiheit des Rundfunks seien von "fundamentaler Bedeutung filr das gesamte öffentliche, politi-

3 Vgl. Art. 93, 100 GG; §§ 13, 36 ff. BVerfGG. 4 So bezeichnet sich das Gericht selbst bereits in BVerfDE I, 184 (195 f.); E 2, 124 (131); E 40, 89 (93 f.); ebenso Bethge, DVBI. 1983, 369 (369); Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, S. 42 ff.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12, Rn. 12. 5 Dadurch wird die anhaltende Aktualität der rundfunkrechtlichen Staatsfreiheitsproblematik bereits angedeutet; vgl. auch Rossen, ZUM 1992, 408 (409). 6 Welche durch Entscheidungen von obersten Gerichten des Bundes und der Länder Bestätigung, Ergänzung und Verdichtung erfahren haben, vgl. insbesondere BVerwGE 52, 339 (342); E 39, 159 (164); E 22, 299 (302) sowie BGHZ 66, 182 (186) und BayVerfDH, N.F. 42, 11 (18 ff.); BayVGH, BayVBI. 1988, 685 (685); BayVerfDH, N.F. 39, 96 (154 ff.); OVG LUneburg, DÖV 1979, 170 ff.; BayVerfDH, N.F. 30, 78 (95 f.) und VG Hamburg, DVBI. 1980,491 (492f.).

7 § 2 I Satzung der Deutschland-Fernsehen-GmbH i.d.F. v. 25. August 1960, abgedruckt bei Zehner, Der Femsehstreit, I. Band, S. 141 ff.; zu der vorausgegangenen, Uber zehnjährigen Auseinandersetzung um die Gesetzgebungszuständigkeit ftlr das Rundfunkwesen s. auch oben I. Teil I. Abschnitt B II I. 8 Vgl. BVerfDE 12, 205 (263 f.).

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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sehe und verfassungsrechtliche Leben"9. Im Rahmen seiner institutionellen Freiheit dürfe der Rundfunk dem Staat weder "ausgeliefert"IO noch von diesem "beherrscht" II werden. Die in Art. 5 I 2 GG enthaltene "institutionelle Freiheit" des Rundfunks war indessen nicht das einzige Begründungselement, welches von den Karlsruher Richtern zum Ursprung eines Verbots staatlicher Rundfunkbeherrschung herangezogen wurde. Den rechtlichen Erwägungen sind tatsächliche Betrachtungen des Rundfunks in Deutschland vorangestellt worden. So beschrieb die Deutschland-Fernsehen-Entscheidung in einem ausfUhrliehen Rückblick, wie das Massenkommunikationsmittel sich in seinen Anfangsjahren in Richtung auf einen "Staatsrundfunk" fortentwickelt hatte 12. Damit ruht die verfassungsgerichtliche Herleitung des Staatsfreiheitsgebots auf zwei Säulen: Die Rundfunkfreiheit einerseits und der historische Hintergrund des Rundfunks in Deutschland andererseits. Diese Auffassung ist in den nachfolgenden Rundfunkentscheidungen aufgegriffen und bestätigt worden 13.

9 BVerfGE 12, 205 (259 f.); vgl. auch die gerichtliche Ankündigung einer "Auslegung fundamentaler Verfassungsprinzipien" fllr die Hauptsacheentscheidung in der UrteilsbegrUndung des vorausgegangenen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, BVerfGE 12, 36 (41), dokumentiert bei Zehner, Der Fernsehstreit, I. Band, S. 215 ff. 10 BVerfGE 12, 205 (262), dieses Auslieferungsverbot wird nicht nur auf den Staat, sondern auch auf einzelne gesellschaftliche Gruppen bezogen. II BVerfGE 12, 205 (263). 12 Vgl. BVerfGE 12, 205 (208 ff., 230 ff.). Nach den Worten des Gerichts wurde in der Weimarer Republik "ein System staatlicher Einflußnahme und Überwachung verwirklicht, das einer Zensur nahekam", BVerfG, a.a.O., S. 232; die Ausruhrungen gipfeln in der Formulierung: " ... jedenfalls kann bei zusammenfassender Würdigung der mit Hilfe der Bedingungen verwirklichten 'Sicherung des behördlichen Einflusses auf die Darbietungen des Rundfunks' ... nicht festgestellt werden, daß diese Einflußnahme dem Ziel diente, das Grundrecht der freien Meinungsäußerung einschließlich des Zensurverbots im Bereich des Rundfunks zu sichern", BVerfG, a.a.O., S. 234 (Hervorhebung und Anfllhrungszeichen im Original). Anschaulich und eindrucksvoll zur nachfolgenden Vereinnahmung des Rundfunks als Instrument nationalsozialistischer Propaganda ist die Äußerung des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels vor Rundfunkintendanten im März 1933: "Der Rundfunk gehört uns, niemandem sonst! ... Der Rundfunk hat sich der Zielsetzung, die sich die Regierung der nationalen Revolution gestellt hat, ein- und unterzuordnen!", zit. n. Diller/Mühi-Benninghaus, ARD-Jahrbuch 1991, S. 30 (33). Erst nach der Übernahme des Rundfunks durch die alliierten Siegermächte hat die obrigkeitliche lnstrumentalisierung ihr Ende gefunden und die Entwicklung zu einem Rundfunk, der staatsunabhängig und politisch neutral war konnte beginnen. Doch auch in dieser Zeit fand staatliche Annäherung an den Rundfunk statt, wie Gründung und beabsichtigte Veranstaltung des Deutschland-Fernsehens gezeigt haben; s. auch oben I. Teil I. Abschnitt A, B. 13 Vgl. BVerfGE 31, 314 (325, 337); E 57, 295 (320); E 73, 118 (152 f., 182 f.); E 74, 297 (324); E 83,238 (296, 322 ff., 330 f.); E 87, 181 (197 f.) sowie E 59,231 (260); E 60, 53 (64).

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2. Inhalt und Grenzen Die Bestimmung des Inhalts und der Grenzen staatlicher Beteiligung am Rundfunk unterlag hingegen wechselnden Sprachregelungen des Gerichts, die insgesamt von einer erheblichen Unschärfe gekennzeichnet sind. a) Erste Rundfunkentscheidung (Deutschland-Fernsehen) Es ist bereits dargelegt worden, daß das Bundesverfassungsgericht sich in seiner Ersten Rundfunkentscheidung, zum "Deutschland-Fernsehen", filr ein gegenüber dem Staat und einzelnen gesellschaftlichen Gruppen wirkendes "Auslieferungs- und Beherrschungsverbot"14 ausgesprochen hat. Ein solches Verbot hindere jedoch nicht, so heißt es weiter in der Entscheidungsbegründung, "daß auch Vertretern des Staates in den Organen des 'neutralisierten' Trägers der Veranstaltungen ein angemessener Anteil eingeräumt wird" 15. Nach dieser Formulierung ist eine staatliche Beteiligung in "angemessenem" Umfangjedenfalls in den rundfunkrechtlichen Aufsichtsgremien zu dulden 16. b) Zweite Rundfunkentscheidung (Mehrwertsteuer) In der nächstfolgenden Rundfunkentscheidung, dem "Mehrwertsteuer-Beschluß", wird hingegen ausdrücklich vom Gebot der "Staatsfreiheit des Rundfunks" gesprochen 17, die Verbreitung der Rundfunkprogramme habe "staatsfrei" zu erfolgen18. Die Wendung "-frei" schließt staatliche Mitwirkung im Rundfunk schlechterdings aus, filr eine "angemessene" Beteiligung bleibt kein Raum. Einige Absätze vorher hatte der Erkennende Senat noch an die Ausruhrungen im Deutschland-Fernsehen-Urteil angeknüpft und lediglich ein "Über-

14 BVerfGE 12, 205 (262) und oben 2. Teil 2. Abschnitt A II. 15 BVerfGE 12, 205 (263), einfache Anftlhrungszeichen im Original. 16 Die staatliche Einflußnahme auf diese Aufsichtsgremien finde ihre Obergrenze wiederum in einer "beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht", BVerfGE 12, 205 (261). 17 BVerfGE 31,314 (329). 18 BVerfGE 31, 314 (329) sowie das insoweit die Entscheidungsgrunde bestätigende Minderheitsvotum der drei überstimmten Richter, a.a.O., S. 339 f. Bereits in BVerfGE 20, 56 (99) war erklärt worden, daß der Prozeß der Meinungs- und Willensbildung "staatsfrei" zu bleiben habe. Dies gelte jedoch nur im Grundsatz, denn Einwirkungen auf den Kommunikationsprozeß durch gesetzgebende Körperschaften und durch die Verwaltung könnten ausnahmsweise durch besondere, verfassungsrechtlich legitimierende Grunde gerechtfertigt sein.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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lassungsverbot" festgelegt 19. Die nunmehr geforderte vollständige Freihaltung des Rundfunks von staatlichem Einfluß ohne Ansehung eines "beherrschenden" oder auch nur "angemessenen" Umfangs ist auf die "'ftlr die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung' von Nachrichten und Darbietungen durch den Rundfunk"20 gerichtet und damit wohl in erster Linie auf den Programnibereich bezogen. c) Dritte Rundfunkentscheidung (FRAG) Die auch als "FRAG-Urteil" bezeichnete Dritte Rundfunkentscheidung nimmt den Begriff "Staatsfreiheit" auf und umschreibt diesen wiederum als "Freiheit des Rundfunks von staatlicher Beherrschung und Einflußnahme"21 . Bei dieser Allgemeinheit der Begriffe beläßt es das Gericht jedoch, ohne die nach den beiden vorangegangenen Entscheidungen entstandenen Widersprüche aufzulösen. Ansatzpunkt und Ausmaß der dem Grunde nach gebotenen Staatsfreiheit bleiben weiter unklar. d) Vierte Rundfunkentscheidung (Niedersachsen) In der Vierten Rundfunkentscheidung, dem "Niedersachsen-Urteil", gerät die Argumentationsebene des Bundesverfassungsgerichts vollends in eine Schieflage: Zunächst hebt das Urteil wörtlich die Erforderlichkeil einer Ausschließlichkeit beanspruchenden "Freiheit des Rundfunks von staatlicher Beherrschung oder Einflußnahme" hervor22. Sodann kommt das Gericht unver-

19 BVerfGE 31,314 (325); das OVG Lüneburg, DÖV 1979, 170 (171) ist der ursprUngliehen Position des Bundesverfassungsgerichts gefolgt, indem es aus dem Staatsfreiheitsgrundsatz nicht das Verbot jeglicher Einflußnahme des Staates, sondern lediglich ein Beherrschungsverbot abgeleitet hat; ebenso VG Hamburg, DVBI. 1980, 491 (492). 20 BVerfGE 31, 314 (329), einfache Anftlhrungszeichen im Original.

21 BVerfGE 57, 295 (320); diese Freiheit wird an anderer Stelle als Ausschluß staatlicher Eingriffe formuliert, a.a.O., S. 323. BVerfGE 59, 231 (260) gesteht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im übrigen das verfassungsmäßige Recht zu, über Auswahl, Einstellung und Beschäftigung ihrer Programm-Mitarbeiter "frei von fremdem, insbesondere staatlichem Einfluß" zu bestimmen. 22 BVerfGE 73, 118 (152); diese Formulierung hat auch Aufnahme gefunden in die knapp drei Wochen nach dem Niedersachsen-Urteil verkündete Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zur Vereinbarkeit des Bayerischen Medienerprobungs- und -entwicklungsgesetz mit der Landesverfassung, vgl. BayVerfGH, N.F. 39, 96 (154); danach stllndige Rechtsprechung in Bayern, vgl. BayVGH, BayVBI. 1988, 685 (685); BayVerfGH, N.F. 42, II (18 f.); eher allgemein dagegen noch BayVerfGH, N.F. 30, 78 (95 f.).

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mittelt zu der Erkenntnis, daß die kraft Landesgesetzes gebildeten Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Anstalten, ebenso wie übrigens der zur Privatfunkaufsieht eingesetzte Niedersächsische Landesrundfunkausschuß, "unter dem Gesichtspunkt der Staatsfreiheit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen'lf3. Da sich die genannten pluralistischen Aufsichtsgremien indessen anteilig auch aus Vertretern des Staates zusammensetzen24, findet sich das Gericht also letztlich doch mit einer Einflußnahme des Staates ab. Schließlich wird an anderer Stelle noch auf die ftlr den Rundfunk maßgebende "Staatsfeme" verwiesen25 , ohne daß jedoch ein Anlaß ftlr diese Wortlautabweichung auszumachen ist. Gleichwohl lassen sich aus den Darlegungen des Erkennenden Senats zur besonderen Organisation des privaten Rundfunks in Niedersachsen durch Beteiligung einer rein staatlichen Erlaubnisbehörde Ansätze ftlr eine der Verallgemeinerung flihige Unterscheidung ableiten. Denn staatlicher Einfluß wird nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen; es kann vielmehr nach Schutzbereichen innerhalb der Rundfunkfreiheit unterschieden werden. Danach muß staatlicher Einfluß jedenfalls um so schwächer ausfallen, je mehr er sich dem Kernbereich der Rundfunkfreiheit, der Programmgestaltung, nähert26 . Als im Vergleich zur Programmgestaltung weniger störanfällig wird die Organisation des Lizenzverfahrens im privaten Rundfunk angesehen, welches in Niedersachsen von einer staatlichen Erlaubnisbehörde durchgefiihrt wird27. Hier darf aller23 BVerfGE 73, 118 (165). 24 Diese sitzen auf den sog. "Staatsbänken", vgl. Art. 6 III Nr. 1·3, 6 BayRG; § 5 II Nr. 1, 12 HessRuFuG; § 171 Nr. 1 NDR-StV; § 8 I Nr. 1-4 RBG; § 161 Nr. I, 21 SaariRuFuG; § 6 III Nr. 1 SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz; § 4 II Nr. 13, 14, 22 SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-Gesetz; §§ 10 II; 11 I Nr. 1, 2, 11 SWF-StV; § 15 II, III Nr. 10 WDR-Gesetz; ebenfalls mit "Staatsbänken" ausgestattet sind die Rundfunkräte der Anstalten in den neuen Bundesländern, vgl. § 19 I Nr. 1, 2, 9, 16 MDR-StV; § 16 I, II Nr. 7, III ORB-Gesetz. Parallel zu diesem Modell sind auch die Kol· lektivorgane der zur Privatfunkaufsicht bestimmten Landesmedienanstalten gruppenplural zusammengesetzt; an den meisten dieser "Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit", BVerfGE 83, 238 (333), ist der Staat ebenfalls beteiligt, vgl. § 65 1 Nr. 9, II Ba.-Wu. LMedienG; Art. 13 I Nr. 1-3, 6 BayMG; § 36 I Nr. 1 Buchst. g, h, Nr. 2 BremLMG; § 39 I 2 Nr. 1, 22 HPRG; § 30 I 2 Nr. 1, 2 NdsLaRuFuG; §55 II, III Nr. 10 LRG NW; § 45 I Nr. 1-3 Rh.-Pf. LRG; § 54 II Nr. 1, 2, 20 SaariRuFuG; § 42 II Nr. 13, V LRG S.-H.; § 39 I Nr. 7 RGMV; § 29 I 2 Nr. 1-3 SächsPRG; § 32 I 2 Nr. 1-3 PRO S.-A.; § 45 I 2 Nr. 19, S. 3 TPRG. 25 BVerfGE 73, 118 (190). 26 Vgl. BVerfGE 73, 118 (182 ff.). Diese nach Intensität und Zielrichtung der staatlichen Rundfunkbeteiligung abgestufte Sichtweise wird in BayVerfGH, N.F. 39, 96 (155 f.) grundsätzlich nachvollzogen. Am Beispiel des "Gemeinderundfunks" wird kommunaler Einfluß auf den Kernbereich der Programmgestaltung jedoch im Falle von Theater- und Orchesterauffilhrungen noch als zulässig erachtet. 27 Wenn auch eine sachliche Notwendigkeit ftlr diese Abweichung von den übrigen Landes-

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dings die Grenze zu einer Beherrschung des Rundfunks nicht überschritten werden. Diese soll etwa dann erreicht sein, wenn das Gesetz der staatlichen Behörde einen eigenen Bewertungsspielraum bei Zulassungs-, Ablehnungsund Widerrufsentscheidungen zubilligt28. e) Fünfte Rundfunkentscheidung (Baden-Württemberg) Die Fünfte Rundfunkentscheidung, ergangen als "Baden-Württemberg-Beschluß", begnügt sich mit einer knappen Wiederholung des Verlangens nach einer "Freiheit des Rundfunks von staatlicher Beherrschung und Einflußnahrne"29. Im Rahmen der nachfolgenden Ausftlhrungen, die im wesentlichen die Zulässigkeit öffentlich-rechtlich veranstalteter Lokalprogramme sowie ein Werbeverbot ftlr diese betreffen, wird der Grundsatz der Staatsfreiheit zwar nicht ausdrücklich benannt, gleichwohl aber inhaltlich beschrieben. Die Verfassungsgarantie der Rundfunkfreiheit halte den Gesetzgeber dazu an, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten diejenigen finanziellen Mittel zur VerfUgung zu stellen, die zur Wahrnehmung ihrer besonderen Funktionen30 erforderlich sind. Dabei sei der Gesetzgeber nicht gehindert, bestimmte Formen der Finanzierung zu bevorzugen, andere jedoch auszuschließen31. Keinesfalls aber dürfe durch Art und Umfang der Finanzierung Einfluß auf die Gestaltung oder den Inhalt von Programmen genommen werden, da auf diesem Wege die Rundfunkfreiheit unterlaufen würde32. Im Mittelpunkt dieser Erwägungen zur Einflußnahme auf den Rundfunk steht also abermals die Programmfreiheit als ein ebenso bedeutsamer wie empfindlicher Bereich des Rundfunkgrundrechts. Die in der Vierten Rundfunkentscheidung angeklungene Unterscheidung nach Schutzbereichen der Rundfunkfreiheit scheint damit bestätigt zu werden.

mediengesetzen nicht erkennbar ist, wie das Gericht anmerkt, vgl. BVerfDE 73, 118 (183). 28 Vgl. BVerfDE 73, 118 (182 ff.) in diesem Falls seien mittelbare oder unmittelbare Auswirkungen auf Programmfreiheit und -inhalt zu beftlrchten, die auf die behördlichen Erwägungen oder auch auf eine vorweggenommene "Selbstzensur" der ProgrammanbieteT zurückgehen, BVerfD, a.a.O., S. 183, 188. 29 BVerfDE 74, 297 (324); vgl. auch BVerfDE 73, 118 (152); ähnlich ungenau BayVGH, BayVBI. 1988,685 (686). 30 Gemeint ist insbesondere die Sicherstellung des Grundversorgungsauftrags; so auch die entsprechende Konkretisierung in BVertDE 83,238 (311). 31 Wie eben die streitgegenstllndliche Finanzierung aus Werbeeinnahmen. 32 Vgl. BVerfDE 74, 297 (342).

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f) Sechste Rundfunkentscheidung (Nordrhein-Westfalen) Die Sechste Rundfunkentscheidung, das "Nordrhein-Westfalen-Urteil", beleuchtet das rundfunkrechtliche Staatsfreiheitsgebot erstmals aus der Sicht der Frequenzzuteilung. Trotz fortbestehender Unklarheit in der Wahl der Worte deutet sich mit dieser Entscheidung eine weitere Festigung in der Verfassungsrechtsprechung an. Die "Staatsfreiheit", so heißt es im Nordrhein-WestfalenUrteil, beziehe sich auf die Funktion des Rundfunks als Medium und Faktor bei der Meinungsbildung33. Diese solle "unbeeinflußt vom Staat"34 ausgeübt werden. Der Staat sei indessen nicht gehindert, Rahmenbedingungen fiir die Erfiillung dieser Funktionen festzusetzen, ja er sei sogar dazu verpflichtet, die Rundfunkfreiheit gesetzlich auszugestalten und zu sichem35. Damit wird die Programmfreiheit des Rundfunks wiederholt als absolut "unantastbar" dargestellt, während im Organisationsbereich des Rundfunks Raum fiir staatliche Betätigung und Einflußnahme bis an die Grenze der Auslieferung reserviert ist36. Diese Einflußnahme schlage jedoch, wenngleich nur mittelbar, möglicherweise auf die Programmgestaltung durch und stelle auf diese Weise einen Verstoß gegen die Rundfunkverfassung dar, wenn - wie in Nordrhein-Westfalen - die Landesregierung nach ihrem Ermessen über die Zuteilung der technischen Übertragungsmöglichkeiten entscheide37. Dem Rundfunkgesetzgeber und nicht der Exekutive obliege die Schaffung einer dem Vorbehalt des Gesetzes genügenden allgemeinen "Festlegung der Kriterien, nach denen dann die konkreten Zuordnungsentscheidungen durch die Landesregierung oder die Landesanstalt fiir Rundfunk zu treffen sind"38. g) Siebte Rundfunkentscheidung (Hessen 3) Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in der Siebten Rundfunkentscheidung, dem "Hessen 3-Beschluß", ein weiteres Mal mit der Werbung3 9 - nun-

33 Vgl. BVertGE 83, 238

(296, 322).

34 BVertGE 83, 238 (322). 35 Vgl. BVertGE 83, 238 (322 f.) unter Bezugnahme aufBVertGE 57, 295 (320). 36 Wörtlich heißt es in BVertGE 83, 238 (296): "Daneben bedarf es jedoch einer positiven Ordnung, die sicherstellt, daß der Rundfunk ebensowenig wie dem Staat einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird". 37 Vgl. BVertGE 83, 238 (322 ff.). 38 BVertGE 83, 238 (324). 39 Im Baden-Württemberg-Beschluß war es unter anderem um gesetzliche Werbeverbote in

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mehr in Dritten Fernsehprogrammen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - zu befassen. Obwohl sich bei der bedeutsamen Fragestellung nach der Erfilllung der "fmanziellen Gewährleistungspflicht"40 durch den Gesetzgeber das Problem staatlicher Einflußnahme geradezu aufdrängt, bescheidet sich das Bundesverfassungsgericht hier zunächst mit dem Hinweis, die Rundfunkfreiheit erschöpfe sich bei ihrem Dienst filr die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung nicht nur in der "Abwehr staatlicher Einflußnahme", sondern bedürfe darüber hinaus einer gesetzgeberischen Ausgestaltung41 . Der Gedanke einer -je nach den innerhalb der Rundfunkfreiheit betroffenen Schutzbereichen - unterschiedlich hohen Grenzziehung für die staatliche Einflußnahme, der sich bereits vorher abzuzeichnen begann, wird sodann indirekt weiterverfolgt "Im Zentrum der Freiheitsgarantie steht die Programmautonomie. Sie richtet sich gegenjede Indienstnahme des Rundfunks für außerpublizistische Zwecke"42 . h) Achte Rundfunkentscheidung (Rundfunkgebühren) Das "Rundfunkgebühren-Urteil" bildet die Achte Rundfunkentscheidung und hat das öffentlich-rechtliche Gebührenfestsetzungsverfahren zum Gegenstand. Hier tritt am deutlichsten das Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zur Funktionsgewährleistung43 einerseits und dem Verbot staatlicher Einflußnahme andererseits zutage44. Da der Staat also unverzichtbarer Garant45 der Rundfunkfreiheit sei, gleichzeitig aber eine "Gefahrenquelle"46 filr diese darstelle, bestehe in jedem Fall ein verfassungsrechtliches Beherrschungsverbot filr dessen Rolle bei der Rund-

öffentlich-rechtlichen Lokalprogrammen gegangen, vgl. BVerfGE 74, 297 (341 ff.). 40 BVerfGE 87, 181 (200). 41 BVerfGE 87, 181 (197 f.). 42 BVerfGE 87, 181 (201). 43 "Das Erfordernis funktionsgerechter Finanzierung", BVerfG, ZUM 1994, 173 (181). 44 "Gerade wegen der Abhängigkeit der grundrechtlich den Rundfunkanstalten zugewiesenen Programmgestaltung von der staatlichen Finanzausstattung sind Finanzierungsentscheidungen, namentlich die Festsetzung der Rundfunkgebühr als vorrangiger Einnahmequelle der Rundfunkanstalten, ein besonders wirksames Mittel zur indirekten Einflußnahme auf die Erftlllung des Rundfunkauftrags", BVerfG, ZUM 1994, 173 (182). 45 BVerfG, ZUM 1994, 173 (180, 182). 46 BVerfG, ZUM 1994, 173 (180).

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funkveranstaltungdurch Dritte, so das Bundesverfassungsgerichr47. Dies gelte sowohl fiir die unmittelbare als auch fiir die mittelbare Einflußnahme. Besonders geschützt sei die Programmveranstaltung, denn Rundfunkfreiheit sei "vor allem Programmfreiheit"48 . So müsse der Gesetzgeber bei seiner Gebührenentscheidung von Verfassungs wegen den Grundsatz der "Programmneutralität" beachten; er sei deshalb formal durch die Mitwirkung der Rundfunkanstalten und durch einen Begründungszwang sowie materiell-rechtlich durch das Normziel der Rundfunkfreiheit gebunden49. Mit diesen Feststellungen bestätigt die Achte Rundfunkentscheidung im Ergebnis die in den vorangegangenen Entscheidungen entwickelten Grundsätze. Wenn die Karlsruher Richter weiter feststellen, in dem Beherrschungsverbot erschöpfe sich die Garantie der Rundfunkfreiheit gegenüber dem Staat nicht, der Rundfunk müsse vielmehr auch "politikfrei" bleibenSO, so erscheint dies indessen nur auf den ersten Blick als Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung zur Staatsfreiheit des Rundfunks. Denn die Politikfreiheit wird in den weiteren Ausruhrungen des Verfassungsgerichts ausschließlich im Zusammenhang mit der Einflußnahme staatlicher Organe und Repräsentanten erwähnt und so inhaltlich mit der Staatsfreiheit gleichgesetzt. 3. Adressatenkreis Geradliniger als bei der Inhaltsbestimmung verhält sich das Bundesverfassungsgericht bei der Bestimmung der Adressaten, an die das Staatsfreiheitsgebot gerichtet ist. Soweit sie mit dem jeweils zu entscheidenden Sachverhalt in Beziehung stehen, finden diejenigen staatlichen Organe und Funktionsträger ausdrückliche Erwähnung in der Rundfunkrechtsprechung, denen eine anteilige Wahrnehmung der Rundfunkaufgabe nach den eben genannten Vorgaben nur beschränkt gestattet oder aber gänzlich verwehrt ist.

47 BVerfG, ZUM

1994, 173 (180).

48 BVerfG, ZUM 1994, 173 (180). 49 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (184 f .). 50 BVerfG, ZUM 1994, 173 (180, 184 f.).

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a) Legislative In zweifacher Hinsicht sind die Gesetzgebungskörperschaften der Länder und ihre Unterorgane benannt5 1: Gewarnt vor zu großer Nähe zum Rundfunk und ermahnt zur positiven Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit, ist die Legislative von Verfassungs wegen berufen, Organisation und Funktion des Rundfunks sicherzustellen52, ohne - mittelbar oder unmittelbar - auf den Programrobereich Einfluß zu nehmen53.

51 Vgl. BVertGE 83, 238 (323 f., 336); E 73, 118 (182); vgl. auch OVG Lüneburg, DÖV 1979, 170 (170). 52 Dafilr ist zunächst eine "Entscheidung Ober die Grundlinien der Rundfunkordnung", etwa im Sinne des bestehenden dualen Ordnungsmodells, erforderlich. Sodann hat der Gesetzgeber "Leitgrundsätze verbindlich zu machen, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten", BVertGE 73, 118 (153); E 57, 295 (324 ff.). Zudem ist, jedenfalls ftlr den öffentlich-rechtlichen Bereich, die Finanzierung des Rundfunks gesetzlich sicherzustellen - ob auch die Finanzierung des privaten Rundfunks einer gesetzlichen Regelung bedarf, ist vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offengelassen (BVertGE 73, 118 [154]; E 57, 295 [324]) und bislang noch nicht wieder aufgegriffen worden. Schließlich muß der Gesetzgeber eine "beschränkte Staatsaufsicht" Ober die Rundfunkveranstalter vorsehen, vgl. BVertGE 73, 118 (153); E 57, 295 (326), andernorts als "beschränkte staatliche Rechtsaufsicht" bezeichnet, BVertGE 12, 205 (261). Diesem Gebot, die Aufsicht des Staates Ober offensichtliche Rechtsverstöße bei der Rundfunkveranstaltung sicherzustellen, ist in der Mehrzahl der Rundfunkgesetze und Staatsverträge Folge geleistet worden, vgl. ftlr den öffentlich-rechtlichen Rundfunk § 37 NDR-StV; § 26 RBG; § 34 SaariRuFuG; § 53 WDR-Gesetz; § 37 MDR-StV; § 49 ORB-Gesetz und ftlr den privaten Rundfunk § 19 StV-BB; § 71 Ba.-WO. LMedienG; Art. 19 BayMG; § 42 BremLMG; § 62 HmbMedienG; § 49 HPRG; § 49 NdsLaRuFuG; § 66 LRG NW; §53 Rh.-Pf. LRG; §59 SaariRuFuG; § 21 I SWF-StV; §57 LRG S.-H.; § 38 I 2 RGMV; § 36 SächsPRG; § 50 PRG S.-A.; § 55 TPRG. Ausnahmen bilden § I I 2 HessRuFuG (Ausschluß der Staatsaufsicht); Art. 13 111 BayRG (Beschränkung auf Finanzaufsicht, vgl. jedoch BayVGH, BayVBI. 1964, 332 [332 f.] und zur Untersagung einer Beteiligung des Bayerischen Rundfunks an dem ehemaligen ARD-Satellitenfemsehprogramm "Eins plus" durch das Bayerische Staatsministerium ftlr Unterricht und Kultus im Wege des Staatsaufsicht BayVGH, BayVBI. 1986, 339 ff. sowie das Ausgangsverfahren vor dem VG München, BayVBI. 1986, 346 ff.); § 13a SFBSatzung iVm § 2 SFB-Gesetz (ebenfalls nur auf Haushalts- und Wirtschaftsftlhrung beschränkt, vgl. aber OVG Berlin, DVBI. 1969, 881 [881 f.]); gänzlich ohne Regelung der staatlichen Aufsicht bleiben die Bestimmungen Ober den SDR. 53 Etwa durch eine Gefllhrdung der Finanzgarantie öffentlich-rechtlicher Programme, vgl. BVertGE 87, 181 (198, 200); E 74, 297 (342); als "goldener Zügel" wird diese Garantie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, BayVBI. 1988, 685 (688) angesehen; dagegen Bethge, NJW 1990, 2451 f.; ders., Grundprobleme einer Spaltung der Rundfunkgebühr, S. 36; zur Unzulässigkeil von Verboten bestimmter Programme BVertGE 74, 297 (331 ff., 345); vgl. auch BVertGE 88, 25 (35 f.); 83, 238 (322 f.) zur möglichen Einflußnahme des Gesetzgebers im Wege der Zuordnung von Übertragungskapazitäten sowie BVertGE 20, 56 (99).

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b) Exekutive Das Bundesverfassungsgericht zählt auch die vollziehende Gewalt zum Adressatenkreis des Grundsatzes der Staatsfreiheit des Rundfunks. Der Exekutive, heißt es in der Niedersachsen-Entscheidung, sei ebenso wie dem Gesetzgeber jegliche Einflußnahme auf den Rundfunk versagt, es sei denn, diese Einflußnahme diene der Sicherung der Rundfunkfreiheit oder sei als Grundrechtsschranke nach Art. 5 II GG gerechtfertigt54_ Mit einigen Rechtspersönlichkeiten, Organen und Funktionsträgem der Verwaltung, auf deren Rundfunkbeteiligung es in den zu entscheidenden Sachverhalten ankam, hat sich das Gericht im einzelnen beschäftigt. aa) Landesregierungen In der Mehrzahl der Rundfunkgesetze und Staatsverträge sind die Regierungen der Länder als staatliche Aufsichtsbehörden eingesetzt worden 55. Als solche haben sie die Aufgabe, die Aufsicht der Rundfunkräte und Medienanstalten über die öffentlich-rechtliche und private Rundfunkveranstaltung zu überwachen. Diese Zuständigkeit bewirkt fiir sich genommen noch keinen Verstoß gegen die gebotene Staatsfreiheit des Rundfunks. Denn auch fiir den Rundfunk gilt, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht ohne jegliche Rechtsaufsicht bleiben dürfen; andernfalls wäre zu besorgen, daß sich möglicherweise ein "Staat im Staate" bildet 56_ Den Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten der Regierungen werden durch das Gebot der Staatsfreiheit freilich enge Grenzen gezogen. Das Bundesverfas-

54 Vgl. BVerfGE 73, 118 (182); ebenso bereits BVerfGE 20, 56 (99). 55 Womit die Landesgesetzgeber einer verfassungsrechtlichen Vorgabe gefolgt sind, dazu näher oben Fn. 51 sowieRudoif,ZRP 1977, 213 (214 ff.). 56 Vgl. Rudoif, ZRP 1977, 213 (215); Herrmann, AöR, 90. Band [1965], S. 286 (309); nach aneler.:r Auffassung dürfen Rundfunkanstalten aufgrund ihrer besonderen Stellung im Dienste der Meinungsfreiheit nicht wie andere Selbstverwaltungsträger angesehen werden, die gleichwohl notwendige staatliche Rechtsaufsicht sei daher aus einem anderen Grundsatz, nämlich aus dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit selbst abzuleiten, so etwa Berendes, DÖV 1975, 413 (415 f.). Diese Meinungsverschiedenheit braucht hier nicht aufgelöst zu werden, da sie im Ergebnis jedenfalls auf die Zulässigkeit und Notwendigkeit staatlicher Rechtsaufsicht hinausläuft, vgl. auch Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 43. Es sei jedoch klargestellt, daß hier in keinem Fall der Eingliederung des Rundfunks in die mittelbare Staatsverwaltung das Wort geredet werden soll.

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sungsgericht bezeichnet ihre Funktionen als "begrenzte Staatsaufsicht"57 und "beschränkte staatliche Rechtsaufsicht"58. Diese Maßgaben bedeuten, daß keinerlei staatliche Einflußnahme im Wege der Fachaufsicht erfolgen darf59. Überdies beschränkt sich die zulässige und gebotene Rechtsaufsicht auf eine subsidiäre Evidenzkontrolle6°. Die Staatsaufsicht darf also nur dann eingreifen, wenn die Veranstalteraufsicht nicht tätig geworden ist und dann auch nur im Falle offensichtlicher Rechtsverstöße. Es muß sichergestellt sein, daß kein Raum filr eigene Zweckmäßigkeitserwägungen oder gar Wertungen bei den Regierungen verbleibt. Außerhalb dieser Aufsichtsfunktion unterliegen die Regierungen und ihre Mitglieder denselben rundfunkrechtlichen Beschränkungen wie andere Staatsorgane auch61. bb) Landesmedienanstalten Alle Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Zulassung und der Kontrolle privater Rundfunkveranstalter stehen, sind den "vom Staat unabhängigen 'Anstalten'"62 übertragen worden, die eine rechtlich verselbständigte Organisationseinheit darstellen63 . Ihre Funktion ist vergleichbar mit derjenigen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkräte, wenngleich die Landesmedienanstalten mit einem insgesamt geringeren Kompetenzrahmen ausgestattet sind64 .

BVerfGE 73, 118 (153); E 57, 295 (326). BVerfGE 12, 205 (261). 59 Weil durch eine solche in die Rundfunkfreiheit eingegriffen wurde, vgl. dazu BVerwGE 54, 29 (36) sowie Wendt, in: v. MUnch!Kunig, Grundgesetz, Band I , Art. 5, Rn. 55 ; Bethge, Rundfunkfreiheil und privater Rundfunk, S. 57; Mal/mann, Rechtsaufsicht Ober das ZDF, S. 97. Für Rundfunkanstalten des Bundesrechts ist dies ausdrUcklieh in § 21 DW/DLF-Gesetz geregelt. Die oft generalklauselartig formulierten Programmgrundsätze begünstigen indessen die Gefahr, daß die Rechts- in eine Fachaufsicht umschlägt, dazu A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 171; ders., DÖV 1986, 177 (187); Mal/mann, a.a.O., S. 100 f. 60 Vgl. Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 43; Lerche, Landesbericht, S. 15 (99); Rudolj, ZRP 1977, 213 (215); Berendes, DÖV 1975,413 (419 ff.). 61 Das findet seinen Ausdruck z.B. in einer Begrenzung der Höchstzahl von Regierungsmitgliedern in den Rundfunkräten, dazu OVG LUneburg, DÖV 1979, 170 ff.; VG Hamburg, DVBI. 1980, 491 (492). 62 BVerfGE 73, 118 (182), einfache Anfilhrungszeichen im Original. 63 Vgl. BVerfGE 73, 118 (164 f.). 64 Dies ist eine Folge aus der Vierten Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der private Veranstalter, anders als die grundversorgungsverpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, nur einem Grundstandard in bezug auf Meinungsvielfalt und Breite des Programmangebotsgenügen müssen, vgl. BVerfGE 73, 118 (160). Die externe Kontrolle des privaten Rundfunks ist daher auch einfachgesetzlich weniger streng ausgeprägt worden als die interne 57

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Dieses Konzept externer Kontrolle durch ein unter dem Einfluß der maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte und Richtungen stehendes Organ verletzt nach der Rechtsprechung nicht den Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks65. cc) Sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts Unter dem Gesichtspunkt der Erlaubniserteilung zur Veranstaltung privater Rundfunkprogramme stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß eine solche Erlaubnis regelmäßig nur juristischen Personen des Privatrechts erteilt werden dürfe. Eine Konsequenz aus der Staatsfreiheit des Rundfunks sei der grundsätzliche Ausschluß von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Ausnahmen seien nur filr diejenigen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zulässig, die selbst frei von staatlichem Einfluß sind und denen eigene Rechte gegenüber dem Staat zustehen66. a.) Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften

Als Beispiel filr diese rechtliche Selbständigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts gegenüber dem Staat werden in der Verfassungsrechtsprechung die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften genannt; ob eine Ausnahme auch zugunsten ähnlicher Einrichtungen geboten sei, müsse jedoch einer Prüfung im konkreten Einzelfall vorbehalten bleiben67.

ß) Gemeinden Keine Ausnahme sei dagegen fiir kommunale Gebietskörperschaften zu machen, denen zwar das Recht der Selbstverwaltung gewährleistet ist, die aber als Träger öffentlicher Gewalt selbst ein Stück "Staat" sind68.

Aufsicht der Rundfunkanstalten, dazu Martin, ZUM 1993, 515 (516 mit Fn. 13); Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 57; Ricker/Müller-Malm, Die Kompetenzen der Rundfunkräte, S. 14 ff; A. Hesse, DÖV 1986, 177 (186); Cromme, NJW 1985, 351 (355 ff.); s. auch oben 2. Teil I. Abschnitt A I I d, 2 b. 65 Vgl. BVerfGE 73, 118 (161, 164). 66 Vgl. BVerfGE 73, 118 (191); im Anschluß daran ebenso BayVerfGH, N.F. 39,96 (156). 67 Vgl. BVerfGE 73, 118 (191); ähnlich OVG LUneburg, DÖV 1979, 170 (172). 68 Vgl. BVerfGE 83,238 (330 ff.); E 73, 118 (191); auch nach BayVerfGH, N.F. 39, 96 (155) ist "Gemeinderundfunk" verfassungsrechtlich untersagt, denn trotz ihrer grundrechtsähnlichen Selbständigkeit gegenOber dem Staat, übten die kommunalen Gebietskörperschaften gegenOber

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y) Öffentlicher Dienst Aus denselben Erwägungen rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht den Ausschluß von Angehörigen des öffentlichen Dienstes69.

Ö) Rundfunkanstalten Schließlich müssen auch die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verkörpernden Anstalten ihrerseits organisatorisch und programmlieh dem Gebot der Staatsfreiheit genügen. Danach bestehen aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise keine Bedenken im Sinne einer staatlichen Beeinflussung des privaten Rundfunks, wenn sich öffentlich-rechtliche Anstalten, in deren Aufsichtsgremien ja auch Entsandte des Staates sitzen, an privaten Veranstaltergemeinschaften beteiligen70. c) Parteien Dem Gesetzgeber steht es von Verfassungs wegen frei, Parteien und ihren Vertretern in den Parlamenten den Zugang zum Rundfunk zu öffnen, solange die Grenze unzulässiger Beherrschung nicht überschritten wird. Den Parteien kommt jedoch kein einklagbares Recht auf eine solche anteilige Wahrnehmung des Rundfunkauftrags zu. Bei seinen Feststellungen unterscheidet das Bundesverfassungsgericht in dreierlei Hinsicht: Parteien allgemein, parlamentarische Mehrheitsfraktionen in den Gesetzgebungskörperschaften, Minderheitsfraktionen. Die Karlsruher Richter erkennen keinen verfassungsrechtlichen Anspruch der Parteien auf eine Beteiligung in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten schlechthin71 . Dabei hat sich das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht vom Gebot der Staatsfreiheit, sondern vom Verbot "anderweitiger einseitiger

dem Bürger "mittelbare Staatsverwaltung" aus; ebenso BayVertGH, N.F. 42, II (20). 69 Vgl. BVertGE 73, 118 (191). 70 Wie etwa der WDR in Nordrhein-Westfalen; zur verfassungsrechtlichen Zulllssigkeit dieser öffentlich-rechtlichen Privatfunkbeteiligung BVertGE 83, 238 (308); zu kartellrechtlichen Bedenken KG, ZUM 1992, 436 (440 ff.). 71 Vgl. BVertGE 60, 53 (62 ff.). Diese Entscheidung erging im Organstreitverfahren zum Antrag einer Partei auf Mitwirkung im Rundfunkrat einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt; die Rechtsprechung ist aufgrund der insoweit parallel gestalteten Aufsicht Ober den privaten Rundfunk zwanglos auch auf diesen übertragbar. 13 Wilhclmi

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Einflußnahme" leiten lassen72 : Gerade die "gezielte Beeinflussung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung" mache einen wesentlichen Teil der den politischen Parteien durch Art. 21 GG gestellten Aufgabe aus73. Deshalb unterschieden sich die Aufgaben der Parteien und die der Rundfunkräte nach Ziel und Zweck in grundsätzlicher Weise voneinander. Wenn es politischen Parteien und den von ihnen abhängigen Unternehmen einfachgesetzlich verwehrt werde, selbst Rundfunk zu veranstalten, so sei dies im Hinblick auf den "besonderen Status der Parteien" nicht zu beanstanden74. Das Bundesverfassungsgericht sieht erst dann Anlaß, die politischen Parteien als Adressaten des Staatsfreiheitsgebots unmittelbar anzusprechen, wenn diese tatsächlich in den Landtagen und Bürgerschaften vertreten sind75. Dabei befmde sich insbesondere die regelmäßig die Regierung bildende Mehrheitsfraktion in unmittelbare Nähe des Staates - ihr Einfluß sei nahezu identisch mit dem des Staates, wird in der Vierten Rundfunkentscheidung festgestellt76. Da jedoch selbst der Landesregierung als Verkörperung ausschließlicher staatlicher Gewaltzuständigkeit von den Rundfunkgesetzgebern in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein angemessener Anteil an der Rundfunkaufsicht zugestanden wird77, sei auch gegen die Beteiligung regierungsbildender Mehrheitsfraktionen nichts zu erinnern78.

72 BVerfGE 60, 53 (64), obwohl die Parteien notwendig in einem Näheverhältnis zur Staatsgewalt stehen, indem sie die "wichtigste Verbindung zwischen dem Volk und den politischen Führungsorganen des Staates" darstellen, insbesondere dann, wenn sie die Parlamentsmehrheit bilden, vgl. BVerfG, a.a.O., S. 66 f. Daraus läßt sich ableiten, daß die Parteien in der Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts zwar einen "besonderen Status" (BVerfGE 73, 118 (190]) innehaben, nicht aber dem Staate zugerechnet werden. 73 BVerfGE 60, 53 (67). 74 BVerfGE 73, 118 (190). 75 Das gibt ihnen in der Mehrzahl der Bundesländer das einfachgesetzliche Recht zur Entsendung von Mitgliedern in die Aufsichtsgremien des Rundfunks, vgl. Art. 6 111 Nr. 2 BayRG; § 5 II Nr. 12 HessRuFuG; § 17 12 Nr. I NDR-StV; §§ 81 Nr. 26, 911 RBG; § 161 Nr. 2 SaarlRuFuG; § 6 111 Nr. I SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz; § 4 II Nr. 22 SDR-Satzung iVm § 3 I SDRGesetz; § 15 II WDR-Gesetz; § 191 Nr. 2 MDR-StV; § 161, 111 ORB-Gesetz sowie§ 11 StV-BB; § 65 II LMedienG Ba.-Wü.; Art. 13 I Nr. 2 BayMG; § 36 I Nr. 2 BremLMG; § 55 111, IV HmbMedienG; § 39 I 2 Nr. 22 HPRG; § 30 I 2 Nr. I, 2 NdsLaRuFuG; § 55 II LRG NW; § 45 I Nr.l Rh.-Pf. LRG; § 54 II Nr. 2 SaariRuFuG; § 42 111, V LRG S.-H.; § 39 II RGMV; § 29 I 2 Nr. 2, 3 SächsPRG; § 32 I 2 Nr. 2, 3 PRG S.-A.; § 45 I 3 TPRG.

76 Vgl. BVerfGE

73, 118 (165).

77 Vgl. Art. 6 111 Nr. 1 BayRG; § 5 II Nr. 1 HessRuFuG; § 16 I Nr. I SaariRuFuG; §§ 10 II; 11 I Nr. 1 SWF-StV; § 19 I Nr. 1 MDR-StV sowie Art. 13 I Nr. 1 BayMG; § 39 I 2 Nr. I HPRG; § 45 I Nr. 2 Rh.-Pf. LRG; § 54 II Nr. 1 SaariRuFuG; § 29 I 2 Nr. I SächsPRG; § 32 I 2 Nr. 1 PRG S.A.; § 4512 Nr. 19 TPRG. 78 Vgl. BVerfGE 73, 118 (165).

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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In konsequenter Fortfilhrung dieser Feststellungen muß das erst recht filr diejenigen Minderheitsfraktionen gelten, die nicht in der Regierung, sondern in der parlamentarischen Opposition stehen. Über deren Verhältnis zum Staate, hatten die Karlsruher Richtern jedoch bislang nicht zu entscheiden. d) Gerichte Zwar erwähnt die Verfassungsrechtsprechung die von den Gerichten verkörperte rechtsprechende Gewalt des Staates nicht ausdrücklich. Daß diese nicht vor dem Gebot des Staatsfreiheit des Rundfunks haltmachen darf, liegt jedoch auf der Hand. Die Richter sind unabhängig und nur den Gesetzen unterworfen79. Sie sorgen dafilr, daß die dargelegten Grundsätze der Staatsfreiheit des Rundfunks eingehalten werden und tragen auf diese Weise zur Sicherung der Rundfunkfreiheit bei. Ohne die Rechtsprechung durch die zuständigen Gerichte würde der grundgesetzliche Auftrag zur Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit leerlaufen, weil Streitfälle über Umfang und Inhalt des Ausgestaltungsauftrags ungeklärt blieben80. Insofern ist eine- auch vom Gebot der Staatsfreiheit - unabhängige Rechtsprechung Voraussetzung und gleichzeitig Vollendung der Grundrechtskonzeption einer "dienenden" Rundfunkfreiheit

79 Vgl. Art. 97 I GG, der dem Schutz der rechtsprechenden Gewalt vor Eingriffen durch Legislative und Exektive dient (BVerfGE 15, 298 [302]; E 12, 67 [71]) sowie Art. 92, 97 II GG; § I GVG; § 25 DRiG. A.A. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 112, da diese Verfassungsbestimmungen nicht dem Demokratieprinzip entsprächen und zudem keine Grundrechte gewährleisteten; Eingriffe der rechtsprechenden Gewalt in den Meinungs- und Willensbildungsprozeß des Volkes seien allerdings im Hinblick auf Art. 92, 97 GG "verfassungsgsrechtlich gerechtfertigt". Nach hier vertretener Auffassung wird diese Abschiebung in die grundrechtliche Schrankensystematik dem Problem indessen nicht gerecht. Denn zuallererst ist bei Anwendung des Art. 5 I 2 GG seine einfachgesetzliche Ausgestaltung zu erforschen und gegebenenfalls gerichtlich zu klären, erst danach kann es eine Beurteilung auf der Eingriffsebene des Art. 5 II GG geben, dazu ausftlhrlich Ruck, AöR, I 17. Band [1992), S. 543 ff. Im Ubrigen ist nicht recht ersichtlich, warum nur Träger von Grundrechten genugend Eigenständigkeil gegenober dem Staat genießen, während "einfache" Verfassungsgewährleistungen daftlr nicht ausreichen sollen; Jarass, Oie Freiheit der Rundfunkanstalten vom Staat, S. 41 beispielsweise sieht die Gerichte aufgrund Art. 92 GG problemlos als "selbständige Einflußinstanzen" an; ähnlich Thieme, Rundfunkfinanzierung im Bundesstaat, S. 3 I. 80 Zu der damit angesprochenen Konkretisierungsaufgabe, die im Überschneidungsbereich von legislativer Gestaltungsfreiheit einerseits und judizieller Interpretationsbefugnis andererseits angesiedelt ist Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und RechnungsprUfung, S. 37 f., der darauf hinweist, daß es ein strenges "Entweder-Oder" zwischen beiden Kompetenzträgem zwar nicht gebe, die gerichtliche Letztentscheidungsbefugnis jedoch auf einen "judicial restraint" hinauslaufe; dazu eingehend auch Stock, Meinungsfreiheit als Funktionsgrundrecht, S. 364; Bethge, Föderaler Rundfunkfinanzausgleich, S. 29 f. ; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, s. 269 ff. 13*

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e) Landesrechnungshöfe Die Landesrechnungshöfe werden vom Bundesverfassungsgericht nicht dem staatlichen Einflußbereich zugerechnet. In der jüngsten Rundfunkentscheidung heißt es, die Mitglieder der Landesrechungshöfe seien "wegen ihrer Unabhängigkeit von Parlament und Regierung" geeignet, fachliche Kontrollaufgaben im Verfahren der Rundfunkgebührenfestsetzung zu übemehmen 81 . Als Mitglieder eines sachverständigen Gremiums, könnten sie in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise den von den Rundfunkanstalten angemeldeten Finanzbedarf überprüfen. II. Die Literatur zum Gebot der Staatsfreiheit Die Auffassungen in der Literatur über den Ursprung sowie über Inhalt und Grenzen des Staatsfreiheitsgebots sind nicht immer einheitlich. Auch die Frage, wer dem Staat oder einem Teil von diesem zuzurechnen ist und deshalb kraft Verfassungsgebotes von der Wahrnehmung der Rundfunkaufgabe ausgeschlossen ist, wird teilweise unterschiedlich beantwortet. Eine kurze Darstellung der maßgeblichen Standorte soll an dieser Stelle der Ergänzung der gerichtlichen Vorgaben zum Problemkreis "Rundfunk und Staat" dienen. Anhand der so aus Rechtsprechung und Literatur ermittelten allgemeinen Vorgaben werden nachfolgend die Besonderheiten der ostdeutschen Rechtslage untersucht. I . Herleitung Das Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks wird in der Literatur ebenfalls als ein Grundsatz von Verfassungsrang angesehen 82.

81 Vgl. BVerfG, ZUM 1994, 173 (185). Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 112 zweifelt die staatliche Unabhängigkeit der Landesrechnungshöfe ebenso wie die der Gerichte an; ähnlich Kresse/Kennel, ZUM 1994, 159 (163). Dem ist wiederum entgegenzuhalten, daß die grundgesetzlich gewährte Unabhängigkeit der Rechungshofrnitglieder (vgl. Art. 114 II I GG ftlr den Bundesrechnungshof sowie die Landesrechnungshofgesetze der Länder, dazu K. Grupp, Die Stellung der Rechnungshöfe in der Bundesrepublik Deutschland, S. 92) auch und gerade gegenüber dem Staat und seinen Organen wirkt, vgl. im einzelnen K. Grupp, Die Stellung der Rechnungshöfe in der Bundesrepublik Deutschland, S. 99 f.; Sigg, Die Stellung der Rechnungshöfe im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 57 f., 72 ff. 82 Vgl. statt aller nur Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 10, dort Fn. 66 sowie Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. II, dort Fn. 4,jeweils m.w.N.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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Die einzelnen Ansätze zu seiner Herleitung gehen überwiegend vom verfassungsrechtlichen Vielfaltsgebot aus. Dabei wird die beherrschende Einflußnahme des Staates auf den Rundfunk im Rahmen des ungehinderten Kommunikationsprozesses als genauso vielfaltsfeindlich empfunden wie der von einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe ausgeübte Einfluß. In beiden Fällen einseitiger Einflußnahme sei die Funktion des Rundfunks als Medium und Faktor im Dienste der freien Meinungsbildung gefährdet83. Neben dem aus Art. 5 I 2 GG entnommenen Vielfaltsgedanken wird auch auf andere Verfassungsnormen hingewiesen, die ebenfalls das Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks stützen84. So setze das Demokratieprinzip des Art. 20 GG das Vorhandensein einer frei gebildeten öffentlichen Meinung voraus, in welcher sich auch ungehindert Kritik an staatlichen Organen formulieren kann. Dazu könne der Rundfunk indessen nur dann beitragen, wenn er von diesen Organen nicht abhängig ist85. Als weitere Grundlage der Staatsfreiheit wird das verfassungsrechtliche Gewaltenteilungsgebot in seiner Ausprägung als System der "checks and balances" zwischen der regierenden Mehrheit und der opponierenden Minderheit eines Parlaments benannt86. Sowohl Regierung als auch Opposition seien darauf angewiesen, zur Erfüllung ihres jeweiligen Auftrags in einer parlamentarischen Demokratie die Öffentlichkeit zu erreichen. Nehme jedoch der Einfluß einer Seite oder gar des gesamten Parlaments auf

83 Vgl. Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 10; Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 41 f.; Schmitt Glaeser, AöR, 112. Band [1987], S. 215 (242 ff.); Stock, Medienfreiheit als Funktionsgrundrecht, S. 335, 365 f. spricht von einer "Rundumwirkung" des Staatsfreiheitsgebots; Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und Rechnungsprüfung, S. 34; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 30; ders., Die Freiheit der Massenmedien, S. 190, 193; Hoffmann-Riem, Rundfunkfreiheit durch Rundfunkorganisation, S. 16 formuliert: "Ein (staats-) freier Rundfunk gilt als Garant einer nicht manipulierten Meinungsbildung der Bürger" (Klammersetzung im Original); ders., Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 133; Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 19 f.; H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 52; Stern/Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 47. 84 Vgl. Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 16. 85 Vgl. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 58 ff.; Eberle, Rundfunkübertragung, S. 95; H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 52 f.; Linck, NJW 1984, 2433 (2436 f.); Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 62 ff.; Lücke, DVBI. 1977, 977 (977, dort Fn. 9 ff.); Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 243 f., 246 ff; Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsproblem, S. 17 ff. ; rkrs., ZRP 1970, 217 (219); Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 95. 86 Dieses System gegenseitiger Kontrolle und Kritik zum Ausgleich zwischen den im Staate wirksamen politischen Kräften hat als "process of trial and error" Eingang in die Verfassungsrechtsprechung gefunden, vgl. BVertUE 5, 85 (135).

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

den Rundfunk überhand, dann sei das Kommunikationsmittel dem "Staat" ausgeliefert87. Schließlich findet sich im Schrifttum, ebenso wie in der Rundfunkrechtsprechung, eine geschichtliche Bezugnahme auf den "Staatsrundfunk der nationalsozialistischen Epoche"88.

2. Inhalt und Grenzen Die begrifflichen Umwege und Unklarheiten der Verfassungsrechtsprechung89 bei der Entwicklung des Staatsfreiheitsgrundsatzes sind in der Literatur zuweilen mit Irritation aufgenommen worden90. Inhaltlich wird in den Stellungnahmen eine dreigeteilte Betrachtungsweise zugrunde legt. a) Verbot staatlicher Beherrschung des Programmbereichs Einerseits wird verlangt, den Staat nicht ganz und gar vom Rundfunk auszuschließen, ihm also grundsätzlich die Einflußnahme zu gestatten. Eine derartige

87 Lerche, Landesbericht, S. 15 (77); Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 65; Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 71. 88 Vgl. Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 316; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 144; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. II; H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 52; Herrmann, Fernsehen und Hörfunk, S. 249; Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 67 ff.; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 35 ff.; Wufka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 94; Ossenbühl, DöV

1977' 381 (389). 89 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A I 2, 4.

90 Mal/mann, Rechtsaufsicht über das ZDF, S. 65 f. empfiehlt, die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts, die "nicht überbewertet" werden dUrften, "nicht allzu wörtlich" zu nehmen -die vom Gericht bezogene Position sei "trotz gelegentlichen 'verbalen' Abweichungen" (einfache Anftlhrungszeichen im Original) hinreichend erkennbar; im Anschluß daran Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 35 f., 41 ; kritischer Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und RechnungsprUfung, S. 34 ff.; zweifelnd auch Kewenig, Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 35. Im übrigen finden sich zahlreiche Vorschläge filr eine Umformulierung des hier in Rede stehenden Grundsatzes: "Staatsferne", Stock, Meinungsfreiheit als Funktionsgrundrecht, S. 365; ebenso Rossen, ZUM 1992, 408 (409); Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 32; "Staatliches Funktionsverbot", H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 51; "Staatsdistanzierter Rundfunk", Stern/ Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 65; ebenso Ossenbühl, a.a.O., S. 37; in BayVeriDH, N.F. 42, 11 (18) wird vorgeschlagen, den nicht ganz präzisen Begriff der "Staatsfreiheit" durch "Staatsunabhängigkeit" oder "Verbot der Statsnähe" zu ersetzen; nach Mal/mann, a.a.O., S. 76 sollte von der mißverständlichen Vokabel überhaupt nur vorsichtig Gebrauch gemacht werden.

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Einflußnahme dürfe jedoch nicht zu einer Beherrschung und damit zu einer Auslieferung des Rundfunks an den Staat filhren. Dies soll gleichermaßen filr den rundfunkrechtlichen Organisationsbereich wie auch filr den redaktionellen Programmbereich gelten91. b) Verbot staatlicher Einflußnahme auf den Programmbereich Die am häufigsten vertretene Auffassung läßt ebenfalls ein Auslieferungsund Beherrschungsverbot ausreichen, um dem Verfassungsgebot der Staatsfreiheit Genüge zu tun, bezieht dies jedoch nur auf den Organisations- und Verwaltungsbereich des Rundfunks. Die Programmveranstaltung solle dagegen frei von jeder mittelbaren und unmittelbaren Einflußnahme bleiben92. c) Verbot staatlicher Einflußnahme überhaupt Eine dritte Meinung wendet sich sowohl gegen eine alleinige Beherrschung als auch gegen eine bloß anteilige Einflußnahme des Staates auf den Rundfunk schlechthin und ruckt damit in die Nähe eines völligen Einmischungsverbots93.

91 Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 42 f. beschreibt den Grundsatz der Staatsfreiheit als "programm-akzessorisch"; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 31 ff. erkennt lediglich ein Verbot der staatlichen "Dominanz" von Programminhalten und unterscheidet sodann nach Intensität des staatlichen Eingriffs in das Programm sowie nach der betroffenen Sendekategorie; ders. Die Freiheit der Massenmedien, S. 206 ff., 219 ff.; zur staatlichen Rundfunkaufsicht auch im Programmbereich Rudolj, ZRP 1977,213 (215); Berendes, Staatsaufsicht ober den Rundfunk, S. 110; ders., DÖV 1975,413 (418 f.). 92 Vg1. Rossen, ZUM 1992, 408 (410); Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 12; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 145; Bethge, NJW 1990, 2451 (2452); ders., ZUM 1989, 209 (210); ders., Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 17 f.; A. Hesse, Rundfunkfreiheit, S. 56; Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 31 f., 70, 96; Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und Rechnungsprufung, S. 37; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 65 f.; H. Klein, Die Rundfunkfreiheit, S. 52 f.; wohl auch Lerche, Landesbericht, S. 15 (75), der betont, daß das Bundesverfassungsgericht selbst seine Forderung nach absoluter Staatsfreiheit des Rundfunks - hinsichtlich der Parlamentsmitglieder in den Aufsichtsgremien -zum Teil wieder aufhebt. 93 Dabei finden sichjedoch wiederum Abstufungen: Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 95 f. hält bereits die "organwillensbeeinflussende Repräsentation" des Staates ftlr verfassungsrechtlich unzulässig; ähnlich Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsproblem, S. 42; ders., ZRP 1970, 217 (219); ebenso schon Krause-Ablaß, JZ 1962, 158 (160); nach Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 89 ist "der Anwendungsbereich des Gebotes der Staatsfreiheit ... weiter als der des Grundsatzes der Programmfreiheit", daher sei es präziser, den Schutzbereich "auf den gesamten publizistischen Wirkungskreis (Programmfreiheit im weiteren Sinne)" auszudehnen, Klammersetzung im Original, vgl. auch S. 193; ähnlich Eberle, RundfunkUbertragung, S. 95 ff., jedoch beschränkt auf den Bereich staatlicher Frequenzorganisation, innerhalb dessen

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3. Adressatenkreis Der vom Bundesverfassungsgericht gezogene Kreis der Adressaten, an die das Gebot der Staatsfreiheit gerichtet ist, wird im Schrifttum teils erweitert und teils verengt. a) Einzelbeschreibung Dabei kommen auch solche Einzeltalle zur Sprache, zu deren Behandlung in den Entscheidungen des Bundesverfassunsgerichts kein Anlaß bestand94. aa) Parlament, Regierung und Opposition Die Gesetzgebung und die vollziehende Gewalt mit der Regierung an der Spitze verkörpern einen Teil der Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II 2 GG95. Daher wird auch nicht in Zweifel gezogen, daß sich das Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks an die Parlamente sowie an die Regierungen samt ihrer Organe und Verwaltungsträger richtet96. Vereinzelt geraten die Oppositionsfraktionen der Gesetzgebungskörperschaften gesondert ins Blickfeld97. Die parlamentarische Opposition sei ein "Gegengewicht zur Regierung bzw. zur Mehrheitsfraktion" und daher "an der Ausübung staatlicher Gewalt ... positiv nur wenig beteiligt", heißt es in diesem

nach konkreten Vergabeentscheidungen einerseits und allgemeiner Festlegung von Versorgungskonzepten andererseits zu unterscheiden sei; nur im letzteren Fall bestünden keine Bedenken gegen eine Parlamentszuständigkeit, da ein die Rundfunkfreiheit gefährdendes "Wohlverhalten" von Frequenzbewerbern hier nicht beftlrchtet werden müsse. 94 Vgl. etwa Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 39; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 35. 95 Vgl. Kunig, in: v. Münch!Kunig, Grundgesetz, Band I, Art. I, Rn. 61.

96 Vgl. Gebe/, ZUM 1993,394 (397); Rossen, ZUM 1992, 408 (410); Gersdorj, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 54, 104 f.; Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 132; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 146 f.; Bethge, NJW 1990, 2451 (2452); ders., ZUM 1989, 209 (210); ders., Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 20, 52; Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 44; Schmitt Glaeser, AöR, 112. Band [1987], S. 215 (242); Linck, NJW 1984, 2433 (2436); Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 40; Lerche, Landesbericht, S. 15 (77); Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 65 f.; Rudolf, ZRP 1977, 213 (216); Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsproblem, S. 17; ders., ZRP 1970, 217 (219); Stern/Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 65 f.; Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 96, 98. 97 Etwa bei Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 41.

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Zusammenhang98 . Dem wird entgegengehalten, daß Staatsfreiheit nicht nur Unabhängigkeit von der Regierung, sondern auch eine ausreichende Entfernung von allen parlamentarischen Funktionen und Funktionsträgem bedinge, die jedoch der Opposition nicht zu eigen sei99. bb) Parteien Die politischen Parteien spielen eine SonderrolleiOO im Staatswesen des Grundgesetzes. Art. 21 GG weist ihnen eine Aufgabe zu, durch die sie "Zwischenglieder zwischen dem Bürger und den Staatsorganen" werden I01. An diesen Umstand knüpfen sich zwei widerstreitende Meinungen zur staatlichen Eingebundenheit der Parteien: Einerseits wird mit dem Schwergewicht auf der "inneren Verknüpfung" zwischen Parteien- und Staatsinteresse abgewogen102, andererseits wird entscheidend auf die Verwurzelung der Parteien im freien gesellschaftlichen Raum abgestellt 103. Nach der erstgenannten Ansicht stehen die politischen Parteien

98 Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 40 f., daher mUßten die Einflußmöglichkeiten von Opposition und Oppositionsparteien selbständig, d.h. gesondert von Regierung, Parlamentsmehrheit und Regierungsparteien ("Gubemative"), gewertet werden; unter Bezugnahme darauf Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 45. 99 So Lerche, Landesbericht, S. 15 (77, dort Fn. 227); im Anschluß daran ergänzt Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 104 f., auf einen inneren Zusammenhang zwischen Regierungsund Oppositionsfraktion komme es nicht an, da jede staatliche Einflußquelle zunächst ftlr sich betrachtet werden müsse. Deren innere Übereinstimmung mit anderen "Störpotentialen" sei dann eine Frage des staatlichen Gesamteinflusses auf den Rundfunk; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 147 verweist aufgrundsätzliche Schwierigkeiten bei der Differenzierung zwischen Regierung und Opposition, etwa bei Parteiwechseln oder Koalitionsneubildungen; vgl. auch Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 135; Rudolf, ZRP 1977,

213 (216). 100 BVerfGE 73, 118 (190) spricht vom "besonderen Status" der Parteien. 101 BVerfGE 60, 53 (66); E 20, 56 (101). 102 Vgl. etwa Rossen, ZUM 1992, 408 (410); Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 148; Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 130; Piette, Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk, S. 148; Lerche, Landesbericht, S. 15 (77); Berendes, Die Staatsaufsicht Uber den Rundfunk, S. 72. Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 20

formuliert zusätzlich zum Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks, das Gebot der "Parteifeme" des Rundfunks; ders., NJW 1990, 2451 (2452); ähnlich Stock, Medienfreiheit als Funktionsgrundrecht, S. 360, der aus der Verfassungsrechtsprechung eine "(negative) 'Parteien.freiheit' des Rundfunks" ableitet (Kiammersetzung, einfache Anftlhrungszeichen und Hervorhebung im Original); so wohl auch Kresse, Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, S. 118, wenn dieser von "Staats- und Partei-Einflußmöglichkeiten" spricht; eine "Staats- und Parteienfreiheit" benennt Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 132 f. 103 Vgl. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 108; Eber/e/Gersdorf, JuS 1991, 489

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innerhalb, nach der zweitgenannten Ansicht außerhalb der staatlichen Zurechnungsebene. Auf das Verhältnis der politischen Parteien zum Staat einerseits und zur Gesellschaft andererseits kann hier nicht abschließend eingegangen werden. Es sei jedoch angemerkt, daß sowohl die beispiellos starke Stellung der Parteien in der Verfassung als "Zwischenglieder"104 wie auch deren tatsächliche Machtrune und -ausübung105 eher darauf hindeuten, sie jedenfalls im Zusammenhang mit der Rundfunkfreiheit dem Staat zumindest gleichzusetzen I 06. cc) Kommunale Gebietskörperschaften Im Anschluß an die Verfassungsrechtsprechung wird in der Literatur die Zugehörigkeit von Gemeinden, Kreisen und Bezirken mit ihren jeweiligen Verbänden zum Staat überwiegend bejaht107. Verfassungsrechtlich gewährleistete Unabhängigkeit und Selbstverwaltungsgarantie seien nicht geeignet, über den Staatsanteil im Wesen dieser Körperschaften hinwegzuhelfen 108. Es werden aber auch Einschränkungen dieser unmittelbaren Zurechnung der Gemeinden zum Staat vorgenommen. Das geschieht etwa, indem die Verfassungsgewährleistungen ftlr die Gemeinden als Grundlage ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Staat herangezogen109 oder sogar als staatsabwehrendes Grundrecht dargestellt werden110.

(493); Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 97; Krause-Ab/aß, JZ 1962, 158 (160). 104 Vgl. Art. 21 GG; vgl. dazu v. Münch, in: v. MUnch, Grundgesetz, Band 2, Art. 21, Rn. 33 ff. 105 Vgl. dazu BVerfGE 20, 56 (101): "In der modernen Massendemokratie Oben die politi-

schen Parteien entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der obersten Staatsämter aus (BVerfGE 13, 54 [81 ]). Sie beeinflussen die Bildung des Staatswillens, indem sie in das System der staatlichen Ämter und Institutionen hineinwirken, und zwar insbesondere durch Einflußnahme auf die BeschlUsse und Maßnahmen von Parlament und Regierung" (Kiammersetzung im Original). 106 Naher unten 2. Teil 2. Abschnitt BI 2 b aa a. 107 "Staatsfreiheit des Rundfunks bedeutet immer auch 'Kommunalfreiheit' des Rundfunks", Bethge, ZUM 1989, 209 (209 f.), einfache Anfllhrungszeichen im Original; ders., Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 21; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 108; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 147 f.; Lerche, Landesbericht, S. 15 (77, dort Fn. 226); Tettinger, JZ 1984, 400 (408); im Grundsatz wohl auch Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 44.

10S Vgl. ausfUhrlieh Badura, BayVBI. 1989, I (4). 109 Vgl. Jost, Die Beteiligung der Gemeinden an den "Neuen Techniken", S. 69, 87, 99; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 41 . 110 Vgl. Knemeyer, BayVBI. 1988, 129 (132 ff.); Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S.

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dd) Sonstige Adressaten Schließlich werden noch eine Vielzahl weiterer Träger öffentlich-rechtlicher Kompetenzen in Betracht gezogen, aus Erwägungen der Staatsfreiheit von der Wahrnehmung des Rundfunkauftrags ausgeschlossen oder in der Teilnahme an der Rundfunkveranstaltung doch zumindest beschränkt zu werden. Die Gerichte, Rechnungshöfe und Landeszentralbanken, die Universitäten, Hochschulen und Fakultäten, die Religionsgemeinschaften, die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern und sonstigen ständische Berufsgruppenvertretungen erfahren dabei eine eher generalisierende Betrachtung. Soweit dennoch Einzeltalle erörtert werden, stehen die Abgrenzungskriterien einer eigenen Rechtsträgerschaft sowie einer staatlichen Eingliederung oder Neutralität im Vordergrund 111 . Auf die unterschiedlichen Zuordnungen wird bei der Behandlung von Problerntallen im Rundfunk der neuen Bundesländer einzugehen sein. b) Quantitative und qualitative Unterscheidung Ein Folgeproblem aus der eben überlieferten Einteilung der staatlichen Einflußkräfte nach einem "Grobraster"lt2 betrifft die Frage nach Intensität und Addition der einzelnen Kräfte. Daraus wiederum ergeben sich die endgültige Höhe und schließlich auch die Zulässigkeit der jeweiligen Staatsquote. Im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 113 finden sich dazu Lösungsvorschläge in der Literatur. aa) Quantitative Unterscheidung Die Fragestellung unter dieser Überschrift lautet: Wie hoch darf die Staats49 ff. jedenfalls ftlr die kommunale Betätigung im Bayerischen Lokalrundfunk; ausftlhrlich zur besonderen Rechtslage der Gemeinden nach der Bayerischen Verfassung Seidel, Die verfassungsrechtliche Aufgabenverteilung zwischen Gemeinden und Landkreisen insbesondere nach bayerischem Verfassungsrecht, S. 46 ff. 111 Vgl. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 110 ff.; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 148; Jarass, die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 41 ; Lerche, Landesbericht, S. 15 (78); Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 20 f.; Wujlw, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 92 f. 112 Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 38. 113 Welche weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht nähere Feststellungen zur Unterscheidung staatlicher Einflußkräfte triffi, s. oben 2. Teil 2. Abschnitt A I 2, 3.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

quote in den rundfunkrechtlichen Kontrollgremien sein?ll4 Als Ausgangspunkt der Überlegungen zur Höhe des Staatsanteils dient zuweilen eine Formulierung aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Danach läßt sich das verfassungsrechtliche Staatsfreiheitsgebot aus Art. 5 I 2 GG nur erfiillen, "wenn .. . die Vertreter des Staates in der Minderheit bleiben"115. Nach dieser Auslegung liege die kritische Schwelle fiir staatliche Einflußnahme bei 50 Prozent; bis dahin reiche es aus, wenn die Staatsvertreter im Aufsichtsgremium jederzeit überstimmt werden könnten 116. Dies gilt im Schrifttum überwiegend als zu großzügig; mit Hinweis auf die Erste Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wo von einem "angemessenen" Einfluß des Staates die Rede war 117 , wird eine engere Begrenzung der staatszugehörigen Mitglieder in den Entscheidungskörpern gefordert. So fmdet beispielsweise die Drittel-Regelung im Bayerischen Rundfunkwesen118 grundsätzlichen Zuspruch" 9 . Auch eine Staatsquote "deutlich unter 50 %" gilt als zulässig 120. Andernorts wird eine noch größere Zurückhaltung

angemahnt 121 . Zusätzlich sei je nach Bedeutung und Kompetenz des jeweiligen

114

149.

Vgl. die Fonnulierung bei Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S.

115 OVG Lüneburg, DÖV 1979, 170 (170 f.); dem folgend VG Hamburg, DVBI. 1980, 491 (493) u.a. zur Anzahl von Parlamentsmitgliedern im Verwaltungsrat des NDR, von denen eines das Recht zum Stichentscheid hatte. Vor dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichts hatte Jank, Die Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes, S. 33 vertreten, es sei lediglich zu verhindern, daß der Rundfunkrat zu einer "Versammlung von Parlamentariern" werde. 116 So versteht etwa Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 149 diese Fonnulierung. 117 Vgl. BVerfDE 12, 205 (261, 263) und oben 2. Teil 2. Abschnitt AI 2 a. 118 Vgl. Art. lila II 3 BV; Art. 611 2 BayRG, wonach der Anteil der von der Staatsregierung, dem Landtag und dem Senat in die Kontrollorgane entsandten Vertreter insgesamt ein Drittel nicht übersteigen darf. 119 Lerche, Landesbericht, S. 15 (76, 78), wobei diese Quote angesichts der unterschiedlichen Herkunft der Staatsentsandten nicht zwingend geboten sei; Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 376 schlägt eine "rechtlich definierte 'Staatsquote' filr Rundfunkaufsichtgremien" vor, die - de lege ferenda - "allenfalls zwischen 20 % bis maximal 25 %" liegen dürfe (einfache Anfilhrungszeichen im Original). 120 Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 151; eine "deutliche Minderheitsposition" beftlrwortet Bethge, ZUM 1989,209 (210 f.). l2l So bereits Lenz, JZ 1963, 338 (347); Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 49 f. hält schon eine "stabile Minderheitsposition" filr bedenklich, insbesondere dann, wenn sie nicht - wie im Falle einer Mehrländeranstalt - "fMeralistisch gebrochen" ist; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 51 spricht in diesem Zusammenhang von einer "Diversifizierung" der Länderinteressen; vgl. auch Lerche, Landesbericht, S. 15 (77 f.).

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2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

Rundfunkorgans zu unterscheiden 122. Schließlich sei auch die Homogenität der übrigen Gremienzusammensetzung zu berücksichtigen123. bb) Qualitative Unterscheidung Hier ist zu fragen, ob alle diejenigen Mitglieder eines Rundfunkgremiums, die dem Staate zuzurechnen sind, als einheitlicher "Staatsblock" 124 anzusehen sind oder aber einzeln, entsprechend ihrer jeweiligen Nähe zum Staat, bewertet werden müssen. Eine Unterscheidung der auf vielfältige Weise in den Staat eingebundenen Mitwirkenden bei der Rundfunkveranstaltung wird im Grundsatz fiir notwendig gehalten125. Weitergehende Stellungnahmen unterbleiben zumeist 126. Statt dessen findet sich etwa ein Rückgriff auf die Gleitklausel: Je weniger homogen die insgesamt dem Staat zuzurechnende Gruppe ist, desto höher kann ihr Anteil ausfallen 127. Von anderer Seite werden die unterschiedliche Parteizugehörigkeit der staatlichen Gremienmitglieder sowie die, insbesondere im Falle von Mehr-Länder-Anstalten zu erwartende "Diversifizierung" von Staatsinteressen als natürliche Gegenkräfte zu einer Blockbildung angefiihrt 128. Schließlich wird auch schon von vornherein jede Differenzierung ausdrücklich abgelehnt. Als Argument dafiir dient die beispielhafte Gleichsetzung des Staates mit einem Großaktionär, der aufgrund seiner starken Minderheitsposition die übrigen

122 Vgl. Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 38, 49; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 52 f.; a.A. Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 53, da es allein auf die gesellschaftliche Repräsentanz der Gremien ankomme; ähnlich Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 71 f. 123 Vgl. Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S.

151.

124 Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 54. 125 Vgl. etwa Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 46; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. ISO f.; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 50; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 51 . 126 Auf die äußerst schwierige Handhabbarkeil der direkten und vor allem indirekten Verbindungen zum Staat verweist Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 21; dazu auch Lerche, Landesbericht, S. 15 (76); Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 66. 127 So Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S.

151.

128 Vgl. Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 51 ; ebenso Lerche, Lan-

desbericht, S. 15 (77 f.); Stettner, Rundfunkstruktur im Wandel, S. 46 ff., insbesondere zu Doppelrollen und Unvereinbarkeiten.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Anteile der Aktiengesellschaft leicht kontrolliere, da diese sich im Streubesitz befänden 129. III. Stellungnahme zum Gebot der Staatsfreiheit Das Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks hat Verfassungsrang. Es ist vor dem geschichtlichen Hintergrund eines jahrzehntelangen "Staatsrundfunks" in Deutschland zum wesentlichen Bestandteil des Grundrechts der Rundfunkfreiheit geworden und mit diesem untrennbar verbunden. Der begrifflich mehrdeutigen Verfassungsrechtsprechung zu Inhalt und Grenzen des Staatsfreiheitsgebotes130 kann im Wege der Auslegung eine hinreichend klare Aussage entnommen werden. Sie besagt, daß Rundfunk und Staat sich nicht grundsätzlich ausschließen. Es muß vielmehr nach Umfang und Zielrichtung staatlicher Beteiligung an der Wahrnehmung der Rundfunkaufgabe unterschieden werden - im einzelnen bedeutet dies: Die Rundfunkveranstaltung durch den Staat selbst ist nicht zulässig. Für die Veranstaltung durch Dritte gilt im Programmbereich eine absolute Staatsfreiheit und im Organisationsbereich eine relative Freiheit von staatlicher Einflußnahme, die jedenfalls nicht zu einer Beherrschung des Rundfunks fUhren darf. Während sich aufgrund der Nennungen und Vorgaben der Rechtsprechung die Adressaten des Staatsfreiheitsgebotes im wesentlichen bestimmen lassen, wird zu Verhältnis und Gewichtung der "Staatsvertreter" untereinander nichts dargelegt. So bleibt höchstrichterlich ungeklärt, mit welchem "Staatsanteil" die Grenze zur Beherrschung eines rundfunkrechtlichen Aufsichtsgremium erreicht ist. Zudem stellt sich die Frage, ob alle in Betracht kommenden Adressaten des Staatsfreiheitsgebotes automatisch als einheitlicher "Staatsblock" angesehen werden müssen oder ob möglicherweise infolge unterschiedlicher Nähe- und Abhängigkeitsverhältnisse zum Staat eine unterscheidende Betrachtung der "Staatsvertreter" angebracht istl3l .

129 So Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 49. 130 BayVerfGH, N.F. 42, 11 (18) merkt an, daß die herkömmliche Begriffiichkeit "Staatsfreiheit" in ihrer Absolutheil eher unpräzise ist und die Sache zutreffender als "Staatsunabhängigkeit" oder "Verbot der Staatsnähe" bezeichnet werde; das Bundesverfassungsgericht spricht neuerdings auch von einer "Staatsfeme" des Rundfunks, vgl. BVerfGE 88, 25 (36). 131 Die Fragen sind bereits in BayVerfGH, N.F. 42, II (19 ff.); OVG LUneburg, DÖV 1979, 170 (171) sowie VG Hamburg, DVBI. 1980, 491 (493) angesprochen worden. Sie werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit genauer zu untersuchen sein, s. unten 2. Teil 2. Abschnitt A II 3 b und BI 2 b bb, cc.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

207

Die damit aufgeworfenen Probleme sind von großer Bedeutung fiir die Organisationsarbeit des Gesetzgebers, welcher ja nicht nur die verschiedenen gesellschaftlichen Einflüsse auf den Rundfunk in Einklang bringen muß, sondern auch die staatliche Mitwirkung an der Rundfunkveranstaltung möglichst gering zu halten hat. Dabei verbietet sich jedoch eine nach qualitativen Merkmalen unterscheidende Betrachtungsweise, wie sie teilweise im Schrifttum vorgeschlagen wird. Denn es ist keine Methode ersichtlich, mit der sich die auf den Rundfunk einwirkenden vielfilltigen Einflußkräfte des Staates hinreichend zuverlässig entflechten ließen. Eine Unterscheidung nach legislativ- und exekutivnahem Einfluß etwa verspricht wenig Erfolg. Auch die Annahme eines föderalistischen Brechungseffekts oder einer Diversifizierung in staatliche, sich insgesamt neutralisierende Einzelinteressen im Falle von Mehr-Länder-Anstalten bleibt angesichts wahlbedingter Zufiilligkeiten bei der Regierungs- und Parlamentsbildung ohne Grundlagel32. Quantitative Unterscheidungen hingegen lassen sich aus dem Verfassungsgebot der Staatsfreiheit rechtfertigen. So erscheinen - in Anlehnung an die Regelungen des Bayerischen Rundfunkrechts 133 -eine Staatsquote von insgesamt höchstens einem Drittel bei der Rundfunkaufsicht sowie eine vollkommene Staatsfreiheit bei der Programmveranstaltung angemessen. B. Die Staatsfreiheit des Rundfunks in den neuen Bundesländern

Nach dieser Grundlegung sollen im weiteren Verlauf der Untersuchung nun die Probleme bei der einfachgesetzlichen Verwirklichung des rundfunkverfassungsrechtlichen Staatsfreiheitsgebots in den Bundesländern MecklenburgVorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erörtert werden. Diese Probleme treten am deutlichsten in zwei Regelungsbereichen zutage. Es sind dies die Organisation des MDR 134-Rundfunkrats nach den Vorschriften des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk vom 30. Mai 1991 (MDR-StV) sowie das Verhältnis zwischen ORBI35 und SFBJ36 unter-

132 Wie z.B. das Beispiel des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) verdeutlicht, s. unten 2. Teil 2. Abschnitt B I 2 b cc. 133 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A II 3 b aa. 134 Mitteldeutscher Rundfunk. 135 Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg. 136 Sender Freies Berlin.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

einander und insbesondere zu den jeweiligen Landesgesetzgebern aufgrund der Regelungen im Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks vom 29. Februar 1992 (StV-BB). Im Anschluß an die Erörterung der angesprochenen Regelungen wird auch kurz auf den NDR 137_Staatsvertrag einzugehen sein, dessen Geltungsbereich sich nunmehr als einziges Regelungswerk des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die ehemalige deutsch-deutsche Grenze hinweg erstreckt. I. Der Mitteldeutsche Rundfunk

Vor einer Untersuchung der derzeitigen Rechtslage in Sachsen, SachsenAnhalt und Thüringen, in deren Gesamtsendegebiet über I 0 Millionen Einwohner138 leben, ist zunächst ein kqrzer Blick auf die Gründung des MDR zu werfen; denn obgleich das Gründungsverfahren formal abgeschlossen istl39, beeinflußt es bis heute die rechtliche Situation des MDR. Dieses, dem eigentlichen Aufbau der Drei-Länder-Anstalt vorgeschaltete Verfahren, in welchem ein "Rundfunkbeirat" ins Leben gerufen wurde, der seinerseits einen "Gründungsintendanten" zu wählen hatte, gibt einigen Anlaß zu verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere aus Sicht des Staatsfreiheitsgebots. Zwar ist ein nachträglicher Richterspruch zu den aufgeworfenen Fragen sowohl aus rechtlichen wie aus tatsächlichen Gründen nicht mehr zu erwarten140, doch zeitigt das besondere Verfahren der Anstaltsgründung weitrei-

Norddeutscher Rundfunk. Vgl. die amtliche Begründung zum Staatsvertrag Uber den Mitteldeutschen Rundfunk, S. 2 (Sächs. LTag, Drucks. 11477). 139 Und zwar am 4. November 1991 mit der konstituierenden Sitzung des ersten Rundfunkrats; ursprünglich hatte diese Sitzung bis zum I. November 1991 stattfinden sollen, vgl. § 46 I I MDR-StV sowie FUNK-Korrespondenz Nr. 45 v. 7. November 1991, S. 19 f.; epd/Kirche und Rundfunk Nr. 87 v. 6. November 1991 , S. 8; Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 191. Diese Verspätung ist mit dem Zeitdruck zu erklären, unter welchem die beteiligten Landesparlamente standen, nachdem von Art. 36 I I, VI 2 EV der Sendestart des neuorganisierten Rundfunks ftlr den I. Januar 1992 vorgegeben war. 140 Die umstrittene Vorschrift des § 45 MDR-StV könnte nur vom Bundesverfassungsgericht im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG iVm §§ 76 ff.; 13 Nr. 6 BVerfGG wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz ftlr nichtig erklärt werden. AufGrundlage des§ 45 MDR-StV sind aber bereits samtliehe maßgeblichen (Personai-)Entscheidungen getroffen worden; diese wurden gern. §§ 79 II I; 78 S. I BVerfGG von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt bleiben und haben so in jedem Fall Bestand, vgl. auch BVerfUE 15, 309 (312). Überdies dUrfte im Kreis der aktivlegitimierten Antragsteller - Bundesregierung, eine Landesregierung, ein Drittel der Mitglieder des Bundestages (vgl. Art. 93 I Nr. 2 iVm §§ 13 Nr. 6; 76 I. HS BVerfGG) - kein ernsthaftes Interesse bestehen, auf dem Umweg über die Gerichtsbar137

138

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

209

chende Auswirkungen 141 , die den weiteren Aufbau aufein Gleis mit beträchtlicher Nähe zum staatlichen Einflußbereich geschoben haben. Daher sind die wesentlichen Schritte der Gründung, welche immerhin eine gesonderte Regelung im Staatsvertrag über den MDR erfahren haben, vorab zu beleuchten. I. Rundfunkbeirat und Gründungsintendant Als Rechtsgrundlage filr den Aufbau der MDR-Verwaltung ist§ 45 MDRStV formuliert worden. Danach war mit lokrafttreten des Staatsvertrags 142 ein "Rundfunkbeirat" zu wählen, der bis zur Konstituierung der eigentlichen Aufsichtsgremien - Rundfunkrat und Verwaltungsrat - die volle Rechts- und Regelungskompetenzder beiden genannten Gremien aufsich vereinigtel 43. Die neun Mitglieder dieses Beirats waren ausschließlich von den Landtagen der drei Staatsvertragsländer zu berufen, wobei jeweils zwei der drei von jedem Land zu entsendenden Beiratsmitglieder nicht dem Landtag angehören durften. Der Beirat hatte als vorrangige Aufgabe, mit der Mehrheit seiner Mitglieder, mindestens also mit filnf Stimmen, den "Gründungsintendanten" des MDR zu wählen, der sogleich mit der vollen Kompetenz und Amtszeit eines

keit in die Rundfunkgesetzgebung der Staatsvertragsländer "hineinzuregieren" (allgemein zur Problematik der "drittbelastenden" Normenkontrolle Meyer, in: v. Münch, Grundgesetz, Band 3, Art. 93, Rn. 40), zumal die zweitstärkste politische Partei in diesen Ländern immerhin ihre Zustimmung zu dem Verfahren nach § 45 MDR-StV gegeben hat, nachdem ihr von der Mehrheitspartei eine Beteiligung zugesichert worden war, vgl. die Meldungen in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 53 v. 10. Juli 1991, S. 6, 13; FUNK-KorrespondenzNr. 45 v. 7. November 1991, S. 16 (17); Nr. 26. v. 27. Juni 1991, S. 6 und Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (34, dort Fn. 119) unter Bezugnahme auf Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 143, der darauf hinweist, daß der "ungenierte Zugriff der Regierungsparteien auf die neue Rundfunkordnung ... vermutlich gerichtlich ungesühnt" bleibe; ebenso Frank, KJ 1992, 463 (471); vgl. auch epd/Kirche und Rundfunk Nr. 66 v. 24. August 1991, S. 7 f.; FUNK-Korrespondenz Nr. 51/52 v. 19. Dezember 1991, S. 7 (8). 141 Dazu auch Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (33 f.). 142 Am I. Juli 1991; die staatsvertragliehen Regelungen waren vorher von den MDR-Partnerländem durch Zustimmungsgesetze in das jeweilige Landesrecht übertragen worden, vgl. Art. I Gesetz zum Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk v. 27. Juni 1991 , SächsGVBI. 1991, 169; Art. I Abs. I Gesetz zum Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) v. 25. Juni 1991, GVBI. S.-A. 1991, 111; Art. I Abs. I Gesetz zu dem Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) v. 25. Juni 1991, ThürGVBI. 1991, 118; vgl. auch§ 4711 MDR-StV sowie epd/Kirche und Rundfunk Nr. 42 v. I. Juni 1991, S. 10. 143 Vgl. § 45 I I, II 3 MDR-StV; damit enthielt die Vorschrift des§ 45 MDR-StV keineswegs nur formelle Regelungen, wie deren amtliche Überschrift "Wahl des Gründungsintendanten" vermuten läßt, vgl. auch Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 126. 14 Wilhelmi

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

regelmäßigen Intendanten ausgestattet war; der Gründungsintendant mußte dann vom Rundfunkrat nach dessen Konstituierung als Intendant endgültig bestätigt werden 144. a) Verfassungswidrigkeit des Gründungsverfahrens Die genannte Regelung zur Berufung des Rundfunkbeirats verstößt gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks und ist daher verfassungswidrig. Den Gesetzgebern der drei Staatsvertragsländer ist zwar zugute zu halten, daß sie bei der Ausgestaltung des Rundfunkgrundrechts einen großen Freiraum genießen. Das wird auch für die Wahl des Modells zur Rundfunkorganisation vom Bundesverfassungsgericht immer wieder bestätigtl45. Mit Gründung des Mitteldeutschen Rundfunks wurde indessen, ebenso wie in den anderen Bundesländern auch, eine "Anstalt des öffentlichen Rechts"l46 ins Leben gerufen und ausdrücklich die Entscheidung für eine binnenpluralistische Rundfunkorganisation getroffen 147. Kennzeichnend für das Organisationsmodell des Sinnenpluralismus ist die repräsentative Wahrnehmung des verfassungsrechtlichen Rundfunkauftrags in pluralistisch besetzten Aufsichtsgremien. Die Mitglieder dieser Gremien vertreten die Interessen der Allgemeinheit 148. Sie werden von solchen Bevölkerungsgruppen entsandt, die gesellschaftliche Bedeutung haben und vom zuständigen Rundfunkgesetzgeber ausgewählt werden. Bei der Auswahl dieser "gesellschaftlich relevanten Gruppen"149 und bei der Ermittlung

144 § 45 II MDR-StV; der Rundfunkbeirat konstituierte sich am 7. Juli 1991 und wählte am selben Tag den Gründungsintendanten, vgl. epd/Kirche und Rundfunk Nr. 53 v. 10. Juli 1991, S. 6, FUNK-Korrespondenz Nr. 28 v. II. Juli 1991, S. 14. 145 "Das Grundgesetz schreibt weder ein bestimmtes Modell vor noch zwingt es zu konsistenter Verwirklichung des einmal gewählten Modells", BVerfGE 83, 238 (296); ebenso BVerfGE 74, 297 (324); E 73, 118 (153); E 57,295 (321, 325); E 31, 314 (325 f.); E 12,205 (261 f.); vgl. auch BayVerfGH, N.F. 39,96 (154) sowie Piette, Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk, S. 18 ff. 146 Vgl. § I 1MDR-StV. 147 In der amtlichen Begründung zu§ 5 MDR-StV (Sachs. LTag, Drucks. 1/477, S. 6) heißt es: Der MDR "wird durch die gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen kontrolliert". 148 Die Sechste Rundfunkentscheidung stellt fest, daß die gesellschaftlich zusammengesetzten Kontrollgremien "Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit" sind, BVerfGE 83, 238 (333); damit besteht ihre Aufgabe nicht in einer eigennützigen Vertretung ihrer entsendenden Organisationen; die Anknüpfung an verbandlieh organisierte Interessen dient lediglich als Mittel, um staatsunabhängige und gesellschaftlich erfahrene Persönlichkeiten zu gewinnen. 149 BVerfGE 83, 238 (333); Ruck, AöR, 117. Band (1992], S. 543 (549); Bethge, JZ 1989, 339 (340); ders., Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 22; Degenhart, AfP

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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ihrer Repräsentanten steht dem Gesetzgeber abermals weitgehende Gestaltungsfreiheit zu, solange er sich dabei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen bewegtl50. Eine dieser Anforderungen ist die Freihaltung des Rundfunks von einseitiger gesellschaftlicher und vor allem ISI von übermäßiger staatlicher Einflußnahme. Diese in;1 Grundgesetz verankerte "Mindestgarantie der Rundfunkfreiheit" ist Teil der in die Länder hineinwirkenden Bundesverfassung152. Die Landtage verkörpern als Gesetzgebungsorgane unmittelbar staatliche Gewaltl 53. Bei der Berufung des Beirats konnte sich diese staatliche Gewalt unter dem Schutzmantel des § 45 MDR-StV ungehindert entfalten: Die beteiligten Landtage waren nicht an Vorschriften filr ein ordentliches Wahlverfahren gebunden, ihnen waren keine Kriterien für die Auswahl unter bestimmten gesellschaftlichen Gruppen vorgegeben und die gewählten Beiratsmitglieder hatten bis auf die besagte Inkompatibilität keinerlei weiteren Anforderungen hinsichtlich ihrer Gruppenrepräsentanz oder auch persönlichen Qualifikation 154 zu genügen. Der im Dienste der Meinungsvielfalt stehende Allgemeinvertretungsauftrag der Beiratsmitglieder155 fehlte ebenso wie die Freistellung

1988, 327 (330); Lerche, Landesbericht, S. 15 (72 f.). ISO Zu diesen näher BVertGE 83, 238 (334 f.). ISI Vgl. BVertGE 83,238 (296, 322); E 74, 297 (324); E 73, 118 (152); E 57,295 (320). 152 BayVertGH, N.F. 30, 78 (93) nach BVertGE 12, 205 (260 f.); 13, 54 (80); vgl. auch Bethge, ZUM 1987, 199 (199 f.); ders., ZUM 1986, 357 (358 f.) sowie ausfUhrlieh zum Hineinwirken der Bundes- in die Länderverfassungen bei grundsätzlich getrennten Verfassungsräumen Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, s. 40 ff., 61 ff., 100 ff. 153 Das ist in Rechtsprechung und Literatur unbestritten, s. oben 2. Teil 2. Abschnitt A 1 3 a, Il3aaa. lS4 Wenn "Erfahrung" und "Sachkunde" von den Beiratsmitgliedern verlangt worden wären, hätte dies auf eine Anlehnung an das "Sachverständigenmodell" zur Rundfunkaufsicht hingedeutet, an welchem etwa der siebenköpfige Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ausgerichtet ist, vgl. § 10 I StV-BB. Wenn dieses Aufsichtsmodell wegen immanenter Vielfaltsdefizite und beträchtlicher Staatsnähe fllr den privaten Rundfunk auch umstritten ist und seine Anwendbarkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgelehnt werden muß (vgl. Gersdorj, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 192 ff.; Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 124 ff. ; A. Hesse, DÖV 1986, 177 [186]), so kann die hier in Rede stehende fast völlig freie Auswahl durch den Gesetzgeber um so weniger überzeugen; näher zur Verfassungsrechtslage des "Sachverständigenmodells" unten 2. Teil 2. Abschnitt B II 3 b bb. ISS S. oben Fn. 147 f. 14•

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

von externen Aufträgen und Weisungen 156. Über den Rundfunkbeirat wurde zudem mit einfacher Mehrheit der Gründungsintendant ins Amt gehoben. Mit einer solchen nahezu ungebundenen Auswahlbefugnis konnte der Staat, verkörpert durch die Landtage der Staatsvertragsländer, allein und im Widerspruch zum ursprünglich zugrundegelegten Gedanken der organisatorischen Binnenpluralität die personelle Besetzung des "höchsten Organs" 157 der Anstalt steuern. Es soll hier nicht näher untersucht werden, ob die beteiligten Landesparlamente diese kaum begrenzte Befugnis auch in rechtswidriger Weise ausgenutzt habenl58, indem sie die Schwelle "grober Verzerrung"l59 der Beiratszusammensetzung überschritten. Denn auch die bloße Gefährdung des verfassungsrechtlichen Staatsfreiheitsgebots durch § 45 MDR-Staatsvertrag reicht filr eine Beeinträchtigung des Art.

5 I 2 GG bereits ausl60.

b) Mögliche Rechtfertigung durch die Übergangssituation Nach diesen Feststellungen ist zu fragen, ob den Mitgliedsländern des MDRRundfunkstaatsvertrags angesichts des umfangreichen Regelungsbedarfs in knapper Zeit möglicherweise ein "Übergangsrabatt" 161 einzuräumen war.

156 Zur Unvereinbarkeit von weisungsgebundenem Staatsamt und Mitgliedschaft in einem Kollegialorgan des Rundfunks ausftlhrlich Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsgrundrecht, s. 24 ff. 157 So wird gemeinhin der Rundfunkrat bezeichnet, vgl. BVerfGE 31, 314 (328); vgl. auch Cromme, NJW 1985, 351 (359); Lerche, Landesbericht, S. 15 (70); Ossenbühl, DÖV 1972, 293 (296 f.). Das OVG Lüneburg, DÖV 1979, 170 (170 f.) spricht vom "rechtlich bedeutsamsten Organ der Anstalt". Dem Beirat des gerade gegründeten MDR war in§ 45 II 3 MDR-StV neben der Funktion des Rundfunkrats zusätzlich diejenige des Verwaltungsrats zugewiesen worden; er wurde auf diese Weise in den vier Monaten seines Bestehens zu einem "Super-Gremium". 158 Wenn auch einige Nachrichten von der Beiratswahl in dieses Richtung deuten, vgl. etwa den Bericht "Lange Gesichter in Dresden", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31 August 1991 sowie epd!Kirche und Rundfunk Nr. 53 v. lO. Juli 1991, S. 6 f.; Nr. 52 v. 6.Juli 1991, S. 8 f.; kritisch auch Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 319 f.; Frank, KJ 1992, 463 (471); Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (33 f.); Ho.ffmannRiem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 136. 159 BVerfGE 83, 238 (333). 160 Vgl. BVerfGE 83, 238 (323); Rossen, ZUM 1992, 408 (409 f.); Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 131, 134, 137, dort Fn. 217; ftlr Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 48 f. ist die Grenze zum Verstoß gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit jedenfalls dann überschritten, wenn der Gesetzgeber - wie hier - selbst die Mehrheit der Gremienmitglieder bestimmt. 161 Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 139.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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Die Abwägung der Gesichtspunkte spricht jedoch im Ergebnis gegen eine Senkung der verfassungsrechtlichen Anforderungen. Dieser Schluß beruht maßgeblich auf der in § 45 II, 111 MDR-StV deutlich zum Ausdruck gebrachten Zielvorgabe, bereits durch die Übergangsorgane des MDR bindende Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten herbeizufilhren162. Während verfassungsrechtliche Bedenken gegen die "Einrichtung" nach Art. 36 EV noch mit Blick auf die gesetzlich bestimmte Vorläufigkeit und jederzeitige Rückholbarkeit ihrer Maßnahmen hingenommen werden konnten163, ist dieser Weg im Falle des § 45 MDR-StV verschlossen. Sowohl die rechtlichen Bindungen !64 als auch die tatsächlichen Wirkungen165 der Beiratsentscheidungen sind staatsvertraglich so großzügig gefaßt, daß schon damals alle entscheidenden Weichen filr eine unumkehrbare Entwicklung der Drei-Länder-Anstalt gestellt wurden 166. Angesichts dieser Machtfillle, die im Zusammenwirken mit dem Gründungsintendanten geeignet ist, langfristig auf den Programmbereich durchzuschlagen, wären also eigentlich besonders strenge Anforderungen angebracht gewesen. Auch das Argument des Zeitdrucks hat hier keine andere Beurteilung zur Folge. Denn durch Vorschaltung eines besonderen Gremiums wurden Wahl und Einsetzung des ordentlichen MDR-Aufsichts- und Leitungsapparats nicht überflüssig, sondern lediglich hinausgeschoben. Letztlich ist zweifelhaft, ob - gerade unter dem Druck, in kurzer Zeit Regelungssicherheit

162 Vgl. insoweit auch die amtliche Begründung zu § 45 MDR-StV (Sachs. LTag, Drucks. 1/477, S. 21 f.), in welcher die Schaffung eines besonderen Rundfunkbeirats gerechtfertigt werden soll. 163 Vgl. Wortlaut des Art. 36 I, IV EV sowie die Denkschrift zum Einigungsvertrag, BTDrucksache 11/7760, S. 355 (374) und oben I. Teil 2. Abschnitt B IV. 164 Auf die vorläufige Vereinigung der Kompetenzen des Rundfunkrats- und des Verwaltungsrats ist bereits hingewiesen worden, s. oben Fn. !57. 165 Vor allem im personellen Bereich: Die in § 45 II 4, 5 MDR-StV geregelte Bestätigungsklausel, nach welcher der Gründungsintendant noch der nachträglichen Bestätigung des Rundfunkrats bedarf, ist kein echter Vorläufigkeitsvorbehalt. In§ 19 MDR-StV sind die Sitze des späteren Rundfunkrats nämlich in einer Weise verteilt worden, die "Überraschungen" gegenOber der Besetzung des Beirats nicht erwarten ließ, s. dazu auch sogleich im Text unter 2. Für die Gründungsfunkhausdirektoren und die übrigen leitenden Angestellten fehlte eine Möglichkeit der nachträglichen Korrektur ihrer Einsetzung völlig. Außerdem war ftlr die Wahl des Gründungsintendanten nicht die sonst übliche Zwei-Drittel-Mehrheit (vgl. § 23 111 3 I. HS iVm § 20 IV Nr. 3 MDR-StV) im Wahlgremium vorgeschrieben, statt dessen sollte die einfache Mehrheit genügen (§ 45 II I MDR-StV); dasselbe erleichterte Verfahren war auch bei der Bestätigung des Ortlndungsintendanten durch den Rundfunkrat anzuwenden (§ 45 II 5 MDR-StV). 166 Vgl. auch die Kritik bei Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 318 f.; Frank, KJ 1992, 463 (471); Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (33 f.); Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 138.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

herzustellen - die Schaffung eines besonderen Rundfunkbeirats überhaupt zulässig war 167. 2. Rundfunkrat

Auch die auf Dauer angelegten Bestimmungen des MOR-Staalsvertrags über den Rundfunkrat der Anstalt bleiben nicht ohne verfassungsrechtliche Beanstandungen. Die Zusammensetzung des Rundfunkrats nach § 19 MOR-Staalsvertrag weist zum Teil eine erheblich Staatsnähe auf. Dies soll in einer verfassungsrechtlichen Würdigung verdeutlicht werden. a) Pluralistische Zusammensetzung Im Gegensatz zum eben skizzierten Aufbau des Übergangsgremiums "Rundfunkbeirat" entspricht die binnenplural ausgerichtete Organisation des MDRRundfunkrats grundsätzlich den selbstgesteckten Maßstäben des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk. Die zur Verwirklichung dieser Maßstäbe vorgesehenen Gruppen lassen sich bei näherem Hinsehen in dreifacher Weise gliedern. aa) Benannte gesellschaftliche Gruppen Die Mehrzahl der gesellschaftlich relevanten Gruppen ist im Staatsvertrag namentlich festgelegt: Die evangelischen und die katholischen Kirchen sowie die jüdischen Kultusgemeinden 168, die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberverbände169, die Handwerks- und die kommunalen Spitzenverbändel70 sowie

167 Im Falle einer verzögerten Besetzung seiner Sitze, hätte der Rundfunkrat als ordentliches Aufsichtsorgan des MDR gern. § 19 V I MDR-StV immerhin auch ohne Vollzähligkeit bereits seine Geschäfte aufuehmen können. Im übrigen galt ja noch die Übergangsregelung des Art. 36 I, VI EV, nach der in jedem Fall die "Einrichtung" eine Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk nach öffentlich-rechtlichem Maßstab zu gewährleisten hatte; damit konnte auch die Beftlrchtung einer "rundfunklosen" Zeit nicht als Grundlage ftlr die Zwischenlösung des § 45 MDR-StV herangezogen werden. Der Frage nach einer medienpolitischen Rechtfertigung dieser Zwischenlösung soll hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden, da sie das verfassungsrechtliche Staatsfreiheitsgebot nur noch am Rande berührt. 168 Vgl. § 19 I Nr. 3-5 MDR-StV. 169 Vgl. § 19 I Nr. 6, 7 MDR-StV. 170 Vgl. § 19 I Nr. 8, 9 MDR-StV; dazu unten 2. Tei12. Abschnitt BI 2 b aa ß, y.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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die Industrie- und Handelskammern 171, die Bauernverbände 172, der Deutsche Sportbund173, die Jugendverbändel74, die Frauenverbändel75 und die Vereinigungen der Opfer des Stalinismusl76. bb) Unbenannte gesellschaftliche Gruppen Daneben sind acht weitere gesellschaftlich bedeutsame Organisationen und Gruppen zur Entsendung von Rundfunkratsmitgliedern vorgesehen 177. Diese sind im MDR-Staatsvertrag jedoch nicht ausdrücklich benannt worden. Um sie zu ermitteln, fmdet ein Auswahlverfahren unter denjenigen gesellschaftlichen Zusammenschlüssen statt, die sich um die Besetzung eines Rundfunkratspostens bewerben. Die acht zur Entsendung berechtigten Organisationen und Gruppen werden von den Landtagen der Staatsvertragsländer im d'Hondtschen Höchstzahlverfahren ftlr jeweils eine Amtsperiode des Rundfunkrats bestimmt178. Die nachträgliche Bestimmung von zunächst unbenannten Gruppen in einem besonderen Zuweisungsverfahren ist in dieser Entscheidungsfreiheit derzeit einzigartig179 in der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesetzgebung der Länder. cc) Landesregierungen und Parlamentsparteien Außer den gesellschaftlichen Gruppen entsendet jede der drei beteiligten Landesregierungen ein Mitglied des Rundfunkrats180.

Vgl. § 19 I Nr. IO MDR-StV; dazu unten 2. Teil2. Abschnitt 8 I 2 b aa y. Vgl. § 19INr.ll MDR-StV. 173 Vgl. § 19 I Nr. 12 MDR-StV. 174 Vgl. § 19 I Nr. 13 MDR-StV. 175 Vgl. § 19 I Nr. 14 MDR-StV. 176 Vgl. § 19 I Nr. 15 MDR-StV. 177 Vgl. § 19 I Nr. 16 MDR-StV. 178 Vgl. § 19 I Nr. 16, III MDR-StV. 179 Wenn auch nicht erstmalig: 17 I I Nr. 16, III NDR-StV enthielt in seiner bis zum Beitritt Mecklenburg-Vorpommems geltenden Fassung eine entsprechende Öffuungsklauscl; diese ist mit der Neufassung des NDR-Staatsvertrags jedoch wieder fallengelassen worden; fllr HojftnannRiem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 141 ist die frühere Regelung im NDR-Staatsvertrag "ein gewisser Indikator fllr verfassungsrechtliche Tolerierbarkeit" dieser Klausel; dazu näher unten 2. Teil 2. Abschnitt 8 I 2 b aa y, cc. 180 Vgl. § 19 I Nr. 1 MDR-StV; dazu unten 2. Tei12. Abschnitt BI 2 b aa a. 171

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

steht den in mindestens zwei Landtagen durch Fraktionen oder Gruppen vertretenen Parteien eine Anzahl von Sitzen zu, die ebenfalls nach d'Hondt, entsprechend ihrem jeweiligen Stärkeverhältnis ermittelt werden 181. Die Gesamtzahl der Rundfunkratsmitglieder ist damit abhängig von den politischen Mehrheitsverhältnissen in den Landtagen182. Schließli~h

b) Verfassungsrechtliche Bewertung Im Anschluß an diese Auflistung ist zu fragen, welche der beschriebenen Rundfunkratsmitglieder dem Staat zuzurechnen sind, wie hoch die Staatsquote des MDR damit letztlich ist und schließlich, ob diese Staatsquote unter dem Gesichtspunkt der Rundfunkfreiheit noch zulässig ist. aa) Zurechnung der Rundfunkratsmitglieder zum Staat a) Die Vertreter der Landesregierungen und Parlamentsparteien

Die von den Regierungen der Staatsvertragsländer entsandten Mitglieder des Rundfunkrats sind fraglos unmittelbar dem Staat zuzurechnen. Sie verkörpern die staatliche Exekutivgewalt und sind gemeinsam mit dem nachgeordneten Verwaltungsunterbau das Instrument, welches staatliche Entscheidungs- und Handlungsfllhigkeit erst gewährleistet. Ähnliches gilt fiir die Entsandten der gesetzgebenden Gewalt. Zwar sind nahezu sämtliche Mitglieder der Gesetzgebungskörperschaften der Länder in einer der politischen Parteien verwurzelt. Es könnte also in Betracht kommen, sie lediglich als Gesamtheit der vom Volkswillen ermittelten Repräsentanten ihrer Parteien anzusehen 183. Diese sindangesichtsihres verfassungsrechtlichen Mitwirkungsanspruchs nach Art. 21 GG jedenfalls nicht kurzerhand 184 dem 18 1 Vgl. § 19 I Nr. 2 MDR-StV; dazu unten 2. Teil 2. Abschnitt BI 2 b aa a. 182 Ohne die von den Parteien (mit Fraktions- oder Gruppenstatus in mindestens zwei Landtagen) Entsandten besteht der MDR-Rundfunkrat aus 34 Mitgliedern. Derzeit stellen die Landtagsparteien nach § I9 I Nr. 2 MDR-StV insgesamt neuen Ratsmitglieder. Das Hauptaufsichtsgremium des MDR umfaßt in seiner bis Ende 1997 dauernden Amtsperiode also 43 Sitze; vgl. auch die namentliche Übersicht bei Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundeslllndern, Rn. 322. 183 Vgl. etwa lpsen, Mitbestimmung im Rundfunk, S. 42, 70. 184 Vgl. Bethge, Rundfunkfreiheit und privater Rundfunk, S. 37; ihm folgend Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. I 08.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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Staat selbst gleichzusetzen. Doch erfährt die Rechtsstellung eines einfachen Parteimitglieds mit dessen Eintritt in ein parlamentarisches Gesetzgebungsgremium, als "bedeutsamstes Staatsorgan" 185, einen grundlegenden Wandel. Mit diesem Schritt vollzieht sich für die betreffende Person ein Übergang von der Parteitätigkeit im Bereich gesellschaftlicher Willensbildung zur Parlamentstätigkeit im Bereich staatlicher Willensbildung186. Das Parlamentsmitglied ist fortan ein mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattetes staatliches Teilorgan187. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob ein Parlamentarier der Mehrheits- oder der Minderheitsfraktion angehört188. Wenn zuweilen zutreffend vertreten wird, die in der Opposition befindlichen Parlamentsmitglieder seien von der Regierung institutionell und von der Parlamentsmehrheit politisch unabhängig189, so vermag dies nicht die- allein ausschlaggebende- Unabhängigkeit vom Staat insgesamt zu begründen190. Obwohl der Einfluß der Opposition innerhalb der parlamentarischen Auseinandersetzung vergleichsweise gering ist, hat diese Auseinandersetzung doch grundlegende Bedeutung filr die demokratische Legitimation staatlicher Willensbildung. Eine einseitige Befugnis der Opposition, durch anteilige Wahrnehmung der Rundfunkaufgabe auf diese Willensbildung Einfluß zu nehmen, würde das demokratisch hergestellte Kräfteverhältnis im Rahmen der parlamentarischen Auseinandersetzung beeinträchtigen 191. Zudem unterliegt eine Zuordnung von Parlamentsmitgliedern zu Regierungs- oder Oppositionsfraktionen einigen tatsächlichen Unwägbarkeiten, 185 OVGLOneburg, DÖV 1979, 170(170). 186 Ausfilhrlich zum Verhältnis zwischen öffentlicher Meinungsbildung und organschaftlicher Staatswillensbildung Rossen, Freie Meinungsbildung, S. 135 ff. 187 Die Rechtsstellung der Bundestagsabgeordneten faßt BVerfGE 80, 188 (218 f.) zusammen; sie unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen der Abgeordneten in den Landesparlamenten. 188 Zum einheitlichen Begriff der Fraktionen als "notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politschen Willensbildung" BVerfGE 80, 188 (219 f.). Auch § 19 I Nr. 2 MDR-StV unterscheidet bei der Regelung des "Parlamentsanteils" nicht nach Regierungs- und Oppositionsrolle, sondern trägt dem politischen Stärkeverhältnis durch entsprechende Ausrichtung am Wählervotum der Landtagswahlen Rechnung; vgl. auch die Inkompatibilitätsvorschrift des§ 18 V MDR-StV. 189 So etwa Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 41; s. auch oben 2. Teil 2. Abschnitt A II 3 a aa. 190 A.A. Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 41. 191 Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 43 ordnet die parlamentarische Opposition jedenfalls dann dem staatlichen Einflußbereich zu, wenn diese die Entscheidungen der Regierungsmehrheit mitträgt, insbesondere bei Abstimmungen über Personalentscheidungen im Rundfunk.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

wie etwa Parteiaustritten, Parteiwechseln sowie Um- und Neubildungen von Koalitionen 192. Im Zusammenhang mit dem Mitteldeutschen Rundfunk erübrigt sich die abschließende Erörterung, ob politische Parteien als solche dem staatlichen oder dem gesellschaftlichen Bereich zuzurechnen sind. Wie gezeigt, ist eine reine Parteienmitwirkung in der Rechtsgrundlage fUr den MDR nicht vorgesehen193. Nur die nonnative Einbeziehung der Parteien in die Wahrnehmung des RundfunkauftTags könnte aber Gegenstand einer gesonderten verfassungsrechtlichen Untersuchung sein. Die im MDR-Staatsvertrag benannten Fraktions- und Gruppenvertreter der Parteien zählen bereits kraft ihrer parlamentarischen Organstellung zum Staat. Es soll indessen nicht verkannt werden, daß die zum Teil grundgesetzlich abgesicherte194, zum Teil auch tatsächlichel95 Machtstellung der Parteien im Gemeinwesen diese grundsätzlich als "staatsgleich" erscheinen läßt. Soweit ihnen die Mitwirkung im Rundfunk gesetzlich eröffnet würde, ist ihre Einflußnahme auf die öffentliche und individuelle Meinungsbildung der Bevölkerung mit den Mitteln des Rundfunks aufgrund der besagten Machtposition einer staatlichen Einflußnahme jedenfalls gleichzubehandeln 196. Dabei bleibt weiter ungeklärt, ob und wie dem Problem der "Doppelrollen" von Rundfunkratsmitgliedern beizukommen ist 197. Derartige Zusammenhänge

192 Daraufweist Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 147 hin und beftlrwortet im übrigen eine "extensive Auslegung" des Staatsfreiheitsbegriffs, um dessen Schutzrichtung gerecht zu werden, a.a.O., S. 155. 193 Wenngleich eine rege Mitgestaltung durch die politischen Parteien im tatsächlichen Bereich nicht zu übersehen ist, vgl. nur Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 127 ff., der den "ungenierten Parteienzugrift" auf die Rundfunkneuordnung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kritisiert. 194 Vgl. Art. 21 GG. 195 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A Jl 3 a bb mit Nachweisen. 196 Falls die politischen Parteien nicht ohnehin als Teil des Staates angesehen werden, vgl. Rossen, ZUM 1992, 408 (410); Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 148; Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 130; Lerche, Landesbericht, S. 15 (77); Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 72; a.A. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 108; Eber/e/Gersdorf, JuS, 1991, 489 (493); Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 97; Ossenbühl, DÖV 1972, 293 (297); nach Krause-Ablaß, JZ 1962, 158 (160) muß dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 1 2 GG neben dem Gebot der Staatsfreiheit zusätzlich das Gebot der Parteienfreiheit entnommen werden, vgl. Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 20; ders., NJW 1990,2451 (2452); Stock, Medienfreiheit als Funktionsgrundrecht, S. 360; Kresse, Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, S. 118; Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 132 f. 197 Auf diesen Problembereich hat bereits Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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sind jedoch normativ kaum faßbar, da weitgehende gesetzliche Unvereinbarkeitsvorschriften geschaffen werden müßten, die Primär-, Sekundär- und vielleicht sogar Tertiärfunktionen der einzelnen Gruppenrepräsentanten berücksichtigen. Das stößt auf praktische Probleme der Überprüfbarkeit, berührt zudem die grundrechtliche Koalitionsfreiheit der betreffenden Rundfunkratsmitglieder198 und stellt vor allem einen tiefen Eingriff in das Bestimmungsrecht der jeweils zur Entsendung berufenen Gruppen dar: Was dem Parteienfreiheitsgebot dienen soll, schadet auf diese Weise dem Pluralitätsgebot In der von den Landesgesetzgebern gewählten binnenpluralen Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muß es letztlich den jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen überlassen bleiben, in eigener Veranwortung über die von ihnen entsandten Personen sowie über das Verfahren zu deren Ermittlung zu entscheiden !99.

!3) Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände Eine beträchtliche Nähe zur staatlichen Organisation weisen die kommunalen Spitzenverbände auf. Sie sind die Interessenvertretungen der Gebietskörperschaften in Gesetzgebungsverfahren und bei den jeweiligen Bundes- und Landesbehörden200. Sie werden nach Wortlaut und Systematik des§ 19 MDRStaatsvertrag nicht den Staatsvertretern, sondern den "gesellschaftlich bedeutsamen Organisationen und Gruppen" zugeordnet201. Eine solche "Tarnung" ist jedoch in keiner Weise gerechtfertigt; dies um so weniger, als kommunalen Rundfunks, S. 21 hingewiesen; ebenso Rossen, ZUM 1992,408 (413); Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 163. 198 Vgl. Art. 9 I iVm 21 GG sowie BVertDE 50,290 (353 f.); E 38,281 (298); E 10, 89 (102) und Löwer, in: v. MUnch/Kunig, Grundgesetz, Band I, Art. 9, Rn. 16 f. 199 Denn der Gesetzgeber läßt sich mit seiner Entscheidung ftlr das gesellschaftliche Gruppenprinzip bewußt auf die "Bedingungen verbandlieber lnteressenrepräsentation" ein, BVertDE 83, 238 (334); diesem Umstand tragt § 19 IV I MDR-StV Rechnung; vgl. auch Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 193 f. 200 Dazu Laux, DÖV 1986, 786 ff.; ders., DÖV 1985, 673 ff. Auf Bundesebene haben sich der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Landkreistag organisiert. Daneben gibt es auch auf Landesebene ZusammenschlUsse von Kreisen, Städten und Gemeinden, vgl. dazu Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 59; Reichert/Gern, Kommunalrecht, S. 293 f.

20I Vgl. insoweit den Wortlaut des § 19 I Nr. 16 MDR-StV, wonach Mitglieder "weiterer" ZusammenschlUsse mit gesellschaftlicher Bedeutung zu bestimmen sind; daneben ist bei den gesellschaftlich relevanten Gruppen - auch bei den kommunalen Spitzenverbanden - von "Mitgliedern" die Rede, wahrend die von staatlicher Seite entsandten Ratsmitglieder als "Vertreter" bezeichnet werden, vgl. § 19 I Nr. I, 2 MDR-StV.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Gebietskörperschaften die Teilhabe an der Rundfunkverantwortung grundsätzlich offensteht Durch die Benennung von Vertretern kommunaler Spitzenverbände an Stelle von solchen kommunaler Gebietskörperschaften zur Entsendung in den MDR-Rundfunkrat ändert sich in der Sache nichts. Zwar verfolgen die genannten Verbände eine Form interkommunaler Zusammenarbeit, die regelmäßig privatrechtlich, nach den Grundsätzen des nichtrechtsflihigen Vereins organisiert ist202 und nicht die hoheitliche Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zum Ziel hat203. Die Vertreter und Organwalter der Mitgliedskörperschaften sind jedoch gehalten, die Interessen der kommunalen Verwaltung zu dienen, welche ihrerseits Adressat hoheitlicher Aufgaben und Befugnisse ist. Damit sind die einzelnen Interessenvertreter so eng in den kommunalen Einfluß- und Gewaltbereich eingebunden, daß sie -jedenfalls im Hinblick auf das rundfunkrechtliche Staatsfreiheitsgebot - solchen Rundfunkratsmitgliedern gleichzusetzen sind, die direkt von einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft entsandt werden204. Für den letztgenannten Fall hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Vierten Rundfunkentscheidung festgestellt, daß Gemeinden als Träger öffentlicher Gewalt trotz ihrer grundgesetzlich verbürgten Selbstverwaltungsgarantie selbst ein Stück "Staat" darstellen205. Dem ist zuzustimmen, da kommunale Gebietskörperschaften trotz ihrer grundrechtsähnlichen und staatsabwehrenden Selbständigkeit Staatsgewalt in Richtung der Bürger ausüben. In ihrem Hoheitsgebiet verkörpern sie die Exekutive. Es sei zulässig, so das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle206, ihnen die Teilhabe an der eigenverantwortlichen Gestaltung privater Rundfunkprogramme gesetzlich zu verbieten. Die begrenz-

202 Vgl. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 59. Ausnahmen sind insofern der Bayerische Städteverbund sowie der Bayerische Landkreisverband, die jeweils als öffentlich-rechtliche Körperschaft ausgestaltet wurden, vgl. S. Schnell, Der Deutsche Städtetag, S. 27; Vesper, Zur Vereinheitlichung im Kommunalrecht der Bundesländer, S. 87. 203 Wenngleich bisweilen die- freilich ungenaue- Bezeichnung der kommunalen Spitzenverbande als "Träger öffentlicher Belange" zu finden ist, vgl. etwa Vesper, Zur Vereinheitlichung im Kommunalrecht der Bundesländer, S. 87. Die Wendung: "Spiegelbild kommunaler Aufgaben und Aktivitäten" (Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 59) bei der verbandliehen Interessenvertretung beschreibt die Funktion der Spitzenverbände besser. Näher Lämm/e, OÖV 1988,916 (917 ff.). 2°4 "Die geschäftsftlhrenden Präsidialmitglieder und Leiter der ... Hauptgeschäftsstelle nach 1947 kamen alle aus der staatlich-kommunalen Praxis", Laux, OÖV 1986, 786 (787). 205 BVerfGE 73, 118 (191); ebenso BayVerfGH, N.F. 42, 11 (20); N.F. 39,96 (155). 206 BVerfGE 83, 238 (330 f.).

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te Mitwirkung von Gemeinden an der Veranstaltung von privatem Rundfunk sei hingegen ebensowenig zu beanstanden, wie die Mitgliedschaft in den Kontrollgremien der Rundfunkanstalten; "Gemeindequote" und "Staatsquote" seien gleichzubehandeln. Auch in der wissenschaftlichen Diskussion wird lediglich das "Wie", nicht aber das "Ob" einer kommunalen Rundfunkbeteiligung erörtert207. Es bleibt festzuhalten, daß die drei in den MDR-Rundfunkrat zu entsendeneo Mitglieder der kommunalen Spitzenverbände dem staatlichen Einflußbereich zuzurechnen sind. Die Rechtsgrundlage ftlr ihre Entsendung hätte deshalb in systematisch konsequenter Weise an die übrigen "Vertreter" des Staates anschließen müssen208. y) Die Entsandten der Industrie- und Handelskammern sowie der Handwerksverbände

Die Zuordnung zum Bereich gesellschaftlicher Repräsentation könnte auch hinsichtlich der Industrie- und Handelskammern zweifelhaft sein. Immerhin sind diese - ähnlich wie Gemeinden - nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen organisierte Körperschaften mit dem Recht zur Selbstverfassung und Selbstverwaltung209; auch sie nehmen öffentliche Aufgaben wahr210. Doch fUhrt eine formale Betrachtung hier nicht weiter, denn nicht hinter jeder öffentlich-

207 Vgl. etwa Bethge, ZUM 1989, 209 ff., der zunächst den Grundsatz der "Kommunalfreiheit" des Rundfunks hervorhebt (a.a.O., S. 209) und sodann die Beteiligung der Gemeinden in einer "deutlichen Minderheitsposition" beftlrwortet (a.a.O., S. 210 f.); Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 109; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 148; Lerche, Landesbericht, S. 15 (77, dort Fn. 227); auch Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 39, 41 f., der die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Gemeinden betont und diese als "selbständige Einflußinstanzen im Rahmen der Medienfreiheit" ansieht, gesteht zu, daß solche selbständigen Einrichtungen grundsätzlich "staatliche Einflußnahme" auf den Rundfunk bewirken; ihr Einfluß sei indessen geringer als der von Regierung, Parlament und Regierungsparteien (nach Jarass die "Gubemative") und daher hinnehmbar. Ho.ffmonn-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 141 behandelt die kommunalen Spitzenverbände ausschließlich unter Vielfaltsgesichtspunkten, indem er ihnen die "Qualität von Arbeitgeberorganisationen" zumißt

208 Etwa als § 19 I Nr. 3 MDR-StV. 2°9 Vgl. § 3 I IHKG sowie Frentzei/Jtikei!Junge, Industrie- und Handelskammergesetz, § 3, Anm. I; Stober, Die Industrie- und Handelskammer, S. 75 ff., 85, 101 f. 2IO Näher Hendler, DÖV 1986, 675 (678 ff.); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, § 84, Rn. 4, 33 ff.; vgl. auch BVerfUE 38, 281 (297 ff.); E 10, 89 (102) zur Gründung öffentlich-rechtlicher Verbände, um öffentliche Aufgaben wahrnehmen zu lassen.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

rechtlichen Organisation verbirgt sich der Staat2ll, wofür beispielhaft die Rundfunkanstalten stehen mögen. Umgekehrt läßt die Gewährleistung der Selbstverwaltung von vornherein noch keinen Schluß auf die Freiheit von staatlicher Einbindung zu212. Es ist vielmehr nach den jeweiligen Funktionszuweisungen zu unterscheiden. Danach stehen die Industrie- und Handelskammern im Lager der gesellschaftlich relevanten Gruppen, weil sie in der Hauptsache die wirtschaftlichen Gesamtinteressen ihrer überwiegend privatrechtlich geprägten Mitgliedschaft zu vertreten haben213. Dasselbe gilt ftlr andere Zweige der berufsständischen Interessenvertretung, wie etwa die Handwerksverbände214 . Den Kommunen erwächst demgegenüber eine gebietsbezogene "Allzuständigkeit"215; im lokalen Bereich verkörpern sie die Exekutive und üben kraft dieser Funktion unmittelbar staatliche Hoheitsgewalt aus21 6. B) Die Entsandten der unbenannten gesellschaftlichen Gruppen

Schließlich ist auf die im MDR-Staatsvertrag unbenannten Zusammenschlüsse einzugehen, die von den Landtagen jeweils ftlr eine Amtsperiode ausgewählt und nach deren Ablauf ausgewechselt werden sollen. Diese besondere Form einer gänzlich ungebundenen Auswahl der entsendungsberechtigten Gesellschaftsgruppen war bislang noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Ent-

211 Vgl. Bethge, AöR, 104. Band [1979], S. 54 (284); Berendes, Die Staatsaufsicht Ober den Rundfunk, S. 96 f.; /psen, Mitbestimmung im Rundfunk, S. 39. 212 Vgl. Bethge, AöR, 104. Band [1979], S. 54 (275 ff.) 213 Wenngleich dies nicht ihre einzige Aufgabe ist, wie BVerfGE 15, 235 (241) ausftlhrt; a.A. Gersdoif, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 113, 186, da die Berufskammern keinen Grundrechtsschutz genössen und keine individuellen Interessen vertraten; vgl. aber § I IHKG, dazu Frentze/1 JäkeVJunge, Industrie- und Handelskammergesetz, § I, Anm. 2; Stober, Die Industrie- und Handelskammer, S. 3I ff.; Hendler, DÖV 1986, 675 (677 ff.). Daß wirtschaftliche Interessenvertretungen zu den gesellschaftlichen Gruppen gehören, verdeutlicht Bethge, Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 19. 214 Vgl. §§ 52 ff.; 90 ff. HandwerksO sowie Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, § 90, Rn. 4 ff.; Eyermann/Fröhler/Honig, Handwerksordnung, § 90, Rn. 3 f.; vgl. auch BVerfGE 38, 281 (301). 215 BVerfGE 2I, 117 (128 f.); E 8, 122 (134); E 1 167 (175); BVerfGE 79, 127 (146) spricht von der '"Universalität' des gemeindlichen Wirkungskreises" (einfache Anftlhrungszeichen im Original); naher Jost, Die Beteiligung der Gemeinden an den "Neuen Techniken", S. 48 ff. m.w.N. 216 Vgl. BayVerfGH, N.F. 39,96 (ISS); bestätigt in N.F. 42, 11 (20).

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scheidung und fmdet in den gesetzlichen Rundfunkregelungen der übrigen Länder keine Entsprechung217. Die besagte Öffnungsklausel zugunsten des mit acht Sitzen größten Blocks innerhalb der gesellschaftlichen Repräsentanten218 begünstigt eine parlamentsund regierungsnahe Auswahl der betreffenden Rundfunkratsmitglieder, die deshalb letztlich dem Staat zuzurechnen sind. Zudem ist fraglich, ob die staatsvertragliche Rechtsgrundlage ftlr deren Entsendung in vollem Umfang vom grundrechtliehen Ausgestaltungsauftrag an die Landesgesetzgeber gedeckt ist. (1) Parlaments- und regierungsnahe Auswahl

Um der Besorgnis einer Staatsverbundenheit der von den Landtagen nachträglich ausgewählten Gruppen vorzubeugen, hätte es nicht mit dem Etikett "acht weiterer gesellschaftlich relevanter Organisationen und Gruppen" sein Bewenden haben dürfen. Denn das an Stelle einer abschließenden Festlegung geregelte Bewerbungs- und Auswahlverfahren ruft eine Geflihrdungslage hervor, die mit der staatlichen Vergabe von Übertragungsfrequenzen vergleichbar ist. Hier wie dort besteht die Gefahr, daß die sich bewerbenden Gruppen durch

217 Eine solche Regelung war allerdings bis zum Beitritt Mecklenburg-Vorpommerns in § 17 12 Nr. 16, 111 NDR-Staatsvertrag vom 20. August 1980 enthalten; diese ist aber in die Neufassung dieses Staatsvertrags vom 17./18. Dezember 1991 nicht wiederaufgenommen worden. Für Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 141 ist das jahrelange anfechtungsfreie

Bestehen der besagten NDR-Regelung immerhin "ein gewisser Indikator fllr verfassungsrechtliche Tolerierbarkeit"; dies wird zu widerlegen sein, s. sogleich im Text. Die zunächst ähnlich anmutende Vorschrift des§ 16111 SaarlRuFuG rückt zwar in die Nähe des§ 191 Nr. 16, III MDR-StV, indem "namentlich nicht bestimmte Organisationen" vom Medienausschuß des Landtags in einem vergleichbaren Bewerbungsverfahren auszuwählen sind. Diese Gruppen haben mit einem Anteil von vier der insgesamt 29 Sitze jedoch ein weitaus geringeres Gewicht im Rundfunkrat und sind zudem bereits im Gesetz einzelnen gesellschaftlichen Bereichen zugeordnet worden (Nr. 7: "Lehrerschaft", Nr. 22: "Joumalistenverbände", Nr. 25: "Natur- und Umweltschutzvereinigungen", Nr. 27: "Behindertenverbände"); ähnliche Bindungen enthalten §§ 8 I Nr. 27; 9 IIl RBG; § 29 I 2 Nr. 17, 111 SächsPRG; § 32 I 2 Nr. 13, 111 PRO S.-A. Nach § 6 111 Nr. I SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz wählt das Abgeordnetenhaus von Berlin auf Vorschlag seiner Fraktionen acht "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens" und bestimmt auf diese Weise die Staatsvertreter, nicht aber Gruppenrepräsentanten, im Rundfunkrat Gleiches gilt fllr § 4 II Nr. 22 SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-Gesetz. 218 Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (37) ist zwar zuzustimmen, wenn er im Außenverhältnis die acht tatsächlich ausgewählten im Vergleich zu den insgesamt in Betracht kommenden Gruppen als "Minderheit" abtut; eine solche Sichtweise unterschätzt jedoch die innere Machtstellung der fllr den Rundfunkrat ausgewählten (möglicherweise gleichgerichteten) Zusammenschlüsse im Vergleich zu den übrigen (staatsvertraglich nach Vielfaltsgesichtspunkten festgelegten) Gruppen.

224

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

"Wohlverhalten"21 9 den Zuschlag des Parlaments zu sichern versuchen220 . Ein solches Wohlverhalten schließt auch die Möglichkeit der Entsendung einer "genehmen"221 Persönlichkeit ein. Dies stellt im Falle der Bewerbung fiir den Rundfunkrat ebenso wie bei der Bewerbung fUr die Frequenzvergabe einen mittelbaren Eingriff des Staates in die Programmfreiheit des Rundfunks dar. Der Rundfunkrat nimmt als "höchstes Organ"222 der Anstalt sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht maßgeblich Einfluß auf die Gestaltung des Programms223. Über die ungebundene Gruppenauswahl bei der Besetzung des MDR-Rundfunkrats ist also ein Weg zur staatlichen Einflußnahme auf wesentliche Entscheidungen der Anstalt eröffnet. Es reicht bereits aus, daß sich eine bloße "Gefahr derartiger Einflüsse" nicht ausschließen läßt224 . Aufgrund dieser Gefährdungslage sind sämtliche der von den unbenannten gesellschaftlichen Zusammenschlüssen entsandten Rundfunkratsmitglieder dem Staat zuzuordnen225. Auch die ausdrücklich auf gesellschaftliche Bedeutung abstellende Formulierung der Vorschrift ändert daran nichts. Der Einwand einer durch die Rege-

Eberle, Rundfunkübertragung, S. 96 f. 220 Vgl. BVerlDE 83,238 (322 ff.); E 73, 118 (182 f.) 221 Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 191, 197, ftlr den Fall einer Auswahl unmittelbar durch das Parlament unter mehreren von den gesellschaftlichen Gruppen vorgeschlagenen Kandidaten; Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 131; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 156 plädiert daftlr, der freien Selbstbestimmung der Gruppen zu vertrauen, wenngleich ein "starker parlamentarischer Einfluß auf die Selektion" besteht; dieses Vertrauen erscheint verfehlt, da die Gefllhrdungslage anhalt, auch wenn sie von den entsendenden Zusammenschlüssen nicht sofort ausgenutzt wird (dazu sogleich im Text); an anderer Stelle halt es Schuster, a.a.O., S. 153 wiederum ftlr zweifelhaft, allein auf den "status quo" abzustellen, wenn die Unabhängigkeit des Rundfunks in denkbaren Gefahrenlagen abgesichert werden soll. 222 Vgl. BVertDE 31, 314 (328); Cromme, NJW 1985, 351 (359); Lerche, Landesbericht, S. 15 (70); das OVG Lüneburg, DÖV 1979, 170 (170 f.) spricht vom "rechtlich bedeutsamsten Organ der Anstalt". 223 So entscheidet der Rundfunkrat allein in wesentlichen Personal- und Finanzangelegenheiten, beschließt Programmrichtlinien und wirkt gemeinsam mit dem Verwaltungsrat bei zahlreichen Entscheidungen des Intendanten mit, näher zu den weitgehenden programmbezogenen Gestaltungsmöglichkeiten des Rundfunkrats Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 178, vgl. ftlr den Mitteldeutschen Rundfunk § 20 II-IV MDR-StV. 224 BVerlDE 83, 238 (323); Rossen, ZUM 1992, 408 (409 f.); Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 131. 225 Der Vorschlag von Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 326, "beispielhaft" nur die Halfte dieser Rundfunkratsmitglieder dem Staat zuzurechnen, mag zwar weniger radikal anmuten, entbehrt jedoch letztlich einer michvollziehbaren Herleitung. 2 19

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

225

lung gewährleisteten "Mobilität der Interessenvertretung"226 vermag der Begünstigung staatlichen Einflusses auf den Rundfunk ebenfalls nicht entgegenzuwirken, da weder die Berücksichtigung neugebildeter Gruppen noch ein Wechsel innerhalb der vorhandenen Gruppen verfassungsrechtlich zwingend geboten ist. Sache des Gesetzgebers ist lediglich die weitgehend unbeschränkte Schaffung nonnativer Vorgaben zur Organisation der binnenpluralistischen Kontrollorgane, indem die in Betracht kommenden gesellschaftlich bedeutsamen Kräfte ermittelt, die ihnen zuzurechnenden Gruppen festgestellt und aus diesen die zur Entsendung berechtigten ausgewählt werden227. Falls im Wege dieser Entscheidungsfmdung vom Rundfunkrecht flexibel auf Veränderungen in der gesellschaftlichen Gruppenstruktur reagiert werden soll, bleibt nur der Weg über eine gesetzliche Neuregelung ohne außergerichtliches Bewerbungsverfahren. Eine derart aufwendige Änderung des Staatsvertrags könnte freilich durch Einfitgen einer entsprechend veränderten Öffnungsklausel auf einen Teil des Rundfunkrats beschränkt werden228. Eine weitere Möglichkeit zeigt die Revisionklausel des § 17 VII NDR-StV, wonach die Zusammensetzung des Rundfunkrats jedesmal vor Ablauf der Amtszeit zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern ist229. (2) Überschreitung des grundrechtliehen Ausgestaltungsauftrags

Ein Überschreiten des Ausgestaltungsauftrags und damit ein unzulässiger Eingriff des Gesetzgebers in die Rundfunkfreiheit könnte darin liegen, daß die Staatsvertrags-Partnerländer die Befugnisse zur Entsendung von Rundfunkratsmitgliedern nur unvollkommen geregelt haben, indem die Bestimmung der un-

226 Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 141; Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (37); vgl. insoweit auch die amtliche Begründung zu§ 19 MDR-StV (Sachs. LTag, Drucks. 1/477, S. 12). 227 Dabei ist der Gesetzgeber frei, solange er sich bei der Zusammensetzung der pluralistischen Repräsentationsgremien unterhalb der "Schwelle grober Verzerrung" hält, vgl. BVertUE 83, 238 (334 f.). Dies ist hier unstreitig. Zur Klarstellung: Gegenstand der Kritik ist nicht die Offenheit der gesetzgeberischen Erwägungen, sondern die Offenheit des gesetzlichen Tatbestands, in den diese Erwägungen einmünden. 228 Als Vorbild fllr solche Anpassungsregelungen könnte etwa das fllr die Verwaltungsräte einiger ARD-Anstalten vorgesehene System turnusmäßiger Teilauswechslung dienen, vgl. Art. 8 II BayRG; § 121 HessRuFuG; § 22 I, II SaariRuFuG; § 12 II I 2. HS SWF-StV. Auch§ 19 I StVBB zur wechselnden Rechtsaufsicht über die Medienanstalt Berlin-Brandenburg zeigt, daß das Auswechslungsprinzip den Grundsätzen der Rundfunkaufsicht nicht fremd ist. 229 S. dazu auch unten 2. Teil 2. Abschnitt B 111 I b. 15 Wilhelmi

226

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

benannten Gruppen von der staatsvertragliehen Regelung ausgenommen worden ist. Der aus Art. 20 III GG abzuleitende rechtsstaatliche Gesetzesvorbehalt verlangt, daß alle wesentlichen Entscheidungen vom Parlament und in einem formliehen Gesetz zu treffen sind. Als "wesentlich" sind diejenigen Entscheidungen anzusehen, die den grundrechtsrelevanten Bereich berühren230. In § 19 MDR-Staatsvertrag wird die Zusammensetzung des zur Rundfunkaufsicht berufenen Gremiums geregelt und auf diese Weise das Grundrecht der Rundfunkfreiheit ausgestaltet231. Bei rein formeller Sichtweise bliebe damit festzustellen, daß die Gesetzgeber der MDR-Partnerländer die Zusammensetzung des Rundfunkrats in der Tat selbst normiert und nicht etwa an eine Verwaltungsbehörde übertragen haben232. Den inhaltlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts wird§ 19 I Nr. 16, III MDR-StV indessen nicht gerecht. Nach diesen Anforderungen ist es den Staatsvertragsländern nicht nur verwehrt, die grundrechtserheblichen Entscheidungen auf verwaltungszugehörige Außenseiter zu übertragen. Es muß ihnen ebenso untersagt sein, diese Entscheidungen außerhalb des formliehen Gesetzgebungsverfahrens zu treffen. Andernfalls könnte das verfassungsrechtlich geforderte ~rmliche Gesetz233 zur bloßen Fassade werden - dann nämlich, wenn etwa der Gesetzeswortlaut nur unbestimmt formuliert ist oder darin die Auslagerung aus dem verfassungsmäßigen Verfahren vorgesehen ist234. Geset-

230 Vgl. BVerfGE 57,295 (320 f., 324); E 49, 89 (126 f.); E 47, 46 (78 f.); E 41, 251 E 40, 237 (248 f.) sowie oben 1. Teil 1. Abschnitt B 113.

(259 f.);

23 1 Da die Bedeutung der Rundfunkratsbesetzung ftlr die Verwirklichung des Grundrechts aus Art. 5 I 2 GG außer Streit steht, ist eine Vertiefung der "Wesentlichkeitsproblematik" hier nicht geboten, vgl. dazu Clement, Der Vorbehalt des Gesetzes, S. 118 ff.; K. L6fller, Parlamentsvorbehalt und Kemenergierecht, S. 39 ff.; Eber/e, DÖV 1984, 485 (487 f.); Erichsen, VerwArchiv, 70. Band [1979], S. 249 (252); ders., VerwArchiv, 69. Band [1978], S. 387 (393 ff.); ders., VerwArchiv, 67. Band (1976], S. 93 (96); Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, S. 248 ff.; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 99 f. 232 Damit bleibt das Gewaltenteilungsprinzip hier unbertlhrt und es ertlbrigt sich, gesondert auf den dem Gesetzesvorbehalt nachgeordneten Parlamentsvorbehalt einzugehen; zur Unterscheidung im Rahmen eines "Stufenverhllltnisses" vgl. Erichsen, VerwArchiv, 70. Band [1979], S. 249 (253); ders., VerwArchiv, 69. Band [1978], S. 387 (396); ders., VerwArchiv, 67. Band [1976], S. 93 (97 f.). 233 Vgl. BVerfGE 49, 89 (127). 234 Das Verfahren der parlamentarischen Gesetzgebung ermöglicht gegenüber der einfachen Parlamentsabstimmung (etwa nach§ 191112 MDR-StV) ein hohes Maß an öffentlicher Auseinandersetzung und Entscheidungssuche und damit auch den Ausgleich widerstreitender Interessen, vgl. BVerfGE 40, 237 (249) sowie Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 140 ff. zu den "Spezifika parlamentarischer Rechtserzeugung"; vgl. auch Eber/e, DÖV 1984, 485 (489 f.). Hoff-

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

227

zesvorbehalt muß im Verhältnis zur Rundfunkanstalt also bedeuten, daß die beteiligten Parlamente selbst und in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber sowie unter den besonderen Anforderungen des förmlichen Normsetzungsverfahrens über das zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit Wesentliche bestimmen. Das ist im Falle der staatsvertraglich unbenannten Zusammenschlüsse nicht geschehen. Die offene Regelung verlagert die letztendliche Entscheidung in ein einfaches parlamentarisches Beschlußverfahren und unterläuft auf diese Weise den Auftrag zur gesetzlichen Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit Außerhalb dieses Auftrags unterliegt der Gesetzgeber jedoch in vollem Umfang dem Staatsfreiheitsgebot Dagegen haben die MDR-Partnerländer verstoßen, indem sie ihren Landtagen über die Möglichkeit der nachträglichen Benennung von acht gesellschaftlichen Gruppen den Weg zur mittelbaren staatlichen Einflußnahme geebnet haben235. bb) Höhe der Staatsquote Der MDR-Rundfunkrat setzt sich sowohl aus Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen als auch aus Vertretern des Staates zusammen. Eine Gesamtzahl der Rundfunkratsmitglieder läßt sich unmittelbar aus dem MDR-Staatsvertrag indessen nicht ermitteln, da die Anzahl der von den in den Landtagen vertretenen Parteien entsandten Mitglieder von den jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnissen abhängt und daher Schwankungen unterliegt236. Dem Staat zuzuordnen sind zunächst die drei Vertreter der Landesregierungen, ebenso die drei Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und die acht von den unbenannten Gruppen Entsandten, zusammen also 14 Rundfunkratsmitglieder. Die Zahl erhöht sich um neun Mitglieder, die entsprechend den derzeitigen politischen Mehrheitsverhältnissen in den Landtagen von den Parlamentsfraktionen und -gruppen entsandt werden. Damit ergibt sich für die laufende, bis Ende 1997 reichende Amtsperiode des MDR-Rundfunkrats die

mann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 142 beurteilt die Regelung des§ 19I Nr. 16, lll MDR-StV unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheit als möglicheiWeise "gerade noch" verfassungsgemäß. 235 S. auch oben 2. Tei12. Abschnitt A 13 a, 113 a aa sowie 8 12 b aa Ii (1). 236 Vgl. § 19I Nr. 2 MDR-StV; die entsprechende Regelung im NDR-Staatsvertrag beinhaltet demgegenüber eine Höchstzahlregelung sowohl ftlr die von den Parlamentsparteien entsandten Mitglieder als auch ftlr den Gesamtumfang des Rundfunkrats, vgl. § 17 I I, 2 Nr. I NDR-StV; ähnlich Art. 6 lll, IV BayRG; vgl. auch Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 38, 41, 44 ff. 15*

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

"Staatszahl" von 23 Mitgliedern, welche bei dem gegenwärtigen Gesamtumfang des Gremiums von 43 Sitzen einer "Staatsquote" von 53 Prozent237 entspricht. cc) Zulässigkeit der Staatsquote Die für den Mitteldeutschen Rundfunk ermittelte Staatsquote ist in verfassungswidriger Weise überhöht. Selbst bei großzügiger Auslegung der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung238, in der letztlich ein staatliches Beherrschungsverbot im Bereich der Rundfunkorganisation vertreten wird, ist der MDR mit seinem Staatsanteil von deutlich über 50 Prozent tief im Bereich beherrschender Einflußmöglichkeit Den weitaus zurückbaltenderen Vorschlägen aus dem Schrifttum239 wird damit erst recht nicht entsprochen. Auch Überlegungen zu einer differenzierten Betrachtung240 der einzelnen Staatsvertreter im Gegensatz zur Ansehung als einheitlichen Staatsblock helfen nicht weiter. Der Grund liegt in der Höhe der bundesweit herausragenden Staatsquote241 , gegenüber der die möglicherweise in Betracht zu ziehenden horizontalen oder vertikalen "Brechungen" der staatlichen Einflußmöglichkeiten nur ein stumpfes Schwert darstellen242. Außerdem begegnet die Annahme einer "Vielzahl von Staatlichkeit"243 , durch welche die Staatsgewalt in ihrer Gesamtheit abgeschwächt und eine "Blockbildung"244 im Rundfunk verhindert wird, grundsätzlichen Bedenken. Diese ergeben sich zum einen aus Problemen bei der Bestimmung und Abgrenzung derjenigen Teile des Staates, die als

237 Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 326 kommt auf "etwa 43 Prozent", da er von den unbenannten Gruppen- wenn auch nur beispielhaft und ohne nähere Begründung - lediglich vier dem staatlichen Einflußbereich zurechnet und daher eine "Staatszahl" von 19 zugrundelegt 23 8 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A I 4, II 3 b aa. 239 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A II 3 b aa. 240 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A II 3 b bb. 241 Zum Vergleich Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S.

151 ff.; Kresse, Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 326; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 46 f. 242 Dazu sogleich im Text. Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 45 erklärt eine Situation, in der mehr als die Hälfte der Rundfunkratsmitglieder dem staatlichen Bereich entstammen angesichts des verfassungsrechtlichen Beherrschungsverbots ohne weiteres filr verfassungswidrig. 243 Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 153. 244 Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 51.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

229

einheitlicher Willens- und Einflußkörper angesehen werden sollen. Zum anderen darf bei der Einschätzung staatlicher Machtfillle nicht vom derzeitigen Stand auf die zukünftige Entwicklung geschlossen werden; ein Rückblick auf den von der Gleichschaltung aller Staatsgewalt begleiteten demokratischen Verfall der Weimarer Republik ermahnt zur Vorsicht245. Doch nicht nur eine derartige, gewaltsam aufgezwungene, sondern auch die politisch vereinbarte Gleichschaltung wesentlicher Teile des staatlichen Willensbildungsapparats im Rahmen einer großen Koalition ist als eine weitere - wohl näherliegende - Erscheinungsform einheitlichen staatlichen Auftretens zu berücksichtigen. Neben diesen allgemeinen Argumenten zur Ablehnung einer "Diversifizierung"246 des Staats im Rundfunkwesen, gibt auch die besondere Rechtslage des Mitteldeutschen Rundfunks keinen Anlaß zur Entwarnung. Immerhin ist der Drei-Länder-Konstruktion zugute zu halten, daß die horizontale Aufspaltung des MDR ein gewisses Maß an "föderaler Brechung"247 zur Folge hat, wodurch wiederum ein höherer "Staatsrabatt" angebracht sein sein mag, als wenn der Rundfunkrat nur aus einem Land beschickt würde248. Doch bieten gerade Gründung und Aufbau des MDR ein eindrucksvolles Lehrstück filr die Durchsetzung gleichgerichteter staatlicher Interessen über die Ländergrenzen hinweg. Gleichzeitig ist an diesem Beispiel abzulesen, daß neben einer horizontalen auch eine vertikale Aufspaltung des staatlichen Einflusses in verschiedene Ebenen des Parlaments249 oder der Verwaltung250 keine Gewähr fiir den Ausschluß staatlicher Beherrschung leisten kann. Denn das MDR-Grün-

245 Die geschichtliche Erfahrung gibt auch Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 153 zu bedenken. 246 Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 51. 247 Bethge, Föderaler Rundfunkfinanzausgleich, S. 65; Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 153 f.; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 42 f., 50; ihm folgend BayVerfUH, N.F. 42, II (20); Bachof/Kisker, ZDF-Gutachten, S. 64; ebenso Lerche, Landesbericht, S. 15 (77 f.); Wujka, Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 96; kritisch zur Wirksamkeit einer "föderalen Brechung" des Staatseinflusses im Rahmen der Rundfunkgebührenfinanzierung Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 331 f. 248 Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 42. 249 Auf die gegensätzliche Interessenlage zwischen Regierung und Opposition bezieht sich Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 42 f., kommtjedoch sogleich zu der Erkenntnis, daß dies nur eine theoretische Überlegung ist, die in wesentlichen Fragen der Rundfunkwirklichkeit, insbesondere bei Personalentscheidungen nicht standhält. 250 Lerche, Landesbericht, S. 15 (78 f.) befllrwortet insbesondere die Beteiligung weisungsfreier sachkundiger MinisterialbUrokratie, die sich durch spezifische Interessenunabhängigkeit auszeichne und greift damit auf Bettermann, DVBI. 1963, 41 (43 f.) und dessen These von der Zulässigkeit staatsunmittelbaren Rundfunks zurück, welche bereits zu Recht von Lenz, JZ 1963, 338 (349 f.) widerlegt wurde.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

dungsverfahren nach § 45 MDR-Staatsvertrag etwa wurde fraktionsUbergreifend beschlossen und durchgefiihrt251. Die dabei zutage getretenen Legitimations- und Vielfaltsmängel sind bereits nachgezeichnet worden252. 3. Verwaltungsrat Die in bezug auf den MDR-Rundfunkrat dargelegten Beeinträchtigungen der grundrechtlich gebotenen Staatsfreiheit reichen bis in den Verwaltungsrat des Senders hinein, es treten jedoch keine weiteren Bedenken hinzu. Das im wesentlichen fiir die Überwachung der Intendantentätigkeit zuständige Gremium setzt sich aus sieben Mitgliedern zusammen. Sie werden ausschließlich vom Rundfunkrat gewählt und genießen eine umfassende Weisungsfreiheit253. Da im MDR nicht wie in einigen anderen ARD-Anstalten dem Staat oder sonstigen Einflußquellen indirekte Benennungsrechte oder gar direkte Besetzungsrechte eingeräumt sind254, erwächst der Drei-Länder-Anstalt im Organisationsbereich ihres Verwaltungsrats kein zusätzliches Problem aus der Sicht des Staatsfreiheitsgebots. Die im Verhältnis zum Umfang des Sendegebiets eher geringe Mitgliederzahl255 gewährleistet eine schnelle und effektive Arbeit, birgt allerdings auch die Möglichkeit einer einfacheren Vereinnahmung256.

251 In allen drei MDR-Partnerlllndem regierte dieselbe politische Kraft, die mit der zweitstärksten Partei einen Pakt nach dem Muster: "Stillhalten gegen Beteiligung" geschlossen hatte, vgl. Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 136 mit Fn. 216 und oben 2. Teil 2. Abschnitt B I vor l. 252 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt B I I. Die bisweilen dem staatlichen Lager unterstellte "natürliche Interessenparallelität" (Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 49) hat sich hier erfolgreich durchgesetzt; auch Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 183 f. kommt zu dem Ergebnis, daß weder die "Homogenität" noch andere Kriterien geeignet sein können, einzelne staatliche Störpotentiale auf den Rundfunk verläßlich zu unterscheiden.

253 Vgl. § 25 I, II MDR-StV; FUNK-Korrespondenz Nr. SO v. 12. Dezember 1991, S. 13 f. ; Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 201, dort Fn. 8 listet die Verwaltungsratsmitglieder namentlich auf. 254 Vgl. Art. 8 I BayRG; § II I 2 HessRuFuG; § 12 I 2 RBG; § 22 I 2, 3 SaariRuFuG; § 9 III SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz; § 7 I I 2. HS SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-Gesetz; § 12 II I 2. HS, 3 SWF-StV; § 20 I 2, 3 WDR-Gesetz. 255 Vgl. Art. 8 I I BayRG: Sieben Verwaltungsratsmitglieder; § II I I HessRuFuG: Sechs; § 24 I I NDR-StV: Zwölf; § 12 I I RBG: Neun; § 22 I I SaariRuFuG: Sieben; § 9 III I SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz: Neun; § 7 I I I. HS SDR-Satzung iVm § 3 I SDR-Gesetz: Neun; § 12 II I I. HS SWF-StV: Neun; § 20 I I WDR-Gesetz: Neun; § 21 I I ORB-Gesetz: Sieben. 256 Durch ein staatliches Übergewicht in der Gremienbesetzung, welche ja allein vom "staatslastigen" MDR-Rundfunkrat bestimmt wird; vgl. auch Schuster, Meinungsvielfalt in der

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

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4. Zusammenfassung Nach dieser Untersuchung ist festzustellen, daß sich sowohl die Gründung als auch der weitere Aufbau des Mitteldeutschen Rundfunks im Bereich verfassungswidriger Staatsnähe vollzogen haben. Der Staatsvertrag über den MDR sieht zwar vor, daß die öffentlich-rechtliche Anstalt nach pluralistischen Repräsentationsgrundsätzen zu organisieren und damit unter gesellschaftliche Kontrolle zu stellen ist. Gleichwohl ist in das Gründungsverfahren unnötigerweise ein Rundfunkbeirat mit der Machtbefugnis eines "Super-Gremiums" eingeschaltet worden, welches dem gesellschaftlichen Bereich weitgehend entzogen und statt dessen unmittelbar staatlichem Einfluß ausgesetzt war. Der demgegenüber im Grundsatz pluralistisch zusammengesetzte MDRRundfunkrat leidet an einer übermäßig hohen Staatsquote. Diese ergibt sich, nachdem einem ohnehin beträchtlichen Anteil an Staatsvertretern noch die Entsandten solcher gesellschaftlichen Zusammenschlüsse hinzuzurechnen sind, die in einem einfachen Bewerbungs- und Auswahlverfahren außerhalb der staatsvertraglichen Festlegung von den Landtagen ermitteln werden. Auch horizontale und vertikale Brechungen staatlicher Einflußmöglichkeit vermögen - soweit man diese Brechungen überhaupt als wirksam ansehen kann - den beherrschenden staatlichen Einfluß auf den MDR nicht auf eine angemessene Beteiligung zurückzufiihren257. II. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg Bei einer Untersuchung der staatlichen Einbindung des ORB sind andere Problembereiche als im Fall des MDR in Augenschein zu nehmen. Verglichen mit der Entwicklung in den drei südlichen Bundesländern auf dem Gebiet der dualen Rundfunkordnung, S. 157 J.; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 47 f. ; Kewenig, Zu Inhalt und Grenzen der Rundfunkfreiheit, S. 49 ff. 257 Der staatliche Zugriff auf den MDR wird auch andernorts zum Teil heftig und temperamentvoll gerügt, vgl. Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. 16, 127 ff.; ihm folgend Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (34 ff.); Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 318 ff. Es verwundert jedoch, daß der Strom dieser Kritik letztlieh nur in ein Rinnsal zögerlicher Schlußfolgerung mUndet: Die Rechtslage solle "nicht vorschnell beurteilt ... , sondern einer zukünftigen Bewertung vorbehalten bleiben", Kresse, a.a.O., Rn. 328; es sei "gerade noch das Risiko eines Verdikts der Verfassungswidrigkeit vermieden" worden- sicher sei dies aber nicht ... , Hoffmann-Riem, a.a.O., S. 142; " ... noch verfassungsgernaß ... ",Rossen, a.a.O., S. 37.

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2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

ehemaligen DDR verlief bereits die Gründung der Brandenburgischen Rundfunkanstalt258 in deutlich staatsferneren Bahnen. Auch die Organisation der internen ORB-Aufsicht ist unter Staatsfreiheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden (I). Besondere Beachtung verdienen hingegen die Kooperationsproblematik (2) sowie die Funktionen der Medienanstalt Berlin-Erandenburg (3), auf beides wird vertieft einzugehen sein.

1. Die Gründung und die Organisation des ORB a) Gründung Für den Zeitraum des Übergangs vom "Einrichtungs"-Rundfunk259 nach Art. 36 EV bis zum Amtsantritt eines im ordentlichen Verfahren gewählten Intendanten260 ist ein besonderes Organ eingerichtet worden: Der "Gründungsbeauftragte"261. Dieser gelangte zwar kraft staatlicher Ernennung ins Amt, indem er vom Ministerpräsidenten berufen und vom Landtag bestätigt wurde262. Seine Kompetenzen waren aber ausdrücklich auf vorbereitende Maßnahmen beschränkt und standen zudem unter einem weitreichenden Vorläufigkeitsvorbehalt263. Damit ist die Möglichkeit effektiver staatlicher Einflußnahme hinreichend begrenzt worden.

258 Ursprtlnglich als "Rundfunk Brandenburg" gegrtlndet, vgl. Vorschaltgesetz zur Neuordnung des Rundfunks in Brandenburg v. 27. August 1991, GVBI. 8rbg. 1991, 93 ff. sowie Gesetz Uber den "Rundfunk 8randenburg" (RBr-Gesetz) v. 6. November 1991, GVBI. 8rbg. 1991,471 ff. und später in "Ostdeutscher Rundfunk 8randenburg" umbenannt, vgl. § I Nr. 1 Gesetz zur Änderung des GesetzesUberden "Rundfunk 8randenburg" v. 20. Dezember 1991, GV81. 8rbg. 1991, 693 f. 259 Dazu ausfUhrlieh oben l. Teil2. Abschnitt 8 IV. 260 Vgl. §§51 V; 17 li I Nr. 3; 19 VII iVm IV, V; 25 I 1 ORB-Gesetz, näher Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 218; FUNK-Korrespondenz Nr. 46 v. 14. November 1991, S. 14; Nr. 44 v. 30. Oktober 1991, S. 4; epd/Kirche und Rundfunk Nr. 89 v. 13. November 1991, S. II. Vgl. dagegen§ 45 II 1, 4, 5 MDR-StV, wonach der "Grtlndungsintendant" in einem besonderen Verfahren zu wählen und als endgültiger Intendant lediglich noch zu bestätigen war. 261 §51 ORB-Gesetz näher Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 205. 262 Vgl. §51 I ORB-Gesetz; FUNK-Korrespondenz Nr. 39 v. 26. September 1991, S. 7. 263 Vgl. § 51 II, 111 ORB-Gesetz. Der gesetzliche Leitgedanke ftlr den Grtlndungsbeauftragten kann damit - ähnlich wie ftlr die "Einrichtung" nach Art. 36 EV (s. oben I. Teil 2. Abschnitt 8 IV), jedoch im Gegensatz zu den Übergangsorganen des MDR (s. oben 2. Teil 2. Abschnitt B I 1 b)- auf die Kurzformel: Vorbereitung statt Bindung gebracht werden.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

233

b) Organisation Die Zusammensetzung des binnenplural organisierten ORB-Rundfunkrats264 umfaßt nur zu einem geringen Teil Vertreter des Staates: Jeder der gegenwärtig ftlnf Landtagsfraktionen ist, unabhängig von ihrer Größe, die Entsendung jeweils eines Rundfunkratsmitglieds gewährt; ein weiteres staatliches Mitglied wird von den kommunalen Spitzenverbänden gestellt265. Dagegen sind weder die Landesregierung noch andere staatliche Stellen entsendungsberechtigt. Alle 19 zur gesellschaftlichen Repräsentation ausgewählten bedeutsamen Gruppen und Institutionen sind ausdrücklich benannt. Die "Staatszahl" des Rundfunkrats liegt aufgrund der gegenwärtigen Fraktionenverteilung im Brandenburgischen Landtag bei insgesamt sechs. Damit beträgt die "Staatsquote" im Verhältnis zum Gesamtumfang von 25 Sitzen266 lediglich 24 Prozent, was im Lichte des verfassungsrechtlichen Beherrschungsverbots unbedenklich ist und im Vergleich zum Staatsanteil in den Aufsichtsgremien anderer Rundfunkanstalten267 nicht überhöht erscheint. Die Zuweisung der Verwaltungsratsposten erfolgt ausschließlich durch den Rundfunkrat und ohne die Mitwirkung Dritter268. Mit seiner siebenköpfigen Besetzung, von der nur zwei Mitglieder ihre Aufsichtsstellung mit einem Staatsamt verbinden dürfen269, erscheint der Umfang des ORB-Verwaltungsrats im Verhältnis zur Größe des Sendegebiets270 angemessen, überdies hält er sich im organisatorischen Rahmen der anderen ARD-Anstalten271. 264 Dieser konstituierte sich am 12. Oktober 1991, vgl. Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 216. 265 Vgl. § 16 II Nr. 7,111 ORB-Gesetz; s. auch oben 2. Teil2. Abschnitt BI 2 b aa ß. 266 Näher Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 216. 267 Dazu Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 326 mit Bezugnahme auf die Vergleichsrechnungen von Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 151 ff., der z.B. Staatsquoten von 19,3 Prozent (SR-Rundfunkrat), 23,3 (SDR-Rundfunkrat), 25,8 Prozent (SFB-Rundfunkrat), 29,3 Prozent (WDR-Rundfunkrat), 32,6 Prozent (SWFRundfunkrat), 45,4 Prozent (ZDF-Fernsehrat) ennittelt; vgl. auch FUNK-Korrespondenz Nr. 42 v. 17. Oktober 1991, S. 2. 268 Vgl. § 21 I 2 ORB-Gesetz; die Berechtigung des Personalrats, nach § 21 I 3 ORB-Gesetz zwei seiner Mitglieder mit beratender Stimme an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilhaben zu lassen, ist insoweit ohne Bedeutung. 269 Vgl. die Unvereinbarkeitsregelungen in§ 21 I 4 ORB-Gesetz. 270 Es umfaßt etwa 2,6 Millionen Einwohner, vgl. Statistisches Jahrbuch ftlr die Bundesrepublik Deutschland 1993, Wiesbaden 1993, S. 64, Tabelle 8. 271 S. oben Fn. 255; vgl. auch den Bericht "Nur geringer Parteieneinfluß im ODR-Verwaltungsrat", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 91/92 v. 23. November 1991, S. 15.

234

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Die Rechtsgrundlagen fUr die interne Aufsicht über den ORB unterliegen aus Sicht des Staatsfreiheitsgebots keinen Bedenken.

2. Die Kooperationsproblematik Bedenken wecken dagegen gesetzliche Bestimmungen außerhalb des Gesetzes über den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg, die zusätzlich Geltung fUr den ORB beanspruchen. Gemeint sind Vorschriften des wenige Monate nach Inkrafttreten des ORB-Gesetzes geschlossenen und in das jeweilige Landesrecht überftlhrten Staatsvertrags über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks272. Durch besagte Vorschriften werden der in §§ 4 ff. ORB-Gesetz niedergelegte Programmauftrag eingeschränkt und die in Art. 5 I 2 GG enthaltene Programmfreiheit des ORB berührt. Ob dies in verfassungswidriger Weise geschieht, ist zu prüfen. a) Staatsvertragliche Regelung und Verfassungsrechtsprechung Der Staatsvertrag Berlin-Erandenburg begründet fUr den ORB und den SFB zunächst eine allgemeine Rechtspflicht in folgender Formulierung: "Dieser Staatsvertrag ermächtigt und verpflichtet die Landesrundfunkanstalten zur Zusammenarbeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk"273. Die so umschriebene Pflicht wird im Hinblick auf die bestmögliche Programmversorgung der Bevölkerung sowie eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Ressourcen näher bestimmt: "Zu diesem Zweck sind die Anstalten berechtigt und verpflichtet, gemeinsam gestaltete Programme in Hörfunk und Fernsehen zu veranstalten sowie sonstige Aufgaben gemeinsam wahrzunehmen. ( ... ) Art und Umfang der Kooperation im einzelnen werden von den Anstalten nach Maßgabe dieser Zielsetzung durch Vereinbarung geregelt"274. 272 Vom 29. Februar 1992; vgl. auch Art. 1 S. 1 Gesetz zur Regelung der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks v. 29. April 1992, GVBI. Brbg. 1992, 142 sowie§ 1 S. 1 Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks v. 22. April 1992, GVBI. Berlin 1992, I SO, jeweils mit einem Abdruck des Staatsvertrags Berlin-Brandenburg (im folgenden: StV-BB). 273 § 1 II StV-BB. 274 § 3 II, IV StV-BB; vgl. auch Absatz 2 der Prllarnbel und die amtliche Begründung zum Gesetz zur Regelung der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks (im folgenden: "amtliche Begründung"), Brbg. LTag, Drucks. 1/829, S. 2.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

235

Aufgrund dieser Bestimmungen bleiben die beiden Rundfunkanstalten zwar ungebunden in der Art und Weise ihrer Zusammenarbeit, zwingend ist jedoch die gemeinsame Programmgestaltung überhaupt: Das "Ob" steht fest, das "Wie" steht frei. Eine derartige gesetzliche Ausgestaltung des Rundfunkrechts muß sich an der Auslegung der Rundfunkfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht messen Jassen:

"Im Zentrum der Freiheitsgarantie steht die Programmautonomie. ( ...)In erster Linie bezieht sie sich ... auf Inhalt und Form der Rundfunksendungen"275. "Rundfunkfreiheit ist in ihrer ... wesentlichen Bedeutung Programmfreiheit im Sinne eines Verbots nicht nur staatlicher, sondern jeder fremden Einflußnahme auf Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung der Programme"276. "Ensprechend deckt die Rundfunkfreiheit nicht allein die Auswahl des dargebotenen Stoffes, sondern auch die Entscheidung über die Art und Weise der Darstellung einschließlich der Bestimmung darüber, welche der verschiedenen Formen von Sendungen hierfiir gewählt wird"277. In den herangezogenen Entscheidungen sind die Umrisse der grundrechtliehen Programmfreiheit an Beispielen der Rundfunkfinanzierung, der Personalauswahl und der Berichterstattung ausgeprägt worden. Die Grundsätze über die Freiheit der Programmgestaltung entfalten jedoch auch Wirkung gegenüber einer staatlichen Zwangsverpflichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Mit dieser Feststellung wird freilich nicht verkannt, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen sogar angehalten ist, den nüchternen Satz "Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet"278 auszugestalten und damit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit erst zur Anwendbarkeit zu verhelfen279. Dies gilt auch filr den rundfunkrechtlichen Programmbereich, der auf allgemeine Grundsätze der publizistischen Betätigung positiv festzulegen ist. Denn nur so ist sichergestellt, "daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck fmdet und daß auf diese Weise umfassende Informa-

275

BVertGE 87, 181 (201).

276 BVertGE 59, 231 (258); vg1. auch BVertG, ZUM 1994, 173 (180). 277

BVertGE 35, 202 (223).

278 Art. 5 I 2 GG. 279 Vgl. Bethge, DVBI.

1986, 859 (860, 865); ders., DVB1. 1983, 369 (374 f.).

236

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

tion geboten wird"280. Insofern sind auch die allgemeinen Maßgaben des Staatsvertrags Berlin-Brandenburg zur bestmöglichen Programmversorgung der Bevölkerung sowie zur sparsamen Mittelverwendung281 im Grundsatz nicht zu beanstanden282. b) Verstoß gegen die Gewährleistungen der Programmgestaltungsfreiheit Problematisch sind indessen die Verpflichtung auf einen bestimmten Partner sowie die zwingende Vorgabe einer Vereinbarung überhaupt. Eine allgemeine Kooperationspflicht war ftlr die Brandenburgische Rundfunkanstalt bereits durch § 5 I 1 ORB-Gesetz festgelegt worden. Danach ist der ORB angehalten, gemeinsam mit anderen inländischen Rundfunkanstalten die Ziele des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu fbrdern und den Programmauftrag wirtschaftlich effizient zu verwirklichen. Die Kann-Vorschrift des § 5 I 2 ORB-Gesetz eröffnet zusätzlich eine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit "anderen Rundfunkveranstaltern", also sowohl mit privatrechtlich organisierten als auch mit ausländischen Unternehmen. Diese Ausgestaltungsregelungen legen eine programmliehe Zusammenarbeit zwischen dem ORB und Dritten nahe, überlassen dem ORB indessen die Auswahl des Kooperationspartners sowie die Letztentscheidungsbefugnis über das "Ob" einer Vereinbarung und halten sich damit im Rahmen der Freiheitsgewährleistungen filr die Programmgestaltung. Mit der Kooperationsverpflichtung des Staatsvertrags BerlinBrandenburg ist die Grenze zum verfassungswidrigen Programmeingriff des Staates dagegen überschritten. aa) Abschlußverpflichtung Bereits die Kooperationsverpflichtung als solche stellt einen grundrechtswidrigen Eingriff in die Rundfunkfreiheit des ORB dar.

280 BVeriDE 57,295 (320). 281 Daß die Rundfunkanstalten nicht völlig frei in der Verwendung ihrer Finanzen sind, sondern sich in einem gesetzlich vorgegebenen Rahmen zu halten haben, stellt BVeriDE 87, 181 (202) klar; s. auch unten 2. Teil 3. Abschnitt AI I. 282 Es könnte allenfalls fraglich sein, ob es sich hier im Hinblick auf den ORB um eine überflüssige, weil lediglich deklaratorische, Doppelregelung handelt. Bereits in § 5 II, 111 iVm § 4 ORB-Gesetz wird der ORB nämlich den Maßgaben der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Erfilllung des Programmauftrags unterworfen. Für den SFB ist diese ausdrückliche Regelung allerdings neu, so daß sie jedenfalls insofern ihre Rechtfertigung findet.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

237

Das ergibt sich zum einen aus der Bindungswirkung der abzuschließenden Vereinbarung. Deren Außenverbindlichkeit geht nämlich über das zulässige Maß der Selbstbindung - etwa durch anstaltsinterne Satzung283 - hinaus, da Änderung und Aufhebung der vereinbarten Programmvorgaben einseitig notwendig werden können, ohne Mitwirkung des Kooperationspartners aber nicht möglich sind. Zum anderen ist der staatsvertraglich auferlegte Handlungsdruck geeignet, den ORB in einen Zwiespalt zu den Interessen der Allgemeinheit zu treiben, die er ja "zur treuen Hand" 284 wahrnimmt. Die Rundfunkfreiheit ist als dienende Freiheit "pflichtgebundenes Recht"285 und im Rahmen einer binnenpluralen Organisation des Rundfunks der Ausübung durch die Rundfunkanstalten überantwortet. Bei der Wahrnehmung des Rundfunkauftrags sind die Anstalten indessen der Allgemeinheit "ihres" Landes verpflichtet286, deren Interessen denen der Allgemeinheit eines anderen Landes durchaus zuwiderlaufen können. §§ 4, 5 ORB-Gesetz haben diesem Umstand Rechnung getragen, indem sie als oberstes Ziel die Programmveranstaltung als Sache der Allgemeinheit durch den ORB festgelegt haben. Der ORB wird zwar sogleich ausdrücklich angehalten, dabei mit anderen Rundfunkanstalten zusammenzuarbeiten. Da alleinige Hauptaufgabe aber die Wahrnehmung des Programmauftrags durch die Brandenburgische Rundfunkanstalt ist287, kann auf eine Zusammenarbeit mit Dritten letztlich verzichtet werden, wenn dies nicht möglich oder nicht llirderlich erscheint. Die Verpflichtungsklausel des § 5 I 1 ORBGesetz ist daher lediglich als Regel filr die Darlegungs- und Beweislast zu verstehen filr den Fall, daß das Unterlassen einer Zusammenarbeit im Einzelfall zum prozessualen Streitgegenstand werden sollte288. Im Staatsvertrag BerlinBrandenburg sind die Gewichte jedoch anders verteilt: An erster Stelle steht die

283 Nach

§ 17 II 2 Nr. I ORB-Gesetz.

83, 238 (300); Bethge, DVBI. 1983, 369 (371); Gabrie/-Brätigam, DVBI. 1990, 1031 (1034); Ossenbühl, DÖV 1977,381 (383 ff.). 285 Bethge, DVBI. 1983,369 (371) unter RückgriffaufBVerfGE 59, 360 (387). 286 In BVerfGE 83, 238 (300) wird dieses Verhllltnis als "Verantwortungsbeziehung" be284 BVerfGE

zeichnet.

287 V gl.

§ 4 I ORB-Gesetz.

288 In diesem Sinne ist auch die Regelung des Art. 3 I BayRG auszulegen: "Der Bayerische Rundfunk ist gehalten, mit den anderen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik in allen Bereichen zusammenzuarbeiten, welche die gemeinsame Durchftlhrung von Aufgaben voraussetzen"; § 2 S. 2 SFB-Satzung iVm § 2 SFB-Gesetz und § 7 I 2 MDR-StV enthalten ebenfalls Regelungen über freiwillige Zusammenarbeit im Programmbereich.

238

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

Kooperation289; sie wird zum Bestandteil des Programmauftrags. Dies widerspricht dem Recht auf anstaltliehe Selbstbestimmung über die Art und Weise der Programmveranstaltung, denn "es ist Sache der Rundfunkanstalten, aufgrund ihrer professionellen Maßstäbe zu bestimmten, was der Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt"290. bb) Vorgeschriebener Kooperationspartner Darüber hinaus werden die betroffenen Rundfunkanstalten durch die Vorgabe eines bestimmten Partners filr die Zusammenarbeitsvereinbarung in ihrer Entscheidungsfreiheit über die eigene Programmgestaltung erheblich beeinträchtigt. Die Vorgabe schafft eine Abhängigkeit von dritter Seite - aus Sicht des Brandenburgischen Rundfunks also vom SFB - und begrenzt die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit anderen Rundfunkveranstaltem. Das ist mit dem verfassungsrechtliche Grundgedanken der Anstaltsautonomie im Progammbereich nicht zu vereinbaren. Die Programmfreiheit bildet den Kern der Rundfunkfreiheit29I, sie ist besonders empfindlich gegenüber Störungen von außen und deshalb in besonderem Maße zu schützen. Das bedeutet, daß der Bereich der Programmveranstaltung von jeglicher - staatlichen oder sonst einseitigen - Einflußnahme freigehalten werden muß292; dabei ist es einerlei, ob diese sich auf direkte oder indirekte Weise vollzieht293. Als Folge der hier zu untersuchenden staatsvertragliehen Regelung bestimmt der ORB nicht mehr allein über Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung seiner Programme und Sendungen. Der ORB ist vielmehr zum Abschluß einer verbindlichen Vereinbarung mit dem Zwangspartner SFB verpflichtet. Diese Vereinbarung setzt notwendig einen Interessenausgleich voraus, welcher wiederum auf gegenseitigem Nachgeben beruht294. Der Staatsvertrag zwingt die Anstalten, sich 289 Vgl. § 3 I; 2. Absatz der Präambel zum StV-88. 290 8VerfGE 87, 181 (201). 291 Vgl. zuletzt 8VerfG, ZUM

1994, 173 (180) sowie Rossen, ZUM 1992, 408 (410, dort Fn. 20); Schuster, Meinungsvielfalt in der dualen Rundfunkordnung, S. 145; A. Hesse, Rundfunkfreiheit, S. 57; Jarass, Die Freiheit des Rundfunks vom Staat, S. 31; Lerche, Landesbericht, S. 15 (31); Stern/Bethge, Funktionsgerechte Finanzierung, S. 18; Lenz, JZ 1963,338 (340). 292 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt A II 2 b.

293 Zur Gleichbehandlung von mittelbaren und unmittelbaren staatlichen EinflOssen auf die Programmgestaltung vgl. 8VerfG, ZUM 1994, 173 (180); 8VerfGE 83, 238 (323); E 73, ll8 (183); E 59,231 (260). 294 Die Notwendigkeit, von eigenen (Programm-)Positionen im Hinblick auf eine gemeinsame Programmgestaltung abzurücken entfltllt nicht schon deshalb, weil sich ORB und SF8 im

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

239

auf das Feld der kooperativen Programmveranstaltung zu begeben295 . Derartige Abhängigkeiten durch Kompromißverpflichtungen können aber, jedenfalls im Programmbereich, nicht vom Gesetzgeber erzwungen werden296. Dabei ist unbeachtlich, daß der staatlich vorgegebene Kooperationspartner selbst ein staatsfrei und gruppenplural organisierter Rundfunkveranstalter ist, der ebenfalls einen Teil seiner Programmsouveränität opfern muß. Aufgrund einer parallelen Grundrechtslage der betreffenden Anstalten darf nicht kurzerhand auf eine parallele Interessenlage geschlossen werden; was in programmHeher Hinsicht filr Brandenburg geboten erscheint, kann den Interessen Berlins zuwiderlaufen und umgekehrt297. Es gibt auch kein "Allgemeininteresse", dem die beteiligten Rundfunkanstalten unterworfen wären. Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, daß die zur Programmkontrolle berufenen Aufsichtsgremien "Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit"298 seien, so bezieht sich dies auf die Allgemeinheit der in dem jeweiligen Land vertretenen gesell-

Grundsatz einig sind, daß eine enge Zusammenarbeit im Grundsatz geboten ist. Im übrigen haben die beiden Rundfunkanstalten inzwischen eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde erhoben, die das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung angenommen wurde (§ 24 BVertGG); vgl. die Berichte "SFB und ORB klagen gegen Medienstaatsvertrag in Karlsruhe", in: dpa-informationen 30/92 v. 23. Juli 1992; "SFB und ORB gehen immer weiter auf Distanz", in: FUNK-Korrespondenz Nr. 30 v. 23. Juli 1992, S. 3 f., 5; "ORB hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen Medienstaatsvertrag", in: epd/Kirche und Rundfunk Nr. 19. v. 11. Mllrz 1992, S. 11 f.; sowie die Interviews mit dem Intendanten des ORB in: Funkreport Nr. 7 v. 20. Februar 1992, S. 3 und mit dem SPD-Vorsitzenden im Brandenburgischen Landtag in: epd!Kirche und Rundfunk Nr. 64 v. 17. August 1991, S. 3 (4) und Kresse, Die Rundfunkordnung in den neuen Bundesländern, Rn. 204. 295 Bis zu dieser Erkenntnis ist Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (52) zu folgen. Abzulehnen ist dagegen dessen Folgerung, dieses Feld sei nur vage umrissen und bestimmte Kooperationspfade oder -ziele fehlten völlig, so daß die staatsvertragliche Verpflichtung in Wahrheit nichts Neues bringe, Rossen, a.a.O. Denn im Staatsvertrag ist zwar kein bestimmtes Programmziel zusätzlich formuliert worden; gleichwohl ergeben sich durch Einbeziehung externer Gestaltungs-, Struktur- und Realisationsvorstellungen im Rahmen der Verhandlungen auf indirekte Weise zusätzliche Verftlgungsbeschränkungen; dies muß auch Rossen, a.a.O. einräumen. 296 Andernfalls würde das Grundrecht lediglich nach Maßgabe der Gesetze, nicht aber die Gesetze nach Maßgabe des Grundrechts gelten, Bethge, DVBI. 1983,369 (370); ders., NJW 1982, 1 (4); ihm folgend Hecker, ZUM 1987, 276 (280) ebenso zur staatlichen Frequenzvergabe Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 242; Eber/e, Rundfunkübertragung, S. 28 f. sowie zur Zulassung privater Rundfunkveranstalter Scholz, JZ 1981, 561 (S66). 297 Auf tatsächlich bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen ORB und SFB deuten etwa die bei Rossen, ZUM 1992, 408 (408, dort Fn. 3) nachgewiesenen Stimmen hin; vgl. auch das Interview mit dem Intendanten des ORB in: Funkreport Nr. 7 v. 20. Februar 1992, S. 3 ff. sowie Funkreport Nr. 1 v. 9. Januar 1991, S. 3 f. Demgegenüber ergeben sich gemeinsame Programminteressen mit anderen Rundfunkveranstaltem, vgl. etwa den Bericht "MDR und SFB planen gemeinsames Nachrichtenradio", in: FUNK-Korrespondenz Nr. 3 v. 21. Januar 1994, S. 11. 298 BVertUE 83,238 (333); E 60, S3 (65); E 31,314 (327 f.).

240

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

schaftliehen Gruppen und Kräfte. Länderübergreifende Vorgaben sind daraus nicht abzuleiten. Mit dem Argument der Notwendigkeit einer wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg299 kann ebenfalls nicht auf die Programmautonomie der Landesrundfunkanstalten zugegriffen werden. ORB und SFB sind, getragen vom ursprünglichen gesetzgeberischen Willen, vollkommen getrennt voneinander ins Leben gerufene Anstalten, die folglich getrennte "Funktionsgewährleistungen" genießen300. Diese institutionellen Gewährleistungen, die sich auch auf die Freiheit zur selbständigen Programmgestaltung erstrecken301, bestehen solange, bis die Muttergemeinwesen in Wahrnehmung ihrer staatlichen Funktionsverantwortung die gegenwärtige Organisation des Rundfunks als nicht tragfähig erkennen und eine Neuorganisation vornehmen. Dabei bleibt es ihnen unbenommen, die derzeitigen Anstalten aufzulösen und beispielsweise eine Mehrländeranstalt einzurichten302. Für die Dauer ihres juristischen Daseins sind die Anstalten als Medium und Faktor in einem ungehinderten Meinungsbildungsprozeß jedenfalls eigenständige Grundrechtsträger3°3, deren alleinige oder auch - freiwillig kooperative Programmgestaltung von jeglicher staatlichen Einflußnahme freigehalten werden muß; eine nachträglich verordnete rundfunkrechtliche "Zwangsehe" ist verfassungswidrig.

299 Die möglicherweise in eine staatsvertragliche Vereinigung der beiden Länder in ein neues Bundesland "Berlin-Brandenburg" mUndet; zu dieser Aussicht etwa Rossen, ZUM 1992, 408 (408). 300 "Angesichts der weltweiten Kostenexplosion im Medienbereich ein gewagtes Unterfangen", Ho.ffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, S. ll7; naher zur Funktionsgewahrleistung Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 102 ff.; Bethge, DVBI. 1986, 859 (865); ders., JöR, N.F. 35. Band [1986], S. 103 (109 ff.); grundlegend Stern/Bethge, Funktionsgerechte Finanzierung, S. 40. 301 Nur um ihrer Programmfunktion willen stehen die Rundfunkanstalten letztlich überhaupt unter grundrechtlichem Schutz, vgl. Stern/Bethge, Funktionsgerechte Finanzierung, S. 40 mit Fn. 118; Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 139 f. 302 Der einzelnen Rundfunkanstalt räumt die Verfassung weder eine status-quo-Garantie noch einen Existenzgewllhrleistungsanspruch ein, vgl. Bethge, Föderaler Runfunktinanzausgleich, S. 18; ders., JöR, N.F. 35. Band [1986], S. 103 (1ll); Libertus, Grundversorgungsauftrag und Funktionsgarantie, S. 107; Goer/ich/Rodeck, JZ 1989, 53 (59); vgl. auch den Bericht "Staats- und Kanzleichefs kritisieren Vorgehen von ORB und SFB", in: FUNK-Korrespondenz Nr. 30 v. 23. Juli 1992, S. 5. 303 Vgl. BVerfUE 87, 181 (201); E 78, 101 (102); E 59,231 (254); E 31,314 (322).

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

241

3. Das problematische Verhältnis des ORB zur Medienanstalt Berlin-Brandenburg

Die verfassungsrechtliche Untersuchung des Staatsvertrags Berlin-Brandenburg stößt auf einen weiteren Problemkreis. In dessen Mittelpunkt steht die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Als Rechtsnachfolgeriß der Berliner Anstalt filr Kabelkommunikation304 ist die MABB nunmehr die erste Mehrländeranstalt ftlr privaten Rundfunk in DeutschlandlOS. Wenngleich ein wesentlicher Teil ihrer Aufgaben der Zulassung und Beaufsichtigung privater Anbieter gewidmet ist, bleibt auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk - namentlich der ORB - nicht unberührt. Dabei stellen sich Schwierigkeiten ein, die auf dem Feld der Aufsicht, vor allem aber im Bereich der Frequenzordnung und Wettbewerbsllirderung in Erscheinung treten. a) Aufsichtsfunktion der Medienanstalt Berlin-Brandenburg § 9 I 1 StV-BB bestimmt, daß die MABB über die Einhaltung der Vorschriften des Staatsvertrags zu wachen und ftlr deren Durchftlhrung zu sorgen hat. Da einige der Staatsvertragsvorschriften auch filr den öffentlich-rechtlichen ORB gelten, indem dieser zur Kooperation mit dem SFB verpflichtet wird3°6, wäre insoweit die MABB fiir die externe Aufsicht über eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt zuständig. Den dadurch auftretenden Kompetenzfragen zum Verhältnis zwischen MABB und staatlicher Rechtsaufsicht über den ORß307 beugt indessen eine Subsidiaritätsklausel in § 9 I 1 StV-BB vor. Danach ist die MABB nur insoweit überwachungs- und eingriffsbefugt, als nicht Aufgaben der Rechtsaufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk berührt sind308.

304 Vgl. §§ 8 ll; 64 VI I StV-BB; sowie §§ 12 ff. Kabelpilotprojekt- und Versuchsgesetz filr drahtlosen Rundfunk im Land Berlin v. 18. Dezember 1987 (KPPG), außer Kraft gern. § 64 I StVBB sowie die Meldung in: FUNK-Korrespondenz Nr. 19 v. 7. Mai 1992, S. 6. 30S Vgl. auch die amtliche Begründung, Brbg. LTag, Drucks. 1/829, S. 2. 306 S. oben 2. Teil 2. Abschnitt B II 2. 307 Vgl. § 49 ORB-Gesetz. 308 Dies bleibt bei Rossen, ZUM 1992, 408 (411 mit Fn. 24) unberücksichtigt, wenn er zu Bedenken gibt, daß die MABB sich auf Grundlage des § 9 I I StV-BB auch gegenober den Landesrundfunkanstalten "tief in der roten Gefahrenzone einer verfassungsrechtlich jedenfalls problematischen programmliehen Inhaltskontrolle" bewegen könne. FUr die materiell-rechtliche Kooperationsverpflichtung trifft dies jedenfalls nicht zu; deren Verfassungsmäßigkeit unterstellt, wäre gemäß § 49 ORB-Gesetz die Brandenburgische Landesregierung als Rechtsaufsichtsbehörde 16 Wilhelrni

242

2. Teil: Der Rundfunk in den neuen Bundesländern

b) Frequenzzuordnung und Wettbewerbsf6rderung durch die Medienanstalt Berlin-Erandenburg Von anderen Kompetenztiteln der MABB ist der ORB dagegen nicht ausgenommen. So entscheidet die Medienanstalt allein über die Zuordnung von noch nicht vergebenen sowie von künftig verfiigbar werdenden Frequenzen309 und f6rdert einen chancengleichen Wettbewerb innerhalb des dualen Rundfunksystems310. Mit dieser Ausstattung, die den Aufgabenkreis vergleichbarer Zulassungs- und Kontrolleinrichtungen der Länder deutlich überschreitet3 11 , genießt die MABB Gestaltungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten, die jedenfalls mittelbar einen Zugriff auf die öffentlich-rechtliche wie auf die private Programmgestaltung zulassen3 12. Deshalb ist die Organisation der Medienanstalt im Lichte des verfassungsrechtlichen Staatsfreiheitsgrundsatzes zu untersuchen313. aa) Organisation der Medienanstalt Berlin-Erandenburg Neben dem Direktor als Exekutivorgan, der ähnlich dem Bürgermeister des bayerischen Gemeinderechts in eigener Zuständigkeit "die laufenden Geschäfte" der Medienanstalt fUhrt und ausnahmsweise in Eilfil.llen dringende Anordnungen trifft314, verfUgt die MABB über einen Medienrat, der die wesentlichen Aufgaben der Anstalt wahrnimmt; er bildet das mit der Regelzu-

zuständig. 309 Vgl. §§ 7 I, III; 26 ff. StV-88. 310 Vgl. § 9 I 2 Nr. 1 StV-88.

311 Dazu Rossen, ZUM 1992, 408 (414). Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 259 ff. spricht sich bei der Aufteilung von Übertragungswegen allgemein ftlr eine Konzentration auf die - idealtypisch staatsfreien - Landesmedienanstalten als "zentrale Instanz" aus; ahnlieh Eberle, Rundfunkübertragung, S. 100 f.; Chr. Wagner, Die Landesmedienanstalten, S. 179; daß dieser Gedanke im Falle der MA88 schon wegen fehlender gesellschaftlicher Repräsentanz und zu großer Staatsnahe nicht verwirklicht werden kann, soll sogleich gezeigt werden. 312 Ebenso Rossen, in: Das Rundfunkrecht der neuen Bundesländer, S. 9 (52 f.); zur Unterscheidung von programmbezogenen und programmlieh neutralen Entscheidungen der Landesmedienanstalten, Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, S. 155 ff. 313 Zur Unzulässigkeil einer - auch mittelbaren - staatlichen Einflußnahme auf die Programmfreiheit vgl. 8VerfGE 83, 238 (323); E 73, 118 (182 f.). 314 Vgl. §§ 8 II; 15 I, V StV-88 sowie Art. 37 I Nr. 1, III 8ayGO.

2. Abschnitt: Staatsfreiheit des Rundfunks

243

ständigkeit ausgestattete Hauptorgan315. Damit fällt der Blick auf Wahl und Zusammensetzung des Medienrats: Der Medienrat der MABB ist nicht nach dem pluralistischen Repräsentationsmodell zusammengesetzt, sondern besteht aus sieben Mitgliedern, die aufgrundihrer Erfahrung und Sachkunde in besonderer Weise befähigt sein sollen, die durch den Staatsvertrag zugewiesenen A~fgaben wahrzunehmen3 16. Von den Mitgliedern werden drei vom Brandenburgischen Landtag und drei vom Berliner Abgeordnetenhaus, jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Ein weiteres Mitglied, zugleich der Vorsitzende des Medienrats, wird von beiden Länderparlamenten gemeinsam, ebenfalls mit je zwei Dritteln der Stimmen der gesetzlichen Mitglieder gewähJt3l7. Es ist also festzuhalten, daß die Medienratsmitglieder keinerlei gesellschaftliche Gruppenrepräsentation widerspiegeln und ihre Ernennung unmittelbar auf einer staatlichen Auswahl beruht. Über die Zulässigkeil eines solchen "Rats-"318 oder Sachverständigenmodells"319 hatte das Bundesverfassungsgericht noch nicht zu befinden; es ist auch nicht von vornherein ersichtlich, daß eine binnenplurale Gruppenrepräsentation bei der Rundfunkaufsicht die einzig mögliche Organisationsform ist, und das Ratsmodell mithin abzulehnen wäre3 20. Daher sind Wahl und Zusammensetzung des Medienrats im Rahmen einer Einzelfallabwägung an den allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben zur staatlichen Beteiligung in den Rundfunkgremien zu messen. bb) Staatsfreiheit der Medienanstalt Berlin-Brandenburg