Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO) [1 ed.] 9783428505029, 9783428105021

Seit der WTO-Ministerkonferenz von Seattle 1999 ist die demokratische Legitimation des WTO-Rechts Gegenstand politischer

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German Pages 298 Year 2001

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Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO) [1 ed.]
 9783428505029, 9783428105021

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MARKUS KRAJEWSKI

Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO)

Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht Herausgegeben von Thomas Bruha, Meinhard Hilf, Hans Peter lpsen t, Rainer Lagoni, Gert Nicolaysen, Stefan Oeter

Band 31

Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO)

Von

Markus Krajewski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Krajewski, Markus:

Verfassungsperspektiven und Legitimation des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO) I Markus Krajewski. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Hamburger Studien zum europäischen und internationalen Recht; Bd. 31) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10502-8

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-2435 ISBN 3-428-10502-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Spätestens seit der WTO-Ministerkonferenz von Seattle im Dezember 1999 und den sie begleitenden Demonstrationen haben die Diskussionen über die Legitimation des Rechts d.e r WTO den akademischen Raum verlassen und werden auch in der politischen Öffentlichkeit geführt. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht stellte sich die Legitimationsfrage schon vorher. Sie war und ist vor allem dann von Bedeutung, wenn das GATI/WTO-Recht mit verfassungsrechtlichen Kategorien erfaßt und bewertet wird, denn die Legitimation des Rechts ist zentrales Element jeder Verfassungsordnung. Die vorliegende Arbeit möchte vor diesem Hintergrund einerseits einen kritischen Beitrag zu den rechtswissenschaftliehen Diskussionen über die "Konstitutionalisierung" internationaler Rechtsordnungen am Beispiel der WTO bieten und andererseits einige grundsätzliche Anregungen zur durch die "aufgesetzte Fröhlichkeit neoliberaler Politik" (Habermas) dominierten politischen Debatte über die WTO beisteuern. Die Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Harnburg im Sommersemester 2000 als Dissertation angenommen. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei den Menschen bedanken, ohne deren Hilfe diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Mein Doktorvater, Prof. Dr. Helmut Rittstieg, hat mich durch Rat und Tat unterstützt und die Arbeit durch Anregungen und kritisches Nachfragen sehr gefördert. Dem Zweitgutachten von Prof. Dr. Meinhard Hilf habe ich hilfreiche und klärende Hinweise entnommen, die ich in der Druckfassung berücksichtigen konnte. Das Auswärtige Amt gewährte mir einen großzügigen Zu schuß zu den Druckkosten und die Universität Harnburg zu einer Forschungsreise an den Sitz der WTO in Genf. Prof. Dr. Thomas Bruha bot mir im Rahmen meiner Arbeit als sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Anreiz und Möglichkeit, mich mit europäischen und internationalen "Verfassungsfragen" zu befassen und gestattete mir so, wissenschaftliche Mitarbeit und Arbeit an der Dissertation sinnvoll zu verknüpfen. Unterstützung erfuhr ich auch durch die fruchtbare akademische Umgebung und die freundliche Atmosphäre unter den Kolleginnen und Kollegen am Institut für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg. Wertvolle Erkenntnisse über die WTO-Praxis erhielt ich von meinen Interviewund Gesprächspartnern in Bonn, Genf und Seattle: Peter Witt und Ulrich Schirmer aus dem Bundeswirtschaftsministerium, William J. Davey, Patrick Low, Frank Wolter, Rudolf Adlung, Doaa Abdel Motaal und Ludger Schuknecht vom WTO-Sekretariat, Botschafter Ali Mchumo (Tansania), die Delegationsmitglieder Joachim

6

Vorwort

Wülbers (Deutschland), Juan Victor Monfort (Europäische Kommission), Juan A. Marchetti (Argentinien) und Amr Ramadan (Ägypten), ferner John Abu, Handelsminister von Ghana, Mai:gari Bello Bouba, Handelsminister von Kamerun, Mare Rugenara, Handelsminister von Ruanda und Alhassane Ag Hamed Moussa, Nationaler Handelsdirektor von Mali. In Genf konnte ich auch ein erhellendes Gespräch mit Prof. Dr. Emst-Ulrich Petersmann über die Theorie der Verfassungsfunktionen des GATI/WTO-Rechts führen. In den freundschaftlichen Diskussionen mit den Mitgliedern der AG Handel des Forums Umwelt und Entwicklung, eines Zusammenschlusses deutscher Nichtregierungsorganisationen, vor allem mit Peter Fuchs, Martina Schaub, Jürgen Knirsch, Peter Wahl und Michael Windfuhr, konnte ich manche Argumente dieser Arbeit testen. Beim Verständnis der Konstitutionenökonomie erfuhr ich kollegiale Hilfe von Stefanie Schmid, Institut für Recht und Ökonomik der Universität Hamburg. Mein größter Dank gilt denjenigen Menschen, die mich während der Zeit an dieser Arbeit begleitet haben und die mir persönlich nahe und wichtig waren; am meisten Sandra Birte Carlson. Ihr und meinen Eltern ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Januar 2001

Markus Krajewski

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. . .. . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . I. Ausgangsüberlegungen . ... .. . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . . .. . . . . .. . . . .. . .. . .. .. II. Verfassungsperspektiven und Legitimation des GATI/WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . III. Untersuchungsmethode und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 18 19

Kapitell

Rechtsordnung und Entscheidungstindung der Welthandelsorganisation I. Die Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung von GAlT und WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das WTO-Recht als Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die formellen Elemente der Rechtsordnung der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur, Aufgaben und Struktur der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Änderung und Durchsetzung des WTO-Rechts .... .. .... .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. c) Verhältnis der WTO zu anderen internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . 4. Die materiellen Elemente der Rechtsordnung der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Abkommen über den Warenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das GATS und das TRIPS-Abkommen...... . . . ... . . . ................. .. . . . .. c) Materielle Strukturelemente der Rechtsordnung der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dynamische Entwicklung der Rechtsordnung der WTO . . ..... .. . . ........ .. . .... a) Neue Themen in der WTO-Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Implementierung, die "built-in agenda" und zukünftige Verhandlungen . . . . . c) Das Ziel der Entwicklung: Integration oder Kooperation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Integration im engeren und weiteren Sinne . .. .. .. . .. .. .. . .. . .. .. .. .. . .. (2) Die WTO-Ordnung als Kooperationsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsordnung der WTO und innerstaatliche Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen .. . .. . . . . .. . .. . .. . .. .. . . .. . . . .. . .. . .. .. . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . b) Eignung des WTO-Rechts für die unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . c) Intention der Vertragsparteien .. .. . .. . . . .. . . . .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. . . .. .. (1) Verhandlungsgrundsatz, Reziprozität und Schutzklauseln . . . . . . . . . . . . . . (2) Verrechtlichung oder Flexibilität des Streitschlichtungsverfahrens? . . . (3) Ungeregeltes Verhältnis von WTO-Streitschlichtung und innerstaatlicher Rechtsanwendung . . . . .. . .. .. . .. . . . .. . . . . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . . . . . . . . d) Intention der innerstaatlichen Normgeber .. . .. . .. .. .. .. . . . . .. .. .. .. . . . .. .. . . . 2. Rang des WTO-Rechts im innerstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 22 22 24 26 27 30 36 38 38 42 44 45 45 47 49 49 51 53 53 53 56 57 58 60 63 68 70

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Inhaltsverzeichnis

III. Entscheidungstindung in der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsarten . . .. . .. . . . . . . . . . . .. .. . . . . . .. .. . .. . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 2. Phasen des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsens und Informalität als besondere Strukturelemente des Entscheidungsprozesses.. ......... ........ .. . ... . ..... . ...... ..... .. . ... . . . .. . .. . ... ..... ...... ... .... a) Die Bedeutung des Konsenses für den Entscheidungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkreter Verlauf einer Konsensentscheidung in der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung des Konsensverfahrens ........... ... ..... . ........... . .. . .. ... ·. . . . d) Informalität und Intransparenz der Entscheidungstindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Akteure der Entscheidungstindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Delegationen der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nationale Bürokratien und Ministerien .. ... .. .. .. .. . .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . (1) Entscheidungsstrukturen in der US-Administration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entscheidungsstrukturen in der Europäischen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . (3) Gemeinsame Elemente der Entscheidungstindung in nationalen Bürokratien............ . .... . .................... .... ................. . . ... . ... c) Parlamente ... .................... .. . . ............ . . . ...... . . . ........... ... . . . . (1) Der US Kongreß . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . .. . .. ... . . . . . . . .. . . . . . . ... . . . .. . . . . . (2) Das Europäische Parlament .. . . . . . .. .. . .. . .. .. . . . . . .. .. . .. . . . . .. . .. . .. . . (3) Grundstrukturen parlamentarischer Beteiligung in anderen Staaten... . d) Das GATI/WTO-Sekretariat.... .... .. .. .. .. .... .. .... .. ... ...... .... .. .. .. .. . e) Private Akteure . . .. .. . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . .. . . . . . ( 1) Beteiligung privater Akteure auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beteiligung privater Akteure auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beispiele für den Einfluß privater Unternehmen auf die Entscheidungsfindung: TRIPS und Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zusammenfassung . .. .. .. .. .. .. .... .. .. . .. .. .. .. .. . .... .. .. . .. . .. .. .. .. .. 5. Die Entscheidungstindung in den Streitbeilegungsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . .. . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . .. . .. . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . .. . . .. ..

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Kapite/2

Verfassungsperspektiven des GATT/WTO-Rechts I. Verfassungsbegriffe und Verfassungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verfassungsbegriff im Staatsrecht und seine historische Entwicklung . . . . . . . 2. Verfassungen internationaler Rechtsordnungen und Europäische Verfassung . . . . 3. Wirtschaftsverfassung . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . .. . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . .. . . . . .. . . 4. Legitimation und Herrschaftsbegrenzung als allgemeine Verfassungsfunktionen II. Ökonomische Grundlagen der Verfassungsperspektiven . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 1. Ausgangsproblem: Eine ökonomisch ineffiziente Außenwirtschaftspolitik . . . . . . a) Wohlstandssteigerung durch Außenhandel .. . . . .. . .. . .. . . . . .. . .. . . . .. . .. . . . . . b) Protektionismus als ,,Politikversagen"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärung von Protektionismus mit der Theorie der public choice . . . . . . . . . . . . . . . a) Der "politische Markt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neigung zu Protektionismus ("protectionist bias") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Würdigung . . .. . .. . . .. .. . . . .. . . .. . . . .. . . . . .. . .. . . . . .. .. . . . . .. . ... . . . .

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Inhaltsverzeichnis 3. Reduzierung von Protektionismus mit Hilfe von "Verfassungsregeln" . . . . . . . . . . . a) Verfassungsregeln als Schranke willkürlicher Politik: Buchanan und von Hayek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konstitutionelle Ökonomie des GATT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Würdigung . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ökonomische Theorien als Grundlagen einer Verfassungstheorie? . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsfunktionen des GATI/WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Protektionismus als Verfassungsproblem . ........ . . . . . . . . ....... . . .. ...... . ....... a) Eingriffe in individuelle Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Funktion und Bedeutung individueller Freiheitsrechte für die Theorie der Verfassungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhalt und Schranken eines Individualrechts auf Außenhandelsfreiheit (3) Intensität der Eingriffe in die Außenhandelsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verhältnismäßigkeit der Eingriffe in die Außenhandelsfreiheit.. . ... .. . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Demokratieprinzip . . .. . . . . . . . .. . ... . . . .. . .. .. . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mangelnde gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gerichtliche Kontrolle der Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gerichtliche Kontrolle außenpolitischer Entscheidungen..... . . . . . .. ... d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das GATI/WTO-Recht als "völkerrechtliche Nebenverfassung" . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung und Inhalt der Verfassungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsfunktionen einzelner Grundsätze des GATI/WTO-Rechts . . . . . . (1) Nicht-Diskriminierung und Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Transparenz und Demokratie . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Rechtsbindung (rule oflaw) . . . . .. . ..... . . . . . .. .. . . . . .... . . . ...... . . . . .. . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung und Konsequenzen einer funktionalen Verfassungsperspektive . . d) Unmittelbare Anwendbarkeit des GATT/WTO-Rechts als konstitutionelles Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesamtwürdigung der Theorie der Verfassungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Individualrechtsschutz als konstitutionelle Verschränkung nationaler und internationaler Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selektive Wahrnehmung von Individualrechten . . . ....... . . . . . .. ... . . . . . .. ... c) Internationale Entscheidungstindung und die Legitimation konstitutioneller Funktionen des GATI/WTO-Rechts ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . IV. Die Rechtsordnung der WTO als Weltwirtschaftsverfassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die WTO als idealtypische Ordnungsform der internationalen Wirtschaftsverfassung .... . .. . ... ........ . ...................... . ..... . ... . . . ..... . . ... ........ . . . . . .. 2. Die WTO als marktwirtschaftliche Verfassung des Welthandels . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die WTO als Teilordnung der Verfassung der internationalen Gemeinschaft . .. .

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Inhaltsverzeichnis

Kapite/3

Legitimation der WTO-Rechtssetzung als Verfassungsproblem I. Legitimationsformen und -grundsätze. ................ . .. ... . ................... . ... . II. Demokratische Legitimation internationaler Rechtssetzung durch nationale Organe 1. Das traditionelle Modell der Legitimation internationaler Rechtssetzung . . . . . . . . a) Zusammenhang von Nation und Demokratie als Grundlage des Modells . . . . b) Legitimation durch die parlamentarische Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Demokratische Legitimation durch Regierungsverantwortung und -kontrolle 2. Defizit demokratischer Legitimation der Rechtssetzung in der WTO . . . . . . . . . . . . III. "Nicht-majoritäre" Legitimationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legitimation durch Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . a) Verhandlungssysteme als Legitimationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die WTO als Verhandlungssystem ... .. . .. . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . .. .. . . . 2. Legitimation durch effiziente Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unabhängige Fachinstitutionen als Legitimationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die WTO als unabhängige Fachinstitution ..... . . . . . ........ . ....... . ........ IV. Reaktionsmöglichkeiten auf das Legitimationsdefizit in der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strategien zur Reduktion des Legitimationsdefizits internationaler Rechtssetzung a) Senkung des Legitimationsbedarfs durch Beschränkung internationaler Rechtssetzung (Re-Nationalisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erhöhung der Legitimationsfahigkeit durch begleitende parlamentarische Kontrolle (Re-Parlamentarisierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erhöhung der Legitimationsfahigkeit durch Demokratisierung internationaler Rechtssetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimationsfunktion einer Beteiligung von Gruppen mit besonderem Interesse .. . . .. . .... . . ... .. . .. .. . . . ... . . .. . . ........... . .... . ... . ............. . . . . . .. b) Formen der Beteiligung von NGOs an der WTO-Entscheidungsfindung . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parlamentarische Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimationsfunktion einer Parlamentarischen Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgrundlagen und Zusammensetzung einer parlamentarischen Versammlung der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Legitimation durch Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diskurstheoretische Funktion von Transparenz...... . ........ . ... . .......... . b) Transparenz der Entscheidungstindung in der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis.. . ... .. . .... . .... . ... . . . . ..................... .. . . . ... .. . .. . ..... . . . .. ..... V. Demokratische Legitimation und Verfassungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 218 220 220 221 223 226 227 230 231 231 232 235 236 238 241 241 242 243 246 250 250 252 254 255 256 257 259 261 261 263 265 265

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . I. Rechtsordnung und Entscheidungstindung der WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsperspektiven des GATI/WTO-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Legitimation der WTO-Rechtssetzung als Verfassungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . .. . . . . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. .. . . . . .. . . .. . . .. . . . .. . . . . .. . .. . . . .. . . . . .. . . 274 Personen- und Sachregister . . . .. . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . . . . .. . . .. .. . . .. .. . .. . . . . .. . . .. . . .. . . 295

Abkürzungsverzeichnis AER AJIL AJPS ASIL AVR BISD BYIL CMLR Cornell ILJ CPE DSU

EA EJIL EuZW EWS GATS GATT GYIL Harvard ILR ICLQ 10 IP JIEL JNPÖ JWT(L) LIER LJIL MAI MichJIL NGOs Northw. JILB NYU JILP PVS RIW

Arnerican Econornic Review American Journal of International Law American Journal of Political Science Arnerican Society of International Law Archiv des Völkerrechts BasicInstruments and Selected Documents (Sammlung von GATTDokumenten) BritishYearbook of International Law Common Marke! Law Review Cornell International Law Journal Constitutional Political Economy (Zeitschrift) Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Streitbeilegung Europa-Achiv European Journal of International Law Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) General Agreement on Trade in Services, Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen General Agreement on Tariffs and Trade, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen German Yearbook of International Law Harvard International Law Review International and Comparative Law Quaterly International Organization (Zeitschrift) Internationale Politik (Zeitschrift) Journal of International Economic Law Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Journal of World Trade (Law) Legal lssues of European Integration (Zeitschrift) Leiden Journal of International Law Multilateral Agreement on Investments, Multilaterales Investitionsschutzabkommen Michigan Journal of International Law Non-governrnental Organizations, Nichtregierungsorganisationen Northwestern Journal of International Law and Business New York University Journal of International Law and Politics Politische Vierteljahresschrift Recht der Internationalen Wirtschaft

Abkürzungsverzeichnis S+F SPS TBT TRIMs TRIPS

U PaJIEL UN-Charta VaLR VanderbJTL VN WTO-Satzung ZaöRV ZfP ZLR

13

Sicherheit und Frieden (Zeitschrift) (Agreement on the Application ot) Sanitary and Phytosanitary Measures, (Abkommen über) sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (Agreement on) Technical Barriers to Trade, (Abkommen über) technische Handelshemmnisse (Agreement on) Trade Related Investment Measures, (Abkommen über) handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (Agreement on) Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights, (Abkommen über) handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums University of Pennsylvania Journal of International Economic Law Charta der Vereinten Nationen vom 1945, BGBI. II, S. Virginia Law Review Vanderbildt Journal ofTransnational Law Vereinte Nationen (Zeitschrift) Übereinkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht

WTO-Dokumente werden mit ihrer offiziellen Dokumentennummer zitiert. Entscheidungen der GATT 1947- oder WTO-Streitbeilegungsorgane werden in Anlehnung an die offizielle Praxis mit dem Namen der beklagten Partei und dem Streitgegenstand bezeichnet.

Einleitung Liberalized global markets alone cannot be expected to provide the public goods required to secure human rights worldwide Iet a/one to extend ir to a/1 those people which have hitherto been deprived of their benefits. Friedl Weiss and Paul de Waart, International Econornic Law with a Human Face

I. Ausgangsüberlegungen Die Gründung der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) und der Abschluß der Uruguay Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) am 15. April1994 waren Meilensteine der Liberalisierung des internationalen Handels mit Waren und Dienstleistungen. Sie waren das Resultat eines achtjährigen Verhandlungsprozesses, dessen Ergebnisse sich nachhaltig auf die Weltwirtschaft und auf die einzelnen nationalen Volkswirtschaften ausgewirkt haben und noch immer auswirken. Die Folgen können in vielen Bereichen noch nicht endgültig abgeschätzt und bewertet werden. Es zeigt sich jedoch bereits jetzt, daß die Ergebnisse der Uruguay Runde die verschiedenen Länder und Regionen unterschiedlich betreffen. Vereinfacht kann gesagt werden, daß die Industriestaaten und einige ostasiatische Länder aus volkswirtschaftlicher Sicht als "Gewinner" aus der Uruguay Runde hervorgegangen sind, während viele der am wenigsten entwickelten Länder, vor allem in Afrika, als ,,Verlierer" dastehen. 1 Ebenso unterschiedlich dürften die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Einkommensverteilung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen innerhalb der einzelnen Länder ausgefallen sein. Sowohl die Verhandlungen der Uruguay Runde als auch die Entwicklung der WTO wurden und werden maßgeblich von der Überzeugung geleitet, daß eine Liberalisierung der internationalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte zu Wirtschaftswachstum und Wohlstandsförderung führen wird. Die andauernd hohe Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten, die größer werdende Kluft zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen in vielen Staaten und nicht zuletzt die Währungs- und Finanzkrisen in Südostasien haben bereits bestehende Zweifel an dieser Grundüberzeugung allerdings stärker werden lassen. Diese Zweifel fanden lautstark Ausdruck in den Demonstrationen und Protestkundgebungen während der Dritten Ministerkonferenz der WTO in Seattle im De1

Watkins, Review of African Political Economy 59 (1994), S.60.

16

Einleitung

zember 1999. Fünf Jahre nach dem lnkrafttreten des Vertrags zur Gründung der

wro sollte auf dieser Konferenz eine neue multilaterale Verhandlungsrunde eröff-

net werden, an der mit den 135 Mitgliedern der WfO so viele Staaten teilgenommen hätten, wie noch nie in der Geschichte des GATT/WTO-Systems. Nach dem Scheitern der Ministerkonferenz ist ungewiß, ob und wann es zu einer neuen Verhandlungsrunde kommen wird und wie umfangreich deren Tagesordnung sein wird. Es ist jedoch zu vermuten, daß die Entwicklung der WfO durch die gescheiterte Konferenz keinen dauerhaften Rückschlag erlitten hat. Zukünftige Verhandlungen werden zeigen, ob sich eine wirtschaftsliberale Grundüberzeugung weiterhin durchsetzen kann, oder eine Rückkehr zu nationalen Alleingängen und protektionistischen Politiken eintreten wird. Zwischen weiteren Liberalisierungen und neuem Protektionismus besteht als alternative Möglichkeit die Entwicklung von Ansätzen eines internationalen Wirtschaftsordnungsrechts, u. a. durch die Vereinbarung von sozialen und ökologischen Mindeststandards, die Schaffung eines internationalen Wettbewerbs- und Kartellrechts und der wirksameren Unterstützung der weniger entwickelten Länder. Neben ökonomischen und politischen Auswirkungen haben die Ergebnisse der Uruguay Runde und vor allem die Gründung der WfO erhebliche Auswirkungen auf die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen gehabt. Die strukturellen und institutionellen Veränderungen des Welthandelssystems haben zu einer Verrechtlichung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen geführt. Diese Verrechtlichung, um die sich die GATT- VERTRAGSPARTEIEN bereits vor und während der Uruguay Runde bemühten, die jedoch durch die Gründung der WfO eine neue Entwicklungsstufe erreichte, hat das gesteigerte Interesse der Völkerrechtswissenschaft an der GATT/WTO-Rechtsordnung geweckt. Außer der umfangreichen Monographie von Jackson aus dem Jahre 1969 und einigen eher praxisorientierten Darstellungen des GATT fand eine völkerrechtliche Befassung mit dem GATT-Recht vor 1980 nicht in nennenswerten Umfang statt. Das seitdem einsetzende Interesse bezieht sich sowohl auf die Grundlagen als auch auf verschiedene Teilbereiche und Einzelprobleme der GATT/WTO-Rechtsordnung. Einen besonders prominenten Platz in der rechtlichen Debatte über die GATT/ WfO-Ordnung nehmen diejenigen Beiträge ein, die das GATT/WTO-Recht aus konstitutioneller Sicht betrachten. Sie versuchen, die Funktionen und die Entwicklung des GATT/WTO-Rechts mit verfassungsrechtlichen Begriffen zu beschreiben und zu bewerten. Die vorliegende Arbeit greift die konstitutionelle Sicht auf, um sie zu analysieren und sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen. Indem dabei die Entwicklung der wro in den ersten fünf Jahren mit einbezogen wird, unterscheidet sich diese Arbeit von Untersuchungen, die vor oder kurz nach der Gründung der WfO entstanden, und über die weitere rechtliche wie praktische Entwicklung der neuen Organisation teilweise noch spekulieren mußten. Die vorliegende Arbeit stellt an sich den Anspruch, aus der Auseinandersetzung mit der konstitutionellen Perspektive Anregungen für die weitere Entwicklung der Rechtsordnung der WfO

I. Ausgangsüberlegungen

17

zu geben. Auch wenn noch nicht absehbar ist, wie sich die Rechtsordnung der WTO im Rahmen einerneuen Verhandlungsrunde und unabhängig davon weiterentwikkelt, wird die WfO vor dem Hintergrund der Entwicklung der vergangenen fünf Jahre in der nächsten Zeit eine bedeutsame Rolle für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen spielen. Daraus ergibt sich das gleichbleibende Interesse an der Frage, wie und mit welchen Zielen die WfO diese Rolle spielen soll. Die Antwort auf diese Frage hängt nicht zuletzt von dem Vorverständnis ab, mit dem man sich ihr nähert. Gerade in der Diskussion um Ziel und Zweck des internationalen Wirtschaftsrechts ist die Klärung des Vorverständnisses angezeigt, da den unterschiedlichen Diskussionsbeiträgen oft bestimmte ideologische Überzeugungen zu Grunde liegen, ohne daß dies deutlich gemacht wird. In dem Sammelband "Towards an International Economic Law with a Human Face" haben Weiss und de Waart ein Vorverständnis beschrieben, das ideologische Voreingenommenheilen überwindet und deshalb auch dieser Arbeit zu Grunde liegt. Danach ist die Beschäftigung mit internationalem Wirtschaftsrecht von der Grundüberzeugung geprägt, daß Ausgangspunkt der Befassung mit diesem Recht die Bedürfnisse des einzelnen Menschen sein sollten.2 Ein derartiges Vorverständnis erfordert eine kritische Analyse bestehender Rechtsnormen und tatsächlicher Entwicklungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Dieses Vorverständnis geht weder davon aus, daß Handelsliberalisierungen grundsätzlich sinnvoll und Eingriffe in die Wirtschaftsbeziehungen nur in Ausnahmefallen zu rechtfertigen sind, noch daß jede Liberalisierung einseitig den Interessen der Industrie und staatliche Regulierung der Wirtschaft den Interessen der Allgemeinheit dient. Internationales Wirtschaftsrecht mit einem "menschlichen Antlitz" bedeutet viel eher, daß die Auswirkungen jeder Regulierung und Deregulierung kritisch überprüft und auf die Verwirklichung der Bedürfnisse der jeweils Betroffenen bezogen werden müssen. Diese bestimmen sich einerseits dadurch, daß der Mensch als selbstbestimmtes Wesen eigenverantwortlich seine Bedürfnisse erkennen und artikulieren kann und andererseits dadurch, daß die Verwirklichung dieser Bedürfnisse grundsätzlich nicht ohne eine Gemeinschaft mit anderen möglich ist. Das sich hieraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und Solidarität mit anderen darf weder zugunsten des einzelnen noch zugunsten der Gemeinschaft einseitig aufgelöst werden. Es erfordert stets und in jedem Einzelfall eine Abwägung der verschiedenen Interessen untereinander. Das Vorverständnis eines internationalen Wirtschaftsrechts mit "menschlichem Antlitz" stimmt insofern auch mit den Grundannahmen einer freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung überein. Die Abwägung zwischen den Interessen des einzelnen und der Gemeinschaft geschieht im liberalen Verfassungsstaat durch den demokratischen Willensbildungsprozeß, der sich an den Grundrechten zu orientieren und diese als Grenze zu beachten hat. Von diesem Vorverständnis sollte deshalb jede konstitutionelle Perspektive 2

Weiss/de Waart, in: Weiss/Denters/de Waart (eds.), S. 2.

2 Krajewski

18

Einleitung

des GATI/WTO-Rechts und damit auch jede Auseinandersetzung mit diesen Perspektiven ausgehen.

II. Verfassungsperspektiven und Legitimation des GATI/WTO-Rechts In der neueren völkerrechtlichen Literatur mangelt es nicht an Beiträgen, die bestimmte Entwicklungen im Völkerrecht als Verfassungsentwicklungen, Verfassungsprobleme oder Konstitutionalisierungsprozesse verstehen und bewerten.3 In erster Linie sind unter diesem Aspekt die Vereinten Nationen und die internationale Wirtschaftsordnung betrachtet worden. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit ist diesen Beiträgen gemeinsam, daß sie auf der Beobachtung der Herausbildung von völkerrechtlichen Ordnungssystemen beruhen. Auch wenn Verdross, Simma und andere schon früh den Begriff "Verfassung" für die Charta der Vereinten Nationen gebraucht haben, hat die eigentliche "Konstitutionalisierungsdebatte" bezüglich der Vereinten Nationen erst nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes begonnen. Eine konstitutionelle Bewertung des GAlT-Rechts wird schon seit Beginn der 1980er Jahre vertreten.4 In den Debatten hierüber stand vor allem das Verhältnis des GAlT-Rechts zur Außenwirtschaftspolitik der einzelnen Vertragsparteien und speziell der Gemeinsamen Handelspolitik der Europäischen Gemeinschaft im Mittelpunkt. Ausgangspunkt dieser hauptsächlich von Petersmann vertretenen Überlegungen war die Bewertung einer protektionistischen Außenwirtschaftspolitik als Problem der nationalen Verfassungen. Es wurde insbesondere darauf verwiesen, daß durch den Protektionismus verfassungsrechtlich zu schützende Individualrechte verletzt würden. Außerdem würden parlamentarische Entscheidungskompetenzen ohne gerichtliche Kontrolle umgangen. Zur Lösung dieser "Verfassungsprobleme" müßten die Regeln des GATI und der WTO als "völkerrechtliche Nebenverfassung" verstanden werden. Den GATI/WTO-Regeln kämen dadurch Verfassungsfunktionen zu, daß sie zur Gewährung von Grundrechten und zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle außenwirtschaftspolitischer Entscheidungen beitragen würden. Um diese Funktionen erfüllen zu können, müsse das GATI/WTO-Recht unmittelbar anwendbar sein.s Die Beschreibung des GATI/WTO-Rechts als funktionales Verfassungsrecht steht auch heute noch im Mittelpunkt vieler wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Sie hat inzwischen die Grenzen des akademischen Raums überschritten und Einzug in die öffentlichen Debatten gefunden.6 Die Theorie der Verfassungsfunktionen des GATI/WTO-Rechts wird ergänzt durch Beiträge, die aus der zunehmenden Siehe dazu im 2. Kapitel, I. 2. Siehe z.B. Petersmann, CMLR 1983, S.415ff. 5 Siehe zu dieser Argumentation im 2. Kapitel, III. 6 Vgl. Caps, FAZ vom 15.9.1997. 3

4

III. Untersuchungsmethode und Gang der Darstellung

19

Verrechtlichung der internationalen Handelsbeziehungen die Herausbildung einer internationalen Wirtschaftsverfassung sehen.7 Diesen ist gemeinsam, daß sie dem GATT/WTO-Recht nicht nur eine ergänzende Bedeutung für die nationalen Verfassungen beimessen, sondern die GATT/WTO-Rechtsordnung selbst als Verfassungsordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen begreifen. Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die verschiedenen Beiträge, die das G.KIT/ WfO-Recht aus Verfassungsperspektiven betrachten, systematisch-kritisch darzustellen und sie zu bewerten. Sie beansprucht also nicht, eine eigene Verfassungsperspektive des GATT/WTO-Rechts zu entwerfen. Eine Auseinandersetzung mit den genannten Theorien setzt aber eine Bewertung normativer und rechtstatsächlicher Aspekte der Rechtsordnung der WfO voraus. Deshalb kann sich diese Arbeit nicht auf eine Darstellung der verschiedenen Verfassungstheorien beschränken, sondern muß sich mit den für die Verfassungsperspektiven relevanten Aspekten des WfORechts auseinandersetzen. Dazu ist eine umfassende Analyse der Rechtsordnung der WfO weder sinnvoll noch erforderlich. Die Untersuchung kann auf diejenigen Zusammenhänge und Probleme beschränkt werden, die aus konstitutioneller Sicht von Bedeutung sind. Dazu gehören neben den Strukturelementen der Rechtsordnung der WfO ihr Verhältnis zum nationalen Recht und die Entscheidungstindung inderWfO. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich jedoch nicht auf die kritische Würdigung der in der Literatur entwickelten Verfassungsperspektiven des GATT/ WfO-Rechts, da eine rein funktionale Bewertung dem hier vertretenen Verständnis von Verfassungs- und internationalen Wirtschaftsrecht nicht gerecht wird. Sie muß um inhaltliche Aspekte ergänzt werden. Aus diesem Grunde wird in dieser Arbeit die Frage der Legitimation des GAITIWTO-Rechts in die Diskussion um Verfassungsperspektiven und -entwicklungen eingeführt. Der Zusammenhang zwischen einer konstitutionellen Perspektive und der Legitimation des GATT/WTO-Rechts ist in der Literatur bislang weder erkannt worden, noch ist die Legitimationsfrage von den Vertretern der Verfassungsperspektiven problematisiert worden. Solange die Legitimationsfrage nicht gestellt und beantwortet wird, bleibt der Bezug einer Rechtsordnung auf eine konstitutionelle Perspektive problematisch, da mit dem Verfassungsbezug eine besondere Legitimation der jeweiligen Rechtsordnung unterstellt wird. Die in dieser Arbeit auf die Rechtssetzung in der WfO konzentrierte Untersuchung der Legitimationsfrage steht daher in unmittelbarem Zusammenhang mit einer konstitutionellen Perspektive des GATT/WTO-Rechts.

111. Untersuchungsmethode und Gang der Darstellung Die Untersuchungsmethode der vorliegenden Arbeit umfaßt rechtstatsächliche und normative Ansätze, da ihr Untersuchungsgegenstand sowohl Aspekte der Fak7

2•

Siehe dazu im 2. Kapitel, IV.

20

Einleitung

tizität als auch der Nonnativität der Rechtsordnung der WTO betrifft. Die Entwicklung des GATI/WTO-Systems ist mehr durch die Realität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und weniger durch bestimmte normative Ideen und Vorstellungen geprägt, was die WTO insoweit von dem auf der Idee einer universellen Friedensordnung beruhenden System der Vereinten Nationen unterscheidet. Daraus ergibt sich, daß eine Untersuchung des GATI/WTO-Rechts die tatsächlichen Gegebenheiten in besonderer Weise berücksichtigen muß und sich nicht auf eine Interpretation der Vertragstexte beschränken darf. Insbesondere die Legitimation der WTO-Rechtssetzung kann nur aufgrundder tatsächlichen Entscheidungsprozesse in der WTO beurteilt werden. Die rechtstatsächliche Darstellung und Bewertung der Entscheidungstindung in der WTO bildet daher einen zentralen Teil dieser Arbeit. Allerdings ist die These, eine Rechtsordnung erfülle Verfassungsfunktionen oder könne als Verfassungsordnung gedacht werden, ein normativer Ansatz, dem auf rechtstatsächlicher Ebene allein nicht begegnet werden kann. Daher ist eine normative Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Funktionen einer Verfassung für die vorliegende Arbeit ebenfalls von Bedeutung. Die Arbeit beginnt im ersten Kapitel mit einer Untersuchung der Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht. In dieser Untersuchung werden zentrale formelle und materielle Strukturelemente der WTO-Rechtsordnung herausgearbeitet und ein Blick auf die dynamische Entwicklung des GATT/WTO-Rechts geworfen. Ebenso wird das Verhältnis des GATI/WTO-Rechts zum innerstaatlichen Recht, insbesondere die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT/WTO-Rechts untersucht, die für die von der Theorie der Verfassungsfunktionen eine wichtige Rolle spielt. In der Untersuchung der Entscheidungstindung im GATI/WTO-Zusammenhang stehen neben der Analyse von Konsens und Informalität als besonderen Strukturelementen der Entscheidungstindung die Bedeutung und der Einfluß der verschiedenen Akteure im Mittelpunkt der Betrachtung. Im zweiten Kapitel werden die soeben skizzierten Verfassungsperspektiven des GATT/WTO-Rechts untersucht. Dazu ist vorab eine Darstellung der in Staats-, Europa- und Völkerrechtswissenschaft benutzten Verfassungsbegriffe erforderlich, aus denen als gemeinsame Begriffselemente bestimmte Funktionen einer Verfassungsordnung abgeleitet werden können. Neben diesem verfassungstheoretischen Referenzrahmen bedarf es einer Erläuterung zentraler wirtschaftswissenschaftlicher Konzepte, die von den Verfassungsperspektiven des GATT/WTO-Rechts rezipiert werden. Hierzu zählen die Außenhandelstheorie und Ansätze der neueren politischen Ökonomie, die in einem engen Zusammenhang zu verfassungstheoretischen Fragestellungen stehen (public choice und constitutional economics). Im Zentrum des zweiten Kapitels steht die Auseinandersetzung mit der Theorie der Verfassungsfunktionen des GATI/WTO-Rechts, wie sie von Petersmann vertreten wird. Da eine systematische Darstellung dieser Theorie im deutschsprachigen Schrifttum soweit ersichtlich noch aussteht, erfüllt die Darstellung der Argumentation dieser Theorie neben der kritischen Bewertung eine wichtige Aufgabe der vorliegenden Arbeit.

111. Untersuchungsmethode und Gang der Darstellung

21

Als eigenständiger Beitrag zur Konstitutionalisierungsdebatte über die Rechtsordnung der WTO wird im dritten Kapitel die Frage nach der Legitimation der Rechtssetzung in der WTO gestellt und anhand verschiedener Legitimationsmodelle untersucht. Zunächst wird das traditionelle Legitimationsmodell völkerrechtlicher Rechtssetzung durch die parlamentarische Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen und die Kontrolle der Regierung bewertet. Danach werden nicht-majoritäre Legitimationsmodelle vorgestellt und auf die WTO bezogen. Schließlich werden verschiedene Vorschläge zur Reform der Rechtssetzung der WTO unter legitimatorischen Gesichtspunkten untersucht. Bei der Bewertung der Legitimation der Rechtssetzung der WTO auf der Grundlage der vorgestellten Modelle spielen die Erkenntnisse der im ersten Kapitel vorgenommenen Untersuchung der Entscheidungstindung eine zentrale Rolle. Die Arbeit schließt mit der These, daß die WTO durch ein Legitimationsdefizit gekennzeichnet ist, das sich aus konstitutioneller Perspektive als Verfassungsproblem darstellt. Die Proteste und gewaltsamen Auseinandersetzungen während der Ministerkonferenz von Seattle und die Ablehnung des Systems der WTO durch viele zivilgesellschaftliche Gruppen können als Ausdruck einer nicht zu unterschätzenden Legitimationskrise der WTO gedeutet werden. Die geäußerte Kritik hat gezeigt, daß ein internationales Wirtschaftsrecht, das nicht allein der Liberalisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen dienen soll, sondern die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, nur als demokratisch legitimiertes internationales Wirtschaftsrecht vorstellbar ist. Die notwendigen Abwägungen zwischen den Interessen Einzelner und der Gemeinschaft und die sich daraus ergebenden Anforderungen an ein internationales Wirtschaftsrecht mit "menschlichem Antlitz" können nur durch demokratische Verfahren gefunden werden. Eine ausschließlich den Marktkräften überlassene Entwicklung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Wie sich die WTO angesichtsihrer Legitimationskrise weiterentwickelt, werden allerdings erst die nächsten Jahre zeigen.

Kapitell

Rechtsordnung und Entscheidungsfmdung der Welthandelsorganisation Die folgende Untersuchung der Rechtsordnung der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) orientiert sich an den für die Fragestellung dieser Arbeit relevanten Aspekten, so daß der Überblick über die formellen und materiellen Elemente des WTO-Rechts knapp gehalten wird. Es kann hierfür im Übrigen auf die umfangreichen Darstellungen in der Literatur verwiesen werden. 1

I. Die Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht Von der Rechtsordnung der WTO kann erst seit dem Inkrafttreten des Abkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation am 1. Januar 1995 gesprochen werden.2 Die Betrachtung des WTO-Rechts bleibt jedoch unvollständig und unverständlich, wenn die Entwicklung des internationalen Handelssystems seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht berücksichtigt wird. 3 1. Geschichtliche Entwicklung von GAIT und WTO Zur Vorbereitung auf eine vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) einberufende internationale Konferenz über Handel und Beschäftigung wurden 1946/1947 Entwürfe für ein Statut einer Internationalen Handelsorganisa tion (International Trade Organisation, ITO) und ein Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT), das in das ITOStatut integriert werden sollte, erarbeitet. Bereits am 1. Januar 1948 und damit noch vor dem Abschluß der Konferenz trat das GATT auf der Grundlage eines Protokolls über die vorläufige Anwendung für zunächst acht Staaten in Kraft. Dagegen scheiterte das lokrafttreten der auf der Konferenz in Havanna verabschiedeten umfang1 Stoll, ZaöRV 1994, S. 241 ff; Senti, GATI-WTO, S. 21 ff; Hoekman/Kostecki, Political Economy, S. 36ff; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 289ff; Hauser/Schanz, Das neue GAlT, S.49ff; Jackson, The WTO, S. 36ff; Meng, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), S. 19ff; Flory, L'organisation mondiale du commerce, S.15ff. 2 Bekanntmachung vom 18.5.1995, BGBI. 199511, S.456. 3 Siehe zur Entstehungsgeschichte des GAlT Jackson, World Trade, S. 35ff; Dam, The GAlT, S. tOff; Long, Law and its Limitations, S. 11 ff; Benedek, Rechtsordnung des GAlT, S. 27ff; ders., in: Wolfrum (Hrsg.), S. 201 ff.

I. Die Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht

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reichen Charta zur Errichtung einer Internationalen Handelsorganisation (Havanna Charta), obwohl sie von 53 Staaten unterzeichnet wurde. Die US-Regierung verzichtete darauf, die Charta dem Kongreß zur Zustimmung vorzulegen, da sie eine Ablehnung befürchtete. Infolgedessen ratifizierten auch die meisten übrigen Staaten die Charta nicht. Spätere Versuche, diesen .,Geburtsfehler" des GATI zu beheben und eine Internationale Handelsorganisation zu gründen, scheiterten. Es blieb bei dem .,permanenten Provisorium" des GATI, das keine vertragliche Grundlage für eine Organstruktur besaß. Durch Beschlüsse der GA1T-VERTRAGSPARTEIEN wurden jedoch der GATI-Rat, verschiedene Ausschüsse und ein Streitbeilegungsverfahren eingerichtet, so daß sich im Laufe der Zeit eine de facto-Organisation herausbildete. Charakteristisches Merkmal der Entwicklung des GA1T waren die mehrjährigen multilateralen Verhandlungsrunden, in denen hauptsächlich Zollsenkungen und Marktöffnungen vereinbart wurden. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr die GATI-Rechtsordnung in der sog. Tokio-Runde (1973 bis 1979), in der sie durch eine Reihe von zusätzlichen Abkommen über Subventionen, Zollwertberechnungen, technische Standards und Anti-Dumping-Maßnahmen ergänzt wurde.4 Diese sog. Tokio-Kodizes waren eigenständige völkerrechtliche Verträge und unterschieden sie sich in der Mitgliederzahl vom GATI-Hauptabkommen (.,GATI ala carte"). Sie entwickelten parallele Organstrukturen, die jedoch eng mit der GATI-Struktur verbunden waren. Diese Zersplitterungs wurde zu einem Hauptproblem der internationalen Handelsordnung und war eines der wichtigsten Themen der von 1986 bis 1994 dauernden Uruguay-Runde des GATI, die die längste und umfangreichste Verhandlungsrunde in (ler Geschichte des GA1T darstellte. Die Verhandlungen umfaßten Themenbereiche, über die teilweise zum ersten Mal im Rahmen des GATI verhandelt wurde, wie etwa der Handel mit Dienstleistungen und handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums und Bereiche, die seit langem eine Sonderrolle innerhalb des GATI spielten, wie etwa der Agrar- und der TextilhandeL Das aus völkerrechtlicher Sicht bedeutendste Ergebnis der Uruguay Runde ist die institutionelle Veränderung der internationalen Handelsordnung durch die Gründung der WT0. 6 Während der Dienstleistungshandel, der Agrar- und Textilbereich und andere Handelsfragen von Anfang an auf der Tagesordnung der Uruguay-Runde standen, begannen die Verhandlungen über die Gründung einer internationalen Handelsorganisation erst im Laufe der Uruguay Runde. Zwar gab es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Zukunft des GATI-Systems und damit auch mit institutionellen Fragen beschäftigte, doch deren Mandat sah keine Verhandlungen über die Gründung einer internationalen Organisation vor.7 Erst 1990 schlugen die kanadiBenedek, Rechtsordnung des GAIT, S.104ff. s Dazu Jackson, The World Trade Organization, S. 72 f. 6 Jackson, U Pa IIEL 17 (1996), S.21. 7 Zur Entstehungsgeschichte der WTO siehe Weaver/Abe/lard, in: Stewart (ed.), S. 1891 ff; Bail, in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), S. 85 ff; Jackson, in: Cottier (ed.), S. 33 f; Croome, Reshaping the World Trading System, S. 28ff; Gerke, Vom GAIT zur Welthandelsorganisation, 4

24

Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungsfindung der WTO

sehe Regierung und die EG-Kommission die Errichtung einer derartigen Organisation vor, die damals noch "Multilateral Trade Organization" heißen sollte und inhaltlich auf einen Vorschlag von lohn H. Jackson zurückging.8 Im Dezember 1991 legte GATT-Generaldirektor Arthur Dunkel daraufhin den Entwurf einer Satzung für die neue Organisation vor, der dann mehrfach verändert wurde und 1993 eine abschließende Form erhielt. Die Tatsache, daß Verhandlungen über einen neuen institutionellen Rahmen der Welthandelsordnung erst zur "Halbzeit" der Uruguay-Runde begannen, dürfte mit der grundsätzlichen Zurückhaltung der GATT-VERTRAGSPARTEIEN, insbesondere der USA9 , bezüglich eines festen organisatorischen Rahmens zu erklären sein. Nach den gescheiterten Bemühungen um eine Internationale Handelsorganisation hatte sich im Laufe der GATT-Geschichte eine organisatorische Struktur herausgebildet, die durch ein hohes Maß an Informalität und Beweglichkeit gekennzeichnet war und so das Bedürfnis der GATT-VERTRAGSPARTEIEN nach einem flexiblen Rahmen befriedigte. In den Verhandlungen der Uruguay Runde wurde jedoch deutlich, daß die Einbeziehung neuer Bereiche in den Regelungszusammenhang des GATT weitreichende Konsequenzen habe würde, die eine neue Organisationsform erforderlich machten. 2. Das WTO-Recht als Rechtsordnung Eine Rechtsordnung zeichnet sich im allgemeinen dadurch aus, daß die Beziehungen der Subjekte dieser Ordnung nicht durch willkürliche Machtausübung bestimmt sind, sondern durch Rechtsregeln, d. h. durch Sollensätze geordnet werden, deren Befolgung oder Nichtbefolgung eine rechtlich erhebliche Folge nach sich zieht. Entscheidend ist nicht, daß die Regel sanktionsbewehrt ist, sondern, daß die Subjekte sie als Rechtsregel und nicht als willkürliche Machtausübung wahrnehmen. Dadurch erhalten die Beziehungen der Subjekte eine Voraussehbarkeit, die als Rechtssicherheit wahrgenommen wird. Eine Rechtsordnung muß festlegen, wer ihre Subjekte sind und in welchen Beziehungen die Subjekte zueinander bzw. zur Rechtsordnung stehen (materielle Elemente). Um der Ordnung einen funktionsfahigen Rahmen zu verleihen, muß sie außerdem festlegen, durch wen und auf welche Weise das Recht geschaffen, interpretiert und durchgesetzt wird (formelle Elemente). Soll die untersuchte Rechtsordnung reale Geltung gewinnen und nicht nur als Idee bestehen, müssen die Regeln das Verhalten der Subjekte tatsächlich beeinflussen. Dies lenkt den Blick auf diefaktische oder tatsächliche Ordnung, die von der Rechtsordnung abgegrenzt werden kann. 10 Das tatsächliche Verhalten der Subjekte kann sowohl durch S. 6ff; Hoekman/Kostecki, Political Economy, S.12ff und F/ory, L'organisation mondiale du commerce, S. 3 ff. 8 Jackson, Restructuring teh GATI System, S. 93 ff. 9 Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 301. 10 Zu dieser Differenzierung auch Benedek, Rechtsordnung des GATI, S. 5 ff; Ipsen/Haltern, Reform des Welthandelssytems?, S. I ff; Tietje, Normative Grundstrukturen, S. 108 ff.

I. Die Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht

25

Rechtsregeln als auch durch jenseits dieser Regeln durchgesetzte Interessen beeinflußt werden. Für die Untersuchung einer Rechtsordnung muß das rechtlich fixierte Normprogramm Ausgangspunkt der Erörterungen sein. Gleichzeitig muß die faktische Ordnung betrachtet werden, da nur so festgestellt werden kann, ob und in welchem Umfang die Rechtsregeln von den Subjekten akzeptiert werden. Daß das Völkerrecht eine Rechtsordnung in dem soeben skizzierten Sinne darstellt, ist allgemein anerkannt.l 1 Im Verhältnis zur Rechtsordnung des Völkerrechts stellen die Rechtsordnungen der internationalen Organisationen Teilordnungen für bestimmte Bereiche der internationalen Beziehungen dar. Subjekte der Rechtsordnung einer internationalen Organisation sind die Mitglieder und die Organisation selbst. Die Rechtsordnung einer internationalen Organisation enthält daher Regeln über die Mitgliedschaft in der Organisation, ihre Organstruktur sowie über die Rechte und Pflichten der Mitglieder und der Organe. Im allgemeinen wird zwischen dem primärem und sekundärem Recht einer internationalen Organisation unterschieden.12 Unter primärem Recht werden der Gründungsvertrag der Organisation und die vertragergänzenden und -ändernden Verträge und Erklärungen verstanden. Es handelt sich um Recht, das die Mitglieder der Organisation geschaffen haben. Unter sekundärem Recht wird das Recht verstanden, das die Organe der Organisation geschaffen haben, soweit sie dazu durch oder aufgrunddes Gründungsvertrages ermächtigt worden sind. Das Primärrecht der Rechtsordnung der WTO findet sich in der Schlußakte (Final Act) über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen, die das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (Marrakesh Agreement Establishing the World Trade Organization) enthält. 13 Integraler Bestandteil der Rechtsordnung der WTO sind neben der WTO-Satzung gern. Art. II Abs. 2 WTO-Satzung die von allen WTO-Mitgliedern zu unterzeichnenden multilateralen und die von nur einigen Staaten unterzeichneten plurilateralen Handelsabkommen, die sich in den Anhängen zur WTO-Satzung befinden. Zu den multilateralen Handelsabkommen zählen die Abkommen über den Warenhandel (Annex 1A), darunter das GATT 199414 als Hauptabkommen und zwölf Nebenabkommen, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS, Annex I B) und das Abkommen über handelsbezogene Aspekte von Mos/er, ZaöRV 1976, S.6ffm. w. N. Seid/-Hohenve/dern, Recht der Internationalen Organisationen,§§ 1502ff. 13 Final Act Embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations, BGBL 1994 II, S.1442ff. Die amtliche deutsche Übersetzung erfaßt nur die Abkommensteile, die in die Zuständigkeit der HG-Mitgliedstaaten fielen, BGBl. 1994 II, S. 1642ff. Für eine Übersetzung der Teile, die in Zuständigkeit der Gemeinschaft fielen, siehe BT-Drs. 12n986, S. 7ffund Abl. 1994 Nr.L336/2ffvom 23.12.1994. 14 Im folgenden wird die Bezeichnung GATT 1994 benutzt, wenn auf das geltende GATTRecht eingegangen wird. GATT 1947 bezeichnet die GATT-Rechtsordnung bis zum Inkrafttreten der Ergebnisse der Uruguay-Runde. Soweit aufkonkrete Artikel des GATT-Abkommens Bezug genommen wird, wird von GATT ohne Jahreszahl gesprochen, z.B. Art. XXIII GATT. 11

12

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Kap. I: Rechtsordnung und Entscheidungstindung der WfO

geistigen Eigentumsrechten (Agreement on Trade-Related Aspects of lntellectual Property Rights, TRIPS-Abkommen, Annex 1C). Dazu treten die Vereinbarung über die Streitschlichtung (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes, DSU, Annex 2) und der Mechanismus zur Beurteilung der Handelspolitiken (Trade Policy Review Mechanism, TPRM, Annex 3). Die plurilateralen Handelsabkommen befinden sich schließlich in Annex 4. Neben der WTO-Satzung und ihren Anhängen gehören zur Schlußakte dreißig ministerielle Erklärungen und Entscheidungen (Ministerial Decisions and Declarations), die einzelne Aspekte, wie z. B. Übergangsregelungen oder zukünftige Verhandlungsthemen betreffen. Zu den in der Schlußakte zusammengefaSten Ergebnissen der mehrseitigen Verhandlungen treten für jedes WTO-Mitglied die Ergebnisse der oft bilateralen Verhandlungen über die Marktzugangsverpflichtungen, die in den jeweiligen Landeslisten festgehalten sind. Primärrechtliche Elemente der Rechtsordnung der WTO sind auch alle Abkommen, die seit dem Ende der Uruguay Runde abgeschlossen worden sind und die in den rechtlichen Rahmen der WfOSatzung und ihrer Anhänge eingestellt wurden, wie z.B. einzelne Abkommen über besondere Dienstleistungen, die in den Anhang zum GATS eingestellt wurden. 15 Die in kommenden Verhandlungsrunden neu auszuhandelnden Abkommen oder Änderungsabkommen werden ebenfalls primärrechtliche Bestandteile der Rechtsordnung der WTO. Zum Sekundärrecht der WTO-Rechtsordnung gehören alle Beschlüsse der WTO-Organe, wie z. B. Beschlüsse über die Erweiterung der Organstruktur der WTO durch die Errichtung weiterer Ausschüsse, über die Interpretation des WTO-Rechts gern. Art. IX Abs. 2 der WTO-Satzung und als bedeutsamster Teil die rechtskräftigen Entscheidungen der Streitschlichtungsorgane.J6 Die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane des GATT vor Inkrafttreten der WTO-Abkommen bilden zwar als "GATT acquis" eine wichtige Grundlage für die WfO-Entscheidungspraxis, sie gehören jedoch nicht zur Rechtsordnung der WfO im förmlichen Sinne. 17 3. Die formellen Elemente der Rechtsordnung der WTO Die Satzung der WTO trat nach dem in Art. XIV Abs. 1 WTO-Satzung in Verbindung mit Absatz 3 der Schlußakte vorgesehenen Zeitplan am 1. Januar 1995 in Kraft. Derzeit hat die WTO 135 Mitglieder, während 31 Staaten über einen möglichen Beitritt verhandeln. 18 Nach Art. XII WTO-Satzung kann jeder Staat oder jedes Dazu unten 4. b). Zur Bedeutung der Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane als Rechtsquellen, Palmeter/Mavroidis, AllL 92 (I998), S.400ff. 17 Japan- Taxes on Alcoholic Beverages, Entscheidung des Appellale Body angenommen am 1.11.1996, WT/DS8/AB/R, WT/DSIO/AB/R, WT/DSII/AB/R, AbschnittE. Zur Einordnung der Entscheidungen der Panels des GATT I947 siehe auch Steger/Hainsworth, llEL I (I998), S. 208f. •8 Stand I. Februar 2000. 15

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I. Die Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht

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separate Zollterritorium, das volle Autonomie in Handelsfragen besitzt, nach Verhandlungen mit der WI'O Mitglied werden. Der Beitritt muß gern. Art. Xll Abs. 2 WI'O-Satzung von der Ministerkonferenz mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit genehmigt werden. Gründungsmitglieder der WI'O konnten gern. Art. XI Abs. 1 WI'OSatzungdie Staaten werden, die am 1. Januar 1995 Vertragsparteien des GATI 1947 waren und die Europäische Gemeinschaft. a) Rechtsnatur, Aufgaben und Struktur der WTO

Die WI'O ist gern. Art. VIII Abs. 1 WI'O-Satzung eine internationale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit.l 9 Deutlich wird die Völkerrechtspersönlichkeit in der Fähigkeit gern. Art. V Abs. 1 WI'O-Satzung mit anderen internationalen Organisationen Abkommen über die Zusammenarbeit schließen zu können.2o Die WI'O unterscheidet sich durch ihre Organisationseigenschaft und ihre Völkerrechtspersönlichkeit vom GATI 1947, bei dem umstritten war, ob es kraft Gewohnheitsrecht Völkerrechtspersönlichkeit erlangt hatte.21 Die WI'O kann als tatsächliche Nachfolgetin des GATI 1947 angesehen werden22 , auch wenn beide Rechtsordnungen für eine Übergangszeit nebeneinander existierten und somit nicht von einer förmlichen Rechtsnachfolge gesprochen werden kann.23 Die WI'O bildet gern. Art. ll Abs. 1 WI'O-Satzung den gemeinsamen institutionellen Rahmen für die Gestaltung der Handelsbeziehungen der Mitglieder im Zusammenhang mit den Handelsabkommen, die sich in den Annexen der Satzung befinden. Gern. Art. ill Abs. 1 WI'O-Satzung soll die WI'O die Durchführung, die Verwaltung und das Funktionieren der Handelsabkommen fördern und gern. Art. ill Abs. 2 Satz 1 WI'O-Satzung als Forum für Verhandlungen zwischen den WI'O-Mitgliedern im Rahmen der abgeschlossenen Abkommen dienen. Dazu zählen bei19 Zu den Wesensmerkmalen einer internationalen Organisation, Seidl-Hohenveldern, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0105 ff und Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 29 ff. 20 Entsprechende Abkommen sind u. a. mit den Vereinten Nationen, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) abgeschlossen worden. Zum Verhältnis der WTO insbesondere zur UNO siehe unten c). 21 Benedek, Rechtsordnung des GATI, S. 248 ff hält das GATI 1947 für eine internationale Organisation mit gewohnheitsrechtlich begründeter Völkerrechtspersönlichkeit Anders Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 310. Siehe auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht;§ 369, Senti, GATI, S. 39; Ipsen-Gloria, Völkerrecht, §44 Rn. 34 (4. Auflage); Seidl-Hohenveldern, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 3002. 22 Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 1626. 23 Allgemein zur Rechtsnachfolge von Internationalen Organisationen, Schermers/Blokker, International Institutional Law, §§ 1623fund Seidl-Hohenveldern, Recht der Internationalen Organisationen, Rn. 0609ff. Zum Übergang von der Rechtsordnung des GATI 1947 zur Rechtsordnung der WTO, siehe die Entscheidung der WTO-Vorbereitungskomitees vom 8.12.1994, PC/12.1n538, zitiert bei Hummer/Weiss, Vom GATI '47 zur WTO '94, S. 30. Insgesamt dazu Marceau, JWT 29 (1995), No.4, S.147ff und Moore, AJIL 90 (1996), S.317ff.

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Kap. I: Rechtsordnung und Entscheidungstindung der WTO

spielsweise die Verhandlungen über Telekommunikation, Informationstechnologie und Finanzdienstleistungen, die bereits abgeschlossen wurden. Ferner soll die wro gern. Art. ill Abs. 2 Satz 2 WfO-Satzung als Forum für zukünftige Verhandlungen über sämtliche Aspekte der multilateralen Handelsbeziehungen dienen, wenn die Ministerkonferenz dies beschließt. Dies kann als "Öffnungsklausel" der Rechtsordnung der WfO für weitere Themenbereiche verstanden werden. Die WfO zeichnet sich insgesamt durch eine offene Funktionsbeschreibung aus, die ein hohes Maß an Flexibilität und Dynamik ermöglicht.24 An der Spitze der Organstruktur der WfO steht gern. Art. IV Abs. 1 WfO-Satzung die mindestens alle zwei Jahre tagende Ministerkonferenz. Zwischen den Tagungen der Ministerkonferenz übernimmt der Allgemeine Rat (General Counci[) die Hauptfunktionen. Der Allgemeine Rat fungiert auch als oberstes Streitbeilegungsorgan (Dispute Settlement Body) nach dem Streitschlichtungsabkommen und als handelspolitisches Prüfungsorgan (Trade Policy Review Body) nach dem Mechanismus zur Beurteilung der Handelspolitiken. Daneben gibt es Räte für die drei Bereiche der multilateralen Handelsabkommen, also je einen Rat für den Handel mit Waren, für den Handel mit Dienstleistungen und für handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums. Diesen Räten sind gern. Art. IV Abs. 6 WfO-Satzung verschiedene Ausschüsse untergeordnet. Schließlich gibt es gern. Art. IV Abs. 7 WfOSatzung Ausschüsse für Handel und Entwicklung, Zahlungsbilanzbeschränkungen, sowie für Haushalt, Finanzen und Verwaltung. Daneben kann der Allgemeine Rat weitere Ausschüsse einsetzen, wie etwa den Ausschuß für Handel und Umwelt oder den Ausschuß für Regionale Handelsabkommen. Neben den genannten Organen gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, insbesondere für die Verhandlungen mit Beitrittskandidaten. Als von den Vertretern der Mitglieder der WfO unabhängige Organisationseinheit ist gern. Art. VI WfO-Satzung ein Sekretariat mit einem Generaldirektor an der Spitze eingerichtet worden.25 Die Organisationsstruktur der WfO folgt insgesamt in zentralen Aspekten der Struktur, die sich im Rahmen des GATT 1947 herausgebildet hatte. In allen Organen der WfO können sämtliche WfO-Mitglieder vertreten sein, da die WfO über keine Organe mit begrenzter Mitgliederzahl verfügt wie z. B. die Vereinten Nationen. Das unterscheidet die WfO auch von der geplanten Internationalen Handelsorganisation (ITO), die gern. Art. 78 der Havanna Charta einen Exekutivrat mit 18 Vertretern haben sollte. Das Prinzip, wonach alle Mitglieder in allen Gremien vertreten sein können, dient einer egalitären Repräsentation in den WfOOrganen und ist von den Organen des GATT 1947 übernommen worden. Die Vertragsparteien haben sich somit die Möglichkeit erhalten, an jeder Entscheidung teilzunehmen und sie mitzugestalten. Das Prinzip der egalitären Repräsentation entspricht dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. In der Realität zeigt 24 Ebenso Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 302 f. Zur Dynamik der Rechtsordnung der WTO siehe im Übrigen unten 5. 2S Siehe dazu unten III.4.d).

I. Die Rechtsordnung der WTO aus völkerrechtlicher Sicht

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sich allerdings, daß nicht alle WTO-Mitglieder an der Entscheidungstindung in den Organen in gleichem Umfang teilnehmen können, weil ihnen die Ressourcen dazu fehlen.26 In engen Zusammenhang mit dem Prinzip der egalitären Repräsentation steht der Grundsatz, daß Entscheidungen gern. Art. IX Abs.1 WTO-Satzung im Konsensverfahren gefunden werden sollenP Diese Kontinuität der Entscheidungspraxis gegenüber dem GAIT 1947 wird durch Art. XVI Abs. 1 WTO-Satzung verdeutlicht, wonach sich die WTO von den "Verfahren und üblichen Praktiken" der Organe des GAIT 1947 leiten läßt. Nach der interpretativen Fußnote zu Art. IX Abs. 1 WTOSatzung liegt ein Konsens in der WTO vor, wenn keine der anwesenden Parteien dem Entscheidungsvorschlag förmlich widerspricht. Kann kein Konsens erreicht werden, muß abgestimmt werden, wobei gern. Art. IX Abs. 1 Satz 4 WTO-Satzung grundsätzlich die einfache Mehrheit für die Entscheidung ausreichend ist. Einer qualifizierten Mehrheit bedürfen Entscheidungen zur Interpretation der WTO-Abkommen, über eine Ausnahmegenehmigung von den allgemeinen GATT/WTO-Verpflichtungen (sog. waiver), über einen Beitritt zur WTO sowie über Änderungen der WTO-Satzung und der multilateralen Handelsabkommen. Bei Abstimmungen in WTO-Organen verfügt jeder Staat gern. Art. IX Abs. 1 Satz 3 WTO-Satzung über eine Stimme. Eine Besonderheit gilt gern. Art. IX Abs. 1 Satz 4 WTO-Satzung für die EG, die für jedes Mitglied, das auch Mitglied in der WTO ist, eine Stimme hat, wobei die Anzahl der Stimmen der EG und ihrer Mitgliedsstaaten nicht die Anzahl der Mitgliedsstaaten der EG überschreiten darf. Dies hat zur Konsequenz, daß in einer Frage entweder die EG, die dann über die Zahl der Stimmen der Mitgliedsstaaten verfügt oder die Mitgliedsstaaten einzeln abstimmen. So wird vermieden, daß Fragen der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedsstaaten den Entscheidungsprozeß in der WTO erschweren. Diese Regelung hat jedoch in der Praxis noch keine Bedeutung gehabt. Die WTO kennt keine Stimmgewichtung in ihren Organen. Dies unterscheidet sie von IWF und Weltbank, wo die Stimmen in den Leitorganen nach der finanziellen Beteiligung der Mitglieder gewichtet werden. Die WTO kennt ebenso kein VetoRecht für bestimmte Staaten, wie etwa der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Durch den Verzicht auf Stimmgewichtung oder Veto-Rechte herrscht in den WTOEntscheidungsprozessen somit eine rechtliche Stimmengleichheit. Diese Stimmengleichheit erfüllt die gleiche Funktion wie das Prinzip der egalitären Repräsentation. Allerdings muß das Prinzip der Stimmengleichheit mit Blick auf die Praxis ebenso wie das Prinzip der egalitären Repräsentation relativiert werden. Für zentrale Entscheidungen ist immer die Zustimmung der USA, Japans, der EG und Kanadas notwendig und oft sogar ausreichend.28 Im WTO-Sprachgebrauch wird diese StaatenDazu unten 111. 4. a). Zum Konsens siehe unten 111. 3. 28 Oppermann/Beise, EA 1994, S.199; May, EA 1994, S. 34f; Rode, in: Klein/Meng/Rode (Hrsg.), S. 5 ff. 26

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Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungstindung der WIO

gruppekurz als "Quacf'-Gruppe (von "Quadrilaterals") bezeichnet.29 Den übrigen Staaten bleibt nach einer Einigung der "Vier Mächtigen" faktisch meist nur noch die Möglichkeit der Zustimmung. Die herausragende Bedeutung dieser vier Handelsmächte zeigt, daß das in der Rechtsordnung der WTO angelegte Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung bei Entscheidungsprozessen in der Praxis erheblich eingeschränkt ist. Darin zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Rechtsordnung und tatsächlicher Ordnung.lo

b) Änderung und Durchsetzung des WTO-Rechts Eine Änderung der WTO-Verträge kann gern. Art. X Abs. 1 WTO-Satzung von jedem WTO-Mitglied der Ministerkonferenz vorgeschlagen werden. Darüber hinaus können die drei Räte für die multilateralen Handelsabkommen Änderungen des jeweiligen Abkommens vorschlagen. Die Ministerkonferenz beschließt per Konsens oder mit einer Drei-Viertel-Mehrheit der Stimmen, die Änderung den WTO-Mitgliedern zur Annahme vorzulegen. Die Änderung tritt gern. Art. X Abs. 3 WTO-Satzung in Kraft, wenn zwei Drittel der Mitglieder sie angenommen haben. Sie gilt aber nur für diejenigen Mitglieder, die die Änderung annehmen. Änderungen der Regeln über die Entscheidungsfindung (Art. IX WTO-Satzung) und des Prinzips der Meistbegünstigung (Art. I, ll GAlT; Art. ll GATS und Art. 4 TRIPS-Abkommen) bedürfen gern. Art. X Abs. 2 WTO-Satzung zum lokrafttreten der Annahme durch alle Mitglieder. Von der Vertragsänderung ist die Interpretation des WTO-Rechts zu trennen.31 Wahrend die Streitbeilegungsorgane das WTO-Recht im Zusammenhang mit seiner Anwendung in einem bestimmten Streitfall interpretieren, sind zu einem allgemeingültigen, rechtsverbindlichen Beschluß über die Interpretation des WTO-Rechts gern. Art. IX Abs. 2 WTO-Satzung ausschließlich die Ministerkonferenz und der Allgemeine Rat auf der Grundlage einer Empfehlung des Rates für das entsprechende Abkommen berechtigt, wobei Auslegungsbeschlüsse einer Drei-Viertel-Mehrheit bedürfen. Die Frage nach der Rechtsdurchsetzung stellt sich im Vdlkerrecht, das über keine zentrale und den Rechtssubjekten übergeordnete Instanz verfügt, in besonderer Weise. Die schleichende Erosion der GAlT-Disziplin in den 1980er Jahren führte dazu, daß die Frage der besseren Durchsetzung der GATT-Regeln bereits von Anfang an auf die Tagesordnung der Verhandlungen der Uruguay Runde stand. In der Rechtsordnung der WTO stehen für die Rechtsdurchsetzung das Verfahren zur Überprüfung der Handelspolitiken und das Streitbeilegungsverfahren zur Verfügung.32 29

Zu ihrer besonderen Bedeutung, siehe auch unten III. 2. und 3.

Siehe dazu oben 2. Zum Unterschied allgemein Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 775. 32 Beide Verfahrensarten existierten dem Grunde nach auch in der Rechtsordnung des GAlT 1947. Vgl. Benedek, Rechtsordnung des GAlT, S. 280ff. JO

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Der handelspolitische Überprüfungsmechanismus ist ein Verfahren, bei dem die Handels- und Wirtschaftspolitik der WTO-Mitglieder regelmäßig mit Blick auf die Verpflichtungen des WTO-Rechts begutachtet werden.33 Das betroffene WTO-Mitglied und das Sekretariat erstellen jeweils einen Bericht zu den relevanten Komplexen, an die sich dann Diskussionen und Beratungen im Allgemeinen Rat anschließen. In den Beratungen werden auch Praktiken angesprochen, die nach Auffassung der anderen WTO-Mitglieder gegen Bestimmungen des WTO-Rechts verstoßen. Der Überprüfungsmechanismus bezweckt gern. Art. A seiner Verfahrensordnung die bessere Einhaltung der Regeln der multilateralen Abkommen und damit das reibungslose Funktionieren des internationalen Handelssystems indem größere Transparenz und mehr Verständnis für die Handelspolitiken der Mitglieder erreicht werden sollen. Damit dient der handelspolitische Überprüfungsmechanismus nicht der Durchsetzung spezifischer Verpflichtungen, sondern ist in erster Linie ein Instrument zur politischen Koordination.34 Das Streitbeilegungsverfahren der WTO dient dagegen der Klärung und Durchsetzung des Rechts im Einzelfall.35 Es besteht aus der Konsultations-, der Entscheidungs-, der Berufungs- und der Umsetzungsphase. Ein Streitfall setzt gern. Art. 3 Abs. 3 der Vereinbarung über die Streitbeilegung (DSU) voraus, daß ein WTO-Mitglied behauptet, Vorteile, die ihm aus den multilateralen Abkommen erwachsen, seien durch eine bestimmte Maßnahme eines anderen Mitglieds beeinträchtigt worden (sog. ,,nullification and impairment'' im Sinne des Art. XXIII Abs. 1 GATT). Damit wird in der Rechtsordnung der WTO die Einleitung eines Streitverfahrens grundsätzlich nicht von einer Rechtsverletzung, sondern von einer Beeinträchtigung wirtschaftlicher Vorteile abhängig gemacht, die auch auf rechtmäßigem Verhalten beruhen kann (sog. .,non-violation cases"). Regelmäßig handelt es sich allerdings um eine Verletzung des GATT/WTO-Rechts, die gern. Art. 3 Abs. 8 DSU prima Jaeie als Vorteilsbeeinträchtigung eingestuft wird.36 Das geschädigte Mitglied muß gern. Art. 4 DSU zunächst versuchen, in Konsultationen mit dem angeschuldigten Mitglied zu treten. Verweigert sich dieses den Konsultationen oder wird kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht, wird gern. Art. 6 DSU ein Panel durch den als Dispute Settlement Body tagenden Allgemeinen Rat eingesetzt, das sich regelmäßig aus drei Handelsexperten zusammensetzt. Das Panel untersucht gern. Art. 11 DSU den 33 Siehe zu dem Verfahren auch Qureshi, The World Trade Organization, S.108ffundMah, JWT 31 (1997), No. 5, S. 49 ff. 34 Ähnlich für die Rechtsordnung des GATT 1947, Benedek, Rechtsordnung des GATT, S.297ff. 35 Ausführlich zum Streitbeilegungsverfahren Stoll, ZaöRV 1994, S. 273ff; Backes, RIW 1995, S. 916ff; Komuro, JWT29 (1995), No.4, S.6ff; Vermulst/Driesse, JWT29 (1995), No.2, S.132ff; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 327ff; Petersmann, The GATT/WTO Dispute Settlement System, S. 177 ff und Jackson, The World Trade Organization, S. 59ff. 36 Dazu auch EC - Regime of the lmportation, Sale and Distribution of Bananas, Entscheidung des Appellate Body, angenommen am 25.9.1997, WTO-Dok. WT/DS27/AB/R, S. 105 ff; Rz.249ff.

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Streitfall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch Anhörung der Parteien und gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Experten, erstellt einen Bericht und schlägt eine Entscheidung vor. Diese Entscheidung wird vom Dispute Settlement Body gern. Art. 16 Abs. 4 DSU angenommen, wenn die unterlegene Partei nicht Berufung gegen die Entscheidung des Panels einlegt, was oft der Fall ist. 37 Dann werden die rechtlichen Fragen des Streits von der ständigen Berufungsinstanz (Appellate Body) gern. Art. 17 DSU noch einmal überprüft. Die Entscheidung des Appellare Body kann gern. Art. 17 Abs. 14 DSU nur noch durch einen Konsensbeschluß des Dispute Settlement Body abgelehnt werden. Der Zeitraum zwischen Einsetzung eines Panels und Bestätigung der Entscheidung des Appellare Body ist im Vergleich zu anderen völkerrechtlichen Streitbeilegungsverfahren verhältnismäßig kurz. Nach Art. 4 Abs. 7 DSU sind für die Konsultationsphase maximal 60 Tage, für das Verfahren vor dem Panel gern. Art.12 Abs. 8 DSU im Regelfall sechs und in Ausnahmefällen gern. Art. 12 Abs. 9 DSU neun Monate vorgesehen. Das Berufungsverfahren soll gern. Art. 17 Abs. 5 DSU im Regelfall 60 und in Ausnahmefällen 90 Tage dauern. In der Praxis werden diese Fristen außer in besonders umfangreichen Verfahren eingehalten oder nur geringfügig überschritten. Hat der Appellare Body festgestellt, daß die in Frage gestellte Maßnahme mit dem WTO-Recht unvereinbar ist, überwacht der Dispute Settlement Body die Umsetzung der Entscheidung gern. Art. 21 DSU. Kommt das verurteilte WTO-Mitglied dem Schiedsspruch nicht nach, kann die Gegenseite versuchen, mit ihm einen annehmbaren Ausgleich zu erzielen. Scheitert auch dieser Versuch, kann das obsiegende Mitglied gern. Art. 22 DSU ermächtigt werden, Handelszugeständnisse gegenüber dem unterlegenen Mitglied auszusetzen. Vorzugsweise soll es sich dabei um Zugeständnisse aus dem selben Wirtschaftssektor oder wenigstens aus dem Geltungsbereich des gleichen Handelsübereinkommens handeln. Nur ausnahmsweise können Zugeständnisse aus dem Geltungsbereich anderer Übereinkommen ausgesetzt werden. Auf diese Weise soll das durch die schädigende Maßnahme entstandene Ungleichgewicht in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen wieder ausgeglichen werden. Die Umsetzung der Schiedssprüche bezweckt damit nicht in erster Linie eine Sanktionierung des Mitglieds, das gegen das WTO-Recht verstoßen hat, sondern die Wiederherstellung des Interessenausgleichs zwischen den beiden Parteien. Allerdings hängt diese Art der Rechtsdurchsetzung davon ab, ob das geschädigte Mitglied über die Möglichkeit verfügt, nennenswerte Zugeständnisse auszusetzen. Kleinere Staaten und Entwicklungsländer sind hierzu meist weniger in der Lage als größere und industrialisierte Staaten.Js Das WTO-Streitbeilegungsverfahren beruht in wesentlichen Aspekten auf dem gewohnheits- und sekundärrechtlich entwickelten Streitbeilegungsverfahren des Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 52 (1997), S. 525 ff. Siehe dazu z. B. USA, Imports of Sugar from Nicagarua, Bericht des Panels vom 13.3.1984, BISD 31 S (1985), 67ff, wo es mangels erfolgversprechender Sanktionsmöglichkeiten seitens Nicaraguas nicht zur Implementierung der Entscheidung kam. 37 38

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GAlT 1947, das seine Grundlage in Art. XXII und XXIll GAlT hatte. 39 Es ist ebenso wie die Streitschlichtungsverfahren des GAlT 1947 ein bilaterales Verfahren, bei dem die streitenden Parteien den Verlauf des Verfahrens weitgehend in der Hand haben. 40 Die Rechtsordnung der WTO kennt kein Verfahren, das WTO-Organe von Amts wegen gegen einen Staat einleiten können, wie dies etwa der EG-Kommission gern. Art. 226 (169 a. F.) EG-Vertrag möglich ist. Ebensowenig verfügt die WTO über ein Organ, das wie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Zwangsmaßnahmen gegen ein Mitglied verhängen kann, das gegen die Rechtsordnung verstoßen hat. Einleitung und Betreiben des Verfahrens sowie wie die Umsetzung des Schiedsspruchs sind alleinige Angelegenheit des betroffenen Staates. Nur er kann bei Nichtbeachtung des Schiedsspruchs auf die Durchsetzungsmaßnahmen zurückgreifen. Die WTO kennt keine kollektive, sondern eine individuelle Rechtsdurchsetzung. Trotz gemeinsamer Prinzipien unterscheidet sich das WTO-Streitbeilegungsverfahren von seinem Vorgängerverfahren. Zwei Punkte sind von zentraler Bedeutung für die Struktur des Verfahrens. Erstens ist das WTO-Streitbeilegungsverfahren ein einheitliches Verfahren, das für alle formellen und materiellen Elemente der WTORechtsordnung gilt. In der Rechtsordnung des GAlT 1947 verfügten dagegen die einzelnen Nebenabkommen über eigene Streitbeilegungsverfahren, was in vielen Fällen ein sog. "forum shopping" zur Folge hatte. Die klagende Partei entschied sich für ein Streitbeilegungsverfahren im Rahmen desjenigen Abkommens, das für sie am günstigsten war, wodurch die beklagte Partei sich regelmäßig nicht unter Berufung auf ein anderes Abkommen verteidigen konnte.41 Zweitens können die Einsetzung eines Panels und die Entscheidungen der Streitbeilegungsorgane nur durch einen Konsens des Dispute Settlement Body abgelehnt werden. Einsetzung und Entscheidungen der Panels des GAlT 1947 mußten per Konsens angenommen werden. Dies bot der beklagten Partei hinreichende Möglichkeiten, das Verfahren zu verzögern und zu blockieren. In der Rechtsordnung der WTO ist es dagegen noch nicht zur Ablehnung der Einsetzung eines Panels oder zur Ablehnung eines Schiedsspruchs gekommen. Auch in Zukunft ist dies nicht zu erwarten, da davon auszugehen ist, daß die siegreiche Partei sich nicht an einem Konsens, der den Schiedsspruch ablehnt, beteiligen wird. Betrachtet man die inzwischen fünfjährige Praxis des WTO-Streitbeilegungsverfahrens, läßt sich folgendes festhalten. 42 Das WTO-Verfahren wird von den Ver39 Jackson, JIEL 1 (1998), S. 330. Gute Überblicke über die Streitschlichtung im GATI 1947 finden sich bei Hudec, Enforcing International Trade Law, S. 11 ff und Petersmann, The GATI/WTO Dispute Settlement System, S.66ff. 40 Vgl. auch Stoll, ZaöRV 1997, S.133ff. 4 1 Jansen, EuZW 1994, S. 334. 42 Siehe zur Bewertung der Praxis Petersmann, JIEL 1 (1998), S.40ff; Steger/Hainsworth, JIEL 1 (1998), S. 203ff; Jackson, JIEL 1 (1998), S. 329ff; Shoyer, JIEL 1 (1998), S. 277ff; Cottier, CMLR 35 (1998), S.333 ff; Hauser/Martel, Aussenwirtschaft 52 (1997), S.525ff. Vgl. auchdie Überblicke überdie Entscheidungen bei Van denBossche, JIEL 1 (1998), S.161 ffund

3 Krajewski

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tragsparteien rege genutzt. Während in der Rechtsordnung des GATT 1947 insgesamt nur 115 förmliche Panel- Verfahren durchgeführt wurden43 , ist das WfOStreitschlichtungsverfahren zwischen 1995 und Anfang 2000 bereits in 188 Fällen in Anspruch genommen worden, wovon 31 in beiden Instanzen bereits förmlich abgeschlossen wurden.44 Eine Vielzahl der Streitigkeiten konnte allerdings außerhalb des förmlichen Verfahrens beigelegt werden. Die Verfahren werden vermehrt auch von Entwicklungsländern genutzt.45 Die Entscheidungen des Appellare Body betreffen Fragen des materiellen WfO-Rechts und formelle Fragen wie Klagebefugnis46, Prozeßvertretungsbefugnis47 , Beweislastverteilung48, Prüfungsumfang der Panels49, Berufungsumfang50 und Verfahrensökonomie5 1• Aus den Entscheidungen über Verfahrensfragen entwickelt sich ein sekundäres Streibeilegungsverfahrensrecht.S2 Die verstärkte Benutzung juristischer Interpretationsmethoden in den Entscheidungen zeigt eine deutliche "Verrechtlichung" der WfO-Verfahren im Vergleich zu den Verfahren des GATT 1947.53 Trotz dieser Entwicklung kann das WfO-Streitbeilegungsverfahren nicht als Gerichtsverfahren bezeichnet werden. Die Mitglieder der Panels werden anders als die Mitglieder des Appellare Body gern. Art. 8 Abs. 1 DSU für das einzelne Verfahren

ausgesucht und müssen nicht über eine juristische Qualifikation verfügen. Darüber hinaus tagen gern. Regel2 der Allgemeinen Hinweise zum Verfahren der Panels bzw. Art. 17 Abs. 10 DSU weder die Panels noch der Appellare Body öffentlich, was bei Gerichtsverfahren ein wesentliches Element ist. Schließlich können die Entscheidungen der Streitschlichtungsorgane grundsätzlich durch einen Beschluß des S.479ff sowie die Zusammenstellung von Vermulst/Mavroidis/Waehr, JWT 33 (1999), No.2, S.1 ff. 43 Zahlen nach Petersmann, GATI/WTO Dispute Settlement System, Annex A und B. 44 Stand 1. Februar 2000. 4s Steger/Hainsworth, JIEL 1 (1998), S. 204. Dazu auch Kufor, JWT 31 (1997), No. 5, S.132ffund Kuruvila, JWT 31 (1997), No.6, S.178ff. 46 EC- Regime of the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Entscheidung des Appellate Body angenommen am 25.9.1997, WT/DS27/AB/R, Absatz 132 ff, S. 62 ff. Zur Klagebefugnis in Anti-Dumping-Verfahren, Bourgeois, JIEL 1 (1998), S. 262 ff. 47 EC- Regime of the Importation, Sale and Distribution of Bananas, Entscheidung des Appellate Body angenommen am 25.9.1997, WT/DS27/AB/R, Rn.lO. Dazu Martha, JWT 31 (1997), S. 84ff und Bronckers/Jackson, JIEL 2 (1999), S.155 ff. 48 USA- Measures Affecting Imports of Shirts and Blouses, Entscheidung des Appellale Body angenommen am 23.5.1997, WT/DS33/AB/R, AbschnittiV. Siehe auch Pauwelyn, JIEL 1 (1998), S.237ff. 49 Desmedt, JIEL 1 (1998), S. 695 ff. so Siehe die Nachweise bei Lugard, JIEL 1 (1998), S. 323 ff. 51 USA- Measures Affecting Imports of Shirts and Blouses, Entscheidung des Appellale Body angenommen am 23.5.1997, WT/DS33/AB/R, Abschnitt VI. Siehe auch Steger/Hainsworth, JIEL 1 (1998), S. 214. s2 Dazu McRae, in: Cameron/Campbell (eds.), S. 105 ff. 53 Petersmann, JIEL 1 (1998), S. 33; Weber/Moos, EuZW 1999, S. 232ff. Zu den Entscheidungen der GATT 1947-Panels, Jackson,IIEL 1 (1998), S. 334.

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Dispute Settlement Body abgelehnt werden, der auf politischen Erwägungen beruhen kann. Auch wenn Ablehnungen die seltene Ausnahme bleiben werden, ist die Entscheidung des Appellate Body rechtssystematisch der Entscheidung eines politischen Organs untergeordnet. Von einer unabhängigen Gerichtsentscheidung kann aber nur gesprochen werden, wenn der Spruchkörper nicht nur in der Praxis, sondern auch rechtlich unabhängig von einer politischen Letztentscheidung ist. In Praxis und Literatur wird das Streitschlichtungsverfahren der WTO allgemein als ,,Erfolgsgeschichte" bewertet.54 Es ist nicht zu erwarten, daß die WTO-Mitglieder in ihrer bereits mehrfach vertagten Entscheidung zur Überprüfung des Verfahrens umfangreiche Änderungen vorsehen werden.55 Im wesentlichen dürften sich die Änderungen auf Verbesserungen bezüglich der Umsetzungsphase des Streitbeilegungsverfahrens beschränken.56 Die im Zusammenhang mit dieser Arbeit interessanten Fragen der Transparenz des Verfahrens und des Zugangs der Öffentlichkeit oder zivilgesellschaftlicher Gruppen zu den Verhandlungen werden aller Voraussicht nach bei der Entscheidung über die Überprüfung des Verfahrens keine große Rolle spielen.s7 Für die grundsätzliche Bewertung des Streitschlichtungsverfahrens ist zunächst anzuerkennen, daß die meisten Entscheidungen umgesetzt werden. Allerdings gibt es auch handelspolitische Konflikte, bei denen die Wirkung der Streitschlichtungsverfahren begrenzt ist. Dazu zählen Verfahren, an deren Ausgang für die betroffenen Staaten ein besonders großes öffentliches Interesse besteht. So brachte die mangelhafte Umsetzung der Entscheidung im Verfahren gegen die Bananenmarktordnung der EG die WTO-Rechtsordnung Ende 1998/Anfang 1999 in eine schwere Krise.58 Auf Schwierigkeiten stieß auch die Umsetzung der Entscheidungen im Verfahren gegen das Importverbot der EG für hormonbehandeltes Rindfleisch.59 Ebenso ist S4 Steger/Hainsworth, JIEL 1 (1998), S. 225f; Bourgeois, JIEL 1 (1998), S. 276; Shoyer, JIEL 1 (1998), S.280ff. 55 Vgl. zu den verschiedenen Reformvorschlägen Leier, EuZW 1999, S. 207ff. 56 Vgl. den Entwurf einer Entscheidung vom 2.12.1999, WT/MIN(99)/8 (nicht veröffentlicht). 57 Siehe dazu Steger/Hainsworth, JIEL 1 (1998), S. 225; Leier, EuZW 1999, S. 210 und unten III.5. 58 EC -Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, WT/DS27, Entscheidung des Appellate Body vom 9.9.1997 und die Folgeentscheidung vom 12.4.1999. Zur Umsetzungsgeschichte siehe Focus WTO, No. 31, January-February 1999, S.1, 4. Zur Problematik siehe Stoll/Ress, EWS 1996, S. 37ff; Petersmann, IP4/1997, S. 29ff; Kuschel, RIW 1998, S.122f; Jürgensen, RIW 1999, S. 247ffundMeier, EuZW 1999, S.428ff. 59 EC- Measures Affecting Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26 und WT/ DS48. Zu den Entscheidungen Hilf!Eggers, EuZW 1997, S. 559ff; Eggers, EuZW 1998, S. 147 ff und Godt, EWS 1998, S. 203 ff. Die Umsetzungsfrist der Entscheidung am 13.2.1998 angenommenen Entscheidung des Appellate Body vom lief am 13.5.1999 ab. Die EG ignorierte die Entscheidung und bot gern. Art. 22 DSU Kompensationsverhandlungen an, die erfolglos blieben. Die USA haben nunmehr Zugeständnisse in verschiedenen Sektoren ausgesetzt und Strafzölle gegen bestimmte europäische Produkte verhängt.

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noch nicht abzusehen, ob die Änderung des US-amerikanischen Rechts aufgrund der Entscheidung des Appellate Body gegen ein Importverbot für Krabben, die mit bestimmten Netzen gefangen werden, von den WfO-Mitgliedern als vollständige Umsetzung der Entscheidung akzeptiert werden.60 Angesichts der Umsetzungsproblematik kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob der Streitschlichtungsmechanismus auch in diesen Verfahren erfolgreich sein wird oder ob die Streitschlichtung hier an eine systemimmanente Grenze stößt.61 Daher ist es trotzder problemlosen Umsetzung der meisten Entscheidungen für eine abschließende Bewertung des Streitbeilegungsverfahrens der WfO noch zu früh.62

c) Verhältnis der WTO zu anderen internationalen Organisationen Die WfO hat eine Reihe von Kooperationsabkommen mit anderen internationalen Organisationen geschlossen, deren Aufgabenbereiche handelsrelevante Fragen berühren, wie etwa mit der World lntellectual Property Organization (WIPO), der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), der Food and Agricultural Organization (FAO), der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond. Die Zusammenarbeit mit den beiden "Bretton-Woods"-Organisationen IWF und Weltbank soll zu einer größeren Kohärenz in der globalen Wirtschaftspolitik beitragen.63 Der WfO kommt so die Funktion einer "dritten Säule" des Weltwirtschaftssystems neben IWF und Weltbank zu. Anders als IWF und Weltbank ist die WfO jedoch keine Sonderorganisation der Vereinten Nationen gern. Art. 58, 63 UN-Charta. 64 Bereits das GATI 1947 wurde offiziell nur als de facto-Sonderorganisation bezeichnet65 , was einerseits mit der fehlenden Organisationseigenschaft des GATI 1947 und andererseits mit der im Verhältnis zu den Vereinten Nationen und anderen Sonderorganisationen geringen Zahl der Vertragsparteien des GATI 1947 begründet wurde. Darüber hinaus befürchteten die GATI-VERTRAGSPARTEIEN bei einer förmlichen Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen eine stärkere Politisierung der GATI-Verhandlungen. 66 Durch die Gründung der WfO mit inzwischen 135 Mitgliedern änderten sich diese Rahmen60 United States- Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58. Siehe zur Umsetzung die Revised Guidelines for the lmplementation of Section 609 of P. L. 101-162, Federal Register, Vo1.64, No.130 (8July 1999), S. 36946ff. 61 Ähnlich Leier, EuZW 1999, S. 211. 62 Shoyer, JIEL 1 (1998), S.281. 63 Abs. 5 der Erklärung der Minister zum Beitrag der W10 für eine kohärentere Gestaltung der Weltwirtschaftspolitik vom 15. Dezember 1993, zitiert nach Hummer/Weiss, Vom GAlT '47 zur WTO '94, S.539ff. 64 Zum Verhältnis der WTO zu den UN, Benedek, VN 1/1995, S.18f. 65 Erklärung eines ad hocKomiteesder UN-Generalversammlung vom 9.3.1975, UN General Assembly Document NAC.179.5. Zitiert nach Hummer/Weiss, Vom GAlT '47 zur WTO '94, s. 353 ff. 66 Benedek, Rechtsordnung des GAlT, S. 231 f.

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bedingungen jedoch, so daß die Begründung einer formellen Sonderorganisationseigenschaft der WfO möglich gewesen wäre. Der Allgemeine Rat beschäftigte sich bereits in seiner ersten Sitzung am 31.1.1995 mit dieser Frage, sah allerdings keinen Grund für eine formelle institutionelle Bindung der WfO an die Vereinten Nationen. In einem Notenwechsel zwischen dem UN-Generalsekretär und dem WTOGeneraldirektor wird als Grundlage der Beziehung der WTO zu den Vereinten Nationen die Beziehung der Vereinten Nationen zum GATT 1947 beibehalten.67 Begründet wird die Stellung der WfO als de facto-Sonderorganisation in dem Notenwechsel u. a. mit dem "vertraglichen Charakter" der WfO. Wie diese Formulierung, die sich eigentlich auf das GATT 1947 bezieht, in Bezug auf die WfO, deren Organisationscharakter außer Frage steht, gedeutet werden soll, ist unklar. Die Tatsache, daß die WfO-Vertragsparteien es vermieden haben, die wro ZU einer formellen UN-Sonderorganisation zu machen, ist kritisiert worden, da sich dadurch zum ersten Mal eine globale Wirtschaftsorganisation außerhalb des rechtlichen Rahmens der Vereinten Nationen stelle.68 In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß die WfO nach ihrem Selbstverständnis zu einer größeren Kohärenz in der globalen Wirtschaftspolitik beisteuern und somit auch globale Politikaufgaben übernehmen will.69 Derartige Aufgaben gehören gern. Kapitel IX und X der UN-Charta primär in die Zuständigkeit des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) und damit auch der UN-Sonderorganisationen. Die Begründung eines offiziellen Sonderorganisationsstatus für die WTO hätte inhaltlich allerdings wenig an der bestehenden Situation geändert. Die Rechte und Pflichten der UN-Sonderorganisationen ergeben sich aus den jeweiligen Abkommen zwischen den Organisationen und dem ECOSOC, für die sich in der UN-Charta keine bindenden Vorgaben finden. Regelmäßig werden die gegenseitige Vertretung in den Organen, der Austausch von Informationen und Dokumenten, die Beachtung von Empfehlungen der Vereinten Nationen an die Sonderorganisation und eine Berichtspflicht der Sonderorganisation vereinbart.70 Da die bestehende Beziehung der WTO zu den Vereinten Nationen bereits Vertretungs- und Austauschrechte enthält, könnte nur für die Beachtung von Empfehlungen und Berichtspflicht eine Änderung der bisherigen Situation entstehen, wenn die WfO eine UN-Sonderorganisation werden würde. Allerdings sind sowohl die Beachtung von Empfehlungen als auch die Berichtspflicht keine zwingenden Voraussetzungen für die Begründung des Status einer Sonderorganisation, wie die Abkommen der Weltbank bzw. des IWF mit den Vereinten Nationen zeigen, wo sowohl die Beachtungs- als auch die Berichtspflicht weitestgehend ausgeschlossen sind.7 1 Angesichts ihrer Funktion als "dritter Säule" 67 68

WT/GC/W/10 vom 3.11.1995.

Benedek, VN l/1995, S.19.

69 Vgl. Erklärung der Minister zum Beitrag der WTO für eine kohärentere Gestaltung der Weltwirtschaftspolitik vom 15. Dezember 1993, zitiert nach Hummer/Weiss, Vom GATI '47 zurWTO '94, S.539ff. 1o Simma-Meng, UN-Charta, Art.63, Rn. 8ff. 7t Simma-Meng, UN-Charta, Art.63, Rn.l7ff.

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Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungstindung der W10

neben Weltbank und IWF hätte die WTO wahrscheinlich ein ähnliches Abkommen wie IWF und Weltbank abgeschlossen, so daß die Begründung eines förmlichen Sonderorganisationsstatus für die WTO an ihrer jetzigen Beziehung zu den Vereinten Nationen inhaltlich wenig geändert hätte. 4. Die materiellen Elemente der Rechtsordnung der WTO Die materiellen Elemente der Rechtsordnung der WTO bestehen aus den Regeln über den Warenhandel, den Dienstleistungshandel und über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte. Dienstleistungshandel und geistiges Eigentum sind Aspekte, die durch den Abschluß der Uruguay Runde erstmals in den Regelungszusammenbang des GAIT aufgenommen wurden. Unter den multilateralen Abkommen sind die Abkommen über den Warenhandel, in deren Mittelpunkt das GAIT 1994 steht, das umfangreichste Regelungs werk. Die Regeln über den Dienstleistungshandel befinden sich im Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) und in mehreren Anhängen zu diesem Abkommen. Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (1RIPS-Abkommen) stellt den kleinsten Regelungsbereich der drei multilateralen Abkommen dar. Neben den multilateralen Abkommen gehören noch zwei plurilaterale Abkommen über Zivilluftfahrt und über Regierungseinkäufe (öffentliches Beschaffungswesen) zu den materiellen Regeln der Rechtsordnung der WT0.72 a) Die Abkommen über den Warenhandel Die in Annex 1 A der WTO-Satzung angehängten Abkommen über den Warenhandel umfassen das GAIT 1994 und zwölf weitere bereichsspezifische multilaterale Handelsabkommen.73 Das GAIT 1994 besteht wiederum aus mehreren Teilen. Im Mittelpunkt steht das GAIT 1947, das durch über 200 weitere Abkommen, Protokolle und Erklärungen der Vertragsparteien des GAIT 1947 ergänzt wird. Ebenfalls Teil des GAIT 1994 sind sechs Übereinkommen über die Interpretation und Durchführung bestimmter Vorschriften des GAIT 1947.74 Das GAIT 1994 ist folg72 Die ursprünglich ebenfalls zur Rechtsordnung der WTO gehörenden plurilateralen Abkommen über Milch- bzw. Rindfleischprodukte wurden gern. Art. X Abs. 9 durch Beschluß des Allgemeinen Rates aus dem Vertragswerk gestrichen. Vgl. Focus W10, No. 26, January 1998,

S.2.

73 Es handelt sich im einzelnen um die Abkommen über Landwirtschaft, über die Anwendung von sanitären und phytosanitären Maßnahmen, über Textilien und Kleidung, über technische Handelsschranken, über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen, über die Anwendung von Artikel VI GATT 1994 (Anti-Dumping-Abkommen), über die Anwendung von Artikel VII GATT 1994 (Zollwertabkommen), über Versandkontrolle, über Herkunftsregeln, über Importlizenzverfahren, über Subventionen und Gegenmaßnahmen und über Schutzmaßnahmen. 74 Übereinkommen über die Interpretation von Art. II: I (b) GATT 1994, über die Interpretation von Art. XVII GATT 1994 (staatliche Unternehmen), über die Zahlungsbilanzvorschrif-

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lieh kein einzelnes Abkommen, sondern bildet ein komplexes Geflecht von Abkommen und anderen Rechtsinstrumenten, dessen Kern das .,alte" GATT ist. 75 Die unveränderten GATT-Grundprinzipien bilden die Grundlagen des internationalen Handelsrechts. Das GATT 1994 ist eine Fortschreibung des GATT 1947, obwohl sich beide Abkommen gern. Art. II Abs. 4 WTO-Abkommen ,,rechtlich unterscheiden". Diese rechtliche Trennung war nötig, da bei einer einfachen Rechtsnachfolge die Vertragsparteien des GATT 1947 automatisch Vertragsparteien des GATT 1994 geworden wären, ohne zuvor der gesamten Schlußakte beizutreten. Dadurch wäre der von den Vertragsparteien gewünschte .,single approach" nicht mehr möglich gewesen. Die neben dem GATT 1994 stehenden zwölf bereichsspezifischen Abkommen umfassen zum Teil Regelungsbereiche der in der Tokio-Runde ausgehandelten Abkommen (sog. Tokio-Kodizes) und zum Teil Regelungsmaterien des internationalen Warenhandels, die entweder wieder in den GATT-Zusammenhang einbezogen wurden, nachdem sie sich in den vergangeneo Jahrzehnten weitestgehend außerhalb des GATT entwickelt haben (Landwirtschaft und Textilien) oder neu in diesem Zusammenhang sind (Investitionen). Die gegenüber der Rechtsordnung des GATT 1947 unveränderten Grundprinzipien des GATT 1994 sind die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, des Marktzugangs und der Verhandlungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit (Reziprozität). 76 Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung erfährt seine wichtigste Konkretisierung in den Prinzipien der Meistbegünstigung gern. Art. I Abs. 1 GATT und der Inländerbehandlung gern. Art. III GATT.77 Der Meistbegünstigungsgrundsatz besagt, daß jede Vergünstigung, die eine Vertragspartei einer Ware gewährt, die aus dem Gebiet einer anderen Vertragspartei stammt, unmittelbar und unbedingt auch für entsprechende Waren aus den Gebieten der übrigen Vertragsparteien gelten soll. Bilaterale Verhandlungen über gegenseitige Vergünstigungen wirken sich so stets multilateral aus. Auf diese Weise ist in der Geschichte des GATT 1947 ein umfassender Abbau von Handelsschranken gelungen. Der Grundsatz der Inländerbehandlung besagt gern. Art. III Abs. 1 GATT, daß Binnensteuern und andere Regulierungen der Wirtschaft nicht so angewandt werden dürfen, daß sie sich protektionistisch auswirken. Gern. Art. III Abs. 2 und 4 GATT sollen die Produkte aus dem Gebiet eiten des GAlT 1994, über Art. XXIV GAlT 1994 (Zollunionen und Freihandelszonen), über .,waiver" unter dem GAlT 1994 und über Art. XXVIII GAlT 1994 (Modifizierungen der Zugeständnisse). 75 Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 291. 76 Eine vergleichbare Einteilung findet sich bei Senti, GAlT, S. 57 ff und S. 100 ff. Anders Benedek, Rechtsordnung des GATT, S. 61 ff, der fünf Grundregeln oder Standards nennt: Meistbegünstigung, Inländergleichbehandlung, Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, Transitfreiheit, und Transparenz. 77 Dazu Curzon, Multilateral Commercial Diplomacy, S. 57ff; Jackson, World Trade, S. 211 ff; 273ff; Senti, GAlT, S.100ff; Jackson, The World Trading System, S. 133ff; Hauser/ Schanz, Das neue GAlT, S. 11 ff; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 436ff; Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 107f.

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ner anderen Vertragspartei bezüglich Binnensteuern und anderen gesetzlichen Vorschriften nicht weniger günstig behandelt werden als gleiche Produkte aus dem Inland. Neben das Meistbegünstigungsprinzip und das Gebot der Inländerbehandlung treten weitere Vorschriften, die den Grundsatz der Nichtdiskriminierung konkretisieren, wie das Gebot der nicht-diskriminierenden Anwendung mengenmäßiger Beschränkungen gern. Art. XIII GATT oder der nicht-diskriminierenden Anwendung allgemeiner Ausnahmen gern. Art. XX GATT. Der Grundsatz des Marktzugangs umfaßt das Prinzip des Zollabbaus, das in Art. XXVITibis GATT niedergelegt ist und das Verbot von mengenmäßigen Handelsbeschränkungen gern. Art. XI GATT, wonach Handelsschranken nicht durch Quoten, Import- und Exportlizenzen oder andere quantitative Maßnahmen, sondern nur durch Zölle, Steuern oder andere finanzielle Belastungen errichtet werden dürfen.78 Ergänzt wird der Grundsatz des Marktzugangs durch den Grundsatz der Transitfreiheit gern. Art. V GATT, die Bestimmungen zur Berechnung des Zollwerts gern. Art. VII GATT und das Gebot der Transparenz von Handelsvorschriften gern. Art. X GATT, das die Vertragsparteien verpflichtet, ihre handelsrelevanten nationalen Gesetze und Vorschriften allgemein zugänglich zu veröffentlichen. Das Prinzip der Verhandlungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ist nicht in einem bestimmten GATT-Artikel normiert, sondern zieht sich wie ein ,,roter Faden" durch das gesamte GATT.79 Erwähnt wird das Prinzip in Art. XXVillbis und im dritten Erwägungsgrund der Präambel: "(...) in dem Wunsche, zur Verwirklichung dieser Ziele durch den Abschluß von Vereinbarungen beizutragen, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung im internationalen Handel abzielen, (... )."Nach der ursprünglichen Bedeutung des Prinzips sollen sich die WTO-Mitglieder in den Verhandlungen Zugeständnisse machen, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, d. h. in ihrem Wert gleichartig sind. Eine wirtschaftliche Gleichartigkeit von Zugeständnissen ist jedoch schwer feststellbar. 80 Darüber hinaus verliert das Prinzip der Reziprozität an Bedeutung, sobald nicht über gegenseitige Marktöffnungszugeständnisse und den wechselseitigen Abbau von Handelsschranken, sondern über technische Handelshemmnisse, Anti-Dumping- und Anti-Subventionsmaßnahmen oder über die Harmonisierung gesundheitspolizeilicher Maßnahmen verhandelt wird. In diesen Bereichen machen sich die Verhandlungsparteien keine gegenseitigen Zugeständnisse im eigentlichen Sinn, sondern verhandeln über allgemeine materielle Standards. Die Funktion des Reziprozitätsgrundsatzes in der GATT/WTO-Rechtsordnung besteht 78 Dazu Jackson, World Trade, S. 201 ff; 30ff; Senti, GATT, S. 127ff; Jackson, The World Trading System, S. 115 ff, Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 17 ff; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems, S. 327 ff. 79 Dam, The GATT, S. 59. 80 Jackson, World Trade, S. 241 ff; Senti, GATT, S. 64 ff.

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aus diesen Gründen hauptsächlich darin, ein ausgeglichenes Gesamtergebnis der Verhandlungen sicherzustellen.81 Das GATI enthält auch eine Reihe von Ausnahmen von den genannten Grundsätzen, wie den Sonderregeln für regionale Handelsabkommen und Entwicklungsländer, die die gesamte Rechtsordnung des GATI erfassen.82 Darüber hinaus sind besondere Ausnahmegenehmigungen für einzelne Vertragsparteien ("waiver'') gern. Art. XXV Abs. 5 GATI möglich. Schließlich gewähren Art. XX und XXI GATI Ausnahmen für bedeutsame nationale Politikfelder, wie öffentliche Sicherheit, Gesundheit oder dem Schutz des nationalen Kulturgutes. Neben den Ausnahmen enthält das GATI auch Schutzbestimmungen, wie die Bestimmungen über den Schutz der Zahlungsbilanz (Art. Xll GATI) und das Recht, auf Dumpingmaßnahmen oder Subventionen anderer Staaten unter bestimmten Voraussetzungen mit Ausgleichsmaßnahmen reagieren zu dürfen (Art. VI und XVI GATI). Die Grundprinzipien und Ausnahmen des GATI werden durch das in das GATI 1994 inkorporierte Sekundärrecht des GATI 194783, die sechs Übereinkommen zum GATI 1994 und einige der zwölf Sonderabkommen ergänzt und präzisiert. Letztere betreffen zentrale Regelungsbereiche des GATI, wie Zölle, technische und andere Handelshemmnisse, Ausnahme- und Schutzbestimmungen, die Erteilung eines waivers und Maßnahmen gegen Subventionen und Dumping.84 Die Verhandlungen über den Agrar- und Textilhandel gehörten zu den besonders kontroversen Auseinandersetzungen der Uruguay Runde, da sich im Laufe der GATI-Geschichte für beide Bereiche Sonderregime herausgebildet hatten. Das Abkommen über Landwirtschaft bestimmt, daß nicht-tarifäre Handelshemmnisse in Zölle umzuwandeln und abzubauen sind und innerstaatliche Beihilfen, die keine direkten, produktunabhängigen Unterstützungszahlungen sind, und Exportsubventionen verringert werden müssen.ss Das Abkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS-Abkommen) verpflichtet die WTO-Mitglieder, ihre handelsrelevanten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu harmonisieren.86 Es läßt Schutzmaßnahmen grundsätzlich nur zu, wenn wissenschaftlich nachweisbar ist, daß das gehandelte Produkt eine Gesundheitsgefahr darstellt. Im Bereich des Textil- und Kleidungshandels hatten die meisten Industriestaaten ihre Märkte gegen Textilimporte aus Entwicklungsländern mittels Quoten abgesichert, die ihre rechtliche Grundlage im Multifaserabkommen fand. Gemäß Senti, GATT, S. 66. Benedek, Rechtsordnung des GATI, S. 63 ff. 83 Benedek, Rechtsordnung des GATT, S. 94ff, S. 115 ff. 84 Zum Anti-Dumping-Abkommen, sieheHorlick/Shea, JWT29 (1995), No.1, S.5 ff;Hoekman/Mavroidis, JWT 30 (1996), No. 1, S.27ff und Pa/meter, JWT 30 (1996), No.4, S.43ff. Zum Subventionsabkommen siehe Beviglia Zampetti, JWT 29 (1995), No. 5, S. 5 ff und Collins-William/Salembier, JWT 30 (1996), No.1, S.5ff. 85 Zum Abkommen über Landwirtschaft Stoll, ZaöRV 1994, S.184ff und Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 173 ff. 86 Zum SPS-AbkommenRitter, EuZW 1997, S.l33ffundRoberts, JIEL 1 (1998), S.377ff. 81 82

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dem Abkommen über Textilien und Kleidung soll der Textilsektor über eine Periode von zehn Jahren vollständig in den GATT/WTO-Regelungszusammenhang einbezogen werden.87 Das Abkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMs) bezieht sich auf Investitionen im Bereich des Warenhandels und postuliert die Geltung der Inländerbehandlung und des Verbots mengenmäßiger Beschränkungen.88 Es enthält keine umfassenden Regeln für den Investitionsschutz in der WTO-Rechtsordnung, da die TRIMs-Bestimmungen inhaltlich nicht über Art. III und IX GATT hinausgehen. Entscheidender als der materielle Regelungsgehalt des Abkommens ist, daß der Bereich Investitionen gegen den starken Widerstand vieler Entwicklungsländer grundsätzlich in die GATT/WTO-Rechtsordnung einbezogen wurde. Dem TRIMsAbkommen kommt insofern eine Türöffnerfunktion zu. Auf der Ministerkonferenz von Singapur 1996 wurde eine Arbeitsgruppe zum Thema "Handel und Investitionen" eingesetzt. Nachdem die Verhandlungen um ein Multilaterales Investitionsabkommen (MAI) in der OECD gescheitert sind, gibt es Bestrebungen, ein derartiges Abkommen, dessen Regelungsbereich erheblich über das bestehende TRIMs-Abkommen und bilaterale Investitionsabkommen hinausgehen würde, im Rahmen der WTO auszuhandeln. 89

b) Das GATS und das TRIPS-Abkommen Der Handel mit Dienstleistungen und handelsrelevante Aspekte des geistigen Eigentums wurden im Rahmen der Uruguay Runde neu in den Regelungszusammenhang des GATT eingeführt. GATS und TRIPS-Abkommen bilden daher neben den Abkommen über den Warenhandel als "erster Säule", die zweite und dritte Säule der Rechtsordnung der WTO. Gegen die Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay Runde bestand erheblicher Widerstand mancher Entwicklungsländer, da sie befürchteten durch eine weitreichende Liberalisierung des Dienstleistungssektors an der Entwicklung eigener, nationaler Dienstleistungssektoren gehindert zu werden. Dennoch kam es zur Verabschiedung des GATS, das eine eigenständige Ordnung des internationalen Dienstleistungshandels enthält.90 Inhaltlich und strukturell orientiert sich das GATS am GATT. So gelten im GATS gern. Art. II der Grundsatz der Meistbegünstigung und gern. Art. III der Grundsatz der Transparenz 87 Zum Abkommen über Textilien und Bekleidung Smeets, JWT 29 (1995), No.5, S. 97ff; Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 155ff. 88 Zum TRIMs-Abkommen Sauve, JWT 28 (1994), No. 5, S. 5 ff; Brewer{Young, JIEL 1

s.

(1998), 457 ff. 89 Dazu unten 5. a). 90 Zum GATS Weiss, CMLR 32 (1995), S. 1177ff; Senti/Weber, in: Thürer/Kux (Hrsg.), S. 129 ff; Sauve, JWT 29 (1995), S. 125 ff; Eckert, Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen, S. llOffund Sapir, JWT 33 (1999), No. 2, S. 51 ff.

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von Handelsmaßnahmen. Auch die Prinzipien des Marktzugangs und der Inländerbehandlung sind gern. Art. XVI und Art. XVII im GATS enthalten. Sie beziehen sich jedoch nur auf solche Bereiche des Dienstleistungshandels, die von den WTO-Mitgliedern in entsprechenden Listen angegeben worden sind. Nach Artikel II Abs. 2 GATS kann jedes Mitglied bestimmte Dienstleistungssektoren von der Geltung des Meistbegünstigungsprinzips in sog. ,,Negativlisten" ausschließen.91 Die Grundsätze des Marktzugangs und der Inländerbehandlung gelten gern. Art. XVI und XVII GATS sogar nur für solche Sektoren, die ausdrücklich in den Landeslisten aufgeführt sind (,,Positivlisten").92 Insofern unterscheidet sich das GATS erheblich vom GATT, das den Grundsatz der Inländerbehandlung und des Marktzugangs nicht auf bestimmte Produktgruppen begrenzt. Parallelen zum GATT finden sich bei den Ausnahmebestimmungen: Wie im GATT ist auch im GATS gern. Art. V die Sonderrolle von regionalen Handelsabkommen anerkannt. Das GATS enthält dem GATT vergleichbare Ausnahmebestimmungen für nationale Schutzmaßnahmen, Zahlungsbilanzbeschränkungen und Sicherheitsinteressen in Art. XII, XIV und XIVbis GATS. Schließlich wird in Art. XV GATS auch die besondere Bedeutung von Subventionen für den Dienstleistungshandel anerkannt. Einige Dienstleistungssektoren wie Basistelekommunikationsdienste und Finanzdienstleistungen haben während der Verhandlungsrunden eine Sonderrolle gespielt, so daß für diese Bereiche die Verhandlungen nicht bis zum Ende der Uruguay Runde, sondern erst im Februar bzw. Dezember 1997 abgeschlossen werden. Diese Abkommen sind als Anhang 4 und 5 zum GATS in die Rechtsordnung der WTO integriert worden.9J Der Einbezug von geistigen Eigentums- und gewerblichen Schutzrechten in die Rechtsordnung des GATT war zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ähnlich umstritten wie die Komplexe Investitionen und Dienstleistungen. Das TRIPSAbkommen enthält als Strukturelemente ebenso wie das GATT und das GATS die Grundsätze der Inländerbehandlung gern. Art. 3 und der Meistbegünstigung gern. Art. 4 TRIPS-Abkommen. 94 Anders als das GATT und das GATS bezweckt das TRIPS-Abkommen jedoch keinen erweiterten Marktzugang oder den Abbau von Handelsschranken, sondern die Internationalisierung des Schutzes von Urheberrechten, Marken, geographische Angaben, gewerblichen Mustern, Patenten und Topographien integrierter Schaltkreise und gestattet Handelsschranken für Produkte, die unter Mißachtung dieser Rechte hergestellt wurden. Das TRIPS-Abkommen enthält weitreichende Verpflichtungen zum Schutz der genannten Rechte, die das bestehende Völkervertragsrecht im Bereich des geistigen Eigentums inkorporieren 91 Weiss, CMLR 32 (1995), S.ll97f; Senti/Weber, in: Thürer/Kux (Hrsg.), S.l34.

Weiss, CMLR 32 (1995), S.1203ff. Zu Telekonununikation Brockers/Larouche, JWT 31 (1997), No. 3, S. 5 ff und zu Finanzdienstleistungen Dobson/Jacquet, Financial Services Liberalization, S. SOff. 94 Zum TRIPS-Abkonunen Cottier, in: Thürer/Kux (Hrsg.), S. 193 ff; Staehlin, Das TRIPSAbkonunen, S. 21 ff und Otten, JIEL 1 (1998), S. 523 ff. Zur Bedeutung des TRIPS-Abkonunen für Entwicklungsländer Abbott, JIEL 1 (1998), S. 497 ff. 92

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Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungsfindung der WTO

und ergänzen.95 Der m. Teil des Abkommens stellt umfangreiche Anforderungen an die zivil-, verwaltungs- und strafrechtlichen Verfahren des nationalen Rechtsschutzes für geistiges Eigentum. Die besondere Situation der Entwicklungsländer bei der Einführung der Schutzrechte wird in Art. 65 und 66 TRIPS-Abkommen ausdrücklich anerkannt.

c) Materielle Strukturelemente der Rechtsordnung der WTO Ein Vergleich des GATT 1994, des GATS und des TRIPS-Abkommen läßt die zentralen Strukturelemente des materiellen Teils der WTO-Rechtsordnung deutlich werden. In allen drei "Säulen" des WTO-Rechts findet der Grundsatz der unbedingten Meistbegünstigung Anwendung. Dieser Grundsatz kann somit als das materielle Kernelement des WTO-Rechts bezeichnet werden. Er führt dazu, daß sich jede bilateral ausgehandelte Vergünstigung multilateral auswirkt, was eine besondere Dynamik für die Liberalisierung des Welthandels entfaltet. Der Meistbegünstigungsgrundsatz ist somit zentrales Strukturelement einer internationalen Handelsorganisation, die auf einer multilateralen Grundlage beruht. Er kann als ein konstitutives Element der Rechtsordnung der WTO angesehen werden. Eine weitere zentrale, wenngleich nicht notwendigerweise konstitutive Rolle spielen die Prinzipien der Inländerbehandlung und des Marktzugangs. Beide haben im GATT 1994 einen weiten Anwendungsbereich gefunden und sind dem Grundsatz nach auch in das GATS und das TRIPS-Abkommen eingeführt worden. Dennoch sind sie in beiden Abkommen von vornherein einigen wichtigen allgemeinen Einschränkungen unterworfen. Im GATS ist die Geltung der Prinzipien Inländerbehandlung und Marktzugang auf bestimmte, von den WTO-Mitgliedern festzulegende Bereiche beschränkt. Das TRIPS-Abkommen enthält zwar den Grundsatz der Inländerbehandlung, ist jedoch statt vom Grundsatz des freien Marktzugangs von dem entgegengesetzten Prinzip des Schutzes geistiger Eigentumsrechte vor ungehinderter Verwertung geprägt. Der Grundsatz des Marktzugangs kann deshalb nur eingeschränkt als materielles Strukturelement des Rechtsordnung der WfO angesehen werden. Die grundsätzliche Achtung nationaler Schutz- und Sicherheitsinteressen, sowie die Regulierung von Subventionen und anderer wettbewerbsverzerrender Maßnahmen sind in den drei Sektorenabkommen als gemeinsame Elemente zu finden. Daneben tritt die Anerkennung der besonderen Situation von Entwicklungsländern in allen Bereichen des Welthandels. Schließlich bildet der Grundsatz der Verhandlungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ein weiteres wesentliches Strukturelement der Rechtsordnung der WTO. Er wird im dritten Erwägungsgrund der Präambel der WTO-Satzung, im zweiten Erwägungsgrund der Präambel des GATT 9S Pariser Verbandsübereinkuft zwn Schutz des geistigen Eigentwns, siehe Art. 2 Abs. I TRIPS-Abkommen; Bemer Übereinkunft von 1971, siehe Art. 9ff. TRIPS-Abkommen; Washingtoner Abkommen über den Schutz des geistigen Eigentwns im Hinblick auf integrierte Schaltkreise, siehe Art. 35 ff TRIPS-Abkommen.

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1947 und im dritten Erwägungsgrund der Präambel des GATS erwähnt. Das Reziprozitätselement enthält die zentrale Voraussetzung für Verhandlungen über den Abbau von Handelshemmnissen und damit für die Entwicklung der GATT/WfORechtsordnung. Es soll verdeutlichen, daß eine stabile internationale Wirtschaftsordnung nur auf einem ausgeglichenen Verhältnis gegenseitiger Rechte und Pflichten der Staaten beruhen kann. 5. Dynamische Entwicklung der Rechtsordnung der WTO Die Rechtsordnung der WTO zielt ebenso wie die Rechtsordnung des GATf 1947 auf einen Prozeß der dynamischen Weiterentwicklung.96 Diese kann die inhaltliche Erweiterung des WTO-Rechts durch die Aufnahme neuer Regelungsbereiche in die WTO-Rechtsordnung und die strukturelle Vertiefung des Rechts durch die Präzisierung und Ergänzung bereits bestehender Regeln betreffen. Das WTO-Recht enthält eine Reihe von Elementen, die die dynamische Fortentwicklung der WTOOrdnung erleichtern oder erforderlich machen und eine "immanente Dynamik" der WTO-Rechtsordnung begründen. a) Neue Themen in der WTO-Rechtsordnung Seit Gründung der WTO haben in ihrem Rahmen Verhandlungen oder Diskussionen über eine Reihe von Themen stattgefunden, die nicht in den multilateralen Abkommen geregelt sind, wie die Verhandlungen über Handel und Umwelt und über soziale Standards. Im Bereich Handel und Umwelt wird u. a. das Verhältnis von multilateralen Umweltabkommen oder nationalen Umweltvorschriften zum GATT 1994 erörtert. 97 Im Bereich Sozialstandards wurde diskutiert, in welchem Verhältnis Arbeitsschutzvorschriften und Arbeitnehmerrechte zur WTO-Rechtsordnung stehen. 98 Diese Diskussionen wurden vorerst mit dem Ergebnis abgeschlossen, daß die WTO hierfür nicht zuständig sei.99 Gleichwohl ist das Thema Handel und Sozialstandards auf der Ministerkonferenz von Seattle im Dezember 1999 erneut diskutiert worden, was nicht zuletzt auf die Proteste u. a. von Gewerkschaften während 96 Hippold, RIW 1998, S. 90ff und Langhammer, WiSt 1998, S. 121 ff. Benedek, Rechtsordnung des GAlTS. 94 bezeichnet das GATT 1947 als "dynamisierten multilateralen Vertrag". 97 Siehe zu den verschiedenen Themenstellungen den Bericht des Komitees für Handel und Umwelt vom 18. November 1996, WTO-Dokument PRESS{I'E014. Siehe grundlegend zur Thematik Esty, Greening the GAlT, S. 205 ff und statt vieler C harnovitz, CornelliLJ 27 ( 1994), S.459ff und Hudec, in: Bhagwati/Hudec (eds.), S. 95 ff; Epiney, DVB12000, S. 77ffund Hilf, NVwZ 2000,S.481 ff. 98 Charnovitz JWT 28 (1994), No.5, S.l7ff; Ward, ICLQ 45 (1996), S.592ff; Leary, in: Bhagwati/Hudec (eds.), S.177ff; Langville, ebenda, S. 231 ff; Reuß, Menschenrechte, S. 167 ff und McCrudden/Davies, JIEL 3 (2000), S. 46ff. 99 Vgl. Erklärung der Ministerkonferenz von Singapur vom 18. Dezember 1996, Nr. 4, WTO-Dokument WT/MIN(96)/DEC.

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der Konferenz zurückzuführen sein dürfte. Die Diskussionen führten jedoch angesichtsdes Widerstands der meisten Entwicklungsländer gegen eine Behandlung dieses Themas in der WTO zu keinem Ergebnis. Zu den neuen Themen zählen auch die Bereiche Wettbewerb und über das TRIMs-Abkommen hinausgehende Investitionsschutzregeln, zu denen nur Arbeitsgruppen zur Klärung von Vorfragen eingesetzt wurden. Mit der Einsetzung der Arbeitsgruppen ist zwar formell keine Vorentscheidung über den Beginn Verhandlungen getroffen. 100 Dennoch können diese Arbeitsgruppen als Vorstufe für multilaterale Verhandlungen angesehen werden. Nach Art. ID Abs. 2 Satz 2 WTO-Satzung kann die WTO als Forum zukünftiger Verhandlungen dienen, deren Ergebnisse in den institutionellen Rahmen der WTO eingebracht werden können. Ein besonderes Instrument für die Erweiterung des WTO-Rahmens findet sich in Art. X Abs. 9 der WTO-Satzung. Danach kann die Ministerkonferenz auf Antrag der Vertragsparteien eines Handelsübereinkommens, das noch nicht Teil der Rechtsordnung der WTO ist, dieses Abkommen in den Anhang 4 (Plurilaterale Abkommen) zur Satzung der WTO aufnehmen. Auf diese Weise kann eine Ergänzung des Wirkungsbereichs der WTO vorgenommen werden, ohne daß es dazu einer umfassenden Satzungsänderung bedarf. Zwar gelten Abkommen des Anhangs 4 nur für diejenigen WTO-Mitglieder, die den Abkommen beigetreten sind, doch dürfte sich aus der Aufnahme des Abkommens in die WTORechtsordnung für viele WTO-Mitglieder ein Anreiz zum Beitritt ergeben. Durch diese Offenheit der WTO-Satzung für weitere Ergänzungen wird es einer Gruppe von Mitgliedern erlaubt, bestimmte Regelungsbereiche in den WTO-Rahmen einzuführen, ohne daß zuvor alle WTO-Mitglieder einem entsprechenden Abkommen beigetreten sein müssen. In Analogie zu entsprechenden Überlegungen in der Europäischen Gemeinschaft kann es so zu einer "WTO der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" kommen. Wie in der EG dürfte das Interesse an unterschiedlichen Geschwindigkeiten darin liegen, daß bei einer Erweiterung der Rechtsordnung nicht auf alle Mitglieder "gewartet" werden muß und, daß bestimmte Mitgliedsstaaten als "Vorbild" auf andere wirken können. So ist in den Diskussionen um Wettbewerb und Handel vorgeschlagen worden, ein internationales Kartellabkommen auszuhandeln und es als plurilaterales Abkommen in die Rechtsordnung der WTO zu übernehmen. 101 Ähnliche Vorstellungen bestanden bezüglich des in der OECD diskutierten Multilateralen Investitionsabkommens (Multilateral Agreement on Investments, MAI).I02 Diese Ergänzung der WTO-Rechtsordnung durch Einfügung neuer plurilateraler Abkommen ist problematisch, da derartige Abkommen nicht auf einem multilateraErklärung der Ministerkonferenz, WT/MIN(96)/DEC, Nr. 20. Koopman, in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.) S.41 ff. Vgl. auch die Begründung des Entwurfs eines Internationalen Kartellabkommens (Draft International Antitrust Code), in: Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), S. l71 ff. 102 Koopman, in Kantzenbach/Mayer (Hrsg.), S. 43. Kritisch dazu Hartwig, Aussenwirtschaft 54 (1999), S. 96. 100 101

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len Verhandlungsprozeß aller WTO-Mitglieder beruhen, sondern nur von einigen Mitgliedern ausgehandelt werden und zunächst nur für diese in Kraft treten. Sollen diese Abkommen dann zu multilateralen Abkommen im Sinne von Art. ll Abs. 2 WTO-Satzung ausgedehnt werden, steht es den nicht am Verhandlungsprozeß beteiligten Staaten zwar frei, den Abkommen nicht oder nur mit Vorbehalten beizutreten. Sie können aber keinen Einfluß auf die Vertragsgestaltungen mehr nehmen. Wenn das Abkommen "potentiell multilateral" angelegt ist, d. h. Regelungsbereiche betrifft, die wie Investitionen oder Wettbewerb für alle WTO-Mitglieder von Bedeutung sind, dürfte für die nicht beteiligten Mitglieder außerdem ein erheblicher Druck zum Beitritt entstehen, nachdem das Abkommen in den Anhang zum WTOAbkommen aufgenommen wurde. b) Implementierung, die "built-in agenda" und zukünftige Verhandlungen

Die Notwendigkeit bereits bestehende WTO-Regeln zu ergänzen oder zu präzisieren ergibt sich zunächst in Bereichen, in denen sich in den vergangenen Jahren Implementierungsschwierigkeiten gezeigt haben. Insbesondere Entwicklungsländer haben darauf hingewiesen, daß in vielen WTO-Abkommen Umsetzungsdefizite bestehen.•oJ Diese Länder stehen einerseits vor der Problematik, die Verpflichtungen, die sich für sie aus den TRIPS-, SPS- und TBT-Abkommen ergeben, rechtzeitig und vollständig zu erfüllen. Andererseits kritisieren sie die zögerliche Umsetzung der Verpflichtungen der Industrieländer, ihre Textil- und Agrarmärkte für Importe aus Entwicklungsländern zu öffnen. Um diese Probleme der Implementierung bestehender Abkommen zu lösen, sind verschiedene Vorschläge zur Reform einzelner Bestimmungen gemacht worden. 104 Unabhängig von der Notwendigkeit der Ergänzung des WTO-Rechts aufgrund bestehender Umsetzungsprobleme, enthält die Rechtsordnung der WTO Vorschriften, die eine Ergänzung und Veränderung des WTO-Rechts von vomherein vorsehen.l05 Die entsprechenden Vorschriften enthalten insofern eine Reihe von Aspekten, die bereits in die Tagesordnung zukünftiger Verhandlungen "eingebaut" sind und entsprechend als "built-in agenda" bezeichnet werden. Die Elemente der "built-in agenda" können danach unterschieden werden, ob sie Verhandlungen von der vorherigen Überprüfung des bestehenden Rechts und der Feststellung von Reformbedarf abhängig machen ("built-in agenda" im weiteren Sinne) oder ob die 103 Siehe die Zusanunenstellung im Entwurf einer Abschlußerklärung für die Ministerkonferenz von Seattle vom 19.10.1999, JOB(99)/5868/Rev.1, Ziff. 17ff (nicht veröffentlicht). 104 Siehe die Zusanunenstellung der Vorschläge in der informellen Note des Sekretariats vom 18.11.1999 zur Vorbereitung der Ministerkonferenz von Seattle, JOB(99)/4797/Rev. 3 (nicht veröffentlicht). 1os Dazu auch Petersmann, EJIL 6 ( 1995), 215 f.

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Verpflichtungen zu weiteren Verhandlungen unabhängig von einer Überprüfung des bestehenden Rechts besteht ("built-in agenda" im eigentlichen Sinne). Zur "built-in agenda" im weiteren Sinne zählt z. B. Art. 15.4 TBT-Abkommen, nach dem das Komitee für Technische Handelshemmnisse alle drei Jahre die "Wirksamkeit und Durchführung" des Abkommens mit dem Ziel überprüft, "eine Anpassung der Rechte und Pflichten aus diesem Übereinkommen zu empfehlen". Falls zweckmäßig soll das Komitee auch "Änderungen des Wortlauts des Übereinkommens" vorschlagen können. Eine erste Überprüfung wurde bereits Ende 1997 mit dem Ergebnis abgeschlossen, vorerst keine Änderungen des Abkommens vorzunehmen. In ähnlicher Weise überprüft der Rat für den Warenhandel gern. Art. 9 TRIMs-Abkommen die Wirksamkeit des TRIMs-Abkommens und schlägt gegebenenfalls Textveränderungen vor. Art. 71 Abs. 1 TRIPS-Abkommen sieht vor, daß der TRIPS-Rat mit einer vergleichbaren Überprüfung des dieses Abkommens im Jahr 2000 beginnen soll. Nur eine teilweise Überprüfung und mögliche Veränderungen sieht Art. 31 des Abkommens über Subventionen vor. Danach gelten die zentralen Art. 6 Abs.1, 8 und 9 des Abkommens nur für fünf Jahre. Ob dieser Zeitraum verlängert werden soll oder die Bestimmungen abgeändert werden sollen, soll vom Komitee für Subventionen festgestellt werden. Ebenfalls ein Teil der "built-in agenda" im weiteren Sinne ist die Überprüfung des Streitbeilegungsmechanismus.106 Zur "built-in agenda" im eigentlichen Sinne zählen Verhandlungen in den Bereichen Dienstleistungen, Agrarhandel und TRIPS. Gern. Art. X Abs. 1, XIII Abs. 2 und XV Abs. 1 GATS wurde vereinbart, Verhandlungen über Notstandsmaßnahmen, öffentliches Beschaffungswesen und Subventionen im Bereich Dienstleistungen aufzunehmen. Umfassender verlangt Art. XIX GATS, daß die Mitglieder spätestens fünf Jahre nach lokrafttreten des WTO-Abkommens mit neuen und regelmäßigen Verhandlungsrunden beginnen sollen, um schrittweise einen höheren Stand der Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen zu erreichen. Ähnlich verlangt Art. 20 des Landwirtschaftsabkommens ein Jahr vor Ablauf der Implementierungsfrist (2001) in Verhandlungen zur Fortführung des Reformprozesses im Bereich Subventionen und Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft einzutreten. Die bisherigen Erfahrungen bei der Liberalisierung des Landwirtschaftshandels und nichthandelsspezifische Aspekte der Landwirtschaft (sog. ,,non-trade concerns"), wie die Bedeutung der Landwirtschaft für Ernährungssicherheit oder die ländliche Entwicklung, sollen dabei Berücksichtigung finden. Die Verhandlungen über Dienstleistungen und Landwirtschaft haben nach einem Beschluß des Allgemeinen Rates formell im Februar bzw. März 2000 begonnen. Schließlich gehören zur "built-in agenda" im eigentlichen Sinne die Verhandlungen über eine Überprüfung von Art. 27 Abs. 3lit. b) TRIPS-Abkommen, der sich auf die Patentierung von lebenden Organismen bezieht. 106

Siehe dazu Leier, EuZW 1999, S. 204ff.

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Unmittelbar nach Abschluß der Uruguay Runde war unklar, ob weitere Verhandlungen nach dem Muster der GATT-Verhandlungsrunden oder innerhalb der WfO im Rahmen eines "permanenten Verhandlungsprozesses" stattfinden würden. Inzwischen besteht unter den WfO-Mitgliedern weitgehend Einigkeit, daß weitere Verhandlungsrunden grundsätzlich erforderlich sind. So sollte auf der Ministerkonferenz in Seattle 1999 beschlossen werden, zu Beginn des Jahres 2000 eine neue umfassende Verhandlungsrunde zu eröffnen (sog. ,,Milleniumrunde"). Auf der Verhandlungsagenda hätten neben den oben beschriebenen Implementierungsfragen und der "built-in agenda" erneut das Thema Umwelt sowie Investitionen und Wettbewerbsregeln stehen können. Die Bestrebungen, eine neue Verhandlungsrunde zu eröffnen, sind jedoch aufgrund der Interessengegensätzen zwischen der EG einerseits und den USA und der sog. Caims-Gruppe107 andererseits im Agrarsektor und aufgrund der sowohl von Entwicklungsländern als auch von zivilgesellschaftlichen Gruppen geäußerten Kritik an den Verhandlungen vorerst gescheitert. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß auf der nächsten Ministerkonferenz eine neue Verhandlungsrunde eröffnet wird. Insofern bleiben auch die vorgeschlagenen Verhandlungspunkte aktuell. Die dynamische Weiterentwicklung der WfO ist durch die gescheiterte Ministerkonferenz zwar abgebremst, aber nicht beendet worden. c) Das Ziel der Entwicklung: Integration oder Kooperation?

Es stellt sich die Frage, ob die dynamische Entwicklung der WfO auf eine globale Integration gerichtet ist, und ob die Rechtsordnung der WfO daher als "globale Integrationsordnung" bezeichnet werden kann:108 (1) Integration im engeren und weiteren Sinne

Von Integration kann allgernein gesprochen werden, wenn sich Staaten auf vertraglicher Basis zusammenschließen und dadurch eine neue Einheit gründen, die über den bloßen vertraglichen Zusammenschluß hinausgeht und von den Staaten unabhängig wird. In der Integrationsforschung ist dieser allgerneine Integrationsbegriff, der für alle internationalen Organisationen benutzt werden kann, ausdifferenziert und zwischen Integration im weiteren und im engeren Sinne unterschieden worden. 109 Von Integration im weiteren Sinne oder von Kooperation wird gesprochen, wenn die Integrationsordnung lediglich einen Rahmen für gegenseitige Ver107 Die Caims-Gruppe ist ein Zusammenschluß von 15 agrarexportierenden WTO-Mitgliedstaaten: Australien, Argentinien, Brasilien, Chile, Fiji, Indonesien, Kanada, Kolumbien, Malaysia, Neuseeland, Paraguay, die Philippinen, Südafrika, Thailand und Uruguay. 108 So ausdrücklich Petersmann, EJIL 6 (1995), S. 189. Vgl. auch Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 66 f, 196 ff, der die dynamische Entwicklung mit Blick auf die EG für ein konstitutives Element eines Integrationssystems hält. 109 Dazu Behrens, RabelsZ 1981, S. 8ff.

4Knjewski

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handlungen und Zusammenarbeit bilden soll.110 Die Integrationsordnung nimmt Funktionen wahr, die die Staaten allein nicht wahrnehmen können, wie z. B. die Reduzierung von Hemmnissen im internationalen Wrrtschaftsverkehr. Eine Integrationsordnung im weiteren Sinne ergänzt die staatliche Aufgabenerfüllung, wobei die Staaten selbständig bleiben und den lntegrationsprozeß in erster Linie mit dem Ziel einer Kooperation zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes betreiben. Die durch den Integrationsvorgang geschaffene neue Einheit tritt neben die Staaten, verdrängt sie aber nicht. In diesem Sinne wird die Rechtsordnung des GA1T 1947 als Integrationsordnung im weiteren Sinne angesehen. Eine Integrationsordnung im engeren Sinne wird geschaffen, um Funktionen wahrzunehmen, die die Staaten zuvor selber wahrgenommen haben und auf die neue Einheit übertragen. Insofern beginnt die neue Einheit zumindest teilweise die Staaten zu ersetzen. 111 Aus ökonomischer Sicht beginnt Integration im engeren Sinne dort, wo zumindest in Teilbereichen Hemmnisse für den freien Verkehr von Waren oder Dienstleistungen beseitigt und nicht nur reduziert worden sind. Der Integrationsprozeß wird dabei in mehrere Stufen (Freihandelszone, Zollunion, Binnenmarkt, Wirtschaftsunion) unterteilt. Integration im engeren Sinne richtet sich somit auf die Errichtung eines gemeinsamen Marktes jedenfalls für bestimmte Teilbereiche. Als Beispiel wird der europäische lntegrationsprozeß, insbesondere die Entwicklung der Europäische Union gesehen.' 12 Rechtlich entspricht einer Integration im engeren Sinne ein supranationales Recht, das gegenüber den Rechtsordnungen der Nationalstaaten Vorrang und unmittelbare Anwendbarkeit beansprucht. Eine solche Rechtsordnung erfordert auch eine besondere Art der dynamischen Interpretation, bei der nicht nur auf den gegenwärtigen Integrationszustand abgestellt wird, sondern auf die Bedeutung einer Norm, die der Integration möglichst förderlich ist. Dies zeigt sich an der dynamischen Fortentwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der den Vorrang und die unmittelbare Anwendbarkeit des EG-Rechts oder die Haftung für nicht umgesetztes Gemeinschaftsrecht mit dem "effet utile" Gedanken begründet hat. Nach diesem Prinzip soll die zu interpretierende Norm eine nützliche Wirkung in Bezug auf die Ziele des EG-Vertrages und somit auf die Integrationsziele haben. 113 Vor diesem Hintergrund kann die Frage nach der Charakterisierung der WfORechtsordnung wie folgt zugespitzt werden: Stellt die WTO-Rechtsordnung ebenso 110 Behrens, RabelsZ, S. 26ff. Vgl. auch Virally, in: Abi-Saab (ed.), S.53ff. Speziell aufinternationale Wirtschaftsorganisationen bezogen, Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 74ff. 111 Nach dem Ansatz des Föderalismus ist das Ziel der Integration ein Machtverzicht der Nationalstaaten zugunsten eines neuen supranationalen Staatsgebildes. Vgl. Behrens, RabelsZ 1981, S.24. 112 Behrens, RabelZ 1981, S. 29ff und Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung, S. 74 m. w. N. 113 Beutler/Bieber/Pieplwrn/Streil, Die Europäische Union, S.247f.

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wie das GATI 1947 lediglich eine Form der internationalen wirtschaftlichen Kooperation bzw. Integration im weiteren Sinne dar oder ist sie anders als das GATT 1947 und vergleichbar mit der europäischen Integration als eine Integrationsordnung im engeren Sinne anzusehen und richtet sich jedenfalls in Teilen auf die Errichtung eines gemeinsamen Marktes? (2) Die WTO-Ordnung als Kooperationsordnung Die Grenze zwischen Integration im engeren und im weiteren Sinne wird an dem Unterschied zwischen einer Reduzierung bzw. einem Abbau und einer vollständigen Beseitigung von Handelshemmnissen jedenfalls in einem bestimmten Sektor festgemacht. Der Zollabbau zwischen den WTO-Mitgliedem ist inzwischen zwar weit fortgeschritten. Zölle spielen insbesondere bei bestimmten Warengruppen aber weiterhin eine Rolle, ebenso wie nicht-tarifäre Handelshemmnisse nach wie vor von Bedeutung sind. Ein vollkommener Abbau von Handelshemmnissen, der zu einem freien grenzüberschreitenden Verkehr von Waren oder Dienstleistungen führen würde, ist noch in keinem Teilbereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erreicht worden. Aus diesem Grunde kann die Rechtsordnung der WTO zum derzeitigen Zeitpunkt nicht als Integrationsordnung im engeren Sinne beschrieben werden. Angesichts der Entwicklung der Rechtsordnung der WTO stellt sich aber die Frage, ob die Rechtsordnung der WTO auf eine über diesen Stand hinausgehende Integration angelegt ist. Zur Beantwortung muß auf die Ziele der Rechtsordnung der WTO abgestellt werden, die sich im wesentlichen aus der Präambel der WTO-Satzung ergeben. Danach sollen die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der Mitglieder auf die Erhöhung des Lebensstandards, die Verwirklichung der Vollbeschäftigung, ein hohes Niveau des Realeinkommens, die Steigerung von Produktion und Handel, sowie eine nachhaltige Entwicklung, die Schutz und Erhaltung der Umwelt miteinschließt, gerichtet sein. Bis auf den Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung decken sich diese Erwägungen mit denen der Präambel des GATT 1947. Zur Verwirklichung der Ziele soll in beiden Rechtsordnungen der Abschluß von Vereinbarungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit beitragen, die auf einen "wesentlichen Abbau von Handelsschranken" und die Beseitigung der Diskriminierung im internationalen Handel gerichtet sind. Damit wird deutlich, daß die Rechtsordnung der WTO auf den Abbau und nicht auf die Beseitigung von Beschränkungen im internationalen Handels abzielt. Daß das WTO-Recht zwischen Abbau und Beseitigung unterscheidet wird dadurch deutlich, daß in der Präambel von einer Beseitigung der Diskriminierung, aber nur von einem Abbau der Handelsschranken die Rede ist. Fraglich ist, ob sich aus dem vierten Erwägungsgrund der Präambel der WTOSatzung eine andere Deutung ergibt. Danach sind die Mitglieder " ... entschlossen, ein integriertes, funktionsfähigeres und dauerhafteres multilaterales Handelssystem zu entwickeln, welches das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, die Ergebnis-

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Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungstindung der WTO

se früherer Handelsliberalisierungsbemühungen und sämtlicher Ergebnisse der Multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde umfaßt; ...". Aus dem Begriff "integriertes Handelssystem" könnte geschlossen werden, daß eine Integration im engeren Sinne und die Schaffung integrierter Marktstrukturen angestrebt werden sollen. Allerdings bezieht sich der Begriff wie sich aus dem Wortlaut ergibt, systematisch auf die Ergebnisse der bisherigen GATI-Verhandlungen einschließlich der Ergebnisse der Uruguay Runde. Dadurch wird die Funktion der WTO als institutioneller Rahmen für die Durchführung der multilateralen Handelsabkommen verdeutlicht. Der Begriff bezieht sich somit auf die Zusammenfassung der verschiedenen Abkommen in einer gemeinsamen Rechtsordnung und nicht auf eine Integration im engeren Sinne in der oben dargestellten Bedeutung. Die Rechtsordnung der WTO ist folglich nicht mit dem Ziel einer Integration im engeren Sinne geschaffen worden. 114 Die umstrittene Frage, ob für eine internationale Organisation der Übergang von einer auf Kooperation angelegten Rechtsordnung zu einer auf Integration im engeren Sinne angelegten Ordnung stufenlos möglich istm oder ob sich die beide Ordnungstypen gegenseitig ausschließen, so daß der Übergang von der einen Ordnungsform zur anderen nur durch eine völlige Umgestaltung der Rechtsordnung möglich wäre116, bedarf aus diesem Grunde im Zusammenhang mit der WTO-Rechtsordnung keiner Erörterung. Es ist im Übrigen fraglich, ob auf globaler Ebene überhaupt eine Integration im engeren Sinne möglich wäre. Die Erfahrungen mit erfolgreichen und gescheiterten Modellen von Integration haben gezeigt, daß eine Integration voraussetzt, daß die Staaten jedenfalls wirtschaftlich ähnlich entwickelt sind.117 Ein Blick auf die unterschiedlichen Einkommensstrukturen der WTO-Mitglieder zeigt, daß diese Voraussetzung auf globaler Ebene nicht gegeben ist. 118 Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, daß die WTO-Rechtsordnung trotzder ihr eigenen dynamischen Entwicklung nicht auf die Errichtung eines globalen gemeinsamen Marktes mit dem Ziel von Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit gerichtet ist, sondern daß ihre Funktion in der Kooperation zum wechselseitigen Abbau von Handelshemmnissen besteht.

So auch Hahn, Die einseitige Außetzung, S. 23 f. m Schermers/Blokker, International Institutional Law, § 49. 116 Virally, in: Abi-Saab (ed.), S.55. 117 Behrens, RabelsZ 1981, S.11. 118 Zum Vergleich: Das ,.reichste" WTO-Mitglied, die Schweiz hatte 1994 ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 36.080 US$ und das ,.ärmste" WTO-Mitglied, Mozambique ein Pro-Kopf-Einkommen von 60 US$. In der EU hatte das ,,reichste" Mitglied Schweden ein Pro-Kopf-Einkommen von 27.010 US$ und das ,.ärmste" Mitglied Griechenland von 7.290 US$. 114

II. Die Rechtsordnung der WTO und innerstaatliche Rechtsordnungen

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II. Die Rechtsordnung der WTO und innerstaatliche Rechtsordnungen Nach dem vorstehenden knappen Überblick über die wesentlichen Strukturen der Rechtsordnung der WTO wird im folgenden das Verhältnis des WTO-Rechts zu den innerstaatlichen Rechtsordnungen näher betrachtet, da diese Verhältnis sowohl für die im zweiten Kapitel zu behandelnden Verfassungsperspektiven als auch für die im dritten Kapitel untersuchte Frage nach der Legitimation des WTO-Rechts von zentraler Bedeutung ist. Im Verhältnis des WTO-Rechts zu den innerstaatlichen Rechtsordnungen stellt sich die Frage, ob das WTO-Recht unmittelbar anwendbar ist und welcher Rang ihm innerhalb der verschiedenen innerstaatlichen Rechtsordnungen zukommt. 119 1. Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI/WTO-Rechts wird kontrovers diskutiert. 120 Zwischen der positiv-rechtlich zu untersuchenden Frage, ob das WTO-Recht unmittelbar anwendbar sein kann und der rechtspolitischen Frage, ob das WTO-Recht unmittelbar anwendbar sein sollte, wird dabei nicht immer deutlich genug unterschieden.l 21 Da diese Unterscheidung für eine angemessene Auseinandersetzung mit der Komplexität des Problems der unmittelbaren Anwendbarkeit jedoch erforderlich ist, wird im folgenden zunächst die positiv-rechtliche Frage untersucht und die rechtspolitische Auseinandersetzung im zweiten Kapitel im Zusammenhang mit der Diskussion der Theorie der Verfassungsfunktionen geführt, da sie sich mit der unmittelbaren Anwendbarkeit aus rechtspolitischer Sicht befaßt. a) Begriff und Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen

Völkerrecht bedarf nach allgemeiner Auffassung der Einbeziehung in die nationale Rechtsordnung, um innerstaatliche Geltung zu entfalten. 122 Dies gilt unabhän119 Der Begriff "innerstaatliche Rechtsordnung" umfaßt im vorliegenden Zusanunenhang neben den nationalen Rechtsordnungen auch die "innergemeinschaftliche Rechtsordnung" der Europäischen Gemeinschaft. 120 Siehe nur Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 341 ff; Petersmann, CMLR 1983, S. 397ff; Hilf, in: Hilf/Petersmann (Hrsg.), 1986, S.11 ff; Petersmann, ebenda, S.119ff; Ehlermann, ebenda, S. 203ff; Meng, in: FS für Bemhardt, S. 1063ff; Lee/Kennedy, JWT 30 (1996), No.1, S.67ff; Becker-c;elik, EWS 1997, S.12ff; Eeckhout, CMLR 1997, S.llff; Berkey, EJIL9 (1998), S. 627 ff; Cottier/Schefer, JIEL 1 (1998), S. 91 ff und Epiney, EuZW 1999, S. 5 ff. Umfassend Ott, GAlT und WTO, S.122ffund Kuilwijk, The European Court of Justice, S.122ff. 121 Ähnlich Berkey, EJIL 9 (1998), S.627. 122 Jpsen-G/oria, Völkerrecht, § 73, Rn. 1 (3. Aufl.); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, §29 I.

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gig davon, ob das Verhältnis des Völkerrechts zum innerstaatlichen Recht monistisch oder dualistisch verstanden wird. 123 Die Einbeziehung einer völkerrechtlichen Norm in die nationale Rechtsordnung erfolgt durch einen innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl, für den sich in der Staatenpraxis verschiedene Mechanismen herausgebildet haben (Transformation, Inkorporation oder Vollzug). 124 Welcher Mechanismus genutzt wird, bestimmt sich nach dem nationalen Verfassungsrecht. Das allgemeine Völkerrecht enthält diesbezüglich keine spezifischen Pflichten.m Von der innerstaatlichen Geltung ist die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm zu unterscheiden.126 Eine völkerrechtliche Norm wird als unmittelbar anwendbar bezeichnet, wenn ein innerstaatliches Rechtsanwendungsorgan (Gericht oder Verwaltungsbehörde) aus der Norm eine Rechtsfolge für den Einzelfall ableiten kann, ohne daß sie durch innerstaatliche Rechtssetzung näher konkretisiert werden muß. 127 Die unmittelbare Anwendbarkeit hat zur Folge, daß sich Privatpersonen in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren auf diese Norm berufen und sie wie eine Norm des innerstaatlichen Rechts geltend machen können.128 Die unmittelbare Anwendbarkeit ist allerdings von der Verleihung subjektiver Rechte durch den völkerrechtlichen Vertrag zu trennen. 129 Ob ein völkerrechtlicher Vertrag derartige Rechte verleiht, muß durch die Auslegung des Vertrages ermittelt werden. Die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm erlangt eine besondere Bedeutung, wenn ihr eine innerstaatliche Norm entgegensteht. Wie ein derartiger Konflikt zu lösen ist, hängt von dem Rang ab, den die völkerrechtliche Norm in der innerstaatlichen Rechtsordnung einnimmt. 130 So gehen beispielsweise völkerrechtliche Verträge dem EG-Sekundärrecht vor, was die Bedeutung des Streits über die unmittelbare Anwendbarkeit des GATT/WTO-Rechts für das Gemeinschafts123 Lediglich nach einer extrem monistischen Ansicht, die von einem Primat des Völkerrechts ausgeht, gelten völkerrechtliche Normen ohne weiteres im nationalen Rechtsraum. Diese Ansicht entspricht jedoch nicht der internationalen Praxis und wird nicht mehr vertreten, vgl. Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S.345. 124 /psen-Gloria, Völkerrecht, § 73, Rn. 2ff (3. Auf!.); Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Rn. 37 ff; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 29 II. 125 Allerdings können sich die Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages zu einer bestimmten Art der innerstaatlichen Geltungsverschaffung verpflichten. Vgl. Tomuschat, in: GS Constantinesco, S. 807. 126 Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Rn. 41; /psen-Gloria, Völkerrecht, § 74, Rn. 20 (3. Auf!.); Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 30 I. 127 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 30 I. Siehe auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 864; Zuleeg, ZaöRV 35 (1975) S. 349; Couier/Schefer, JIEL 1 (1998), S. 90. Grundsätzlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit Bleckmann, Begriff und Kriterien, S. SOff; Koller, Unmittelbare Anwendbarkeit, S.42 ff und Buchs, Unmittelbare Anwendbarkeit, S. 26 ff. 121 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 30 I. 129 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 864; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 30 I; Bleckmann, Begriffund Kriterien, S.l02f; Meng, in: FS Bernhardt, S.1069. 13o Jackson, AJll.. 86 (1992), S. 330.

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recht erklärt. 131 In jedem Fall beschleunigt die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm ihre Durchsetzung und trägt zu einer größeren Effektivität des Völkerrechts bei. Allerdings ist zu sehen, daß legitime Ziele des innerstaatlichen Gesetzgebers bei unmittelbarer Geltung des Völkerrechts unter Umständen keine Berücksichtigung mehr finden. Vor allem, wenn Aushandlung und Abschluß völkerrechtlicher Verträge ausschließliche Angelegenheit der Exekutive sind, stellt sich bei einer unmittelbaren Anwendbarkeit die Frage nach der demokratischen Legitimation des angewandten Rechts. 132 Die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm sind Gegenstand zahlreicher Diskussionen in der Literatur133 und in der internationalen Praxis unterschiedlich.l34 Über die folgenden Voraussetzungen besteht jedoch weitgehend Einigkeit. Um unmittelbar anwendbar zu sein, muß eine völkerrechtliche Norm zunächst durch einen Rechtsanwendungsbefehl innerstaatliche Geltung erlangt haben, da die Geltung einer Norm in einer Rechtsordnung erforderlich ist, damit sie in dieser Rechtsordnung angewandt werden kann. 13s Der älteren deutschen Lehre, wonach die unmittelbare Anwendbarkeit Voraussetzung der innerstaatlichen Geltung sei, da nur eine anwendbare Norm in der innerstaatliche Rechtsordnung gelten könne, kann nicht gefolgt werden. 136 Als zweite Voraussetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit muß die völkerrechtliche Normfür die Anwendung geeignet sein. Dies ist nicht der Fall, wenn die Norm nur die Beziehungen der Staaten untereinander regelt, wie bei Bündnis- und Freundschaftsverträgen.l37 Eine völkerrechtliche Norm, die unmittelbar anwendbar sein soll, muß die Beziehungen von Privatpersonen zum Staat oder untereinander regeln. Außerdem muß die Norm hinreichend klar und bestimmt formuliert sein, um eine unmittelbare Rechtsfolge daraus ableiten zu können. 138 Die unmittelbare Anwendbarkeit muß ferner der Intention der Vertragsparteien entsprechen. 139 Diese können die unmittelbare Anwendbarkeit eines Vertrages oder einzelner Normen vereinbaren oder ausschließen. 140 Wenn dies 131 Siehe z. B. Stoll/Ress, EWS 1996, S. 27ff; Everling, CMLR 33 (1996); Schmid, NJW 1998, S.190ffund Lavranos, EuR 1999, 289ff. 132 Brown/ie, Principles, S. 47f; Jackson, AIIL 86 (1992), S. 315f; Trachtman, EIIL 10 (1999), S.677f. 133 Siehe statt aller nur Jackson, AJIL 86 (1992), S. 310f; Buchs, Unmittelbare Anwendbarkeit, S.25 m. w.N.; Meng, in: FS Bemhardt, S.1065. 1l4 Vgl. z. B. Vasquez, AIIL 89 (1995), S. 695ff für die US-amerikanische Rechtspraxis. 13S Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Rn. 41; Ipsen-Gioria, Völkerrecht, § 74, Rn. 20 (3.Aufl.); Zu/eeg, ZaöRV 35 (1975), S. 347. 136 Dazu Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 32 II. 3. a). Wie hier auch B/eckmann, Begriff und Kriterien, S. 59 ff; Koller, Unmittelbare Anwendbarkeit, S. 63 f; Tomuschat, in: GS Constatinesco, S. 804. 117 Koller, Unmittelbare Anwendbarkeit, S.59. lll Cottier/Schefer, JIEL 1 (1998), S. 92; Bleckmann, EPIL 7, S.416. 139 Bleckmann, EPIL 7, S.415; Zu/eeg, ZaöRV 35 (1975), S. 353; Meng, in FS Bernhardt, S.1068. 140 Bleckmann, EPIL 7, S.415; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §866.

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nicht ausdrücklich geschehen ist, muß der Vertrag nach den Auslegungsregeln der WVRK interpretiert werden. 141 Neben der Gesamtheit der Vertragsparteien kann eine einzelne Vertragspartei durch Erklärung gegenüber den anderen Parteien die unmittelbare Anwendbarkeit für ihren eigenen Hoheitsbereich ausschließen. Schließlich ist auf die Intention des innerstaatlichen Gesetzgebers abzustellen. Dieser kann die unmittelbare Anwendbarkeit ausdrücklich und unabhängig von der Intention der Vertragsparteien anordnen, da er in der Schöpfung von innerstaatlichem Recht autonom ist und auch eine der Völkerrechtsnorm inhaltsgleiche nationale Norm schaffen könnte. Bezüglich der Frage, ob der innerstaatliche Gesetzgeber die unmittelbare Anwendbarkeit auch ausschließen kann, ist nach der Art des Rechtsanwendungsbefehls zu unterscheiden. Nach allgemeiner Ansicht hat der Gesetzgeber die Ausschlußkompetenz, wenn die innerstaatliche Geltung der Völkerrechtsnorm durch einen konkreten Inkorporations- oder Vollzugsakt wie im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG angeordnet wird. 142 Beruht die Einbeziehung von Völkerrecht nicht auf einem konkreten, sondern auf einem generellen Rechtsanwendungsbefehl, wie im Fall des Art. 300 (228 a. F.) Abs. 7 EGV, ist dagegen umstritten, ob der innerstaatliche Normgeber die unmittelbare Anwendbarkeit ausschließen kann.l43 b) Eignung des WTO-Rechts für die unmittelbare Anwendbarkeit Das GATI/WfO-Recht hat nach Maßgabe des jeweiligen Inkorporations-, Transformations- oder Vollzugsaktes innerstaatliche Geltung in den Rechtsordnungen der WTO-Mitglieder gefunden. Zur Prüfung, ob sich das GATT!WTO-Recht für die unmittelbare Anwendbarkeit eignet, ist zwischen den einzelnen Vertragsvorschriften zu differenzieren. Die formellen Elemente der Rechtsordnung der WTO, wie die WTO-Satzung, das Streitschlichtungsabkommen oder der handelspolitische Überprüfungsmechanismus beziehen sich nur auf die Beziehungen der Staaten untereinander und zu den WTO-Organen. Sie können nicht unmittelbar anwendbar sein. Die materiellen Elemente der Rechtsordnung der WTO beziehen sich auf den internationalen Waren- und Güterverkehr sowie auf geistige Eigentumsrechte und damit auch auf Beziehungen von Privatpersonen untereinander oder zu den Staaten. Deshalb ist für diese Normen zu fragen, ob sie hinreichend klar und bestimmt formuliert sind, um von innerstaatlichen Rechtsanwendungsorganen angewandt werden zu können. Mit guten Gründen können einige Bestimmungen des TRIPS-Abkommen als hinreichend klar und bestimmt bezeichnet werden, um sich für eine unmittelbare Anwendbarkeit zu eignen.l 44 Dies gilt vor allem für das Meistbegünstigungsprinzip und den Grundsatz der Inländerbehandlung gern. Art. 3 und Art. 4 TRIPS-AbkomBegriff und Kriterien, S.l58. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, § 32 II. 3. b); Meng, in: FS Bemhardt, S. 1070. 143 Grabitz/Hilf-Vedder, EU, Art. 228, S. 48ff; Groeben{fhiesing/Ehlermann-Tomuschat, EWGV, Art. 228, Rn. 61. Dazu unten d). 144 Eeckhaut, CMLR 34 (1997), S. 33. 14 1 Bleckmann, 142

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men und für die Mindeststandards, die in den einzelnen Schutzrechten zu gewähren sind. 145 Das gleiche gilt für das Meistbegünstigungsprinzip und den Grundsatz der Inländerbehandlung gern. Art. I und Art. ill Abs. 2 GATT. 146 Der Grundsatz der Transitfreiheit gern. Art. V GATT und die Verpflichtung, nationale Zoll- und Handelsvorschriften gern. Art. X GATT zu veröffentlichen, sind ebenfalls so gefaßt, daß sie sich zur unmittelbaren Anwendbarkeit eignen. Das in Art. XI Abs. 1 GATT niedergelegte Verbot mengenmäßiger Beschränkungen dürfte dagegen wegen der Ausnahmebestinunungen in Art. XI Abs. 2 und Art. XII GATT nicht hinreichend klar und unbedingt sein. 147 Art. VI GATT über Anti-Dumping und Art. XVI über Subventionen sind ebenfalls nicht hinreichend klar, was sich schon daraus ersehen läßt, daß sie in der Uruguay Runde durch zwei umfangreiche Abkommen ergänzt und präzisiert werden mußte. Das Meistbegünstigungsprinzip gern. Art. II GATS und das Prinzip der Inländerbehandlung gern. Art. XVII GATS könnten sich für die unmittelbare Anwendbarkeit grundsätzlich ebenso wie die entsprechenden Prinzipien in GATT und TRIPS-Abkommen eignen. Allerdings ist zu sehen, daß sich der Anwendungsbereich der beiden Prinzipien erst aus den Listen der Vertragsparteien ergibt, so daß beide Prinzipien einem Anwendungsvorbehalt unterliegen. Damit sind die Prinzipien nicht unbedingt formuliert und eignen sich nicht für die unmittelbare Anwendbarkeit.

c) Intention der Vertragsparteien Die unmittelbare Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages kann von einer Partei durch eine einseitige Erklärung gegenüber den anderen Parteien ausgeschlossen werden. So hat die EG bei der Hinterlegung ihrer Liste der spezifischen Verpflichtungen im Rahmen des GATS die unmittelbare Anwendbarkeit des GATS ausdrücklich ausgeschlossen. 148 In der Einleitung zu der Liste heißt es: "Die sich aus dem GATS einschließlich der Liste der Verpflichtungen ergebenden Rechte und Pflichten sind nicht unmittelbar anwendbar und gewähren somit keine unmittelbaren Rechte für einzelne natürliche oder juristische Personen".149 Hierbei handelt es sich um eine völkerrechtliche Erklärung und nicht um den Ausschluß der unmittelbaren Anwendbarkeit durch den innergemeinschaftlichen RechtsanwendungsbefehP50, da diese Erklärung nicht im Amtsblatt der EG veröffentlicht, sondern nur in die GATS-Listen der EG aufgenommen wurde. 145 Für eine ausführliche Analyse der verschiedenden Bestimmungen des TRIPS-Abkommens siehe Ott, GATT und WTO, S. 241 f. 146 Ott, GATT und WTO, S. 225 f. 147 A. A. Ott, GATT und WTO, S. 226, die auf die Ausnahmbestimmungen nicht eingeht. 148 Eeckhout, CMLR 34 (1997}, S. 34; Ott, GATT und WTO, S. 230. 149 BGBI. Teil II 1994, S.1678, Text nicht im Amtsblatt veröffentlicht. 150 Dazu unten d).

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Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungstindung der WTO

Die Vertragsparteien der WfO-Abkommen haben in ihrer Gesamtheit ihre Haltung zur unmittelbaren Anwendbarkeit weder in den Verträgen noch in ergänzenden Erklärungen und Protokollen ausdrücklich festgelegt. Die verschiedentlich vorgetragene Ansicht, aus dem Wortlaut des Art. XVI Abs. 4 WfO-Satzung ergebe sich die Absicht der Vertragsparteien, die unmittelbare Anwendbarkeit anzuordnen151 , überzeugt nicht. Nach dieser Vorschrift stellt jedes Mitglied sicher, "daß seine Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften mit seinen Verpflichtungen auf Grund der beigefügten Abkommen übereinstimmen". Art. XVI Abs. 4 WfO-Satzung geht damit nicht über die allgemeine völkerrechtliche Pflicht der Vertragserfüllung nach Treu und Glauben und ohne Berufung auf entgegenstehendes innerstaatliches Recht gern. Art. 26 und 27 WVRK hinaus. Seine spezifische Funktion besteht darin, zu verdeutlichen, daß die Rechtsordnung der WfO keine "grandfather clause" wie Art.1 b) des Protokolls über die vorläufige Anwendung des GATT 1947 kennt. 152 Da aus dem Wortlaut keine Erkenntnisse über die unmittelbare Anwendbarkeit des WfO-Rechts gewonnen werden können, bedarf es einer Interpretation des WfO-Rechts nach Ziel und Zweck. In Literatur und Rechtsprechung wird in erster Linie auf eine Gesamtanalyse der Rechtsordnung abgestellt, die insbesondere Grundprinzipien des GATT/WTO-Rechts, die Rolle von Schutzklauseln und vor allem die Bedeutung des Streitschlichtungsmechanismus berücksichtigt. (1) Verhandlungsgrundsatz, Reziprozität und Schutzklauseln

Der EuGH hat das GATT 1947 in ständiger Rechtsprechung nicht für unmittelbar anwendbar gehalten und dabei darauf abgestellt, daß das Abkommen, dem nach seiner Präambel das Prinzip der Verhandlungen auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen zugrunde liege, "durch die große Flexibilität seiner Bestimmungen gekennzeichnet" sei. 153 In seinem ersten Urteil zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WfO-Rechts hat der EuGH ebenfalls auf das Verhandlungsprinzip abgestellt und betont, daß das WfO-Recht nach der Präambel der WfO-Satzung ebenso wie das GATT 1947 auf diesem Prinzip aufbaue. 1s4 Aus der Rechtsprem Weber/Moos, EuZW 1999, S. 230; vgl. auch Stoll, ZaöRV 1997, S. 128. m Die "grandfather clause" erlaubte es den GAlT-VERTRAGSPAKTEIEN, die Anwendung des Teil II des GAlT (Art. III bis XXIII) unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit mit älterem, innerstaatlichen Recht zu stellen. Innerstaatliches Recht, das vor Inkrafttreten des GAlT 1947 galt und GAlT-widrig war, mußte somit nicht geändert werden und blieb gültig. Dazu Benedek, Rechtsordnung des GAlT, S. 99ff. 153 EuGH, Urteil v. 12.12.1972, verb. Rs.21-24n2, Slg. 1972,5.1219, 1228, Ziff.21 (International Fruit Company); EuGH, Urteil vom 5.1 0.1994, Rs. C-280/93, EuZW 1994, S. 688, 694, Ziff. 106 (Bananenrnarktordnung). 154 EuGH, Urteil vom 23.11.1999, Rs. C-149/96, EuZW 2000, 276 (Portugal/Rat), Ziff. 36 und 42. Dazu Neugärtner/Puth, JuS 2000, S. 640ff. In dem Verfahren hatte Portugal Nichtigkeitsklage gegen Vereinbarungen zwischen der EG und Pakistan bzw. Indien über den Markt-

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chung wird allerdings nicht ganz deutlich, ob der EuGH diese Charak:terisierung als Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit versteht oder ob sie als obiter dieturn anzusehen ist. Grundsätzlich ist jedenfalls anzumerken, daß das Verhandlungsprinzip zwar eine zentrale Bedeutung für die Rechtsordnung der WTO innehat. 1ss Diese Bedeutung besteht jedoch in erster Linie für die Aushandlung und nicht für die Anwendung des WTO-Rechts, auf die es für die Intention der Vertragsparteien zur unmittelbare Anwendbarkeit ankommt. Wie die WTO-Streitbeilegungspraxis zeigt, ist die Anwendung des WTO-Rechts primär durch die rechtliche Bewertung konkreter Sachverhalte anband der einschlägigen WTO-Vorschriften und nur in Ausnahmefallen durch politischen Verhandlungen geprägt. 1s6 Auch der allgemeine Grundsatz der Gegenseitigkeit (Reziprozität) entfaltet seine Bedeutung im Rahmen der Aushandlung und nicht bei der Anwendung des WTO-Rechts. 1S7 Die multilateralen Verhandlungsrunden sind von der Gegenseitigkeit der Zugeständnisse, die sich die WTO-Mitglieder einräumen, geprägt. Nachdem die materiellen Rechte und Pflichten auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ausgehandelt wurden, erlangen sie im Anwendungsbereich des Meistbegünstigungsgrundsatzes eine unbedingte und nicht nur reziproke Geltung für alle WTO-Mitglieder. In Rechtsprechung und Literatur ist die unmittelbare Anwendbarkeit auch abgelehnt worden, da die USA, Japan und Kanada die unmittelbare Anwendbarkeit ebenfalls ausgeschlossen hätten.IS8 Solange die unmittelbare Anwendbarkeit auf Seiten der Haupthandelspartner der EG und wichtigsten WTO-Mitglieder ausgeschlossen sei, würde eine einseitige unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts die EG benachteiligen. Die unmittelbare Anwendbarkeit stelle eine Vorleistung dar, die eine Vertragspartei bei internationalen Verhandlungen stärker einschränke als andere Vertragsparteien.m Der EuGH hat im WTO-Urteil ausgeführt, den Legislativ- und Exekutivorganen der Gemeinschaft werde bei unmittelbarer Anwendbarkeit des GATI/WTO-Rechts "der Spielraum genommen, über den die Organe der Handelspartner der Gemeinschaft verfügten." 160 Der Grundsatz der Reziprozität im GATT/WTO-Recht erfordere es, daß die unmittelbare Anwendbarkeit auf der Basis der Gegenseitigkeit eingeräumt werde, da andernfalls ein Ungleichgewicht zwischen den Staaten entstünde. Bei genauer Betrachtung beschreibt diese handelspolitische Tatsache jedoch in erster Linie, warum das GATT/WTO-Recht nicht unmittelbar anwendbar sein sollte und nicht ob es unmittelbar anwendbar sein kann. Die mangelnde Gegenseitigkeit bei der unmittelbaren Anwendbarkeit läßt ohne weitere zugang für Textilien erhoben und diese Nichtigkeit u. a. auf die Verletzung von WTO-Recht gestützt. Ähnlich wie der EuGH bereitsLee/Kennedy, JWT 30 (1996), No.1, S. 81. Zurückhaltender Berkey, EJIL 9 (1998), S. 633. •ss Siehe dazu bereits oben 1.4.a) und c). IS6 Siehe unten b). •s7 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 7 Rn. 22; Jackson, World Trade, S. 241 f. •ss EuGH, Rs. C-149/96, Ziff. 43 (Portugal/Rat); Cottier/Schefer, JIEL 1 (1998), S. 99. 1s9 Lee/Kennedy, JWT 30 (1996), No.1, S. 85. 160 EuGH, Rs. C-149/96, Ziff. 46 (Portugal/Rat).

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Kap. 1: Rechtsordnung und Entscheidungsfindung der WTO

Anhaltspunkte kaum Rückschlüsse auf die Intention der Gesamtheit der Vertragsparteien beim Abschluß der Verträge zu. Der objektive Inhalt und die intendierte Wirkung einer Völkerrechtsnorm hängen nicht davon ab, ob in den Vertragsverhandlungen ein besonderes Gleichgewicht zwischen den Vertragsparteien anzutreffen ist, da ein derartiges Gleichgewicht in multilateralen Verhandlungen und insbesondere in der WTO faktisch nicht vorhanden ist. Das Argument der mangelnden Gegenseitigkeit bei der unmittelbaren Anwendbarkeit ist insofern kein positivrechtliches, sondern ein handelspolitisches Argument, auf das im zweiten Kapitel vertieft eingegangen wird.16J Die Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATI 1947 ist auch mit der Zulässigkeit von einseitigen Schutzmaßnahmen (Art. XIX GATI) begründet worden. 162 Diese Argumentation kann für das Recht der WTO nur noch bedingt vertreten werden. 163 Die Möglichkeit, auf Schutzklauseln zurückgreifen zu können, ist durch das Abkommen über Schutzmaßnahmen, das Art. XIX GATI vorgeht, eingeschränkt und präzisiert worden. 164 Das Abkommen definiert detailliert, wann eine Schutzmaßnahme eingesetzt werden darf, und wann sie nicht zulässig ist. Zwar entscheidet das Mitglied selbst, ob eine "erhebliche Beeinträchtigung" seiner Interessen gern. Art. 4 Abs. 1 des Abkommens vorliegt. 165 Dieser Entscheidung müssen jedoch gern. Art. 3 des Abkommens Untersuchungen und öffentliche Anhörungen vorausgehen, so daß das Verfahren transparenter wird. Die nach wie vor bestehende grundsätzliche Möglichkeit, in außergewöhnlichen Umständen, bestimmte Zugeständnisse aussetzen zu können, kann nicht als Indiz für eine besondere Flexibilität des WTO-Rechts gewertet werden. Der Grundsatz, in außergewöhnlichen Umständen bestimmte Rechtspflichten nicht erfüllen zu müssen, ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz und nicht typisch für die Rechtsordnung der WTO. Der EuGH hat in seinem Urteil zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Recht auch nicht mehr auf die Möglichkeit von Schutzklauseln als Argument gegen die unmittelbare Anwendbarkeit abgestellt. (2) Verrechtlichung oder Flexibilität des Streitschlichtungsverfahrens?

Die Charakterisierung des Streitschlichtungsverfahrens hat in der Diskussion um die unmittelbare Anwendbarkeit in Literatur und Rechtsprechung eine besondere Rolle gespielt. Nach Auffassung des EuGH zeigte sich die besondere Flexibilität und Geschmeidigkeit des GATI 1947 -neben der Möglichkeit von SchutzmaßnahSiehe im 2. Kapitel, III. 2. c). EuGH, Slg. 1972, S. 1228, Ziff. 25/26 (International Fruit Company); EuGH, EuZW 1994, S. 694, Ziff. 106 (Bananenmarktordnung); Zuleeg, ZaöRV 35 (1975), S. 354f. 163 Eeckhout, CMLR 34 (1997), S. 35; Becker-