Parlamentarische Opposition in den Landesverfassungen: Eine verfassungsrechtliche Analyse der neuen Oppositionsregelungen [1 ed.] 9783428498574, 9783428098576

Gegenstand der Untersuchung sind die "Oppositions-Regelungen" in den neuen und den reformierten Landesverfassu

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Parlamentarische Opposition in den Landesverfassungen: Eine verfassungsrechtliche Analyse der neuen Oppositionsregelungen [1 ed.]
 9783428498574, 9783428098576

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 55

Parlamentarische Opposition in den Landesverfassungen Eine verfassungsrechtliche Analyse der neuen Oppositionsregelungen Von

Pascale Cancik

Duncker & Humblot · Berlin

PASCALE CANCIK

Parlamentarische Opposition in den Landesverfassungen

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin Heckei, Karl-Hermann Kästner Ferdinand Kirchhof, Hans von Mangoldt Thomas Oppermann, Günter Püttner Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 55

Parlamentarische Opposition in den Landesverfassungen Eine verfassungsrechtliche Analyse der neuen Oppositionsregelungen

Von Pascale Cancik

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Cancik, Pascale:

Parlamentarische Opposition in den Landesverfassungen : eine verfassungsrechtliche Analyse der neuen Oppositionsregelungen / von Pascale Cancik. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 55) Zug!.: Tübingen, Univ., Diss., 1997/98 ISBN 3-428-09857-9

D21 Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-09857-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Vorwort Der Plan, die landesverfassungsrechtlichen Oppositionsregelungen zum Gegenstand einer Dissertation zu machen, entstand während eines Seminars zu den neuen Landesverfassungen bei Professor Hans von Mangoldt. Die Arbeit wurde im Oktober 1997 der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen vorgelegt und für die Veröffentlichung auf den Stand von Januar 1998 gebracht. Am Ende einer solchen Arbeit bleibt der Dank für Hilfe vielfältiger Art: Professor Hans von Mangoldt für Anregungen und spätere Begutachtung der Arbeit; den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtage für die Hilfe bei der Materialbeschaffung und den Archivrecherchen, die 1993 zum Teil noch unter recht abenteuerlichen Bedingungen stattfanden; der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die großzügige Unterstützung des Vorhabens; Professor Wolfgang Graf Vitzthum für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der "Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht"; dem Deutschen Bundestag für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Besonders danke ich E.C., H.C., H.C.L. und T.M., die mich während der langen Zeit unterstützt haben. Ich widme die Arbeit allen, die Dr. Wendel verbunden waren. Düsseldorf, im Juni 1999

Pascale Cancik

Inhaltsverzeichnis A. Die Grundlagen ...................................................................

17

I. Gegenstand und nonnativer Rahmen der Untersuchung .......................

17

1. Die Bestimmung des Themas ..............................................

17

a) Einführung ................................... . ........................

17

b) Die Begrenzung des Themas ...........................................

18

c) Kategorien der Analyse - Idealtypen von Opposition...................

19

aa) Organisatorisches Verständnis von Opposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

bb) Funktionales Verständnis von Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

2. Der nonnative Rahmen der Untersuchung .................................

22

a) Die Vorgaben des Grundgesetzes für die Landesvetfassungen ..........

22

aa) Art. 28 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

22

bb) Art. 21 GG ........................................................

24

b) Die jeweilige landesvetfassungsrechtliche Ebene ................ " . .. . .

24

aa) Vetfassungsgebung in den neuen Bundesländern ..................

25

bb) Vetfassungsänderung in den übrigen Landesvetfassungen .........

25

c) Der nonnative Rahmen im einzelnen...................................

26

3. Vorgehensweise ...........................................................

29

11. Der Forschungsstand: Die Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

29

1. Parlamentarismus und "Parlamentarismusdebatte" .........................

30

a) Herkunft der Begriffe ..................................................

30

b) Rezeption in Deutschland ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

aa) Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts .............................

31

bb) Weimarer Republik ...............................................

33

cc) Die Vetfassungsberatungen zum Grundgesetz .....................

36

2. Parlamentarismusforschung und parlamentarische Opposition unter dem Grundgesetz bis in die siebziger Jahre .....................................

37

a) Die Fortsetzung der Parlamentarismuskritik ............................

37

b) Vorbild oder Trugbild: Die Diskussion um das britische Modell ........

41

c) Die ,Oppositions'-Rechtsprechung des Bundesvetfassungsgerichts (bis zur Mitte der 70er Jahre) ................................... . . . . . . . . . . . .

42

d) Die ersten rechtswissenschaftlichen Untersuchungen ...................

44

8

Inhaltsverzeichnis 3. Neuere Oppositionsforschung und ,zweite Rezeption'? ..... . . . . . ...........

48

a) ,Organisatorisches' Verständnis........................................

51

b) ,Funktionales' Verständnis.............................................

52

c) Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Präferenz des funktionalen Verständnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

d) Neueste rechtswissenschaftliche Oppositionsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

e) Zusammenfassung des juristischen Forschungsstandes .................

57

111. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

1. Akteure, Verhalten: Die politikwissenschaftliche und die juristische Ebene

58

a) ,Politische Gruppe' - ,ad-hoc-Gruppierung' ............................

59

b) Im Oppositionskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

aa) Parlamentarische Opposition als ,politische Gruppe' ..............

60

bb) Parlamentarische Opposition als Verhalten und ,ad-hoc-Opposition' .............................................................

60

c) Der Ausdruck ,Regierungsmehrheit' ...................................

61

2. Verfassungsinstitution - Verfassungsorgan - Verfassungsfunktion: Zur rechtstheoretischen Begrifflichkeit der ,Oppositions-Analyse' ..............

63

a) Problemstellung .......................................................

63

b) Organisation - Staatsorganisation ......................................

66

aa) ,Institution' - ,Verfassungsinstitution' .............................

66

bb) ,Organ' - ,Staatsorgan' - ,Verfassungsorgan' ......................

69

cc) ,Funktion' - ,Verfassungsfunktion' ................................

72

3. ,Exklusive Oppositionsrechte' .............................................

74

4. Folgerungen ...............................................................

74

IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen ... . ....... . . . . . ..

76

1. Einführung ................................................................

76

a) Die Bedeutung der genetischen oder historischen Auslegung ...........

76

b) Die ,Oppositionsregelungen'- Ost und West............................

78

2. Die Genese der Regelungen im einzelnen ..................................

80

a) Hamburg ..............................................................

80

b) Schleswig-Holstein ............................ . .......................

82

c) Berlin .................................................................

84

d) Niedersachsen .........................................................

86

e) Bremen............................................. .. .................

88

g) Sachsen-Anhalt........................................................

91

o Sachsen................................................................

89

Inhaltsverzeichnis

9

h) Brandenburg ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

i) Mecklenburg-Vorpommem .................................... . ..... . .

96

j) Thüringen .............................................................

98

3. Der Stand in den anderen Bundesländern .................................. 100 4. Exkurs: Die Grundgesetz-Reform................. . ........................ 100 a) Die Anhörung "Parlamentsrecht" .................................. . ... 101 b) Der Beschluß der Gemeinsamen Verfassungskommission .............. 102

B. Die verfassungsrechtliche Analyse ...... . ............................. . . . . . . . . . . .. 104 I. Definitionen von Opposition ................................. ;............... 104 I. Einführung ................................................... . ............ 104 2. Die angebotenen Oppositionsdefinitionen ...................... . . . . . . . . . . .. 105 a) Der Ansatz von Hans-Peter Schneider. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107 b) Die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes Sachsen-Anhalt: Materialer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 aa) ,Beteiligung' - ,Stützen/Tragen' - ,Tolerieren' ................... 109 bb) Der Aspekt der Dauer .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109 cc) Gegenseitiges Vertrauen als wesentliches Kriterium...............

110

dd) Die Feststellung der Vertrauensbeziehung: Das Problem der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (I) Wahlverhalten (Regierungsbildung) ...........................

111

(2) Gesetzgebung, Haushalt.......................................

113

(3) Ausübung parlamentarischer Kontrolle........................ 113 (4) Vertrauensfrage - Mißtrauensantrag...........................

114

c) Formaler Ansatz: Keine Beteiligung an der Regierung ................. 114 3. Verfassungssystematische Zulässigkeit der Definitionsansätze ............. 115 a) Der formale Ansatz....................................................

115

b) Der materiale Ansatz .................................................. 117 aa) Das Kriterium des Wahlverhaltens ................................ 117 bb) Die Kriterien Gesetzgebungsverhalten und Kontrollverhalten . . . . . . 119 cc) Positive Beantwortung der Vertrauensfrage........................

119

dd) Das Gegenseitigkeitserfordernis ................................... 119 4. Ergebnis: Zur Definition von Opposition im organisatorischen Sinne....... 120 a) Materialer Ansatz ausgefüllt durch Selbsteinschätzung als Entsprechung der Abgeordnetenfreiheit ........................................ 120 b) Zulässigkeit verschiedener Oppositionsstrategien ...................... 121 c) Auswirkungen auf die Konstruktion der Regierungsmehrheit ........... 122 d) Die Folgen für die Sonderkonstellation einer Minderheitsregierung .... 123

10

Inhaltsverzeichnis 5. Verbleibende Fragen....................................................... 123 a) Das Problem der Rechtssicherheit .. ... .. . . . . .. . ... . . . .. . .. . . . ... . . . . . .. 123 b) ,Ad-hoc-Opposition' als weitere Ausprägung des funktionalen Typus .. 124 11. Vereinheitlichung von ,Opposition' ........................................... 125 1. Einführung: Das Problem der heterogenen Zusammensetzung von ,Opposition' ..................................................................... 125 2. Die Oppositionsregelungen in den Landesverfassungen .................... 126 a) "Die Opposition als wesentlicher oder notwendiger Bestandteil" ....... 126 aa) Hamburg.......................................................... 126 bb) Schieswig-Hoistein ............ . ..... . ............................ 127 cc) Berlin.... ....................... . ..... . ...................... . ..... 128 dd) Brandenburg ................... . .................................. 128 b) Die Regelung Thüringens .............................................. 128 c) Legaldefinitionen von Opposition .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Kein vereinheitlichender Ansatz ....................................... 130 3. Sonstige Regelungen mit vereinheitlichender Oppositionsvorstellung ...... 130 a) Im Verfassungsrecht ................................................... 130 b) Im Gesetzes- oder Geschäftsordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 c) Nicht umgesetzte Vorschläge .............................. . ........... 132 4. Verfassungssystematische Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132 a) Mögliche praktische Probleme: Fiktive Fallkonstellationen ............. 132 b) Verfassungssystematische Erwägungen ................................ 133 III. Verbot bestimmter Formen der Regierungsbildung - Pflicht zur Opposition? .. 135 1. Einführung ................................................................ 135

a) Verbot einer Allparteienregierung? ............... . ..................... 135 b) Verbot einer (bestimmten) Großen Koalition? .......................... 136 aa) Die Position Schachtschneiders ................................... 136 bb) Die politikwissenschaftlichen Vorbilder........................... 137 2. Pflicht zur Opposition? Ein Problem des organisatorischen Modells........ 138 a) Die funktionalen Aspekte der Regelungen in Sachsen und Thüringen. . . 139 b) Das organisatorische Modell........................................... 139 3. Der Umkehrschluß: Darf ein "wesentlicher" oder "notwendiger Bestandteil" fehlen? ............................................................... 140 a) Entstehungsgeschichtliche Hinweise................................... 140 b) Auslegung des Wortlauts............................................... 141 c) Verfassungssystematisches Problem.................................... 142

Inhaltsverzeichnis

11

4. Gibt es eine ,Oppositionspflicht'? .......................................... 142 a) Die Konstruktion der Oppositionspflicht ............................... 143 b) Verfassungssystematische Zu lässigkeit dieser Konstruktion ............ 144 5. Ergebnis................................................................... 145 IV. Die Funktionen von Opposition ........ . ..................................... 146 1. Einführung ................................................................ 146

a) ,Oppositions-Funktionen' .............................................. 146 b) Die Regelungen ....................................................... 148 aa) Explizite Aufgabenzuweisung .... ...... .. .. .. ...... .... .... ...... . 148 bb) Indirekte Bezugnahme ............................................ 148 2. Problemstellung der normativen Funktionenzuweisung .................... 148 a) Beschränkung oppositionsangehöriger oder anderer Parlamentsteile? ... 148 b) Pflichten der Opposition als Folge der Funktionenzuweisung ........... 149 3. Verfassungssystematische Zulässigkeit der Funktionenzuweisungen ........ 150 a) Wortlautauslegung der Regelungen .................................... 150 aa) Kontrolle ......................................................... 150 bb) Kritik............................................................. 153 cc) Alternative........................................................ 154 b) Verfassungssystematische Auslegung.................................. 155 aa) Kontrollfunktion .................................................. 156 bb) Kritikfunktion .................................................... 156 cc) Konkrete inhaltsbezogene Pflichten? .............................. 156 4. Ergebnis................................................................... 158 a) Die expliziten Aufgabenzuweisungen .................................. 158 b) Die implizierten

Aufg~benzuweisungen

................................ 159

V. Chancengleichheit . . . . . .. . .. . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . .. .. . . .. . .. . .. . .. . .. . . . . .. .. .. 160 1. Einführung ................................................................ 160

a) Problemstellung .................................................. .. ... 161 b) Der normative Rahmen................................................ 162 c) Vorgehensweise ........................................................ 163 2. Die Strukturen von ,Chancengleichheit' ....................... . ............ 164 a) Gleichheit als Verhältnisbegriff ........................................ 164 b) Rechtliche Gleichheit.................................................. 164 c) Konkretisierungsstufen ........................... . .................... 165 d) Das Normprograrnm ................................................... 165

12

Inhaltsverzeichnis 3. Der Forschungsstand zur Chancengleichheit

167

a) ,Formale Gleichheit': Zur Chancengleichheit der Parteien.............. 168 b) Chancengleichheit der Fraktionen .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 c) Auswertung............................................................ 173 4. Motive für die Verankerung eines Rechts auf Chancengleichheit: Das Kompensationsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 174 a) Entstehungsgeschichtliche Hinweise ................................... 175 b) Vorgänger der These vom Kompensationsbedarf ....................... 175 c) Stellungnahme: Untersuchung ,informaler Regeln' ..................... 176 5. Chancengleichheit von Opposition. . . .. . . . ... ... . . . . . . ... . . . .. . . . . . . ... . . . . 178 a) Verg1eichspartner der ,Oppositionschancengleichheit' .................. 178 aa) Die Regierung als Gegenüber ,der Opposition' .................... 179 bb) Die Aktionseinheit von Regierung und Regierungsmehrheit ....... 180 cc) Die Regierungsmehrheit .......................................... 180 dd) Regierungsstützende Fraktionen oder Teile des Parlamentes ....... 180 b) Der Bezugspunkt: Gemeinsame Funktionen der Vergleichspartner . . . . . . 181 aa) Chancengleichheit der Opposition mit der Regierung. . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Chancengleichheit mit der ,Aktionseinheit' ........................ 183 cc) Chancengleichheit mit der Regierungsmehrheit ................... 184 dd) Mit regierungsstützenden Fraktionen oder Teilen des Parlamentes 185 c) ,Chancengleichheit in der Öffentlichkeit' als Neubestimmung? ......... 185 aa) Die Entstehungsgeschichte........................................ 185 bb) Die Auslegung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt.... 187 cc) Zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen? ................... 188 dd) Öffentlichkeitsarbeit von Oppositionsfraktionen? .................. 190 6. Ergebnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Chancengleichheit schon garantiert .................................... 191 b) Besondere Funktionen - besondere Ausstattung: Legitimation für Ungleichbehandlung ...................................................... 191 c) Kompensation für schon festgestellte Diskriminierungen ,der Opposition' ................................................................. 192 d) Was bleibt? ............................................................ 193 VI. Das Recht auf Ausstattung: Der Oppositionsbonus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Einführung ................................................................ 194

a) Einfachgesetzliche Regelungen ........................................ 194

Inhaltsverzeichnis

13

b) Verfassungsrechtliche Verankerung .................................... 197 aa) Besonderer Ausstattungsanspruch ................................. 197 bb) Bestandteil des Rechts auf Chancengleichheit ..................... 197 (1) Entstehungsgeschichte ........................................ 198

(2) Vereinbarkeit mit dem hier vorgelegten Konzept von Chancengleichheit ..................................................... 199 2. Verfassungssystematische Zu lässigkeit der besonderen Ausstattung ........ 199 a) Die Berechtigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Nichtberücksichtigung stabiler Gruppen unterhalb Fraktionsstärke

200

bb) Nichtberücksichtigung fraktionsloser, oppositionsangehöriger Abgeordneter ........................................................ 20 I cc) Finanzierungsanspruch von ad-hoc-Opposition? ................... 202 b) Kollision mit den al1gemeinen Grundsätzen der Fraktionenfinanzierung

203

aa) Die Zweckbindung der Fraktionszuschüsse: Problem Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 bb) Neue Zweckbindung durch Oppositionsregelungen? ............... 204 c) Formale Gleichheit der Abgeordneten und ihrer Zusammenschlüsse.... 207 aa) Das Kompensationsargument ..................................... 207 bb) Zwingender Grund: Besondere Funktionen ........................ 208 VII. Das Amt der ,Oppositionsführung' ........................................... 209 I. Einführung ....................................................... . ........ 209

a) ,Leader ofthe Opposition' in England .... . ............................. 209 b) ,Oppositionsführer' in Deutschland .................................... 2\0 aa) In den Verfassungen............................................... 2\0 bb) In Parlamentsgesdtäftsordnungen ................................. 212 2. Rechtsfragen .............................................................. 213 a) Die besondere Entschädigung.......................................... 213 aa) Das Problem: Formale Gleichheit der Abgeordneten .............. 213 bb) Grundsätze der Abgeordnetenentschädigung ...................... 214 (1) Alimentative Entschädigung .................................. 215

(2) Aufwandsentschädigung ...................................... 215 cc) Art der Regelung einer ,Oppositionsführerentschädigung' ......... 215 (1) Als Aufwandsentschädigung .................................. 216

(2) Als alimentative Entschädigung ............................... 217

14

Inhaltsverzeichnis b) Das Recht zur ,Gegenrede' .............................. . ..... . . . ... . .. 219 aa) Art. 49 Abs. 4 BerlVerf ........................................... 219 bb) Die Rechtslage in den Geschäftsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 (1) EIWähnung des Oppositionsführers ............................ 220

(2) AndeIWeitige Zuweisung...................................... 221 cc) Verletzung der Abgeordneten- oder Fraktionengleichheit? ......... 223 c) Das Problem der ,repräsentativen' Stellung des Oppositionsführers: ,Mediatisierung'? ...................................................... 224 d) Verletzung der Chancengleichheit der Parteien ......................... 227 VIII. Prozessuale Fragen: ,Opposition' im Verfassungs gerichtsverfahren ........... 228 1. Einführung: Organstreitverfahren .......................................... 228

2. Das Organstreitverfahren in den Landesverfassungen ... . . . . . ... . . . ........ 229 a) Synopse Organstreit: Beteiligtenfähigkeit .............................. 229 b) Auswertung............................................................ 231 3. Rechtsträgerschaft und Beteiligtenfähigkeit in den Oppositionsmodellen ... 232 a) Ständige oppositionsangehörige Teile .................................. 232 aa) "Die Opposition" als Rechtsträger? ............................... 233 bb) Oppositionsfraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233 cc) Oppositionsabgeordnete ............................ . .............. 233 dd) Oppositions-Gruppierungen ....................................... 234 b) Nicht-ständige oppositionsangehörige Teile - Ad-hoc-Opposition ...... 234 aa) Problemstellung................................................... 234 bb) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Beteiligtenflihigkeit "nicht-ständiger Gliederungen" ...................... 235 cc) Beteiligtenfähigkeit nicht-ständiger oppositioneller Gliederungen 236 c) Oppositionsführung und Organstreitverfahren .......................... 237 4. Die Antragsbefugnis ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 237 a) Die Entscheidung des SachsAnhVerfG ................................. 237 b) Stellungnahme: Das Problem der oppositions-internen Konkurrentenklage .................................................................. 238 5. Streitgegenstände.......................................................... 240 6. Opposition in anderen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten? ................ 241

Inhaltsverzeichnis

c. Zusammenfassung

15 242

I. Die Kategorien der Analyse .................................................. 242

11. Die verfassungssystematische Untersuchung. ... . .. . . . .. . .. . .. . . .. . . . . . ... .. .. 243 III. Offene Fragen ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 IV. Schluß ....................................................................... 246

D. Anhänge.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 247 I. Zusammenstellung der Regelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 247

11. Materialien ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255 Personen- und Sachwortverzeichnis ................................................. 270

Abkürzungsvezeichnis B' 90 BbgVerf BerlVerf BremVerf BVerfG(E) Drs. GBD HbgVerf KT MVVerf NdsVerf Pl.prot. RT S. SachsAnhVerf SachsAnhVerfG SächsVerf SächsVerfGH SchlHVerf SoA Steno Ber. ThürVerf VA

Bündnis 90 Verfassung des Landes Brandenburg Verfassung von Berlin Verfassung der Freien Hansestadt Bremen Bundesverfassungsgericht (-sentscheidungen) Drucksache Gesetzgebungs- und Beratungsdienst Verfassung der Freien Hansestadt Hamburg Klausurtagung Verfassung Mecklenburg-Vorpornrnern Verfassung Niedersachsen Plenarprotokoll Runder Tisch der DDR Schlußbericht Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Verfassungsgericht Sachsen-Anhalt Verfassung des Freistaates Sachsen Sächsischer Verfassungsgerichtshof Verfassung des Landes Schleswig-Holstein Sonderausschuß Stenographischer Bericht Verfassung des Landes Thüringen Vrteilsabschrift, Vnterausschuß

A. Die Grundlagen I. Gegenstand und normativer Rahmen der Untersuchung 1. Die Bestimmung des Themas

a) Einführung

Die parlamentarische Opposition war lange Gegenstand politikwissenschaftlicher und parlamentspraktischer Analysen, bevor die Rechtswissenschaft sich des Themas annahm. Besondere Regierungskonstellationen, wie etwa große Koalitionen oder starke Einparteienregierungen, schienen zeitweise die parlamentarische Opposition im politischen Sinn derart zu gefährden, daß es zu Abgesängen auf das parlamentarische Regierungssystem kam. War früher die Krise des Parlamentarismus, so wurde nun die ,Oppositionskrise' zu einem zentralen Thema. Das BVerfG verwendet den Ausdruck ,Opposition' in dem berühmt gewordenen Topos des "Recht[s] auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition", welches es als Element der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung ansieht. Die Fortsetzung in die Parlamente hinein, also ein ,Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition', wurde nicht ausdrücklich formuliert. Es ist im Grundgesetz garantiert durch die repräsentative und das bedeutet: gleiche und unabhängige Stellung der Abgeordneten. Das ist seit längerem verfassungsrechtliches ,Allgemeingut', wurde jedoch wenig ausdifferenziert und nur selten praktisch. Auf der parlamentspraktischen Ebene wurden in Parlamentsreformdiskussionen Modelle zur Verbesserung der Wirkungsweise des Parlamentes entworfen. Die Frage, wie die Möglichkeiten ,der Opposition' verbessert werden könnten, ihren Beitrag zur Wirkungsweise des Parlamentes zu leisten, rückte dabei immer mehr ins Zentrum. Parlamentsreformen verwirklichten Ergebnisse dieser Diskussionen, insbesondere im Bereich des parlamentarischen Minderheitenschutzes. Wahrend die politische Verortung der "Opposition als eines wesentlichen und unerläßlichen Bestandteiles der parlamentarischen Demokratie"l selbstverständlich wurde, wuchs offensichtlich das Bedürfnis, die Erkenntnisse der Oppositionsforschung auch in geschriebenes Recht, und zwar auf Verfassungsebene, umzuformen. 1 Erich Ollenhauer, 4. Sitzung v. 28. 10. 1953, II.Wahlperiode, Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages (BT-StB.II), 36 C.

2 Cancik

18

A. Die Grundlagen

Ein erster Versuch wurde mit der Hamburger Oppositionsregelung 1971 unternommen. Beginnend in Schleswig-Holstein 1990, folgten weitere Verfassungen. Auf dem Wege der Refonn in einigen alten Bundesländern, auf dem Wege der Verfassungsgebung in den neuen Bundesländern wurden ,Oppositionsregelungen' aufgenommen. 2 Inzwischen enthalten zehn Landesverfassungen Regelungen zu "parlamentarischer Opposition". 3 Vorläufiger Schlußpunkt dieser Entwicklung ist eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom Mai 1997, worin das Gericht feststellt, daß eine im Landtag vertretene Fraktion, deren politische Richtung hier irrelevant ist, parlamentarische Opposition sei. Die Entscheidung wurde notwendig, weil eine andere im Landtag vertretene Fraktion die Oppositionseigenschaft vor dem Hintergrund der neuen Oppositionsregelung, die, wie einige andere Oppositionsregelungen auch, eine Definition parlamentarischer Opposition enthält, in Frage stellte. Die Systemtauglichkeit der neuen Oppositionsregelungen steht noch nicht fest. These der vorgelegten Arbeit ist, daß ihre Anwendung Konflikte mit anderen Verfassungsregelungen, ja Widersprüche, verursachen kann. Die genannte Entscheidung ist ein erster Beleg für die Schwierigkeiten, die mit der Auslegung der Oppositionsregelungen verbunden sind. Der hier unternommene Versuch, die neuen Oppositionsregelungen systematisch zu untersuchen, entspricht somit nicht nur theoretischem Interesse, sondern auch praktischen Bedürfnissen.

b) Die Begrenzung des Themas Das Thema der vorliegenden Arbeit ist begrenzt auf das Phänomen der parlamentarischen Opposition. Opposition außerhalb des Parlamentes, etwa Bürgerinitiativen oder die sogenannte ,,APO" (Außerparlamentarische Opposition) der sechziger Jahre werden nicht behandelt. Entsprechend wird in juristischer Hinsicht der staatsorganisationsrechtliche Rahmen relevant werden. Die grundrechtliche Perspektive hingegen, die mit der allgemeinen Oppositionsfreiheit unter anderem des Art. 5 Abs. 1 GG von entscheidender Bedeutung ist, bleibt außer Betracht. Auch geht es nicht darum, ein - wie auch immer geartetes - Recht der Opposition oder ein Recht auf Opposition in allen Verfassungen nachzuweisen, wie das in anderen Arbeiten versucht wird. 2 Mit dem verkürzenden Ausdruck ,Oppositionsregelungen' sind nur die Verfassungsregelungen gemeint, die sich auf die parlamentarische Opposition beziehen, sie also im Text erwähnen, definieren, ihr Rechte zuweisen etc. Nicht gemeint sind hingegen Minderheitenrechte, die hauptsächlich von oppositionellen Entitäten im Parlament genutzt werden, der Opposition aber nicht tatbestandIich ausschließlich zugewiesen sind. 3 Eine Zusammenstellung findet sich im Anhang. Nach Fertigstellung der Arbeit wurde auch in die Bayerische Verfassung eine Oppositionsregelung aufgenommen - vgl. Art 16a BayVerfG. Das Verfassungsrefonngesetz tritt im wesentlichen am I. März 1998 in Kraft.

I. Gegenstand und normativer Rahmen der Untersuchung

19

Die Begrenzung der Arbeit auf die parlamentarische Opposition - und zwar im wesentlichen auf Länderebene - bringt es schließlich mit sich, daß auch der Komplex ,Bundesrat als Instrument von und für Opposition' nicht bearbeitet wird.4 Unzweifelhaft sind Untersuchungen zu dieser ,,Rolle" des Bundesrates für das Verständnis des generellen Phänomens Opposition in der Bundesrepublik Deutschland unerläßlich. Die Fragestellung greift aber weit über die parlamentarische Opposition und ihre Positivierung in den Landesverfassungen hinaus. 5 Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind vielmehr die ,Oppositionsregelungen ' im Kontext der zugehörigen Verfassung und im Kontext des Grundgesetzes. c) Kategorien der Analyse - Idealtypen von Opposition

Im folgenden wird der Versuch unternommen, die Oppositionsregelungen zu systematisieren und zu analysieren. Für diese Analyse werden entsprechend den vorzufindenden Oppositionsverständnissen zwei Idealtypen unterschieden: Opposition im funktionalen Sinne und Opposition im organisatorischen Sinne. Sie stellen zunächst Kategorien dar, mit deren Hilfe das vielschichtige Phänomen Opposition erfaßt werden kann. Sie sind keine Rechtsbegriffe, aus denen Rechtsfolgen hergeleitet werden könnten. Entsprechend diesen Idealtypen kann man auf der rechtlichen Ebene Regelungsmodelle konstruieren. Auch sie dienen als Rahmen unterschiedlicher konkreter rechtlicher Ausformungen. Die hier behandelten Regelungen selbst liegen in dem durch die Idealtypen bzw. Regelungsmodelle begrenzten Feld, decken sich aber nicht notwendig mit diesen. Vielmehr sind Kombinationen denkbar und in den Verfassungen positiviert worden. Im folgenden sollen die Idealtypen und Regelungsmodelle thesenartig vorgestellt werden. Ihre Herleitung im einzelnen erfolgt in den Kapiteln Forschungsstand und Begrifflichkeit, auf die verwiesen sei.6 4 Vgl. dazu charakteristisch von politikwissenschaftlicher Seite: Martin Sebaldt, Innovation durch Opposition: Das Beispiel des Deutschen Bundestages 1949 -1987, ZParl 23 (1992), 238 - 265,247: "Aus dieser - statistischen - Perspektive muß die Frage, ob der Bundesrat ein ,Jnstrument der Opposition" sei, zumindest für Konstellationen mit unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Länderkarnmer eindeutig bejaht werden." Unter Hinweis auf Heinz Laufer, Der Bundesrat als Instrument der Opposition?, ZParl 1970, 318 ff.; Peter Schindler, Mißbrauch des Bundesrates?, ZParl 1974, 157 ff. Diese "Rolle" scheint mir von juristischer Seite noch kaum untersucht zu sein. S Ja sie schließen sich in gewisser Weise aus. Die Definition parlamentarischer Opposition als die Regierung nicht tragende Entitäten im Parlament und die Bewertung des Bundesrates als von den Landesregierungen beschicktes Instrument der Opposition einschließlich der parlamentarischen Opposition auf Bundesebene weisen darauf hin, daß für die Perspektive auf die Ebenen Bund und Länder unter dem föderalistischen Aspekt terminologische Unklarheiten vorprogrammiert sind.

20

A. Die Grundlagen

aa) Organisatorisches Verständnis von Opposition In Fonnulierungen wie "Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie,,7 wird die parlamentarische Opposition wie eine organisatorisch festgefügte Gliederung des Parlamentes beschrieben.

Der Satz: "Die Fraktionen und die Mitglieder des Landtages, die die Landesregierung nicht stützen, bilden die parlamentarische Opposition" scheint ebenfalls eine eigenständige Gliederung zu definieren. 8 Dieser Typus von ,Oppositionsregelung' wird in den Entwurfsbegründungen teils als neue Antwort auf das Erfordernis der Institutionalisierung, teils als reines Zurkenntnisnehmen der angeblich unausgesprochen schon feststehenden Qualität der Opposition als "Verfassungsinstitution" beschrieben. Die Begrifflichkeit ,Institution' bleibt dabei unklar. Dahinter steht eine organisatorische Sichtweise: Die parlamentarische Opposition ist, ähnlich wie die Fraktion, ein fester Parlamentsteil, fast ein ,Organ', jedenfalls ein Träger von Rechten und Pflichten, ein Subjekt, dem öffentliche Aufgaben zugewiesen werden. Diesem organisatorischen Vorverständnis von Opposition entspricht eine staatsorganisatorische Institutionalisierung auf der rechtlichen Ebene: Eine möglicherweise existente, vielleicht aber nur gedachte Institution des Verfassungslebens wird im Rahmen der Staatsorganisation, nämlich als Bestandteil des Staatsorganes Parlament, positiviert. Den entsprechenden Idealtyp sowie das Regelungsmodell nenne ich organisatorisch.

bb) Funktionales Verständnis von Opposition Opposition kann auch eine Verhaltensweise bezeichnen. Der Ausdruck parlamentarische Opposition bedeutet dann: Opponieren im parlamentarischen Kontext. Er enthält dann keine Aussage, wer von den Akteuren im Parlament diese Verhaltensweise ausübt. Das Bundesverfassungsgericht hat das "Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition" früh als Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Art. 21 Abs. 2 GG verortet. Es setzt sich über den freien Abgeordnetenstatus in den parlamentarischen Bereich hinein fort. Ein entsprechendes Regelungsmodell findet sich etwa in der Verfassung des Freistaates Sachsen, in Art. 40 Satz I, wo es heißt: 6

A.II., 1II.

So Art. 23 a HbgVerf, eingefügt 1971, damit die erste derartige Regelung; ebenso: Art. SS Abs. 2 BbgVerf, vglbar. Art. 12 Abs. I S. I SchlHVerf; oder: "Die Opposition ist notwendiger Bestandteil [ ... l", Art. 2S Abs. 3 BeriVerf. 8 Art. 48 Abs. I SachsAnh Verf beispielsweise. 7

I. Gegenstand und normativer Rahmen der Untersuchung

21

"Das Recht auf Bildung und Ausübung parlamentarischer Opposition ist wesentlich für die freiheitliche Demokratie."

Damit wird die Ausübung einer Funktion verfassungsrechtlich normiert, indem ihre Bedeutung im Rahmen der Demokratie festgestellt wird. Gegenüber dem organisatorischen Verständnis ist zunächst auffallend, daß nicht die Stellung einer weiteren, als bestehende Einheit vorausgesetzten Parlamentsgliederung normiert wird. Vielmehr wird die Bedeutung des Rechtes auf Opposition im Parlament, nämlich Bildung und Ausübung derselben, festgestellt. Im Unterschied zum organisatorischen Verständnis ist Gegenstand der Regelung also eine Verhaltensweise im Parlament. Diese Möglichkeit oppositionellen Verhaltens wird rechtlich garantiert, ja als verfassungsrechtlich erwünscht angesehen. Daher erscheint es angemessen, von einer rechtlich anerkannten Funktion zu sprechen. Da die Betonung hier auf der Funktionalität von oppositionellem Verhalten für die freiheitliche Demokratie liegt, soll dieser Idealtyp und das entsprechende Regelungsmodell als funktional bezeichnet werden. 9 Opposition im organisatorischen Sinne deckt nur einen Teil von Opposition im funktionalen Sinne ab. Den Status der Opposition zu untersuchen, wie das in der überwiegenden Oppositionsforschung getan wird, impliziert mithin schon ein reduziertes Oppositionsverständnis. Wenn es richtig ist, daß auf der verfassungsrechtlichen Ebene Opposition im funktionalen Sinne gewährleistet ist, könnte also die Normierung von Opposition im organisatorischen Sinne wegen der damit verbundenen Reduktion in Konflikt mit der funktionalen Gewährleistung geraten. Daß die konkreten Regelungen sich nicht mit dem Regelungsmodell und dem dahinter stehenden Idealtypus decken müssen, sei am Beispiel der schon angeführten sächsischen Regelung verdeutlicht. In Satz 2 des Art. 40 Sächs Verf heißt es: ,,Die Regierung nicht tragende Teile des Landtages haben das Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit."

Ohne der detaillierten Untersuchung vorzugreifen, wird deutlich, daß für die Rechtszuweisung zwar auf existierende Teile des Parlamentes zugegriffen wird, also keine neue Entität ,die Opposition' gebildet wird, diese Teile aber besonders qualifiziert sein müssen. Die Formulierung "die Regierung nicht tragend" umschreibt die Zugehörigkeit zu einer als abgrenzbar gedachten Gruppe. In einigen der Regelungen, die dem organisatorischen Typus zugerechnet werden können, wird c;ine entsprechende Formulierung für die Definition der Opposition als organisatorische Einheit benutzt. Es wäre also denkbar, daß im zweiten Teil der sächsischen Regelung ein organisatorisches Verständnis positiviert und somit eine Kombination beider Idealtypen normiert worden ist. Ob dem tatsächlich so ist, bleibt unten zu klären. 9 Anders verwendet Ralf Poscher, Die Opposition als Rechtsbegriff, AöR 1997, 444 ff., 461 den Ausdruck ,,funktionales Oppositionsverständnis" . Er versucht den Begriff Opposition unter Rückgriff auf ihre Funktionen zu definieren. Dabei legt er schon von vornherein ein organisatorisches Oppositionsverständnis zugrunde.

22

A. Die Grundlagen 2. Der normative Rahmen der Untersuchung

Eine normative Analyse landesverfassungsrechtlicher Regelungen hinsichtlich parlamentarischer Opposition im organisatorischen oder im funktionalen Sinne muß sich an folgenden Eckpunkten orientieren.

a) Die Vorgaben des GrundgesetzesJürdie Landesverfassungen Die grundgesetzliehe Ebene wird, wie erwähnt, binnensystematisch hier nicht untersucht. Nur die Landesverfassungen sind Gegenstand der Arbeit. Für diese sind aber auch grundgesetzliche Vorgaben relevant, insbesondere Art. 28 Abs. 1 GG und Art. 21 GG.

aa) Art. 28 Abs. 1 GG Ein Verstoß gegen das sogenannte Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG hätte die Grundgesetzwidrigkeit und damit Nichtigkeit der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Norm zur Folge. 10 Von den Elementen des Homogenitätsgebotes wird das Demokratieprinzip in seiner grundgesetzlichen Prägung, wie es insbesondere in Art. 20 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommt, relevant, welches als Rahmenvorgabe die Verfassungsautonomie der Länder begrenzt. 11 Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verdeutlicht, daß die Ausgestaltung des Demokratieprinzips im Sinne des Grundgesetzes repräsentativ ist: In den Ländern muß eine gewählte Volksvertretung, ein Parlament, existieren. 12 Hingegen ist in den Ländern nach wohl herrschender Ansicht die detaillierte Ausgestaltung als parlamentarisches Regierungssystem im grundgesetzlichen Sinne nicht vorge10 Vgl. Bonner Kommentar, Art. 28, Zweitbearbeitung 1964 (Klaus Stern), Rn. 16. Auf den Streit, ob Grundgesetzwidrigkeit automatisch zur Nichtigkeit fUhre, und zwar unmittelbar - so etwa Löwer, v. Münch, Art. 28, Rn. 13 m.w.N; Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungsund Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, 100 ff. - oder über Art. 31 GGso wohl Bartlsperger, Hdb. Staatsrecht, Bd. IV, § 96, Rn. 23, 26 -, oder nur zur Vernichtbarkeit· unter Hinweis auf Art. 28 Abs. 3 GG ist hier nicht einzugehen. Die von Wilhelm Kanther, Die neuen Landesverfassungen im Lichte der Bundesverfassung, Diss. Köln 1993, unter dem Aspekt des Art. 28 GG vorgenommene Analyse ist hinsichtlich der Oppositionsregelungen ungenau. 11 Kurz zum Homogenitätsgebot unter dem Aspekt Rechtsstaatsprinzip und Oppositionsregelungen der neuen Landesverfassungen, von Mangoldt, Die Verfassungen, 88 f. 12 Ob und inwieweit direktdemokratische Elemente zulässig sind, ist damit nicht entschieden. Vgl. dazu Löwer, a. a. 0., Rn. 19 f. Sachs stellt fest, daß die Brandenburger Verfassung, insbesondere auch deren plebiszitäre Elemente, die über Art. 28 Abs. 1 GG vorgegebenen Verfassungstrukturprinzipien nicht in Frage stellten, Hdb. Brandenburg, 75.

I. Gegenstand und nonnativer Rahmen der Untersuchung

23

geben. 13 Das Demokratiegebot erfordert jedoch, daß der Prozeß der Willensbildung frei und offen ist. "Wahlen und Abstimmungen münden in Mehrheitsentscheidungen; mit der Vorstellung des Mitwirkungsrechts des ganzen Volkes ist die Mehrheitsentscheidung und damit die NichtbeTÜcksichtigung des Willens der Minderheit vereinbar, wenn Demokratie als Herrschaft auf Zeit mit der Chance für die Minderheit, Mehrheit zu werden, begriffen und ausgestaltet wird.,,14

Das gleiche Mitwirkungsrecht für alle Angehörigen dieses souveränen Volkes setzt sich im parlamentarischen Bereich, also auf der Ebene der Repräsentation, in der besonderen Stellung der Abgeordneten fort. Der freie und gleiche Status der Abgeordneten, wie er aus Art. 38 Abs. I S. 2 GG folgt, ist Bestandteil der Homogenitätsvorgabe des Art. 28 Abs. I GG. 15 Auch das Recht der Abgeordneten auf verfassungs gemäße Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition ist über Art. 28 Abs. I GG für die Länder herleitbar. I6 Normativer Anknüpfungspunkt dafür ist, wie erwähnt, das freie Mandat der Abgeordneten in Verbindung mit dem Demokratieprinzip. Keine der Oppositionsregelungen, so problematisch sie im einzelnen auch sein können, verstoßen, so der Ausgangspunkt dieser Arbeit, gegen die in Art. 28 Abs. I GG enthaltenen Grundsätze. I7 Potentielle Konfliktlagen können durch grundgesetzkonforme Auslegung bewältigt werden. Diese entspricht der Herstellung prak13 Bonner Kommentar, Art. 28, Zweitbearbeitung (1964) Klaus Stern, Rn. 30 ff.; Maunz, in Maunz I Dürig, Art. 28 Rn. 32. Löwer, a. a. 0., Rn. 15, vertritt allerdings die Ansicht, daß Art. 28 Abs. 1 den Typus der parlamentarischen Demokratie durchaus vorschreibe, wobei die Ausgestaltung der Regierungsverantwortlichkeit im einzelnen aber abweichend geregelt sein könne. So auch Dauster, Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach den Verfassungen der Länder, Köln u. a. 1984,4 ff. m. w. N., insbes. 10, Anm.37. 14 Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3, Zweitbearbeitung Hans-Ulrich Evers (1982), Rn. 183. m. w. N. 15 Birk, NIW 1988,2521 ff. (Einführung). Vgl. BremStGH, NIW 77,2307 (zu einer Sonderfrage hinsichtlich einer abweichenden Gestaltung des Mandates in Bremen). Vgl. Jarassl Pieroth, Art. 28 Rn. 3. Als Bestandteil des Demokratieprinzips in Art. 28 Abs. 1 GG sieht wohl auch Stern, Staatsrecht, Bd.l, 608, die Garantie des freien Mandates an. Ebenso H.H. Klein, Hdb. Staatsrecht, § 41 Anm. 59. Ähnlich Fischer, Abgeordnetendiäten, 71, 74 f.; Schachtschneider, Der Staat 1989, 173 ff., 199. 16 Schneider, Handbuch Verfassungsrecht, § 13, Rn. 101 zufolge ist die politische Opposition generell durch das Demokratieprinzip gemäß Art. 20 und Art. 28 00 garantiert und die Stellung der parlamentarischen Opposition zusätzlich über die Stellung der Parteien und Fraktionen (Art. 21 00) abgesichert. Ohne Begründung Andrea Stiens, Chancen und Grenzen der Landesverfassungen im deutschen Bundesstaat der Gegenwart, 132, die nicht zu beachten scheint, daß das genannte "Recht auf [ ... ] Opposition" vom BVerfG nicht für die parlamentarische Opposition entwickelt wurde, sondern im Zusanunenhang mit den Rechten der Parteien. 17 Schachtschneider, Der Staat 1989, 173 ff., 199, deutet Zweifel bezüglich der Vereinbarkeit der Hamburger Regelung mit Art. 28 Abs. 1 S. 2 00 an.

24

A. Die Grundlagen

tischer Konkordanz auf der binnensystematischen Ebene, da die Landesverfassungen die hier relevant werdenden Grundsätze des Art. 28 GG selbst als Normen vorsehen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht daher die verfassungsystematische Betrachtung in der Binnenperspektive der Landesverfassungen. bb) Art. 21 GG Artikel 21 GG gilt unmittelbar in den Ländern und ist natürlich für das Thema Opposition relevant. Allerdings gewährleistet die Parteienfreiheit die Zulässigkeit von Opposition zunächst im nicht-staatsorganisationsrechtlichen Raum. Das Bundesverfassungsgericht hat denn auch bei der Auslegung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition bei dem Mehrparteienprinzip und der Chancengleichheit der Parteien angesiedelt. 18 Als rechtliche Grundlage für parlamentarische Opposition sind die Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung somit nicht ausreichend. Schließlich ist die in Art. 21 GG normierte Chancengleichheit der Parteien als mögliche Grenze von Oppositionsnormierungen zu beachten. Im Rahmen dieser Arbeit kann dieser Punkt nicht im einzelnen untersucht werden. Er wird aber immer wieder relevant. b) Diejeweilige landesverfassungsrechtliche Ebene

Für die binnensystematische Analyse auf Landesebene ist zu unterscheiden: Soweit es sich um Verfassungsgebung handelt, kann aus normlogischen Gründen kein verfassungswidriges und daher nichtiges Verfassungsrecht entstehen. 19 Konfliktlagen sind im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz zu lösen. Soweit es sich um die Änderung der Verfassung handelt, kann diese Verfassung dann Prüfungsmaßstab für die Änderung sein, wenn, und insoweit, als sie höher18 BVerfGE 2, I ff., 12 f. Das vollständige Zitat lautet: "Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatIiche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. .. (Hervorhebung v.d. Verfasserin). 19 Wohl strittig, hier nicht näher zu untersuchen.

I. Gegenstand und normativer Rahmen der Untersuchung

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rangiges Verfassungsrecht enthält. Im Grundgesetz findet sich eine solche Grenze der Verfassungs änderung in Art. 79 Abs. 3, der sogenannten Ewigkeitsgarantie. In den hier interessierenden Verfassungen finden sich zum Teil entsprechende Regelungen.

aa) Verfassungsgebung in den neuen Bundesländern Vier der fünf Verfassungen der neuen Bundesländer enthalten eine autonome Schranke für Verfassungsänderungen. 20 Im vorliegenden Kontext werden diese Regelungen aber nicht relevant, da die Oppositionsregelungen nicht im Wege der Verfassungsänderung, sondern im Wege der Verfassungsgebung, also gleichzeitig mit den Vorschriften über die Verfassungs änderung positiviert worden sind. Ein potentiell höherrangiger landesverfassungsrechtlicher Prüfungs maßstab existierte zu diesem Zeitpunkt also nicht. Das bedeutet für die binnensystematische Analyse, daß Konfliktfalle bei der Auslegung im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz zu lösen sind. Praktische Konkordanz heißt, zwei im konkreten Fall konfligierende Normen gleichen Ranges einander mit dem Ziel, beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen, zuzuordnen. 21 Das Prinzip der "Einheit der Verfassung" erfordert, Verfassungsnormen so zu interpretieren, daß Widersprüche zu anderen Verfassungsnormen vermieden werden. Bei der unter B. vorzunehmenden Analyse, welche Auslegung der Oppositionsregelungen verfassungssystematisch zulässig ist, geht es jeweils um diese Zuordnung konfligierender Normen.

bb) Verfassungsänderung in den übrigen Landesverfassungen In' den übrigen Landesverfassungen wurde die Oppositionsregelung im Wege der Verfassungsänderung eingefügt,22 eine zum Zeitpunkt der Verfassungsänderung existente landesverfassungsrechtliche materielle Grenze für Verfassungsänderungen wäre demnach grundsätzlich zu berücksichtigen. Eine solche hier einschlägige Regelung enthält heute jedoch nur die Verfassung Niedersachsens in Art. 46 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Absatz 2 und Art. 2. Eine entsprechende Vorgabe fand sich auch schon in der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung, dort Art. 37 20 Außer in Brandenburg, finden sich vergleichbare Regelungen Art. 56 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 MVVerf; Art. 74 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit Art. 1, 3, 14, 36 SächsVerf; Art. 78 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 und 4 SachsAnhVerf; Art. 83 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1,44,45 ThürVerf. 21 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20.A. 1995, Rn. 72, 318. Zum folgenden a. 0., Rn. 71. 22 Als Akt der Verfassungsänderung wertet das Verfahren in Niedersachsen auch Berlit, NVwZ 1994, II ff., 12.

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A. Die Grundlagen

in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2?3 Zum Zeitpunkt der Einführung der Oppositionsregelung war in Niedersachsen mithin eine materielle Grenze für Verfassungsänderungen vorhanden, die demnach bei einer Untersuchung der niedersächsischen Regelung zu berücksichtigen ist. Das hier relevant werdende Demokratieprinzip in seiner repräsentativen Ausfonnung entspricht dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip, das über Art. 28 Abs. 1 GG für die Landesverfassungen von Bedeutung ist. Auch insofern bleibt es bei der oben erwähnten und unten im einzelnen nachzuweisenden Erkenntnis, daß die Oppositionsregelungen keinen Verstoß gegen diese Grenze enthalten. Das gilt insbesondere für die - eher zurückhaltende - Oppositionsregelung Niedersachsens. 24 In den anderen Bundesländern wurde eine autonome materielle Grenze für die vorgenommenen Verfassungsänderungen nicht relevant. Geht man, wie das hier getan wird, von der grundsätzlichen Gleichrangigkeit aller Nonnen einer Verfassung aus, bleibt also auch hier ,nur' der Weg der praktischen Konkordanz, das heißt der Suche nach der verfassungsystematisch zulässigen Auslegung für die Interpretation von konfligierenden Nonnen.

c) Der normative Rahmen im einzelnen Folgende Regelungen bilden die Eckpunkte der nonnativen Analyse, sie sollen hier im Überblick genannt werden. Dabei handelt es sich nicht um das HerausfiItern gleichsam ,gemeinsamer Verfassungsgrundsätze' als eigenständige Maßstäbe. 25 Denn selbstverständlich muß die Analyse jeweils die konkrete Landesverfassung als Nonnumfeld nutzen, nicht Bestandteile anderer Verfassungen. Die weitgehende Übereinstimmung der relevanten Grundsatznonnen erlaubt es aber, die in dieser Arbeit thematisierten Fragen gleichsam auf einer abstrakteren Ebene zu un23 Art. 37 Vorläufige NiedersVerf. (vom 13. 4. 1951, Nieders. GVBI. Sb. I, 100, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Il. 1991, Nieders. GVBI., 301) lautete: "Verfassungsänderungen, die den in Artikel I Abs. 1 und Artikel 2 niedergelegten Grundsätzen widersprechen, sind unzulässig." Artikel I Abs. I, soweit hier relevant, lautete: "Das Land Niedersachsen [ ... ) ist ein republikanischer, demokratischer und sozialer Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland." Artikel 2 lautete: ,,(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird von Volke in Wahlen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. (2) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung in Bund und Land, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." Ein Verfassungsänderungsverbot enthält zwar auch die BremVerf in Art. 20 i. V.m. Art. l. Dieser regelt die Bindung von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung an die "Gebote der Sittlichkeit und Menschlichkeit". Diese Grenze für Verfassungsänderungen wird aber im vorliegenden Kontext nicht relevant. 24 Vgl. dazu IY.2 d) und unter B. 2S Wie das aus dem Völkerrecht bekannt ist.

I. Gegenstand und nonnativer Rahmen der Untersuchung

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tersuchen und die Ergebnisse dann auf die jeweilige Verfassung zurückzuführen. Diese Eckpunkte sind: • Das Demokratieprinzip in Verbindung mit der Volkssouveränität: Es enthält auch die Freiheit zur Opposition, das heißt sich in einem gewissen Rahmen oppositionell zu verhalten. Dazu gehören - im vorliegenden Kontext nicht im einzelnen relevant - die gleichen Mitwirkungsbefugnisse der Bürgerinnen und Bürger, also die Freiheit und Gleichheit bezogen auf die politische Willensbildung, ausgeprägt in den Grundrechten der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, ferner den Wahlrechtsgrundsätzen des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und ihren Entsprechungen auf der landesverfassungsrechtlichen Ebene. Die im Grundgesetz (in Art. 21) so genannte freiheitliche demokratische Grundordnung ist auf Landesebene ebenfalls verwirklicht. Diese Freiheit wird fortgesetzt im parlamentarischen Bereich, nonnativ garantiert unter anderem durch den Abgeordnetenstatus. • Das parlamentarische Regierungssystem: Es ist in allen hier interessierenden Bundesländern verwirklicht. In allen Verfassungen findet die ,Vertrauensbeziehung' zwischen Regierung und Parlament über die Wahl hinaus auch Ausdruck in Regelungen eines Mißtrauensvotums oder einer Vertrauensfrage; die parlamentarische Verantwortlichkeit ist mithin Grundlage aller hier untersuchten Verfassungen. 26 • Entscheidend wird abzustellen sein auf die Freiheit des Abgeordnetenmandates: 27 Sie verbietet jegliche heteronome rechtliche Festlegung von Abgeordneten im parlamentarischen Willensbildungsprozeß. ,,Zum Kernbestand der dem Abgeordneten kraft Verfassung zustehenden und durch Geschäftsordnungsregelungen zwar ausgestaltbaren, aber nicht entziehbaren originären Mitwirkungsbefugnissen zählen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Rederecht, das Stimmrecht im Plenum, die Beteiligung an der Ausübung des Frage- und 26 Dabei findet sich die Nonnierung eines einfachen Mißtrauensvotums (Art. 57 Abs. I BerlVerf: Senat bedarf des VertrauenS> des Abgeordnetenhauses; Abs. 2: Einfaches Mißtrauensvotum gegen alle Senatsmitglieder / Senat selbst), überwiegend aber eines konstruktiven Mißtrauensvotums (Art. 110 Brem Verf: konstruktives Mißtrauensvotum gegen Senat / Senatsmitglied; Art. 32 NdsVerf; Art. 69 SächsVerf), häufig noch kombiniert mit der Möglichkeit einer Vertrauensfrage oder eines Vertrauensantrages (Art. 86 BbgVerf: konstruktives Mißtrauensvotum, Art. 87 Vertrauensfrage; Art. 35 HbgVerf: konstruktives Mißtrauensvotum gegen Senat/ Senatsmitglied, Art. 36 Vertrauensfrage; Art. 50 Abs. 2 MVVerf: (konstruktives) Mißtrauensvotum, Art. 51 Vertrauensfrage; Art. 72 SachsAnhVerf: konstruktives Mißtrauensvotum, Art. 73 Vertrauensantrag; Art. 35 SchlHVerf: konstruktives Mißtrauensvotum, Art. 36 Vertrauensfrage; Art. 73 ThürVerf: konstruktives Mißtrauensvotum, Art. 74 Vertrauensantrag). In den Bundesländern, die einen Senat vorsehen (Berlin, Bremen, Hamburg), ist ein Mißtrauensvotum gegen den Senat als ganzen oder gegen einzelne Senatsmitglieder möglich. 27 Das freie Mandat ist in allen hier untersuchten Verfassungen garantiert, im einzelnen: Art. 38 Abs. 4 BerlVerf, Art. 56 Abs. I BbgVerf, Art. 83 Abs. I BremVerf; Art. 7 HbgVerf; Art. 22 Abs. I MVVerf; Art. 12 NiedersVerf; Art. 39 Abs. 3 SächsVerf; Art. 41 Abs.2 SachsAnhVerf; Art. 11 Abs. I SchlHVerf; Art. 53 Abs. I ThürVerf.

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A. Die Grundlagen

Informationsrechts des Plenums, das Recht, sich an den vom Parlament vorzunehmenden Wahlen zu beteiligen, parlamentarische Initiativen zu ergreifen sowie sich mit anderen Abgeordneten zu Fraktionen zusammenzuschließen.,,28

In diesem Kontext kann das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung von Opposition fruchtbar gemacht werden: Normative Verbote von oppositionellem Verhalten oder seine Sanktionierung gegenüber Abgeordneten außerhalb des erlaubten politischen Prozesses sind verfassungswidrig. So wie Fraktionszwang die Abgeordnetenfreiheit verletzt, verletzte sie auch ein Oppositionszwang oder das ,Gegenstück', nämlich ein Zwang, die Regierung zu stützen . • Ähnliche Bedeutung erlangt in diesem Kontext die Abgeordnetengleichheit: 29 "Diese Gleichheit ist, weil alle Abgeordneten in gleicher Weise zur Repräsentation des Volkes berufen sind, formal zu verstehen und erlaubt Abweichungen nur, wenn sie zur Sicherung der Funktionsfähigkeit und des Ablaufs der Parlamentsarbeit, zur Abwehr mißbräuchlicher Ausnutzung parlamentarischer Rechte oder zum Schutze anderer vorrangiger Verfassungs güter erforderlich sind. ,,30

Der Abgeordnetenstatus wird also wesentlich durch die gleichen Mitwirkungsbefugnisse bestimmt. 31 • Zu nennen ist ferner die Fraktionengleichheit. 32 Der Status der Fraktion als Zusammenschluß von Abgeordneten in Ausübung des ihnen zustehenden freien Mandats ist aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG abzuleiten;33 deren Gleichheitsrecht setzt sich auf Fraktionsebene fort in der Chancengleichheit der Fraktionen untereinander. 28 Loibl, Der Status der Abgeordnetengruppe im Deutschen Parlament, 46. Vgl. ausführlich BVerfGE 80, 88 ff., 217 ff. 29 Die Wahlgleichheit ist in allen hier untersuchten Verfassungen gewährleistet, vgl.: Art. 39 Abs. 1 BerlVerf, Art. 22 Abs. 3 BbgVerf; Art. 75 Abs. I BremVerf; Art. 6 Abs. 2 HbgVerf; Art. 20 Abs. 2 MVVerf; Art. 8 Abs. 1 NdsVerf; Art. 4 Abs. 1 SächsVerf; Art. 42 Abs. 1 SachsAnhVerf; Art. 3 Abs. 1 SchlHVerf; Art. 46 Abs. 1 ThürVerf. In Verbindung mit dem Prinzip gleicher Repräsentation ist sie Grundlage des formal-egalitären Status' der Abgeordneten. 30 Vgl. BVerfGE 40, 296 ff., 317 f.; 80,188 ff., 218. SächsVerfGH, Urteil vom 17.2.1995 (Aktuelle Debatte), SächsVBII995, 227 ff., 228; ebenso SächsVerfGH, Urteil vom 26.1. 1996 (Besetzung der parlamentarischen Kontrollkommission), LKV 1996, 295 ff., 296. 31 BVerfGE 80,188 ff., 217 f. m. w. N., st. Rspr.; Loibl, Der Status der Abgeordnetengruppe, 33; ebenso Jörg Kürschner, Die Statusrechte des fraktionslosen Abgeordneten, 82, 114. 32 Regelungen über die Fraktion enthalten bis auf Sch1eswig-Holstein und Hamburg alle hier untersuchten Verfassungen. Im einzelnen sind diese allerdings unterschiedlich. Den Zusammenhang zum freien Mandat formuliert am deutlichsten Art. 77 BremVerf (,,Fraktionen bestehen aus Mitgliedern der Bürgerschaft und werden von diesen in Ausübung des freien Mandates gebildet. [ ... ]"). V gl. im übrigen: Art. 40 BeriVerf; Art. 67 BbgVerf; Art. 25 MVVerf; Art. 19 Abs. 1 NiedersVerf; (indirekt in Art. 46 Abs. 2 SächsVerf); Art. 47 SachsAnhVerf; Art. 58 ThürVerf. 33 BVerfGE 70, 324 ff., 363; ebenso Mahrenholz in seiner abweichenden Meinung, a. 0., 382. Vgl. Loibl, Der Status der Abgeordnetengruppe, 32 f. Stärker auf die Stellung der Parteien rekurrierend Poscher, AöR, 1997, 444 ff., 451 ff.

II. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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• Zu beachten ist auch die Chancengleichheit anderer Gruppierungen von Abgeordneten: Über die Abgeordnetengleichheit vermittelt steht auch sonstigen Zusammenschlüssen von Abgeordneten Chancengleichheit zu. • Berücksichtigung müssen ferner die rechtlichen Grundentscheidungen über Organisation und Verfahren innerhalb des Parlamentes finden. • Nochmals anzuführen ist schließlich auch die Chancengleichheit der Parteien, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur am Rande berücksichtigt werden kann. 3. Vorgehensweise Die Ausdifferenzierung der thesenartig schon vorgestellten Idealtypen von Opposition soll im einzelnen entwickelt werden. Nach einem Überblick über den Forschungsstand und seine Entwicklung werden die Grundbegriffe der Oppositionsforschung terminologisch analysiert. Politikwissenschaftliche und parlamentspraktische Untersuchungen spielen eine erhebliche Rolle in der Oppositionsforschung. Deshalb müssen sie berücksichtigt werden. Eine rechtsdogmatische Untersuchung wird aber von anderem Erkenntnisinteresse und anderen Kategorien geleitet. Deshalb müssen die verwendeten Ausdrücke erst geklärt werden, um methodische Ungenauigkeiten zu vermeiden. In einem weiteren Kapitel wird in einem Überblick die Entstehungsgeschichte der Oppositionsregelungen in den Landesverfassungen dokumentiert. Über das rechts geschichtliche Interesse hinaus sind dort gewonnene Erkenntnisse für die Auslegung der einzelnen Normen von Bedeutung. Diese Auslegung im einzelnen ist schließlich in Teil B. der Arbeit vorzunehmen. Anhand von konkreten Fragestellungen ist jeweils die verfassungssystematisch zulässige Auslegung zu entwickeln. Es wäre unangemessen, alle genannten Regelungen im Kontext ihrer jeweiligen Landesverfassung erschöpfend behandeln zu wollen. Aufgezeigt werden grundsätzliche Fragestellungen und Lösungsansätze.

11. Der Forschungsstand: Die Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition In der Einleitung wurde angedeutet, daß in der Oppositionsforschung unterschiedliche Verständnisse von Opposition zu finden sind. Diese hängen eng mit demokratie- und parlamentstheoretischen Erwägungen zusammen. 34 34 Zum Zusammenhang mit Demokratietheorien vgl. die Arbeit Schneiders, Die parlamentarische Opposition, und neuerdings Ralf Poscher, Die Opposition als Rechtsbegriff, AöR 1997, 444 ff.

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A. Die Grundlagen

Die Oppositionsforschung ist ein Teil der Parlamentarismusforschung. Diese ist von Bedeutung für jene; ihre Entwicklung soll deshalb in groben Zügen dargestellt werden. 1. Parlamentarismus und "Parlamentarismusdebatte"

a) Herkunft der Begriffe

Der Ausdruck ,Parlamentarismus' kann, je nach historischem und politischrechtlichem Kontext, unterschiedliche Ordnungen bezeichnen. Jede Darstellung der Entwicklung von Praxis und Theorie des Parlamentarismus muß diese Bedeutungsvielfalt beachten. Hier soll eine Aufstellung von drei unterschiedlichen Definitionen genügen, einen sachlichen Rahmen zu geben: Der weiteste Begriff setzt nur die Existenz eines Parlaments in einem Regierungssystem voraus. Position und Funktion im Herrschaftsgefüge sind nicht bestimmt. Er umfaßt daher ganz unterschiedliche Phänomene "wie das spätmittelalterliche parliament in England [ ... ], das französische parlement der frühen Neuzeit [ ... ] und die modemen Repräsentativkörperschaften [ ... ]".35 Enger definiert setzt ein parlamentarisches System voraus, daß das Parlament aus freien Wahlen hervorgegangen ist und verfassungsmäßig festgelegte Kompetenzen bei der politischen Willensbildung und Herrschaftsausübung besitzt, also im Bereich von Gesetzgebung, Etat-Aufstellung und der Kontrolle von Regierung und Verwaltung. 36 "Schließlich findet sich heute ein dritter Parlamentarismus-Begriff, der nicht nur auf Existenz und Funktionalität eines frei gewählten Parlaments zielt, sondern vor allem auf die spezifische Organisation des politischen Institutionengefüges im Bereich der Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative abhebt."

Charakteristisch dafür ist die enge institutionelle und personelle Verbindung beider Gewalten. Diese Definition geht zurück insbesondere auf Karl Löwenstein,37 dessen Beschreibung des "echten Parlamentarismus" sich mit derjenigen der "echten parlamentarischen Regierung" deckt. 38 Die von ihm betonten Aspekte sind ty35 Für diese Parlamentarismusdefinitionen vgl. Hartrnut Wasser, Parlamentarismuskritik vorn Kaiserreich zur Bundesrepublik. Analyse und Dokumentation, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1974,10 ff., 11. 36 Darin wäre etwa die Präsidialdemokratie (Bsp. USA) ebenso eingeschlossen wie das System der Schweiz oder die parlamentarischen Regierungssysteme der westeuropäischen Länder. 31 Karl Löwenstein, Zum Begriff des Parlamentarismus, Der britische Parlamentarismus. Entstehung und Gestalt, 1964, 143 ff., auszugsweise in: Kluxen, Parlamentarismus, 65 ff., 66. Löwenstein verbindet den echten Parlamentarismus mit einern System konstitutioneller Demokratie.

11. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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pisch für das parlamentarische Regierungssystem. In diese Systemcharakterisierung wäre auch das Phänomen parlamentarische Opposition als besondere politische Institution einzuordnen. Löwenstein selbst erwähnt sie nicht.

b) Rezeption in Deutschland Theorie und Geschichte des Parlamentarismus werden seit langem eingehend erforscht. Im vorliegenden Zusammenhang ist weniger die Entwicklung der Institution Parlament - in England ist ein Ausgangspunkt der High Court of parliament,39 in Deutschland kann man auf Landtage, Reichstage, Hoftage etc. zurückgehen40 oder ,des Parlamentarismus' von Interesse, als vielmehr die deutsche Rezeption dieser Entwicklung: der theoretischen Modelle, wie der Praxis. Die Entwicklung des heutigen Parlamentsverständnisses scheint nämlich von vielerlei Einflüssen, darunter auch Mißverständnissen, geprägt, deren Grund vor allem in der Zeit vom Ende des 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelegt wurde. Sie wirken teilweise bis heute fort, auch in die Oppositionsforschung hinein.

aa) Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war die wissenschaftliche Auseinandersetzung geprägt von rechtsvergleichenden Untersuchungen, insbesondere der Diskussion des englischen Modells,41 sowie der Frage der Übertragbarkeit eines, wie auch immer im einzelnen definierten, parlamentarischen Regierungssystems auf die ,deutschen Verhältnisse'. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand das Verhältnis von Regierung und Parlament. 42 Bemerkenswert erscheint dabei eine gewissermaßen ,nationale' Distanzierung: So beschrieb Jellinek im Jahre 1911 die "modernen Parlamente" als ,,[ ... ] aus38 ,,[ ... ] bei der zwischen Parlament und Regierung vermitteis der ihnen wechselseitig zustehenden Interorgankontrollen zumindest ein politisches Gleichgewicht besteht. so daß keines der beiden Staatsorgane den Staatswillen ohne das andere bilden kann .... a. a. o. 39 Von da kommt die Bezeichnung. vgl. Kluxen. Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des englischen Parlamentarismus. in: Kluxen. Parlamentarismus. 99: Das Parlament habe sich im 17. Ih. mehr als Rechtswahrer denn als Repräsentativkörperschaft gefühlt. .,Die Commons waren gewissermaßen Großschöffen [ ... ]". 40 Dazu Peter Moraw. § I. in PRuPPr mit weiteren Hinweisen. Vgl. auch Ludwig Bergsträsser. Die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland. in: Kluxen. Parlamentarismus. 138 ff. für die Zeit ab Mitte des 18. Ih.s. 41 Häufig kontrastiert mit .dem' französischen. Das englische Modell als Vorbild oder gerade nicht übertragbare Konstruktion prägt die Oppositionsforschung bis heute. dazu unten. 42 Vgl. Titel wie: G. Iellinek. Regierung und Parlament in Deutschland. Geschichtliche Entwicklung ihres Verhältnisses. (Vortrag der Gehe-Stiftung I). 1909; Gerhard Anschütz. Parlament und Regierung im Deutschen Reich. 1918.

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A. Die Grundlagen

nahmslos aus der Nachahmung englischer Verhältnisse oder deren revolutionären [sie] Umbildung durch die Franzosen hervorgegangen".43 Deshalb waren ihm Parlamente, zumindest außerhalb Englands, geschichtslose Institutionen. So seien auch die schwerwiegenden Mängel der parlamentarischen Einrichtungen zu erklären. 44 Ein System parlamentarischer Regierung als neue Regierungsform war auch in England erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts ernsthaft erkennbar. 45 Dementsprechend verzögert war die Rezeption in Deutschland, die zudem unter ganz anderen politischen und staatsorganisatorischen Vorzeichen geschah. 46 Das Modell eines demokratisch - repräsentativen Parlamentarismus war zu dieser Zeit ebenfalls neu: 47 Die einerseits monarchische andererseits konstitutionalistische Prägung vieler Untersuchungen ist unverkennbar. 48 Diese Prägung wirkte in die Anfangszeiten des Weimarer Systems fort, insbesondere auch in der Wissenschaft.

43 Georg Jellinek, Besondere Staatslehre, Ausgewählte Schriften und Reden, Bd. 2, 1911, 153 ff., 181. Auch Scheuner weist darauf hin, daß das "parlamentarische System [ ... ] kein Erzeugnis deutschen Geistes" sei, 211, allerdings nicht mit der Intention, daraus auf die Unangemessenheit dieses Systems für Deutschland zu schließen. 44 Dies führte freilich bei Jellinek nicht zur - im Zeittrend liegenden - Diffamierung parlamentarischer Systeme. Hinsichtlich der parlamentarischen Regierung differenzierte Jellinek nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Eigenarten. Ihre Bildung gehe auch auf die Lehre von der Volkssouveränität, die als ,französisch', kontinental, das ist nicht-englisch, gilt, zurück. Es bleibt dennoch der Eindruck, daß die Einschätzung als bloße ,Kopie des englischen Vorbildes' negativ besetzt ist. V gl. Jellinek, Staatslehre, 287. 45 Von Beyme nennt die Parlamentsreform von 1832 als Datum, ab weIchem der Begriff "parliamentary govemment" an Bedeutung gewinnt. Vgl. von Beyme, Der Begriff der parlamentarischen Regierung, in: Kluxen, Parlamentarismus, 188 ff. Theorie und Terminus der parlamentarischen Regierung seien auch, obwohl ,,England den Rohstoff der Theorie lieferte", hauptsächlich auf dem Kontinent ausgebildet worden. 46 Vgl. dazu v. Beyme, in: Kluxen, Parlamentarismus, 192 ff. Erst im Zeitalter Bismarcks habe sich eine relativ klare Vorstellung über das Wesen dieser Regierungsform durchsetzen können, "wenn es auch immer noch schwerwiegende Irrtümer über das Funktionieren des englischen Systems gab". 47 Die erste ,demokratisch' gewählte Versammlung ist die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49. V gl. Moraw, Rn. I ff. m.w. H. zur Entwicklung moderner Repräsentation. Zur bemerkenswert späten Parlarnentarisierung Deutschlands auch von Beyme, PRuPPr, § 3, Rn. I ff. 48 Vgl. dazu Kühne, PRuPPr, § 2, Rn. I ff. Vgl. ferner v. Beyme, in: Kluxen, 195: ,,Aber die Mehrheit der Praktiker und Theoretiker kultivierte die Idee von der besonders für Deutschland geeigneten konstitutionellen Monarchie, und noch das Schicksal der Weimarer Republik zeigte, daß das parlamentarische System in Deutschland nicht innerlich rezipiert wurde. Deutschland hielt überwiegend am dualistischen konstitutionellen Denken fest [ ... ]." Zur "Zwitterstellung des konstitutionellen Parlamentarismus" vgl. von Beyme, § 3, Rn. 3.

11. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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bb) Weimarer Republik Die Weimarer Parlamentarismusdebatte war durch starke antiparlamentarische Strömungen, sowie die erwähnte Unsicherheit im Umgang mit dem - trotz einiger regionaler Vorerfahrungen - neuen Regierungssystem gekennzeichnet. 49 Die Terminologie wurde uneinheitlich benutzt, Begriffszuordnungen erschienen unklar. Politische und juristische Argumentation wurden vermengt. 50 Früher Befürworter einer Stärkung des Parlamentes war Max Weber. Er argumentierte für die Vereinbarkeit des Parlamentarismus mit der Staatsform Demokratie. Die Verbindung repräsentativer und plebiszitärer Elemente, sowie die Bedeutung des Parteien wesens, das er als Einrichtung vorwiegend positiv beurteilt, waren Hauptpunkte seiner Analyse. 51 Angesichts häufig wechselnder Minderheitsregierungen und Parlamentsauflösungen trat in der Weimarer Republik die Kritik an dem parlamentarischen Regierungssystem als solchem in den Vordergrund. Ein besonders einflußreicher Vertreter war earl Schmitt. Aus ideengeschichtlicher Perspektive versuchte er die Unangemessenheit und Undurchsetzbarkeit des Parlamentarismus, insbesondere aber des parlamentarischen Regierungssystems zu ,beweisen', das der modemen Situation nicht mehr angemessen sei. 52 Historisch seien die Prinzipien der Öffentlichkeit und der Diskussion die Grundlagen für ein umfassendes System von konstitutionellem Denken und Parlamentarismus. Die dadurch garantierte Balance habe Wahrheit und Gerechtigkeit selbst bewirken sollen, damit seien sie dem Gerechtigkeitsgefühl einer ganzen Epoche wesentlich erschienen. Gegen diese ,idealistische' Vorstellung stellte Schmitt die parlamentarische und politische ,Wirklichkeit' und die allgemeine Überzeugung, die von "diesem Glauben" weit entfernt seien. Die großen und für die Menschen bedeutenden Entscheidungen seien gerade nicht mehr Resultate des so beschriebenen parlamentarischen Prozesses (Schmitt bezweifelt im übrigen, daß sie es je waren).

49 "Die sogenannte Krisis des Parlamentarismus ist nicht zuletzt hervorgerufen worden durch eine Kritik, die das Wesen dieser politischen Form unrichtig deutet und darum auch ihren Wert falsch beurteilt [ ... ].", Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus, I.A., Wien I Leipzig 1926, 5. 50 Und zwar bewußt. So konstatierte Ulrich Scheuner noch 1927: "Das parlamentarische System juristisch behandeln, hieße Wasser in einem Siebe auffangen zu wollen. Die politische Betrachtungsweise ist allein imstande, brauchbare Ergebnisse zu liefern." Die juristische Methode könne nur daneben treten. Ulrich Scheuner, Über die verschiedenen Gestaltungen des parlamentarischen Regierungssystems. Zugleich eine Kritik an der Lehre vom echten Parlamentarismus, AöR NF 13 (1927), 209 ff.; 337 ff., 213. 51 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, 1918, Ges. Schriften, 2.A. 1958,294 ff., hier: 370-391. 52 earl Schmitt, Die geistes geschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1923, (3.A. 1961).

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A. Die Grundlagen "Die Beteiligung der Volksvertretung an der Regierung, die parlamentarische Regierung, hat sich gerade als das wichtigste Mittel erwiesen, die Teilung der Gewalten und mit ihr die alte Idee des Parlamentarismus aufzuheben. ,,53

Weder der historischen Analyse noch der Bewertung Schmitts kann gefolgt werden. Die angeblich historische Vorstellung von der gleichsam Wunder wirkenden Kraft des Parlamentarismus ist aus den historischen Quellen nicht zu belegen. 54 Ausdrücke wie "der Glaube an das Parlament" diffamieren eine historische Entwicklung als naiv und irrational und damit auch den ihr von Schmitt zugeschriebenen Rationalitätsanspruch. Die Auseinandersetzung mit dieser, ideologisch bestimmten, Form der Parlamentarismuskritik soll hier nicht weiter ausgeführt werden. 55 Weshalb sie in der Wissenschaft so einflußreich werden konnte, bleibt angesichts ihrer wissenschaftlichen Ungenauigkeit unklar. 56 Gegen Schmitt wandte sich unter anderem Ulrich Scheuner,57 der versuchte, allgemeine Grundlagen für die Behandlung des Gebietes ,parlamentarisches Regierungssystem ' aufzustellen. Scheuner akzentuierte zunächst die Funktionen des Parlamentes, teilweise wohl in Anlehnung an Max Weber, anders als Schmitt: Vertre53 Bei Kluxen, 52. In der ersten Auflage von Schmitt, 38 f., fehlen die Worte "die Teilung der Gewalten und mit ihr". Ausgangspunkt für die Argumentation ist die Schmittsche Unterscheidung der Funktionsweise und Aufgabensstellung von Parlament und Exekutive, wonach das Parlament als rein deliberierende Versammlung vorgestellt wird, gleichzeitig aber deutlich gemacht wird, daß Instrumente wie Diskussion oder aber generelles Gesetz etc. für die Exekutive nicht taugen. Schmitt versucht, historisch zu beweisen, daß für Dezisionsprozesse immer anderes gegolten habe, als für diese "deliberierende Versammlung" Parlament. Schon die Balancetheorie habe nicht daran gedacht, den für "Legislative und Parlament maßgebenden Rationalismus auf die Exekutive auszudehnen und auch sie in Diskussion aufzulösen". Ebenda, 34 (= bei Kluxen, 49). Die Erläuterung des ,,maßgebenden Rationalismus" im zweiten Teil des Satzes durch die Worte: ,,in Diskussion auflösen" zeigt deutlich, wie Schmitt strategisch vorgeht. Die scheinbar objektive Analyse und Benennung wird ganz nebenbei von hinten her in ihr Gegenteil verkehrt. 54 Um nur einen Punkt aufzugreifen: Bei Bolingbroke und Vorgängern ist es entgegen Schmitt gerade nicht die Balance, die das Wahre hervorbringt. Vielmehr wird das Innehaben von Macht als an sich korrumpierend begriffen; die in Opposition Stehenden, so der Zusammenhang bei Bolingbroke, als die nicht an der Macht Befindlichen sind deshalb die einzigen, die das nationale Wohl noch verfolgen und Garantie für Freiheit sind, weil dies wiederum die Voraussetzung ist, um an die Macht zu gelangen. 55 Zum rechts-konservativen Antiparlamentarismus dieser Zeit vgl. Wasser, Parlamentarismuskritik, 75 f. und dokumentarisch 84 ff. Zu earl Schmitt, 76, 93 ff. 56 So ist etwa die Kontrastierung mit der angeblichen Wirklichkeit auffallend kurz gehalten: die Bedeutung der öffentlichen Meinung, der Presse, ihres Einflusses auf die Gestaltung von Politik, wird von Schmitt vollkommen außer Acht gelassen. Die staatstheoretische oder gar juristische Argumentation wird durch politisch-weltanschauliche ersetzt. 57 Auch er soll hier gewissermaßen exemplarisch für eine wissenschaftliche Richtung stehen, Wasser nennt sie reformistische oder systemimmanente Parlamentarismuskritik; sie umfaßt allerdings durchaus unterschiedliche Konzepte. Zu nennen wären etwa Hans Kelsen, Gerhard Anschütz, Ernst Fraenkel, Richard Thoma, Hennann Heller, Gerhard Leibholz und andere. Vgl. dazu Wasser, Parlamentarismuskritik, 77 ff.; 99 ff.

H. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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tung der Wähler, öffentliche Kontrolle sowie Mittel demokratischer Führerauslese stünden im Vordergrund. "Die Mitwirkung dieses von den Parteiverbänden erwählten politischen Personals an der Staatsleitung bildet seinen [des Parlamentes] Sinn, nicht die Art seiner Arbeitsweise und der Vorgang der Debatte. ,,58

Das Verhältnis von Parlamentarismus und Gewaltenteilungslehre war zu dieser Zeit bereits problematisiert: Parlamentarismus wurde als gewaltenverbindende, beziehungsweise die Gewaltentrennung aufuebende Demokratie definiert. 59 Daneben stellte Scheuner bezüglich der realen (politischen) Machtverteilung fest, daß eine etwaige resultierende Machtkonzentration beim Parlament die Selbständigkeit der Exekutive keineswegs aufuebe. Dem Parlament verbleibe der "Organisationsnachteil".60 "Wer also herrscht, ist Frage nicht des Gegensatzes von Parlament und Regierung, sondern von Kabinett und Parteileitung der Mehrheit".61

Die Fonnulierung ist mißverständlich - gemeint ist nicht der Gegensatz von Kabinett und ,Kabinettsfraktion' [=,'parteileitung der Mehrheit"], sondern gerade deren Zusammenspiel. Scheuner deutete damit die Verschiebung der politischen Machtverteilung und der politischen Auseinandersetzung in Richtung auf Regierung und Regierungsfraktion einerseits, parlamentarische Opposition andererseits, an. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß auch für das modeme Verständnis des Parlamentsrechtes und derParlamentspraxis die Weimarer Debatte von großer Bedeutung ist. Der besondere Gegenstand der parlamentarischen Opposition ist allerdings nicht bearbeitet worden. 62 Die Diffamierung des parlamentarischen Systems an sich als angeblicher Ursache der Regierungskrisen und die umfassende antiparlamentarische Einstellung eines großen Teils der sogenannten gesellschaftlichen Eliten waren Faktoren, die die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erleichterten, den Erfolg ihrer soScheuner, AöR NF 13 (1927), 209 ff., 337 ff.; hier: 220. Scheuner wies etwa auf Stier-Somlo und Thoma hin, a. a. 0., 221. Die Bedeutung des Gewaltenteilungsverständnisses, die Frage, welche Verbindungen oder Durchbrechungen zulässig sind, bestimmt die Diskussion bis in die modeme Oppositionsforschung hinein. So begegnet man in den aktuellen Diskussionen häufig dem hier verkürzt sogenannten ,Gewaltenteilungseinwand', der sich wegen der Unvereinbarkeit mit der Gewaltenteilung gegen die Einführung eines verfassungsrechtlichen Oppositions status ' richtet. 60 Dies ist ein Ausdruck, mit dem auch die Situation der parlamentarischen Opposition seit längerem gekennzeichnet wird: vgl. etwa den Topos von der Privilegierung der Regierungsmehrheit, dem Regierungsbonus, der ,,Machtprämie" (C.Schmitt). Vgl. dazu unten. 61 Scheuner, 224. 62 Zu den unterschiedlichen Demokratietheorien und ihrer Verortung von ,Opposition' vgl. Po scher, AöR 1997,444 ff. 58

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A. Die Grundlagen

genannten ,,Legalitätstaktik" sicherten. 63 Innerhalb kürzester Zeit war das Parlament zerstört. cc) Die Verfassungsberatungen zum Grundgesetz In den Verfassungsberatungen zum Grundgesetz wurde denn auch besonderer Wert darauf gelegt, die (vermeintlichen oder tatsächlichen) Schwächen des Weimarer parlamentarischen Systems zu vermeiden und das Institutionengefüge gegen Aushöhlung abzusichern. Ferner galt es, die Bedeutung der "Oppositionsfreiheit" im weitesten Sinne verfassungsrechtlich zu verankern. 64 Das Thema Opposition spielte eine gewisse Rolle in den Verhandlungen des Wahlrechtsausschusses des Parlamentarischen Rates. Der Sachverständige Luther führte in seinem Referat über das Mehrheitswahlrecht aus, daß im Unterschied zu den Verhältnissen der Weimarer Zeit mit seinem Mehrparteiensystem und Verhältniswahlrecht eine geschlossene Opposition, wie sie in der Regel dem Zwei parteiensystem des englischen Wahlrechts entspreche, etwas ganz anderes, nämlich nicht Gefährdung der Regierungsfahigkeit überhaupt, sei. 65 Im Vordergrund stand dabei aber nicht das Phänomen der Opposition als politischer oder gar rechtlicher Institution, sondern Befürchtungen hinsichtlich der Zwänge von Koalitionen und der Wirksamkeit des geplanten konstruktiven Mißtrauensvotums. Die Deutsche Wahlergesellschaft, die ein Mehrheitswahlrecht anstrebte, argumentierte ähnlich. ,,Betrachtet man das Problem des Parlaments und der aus ihm entstehenden Regierungen, so ist doch gar kein Zweifel, daß der Koalitionszwang, wie er durch das Verhältniswahlverfahren unumgänglich wird, zu einer Stärkung der Flügelparteien fUhrt, und daß auf der anderen Seite keine verantwortungsbewußte, regierungsfahige Opposition entsteht. ,,66

Nur am Rande sei bemerkt, wie zeit- und erfahrungsgebunden diese Ansichten sind. So finden sich in neueren Veröffentlichungen Hinweise darauf, daß der neue 63 "Die Krise des Systems schlug sich in einer beispiellosen wachsenden Polemik gegen den Parlamentarismus nieder", so v. Beyme, § 16 Rn. 16. Ebenda zu den unterschiedlichen Faktoren für die Krise: Neben institutionellen Schwächen der konkreten Verfassungsordnung von Weimar nennt er insbesondere das Parteiensystem und seine politische Ausrichtung sowie antidemokratische, antiparlamentarische Einstellungen in den ,Eliten' des Staates. Zum Mißbrauch des ideologisch abgelehnten parlamentarischen Systems durch die Nationalsozialisten vgl. a. a. 0., Rn. 27 ff. Zur Nutzung der "Krise des Parlamentarismus" durch Hitler auch kurz Wasser, Parlamentarismuskritik, 77. 64 Vgl. dazu auch unten. Zu den Beratungen des Parlamentarischen Rates (im Kontext der Wahlrechtsdebatten) vgl. Schneider, Die parlamentarische Opposition, 194 ff. 65 Luther, Referat über das Mehrheitswahlrecht in den USA und Großbritannien, Parlamentarischer Rat, 1948 -1949. Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen· Bundestag und vom Bundesarchiv, Bd. 6 (Ausschuß für Wahlfragen), bearb. v. H. Rosenbach, 1994, 174. 66 E.P.WaIk, 2. Vorsitzender der Deutschen Wahlergesellschaft, Der Parlamentarische Rat. Akten und Protokolle, Bd. 6, 248.

11. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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Dualismus Regierungsparteien versus Oppositionsparteien laute und daß dieser ,,Dualismus einem Staat mit Verhältniswahl und konkurrierenden Parteien immanent" sei.67 Offenbar ist die ehemals zwingend erscheinende Anknüpfung an ein Mehrheitswahlsystem mit zwei Parteien nicht der allein entscheidende Faktor für einen starken Dualismus. Das Phänomen der parlamentarischen Opposition im organisatorischen oder auch funktionalen Sinn wurde in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates zu staatsorganisatorischen Fragen nicht behandelt. 68

2. Parlamentarismusforschung und parlamentarische Opposition unter dem Grundgesetz bis in die siebziger Jahre

a) Die Fortsetzung der Parlamentarismuskritik

Auch nach Erlaß des Grundgesetzes ging die Debatte über den Parlamentarismus, seine Stärken und Schwächen weiter. Neben juristischen Arbeiten über Demokratietheorie, Parteienwesen, Parlamentsrecht, 69 stand die Kommentierung des neuen grundgesetz lichen Regierungssystems im Vordergrund. Wieder - oder immer noch - wurde eine Krise des Parlamentarismus konstatiert: 70 diesmal mit Blick auf die erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen. Diese gaben Anstoß zu stärker soziologisch orientierten, systemvergleichenden Forschungen. 71 Neben der Kritik ~ Parlamentarismus insgesamt,72 rückte nun stärker das Phänomen der parlamentarischen Opposition als Ursache bzw. Gegenstand und Sym67 Marc Reiche!, Das demokratische Offenheitsprinzip und seine Anwendung im Recht der politischen Parteien, Diss., Berlin 1996, 89. 68 Vgl. den Bericht des Abg. Lehr, Parlamentarischer Rat, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes rur die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1948/49, 17 ff. Weder im Abschnitt Bundestag noch im Abschnitt Bundesregierung spielt Opposition eine RoUe. Im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Regierungssystem finden sich Ausführungen zu Mehrheits- und Minderheitsregierung sowie dem konstruktiven Mißtrauensvotum. 69 Vgl. etwa die Untersuchungen von Gerhard Leibholz, Ulrich Scheuner, Norbert Achterberg, Hans-Peter Schneider und vielen anderen. 70 "Die bundesrepublikanische Parlamentarismus-Kritik, die in den letzten Jahren von verschiedenen Lagern und Gruppen lautstark artikuliert worden ist, kann weder dem Gehalt noch der spezifischen Argumentationsweise nach Anspruch auf besondere Originalität erheben." ,,Mit gutem Grund läßt sich behaupten, daß die Parlamentsverdrossenheit so alt wie die Institution des Parlamentarismus als politischer Ordnungsform ist [ ... ]", Wasser, Parlamentarismuskritik, 9. .

Vgl. dazu die ZusarnmensteUung bei Hanke, ZParI1994, 410 ff. Vgl. zum konservativen Parlamentarismus-Pessimismus die Zitate aus Ernst Forsthoff, Der Staat der Industrie-GeseUschaft, München, 1971, bei Wasser. Parlamentarismuskritik. 170 f.: "Das Grunddilemma des heutigen Parlamentarismus ist mit keinem Mittel zu be71

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A. Die Grundlagen

ptom der "Krise" in den Vordergrund. So wurde einerseits die fundamentale Bedeutung von parlamentarischer Opposition herausgestellt: von politikwissenschaftlicher Seite etwa als "letzter uns verbliebener Wächter der Freiheit".73 Auf der anderen Seite wurde Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre als Folge der behaupteten zunehmenden Egalisierung und Nivellierung der Gesellschaft - Stichwort: moderner Sozialstaat, Technokratie - eine schwindende Differenzierung zwischen Opposition und Regierung festgestellt. 74 Pessimistische Stellungnahmen zum Zustand des Parlamentarismus im allgemeinen und der Opposition im besonderen waren verbreitet. "Opposition ohne Alternative" (Friedrich) oder der "Verfall" der parlamentarischen Opposition (Kirchheimer) 75 waren Schlagworte dieses "Oppositionspessimismus" .76 Auch die große Anzahl von Großen Koalitionen auf Landesebene in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland war für einige Politikwissenschaftler Anlaß, das parlamentarische Regierungssystem auf Länderebene für nicht (mehr) angemessen zu halten. 77 Weil zu den Notwendigkeiten des parlamentarischen Regierungssystems eine numerisch ernstzunehmende Opposition gehöre, diese im Falle einer Großen Koalition aber nicht gegeben sei, sei die Situation systemwidheben [ ... ]". "Die Aporie, in welche der Parlamentarismus geraten ist, entstand als die Ausübung der parlamentarischen Befugnisse nicht mehr den Überzeugungspolitiker, sondern den Experten verlangte; das ist grob gesehen seit der Gründung der Bundesrepublik der Fall [ ... ]". Zu den Grundtypen der Argumentation, die in die Tradition earl Schmitts zu stellen sei, vgl. Wasser, 118 ff. 73 S. Landshut, Formen und Funktionen der parlamentarischen Opposition, in: Kluxen, Parlamentarismus, 401 ff., 409. Vgl. auch die ausführliche Zusammenstellung bei Schneider, Die parlamentarische Opposition, 1-5. 74 "Wo der Rückgang der sozialen Interessenpolarisierung und damit verbunden der Abbau der ideologischen Konfrontation, wo die Entwicklung zum Daseinsvorsorge- und Wohlfahrtsstaat die Präsentation politischer Alternativentwürfe erheblich erschwert hat, kann die parlamentarische Opposition ihre ureigenste Funktion, durch Entwicklung von Gegenpositionen aufklärend und zugleich integrierend zu wirken, nur mehr unvollkommen erfüllen." Wasser, Parlamentarismuskritik, 112. 7~ Manfred Friedrich, Opposition ohne Alternative? Über die Lage der parlamentarischen Opposition im Wohlfahrtsstaat, 1962, Auszug abgedruckt in: Kluxen, Parlamentarismus; Olto Kirchheimer, Deutschland oder der Verfall der Opposition, Politische Herrschaft. Fünf Beiträge zur Lehre vom Staat, 1967, 58 ff. 76 Eine eingehende Analyse und Bewertung dieser Kritik nimmt Schneider, Die parlamentarische Opposition, 140 ff., vor. Vgl. auch Wasser, Parlamentarismuskritik, 117; Dokumentation 152 ff. 77 Als Vertreter sei genannt Wilhelm Hennis, Parlamentarische Opposition und Industriegesellschaft. Zur Lage des parlamentarischen Regierungssystems. (Zum zweitenmal veröffentlicht) in: Politik als praktische Wissenschaft. Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre, München 1968, 105 ff., 115 ff. Als zweite Phase im Reformprozeß (der später sog. Kleinen Parlamentsreform) beschreibt Thaysen, Parlamentsreform, 152 ff. die Zeit der Großen Koalition auf Bundesebene. Der mit ihr einhergehende "Verlust einer leistungsfähigen Opposition" dürfte als wesentlicher Grund dafür anzusehen sein, daß diese Große Koalition als "Krise" für das parlamentarische Regierungssystem erfahren wurde.

H. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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rig. Unter Heranziehung anderer empirisch erfaßter Faktoren, 78_ deren empirische Grundlage zehn Jahre später allerdings schon sehr verändert war _,79 wurde dann gefolgert, auf Länderebene solle auf das parlamentarische Regierungssystem verzichtet werden. Eine andere Reaktion bestand in dem Vorschlag, den Regierungstyp Große Koalition oder gar Allparteienregierung auf Länderebene prinzipiell anzustreben und damit der Opposition die Möglichkeit zur Einflußnahme durch Regierungsbeteiligung zu geben. 8o Die oben erwähnten parlamentarismuskritischen Aussagen trafen sich nun mit, bzw. mutierten zu, oppositionspessimistischen Strömungen. Wird nämlich der Opposition, deren Funktionieren als wesentliches Element des gesamten parlamentarischen Systems angesehen wird, Funktionsunfähigkeit bescheinigt, so schlägt das natürlich auf das gesamte System durch. 81 Dabei wurden als "Funktionsstörungen" insbesondere folgende ausgemacht: 82 • Die Opposition könne ihre Alternativenfunktion nicht mehr erfüllen, sei es wegen der technologischen Revolution, sei es wegen der Versorgungsmentalität im modernen [Mitte/Ende der sechziger Jahre] Wohlfahrtsstaat. • Es bestehe gar nicht die vorausgesetzte Chance der Minderheit zur Mehrheit zu werden, vgl. die Lehre von der ,,Machtprämie,,.83

78 Neben dem systemwidrigen Koalitionsverhalten: fehlende Chance des Machtwechsels; Mangel an echten Alternativen; Fehlen von Programmen; geringer Bekanntheitsgrad der Oppositionsführer. Die Länder seien faktisch nur autonome Verwaltungsprovinzen, dort mithin keine politischen Grundentscheidungen mehr zu fällen, deshalb sei Parlamentarismus als Regierungssystem fehl am Platz. Vgl. die Zusammenstellung und Analyse von Klaus-Peter Siegloch, Kritik und Alternativen zum parlamentarischen Regierungssystem in den Bundesländern, ZParl 1972, 365 ff., 366. 79 So gab es zur Zeit der erwähnten Analyse von Siegloch nur noch eine Große Koalition, nämlich in Baden-Württemberg; 1995 waren es dann wieder fünf. 80 Als zukunftsweisend empfohlen wurde das Modell Große Koalition etwa von Hans-Peter Ipsen 1956 für Hamburg. Auch Otto Kirchheimer hat darin einen zukunftsweisenden Versuch gesehen, vgl. ders., Wandlungen der politischen Opposition, in: Kluxen, Parlamentarismus, 410 ff., etwa 417 f., 422 ff. Vgl. Siegloch, a. a. 0., 379 m. Anm. 59 f. Vorbild war die österreichische ,.Proporzdemokratie" . Mit der Großen Koalition auf Bundesebene 19661969 änderte sich diese wissenschaftliche Einschätzung: es bestand weitgehende Einigkeit, daß eine Große Koalition wegen des Mangels einer wahrnehmbaren parlamentarischen Opposition jedenfalls politisch nicht wünschenswert sei, somit als Lösung für die festgestellten Defizite ausscheiden mußte. V gl. Siegloch, 378 f. 81 Daß diese Form der Kritik etwa schon bei Carl Schmitt angelegt ist, sich hier klassische Parlamentarismus-Kritik mit zeitgenössischem Oppositionspessimismus treffen, zeigt Schneider, Die parlamentarische Opposition, 141 ff. 82 Vgl. die Zusammenstellung bei Schneider (zu Schmitt, Werner Weber, Leibholz, Krippendorff u. die oben Genannten) und Wasser, jeweils a. a. O. 83 Dieser Ausdruck findet sich bei Schmitt, vgl. B.VI. Er ist übernommen bei Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 93. Dort auch zum Verlust der Chancengleichheit zwischen Regierung und Opposition, 92 f.

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A. Die Grundlagen

• Schon Kontrolle der Regierung durch das Parlament sei kaum noch möglich, zu ergänzen ist: geschweige denn diejenige durch die Opposition . • Kartellabsprachen der Parteien verhinderten die Aufgabenerfüllung der Opposition. Neben diese ,realanalytischen' Ansätze trat diejenige Oppositionskritik, die aus Unzufriedenheit mit einer konkreten Oppositionspraxis resultierte. Auch die sogenannten sozia1kritischen Oppositionskonzepte, die häufig gegen die parlamentarische Opposition insgesamt gerichtet waren, weil diese Teil des "staatlichen Apparates" sei und letztlich nur der Verdeckung oder Integration von Klassengegensätzen diene, sollen hier genannt werden. 84 Wie zur Weimarer Debatte ist auch hier festzuhalten, daß über die Zielvorstellung, die Maßstäbe dessen, was mit einem parlamentarischen System erreicht werden kann und soll, wenig Einigkeit bestand. 85 Das gilt auch für die vorgestellten Funktionen von parlamentarischer Opposition: Zwar wird allseits auf die traditionelle "Funktionentrias" - Kritik, Kontrolle, Alternative - rekurriert, doch sind Fragestellung und Methode der Untersuchungen, sowie insbesondere das Vorverständnis soweit voneinander entfernt, daß "jeder Versuch, die Ergebnisse dieser unterschiedlichen Betrachtungsweisen auf die gleiche Stufe zu stellen oder gar gegeneinander auszuspielen, von vornherein Mißverständnisse und Friktionen erzeugen" muß. 86

84 Abendroth und am radikalsten wohl Agnoli wären hier als Vertreter der sozialistischen oder marxistischen Oppositionstheorie zu nennen, ohne daß die Unterschiede dieser ebenfalls sehr variantenreichen Richtung überdeckt werden sollen. Auch Teile der sogenannten APO gehören in diesen Zusammenhang, soweit sie in Übereinstimmung mit der "Neuen Linken" davon ausgingen, daß "Systemüberwindung" vom Parlament nicht geleistet werde. Vgl. Wasser, Parlamentarismuskritik, 122. Vgl. zur APO und ihrem Einfluß auf die Parlamentsreform 1969 auch Thaysen, Parlamentsreform, 157 ff. Hier soll darauf verzichtet werden, ausführlicher auf diese Positionen einzugehen, weil sie für die weitere Rezeption und Diskussion innerhalb der Forschungen zur parlamentarischen Opposition, bzw. auch für die Parlamentsreformen nicht bedeutend geworden sind. 8S Vgl. dazu auch die Untersuchung von Eberhard Schütt-Wetschky, Grundtypen parlamentarischer Demokratie. Klassisch-liberaler Typ und Gruppentyp, 1984. (Unter besonderer Berücksichtigung der Kritik am ,,Fraktionszwang"). Nach seiner Analyse ist die sogenannte Parlamentarismuskrise nicht eine Krise der Praxis, sondern primär Krise des Maßstabs, von dem aus die Praxis beurteilt wird. Hinter all den Streitpunkten, die als Symptome untersucht werden (Bsp. Fraktionszwang, Kontrollverlust des Parlaments etc.), stehen Schütt-Wetschky zufolge zwei Grundpositionen hinsichtlich des politischen Prozesses. Sein Untersuchungszie1 ist es, die grundsätzliche theoretische Gleichwertigkeit der beiden Grundtypen nachzuweisen. 86 Schneider, Die parlamentarische Opposition, 159.

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b) Vorbild oder Trugbild: Die Diskussion um das britische Modell

England gilt, wie bereits erwähnt, als Ursprungsland der parlamentarischen Opposition. Die so einprägsame "Funktionentrias" Kritik, Kontrolle, Alternative stammt wohl von Bolingbroke, der als Mitbegründer und Theoretiker der parlamentarischen Opposition angesehen wird. 87 Dementsprechend war die Untersuchung des "englischen Modells" natürlich von besonderem Interesse. Mit Prädikaten wie "original", "echt", "wahr" versehen, wurden Erkenntnisse über dieses "englische Modell" als Argumentationstopoi eingeführt, die teilweise einen problematischen Einfluß auf die Parlamentarismusdiskussion hatten und noch haben. Insbesondere die Konfrontation des englischen mit dem französischen Modell hat Spuren hinterlassen. 88 Wo das englische Modell gegen das kontinentale als unvereinbar ausgespielt oder beide für deutsche Verhältnisse als völlig unpassend behandelt wurden, trat notwendigerweise die Befassung mit der - ja auch noch geringen - Praxis der Bundesrepublik zurück. Der rezeptions- und ideologiekritische Ansatz hat inzwischen die Bedeutung der Konfrontation theoretischer Modelle neu bestimmt. Wie problematisch die Festlegun gen auf die Originalität und Ursprünglichkeit des einzig wahren, echten Parlamentarismus sein konnten, scheint heute erkannt,89 wenn auch nicht umfassend bekannt. So wird etwa die These, ein in der sozialen Wirklichkeit vorzufindendes Zwei-Parteiensystem sei unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren eines alternierenden Regierungssystems - mit den bei den Polen Regierung und Regierungsmehrheit hier, parlamentarische Opposition da -, als unzutreffend angesehen. 90 Aber auch die "geradezu metaphysische Aufladung,,91 und Überhöhung des 87 Vgl. die Arbeit von Ingeborg Bode, Ursprung und Begriff der parlamentarischen Opposition, insbes. 90 ff. Ferner die oben angegebenen Untersuchungen zur Geschichte des Parlamentarismus. 88 Zur kontinentalen Rezeption des englischen "ModelIs" Schneider, Die parlamentarische Opposition, 124 ff. Zu den geschichtlich gewachsenen unterschiedlichen Repräsentationsmustern auch schon Kluxen, Einführung (Geschichtliche Grundlagen), in: ders., Parlamentarismus, 94 ff. 89 Vgl. die Doktrin vom "echten englischen Parlamentarismus" versus den unechten Frankreichs etwa bei Robert Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form, Tübingen, 1918. Dagegen schon G. Jellinek; Scheuner, s.o.; v. Beyme, in: Kluxen, Parlamentarismus, 195. 90 Schon Max Weber wandte sich gegen die VorstelIung, daß Parlamentarismus abhängig sei von der Existenz eines Zwei-Parteien-Systerns, und zwar gerade unter Berufung auf die Entwicklung in England, wo von einem Zwei-Parteien-System nicht mehr die Rede sein könne. Als "schematischen Denkzwang" charakterisiert Schneider die These, a. a. 0., 46 Fn. 4; alIerdings heißt es ebenda, 48 f. (unter Hinweis auf Thomas Oppermann, Britisches Unterhauswahlrecht und Zweiparteiensystem, Karlsruhe, 1961): "Von einem alternierenden Wechselspiel zwischen "government" und "opposition" kann man alIerdings auch in England [ ... ] erst nach den Parlaments- und Wahlrechtsreformen von 1832, 1867 bzw. 1884/85 mit der Ausbildung eines modernen Zweiparteiensystems [ ... ] sprechen." Auch das "Dogma" von der Entstehung der parlamentarischen Opposition aus dem Zweiparteiensystem ist

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englischen "Vorbilds" von Befürwortern der Übernahme dieses Modells hat nüchternerer Analyse Platz gemacht. Dennoch zeigt sich auch in den aktuellen Auseinandersetzungen, daß immer wieder in undifferenzierter Weise auf solch tradierte Argumentationslinien zurückgegriffen wird. 92 c) Die, Oppositions' -Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (bis zur Mitte der 70er Jahre)

Das "Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition" wurde vom Bundesverfassungsgericht wohl zum ersten Mal im SRP-Urteil genannt. 93 In dieser Entscheidung ging es um das erste Parteiverbotsverfahren seit Inkrafttreten des Grundgesetzes. Im Zusammenhang mit der Auslegung des Artikels 21 Absatz 2 GG heißt es: ,,Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die [ ... ]. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: [ ... ] das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. ,,94

Diese Auslegung wurde aufgenommen im zweiten Parteienverbotsverfahren. Auch hier bezog sich das Bundesverfassungsgericht aber auf das allgemeine Recht auf Bildung und Ausübung von Opposition, behandelte also nicht den speziellen Bereich der parlamentarischen Opposition. 95 falsch. In England sind die ersten Ausprägungen ,parlamentarischer Opposition' vor der Entstehung der Parteien festzustellen. Vgl. dazu Ingeborg Bode, 88 ff. Für eine modeme Analyse vgl. Lars Kastning, Vereinigtes Königreich, in: Steffani (Hrsg.), Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG, 1991,375 ff. Zur Bedeutung des Wahlsystems für das immer noch prägende "Parteienduopol" im Unterhaus, trotz gewisser Abkehr vom Zweiparteiensystem "im Lande", 386 ff. 91 So Schneider über Kluxens Stellungnahmen zum englischen Modell, a. a. 0., 127. Vgl. auch K.D. Bracher, in: Kluxen, Parlamentarismus, 74. 92 V gl. etwa die Argumentation mit der sogenannten "neuen Gewaltenteilung", die die alte ersetzt habe bei Gehrig; dagegen der ebenso schematisch vorgetragene Einwand ,,klassische Gewaltenteilung" von Gegnern der Verankerung der Opposition in der Verfassung. Im einzelnen dazu unten. Vgl. auch Hans Meyer, PRuPPr, § 4 Rn. 1 ff., unter der Überschrift ,,Das mißverstandene Parlament". Vgl. die kritische Analyse bei Schneider, Die parlamentarische Opposition, 124 ff., zu Gehrig: 130 ff. Kurz dazu auch Poscher, AöR 1997,444 ff., 458. 93 BVerfGE 2, 1 ff., 12. 94 Das vollständige Zitat lautet: "Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechts staatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition."

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Als Kennzeichnung einer institutionalisierten Gliederung des Parlamentes wird der Ausdruck Opposition meines Wissens in keiner der Entscheidungen verwandt. Die Bezeichnung "die Opposition" findet sich zwar etwa in der Entscheidung zum EVG-Vertrag im Zusammenhang mit der Rechtsstellung von Mehrheit und Minderheit im Parlament. 96 Umschrieben wurde damit aber (nur) die Opposition im politischen Sinne, die in dieser Sachfrage gebildete Minderheit, die ausdrücklich als rechtlich nicht formiert ("nur politische Kräfte") angesehen wurde. 97 Auch die - gerne als gewissermaßen erster Schritt des Bundesverfassungsgerichtes in die ,richtige Richtung' angeführte - Redezeitentscheidung erlaubt keine andere Beurteilung. 98 Das Gericht ließ nicht nur offen, ob ein von den Antragstellern angeführtes Recht der Opposition auf Chancengleichheit mit der Regierung bestehe. Es überprüfte auch die These von der Verschiebung der Funktionenteilung auf die Konstellation Regierung - Opposition und verneinte sie. Entscheidungsgrundlage waren Rechte des einzelnen Abgeordneten, Artikel 38 Abs. 1 S. 2 GG, etwaige Gruppenrechte wurden nicht angeführt. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Chancengleichheit bezogen sich immer auf die Parteien. 99 Die Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung im hier untersuchten Zeitraum enthält also - entgegen mancher in der Literatur vorgenommenen Qualifizierung 1OO_ keine Hinweise auf ein organisatorisches Verständnis der parlamentarischen Opposition. Auf (die) Opposition wird nur im Zusammenhang mit Parteien oder Abgeordneten als rechtlich anerkannten Institutionen und Rechtsträgern rekurriert. "Die Opposition" bleibt damit ein primär politischer Ausdruck.

95 BVerfGE 5,85 ff., etwa 140, 199: Recht auf "organisierte politische Opposition". Das ,,Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition" wird als "Verfassungsgrundsatz" im heutigen § 92 Abs. 2 Nr. 3 StGB geschützt. ("Im Sinne dieses Gesetzes sind Verfassungsgrundsätze [ ... ] 3. das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition.") Die Geschichte dieser Vorschrift beginnt im Jahre 1951, also vor, bzw. parallel zu der erstgenannten BVerfGE. Vgl. dazu Schneider, Die parlamentarische Opposition, 201 ff. Zur "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" vgl. v. Arnim, Staatslehre, 116; Gerd Lautner, Die freiheitliche demokratische Grundordnung. Versuch einer Inhaltsklärung ihrer vom BVerfG aufgeführten Elemente, 1978. 96 BVerfGE 2, 143 ff. Auf S. 170 f. heißt es: ,,Es ist nicht nur das Recht der Opposition, außer ihren politischen auch ihre verfassungsrechtlichen Bedenken geltend zu machen, sondern im parlamentarisch-demokratischen Staat geradezu ihre Pflicht." (Hervorhebung von der Verfasserin). 97 A.O., 161 f. 98 BVerfGE 10, 4 ff. 99 Etwa die Parteienfinanzierungsurteile in BVerfGE 8, 51 ff.; 20,56 ff.; 24, 300 ff. Das gilt auch für E 14, 121 ff., betreffend die Sendezeiten für Wahlwerbung, ebenso E 34,160 ff. 100 Vgl. dazu unten, insbesondere auch bei Schneider.

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d) Die ersten rechtswissenschaftlichen Untersuchungen In den sechziger Jahren folgte der Klage über den Mangel an politikwissenschaftlichen Forschungen zum Phänomen Opposition ein wahrer Aufschwung. Die Verfassungs- und Staatsrechtswissenschaft hielt sich hingegen noch längere Zeit zurück. So stehen einer wachsenden Anzahl politikwissenschaftlicher Untersuchungen zum Thema ,parlamentarische Opposition' einige wenige spezifisch juristische Arbeiten gegenüber. Auffälligerweise argumentieren diese frühen juristischen Arbeiten überwiegend rechtspolitisch. 101 Die Gegenstandsbestimmung wird an die politikwissenschaftliche Debatte angelehnt. Dementsprechend werden etwa Terminologie und kategorielle Einordnung parlamentarischer Opposition und Opposition im allgemeinen übernommen, ohne daß deren Relevanz für die rechtswissenschaftliche Perspektive überprüft worden wäre. Hans Peters untersucht die Stellung der Opposition in der parlamentarischen Demokratie vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips. 102 Obwohl zunächst das Recht "zur Opposition" - ein eher funktionales Verständnis also - als Element des Demokratieprinzips angeführt wird, verwendet Peters anschließend einen organisatorischen Begriff von Opposition. Erfaßt seien "diejenigen Gruppen, insbesondere Fraktionen des Parlaments, die bei der Regierungsbildung von ihren politischen Gegnern gegen ihren Willen von der Beteiligung an der Regierung ausgeschlossen worden sind oder sich dabei selbst ausgeschlossen haben. Gruppen, die die Regierung stillschweigend tolerieren und im Parlament den Regierungsparteien nicht die Macht zu entwinden suchen, gehören nicht zur Opposition, obwohl sie in der Regierung keine Vertreter haben. Begrifflich notwendig ist, daß die Opposition in der Minderheit ist, obwohl die Regierung nicht stets der Mehrheit entstammen muß.,,103

Peters spricht kurz das Problem der heterogenen Opposition, die Zulässigkeit unterschiedlicher Oppositionsstrategien und das Phänomen punktueller Opposition an. Trotz dieser vor dem Hintergrund der neuen Verfassungsregelungen modem anmutenden Liste von Einzelfragen bleibt eine normativ geleitete Auseinandersetzung damit aus. In anderen Untersuchungen wird ohne Versuch einer Begriffsklärung eine bunte Vielfalt von Normen der bunten Vielfalt von ,Opposition' gegenübergestellt. So untersucht etwa Georg Zirker die Zulässigkeit von parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition sowie deren Stellung im Verfassungssystem des Grundgesetzes. 104 Er folgert aus einer Mischung von Grundrechten, Staatsfundamentalnormen, Art. 79 Abs. 3 GG und Rechtsschutzformen eine Art ,Gesamtwer101 Vgl. etwa Konrad Dieter Grube, Die Stellung der Opposition im Strukturwandel des Parlamentarismus, Diss. Köln, 1965. 102 Hans Peters, Die Opposition in der parlamentarischen Demokratie, ÖZöR 1960,424 ff. 103 Peters, 426. 104 Georg Zirker, Die staatsrechtliche Stellung der Opposition nach dem Grundgesetz, Diss. 1970.

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tigkeit' von Opposition, ohne methodisch zu trennen zwischen der Freiheit zur Gegenmeinung einerseits und staatsorganisationsrechtlicher Einbindung oppositionellen Verhaltens im weitesten Sinne andererseits. Dies liegt unter anderem an der weitgehend fehlenden Bestimmung des Begriffs Opposition. Anders als der Titel der Arbeit erwarten läßt, unterscheidet Zirker nicht zwischen einem möglichen Rechtsträger Opposition und einer rechtlich gesicherten Funktion oder Verhaltensweise; er differenziert nicht danach, ob letztere möglicherweise im grundrechtlichen und im staatsorganisatorischen Bereich auf unterschiedliche Weise garantiert sein könnte. Als Rechtsträger für die "Rechte der Opposition", etwa auf Gleichbehandlung mit der Regierung, scheinen bei Zirker - wahlweise - die parlamentarische Opposition selbst ("Institution oder Organ"), "Oppositionsfraktionen" oder die "Oppositionspartei" zur Verfügung zu stehen. Die Beschreibung der einzelnen "Oppositionsrechte" im Bundestag basiert auf einer - unzutreffenden - Gleichsetzung von Minderheiten-, Fraktions- und Abgeordnetenrechten mit Oppositionsrechten. Dies ist eine methodische Ungenauigkeit, die in juristischen Arbeiten zur parlamentarischen Opposition häufiger zu finden ist. Eine Auseinandersetzung mit den Kategorisierungen von Opposition findet sich schon früh bei Adolf Amdt, der die Existenz eines "Rechtsbegriffes Opposition" bejaht. 105 Der Begriff ,Opposition' werde in Zusammenstellungen wie "totale Opposition", "personale Opposition", "verfassungsgemäße Opposition" unscharf verwendet. Der Rechtsbegriff ,Opposition' werde dadurch unfaßbar. Auszugehen sei von der verfassungsrechtlichen Anerkennung der Freiheit zu opponieren. Was Opposition ist, wie sie ausgeübt wird, könne nicht restriktiv bestimmt werden. Nicht Kriterien wie mangelnde Regierungsbeteiligung oder Identifikation mit der Minderheit im Parlament seien ausschlaggebend; nicht die Begrenzung auf Kritik und Kontrolle sei kennzeichnend; die Verfassung selbst setze auch keine Opposition ein. Verfassungsrechtlich vorgegeben sei vielmehr ein "Raum der Freiheit", innerhalb dessen Opposition rechtmäßig sei. Die rechtliche Grenze sei (erst) dann erreicht, wenn Opposition "ihren Charakter als Einrichtung des Rechts verliert und zur Revolution wird, indem sie darauf ausgeht, [ ... ] die vom Grundgesetz selbst verbürgten Rechtsprinzipien [ ... J umzustürzen", zu denen auch und gerade das Recht, eine politische Opposition zu organisieren, gehöre. 106 Amdt verwendet den von ihm angenommenen Rechtsbegriff Opposition nicht im Sinne einer organähnlichen Verfassungsinstitution, auch wenn er von einer "Einrichtung" des Rechts spricht. Er begreift vielmehr die Anerkennung von Opposition als Rechtsbegriff als Anerkennung der Freiheit zum Opponieren. Das ist: eine Verhaltensweise, die in das Bezugsfeld der politischen Gestaltung, Auseinandersetzung nmt. Die Funktion des Verfassungsrechts in diesem Zusammenhang ist, diesen Raum zu gewähren und damit ein "Gleichgewicht von Stabilität und LabililOS Adolf Arndt, Opposition, Politische Reden und Schriften, hrsg. v. H. Ehmke und Carlo Schmid, 1976, 359 ff. 106 Arndt, 379.

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tät" zu schaffen, das Voraussetzung für die Offenheit und Integrationsfahigkeit des Staates und der Gesellschaft ist. 107 Einen anderen Stellenwert weist Norbert Gehrig der Opposition zu. lOS Ausgangspunkt seiner Arbeit ist die Prämisse, daß staatliche Macht kontrolliert werden müsse, Voraussetzung für Kontrolle aber die Existenz eines Dualismus' sei. 109 Für diesen Dualismus ,benötigt' er die Existenz der (handlungsfähigen) Opposition. Im parlamentarischen Regierungssystem sei nämlich der traditionelle Dualismus von Parlament und Regierung ersetzt durch denjenigen von Regierung und oppositioneller Parlamentsminderheit. Auf letztere sei die Kontrollfunktion, die ehemals dem Gesamtparlament zustand, übergegangen. So kommt es zur "neuen Gewaltenteilung" von Regierung und parlamentarischer Opposition,110 oder zur Neueinteilung der Staatsfunktionen in "Regierung, Opposition und Rechtsprechung". 111 Abgesehen davon, daß die Focusierung auf eine unter mehreren Funktionen der Opposition eine sehr begrenzte Perspektive darstellt, hat Schneider zu Recht kritisiert, daß "trotz dieser "Funktionalisierung" zumindest im Prinzip die überkommene Gewaltenteilungslehre des liberalen Konstitutionalismus (Machtbalance, Beschränkung staatlicher Herrschaft) beibehalten und mechanisch auf das parlamentarisch-demokratische Kompetenzgefüge mit seinen besonderen Zuordnungsproblemen übertragen wird [ ... ]".112 Die bis heute maßgebende juristische Bearbeitung des Gegenstandes parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht stammt von Hans-Peter Schneider. 113 Der 107 Dazu gehört insbesondere auch, die Frage der Herrschaftsnachfolge zu thematisieren, den Vorgang der Nachfolge als ständigen zu sehen und damit die Möglichkeit eines friedlichen Machtwechsels zu eröffnen. 108 Norbert Gehrig, Parlament - Regierung - Opposition. Dualismus als Voraussetzung für eine parlamentarische KontroUe der Regierung, München, 1969. 109 Gehrig, Parlament, 18. 110 Vgl. ders., Gewaltenteilung zwischen Regierung und parlamentarischer Opposition, DVBI. 1971, 633 ff. Kritisch dazu, unter Hinweis auf dahinterstehende VorsteUungen von englischen Verhältnissen, Hans Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem, 97 f., 113: "Hinter dem Vorschlag, das Verhältnis Parlament - Regierung in das angeblich realistischere zwischen Opposition und Regierung samt Parlamentsmehrheit umzudeuten [ ... ] steht die Sehnsucht nach einem durch das Wahlsystem abgesicherten strikten Zweiparteiensystem und die naive Gleichsetzung von starker Kompetenz und sicherer Mehrheit mit politischer Stabilität." 111 Gehrig, Parlament, 242, Fn. 20l. 112 Schneider, Die parlamentarische Opposition, 13l. Ausführlich zu "liberalistischen und mechanistischen Tendenzen" ebenda, 128 ff. Die Balance-VorsteUung ist im übrigen ebenfaUs eine historische Reminiszenz. 113 Schneider, Die parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1974; Fortgeführt in ders., Verfassungsrechtliche Bedeutung und politische Praxis der parlamentarischen Opposition, in: Schneider I Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 38 (= 1055 -1086). Ders., Das parlamentarische System, in: Ernst Benda I Werner Maihofer I Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. A. 1994, Berlin - New York, § 13.

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zweite Band, in dem laut Ankündigung die Ausgestaltung des Oppositionsstatus ' im Grundgesetz im einzelnen analysiert, sowie unter anderem "auf die parlamentsrechtlichen Konsequenzen einer Institutionalisierung der Opposition" hingewiesen werden sollte, ist nicht erschienen. 1l4 Doch enthält auch der erste Band wesentliche verfassungsrechtliche Ausführungen. Ausgehend von einem rezeptions- und ideologiekritischen Ansatz 1l5 versucht Schneider, eine verfassungs- und demokratietheoretische Basis für die Institutionalisierung von Opposition nachzuweisen. Auf grundgesetzliche Normen und deren unterverfassungsrechtliche ,Ergänzungen' wie auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt er zum einen bei der Untersuchung der Rechtsstellung ,der parlamentarischen Opposition' Bezug, zum anderen beim allgemeineren "Verfassungsgrundsatz der Oppositionsfreiheit". Im Unterschied zu einigen der oben exemplarisch genannten Arbeiten nimmt Schneider diese Differenz in seiner (verfassungs)rechtlichen Argumentation zunächst auf. Auffällig ist jedoch, daß, trotz der kritischen Analyse der tradierten Argumentationsmodelle, auch Schneider seine Arbeit auf ein rechtspolitisches Ziel ausrichtet. Ausgangspunkt ist letztlich die rechtspolitische Vorstellung, daß ein "bipolares, potentiell alternierendes System" erforderlich sei. Damit erfolgt eine Festlegung auf ein System von fest organisierten Einheiten, die sich gegenüberstehen - wobei "bipolar" wohl den Ausdruck "Dualismus" ablöst. Als diese Einheiten kommen für ihn offenbar nur Regierung und Opposition in Betracht. Diese ,Vorentscheidung' verstellt möglicherweise den Blick auf die Frage, ob das grundgesetzliche Normengefüge nicht ,nur' die Funktion ,Opposition' vorsieht. Die institutionalisierte Opposition, also Opposition im hier sogenannten organisatorischen Sinne, wie auch immer sie im einzelnen aussehen mag, wird schon als grundgesetzliches Modell vorausgesetzt. 116 Dementsprechend führt Schneider Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum "Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition", sowie zur Bedeutung von oppositionellen Parteien im Parlament im Sinne seiner Vorstellung von Opposition als organisatorischer Institution ein. Er bejaht die Frage, ob der Ausdruck ,Opposition' als Rechtsbegriff anzusehen sei, und betont, daß es die Rechtsprechung gewesen sei, die die parlamentarische Opposition in den Rang einer "Verfassungsinstitution" gehoben habe. 1I7 Dieses Verständnis der angeführten Bundesverfassungsgerichts114 Aus der in Band I abgedruckten Übersicht ergibt sich, daß dort entscheidende Fragen für den hier untersuchten Gegenstand bearbeitet wären. Vgl. a. a. 0., nach Seite XI, sowie Schneiders Schlußbemerkungen, 409 ff. 115 Vgl. dazu schon oben. 116 Schneider verwendet zur Beschreibung der Stellung der politischen Opposition den Ausdruck "verfassungsrechtliche Institution" ohne Klärung seines Institutionsverständnisses, vgl. PRuPPr, § 38 Rn. 3. Wenn dies schon für die Opposition im politischen Sinn gilt, so dürfte es Schneiders Intention treffen, die parlamentarische Opposition erst recht als verfassungsrechtliche Institution zu begreifen. lJ7 In PRuPPr, § 38, Rn. 29, unter Hinweis auf Adolf Amdt und dessen Analyse der Judikatur des BVerfGs von 1968. Aus dem Kontext bei Schneider folgt m. E., daß mit dem Aus-

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entscheidungen überzeugt nicht. Gesicherte Rechtsprechung war - und ist es noch das "Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung einer Opposition". Nur dieses ordnete das Bundesverfassungsgericht als Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Abs. 2 GG ein. 118 Die Frage, ob das ihm vorschwebende bipolare Modell mit dem grundgesetzlich garantierten Mehrparteiensystem, sowie der je horizontalen Gleichheit der Parlamentsmitglieder (Fraktionen, Gruppen und Abgeordnete), zu vereinbaren sei, hat Schneider in der Arbeit von 1974 nicht gestellt. 1l9 Diese Betonung der Institutionalisierung ,der Opposition' in Verbindung mit einer demokratietheoretischen Oppositionstheorie, die nicht auf den staatsorganisatorischen Bereich begrenzt ist, hat großen Einfluß auf die Reformdiskussionen gehabt. Das ist an einigen der landesverfassungsrechtlichen Regelungen, die Gegenstand dieser Arbeit sind, deutlich ablesbar. 12o Andererseits sind entscheidende Fragen, die sich spätestens dann stellen, wenn die ausdrückliche Verankerung parlamentarischer Opposition zur Debatte steht, in dieser Arbeit Schneiders nicht behandelt worden.

3. Neuere Oppositionsforschung und ,zweite Rezeption'?

Die hier vorgenommene Zäsur Anfang/Mitte der siebziger Jahre markiert ungefähr die ,Halbzeit' von Oppositionspraxis und Oppositionsforschung seit Inkrafttreten des Grundgesetzes. Ungefähr seit dieser Zeit kann man auch eine gewissermaßen ,zweite Rezeptionsstufe ' erkennen, die sich bis zu den Verfassungsdebatten um die neuen Oppositionsregelungen verfolgen läßt und die deshalb hier - notwendig vergröbernd - dargestellt werden soll. Die länger anhaltende relative Stabilität des parlamentarischen Regierungssystems in der Bundesrepublik hat zu größerer Gelassenheit auch im Umgang mit druck "Verfassungsinstitution" der organisatorische Institutionenbegriff gemeint ist, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes also nicht etwa im Sinne einer institutionellen Garantie bewertet wird, was rein nach dem Wortlaut noch möglich erschiene. Der Hinweis auf Arndt ist problematisch: Rechtsbegriff Opposition bedeutet ja nicht Institution Opposition im dargestellten staatsorganisatorischen Sinne. Meines Erachtens hat Arndt (nur) die Funktion beschrieben. 118 Vgl. oben c). 119 1989 formuliert Schneider, es habe sich in der Bundesrepublik ein "bipolares Mehrparteiensystem (Zweigruppensystem)" entwickelt. Damit folgt er einerseits der politischen Entwicklung der Parteien- und Parlamentslandschaft, Stichwort: vierte Partei, behält aber andererseits das bipolare Modell bei. Dies zeigt sich auch in der Definition der "parlamentarischen Opposition": das Merkmal "Regierungsfähigkeit" wird zu "Koalitionsfähigkeit" modifiziert. Vgl. dazu unten II I. und B.1. 120 Vgl. dazu unten; Schneider hat als Berater in mehreren Verfassungskommissionen/ -ausschüssen oder Enquetekommissionen mitgewirkt. darunter Schleswig-Holstein, aber auch einige neue Bundesländer.

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dem Phänomen parlamentarischer Opposition geführt. Die angeblich empirisch fundierten "Untergangsprophezeiungen" haben sich nicht erfüllt, die ideologiekritische Auseinandersetzung hat neue Ansatzpunkte eröffnet. Die von politikwissenschaftlicher Seite untersuchten "patterns of opposition",121 also konkrete Verhaltensweisen, Strategien parlamentarischer Opposition, werden nicht mehr als einander ausschließende, fast normativ wirkende Vorgaben betrachtet. Eine Kombination unterschiedlicher Strategien durch oppositionelle Akteure wird folglich nicht mehr als Abweichung mit geradezu systemzerstörenden Folgen eingeschätzt. 122 Entsprechendes gilt für die vorgenommenen Parlaments-Typisierungen. 123 Es setzt sich die Erkenntnis durch, daß die Unterscheidungen Tendenzen wiedergeben, die dahinterstehenden ,Rein-Formen' aber vielfach kombinierbar sind. Schließlich hat sich die Debatte verschoben hin zu einer konkreten rechtspolitischen Reformdiskussion, wofür - im vorliegenden Zusammenhang - unter anderem folgende Faktoren verantwortlich sind: • Zu nennen sind zum einen die Versuche zur Parlamentsreform auf Bundesebene - 1969 die sogenannte "Kleine Parlamentsreform" , später weitere Initiativen und auf Landesebene. 124 In diesem Zusammenhang werden die theoretischen 121 Vgl. Chapter Il "Patterns of Opposition" von Robert A. Dahl, in: ders. (Hrsg.), Political Oppositions in Western Democracies, New Haven, 1968,332 ff. Zu den Erscheinungsformen und Typen parlamentarischer Opposition, allerdings nicht beschränkt auf parlamentarische Regierungssysteme, auch Schneider, Die parlamentarische Opposition, 90 ff. 122 Die in der Bundesrepublik verbreitete Unterscheidung zwischen kompetitiver und kooperativer Opposition ist heute nicht mehr exklusiv: Beide Verhaltensweisen werden inzwischen mit - durchaus nicht immer so akzeptierter - Selbstverständlichkeit als verfassungsgemäß anerkannt. Vgl. Schindler, Datenhandbuch Bd. 1,761. 123 Etwa die Unterscheidung des sogenannten Rede- vom Arbeitsparlament, die mit der genannten Differenzierung hinsichtlich des Oppositionsverhaltens (kompetitiv /kooperativ) kombiniert werden kann (aber nicht zwingend damit einhergehen muß). Diesen unterschiedlichen Parlamentstypen korrespondieren nämlich typischerweise auch unterschiedliche "Oppositionen". Vgl. Steffani, Amerikanischer Kongreß und Deutscher Bundestag - ein Vergleich, in: Kluxen, Parlamentarismus, 230 ff., 235 ff. Als Beispiel für den ersten Parlamentstyp wird Großbritannien angeführt: Die Opposition verhält sich vorwiegend kompetitiv, es ist ein Redeparlament, mit Schattenkabinett (also besonderer Betonung der Alternativfunktion, jedenfalls in personeller Hinsicht). Beispiel für den zweiten Typus ist der US-amerikanische Kongreß. Das bundesdeiItsche Parlament stuft Steffani als "Mischform" ein. Auch in einem so kompetitiven System wie England können es aber gerade auch vertrauliche Gespräche zwischen Oppositionsführer und Prime Minister, also eher kooperative Elemente sein, die als Anerkennung der Funktion des Oppositionsführers gewertet werden, Vgl. die Darstellung bei Brazier, The Constitutional Role of the Opposition, Northern Ireland Law Quarterly 40 (1989), 130 ff. 124 Im Zusammenhang mit der sog. "Kleinen Parlamentsreform" 1969 spielten Überlegungen zu Bedeutung und Stellung von Opposition keine besondere Rolle, so etwa Norbert Achterberg, Parlamentsreform - Themen und Thesen, DÖV 1975, 833 ff.; Weitreichende Vorschläge zur Oppositionsstärkung finden sich allerdings bei M. Hereth, Die Reform des Deutschen Bundestages, 1971, in: Helmuth C.F. Liesegang, Parlamentsreform in der Bundesrepublik, 1974; und bei Liesegang, a. a. 0., 31 ff. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive Uwe Thaysen, Parlamentsreform, 1972. Interessant auch die späte Debatte über die Bilanz dieser

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A. Die Grundlagen

Modelle, auch bezüglich der Verankerung parlamentarischer Opposition, praxisrelevant. • Zum zweiten spielt die Hamburger Oppositionsregelung, 1971 in die Verfassung Hamburgs eingefügt, eine entscheidende Rolle, stützt sie doch einerseits als "Regelungsvorbild" die Verankerungsbefürworter und bietet andererseits konkrete Angriffsflächen für die Gegner jeglicher "Verfassungs-Institutionalisierung".125 • Schließlich ist mitentscheidend die konsolidierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Bildung und Ausübung von Opposition einerseits, die Weiterentwicklung der Rechtsprechung auf dem Gebiet der politischen Willensbildung, etwa zum Parteienrecht, zur Stellung der Fraktionen etc., andererseits. Diese führt unter anderem zur verstärkten rechtswissenschaftlichen Bearbeitung von Einzelfragen, deren spezifischer Oppositionsbezug neu akzentuiert wird. 126 Parlamentsrefonn, ausgelöst durch einen Beitrag von Peter Scholz, Parlamentsrefonn seit 1969. Eine Bilanz ihrer Wirkungen im Deutschen Bundestag, ZParl 1981, 273 ff. Kritisch Hans-Peter Schneider, Nochmals: Parlamentsrefonn seit 1969. Eine Erwiderung auf Peter Scholz, ZParl 1981,589 f.; sowie Winfried Steffani, Warum die Bezeichnung "kleine Parlamentsrefonn 1969"? Einige Bemerkungen zum Beitrag von Peter Scholz, ZParl 1981,591 ff.; und darauf wieder Scholz, "Kleine" oder "große" Parlamentsrefonn. Eine Replik auf die Beiträge von Winfried Steffani und Hans-Peter Schneider, ZParl 1982, 111 ff. Zu den neueren Initiativen: Ralf K. Hocevar, Neue Initiativen zur Verfassungs- und Parlamentsrefonn in der Bundesrepublik, ZParl 1988, 435 ff.; Zur "Überfraktionellen Initiative Parlamentsrefonn", die die Stärkung des Abgeordnetenstatus' anstrebt, um Art. 38 Abs. I S. 2 GG zu erfüllen, vgl. die Arbeiten von Hildegard Hamm-Brücher. 12S Zum Wortlaut der Regelung s. Anhang. Mit Blick auf die Hamburger Regelung wird die Frage der Institutionalisierung der parlamentarischen Opposition in der Verfassung auch in den Politikwissenschaften thematisiert. Vgl. früh Heinrich Oberreuter, Institutionalisierung der Opposition? Opposition und Parlamentsrefonn, in: ders. (Hrsg.), Parlamentarische Opposition. Ein internationaler Vergleich, 1975,266 ff. Parlamentsmehrheit und Regierung einerseits und Opposition andererseits werden hier als politische Funktionseinheiten verstanden. Auch die "Regierungsmehrheit" als - aufgrund der Gegenüberstellung zur parlamentarischen Opposition - möglicherweise mitimplizierte Institution ist Gegenstand politikwissenschaftlichen Interesses. Vgl. Winfried Steffani (Hrsg.), Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG, 1991. Steffani hat wohl als erster die Bedeutung der "Verfassungsinstitution Regierungsmehrheit" als analytische Kategorie herausgearbeitet. Zur Problematik der Ausdrücke ,Verfassungsinstitution' und ,Regierungsmehrheit' s. unten III. 126 Die rechtswissenschaftliche Literatur zu einzelnen Fragen, die Berührungspunkte mit dem Gegenstand parlamentarische Opposition haben, ist inzwischen nahezu unübersehbar. Neben den großen Werken zum Parlamentsrecht - etwa Norbert Achterberg, Parlamentsrecht, 1984; Hans-Peter Schneider I Wolfgang Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis. Ein Handbuch, 1989; Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. 11, 1987; sowie Datenund Handbücher zu Praxis des Parlamentes und Geschäftsordnungsrecht, etwa: Heinrich G. Ritzel I Joseph Bücker, Handbuch für die parlamentarische Praxis mit Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Stand: Juni 1993; Hans Trossmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages. Kommentar, 1977; ders.1 Hans-Achim Roll, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages. Ergänzungsband, 1981 - gibt es eine Fülle von Aufsätzen

II. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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a) ,Organisatorisches' Verständnis

Ihren besonderen Ausdruck findet die oben erwähnte ,zweite Rezeption' in einem besonderen Verständnis der parlamentarischen Opposition. Rezipiert wird die These, daß die parlamentarische Opposition im grundgesetzlichen System als "Verfassungsinstitution" verankert sei. Was genau "Verfassungsinstitution" in diesem Zusammenhang bedeutet, wird dabei nicht geklärt. Angelehnt an die Bedeutung des Ausdrucks "Verfassungsinstitution Partei", aber bezogen auf den engeren staatsorganisatorischen Bereich, mutiert der Bedeutungsgehalt der Redewendung von der Opposition als Verfassungsinstitution in Richtung auf eine organähnliche Einheit innerhalb des Parlaments. 127 Minderheitenrechte werden - unter Verkürzung des Tatbestandes - als "Oppositionsrechte" eingeordnet. 128 Dieses rechtliche Netz dient dann wiederum als Beleg für den Rechtsstatus der parlamentarischen Opposition, als Beleg für die "neue Gewaltenteilung", 129 die damit nicht nur als empirisch erfaßte, politische, sondern als venneintlich rechtlich vorgesehene Konstellation die Diskussion beeinflußt. Politikwissenschaftliche Studien zur Ausdifferenzierung der klassischen Funktionentrias (Kritik, Kontrolle, Alternative) und zur Ausfüllung dieser Funktionen werden zur Unterstützung der juristischen Konstruktion herangezogen. 130 Erkenntnisse über die Nutzung rechtlicher Kontrollinstrumentarien im wesentlichen durch die Opposition werden - teilweise durchaus in Verzerrung der Bewertung in der empirischen Studie selbst - als Beweis für die These angesehen, daß etwa die Konzu verfassungsrechtIichen Aspekten, die zur Begründung oder Beschreibung des ,Oppositionsstatus' herangezogen werden: Minderheitenrechte, Mißtrauensvotum und, neueren Datums, etwa zur Stellung der Fraktionen. Dazu näher unter B. 127 Im Unterschied zur differenzierten Analyse bei Schneider findet sich im Gefolge seiner Darstellung häufig die bloße Behauptung, nach dem Grundgesetz sei "die parlamentarische Opposition" Verfassungsinstitution, ja Organ. Charakteristisch etwa die Feststellung von Jekewitz, verfassungsprozeßrechtlich gehöre die Opposition zu den Staatsorganen. Ders., Die Kostenlast beim Verfassungsprozeß. Zum Beitrag des Verfassungsprozeßrechts zur "Konstitutionalisierung" der Opposition unter dem Grundgesetz, JZ 33 (1978), 667 ff., 674. Eine solche Feststellung impliziert weitere Rechtsfolgen, weshalb sie näherer Untersuchung bedarf. Vgl. dazu unten III. 128 Sie werden verstanden wie ,exklusive Oppositionsrechte'. Zu dieser Begriffiichkeit vgl. unten, III.3. Darunter verstehe ich Rechte, für deren Wahrnehmung der Berechtigte das Tatbestandsmerkmal der Oppositionszugehörigkeit erfüllen muß. 129 Der Topos von der neuen Gewaltenteilung wird immer wieder aufgegriffen, die These von der Ersetzung der ..alten Gewaltenteilung" allerdings auch kritisiert. Vgl. Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, 293. 130 Ein neueres Beispiel für eine solche empirische Studie bietet Martin Sebaldt, Innovation durch Opposition: das Beispiel des Deutschen Bundestages 1949-1987, ZParl 1992, 238 ff.; ders., Die Thematisierungsfunktion der Opposition, Die parlamentarische Minderheit des Deutschen Bundestages als innovative Kraft im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Diss. 1991. Ziel der Untersuchung ist es, empirisch bestätigtes Wissen über oppositionelles Einflußpotential zu sammeln.

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A. Die Grundlagen

trollfunktion des Gesamtparlaments vollständig auf die parlamentarische Opposition übergegangen sei. Folglich konzentrieren sich Überlegungen zur Effektivierung der Regierungskontrolle auf die Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten der Opposition. Wiederum wird aus dem parlamentarischen Regierungssystem an sich die Begründung für eine bestimmte Konstruktion politischer Balance deduziert: Das System setze eine bipolare "Frontstellung" von Regierung und Regierungsmehrheit einerseits - Opposition andererseits voraus. Soweit das so vergröbert übernommen wird, wird also, wie ehemals, mit einem Dualismus argumentiert. Für die rechtspolitische Auseinandersetzung ergeben sich daraus konkrete Folgerungen für Parlaments- oder Verfassungsreform: 131 Je nach Standpunkt wird die explizite Anerkennung der schon garantierten oder die erstmalige Verankerung der aus Gründen der Systemgerechtigkeit erforderlichen Institution parlamentarische Opposition gefordert. Ferner, so die Vorstellung, muß diese Institution entsprechend ihren Funktionen oder Aufgaben ausgestattet sein, also (auch) als Rechtsträger fungieren. Zusammenfassend nenne ich dieses Verständnis, wie schon eingeführt, staatsorganisatorisch-institutionell, kurz: organisatorisch. Für eine genauere Analyse der Begriffsbildung ist auf ill. zu verweisen. Dieses Verständnis ist Grundlage für das einleitend vorgestellte organisatorische Regelungsmodell. b) ,Funktionales' Verständnis

Gegen das hier sogenannte organisatorische Verständnis wird erneut die "klassische Gewaltenteilung" ins Feld geführt, ferner das Argument, daß englische Verhältnisse nicht einfach übertragbar seien, schließlich, daß in Deutschland ein Zweiparteiensystem, welches doch Voraussetzung sei, nicht existiere. Auch die Gegenargumente sind also erneut ,rezipiert' worden. Das trägt mit dazu bei, daß die, anläßlich der neuen Oppositionsregelungen wieder entbrannte, Debatte teilweise auf überwunden geglaubte Linien zurückgeführt wird. Recht schematisch werden Argumentationstopoi gegeneinandergestellt, ohne daß sachlich differenziert die Probleme, die eine Institutionalisierung möglicherweise mit sich brächte, untersucht werden. Sachlicher Kern des hinter der Kritik stehenden ,funktionalen' Verständnisses ist folgender: Das Recht au/Opposition wird durchaus bejaht, ja die Stärkung der parlamentsrechtlichen Instrumentarien zur Wahrnehmung dieses Rechts gefordert. Funktionen des Parlamentes, etwa im Bereich der Interorgankontrolle, werden 131 Vgl. auch die Debatte in der Gemeinsamen Verfassungskommission al1f Bundesebene: die Kommission konnte sich allerdings auf einen Oppositionsartikel nicht einigen. Es scheint eher unwahrscheinlich, daß dieser Punkt in näherer Zukunft nochmals aufgegriffen wird. Vgl. Schlußbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. 11. 1993, Drs. 12/

6OOO,89f.

11. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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auch nach dieser Ansicht von Oppositionsfraktionen auf andere Weise ausgeübt, als von den Regierungsfraktionen. Die Stärkung des Parlamentes als rechtspolitische Aufgabe wird anerkannt, durchaus vor dem Hintergrund, Rechte, die auch die Opposition nutzen kann, zu verbessern. Doch wird eine Institutionalisierung im oben vorgestellten Sinne abgelehnt, erst recht wird der parlamentarischen Opposition der (verfassungsrechtlich angeblich schon vorgegebene) Status einer Institution im Sinne eines Zurechnungssubjektes für Rechte und Pflichten abgesprochenY2 Ich bezeichne diese Position als funktional, weil sie für die juristische Argumentation von Funktionen wie Kritik, Kontrolle etc. ausgeht. Der spezifisch ,oppositione11e Gehalt' wird darin gesehen, daß die Opposition (im politischen Sinne) diese Funktionen typischerweise auf besondere Art wahrnimmt, als Stichwort wäre etwa der besondere Öffentlichkeitsbezug zu nennen. 133 Damit wird es möglich, Opposition selbst als Funktion anzusehen. Die Funktionentrias von Kritik, Kontrolle und Alternative sind erste Ausdifferenzierungen dieser Funktion. Sie bleiben aber verfassungsrechtlich schon existenten Organen, Organ-Teilen, Organwaltern oder anderen Rechtsträgern zugeordnet, wenn auch die Art der Erfüllung dieser Funktionen je nach Akteur unterschiedlich sein kann. c) Die neuere Rechtsprechung des Bundesveifassungsgerichts:

Präferenz des funktionalen Verständnisses?

Da es explizite Stellungnahmen des Bundesverfassungsgerichts zu der parlamentarischen Opposition nicht gibt, sind sowohl Entscheidungen zum Parteienrecht als auch zur Stellung der Fraktionen sowie zur Stellung der Abgeordneten, aber etwa auch solche zur Geschäftsordnungsautonomie usf. relevant. Es ist hier nicht möglich, über diese einen auch nur annähernd vollständigen Überblick zu geben. Daher sollen einige Hinweise auf feststellbare Tendenzen des Bundesverfassungsgerichts - immer im Zusammenhang mit Gleichheits- und anderen Gewährleistungen im "politischen Bereich" - genügen, die auf eine ,Präferenz' für das funktionale Verständnis hindeuten. 134 132 Differenzierend etwa Norbert Achterberg, Das Parlament im modemen Staat, in DVBI. 1974, 693 ff., insbesondere 703 f. Ähnlich ders., Parlamentsrecht, 1984, 86. Dezidiert wendet er sich gegen Versuche, "die Opposition rechtlich abzusichern", worunter er in der hier verwandten Begrifflichkeit die rechtliche Institutionalisierung versteht. "Sie [die Opposition] ist als solche kein Subjekt, das mit Rechten oder Pflichten ausgestattet werden könnte, vielmehr nur in ihrem institutionellen Substrat - den entsprechenden Parlamentsfraktionen - rechtlich faßbar." Und er schließt den Abschnitt mit der Bewertung: ,,Die Enthaltsamkeit der deutschen Verfassungen gegenüber Vorschriften über die Opposition hat ihren guten Sinn; denn auch sie ist als solche eine Einrichtung des metarechtlichen, genuin politischen Bereichs." 133 Hintergrund ist natürlich die politische Konstellation. 134 Die von mir verwandte Unterscheidung und Begriffsbildung findet sich in den Entscheidungen natürlich nicht.

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A. Die Grundlagen

• Im sogenannten ,,Diätenurteil" hat das Bundesverfassungsgericht den formalegalitären Charakter des Abgeordnetenstatus " der Abgeordnetengleichheit betont,135 der seitdem ständige Rechtsprechung ist. Eine Differenzierung in Oppositions- und Regierungsabgeordnete wäre vor diesem Hintergrund problematisch. • Der Grundsatz der "Parteiengleichheit", genauer der Chancengleichheit der Parteien, war im Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung entscheidungserheblich, in weIchem die noch erlaubte Öffentlichkeitsarbeit von der nicht mehr erlaubten Wahl werbung abzugrenzen war. Das Gericht nimmt keine direkte Gegenüberstellung von Regierung und Opposition vor. 136 Gefährdet oder verletzt ist vielmehr die Chancengleichheit der Oppositionsparteien. Selbst in der abweichenden Meinung, wo unter Hinweis auf die "Verfassungswirklichkeit" und die "parteienstaatliche Struktur" auf die Gegenüberstellung von Opposition und Regierung Bezug genommen wird, bleibt als Rechtsgrundlage die Chancengleichheit der Parteien ausschlaggebend. Es geht nicht um die parlamentarische Opposition und deren Rechtsstellung; die Gegenüberstellung ist eine politische. 137 • Um das "Gebot des Schutzes parlamentarischer Minderheiten" in Verbindung mit dem "Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition" ging es in der ,Gremienentscheidung' .138 Gegen die Auffassung der Antragsteller, daß jede Oppositionsfraktion in den betreffenden Ausschüssen berticksichtigt sein müsse, um der parlamentarischen Kontrollfunktion Genüge zu tun, war die Mehrheit des Gerichts der Ansicht, daß "Geheimschutzinteressen" die Beschränkung der Mitgliedschaft in Ausschüssen dann rechtfertigten, wenn das Besetzungsverfahren willkürfrei ist und die Opposition nicht übergangen wird. Das Gericht hielt m BVerfGE 40,296 ff., 317 f. (vom 5. 11. 1975). In Schieswig-Hoistein wurde einige Zeit nach dem Diätenurteil, 1978, die besondere Entschädigung für den "Oppositionsführer", die in § 2 Abs. 2 c des schleswig-holsteinischen Abgeordnetengesetzes enthalten war, beseitigt. Vgl. Bericht der Enquetekommission Schleswig-Holstein, Drs. 12/180, 34. Vgl. dazu unten B.VI. 136 BVerfGE 44, 125 ff. Zwar heißt es auf S. 140: "Die Regierung und die sie tragenden politischen Kräfte im Parlament ebenso wie die Opposition [ ... ]", eine Formulierung, die an Definitionen der parlamentarischen Opposition (die Regierung nicht tragende Fraktionen usf.) erinnert, doch ist damit keine Rechtsträgerbestimmung verknüpft. Vgl. S. 145: "Als Parteien der Minderheit bilden sie die politische Opposition und machen sie wirksam." Diese Beschreibungen dienen der Kennzeichnung des Status' (der Aufgaben und Rechte) der Parteien. Sie verdeutlichen den politischen Kontext, in dem unter entscheidender Mitwirkung von Parteien besetzte Staatsorgane stehen. Insofern steht nicht nur ein ,Jetztes klärendes Wort des Gerichts zur Chancengleichheit von Regierung und Opposition" noch aus, so aber Schneider, Alternativkommentar, vor Art. 62, Rn. 6, sondern es ist fraglich, ob die Entscheidung für die von Schneider vorgegebene Konstellation überhaupt in Anspruch genommen werden kann. 137 BVerfGE 44, 125 ff. Abweichende Meinung der Richter Geiger, Hirsch, 167 ff.; Gegenüber von Regierung - Opposition ist deutlich akzentuiert bei Rottmann, 181 ff. 138 BVerfGE 70, 324 ff.: Besetzung des Haushaltsausschusses, bzw. der parlamentarischen Kontrollkommission - Kontrolle der Geheimdienste - ohne Berücksichtigung der Grünen (Bezeichnung von der Verfasserin).

11. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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es also für ausreichend, daß eine Oppositionsfraktion Ausschußmitglieder entsenden konnte. Diese Entscheidung ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Sie ist hier von Bedeutung, weil das Gericht zum ersten Mal ein Oppositionsverständnis zu offenbaren scheint, das dem organisatorischen Verständnis entspräche: wäre doch dem parlamentarischen Minderheitenschutz sowie dem ,Recht auf [ ... ] Opposition' Genüge getan, wenn die Opposition berücksichtigt ist; Opposition wird hier offenbar vereinheitlichend und organisatorisch verstanden. 139 Daraus folgt meines Erachtens allerdings nicht, daß diese Entscheidung als Wende zu einer bundesverfassungsgerichtlichen Stellungnahme zugunsten des organisatorischen Oppositionsmodells herangezogen werden könnte. l40 Auch im hier gegebenen Entscheidungskontext sind als Rechtsgrundlagen insbesondere Artikel 38 GG, sowie der erwähnte parlamentarische Minderheitenschutz einerseits, verfassungsrechtIich geschützte Geheiminteressen andererseits entscheidungserheblich. Es geht nicht um Rechte der Opposition, sondern, wie zitiert, um das Recht auf [ ... ] Opposition, das gerade typisch für den funktionalen Ansatz ist. 141 • Letztes hier zu nennendes Urteil ist die "Wüppesahl-Entscheidung", die sich mit der Rechtsstellung fraktionsloser Abgeordneter auseinandersetzt. 142 Der rechtliche Konflikt besteht hier unter anderem zwischen dem aus Artikel 38 GG folgenden Abgeordnetenstatus und seiner Begrenzung durch die Fraktionen. Im Oppositionskontext könnte sich diese Konstellation gewissennaßen wiederholen: Zur ,Mediatisierung' der Abgeordneten durch die Fraktionen könnte ,Mediatisierung durch Oppositionszugehörigkeit' kommen, wenn diese Opposition im organisatorischen Sinne verstanden (und positiviert) wird. 143 Die Entscheidung selbst gibt für dieses Verständnis nichts her. 139 Ebenso hat der BayVerfGH 1988 entschieden, in BayVerfGHE 41, 124 ff. = DÖV 1989, 308 ff. Damit offenbart die Mehrheitsmeinung zugleich, wie problematisch dies Verständnis ist: es führt möglicherweise zur Vereinheitlichung und Verblockung einer pluralistischen, heterogenen Opposition; dazu B.II. Zu Recht wird diese Entscheidung kritisiert: und zwar sowohl unter dem Aspekt der Chancengleichheit der Fraktionen (und damit auch derjenigen der Abgeordneten), dazu insbesondere Joachim Scherer, Fraktionsgleichheit und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages, AöR 1987, 189 ff.; als auch unter dem Aspekt des "oppositionellen Minderheitenschutzes", vgl. Karl-Heinz Hohm, Recht auf Chancengleichheit der Fraktionen und oppositioneller Minderheitenschutz, (Zur Nichtrepräsentanz der GRÜNEN - Fraktion in Gremien und Ausschüssen des "sicherheitsempfindlichen Bereiches"), NJW 1985,408 ff.; als auch unter dem Aspekt des unzureichenden Repräsentationsverständnisses der Senatsmehrheit, dazu abweichende Meinung Mahrenholz, a. a. 0., 366 ff. Vgl. auch Hans Meyer, PRuPPr, § 4, Rn. 118. 140 Meines Wissens ist das auch nicht geschehen. 141 Die Entscheidung soll aber nicht als Nachweis für ein funktionales Oppositionsverständnis des BVerfG gedeutet werden. Dafür ist sie zu uneinheitlich. Auch scheint mir ein Fehler der Entscheidung gerade darin zu liegen, daß die Bundesverfassungsgerichtsmehrheit diesen Punkt nicht ausreichend berücksichtigt hat. Das bedeutet aber eben auch nicht, daß sie als Beleg für das andere Modell heranzuziehen wäre. 142 BVerfGE 80, 188 ff.

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A. Die Grundlagen

d) Neueste rechtswissenschaftliehe Oppositionsforschung Von den rechtswissenschaftlichen Arbeiten, die sich zeitgleich mit oder nach dem Inkrafttreten der landesverfassungsrechtlichen Oppositionsregelungen mit Opposition befassen, seien die Arbeit Stephan Haberlands und ein Aufsatz von Ralf Po scher genannt. 144 Erstere untersucht den Status der parlamentarischen Opposition nach dem Grundgesetz und geht eher am Rande auf die landesverfassungsrechtlichen Positivierungen ein. Von entscheidender Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang ist Haberlands Frage nach einem "eigenständige(n) Rechtsstatus der Opposition im grundgesetzlich organisierten Verfassungsprozeß". Als Zwischenergebnis hält er fest, daß das Grundgesetz Opposition anerkennt und mitdenkt, ihr ermöglicht, sich auf parlamentarischer Ebene zu organisieren und ihr ein rechtliches Instrumentarium zur Ausübung ihrer Funktionen zur Verfügung stellt. ,,Diesem Befund ist bisher aber nicht zu entnehmen, ob der Opposition im Rahmen des Grundgesetzes, losgelöst von den parlamentarischen Organisationsformen, eine spezifische verfassungsrechtliche Stellung zukommt, die sie von den anderen Teilen des Parlaments unterscheidet und gegebenenfalls mit besonderen Aufgabenzuweisungen, etwa im Bereich der Regierungskontrolle, verbunden iSt.,,145 In der hier verwendeten Terminologie ist das die Frage danach, ob das Grundgesetz, über ein Oppositionsverständnis im funktionalen Sinn hinaus, einen als Zuweisungssubjekt nutzbaren organisatorischen Begriff von Opposition vorsieht. Dies untersucht Haberland unter drei normativen Aspekten: Er überprüft und verneint die sogenannte ,Ersetzungsthese' 146 anhand des Gewaltenteilungsprinzips zum einen, anhand des parlamentarischen Regierungssystems zum anderen und verneint schließlich auch die Möglichkeit, einen Rechtsstatus der Opposition aus den parlamentarischen Minderheitenrechten herleiten zu können. Sein Ergebnis ist demnach, daß dem Grundgesetz kein Rechtsstatus ,der Opposition' zu entnehmen sei. In der hier verwendeten Terminologie kommt er mithin zu dem Schluß, daß eine Organisationseinheit Opposition im Grundgesetz nicht rechtlich institutionalisiert ist. Dann aber kann sie auch keinen verfassungsrechtlichen Status, im Sinne 143 Dazu näher B.II., VII. Vgl. zu einern weiteren Punkt die abweichende Meinung von Mahrenholz: Er wendet sich gegen die von der Bundesverfassungsgerichtsmehrheit vorgenommene Stimmengewichtung, die Mahrenholz als Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG ansieht, insbesondere gegen das Argument, es sei Aufgabe der Ausschüsse, die Mehrheitsfahigkeit einer Vorlage sicherzustellen: "WeIches Gewicht "gebührt" dem Stimmrecht von Oppositionsabgeordneten, wenn es die - im Urteil normativ verstandene - "Funktion der Ausschüsse" sein soll, die Mehrheitsfahigkeit einer Vorlage im Plenum sicherzustellen?" a. a. 0., 239. 144 Stephan Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Opposition nach dem Grundgesetz, Berlin 1995. Ralf Poscher, Die Opposition als Rechtsbegriff, AöR 1997, 444 ff. 145 Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung, 127. 146 Wonach eine behauptete neue Gewaltenteilung zwischen Regierung und Regierungsmehrheit einerseits - Opposition andererseits die alte ersetzt habe.

11. Forschungsstand: Ausdifferenzierung der Idealtypen von Opposition

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einer im einzelnen ausdifferenzierten Rechtsposition, haben. Entsprechend formuliert er im Schlußteil: ,,Es spricht daher vieles dafür, die vom Grundgesetz mitgedachte Opposition nicht als "verfassungsrechtliche Institution", der ein bestimmter personeller Träger zugeordnet werden kann, zu verstehen. Opposition ist vielmehr eine Funktion im Verfassungsprozeß, die sich rechtlich weder starr noch ausschließlich einem bestimmten Teil des Parlaments zuordnen läßt.,,147

Das entspricht der hier zugrundegelegten These, daß Opposition im funktionalen Sinn gleichsam die verfassungsrechtliche Grundausstattung des Grundgesetzes wie der zu untersuchenden Landesverfassungen ist. Die zweitgenannte Arbeit entstand im Zusammenhang mit dem schon erwähnten Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt zur Aberkennung des Oppositionsstatus '. Auch sie legt, implizit, einen organisatorischen Begriff von Opposition zugrunde. Einige im Gefolge der neuen Regelungen als problematisch empfundene Punkte werden angesprochen und in Ansätzen auf ihre verfassungssystematische Zulässigkeit untersucht. Der latente Konflikt mit der Garantie der Unabhängigkeit von Abgeordneten sowie ihrem gleichen Status spielt nur am Rande eine Rolle. Gemeinsam ist den Arbeiten eine eher zurückhaltende Bewertung hinsichtlich der landesverfassungsrechtlichen Oppositionsregelungen. Schließlich enthalten unzählige Aufsätze zu den neuen und reformierten Verfassungen kurze Anmerkungen zu den Oppositionsregelungen. Sie werden, wie die genannten Arbeiten und neuere Gerichtsentscheidungen, bei der Untersuchung der Einzelfragen berücksichtigt.

e) Zusammenfassung des juristischen Forschungsstandes

Grob skizziert sind drei Positionen in der neueren Forschung zu erkennen. Die eine greift die Fragestellung nicht auf. 148 Die andere vertritt unter teilweise fragwürdiger Berufung auf das Bundesverfassungsgericht die Meinung, daß ein Rechtsbegriff ,parlamentarische Opposition' existiere, der eine "Verfassungsinstitution" bezeichne, wobei dieser Ausdruck zu verstehen ist als organähnliche Gliederung, ähnlich der Parlamentsgliederung ,Fraktion'. 149 Ein neuer Dualismus,

147 Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung, 181 f. 148 Ohne Aussage zur Frage einer institutionalisierten Opposition, aber mit ersten Hinweisen auf Opposition: BK / Meder (noch 1950); Hermann von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz: Kommentar, I. A. 1953, 335 - 359. Dabei ist der zeitliche Kontext dieser Bearbeitungen zu beachten. Völlig ohne Stellungnahme oder Hinweis: Schmidt-Bleibtreu/Klein, 6.A. 1983; Maunz/ Dürig / Herzog (Bearb.), 23.Lfg. 1984 (jeweils zu Art. 67). Bei den letzteren ist das insofern auffällig, als die Debatte längst bekannt war. 149 Mit gleichem Wortlaut die Kommentierungen zu Art. 67 GG als ,,Legitimationsbasis" der parlamentarischen Opposition: AK-GG / Schneider, Rn. 2 (sowie zu Art. 62, Rn. 4 f.);

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A. Die Grundlagen

nämlich Opposition - Regierung und Regierungsmehrheit habe den alten ersetzt oder wenigstens wesentlich ergänzt. Die dritte Position lehnt den institutionalisierenden Ansatz mit dem mehr oder weniger pauschalen Hinweis auf "Gewaltenteilung", den wesentlichen Dualismus Parlament - Regierung sowie die Eigengesetzlichkeit des politischen Phänomens ,Opposition' ab. Teilweise wird, ebenfalls unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht, als verfassungsrechtIich begründet das ,Recht aujOpposition' entgegengehalten. Die entscheidenden zu Grunde gelegten verfassungsrechtIichen Grundlagen nach dem Grundgesetz sind Art. 67, das Demokratieprinzip des Art. 20 sowie Art. 21. Der Abgeordnetenstatus spielte bisher eine eher begrenzte Rolle, wird aber im Rahmen der neuesten Untersuchungen, wohl in Reaktion auf die neuen landesverfassungsrechtlichen Oppositionsregelungen, stärker berücksichtigt.

IH. Herrschende Begriffiichkeit: Analyse und Kritik Die Uneinheitlichkeit der politikwissenschaftlichen und der juristischen Begriffsbildung zum Forschungsgegenstand Opposition wird schon seit längerem beklagt. 150 Auch innerhalb der juristischen Literatur wird die Begrifflichkeit uneinheitlich verwendet. Das erschwert die Bearbeitung. Über mehr oder weniger ärgerliche Mißverständnisse hinaus, verunklaren manche dieser Uneinheitlichkeiten die Untersuchung, häufig haben sie methodisch erhebliche Folgen. Diese terminologischen Fragen, die in der Regel Ausdruck rechts- und verfassungstheoretischer Grundlegungen sind, sollen kurz dargestellt, die eigene Begriffsverwendung soll vorgestellt werden.

1. Akteure, Verhalten: Die politikwissenschaftliche und die juristische Ebene

Die eingangs unterschiedenen Idealtypen von Opposition finden hier ihre Entsprechung: Die organisatorisch gedachte Opposition kann Akteur sein, die funktional verstandene Opposition bezeichnet Verhaltensweisen. Einige Grundbegriffe sollen dies erläutern.

Jarras/Pieroth, Rn. 1; v. Münch/Liesegang, Rn. 3; vglbar: Schröder, HbStR 11, Rn. 36 (= S. 617); alle im Anschluß an Schneider. 150 Schumann (Hrsg.), Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, 1976, 513 zum "Dilemma der Oppositionsforschung" .

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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a) ,Politische Gruppe.l51 - ,ad-hoc-Gruppierung'

Um zu klären, ob eine politisch oder soziologisch existierende feste Gruppierung auch rechtlich, vorhanden' ist, müssen die Ebenen unterscheidbar bleiben. Der Ausdruck ,politische Gruppe' soll als Oberbegriff für die soziologisch feststellbaren stabilen Zusammenschlüsse dienen, die im vorliegenden Zusammenhang relevant werden, unter anderem: • Fraktionen und Parteien, also Gruppierungen innerhalb oder außerhalb des parlamentsorganisatorischen Bereiches, die auch rechtlich anerkannt sind; 152 • Regierungsmehrheit und parlamentarische Opposition im Sinne einer politischen Gruppe,153 deren rechtliche ,Existenz' nicht selbstverständlich ist. Für die Gruppe ist kennzeichnend, daß sie geschlossen auftritt, d. h. geschlossen gegenüber der Öffentlichkeit, daß "die Minderheit in der Gruppe nach außen die Auffassung der Mehrheit der Gruppe unterstützt, um dadurch der Gruppe insgesamt zum bestmöglichen politischen Erfolg zu verhe1fen.'d54

Das setzt zusätzlich eine gewisse Dauerhaftigkeit voraus. Nicht zu verwechseln ist die politische Gruppe mit der, teilweise, in Parlamentsgeschäftsordnungen vorgesehenen parlamentarischen - oder Abgeordnetengruppe: einer stabilen Gruppe unterhalb der Fraktionsmindeststärke. Sie ist, soweit rechtlich definiert, eine rechtlich anerkannte politische Gruppe wie die Fraktion; soweit rechtlich nicht anerkannt, wäre sie ,nur' als politische Gruppe einzustufen. Klar abzugrenzen ist die ,politische Gruppe' damit von ad-hoc-Gruppierungen, die sich konkret, zur Erreichung eines Zieles einmalig zusammenfinden, sich hinterher auflösen, oder wieder in ihre jeweilige politische Gruppe zurückorientieren. 155 Dieser Prozeß kann etwa bei freigegebenen (rechtlich grundsätzlich bei allen!) Abstimmungen im Parlament beobachtet werden. 156 ISI Diese - politikwissenschaftliche - Definition übernehme ich mit geringen Modifikationen von Schütt-Wetschky, Grundtypen parlamentarischer Demokratie. Klassisch-liberaler Typ und Gruppentyp, 1984, 18. 152 Zur Abgeordnetengruppe: Achterberg, Parlamentsrecht, 299 ff. Auch er strukturiert seine Darlegung nach dem soziologischen Begriff der Gruppe - strukturierte, handlungsrelevante, konkrete Gemeinschaft, nicht: ad-hoc-Gruppierung, und kommt so zu einer anderen Zuordnung von Grupppenrechten und Minderheitenrechten, als in den üblichen Darstellungen des Parlamentsrechts. IS3 Zur Bedeutungsvielfalt dieses Ausdruckes s. im folgenden. IS4 Schütt-Wetschky, Grundtypen, 18. ISS Loibl unterscheidet die institutionalisierte von der nicht-institutionalisierten Gruppe. Letztere erfaßt auch ad-hoc-Gruppierungen, "vor allem die inner- und interfraktionellen Gruppen, also das Zusammenwirken verschiedener Fraktionen" mit dem Ziel des Erreichens von Minderheitsquoren. Vgl. Peter Loibl, Der Status der Abgeordnetengruppe im Deutschen Parlament, Diss. Köln 1995,7 f.; kritisch zur Verwendung des Ausdrucks institutionalisierte Gruppe, ders., 42. f.

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A. Die Grundlagen

b) Im Oppositions kontext

aa) Parlamentarische Opposition als ,politische Gruppe' Der Ausdruck ,parlamentarische Opposition' kann rechtlich oder politisch verwandt werden. In der Regel wird unter ,parlamentarischer Opposition' der Teil des Parlamentes verstanden, der der ,Regierungsmehrheit' gegenübersteht, der wie sie Akteur im politischen und staatlichen Willensbildungsprozeß ist. Wenn von "der parlamentarischen Opposition" die Rede ist, wird also eine politische Gruppe im oben dargelegten Sinn bezeichnet. Auch die derart gegenübergestellte Regierungsmehrheit ist als politische Gruppe anzusehen. Dieses Verständnis, transponiert auf die rechtliche Ebene, ist es, das in der Einleitung als organisatorisch bezeichnet wurde. Es ist in konkreten Regelungen niedergelegt worden. bb) Parlamentarische Opposition als Verhalten und ,ad-hoc-Opposition' Wie vorne schon angedeutet kann der Ausdruck ,parlamentarische Opposition' im Unterschied zum Ausdruck ,Regierungsmehrheit' - neben einer Gruppe, einer fest definierten Parlamentsgliederung, auch eine Verhaltensweise ('Opponieren im Parlament') oder Funktion bezeichnen. Einzelne Abgeordnete, auch regierungstragende Abgeordnete, können ,Opposition' üben. ,Opposition' liegt auch vor, wenn sich über Fraktions- und sonstige politische (und rechtliche Gruppen-)Grenzen hinweg Parlamentarier zusammenfinden, um konkret gegen Vorschläge der Regierung anzugehen, zu ,opponieren'. Die politischen Gruppen Regierungsmehrheit und Opposition sind für diese ad-hocGruppierung nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist das Opponieren, also die Verhaltensweise Opposition. Dieses Verständnis sollte meines Erachtens ebenso vom Ausdruck ,parlamentarische Opposition' erfaßt sein, denn Opposition als Verhaltensweise ist rechtlich anerkannt und macht den wesentlichen Teil der Bedeutung der politischen Gruppe Opposition aus. Auch als Verhaltensweise, als Funktion, kann also ,Opposition' ein Rechtsbegriffsein. Um diese Bedeutung nicht von vornherein auszuschließen, ist auch das funktionale Verständnis von parlamentarischer Opposition in die Untersuchung einbezogen. Hier läßt sich auch die ,ad-hoc-Opposition' einordnen. 157 Damit bezeichne ich zum einen die opponierenden Akteure, einzelne Abgeordnete oder auch eine "Zufallsgruppierung" derselben,158 und zum anderen das Verhalten der punktuelZur rechtlichen Seite dieses Phänomens s. unter c). Schachtschneider, Der Staat 1989, 176 benutzt den Ausdruck ,,Adhoc-Opposition" und stellt fest, daß diese eine Opposition, wie Art. 23 a HbgVerf sie erfordere, nicht entstehen lasse. 158 Den Ausdruck ,Zufallsgruppierung' nutzt der SächsVerfGH (Urteil vom 27. 2. 1995, SächsVBI. 1995,227 ff., 228 f.), um das Zuweisungssubjekt sogenannter Minderheitenrechte, die einem Quorum (nicht also etwa einer Fraktion) zugewiesen sind, zu kennzeichnen. 156 157

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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len,159 einzelfallorientierten Oppositionsausübung. Die ad-hoc-Opposition ist nicht auf Dauer angelegt, stabil; sie ist ,nicht-ständig' .160 Aufgrund der Ausgangsprämisse dieser Arbeit, wonach die Funktion Opposition rechtlich garantiert war und ist, das organisatorische Oppositionsmodell hingegen nur eine Ausprägung ist, deren alleinige Anerkennung eine Verengung mit sich bringen würde, müssen die ganz unterschiedlichen Bedeutungen des Ausdruckes ,Opposition' erfaßt werden. Keinesfalls kann die politikwissenschaftlich möglicherweise zulässige dualistische Konstruktion einfach als normative Konstellation übernommen werden. Wo das in den Regelungen geschehen ist, wird zu prüfen sein, ob es verfassungsystematisch zulässig ist. 161 Auf die einzelnen Definitionen von Opposition ist hier noch nicht einzugehen. Entscheidend ist, daß der Oppositionsbegriff für beide Bedeutungsvarianten offengehalten wird.

c) Der Ausdruck ,Regierungsmehrheit'

Der Ausdruck ,Regierungsmehrheit' bezeichnet in politikwissenschaftlichen und auch in juristischen Untersuchungen häufig den institutionalisiert gedachten Widerpart der Opposition. 162 Regierungsmehrheit wird ferner immer wieder als ,Vergleichsobjekt ' hinsichtlich des Rechts ,der Opposition' auf Chancengleichheit genannt. Somit muß geklärt werden, wer unter diesen Ausdruck fällt. 'Regierungsmehrheit' bezeichnet jedenfalls eine politische Gruppe im oben dargestellten Sinn. Der Ausdruck wird jedoch uneinheitlich gebraucht: Die Zusammensetzung dieser politischen Gruppe ist daher unklar. Manchmal umfaßt sie die Abgeordnetenmehrheit im Parlament, die die Regierung - das heißt in der Regel den ,Chef' der Regierung - gewählt hat und stützt; ein anderes Mal bezeichnet der Ausdruck zusätzlich zu dieser Abgeordnetenmehrheit - die dann Parlamentsmehrheit genannt wird - noch die Regierung, er umschreibt dann die "Einheit von ParDas SachsAnhVerfG spricht von "punktueller Opposition", LVerfG 1/96, UA S. 23. Vgl. die Rechtsprechung des BVerfGs zur Beteiligtenfähigkeit "nicht-ständiger Gliederungen" im Organstreitverfahren. Dazu ausführlich B.VHI. 161 Vgl. B.I., H., III. 162 Steffani hat immer wieder die ,Regierungsmehrheit' in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen gestellt. Ihm zufolge ist zumindest Effekt, wenn nicht gar Funktion von Opposition, die Regierungsmehrheit zu einem geschlossenen Auftreten zu veranlassen, weIches wiederum Voraussetzung für eine stabile Regierung ist, (in: Schumann, Die Rolle, 203 ff., 229 f.). Von juristischer Seite scheint dieser Aspekt von der Oppositionsforschung nicht untersucht worden zu sein. Außer als negatives Definitionsmerkmal der Opposition (de-finitio hier im ursprünglichen Wortsinn: Abgrenzung gebraucht) und im Zusammenhang mit dem Recht auf Chancengleichheit spielt die Regierungsmehrheit keine Rolle. Insbesondere wird nicht untersucht, weIche Folgen - rechtlicher Art! - eine rechtliche ,Institutionalisierung' der Opposition auf die Regierungsmehrheit haben könnte. Kurz dazu unter B.I. IS9

160

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A. Die Grundlagen

lamentsmehrheit und Regierung".163 ,Regierungsmehrheit' beschriebe danach die mehr oder weniger übereinstimmend agierende und entsprechend auftretende politische Aktionseinheit von verantwortlichem Regierungspersonal und stimmberechtigter Parlamentsmehrheit. 164 Abgesehen davon, daß auch hier die Begriffsverwendung nicht einheitlich ist, bringt jedoch die Übernahme dieses Verständnisses auf die rechtliche Ebene Schwierigkeiten mit sich. Zwar schiene es möglich, den Ausdruck Regierungsmehrheit für die "nach außen geschlossen handelnde Aktionsgemeinschaft zwischen der Regierung und der Parlamentsmehrheit, bzw. der oder den Regierungsfraktion(en),d65 zu reservieren, da als Bezeichnung für die stabile, dauerhafte, regierungsstützende Abgeordnetenmehrheit im Parlament der Ausdruck ,Parlamentsmehrheit' genutzt werden könnte. Schließlich bliebe auch für die, um einen Begriff der Oppositionsforschung zu nutzen, "situationsorientierte" Parlamentsmehrheit eine Bezeichnung übrig: 166 Diese ad-hoc gebildete Mehrheit, die rechtlich entscheidend sein kann, könnte mit dem Ausdruck ,Abstimmungsmehrheit' oder auch ,ad-hoc-Mehrheit', unterscheidbar bezeichnet werden. Gegen die - begrifflich demnach mögliche - Übernahme in eine juristische Arbeit sprechen aber folgende Bedenken: Zum einen wird im juristischen Kontext der Ausdruck ,Regierungsmehrheit' überwiegend als Bezeichnung für die regierungsstützende Parlamentsmehrheit verwandt; es bestünde die Gefahr von Mißverständnissen. Zum anderen - und das scheint mir entscheidend - ist das politikwissenschaftliche Verständnis dadurch gekennzeichnet, daß es inter-organschaftlich ist. 167 Für die juristische Perspektive 163 Steffani, ZPar11981, 591 (Diskussionsbeitrag); ders., Regierungsmehrheit und Opposition, 20, 25; ders., in: Schumann, Die Rolle, 230; Schütl-Wetschky, Grundtypen, 17. Wohl anders Thaysen, Anhörung Parlamentsrecht, 105, wo von den zwei "Verfassungsinstitutionen Regierungsmehrheit und Opposition" die Rede ist. In seinem Formulierungsvorschlag zu einem neuen Art. 39 a GG findet sich dazu folgender Satz: "Sie [die die Opposition bildenden Fraktionen und Mitglieder des Bundestages] stehen den die Regierung tragenden Teilen des Bundestages (der Regierungsmehrheit) als Alternative gegenüber." (112) Hier wird also wohl nur die Mehrheit im Parlament als Regierungsmehrheit (Iegal-)definiert, ohne die Regierung. 164 Steffani, Regierungsmehrheit und Opposition, II ff., 20, vgl. auch 25. 165 SchÜtl-Wetschky, Grundtypen, 17. 166 Auffalligerweise wird von den Autoren, die Regierungsmehrheit als Kürzel verwenden, die Frage, wie das Phänomen wechselnder, ad hoc sich konstituierender Abstimmungsmehrheiten benannt werden soll, kaum angesprochen. Das dürfte mit der Perspektive zusammenhängen, wonach es eben um die Untersuchung fest vorhandener, zumindest relativ stabiler Gruppierungen im Parlament geht. Analog zur Beschreibung der Opposition als solch einer Entität, ,muß' auch die Parlamentsmehrheit oder Regierungsmehrheit stabil sein. Daß sie das de facto ist (zumindest in der Regel), ändert jedoch an der rechtlichen Lösung, die wechselnde Mehrheiten zuläßt und gegebenfalls als entscheidend normiert, nichts. Somit bedarf die aus politikwissenschaftlicher Sicht vielleicht ausreichende Begriffsbestimmmung zumindest einer Ergänzung. 167 Unter ,Organen' werden hier die nach überkommener Lehre als Staatsorgane bezeichneten Institutionen wie Bundestag, Bundesregierung verstanden.

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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stellt sich aber die Frage, ob Regierungsmehrheit als rechtliche Institution konstruiert werden kann, die über die Grenzen der unzweifelhaft gegebenen rechtlichen Institutionen, nämlich der Staatsorgane, hinausgreift. 168 Die Übernahme dieses Verständnisses von Regierungsmehrheit im jetzigen Stadium der Forschung begründet die Gefahr, daß etwas rechtsbegrifflich bezeichnet wird, das auf normativer Ebene möglicherweise nicht existiert oder doch nicht in der Form, wie es der Begriff assoziiert. Deshalb soll im Rahmen dieser Arbeit der Begriff ,Regierungsmehrheit' weiterhin für die innerhalb des Parlamentes situierte Gruppierung genutzt werden. Die besondere Aktionseinheit von Regierung und Regierungsmehrheit muß dann, etwas umständlicher, als solche gekennzeichnet werden.

2. Verfassungsinstitution - Verfassungsorgan - Verfassungsfunktion: Zur rechtstheoretischen BegrifDichkeit der ,Oppositions-Analyse'

a) Problemstellung Zentraler Terminus auch der juristischen Analyse des Gegenstandes ,parlamentarische Opposition' ist der Ausdruck ,,(Verfassungs-)Institution".169 Nach seiner Verwendung kann man ihn in ein Begriffsfeld einordnen, zu dem Ausdrücke wie ,,(Verfassungs-)Organ", "Gliederung / Teil eines Organs", "organschaftlicher Charakter der Opposition" oder ,,konstitutionalisierte Opposition" gehören. 170 Diese 168 Ein konkretes Folgeproblem sei erwähnt: für die Frage der binnensystematischen Vereinbarkeit eines Rechts auf Chancengleichheit ist eventuell entscheidend, ob dieses Recht parlaments intern und somit im Intra-Organverhältnis gewährt ist, oder ob übergreifend auch ,die Chancen' eines anderen Staatsorgans zu berücksichtigen sind. Selbstverständlich kann die Frage, wer in der konkreten Regelung mit ,Regierungsmehrheit' gemeint ist und welchen Umfang das Recht Chancengleichheit besitzt, nur anhand der Analyse dieser Regelung bestimmt werden, dazu B.V. 169 Vgl. Zeh, in: Isensee / Kirchhof, Hdb. Staatsrecht, Bd.II, § 42 Rn. 19; Thaysen, Anhörung, S. 105 ff.: Er fordert die Verankerung der Opposition "als Verfassungsinstitution" im Grundgesetz; Schneider, PRuPPr, § 38 Rn. 3; Steffani, Regierungsmehrheit und Opposition, 20 ff., bezeichnet Regierungsmehrheit und Opposition als Verfassungsinstitutionen, allerdings in Abgrenzung von der Ebene der Verfassungsorgane (gemeint sind die Staatsorgane Bundestag etc.). 170 a) Vgl. den Untertitel eines Beitrags von lekewitz: Zum Beitrag des Verfassungsprozeßrechts zur "Konstitutionalisierung" der Opposition unter dem Grundgesetz, lZ 1978, 667 ff. Wer letztendlich als Organ oder wenigstens organähnlich angesehen wird, die Opposition oder die Fraktionen und damit auch die Oppositionsfraktionen, wird nie ganz klar. b) Im Unterausschuß des Verfassungsausschusses Brandenburg fiel die Bemerkung, daß die parlamentarische Opposition "in gewissem Sinne ein Organ des Landtages" sei, vgl. Verfassungsausschußprotokoll, 5. Sitzung vom 10.4. 1991, Dok., 841. c) Noch deutlicher der Untertitel "Opposition erstmals Verfassungsorgan" von Paul Busse / Ulrich Hartmann, Verfassungs- und Parlarnentsreforrn in Hamburg, ZParl 1971, 200 ff. Ebenso Kortmann, Leserbrief in ZRP 1973, 48. Von Busse/Hartmann hat wohl auch Uwe

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A. Die Grundlagen

Begrifflichkeit enthält eine bestimmte Einstufung der parlamentarischen Opposition, als "Verfassungsorgan" oder "organähnlich".171 Damit scheinen bestimmte ,Assoziationen' verbunden: • Die Opposition scheint so etwas ähnliches wie das Parlament, die Ausschüsse desselben oder die Regierung zu sein: Institutionen, die allgemein als (Staats-) Organe oder Organteile verstanden werden; • Die organhaft gedachte Opposition nimmt dann wohl staatliche Funktionen wahr, wie die anderen Staatsorgane oder Organteile; • Aus dem Status als "Verfassungsorgan" müssen wohl Rechte der Opposition folgen, denn wozu diente die Bezeichnung, wenn keine besonderen Rechte, kein Rechtsstatus damit verbunden sein sollte? Die genannten Punkte zeigen, daß der Beiläufigkeit, mit der die Bezeichnungen verwandt werden, kein ebenso beiläufiges Verständnis korrespondiert, was damit gemeint sei. Die Bezeichnung politischer Gruppen im obigen Sinne, die innerhalb der Parlamentsorganisation situiert sind, als ,Verfassungsinstitution' oder ,Verfassungsorgan ' enthält vielmehr eine normative Qualifizierung, die möglicherweise eine Reihe von (Rechts-)Folgen impliziert. Bevor man entscheidet, ob die parlamentarische Opposition ein Verfassungsorgan sein soll - so könnte man in Abwandlung eines Satzes von Otto Mayer, sagen -, muß man sich klar sein darüber, was man tut, wenn man sie dazu macht. 172 Thaysen diese Bewertung des Art. 23 a HbgVerf übernommen, vgl. Thaysen, Parlamentsreform, 15 Anm. 3. d) Schachtschneider in seiner Kritik zu Art. 23 a HbgVerf: durch Art. 23 a HbgVerf werde die Opposition "zu einem Verfassungsinstitut, ja zu einem Verfassungsorgan", Der Staat, 1989, 174. e) Stern erwähnt den Versuch "der förmlichen Verankerung der Opposition als echtem parlamentarischem Organteil", der in der 5. Legislaturperiode gescheitert sei. Dabei verweist er auf die BT-Drs. V /396 (v. 9. 3. 1966). Dort findet sich ein Antrag der SPD-Fraktion hinsichtlich Ergänzung des § 33 I GOBT (heute in § 28: Reihenfolge der Redner, wo (inzwischen) das Prinzip von Rede und Gegenrede, sowie die Rücksicht auf verschiedene Parteirichtungen enthalten ist). In S. 2 sollten nach dem Wort ,,Beratung" die Worte "die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition" eingefügt werden. Zudem sollte ein neuer Satz angefügt werden: "Insbesondere nach der Rede eines Mitglieds der Bundesregierung soll die oppositionelle oder abweichende Meinung zu Wort kommen.", Staatsrecht I, 1035. Die Deutung, daß damit die Verankerung eines "Organteils" gescheitert sei, übernimmt fast wörtlich Bollmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechtes des Bundestages, 1992, 221. 171 Die Opposition sei von einer Verfassungsinstitution zu einem Verfassungsorgan umgeformt worden, so ausdrücklich Plöhn, ZParl 1997,558 ff., 559; Charakteristisch auch Kropp, ZParl 1997, 373 ff., 376, zu den neuen landesverfassungsrechtlichen Formulierungen von ,der Opposition als wesentlichem oder notwendigem Bestandteil': "Damit wird die Opposition in den Rang einer Institution, eines Verfassungsorgans, erhoben." Die unreflektierte Verwendung ist hier besonders auffällig. Das funktionale Oppositionsverständnis klingt nämlich im Ansatz bei Kropp an. Die entscheidende Differenz zum organisatorischen Modell wird aber nicht gesehen.

III. Herrschende Begriftlichkeit: Analyse und Kritik

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Generell formuliert: Wenn mit einer Einstufung bzw. Bezeichnung als Rechtsbegriff besonderer Qualität weitere Rechtsfolgen impliziert sind - also ohne zusätzliche Zuweisung aufgrund einer weiteren Norm, allein durch die Einstufung -, dann hat diese Einstufung gleichsam normsetzende Wirkung; und dann muß sie konsequenterweise gerade auch unter dem Blickwinkel der implizierten Rechtsfolgen und ihrer Systemverträglichkeit analysiert werden. Eine umfassende Analyse und damit ein Beitrag zur Theorie von Organschaft etc. kann hier jedoch nicht geleistet werden. Sie müßte unter anderem klären, • welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine soziale / politische Institution als rechtlich institutionalisiert - als ,rechtliche Institution' - angesehen werden kann, also gleichsam als auf der normativen Ebene abgebildet, nicht nur als diese politisch-soziale Institution in einem rechtlichen Rahmen anerkannt oder in ihn eingeordnet; • welche Kriterien für die Einstufung als "Verfassungsinstitution", welche für die als "Verfassungsorgan" gelten; 173 • in welchem Verhältnis die beiden Kategorien ,Institution' und ,Organ' zueinander stehen, und welcher, gegebenfalls, die parlamentarische Opposition zuzuordnen ist; • welche Bedeutung die Qualifikation der von dieser Institution ausgeübten oder ihr zugewiesenen Funktionen für die Zuordnung hat; ob das Ausüben einer jedenfalls öffentlichen, möglicherweise ,staatlichen Funktion' dazu führt, daß der Ausübende eine Qualität erhält, die nurmehr mit staatsorganisationsrechtlichen Begriffen beschrieben werden kann. 174 Hier soll nur gezeigt werden, welche Begrifflichkeit im Zusammenhang mit den unterschiedlichen ,Oppositionsverständnissen' genutzt wird. Dies erhellt auch das inhaltliche Verständnis der einzelnen Idealtypen. Schließlich soll geklärt werden, welche Begriffe für die Analyse der Oppositionsregelungen von Bedeutung sind.

172 Dtto Mayer stellte die Frage, ob der Staat eine juristische Person sei, sein solle, in: Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht, 1908,56. Vgl. Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, FS f. Hans J. Wolff 1973, 291. Zur entsprechenden Gefahr aBer "organologischen Konstruktionen" vgl. schon Schmidt, Der Staat 1970, 488, im Zusammenhang mit dem Status der Fraktionen. 173 Vgl. dazu etwa die Problematik der rechtlichen SteBung der Parteien und die Debatte darum, s.unten. 174 Vgl. dazu die Überlegungen bei Schütt-Wetschky, Grundtypen, 110 ff., 116-118, ob es zweckmäßig und legitim sei, die "neuen" Funktionen politischen Gruppen zuzuweisen, entgegen der von ihm sog. klassischen Organtheorie, wonach Staatsfunktionen immer Staatsorganen zur Wahrnehmung zugewiesen sein müßten.

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A. Die Grundlagen

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b) Organisation - Staatsorganisation

Während die Ausdriicke ,Organ' und ,Institution' zur Begrifflichkeit des organisatorischen Idealtypus' gehören, war der Ausdruck ,Funktion' dem funktionalen Idealtypus zuzuweisen. Alle drei Ausdrücke werden verständlich im Zusammenhang mit dem Phänomen ,Organisation'. Sie bezeichnen Art und Weise des Vorgangs Organisation und zugleich Instrumente einer Organisation. Für diese Arbeit soll der Ausdruck ,Organisation' entsprechend einer Definition von Böckenförde verwandt werden: ,,Eine Organisation ist immer dann vorhanden, wenn ein bestimmter aufgabenbezogener Wirkzusarnrnenhang von anderen abgegrenzt, als Subjekt seiner Aufgaben und Zuständigkeiten im Verhältnis zu anderen Handlungssubjekten anerkannt (und damit relativ verselbständigt) und als gegliederte, d. h. seinerseits über eigenständige Handlungssubjekte (Funktionseinheiten) verfügende bzw. in ihnen sich darstellende Einheit konstituiert ist. Dies wird maßgeblich bewirkt durch rechtlich-normative Akte und Regelungen [ ... ]".175

Institutionen und Organe können hier als die genannten eigenständigen Handlungssubjekte (Funktionseinheiten) eingeordnet werden. Damit ist der Begriff der Organisation der umfassende. 176 Eine Organisation kann ihrerseits in Organisationen gegliedert sein, bzw. sich aus ihnen zusammensetzen. 177 Für den hier zu untersuchenden Gegenstand der parlamentarischen Opposition ist der Staat, die Staatsorganisation der umfassende Organisations-Raum, die Parlamentsorganisation mit ihrer rechtlichen Ordnung der unmittelbare Rahmen. 178 aa) ,Institution' - ,Verfassungsinstitution ' Der Ausdruck ,Institution' bietet sich für all diejenigen Gruppierungen an, die bestimmte Zwecke verfolgen, auf Dauer angelegt, stabil sind,179 die als Gruppe unterscheidbar von der Summe ihrer Mitglieder auftreten. Er kann synonym mit ,Organisation' verwendet werden oder auch Teile einer Organisation bezeichnen. Böckenförde, FS Wolff, 298. Den Ausdruck Institution verwendet Böckenförde allerdings nicht. Er ist für den von ihm gewählten Gegenstand auch nicht von (analytischer) Bedeutung. 177 Böckenförde, FS Wolff, 299. Zu seiner Abgrenzung des Organbegriffs s.u. In methodischer Hinsicht ist mit Böckenförde davon auszugehen, daß Organisation im Rechtssinne und Organisation im faktischen Sinne nur als zwei Seiten einer, und zwar derselben Sache verstanden werden können. Eine abgelöste rechtstheoretische Konstruktion hingegen wird dem Phänomen Organisation nicht gerecht. 178 Dazu Heinhard Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973. 179 W. Ivor Jennings, Die Theorie der Institution, in: Roman Schnur (Hg.), Institution und Recht, 1968,99 ff., 105. 175

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III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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Als abstrakter rechtstheoretischer Begriff war dieser organisatorische Institutionentyp meines Wissens zunächst nicht angelegt. ,Institution' wurde als juristischer Ausdruck schon in der römischen Rechtssprache verwendet, bezeichnete damals aber, im Gegensatz zum heutigen häufig gegenständlichen Verständnis, den Vorgang der Einsetzung, Einrichtung. 180 In Deutschland wurde der Institutionenbegriff für die Rechtswissenschaften nach Savigny, earl Schmitt - etwa in den sechziger Jahren ,wiederentdeckt'. Anknüpfend an soziologische Forschungen entwickelte sich eine rechtsphilosophische und rechtssoziologische Institutionentheorie, 181 die hier nicht referiert zu werden braucht. Im vorliegenden Zusammenhang ist nur hervorzuheben, daß mehrere Typen von Institutionen unterschieden werden. 182 Unabhängig von der unterschiedlichen Begrifflichkeit findet sich bei allen Autoren eine besondere organisatorische Form der Institution. 183 Sie wird dinghaft gedacht, wird "selbständige Person", die fest organisiert iSt. 184 Dieser Institutionentyp ist im vorliegenden Zusammenhang entscheidend. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ausdruck "verfassungsrechtliche Institution" genutzt, um die besondere Stellung der Parteien nach dem Grundgesetz zu beschreiben. 18s Wer dies zum Ausdruck ,Verfassungs-Institution' verkürzt hat, ist 180 Hasso Hofmann, Artikel Institution, Staatslexikon, Bd. 111, 7.A. 1987, unter 11. Ebenso ders., Zum juristischen Begriff der Institution, in: ders., Recht - Politik - Verfassung, 206 ff., 206. 181 Angestoßen wurde·diese Entwicklung von Maurice Hauriou, dessen Arbeit (Die Theorie der Institution und Gründung, Berlin) in Übersetzung 1965 vorlag. Eine Zusammenstellung wesentlicher Untersuchungen auf diesem Gebiet findet sich bei Roman Schnur (Hg.), Institution und Recht, 1968. Hingegen erscheint die soziologische Institutionenforschung für die vorliegende Arbeit nicht hilfreich; eine Zusammenstellung bietet Helmut Schelsky (Hg.), Zur Theorie der Institution, 2. A. 1973. 182 Vgl. die Übersicht über die Lehre Haurious und Cuches bei A. Desqueyrat, Die Institution. Ihre Natur, ihre Arten, ihre Probleme, in: Schnur, Institution und Recht, 118 ff. 183 Hauriou nennt diesen Typ ,,institutions-personnes", diese ist als stabile Organisation gedacht, im Unterschied zu ,,institutions-choses", Cuche unterscheidet ,,institutions-regles", "institutions-mechanismes" und "institutions-organismes", wobei letztere dem entspreche, was als juristische Person bezeichnet wird. 184 Die Entwicklung von der Leitidee bis zur, möglicherweise körperschaftlichen, Institution beschreibt Schwemmer in seiner Darstellung Haurious als ,,1nteriorisation, Inkorporation, Personifikation"; die letzten beiden Stufen sind die hier interessierenden. Oswald Schwemmer, Artikel Institution, in: Jürgen Mittelstraß (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2 1984. Bei Heinhard Steiger (lnstitutionalisierung der Freiheit? Zur Rechtsprechung des BVerfGs im Bereich der Grundrechte, in: Helmut Schelsky (Hg.), Zur Theorie der Institution, 2. A. 1973, 101 ff., 105) wird die "dinghafte" Kategorie als "Organisationsverhältnis" oder "organisatorisches Statusverhältnis" bezeichnet. 18S Erstmals in BVerfGE 2, I ff., 73: Absatz 1 des Artikels 21 GG erkenne an, "daß die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und hebt sie damit aus dem Bereich des Politisch-Soziologischen in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution." Seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerfGE 73, 40 ff., 85, allerdings zwischendurch

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A. Die Grundlagen

mir nicht bekannt. Die Kurzfonn ,Verfassungs-Institution' ist nach dem Muster von ,Verfassungs-Organ' gebildet. Vorbild dafür wiederum dürfte der Ausdruck ,Staats-Organ' gewesen sein. 186 Beide Kombinationen mit "Verfassungs-" sind strenggenommen sprachlich unkorrekt: Eine Verfassung hat weder Institutionen noch Organe. 187 Gemeint ist eine verfassungsrechtliche Institution, das heißt, eine Institution, die - explizit oder implizit - von Verfassungs wegen existiert oder anerkannt ist. Diese Beschreibung der Parteien als ,verfassungsrechtliche Institutionen' kennzeichnet also zum einen den Aspekt der faßbaren Gliederung, der organisatorischen Fonn der Institution, die, wie auch ein Staatsorgan, gewisse öffentliche Funktionen wahrnimmt, aber eben doch kein Staatsorgan iSt. 188 Zum anderen drückt sie, wie dargelegt, die Tatsache aus, daß diese Institution verfassungsrechtlich vorgesehen ist. Die Bezeichnung der parlamentarischen Opposition als ,Verfassungsinstitution' lehnt sich, so meine Vennutung, an diesen Sprachgebrauch an. Damit ist ein bestimmter Typ von mehreren möglichen Institutionentypen - nämlich der als organisatorisch beschriebene - gemeint. Deshalb sollte deutlicher von organisatorischer Institution gesprochen werden. Mit verfassungsrechtlicher Institutionalisierung ist dementsprechend die verfassungsrechtliche Einrichtung oder Anerkennung einer organisierten Gruppe als Trägerin und Zurechnungspunkt von Aufgaben, Pflichten, mit begrifflichen Unklarheiten: ,Partei als Verfassungsorgan', vgl. unten. Das beschreibt den Prozeß der Abbildung einer politisch-sozialen Institution auf der nonnativen Ebene. 186 Vgl. dazu kurz Klaus Engelmann, Prozeßgrundsätze im Verfassungsprozeßrecht: zugleich ein Beitrag zum materiellen Verständnis des Verfassungsprozeßrechts, Berlin, 1977, 98 (m.w.N) - im Kontext des Status des Bundesverfassungsgerichts: Die Bezeichnung "Verfassungsorgan" umschreibe ,,in etwa das", was früher als "unmitteU;ares Staatsorgan" oder ,,Hauptorgan" benannt worden sei. Die Parteien seien in Abgrenzung von den Staatsorganen als Verfassungsorgane bezeichnet worden, so Grimm, Politische Parteien, in: Benda u. a., Hdb. Verfassungsrecht, § 14, Rn. 27. 187 Hinsichtlich der Bildung "Verfassungsorgan" m.E. zutreffend Hesse, VVDStRL 17 (1959), II ff., 40. Dagegen, ohne Begründung, Engelmann, a. a. 0., 98, Anm. 32: diese Kritik erscheine als zu vordergründig. Im Zusammenhang des Phänomens Organisation wird aber deutlich, warum Hesse recht hat: die Verfassung ist eben keine Organisation in diesem Sinne. Insofern müßte Engelmann, der auf die Parallelität zur Bildung ,Staatsorgan' ja zu Recht hingewiesen hat, seine Kritik näher begründen. 188 Die Unklarheit, wo die Parteien nun einzuordnen seien, zeigt sich etwa in der Aussage in BVerfGE 4, 27 ff., 30, daß die Parteien "Funktionen eines Verfassungsorgans ausüben, wenn [ ... ]". Titel wie ,.parteien als Staatsorgane" (Giese, AöR 1955/6,377, Untertitel: Bemerkungen zum Plenarbeschluß des Bundesverfassungsgerichts v. 20. Juli 1954. ,.Politische Parteien sind Staatsorgane im Sinne des Art. 93 Abs. I Nr. I GG", 279), oder ,,Zur Frage der Anerkennung der politischen Parteien als Staatsorgane" (Hering, Diss. Mainz 1962) weisen auf die Parallelität der Debatte hinsichtlich der Stellung der Parteien hin: ihre auch "staatsorganisatorische" Bedeutung schien eine Einordnung in die vorgegebene Begrifflichkeit zu erfordern. Schnell wurde sie als unpassend empfunden, das BVerfG versucht seit längerem die heute als Überbetonung der Parteienrolle empfundene Rechtsprechung abzumildern. Vgl. Grimm, Politische Parteien, in: Benda u. a., Hdb. Verfassungsrecht, § 14, Rn. 24 ff.

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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Rechten gemeint. Im vorliegenden Zusammenhang geht es anders als bei den Parteien um den Bereich der Staatsorganisation, des Staatsorganisationsrechtes: Daher scheint mir als präzise Bezeichnung ,staatsorganisatorische Institution(alisierung)' geeignet zu sein. Wegen dieses Zusammenhanges wurde und wird in der vorliegenden Arbeit das Verständnis von ,der Opposition' als ,Verfassungsinstitution' in Normtext, Materialien oder Literatur als staatsorganisatorisch-institutionelles Verständnis, bzw. staatsorganisatorisch-institutionelles Regelungsmodell, kurz als ,organisatorisch' bezeichnet. bb) ,Organ' - ,Staatsorgan' - ,Verfassungsorgan' Die ,organologische' Begrifflichkeit ist nicht geeignet, das rechtliche Phänomen Opposition zu erfassen, selbst da, wo dieses in Anlehnung an den organisatorischen Idealtyp positiviert worden ist. Unzweifelhaft ist aber der Idealtyp von der Organ-begrifflichkeit und den dahinterstehenden bildlichen Vorstellungen geprägt. Der Ausdruck ,Organ', aus dem Griechischen übemommen,189 wird in vielen Gebieten verwendet. In der Staatstheorie hat er eine lange und vielfältige Tradition. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch Teile der Literatur gehen großzügig mit der Begrifflichkeit Organ, Organwalter, Organteil etc. um. l90 So wird etwa, methodisch unzulässig, von der Beteiligtenfähigkeit im "Organstreitverfahren" auf die Organqualität zurückgeschlossen. 191 189 ORGANON - das Werkzeug, Instrument. Spätere Bedeutung: Körperteil, daher dann wohl Staatsteil. 190 Die Parteien übten ,,Funktionen von Verfassungsorganen" aus, "wenn sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken", so das Bundesverfassungsgericht, Beschluß des Plenums v. 20. 7. 1954, BVerfGE 4, 27 ff., 30 f. Die Auffassung, daß den Parteien Rechtsschutz in diesem Bereich im Verfahren des Organstreites gewährt werden müsse, hat auch das Plenum dazu gebracht, von "organschaftlicher" Qualität der Parteien bei Wahrnehmung dieser besonderen Funktion im Verfassungsleben zu sprechen, wenn auch in Anführungszeichen. Die Arbeit von Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, kommt ohne Definition des Ausdrucks Verfassungsorgan aus. Schenke sieht etwa das Verhältnis Bundesregierung zur parlamentarischen Opposition "als wichtigsten Anwendungsbereich der Verfassungsorgantreue in der Relation Bundesregierung - Bundestag" an, 96. Das Argument, die parlamentarische Opposition sei kein Verfassungsorgan, weist Schenke als rein formal zurück. Andererseits gesteht er an anderer Stelle durchaus zu, daß die Opposition rechtlich faßbar sei in Gestalt der Fraktionen, 32. Das erleichtert die Feststellung, wer nun Organ ist, nicht; vor allem aber wird fraglich, was eigentlich der Sinn des ,organologischen' Sprachgebrauches ist. 191 So etwa Gerhard Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlichrechtlichen Arbeit, JuS 1994, 129 ff., 130 f. Zu den Parteien auch: JuS 1993,737 ff., 741. Ihm zufolge können im Rahmen eines Organstreits sowohl Abgeordnete als auch Fraktionen ,.Antragsteller kraft eigener OrgansteIlung" sein. Die Parteien hingegen müssen ,,als Verfassungsorgane erscheinen" (Hervorhebung der Verf.), ebenso besonders konstituierte Minderheiten.

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A. Die Grundlagen

Dennoch ist eine Definition des Rechtsbegriffes ,Organ' im modemen Staatsrecht schwer zu finden. 192 Eine grundlegende Begriffsklärung und -bildung hat Hans 1. Wolff vorgenommen, dessen Organdefinition, wie auch die Bestimmung des Zusammenhanges von Organ, Institution und der Organisation Staat (verstanden als juristische Person) im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Vertretung Literatur und Judikatur beeinflußt hat. 193 Wolffs Ausgangspunkt ist der als juristische Person angesehene Staat, das wesentliche Kriterium für die Organdefinition ist die Zurechnung. l94 Rechtsfahigkeit hingegen ist Wolff zu folge grundsätzlich kein Merkmal des Organbegriffes. Teilrechtsfähigkeit sei aber in zweierlei Hinsicht möglich: Zum einen kann Beteiligungsfähigkeit im Verfahren vorgesehen sein. Bei Wolff ist an das verwaltungsgerichtliche Verfahren gedacht, denkbar wäre aber auch die Parteiflihigkeit im Organstreitverfahren. Zum anderen können ,,in Bezug auf die Verfassung der Organisation [ ... ] gewisse Organe sogar insoweit teilrechtsfähig sein, als ihnen Wahrnehmungszuständigkeiten zu eigenem organisatorischem Recht gegenüber anderen Organen derselben Organisation zustehen können.,,19S

Dies erstaunt insbesondere deshalb, weil die Beteiligtenfähigkeit und Antragsberechtigung im Organstreitverfahren explizit auf nicht als Organ angesehene Gruppierungen ausgedehnt ist, und zwar unmittelbar durch das Grundgesetz, vgl. den Wortlaut des Art. 93 Abs. I Nr. 1. Die Bezeichnung Organstreit ist daher verkürzend. Diese Verkürzung wird durch den Rückschluß verfalschend weitertransportiert: So ,,müssen" Parteien, die aufgrund von Art. 21 GG und der Regelung in Art. 93 Abs. I Nr. I recht problemlos als beteiligtenfähig angesehen werden könnten, nach dieser Verkürzung ,,Funktionen von Verfassungsorganen" ausüben, vgl. Anm. oben. 192 Im Hdb. Staatsrecht, Bd. 2, Demokratische Willensbildung - Die Staatsorgane des Bundes, findet sich kein Artikel über den Ausdruck Organ, im Register finden sich die Stichworte ,Staats-, Verfassungsorgan' nicht. Auch in den gängigen Lehrbüchern wird der Begriff nur verwendet, nicht geklärt. Hinsichtlich einer Begriffsklärung führen offensichtlich alle Wege zu Wolff, vgl. etwa bei Tilch, s.v. Organe der B.R.Deutschland. 193 Hans J. Wolff, Organschaft und Juristische Person. Untersuchungen zur Rechtstheorie und zum öffentlichen Recht: Bd. 1: Juristische Person und Staatsperson, 1933; Bd. 2: Theorie der Vertretung, 1934. Hans J. Wolff/Otto Bachof, Verwaltungsrecht 11 (Organisations- und Dienstrecht), 4. A. 1976, insbes. § 74. Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, 146, definiert Organ in Anlehnung an Wolff. Zum Begriff Staatsorgan vgl. a. a. 0., 50: .. [ ... ] innerorganisatorisches eigenständiges institutionelles Subjekt von Zuständigkeiten zur transitorischen Wahrnehmung der Eigenzuständigkeiten des Staates [ ... ]". Modifizierend, aber ebenfalls unter Bezugnahme auf Wolff, Hartrnut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5.A. München, 1986, 411 ff. Analysierend Ernst-Wolfgang Böckenförde, FS Wolff, 269 ff. 194 Vgl. Wolff, Organschaft, Bd. 2, 236 f.: Organ ..ist [ ... ] ein durch die Organisation begründeter Zuständigkeitskomplex. .. Diese Zuständigkeit ist jedoch [ ... ] in erster Linie eine Beziehung bloß organschaftlicher Berechtigungen und Verpflichtungen i.w.S. zur Waltung für einen anderen". Dazu Böckenförde, FS Wolff, 274 ...[ ... ] der Organbegriff bei Wolff [wird] ganz und gar als rechts-theoretischer Zurechnungsbegriff entwickelt, Zurechnungsbegriff bezogen auf die Juristische Person." . 19S Wolff, VerwaItungsrecht 11, 51. Böckenförde hat darauf hingewiesen, daß diese Konstruktion eine Anpassung der letztlich nicht angemessenen Begrifflichkeit ist. Auch Steiger verschiebt den Akzent der Wolffschen Definition, um auf Gegebenheiten des parlamentari-

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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Während Organ und juristische Person Bezeichnungen rechtstheoretischer Konstruktionen sind, scheint der Ausdruck ,Institution' bei Wolff eher das reale Phänomen von Organisation zu bezeichnen; Institution ist ihm der umfassende Begriff. Den Zusammenhang zwischen Institution, Organisation und Organ (und Funktion) stellt er folgendennaßen her: Der Begriff der Institutionen um faßt auch Organisationen, Organe wiederum sind "Wirkeinheiten" , ,,Funktionssubjekte" der letzteren. 196 Folglich sind Organe immer auch "Funktionssubjekte" von Institutionen. Andererseits wird der Begriff Organ auch wieder unter Verwendung des Ausdrucks "institutionell" definiert, vgl. oben, das heißt: Man kann ein Organ auch Institution nennen, nur nicht jede Institution Organ. Übersetzt in den hier interessierenden Bereich ergäbe sich zunächst ungefähr folgendes Modell: Organisationsrahmen ist die Staatsorganisation, ihre Verfassung der staatsorganisationsrechtliche Teil, etwa des Grundgesetzes. Aufgrund staatsorganisationsrechtlicher Regelungen können Organe "teilrechtsfähig" sein, weil etwa der Bundesregierung und dem Bundestag eigenständig wahrzunehmende Befugnisse zugewiesen sind, die sie auch gegeneinander durchsetzen können. Interessanterweise werden aber Teile des Parlaments, die, wie etwa die Fraktionen, eigene Rechte haben, relativ einhellig nicht als Organe angesehen,197 obwohl sie verfestigte Gruppierungen sind und ihnen innerhalb des Organisationsrahmens Befugnisse eingeräumt sind. Als Grund dafür wird angeführt, daß sich unter Zurechnungsgesichtspunkten das erstaunliche Ergebnis ergäbe, daß schon das Mitwirken der Fraktionen an der Willensbildung dem Staat - über die Vennittlung des Parlamentes - zugerechnet werden müßte. Von ihrer Teilrechtsfähigkeit allein kann ohnehin nicht auf die Organqualität ruckgeschlossen werden. Nicht zuletzt dieses Zurechnungsproblem ist, so der Organbegriff überhaupt reflektiert wird, Gegenstand der Kritik. So hat Böckenförde die Kontextabhängigkeit der Wolffschen Theorie- und Begriffsbildung kritisiert. Anlaß dafür waren zum einen Widerspruchlichkeiten innerhalb der Theorie und Begrifflichkeit, zum anderen die Frage der Angemessenheit der Begrifflichkeit für die Wirklichkeit, insbesondere die Wirklichkeit einer demokratischen Verfassungsordnung. 198 sehen Systems zu reagieren. Entitäten, die nur an der Zuständigkeitswahmehmung anderer teilnehmen, seien nur "Organteile", etwa einige Ausschüsse des Bundestages. 196 Verwaltungsrecht 11, 3 ff. Sogar der Terminus "Organ-Institution" findet sich. 197 Vgl. Achterberg, Parlarnentsrecht, 60 m. w. N. Anders Böckenförde, a. 0., 298 mit Anm. 96, aufgrund seiner anderen Organdefinition. "Die Abgrenzung zum Organ ist dadurch gegeben, daß das Organ ein einheitliches Handlungssubjekt darstellt, das nicht mehr in rechtlich relevanter Weise gegliedert ist. Innerhalb des Organs findet allenfalls eines sachlichtechnische, aber keine (organisations )rechtliche Arbeitsteilung statt." 198 Hintergrund dieser knappen Vorgaben sind Fragen wie diejenige nach der Einheit des Staates, der Staatsgewalt; nach der Bedeutung des Dualismus von Staat und Gesellschaft; der Einordnung des Volkes als Staatsorgan etc. Vgl. Böckenförde, a. 0., 275 ff. Er wendet sich vor allem gegen die Qualifizierung des Staates als juristische Person. Interessant ist hier insbesondere ein Beispiel Böckenfördes, der unter Bezugnahme auf Otto Mayer zu zeigen

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A. Die Grundlagen

Dies läßt sich für den Gegenstand ,Parlamentarische Opposition' illustrieren, wenn man versucht, die Opposition als Organ zu verstehen. Benutzte man die vorgestellte Organdefinition für die Opposition, dann müßte auch ihre Mitwirkung an der Willensbildung dem, als eine juristische Person gedachten, Staat zugerechnet werden: also etwa die widersprüchlichen Standpunkte von Opposition und Regierungsmehrheit; die Sachentscheidung der Mehrheit wie die abweichende Meinung der Opposition, da diese ja damit ihre Alternativenfunktion erfüllt, usf. Richtigerweise wird aber eben nur die Entscheidung, nicht die Bestandteile des Willensbildungsprozesses zugerechnet. Die Bezeichnung als ,Organ' muß schließlich nach der Wolffschen Definition nichts über die Rechtsfähigkeit und die konkrete Ausstattung mit Rechten aussagen. Dann ist aber aus der Bezeichnung für den hier interessierenden Bereich nichts zu gewinnen. Jedenfalls solange der Organbegriff so unklar ist, scheint er mir für die Oppositionsanalyse weder nützlich noch erforderlich. Solange er mehr und anderes zu bezeichnen scheint als der Institutionenbegriff, ohne daß gen au geklärt wäre, worin dieses Mehr und Andere besteht, führt seine Verwendung nur zu Begriffsverwirrungen. Für die Analyse der konkreten Nonnen ist er nicht aussagekräftig. cc) ,Funktion' - ,Verfassungsfunktion' In der rechtspolitischen und juristischen Debatte wird der parlamentarischen Opposition - verstanden im organisatorischen Sinne - ein umfassender Katalog von Funktionen zugewiesen. 199 Andererseits wurde wie erwähnt gegen die staatsorganisatorische Institutionalisierung der Opposition die sogenannte ,,klassische Gewaltenteilung" eingewandt, die sich durch eine gerade andere Funktionen- und demfolgend Kompetenzenbestimmung und -verteilung auszeichnet, weshalb eine neue Funktionenverteilung zwischen Opposition und Regierung oder Regierungsmehrheit nicht angemessen sei. Schließlich wird ,Opposition' im funktionalen Sinne hier als zweiter Idealtyp angesehen. ,Funktion' ist deshalb der dritte Ausdruck, der vorweg zu klären ist. ,,Funktion" ist die "ursprüngliche Bezeichnung der einer Person oder Institution zugeordneten öffentlichen Aufgabe, eines Amtes und seiner Verpflichtungen oder Dienstverrichtungen, heute außerhalb der exakten Wissenschaften synonym mit ,Verrichtung' oder ,Tätigkeit' [ ... ],,200

sucht, daß sich das Verständnis des Volkes als Souverän und Träger der Staatsgewalt mit der ihm zugewiesenen Stellung als Staatsorgan nicht verträgt. FS Wolff, 295 f. 199 V gl. etwa die normierten Aufgabenzuweisungen in einigen der Oppositionsregelungen, auffallend Mecklenburg-Vorpommern. Daß die Feststellung, die parlamentarische Opposition nehme öffentliche Funktionen wahr, als Argument für die bessere Ausstattung derselben dient, sei nur am Rande erwähnt. Ebenso erwähnenswert ist die Bedeutung der ,Erkenntnis' der Funktionenverschiebung im Bereich der Kontrolle (als allgemein anerkannter öffentlicher Funktion) vom Parlament auf die Opposition, als Argument für deren verstärkte Beachtung. Vgl. B.IY., VI.

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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Als ,Staats- oder staatliche Funktionen' ist der Ausdruck Teil der Rechtssprache. Die sogenannten klassischen Staatsfunktionen sind eindeutig zu identifizieren, weil - wenigstens in der Bundesrepublik Deutschland - in der Verfassung niedergelegt: Es sind Aufgaben, Verpflichtungen ,des Staates', die durch Organe (Funktionseinheiten des Staates!), Amts-Inhaber erfüllt werden, wie etwa Gesetzgebung oder Regierung. 201 Daneben gibt es aber eine Fülle weiterer Funktionen, die nicht in gleicher Weise benannt und aufgeteilt sind, obwohl sie von großer Bedeutung für die verfassungsrechtliche Ordnung, für das Verfassungssystem sind. Beispielhaft ist etwa die schon genannte politische Willensbildung: Welche Schwierigkeiten die Einordnung dieser Funktion und der an ihrer Ausfüllung Beteiligten verursacht hat, ist am Beispiel der Parteienqualifizierung als Verfassungsinstitution schon angedeutet worden. Sie erfüllen mit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung eine wichtige Funktion für ein demokratisches Regierungssystem, wie das grundgesetzliche es normiert. Diese Funktion ist auch verfassungsrechtlich vorgesehen. Dennoch wird sie - mit gutem Grund - nicht als Staatsfunktion bezeichnet. Entsprechend der Benennung der Parteien als "verfassungsrechtliche Institution" bietet sich nun parallel die Bezeichnung dieser Funktionen als ,verfassungsrechtliche Funktionen' an; damit wird die Bedeutung dieser Funktionen im Verfassungsgefüge anerkannt. 202 Wie in der Einleitung als These vorgestellt, unterscheiden sich die Regelungsmodelle (und Idealtypen) im Hinblick auf die Einordnung der Funktionen entscheidend. Im organisatorischen Modell sind der parlamentarischen Opposition Funktionen zur Erfüllung zugewiesen; sie machen eine Teil ihres Status' aus. In dem funktionalen Regelungsmodell liegt die Bedeutung der Anerkennung der parlamentarischen Opposition gerade in der Anerkennung als Funktion.2°3 Diese Funk200 Christian Thie\, Artikel Funktion, in: Jürgen Mittelstraß (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 11980,691, Sp. 1. 201 Zum Zusammenhang von Gewaltenteilung und Funktionenteilung vg1. etwa Dierk Thümmel, Artikel Gewaltenteilung, Lexikon des Rechts, Bd. I (1993). 202 Das sich möglicherweise anbietende Kürzel ,Verfassungsfunktion' soHte wegen der oben genannten sprachlichen Ungeauigkeit nicht genutzt werden. Diejenigen Funktionen, die verfassungsrechtlich vorgesehen, aber nicht die klassischen Staatsfunktionen sind, kann man mit dem Ausdruck ,verfassungsrechtliche Funktion' Ausübenden zuweisen und ausreichend benennen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit dem Ausdruck ..Institution" für die Parteien wohl versucht, (BVerfGE 2, I ff., 73). Vg1. die Konzeption von Steffani, der die Analyseebene der Verfassungsorgane (im Sinne von Staatsorgan) trennt von derjenigen der Verfassungsinstitutionen; die wird bei ihm von den Parteien her, also aus dem primär politischen Bereich analysiert. Diese Trennung könnte auch für die juristische Analyse hilfreich sein. 203 Vg1. das Ergebnis der Untersuchung von Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung, 181 f., wonach die vom Grundgesetz mitgedachte Opposition als Funktion im Verfassungsprozeß zu verstehen ist.

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A. Die Grundlagen

tion kann aufgespalten werden in unterschiedliche Verhaltensweisen (Funktionenerfüllungen oder Teilfunktionen), die von unterschiedlichen (institutionalisierten) Entitäten wahrgenommen werden. 3. ,Exklusive Oppositionsrechte'

Im Kapitel Forschungsstand, oben 11., ist darauf hingewiesen worden, daß - gewissermaßen als Beweis für die schon existierende Rechtsstellung einer organisatorisch gedachten Opposition - Minderheitenrechte als Oppositionsrechte dargestellt werden. Diese Zuordnung ist rechtsdogmatisch falsch, weil sie das Tatbestandsmerkmal Minderheit verkürzt: Die parlamentarische Opposition kann im Einzelfall diese Minderheit sein, ist aber nicht mit ihr identisch. Vielmehr ist der Ausdruck der ,Minderheit' ad-hoc- oder situationsorientiert, punktuell gedacht, und nicht einer organisatorischen Institution zugeordnet. Eine Fraktion kann ebenso unter den Begriff der Minderheit fallen, wie eine Gruppe von Abgeordneten, die sich situationsorientiert über Fraktionsgrenzen hinweg zusammenfindet. 204 Auch Abgeordnete der Regierungsmehrheit können eine Minderheit in diesem Sinn bilden. Demgegenüber sehen nun einige der hier zu untersuchenden Regelungen Rechtszuweisungen an die Opposition oder oppositionszugehörige Parlamentsteile vor. 205 Für diese möchte ich die Bezeichnung ,exklusive Oppositionsrechte' vorschlagen. Darunter seien Rechte verstanden, für deren Wahrnehmung der Berechtigte das Tatbestandsmerkmal der Oppositionszugehörigkeit erfüllen muß?>6 So wäre etwa der verfassungsrechtlich garantierte Ausstattungsanspruch der Opposition ein ,exklusives Oppositionsrecht' . Auch auf der Ebene der Geschäftsordnungen der Parlamente könnte diese Differenzierung relevant werden. 4. Folgerungen

Den vorgestellten Ausdrücken ,Verfassungsinstitution' und ,Verfassungsorgan' ist ihrer Verwendung zufolge ein wesentlicher Punkt gemeinsam: Sie enthalten die Anerkennung der Rechtsträgereigenschaft der Opposition. Die Opposition hat Auf204 Dasselbe gilt übrigens - vice versa - für die Ausdrücke Parlamentsmehrheit. Abstimmungsmehrheit. Gegen die Identifizierung von Opposition und Minderheit vgl. auch Achterberg, Die Grundsätze der parlamentarischen Verhandlung, DVBI. 1980,512 ff., 520. Vgl. den Ausdruck ,.zufallsgruppierung" im Urteil des SächsVerfGH v. 17.2. 1995, SächsVBI. 1995, 227 ff., 228. 20~ Eine Ausnahme ist insofern der sogenannte Oppositionsbonus, der den oppositionszugehörigen Fraktionen zugewiesen ist und schon länger geregelt ist. Vgl. B.VI. 206 Vgl. den Ausdruck ..Spezifische Oppositionsrechte" in der genannten Entscheidung des SächsVerfGH, a. 0., der wohl dasselbe bedeuten soll.

III. Herrschende Begrifflichkeit: Analyse und Kritik

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gaben, Funktionen und, weil diese als öffentliche Funktionen gedacht sind, folglich auch Rechte und möglicherweise Pflichten. Der Rahmen, der mit den Begriffen ,Institution, Organ, Funktion' gebildet wird, ist Ausdruck für eine verfassungstheoretische Erkenntnis oder für eine entsprechende verfassungspolitische Intention, die folgendes umfaßt: Parlamentarische Opposition ist von Verfassungs wegen anerkannt; sie ist oder soll - vergleichbar den Parteien - mehr als eine ,politische Gruppe' sein; ihre Funktionen haben oder sollen eine besondere Bedeutung für die verfassungsrechtIich vorgesehene Ordnung haben. Für die Analyse der konkreten Regelungen muß eine solche Rechtsträger- oder Aufgabenträgerschaft selbstverständlich benennbar sein, wenn sie positiviert ist. Die Verwendung der Bezeichnung "Verfassungsorgan" für parlamentarische Opposition ist dafür m.E. nicht geeignet, weil sie zumindest mißverständlich ist. Sie ist auch nicht notwendig. Entweder beinhaltet sie eine Qualifizierung, die keinen Aussagegehalt besitzt, weil sie gerade nicht klärt, ob mit der Qualifizierung Rechtsfolgen verbunden sind: Dann aber ist die Bezeichnung überflüssig. Oder die Einordnung ist weder der Sache angemessen, noch verfassungsrechtlich vertretbar. Der Ausdruck ,verfassungsrechtliche Institution' (oder auch die sprachlich ungenaue Kurzfonn ,Verfassungsinstitution') könnte hingegen genutzt werden: Er bezeichnet kurz den Status einer organisatorisch gedachten Opposition, die durch eine Regelung in der Verfassung positiviert worden ist. Folgerungen hinsichtlich der Aufgaben oder der Rechte einer solchen organisatorisch gedachten Institution sind aus der Bezeichnung als solcher aber nicht zu ziehen. Insofern verwischt auch die Benennung ,Verfassungsinstitution' eher die Fragen, als sie deutlich zu machen oder gar zu klären. ,Verfassungsrechtliche Funktion' bezeichnet Funktionen, die im öffentlichen Interesse liegen, insbesondere wegen des Zusammenhangs mit der demokratisch-parlamentarischen Staatsform, und deshalb von der Verfassung vorgesehen sind. Der parallele Sprachgebrauch macht den Qualifikations-Zusammenhang zwischen Funktion und, diese Funktion (jedenfalls auch) ausfüllender Institution deutlich: Beide sind von der Verfassung vo~gesehen. Parlamentarische Opposition ist nach den hier untersuchten Verfassungen und dem GG jedenfalls eine solche ,verfassungsrechtliche Funktion'. Die Frage, inwieweit die nonnative Verankerung als verfassungsrechtliche Institution verfassungssystematisch zulässig ist, wird in Teil B. untersucht.

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A. Die Grundlagen

IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen 1. Einführung

Im folgenden wird die Entstehungsgeschichte der Regelungen in den Landesverfassungen dokumentiert. 207 Diese Dokumentation soll einen Überblick über das jeweilige Verfahren sowie die rechtspolitische und rechtsdogmatische Diskussion während des Normierungsprozesses geben. Als Element der Auslegung der einzelnen verfassungsrechtlichen Fragen werden die Details der Entstehungsgeschichte jeweils bei den in Teil B. untersuchten Einzelfragen eine Rolle spielen. Der Übersichtlichkeit halber erscheint jedoch ein ,vor die Klammer' gezogener Überblick hilfreich. Für die entstehungsgeschichtliche Bearbeitung ist zu bemerken, daß die herangezogenen Materialien, insbesondere die Protokolle der Verfassungsausschüsse und -kommissionen von sehr unterschiedlicher Qualität sind. 208 Insofern können die entstehungsgeschichtlichen Hinweise unvollkommen sein. Die zunächst nur auf besonderen Antrag in den Archiven einsehbaren nicht-öffentlichen Materialien werden zunehmend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 209 a) Die Bedeutung der genetischen oder historischen Auslegung

Angesichts einer häufiger anzutreffenden Skepsis gegenüber entstehungsgeschichtlicher Argumentation, insbesondere angesichts der Einstufung der historischen oder genetischen Auslegung, die gemeinhin als bloß stützendes Auslegungselement bezeichnet wird,210 scheint es angebracht, den methodischen Stellenwert, der der Entstehungsgeschichte und damit auch der genetischen Auslegung hier eingeräumt wird, zu begründen. Die Methodendebatte im einzelnen soll hier nicht aufgegriffen werden. 21l Festzuhalten ist jedoch, daß auch für die herrschende objektive Theorie entstehungsgeEine Zusammenstellung der Regelungen findet sich im Anhang D. 1. So ist nicht immer klar, ob es sich um Wortprotokolle handelt und ob die Diskussionen jeweils vollständig wiedergegeben sind; zum Teil gibt es ausdrückliche Auslassungen. 209 Vgl. die Publikationen rur Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt im Literaturverzeichnis bzw. bei der Zusammenstellung der Materialien, D. 11. 210 Welches keinesfalls entscheidend sein dürfe, so das BVerfG (E 1,299 ff., 312) in einem ersten ,Verdikt': ,,Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt rür deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit der nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt. die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können." Hier findet sich auch die Festlegung auf die sogenannte objektive Auslegungstheorie. Zum Stand der Diskussion vgl. etwa M. Sachs, DVBI. 1984,73 ff.; die Referate von Peter Schneider und Horst Ehmke VVDStRL Heft 20, 1963, I ff. und 53 ff. 211 Eine prägnante Kurzbeschreibung der Vielfalt der Vorschläge hinsichtlich der "Prinzipien der Verfassungsinterpretation" bei Sachs, DVBI. 1984,73 ff., 73 m. w. N. Dokumenta207

208

IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen

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schichtliche Argumente entscheidende Bedeutung bekommen können. 212 Ferner zeigen empirische Untersuchungen der Rechtsprechungspraxis, daß die methodische Einstufung der historischen Auslegung als bloß stützend, subsidiär zu den anderen Auslegungs 'methoden', in praxi unterlaufen wird. Tatsächlich wird die genetische Auslegung erheblich häufiger und vor allem mit weiterreichender Wirkung gebraucht, als das den methodischen Vorgaben zufolge der Fall sein dürfte.2 13 Das gilt insbesondere im Verfassungsrecht. 214 Die hier untersuchten Regelungen sind, mit Ausnahme des Art. 23 a HbgVerf, "zeitlich neue und sachlich neuartige Regelungen".215 Daher haben sich noch keine festen Grundsätze für ihre Auslegung gebildet. Dem Bundesverfassungsgericht rechtfertigt dieser ,Mangel' etwa an erläuternder Rechtsprechung die Heranziehung der Entstehungsgeschichte. In den Verfassungsberatungen der neuen Bundesländer ist zudem die Bedeutung der Entstehungsgeschichte ausdrücklich betont worden. So gibt es sogar eine Art Selbstverpflichtung auf Interpretationshilfen, die während der Verfassungsentstehung als bindend anerkannt wurden?16 Insgesamt kann man festhalten, daß der Entstehungsgeschichte als Auslegungshilfe auch von den am ,Normgebungsprozeß' Beteiligten besondere Bedeutung beigemessen wurde. Dementsprechend nutzen die Landesverfassungsgerichte die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Verfassung für ihre Rechtsprechung. 217 Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt legte die Entstehungsgeschichte der Oppositionsregelung in Sachsen-Anhalt in seiner Entscheidung zur Aberkennung des Oppositionsstatus' ausführlich dar. Es betont, die Entstehungsgeschichte dürfe für Verfassungstexte jedenfalls berücksichtigt werden, wenn sich für die Auslegung einer Verfassungsnorm noch keine festen Grundsätze haben bilden können. 218 tion der Debatte bei Ralf Dreier 1 Friedrich Schwegmann (Hg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, Baden-Baden, 1976. 212 Aufschlußreich hierzu Rahlf, Die Rolle der historischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des BGH, der als ein Problem der Methodendebatte die (unzutreffende) Gleichsetzung von historischer Auslegungsmethode und subjektiver Theorie ausmacht, vgl. etwa S. 30. Dabei ist anerkannt, daß im Rahmen der Ermittlung des Normen-Zwecks historische Argumente durchaus eine Rolle spielen können. Vgl. Hesse, Grundzüge, Rn. 54. Auch für die Ermittlung der Wortbedeutung, also im Rahmen der grammatischen Auslegung bzw. der Begriffsanalyse kann entstehungsgeschichtliche Argumentation von Bedeutung sein. 213 Vgl. für den BGH etwa die genannte Untersuchung von Rahlf. Für die Praxis des Bundesverfassungsgerichtes aufschlußreich M. Sachs, DVBI. 1984, 73 ff.; Hesse, Grundzüge, Rn. 58. 214 Die historische Auslegung habe hier einen ..eher höheren Stellenwert", Sachs, 80. 21S BVerfGE 54,277 ff., 297 f.; ähnlich EI, 117 ff., 127; 62,1 ff.,45. 216 Sachsen: Laut Bericht (Drs. 1/1800, S. 13) sind bestimmte Erklärungen bindend ( ..Der in den Protokollerklärungen enthaltene Wi\le ist aber Bestandteil der Einigung und somit auslegungsrelevant"). 217 Vgl. SächsVerfGH, Urt. v. 26. I. 1996, LKV 1996, 295 ff.; Urt. v. 17. 2. 1995, SächsVBI. 1995, 227 ff.; SachsAnh VerfG, Urt. v. 22. 2. 1996, JZ 1996, 723 ff., 724.

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A. Die Grundlagen

Dies rechtfertigt die Darstellung der Entstehungsgeschichte und ihre Berücksichtigung im Teil B. der vorliegenden Arbeit.

b) Die, Oppositions regelungen '- Ost und West Von den zehn hier untersuchten ,Oppositionsregelungen ' wurde die erste 1971 durch verfassungsänderndes Gesetz in die Verfassung Hamburgs eingeführt.2 19 Ab 1990 (bis 1994) wurde im Zuge der Verfassungsreformen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Berlin220 und Bremen einerseits, im Rahmen der Verfassungsgebungsprozesse in den Neuen Bundesländern andererseits dieser Regelungsansatz aufgenommen. Trotz der unterschiedlichen Ausgangssituationen in Ost und West - hier liegt der Schwerpunkt der Reformdiskussionen deutlich im Staatsorganisationsrecht, beeinflußt von den Parlamentsreformdebatten der letzten zwanzig Jahre, dort im Bereich der Grundrechte und Staatsziele, in staatsorganisatorischer Hinsicht konzentriert auf plebiszitäre Elemente -, ähneln sich die Oppositionsregelungen, zumindest auf den ersten Blick, auffallend. Ursache dafür ist zum einen, daß sowohl im Westen als auch im Osten auf Vorbildregelungen zurückgegriffen wurde. Insbesondere die Hamburger und die Schieswig-Hoisteinische Regelung waren von Bedeutung. 221 Die Regelungen und insbesondere die Arbeiten der Enquetekommission Schleswig-Holsteins wurden als Materialien herangezogen. Zum anderen bestand eine gewisse ,Personalunion': Die Berater und Sachverständigen, die die Verfassungsgebungsprozesse begleitet haben, kommen überwiegend aus den Alten Bundesländern, einige haben auch dort bei den Verfassungsreformen mitgewirkt, und ,repräsentieren' Richtungen der dort geführten wissenschaftlichen Diskussion. 222 Nicht nur dieser Befund widerspricht SachsAnhVerfG 1/96, Urt. v. 29. 5.1997,35 ff. Eine Bestimmung der spezifischen Aufgaben und Pflichten von Regierungs- und Oppositionsparteien fand sich schon in der badischen Verfassung vom 22. Mai 1947; eine Sonderstellung des Oppositionsführers bezüglich der Diäten war ebenfalls 1947 in SchleswigHolstein eingeführt worden. Vgl. Schneider, Die parlamentarische Opposition, 182 ff. 220 Zum Sonderfall Berlin - einerseits Verfassungsrefonn, andererseits Verfassungsentstehung in einem neuen Bundesland - siehe unten. 221 Vgl. Art. 51 Abs. 2 des Entwurfes des Runden TIsches der DDR: "Die Opposition ist ein notwendiger Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Sie steht der Regierungsmehrheit als Alternative gegenüber und hat das Recht auf Chancengleichheit." Vgl. Frankfurter Rundschau, v. 19.4. 1990, S. 10.; Peter Häberle, Der Entwurf der Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" des Runden TIsches, JöR NP. 39 (1990),319 ff.; KJ 1990,226 ff. Zur Geschichte der verschiedenen Entwürfe in der DDR: Erlch Fischer, Verfassungsgeschichte der DDR, KJ 1990,413 ff. 222 So ist etwa Hans-Peter Schneider als Berater in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen tätig gewesen. Erklärte Vorbildfunktion für Mecklenburg-Vorpommern hatte die Verfassung Schleswig-Holsteins, Beratungshilfe für SachsenAnhalt kam aus Niedersachsen, Christian Starck war Berater in beiden Bundesländern und in 218 219

IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen

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der Feststellung einer ,DDR-spezifischen' Motivation für die Oppositionsregelungen. Die Erfahrung der Unterdrückung von Opposition, und zwar jeglicher Opposition durch das Einparteienregime, soll unter anderem Motiv für die Verankerung der Opposition in der Verfassung gewesen sein,z23 Mir scheint allerdings aus den entstehungsgeschichtlichen Hinweisen hervorzugehen, daß die Bewertung als ,DDR-spezifisch', zumindest was den organisatorischen Regelungstyp anbelangt, in dieser Pauschalität nicht zutrifft. Der naheliegende Befund, daß dann insbesondere die die Revolution tragenden Gruppen auf Einführung einer solchen Regelung hätten beharren müssen, ist der Entstehungsgeschichte nicht zu entnehmen. 224 Es finden sich hingegen Äußerungen, die ein deutliches Unbehagen an einer Institutionalisierung der Opposition mit der möglichen Folge der Blockbildung erkennen lassen. 225 Die Anstrengungen der Refonngruppen galten angesichts der viel grundsätzlicheren Einschränkungen jeglicher Oppositionsfreiheit226 insbesondere dem Mecklenburg-Vorpommern. Dort war beratend tätig Albert von Mutius, der auch in Schleswig-Holstein gewirkt hatte. Die Oppositionsregelung in der Thüringer Verfassung ist ebenfalls ausdrücklich an die Vorbildregelung in Schleswig-Holstein angelehnt. Auch der Entwurf des Zentralen Runden Tisches spielte bei den Verfassungs beratungen eine Rolle, etwa in Sachsen und Brandenburg. Unter den westdeutschen Beratern zu diesem Entwurf war neben Schneider auch Helmut Simon, der dann wiederum als Berater in Brandenburg tätig war. Als Beispiel für die ,Repräsentation' wissenschaftlicher Positionen sei neben Hans-Peter Schneider etwa der Politikwissenschaftler Uwe Thaysen genannt. Er war Mitglied der Enquetekommission Schleswig-Holsteins, und wurde unter anderem als Sachverständiger im Rahmen der Gemeinsamen Verfassungskommission auf Bundesebene gehört. 223 Hans-Heinrich Mahnke, Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt: Textausgabe mit Erläuterungen, 1993; Andreas Birkrnann, Verfassung des Freistaats Thüringen mit Erläuterungen und Rechtsprechungshinweisen, 1993, 13: "Aus den leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit mit einer Diktatur ist es zu erklären, daß ein an sich ohne weiteres geltender Grundsatz der parlamentarischen Demokratie in der Landesverfassung ausdrücklich hervorgehoben worden ist." Dieser Topos findet sich auch im Bericht der Gemeinsamen Verfassungskornrnission - also auf Grundgesetzebene - , S. 90: die Befürworter der Verankerung einer Oppositionsregelung im GG berufen sich nicht nur auf die neuen Verfassungen, sondern auch auf die spezifischen DDR-Erfahrungen, die auch für die GG-Reform zu berücksichtigen seien. Vgl. auch die Stellungnahme von Thaysen, der dies anführt, Stenographischer Bericht der 4. Öffentlichen Anhörung ,,Parlamentsrecht", 19. Übernommen bei Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung, 150. 224 In Thüringen etwa hat gerade die Fraktion, die aufgrund ihrer Erfahrungen als Opposition nach diesem Motivtopos eine Oppositionsregelung aufnehmen ..müßte" (NF/GR/DJ), dies nicht getan. Im Unterausschuß Thüringens haben sich neben der Fraktion B '90 I Grüne auch der Vertreter der LL I PDS heftig gegen eine formalisierte Opposition und die damit möglicherweise verbundene Blockbildung gewandt. 225 Einen deutlichen Hinweis auf eine ganz andere Motivlage bietet eine Äußerung eines Abgeordneten der Grünen (nur sinngemäß wiedergegeben, da wörtliches Zitat nicht zulässig ist): Der Wähler wisse nicht, ob er Opposition oder Regierung wähle. Er selbst sei nicht als Oppositioneller in das Parlament gegangen. Das sei er vor '89 gewesen. Er wolle sich da nichts oktroyieren lassen. Prot. d. 12. Sitzg. des Unterausschusses Thüringen, 87. 226 Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, politische Partizipation etc. Vgl. zu religiösen, intellektuellen, politischen Widerstands- und Oppositionsgruppen in der DDR auch Karl Wilhelm Fricke, Opposition und Widerstand in der DDR. Ein politischer Report, Köln 1984.

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A. Die Grundlagen

Versuch, diese allgemeine Oppositionsfreiheit zu sichern: Dementsprechend lag ein Schwerpunkt der Verfassungsdebauen, neben der Einführung plebiszitärer Elemente, im grundrechtlichen Bereich.

2. Die Genese der Regelungen im einzelnen

a) Hamburi 27 Die Regelung in Art. 23 a HbgVerf sei als älteste noch geltende Oppositionsregelung, in die Verfassung eingefügt im Jahre 1971, an erster Stelle angeführt. Der erste Anstoß zu einer Verfassungsänderung ging vom Senat, einer Koalitionsregierung von SPD und FDP, aus. Er beantragte, die Unvereinbarkeit von Senatorenamt und Abgeordnetenmandat, bzw. Deputiertenmandat festzulegen. In diesem Zusammenhang forderte die oppositionelle CDU die Aufwertung des Oppositionsführers 228 sowie eine verbesserte finanzielle Ausstattung. Gleichzeitig wies sie die geforderte Inkompatibilitätsregelung zurück, da dahinter ein veraltetes Verständnis von Gewaltenteilung stehe und sie ,,[ ... ] ein "falsches Parlamentsverständnis" perpetuiere; denn nicht das Parlament als ganzes, sondern lediglich die Opposition sei in einer parlamentarischen Demokratie "politischer Gegenspieler der Regierung" und der "eigentliche Wahrer der Parlamentsrechte". ,,229 Der Formulierungsvorschlag des Abgeordneten Echternach (CDU) lautete folgendermaßen: ,,Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Der Opposition obliegt im besonderen Maße die parlamentarische Kontrolle und öffentliche Kritik des Senats; sie ist die politische Alternative zum Senat. Für diese Aufgaben sind ihr die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Das Nähere regelt ein Gesetz. ..

Gegen diesen Vorschlag wandten die Koalitionsfraktionen ein, daß Kritik am Senat auch ihre Sache sei, politische Übereinstimmung herrsche "nur" hinsichtlich des Regierungsprogrammes. Ferner sei die Kontrolle des Senats Aufgabe der ge227 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Schneider, Die parlamentarische Opposition, 261 ff. Aufgrund der Schwierigkeiten, eine Genehmigung zur Einsichtnahme in die nichtöffentlichen Akten zu erlangen, beschränken sich die Hinweise zur Entstehungsgeschichte auf sekundäre Quellen. 228 In Anlehnung an die damals noch geltende Regelung in Schleswig-Holstein. Diese besondere Entschädigung, die in § 2 11 c des schleswig-holsteinischen Abgeordnetengesetzes enthalten war, wurde erst nach dem Diätenurteil des BVerfG von 1978 beseitigt, vgl. Bericht der Enquetekommission Schleswig-Holstein, Drs. 12/180,34. 229 Niederschrift über die Sitzung vom 26. 10. 1970, 3 f. (Niederschrift Niederschriften des ,.Ausschusses für Verfassung, Geschäftsordnung und WahlpfÜfung" der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg; aus der Zeit v. Sept. 1970 - Feb. 1971), zit. bei Schneider, 262.

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IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen

81

samten Bürgerschaft inklusive der dortigen Mehrheit. Schließlich sei die Opposition nie im Wortsinne ,.Alternative" zum Senat, weil es kein Nachrücken in toto gebe, sondern lediglich die Mehrheit der Bürgerschaft erringbar sei. Und schließlich sei der Oppositionbegriff zu unbestimmt. Nachdem aber eine Einigung erzielt worden war, daß zur Verdeutlichung des ,.richtigen" Parlamentsverständnisses eine Aussage zur Funktion der Opposition in der Verfassung erforderlich sei, wurde nach zähen Verhandlungen der Art. 23 a HbgVerf einstimmig bei zwei Enthaltungen angenommen. Seine Fassung ist als Folge eines Kompromisses zu verstehen. 23o Gut zwanzig Jahre später hat sich die Enquete-Kommission ,.parlamentsreform" auch mit der Verankerung der Opposition in der Hamburger Verfassung auseinandergesetzt. 231 Dabei wurden zwei Punkte zur Ergänzung des Art. 23 a HbgVerf erwogen: zum einen die Einführung des Amtes eines Oppositionsführers, zum anderen die Regelung der Stellung der Oppositionsfraktionen. Beides wurde abgelehnt. Zur Einführung eines Rechts ,der Opposition' auf Chancengleichheit kam es nicht. Nachdem die angestrebte Verfassungsreform in der 14. Wahlperiode nicht zu Ende geführt werden konnte, mußte sie in der 15. Wahlperiode wieder aufgenommen werden. Trotz eines erneuten Antrages in der Bürgerschaft, eine Rechtszuweisung an die Opposition vorzunehmen,232 wurde die Regelung des Art. 23 a HbgVerf nicht verändert. Die Mehrheit des Verfassungsausschusses sprach sich in dem Zwischenbericht vom 12. Juni 1995 gegen eine Ergänzung des Art. 23 a HbgVerf aus. 233 Dementsprechend findet sich bei den Verfassungs änderungen vom 20. 6. 1996 die Oppositionsregelung nicht.

230 So Schneider, der die Verkürzung der Oppositionsaufgaben kritisiert und insbesondere die Widersprüchlichkeit der Konzepte - Inkompatibilität einerseits, "neue Gewaltenteilung" andererseits - auf die taktischen Erwägungen zurückführt, a. a. 0., 266. Die Auswirkungen der Einwände innerhalb der entstehungs geschichtlichen Debatte auf den Wortlaut sind in der Tat eindrücklich. So führte wohl das Argument, Kritik am Senat sei auch Sache der Regierungsfraktionen, politische Übereinstimmung bestehe nur mit dem Regierungsprogramm (so mitgeteilt bei Schneider), zur Fassung in Abs. 2: "Kritik am Regierungsprogramm". Ob die Opposition nun darauf beschränkt sein solle, wurde allerdings nicht geklärt. 231 Bericht der Enquete-Kommission ,.parlamentsreform" vom 20. 10. 1992, Drs. 14/ 2600. 232 Vgl. den Antrag der STATI-Partei-Fraktion vom 28. 6. 1994, Drs. 15/1473,2, wonach als Art. 23 a Abs. 3 einzufügen sei: "Die Oppositionsfraktionen haben Anspruch auf gerechte Chancen in der Bürgerschaft." 233 Drs. 15/3500, S. 7, These 19. Sowohl die SPD-Abgeordneten wie auch die CDU-Abgeordneten sprachen sich gegen eine Ergänzung aus. Die Abgeordneten von GAL und STATI-Partei befurworteten eine Ergänzung.

6 Cancik

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A. Die Grundlagen

b) Schleswig-Holstein 234 ,,Alles in allem kann man daher abschließend feststellen, daß Schleswig-Holstein auf dem besten Weg ist, ein Stück Parlamentsgeschichte zu schreiben und - als Vorbild vielleicht auch für andere Bundesländer - die Rechtsstellung der parlamentarischen Opposition so auszugestalten, daß sie ihre Aufgaben in der Demokratie sachgerecht und wirksam erfüllen kann."

So faßte Schneider seine Ausführungen zum Entwurf der Enquete-Kommission, insbesondere zum ,Oppositionsartikel' 10 zusammen, der im wesentlichen Verfassungsrecht wurde?35 1988 wurde im Zusammenhang mit der sogenannten ,,Barschel-Affare" eine Enquete-Kommission "Verfassungs- und Parlamentsreform" eingesetzt. Der Auftrag der Enquete-Kommission lautete unter anderem: "Unter dem Aspekt einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle der Regierung [zu prüfen die] Verankerung der Rechtsstellung und Funktion der Opposition in der Landessatzung als politische Alternative zur Regierung."

Die Enquete-Kommission schlug folgenden Text für Art. 10 (Opposition und Oppositionsführer) vor?36 ,,( 1) Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Zu ihr gehören alle nicht an der Regierung beteiligten Fraktionen oder Abgeordneten des Landtages.

(2) Die Opposition hat die Aufgabe, Regierungsprogramm und Regierungsentscheidungen zu kritisieren und zu kontrollieren. Sie steht der Regierungsmehrheit als Alternative gegenüber. Insoweit hat sie das Recht auf politische Chancengleichheit. (3) Der Vorsitzende der stärksten nicht an der Regierung beteiligten Fraktion ist der Oppositionsführer. Das Nähere regelt ein Gesetz." 234 SchlHVerf, bekanntgemacht am 13.6. 1990, GVOBI. 1990,391. In Kraft getreten am 1. 8. 1990. 235 PRuPPr § 38, Rn. 63; zum Text des Art. 10 des Vorschlages der Kommission siehe unten. Hinsichtlich der Vorbildwirkung hat sich die Hoffnung Schneiders zumindest teilweise erfüllt, vgl. etwa: a) die im Bericht des sächsischen Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Ausschußentwurf, Anlage zu Drs. 1/1800, 7 berichtete Anlehnung der Stellungnahme der SPD-Fraktion; Äußerung des Abg. Donner in der zweiten Lesung des sächsischen Verfassungsentwurfes, wonach der Bereich Landtag - Landesregierung hinter der diesbezüglich moderneren Verfassung Schieswig-Hoisteins zurückgeblieben sei, Plenarprotokoll 1/46, vom 25. und 26. 5. 1992,3061; b) Hinweise im Verfassungsausschuß Brandenburgs, wie auch in der anschließenden wissenschaftlichen Diskussion, vgl. Franke, in: Stern Bd. III, 29. Schneider war neben Thaysen, v. Mutius und anderen Mitglied der Enquete-Kommission, Drs. 12/180,7. 236 Drs. 12/180; aus dieser wird zitiert, hier: S., 33. Der Bericht liegt auch publiziert vor: Die Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages (Hg.), Schlußbericht der EnqueteKommission Verfassungs- und Parlamentsreform, 1989. Dazu Lippold, DÖV 1989, 663 ff.; Oberreuter, ZParl 1990, 524 ff.

IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen

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Zusätzlich hielt die Kommission angesichts der Funktionenverlagerung zwischen Parlament und Regierung auch die Formulierung der Aufgaben des Landtages, insbesondere die Betonung der Kontrollfunktion, für erforderlich. 237 Die ausdrückliche Erwähnung der Opposition in Art. 8 Abs. 2 S. 2 sollte die Bipolarität des parlamentarischen Regierungssystems zum Ausdruck bringen. 238 Ausgangspunkt der Kommission war die Annahme, daß die Opposition als systemnotwendiger Bestandteil des demokratischen Verfassungsstaates anzusehen sei. Entscheidendes Merkmal der Definition der Opposition sei die Nichtbeteiligung an der Regierung. Dabei sollte das Kriterium der Nichtbeteiligung diejenigen Fraktionen in die Regierungsmehrheit verweisen, die zwar nicht durch ein Ministeramt in der Regierung vertreten sind, diese aber dulden. 239 Für die Aufgabenbeschreibung wurde an die schon erwähnte Funktionentrias angeknüpft. Die Alternativenfunktion sollte sachliche und personelle Alternativen umfassen. Aus dieser Funktion und aus dem Anspruch, selbst Regierungsmehrheit zu werden, leite sich auch das Recht auf politische Chancengleichheit ab. Dabei sei letztere "als die Chance der Opposition zu verstehen, selbst Mehrheit zu werden und die Staatsleitung zu übernehmen.,,24o Der in Absatz 3 genannte Oppositionsführer sollte als personelle Alternative zum Ministerpräsidenten, wegen seiner besonderen parlamentarischen Funktion verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für besondere Rechte sein. Diese sollten in einem einfachen Gesetz geregelt werden. In der folgenden Plenardiskussion wurden die hier vorgestellten Vorschläge im wesentlichen zustimmend aufgenommen. Während der Beratungen im Sonderausschuß Verfassungs- und Parlamentsreform, an welchen der Schlußbericht überwiesen worden war, wurde die Oppositionsregelung heftiger debattiert. 241 Sowohl die Frage der Definition als auch die 237 ,,Art. 8 (Funktion und Zusammensetzung des Landtages, Regierungsmehrheit und Opposition) (1) Der Landtag ist oberstes Organ der politischen Willensbildung. Er wählt den Ministerpräsidenten, unterstützt und kontrolliert die Landesregierung. Er hat die Aufgabe der Gesetzgebung, der Behandlung und Darstellung öffentlicher Angelegenheiten. (2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig vom Volke gewählten Abgeordneten. Er umfaßt die Regierungsmehrheit und die parlamentarische Opposition." 238 Umso erwähnenswerter erscheint es, daß die Kontrollfunktion dennoch ausdrücklich beim Parlament angesiedelt ist, ein Monopol der Opposition diesbezüglich also ausdrücklich abgelehnt wurde. Zum bipolaren Modell Schneiders vgl. oben 11. 239 S. 33, 34. Die dahinter stehende Vorstellung, daß die Regierung duldende Fraktionen und Abgeordnete nicht zur Opposition zählen, ist umstritten. Vgl. BoI. 240 S. 35. Dieses Recht bedarf nach Auffassung der Kommission der Ausformung im Geschäftsordnungs- und Gesetzesrecht. 241 Die folgenden Informationen sind Auszügen aus den Protokollen des Sonderausschusses für Verfassungs- und Parlamentsreform (SoAVP) entnommen, die mir vom SchleswigHolsteinischen Landtag überlassen wurden, rur dessen freundliche Unterstützung ich mich

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A. Die Grundlagen

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Aufgabenzuweisung sowie das Problem der Vereinheitlichung von Opposition und das Recht auf Chancengleichheit wurden diskutiert. Bezüglich der Oppositionsführerregelung gab es nur Kritik am Gesetzesvorbehalt, der nicht erforderlich sei. Die Beratungen im Plenum enthalten keine weiteren Hinweise.

c) Berlin Berlin böte sich als Überleitung zu den Verfassungen der neuen Bundesländer an, war hier doch - zumindest zunächst - eine Kombination aus Verfassungsrefonn (West) und Verfassungsgebung (Ost) zu beobachten. Das schließlich durchgesetzte Verfahren der Ausdehnung der Verfassung Berlins (West) mit geringfügigen Änderungen, sowie Einsetzung einer Enquete-Kommission, die über weitreichendere Änderungen beraten sollte, hat diese besondere ,Kombination' jedoch beendet. Eine der 1990 vorgenommenen Änderungen war Art. 25 Abs. 3, die ,Oppositionsregelung', in der neuen Verfassung von Berlin dann Art. 38 Abs. 3?42 Die besondere Situation Berlins im Jahre 1990 erfordert eine Vorbemerkung. Die Ausgangslage für die Verfassungsgebung in Berlin war grob skizziert folgendennaßen: Es bestanden zwei Regierungen und zwei ,Parlamente'. Die Stadtverordnetenversammlung (SVV) im Ostteil: Ihr gehörte der Auschuß ,,Einheit Berlins" (Verfassung und Geschäftsordnung), im folgenden Einheitsausschuß, an. 243 Aus diesem wurde später eine kleinere Arbeitsgruppe "Verfassung" rekrutiert, im folgenden AG Verfassung (Ost). Im Westteil setzte das Abgeordnetenhaus den "Ausschuß für die Vorbereitung der Einheit Berlins" (Vorbereitungs-Ausschuß) ein. 244 Dieser hatte ebenfalls eine Arbeitsgruppe Verfassung, die sogenannte FKK-Gruppe?45 Erst später tagten auch beide Ausschüsse gemeinsam, in den sogenannten "Gemeinsamen Sitzungen". Infolgedessen gab es zunächst zwei Entstehungs,stränge', vor allem solange man in Ost-Berlin noch davon ausging, daß man eine - wenn auch nur vorläufige - eigene Landesverfassung haben würde. 246

bedanke. Da mir Auszüge vorlagen, zitiere ich jeweils die abgedruckte Kennzeichnung, Bsp.: SoAVP 2/6 und in Klammem die aufgestempelte fortlaufende Seitennumerierung. 242 Verfassung von 1950, mit Änderungen durch Gesetz vom 5. 10. 1990, GVBI., 2136, später auf Gesamtberlin erstreckt. Später wurde diese Verfassung abgelöst durch die Verfassung von Berlin vom 23. 11. 1995, GVBI. für Berlin vom 28. 11. 1995, 779 ff. 243 Auf Antrag v. 28. 5.1990 der Fraktionen SPD, CDU/DA, Drs. 112 eingesetzt. = Die Verhandlungen der Einheitsausschüsse der Berliner Parlamente, 3 Bde., hrsg. von der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, 1991,70; zit.: Verhandlungen; Zitiert werden die unten aufgestempelten durchgehenden Seitenzahlen. 244 Drs. 11 1801 (Ifd. Nr. 19 B) Verhandlungen, 68 f. 245 Bestehend aus den Herren Finkeinburg, Körting und Frau Künast.

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IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen

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Der Oppositionsartikel im Verfassungsentwurf Ost, Art. 25 Abs. 2, lautete: ,,Die Opposition ist notwendiger Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Sie steht der Regierungsmehrheit als Alternative gegenüber und hat das Recht auf [handschriftlich eingefügt: .. politische ", Fragezeichen am Rand] Chancengleichheit. ,,247

Diese Formulierung wurde im folgenden nicht mehr verändert, aus Artikel 25 Abs. 2 wurde 26 Abs. 2. Im Entwurf West sollte der Artikel 25 der BeriVerf um folgenden Absatz 3 ergänzt werden: 248 ,,Die Opposition ist notwendiger Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Sie steht der Regierungsmehrheit als Alternative gegenüber und [von .. steht" bis .. gegenüber und" handschriftlich durchgestrichen] hat das Recht auf politische Chancengleichheit.,,249

Dieser Text wurde von der AG Verfassung (West) als Antragsentwurf einzelner Abgeordneter betreffend das 22. Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin erst in den Vorbereitungsausschuß (Sitzung am 13. 7. 1990, s.v.) eingebracht, dann als Antrag ins Plenum des Abgeordnetenhauses (West). Dort wurde er, ohne Debatte zur Oppositionsregelung, am 30. 8. 1990 verabschiedet. 250

246 Auf die schwierigen und von einigen Irritationen begleiteten Verhandlungen zwischen den AGen Ost und West kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Vgl. dazu die Ausführungen in: Verhandlungen. 247 Zwischenentwurf der SPD-Ost vom 15. 5. 1990 (basierend auf der Verfassung Berlins von 1948, wie Entwurf West, daher die Ähnlichkeiten), in: Verhandlungen, Anhang, 2162. Im modifizierten Verfassungsentwurf der AG Verfassung Ost von Mitte Juni 1990 wird die Formulierung mit der Einfügung (politische) übernommen, 2203 ff. Bezüglich einer inhaltlichen Debatte dieser Vorschrift ist dem Anhang nichts zu entnehmen, 2216. Die Formulierung dürfte an die Regelung des RT-Entwurfes angelehnt worden sein. 248 So der Entwurf von Erhart Körting (SPD), der als Grundlage für die Diskussion in AG Verf. (=FKK-Gruppe) diente. Mit handschriftlichen Einbesserungen aus der Redaktionssitzung von Dr.es Finkeinburg, Körting am 9. 7.1990, Verhandlungen, 608 ff. (= Änderungsvorschläge zur Verf. von Berlin vom 1. 9. 1950 mit letzter Änderung vom 17. 12. 1988/GVBI. 2324; die I 950er-Verfassung beruht wiederum auf der Grundlage der 48er-Verfassung). 249 In seinem Bericht dazu weist Körting ausdrücklich auf die Vorbildregelung der Enquetekommission Schleswig-Holsteins hin. Zudem werde der Wortlaut des Ost-Entwurfes übernommen. Verhandlungen, 724 f. Das ist zumindest mißverständlich. In den Entwürfen der Ost-Berliner Verfassung, die mir vorlagen, war formuliert, daß die Opposition als ,,Alternative der Regierungsmehrheit gegenübersteht". Dieser Satzteil war nun aber im Körting-Entwurf auf der Redaktionssitzung gestrichen worden, s.o. In der Debatte im Vorbereitungsausschuß vom 13. 7. 1990 war das auch Anlaß für die Abgeordnete Künast, nachzufragen, wo dieser Topos geblieben sei. Dazu der Abg. Dr. Finkeinburg (CDU): "Frau Künast, aus rein sprachlichen Gründen - nicht Ihnen gegenüber 'als Affront, sondern weil das Wort "alternativ" einfach nicht die Sprache einer Verfassung ist. Zum anderen steckt das inhaltlich in unserer Formulierung mit drin. Wir hielten es inhaltlich nicht für notwendig.", a. a. 0., 738. Daraufhin wurde für Artikel 25 Abs. 3 Konsens festgestellt. 250 Gesetzestext: Drs. 1l/1006. Vgl. Verhandlungen, S. 31 f. Verabschiedung in der zweiten Lesung, PI.Prot. 11/39, 1965 (B) ff.

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A. Die Grundlagen

Als Gesamtberliner Verfassung wurde die derart geänderte Verfassung durch einen Beschluß am 11. 1. 1991 (in der ersten Sitzung des neugewählten - nun Gesamtberliner - Abgeordnetenhauses, mit einfacher Mehrheit) auf Gesamt-Berlin erstreckt. Einige Zeit später wurde die Einsetzung einer Enquetekommission Verfassungsund Parlamentsrefonn beschlossen. 251 In ihrem Schlußbericht vom 18. 5. 1994 wurde der Oppositionsartikel 25 Abs. 3 BerlVerf selbst nicht mehr erwähnt. 252 Hingegen schlug die Kommission einige exklusive Oppositionsregelungen vor,253 von denen nur der Vorschlag zum damaligen Art. 34 Abs. 4 als Art. 49 Abs. 4 positiviert wurde. Er lautet: ,Jn den Fällen der Absätze 2 und 3 [nach einer Rede eines Senatsmitgliedes oder des Regierenden Bürgermeisters oder seines Vertreters] hat die Opposition das Recht der ersten Erwiderung. ,,254

Am 8. 6. 1995 hat das Abgeordnetenhaus von Berlin die überarbeitete Verfassung beschlossen. Die Bevölkerung Berlins stimmte ihr in einem Volksentscheid am 22. 10. 1995 zu. d) Niedersachsen Im Rahmen der Umgestaltung der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung in eine endgültige Verfassung wurde eine Regelung über Fraktionen und Opposition in Art. 19 aufgenommen. 255 Im Oktober 1990 wurde die Einsetzung eines Sonderausschusses ,,Niedersächsische Verfassung" beschlossen, der Vorschläge für eine endgültige Verfassung erarbeiten sollte. Wahrend der dort durchgeführten Anhörungen gab es auch AnregunSitzung v. 26.9. 1991, Plenarprot. 12/14 (= Verhandlungen, S. 2247). Die Enquete-Kommission hat einen Zwischen- und einen Schlußbericht vorgelegt. I. Bericht (Zwischenbericht) der Enquete-Kommission "Verfassungs- und Parlamentsreform", Drs. 1212733; 2. Bericht (Schlußbericht), Drs. 12/4376. Dieser wird zitiert: S. 253 Zur Begrifflichkeit vgl. A. III. 3. Vorgeschlagen wurde, neben dem Recht der ersten Erwiderung (oben im Text), folgendes: (I) Im Zusammenhang mit der Geschäftsordnung enthält Art. 28 Abs. I S. 2 zur Redeordnung die Regelung, daß Mitglieder der Opposition gegenüber den Senatsfraktionen und dem Senat nicht benachteiligt werden dürfen. (S., 11). (2) Vorsitzende/r eines Untersuchungsausschusses ist, wenn dieser von der Opposition beantragt wurde, gemäß Art. 33 Abs. 1 S. 3 ein Mitglied aus einer Oppositionsfraktion. (S., 13). Einige der Vorschläge der Kommission wurden dann in einem Sammelantrag als Verfassungsänderungsgesetz eingebracht: Antrag über Achtundzwanzigstes Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin, Drs. 12/4874, vom 13. 9. 1994. 2S4 Vgl. dazu B.1I.3. 25' Text der neuen Verfassung in: Niedersächsisches GVBI. vom 26.5. 1993, 107 ff. In Kraft seit 1. Juni 1993, chronologisch in der Reihe der hier untersuchten Verfassungen an achter SteHe. 251

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IV. Die Entstehung der Regelungen in den Landesverfassungen

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gen zu einer Oppositionsregelung, die im wesentlichen darin übereinstimmten, daß eine Oppositionsregelung in die Verfassung gehöre, hinsichtlich der Formulierung aber unterschiedlich akzentuiert waren. 256 Regelungsvorschläge zur Opposition fanden sich auch in den drei Entwürfen der Fraktionen. Dabei hieß es gleichlautend im Entwurf der Fraktionen der SPD und der Grünen,257 wie im Entwurf der Fraktion der FDP: 258 ,,( I) Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. (2) Die Opposition hat das Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit und Anspruch auf eine zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben erforderliche Ausstattung. Das Nähere regelt ein Gesetz."

Im Entwurf der CDU wurde die Formulierung vorgeschlagen, die schließlich mit kleinen sprachlichen Änderungen in die Verfassung aufgenommen wurde?59 Interessanterweise wird der Ausdruck ,Opposition' nicht verwendet. In der Sitzung des Sonderausschusses am 22. 6. 1992 bestand zwar Einigkeit, daß eine Oppositionsregelung in die Verfassung aufgenommen werden solle. Unklar war aber, weIche der Formulierungen vorzuziehen sei. Sowohl die Formulierung des CDU-Entwurfes, die damit eine umfassendere Definition von Opposition versuchte,260 als auch die Formulierung von der Opposition als wesentlichem Bestandteil wurden kritisiert?61 In der Sitzung am 29. 10. 1992 beschloß der SoA dann einvernehmlich die Übernahme des Artikels 7/1 des CDU-Entwurfes. Hinsichtlich der Übernahme von Satz 1 der anderen Entwürfe