Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen: Konflikte des materiellen Rechts und Konkurrenzen der Streitbeilegung [1 ed.] 9783428508020, 9783428108022

Der Verfasser untersucht materiellrechtliche und prozessuale Überschneidungen und Konflikte zwischen dem Recht der Welth

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Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen: Konflikte des materiellen Rechts und Konkurrenzen der Streitbeilegung [1 ed.]
 9783428508020, 9783428108022

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JAN NEUMANN

Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen

Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nümberg

Band4

Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen Konflikte des materiellen Rechts und Konkurrenzen der Streitbeilegung

Von

Jan Neumann

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-0890 ISBN 3-428-10802-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2001 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und mit dem Zweiten Preis des Harry-Westermann Preises 2002 ausgezeichnet. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Ende April 2002. Herrn Prof. Dr. Stefan Kadelbach danke ich für seine engagierte und immer hilfsbereite Betreuung der Arbeit. Seine ständige Gesprächsbereitschaft und seine kritischen Anmerkungen haben mir sehr geholfen. Herrn Prof. Dr. Hans D. Jarass danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und für die Gewährung wissenschaftlichen Freiraums als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl. Herrn Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider sei gedankt für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe. Herrn Dr. Hans-Joachim Prieß von Freshfields/Bruckhaus/Deringer verdanke ich die Anregung, die Überschneidungen und Konflikte zwischen völkerrechtlichen Vertragsordnungen als Thema der Dissertation zu wählen. Herrn Dr. Werner Zdouc und Frau Dr. Gabrielle Marceau vom Juristischen Dienst der WTO sowie Frau Elisabeth Türk vom Center for International Environmental Law gebührt Dank für interessante Diskussionen. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Lebensgefährtin Christa Dönnebrink für die viele Geduld, die sie mir während des Verrassens der Arbeit entgegenbrachte. Am wichtigsten für die Entstehung dieser Arbeit waren meine Eltern, Sabine und Prof. Dr. Manfred J.M. Neumann, durch Ihre große Förderung und Unterstützung auf dem langen Weg bis zu der Dissertation. In Dankbarkeit widme ich Ihnen diese Arbeit. Die Veröffentlichung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und durch das Auswärtige Amt finanziell maßgeblich gefördert. Münster, im Mai 2002

Jan Neumann

Inhaltsverzeichnis Einleitung Zunehmende Überschneidungen völkerrechtlicher Ordnungen A. Handel und Umweltschutz/Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

B. Handel und Arbeitsrechte.................... . . . ..................... . 39 C. Handel und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 D. Handel und geistiges Eigentum. . .............. ... ............. ...... . . 41 E. Handel und Finanzen, Handel und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 F. Handel und Postverkehr, Handel und Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 43 G. Bewertung der Konflikte, Inhalt der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 H. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

1. Teil Prinzipien des Verhältnisses und der Koordination völkerrechtlicher Ordnungen I. Kapitel Internationale Regime und Organisationen, Zuständigkeiten ihrer Organe

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A. Internationale Organisationen, Regime und Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

I. Internationale Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Internationale Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Der Begriff der (Vertrags-)Ordnung .. . .. . . .. .. .. . .. . .. .. . .. . .. . .. . . 53

B. Typische Organstruktur internationaler Organisationen/Regime........ ... . I. Sekretariate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Politische und rechtsetzende Organe. ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Höchste Organe.... .. .. ... . ... . ....... . . .. . . .... ...... ....... . 2. Permanente Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezialorgane. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beratende Ausschüsse und Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Streitbeilegungsorgane. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Parlamente und beratende Versammlungen........ . .... . ............ VI. Fazit: Einfluß von WTO-Organen auf die Vertragskoordination . . . . . . . .

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2. Kapitel Programmkonßikte, Kollisionsregeln, Koordination A. Programmkonflikte und Normenkollisionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition der untersuchungsrelevanten Normenkollision.......... . . . . I. Besondere Bedeutung des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betrachtung materieller Kollisionen, Irrelevanz formeller Kollisionen...................................... .. .................. 3. Definition des kollisionsbegründenden Normwiderspruchs. . . . . . . . . . a) Der kollisionsbegründende Widerspruch im Sinne dieser Untersuchung......... . .................... . . ........... . ...... b) Übereinstimmung mit dem Kollisionsbegriff im WTO-Recht... . II. Definition der Programmkonflikte................................. .

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B. Rechtsprinzipien des Verhältnisses zwischen Vertragsordnungen... . . . . . . . . 65 I. Unabhängigkeit als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Die Beziehungen zwischen VN und VN-Sonderorganisationen. . . . . . . . . 68 III. Indirekte (Ver-)Bindung durch ordnungsfremde Bindungen der Vertragsparteien............. .. ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten . . . . . . . . . . . . I. Ius cogens, internationaler ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorrangklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorranggewährende Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorrangbeanspruchende Klauseln ......................... . ..... a) Art. 103 CVN...... . .............. . ............... . . . . . . . . b) Art. 311 Abs. 2, 3 Seerechtsübereinkommen (SRÜ)........ . . . . 3. Explizite Anordnung der Gleichrangigkeit von Verträgen . . . . . . . . . . 4. Abweichende bzw. widersprüchliche Klauseln im selben Vertrag.. . . 5. Vorrangregeln innerhalb des WTO-Rechts.................... . .. . a) Verhältnis zwischen WTOA und anderen multilateralen Abkommen .............. . ............ ... ..................... .. . b) Das Verhältnis zwischen DSU und speziellen Streitbeilegungsnormen........... .. .................................. .... c) Das Verhältnis zwischen den Warenabkommen (WTOA-Anhang lA) . ...... . . .. ... . . . . ... . . ....... . . ........ .. ....... .. .. . d) Das Verhältnis zwischen Warenabkommen und GATS, Warenabkommen und TRIPS, GATS und TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Verhältnis zwischen Warenabkommen und GATS.. . .. . bb) Das Verhältnis zwischen Warenabkommen und TRIPS und zwischen GATS und TRIPS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) TRIPS als generell vorrangige Spezialvereinbarung?.. . . (2) Ansätze einer harmonisierenden Auslegung von TRIPS und GATT/GATS ....... . . . ........................ (3) Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Fazit zu Vorrangklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorrang kraft Spezialität ("Lex specialis derogat legi generali") . . . . . . . Vorrang kraft Neuheit ("Lex posterior derogat legi priori")..... . . . . . . . Vorrang multipolarer Verträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Entscheidung; Pflichten zur Beseitigung von Konflikten. . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die Koordination völkerrechtlicher Vertragsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Begriffe der Koordination und der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Verschiedene Arten der Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die fünf Parameter der unterschiedlichen Arten der Koordination . . . 2. Beispiele der internationalen Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Akte exekutiver Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Akte legislativer Koordination..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Akte judikativer Koordination........... . . ................. .

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E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen . . . . . . . . . I. Grundlagen der internationalen Kooperation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Arten von Kooperationsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gebiete der Kooperation .......................................... 1. Technisch-administrative Kooperation ........................... a) Administrative Kooperation ............................. . ... b) Technische Hilfe zur Unterstützung der Vertragserfüllung ....... c) Finanzielle Unterstützung zur Vertragserfüllung . .............. d) Wissenschaftliche Beratung als Kooperationsaufgabe .. .. . . . . .. . 2. Politische Kooperation . ... ..................................... a) Bilaterale Abkommen zwischen den Finanzorganisationen ...... b) Beziehungen der WTO zu anderen 1.0........................ c) Politische Koordination und Kompetenzabgrenzung als seltenes Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Judikative Kooperation zwischen internationalen Gerichten .. . ..... IV. Fazit ................... .. ......................................

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III. IV. V. VI. VII.

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2. Teil

Konflikte des materiellen Völkervertragsrechts 1. Kapitel

Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht A. Einleitung .......................................................... I. Vier Verbindungslinien zwischen Umwelt und Handel. ........ . ...... II. Handelsmaßnahmen als Umweltschutz, Umweltschutz als Handelsmaßnahme .......................................................... III. Konflikte und Synergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Umweltrelevante WTO-Normen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die wichtigsten Vorgaben des GATI und des GATS ............ . . . . . l. Meistbegünstigung . . ... ........ . .................. . .. . . . .. .... 2. Diskriminierungsverbot/Inländergleichbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. II1 Abs. 1 GATI ....................... . ...... ...... . . b) Art. II1 Abs. 2 GATI ............... . ... . ........... . . ... . . aa) Art. III Abs. 2 S. 1 GATI ........ . ... . .......... ... .. . . bb) Art. II1 Abs. 2 S. 2 GATI ........ .. ................ . . .. c) Art. III Abs. 4 GATI ................................ ...... aa) Gleichartigkeit substituierbarer Waren .. . ... . ........ ... . . bb) Fehlende Gleichartigkeit wegen unterschiedlicher Herstellungs-I Gewinnungsverfahren (PPM)?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (l) Mißverständnisse bzgl. PPM und bzgl. der Bedeutung des Art. II1 GATI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ist ein Verbot von PPM-Vorgaben noch aufrechtzuerhalten? ...... . . . ................. .... . . .......... .. .. d) Art. XVII GATS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbot mengenmäßiger Beschränkungen; Marktzugang . ........ .. . a) Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (Art. XI GATI) ....... b) Marktzugang (Art. XVI, VI GATS) . ........ . ............. .. . 4. Allgemeine Ausnahmen . . .................................... .. a) Art. XX lit. b) GATI, Art. XIV lit. b) GATS . ..... . . ......... b) Art. XX lit. g) GATI ... . .......... . ......... . ............. c) Art. XX lit. a) GATI, Art. XIV lit. a) GATS ... . .. . .......... d) Einleitungssatz des Art. XX GATI bzw. des Art. XIV GATS ... II. TBT-Abkomrnen ..... . ........................................... l. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlegende Vorgaben für Regulierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . a) Disk:riminierungsverbot, Meistbegünstigung ................... b) Berechtigte Ziele und ErforderlichkeiL . ....... . . ... . . .. .. .... c) Das Verhältnis nationaler Regulierungen zu internationalen Standards . .................. . .......... .. ..................... d) Prozedurale und materielle Anforderungen an technische Normen . ............................ ... ........ .. .......... . . e) Verfahrensvorschriften . ... . ..... .. . .. .... . . . . . ... ........... 111. SPS-Abkomrnen . .... .. .............. . .. ... . .... . ................ l. Anwendungsbereich ........ .. ... . .. . . ... ........ .. . . .......... 2. Zweck des SPS .. . ............... . . . . .... ........ . . . .......... 3. Grundlegende Vorgaben für Regulierungsmaßnahmen ......... . .. . a) Wissenschaftlicher Nachweis von Gefahr oder Risiko . . . . . . . . . . b) Erforderlichkeit. . . . ... ........ . ... ... .. ..... ..... . ..... .. . . c) Nichtdiskriminierung und Konsistenz . .. ...... . . .. .......... . d) Das Verhältnis nationaler Regulierungen zu internationalen Standards ... . . . ........... . ... . .... . .... ... .... . .. ... .........

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4. Weitere SPS-Normen .................. . ............... . .... .. . 5. Rechtspolitische Brisanz des SPS ....... . ........... . ........ . .. IV. TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Grundsätze des TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die materiellen Schutzstandards und ihre ökologische Relevanz .... a) Patentschutz, biologische Vielfalt und Gentechnik ..... . . . . . ... b) Schutz von "Erfindungen" bei Mikroorganismen und Pflanzenzüchtungen . . .................... .. ............... . ...... . c) Ausnahmen, institutionelle TRIPS-Normen ........... .. . . .... V. Die Präambel des WTO-Übereinkommens . .... .............. ... ... . l. Die rechtliche Wirkung der WTOA-Präambel ... . .. .. .. . . ..... .. . 2. Umweltschutz und "nachhaltige Entwicklung" in der WTOA-Präambel. ............ ... ............... .. .. .. . . .......... . .. . .. . 3. Das Heranziehen der WTOA-Präambel zur Auslegung von WTORecht durch den Appellate Body. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Weitere Umweltnormen des WTO-Rechts . . . . . . . . . . .. . ... . . . . ... .. . .

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C. Berichte von GATT-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz . ....... . I. US- Tuna I. . ......... .. ...... . ......... ...... ........... .. ..... 1. Der Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht des Panel "US- Tuna I" ... . . ... . . ...... . ... . . .... . 3. Die Bedeutung des Berichts ............ . ..... ........... ...... . II. US - Tuna II .... . ... . . .. ................ . . . . .. ..... . ..... . .. . . . . l. Der Sachverhalt .. .... . .... . . . . . . .... . .. ..... . . ... .... .. . . . . .. . 2. Der Bericht des Panel "US - Tuna II" .. ..... .............. ... . . . 3. Die Bedeutung des Berichts ........... ....... .......... .. . .... . III. US- Reformulated Gasoline .............. ... .. . ........... ....... l. Der Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht des Panel "US- Reformulated Gasoline" ............. 3. Der Bericht des Appellate Body in "US - Reformulated Gasoline". . 4. Die Bedeutung des Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. US- Shrimp ......... . . ... ...... . ............ . .................. 1. Der Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht des Panel "US - Shrimp" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Bericht des Appellate Body in "US- Shrimp"................ a) Die Rechtmäßigkeit von PPM im GATT ...... .. ............. b) Kooperative vs. unilaterale Festlegung von PPM ... . ... . ...... aa) Kooperative Festlegung von PPM ....... . . . . . ............ bb) Rechtmäßigkeit unilateraler extraterritorialer Umweltmaßnahmen ... . ..... ... . . . .. . ............ . . ... .. . . .. . . .... c) Voraussetzungen und Grenzen extraterritorial wirkender Rechtsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verletzungen des Einleitungssatzes des Art. XX GATT .........

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Inhaltsverzeichnis e) Rechtmäßigkeit extraterritorialer Umweltstandards nur bei Finanzhilfen? ........................... .. .................. (1) Die WTOA-Präambel. ........ ... ................... (2) Das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fehlende Finanzhilfe als Diskriminierung i. S. d. Art. XX GATT? . ... ................... . . ............ . ..... (4) Fazit. ... ... ............................... . . .. ... . (5) Folgen für das WTO-Streitverfahren .................. 4. Die Bedeutung des Berichts .. ... ..... ...... . . ............. . . ... V. EC- Asbestos .......... .. .................... . ........... . ... . . . I. Der Sachverhalt. . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht des Panel "EC- Asbestos" ................... ..... . . a) Anwendungsbereich des TBT ......................... ... . . . b) Verletzung der Art. III Abs. 4, Art. XI GATT .......... ... .... c) Rechtfertigung nach Art. XX lit. b) GATT .............. ..... . d) Nichtverletzungsbeschwerde gegen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Bericht des Appellale Body in "EC- Asbestos" ........ . . .... a) Anwendungsbereich des TBT ...... .. ....................... b) Gleichartigkeit i.S.d. Art. III Abs. 4 GATT . ................ . . c) Rechtfertigung nach Art. XX lit. b) GATI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nichtverletzungsbeschwerde gegen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes . ................................. . ...... .. .. . 4. Die Bedeutung des Berichts . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Chile - Swordfish. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . l. Der Sachverhalt. ........ .. ........... ... ...................... 2. Die in "Chile - Swordfish" aufgeworfenen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hafenzugang als Teil der Transitfreiheit des Art. V GATI . . . . . b) Das Landungsverbot als Maßnahme i.S.d. Art. XX lit. g) GATT c) Auslegung des Einleitungssatzes des Art. XX GATT unter Beachtung des Seevölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Relevanz des VN-Fischereiabkommens ............... bb) Die Bedeutung der Art. 7 Abs. 4, 5, Art. 23 Abs. 3 VNFischereiabkommen für die Auslegung des Art. XX GATI . cc) Galapagos-Abkommen als Kooperationsabkommen i.S.d. Art. XX GATT, Art. 23 FA? ... .... ..................... 3. Die Bedeutung von "Chile - Swordfish" . ........ .. .. . ........... VII. EC - Hormones. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Berichte des Panel "EC - Hormones" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Bericht des Appellate Body in "EC - Hormones" ..... . .. . .... a) Internationale und nationale Standards (Art. 3 Abs. 1-3 SPS) ...

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Inhaltsverzeichnis b) Die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1, 2 SPS an Risikoermittlungen ............. ... ................... . .................. c) Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung nach Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS ............................ d) Die Bedeutung des Vorsorgeprinzips im SPS .................. 4. Die Bedeutung des Berichts .................................... VIII. Australia - Salmon. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht des Panel "Australia - Salmon". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Bericht des Appellate Body in "Australia- Salmon" .......... a) Das Verhältnis zwischen den besonderen Pflichten (Art. 5 SPS) und den allgemeinen Pflichten (Art. 2 SPS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Korrekte Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 SPS ............. c) Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung nach Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS ..................... . ...... d) Erforderlichkeit der Maßnahme gemäß Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2 SPS ..... .... . ...... . .............................. 4. Die Bedeutung des Berichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Japan- Varietals ......................................... . ....... 1. Der Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht des Panel "Japan- Varietals" ................ . ...... 3. Der Bericht des Appellate Body in "Japan- Varietals" ..... ... .... a) Verhältnis zwischen Art. 2 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 SPS . . . . . . . b) Die Anforderungen an vorläufige Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 7 SPS .............................................. . ....... c) Vorbringen von Alternativen (Art. 5 Abs. 6 SPS); Maßnahmen i. S. d. Art. 7 SPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung des Berichts ........... . . .. ..................... X. Fazit: Koordinationsfreundliche Methodik, WTO-Konforrnität umweltbezogener Handelsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Koordinationsfreundliche Auslegungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die WTO-Konforrnität umweltbezogener Handelsbeschränkungen . . D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht .............. . I. Die wichtigsten Handelsbeschränkungen erlaubenden multilateralen Umweltabkommen (MEAs) . . ....... ......... . . . ... ... .. . . . ..... . . 1. Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) .................... a) Ziel und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Import und Export der vom Aussterben bedrohten Anhang I-Arten ............... ... ..................................... c) Import und Export von Anhang li-Arten .................... . . d) Import und Export von Anhang III-Arten .. . . . ................ e) Zusammenfassung der Handelsbeschränkungen, Fazit .......... f) Handelsbeschränkungen gegenüber Nichtparteien . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Montrealer Protokoll zum Wiener Übereinkommen über den Schutz der Ozonschicht (MP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziel und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlegende Rechte und Pflichten, Handel zwischen Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handelsbeschränkungen gegenüber Nichtparteien ........ . . . . .. 3. Basler Konvention über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfalle (BC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziel und Anwendungsbereich ............................ ... b) Grundlegende Rechte und Pflichten . .. ..................... . . aa) Handelsverbot gegenüber Nichtparteien (Art. 4 Abs. 5, Art. 11), PIC (Art. 4 Abs. 1) ............................ bb) Absolutes Handelsverbot zwischen Parteien (Art. 4A) ...... cc) Haftung und Streitbeilegung ..... .. ...................... 4. Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (FCCC) und KyotoProtokoll (KP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziel und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten zur Reduktion von Treibhausgasemissionen . . . . . . . . . . c) Handelsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gemeinsame Umsetzung, Mechanismus für saubere Entwicklung, EmissionshandeL ............... ... ............... .. . . aa) Gemeinsame Umsetzung (Art. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mechanismus für saubere Entwicklung (Art. 12) ........... cc) Emissionshandel (Art. 17) ....... . . ..................... 5. Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) .................. a) Ziele der CBD, Interessengleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlegende Rechte und Pflichten mit Handelsbezug . . . . . . . . . aa) Schutzmaßnahmen ..................................... bb) Die Bedeutung des Schutzes geistigen Eigentums für nachhaltige Nutzung ................... ... ... .. ............. c) Das Verhältnis der CBD zu anderen Abkommen (Art. 22 Abs. 1 CBD) ......... . ................... . .... ......... . ........ 6. Biosicherheitsprotokoll (BSP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich des BSP.......... .. .................... b) Vorherige Zustimmung zum Import freizusetzender LMO (Art. 7-10, 12 BSP), Vorsorge .................... . .......... c) Risikoermittlung (Art. 15 BSP) .............................. d) Risikomanagement (Art. 16 BSP) ...... ... ......... . ......... e) Einfuhr und Verwendung von LMO in Nahrungs-, Futter- oder Produktionsmitteln (Art. 11 BSP) .. . . .. . . . .. . .. . .. . .. . . . . . .. . f) Handhabung, Transport, Verpackung und Identifizierung (Art. 18 BSP) .................................. . .................. g) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Das Verhältnis gegenüber Nichtparteien, Streitbeilegung. . . . . . . .

234 234 235 236 237 237 238 238 239 240 240 240 241 241 243 243 244 245 246 246 246 247 248 250 250 251 252 255 255 256 257 257 257

Inhaltsverzeichnis 7. Rotterdamer PIC-Konvention bzgl. Chemikalien und Pestiziden (PICCP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziel und Anwendungsbereich der PICCP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wichtigsten Pf1ichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einhaltung der Importvorgaben bei Anhang III-Chemikalien (Art. 11) ... . . . .................. .... ............... .. . bb) Exportnotifizierung von nicht in Anhang III aufgeführten, innerstaatlich beschränkten Chemikalien (Art. 12) ......... cc) Kennzeichnungspflichten (Art. 13) ... .. .................. dd) Notifizierung innerstaatlicher Verbote oder Beschränkungen (Art. 5) ..... .. ................... ... .................. ee) Zügige Entscheidung über die Zulässigkeit von Importen (Art. 10) ... . . . ................... . . . .................. ft) Verknüpfung von Handelsbeschränkungen mit innerstaatlichen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit ................................................... . . 8. Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) .... . .. .. . . a) Meeresumweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz der Meerestiere, Fischereiregelungen .................. c) Vorgaben des SRÜ gegenüber Handelsbeschränkungen ..... . ... II. Typische Kollisionen zwischen WfO-Recht und MEAs . . . . . . . . . . . . . . 1. Verstöße gegen GATT und GATS ............................... a) Verletzung des Meistbegünstigungsgebots ..................... aa) Handelsbeschränkungen gegenüber Nichtparteien . . . . . . . . . . bb) Privilegierung von Entwicklungsländern als Verstoß? ....... b) Schlechterstellung gleichartiger Waren bzw. Dienste ........... c) Nichttarifare Handelshemmnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtfertigung nach Art. XX GATT, Art. XIV GATS ..... .... . 2. Konflikte mit dem TBT . . . .. . . .. . . ............ . ............ .... 3. Konflikte mit dem SPS ........................................ 4. Verhältnis von TRIPS und CBD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Potenzielle Konflikte zwischen Klimaschutz und WfO-Recht ...... a) Die Ausgestaltung des Handels mit Emissionsrechten .......... b) Mögliche Beeinträchtigungen des herkömmlichen Waren-/Dienstehandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleichsabgaben gegenüber Importen ...... . . . ......... .... d) Sonstige mögliche Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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258 258 260 260 260 260 261 261 261 262 262 263 263 265 266 266 266 266 267 267 268 268 271 271 272 275 275 276 277 278

III. Fazit zu WTO-Recht und multilateralem Umweltschutz ............... 279

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Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel

Andere Konflikte zwischen WTO-Recht und handelsverbundenen Ordnungen

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A. Handel und grundlegende Arbeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Handel und Arbeitsrechte in der wissenschaftlichen Diskussion . . . . . . . . II. Die Rechtsgrundlagen der Arbeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmungen der ILO und der VN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verankerung von Arbeitsrechten im WTO-Recht? ........ . . ..... .. III. Politische Initiativen zu Handel und Arbeitsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . .

280 280 282 282 282 284

B. Handel und Menschenrechte ..................... . ............. . . . . . . . I. Die WTO-Konformität von Handelsbeschränkungen zum Schutz von Menschenrechten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bindung des WTO-Rechts an die Menschenrechte. . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Menschenrechte und ihre Beeinflussung durch das TRIPS . a) Recht auf Leben und Gesundheit, Recht auf Nahrung .... . . . . .. b) Die Pflichten des TRIPS zum Schutz geistigen Eigentums . . . . . . c) Die Gewichtung der Erfinderrechte gegenüber anderen Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichrangigkeil beider Rechtskreise in den Menschenrechtsinstrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Abwägung im TRIPS .................. . ........ .... 3. Fazit zum Verhältnis des WTO-Rechts zu den Menschenrechten anband des Beispiels TRIPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. TRIPS und TRIPS-relevante WIPO-Abkommen ......................... 295

I. Die Struktur des TRIPS .. .. ........................ . ............ . . 295 II. Materiellrechtliche Auslegungsunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 III. Faktische Aussetzung von WIPO-Pflichten durch die WTO . . . . ... .... 297 D. Handel und Finanzen, Handel und Entwicklung, Finanzen und Entwicklung I. Handel und Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handel und Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Finanzen und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung ......................................................

298 298 300 300 301

E. Handel und Weltpostvertrag, Handel und Telekommunikation. . . . . . . . . . . . . I. Die Beeinflussung des Weltpostvertrags durch das GATS . . . . . . . . . . . . . 1. Endvergütungen (Art. 49 WPV a.F., Art. 40 WPV n.F.) ........... a) Bisherige Ungleichbehandlungen nach Art. 49 Weltpostvertrag a.F....................................................... b) Anwendbarkeit des GATS; fehlende Rechtfertigung für MFNVerstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

302 302 302 302 303

Inhaltsverzeichnis

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c) Das neue Endvergütungsregime (Art. 44 WPV n.F.); Marktzugangsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Remailing (Art. 25 WPV a.F., Art. 40 WPV n.F.) ........... .. ... a) Die unterschiedliche Problematik von ARA-Remailing und ABC-Remailing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) ABA-Remailing nach altem und neuem Weltpostvertrag .... bb) ABC-Remailing nach dem alten Weltpostvertrag ........... b) Die Neuregelung des ABC-Remailing in Art. 40 Abs. 4 WPV .. II. Internationale Telekommunikationsverordnung (ITR) und GATS ....... 1. Die unterschiedlichen Zugangsregelungen von ITR und GATS, das Problem der Verbindungstarife. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsrahmen für Verbindungstarife als staatliche Maßnahme i.S.d GATS .................................... . ... b) Hohe und diskriminierende Verbindungstarife nach bisherigem ITU-Recht ................................................ c) Gegenwärtige Tolerierung im WTO-Recht, künftige Verschärfungen ................... . . ..... ...... . . ... . ............. d) Reformen im Rahmen der ITU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Fazit ...........................................................

310 311 312

F. Vergleich der verschiedenen Prograrnmkonflikte ......................... I. Handel und Umwelt, Arbeitsrechte, Menschenrechte ................. II. Handel und Finanzen, Entwicklung ................................. III. Handel und Post, Telekommunikation, Geistiges Eigentum ............ IV. Fazit des Vergleichs der verschiedenen Prograrnmkonflikte ............

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3. Kapitel Verfahren zur Lösung von Programmkonflikten A. Änderung des Vertragstextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung: Wirkungen und allgemeine Voraussetzungen von Vertragstextänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgestufte Zustimmungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen vom Erfordernis der internen Ratifikation. . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Änderung des WTO-Rechts .................. . . III. Vorschläge zur Änderung des WTO-Rechts zur Berücksichtigung multilateraler Umweltabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Ausnahme für den ganzen Sachbereich . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeiner Vorrang einzelner Verträge - Vorgeschlagene MEAAusnahmeklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Implizite Höherrangigkeit des WTO-Rechts gegenüber nicht unter die Vorrangklausel fallende MEAs? .. . . . .................. b) Form, Verfahren und inhaltliche Kriterien einer Vorrangklausel für MEAs ................................................. aa) Form der VorrangklauseL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Neumann

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Inhaltsverzeichnis bb) Verfahren der Vorrangeinräumung ........................ (1) Vorrangeinräumung durch WTO-Rat oder durch Panel? (2) Zeitpunkt der Beantragung der Freistellung ............ (3) Antragsrecht auf Freistellung ........................ cc) Inhaltliche Kriterien der Freistellung von MEAs ........... c) Risiken und Nebenwirkungen von Vorrangklauseln ............

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B. Implizite Vertragsänderung, Verwirkung und Vertragsergänzung ... . ....... I. Implizite Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Spätere Vertragspraxis als derogierendes Gewohnheitsrecht. . .. ..... 2. Konkludenter Änderungsvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll. Verwirkung (Estoppel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragsergänzung mittels Sekundärrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung ............... . ................ .. ............ ... .....

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C. Harmonisierende allgemeinverbindliche Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung der harmonisierenden Auslegung ............... ... .. . II. Die Bedeutung allgemeinverbindlicher Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die allgemeinverbindliche Interpretation im allgemeinen Völkervertragsrecht ............ .... ............................. ... ... . 2. Allgemeinverbindliche Interpretation des WTO-Rechts ........ . ... 3. Allgemeinverbindliche Interpretation umweltrelevanten WTORechts .............................. .. ..................... . . a) Vorrang von MEAs vor dem GATI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Extraterritoriale Wirkung von Produktionsstandards (PPM) . . . . . 4. Realisierungschancen harmonisierender allgemeiner Auslegungen. . .

335 335 337

D. Harmonisierende Auslegung in Streitentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Bedeutung von Streitentscheidungen für Vertragsordnungen . . . . . . . II. Auslegung des WTO-Rechts nach den herkömmlichen Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 31, 32 WVK als herkömmliche Auslegungsregel(n) des Völkerrechts ............................ . ... ... ........... . ......... 2. Weitere Artikel der WVK als Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ungeschriebene Auslegungskriterien............................. 4. Fazit zu den Kriterien der Auslegung des WTO-Rechts. . . . . . . . . . . . III. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK als Klammer konfligierender Ordnungen .. . 1. Die GATI-/WTO-Streitbeilegungspraxis .. .... ................... a) GATI-Berichte ................ . ............... . ........... b) WTO-Berichte ............ . .... . .. .... ........ . .. . ........ c) Fazit zur Stellung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK in Streitberichten von GATI und WTO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziel und Bedeutung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK .. .. . .......... a) Verträge als einschlägige Völkerrechtssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begrenzung auf materiellrechtliche Völkerrechtssätze? .... . . ... c) Entstehungszeitpunkt des einschlägigen Völkerrechtssatzes .....

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337 339 341 342 342 343

344 346 348 350 355 357 357 358 359 364 365 366 366 366

Inhaltsverzeichnis d) "Parteien" i.S.d. Art. 31 Abs. 3lit. c) WVK .......... ..... ... aa) Alle Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Parteien des Streitfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eine Partei des Streitfalles ...... . .... ............ . ...... dd) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Umfang des Art. 34 WVK: Verbot der Beeinflussung durch Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Folgen einer weiten Auslegung des Art. 34 WVK für Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK .......................... (3) Beeinflussung der Auslegung nur bei bipolaren Verträgen I Nonnen? ... . ... .. .... .... .. ... . ....... . ...... (a) MEAs und 11..0-Konventionen als muttipolare Verträge ... .............. .... ..................... (b) WTO-Recht als bipolares Recht .................. (4) Zulässigkeil und Erforderlichkeil einer wechselseitigen Beeinflussung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unmögliche wechselseitige Beeinflussung bei fehlender Parteiidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Erforderlichkeil einer wechselseitigen Beeinflussung? ......................................... (5) Erfordernis einheitlicher Auslegung des WTO-Rechts?.. (6) Fazit zur Zulässigkeit einer geteilten Interpretation bipolarer Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Extensive Auslegung des Art. 31 Abs. 3 lit. c): Einfluß auf alle Parteien?... . .. .. .. ... .......... . .. . . .... . .. (8) Das besondere Problem der fehlenden Bindung einer Streitpartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Allgemeine Rechtslage .......................... (b) Sonderfall WTO?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Fazit zur Bedeutung von "Parteien" i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK .................... . ............ e) Umfang und Grenzen, Verbote und Gebote der Auslegung nach Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK ................................. aa) Berücksichtigungsgebot; Umfang der Divergenz in der Auslegung . . . ... . ................ . ...... . ................. bb) Unterschiedliche Durchsetzbarkeil von Nonnen als Grenze des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK .. .. . ....... .. ............ (1) Das Beispiel des Art. XX lit. a) GATT und der ILOErklärung über grundlegende Rechte bei der Arbeit . . . . (2) Unterscheidung zwischen Gehalt und Durchsetzbarkeil von Nonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtmäßigkeit des Heranziehens innerhalb der heranziehenden Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausdrückliche Ermächtigung zum Heranziehen von Nonnen eines speziellen Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 368 368 369 370 372 372 374 376 377 377 378 378 379 379 382 382 383 383 385 387 387 387 390 390 392 394 394

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Inhaltsverzeichnis (2) Ausdrückliche Ermächtigung zum Heranziehen ohne Nennung eines speziellen Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fehlende Erwähnung einer Heranziehbarkeit regimefremder Normen .... . .. .. .... . ... ... ....... ........ dd) Begrenzung des Heranziehens durch das heranzuziehende Regime ..... . . . .................. ... . . ................ ( 1) Verhindem einer ungewollten Durchsetzung über fremde Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Bedeutung eines allgemeinen Störungsverbots . . . . . ee) Störungsverbot nicht nur Grenze, auch Gebot der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verhältnis zwischen Ordnungen verschiedener Bereiche des besonderen Völkerrechts ................. . . . . .... (a) Inhalt und Grenzen des Störungsverbots nach Ruffert ...................... .. ............. .. . . . . (b) Das Störungsverbot als partielles Gebot der Koordination ................ .. ....... .. . . .......... .. (c) Inhalt und Grenzen des Störungsverbots. . . . . . . . . . . (2) Stärkeres Störungsverbot zwischen Ordnungen desselben Bereichs des besonderen Völkerrechts? ... . . .. .... IV. Fallstudie zu Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK: WTO-Recht und Biosicherheitsprotokoll .............. . ..... . .. . ... .... ..................... 1. Einleitung: Die Bedeutung des Konflikts zwischen WTO-Recht und BSP .... . .. . . . . . .......... . . . .. . .... .... ....... . . . ......... . . 2. Mögliche Konflikte zwischen BSP und WTO-Recht. .............. 3. Die auf BSP-Maßnahmen anwendbaren WTO-Abkommen ......... a) Anwendbarkeit des SPS ............ .... .................... b) Anwendbarkeit des TBT ....... . ...... ... . .. ..... . ....... . .. c) Anwendbarkeit des GATT .......... .... .......... . ......... 4. Möglichkeiten der harmonisierenden Auslegung von BSP und WTO-Recht ........ . ....... .. . .. ........ .. . . ................. a) Verbot einer harmonisierenden Auslegung durch die Präambel des BSP? ............ . ...... .. ..... .... ... . ............... b) Genehmigung erstmaliger Einfuhr freizusetzender LMO (Art. 710, 12 BSP) ......... . ................ .. ....... . ........... aa) Vereinbarkeit mit Art. 5 Abs. 1, 6, Art. 2 Abs. 2 SPS ...... bb) TBT-Konformität von Importverboten oder -auflagen (Art. 7- 10,12 BSP) ..... ... . ....... . ... . ... . . .... .... .. cc) Vereinbarkeit von Importverboten oder -auflagen mit Art. III, XI GATT ........ . ........ . ... . ..... .. . .. ..... c) Verbindliche Kennzeichnung (Art. 18 Abs. 2 BSP) ............. aa) Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1, 6, Art. 2 Abs. 2 SPS . ... ..... bb) Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1, 2 TBT.... . ... . .. . .......... cc) Verstoß gegen Art. III, XI GATT . .. .. . ..... . .. . . .. .. . ... d) Beibringung von Risikoinformationen (Art. 8 Abs. 1 BSP) .. .. . .

394 395 396 396 397 404 404 404 406 410 412 413 413 414 415 416 418 418 419 419 421 421 423 424 427 427 428 429 429

Inhaltsverzeichnis

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e) Vorsorgemaßnahmen ................ . ................ . . . ... aa) Gehalt des Art. 5 Abs. 7 SPS .... .... ............. . .. . .. bb) Gehalt der Art. 10 Abs. 6, Art. 11 Abs. 8 BSP ........ . ... cc) Unterschiede und wechselseitige Beeinflussung ..... .... .. . (1) Dauer der vorsorglichen Handelsbeschränkung .... ..... (2) Berücksichtigung der Informationen des Antragstellers, Bescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Symbiose .. . ................... . ............... . .. f) Weitergehende nationale Beschränkungen . . . ............... . . . 5. Fazit zur harmonisierenden Auslegung von BSP und WTO-Recht. . . V. Die Grenzen der harmonisierenden Auslegung ..... ............ .... . . 1. Beispiel: Das SPS-Gebot wissenschaftlichen Risikonachweises und das Vorsorgeprinzip ... .. .............. .. .. . ............ .. . .. .. 2. Allgemeine funktionale Grenzen der harmonisierenden Auslegung .. VI. Fazit ................................... ..... ............ .... ...

430 430 430 431 431

E. In WTO-Entscheidungen anerkannte koordinierende Prinzipien .... . . .. .. . I. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Handelsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 1. Erforderlichkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) WTO-konformstes zurnutbares Mittel ..... ............ ... .... aa) Der klassische Maßstab .......... .... .............. .. ... bb) Lockerung des Erforderlichkeitsmaßstabs in der neuesten Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung der Erforderlichkeit durch WTO-fremde Abkommen . . ..... . ..... . .. ............... .. . . . ............. ..... c) Ermessens- und Prognosespielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geringere Steuerungsgenauigkeit ökonomischer Instrumente. bb) Wissenschaftlich und praktisch unausgereifte Konzepte als Alternative? . . . .. ............... ...... ........... . ..... cc) Totales Handelsverbot als milderes Mittel? . . . . .... .. . . .. .. dd) Politische Widerstände als Verhinderung von Alternativen? . ee) Der Prüfungsmaßstab der WTO-Panel .. ........... ....... ff) Technische und finanzielle Hilfe als milderes Mittel? ..... . gg) Lokale Sonderbedingungen als eigenständige Kategorie eines Ermessensspielraums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Effektivitätsprinzip und Einleitungssatz des Art. XX GATT. ii) Kennzeichnungspflicht als Alternative zu Importverboten? .. d) Verhandlungen als Bedingung der Erforderlichkeit extraterritorialer Maßnahmen? ........................................ e) Konsistenz von Beschränkungen: Erforderlichkeitskriterium im GATT? ............... . ....................... . ........ .. . f) Weitergehendes Rechtmäßigkeitskriterium der wirtschaftlichen Effizienz? ............. ... ................................. g) Beweislast für das Bestehen bzw. das Fehlen von Alternativen ..

441 441 444 444 444

432 433 434 435 436 436 437 440

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Inhaltsverzeichnis h) Prozessual umfassende Anwendung des Erforderlichkeilsgebots durch Panel und AB ............... ... ..................... i) Die Erforderlichkeit gemäß TBT und SPS ................. . .. 2. Angemessenheil der Maßnahme.... .... . . ...... .. .......... .. ... a) Angemessenheilsprüfung in Art. XX GATT? .................. aa) Angemessenheil de lege lata als Teil der Erforderlichkeit? .. bb) Angemessenheil de lege lata als Teil des Einleitungssatzes?. cc) Angemessenheil als Indiz der Erfüllung des Einleitungssatzes? ........................... ... .................... dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheilsprüfung im TBT?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheilskriterium im SPS? ... ... .................... d) Angemessenheilskriterium de lege ferenda sinnvoll? ........ . .. aa) Vorteile ..... ... ................... .. .................. bb) Nachteile ... ... ....................................... cc) Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Elemente einer Verhältnismäßigkeilsprüfung im Einleitungssatz des Art. XX GATT ....... . ................... .. .................. a) US - Gasoline: Ungleichbehandlung als Gegenstand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) US - Shrimp: Spezielle Aspekte der Erforderlichkeil wegen des Chapeaus? ...... ... ............................... . ....... aa) Vergleichbarkeit statt Identität der Schutzpolitiken .. . . ... .. bb) Räumliches und zeitliches Übermaß . .. . . ....... . . . . . ... .. cc) Verbot herkunftsabhängiger Beschränkungen .. . . . .. ... .... c) Vergleich: Auslegung des Einleitungssatzes des Art. XX GATT und ähnlichen WTO-Rechts .......................... .. . . ... aa) Auslegung der Art. 2 Abs. 3, Art. 5 Abs. 5 SPS in "EC Hormones" und "Australia- Salmon" .. . . . . ...... . ... .. .. (1) Ablehnung der Gleichheit der Auslegung durch den AB (2) Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ungleichheit? ..... bb) Art. XXIV Abs. 5 GATT ("Turkey - Restrictions"); Art. XVIII Abs. 9 GATT ("lndia - Quantitative Restrictions") ...... ... .................. ... .................. d) Fazit ................... . . . . . .......... . ........... .. ..... 4. Verhältnismäßigkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz? ............. 5. Fazit ............... ... .............................. . ... .. .. II. Das Kooperationsgebot zwischen Staaten und zwischen Vertragsordnungen ............... . ...... . ... ... .. . ... . . .. .................. 1. Herstellungs-/Gewinnungsvorgaben (PPM) unter GATT, TBT und SPS . . . ... . . ..... .. .. ................... .. . . ... . . .... ... ..... a) PPM unter dem GATT ............. . . .. ... ........ . ........ aa) Verletzung der Art. III, XI GATT ..... ... .. .. . .. .... . .... bb) Rechtfertigung von PPM gemäß Art. XX GATT? ... .......

460 461 461 461 461 462 464 464 464 465 465 466 466 467 467 468 470 471 471 472 476 476 477 478 479 481 481 482 483 484 484 484 485

Inhaltsverzeichnis

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b) Die Rechtmäßigkeit von PPM unter TBT und SPS ........ . . ... 2. Die GATT-Konfonnität extraterritorial wirkender Handelsbeschränkungen ...................................................... 3. Das Kooperationsgebot bei extraterritorial wirkenden PPM ... ...... 4. Das Kooperationsgebot als Maxime der Koordination der Ordnungen ..........................................................

485

F. Sekundärrecht, "soft law": Auslegungsrelevante Vertragspraxis. . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen der Vertragspraxis im allgemeinen Völkerrecht. .. . .. II. Die Vertragspraxis im WTO-Recht ................................ III. Verbindliche Entscheidungen und unverbindliche Erklärungen ........ IV. Die Bedeutung von Entscheidungen für die Vertragsauslegung . . . . . . . V. Verbindliche und unverbindliche Entscheidungen ............. . .. .. . VI. Die Bedeutung von Erklärungen für die Vertragsauslegung . . . . . . . . . . VII. Empfehlungen von WTO-Ausschüssen ... . ........................ VIII. Fazit: Sekundärrecht und "soft law" als Indikatoren der Berücksichtigung fremder Normen ........................ . ........ . .........

495 495 497 498 499 499 500 501

G. Flexible Vertragsanwendung durch ermächtigte Vertragsorgane . .... . ...... I. Flexible Vertragsanwendung durch das IWF-Exekutivdirektorium ...... II. EU-Kommission: Flexible Vertragsanwendung im Wirtschaftsrecht und mittels "Kornitologie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beihilfengenehrnigung, Kartellfreistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Delegierte Rechtsetzung: Durchführungsbestimmungen (Kornitologie) .. . .. . .... .. .. . . .. . ..... ... . .... .... . .. ...... . .. .. .. . . ... III. Flexible Anwendung im Verhältnis WTO-Recht/MEAs? . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit .................. . ............... . . ... ............ . . .. ....

503 504

486 490 493

502

506 506 507 508 509

H. Ausnahmegenehmigungen ("Waiver") ......... .. . .. ......... . .. . . .. .... 509 I.

Fazit ...................................... .... ............. .... .... 511

24

Inhaltsverzeichnis

3. Teil

Konkurrenzen und Kooperation der Streitbeilegung 1. Kapitel Ausschließliche oder extravertragliche Zuständigkeit?

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A. Ausschließliche Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte? . ... ................... I. Obligatorische Streitbeilegung unter dem SRÜ ...................... II. Internationaler Seegerichtshof als SRÜ-Streitbeilegungsorgan.......... III. Ausschließliche Zuständigkeit der SRÜ-Gerichte? .. .................. 1. Wortlaut des Art. 297 Abs. 1 SRÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziel und Zweck des SRÜ und seiner Art. 311, 297, 287 ........... 3. Systematische Auslegung: Art. 297, 282, 281, 288 SRÜ ........... 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

525 525 527 529 529 529 530 531

B. Ausschließliche Zuständigkeit der WTO-Panel? ...... . ........... .. ..... I. Der Wortlaut der Art. 23, 6, 1 DSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ziel und Zweck der Art. 23, 6 DSU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis ............................... .. .................. .....

531 531 532 533 534

C. Extravertragliche Zuständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prüfungszuständigkeit nach eigenem Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungszuständigkeit der SRÜ-Gerichte (Art. 288 SRÜ) . . . . . . . . . . 2. Prüfungszuständigkeit der WTO-Panel (Art. 1 Abs. 1 S. 2 DSU) ... . II. Prüfungskompetenz angesichts des allgemeinen Völkerrechts. . . . . . . . . .

535 536 536 536 537

2. Kapitel Kompetenzregeln für parallele Zuständigkeiten A. Völkervertragsrecht, insbesondere Art. 30 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erfassung der gerichtlichen Zuständigkeit durch Art. 30 WVK . . . . . . . . II. Vorrang nach Art. 30 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendbarkeit des Art. 30 WVK in der anderen Ordnung? ...........

538 539 539 540 541

B. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 C. Prioritätsprinzip ("lis pendens" bzw. "litispendence") . .... ...... ...... . . . 543 D. Spezielle Zuständigkeitsregeln, Allgemeine Rechtsgrundsätze, Grundsätze Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Spezielle Zuständigkeitsregeln im WTO-Recht und im SRÜ........... 1. Ausschluß der WTO-Streitbeilegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parallelität von Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Empfehlung eines Vorrangs spezieller Verfahren ..................

545 546 546 546 547

Inhaltsverzeichnis

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4. Ausschluß der SRÜ-Streitbeilegung gemäß Art. 281 bzw. Art. 282 SRÜ .................. . ................ .... ............. .. .. . II. Rechts-/Kompetenzrnißbrauch; Verstoß gegen Treu und Glauben . . . . . . 1. Rechts- bzw. Kompetenzmißbrauch . . ... .. ... ... . ...... . .. . ... . . 2. Verstoß gegen Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationales Privatrecht: "Forum non conveniens" . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . ................. . . . ............... ..... .......... . .... . ..

548 548 549 551 552 553

E. Beschränkung von Prüfungsumfang oder -dichte, Entscheidungsverweigerung ............... . ....... .. ................ ... ................ ... I. Beschränkung des Prüfungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschränkung der Prüfungsdichte . .. ......... .... .............. . .. . III. Verweigerung von Sachentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

554 554

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F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558

3. Kapitel

Die Kompetenz von SRÜ-, WTO- und MEA-Gerichten bei parallelen Zuständigkeiten

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A. Konsens der Streitparteien bezüglich des Streitbeilegungsorgans. . . . . . . . . . . 559

B. Dissens der Streitparteien bezüglich des Streitbeilegungsorgans . . . . . . . . . . . I. Kompetenz der SRÜ-Gerichte bei parallelen Zuständigkeiten .... .. .. . . 1. Wortlaut der Art. 282, 293, 311, 151 SRÜ ... .. .. . ............. . . 2. Ziel und Zweck des Seerechtsübereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vemeinung der Zuständigkeit in der Hauptsache "Southem Bluefin Tuna" ............. .... ............... . . ... .............. . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kompetenz der WTO-Panel bei parallelen Zuständigkeiten .......... . . 1. Art. 6, 23 DSU; spezielle Zuständigkeitsbegrenzungen............. 2. "US - FSC" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. "lndia- Quantitative Restrictions", "Turkey- Restrictions" ........ a) "lndia - Quantitative Restrictions". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) "Turkey- Restrictions" ............... . .................... 4. Bewertung der Berichte des Appellate Body .. . . ... ............... 5. Ausschuß für Handel und Umwelt (CTE) . . ... . ...... . . .. ... .. . . . 6. Fazit .. ......... ..... . .. ... . .... . . .......... .. . . .. ... . ..... .. III. Kompetenz der Gerichte multilateraler Umweltabkommen bei Zuständigkeitsparallelität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis .......... . ..... .. ............................ .. ........

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Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Gerichte für neutrale oder kooperative Entscheidungen

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A. Der Internationale Gerichtshof als neutrale Instanz ................ .. .... I. Entscheidung der gesamten Streitigkeit durch den IGH . . . . . . . . . . . . . . . II. Der IGH als Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Revisionsinstanzen im Völkerrecht. ..... .. .................. ... . 2. Vor- und Nachteile einer Revision durch den IGH . . . . . . . . . . . . . . . . 3. IGH als Revisionsinstanz für übergreifende Streitfälle de lege lata und de lege ferenda ..... .. . .... ... .... .. .. .. . ........ .. ... .. . . a) Zulässigkeit nach CVN und IGH-Statut . ..................... aa) Rechtsgutachten (Art. 96 CVN, Art. 65--68 IGHSt) ........ bb) Streitverfahren (Art. 92 CVN, Art. 34 ff. IGHSt) ........ . . b) Zulässigkeit gemäß der jeweiligen Vertragsordnungen .......... 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorlageverfahren an den IGH . ............. .... . .. .... . .... . . ...... 1. Ziele und Nachteile des Vorlageverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ziele des Vorlageverfahrens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachteile des Vorlageverfahrens ...................... .. ..... 2. Zulässigkeil de lege lata . . .. . . . .. . . .. . .. . . . . .. .. .. . . . . .. .. . . . . . a) Zulässigkeil nach VN-Charta und IGH-Statut . ........ . ....... aa) Rechtsgutachten gemäß Art. 96 CVN i. V.m. Art. 65 IGHSt. bb) Streitverfahren gemäß Art. 92 CVN, Art. 34 ff. IGHSt ..... b) Zulässigkeit nach den jeweiligen Vertragsordnungen ..... .. .... 3. Zulässigkeil von Vorlagebeschlüssen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . a) VN-Charta und IGH-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht der Vertragsordnungen . .... .. . ... .. . ... ......... .. . ... c) Zuweisung durch einen unabhängigen völkerrechtlichen Vertrag . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entscheidung des IGH über die Entscheidungskompetenz . . . . . . . . . . . . . 1. IGH-/StiGH-Entscheidungen über die Zuständigkeit anderer Gerichte ........... ........ .. .......... .. ..... . . ............... . 2. Justiziabilität der Kompetenzfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Gemeinsame Streitbeilegungsgremien als kooperative Instanzen. . . . . . . . . . . I. Inhaltliche Entscheidung des gesamten Streitfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Überlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. ILO/WTO-Kooperation zu Handelsbeschränkungen wegen Verletzung grundlegender Arbeitsrechte . .. . . . . . .. . .. . . .. . . . .. . .. . .. .. . a) Charakteristika des Verfahrens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweistufigkeil des Verfahrens ............................... II. Revisionszuständigkeit eines gemeinsamen Gremiums . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

27

ill. Entscheidung einer vorgelegten Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorteile eines gemeinsamen Gremiums gegenüber einer Vorlage . . . . 2. Bindungswirkung der Auslegung durch ein gemeinsames Gremium . 3. Befugnis zur Beantragung der Vorlage ....... .. ............. ..... IV. Bestimmung der Entscheidungskompetenz ...... .. .............. ....

600 601 602 602 602

C. Revision zum Internationalen Gerichtshof nach Entscheidung eines gemeinsamen Gremiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603

5. Kapitel Gutachten, Verfahrensbeitritt, Stellungnahmen Dritter A. Einholen von Gutachten durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pflichten, Voraussetzungen und Wirkungen der horizontalen Kooperation ... ....... . ......... .. ............ . . . ... .. ......... . ...... . . 1. Pflicht zum Einholen von Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflicht wegen eines Auslegungsmonopols einer Ordnung? . . . . . . b) Die Bedeutung des allgemeinen Störungsverbots . . . . . . . . . . . . . . c) Koordinationsbedarf am Beispiel des "Schwertfisch-Falls" . . .... 2. Institutionelle Anforderungen an befragte Ordnungen. . . . . . . . . . . . . . a) Kompetenz eines ständigen Vertragsorgans zur verbindlichen Auslegung . . .. . .. . .. ...... .. .............. .. ............ . . b) Auslegung als politische Mehrheitsentscheidung? . .. ........... c) Auslegung durch das eigene Streitbeilegungsorgan ............. d) Auslegung durch das Sekretariat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Auslegungsantrag durch die Streitparteien . . ................ . . 3. Ablauf der Auslegungskooperation und Bindungswirkung ......... . II. Gutachten vor dem Internationalen Gerichtshof ... . ... . .............. ill. Gutachten vor der Welthandelsorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gutachten vor dem Internationalen Seegerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

605 605 606 606 607 609 613 614 614 616 616 617 618 618 619 620 622

B. Verfahrensbeteiligung durch Beitritt zum Verfahren ......... .. ........... I. Verfahrensbeitritt vor dem Internationalen Gerichtshof. . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nebenintervention nach Art. 62 IGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beitritt gemäß Art. 63 IGH-Statut. ... ... .. ... .... .. .. . . . ...... . . II. Verfahrensbeitritt vor der Welthandelsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ill. Verfahrensbeitritt vor dem Internationalen Seegerichtshof . . . . . . . . . . . . .

623 623 623 625 627 629

C. Stellungnahmen Unbeteiligter (" amicus curiae briefs ") . ... .. ... . . . ...... I. Stellungnahmen vor dem Internationalen Gerichtshof. . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellungnahmen in Streitverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stellungnahmen Internationaler Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahmen unbeteiligter Staaten............ . .. .. .. . ..... 2. Stellungnahmen in Gutachtenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

630 631 632 632 632 633

28

Inhaltsverzeichnis II. Stellungnahmen vor der Welthandelsorganisation............. ... . . ... 633 III. Stellungnahmen vor dem Internationalen Seegerichtshof . . . . . . . . . . . . . . 634 IV. EU/EG und EFTA: Vorbild für ordnungsfremde Interventionen . .... ... 635

D. Fazit ........................ . ................................ . ..... 635

6. Kapitel

Auswirkungen von Entscheidungen auf andere Ordnungen und deren Gerichte A. Rechtliche Bindung der Gerichte an fremde Entscheidungen? ......... . ... I. Bindung an die Auslegung einer Norm? .......................... . . II. Erstreckung materieller Rechtskraft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bedeutung des Art. 30 Abs. 3 WVK bei kollidierenden Urteilen . . . . . . .

637 637 637 639 640

B. Tatsächliche Beeinträchtigungen.............. ... ..................... . 641 C. Widersprechende Auslegungen .. .. .... .... .. . . . . .................... . . I. Abweichende Auslegungen derselben Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abweichende Auslegungen ähnlicher Normen ....................... 111. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

644 645 647 648

D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 Schlußwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652

4. Teil

Zusammenfassung A. Zunehmende Überschneidungen der Vertragsordnungen (Einleitung) . . . . . . . 657 B. Prinzipien der Koordination völkerrechtlicher Ordnungen (I. Teil) . .. ...... 658 C. Konflikte des materiellen Völkervertragsrechts (2. Teil) .................. I. Das Verhältnis zwischen WTO-Recht und Umweltschutzabkommen (I. Kap.) ............ .. . .. ............................. ... ...... . I. Grundlagen: Ausmaß und Qualität der Verknüpfungen (1. Kap. A.) . 2. Umweltrelevante WTO-Normen (1. Kap. B.) . . ............ .. ..... 3. Panel-Berichte zu Handel und Umweltschutz (I. Kap. C.) . . .. . ... . . 4. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) (1. Kap. D. 1.) .... .. ..... 5. Kollisionen zwischen WTO-Recht und Umweltabkommen (I. Kap. D. II.) ...... .. .............................. .... ..... II. Konflikte zwischen WTO-Recht und anderen handelsverbundenen Ordnungen (2. Kap.) ...... .... .................. . ............. .. ..... I. Internationaler Handel und grundlegende Arbeitsrechte (2. Kap. A.). 2. Internationaler Handel und Menschenrechte (2. Kap. B.) . . . . . . .. . .. 3. TRIPS und TRIPS-relevante WIPO-Abkommen (2. Kap. C.) . . .. . .. 4. Handel und Finanzen, Handel und Entwicklung (2. Kap. D.) ... .. . .

661 661 661 661 670 675 679 679 679 680 681 682

Inhaltsverzeichnis

29

5. Handel und Weltpostvertrag, Handel und Telekommunikation (2. Kap. E.) ........................................... . ...... 683 6. Vergleich der verschiedenen Konflikte (2. Kap. F.) ................ 684 III. Verfahren zur Lösung von Programmkonflikten (3. Kap.) ...... . ...... 686 D. Konkurrenzen und Kooperation der Streitbeilegung (3. Teil) .............. 692 I. Ausschließliche oder extravertragliche Zuständigkeit? (1. Kap.) ........ 693 II. Kompetenzregeln für parallele Zuständigkeiten (2. Kap.) .............. 693 III. Kompetenzen von WTO, SRÜ, MEAs bei parallelen Zuständigkeiten (3. Kap.) ........................................................ 695 IV. Gerichte für neutrale oder kooperative Entscheidungen (4. Kap.) ... .. . . 696 V. Gutachten,Verfahrensbeitritt, Stellungnahmen Dritter (5. Kap.) ......... 697 VI. Auswirkungen von Entscheidungen auf andere Ordnungen (6. Kap.) ... 701 E. Schlußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 Summary

704

Literaturverzeichnis

716

Sachwortverzeichnis

758

Abkürzungsverzeichnis AB AEMR

AfrYIL AJIL AöR ArizJintaCompL ASIL AUJILP AVR BC BSP

BYIL

CAK CBD CITES CML Rev. ColJIEnvL&P ColumJEnvtlL ColumJTransL COP CorniU CTE CVN DGVR DÖV DSU DVBI. EELR EJIL ELQ EpaL EuGRZ EuR EurU EuZW EWS

WTO-Revisionsinstanz (Appellate Body) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte African Y earbook of International Law American Journal of International Law Archiv des öffentlichen Rechts Arizona Journal of Internationaland Comparative Law American Society of International Law American University Journal of International Law and Policy Archiv des Völkerrechts Basler Konvention Biosicherheitsprotokoll British Yearbook of International Law Codex Alimentanus Kommission Konvention über biologische Vielfalt Washingtoner Artenschutzabkommen Common Market Law Review Colorado Journal of International Environmental Law and Policy Columbia Journal of Environmental Law Columbia Journal of Transnational Law Vertragsparteienkonferenz Cornell International Law Journal WTO-Ausschuß für Handel und Umwelt Charta der Vereinten Nationen Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht Die Öffentliche Verwaltung WTO-Streitbeilegungsvereinbarung Deutsches Verwaltungsblatt European Environmental Law Review European Journal of International Law Ecology Law Quarterly Environrnental Policy and Law Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht European Law Journal Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschaftsrecht

Abkürzungsverzeichnis FAO FCCC GATS GATT GEF GeoU GIELR GRUR Int. GYIL

HILJ

mRD

ICLQ ICTY IGH IGHSt IISD Ila ILC ILM ILO IPBPR IPCC

IPWSKR ISGH IStGH ITLA

ITR

ITU IWF JIEL JoE&D JoEL JSmall&EmergBusL JTransnatLaP JWT

JZ KJ

KP LeidenJIL LPIBus MEAs MichJIL

31

VN-Organisation für Nahrung und Landwirtschaft VN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen Allgemeines Abkommen über den Dienstleistungshandel Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen Global Environmental Facility Georgetown Law Journal Georgetown International Environmental Law Review Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International German Yearbook of International Law Harvard Journal of International Law Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung International Comparative Law Quarterly Internationales Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Gerichtshof Statut des Internationalen Gerichtshofs International Institute for Sustainable Development Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika Völkerrechtskommission International Legal Materials Internationale Arbeitsorganisation Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte International Panel on Climate Change Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Internationaler Seegerichtshof Internationaler Strafgerichtshof International Trade Law Association Internationale Telekommunikationsregulierungen Internationale Telekommunikationsunion Internationaler Währungsfonds Journal of International Econornic Law Journal of Environment & Development Journal of Environmental Law Journal for Small and Ernerging Business Law Journal of Transnational Law and Policy Journal of World Trade Juristenzeitung Kritische Justiz Kyoto-Protokoll über Klimaänderungen Leiden Journal of International Law Law and Policy in International Business Multilaterale Umweltabkommen Michigan Journal of International Law

32 MinnJGlTr MP MPUNYB NAFfA NILR NJW NuR NVwZ NYIL NYUEnvLJ NYUJILaP ODIL OECD PICCP RabelsZ RBDI RdC RECIEL RGDIP RIW SPS SRÜ StiGH StiSGH StiStGH SZIER SZR TBT TRIMS TRIPS TWIN-SAL UFITA UNCED UNCLOS UNCTAD UNDP UNEP

Abkürzungsverzeichnis Minnesota Journal for Global Trade Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht Max Planck Yearbook on United Nations Law North American Free Trade Area Netherland's International Law Review Neue Juristische Wochenschrift Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Netherland's Yearbook of International Law New York University Environmental Law Journal New York University Journal of International Law and Policy Ocean Development and International Law Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Konvention über den Handel mit Chemikalien und Pestiziden Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue Beige de Droit International Recueil de Cours Review of European Community and International Environmental Law Revur General de Droit International Public Recht der Internationalen Wirtschaft WTO-Abkommen über (Pflanzen-)Gesundheitsmaßnahmen VN-Seerechtsübereinkommen Ständiger Internationaler Gerichtshof Statut des Internationalen Seegerichtshofs Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht IWF-Sonderziehungsrechte WTO-Abkommen über technische Handelshemmnisse WTO-Abkommen über handelsverbundene Investitionsmaßnahmen WTO-Abkommen über handelsverbundenes geistiges Eigentum Third World Intellectuals Against Linkages Archiv für Urheber- und Medienrecht VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung VN-Seerechtsübereinkommen VN-Konferenz für Handel und Entwicklung Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen Umweltprogramm der Vereinten Nationen

Abkürzungsverzeichnis UNFF UnivRichmLR UPaJintEconL VanderbJTrL VirgJIL VN-GV VN-SR VVDStRL

wc wco

WIPO WPV WSSD WTO WVK WVKIO YaleHR&DevLJ YaleJIL YaleLJ YBILC YIEL ZaöRV ZEuS ZLR

3 Neumann

33

Waldforum der Vereinten Nationen University of Riebmond Law Review University of Pennsylvania Journal of International Economic Law Vanderbilt Journal of Transnational Law Virginia Journal of International Law Generalversammlung der Vereinten Nationen Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Competition Weltzollorganisation Internationale Organisation für Geistiges Eigentum Weltpostvertrag Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung Welthandelsorganisation Wiener Vertragsrechtskonvention Wiener Konvention über Verträge internationaler Organisationen Yale Human Rights & Development Law Journal Yale Journal of International Law Yale Law Journal Jahrbuch der Völkerrechtskomission Yearbook for International Environmental Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Buroparechtliche Studien Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht

Einleitung

Zunehmende Überschneidungen völkerrechtlicher Ordnungen Der Wandel des Völkerrechts vom Recht der unabhängigen Koexistenz der Staaten zum Kooperationsrecht 1 der gemeinsamen Verfolgung von Zielen mittels internationaler Organisationen (1.0.) und internationaler Regime verlangt in steigendem Maße die Koordination dieser 1.0. und Regime, also eine Koordination der Kooperation? Die beständige Ausweitung der Inanspruchnahme grenzüberschreitender Freiheiten, wie Kommunikation, Handel, Investitionen und Personenverkehr führt ebenso zur steigenden Ausdifferenzierung internationaler Regelungen, wie die zunehmende Zusammenarbeit der Staaten zur Lösung globaler Probleme ("common concern") wie Klimawandel, Zerstörung der Ozonschicht, Artenschwund. 3 Entgegen dem innerstaatlichen Recht wird das jeweilige sachspezifische Völkerrecht nicht durch einen einheitlichen Gesetzgeber erlassen, sondern durch die am bestimmten Sachgebiet interessierten Staaten. Diese dezentrale, oft von verschiedenen Völkerrechtssubjekten betriebene Normsetzung verursacht in verschiedenen Bereichen des besonderen Völkerrechts Überschneidungen und Kollisionen sowohl des materiellen Rechts, als auch der Zuständigkeiten der Regime, insbesondere ihrer Streitbeilegungsorgane.4 Vor allem die mit internationalem Handel inhärent verbundenen Politikfelder werden von den Regeln und Streitentscheidungen der Welthandelsorganisation (WTO) betroffen. 5 Die Beeinflussung primär wirtschaftsfremder, aber "handelsverFriedmann, S. 60 ff.; Schwarzenberger, S. 29 ff. Statt vieler Blokker, in: Blokker/Scherrners, S. 1: "Overlapping activities and conflicting competences occur frequently and the need for co-ordination is evident.". 3 Tietje, GYIL 42 (1999), S. 43: "The growing body of existing written international law is a response to the increasing complexity of international relations and the State's insufficiency to regulate issues being subject to global governance."; Trachtman, AJIL 96 (2002), S. 82, 90 f. 4 Karl, S. 64: "Übrigens sind Konflikte ... die beinahe unvermeidliche Begleiterscheinung dezentraler Rechtserzeugung."; ähnlich Janis, S. 7; Schermers/Blokker, § 1340: "International law Iacks the coherence of national law. The international community Iacks the legislature which provides national legal orders with their coherence. This situation is changing, partly through the functioning of international organizations.". 1

2

3*

36

Einleitung

bundener"6 Bereiche des Völkerrechts durch WTO-Recht weist Parallelen auf zur Entwicklung der EWG von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer immer stärker auch nichtwirtschaftliche Bereiche regelnden Gemeinschaft/ Union wegen der Erfordernisse des Gemeinsamen bzw. des Binnenmarktes.7 Da WTO-fremde Verträge notwendigerweise handelsrelevante Regeln enthalten, ist das Welthandelsrecht die "dormant commerce clause" des Völkerrechts. 8 Manche sehen das WTO-Recht gar als den Beginn einer "Konstitutionalisierung" des Völkerrechts.9 Zwar kann eine "Konstitutionalisierung" der WTO zumindest auf absehbare Zeit nur als Verrechtlichung der Handelsbeziehungen, nicht aber als übergeordnete, umfassende Verfassungsgebung verstanden werden, 10 die vielen Berührungen zwischen 5 Nichols, NYUJILaP 28 (1996), S. 717: "The intersection between trade and other societal issues is virtually limitless."; Leebron, AJIL 96 (2002), S. 5: "The ,trade and .. .' industry is booming."; die Ergänzung des Warenabkommens GATI um Regeln zu Dienstleistungen (GATS), geistigem Eigentum (TRIPS), Investitionen (TRIMS), verstärken die Bedeutung des WTO-Rechts für die innerstaatliche Regelungskompetenz; exemplarisch Ostry, S. 3; Cass, EJIL 12 (2001), S. 64; Paulus, s. 327. 6 Dieser Begriff ist angemessener als das Wort "handelsfremd", denn die tatsächlichen und rechtlichen Bezüge von Umwelt, Arbeit und intellektuellem Eigentum zu internationalem Handel sind immanent und manifest, statt vieler Qureshi, in: Weiss/ Denters, S. 165 f.; die englischsprachige Literatur spricht meist von "trade-related", "trade and" oder "mixed", selten von "non-trade issues"; kritisch zum vergleichbaren Begriff "vergabefremde Aspekte" Rust, EuZW 11 (2000), S. 206. 7 Exemplarisch EuGH "Tabak-RL", Rs. C-376/98, para. 78, EuZW 11 (2000), S. 698: "... Harmonisierungsmaßnahmen . . . Auswirkungen auf den Schutz der menschlichen Gesundheit haben dürfen."; zur Spezialität der EG-Umweltkompetenz gegenüber der EG-Handelskompetenz für die Ratifikation des auch Handelsfragen regelnden Biosicherheitsprotokolls s. EuGH, Gutachten 2/00, EuZW 13 (2002), s. 116 f. 8 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 189: " . .. , the health objectives of many measures may be attainable only by means of commercial regulation. Thus, in practice, clear distinctions between health and commercial measures may be very difficult to establish."; Langer, S. 58 f. 9 Z.B. Petersmann, EJIL 6 (1995), S. 162-187; Jackson, HEL 1 (1998), S. 1 ff.; 344 f.; ders., NYUJILaP 31 (1999), S. 826, 830; Cottier, in: Fijalkowski/Cameron, S. 58; Stoll, ZaöRV 57 (1997), S. 116 ff.; exzellente Kritik bei Howse!Nicolaidis, S. 6-12; Nettesheim, in: Schenk u.a., 2000, S. 56-66; zur Diskussion Duvigneau, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 295-325; zur Verfassungsfunktion des EGV: EuGH, Rs. 294/83 "Les Verts/EP", Slg. 1986, 1339; Gutachten 1/91, Slg. I-1991, S. 6079 Rn. 21; Frowein, DGVR 39 (1999) S. 438, definiert völkerrechtliche Konstitutionalisierung vor allem über obligatorische Streitbeilegung. 10 Howse/Nicolaidis, S. 6-12; Krajewski, JWT 35/l (2001), S. 167-186; Cass, EJIL 12 (2000), S. 39-52; v. Bogdandy, MPUNYB 5 (2001), S. 651--663; das Fehlen einer unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts, EuGH "Parfums Dior", Rs. C-300/98, und "Assco Gerüste", Rs. 392/98, EuZW 12 (2001), S. 117 paras. 44-48; "Portugal/Rat", Rs. C-149/96, Slg. 1999, 1-8395 Rn. 40-43, 52; US- Sect. 301-310, WT/DS152/R, para. 7.72 i. V.m. Fn. 661, v. Bogdandy, EuZW 12 (2001),

A. Handel und Umweltschutz/Gesundheit

37

Handel und anderen gesellschaftlichen Zielen zwingen die WTO bzw. ihre Mitglieder jedoch immer stärker zur Klärung des Verhältnisses ihres Rechts zu Belangen wie Umweltschutz, Gesundheit und Arbeitsrechten. 11 Obwohl das WTO-Recht bereits mehrere direkte Verweise auf manche völkerrechtliche Verträge enthält, 12 ist die Koordination mit vielen anderen Verträgen noch unklar bzw. unzureichend.13 Manchen in WTO-fremden Verträgen zur Erreichung dieser Ziele vorgesehenen Handelsbeschränkungen droht die Mißachtung nach einer möglichen Feststellung ihres Verstoßes gegen WTORecht.14 Beispielhaft15 sind die folgenden sechs Konfliktfelder. 16 A. Handel und Umweltschutz/Gesundheit

Die WTO befaßt sich seit ihrer Entstehung Mitte der neunziger Jahre mit der Vereinbarkeit und Wechselwirkung von internationalem Handel und Umweltschutz. 17 Hierzu gehören so unterschiedliche ökologische Bereiche S. 362-365, verringert den Druck, WTO-fremdes Recht bei der Auslegung des WTO-Rechts zu berücksichtigen, da es dem europäischen Rat die Möglichkeit bewahrt, WTO-fremde Ziele (Beispiel Gesundheits- oder Umweltschutz) durch Mißachtung entgegenstehender WTO-Entscheidungen weiter zu verfolgen. 11 Nettesheim, in: Schenk u. a., 2000, S. 70 f.: "Das WTO-System befindet sich ... im Umbruch. Es löst sich aus der Verhaftung auf eine Zielsetzung und wächst in eine teleologische Multifinalität hinein. Die WTO ist gegenwärtig dabei, sich von der ... Verpflichtung auf ein Rationalitätskriterium zu lösen und zu einem Akteur zu entwickeln, der in einem Geflecht kollidierender Rationalitätskriterien steht." (Kursiv im Original); ähnlich Howse, in: Weiler, S. 62-68; Howse/Nicolaidis, Harvard, S. 12; Paulus, S. 269, 327, warnt gar vor einer "Zerklüftung des internationalen Systems"; Dehousse/Zgajewski, RBDI XXXII (1999), S. 325: " ... Ia montee de Ia liberalisation entraine un immixtion progressive de l'O.M.C. dans les competences d'autres organisations internationales, plus traditionelles."; Chamovitz, Harvard, S. 3: "To defer to other international regimes is the key challenge for the WTO and one that it is failing to meet.". 12 Petersmann, in: Bemhardt, Vol. IV, S. 1551: "The WTO Agreement refers to a large number of other multilateral agreements, such as . . .... . ,meshing of international regimes' ...". 13 Stall, in: Bemhardt, Val. IV, S. 1541: " ... the trade order and those other regimes may need to be coordinated." ; s. auch die Bemühungen namhafter Wissenschaftler in AJIL 96 (2002), S. 1-158 und Tarullo, in: Bronckers/Quick, S. 155 ff. 14 Leebron, AJIL 96 (2002), S. 5: " ... the norms goveming those issues affect trade, or conversely, .. . changes in trade flows affect the realization of those norms.". 15 Alvarez, AJIL 96 (2002), S. 1; Nichols, NYUJILaP 28 (1996), S. 717. 16 Zum hier nicht behandelten Komplex Handel/Kultur Hahn, ZaöRV 56 (1996), S. 344 ff.; Sander, in: Dittmann, S. 177-185; Footer/Graber, JIEL 3 (2000), S. 115 ff.; Dolzer, in: Graf Vitzthum, Rn. 127 f.; zum Verhältnis Agrarhandel/Nahrungsmittelversorgung s. Art. 10 Abs. 4 WTO-Agrarabkommen; Desta, JWT 35/3 (2001), S. 449-468; FAO, Digesting Doha, http://www.fao.org/news/2001/011106e.htm (27.11.01); G/AG/NG/W 14, 102.

38

Einleitung

wie Artenschutz, 18 Luftreinhaltung, 19 Klimaveränderungen20 und Gentechnik21, in ihrem Verhältnis zum Handel mit Gütern, Dienstleistungen und geistigem Eigentum. Es geht sowohl um die Zerstörung und Gefährdung der Umwelt durch internationalen Handel, als auch um dessen Behinderung durch protektionistische Umweltstandards. Neben einer Förderung umweltfreundlicherer Produkte und Produktionsmethoden durch besondere Handelsvorteile ist ein Schwerpunkt der Beratungen die Frage, inwieweit zum Schutz der Umwelt der Handel mit umweltschädlichen Waren und Diensten beschränkt werden darf. Dabei werfen nicht nur unilaterale Beschränkungen einzelner Staaten Fragen auf, auch die grundsätzliche Akzeptanz von Handelsbeschränkungen aufgrund von multilateralen Umweltabkommen ("MEAs", Multilateral Environmental Agreements) harrt noch einer ausdrücklichen und genauen Anerkennung innerhalb des WTO-Rechts.Z2 Mit dem Ziel des Umweltschutzes ist oft der Schutz der menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Gesundheit verknüpft. Das WTO-Abkommen über Maßnahmen des Gesundheitsschutzes (SPS) und das GATT erlauben längerfristige Handelsbeschränkungen nur, wenn ein Gesundheitsrisiko wissenschaftlich konkret nachgewiesen ist. 23 Dies scheint mit dem im internationalen Umweltrecht und im Gesundheitsrecht verankerten bzw. sich entwickelnden Vorsorgeprinzip zu kollidieren. Der seit Beginn der achtziger 17 Die WTO führt die 1971 mit der Einsetzung der GAIT-Arbeitsgruppe zu Umweltschutz und Handel (,,EMIT") nur formal begonnene, seit den frühen neunziger Jahren wegen der "Thunfisch-Berichte" (US - Tuna I, II, s. 2. Teil l. Kap. C. 1., II.) intensivierte Arbeit des GAIT fort; zur Arbeit des WTO-Umweltausschusses ("CTE") z.B. Tarasofsky, MPUNYB 3 (1999), S. 472 f. 18 Z.B. US - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/ DS58/AB/R, (nachfolgend "US - Shrimp"); alle Berichte der WTO-Panel und der Revisionsinstanz (Appellate Body, nachfolgend "AB") sind unter http:// www.wto.org/english/tratop/dispu_e/distab_e.htm abrufbar. 19 US- Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/AB/R, (nachfolgend "US - Gasoline"). 20 Der WTO-Ausschuß für Handel und Umwelt diskutiert u. a. Wechselwirkungen zwischen Klimapolitik und Handelsrecht. 21 Berkey, ASIL lnsight 10/1999; Egypt- Soybean Oil, WT/DS/20511 (22.9.00). 22 Näher dazu 2. Teil l. Kap.; das Fortbestehen der Unklarheiten betonen die EG, WT/GC/W/194 (1.6.1999), para. 4, Kanada, WT/GC/W/358 (12.10.1999), para. 6, und die Schweiz, WT/CTE/W/168 (19.10.2000), S. 2; Dolzer, in: Graf Vitzthum, Rn. 83: ,,Der ,potentielle Widerspruch zwischen Handel und Umweltschutz' bleibt auch nach der Uruguay-Runde bestehen."; Cameron/Gray, ICLQ 50 (2001), S. 266 bzgl. US- Shrimp: ,,Neither the Panel nor the Appellale Body clarified the relationship between WTO agreements and MEAs.". 23 Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1, 2 SPS; EC - Asbestos, WT/DS135; EC- Hormones, WT/DS26, 48; Australia- Salmon, WT/DS18; Japan- Varietals, WT/DS/76; 2. Teil l. Kap. B. Ill., C. V., Vll.-IX.

B. Handel und Arbeitsrechte

39

Jahre schwelende Streit zwischen Europa und den USA über das EG-Importverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch, welches auch nach Feststellung seiner WTO-Widrigkeit nicht aufgehoben wurde, verdeutlicht die Problematik. Ihre Aktualität wird durch die unterschiedliche Regulierung gentechnisch veränderter Lebewesen und Waren, die zum Teil zumindest abstrakte Umwelt- und Gesundheitsrisiken bergen, belegt. 24

B. Handel und Arbeitsrechte Seit einigen Jahren wird von manchen Regierungen und von Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen gefordert, den Import von Waren zu beschränken, die unter Verletzung grundlegender Arbeitnehmerrechte hergestellt werden. Dabei gehe es nicht um eine protektionistische, die komparativen Kostenvorteile von Entwicklungsländern bedrohende Festlegung sozialer Mindeststandards, sondern um die Durchsetzung grundlegender Arbeits- bzw. Menschenrechte mittels des WTO-Rechts. 1996 verneinte der WTO-Ministerrat die Zuständigkeit der WTO für die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und verwies auf die Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). 1998 beschloß die ILO-Konferenz eine Erklärung, in der die Vereinigungsfreiheit und die Freiheit gewerkschaftlicher Betätigung, das Verbot der Zwangsarbeit und schlimmster Formen der Kinderarbeit sowie das Diskriminierungsverbot anerkannt und bekräftigt wurden. 25 Zwar will die ILO durch regelmäßige Länderberichte die Befolgung dieser Pflichten besser kontrollieren, sie kann anders als die WTO aber keinen ökonomischen Druck mittels Legalisierung von Handelsbeschränkungen erzeugen, ihr bleibt nur moralischer Druck. Daher dürfte die WTO diesem Thema mittelfristig kaum entkommen. Bei der WTO-Ministerkonferenz 1999 in Seattle drang die EG (wegen des Scheiteros der Konferenz erfolglos) auf die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von WTO und ILO für die Förderung der Beachtung der wichtigsten ILO-Konventionen in handeltreibenden Wirtschaftssektoren. 26 Die USA erstreben seit Jahren gar das Recht, Verstöße gegen die wichtigsten ILO-Konventionen mit der Aussetzung von Handelsvorteilen im Rahmen des WTO-Rechts ahnden zu dürfen. Auch wenn die WTO-Mitglieder es ganz überwiegend ablehnen, eine Verletzung grundlegender ILO-Konventionen durch Handelsbeschränkung zu beantworten, könnte ein WTO-Panel über die Behauptung eines beklagten Mitglieds zu entscheiden haben, seine Handelsbeschränkungen seien Zum Verhältnis von SPS und Biosicherheitsprotokoll s. 2. Teil 3. Kap. D. IV. ILO-Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, ILM 37 (1998), 1237-1240 bzw. http://www.ilo.org/public/english/ 1Oilc/ilc86/com-dtxt.htm (10.09.99). 26 WT/GC/W/383 (05.11.1999). 24 25

40

Einleitung

durch Art. XX lit. a) GATT gerechtfertigt, denn die Mißachtung von in ILO-Konventionen und in Art. 8, 10 IPWSKR anerkannten grundlegenden Arbeitsrechten verletze seine öffentliche Ordnung. 27 Daher wirft das Verhältnis von Arbeitsrechten und Handel vielfältige Fragen auf. 28

C. Handel und Menschenrechte Über die grundlegenden Arbeitsrechte hinaus ist das Verhältnis von Welthandelsrecht und den allgemeinen Menschenrechten in den letzten Jahren verstärkt Gegenstand diplomatischer Auseinandersetzungen. 29 Obwohl keine WTO-Norm einen direkten Zusammenhang zwischen der Handelsfreiheit und der Einhaltung der Menschenrechte herstellt, 30 können Handelsbeschränkungen wegen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des Herstellungsprozesses erlaubt oder gar verpflichtend31 sein. Daneben wird die Frage immer dringlicher, inwieweit das WTO-Recht selbst an die Menschenrechte gebunden ist. Nachdem mehrere VN-Sonderorganisationen von einem Zielkonflikt zwischen dem TRIPS-Abkommen der WTO und (sozialen) Menschenrechten ausgingen, hat die 4. WTO-Ministerkonferenz 2001 eine Erklärung über das Verhältnis von TRIPS und den nationalen Gesundheitspolitiken verabschiedet, 32 die dem Gesundheitsschutz eine besondere Bedeutung bei der Auslegung des TRIPS sichert.33

27 Chamovitz, VirgJIL 38 (1998), S. 710, 740 f.; De Waart, in: Van Dijck/Faber, S. 260; McCrudden/ Davies, JIEL 3 (2000), S. 52; die EG ließ bereits ein Panel einsetzen wegen Verletzung des WTO-Abkornrnens über Beschaffungswesen (GPA) durch Benachteiligung in Massachussets von Bewerbern, die Zwangsarbeit in Burma tolerieren; das Verfahren wurde nach Aufhebung der Regelung eingestellt; für eine menschenrechtskonforme Auslegung des GPA Spennerru:mn, ZEuS 4 (2001), 43-95. 28 s. 2. Teil 2. Kap. A. 29 s. 2. Teil 2. Kap. B. 30 De Waart, in: Van Dijck/Faber, S. 246: " . .. no single reference to human rights ... ". 31 Das Embargo des VN-Sicherheitsrats gegen Diamanten aus Sierra Leone (Res. 1306) wurde u. a. mit den dortigen Frieden und Sicherheit bedrohenden massiven Menschenrechtsverletzungen begründet. 32 WT/MIN(01)/DEC/W/2. 33 Herrmann, EuZW 13 (2002), S. 41 f.; Kampf, AVR 40 (2002), S. 95 f. ; inwieweit Menschenrechte die Rechtmäßigkeit eines Handelsembargos (Art. 41 CVN) beschränken, wird hier mangels WTO-Bezug ebensowenig geprüft, wie die WTOKonforrnität der Abhängigkeit spezieller Handelsvergünstigungen vom Menschenrechtsschutz in regionalen Handelsabkommen.

E. Handel und Finanzen, Handel und Entwicklung

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D. Handel und geistiges Eigentum Der weitreichende Schutz des geistigen Eigentums durch das TRIPS-Abkommen der WTO steht in einem potenziellen Konflikt mit den von der Weltorganisation für Intellektuelles Eigentum (WIPO) verwalteten Abkommen, die eine freiere Nutzung erlauben?4 Die Basis des TRIPS ist aber gerade der Verweis auf Vorschriften verschiedener WIPO-Abkommen. Zwar bestehen zwischen den WIPO-Verträgen und dem TRIPS keine thematischen Konflikte, da beide den Schutz geistigen Eigentums bezwecken, die WTO-Streitbeilegungsorgane könnten die inkorporierten WIPO-Normen im WTO-Kontext aber abweichend von ihrer ursprünglichen Bedeutung auslegen. 35 Außerdem ist fraglich, welche Auswirkungen eine Ermächtigung der WTO zur Aussetzung von TRIPS-Rechten (Art. 22 DSU) auf die entsprechenden Pflichten aus den WIPO-Abkommen hat. 36 E. Handel und Finanzen, Handel und Entwicklung Internationaler Handel und Kapitalverkehr sind eng miteinander verknüpft. Die Stabilität und die Bedingungen der Finanztransfers beeinflussen die Handelsaktivitäten. Dies gilt insbesondere für Dienstleistungen und Direktinvestitionen. Während Handels- und Währungspolitik das übergeordnete Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen haben und gegenwärtig ähnlichen Liberalisierungsparadigmen folgen, 37 können zwischen konkreten Handelsmaßnahmen und Währungspolitiken Konflikte auftreten. So dürfen der Waren- und der Dienstleistungshandel zur Bekämpfung von Zahlungsbilanzstörungen unter bestimmten Bedingungen beschränkt werden. 38 Ande34 Zu den wesentlichen Unterschieden zwischen TRIPS und Bemer Übereinkunft und Rom-Abkommen und zu den WIPO-Abkommen von 1996 zu Urheber- und verwandten Schutzrechten v. Lewinski, GRUR Int. 1997, S. 667, 671, 677; zum Rechtsetzungswettbewerb zwischen WIPO und WTO Schiifers, GRUR Int. 1996, S. 763778. 35 Abbott, in: Petersmann, S. 434-437; Geller, GRUR Int. 1995, 938-943; Jackson, System, S. 91; Lee/v. Lewinski, in: Beier/Schricker, S. 314 f.; v. Lewinski, UFITA 136 (1998), S. 120-124; Netanel, VirgflL 37 (1997), S. 457 ff.; Petersmann, Dispute, S. 215; Canada - Patent Protection, WT/DSll4/R, paras. 7.14, 7.29; US - Sect. 110(5) Copyright Act, WT/DS160/R, paras. 6.60-6.70; zu den Plänen für ein WIPO-Streitbeilegungsorgan WIPO Doc. SD/CE/VEII/8, 2.6.1995, WIPO Draft Treaty on the Settlement of Intellectual Property Disputes, Doc. SD/ CE/V/2, 8.4.1993. 36 s. 2. Teil 2. Kap. C.; 3. Teil 6. Kap. B. 37 Die Ausdehnung des Welthandels ist auch ein Ziel der Weltbank (Art. I

IBRDA). 38 Art. XII, XVIII:B GATT, Art. XI, XII GATS; kritisch Roessler, in: Krueger,

S. 218: " . . . serves neither the purpose of the world trade ordernorthat of the inter-

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Einleitung

rerseits sind die Verpflichtungen eines WTO-Mitglieds gegenüber dem IWF nicht geeignet, die Verletzung von WTO-Pflichten zu rechtfertigen, da ihnen kein Vorrang zukommt. 39 Auch das Verhältnis zwischen Handelspolitik und Entwicklungspolitik ist zwar durch das gleiche Meta-Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung geprägt,40 in einzelnen Anwendungsbereichen ergeben sich aber Konflikte, z.B. begrenzt das WTO-Recht die Zulässigkeil von Subventionen in Exportbranchen der Empfängerstaaten, so daß die Mittelvergabe der Weltbank Einschränkungen unterliegt.41 Manche Entwicklungsländer behaupten, ihre Entwicklungspolitik würde durch eine extensive Auslegung ihrer GAITPflichten beeinträchtigt.42 Die WTO-Revisionsinstanz ist dem aber nicht gefolgt. 43 Um Konflikte zwischen ihren Politiken zu verhindem und die Kohärenz zu steigern, haben WTO, IWF und Weltbank Kooperationsabkommen geschlossen;44 in Konfliktfeldern berücksichtigen sie den Sachverstand der anderen Organisation. Prominentestes Beispiel ist die Bewertung von Zahlungsbilanzen durch den IWF im Rahmen der WTO-Prüfung von Handelsbeschränkungen unter Berufung auf Zahlungsbilanzstörungen.45 Der IWF beurteilt auch die Auswirkungen von Weltbankkrediten auf die Finanzstabilität.46 Trotz der verstärkten Kooperation von IWF, Weltbank und WTO ist die erstrebte Kohärenz47 ihrer Politiken aber nur zum Teil erreicht bzw. erreichbar, wichtige Konfliktfelder bleiben bestehen.48

national monetary system."; Ahn. JWT 34/4 (2000), S. 26; zur umfassenden Überprüfbarkeit der Beschränkungen durch WTO-Panel s. 3. Teil 3. Kap. B. II. 3. 39 Argentina- Footwear, WT/DS56/AB/R, paras. 7~72. 40 Art. XXXVI Abs. 6, Art. XXXVIII Abs. 2 lit. c) GATT zielen auf eine Abstimmung von Handelspolitik und Entwicklungspolitik. 41 Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 2. 42 India - Quantitative Restrictions, WT/DS90/AB/R, para. 125: .,India argues that the Panel required India to change its development policy in order that the removal of the balance-of-payments restrictions would not produce a recurrence of any of the conditions of Article XVIll:9.". 43 India - Quantitative Restrictions, WT/DS90/AB/R, para. 126: .,Furthermore, we are of the opinion that the use of macroeconornic po1icy instruments is not related.to any particular development policy, but is resorted to by all Members regardless of the type of development policy they pursue. The IMF statement that India can manage its balance-of-payments situation using macroeconornic policy instruments alone does not, therefore, imply a change in lndia's development policy.". 44 Hierzu l. Teil 2. Kap. E. Ill. 2. 45 Art. XV Abs. 2 GATT, Art. XII Abs. 5 lit. e) GATS; zur Bedeutung der IWFBewertungen in WTO-Streitbeilegungsverfahren s. 2. Teil 2. Kap. D. I. 46 Grundlage hierfür ist Art. V Abs. 8 IBRDA.

G. Bewertung der Konflikte, Inhalt der Untersuchung

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F. Handel und Postverkehr, Handel und Telekommunikation Das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS erfordert in manchen Dieostleistungssektoren starke Liberalisierungen. Zwar bestehen Marktöffnungspflichten bisher nur im Rahmen spezieller Zugeständnisse, das Meistbegünstigungsprinzip des Art. II GATS gilt aber (mit geringen Ausnahmen) für alle Sektoren. Hiernach müssen WTO-Mitglieder allen WTO-Mitgliedern die Handelsvorteile gewähren, die sie irgendeinem anderen Staat einräumen.49 Mit dieser Pflicht kollidierten Bestimmungen des Weltpostvertrags (WPV) über Endvergütungen ("terminal dues") und "ABC-Remailing" im Briefverkehr. Sie wurden daher wegen des WTO-Rechts geändert. Die von der Internationalen Telekommunikationsunion (ITU) erlassene Internationale Telekommunikationsordnung (ITR) steht trotz gewisser Anpassungen weiterhin im Widerspruch zum GATS-Prinzip der Meistbegünstigung hinsichtlich der Abrechnungstarife für internationale Gespräche ("accounting rates"). Die Parteien des WTO-Telekommunikationsabkommens, das über das GATS hinausgehende Liberalisierungspflichten festschreibt, haben die Abrechnungstarife zwar vorübergehend von der Meistbegünstigungspflicht freigestellt, die !TU-Parteien haben die Anpassung des ITU-Regulierungsrahmens an die Liberalisierungsvorgaben des WTORechts aber bereits beschlossen. Diese beiden Konflikte zeigen beispielhaft den Änderungsdruck, den das WTO-Recht auf traditionelle Bereiche der zwischenstaatlichen Wirtschaftsregulierung entfaltet.50 G. Bewertung der Konflikte, Inhalt der Untersuchung Die Art und Intensität der skizzierten Konflikte51 ist je nach Sachgebiet sehr unterschiedlich.52 Das Nebeneinander von Ordnungen53, die denselben Lebensbereich regeln, aber inhaltlich differieren (z. B. TRIPS und WIPOAbkommen),54 wirft interessante Interpretationsfragen auf. 55 Die heterogene Normierung identischer Lebensbereiche ist aber nicht Gegenstand dieser 47 Abs. 37 der G8-Erklärung 2000: " ... international and domestic policy coherence should be enhanced ... "; Art. III Abs. 5 WTOA: " ... kohärenteren Gestaltung der weltweiten wirtschaftspolitischen Entscheidungen . ..". 48 s. 2. Teil 2. Kap. D. 49 Näher hierzu 2. Teil 1. Kap. B. I. 1. 50 Näheres im 2. Teil 2. Kap. E. 51 Zur Definition und Abgrenzung von Normenkollisionen und Programmkonflikten s. 1. Teil 2. Kap. A. 52 Die Konflikte werden im 1. und 2. Kapitel des 2. Teils näher untersucht. 53 Zur näheren Bedeutung dieses Begriffs s. 1. Teil 1. Kap. A. III.

44

Einleitung

Untersuchung. 56 Diese konzentriert sich auf die (stärkeren) Konflikte zwischen Ordnungen, die verschiedene Bereiche mit unterschiedlichen Zielen regulieren. 57 Die Arbeit analysiert die Möglichkeiten und Voraussetzungen der Berücksichtigung der Ziele und des Rechts anderer Vertragsordnungen in völkerrechtlichen Regimen, insbesondere hinsichtlich des WTO-Rechts. 58 Behandelt werden sowohl Konflikte des materiellen Rechts, als auch Konkurrenzen der Zuständigkeiten von Streitbeilegungsorganen bei Streitfällen mit Bezug zu mehreren Ordnungen. Außerhalb des Verhältnisses Handel/ Umwelt, das den Schwerpunkt der Untersuchung der materiellen Konflikte bildet, werden die konkreten Ausmaße und Gründe der (Nicht-)Integration der verschiedenen handelsverbundenen Politiken in das WTO-Recht nur in Ansätzen untersucht. 59 In welchem Maß und aus welchen Gründen Ordnungen sich für die Ziele anderer Ordnungen öffnen, ist zu stark von den spezi54 Inhaltlich können Handel und Schutz geistigen Eigentums genauso in Konflikt geraten wie Handel und Umwelt oder Handel und Arbeit; durch das TRIPS ist der Schutz geistigen Eigentums aber in die WTO-Ordnung integriert. 55 Netanel, VirgflL 37 (1997), S. 457 ff.; US- Sect. 110(5) Copyright Act, WT/ DS 160/R, paras. 6.18, 6.60 ff. 56 Ebensowenig wird das Verhältnis von universellen (Rahmen-)Konventionen und detaillierten Regionalabkommen desselben Bereichs erörtert; dazu Dominice, in: Blokker/Schermers, S. 65-84; Beyerlin, Rn. 73-76; Anderson, EPaL 28 (1998), S. 237; zu unterschiedlichen Entscheidungen bezüglich des Verhältnisses zwischen den Streitbeilegungsverfahren des universellen SRÜ und des regionalen SBT-Abkommens kamen in "Southem Bluefin Tuna" der Internationale Seegerichtshof, ILM 38 (1999), S. 1624, paras. 53-55, und das Schiedsgericht der Hauptsache, ILM 39 (2000), S. 1390 f., paras. 62 f.; dazu Oxman, AflL 95 (2001), S. 277-312. 57 Konflikte zwischen Umweltverträgen, die unterschiedliche Umweltgüter schützen, werden wegen ihrer gleichen Grundausrichtung auf Umweltschutz hier ebensowenig behandelt, s. aber die Beiträge zur UND-Konferenz 14.-16.7.1999, http:// www.geic.org.jp/linkages/docs (20.5.00); Cooney, RECIEL 10 (2001), S. 259-267; Lukitsch Hicks, UnivRichrnLR 32 (1999), S. 1643-1674; zum Spannungsverhältnis von Klima-, Ozon- und Waldschutz Oberthür/Ott, S. 282-286; Chambers (Hg.): Global Climate Governance, 1998; FCCC/CP/1998/ 16/Add.l, S. 71; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 709-748; WBGU-Sondergutachten 1998 sowie die Beiträge in International Environmental Agreements: Politics, Law and Econornics 1 (2001). 58 Die Ersetzung des nur auf den Austausch von Waren abzielenden GATT 1947 durch das WTOA, das auch die klassischerweise rein internen Regulierungskompetenzen seiner Mitglieder beschränkt (z.B. TRIMS, Art. VI GATS, TRIPS), macht die "normative Verklammerung" des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Vorgaben besonders wichtig. 59 Der Schutz geistigen Eigentums ist durch die Verweise des TRIPS auf WIPOKonventionen voll in die WTO integriert, so daß die WTO-Mitglieder zum Schutz verpflichtet sind; der Umweltschutz ist kein WTO-Ziel, WTO-Normen erlauben aber gewisse Handelsbeschränkungen zum Schutz der Umwelt; der Schutz grundlegender Arbeits- oder Menschenrechte ist de lege lata in der WTO weder verpflichtend, noch erlaubt; ausführlicher 2. Teil 1., 2. Kap.

H. Gang der Untersuchung

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fischen rechtlichen, ökonomischen und politischen Eigenheiten abhängig, als daß eine vergleichende völkerrechtliche Analyse sehr gewinnbringend wäre. 60 Um aber die Tauglichkeit der rechtlichen Instrumente für die Lösung von Konflikten zwischen Ordnungen besser beurteilen zu können, werden die unterschiedlichen Arten der genannten Konflikte mit dem Komplex Handel/Umwelt verglichen. H. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Der 1. Teil skizziert das allgemeine Recht internationaler Organisationen als Grundlage für die Behandlung materiellrechtlicher Konflikte (2. Teil) und prozessualer Konkurrenzen (3. Teil). Der Beginn des 1. Teils definiert internationale Organisationen, Regime und Ordnungen und stellt ihre typische Organstruktur dar. Die folgende Definition der Programmkonflikte und ihre Abgrenzung gegenüber Normenkollisionen soll die Behandlung der materiellrechtlichen Konflikte (2. Teil) ebenso erleichtern, wie das Aufzeigen der grundlegenden Prinzipien des Verhältnisses zwischen völkerrechtlichen Ordnungen. Am Ende des 1. Teils werden zunächst die auf Normenkollisionen anwendbaren Vorrangregeln erörtert; dann werden Arten der Koordination und Kooperation völkerrechtlicher Vertragordnungen analysiert und es wird der Nutzen von zwischen 1.0. geltenden Kooperationsabkommen für die Lösung der materiellen und jurisdiktionellen Konflikte untersucht. Der 2. Teil der Arbeit befaßt sich zunächst ausführlich mit dem Komplex Handel/Umwelt anband der einschlägigen WTO-Abkommen und der WTOStreitbeilegungsberichte (1. Kap.). Dem folgt ein Vergleich mit den bereits angesprochenen anderen Konfliktfeldern (2. Kap.). Im 3. Kapitel werden die verschiedenen Instrumente der Kollisionsvermeidung und Konfliktlösung analysiert. Hierbei wird den Möglichkeiten und Grenzen der harmonisierenden Auslegung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die gleichzeitige Anrufung der WTO und des Internationalen Seegerichtshofs durch die Streitparteien des "Schwertfisch-Falls"61 verdeutlicht die Schwierigkeiten paralleler Zuständigkeiten internationaler Gerichte und Streitbeilegungsorgane (3. Teil). Nach der Untersuchung, ob ausschließliche 60 Vgl. Leebron, AJIL 96 (2002), S. 15: " .. . , each must be addressed on its own terms"; Treves, NYUJILaP 31(1999), S. 809: " . .. there are no general rules by which to sort questions of coordination and conflict. These . . . are to be solved within each ,self-contained system'."; Gold, S. 406: "The primary and basic approach to a problern of interpreting the law of any international organization is that the solution must be found in the law of that individual organization and not elsewhere."; Abbott, in: Bronckers/Quick, S. 26---30. 61 s. 2. Teil 1. Kap. C. VI.

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Einleitung

Zuständigkeiten für Streitigkeiten von ordnungsübergreifender Bedeutung bestehen (1. Kap.), wird geprüft, ob bzw. welche Regeln der Kompetenzverteilung bei parallelen Zuständigkeiten existieren (2. Kap.). Im 3. Kapitel werden Recht und Praxis von WTO und Seerechtsübereinkommen auf ihre Bedeutung für die Kompetenz ihrer Gerichte angesichts von parallelen Zuständigkeiten untersucht. Die Möglichkeiten und Probleme eines Befassens des IGH als neutralem Gericht oder eines gemeinsamen Streitbeilegungsgremiums konkurrierender Ordnungen sind Thema des 4. Kapitels. Im 5. Kapitel werden Verfahren einer interpretativen Berücksichtigung regimefremder Normen durch internationale Gerichte dargestellt. Abschließend werden die Auswirkungen von Urteilen völkerrechtlicher Gerichte auf andere Ordnungen untersucht (6. Kapitel). Die materiellen Konflikte und die konkurrierenden Gerichtszuständigkeiten beeinflussen sich gegenseitig.62 Je stärker materielle Konflikte durch gegenseitiges Öffnen der Ordnungen verringert oder gelöst werden, desto weniger wichtig, aber auch politisch einfacher wird eine konsensuale Bestimmung der Zuständigkeit des Streitbeilegungsorgans bzw. das Befassen einer neutralen Instanz. Je schwieriger dagegen die materiellrechtliche Austarierung und Bezugnahme zwischen den Ordnungen ist, desto bedeutsamer, aber auch schwieriger wird die Bestimmung der Rechtsprechungskompetenz und ihrer Grenzen. 63 Beide Problemkreise sind so eng miteinander verknüpft, daß Koordination und Kooperation in beiden Bereichen nötig sind, um die Konflikte zu lösen.64 Daher untersucht die Arbeit Formen der (kooperativen oder einseitigen) Koordination völkerrechtlicher Vertragsordnungen, mithin die (kooperative) Koordination internationaler Kooperationen. 65 Die im 20. Jahrhundert erfolgte quantitative Ausweitung66 und qualitative Verdichtung67 der im 19. Jahrhundert begonnenen Kooperation der Völker und Staaten 62 Entsprechend behandelt der WTO-Ausschuß für Handel und Umwelt (CTE) die Fragen zur konkurrierenden Streitbeilegung in Zusammenhang mit dem materiellen Recht ("items 1&5"); Behrens, in: Schenk, S. 30: " ... sind Zuständigkeit (jorum) und materielles Recht (lis) auf das engste miteinander verknüpft."; AbiSaab, RdC 207 (1987), S. 93; ders., NYUnLaP 31 (1999), S. 925. 63 Zur gerichtlichen Letztentscheidungskompetenz des EuGH über die materiellrechtliche Kompetenzverteilung zwischen EU/EG und Mitgliedsstaaten, z. B. Weiler/Haltern, HILJ 37 (1996), S. 420 f. 64 Marceau, JWT 35/6 (2001), S. 1082: " .. . the relationship between the WTO Treaty and other treaties cannot be dealt with adequately without an eximination of both the substantive and procedural aspects of this relationship, i. e. the normative and jurisdictional dimensions.". 65 Aus Platzgründen wird der Schwerpunkt auf tatsächliche Überschneidungen und Konflikte ("substantive linkage") zwischen Vertragsordnungen gelegt; zu verhandlungsstrategischen Koppelungen ("strategic linkage") zwischen Regimen Leebron, AJIL 96 (2002), S. 11-14.

H. Gang der Untersuchung

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mittels internationaler Ordnungen erfordert im 21. Jahrhundert in bisher nicht gekanntem Ausmaß die Kooperation und Koordination dieser Kooperationen der Staaten.68 Die Entscheidungen über Art und Ausmaß des Verhältnisses der Welthandelsordnung zu anderen Vertragsordnungen haben oft weitreichende Auswirkungen auf die Verwirklichung politischer Ziele und auf internationale Machtverteilung.69

66 1998 existierten 254 1.0., s. YBIO 1998/99, Vol. 3 S. 1749; Blokker, in: B1okker/Schermers, S. 3. 67 Beispiele sind neben den VN und Regionalorganisationen (EU/EG, NAFfA) die mit obligatorischer Streitbeilegung ausgestattete WTO, verbindliche MEAs von enormer wirtschaftlicher Bedeutung (Klima- und Ozonschutz) sowie das Seerechtsübereinkommen mit seiner obligatorische Streitbeilegung. 68 Ähnlich Leebron, A.Jll., 96 (2002), S. 17: "We inhabit a world of ,multi-multilateralism' - numerous multilateral regimes with sometimes overlapping, indeed sometimes conflicting, mandates."; zur Bedeutung von Transaktionskosten für den Aufgabenumfang einer 1.0. s. Trachtman, A.Jll., 96 (2002), S. 91. 69 Alvarez, A.Jll., 96 (2002), S. 4: " ... , what is at stake is nothing less than inquiring into the values or policy objectives that ought to "trump the value of freer trade". At issue are not merely the limits of the WTO, but the boundaries of other intergovemmental organizations, the reach of extraterritorial domestic regulation, the scope of permissible delegated authority to international dispute settlers, and much eise. In looking at the reach of the trade regime, we exarnine the nature of globalization itself."; Trachtman, AJIL 96 (2002), S. 80 f. : "We may understand , trade and ... ' problems as problems about the allocation of jurisdiction.".

1. Teil

Prinzipien des Verhältnisses und der Koordination völkerrechtlicher Ordnungen Überblick Eine problemadäquate Erfassung und Bearbeitung der Konflikte zwischen völkerrechtlichen Vertragsordnungen erfordert im 1. Kapitel des 1. Teils zunächst die Definition internationaler Organisationen, Regime und Ordnungen (A) sowie eine Darstellung ihrer typischen Organstruktur und -Zuständigkeiten (B). Das 2. Kapitel beginnt mit einer Definition der Programmkonflikte in Abgrenzung zu Normenkollisionen (A). Dann werden die Prinzipien des rechtlichen Verhältnisses zwischen internationalen Organisationen und Ordnungen bestimmt, auf denen Lösungen von Programmkonflikten aufbauen müssen (B). Dem folgt eine Prüfung der Tauglichkeit der Vorrangregeln des allgemeinen Völkerrechts zur Lösung der Programmkonflikte (C). Schließlich werden "Kooperation" und "Koordination" definiert (D) und bestehende Kooperationsabkommen im Überblick dargestellt (E).

A. Internationale Organisationen, Regime und Ordnungen

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1. Kapitel

Internationale Regime und Organisationen, Zuständigkeiten ihrer Organe In diesem Kapitel werden zunächst internationale Organisationen, Regime und Ordnungen definiert (A), dann wird die typische Verteilung der Zuständigkeiten ihrer Organe dargestellt, unter besonderem Bezug zur WTO (B).

A. Internationale Organisationen, Regime und Ordnungen I. Internationale Organisationen

Internationale Organisationen (1.0.) werden gegründet, wenn Staaten ihre Ziele allein oder in organisatorisch nicht verfestigter Zusammenarbeit nicht so effektiv erreichen können.' Eine abschließende, allgemeingültige Definition der 1.0. existiert nicht, insbesondere die beiden Wiener Vertragsrechtskonventionen (WVK,2 WVKIO) enthalten keine nähere Beschreibung? Die Gründung internationaler Organisationen hat drei Voraussetzungen: erstens müssen diese auf einer völkerrechtlichen Übereinkunft (regelmäßig einem Vertrag) zwischen Staaten oder/und Internationalen Organisationen beruhen, zweitens müssen sie mindestens ein Organ haben, das einen eigenen Willen bilden und selbständig Aufgaben erledigen kann,4 und drittens müssen sie Rechtssubjekt des Völkerrechts sein.5 Diese Anforderungen deutet auch Art. 57 CVN an. Die zugrundeliegenden völkerrechtlichen Verträge sind funktional die Verfassungen der Organisationen, denn sie regeln alle grundlegenden Aspekte der Ausgestaltung der Organisation, ihre Ziele und Zuständigkeit, 1 Dicke, S. 331 f., unterscheidet unter Bezug auf Jacobsen, S. 89 ff., fünf Kernfunktionen von 1.0.: Information, Standardsetzung, Normsetzung, Normdurchsetzung, technische Hilfe. 2 Wiener Vertragsrechtskonvention, BGBl. 1985 II S. 927; ILM 8 (1969), s. 679-713. 3 Art. 2 Abs. 1 lit. i) WVK nennt I.O. nur "zwischenstaatliche Organsation"; die ILC verwarf mehrfach Versuche einer genauen Definition, YBILC 1985, Vol. 11/1, s. 105-107. 4 Meng, S. 47 f.; Ott, S. 282 f. 5 Brownlie, S. 679 f.; Schenners!Blokker, §§ 33-45; Seidl-Hohenveldem!Loibl, Rn. 0105 f., 0303; Detter, S. 19; Lucke, S. 41 f. Fn. 120 m. w. N.; z. T. wird die Rechtssubjektivität als unnötig erachtet, Klein, in: Graf Vitzthum, Rn. 94; Amerasinghe, S. 10; VN-Programrne wie UNDP und UNEP sind wegen ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit keine 1.0., a.A. Umbricht, in: Dupuy, S. 362 f. 4 Neumann

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1. Teil, 1. Kap.: Internationale Regime und Organisationen

ihre Befugnisse und Verfahren der Rechtsetzung und -anwendung, sowie die Organstruktur.6 Ein eigenes Vertragsorgan mit selbständiger Willensbildung und eigenverantwortlicher Kompetenzwahrnehmung ist gegeben, wenn Entscheidungen per Mehrheit getroffen werden können und kein Konsens aller Vertragsparteien notwendig ist. Die Akte des Organs können zwar tatsächlich von der Gesamtheit der Vertreter der Vertragsparteien vorgenommen werden, rechtlich werden sie aber nicht den Parteien, sondern der Organisation zugerechnet.7 Daß 1.0. Rechtssubjekte des Völkerrechts sein müssen, wird zum Teil bestritten. 8 Die Verleihung der Rechtssubjektivität zur Teilnahme am Völkerrechtsverkehr und zur Übernahme völkerrechtlicher Rechte und Pflichten gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten soll hier aber als Abgrenzungskriterium von internationalen Regimen verwandt werden, denn auch diese verfügen meist über ausdifferenzierte Organstrukturen. //. Internationale Regime

Der ursprünglich politikwissenschaftliche Begriff des "Regimes" ist vor allem durch die Theorie der internationalen Beziehungen ("IR") auch für das Völkerrecht nutzbar gemacht worden. 9 Der völkerrechtliche "Regime"Begriff ist weniger eindeutig als der der "internationalen Organisation". Der klassische Begriff bezog sich vor allem auf territoriale Statusverträge, die einen Anspruch auf "objektive" Wirkung erga omnes auch gegenüber Nichtparteien erhoben. 10 Voraussetzung war ein völkerrechtlicher Vertrag zur Regelung eines territorialen Status, ein allgemeines Interesse an der Statusregelung und die Absicht der Vertragsparteien, das Regime im Einklang mit den allgemeinen Interessen zu etablieren. 11 6 IGH ,,Legality of the use of nuclear weapons in armed conflict", Rep. 1996 para. 19; Bindschedler, in: Bernhardt, Vol. II, S. 1289 f.; Schermers/Blokker, § 44. 7 Bindschedler, in: Bernhardt, Vol. II, S. 1290: " ... these organs are of the organization itself and not of the member States, even though composed of the latter."; z.B. die Minister der EG-Mitgliedstaaten als "Rat" der EG, Art. 202-210 EG. 8 Schermers/Blokker, §§ 33--45; Seidl-Hohenveldem/Loibl, Rn. 0105 f., 0303; Lucke, S. 41 f. Fn. 120 m. w. N. sehen die Rechtssubjektivität als notwendig an; a.A. Kimminich, S. 162; Klein, in: Graf Vitzthum, Rn. 94; Bindschedler, in: Bernhardt, S. 1299. 9 Politikwissenschaftliche Definitionen von Regimen z. B. bei Ruggie und Krasner; zu Verbindungen zwischen Völkerrecht und der Theorie der Internationalen Beziehungen ("IR") z.B. Slaughter/Tulumello/Wood, AJII.., 92 (1998), S. 367-397 m.w.N. 10 Lang, in: Ginther, S. 276 f.; Klein, in: Bernhardt, Vol. II, S. 1355; Ott, S. 37 f.; die meisten ILC-Mitglieder lehnten eine eigene Kategorie für erga omnes-Verträge ab, YBILC 1966, Vol. II, S. 231. 11 Klein, in: Bernhardt, Vol. II, S. 1355.

A. Internationale Organisationen, Regime und Ordnungen

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Diese Untersuchung verwendet "Regime" aber als umfassenderen Begriff. Danach ist ein Regime die Summe der von Staaten zur gemeinsamen Regelung eines internationalen Problems auf der Basis eines völkerrechtlichen Vertrags erlassenen materiellen und formellen Rechtsnormen 12 und Institutionen, die keine Völkerrechtssubjektivität aufweist. 13 Dies sind z. B. völkerrechtliche Verträge, die keine I.O. begründen, aber Vertragsorgane schaffen, sowie das durch die Vertragsorgane erlassene, mit dem Primärrecht übereinstimmende Sekundärrecht. Wichtiges Beispiel sind Umweltregime wie das Montrealer Ozonprotokoll inklusive der auf ihm beruhenden Normen, Entscheidungen, Handlungen und Institutionen. Regime weisen typischerweise eine hohe Flexibilität auf, um eine stetige Weiterentwicklung der Problemlösungen zu ermöglichen. 14 Keine Voraussetzung von Regimen im hier verwandten Sinne ist eine multipolare 15 Erfüllungsstruktur, wonach die Vertragspflichten nur untrennbar gegenüber allen Parteien erbracht werden könnten. Vielmehr können auch bipolare Verträge Regime begründen. 16 Die Organe und Institutionen von Regimen können eine solche Regelungsdichte und operative Bedeutung erlangen, daß sie strukturelli.O. sehr ähneln. Regime unterscheiden sich von I.O. aber durch ihre fehlende Völkerrechtssubjektivität.17 1.0. können jedoch Teil von umfassenderen Regimen sein. 18 Andererseits können bestimmte Organe von Regimen mit einfacher Rechtsfahigkeit ausgestattet werden, ohne daß das Regime ein Völ12 Abzulehnen ist eine Verengung von Regimen auf Normen ohne Institutionen, so aber Rittberger, in: Wolfrum, VN, S. 371 Rn. 31: " .. . Regime die handlungsleitenden Normen und Regeln ... bezeichnen, aber selbst keine Akteursqualität besitzen, ... "; allerdings werden Normen ohne institutionelle Komponente häufig als "Regime" bezeichnet, im Anschluß an IGH "Hostages", Rep. 1980, S. 40 para. 86 (..~ .. a self-contained regime ..."), StiGH "S.S. Wimbledon", 1923 Ser. A Nr. 1, s. 23 ("... establishing an international regime, ..."). 13 Lang, in: Ginther, S. 277; Schachter, in: MacDonald/Johnston, S. 781 f.; Romano, NYUJILaP 31 (1999), S. 743. 14 Young, World Politics 32 (1980), S. 351, nennt drei Griinde für Anpassungen: Änderungen des Regelungsobjekts, Änderungen der Präferenzen der Parteien, Beseitigung von Widersprochen; Ott, S. 43 f., 82: " . .. markiert der Abschluß des Vertrages erst den Beginn der Kooperation"; zum ,,regime-building" in der CBD Henne/ Fakir, MPUNYBL 3 (1999), S. 327 ff.; zur Dynamik völkerrechtlicher Verträge auch BVerfGE 90, 286, 361. 15 Bleckmann, AVR 34 (1996), S. 233 ff. 16 Ebenso Ruffert, AVR 38 (2000), S. 142 f. 17 Rittberger, in: Wolfrum, VN, S. 371 Rn. 31; Ott, S. 45. 18 Young, World Politics 39 (1986/87), S. 108; Rittberger, in: Wolfrum, VN, S. 363 Rn. 4, zu I.O.: " ... als Teile von routinisierten politischen Mehrebenen-Entscheidungssystemen ... dienen . . . der Errichtung, ... Implementation, ... Weiterentwicklung internationaler Regime.". 4*

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1. Teil, 1. Kap.: Internationale Regime und Organisationen

kerrechtssubjekt wäre. 19 Gerade dann ist die Frage nach der Völkerrechtssubjektivität das entscheidende Abgrenzungskriterium. So wurde diskutiert, ob das GATI 1947 nicht eine (Quasi-)1.0. war?0 Zumindest de facto war dies der Fall seitdem klar war, daß die Internationale Handelsorganisation (ITO) nicht ins Leben gerufen und das GATI nicht nur wenige Jahre gelten würde. 21 Auch hinsichtlich multilateraler Umweltabkommen (MEAs) von globaler Bedeutung und bzgl. des sie Verwaltendenten VN-Umweltprogramms (UNEP) wird zum Teil behauptet, sie seien 1.0.; dies ist aber zurückzuweisen. Ihre Parteien haben eine Verleihung der Rechtssubjektivität bewußt vermieden. Manche MEAs und ihre Organe sind zwar eng mit den VN verbunden und sie haben eine eigene, auf dem MEA beruhende Rechtsordnung. Hieraus folgt aber keine Völkerrechtssubjektivität.22 Ebenso ist UNEP keine 1.0., sondern ein durch die VN im Völkerrechtsverkehr vertretenes VN-Programm. 23 Die Unterscheidung von 1.0. und Regimen ist für diese Untersuchung nicht von grundlegender Bedeutung, da beiden das Auftreten von Programmkonflikten und die Möglichkeit der Koordination zur Überwindung dieser Konflikte gemein sind. Die Bestimmung der Völkerrechtssubjektivität ist allerdings ausschlaggebend für die Frage, ob Vertragsorgane bei ihren Entscheidungen über eine Koordination ihrer Ordnung mit anderen Ordnungen an völkerrechtliche Vorgaben24 gebunden sind. Dies ist für die Organe der 1.0. der Fall, da letztere Völkerrechtssubjekte sind. Bei Regimen kommt mangels eigener Völkerrechtssubjektivität keine direkte Bindung der Vertragsorgane, sondern höchstens eine mittelbare Bindung über die Vertragsparteien in Frage.25 Während also z.B. bei Umweltabkommen mangels Rechtssubjektivität und einflußreichen unabhängigen Organen die Vertragsparteien für die hinreichende Abstimmung mit anderen Vertragsordnungen 19 Szasz, MPUNYB 3 (1999), S. 34, erwähnt als Beispiel die Dec. VI/16 Montrealer Ozon-Protokoll, die dem Multilateralen Fonds Rechtsfähigkeit einräumt. 20 Dies bejahen Schermers/Blokker, § 30. 21 Zur Diskussion s. Benedek, S. 248 ff., der das GATT als gewohnheitsrechtlich entstandene 1.0. ansieht; ebenso Steinberger, S. 15; Jackson, S. 119-122. 22 Szasz, MPUNYB 3 (1999), S. 33: " ... arguments of seeming1y equal weight can be made for their status as TOs of the UNorasindependent IGOs."; Beyerlin, Rn. 168, nennt MEAs "internationale Organisationen ,im Kleinen'". 23 Die errichtende VN-GV-Res. 2997(XXVII) spricht von "institutional and financial arrangements for international environmental co-operation"; zu den Problemen von UNEP Dolzer, in: Götz, S. 54 f. 24 s. insb. 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. e) zur Bedeutung des zwischen internationalen Völkerrechtssubjekten geltenden Störungsverbots für Umfang und Grenzen der Koordination ihrer Ordnungen. 25 Vgl. zur Bindung der EU-lEG-Organe an die EMRK über die Bindung der EU-Mitgliedstaaten EGMR "Matthews", Rs. 24833/94, EuZW 10 (1999), S. 308 f., paras. 32-34, EGMR "T.I.", Rs. 43844/98, NVwZ 20 (2001), S. 302.

A. Internationale Organisationen, Regime und Ordnungen

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verantwortlich sind, sind dies in der mit Völkerrechtssubjektivität ausgestatteten WTO neben den Vertragsparteien auch die unabhängigen Rechtsprechungsorgane, insbesondere die Revisionsinstanz. 26 Ill. Der Begriff der (Vertrags-)Ordnung

Als "Vertragsordnung", "völkervertragliche Ordnung" oder einfach "Ordnung" wird in dieser Untersuchung die Gesamtheit der in 1.0. oder in Regimen geltenden Rechtsnormen bezeichnet.27 Das entscheidende Merkmal von Ordnungen ist die Ableitbarkeit der Geltung all ihrer Normen von einer gemeinsamen höchsten Norm, die von einem Erzeugerkreis aufgrund originärer Kompetenz geschaffen wurde,28 und die korrespondierende Hierarchie innerhalb der Ordnung zwischen übergeordneten und untergeordneten Normen ("Primär- und Sekundärrecht")?9 Außerdem müssen die Normen einer Ordnung alle den gleichen "Sekundärregeln" ("secondary rules") über ihre Entstehung und Änderung unterliegen?0 Dementsprechend verfügt jede 1.0. über eine eigene Ordnung in diesem Sinne? 1 Diese Ordnungen sind anders als innerstaatliche Rechtsordnungen nur partiell, weil sie nur das Feld der speziellen Kompetenzen der funktionalen Regime umfas26 Zur Berücksichtigung umweltvölkerrechtlicher Verträge und ihrer Vorgaben in "US- Shrimp", WT/DS58/AB/R, s. 2. Teil 1. Kap. C. IV. 3., 4. und 2. Teil 3. Kap. D. III. 1. b); zur gesundheitsfreundlichen Auslegung der Art. III, XX GATT in "EC - Asbestos", WT/DS135/AB/R, s. 2. Teil 1. Kap. C. V. 3. b), c) und 2. Teil 3. Kap. E. I. 1. b). 27 Seidl-Hohenveldem!Loibl, Rn. 0906: " ... eigene Rechtsgemeinschaft mit einer eigenen Rechtsordnung ... "; 4. Erwägungsgrund SRÜ-Präambel: " ... , durch dieses Übereinkommen . . . eine Rechtsordnung für die Meere und Ozeane zu schaffen, . . ."; dieser normative Bezug unterscheidet Vertragsordnungen von institutionssoziologischen Ordnungsmodellen, vgl. Meng, S. 154-156. 28 Meng, S. 175 f.; Schermers/Blokker, § 1140; dies ist im Völkerrecht der Gründungsvertrag; wenn mehrere Geltungsgründe bestehen, z. B. Anwendung ausländischer Gesetze wegen ihrer ausländischen Geltung und wegen des inländischen IPRAnwendungsbefehls, ist die Norm der Ordnung zuzurechnen, in der sie geschaffen wurde. 29 Schermers/Blokker, §§ 1341, 1141 f.; innerhalb des Primärrechts gibt es wiederum Regeln und Prinzipien von herausgehobener Bedeutung, für WTO und EG z. B. das Diskriminierungsverbot (Art. I, 111, XIII, XX GATT, Art. II, XVII, XIV GATS, Art. 3, 4, 27 TRIPS, Art. 2 Abs. 1 TBT, Art. 2 Abs. 3, Art. 5 Abs. 5 SPS, bzw. Art. 12 EG) und die Rechtssicherheit (Art. 3 Abs. 2 S. 1 DSU, US - Sect. 301-310, WT/DS152/R, para. 7.75). 30 Hart, S. 78 f.; s. die Beiträge in NYIL XXV (1994); Dupuy, NYUJILaP 31 (1999), s. 792. 31 So für 1.0. Schermers/Blokker, § 1141: " ... international organizations, each of which has a legal order of its own. "; Seidl-Hohenveldem!Loibl, Rn. 0906; zum Begriff des Subsystems im Völkerrechts. Marschik, S. 27 f., 65-70.

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1. Teil, 1. Kap.: Internationale Regime und Organisationen

sen, und weil sie nur die Völkerrechtssubjekte rechtlich binden, die Parteien der Ordnung sind. 32 Andererseits bilden sie jeweils für ihren Bereich ein umfassendes System von Regeln und Prinzipien, das neue Entwicklungen kategorisieren und kanalisieren kann. 33 Während manche die Abgrenzung vom allgemeinen Völkerrecht als Voraussetzung der Existenz spezieller Rechtsordnungen sehen,34 zeichnen sich Ordnungen im Sinne dieser Arbeit nicht durch ihre Abgeschlossenheit gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht aus. 35 Vielmehr sind gerade die sich herausbildenden Verbindungen zwischen Ordnungen zu untersuchen, welche sowohl unmittelbar zwischen den Ordnungen, als auch über die Verbindungslinien des allgemeinen Völkerrechts verlaufen können?6 B. Typische Organstruktur internationaler Organisationen/Regime

Die Kompetenzen der Organe internationaler Organisationen und Regime sind entscheidend für ihre jeweiligen Möglichkeiten, das Verhältnis ihrer Vertragsordnung zu anderen Ordnungen mittels Rechtsetzung, -vollzug oder Urteilen zu beeinflussen. Die Ordnungen sind je nach Aufgabenbereich und Integrationsgrad mit unterschiedlichen Organen ausgestattet. Trotzdem lassen sich "einheitliche Aufbauelemente"37 ausmachen. 38 Typischerweise existieren zumindest zwei Organe, ein Sekretariat (I.) und ein politisches Organ (li.) der Vertragsparteien. Je nach Ausdifferenzierung verfügen Regime 32 Zur "objective international personality" der VN s. IGH "Reparation for Injuries", Rep. 1949, S. 185. 33 Lowe, in: Byers, S. 209 f.; Maine, S. 19: " ... a . . . complete ... body of law, of an amplitude sufficient to fumish principles which would apply to any conceivable combination of circumstances". 34 Zum Streit Meng, S. 149-162; Schermers/Blokker, § 1142. 35 Zur Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verträge für die EG s. Art. 300 Abs. 7 EG; EuGH Rs. 181173, "Haegeman", Slg. 1974, 449, 460; zur Bindung des EGSekundärrechts an Völkergewohnheitsrecht und Rechtsgrundsätze: EuGH "International Fruit", Slg. 1972, S. 1219 Rn. 516; ,,Poulsen", Slg. I-1992, S. 6019 Rn. 9; "Racke", Slg. I-1998, S. 3688 Rn. 27; Epiney, EuZW 10 (1999), S. 7-11. 36 Dies schließt eine (Teil-)Autonomie einer Ordnung gegenüber den Ordnungen ihrer Vertragsparteien (EuGH Rs. 6/64, 1964, S. 1251, 1256) oder gegenüber anderen Vertragsordnungen nicht aus; vgl. S;rensen, ICLQ 32 (1983), S. 575: "In spite of ... fragmentation ... it is still accurate ... to regard the general international legal order as a universal system which engulfs the great variety of existing autonomous legal orders as sub-systems."; Dupuy, NYJIPaL 31 (1999), S. 796: " ... illusion of completely autonomous sub-systems ... independent from the general legal order". 37 Seidl-Hohenveldem/Loibl, Rn. 0908. 38 Zu Ansätzen eines "comrnon law of international organization" Lauterpacht, RdC 152 (1976), S. 396.

B. Typische Organstruktur internationaler Organisationen/Regime

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über weitere politische oder wissenschaftliche Organe (III.), über Streitbeilegungsorgane (IV.), u. U. gar über eine Völkervertretung (V.).

I. Sekretariate Die mit internationalen Beamten besetzten Sekretariate39 dienen vor allem der Verwaltung des Vertrags, z. B. Organisation des Schriftverkehrs und Treffpunkt der Parteien. Zum Teil haben sie aber auch darüber hinausgehende Aufgaben der planenden Unterstützung der Parteien und der Überwachung der Vertragseinhaltung.40 Aufgrund ihrer außerordentlichen Fachkompetenz und ihrer Neutralität sind manche Sekretariate bei der Vorbereitung von Vertragstexten federführend (z. B. WIPO). In diesen Fällen können die Sekretariate bereits im Vorbereitungsstadium die tatsächliche Verknüpfung des Vertragsgegenstands mit den Regelungsbereichen anderer Verträge berücksichtigen. Das WTO-Sekretariat hat die von der Ministerkonferenz zugewiesenen Befugnisse (Art. VI Abs. 2, 3 WTOA). Diese sind überwiegend verwaltender und organisatorischer, aber auch analytischer Art.41 Andererseits haben die Mitglieder des juristischen Dienstes de facto oft einen erheblichen, durch Art 27 DSU nicht angemessen wiedergegeben Einfluß auf die Formullerung von Panel-Berichten aufgrund ihrer außergewöhnlichen Qualifikation.42 Auch hier ergibt sich die Möglichkeit der Einflußnahme auf die Koordination des WTO-Rechts mit WTO-fremdem Recht mittels Streitbeilegungsberichten. Während der Welthandelsrunden ist der WTO-Generalsekretär ein wichtiger Vermittler und bringt eigene Vorschläge ein.43 Diese Möglichkeit der vorbereitenden Beeinflussung der WTO-Rechtsetzung ist daher nicht zu unterschätzen.

39 Meron, in: Bernhardt, Vol. II, S. 1376 f.; Seidl-Hohenveldem!Loibl, Rn. 10041021; Szasz, in: Schachter/Joyner, S. 55 f.; Art. 168 SRÜ betont beispielhaft den internationalen Charakter des Sekretariats der Meeresbodenbehörde. 40 Z. B. Art. 8 Klimarahmenkonvention, Art. 7 Wiener Ozon-Übereinkommen; nach Art. 8 Montrealer Ozon-Protokoll kann das Sekretariat die Parteien auf Fälle der Nichterfüllung hinweisen, z. B. UNEP/OZL.Pro.4/15, 25.11.92; Chinkin, in: Evans, S. 128. 41 Z. B. die Prüfung der Handelspolitik der Mitglieder (TPRM), Henderson, in: Krueger, S. 123. 42 Benedek, S. 315; Hudec, in: Bhagwati/Hirsch, S. 114-120; Cottier, CML Rev. 35 (1998), S. 349; Leier, EuZW 10 (1999), S. 209 Fn. 43; Das, S. 5; Weiler, JWT 35/2 (2001), s. 205 f. 43 Z.B. die Vermittlungen Dunkels 1990 und Sutherlands 1994, dazu Henderson, in: Krueger, S. 112.

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1. Teil, 1. Kap.: Internationale Regime und Organisationen

li. Politische und rechtsetzende Organe

Die meisten Regime unterscheiden Organe, in denen die höchsten Repräsentanten der Parteien in größeren zeitlichen Abständen zusammenkommen, und diesen untergeordnete Organe für die dauerhafte Vertretung der Parteien. 1. Höchste Organe In diesen Organen kommen meist die Fachminister der Parteien zusammen, um die politischen Leitlinien für Anwendung und Weiterentwicklung der Vertragsordnung zu beschließen. In der WTO ist dies die zweijährliche Ministerkonferenz (Art. IV Abs. 1 WTOA), für die multilateralen Umweltabkommen (MEAs) ist es die unter Leitung der Minister abgehaltene Konferenz der Vertragsparteien (z. B. Art. 7 FCCC, Art. 6 WÜ). 2. Permanente Organe Den höchsten Beschlußorganen sind Gremien untergeordnet, in denen Vertreter der Parteien permanent die Vertragsanwendung überwachen, die Beschlüsse der höchsten Organe vorbereiten und ggf. sekundärrechtliche Ausführungsnormen erlassen. In der WTO nimmt der Allgemeine Rat zwischen den Ministerkonferenzen deren Aufgaben wahr. Er erläßt Sekundärrecht, fungiert als Streitbeilegungsorgan (DSB) und überwacht die nationalen Handelspolitiken (Art. IV Abs. 2-4 WTOA). Insbesondere der Erlaß von Sekundärrecht, seien es Entscheidungen oder nur Empfehlungen, vermag die Koordination mit anderen Vertragsordnungen zu fördem. 44 3. Spezialorgane Sehen Verträge Spezialorgane vor, die bestimmte Kompetenzen wahrnehmen, so sind in diesen oft nur einige der Parteien vertreten. 45 In der WTO sind unter der Leitung des Allgemeinen Rates die speziellen Räte der wichtigsten multilateralen Abkommen tätig. Diese können wiederum untergeordnete Gremien einsetzen (Art. IV Abs. 5, 6 WTOA). Diese erarbeiten u. a. Vorlagen zur Interpretation des Vertrages46 und können dabei koordinationsfördernd wirken. s. 2. Teil 3. Kap. F. Amerasinghe, S. 139 f. 46 Art. IX Abs. 2 S. 2 WTOA; s. auch die Richtlinien des SPS-Ausschusses zu Art. 5 Abs. 5 SPS in G/SPS/15 (18.7.00). 44 45

B. Typische Organstruktur internationaler Organisationen/Regime

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///. Beratende Ausschüsse und Kommissionen

Die Verträge oder das Sekundärrecht bestimmen oder erlauben regelmäßig die Einsetzung beratender Ausschüsse oder Kommissionen, damit die politische Arbeit durch fachliche Informationen unterstützt und rationalisiert wird. Einige dieser nachgeordneten Vertragsorgane sind sehr wissenschaftlich geprägt,47 andere weisen eher politische Bezüge auf. Art. IV Abs. 7 WTOA verpflichtet die WTO-Ministerkonferenz zur Einsetzung der Ausschüsse für Handel und Entwicklung, für Zahlungsbilanzbeschränkungen und für Finanzen und Verwaltung. Diese Ausschüsse arbeiten dem Allgemeinen Rat zu. Mittels einer sekundärrechtlichen Entscheidung hat die Ministerkonferenz den Ausschuß für Handel und Umwelt (CTE) eingesetzt. Dieser soll das komplexe Verhältnis Handel/Umwelt aus WTO-Sicht bearbeiten. Unter anderem soll er das materiellrechtliche Verhältnis zwischen WTO-Recht und MEAs sowie die Beziehung zwischen ihren Streitbeilegungsverfahren weitestmöglich klären. 48 IV. Streitbeilegungsorgane

Zielen multilaterale Verträge auf eine vertiefte verbindliche Kooperation ihrer Parteien ab, sehen sie für Streitigkeiten zwischen ihren Parteien oder zwischen ihren Organen und Parteien meist Streitverfahren vor, die zu bindenden Entscheidungen führen. Solche Streitigkeiten sind nicht mehr rein bilateral, sondern haben wegen ihrer möglichen politischen Auswirkungen auf die Vertragsordnung einen multilateralen Einschlag.49 Fehlen eigene Streitbeilegungsorgane, sind die Verfahren überwiegend fakultativ. 50 Obligatorische Streitbeilegung durch ständige Streitbeilegungsorgane ist die große Ausnahme. 51 Auf universeller Ebene sind vor allem die Streitbeilegongsorgane der WTO und des Seerechtsübereinkommens bedeutend.52 Die WTO-Streitbeilegungsorgane hatten bereits in mehreren Verfahren über die Bedeutung WTO-fremder Verträge für die Auslegung des WTORechts zu entscheiden. Dies betraf u.a. Abkommen des Umweltrechts,53 des Finanzrechts,54 des Zollrechts55 und des geistigen Eigentums56• Szasz, in: Schachter/Joyner, S. 53 f. WTO-Ministererklärung 2001, paras. 31, 32: " ... the identification of any need to clarify relevant WTO rules."; Schoenbaum, in: Birnie/Boyle, S. 702 f. 49 Malinvemi, in: Bedjaoui, S. 546: "A dispute between two member States therefore affects the organization as a whole.". 50 Amerasinghe, S. 160 f. 51 Überblick bei Romano, NYUJILaP 31 (1999), S. 709 ff. 52 Hierzu ausführlich Teil 3. 53 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 130-132, 168. 47

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l. Teil, 1. Kap.: Internationale Regime und Organisationen

V. Parlamente und beratende Versammlungen Parlamente innerhalb von 1.0. sind ähnlich selten wie obligatorische Streitverfahren, denn klassischerweise werden die Parteien durch ihre Regierungen vertreten. Zu dem auf regionaler Ebene direkt gewählten Europäischen Parlament (Art. 189-201 EG, Art. 5 EU) findet sich auf universeller Ebene keine Entsprechung. Zu einem WTO-Parlament gibt es bisher nur vorsichtige erste Überlegungen.57 Realistischer als eine direkt gewählte Volksvertretung mit Entscheidungsbefugnissen ist im Rahmen der WTO eine beratende Versammlung, deren Mitglieder von den nationalen Parlamenten bestimmt werden. 58 Dieses Gremium könnte aufgrundseiner demokratischen Legitimation insbesondere zum gesellschaftspolitisch relevanten Verhältnis zwischen WTO-Recht und Umweltschutz oder zu Arbeits- und Menschenrechten Stellung nehmen.

VI. Fazit: Einfluß von WTO-Organen auf die Vertragskoordination Die verschiedenen Organe internationaler Organisationen und Regime haben je nach ihrer Funktion und Stellung unterschiedliche Möglichkeiten, das Verhältnis ihrer Vertragsordnung zu anderen Ordnungen zu beeinflussen. Im Rahmen der WTO zählt neben der Prägung des Primär- und Sekundärrechts seitens der politischen Organe vor allem die Auslegung des WTO-Rechts durch die Streitbeilegungsorgane. So entschied die Revisionsinstanz bereits über die Bedeutung von Abkommen des Umweltrechts, des Währungsrechts, des Zollrechts und des geistigen Eigentums für die Auslegung des WTO-Rechts. Faktisch beeinflußt manchmal auch das WTO-Sekretariat die Formulierung von Sekundärrechtsakten oder von erstinstanzlichen Streitentscheidungen. Eine beratende Versammlung, deren Mitglieder die nationalen Parlamente wählen, könnte die WTO zu Fragen des Verhältnisses des WTO-Rechts zu den Materien und Normen anderer Vertragsordnungen beraten.

Argentina- Footwear, WT/DS56/AB/R, paras. 69-73. EC- Computers, WT/DS62, 67, 68/AB/R, para. 89 f. 56 US- Sect. 110(5) Copyright Act, WT/DS160/R, paras. 6.67--6.70. 57 Das EP hat Ende 2000 eine Arbeitsgruppe für Vorschläge zu einem WTO-Parlament eingesetzt; zum Parlamentariertreffen bei der WTO-Ministerkonferenz s. WTO-Press/159/1999; s. auch !LA-Resolution 2/2000 Annex 3 :::: ILA 2000, S. 25, 194; zur Beteiligung des EP und nationaler Parlamente an WTO-Aktivitäten Hilf/ Schorkopf, EuR 34 (1999), S. 201 f. 58 Vgl. das Vorbild der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Art. 2235 Satzung des Europarats). 54 55

A. Programmkonflikte und Nonnenkollisionen

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2. Kapitel

Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination Das 2. Kapitel beginnt mit einer Definition des Phänomens der Programmkonflikte in Abgrenzung zur Normenkollision (A). Dem folgt eine Darstellung der Prinzipien, die das rechtliche Verhältnis zwischen völkervertraglichen Ordnungen bestimmen (B). Die Tauglichkeit der Vorrangregeln des allgemeinen Völkerrechts für die Lösung von Programmkonflikten ist das Thema des nächsten Abschnitts (C). Danach werden die Begriffe "Koordination" und "Kooperation" untersucht und verschiedene Arten der Koordination klassifiziert (D). Abschließend wird die Bedeutung von zwischen 1.0. geltenden Kooperationsabkommen für die Lösung von Programmkonfliktenbewertet (E). A. Programmkonflikte und Normenkollisionen

Um das im 2. Teil der Untersuchung zu behandelnde Phänomen des Programmkonflikts zwischen völkervertraglichen Ordnungen näher zu bestimmen (II.), wird in Abgrenzung dazu zunächst die völkerrechtliche Normenkollision definiert (1.). I. Definition der untersuchungsrelevanten Normenkollision

Normenkollisionen bestehen zwischen Rechtssätzen mit widersprüchlichen Rechtsfolgen, welche an denselben Sachverhalt anknüpfen und sich an denselben Normadressaten richten. 1 Es gibt verschiedene Unterarten der Normenkollision, die wiederum jeweils mehrere Bezeichnungen erhalten haben? Hier ist nur die Eingrenzung der relevanten Rechtsquellen (1.), die Unterscheidung materieller und formeller Kollisionen (2.) und die Definition des für eine Kollision nötigen Widerspruchs zwischen den Normen (3.) von Bedeutung. 1. Besondere Bedeutung des Vertragsrechts Normenkollisionen können zwischen allen Rechtsquellen i. S. d. Art. 38 Abs. 1 des IGH-Status (IGHSt) auftreten. Diese Untersuchung konzentriert sich auf die Kollisionen völkerrechtlicher Verträge. Zum einen ergänzt oder Kadelbach, S. 24; BVerfGE 36, 342, 363. Kadelbach, S. 28-35; Kelsen, S. 99 ff.; Roucounas, RdC 206 (1987-VI), S. 38 f. m.w.N. 1

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1. Teil, 2. Kap.: Programrnkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

verdrängt das regelmäßig detailliertere Völkervertragsrecht immer stärker das Gewohnheitsrecht, zum anderen sind gerade die durch internationale Organisationen geregelten Lebenssachverhalte meist erst in jüngerer Zeit detaillierteren Regelungen unterworfen worden,3 ohne daß einschlägiges Völkergewohnheitsrecht besteht. 2. Betrachtung materieller Kollisionen, Irrelevanz formeller Kollisionen Kollidierende Normen können sowohl zwischen formellem Recht auftreten, z. B. organisationsrechtliche Unvereinbarkeiten (unterschiedliche Zuständigkeiten), als auch materiellrechtliche Widersprüche enthalten, wie ein gleichzeitiges Verbot und Gebot eines Tuns. Letztere sind Gegenstand des 2. Teils. Die im 3. Teil untersuchten konkurrierenden Zuständigkeiten der Streitbeilegungsorgane stellen an sich keine Kollisionen dar, da verschiedene Gerichte über einen Sachverhalt entscheiden können. Allerdings kollidieren diese Entscheidungen materiellrechtlich, wenn sie unvereinbar sind. 3. Definition des kollisionsbegründenden Normwiderspruchs a) Der kollisionsbegründende Widerspruch im Sinne dieser Untersuchung

Es wird von einem eher weiten Begriff des Widerspruchs in der Rechtsfolge ausgegangen. Danach besteht ein Widerspruch nicht nur, wenn ein Gebot mit einem Verbot kollidiert, wenn also nach einer Norm eine Handlung erfolgen muß, die eine andere Norm verbietet, sondern auch, wenn eine Erlaubnis mit einem Verbot kollidiert, also das Verbot die Inanspruchnahme einer Möglichkeit in Frage stellt. Zwar ließe sich in letzterem Fall ein Konflikt dadurch beseitigen, daß auf die Ausübung des erlaubten Tuns verzichtet wird.4 Ein solch genereller, permanenter Verzicht widerspräche aber dem Sinn der ausdrücklichen Erlaubnis und würde die praktische Wirkung der Norm beseitigen. So würde z. B. das WTO-Recht insoweit nutzlos, wenn die Handelsfreiheit durch einen pauschalen und bedingungslosen Vorrang der Handelsverbote anderer Verträge eingeschränkt würde. Dies verstieße gegen das Effektivitätsprinzip5 und wäre eine sachwidrige einseitige Bevorzugung der Verbotsnorm.6 Durch diese weite Definition des Wi3 Zur Bedeutung der Verträge als Rechtsetzunginstrument der "normenhungrigen" internationalen Gemeinschaft: Simma, Reziprozitätselement, S. 26; Ott, S. 88 f. 4 Schilling, S. 380 f. Fn. 43 m. w.N., spricht von "echten" und "unechten" Normwidersprüchen. 5 Zur Bedeutung des Effektivitätsprinzips s. 2. Teil 3. Kap. D. II. 3. a).

A. Programmkonflikte und Normenkollisionen

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derspruchs wird ein größeres Konfliktpotenzial in die Untersuchung einbezogen.7 b) Übereinstimmung mit dem Kollisionsbegriff im WTO-Recht

Für einen weiten Kollisionsbegriff spricht auch die Streitbeilegungspraxis in der von mehreren Programmkonflikten betroffenen WTO. Innerhalb des WTO-Rechts können Normenkollisionen u. a. zwischen dem GATT und den in Anhang lA des WTO-Abkommens (WTOA) aufgeführten speziellen Vereinbarungen zum Warenbandet auftreten. 8 Die erläuternde Anmerkung zu Anhang lA schreibt zwar den Vorrang der anderen Abkommen gegenüber dem GATT im Falle und Umfang eines "conflict" (=Kollision) vor, definiert diesen aber nicht. Zwei WTO-Panelberichte haben den Begriff der Normenkollision anläßtich der Frage des Verhältnisses des GATT zu anderen Anhang lA-Abkommen definiert. Das Panel "EC - Bananas" stellte zwar fest, daß GATT und die Anhang lA-Abkommen nebeneinander Anwendung fanden, definierte den Begriff "Konflikt" für das Verhältnis zwischen GATT und Anhang lA-Abkommen aber vergleichsweise weit. Danach ist ein Konflikt nicht nur gegeben, wenn ein Vertrag gebietet, was ein anderer Vertrag verbietet, sondern auch, wenn ein Vertrag nur erlaubt, was ein anderer verbietet.9 Zwar könnten die Vertragsparteien auf die Ausübung des erlaubten Verhaltens verzichten, um dem Verbot gerecht zu werden. Hierdurch würde aber ihr im anderen Vertrag zugesichertes Recht zunichte gemacht und der erlaubende Vertrag seiner effektiven Wirkung und Zweckerfüllung beraubt. Folglich müsse der Begriff des Konfliktes auch diese Fälle umfassen. 10 Das Panel "lndonesia - Automobiles" führte drei Voraussetzungen für eine Normenkollision an: erstens müßten dieselben Parteien durch verschiedene Verträge gebunden sein; zweitens müßten die Verträge dieselbe Sachmaterie betreffen; drittens dürften die Vertragspflichten nicht gleichzeitig erfüllbar sein. 11 Die dritte Voraussetzung wandte das Panel nicht eindeutig an. Einerseits zitierte es die "Encyclopaedia of P.I.L.", wonach die Unvereinbarkeit der Pflichten ("Pflichtenkollision") erforderlich ist. Dies spräche eher für eine enge Auslegung, wonach Konflikte gleichzeitige Verbote und Ähnlich Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 550 f. Zu Divergenzen und Dissonanzen zwischen vertragsauslegenden Streitentscheidungen s. Arten möglicher Konflikte in der Einleitung des 3. Teils. 8 Zu den Vorrangverhältnissen im WTO-Recht s. 2. Teil 4. Kap. B. VI. 9 EC- Bananas, WT/DS27/R/USA, para. 7.159 Fn. 728. 10 EC - Bananas, WT/DS27/R/USA, para. 7.159 Fn. 728; zustimmend Falke, ZEuS 3 (2000), S. 328 f. 11 Indonesia- Autos, WT/DS54, 55, 59, 64/R, S. 329 Fn. 649. 6

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Gebote erfordern. Andererseits bezog sich das Panel in Zusammenhang mit Normenkollisionen mehrfach auf das Effektivitätsprinzip. 12 Danach wird nicht nur ein Gebot, sondern auch eine Erlaubnis durch ein entgegenstehendes Verbot in ihrer Effektivität gefährdet, so daß eine Kollision besteht. Gerade die WTO-Abkommen sind Verträge, die Verbote bestimmter Handelsbeschränkungen und dadurch geschaffene Handelsfreiheiten enthalten und die darauf abzielen, daß diese rechtlichen Freiheiten auch tatsächlich genutzt werden. Somit dürfte auch das Panel "Indonesia - Automobiles" von einem weiten Kollisionsbegriff ausgegangen sein. 13 Aufgrund zweier Berichte der WTO-Revisionsinstanz (AB, Appellate Body) könnten Zweifel an der weiten Definition des Widerspruchs im WTORecht aufkommen. In "Korea- Dairy" und in "Argentina- Footwear" entschied der AB über die Anwendbarkeit des Art. XIX GATT neben dem Abkommen über Schutzmaßnahmen (SA). Daß Art. XIX GATT über das SA hinaus für die Rechtmäßigkeit von Ausgleichsmaßnahmen eine unvorhersehbare Entwicklung verlangt, und somit restriktiver als das SA ist, sah der AB nicht als Konflikt dieser Normen an. 14 Allerdings lehnte der AB einen Konflikt ohne Begründung in einem Satz ab und machte zu dessen Voraussetzungen keine Ausführungen. 15 Der AB hielt eine solche Prüfung wegen des auf Art. XIX GATT verweisenden Wortlauts der Art. 1, 11 Abs. 1 SA für überflüssig. Daher sind diese beiden AB-Berichte für die Definition des Konflikts unergiebig, sie widerlegen den weiten Konfliktbegriff nicht. Daß der AB von einem weiten Konflikt-Begriff ausgeht, beweist sein Bericht "Guatemala - Cement 1". Danach liegt ein Konflikt schon vor, wenn die Übereinstimmung mit einer Norm eine Verletzung einer anderen Vorschrift bewirkt. 16 Danach müssen nicht Verbot und Gebot kollidieren, schon die Gleichzeitigkeit von Erlaubnis und Verbot führt zu einer Kollision. Daher geht das WTO-Recht von einem weiten Kollisionsbegriff aus. 17 Diese Indonesia- Autos, WT/DS54, 55, 59, 64/R, para. 14.40. Ebenso Falke, ZEuS 3 (2000), S. 329. 14 Argentina- Footwear, WT/DS121/AB/R, paras. 83-89; Korea- Dairy, WT/ DS98/AB/R, paras. 89-94. 15 Argentina - Footwear, WT/DS121/AB/R, para. 89; kritisch Das, http:// www.twnside.org.sg/title/ appeal.htm, S. 4: "There is no attempt at any exarnination as to whether there is a conflict.". 16 Guatemala - Cement I, WT/DS60/AB/R, para. 65: " ... where adherence to one provision will Iead to a violation of the other provision, ....... an inconsistency or a difference ... "; Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 550 f., der selbst für einen weiten Konfliktbegriff eintritt, legt diese Definition unnötig eng aus; dabei umfaßt sie den Fall, daß "adherence" ggü. einem MEA das WTO-Recht verletzen mag. 17 Ebenso Falke, ZEuS 3 (2000), S. 328 f.; Montagutti/Lugard, JIEL 3 (2000), S. 476, meinen unter Bezug auf "Guatemala- Cement I", WT/DS60/AB/R, para. 65: " ... conflict is being interpreted so narrowly, . . ."; so auch Eggers/Mackenzie, 12 13

A. Programmkonflikte und Normenkollisionen

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für Kollisionen zwischen WTO-Normen geltende Definition gilt nachfolgend auch für Kollisionen zwischen WTO-Recht und WTO-fremdem Recht sowie zwischen WTO-fremden Ordnungen. ll. Definition der Programmkonflikte

Während Normenkollisionen punktuelle, manchmal eher zufallig auftretende Widersprüche zwischen einzelnen operativen Regeln in Form von Normbefehlen sind, 18 zeigen sich "Programrnkonflikte" im Aufeinanderprallen grundlegender Prinzipien der jeweiligen Ordnungen, die jeweils der Verfolgung bestimmter Ziele der (inter-)nationalen Politik dienen. 19 Programrnkonflikte schaffen somit umfassendere, grundlegendere Spannungsfelder als Normenkollisionen. 20 Als "Programm" wird hier die Kombination der allgemeinen Prinzipien und der konkreten Regeln und Normen eines Vertrages, die für die Erreichung des Vertragszwecks von (zentraler) Bedeutung sind, verstanden. 21 Für die WTO-Rechtsordnung sind dies vor allem die dem internationalen JIEL 3 (2000), S. 540; dies bezieht sich aber nur darauf, daß WTOA-Anhang lAAbkommen meist nebeneinander anwendbar sind und daß das GATI selten durch speziellere Anhang lA-Abkommen verdrängt wird; eine vergleichsweise weite Definition der Programmkonflikte zwischen WTO-Recht und anderen Ordnungen bewirkt aber keine Verdrängung einer Ordnung mittels eines Vorrangs der anderen; die von Montagutti/Lugard angemahnte effektive Auslegung aller Verträge wird hier i. d. R. durch harmonisierende Auslegungen erreicht, s. 2. Teil 3. Kap. C., D.; für eine enge Definition aber ausdrücklich Marceau, JWT 35/6 (2001), S. 1086. 18 Meist kann nur im konkreten Einzelfall ermittelt werden, ob eine Normenkollision besteht, Jenks, BYIT.. XXX (1953), S. 425 f. 19 Leebron, Alll.. 96 (2002), S. 12, 15: " ... the consequences of the norms of one regime for the goals of the other."; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 739: " ... ,conflicts' between goals of multilateral treaties"; Trachtman, Alll.. 96 (2002), S. 90: "impairment ... of the ... ability to achieve the preferences sought . .. "; das Panel Indonesia- Autos, WT/DS54, 55, 59, 64/R, S. 329 Fn. 647, S. 330 Fn. 650 unterschied die Kollision einzelner Normen der WTOA-Anhang lA-Abkommen von dem (behaupteten) allgemeinen Konflikt ("general conflict") zwischen dem gesamten SCM-Abkommen und dem gesamten TRIMs-Abkommen; auf einen solch allgemeinen Konflikt könne die Kollisionsregel der Anmerkung zu den Anhang lA-Abkommen keine Anwendung finden, denn sie erfasse nur die einfache Normenkollision; Jarass, VVDStRL 50 (1991) S. 26, ders., AöR 126 (2001), S. 592 f., und Engisch, S. 162 f., unterscheiden Normwiderspruch und Wertungswiderspruch. 2 Kadelbach nennt diese "Systernkonflikte": S. 32: ,,Es stehen nicht lediglich einzelne Normen, sondern ganze normative Konzepte zueinander in Konflikt.", S. 35: " ... ein durch verschiedene Zielvorgaben der Rechtsordnungen hervorgerufener Mangel an innerer Kohärenz des ... Rechtssystems."; vgl. auch die umstrittene Aussage in BVerfGE 98, 106, 119, wonach ein verfassungswidriger Widerspruch der Rechtsordnung vorliege, wenn eine Norm "der Gesamtkonzeption" einer anderen Regelung zuwiderläuft.

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l. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Handel dienenden Prinzipien der Meistbegünstigung, der Inländergleichbehandlung und des Verbots nichttarifärer Handelshemmnisse. Das auf Ausweitung materiellen Wohlstands ausgerichtete Ziel des Freihandels kann z. B. in Konflikt treten mit dem Ziel, die Verletzung von Menschenrechten oder schwere Umweltzerstörungen zu bekämpfen, indem der Import von Waren oder Dienstleistungen, die unter diesen Bedingungen hergestellt wurden, verboten wird. Programmkonflikte werden zwar immer erst durch die Anwendung einzelner Normen, die Prinzipien konkretisieren und operationalisieren, rechtsverbindlich konkretisiert; sie unterscheiden sich von den einfachen Normenkollisionen aber durch die grundlegende Verankerung der Konflikte in den übergeordneten Ordnungsprinzipien und Zielen der Vertragsordnungen. Bei einem Programmkonflikt wird die Einhaltung der Regeln und die Verwirklichung der Ziele einer anderen Ordnung durch Normen der eigenen Ordnung für Unrecht erklärt und damit behindert. Dementsprechend besteht ein Programmkonflikt auch dann, wenn er sich durch eine harmonisierende Interpretation der konfligierenden Verträge abschwächen bzw. lösen läßt; eine Normenkollision ist dagegen zu verneinen, wenn Normen, die von ihrem Wortlaut her kollidieren, durch Auslegung in Übereinstimmung gebracht werden können?2 Die Beseitigung von Normenkollisionen durch Änderung des Texts oder der Interpretation einzelner Normen führt grundsätzlich nicht zu einer Auflösung der fundamentaleren Programmkonflikte. Solange die Programme nicht durch die Einbeziehung der Ziele anderer Regime in den eigenen Zielkatalog aufeinander abgestimmt werden,23 bestehen permanent latente Programmkonflikte. Wird z. B. die Beschränkung des Handels mit Waren, die aus Ländern ohne Gewerkschaftsfreiheit stammen, als Beeinträchtigung des WTO-Übereinkommens angesehen, weil sie Handel beschränkt, so besteht ein Programmkonflikt zwischen Freihandel und der Durchsetzung grundlegender Arbeitsrechte. Werden die von der ILO festgelegten grundlegenden Arbeitsrechte dagegen vom Programm der WTO insoweit berücksichtigt, daß der Handel mit Waren, die unter Mißachtung dieser Rechte hergestellt werden, der Handelsfreiheit erst gar nicht unterfällt, 21 Luhmann, S. 189 f.: ,.Da die Werte Recht und Unrecht nicht selber Kriterien für die Feststellung von Recht und Unrecht sind, muß es weitere Gesichtspunkte geben, die angeben, ob und wie die Codewerte Recht und Unrecht richtig bzw. falsch zugeordnet werden. Diese Zusatzsemantik wollen wir . . . Programme nennen." (kursiv im Original). 22 Programmkonflikte lassen sich wohl nicht durch Anwendung rechtlicher Auslegungsmetbaden und Vorrangregeln auf einzelne Normen lösen, sie erfordern politische Kompromisse unter systematischer Betrachtung der gesamten konkurrierenden Ordnungen und ihrer Ziele; als Aufeinanderprallen widersprüchlicher Vertragsziele sind Programmkonflikte dauerhaft. 23 Leebron, AJIL 96 (2002), S. 12, 15; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 739.

B. Rechtsprinzipien des Verhältnisses zwischen Vertragsordnungen

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ist dieser Programmkonflikt beseitigt. 24 Da solche speziellen Einschränkungen der Geltung des eigenen Vertrags bei Vertragsschluß oft nicht vorhersehbar oder nicht durchsetzbar sind,25 sind Programmkonflikte zwischen Verträgen unvermeidbar. Die Berücksichtigung der Ziele anderer Ordnungen innerhalb der eigenen Ordnung durch begrenzte Ausnahmen, z. B. die Legalisierung von Importbeschränkungen gegenüber gesundheitsschädigenden Waren durch Art. XX lit. b) GATT, führt zu einer quantitativen oder qualitativen Änderung des eigenen Primärziels. B. Rechtsprinzipien des Verhältnisses zwischen Vertragsordnungen Die Darstellung beginnt mit dem Regelfall der gegenseitigen Unabhängigkeit der Ordnungen (1.), spricht dann den Sonderfall des VN-Systems an (II.) und endet mit einer Untersuchung indirekter (Ver-)Bindungen (111.). I. Unabhängigkeit als Regelfall

Internationale Regime und Organisationen sind grundsätzlich voneinander unabhängig. Die Feststellung der Revisionsinstanz des Internationalen Strafgerichts für das ehemalige Jugoslawien, "In International Law, every tribunal is a self-contained system (unless otherwise provided)"26, läßt sich auf das Verhältnis völkervertraglicher Ordnungen übertragen. Soweit nicht ausdrücklich Verbindungen bestehen, z. B. durch spezielle Verweise27 oder eine Art. 38 Abs. l IGHSt vergleichbare allgemeine "Öffnungsklausel" im Primär- oder Sekundärrecht oder durch Abkommen zwischen 1.0., sind vertragsfremde28 Normen innerhalb einer Ordnung grundsätzlich nicht anwendbar. 29 Das innerhalb einer Ordnung geltende Recht entfaltet in anderen Ord24 Z. B. Geltungsbeschränkung zugunsten anderer Verträge in Art. 5 Biosicherheitsprotokoll und in Art. 1 Abs. 3, 4 Basler Abfall-Konvention; zur Problematik einer vergleichbaren Vermeidung von Abwägungskonflikten zwischen Verfassungsgütern durch enge Definition des Schutzbereichs von Grundrechten Pieroth/Schlink, Rn. 321 f. 25 So war bei Abschluß des GAIT 1947 der Umweltschutz als allgemeines Ziel noch unerkannt. 26 ICTY, Revision "Tadic", ILM 35 (1996), S. 32, para. 11. 27 Zu diesem Integrationsinstrument s. 2. Teil 3. Kap. Einleitung; S(Jrensen, ICLQ 32 (1983), S. 575: " ... mechanisms ... to intertwine the legal subsystems ... (t)he simplest is ... reference . .. to the content of a rule in another system.". 28 Genaugenommen werden vertragsfremde Normen durch Verweise integriert und so auch Teil der verweisenden Ordnung; "fremd" ist die Ordnung, in der die Norm ursprünglich erlassen wurde.

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1. Teil, 2. Kap.: Programmk:onflikte, Kollisionsregeln, Koordination

nungen ohne Annahme durch diese Ordnung keine rechtliche Wirkung. 30 Die zwischen Parteien der einen Ordnung geltenden Normen binden gemäß der nach Art. 5 WVK auch auf Gründungsverträge internationaler Regime/ Organisationen anwendbaren pacta tertiis-Regel des Art. 34 WVK31 nicht die Rechtsbeziehungen in anderen Regimen. 32 Mangels Bindung besteht zwischen Vertragsordnungen auch keine Hierarchie.33 Auf indirektere Weise wird die Norm einer Ordnung innerhalb einer anderen anwendbar, wenn ihre Anwendung zur Bildung von Gewohnheitsrecht führt oder dieses wiedergibt; soweit nicht durch spezielle Regelungen der eigenen Ordnung anders geregelt,34 binden Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze auch spezielle Regime und 1.0?5 In allen spe29 Bleckmann, Bindung, S. 91; Abi-Saab, NYUJll..aP 31 (1999), S. 920: ,,Every legal order has its own frontiers that separate it from other legal orders, because it has a different basis of legitimacy and different mechanisms for creating, applying, and enforcing its rules . . . . It constitutes a unicum."; Schermers/Blokker, § 12; SeidlHohenveldem/Loibl, Rn. 0906: " . . . eigene Rechtsgemeinschaft mit einer eigenen Rechtsordnung ..."; Ballreich, AVR 19 (1981), S. 121 f.; Jenks, S. 6 f.; Reuter, RdC 103 (1961-ll), S. 525 f. 30 Jenks, BYll.. XXX (1953), S. 448 f. spricht vom "autonomous operation principle"; Ballreich, AVR 19 (1981), S. 121: " ... in kein hierarchisch strukturiertes Gefüge eingebunden .. ."; Sands/Klein, 14-041: " ... a relationship of reciprocal independence"; in WTO-Streitverfahren ist gemäß Art. 1, 7 DSU allein WTO-Recht anwendbar, zutreffend Trachtman, Hll..J 40 (1999), S. 342 Fn. 41; für die Anwendbarkeit WTO-fremden Rechts Palmeter/Mavroidis, AJll.. 92 (1998), S. 399. 31 1986 bestätigt durch die Übernahme in die Vertragsrechtskonvention für Verträge zwischen 1.0. und für Verträge zwischen 1.0. und Staaten (WVKIO), ILM 25 (1986), s. 543 ff. 32 Schermers!Blokker, § 1580: " ... rules of international organizations will not be binding by themselves. Their binding force will be based either on express acceptance or on custom."; insofern stimmt die Charakterisierung von Vertragsordnungen durch Riphagen, ll..C-Yearbook 1982 Vol. I, S. 202: " ... a system ... was an ordered set of .. . rules, which formed a closed legal circuit . . . ." 33 Ballreich, AVR 19 (1981), S. 121: " ... , daß es zwischen den internationalen Organisationen keine Hierarchie gibt, ... ist die wohl einhellige Meinung aller Kundigen. Sie ist aus den Satzungen sämtlicher Organisationen ableitbar und entspricht auch, will es scheinen, einem allgemeinen Strukturprinzip des gegenwärtigen internationalen Beziehungssystems. ". 34 Z.B. IGH "Hostages", Rep. 1980, S. 40 para 86: " ... a self-contained regime ... ''. 35 IGH "WHO/Egypt", Rep. 1980, S. 89 f., para. 37: "International organizations are subjects of internationallaw, and as such, are bound by generat rules of internationallaw, ... "; US- Cotton Yam, WT/DS192/AB/R, para. 120; Korea- Procurement, WT/DS163/R, para. 7.96: "Customary internationallaw ... applies to the extent that the WTO treaty agreements do not ,contract out' from it."; Amerasinghe, S. 20; Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 107-121; Schermers/Blokker, §§ 15731581; Seidl-Hohenveldem!Loibl, Rn. 1512, 1613; Thirlway, BYIL LXVII (1996), s. 12.

B. Rechtsprinzipien des Verhältnisses zwischen Vertragsordnungen

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zieHen Vertragsordnungen gilt somit grundsätzlich36 das allgemeine Völkerrecht. Dies garantiert zwar eine Art "Mindestkohärenz". Es kann aber die Konflikte zwischen Bestimmungen des besonderen Völkerrechts oft nicht lösen37 und kann außerdem durch spezielle Normen verdrängt werden. 38 Von diesen Ausnahmen abgesehen sind die Ordnungen untereinander autonom. Daher sind Normenkollisionen und Programmkonflikte durch jedes Regime autonom für die eigene Ordnung zu lösen?9 Die gründet zum einen in dem Ziel, die Ordnung freizuhalten von Fremdbestimmung durch andere Ordnungen, in denen andere Parteien oder Interessen dominieren können.40 Zum anderen reduziert diese relativ starke Abgeschlossenheit die Vielzahl potentiell anwendbarer Normen und erhöht die Rechtssicherheit.41 Jede Ordnung bestimmt selbst, ob und inwieweit sie Vorgaben anderer Verträge bei der Auslegung des eigenen Rechts beachtet oder gar zu eigenem Recht macht, z. B. durch Inkorporation.42 Zwar hat der IGH die Völkerrechtssubjektivität der VN mit "objektiver Wirkung" auch gegenüber Staaten, die kein VN-Mitglied sind und diese nicht anerkennen, bejaht.43 36 David, S. 20; die Feststellung von Simma, NYIL XVI (1985), S. 135, zur Beweislast für ein "self-containment" von Repressalienregeln gilt für alle Normen des allgemeinen Völkerrechts, da sonst die auf der impliziten Einigung der Parteien beruhende Geltung des allgemeinen Völkerrechts umgangen werden könnte. 37 Trachtman, AJIL 96 (2002), S. 89 f.: "The default option, ... rather primitive". 38 YBILC 1966 II, S. 222 para. 16: " ... the relevance of rules of international law for the interpretation of treaties in any given case was dependent on the intentions of the parties."; beispielhaft Art. 5 WVKIO, ILM 25 (1986), S. 548 f. 39 Vgl. Art. 103 CVN, Art. 311 SRÜ; Treves, NYUJILaP 31 (1999), S. 809: " ... there are no general rules by which to sort questions of coordination and conflict. These ... aretobe solved within each ,self-contained system'."; Schermers!Blokker, § 12; Cass, EJIL 12 (2001), S. 65: "International trade law is deciding the boundaries between itself and other regimes .. .; and it is drawing upon other legal systems such as public international law in constituting the conflict rules for its own system."; a.A. Pauwelyn, eh. VII A.,VIII D., der die Prinzipien des Art. 30 WVK als übergeordnet ansieht. 40 Ein Beispiel sind Struktursicherungsklauseln wie Art. 300 Abs. 5, 6 EG, die nur solche Verträge zulassen, die mit dem eigenen Vertrag übereinstimmen; Schermers/Blokker, S. 469, " ... states want to create an autonomous institutional structure geared to the protection and promotion of their common interest. There is little inclination to ,borrow' ... organs of other organizations.... states prefer to remain masters of their own creature, and are hesitant to ,delegate'; .. . organs of other international organizations ... are perceived to belong to another institutional context.". 41 Gleichzeitig werden so zwar Regelungslücken aufrechterhalten; diese können aber durch Auslegung oder Vertragsergänzung geschlossen werden. 42 Treves, NYUJILaP 31 (1999), S. 809; Cass, EJIL 12 (2001), S. 65. 43 IGH "Reparation for Injuries", Rep. 1949, S. 185: " ... objective international personality, . ..".

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1. Teil, 2. Kap.: Programrnkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Hieraus folgt aber keine automatische, "objektive" Rechtspersönlichkeit anderer 1.0. gegenüber Nichtparteien oder gegenüber anderen 1.0.;44 erst recht läßt sich hieraus keine "objektive" Wirkung des Rechts eines Regimes in einer anderen Ordnung herleiten. 45 Nur wenn Vertragsordnungen eine bestimmte Kompetenz durch die Staatengemeinschaft exklusiv zugewiesen wurde, befolgen auch die anderen 1.0. deren Regeln. 46 11. Die Beziehungen zwischen VN und VN-Sonderorganisationen Eine gewisse Ausnahme zur Autonomie der 1.0. und ihrer Ordnungen ist das VN-System. Gemäß Art. 63 Abs. 2 CVN kann der Wirtschafts- und Sozialrat die Tätigkeit der VN-Sonderorganisationen koordinieren. 47 Hierdurch wird versucht, Programmkonflikte und Normenkollisionen zu verhindem bzw. zu lösen. Eine direkte wechselseitige Beeinflussung des Rechts der Sonderorganisationen folgt daraus aber nicht. 48 Vor allem besteht diese Koordinationskompetenz nur innerhalb des VN-Systems, nicht gegenüber ungebundenen 1.0. und Regimen, wie der WTO, dem Seerechtsübereinkommen und multilateralen Umweltabkommen. /li. Indirekte (Ver-)Bindung durch ordnungsfremde Bindungen der Vertragsparteien

Bestünde ein völkergewohnheitsrechtlicher Satz der "Völkerrechtssubjekts-Treue"49 oder ließen sich die im nationalen Recht von Mehrebenen44 So aber, unter Verweis auf "WHO/Egypt", Rep. 1980 S. 178, Sztucki, in: Müller, S. 143. 45 Bindschedler, in: Bernhardt, Vol. II, S. 1299; so bindet der Auftrag des SRÜ an die kompetenten 1.0., Normen und Standards für Meeresaktivitäten zu schaffen, diese 1.0. als SRÜ-Nichtparteien nicht unmittelbar, die 1.0. übernehmen die Aufgaben aber aufgrund der Zustimmung ihrer durch das SRÜ verpflichteten Parteien, Treves, MPUNYB 2 (1998), S. 329. 46 Schermers/Blokker, § 1580: "The distribution of different functions to various organizations obliges the world conununity to respect the competencies of each organization.". 47 Meng, in: Simma, Art. 63 Rn. 18 f.; außerdem kann die VN-GV den Verwaltungshaushalt der Sonderorganisationen prüfen und dazu Ernfehlungen abgeben (Art. 17 Abs. 3 CVN). 48 Klein, in: Graf Vitzthum, Rn. 234: ".. . eine Hierarchisierung des Gesamtsystems gerade nicht vollzogen wurde, ... " (Kursiv im Orig.); Meng, in: Sinuna, Art. 63 Rn. 18 f.; Blokker, in: Blokker/Schermers, S. 38-40; Seidl-Hohenveldem, in: Blokker/Schermers, S. 54 f. 49 In Anlehnung an die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit bzw. "Gemeinschaftstreue" des Art. 10 EG und an den ungeschriebenen Grundsatz der Bundestreue im deutschen Verfassungsrecht; Bleckmann, S. 26: "Der Grundsatz der Bun-

B. Rechtsprinzipien des Verhältnisses zwischen Vertragsordnungen

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Staaten festgeschriebenen Kooperationspflichten als allgemeines Rechtsprinzip auf die Inter-1.0.-Ebene übertragen, könnte dies zwar die 1.0. verpflichten, bei der Ausübung ihrer Kompetenzen aufeinander Rücksicht zu nehmen, 50 eine allgemeine Pflicht zur Berücksichtigung von Rechtssätzen anderer Verträge bei der Anwendung oder Auslegung des eigenen Rechts erwächst daraus aber nicht. 51 Diese geltende Rechtslage kann die Spannung nicht leugnen, welche existiert einerseits zwischen pacta tertiis-Regel und der Fixierung von 1.0. auf ihr eigenes Recht52 und andererseits der Tatsache, daß jede Vertragsordnung nur ein Teil des gesamten Völkerrechtsverkehrs ist, und daß bei Programmkonflikten mehrseitige Bindungen der Vertragsparteien bestehen und eine Erzwingung der einseitigen Befolgung nur der Normen einer Ordnung dem nicht gerecht wird. Letzteres spricht für ein Prinzip der Berücksichtigung der Ziele anderer Ordnungen bei der Auslegung vertragseigenen Rechts. 53 Die stetige Verdichtung des besonderen Völkerrechts durch neue Verträge und durch zumindest rechtspolitisch wirksames "soft law"54 zu Themen globaler Bedeutung55 sind eine Art Vorstufe einer internationalen Verfassungs- bzw. Gesetzgebung. 56 Dabei müssen sich die Staaten an ihren Verpflichtungen auch festhalten lassen, wenn diese konfligieren. So wie Konflikte kollidierender innerstaatlicher Normen unter Beachtung von Rang und Inhalt der Normen gelöst werden, verlangt auch der völkerrechtliche Verkehr zunehmend eine parallele, integrative Beachtung aller auf einen Sachverhalt anwendbaren völkerrechtlichen Normen. 57 Inwieweit die klassische, auf Kompetenzabgrenzung beruhende Isolierung der Ordnungen noch destreue gilt . . . auch im Gemeinschaftsrecht Ähnliche Ansätze lassen sich auch in der wesentlich lockerer integrierten Staatengemeinschaft des Völkerrechts finden."; zur Organtreue im Völkerrecht Klein, in: Graf Vitzthum, Rn. 186. 50 Ruffert, AVR 38 (2000), S. 162, 164, geht vom gegenwärtigen Entstehen einer solchen Regel aus; ähnlich Schermers/Blokker, § 1580: "The distribution of different functions to various organizations obliges the world community to respect the competencies of each organization.". 51 s. aber zu besonderen Berücksichtigungsgeboten aufgrund des Störungsverbots 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. e) dd), ee). 52 Jenks, BYIL XXX (1953), S. 428; Stoll, in: Wolfrum, S. 92. 53 s. 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. e) dd), ee). 54 Zur Bedeutung von "soft law" für die Auslegung des WTO-Rechts s. 2. Teil 3. Kapitel F. VI., VII. 55 Z.B. die Beschlüsse der VN-Konferenzen von Rio 1992, Wien 1993; Kairo 1994; Kopenhagen 1995, Peking 1995; Istanbul 1996. 56 Vetter, S. 329; Schermers/Blokker, § 1341. 57 Zur Kohärenz auf EU-Ebene Kadelbach, Einheit, S. 54--66; Müller-Graf!, s. 74-77.

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1. Teil, 2. Kap.: Programrnkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

lückenlos durchzuhalten ist, wird der weitere Umgang mit Programmkonflikten zeigen.58 Gegen eine allgemeine Anwendung ordnungsfremder Normen spricht neben einer gewissen Erschütterung der Rechtssicherheit59 vor allem die unterschiedliche Struktur der Normdurchsetzung in den verschiedenen Ordnungen.60 So begegnet eine allgemeine Beschränk:barkeit des Handels zur Verfolgung handelsverbundener Ziele starker Skepsis wegen der Gefahr protektionistischen Mißbrauchs.61 Der bessere Ausweg aus der Isolierung und Einkapselung einzelner Ordnungen ist daher indirekterer Art: oft läßt sich das Recht spezieller Ordnungen im Lichte des sonstigen Völkerrechts, v. a. anderer multilateraler, quasi-universeller Verträge auslegen, so daß widersprechende Verpflichtungen der Parteien und gegensätzliche Entscheidungen verschiedener 1.0. verhindert werden. 62 Wichtig ist dabei, daß ordnungsübergreifende Auslegungen die Rechtssicherheit innerhalb der Regime nicht beeinträchtigen.63 Auch muß verhindert werden, daß Staaten sich innerhalb einer Ordnung Pflichten gegenübersehen, denen sie sich in einem anderen Regime unter anderen kontextualen Bedingungen und mit anderen Durchsetzungsmechanismen unterworfen haben. 64

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten Die grundsätzliche Autonomie der Vertragsordnungen und ihre geringe normative Verbindung untereinander wirft die Frage auf, ob die Regeln des allgemeinen Völkerrechts zur Lösung von Normenkollisionen (auch) für die Behandlung der umfassenderen Programmkonflikte hinreichend effektiv 58 Im Bereich des WTO-Rechts ist insbesondere abzuwarten, ob das Biosicherheitsprotokoll (BSP), das eine Beschränkung der Einfuhr gentechnisch veränderter Organismen erlaubt, in WTO-Streitverfahren zumindest als Leitlinie bei der Auslegung des WTO-Rechts akzeptiert wird, s. 2. Teil 3. Kap. D. IV. 59 Während die Rechtssicherheit innerhalb einer Ordnung dadurch in Frage gestellt wird, wird die Sicherheit hinsichtlich der übergeordneten, alle Ordnungen beachtenden Rechtslage gestärkt. 60 s. 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. e) dd). 61 Roessler, UPaJintEconL 19 (1998), S. 514: " ... the integration of these subject matters into the multilateral trade order undermined both the trade order and the attainment of the objectives in those nontrade policy areas.". 62 Zur Bedeutung des Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK s. 2. Teil 3. Kap. D. III.; zur generellen Anwendbarkeit der Art. 31-33 WVK auf Gründungsverträge von 1.0. Klein, in: Graf Vitzthum, Rn. 39. 63 Treffend Roessler, in: Krueger, S. 226: " ... the main purpose of international bargaining is to create regimes, systems of rules and procedures making govemmental actions more predictable. Each of these regimes cannot fumish predictability if it is constantly exposed to the need to adjust to a breakdown in other regimes.". 64 s. 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. e) dd).

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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sind oder ob nach anderen Lösungsansätzen zu suchen ist. Sowohl im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK), als auch in der Wissenschaft finden sich vielfältige Ansätze zur Lösung von Normenkollisionen. Ihre Tauglichkeit für die Verringerung der skizzierten Programrnkonflikte zwischen Vertragsordnungen universeller Geltung bedarf aber kritischer Prüfung. Die Regeln der WVK sind auf Gründungsverträge von 1.0. anwendbar (Art. 5 WVK). Ratione temporis findet die WVK nur auf Verträge Anwendung, die von Staaten geschlossen wurden, nachdem die WVK für sie in Kraft getreten ist (Art. 4 WVK). Die WVK trat für die Erstunterzeichner am 27.01.1980 in Kraft. 65 Zwar sind nicht alle WTO-Mitglieder WVK-Parteien, die Auslegungsregeln der Art. 31, 32 WVK sind aber zu Völkergewohnheitsrecht geworden und leiten die Auslegung des WTO-Rechts gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 DSU.66 Darüber hinaus wendet die WTO-Rechtsprechung auch andere, nicht unmittelbar auslegungsrelevante Artikel der WVK an, insbesondere die Vorrangregeln des Art. 30 WVK.67 I. Jus cogens, internationaler ordre public Gemäß Art. 64 WVK wird jeder völkerrechtliche Vertrag nichtig, wenn und sobald eine neue zwingende Norm des Völkerrechts entsteht, deren Inhalt dem Vertrag widerspricht. Genau genommen handelt es sich hierbei nicht um eine Normenkollision, sondern um die Unwirksamkeit einer Norm, die einer für alle Völkerrechtssubjekte zwingenden Norm, welche von grundsätzlicher Bedeutung für den Völkerrechtsverkehr ist, widerspricht.68 lus cogens sind z. B. das Gewaltverbot und das Verbot von Folter und Zwangsarbeit. Zum Teil wird eine Begrenzung der WTO-rechtlichen Handelsfreiheiten durch ius cogens diskutiert. 69 Eine Außerkraftsetzung der Handelsfreiheit komme gegenüber Produkten und Dienstleistungen in Betracht, die auf Sklavenarbeit oder schlimmsten Formen der Kinderarbeit beruhen. Der IGH hat betont, daß essentielle Umweltstandards ius cogens sein können, hat es aber bisher unterlassen, dies näher zu untersuchen?° Folglich könnte ius cogens im Prinzip extreme Randgebiete des Verhältnisses 65 Das GATI 1947 wurde zwar vorher beschlossen, das GATI 1994 wurde als Teil des WTO-Übereinkommens aber erst am 15.4.1994, also nach lokrafttreten der WVK, unterzeichnet. 66 IGH "Libya v. Chad", Rep. 1994, S. 6; US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17. 67 s. 2. Teil 3. Kap. D. II. 2. 68 Kadelbach, Zwingend, S. 26; ders., GYIL 42 1999), S. 68 f.; Sztucki, S. 58 f.; Wilting, S. 48. 69 Diller/Levy, AJIL 91 (1997), S. 663, 665 f.

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Handel/Umwelt regeln. 71 So wird von manchen die absichtliche rechtswidrige Emission ozonzerstörender Stoffe als Verstoß gegen ius cogens angesehen.72 Allerdings würde umweltrechtliches ius cogens nur aus allgemeinen Prinzipien bestehen, nicht aus detaillierten, unmittelbar anwendbaren Pflichten.73 Abgesehen von vereinzelten Zweifeln an der Berechtigung der Figur des ius cogens in Staatenpraxis74 und Literatur75 und von Unklarheiten bezüglich der genauen Merkmale des ius cogens ist diese Kategorie schon wegen ihrer engen Begrenzung auf die Grundprinzipien des völkerrechtlichen Verkehrs nicht geeignet, die skizzierten Konflikte zu lösen. Das gleiche gilt für den internationalen ordre public, den die grundlegenden Prinzipien und Regeln des internationalen Rechts bilden?6 Dieser enthält zwar über das ius cogens hinaus nicht nur materiellrechtliche, sondern auch formelle Rechtsgrundsätze. 77 Diese lösen aber keine Programmkonflikte?8 II. Vorrangklauseln

Wegen ihrer aus Souveränität und Völkerrechtssubjektivität folgenden weitgehenden Vertragsfreiheit können Staaten in Vertragsordnungen Vorrangklausein verankern. Diese sollen den Anwendungsvorrang zwischen kollidierenden Verträgen regeln und werden in Art. 30 Abs. 2 WVK erwähnt. Während die meisten Vorrangklauseln nur materielle Konflikte lösen sollen, regeln manche auch oder nur das Verhältnis zwischen Streitbeile70 IGH "Gabcikovo-Nagymaros", Rep. 1997, S. 67 f.; dafür sprechen auch die ILC-Entwürfe zu Art. 19 Abs. 3 lit. d) über die Staatenverantwortlichkeit; 1976 meinte die ILC, ein Großteil des Umweltvölkerrechts würde in absehbarer Zeit ius cogens, YBILC 1976 Vol. II, S. 109. 71 Zurückhaltend Beyerlin, Rn. 131-133; Gramlich, AVR 33 (1995), S. 164; bejahend Komicker, S. 158. 72 Biermann, AVR 34 (1996), S. 452; s. auch die Diskussion im WBGU-Jahresbericht 1996, S. 89. 73 Komicker, S. 158; Ziemer, S. 208 f. 74 Das Konzept war wesentlicher Grund für Frankreichs fehlende Unterzeichnung der WVK. 75 Schwarzenberger, S. 472 f. ; Weil, AJIL 77 (1983), S. 413 f. 76 Gowland-Debbas, in: Byers, S. 281 f. m. w. N.; Girsberger, DGVR 39(1999), S. 247 Fn. 91 m. w.N.; Eek, RdC 139 (1973-11), S. 20 f.; Hambro, RdC 105 (19621), s. 36 f. 77 Der EuGH erlaubt iRd. europäischen ordre public (Art. 27 EuGVÜ) die Berücksichtigung der EMRK und der EG/EU-Grundrechte, EuGH Rs. C-7/98 "Krambach" (28.3.00), EWS 11 (2000), S. 456 ff.; Rs. C-38/98 "Renault/Maxicar" (11.5.00); s. Gundel, EWS 11 (2000), S. 442-448. 78 Wilting, S. 51: " ... nur in Ausnahmefällen konkrete Sachverhalte regeln und daher für Fragen der Vertragskonkurrenz von geringer Bedeutung sind.".

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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gungsverfahren.79 Manche Vorrangklauseln finden sich in der Vertragspräambel (z.B. in PICCP, BSP), andere im operativen Text (z.B. Art. 22 Abs. 1 CBD, Art. 104 NAFI'A). Es lassen sich vor allem vorranggewährende (1.) und vorrangbeanspruchende (2.) Klauseln unterscheiden. Manchmal wird auch die Gleichrangigkeil von Abkommen angeordnet (3.) oder es exisiteren mehrere, widersprüchliche Klauseln (4.). Schließlich wird das Vorrangverhältnis zwischen den wichtigsten Abkommen des WTO-Rechts untersucht (5.). 1. Vorranggewährende Klauseln

Gemäß Art. 30 Abs. 2 WVK kann ein Vertrag im Falle eines Widerspruchs mit älteren, gleichaltrigen oder jüngeren Verträgen diesen den Vorrang einräumen. Diese Gewährung kann sowohl auf bestimmte genannte Verträge begrenzt sein, als auch per Generalklausel alle Abkommen (einer bestimmten Art) umfassen oder ein Vertragsorgan zur Einordnung bestehender oder künftiger Verträge unter diese Klausel ermächtigen. Vorranggewährende Klauseln vermeiden manche Konflikte durch freiwillige Unterordnung der eigenen Ordnung und ihrer Ziele. Inwieweit sie zur Lösung von Konflikten zwischen gleichrangigen Zielen in der Lage sind, ist näher zu untersuchen. Ein Beispiel für eine vorranggewährende Klausel ist Art. 104 NA.FfA. Er gewährt bestimmten multilateralen Umweltverträgen80 Vorrang gegenüber den NAFI'A-Bestimmungen. Auch für die von der WTO verwalteten Verträge, insbesondere für das GATT, wird die Einführung einer über die Ausnahmen des Art. XX lit. b), g) GATT hinausgehenden ausdrücklichen Vorrangklausel für (bestimmte) multilaterale Umweltverträge vorgeschlagen.81 Das CITES-Sekretariat interpretiert Art. XX GATT zwar als eine vorranggewährende Klausel zugunsten von MEAs,82 diese Ansicht hat aber bei den WTO-Mitgliedem keine Unterstützung erfahren und ist in ihrer Generalität nicht mit der Auslegungsregel der Art. 31, 32 WVK vereinbar.

Zu letzteren z.B. Marceau, JWT 35/6 (2001), S. 1110 f. Diese sind gegenwärtig CITES, das Montrealer Ozon-Protokoll, die Basler Abfall-Konvention und zwei bilaterale Abkommen. 81 s. u. 2. Teil 3. Kap. A. III. 2. 82 CITES Sekretariat, WT/CTE/W/165 (13.10.00), paras. 19 f.: "We understand that Article XX provides for a ,compatibility clause', which means that the WTO rules are to be interpreted in such a way so as not to affect the rights and obligations of Parties under the MEAs. Consequently, Article XX cannot be interpreted as annulling all the trade measures prescribed by MEAs, ...". 79

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

2. Vorrangbeanspruchende Klauseln Im Gegensatz zu vorranggewährenden Klauseln verlangen vorrangbeanspruchende Klauseln das Zurücktreten kollidierender Verträge. 83 Voraussetzung ihrer Rechtswirkung ist, daß sie nicht ihrerseits durch widersprechende jüngere vorrangbeanspruchende Klauseln aufgrund der Iex posterior-Regel ausgeschaltet werden. Dogmatisch streitig ist, ob bzw. inwieweit Vorrangklauseln auch gegenüber Parteien wirken, die nicht Partei des vorrangbeanspruchenden Vertrages sind. Hier ist wegen der gewohnheitsrechtliehen pacta tertiis-Regel von einer fehlenden rechtlichen Wirkung der Klausel auszugehen.84 Diese wird im Falle grundlegender Abkommen wie der Charta der Vereinten Nationen (CVN) aber durch ihre politische Bedeutung kompensiert. Wichtige Beispiele für vorrangbeanspruchende Klauseln sind Art. 103 CVN und Art. 311 Abs. 2, 3 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ). a) Art. 103 CVN

Gemäß Art. 103 CVN haben Verpflichtungen von VN-Mitgliedern aus der CVN gegenüber widersprechenden Pflichten aus anderen Verträgen Vorrang. Dies reflektiert die fundamentale Bedeutung der Einhaltung der VN-Charta für die Bewahrung des Weltfriedens und für die internationale Zusammenarbeit. Es bekräftigt den Anspruch der VN-Charta als Quasi-Verfassung der Völkergemeinschaft Rechtsfolge des Art. 103 CVN ist nicht die Nichtigkeit der widersprechenden Norm, sondern ein Anwendungsvorrang im Einzelfall,85 vergleichbar dem Anwendunisvorrang des EU-lEGRechts gegenüber dem Recht der Mitgliedsstaaten. 8 Diesen Anwendungsvorrang berücksichtigt Art. 30 Abs. 1 WVK, der durch Art. 103 CVN beeinflußte Rechtsbeziehungen von den Vorrangfolgen des Art. 30 WVK ausnimmt. Allerdings entfaltet Art. 103 CVN keine direkte Wirkung gegenüber Nichtmitgliedern der VN, welche an die Einhaltung der VN-Pflichten nur insoweit gebunden sind, wie diese Gewohnheits83 Czapilinski!Danilenko, NYIL XXI (1990), S. 21: ,,relative jus cogens"; manche Vorrangregeln beschränken sich auf die Pflicht ihrer Parteien, sich nicht auf entgegenstehende Verträge zu berufen, wenn dies die eigene Wirksamkeit beeinträchtigt, z.B. Art. VII Abs. 5 IWFA; zur Pflicht, Widersprüche zu beseitigen s. Art. 307 UAbs. 2 EG. 84 Statt vieler Kar[, in: Bemhardt, Vol. IV, S. 939. 85 Bemhardt, in: Simma (CVN), Art. 103 Rn. 6; Flory, in: Cot/Pellet, S. 1384; Wilting, S. 56 f.; a.A. Lauterpacht, in: Oppenheim, 8. Auf!. Bd. I, S. 896; Guggenheim, RdC 74(1949-1), S. 220. 86 EuGH, "Costa/ENEL", Rs. 6/64 Slg. 1964, 1259.

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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recht bzw. ius cogens wiedergeben. Nur innerhalb der VN begründet Art. 103 CVN die Pflicht, unvereinbare Verpflichtungen gegenüber Nichtmitgliedern nicht zu erfüllen bzw. gar nicht erst einzugehen. 87 Dies entspricht dem klareren Wortlaut des Art. 20 der Völkerbundsatzung (VBS). 88 Nach dessen Abs. 1 waren entgegenstehende Vereinbarungen nur zwischen den VB-Mitgliedern ungültig, nach Abs. 2 war aber jedes VB-Mitglied verpflichtet, sich gegenüber Nichtmitgliedern aus kollidierenden Verpflichtungen zu lösen. Allerdings ist die politische Bedeutung des Art. 103 CVN gegenüber Drittstaaten zu betonen, da er sie zumindest faktisch zur Unterordnung entgegenstehender Ansprüche bewegen dürfte. 89 Innerhalb anderer Vertragsordnungen vorzunehmende Akte sind durch die Bindung ihrer Mitgliedsstaaten als VN-Mitglieder faktisch an den Vorrang der CVN gebunden.90 Für Verträge zwischen 1.0. wurde der Vorrang von Pflichten nach Art. 103 CVN in Art. 30 Abs. 6 WVKIO übemommen. 91 Aktuelle Bedeutung hat Art. 103 CVN u.a. 92 in den vom IGH für zulässig erklärten Klagen Libyens gegen die USA und Großbritannien wegen behaupteten Verstoßes gegen die Chicagoer Konvention für Internationale Zivilluftfahrt.93 Die USA machen eine Derogation von ihren Konventionspflichten durch die Resolution 748/92 des VN-Sicherheitsrats gemäß Art. 103 CVN geltend. Der IGH hat dies für nicht offensichtlich zutreffend erklärt und daher die Verfahren zugelassen. Andererseits hat der IGH prima facie bejaht, daß auch VN-Sekundärrecht von der Vorrangregel des Art. 103 CVN profitiert. 94 Es bleibt abzuwarten, welche Bedeutung der IGH dem 87 Bemhardt: in Sirnma (CVN), Art. 103 Rn. 6, liest aus dem weiten Wortlaut des Art. 103 CVN einen Vorranganspruch gegenüber Nichtmitgliedern heraus, läßt dessen Rechtswirkung aber offen: "Es bleibt zu prüfen, zu welchen rechtlichen Konsequenzen das . . . führt."; für eine unmittelbare Wirkung gegenüber Nichtmitgliedern wegen des VN-Ziels der Friedenserhaltung Cadoux, RGDIP LXIII (1959), S. 658; Kelsen, UN, S. 113; Köck, in: Ginther, S. 85 f. 88 Goodrich/Hambro/Simons, S. 614 f. 89 Reuter, S. 130; auf diese mittelbare Bindung deutet auch Art. 2 Abs. 6 CVN hin; es sei die geringe Zahl von Nichtmitgliedern bemerkt. 90 Klein, in: Graf Vitzthum, Rn. 30. 91 Bemhardt, in: Sirnma (CVN), Art. 103 Rn. 5; Klein/Pechstein, S. 54 halten Art. 30 Abs. 6 WVKIO für doppeldeutig, deuten aber auf die mittelbare Bindung der 1.0. über die Bindung ihrer Parteien hin. 92 Zur Frage, inwieweit Art. 103 CVN i. V. m. Art. 2 Abs. 4 CVN ,,humanitäre Interventionen" verbietet, Dominice, S. 221-236; Diller/Levy, AJIL 91 (1997), S. 695 sehen Art. 103, 55 CVN als Gebot der VN-Mitglieder und der von ihnen gegründeten 1.0., grundlegende Arbeitsrechte zu achten. 93 IGH "Lockerbie", Rep. 1998; vgl. Martenczuk, EJIL 10 (1999), S. 544-547; Becker, ASIL Insight 3/98; Seidl-Hohenveldem, in: Klabbers/Lefeber, S. 17. 94 IGH ,,Lockerbie", Rep. 1992, S. 16 para. 39, S. 126 para. 42; ebenso Perrin de Brichambaut, in: Byers, S. 274; Jenks, RdC 77 (1950-11), S. 185.

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Art. 103 CVN für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen VN-fremden

Verträgen und Entscheidungen des VN-Sicherheitsrats in der Hauptsacheentscheidung beimessen wird.

In "Nicaragua" bejahte der IGH seine Kompetenz anstelle des "Contadora-Verfahrens" durch Verweis auf die Vorrangklausel des Art. 103 CVN.95 Diese Bezugnahme auf Art. 103 CVN für die Entscheidung prozessualer Kompetenzkonflikte ist zu Recht auf Ablehnung gestoßen. Die VNCharta verbietet ihren Parteien nämlich nicht, die Zuständigkeit des IGH zugunsten vorrangiger VN-fremde Streitverfahren auszuschließen. Dies belegt Art. 95 CVN.96 b) Art. 311 Abs. 2, 3 Seerechtsübereinkommen (SRÜ)

Gemäß Art. 311 Abs. 2 SRÜ läßt das SRÜ die Rechte und Pflichten von SRÜ-Parteien aus anderen Übereinkünften grundsätzlich unberührt. Allerdings gilt dies nur, wenn die anderen Übereinkünfte mit dem SRÜ vereinbar sind und andere SRÜ-Parteien nicht im Genuß ihrer Rechte oder der Erfüllung ihrer Pflichten aus dem SRÜ beeinträchtigen. Durch diese Bedingungen wird implizit ein Vorranganspruch gegenüber allen die Bedingungen nicht erfüllenden Verträgen erhoben, soweit diese kollidieren.97 Dies ist eine klare Abweichung von den Vorrangregeln des Art. 30 WVK und kann zu Konflikten mit der pacta tertiis-Regel der Art. 34, 35 WVK führen. 98 Dem ähnelt Art. 22 Abs. 1 der Konvention über die biologische Vielfalt, wonach die Rechte und Pflichten der Parteien aus anderen Verträgen nicht beeinträchtigt werden, außer wenn ihre Ausübung einen schweren Schaden oder eine schwere Bedrohung der biologischen Vielfalt darstellt. 99 Abs. 3 des Art. 311 SRÜ macht wie Art. 41 WVK Vorgaben für vom SRÜ abweichende inter se-Abkommen. 100 Danach dürfen Übereinkünfte zwischen SRÜ-Parteien SRÜ-Normen modifizieren oder suspendieren, sie 95 IGH ,,Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua", Rep. 1984, S. 440 paras. 106 f. 96 Bemhardt, in: Simrna (CVN), Art. 103 Rn. 21. 97 Vukas, in: Götz u. a., S. 649: "The LOS Convention thus pretends to prevail over all other agreements in the field"; ebenso Guruswamy, MinnJGlTr 7 (1998), S. 305, zum spezielleren Art. 237 Abs. 2 SRÜ. 98 Skourtos, in: Nordquist/Moore, S. 191; Vukas, in: Götz u.a., S. 650: " ..., it disregards ... article 34 ... ". 99 Zu den Unklarheiten, ob Art. 22 Abs. 1 CBD auch spätere Verträge erfaßt und wer eine den Vorranganspruch auslösende Schädigung/Bedrohung der biologischen Vielfalt feststellen darf, s. Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 153-155, und Werksman, Linkages, S. 4 f. 100 Nordquist/S/R, Art. 311, Rn. 311.11; Roucounas, RdC 206 (1987/VI), s. 234 f.

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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dürfen sich jedoch nicht auf eine SRÜ-Norm beziehen, von der abzuweichen mit der Verwirklichung von Ziel und Zweck des SRÜ unvereinbar ist oder die wesentlichen Grundsätze bzw. Rechte und Pflichten anderer Parteien beeinträchtigt. 101 Dies umfaßt nicht nur die Modifizierung/Suspendierung des SRÜ durch explizit divergierende Normen, sondern auch die Anwendung von Übereinkünften, die nicht explizit, sondern aufgrund ihres Inhalts, Zwecks oder Kontexts vom SRÜ abweichen. Dies können nicht nur Abkommen desselben Sachgebietes, 102 also des Seerechts sein, sondern sämtliche konfligierende Normen, z. B. WTO-Recht. Zur Rechtsfolge des Art. 311 SRÜ wird zum Teil die Ansicht vertreten, er bewirke die automatische Nichtigkeit kollidierender Übereinkünfte. 103 Dies findet im Wortlaut des Art. 311 SRÜ jedoch keine Grundlage. Die Feststellung einer Nichtigkeit wäre gegenüber SRÜ-Parteien rechtlich möglich, gegenüber Drittstaaten scheitert sie aber an der pacta tertiis-Regel (Art. 34 WVK). Daß eine Norm zwischen einigen Parteien nichtig und zwischen anderen weiterhin gültig ist, ist zwar rechtlich möglich, aber außergewöhnlich und führt regelmäßig zu Ergebnissen, die dem multilateralen Charakter des Vertrags unangemessen sind. Während die 1969 beschlossenen Art. 53, 64 WVK für gegen ius cogens verstoßende Verträge die Nichtigkeit ausdrücklich anordnen, ist dies im wenige Jahre später beschlossenen Art. 311 SRÜ gerade nicht geschehen. Aus diesen Gründen liegt es näher, Verstöße gegen den vorrangigen Vertrag nur mit einer Unanwendbarkeit des verstoßenden Vertrages im einzelnen Streitfall zwischen den SRÜ-Parteien zu sanktionieren, 104 vergleichbar dem Anwendungsvorrang des EUlEGRechts. Manche prognostizieren, internationale Gerichte würden bei einem Konflikt zwischen SRÜ und anderem Recht wegen Art. 311 SRÜ das entgegenstehende Recht als verdrängt ansehen. 105 Dies dürfte aber nicht für WTO-Panel gelten, da das SRÜ hier gemäß Art. 1, 7, 11 DSU nicht anwendbar ist. Es kommt nur eine interpretative Beeinflussung von WTORecht durch das SRÜ gemäß Art. 3 Abs. 2 DSU, Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK in Frage. 106 101 Unberührt von der Vorrangklausel bleiben Übereinkünfte, die das SRÜ ausdrücklich zuläßt (Art. 311 Abs. 5 SRÜ); das SRÜ enthält fast siebzig Verweise auf andere Verträge, Skourtos, in: Nordquist/Moore, S. 190; Nordquist/S/R, Art. 311, Rn. 311.8. 102 A.A. bzgl. Art. 311 Abs. 2 wohl Vukas, in: Götz u.a., S. 649: "The LOS Convention thus pretends to prevail over all the other agreements in the field.". 103 Rosenne, Breach, S. 93; McLaughlin, GlELR X (1997/98), S. 76. 104 Vukas, in: Götz u.a., S. 649. 105 Rosenne, Breach, S. 93; McLaughlin, GlELR X (1997/98), S. 58 f.: " .. . it is reasonable to believe that a future international tribunal could choose to disregard WTO/GATI if the implementation of its provisions are found to be incompatible with the object and purpose of UNCLOS.".

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Art. 311 SRÜ verpflichtet die SRÜ-Parteien, mit dem SRÜ unvereinbare Verträge auch gegenüber Drittstaaten nicht anzuwenden. 107 Insoweit wird z. T. von einer Mißachtung der pacta tertiis-Regel gesprochen, 108 so weit gehe nicht einmal Art. 103 CVN. Dem kann aber nicht gefolgt werden. Die Vertragspflicht der SRÜ-Parteien, widersprechende Normen zu mißachten, berührt die Rechte und Pflichten der Nichtparteien aus anderen Verträgen rechtlich gesehen nicht. Art. 34 WVK schützt sie gerade vor einer solchen rechtlichen Beeinträchtigung. Ziel des Art. 34 WVK ist es jedoch nicht, vor politischem Druck aufgrund kollidierender Pflichten zu schützen. Die tatsächlichen Spannungen zwischen konfligierenden Verträgen kann Art. 34 WVK nicht auflösen; ihm kommt nicht die Rolle eines Verbots jeglicher (regimeinterner) Vorrangansprüche zu. 109 Daher verletzt die SRÜ-interne Pflicht der Mißachtung unvereinbarer Verträge auch gegenüber Drittstaaten nicht den Art. 34 WVK. 3. Explizite Anordnung der Gleichrangigkeit von Verträgen Die drei letzten Erwägungsgründe der Präambel des Biosicherheitsprotokolls (BSP), die das Verhältnis des BSP zu anderen Verträgen regeln, scheinen sich zu widersprechen. 110 Einerseits spricht die vorletzte Erwägung davon, daß Rechte und Pflichten anderer Übereinkünfte nicht geändert werden sollen. Andererseits stellt die letzte Erwägung fest, daß die vorletzte Erwägung nicht zu einer Unterordnung des BSP unter andere Verträge führen soll. Von besonderer Bedeutung ist die drittletzte Erwägung. Diese erkennt an, daß Handelsrecht und Umweltrecht sich gegenseitig unterstützen sollen, um eine "nachhaltige Entwicklung" zu erreichen. In der Präambel des BSP ist somit bestimmt, daß dieses gegenüber WTO-Recht gleichrangig sein soll. III Fraglich ist, ob dies nur eine deklaratorische Bekräftigung der grundsätzlichen Gleichrangigkeit völkerrechtlicher Verträge ist oder ob die Klausel konstitutive Bedeutung aufweist. Auch wenn zwischen völkerrechtlichen Verträgen grundsätzlich Gleichrangigkeit herrscht, gilt für das Verhältnis s. 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. Vukas, in: Götz u.a., S. 649; unklar Skourtos, in: Nordquist/Moore, S. 191. 108 Skourtos, in: Nordquist/Moore, S. 191; Vukas, in: Götz u.a., S. 650. 109 Die Behauptung von Enders, in: Van Dijck/Faber, S. 65, das Verhältnis von SRÜ und GATT sei geregelt, beschränkt sich auf die Anerkennung der Anwendbarkeit des GATT auf die Meeresbodenbewirtschaftung. 110 Hagen!Weiner, GIELR XII (2000), S. 707: " ... the last two Statements appear to contradict one another"; Steinmann/Strack, NuR 22 (2000), S. 372: "Durch diese gegensätzlichen Aussagen wird keine klärende Aussage zur WTO-Kompatibilität von Maßnahmen unter dem Protokoll getroffen.". 111 Zu dieser Bedeutung der BSP-Präambel s. 3. Kap. D. IV. 4. a). 106 107

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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zwischen früheren und späteren Verträgen über denselben Gegenstand Art. 30 WVK, der bei Konflikten die prinzipielle Gleichrangigkeit in ein Vorrangverhältnis transformieren soll. Das BSP ist ein Vertrag i. S. d. Art. 2 Abs. 1 lit. a) WVK, der dem WTO-Recht zeitlich i. S. d. Art. 30 WVK nachfolgt. Indem das BSP Regeln für den Handel mit gentechnisch veränderten Lebewesen aufstellt, betrifft es denselben Gegenstand wie ein Teil des GATT/TBT/SPS. Somit ist Art. 30 WVK anwendbar. Gemäß Art. 30 Abs. 1 WVK bestimmt sich das Verhältnis nach Abs. 2-5. Abs. 2 nennt die Rechtsfolge einer vorranggewährenden Klausel, nicht aber einer Gleichrangigkeitsklausel. Abs. 3 fände nur Anwendung, wenn alle Parteien beiden Verträgen angehörten. Gemäß Art. 30 Abs. 4 fände gegenüber WTO-Mitgliedem, die durch das BSP nicht gebunden sind, nur WTO-Recht Anwendung, zwischen Parteien, die durch beide Verträge verbunden sind, fände im Konfliktfall nur das BSP Anwendung. Daher hat die Gleichrangigkeitsklausel der BSP-Präambel nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive Bedeutung und modifiziert die von Art. 30 WVK angeordnete Rechtsfolge. Die Bezugnahme auf WTO-Recht und die Bestimmung der "Gleichrangigkeit" soll darüber hinaus sicherstellen, daß sich WTO-Mitglieder, die BSP-Partei sind, gegenüber anderen WTO-Mitgliedem, die auch BSP-Partei sind, auch ohne WTO-rechtliche MEA-Klausel in Streitfällen auf das BSP als WTO-fremdes Recht für die Rechtfertigung von Handelsbeschränkungen im Rahmen der Auslegung des WTO-Rechts berufen können. 4. Abweichende bzw. widersprüchliche Klauseln im seihen Vertrag Manche Verträge enthalten mehrere Vorrangregelungen, 112 die sich teilweise widersprechen oder neutralisieren. Die Präambel des Biosicherheitsprotokolls113 enthält eine Gleichrangigkeitsklausel und eine Unberührtheitsklausel. Die drei letzten Erwägungsgründe der BSP-Präambel scheinen sich daher prima facie teilweise zu widersprechenY 4 Wie gezeigt (3.) postulieren sie letztlich die Gleichrangigkeit von BSP und anderen Verträgen (z. B. WTOA), so daß ein Ausgleich zwischen beiden zu suchen ist. Daß die Rechte und Pflichten anderer Verträge nicht geändert werden sollen, verhindert, daß das BSP WTO-Recht als Iex specialis verdrängt oder daß BSP112 Laut Wilting, S. 68, sind Kombinationen mehrerer Klauseln durchaus verbreitet; zur Parallelität der allgemeinen Vorrangregel in Art. 103 NAFfA, die einen grundsätzlichen Vorrang des NAFfA statuiert, und des spezielleren Anhang 702 Abs. 1 NAFfA, der einen Vorrang des GATI vorsieht, Marceau, in: Petersmann, s. 534. 113 lLM 39 (2000), S. 1027 ff. 114 Hagen/Weiner, GIELR XII (2000), S. 707: " ... the last two Statements appear to contradict one another"; Steinmann/Strack, NuR 22 (2000), S. 372.

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Maßnahmen nicht mehr einer Prüfung durch die WTO unterlägen. Daher sind die im BSP erlaubten Handelsbeschränkungen wegen Art. XX lit. b), g) GATT bzw. Art. XIV lit. b) GATS grundsätzlich rechtmäßig, ihre Anwendung muß aber die Bedingungen der Einleitungssätze dieser Ausnahmenormen erfüllen. 5. Vorrangregeln innerhalb des WTO-Rechts Nicht nur zwischen WTO-Recht und anderen Vertragsordnungen existieren Normenkollisionen. Auch zwischen den dem WTOA unterfallenden Abkommen finden sich Überschneidungen und Kollisionen im sachlichen Anwendungsbereich, 115 so daß zu entscheiden ist, ob die Abkommen parallel anwendbar sind oder ob ein Anwendungsvorrang eines spezielleren Abkommens besteht. Es lassen sich vier Gruppen von Kollisionen unterscheiden: erstens das Verhältnis zwischen dem WTOA und einem anderen multilateralen Abkommen der WTOA-Anhänge 1-3, zweitens das Verhältnis zwischen der Streitbeilegungsvereinbarung (DSU) und speziellen Streitbeilegungsnormen anderer Abkommen, drittens das Verhältnis zwischen den Abkommen über Warenhandel (WTOA-Anhang 1A) und viertens das Verhältnis zwischen den Warenabkommen und dem GATS, zwischen den Warenabkommen und dem TRIPS sowie zwischen GATS und TRIPS.

a) Verhältnis zwischen WTOA und anderen multilateralen Abkommen Art. XVI Abs. 3 WTOA klärt das Verhältnis zwischen WTOA und anderen multilateralen WTO-Abkommen. Danach haben die Bestimmungen des WTOA im Ausmaß der Normenkollision Vorrang. Dies räumt dem WTOA eine Art Verfassungsfunktion innerhalb des WTO-Rechts ein. Wegen ihrer Begrenzung auf die Abkommen, die gemäß Art. II Abs. 2 WTOA Bestandteil des WTOA sind, begründet diese Vorrangregel keinen mit Art. 34 WVK kollidierenden Vorranganspruch.

b) Das Verhältnis zwischen DSU und speziellen Streitbeilegungsnormen Anhang 2 des DSU zählt die in WTO-Abkommen enthaltenen Streitbeilegungsregeln auf, die das DSU ergänzen. Gemäß Art. l Abs. 2 S. 1, 2 DSU sind bei einem Unterschied ("difference") zwischen DSU und den besonderen Streitbeilegungsnormen letztere als Spezialbestimmungen maßgeblich. Der AB mißt dem Begriff "difference" denselben Gehalt zu wie dem Begriff "conflict" in Art. XVI Abs. 3 WTOA und Art. 17 Anti-Dumping115

s.o. A. I. 3. b).

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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Abkommen. 116 Nur soweit ein Unterschied im Sinne eines inhaltlichen Konflikts besteht, verdrängt die Spezialnorm das DSU. 117 Den Fall, daß mehrere zur Anwendung kommende Spezialnormen der Streitbeilegung kollidieren, regelt Art. 1 Abs. 2 S. 3, 4 DSU. Danach legt der Vorsitzende des Streitbeilegungsgrerniums (DSB) nach Rücksprache mit den Parteien die anzuwenden Regeln innerhalb von zehn Tagen nach Antrag einer Partei fest. Ein solcher Antrag kann erst gestellt werden, wenn die Parteien sich nicht innerhalb von zwanzig Tagen nach Einsetzung des Panel auf die Verfahrensregeln geeinigt haben. Der DSB-Vorsitzende soll die besonderen Normen so weit wie möglich zur Anwendung kommen lassen, die Bestimmungen des DSU können aber als konfliktvermeidender Komprorniß herangezogen werden, so daß ausnahmsweise die Regel "Iex generalis specialia derogat" Anwendung fände. c) Das Verhältnis zwischen den Warenabkommen (WTOA-Anhang JA)

Gemäß der Anmerkung der Mitglieder zur Auslegung des WTOA-Anhangs lA gehen bei einem Konflikt zwischen GATT 1994 und anderen Warenabkommen die Vorschriften der anderen Warenabkommen dem GATT 1994 vor. Nach Art. 21 Abs. 1 des Abkommens über Landwirtschaft (AoA) hat dieses vor allen anderen Anhang lA-Abkommen Vorrang. 118 Auch das Abkommen über Textilien und Bekleidung ist laut seinem Art. 1 Abs. 6 vorrangige lex specialis. Das Verhältnis zwischen TBT und SPS wird durch den vorrangbeanspruchenden Art. 1 Abs. 4 SPS geklärt: danach ist für technische Vorschriften des Gesundheitsschutzes das SPS das Spezialabkommen. Soweit eine Normenkollision nicht besteht, sind die Abkommen parallel anzuwenden, so daß eine größtmögliche Handelsfreiheit erreicht wirdY 9 Dies gilt meist für das Verhältnis zwischen GATT und den seine Anwendung operationalisierenden Abkommen, z. B. für die Beziehung zwischen Guatemala- Cement I, WT/DS/60/AB/R, paras. 65. Guatemala- Cement I, WT/DS/60/AB/R, paras. 66; ebenso Brazil- Aircraft, WT/DS46/ARB, para. 3.57. 118 Nach EC - Bananas, WT/DS27/AB/R, paras. 155- 158, befreien die Art. 4, 21 Landwirtschaftsabkommen aber nicht von Art. XIII GATT, denn Derogationen müßten ausdrücklich ergehen, zustimmend Montaguti!Lugard, HEL 3 (2000), s. 477 f. 119 Brazil - Coconut, WT/DS22/AB/R, S. 16; Argentina - Footwear, WT/ DS12l/AB/R, paras. 84, 89; Korea- Dairy, WT/DS98/AB/R, paras. 74, 77; Indonesia- Automobiles, WT/DS54, 55, 59, 64/R, paras. 14.56, 14.62; so auch Turkey - Restrictions, WT/DS34/R, para. 9.92, für das Verhältnis zwischen GATT-Normen; zustimmend Montaguti!Lugard, HEL 3 (2000), S. 481--484. 116 117

6 Neumann

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Art. XIX GATT und dem Abkommen über Schutzmaßnahmen (SA) 120 und für das Verhältnis zwischen Art. VI GATT und dem Anti-Dumpingabkommen (ADA) bzw. dem Subventionsabkommen (SCM). 121 Dies ist aber nur eine allgemeine Leitlinie und entbindet nicht von der Prüfung der konkreten Umstände des Falles hinsichtlich einer möglichen Normenkollision, welche den Vorrang des Spezialabkommens auslösen würde. 122 Auch die Prüfung einer Verletzung von WTO-Recht beginnt mit dem detaillierteren Abkommen. 123 Welches Abkommen detaillierte Vorgaben aufweist, hängt wieder vom jeweiligen Sachverhalt ab. 124

d) Das Verhältnis zwischen Warenabkommen und GATS, Warenabkommen und TRIPS, GATS und TRIPS aa) Das Verhältnis zwischen Warenabkommen und GATS Das Verhältnis zwischen GATT (dem wichtigsten Warenabkommen) und GATS ist in zwei Streitverfahren geklärt worden. In "Canada - Periodicals" vertrat Kanada die Auffassung, daß Maßnahmen, die den Dienstleistungssektor direkt betreffen, den Warenhandel aber nur indirekt, das GATI nicht verletzen könnten, wenn im Dienstleistungssektor keine speziellen Zugeständnisse gemacht worden seien. 125 Dieser Argumentation ist weder das Panel, noch der AB gefolgt. Demnach kann das GATS GATT-Pflichten nicht verdrängen, die Abkommen sind parallel anwendbar. Zur Begründung wurde auf Ziel und Zweck der Abkommen verwiesen, auf Art. III Abs. 4 GATT, der die Dienstleistungen der Beförderung und Verteilung als wichtige Voraussetzungen des Warenverkehrs schützt, und auf die Entscheidungspraxis unter dem GATT 1947.126 In "EC - Bananas" argumentierte die EG, die Bananenmarktordnung ziele auf Beschränkungen des Güterhandels, nicht aber der damit verbunde120 Argentina- Footwear, WT/DS121/AB/R, paras. 91-96; Korea- Dairy, WT/ DS98/AB/R, paras. 84-89; kritisch Rhagavan, in: Khor, South-North Development Monitor 4746 (25.9.2000); Lee, JWT 34/2 (2000), S. 135-137. 121 Art. 1 ADA; Brazil- Coconut, WT/DS22/R, Fn. 60; WT/DS22/AB/R, S. 14; US- 1916 Act, WT/DS 136, 162/AB/R. 122 Brazil - Coconut, WT/DS22/AB/R, S. 14: " . . . must be examined on a caseby-case basis."; US- FSC, WT/DS108/AB/R, para. 116. 123 EC - Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 204; Indonesia- Automobiles, WT/ DS54, 55, 59, 64/R, para. 14.63, EC- Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.16. 124 Canada- Automotive Industry, WT/DS139, 142/R, para. 10.63. 125 Canada - Periodicals, WT/DS31/R, paras. 5.13-5.19; WT/DS31/AB/R, s. 17-20. 126 Canada - Periodicals, WT/DS31/R, para. 5.17; WT/DS31/AB/R, S. 18-21; Falke, ZEuS 3 (2000), S. 315.

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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neo Dienstleistungen. Diese seien nur indirekt berührt. Dem GATS unterfielen gemäß Art. 1 Abs. 1 GATS nur Maßnahmen, die den Dienstleistungshandel betreffen ("affecting"). Auch diese Argumentation der Ausschließlichkeit von GATI oder GATS überzeugte weder das Panel, noch den AB. Ein "Betreffen" i.S.d. Art. 1 Abs. 1 GATS liege auch bei ungewollten indirekten Auswirkungen auf den Dienstleistungshandel vor. Demnach kommt eine ausschließliche Anwendbarkeit von GATI oder GATS je nach Regelungsziel oder Schwerpunkt der Auswirkungen nicht in Betracht. Vielmehr sind Maßnahmen, die sowohl Güter-, als auch Dienstleistungshandel beeinträchtigen können, sowohl am GATI, als auch am GATS zu messen.I27 bb) Das Verhältnis zwischen Warenabkommen und TRIPS und zwischen GATS und TRIPS Inwieweit das TRIPS neben Warenabkommen oder dem GATS anwendbar ist, hatten WTO-Streitverfahren bisher nicht zu klären. Grundsätzlich ist wie im Verhältnis GATI/GATS von einer parallelen Anwendbarkeit auszugehen. 128 Während GATI und GATS aber weitgehend kollisionslos koexistieren, besteht zwischen GATI und TRIPS sowie zwischen GATS und TRIPS ein immanenter Konflikt. Der vom TRIPS bezweckte Schutz handelsrelevanter Rechte des geistigen Eigentums kann zu einer Einschränkung des freien Handels von Waren und Dienstleistungen führen. Für alle Bereiche, in denen exklusive Schutzrechte zuerkannt werden, darf Handel von Waren oder Dienstleistungen nur stattfinden, soweit und solange die Schutzrechte nicht entgegenstehen. Diese Spannung zwischen den Zielen von TRIPS einerseits und GATII GATS andererseits spiegelt sich in der TRIPS-Präambel wieder, die von der Notwendigkeit spricht, "einen wirksamen und angemessenen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums zu fördern und sicherzustellen, daß die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht selbst zu Schranken für den legitimen Handel werden". Dabei geht es nicht so sehr um die relativ leicht zu verneinende Frage, ob der Handel mit Endprodukten, die unter Verstoß gegen Rechte geistigen Eigentums vertrieben werden, geschützt werden soll. Schwieriger ist die Entscheidung über Rechte geistigen Eigentums, die ein Monopol auf solche Produkte schaffen, die für einen funktionierenden Waren- oder Dienstlei127 EC - Bananas, WT/DS27/R, paras. 7.277-7.286; WT/DS27/AB/R, paras. 217-222; Falke, ZEuS 3 (2000), S. 316 f. 128 Davey/Zdouc, S. 13; India - Patents, WT/DS50/R, para. 7.19 f.: " . .. TRIPS occupies a relatively self-contained, sui generis status in the WTO Agreement, nevertheless it is an integral part of the WTO system ... ".

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stungshandel notwendig sind, z.B. Produktions-, Transport- oder lnformationstechniken. (l) TRIPS als generell vorrangige Spezialvereinbarung?

Eine funktionale Betrachtung der verschiedenen Vertragsziele spricht dafür, TRIPS als Spezialabkommen anzusehen, das GATI und GATS im Ausmaß der Konflikte vorgeht, so daß Handelsbeschränkungen hinzunehmen sind, soweit sie für einen angemessenen Schutz geistigen Eigentums erforderlich sind. In diese Richtung geht auch die Feststellung des Panel "lndia - Patent Protection", wonach TRIPS ein integraler Bestandteil des WTO-Systems ist, aber einen relativ abgeschlossenen sui generis-Status einnimmt. 129 Die Gegenposition, die im Konfliktfall einen generellen Vorrang von GATI/GATS vorsehen würde und den Schutz des geistigen Eigentums zurücktreten ließe, wenn dieser Handel hemmt, würde dem Ziel des TRIPS nicht gerecht. Daß das GATT-Panel "US - Section 337 Tariff Act" 130 einen Verstoß des US-Rechts über die Geltendmachung von Patentrechten für Importgüter gegen Art. 111 Abs. 4 GATI bejahte, steht dem nicht entgegen. Zum einen erging der Panel-Bericht vor Ausarbeitung des TRIPS, zum anderen würde Sect. 337 TariffAct seit lokrafttreten des TRIPS auch gegen Art.3 TRIPS verstoßen. (2) Ansätze einer harmonisierenden Auslegung von TRIPS und GATI/GATS Daß die TRIPS-Präambel den möglichen Konflikt zwischen Schutz geistigem Eigentums und Freihandel anerkennt, und ersteren unter den Vorbehalt seiner Angemessenheit stellt, könnte aber dafür sprechen, eine Überprüfung von nationalen Schutzkonzepten, die über das Niveau des TRIPS hinausgehen, auf eine unangemessene Beeinträchtigung der Freiheiten aus GATI und GATS zuzulassen.131 Allerdings muß dabei beachtet werden, daß dies zwar in die Richtung eines in der TRIPS-Präambel anklingenden Ausgleichs zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und der Handelsfreiheit geht, daß andererseits aber Art. 1 Abs. 1 S. 2 TRIPS den Mitgliedern 129 India - Patent Protection, WT/DSSO/R, 16.1.1998, para. 7.19: ". . . the TRIPS Agreement . . . occupies a relatively self-contained, sui generis status in the WTO Agreement". 130 US - Section 337 Tariff Act 1930, BISD 36S/345, angenommen am 7.11.1989. 131 Davey/Zdouc, S. 21.

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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das Recht bewahrt, einen umfassenderen nationalen Schutz einzuführen, soweit er TRIPS-konform ist. Insofern müßte die Erlaubnis weitergehenden nationalen Schutzes nicht nur an die Einhaltung des TRIPS, sondern auch an die angemessene Berücksichtigung von GATT und GATS (bzw. des gesamten WTO-Rechts) geknüpft werden. Dies entspricht der völkergewohnheitsrechtliehen und Art. 31 WVK inhärenten Pflicht, alle Normen eines Vertrages als Ganzes zu sehen und durch eine harmonierende Auslegung ihnen allen größtmögliche Wirksamkeit zukommen zu lassen. 132 Der AB hat dieses Erfordernis für WTO-Recht zutreffend damit begründet, daß alle WTO-Abkommen Teil des WTOA sind (Art. II Abs. 2 WTOA). 133 (3) Fazit

Das Verhältnis des TRIPS zum GATS und zum GATT ist bisher kaum geklärt. Es ist aber zu vermuten, daß das TRIPS gegenüber dem GATTI GATS als eine Art Spezialregelung vorgeht, soweit es nicht zu unangemessenen Beeinträchtigungen des Handels führt. 6. Fazit zu Vorrangklauseln Trotz gradueller Besonderheiten einzelner Klauseln sind vor allem vorranggewährende und vorrangbeanspruchende Klauseln zu unterscheiden. Es kann aber auch die Gleichrangigkeit von Verträgen explizit angeordnet werden. Art. 103 CVN und Art. 311 Abs. 2, 3 SRÜ enthalten bedeutende Vorrangklauseln. Ihre direkte Rechtswirkung ist aber auf die Vertragsparteien begrenzt. Dies schränkt ihre Tauglichkeit für die Lösung von Programmkonflikten und Normenkollisionen ein. Probleme träten auch beim Zusammentreffen zweier vorrangbeanspruchender Klauseln auf, wenn z. B. die VN-Charta mit Ziel und Zweck des SRÜ unvereinbare Pflichten von VNMitgliedern begründete, die zugleich SRÜ-Parteien sind. Dann fehlte es an einer verfassungsgleichen, an Kelsens Grundnorm erinnernden übergeordneten Meta-Norm, die den Konflikt der Vorrangklauseln aufzuheben vermag.134 Darüber hinaus leidet die Tauglichkeit von Vorrangklauseln für die Behandlung von Programmkonflikten an der einseitigen Bevorzugung eines 132 StiGH "Agriculturallabour", 1922 Ser. B, Nr. 2, 3, S. 23; IGH "Arnbatielos", Rep. 1953, S. 10. 133 Korea - Dairy Products, WT /DS98/ AB/R, para. 81. 134 Zu einem möglichen Konflikt zwischen den vorrangbeanspruchenden Art. 311 SRÜ und Art. 22 KBV s. Wolfrum/Matz, MPUNYB 4 (2000), S. 477; zur Figur der "Kollisionslücke" Wilting, S. ll-14.

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l. Teil, 2. Kap.: Programmk:onflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Vertrags, qhne daß ein Kompromiß oder Ausgleich herbeigeführt würde. Daher sind vorrangbeanspruchende Normen prinzipiell ungeeignet, Programmkonflikte zwischen Ordnungen angemessen zu lösen. 135 Geeigneter sind Gleichrangigkeitsklauseln wie die in der BSP-Präambel. Sie können die Bedeutung einer möglichst weitgehenden harmonisierenden Auslegung konfligierender Normen betonen. Aus sich heraus können sie das Gelingen einer harmonisierenden Auslegung aber auch nicht garantieren. Nur wenn eine Harmonisierung unmöglich ist, sollten Vorrangklauseln benutzt werden, um zumindest Rechtssicherheit zu schaffen. Auch innerhalb des WTO-Rechts existieren zwar Vorrangklauseln, im Zweifel aber wird eine Kollision verneint, um die Abkommen nebeneinander anwenden und ihre größtmögliche Wirksamkeit sichern zu können. lll. Vorrangkraft Spezialität ("Lex specialis derogat legi generali") Die Regel, daß ein speziellerer Vertrag einem allgemeineren Abkommen in der Anwendung vorgeht (Iex specialis derogat legi generali), ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. c) des IGH-Statuts. Dieser kann Normenkollisionen lösen, wenn nach allgemein akzeptierten Kriterien ein Spezialitätsverhältnis besteht. 136 Fraglich ist, ob dafür der ganze Vertrag spezieller sein muß oder ob die Spezialität einer kollidierenden Norm ausreicht. Eine eindeutige Ausformung des lex specialis-Grundsatzes ist dazu nicht feststellbar. 137 Ist der ganze Vertrag spezieller, so ist die Spezialität seiner Vorschriften gegenüber kollidierenden Normen allgemeinerer Abkommen unproblematisch. So ist eine Spezialität der gesamten Konvention über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten (CITES) 138 gegenüber dem WTO-Recht vertretbar, da die Konvention sich allein mit dem Handel dieser Arten befaßt, nicht mit handelsfremden Aspekten ihres Schutzes. 139 Allerdings läßt sich die 135 Treffend Stilwell/Türk, S. 8: ,,A single clause that affurns the integrity of existing international law cannot address the numerous and complex questions about how MEAs and WTO rules relate in specific instances.". 136 Sehr ähnlich ist das "pith and substance principle" bei Jenks, BYIL XXX (1953), s. 449. 137 Ebenso Leebron, AJIL 96 (2002), S. 21 Fn. 54. 138 s. 2. Teil 1. Kap. D. I. 1. 139 Vgl. CITES Sekretariat, WT/CTE/W/165 (13.10.00), para. 12: " ... the international community decided to regulate under a special regime to ensure that international trade does not threaten their survival. . .. trade measures are intrinsic and essential .. .."; Winter, in: Dolde, S. 96; Moncayo von Hase, S. 63, bejaht auch eine Spezialität der Basler Abfall-Konvention gegenüber WTO-Recht, offengelassen von Beyerlin, Rn. 651 Fn. 112.

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Spezialität eines gesamten Vertrags nur sehr selten feststellen, insbesondere zwischen globalen Ordnungsverträgen. 140 So ist ein Spezialitätsverhältnis zwischen dem Seerechtsübereinkommen (SRÜ) und dem GATI für die Beurteilung des chilenischen Transitverbots gegenüber Schwertfischlieferungen (vgl. "Chile - Swordfish" 141 ) nicht gegeben, da das SRÜ nicht nur den Seehandel und die Bewahrung der Fischarten, sondern sehr viele seevölkerrechtliche Bereiche regelt, das GATI wiederum zwar allein Handelsfragen erlaßt, dazu aber allgemeingültige, keine speziell seehandelsrechtlichen Vorschriften enthält. Zur Zulässigkeit von Transitverboten machen weder die Art. V, XX GATT, noch die Art. 64, 87, 116-119 SRÜ genaue Vorgaben. Dies verdeutlicht, daß der Iex specialis-Grundsatz Konflikte zwischen globalen Ordnungsverträgen nur lösen könnte, wenn schon eine Spezialität der einzelnen kollidierenden Normen seine Anwendbarkeit auslöst. Hierfür spricht die Entstehungsgeschichte des Art. 30 Abs. 3 WVK. Danach soll die lex posterior-Regel, welche durch den Iex specialis-Grundsatz verdrängt wird, nur zwischen Abkommen mit quasi-kongruentem Anwendungsbereich gelten. Dies impliziert einen weiten Anwendungsbereich des lex specialisSatzes. Dies würde die Zahl der Kollisionen, welche durch keine Regel gelöst werden, gering halten. Andererseits läßt sich einwenden, der Iex specialis-Satz dürfe nur gelten, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluß klar erkennen können, daß eine Norm dieses Vertrags spezieller ist, als eine Vorschrift eines anderen Vertrags, obwohl die Verträge insgesamt in keinem Spezialitätsverhältnis stehen. An diese Erkennbarkeit sind aber keine hohen Anforderungen zu stellen. Problematischer ist, daß oft nicht einmal eine der kollidierenden Normen spezieller ist. 142 Die skizzierten Programmkonflikte zeichnen sich nämlich regelmäßig gerade durch die parallele Betroffenheit mehrerer Ordnungen aus, so daß eine Spezialität im Sinne einer stärkeren Sachnähe einer Norm selten auszumachen ist. 143 So mag die Frage, ob gefährliche Abfälle als Wirtschaftsgüter in Entwicklungsländer exportiert werden dürfen, auf den ersten Blick am unmittelbarsten den Handel betreffen, so daß primär das GATI als Handelsvertrag heranzuziehen wäre; dies ist aber ein Zirkelschluß, der die 140 Der Auftrag des Abs. 31 der WTO-Ministererklärung 2001 an die WTO-Mitglieder, über die "applicability of such existing WTO rules as among parties to the MEA" zu verhandeln, könnte aber faktisch zu einem Vorrang der MEAs aufgrund Spezialität führen; dafür Kux, in: Thürer/Kux, S. 289. 141 s. 2. Teil 1. Kap. C. VI. 2. a); Neurrumn, ZaöRV 61 (2001), S. 529-576. 142 Zum Verhältnis von Art. V GATI und Art. 64, 116-119 SRÜ s. 2. Teil 1. Kap. C. VI. 2. a). 143 Hilf. NVwZ 19 (2000), S. 483: "So scheint sicher die hausbackene lex posterior-Regel ebenso zu versagen wie die lex specialis-Regel.".

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Kategorisierung "Export = Handelstatbestand" überbetont und den gleichzeitig verwirklichten Tatbestand "Abfallexport = Umweltrisiko" unzureichend würdigt. Andererseits wird z. T. eine Spezialität von Handelsbeschränkungen in MEAs gegenüber dem WTO-Recht angenommen, da die MEA-Beschränkungen ganz bestimmte Fälle des internationalen Handels regelten. 144 Das GATT sei nicht "auf Handel mit Umweltgütern verpflichtet", weil es sich zu ihnen nicht äußere. 145 Dies verkennt aber, daß spezielle Tatbestände von allgemeinen Normen erlaßt werden, soweit nicht gegenteilige Hinweise vorliegen. 146 Auch enthalten die meisten WTO-Abkommen bestimmte Ausnahmeregeln (z.B. Art. XX, XXI GATT, Art. 2 TBT, Art. XIV GATS), so daß die WTO-Mitglieder nicht einzelne Handelsbereiche vom WTO-Recht insgesamt ausnehmen wollten.147 Analytische Anhaltspunkte für die Bestimmung einer Spezialität in Einzelfällen könnte die EuGH-Rechtsprechung zu Fragen der richtigen Kompetenznorm für den Erlaß von EG-Sekundärrecht bieten. Allerdings hält der EuGH eine Doppelbetroffenheit von Vertragsmaterien durch Sekundärrecht für möglich. Sieht er nicht beide Kompetenznormen als gleichermaßen einschlägig an, bejaht der EuGH eine Spezialität der Materie, deren Gesetzgebungsverfahren das Europäische Parlament am stärksten beteiligt. Diese auf das Institutionelle Gleichgewicht und das Demokratieprinzip gestützte Zuweisung kann wegen ihrer rein prozeduralen Anknüpfung inhaltliche Konflikte zwischen Vertragsordnungen nicht auflösen. Darüber hinaus hat der EuGH sogar für ein allein sicherheitspolitisch begründetes Handelsembargo die Zuständigkeit der EG auf die Handelskompetenz gestützt. 148 Dies verdeutlicht, daß es für die Kompetenzzuordnung nicht nur auf den Zweck der Maßnahme, z. B. Umweltschutz, sondern auch auf die Auswirkungen, z. B. 144 Hohmann, RIW 46 (2000), S. 96 f.; Wirth, RECIEL 7 (1998), S. 242 f. " ... a narrow, specialized set of obligations controlling a limited, clearly defined sector of trade by comparison with the GATT/WTO regime, which addresses trade relations more generally". 145 Hohmann, RIW 46 (2000), S. 96. 146 Hohmann, ebd., bejaht die Spezialität eines MEA, wenn es eine Abwägung des Umweltschutzes mit Handelszielen im Sinne seiner Verhältnismäßigkeit wiederspiegele; die Verhältnismäßigkeit von MEA-Handelsbeschränkungen sollte jedoch nicht über die Anwendbarkeit des WTO-Rechts entscheiden, sondern Teil der Rechtfertigung solcher Maßnahmen innerhalb des WTO-Rechts sein. 147 Dagegen spricht insbesondere die Aufnahme der ansonsten unnötigen "security exception" des Art. XXI GATT. 148 EuGH Rs. 70/94, "Wemer", Slg. 1995, 1-3189; Rs. 83/94, "Leifer", Slg. 1995, 1-3291; Rs. T-184/95, "Dorsch", Slg. 1998, 11-667; daher Vedder, in: Weiss/Denters, S. 503: "Eine Regelung ... verliert nicht dadurch ihren handelspolitischen Charakter . . ., daß sie ... überwiegend oder gar völlig einem anderen als einem handelspolitischen Zweck dient".

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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Handelsbeschränkung, ankommt. Dies gilt ebenso für die Frage nach einer Spezialität. Ob und inwieweit ein Sachverhalt einer Ordnung als Spezialregime zugeordnet wurde, ist letztlich oft eine politisch-kulturelle Wertungsfrage. Für den Bereich Handel/Umwelt verneinen dies fast alle Völkerrechtssubjekte. 149 Solange eine Spezialität nicht durch einen ausdrücklichen Vorrang eines anderen Vertrags im Text oder den Beschlußdokumenten des zurücktretenden Vertrages festgelegt worden ist, ist sie höchstens in Extremf'ällen zu bejahen. Folglich vermag der allgemeine Rechtsgrundsatz "Iex specialis derogat legi generali" die skizzierten Konflikte nicht zu lösen. 150 Im Übrigen kann sich eine Spezialnorm wegen der pacta tertiis-Regei (Art. 34 WVK) nur durchsetzen, wenn sie die betroffenen Parteien bindet. Gegenüber Nichtparteien des Spezialvertrages bewirkt der Iex specialisGrundsatz keinen Vorrang. 151 N. Vorrangkraft Neuheit ("Lex posterior derogat legi priori")

Artikel 30 Abs. 3 WVK lautet: "Sind alle Vertragsparteien eines früheren Vertrags zugleich Vertragsparteien eines späteren, ohne daß der frühere Vertrag beendet oder nach Artikel 59 suspendiert wird, so findet der frühere Vertrag nur insoweit Anwendung, als er mit dem späteren Vertrag vereinbar ist." Die Geeignetheil der Iex posterior-Regel zur Lösung von Normenkollisionen begegnet mindestens fünffacher Einschränkung. Erstens findet sie schon nach ihrem Wortlaut in Übereinstimmung mit Art. 34 WVK nur Anwendung zwischen Völkerrechtssubjekten, die beide Verträge angenommen haben. Gemäß Art. 30 Abs. 4 WVK gilt gegenüber Staaten, die dem späteren Vertrag nicht beigetreten sind, nur der frühere. Eine solche in den jeweiligen bilateralen Beziehungen unterschiedliche Vorrangregelung ist aber für eine einheitliche Vertragsanwendung, wie sie in multilateralen Ordnungen erstrebenswert ist, sehr ungünstig. 152 Zweitens ist eine einheitliche Bes. aber EuGH, Gutachten 2/00, paras. 34, 40. Ebenso Hilf, NVwZ 19 (2000), S. 483; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 739 f.; Vierdag, in: Lowe/Fitzmaurice, S. 150 f.; Tietje, in: Delbrück, i.E.; dies zeigt, daß Spezialität zwischen gleichgewichtigen Materien nicht zur Verdrängung einer Ordnung führt; bei der harmonisierenden Auslegung kann eine stärkere Beeinflussung der Norm einer Ordnung durch eine Vorschrift der anderen Ordnung aber auf einer gewissen Spezialität der letzteren beruhen. 151 Vgl. auch Abs. 31 der WTO-Ministererklärung 2001 zum Verhältnis MEAs/ WTO-Recht. 152 Ähnlich Hilf, NVwZ 19 (2000), S. 483 f. 149 150

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stimmung des früheren bzw. des späteren Vertrags auch zwischen Parteien, für die beide Verträge gelten, oft unmöglich, wenn z. B. für Partei A der Vertrag C vor Vertrag D Gültigkeit erlangte, die Partei B dem Vertrag C aber erst nach dem Vertrag D beigetreten ist. 153 Drittens gilt "lex posterior" nur zwischen Verträgen, die denselben Bereich regeln, nicht aber wenn der Kollisionssachverhalt in der späteren Norm im Rahmen eines andersartigen Zusammenhangs nur so indirekt oder unbeabsichtigt geregelt wird, daß daraus nicht auf die Verdrängung der vorherigen Norm geschlossen werden kann. 154 Zwischen einem früheren speziellen und einem späteren allgemeinen Vertrag ist "lex posterior" nicht anwendbar. 155 Viertens ist unklar, ob Art. 30 Abs. 4 WVK neben Vertragsrecht auch Sekundärrecht erfaßt, insbesondere ob Streitentscheidungen hierunter fallen. 156 Fünftens ist die lex posterior-Regel nur billig, wenn sie nicht zu einem rein zufälligen und immer wieder wechselnden Vorrang führt. Bei Vertragsänderungen wird die Bestimmung des Vorrangs allein anband des Zeitpunkts der Vertragsannahme den parallelen Geltungsansprüchen der Verträge nicht gerecht und führt zu zufälligen Ergebnissen. 157 Überdies könnte dies ein unsachgemäßes taktisches Verzögern oder Überstürzen der Vertragsverhandlungen motivieren. Fraglich wäre auch, ob eine spätere allgemeinverbindliche Interpretation einer kollidierenden Norm wie eine Vertragsänderung den "posterior-Status" begründen könnte. 158 Ausall diesen Gründen kann auch die lex posterior-Regel Programmkonflikte nicht befriedigend lösen.159 V. Vorrang multipolarer Verträge?

Auch wenn multipolare Verträge 160 aufgrund der Unteilbarkeit der Vertragspflichten regelmäßig besonders wichtige Rechtsgüter schützen, z. B. 153 Leirer, S. 71 f., 294 f. mit dem Beispiel des Verhältnisses von CITES und GATT. 154 Für eine strenge Anwendung dieses Kriteriums Wolfrum!Matz, MPUNYB 4 (2000), S. 473 f., die auf die unterschiedlichen Primärziele von SRÜ und CBD abstellen und daher eine Gleichheit der Materie auch für das Verhältnis ihrer jeweiligen Ressourcenschutznormen ablehnen. 155 Zum Vorrang der Spezialitätsregel vor der lex-posterior-Regel und zur Unterordnung dieser beiden Regeln unter die Iex-superior-Regel Schilling, S. 455-458. 156 Ruffert, AVR 38 (2000), S. 151. 157 Näher dazu Pauwelyn, AJIL 95 (2001), S. 546 f. 158 Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 152. 159 So auch Sinclair, S. 94-98; Hilf, NVwZ 19 (2000), S. 483; Nissen, LPIBus 28 (1997), S. 916 f.; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 739 f.; Trüeb, S. 222 f.; Vierdag, in: Lowe/Fitzmaurice, S. 150 f.; optimistischer Beyerlin, Rn. 649. 160 Bleckmann, AVR 34 (1996), S. 234; näher 3. Kap. III. 2. d) dd) (3).

C. Effektivität der Vorrangregeln gegenüber Programmkonflikten

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Menschenrechte und Umwelt, räumen ihnen weder das Völkergewohnheitsrecht, noch die WVK einen Vorrang gegenüber kollidierenden Verträgen ein. 161 Art. 20 Abs. 2 WVK spricht nur plurilaterale Verträge, nicht aber multipolare Verträge als besonderen Fall multilateraler Abkommen an. Der in Art. 60 Abs. 2 WVK geregelte Rücktritt bei mehrseitigen Verträgen beeinfloßt die Vorrangregel des Art. 30 WVK nicht. VI. Politische Entscheidung; Pflichten zur Beseitigung von Konflikten Wenn keine Regel einen Vorrang einer Vertragsnorm herzustellen vermag, sollen die Vertragsparteien nach ihrem jeweiligen politischem Ermessen dem einen Vertrag folgen und den anderen verletzen können. 162 Aus praktischer Sicht mag diese Minimallösung vernünftig sein, eine völkerrechtlich befriedigende Antwort auf kollidierende Ordnungen gibt sie aber nicht. 163 Insbesondere erhalten Organe internationaler Organisationen mangels eigener Souveränität hieraus keine Erkenntnisse, wie sie ihren eigenen Gründungsvertrag im Verhältnis zu anderen Ordnungen interpretieren sollen. Multilaterale Ordnungen mit quasi-universeller Mitgliedschaft können sich divergierende Normauslegungen und -befolgungen ihrer Mitglieder nicht leisten, wenn sie Rechtssicherheit und Verläßlichkeit bewahren wollen. Die in vielen Verträgen enthaltenen Klauseln, die ihre Parteien zur Beseitigung von Konflikten mit anderen Abkommen verpflichten, 164 enthalten ebensowenig eine inhaltliche Konfliktlösung und bedürfen deshalb genausowenig einer näheren Untersuchung. 165 VII. Ergebnis Die Regeln zur Lösung von Normenkollisionen sind auf die Programmkonflikte völkervertraglicher Ordnungen entweder schon nicht anwendbar oder sie können diese aufgrund der einseitigen Einräumung generellen Vorrangs nicht in einer Weise lösen, die der Bedeutung und Legitimität der verdrängten Normenprogramme gerecht wird. 166 Die Regeln sind zu allgemein gehalten, als daß sie die Konflikte angemessen lösen könnten. YBILC 1966, Vol. II, S. 218 f.; Wilting, S. 100-111. Roucounas, RdC 206 (1987/VI), S. 55; Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 267; Karl, S. 65 f.; Rousseau, S. 157. 163 s. auch Pauwelyn, eh. VII B. 1., zum Problem des "non liquet". 164 Z.B. Art. 307 UAbs. 2 EG, Art. 82 Abs. 2 Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt; Wilting, S. 75. 165 Kar/, S. 65: " ... verdient den Namen eines Konfliktlösungsverfahrens kaum.". 161

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Daher ist zu untersuchen, inwieweit Vertragsordnungen trotz ihrer grundsätzlichen Unabhängigkeit einer positiven Koordination ihrer Regeln zugänglich sind. 167 Dies gilt um so mehr, als vor einer Anwendung von Vorrangregeln die Möglichkeiten der kollisionsvermeidenden Auslegung zu prüfen sind. Löst diese die Normenkollision auf, ist eine Anwendung von Vorrangregeln nicht erforderlich. 168 D. Die Koordination völkerrechtlicher Vertragsordnungen

Zunächst wird Koordination definiert und von dem breiteren Begriff der Kooperation abgegrenzt (1.). Dem folgt eine Klassifizierung der verschiedenen Arten der Koordination anband von fünf Parametern (II.). I. Die Begriffe der Koordination und der Kooperation

Kooperation bedeutet Zusammenarbeit, Koordination dagegen die Abstimmung von Tätigkeiten oder (Rechts-)Normen. 169 Beide Begriffe und die von ihnen bezeichneten Handlungen lassen sich nicht immer eindeutig trennen.170 Kooperation setzt meist Koordination voraus: vor Ergreifen gemeinsamer Aktivitäten sollten die Bereiche separater und gemeinsamer Zuständigkeit genau bestimmt werden. Koordination wiederum erfolgt am effektivsten und Störungsfreiesten kooperativ: zwar können Regime ihre Aktivitäten und Normenprogramme auch einseitig auf andere Regime ab166 Treffend McRae, RdC 260 (1996), S. 191: "the issues involved in the trade and environment, or trade and labour standards, or trade and human rights, debate are too fundamental to be resolved by a procedural device designed to deal with inconsistency."; zustimmend Mus, NILR 45 (1998), S. 231. 167 Paulus, S. 327: "Hier müssen Koordination und gegenseitige Rücksichtnahme sowie eine möglichst hohe Übereinstimmung in den Grundwerten den Mangel an einer verbindlichen Streitentscheidung ersetzen.". 168 Grotius, II. Buch, Kap. XVI, § 4; Lauterpacht, BYIL XXVI (1948), S. 76; Leca, S. 163; Klein, S. 556; de Vattel, 2. Buch Kap. XVII, § 293; Zuleeg, GYIL 20 (1977), S. 271 f.; Beyerlin, Rn. 646 f. 169 Treffend zum Vorgang der Koordination Faure, EELR 9 (2000), S. 182: " ... to take each others decision into account."; ähnlich ICTY "Delalic", ILM 40 (2001), S. 631 paras. 23 f.; siehe auch die Beiträge in Blokker/Schermers. 17 Friedmann, S. 68: " ... -co-operative international law is positive collaboration, , to some extent, this corresponds to the distinction between ,the international law of reciprocity' and ,the international law of coordination' by Schwarzenberger"; Feld/ Jordan, S. 31: ".. . IGO . . . tasks, which include the management of cooperation through coordination"; Benedek, S. 460 Fn. 57, meint, das Gegensatzpaar Koexistenz/Kooperation des allgemeinen Völkerrechts laute im Wirtschaftsvölkerrecht Koordination/Kooperation; manchmal werde für ,Kooperation' der "abschwächende Begriff der Koordination" verwendet.

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D. Die Koordination völkerrechtlicher Vertragsordnungen

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stimmen, kohärenter und effektiver ist aber meist die gemeinsame Koordination. Eines der stärksten Mittel kooperativer Koordination ist die Einrichtung gemeinsamer Organe. 171 Kooperation ist also gemeinsames Handeln, Koordination die Abstimmung von Handlungen oder Rechtsakten. Diese Untersuchung konzentriert sich auf das Phänomen der Koordination; Kooperation wird nur erfaßt, soweit sie der Koordination dient (s. E.). 172 Neben dem Ziel der effizienten Nutzung der Ressourcen sind Programmkonflikte ein besonders wichtiger Grund für die Koordination der Normen und der Tätigkeit internationaler Regime. 173 Die Parteien versuchen in steigendem Maße, die Arbeits- und die Normenprogramme der Regime aufeinander abzustimmen, um Widersprüche und Konflikte zu vermeiden. 174 Entsprechend befaßt diese Untersuchung sich nur mit Koordinationsverfahren, die auf Konfliktvermeidung abzielen. Unbeachtet bleiben konfliktunabhängige, positiv unterstützende Handlungen eines Regimes zugunsten der Ziele eines anderen Regimes. 175 Begreift man das Völkerrecht als eine einzige übergreifende Rechtsordnung im Sinne Kelsens, wäre das idealtypische Ziel der Koordination die Widerspruchsfreiheit und Kohärenz der Vertragsordnungen zueinander. 176 Angesichts der Vielzahl und Vielfalt der Ordnungen und der manchmal parallelen Setzung neuen Rechts in verschiedenen Ordnungen kann dies aber nur ein Ideal sein. Die unterschiedliche Akzentuierung von Zielen in den verschiedenen Vertragsordnungen beruht häufig auch auf unterschiedlichen 171 Dupuy, RdC 100 (1960-11), S. 484 f.; Schermers/Blokker, §§ 1715 ff.; Szasz, MPUNYB 3 (1999), S. 43-45; z.B. das World Food Programme (WFP) von WHO und FAO, das Intergovernrnental Panel on Climate Change (IPCC) von UNEP und WMO, die Global Environmental Facility (GEF) von IBRB, UNEP und UNDP. 172 Gianviti, in: SFDI, S. 83-86, unterteilt Koordination in Kooperation ("une assistance mutuelle") und Kohärenz ("une harrnonisation des actions"). 173 Z.B. GATT-Ministererklärung zur Kohärenz globaler Wirtschaftspolitik, ILM 33(1994), S. 1249; Kooperationsabkommen der WTO mit IWF, Weltbank, und WIPO; ausführlich WT/GC/W/360 (12.10.1999), paras. 4-6; WT/GC/W/391 (12.11.1999), paras. 10 f. 174 Ursprung der Konflikte ist meist die mangelhafte Koordination der staatlichen Entscheidungsträger. 175 Vines, in: Krueger, S. 76 f., warnt vor Koordinationen, die über die Beseitigung von Konflikten hinausgehen: " ... rnight harnper its ability to achieve not just its own objective, but any objective at all. ,Goal overload' rnight result, .. ."; vgl. zur Frage der Verteilung von Kompetenzen zur völkerrechtlichen Regulierung der Gentechnologie einerseits die Empfehlung einer Zentralisierung bei Murphy, HILJ 42 (2001), S. 135-139, andererseits die (wohl begründete) Skepsis bei Buckingham/ Phillips, JWT 3511 (2001), S. 21-26. 176 Kelsen, Rechtslehre, S. 204, 228.

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1. Teil, 2. Kap.: Programrnkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Auffassungen der jeweils federführenden nationalen Ministerien 177 über die Rangordnung der durch Vertragsnormen beeinflußten gesellschaftlichen Werte, 178 bzw. über die zur Erreichung eines Ziels zu verwendenden Mittel179. Insofern ist eine gewisse regulatorische Vielfalt auch vorteilhaft, da sie insgesamt und langfristig eher ein regulatorisches Gleichgewicht begünstigt, ähnlich der Gewaltenteilung auf nationaler Ebene. Auch ändert sich manchmal in der Zeit zwischen dem Abschluß verschiedener Verträge die jedem Vertrag zugrundeliegende politische oder ökonomische Ideologie. 180 Angesichts des beschränkten menschlichen Wissens über die in völkerrechtlichen Vertragsordnungen regulierten globalen Zusammenhänge 181 bietet eine Ergänzung der innervertraglichen Anpassungsfähigkeit (Vertragsänderungen, veränderte Auslegung) durch leicht divergierende Regulierungen anderer Vertragsordnungen auch Vorteile. Zumindest zwischen globalen Ordnungsverträgen 182 ist eine Abstimmung der Normenprogramme zur Vermeidung größerer Widersprüche und gegenläufiger Rechte und Pflichten jedoch unabdingbar, um die gleichzeitige Effektivität aller Verträge zu wahren. Wenn ein umweltrechtlicher Vertrag grundlegende Regeln des Welthandelsrechts verletzt, 183 wird dessen Nutzen fragwürdig. Andererseits dient die Unsicherheit über die Bedeutung mancher WTO-Normen einigen Staaten bei Verhandlungen über neue Umweltabkommen regelmäßig zur Blockade umweltpolitisch anspruchsvoller Regelungen.184 Die Abstimmung der Normenprogramme ist die anspruchsvolle Bzw. Generaldirektionen der EU-Kommission. Z.B. das Konkurrenzverhältnis zwischen dem mittelfristigen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und kurzfristigem wirtschaftlichem Wachstum. 179 Z. B. die Kontroverse, ob angesichts von Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen der Handel beschränkt oder eher noch ausgeweitet werden sollte. 180 Grundlegend für das gesamte Völkerrecht z. B. die Zurücknahme der staatlichen Souveränität zugunsten individueller Menschenrechte und multilateraler Kontrollmechanismen, wirtschaftsvölkerrechtlich z. B. der Wechsel von planendem Keynesianismus zum deregulierenden Neoliberalismus, umweltvölkerrechtlich z. B. die Ergänzung des Ordnungsrechts durch Marktinstrumente. 181 Besonders evident ist das Wissensdefizit bei der Suche nach Maßnahmen gegen die globale Klimaveränderung, bei der Regulierung der Finanzmärkte und langfristiger Risiken wie Gen- und Nukleartechnologie. 182 Frowein, in: Bernhardt u.a., FS Doehring, S. 223; Tomuschat, RdC 241 (1993-IV), S. 268; Simma, RdC 250(1994-VI), S. 331; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), s. 737, 740. 183 So das frühere Anknüpfen des Handelsverbots nach Art. 4 des Montrealer Ozon-Protokolls an die fehlende vertragliche Bindung eines Landes, nun korrigiert durch Art. 4 Abs. 8, der Handel bei tatsächlicher Einhaltung der Vertragsnormen erlaubt. 184 Stilwell/Türk, S. 3 f.; zu nennen sind v.a. die Verhandlungen über vorsorgebezogene Normen des Biosicherheitsprotokolls und über die Konvention über Chemikalien und Pestizide. 177

178

D. Die Koordination völkerrechtlicher Vertragsordnungen

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Aufgabe, die sich aus der ,,komplexen Interdependenz" 185 der Verträge ergibt. Angesichts der steigenden Bedeutung der völkerrechtlichen Verpflichtungen für das regionale bzw. das nationale Recht ist in den letzten Jahren mit der steigenden Zahl der Vertragsordnungen der "call for coherence" 186 verstärkt zu vernehmen. ll. Verschiedene Arten der Koordination

Zunächst werden fünf verschiedene Parameter eingeführt, um die sehr unterschiedlichen Arten der Koordination darzustellen (1.). Es folgen konkrete Beispiele, die Kombinationen der fünf Parameter aufweisen (2.). 1. Die fünf Parameter der unterschiedlichen Arten der Koordination a) " Negative" und "positive" Koordination: Klassischerweise werden die sogenannte "negative" und die "positive" Koordination unterschieden. 187 Erstere zielt auf eine Vermeidung doppelter identischer Arbeit, letztere schafft eine neuartige Harmonisierung der Politiken und Aktivitäten. b) "Materielle" und "formelle" Koordination: Zweitens läßt sich unterscheiden, ob die Koordination materielle oder formelle Züge aufweist. Während eine materielle Koordination inhaltlicher Art ist, z. B. der Gehalt einer Rechtsnorm oder eines Urteils, ordnet die formelle Koordination eine ordnungsübergreifende Zuständigkeit oder ein gemeinsames Verfahren an. 185 Ballreich, AVR 19 (1981), S. 124: "Die Vorstellung von der Interdependenz zwischen Staaten ist heute schon Allgemeingut geworden. Daß sie auch zwischen den internationalen Organisationen besteht, findet gegenwärtig noch wenig Beachtung."; zur Interdependenz zwischen Gesellschaften und zwischen Politikbereichen Feld/Jordan, S. 26-38 m. w. N. 186 Abs. 37 der OS-Erklärung 2000: " ... international and domestic policy coherence should be enhanced and co-operation between the international institutions should be improved."; Art. III Abs. 5 WTOA: "Im Interesse einer kohärenteren Gestaltung der weltweiten wirtschaftspolitischen Entscheidungen ..."; Abs. 5, 6 der WTO-Ministererklärung 2001; GATI-Ministererklärung zur Kohärenz globaler Wirtschaftspolitik, ILM 33 (1994), S. 1249; Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 87; Sampson, in: Krueger, S. 257-270; Vines, in: Krueger, S. 75-80; Dymond/Hart, JWT 34/3 (2000), S. 37: " ... there is obvious scope for much closer coordination between the principal economic and financial organizations"; das CITES-Sekretariat spricht in WT/CTE/W/165 (13.10.2000) paras. 1 f., von "synergy", "harmonization" und ,,interconnected". 187 Socini, S. 45-50; Schermers/Blokker, § 1705; Ruffert, AVR 38 (2000), S. 151 f.; Blokker, in: B1okker/Schermers, S. 32.

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1. Teil, 2. Kap.: Programrnkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

c) "Legislative", "exekutive", "judikative" Koordination: Dieser Parameter bestimmt, welche Kategorie von Rechtsakt koordinativ erlassen wird. Die verschiedenen Möglichkeiten der angeordneten Koordination sollen als "legislativ", 188 "exekutiv" oder ,judikativ" unterschieden werden.189 Dieser Parameter ist der wohl wichtigste zur Unterscheidung der verschiedenen Kategorien des Koordinationsrechts. d) "Rechtsgesetzte" und "rechtsangewendete" Koordination: Koordination kann sowohl rechtsgesetzter, als auch rechtsangewendeter (ausführender oder rechtsprechender) Art sein. Dieser Parameter unterscheidet, welche Art von Rechtsakt die Koordination anordnet. e) " Unterordnende", "gemeinsame" und "autonome" Koordination: Schließlich lässt sich unterscheiden, nach welchen Maßgaben rechtssetzend oder rechtsanwendend koordiniert wird. Während die unterordnende Koordination das Ergebnis einer anderen Institution übernimmt (typischerweise durch Verweisung auf fremde Normen 190), erfolgt die gemeinsame Koordination durch ein gemeinsames Organ mehrerer Ordnungen. Die autonome Koordination erfolgt als Alleinentscheidung eines Organs einer Ordnung. 191 Dieser Parameter zeigt an, wer wie über das Ergebnis einer Koordination bestimmt, und ist deshalb rechtspolitisch hochsensibel. 192

2. Beispiele der internationalen Koordination a) Akte exekutiver Koordination

In internationalen Regimen erfolgt Koordination vor allem exekutiv, also eine auf andere Regime abgestimmte Ausführung des Primär- und Sekundärrechts. So verpflichtet Art. 8 Abs. 1 der Wüstenkonvention (CCD) die Parteien, die zur Ausführung anderer MEAs geplanten Maßnahmen mit denen der CCD zu koordinieren. 193 Art. 2 Abs. 1 lit. a) ii) des Kyoto-Proto188 Weitergehend könnten primär- und sekundärrechtssetzende legislative Koordination unterschieden werden. 189 Die Bezeichnungen betreffen nicht das ermächtigte Organ, sondern die Art der vorzunehmenden Koordination; dementsprechend sind z.B. Justizverwaltungsakte "exekutiv". 190 s. u. Einleitung zum 3. Kap. des 2. Teils. 191 Vgl. Leebron, A.JIL 96 (2002), S. 16, zu "deferential, collaborative, and autonomous ... linkage.". 192 Leebron, AJD.... 96 (2002), S. 16: " ... , the relational nature of any regime linkage is apt to be controversial. It will be especially contentious when regime norms potentially conflict and participants differ about the relative importance to be given the two regimes.". 193 Oberthür/Ott, S. 285; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 733.

D. Die Koordination völkerrechtlicher Vertragsordnungen

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kolls verpflichtet die Parteien, Senken für Treibhausgase (Wälder und Steppen) unter Berücksichtigung ihrer Pflichten aus anderen MEAs zu schützen bzw. auszuweiten. 194 Diese Normen sind rechtsgesetzte exekutive Koordinationen, die eine materielle Abstimmung verlangen und eine formelle Abstimmung begünstigen; sie gebieten nicht nur negative, sondern positive Koordination. Art. 278 SRÜ verlangt von den in Teil XIII, XIV der SRÜ genannten 1.0., in enger Zusammenarbeit untereinander die Wahrnehmung der ihren zugewiesenen Aufgaben sicherzustellen. 195 Dies ist eine positive rechtsgesetzte, exekutive formelle Koordinationsnorm. Die VN-Generalversammlungen empfiehlt den Konferenzen der Vertragsparteien der MEAs globalen Anspruchs, kooperativ die Umsetzung ihrer Verträge zu koordinieren.196 Auch wenn die Bedeutung der exekutiven Koordination erkannt ist, steht ihre effektive Umsetzung in den meisten Bereichen des besonderen Völkerrechts noch am Anfang.197

b) Akte legislativer Koordination Aber auch Legislative und Judikative können koordinieren, z. B. inhaltlich abgestimmtes Primär- 198 oder Sekundärrecht199 ausarbeiten oder dieses (in Streitverfahren) auf andere Vertragsregime abgestimmt interpretieren.200 Bei der formellen legislativen Kooperation zur Änderung (noch) konfligierender Verträge bzw. zur Verhinderung von Konflikten bei Ausarbeitung neuer Verträge geht die Kooperation nicht so weit, daß die Organe zweier 194 " ••• taking into account ... cornrnitments under relevant international environmental agreements". 195 s. auch das Gebot zur Kooperation im Rahmen einschlägiger 1.0. in Art. 6365, 242-244, 268-272 SRÜ. 19 6 UN Doc. A/RES/S - 19/2 (19.9.1997), paras. 117 ff. 197 Zur koordinierten Umsetzung von MEAs Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 746 f.: "These efforts are certainly important. lt is clear however, that the actual adoption of a ,co-operative strategy' . .. requires further initiatives and presupposes that egoism and sectonal approaches are overcome". 198 Z. B. erfaßt die Basler Abfall-Konvention (BC) gemäß Art. 1 Abs. 3 BC keine radioaktiven Stoffe, für die die IAEA zuständig ist; Art. 1 Abs. 4 BC schließt Schiffsabfalle aus, da Verträge wie MARPOL diese regeln; Art. 4 Abs. 1 lit. a) FCCC nimmt die Treibhausgase des Montrealer Ozon-Protokolls von seiner Geltung aus. 199 So unterfallen gemäß Dec. Ill/15, UNEP/CHW.3/35 und Dec. VII/31, UNEP/ OzL.Pro.7112, Abfalle, die vom Montrealer Protokoll erfaßte Stoffe enthalten, nicht der Basler Konvention; MP und KP verständigen sich über die Kontrolle fluorinierter Treibhausgase, die zwar Ersatzstoffe für durch das MP verbotene Stoffe sind, aber eine hohe Klimarelevanz aufweisen, Dec. 13/CP.4 (FCCC/CP/1998/16/ Add. 1), Dec. X/16 (UNEP/OzL.Pro.l0/9), s. Oberthür/Ott, S. 283 f. 200 Zu Klimaschutz und biologischer Vielfalt Oberthür/Ott, S. 285 f.; WBGUSondergutachten 1998; Pontecorvo, ZaöRV 59 (1999), S. 735-745.

7 Neumann

1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

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Regime über das Recht eines Regimes, das beide Regime berührt, gemeinsam gleichberechtigt entscheiden; aber oft beraten Beamte eines Regimes die Parteien des anderen bei der Ausarbeitung neuen Rechts. Manche Ordnungen räumen im Falle eines Kompetenzkonfliktes (bestimmten) anderen Verträgen den Vorrang ein.Z01 Diese vorranggewährenden Klauseln drücken eine negative rechtsgesetzte legislative materielle unterordnende Koordination aus. So erkennen Art. 305, 306 EG den Vorrang von EGKS, EURATOM und BeNeLux an, Art. 104 NAFTA räumt bestimmten MEAs einen Vorrang ein. Art. XIII GATT verweist für die Rechtmäßigkeit von Zahlungsbilanz-Maßnahmen auf Art. VI, XIV des IWF-Abkommens, Art. II Abs. 1 lliRDA macht die Mitgliedschaft in der Weltbank von der IWF-Mitgliedschaft abhängig. 202 Viele Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens befehlen die Ausarbeitung von Regeln und Normen des Meeresumweltschutzes in den zuständigen 1.0.;203 sie sind positive rechtsgesetzte legislative Koordinationen formeller Art. Abkommen zwischen 1.0., die den Vorrang der Normen einer 1.0. begründen; sind dagegen materieller Art. 204 c) Akte judikativer Koordination Eine negative rechtsgesetzte judikative Koordination formeller Art bewirkt Art. 35 Abs. 2 lit. b) 2. HS EMRK, der das EMRK-Verfahren nach Erschöpfung vergleichbarer anderer internationaler Verfahren (VN-Menschenrechtsausschuß) für unzulässig erklärt. Arten der positiven judikativen materiellen und formellen Koordination internationaler Streitbeilegungsorgane behandelt der 3. Teil dieser Arbeit. E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen Um die Bedeutung von Kooperationsabkommen zwischen 1.0. für die Kooperation und Koordination ihrer Ordnungen zu ermitteln, werden verschiedene Kooperationspflichten erläutert (I.) und unterschiedliche Kooperas.o. C. II. 1. Dazu Gold, S. 414. 203 Z.B. Art. 197, 200--202 SRÜ; dazu Treves, MPUNYB 2 (1998), S. 327. 204 So statuieren die Abkommen der VN mit ihren Sonderorganisationen (Art. 63, 57 CVN) den Vorrang von Entscheidungen des VN-Sicherheitsrats und verpflichten die Sonderorganisationen, diese Entscheidungen zu befolgen bzw. zu unterstützen, s. Schermers/Blokker, § 1710. 201

202

E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen

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tionsformen dargestellt (II.). Schwerpunkt ist die Untersuchung technischadministrativer, politischer und judikativer Kooperationsabkommen auf eine Koordination der jeweiligen Rechtsordnungen (ill.). I. Grundlagen der internationalen Kooperation Art. 1 Abs. 3 CVN macht die internationale Zusammenarbeit der Völker neben der Friedenswahrung und der Völkerfreundschaft zum Hauptziel der Vereinten Nationen. 205 Art. 56 CVN verpflichtet die VN-Mitgliedern zur Zusammenarbeit untereinander und mit den VN, zur Verfolgung der wirtschaftlichen und sozialen Ziele des Art. 55 CVN.Z06 Die "Friendly Relations"-Erklärung 2625(XXV) der VN-Generalversammlung betont die Pflicht zur Zusammenarbeit und nennt beispielhaft Friedenssicherung, Menschenrechtsschutz, und wirtschaftliche Entwicklung. 207 Demgemäß hält die International Law Assocation die Kooperationspflicht für eines der wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts.208 Während in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen die von den Entwicklungsländern aus dem Kooperationsgebot entwickelten Prinzipien der "Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung" sich nicht durchsetzen konnten, haben sich z. B. im Umweltvölkerrecht gewohnheitsrechtliche und in MEAs konkretisierte Kooperationspflichten zu einem essentiellen Teil des geltenden Rechts entwickelt. 209

II. Arten von Kooperationsabkommen

Seit dem Abschluß der Kooperationsabkommen der VN mit ihren Sonderorganisationen (Art. 63, 57 CVN)210 besteht ein ausgedehntes Netzwerk von verrechtlichten Beziehungen zwischen 1.0.2 11 Henry, in: Cot/Pellet, S. 57 ff. ; Wolfrum, in: Simma, Art. 1 Rn. 14. Zum Streit über die Bedeutung des Art. 56 CVN s. nur Wolfrum, in: Simma, Art. 56 Rn. 1 ff. 207 Zur Entwicklung der Kooperationspflicht aus dem Verbot des Rechtsmißbrauchs, dem Nachbarschaftsrecht und dem Begriff der ,.friedlichen Koexistenz": McWhinney, in: Dupuy, S. 426-434; zur tatsächlichen Unterordnung der Kooperationspflicht gegenüber nationaler Souveränität: De Waart, in: Van Djick/Faber, s. 253. 208 ILA 1984, 61st Report, S. 124. 209 Für Dolzer, in: Götz u. a., S. 60, erhält ,.der oft zitierte Paradigmenwechsel ... von der Koordination zur Kooperation ... seine schärfsten Konturen" bei globalen Umweltfragen; Odendahl, S. 211 ff., 257 f., 289; Ott, S. 273 f.; Stoll, in: Wolfrum, S. 63; Art. 5-7 der Konvention über internationale Wasserläufe, ILM 36 (1997), S. 700 ff., verpflichten zu gerechter und angemessener Nutzung, Fuentes, BYll... LXIX (1998), S. 119-200, Wouters, GYll... 42 (1999), S. 326 f.; zu den Kooperationspflichten der Art. 63 f., 118 f. SRÜ, Art. 7 f. VN-Abkommen über weitwandemde Fischarten s. Ziemer, S. 120--130. 205

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Der klassische Weg der Fixierung der Zusammenarbeit ist der Abschluß eines Abkommens; der IGH hat festgestellt, daß 1.0. nicht nur durch das allgemeine Völkerrecht und ihren Gründungsvertrag, sondern auch durch völkerrechtliche Abkommen, die sie schließen oder denen sie beitreten, gebunden sind. 212 Eine andere Möglichkeit ist die parallele Verabschiedung von Resolutionen. Auch einseitige Resolutionen können beiderseitige Kooperation auslösen.Z 13 Bei der Verabschiedung von Resolutionen ist die Verbindlichkeit am Willen der Parteien genau zu prüfen. 214 Keine Voraussetzung der Verbindlichkeit von Abkommen ist ihre Einklagbarkeit. 215 Wollen Regime ohne Völkerrechtssubjektivität ihre Kooperationsvereinbarungen verschriftlichen, können sie unverbindliche Memoranden (MoU, "Memorandum of Understanding"216; MoC, "Memorandum of Cooperation"217) beschließen oder einen Briefwechsel initiieren. In den meisten Bereichen paralleler Tätigkeit verschiedener 1.0. bestehen zwar keine Kooperationsabkommen, aber ein stetiger Informationsaustausch ermöglicht eine zumindest rudimentäre Kooperation und Koordination.Z 18 Der Wirtschafts- und Sozialrat der VN versucht die VN-Sonderorganisationen durch Empfehlungen zu koordinieren (Art. 58, 63 Abs. 2 CVN). Hierfür ist vor allem der Ausschuß für Programmierung und Koordination (CPC) zuständig,219 seine Erfolge sind aber nur dürftig. 220 210 Jenks, RdC 77 (1950-11), S. 172: " .. . the architects of the UN based their work deliberately on the principle of functional decentralization . . . a widespread desire to give international co-operation in technical fields a maximum chance of success by removing it as far as possible from political influences and control.". 211 El-Erian, in: Dupuy, S. 639. 212 IGH "WHO and Egypt", Rep. 1980 S. 89 f., para. 37. 213 Z.B. Dec. 11/13; Ill/17; III/21; IV/15 Vertragsparteienkonferenz der Konvention über biologische Vielfalt. 214 Zu verschiedenen Formen von Kooperationsvereinbarungen und zur Bestimmung ihrer Rechtsqualität McRae, in: Zemanek, S. 35-40; zur Beilegung von Streitigkeiten über solche Abkommen, ebd., S. 50. 21 5 McRae, in: Zemanek, S. 39. 216 Z.B. MoU von 1997 zwischen UNEP und UNCTAD zur Förderung von Entwicklungsländern im Bereich Handel, Umwelt und Entwicklung, WT/CTE/W/138 (4.4.00); zu den MoU zwischen GEF und den Vertragsparteienkonferenzen mehrerer MEAs s. Boisson de Chazoumes, MPUNYB 3 (1999), S. 266 f. 217 Zu den MoC der CBD mit anderen Regimen s. Henne/Fakir, MPUNYB 3 (1999), s. 356. 218 Ein aktuelles Beispiel ist die Zusammenarbeit von FAO, WTO, OECD und APEC zur Begrenzung von Fischereisubventionen, s. WT/CTE/W/135; der WTOAusschuß für Handel und Umwelt kooperiert rege mit MEA-Sekretariaten und UNEP, WT/CTE/W/155 (5.7.00), para. 10. 219 Schermers/Blokker, §§ 1726-1729; zur Verwaltungskoordination s. Szasz, MPUNYB 3 (1999), S. 47.

E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen

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Zwischen 1.0. bestehen Dutzende, wenn nicht Hunderte Kooperationsabkommen,221 sowohl zwecks "negativer", als auch zur "positiven" Koordination. Das erste zwischen VN-Sonderorganisationen abgeschlossene Abkommen, die Vereinbarung von ILO und FAO, war Vorbild für viele weitere, wurde aber oft abgewandelt. 222 Kooperationsabkommen können primärrechtlich vorgesehen sein, sei es obligatorisch (z.B. Art. III Abs. 5 WTOA) oder fakultativ (Art. 63 Abs. I CVN), oft entstehen sie aber nach sekundärrechtlichen Entscheidungen. Besonders komplexe Regime wie MEAs bedürfen der vielfaltigen Kooperation mit anderen Einheiten, z. B. mit anderen MEAs, mit Finanzorganisationen, mit wissenschaftlichen Institutionen.223 Ziel der Kooperation ist neben dem Informationsaustausch vor allem die technische und wissenschaftliche Beratung oder finanzielle Unterstützung armer Parteien ("technische Kooperation"); Kooperationen zur Koordination von Rechtsetzung oder -anwendung ("politische Kooperation") sind eher die Ausnahme.

III. Gebiete der Kooperation Thematisch sind vor allem technisch-administrative (1.) und politische (2.) Kooperation zu unterscheiden, es bestehen jedoch auch erste Ansätze

judikativer Kooperation (3.).

1. Technisch-administrative Kooperation Die technisch-administrative Zusammenarbeit ergeht vor allem als administrative Kooperation (a), technische Hilfe (b), finanzielle Unterstützung (c) oder wissenschaftliche Kooperation (d).

220 Ein vernichtendes Urteil trifft die Untersuchung UN Doc. A/40/988 (JIU/ REP/85/9), S. 10 f.: "... no results ... in no way improved coordination"; zu geringen Koordinationserfolgen unter dem SRÜ Treves, MPUNYB 2 (1998), S. 330: "It does not seem that States ... are willing to take seriously the task of coordinating ... the various organizations ..."; ein aktueller Koordinationsversuch im Umweltbereich ist die "Wald-Partnerschaft" (CPF), in der die Sekretariate von CBD, FAO, ITTO, UNDP, UNEP und Weltbank das intergouvernementale VN-Waldforum (UNFF) unterstützen sollen, " ... to enhance cooperation and coordination among its members.", WT/CTE/W/164 (12.10.00), para. 16. 221 Die WTO hat z. B. Abkommen mit IMF, Weltbank, WIPO (Art. III Abs. 5, Art. V WTOA) abgeschlossen; die VN verbinden Kooperationsabkommen mit ihren Spezialorganisationen; s. die erste Innenseite des YBIO. 222 Jenks, RdC 77 (1950-11), S. 238 ff. 223 Eine Übersicht zu den Kooperationen unter der CBD geben Henne/Fakir, MPUNYB 3 (1999), S. 357.

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

a) Administrative Kooperation

Bei der administrativen Kooperation unterstützen sich Regime durch Informationsaustausch oder gemeinsame Nutzung. von Kapazitäten?24 Ihre Parteien profitieren, wenn Notifizierungspflichten verschiedener Regime vereinheitlicht oder zentralisiert werden. 225 b) Technische Hilfe zur Unterstützung der Vertragserfüllung

Bei der technischen Hilfe für bestimmte Vertragsparteien verpflichtet sich eine mit besonderen Sachkenntnissen ausgestattete 1.0., die Mitglieder einer anderen 1.0. bei der Umsetzung ihrer Vertragspflichten zu unterstützen. So hilft WIPO den WTO-Mitgliedern, insbesondere den Entwicklungsländern, das TRIPS in nationales Recht umzusetzen; die FAO unterstützt Entwicklungsländer bei der Erfüllung ihrer Pflichten aus dem WTO-Agrarabkommen und soll durch Fortbildungen deren Position in künftigen WTO-Agrarverhandlungen verbessern. UNEP und UNCTAD beraten Entwicklungsländer im Bereich Handel, Umwelt, Entwicklung,226 die Weltbank unterstützte diese in den Verhandlungen zum WTO-Telekommunikationsabkommen.227 1995 gründeten UNDP, UNCTAD, IWF, IBRD, WTO und ITC eine gemeinsame Plattform (IF, "Integrated Framework") zur technischen Unterstützung der ärmsten Staaten in Handelsfragen?28 c) Finanzielle Unterstützung zur Vertragserfüllung

Die Erfüllung der MEA-Pflichten ist z. T. so kostspielig, daß die Industriestaaten die Entwicklungsländer dabei unterstützen. Zur Abwicklung der Hilfen für Klimaschutz, biologische Vielfalt, Meeresschutz und Ozonschutz wurde die Globale Umweltfazilität (GEF, Global Environmental Facility)229 gemeinsam von Weltbank, UNEP und UNDP gegründet?30 Während die Konferenz der Vertragsparteien des jeweiligen MEA die allgemeinen Krite224 Das Kooperationsabkommen von WTO und WIPO beschränkt sich auf administrative Zusammenarbeit und technische Hilfe. 225 Das Übereinkommen zwischen WTO und WIPO ist ein Beispiel; dies ist auch ein Bereich potentieller Zusammenarbeit zwischen dem Biosicherheitsprotokoll und dem SPS-Abkommen der WTO. 226 WT/CTE/W/138 (4.4.2000). 227 S/C/W/Add. 7 (24.6.1999). 228 Zur negativen Bilanz der ersten Jahre http://www.wto.org/english/news_e/ presOO_e/pr185_e.htm (6.7.00); zur Vorgeschichte Sampson, in: Krueger, S. 265. 229 Die Vereinbarung über die restrukturierte GEF findet sich in ILM 33 (1994), s. 1283 ff.

E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen

103

rien der Unterstützung festlegt, 231 erfolgt die Bewilligung und Auszahlung der Hilfe für konkrete Projekte, welche die allgemeinen Vorgaben erfüllen, durch den GEF-Rat. 232 Die Weltbank hat mit vielen VN-Sonderorganisationen Kooperationsabkommen geschlossen, damit ihre Entwicklungsprojekte durch technisches Fachwissen gefördert werden. Das älteste und umfangreichste dieser Abkommen ist das mit der FAO von 1964, auf dessen Grundlage die FAO an der Umsetzung von mehr als einem Viertel aller landwirtschaftlichen Weltbank-Projekte beteiligt war?33 d) Wissenschaftliche Beratung als Kooperationsaufgabe

Paradebeispiele wissenschaftlicher Kooperation sind das IPCC und die CAK. Das IPCC (,Jntergovernmental Panel on Climate Change")234 wurde 1988 von WMO und UNEP eingerichtet und dient dem Basieren der in der Klimarahmenkonvention vereinbarten klimapolitischen Maßnahmen auf dem "Stand der Wissenschaft". Diese Beratung hat aufgrund der tatsächlichen Komplexität des Weltklimas, wegen der großen ökonomischen Bedeutung der Emissionsgrenzen und wegen der unterschiedlichen politischen Ansichten zur Notwendigkeit klimatischer Vorsorge eine so eminente Bedeutung, daß das IPCC in Art. 1 Abs. 4 KP vertraglich verankert wurde. Die CAK ("Codex Alimentarios Kommission") ist ein Organ von FAO und WHO und beschließt unverbindliche Standards und Empfehlungen zu Substanzen in Lebensmitteln. 235 Art. 3 Abs. 3 des SPS-Abkommens der WTO fordert einen wissenschaftlichen Risikonachweis und die Erforderlichkeit von nationalen Handelsanforderungen, die über CAK-Standards hinausgehen.236 230 IBRD, UNEP und UNDP billigten die Vereinbarung durch sekundärrechtliche Beschlüsse, Boission de Chazoumes, MPUNYB 3 (1999), S. 255 Fn. 33; ebenda, S. 273: " ... it is the frrst real partnership between the World Bank and the United Nations"; Sand, MPUNYB 3 (1999), S. 382. 23 1 Z.B. gemäß Abs. 6, 15, 26 der GEF-Vereinbarung, Art. 11 Abs. 1 S. 2 FCCC, Art. 21 Abs. 1 S. 2 CBD. 232 Dolzer, in: Götz u.a., S. 46 Fn. 11, verweist v. a. auf die nötige doppelte 60%-Mehrheit als Ausgleich der Interessengruppen; die genaue Kompetenzverteilung ergibt sich aus der rechtlich unverbindlichen "GEF Operational Strategy" und den zwischen den COP und dem GEF-Rat vereinbarten Memoranden (MoU), Boission de Chazoumes, MPUNYB 3 (1999), S. 265 f. Fn. 63, 65. 233 Umbricht, in: Bedjaoui, S. 368 f. 234 Die Berichte des IPCC sind abrufbar unter http://www.ipcc.ch. 235 Der CAK gehören auch Unternehmen an; die Standards können erst durch Übemalune ins nationale Recht Verbindlichkeit erlangen. 236 Zur Auslegung des Art. 3 Abs. 3 SPS s. 2. Teil 1. Kap. C. VII. 3. a).

104

1. Teil, 2. Kap.: Programrnkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

2. Politische Kooperation a) Bilaterale Abkommen zwischen den Finanzorganisationen Besondere Bedeutung legt die Staatengemeinschaft auf eine Abstimmung der Finanz- und Wirtschaftsorganisationen IWF, Weltbank ("WB", für IBRD und IDA), WTO. Art. III Abs. 5 WTOA nennt das Ziel der Kohärenz der globalen Wirtschaftspolitik. Dies erfordert die Zusammenarbeit der WTO mit IWF und WB. 237 Die WTO hat mit IWF und WB bilaterale Kooperationsabkommen geschlossen, welche die vorherige informelle Konsultationspraxis unter dem GATI formalisieren?38 IWF und WB verbindet kein formelles Kooperationsabkommen, die Informalität ihrer intensiven Kooperation wahrt größere Spielräume. 239 Das Abkommen zwischen WTO und IWF regelt die Bewertung von Zahlungsbilanzstörungen durch den IWF für die Prüfung der WTO-Rechtmäßigkeit von unter Berufung auf Zahlungsbilanzstörungen ergriffene Handelsbeschränkungen?40 Die Empfehlungen des IWF sind von den WTO-Organen (Zahlungsbilanz-Ausschuß bzw. Panel) zu berücksichtigen. 241 Gemäß Abs. 6 des Abkommens genieß der IWF Beobachterstatus in allen IWF-relevanten WTO-Organen, mit Ausnahme der Streitbeilegungs-Panel und des Haushalts- und Finanzausschusses?42 Soweit IWF-Kompetenzen243 betroffen sind, wird dieser zu Sitzungen des Dispute Settlement Bodies eingeladen. Zwar dürfen WTO und IWF von sich aus dem Partner ihre Auffassung 237 Die Finanzpolitik des IWF, die Handelsregeln der WTO und die Entwicklungspolitik der WB beeinflussen sich wechselseitig; Art. I IBRD-Abkornmen macht "the long-range balanced growth of international trade" zu einem Ziel der WB; zu GATT-widrigen WB-Vorgaben Sampson und Baneth, in: Krueger, S. 266, 273. 238 WT/L/195 (18.11.1996); dazu Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 13-16; Vines, in: Krueger, S. 77 f.; Nogues, in: Krueger, S. 92 f.; Sampson, in: Krueger, S. 264 f. 239 Gold, S. 417-421, 508 m. w.N. 240 Die Abs. 3, 4 des Abkommens beziehen sich auf die Konsultationen nach Art. XV Abs. 2 GATT bzw. Art. XI, XII GATS. 241 Inwieweit diese bindend sind bzw. die WTO-Organe zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet sind, ist nicht abschließend geklärt, "India - Quantitative Restrictions", WT/DS90/R, para. 5.13; WT/DS90/AB/R, paras. 146-152; Benedek, in: Weiss/Denters, S. 485, 487; Ahn, JWT 34/4 (2000) S. 24 f., plädiert für eine widerlegbare Annahme der Richtigkeit der IWF-Feststellungen. 242 Benedek, in: Weiss/Denters, S. 488, hält die Gefährdung der Vertraulichkeit der in die Panelverfahren eingeführten Informationen für den ausschlaggebenden Grund; aber auch rechtspolitische Gründe wie die Angst der Entwicklungsländer vor "cross-conditionalities" dürften relevant sein. 243 Kritisch zu ihrer tatsächlichen Ausweitung ohne rechtliche Ermächtigung Denters, NYIL XXIX (1998), S. 4 ff.

E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen

105

zu Themen von beiderseitiger Bedeutung offiziell darlegen, ausdrücklich ausgenommen sind hiervon aber Stellungnahmen des IWF gegenüber WTO-Paneln (Abs. 8). Abs. 10 dient der präventiven Konfliktvermeidung, indem er die Sekretariate zu gegenseitigen Konsultationen bei möglichen Konflikten verpflichtet. 244 Die WTO-WB-Vereinbarung ähnelt dem WTO-IWF-Abkommen,245 die Beteiligungsrechte sind aber etwas eingeschränkter. 246 Die Absprache zwischen IWF und WB bestimmt u. a., daß die Zustimmung des IWF für WBKredite von makroökonomischer Bedeutung konstitutiv ist. 247 Die WTO-Revisionsinstanz (AB) hat festgestellt, daß Pflichten unter dem IWF-Abkommen die Verletzung von WTO-Recht nicht rechtfertigen, da ihnen kein Vorrang zukommt. 248 In diesem Zusammenhang betonte der AB, daß das WTO-IWF-Abkommen keine Vorrangregeln für Konflikte zwischen WTO-Pflichten und IWF-Pflichten enthält, sondern rein auf Konsulationspflichten der Organisationen setzt. 249 Dies gilt entsprechend für die Vereinbarung zwischen WTO und Weltbank und für die Absprache zwischen IWF und Weltbank. Neben den Kooperationsabkommen sind sekundärrechtliche Initiativen zur gegenseitigen Abstimmung der Finanzinstitutionen ergriffen worden, 250 ihr Ertrag ist aber ebenso schwer einzuschätzen, wie die reale Bedeutung der Kooperationsabkommen?51 244 Allerdings können die Stellungnahmen der Sekretariate natürlich die Vertragsparteien nicht wie eine autoritative Vertragsauslegung binden, Ahn, JWT 34/4 (2000), s. 15 f. 245 Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 14: " . .. the two agreements are almost identical in substance ..."; Benedek, in: Weiss/Denters, S. 489. 246 Nogues, in: Krueger, S. 92 f .: " .. . access of the WTO staff to the meetings of the Bank's board remains quite restricted.". 247 Näheres zu Konflikten und Kooperation zwischen IWF und WB bei Vines, in: Krueger, S. 76 f.; Corbo u.a. 248 Argentina- Footwear, WT/DS56/AB/R, para. 70. 249 Argentina - Footwear, WT/DS56/AB/R, para. 72: "It does not provide any substantive rules concerning the resolution of possible conflicts between Obligations . . . .". 250 WT/GC/W/360 (12.10.1999), para. 6; zur möglichen Rolle von IWF, WB und WTO im Rahmen einer kohärenten internationalen Politik in Richtung "nachhaltige Entwicklung" s. EG, WT/GC/W/391 (12.11.1999). 251 Zur Zurückhaltung von IWF und IBRD bzgl. der Abkommen s. Baneth, in: Krueger, S. 272; zu den Abkommen Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 16: " ... , the degree of co-operative arrangement is not sufficient to address problems that have been experienced under the WTO system."; manche Entwicklungsländer lehnen eine zu enge Kooperation aus Angst vor "cross-conditionalities" ab, z. B. fürchten sie eine Beeinträchtigung ihrer Handelspolitik durch IWF-Vorgaben und Konditionierungen von WB-Geldern, vgl. die Erklärung des WTO-Generalsekretärs in WT/LI 194/

106

1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

b) Beziehungen der WTO zu anderen I. 0. Art. V Abs. 1 WTOA ermächtigt die WTO zum Abschluß von Kooperationsabkommen mit anderen I.O. Die bisherigen Abkommen haben aber vor allem technischen Charakter.252 Der Allgemeine Rat der WTO hat allgemein gehaltene Richtlinien erlassen, um anderen I.O. Beobachterstatus in WTO-Organen zu gewähren.253 Allerdings blockieren einzelne Mitglieder die Gewährung dieses Status an einzelne Institutionen. 254

Mit den VN hat die WTO kein formelles Kooperationsabkommen geschlossen,255 sondern nur durch einen Briefwechsel256 Arbeitsbeziehungen vereinbart, die auf dem Verhältnis von VN und GATT basieren.257 Die WTO ist institutionell außerhalb des VN-Systems geblieben, um die Unabhängigkeit ihrer Handelspolitik zu wahren und die Budgetprobleme der VN zu vermeiden. 258 c) Politische Koordination und Kompetenzabgrenzung als seltenes Phänomen

Eines der wenigen Kooperationsabkommen, das Kompetenzkonflikte durch inhaltliche Vorgaben zur Kompetenzverteilung angeht, 259 ist die Vereinbarung zwischen WHO und UNESC0. 260 Danach ist die WHO primär Add. 1; Ahn, JWT 34/4 (2000), S. 27; Benedek, in: Weiss/Denters, S. 489; Nogues, in: Krueger, S. 93. 252 Z.B. das Abkommen zwischen WTO und WIPO, ILM 35 (1996), S. 754-759. 253 WT/L/161, Anhang 3; im DSB haben nur IMF und IBRD Beobachterstatus; im Haushalts- und Finanzausschuß und in Streitbeilegungspaneln sind keine Beobachter zugelassen. 254 So blockieren die USA den Beobachterstatus für das Sekretariat der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) im TRIPS-Rat, indem sie eine Bindung aller WTO-Mitglieder durch die CBD verlangen, ohne selbst gebunden zu sein; richtigerweise darf der Beobachterstatus nur erfordern, daß alle WTO-Mitglieder der beobachtenden 1.0. beitreten können; zum materiellen Verhältnis CBD/TRIPS s. 2. Teil 1. Kapitel D. II. 4. 255 Ein Status als VN-Sonderorganisation wurde von den WTO-Mitgliedern abgelehnt, WT/PC/R (1994), para. 54, WT/GC/M/5 (1995), WT/GC/W/10 (15.12.1995). 256 WT/GC/W/10 (15.12.95). 257 Das GATT wurde nur rechtstechnisch von der VN-Interimskommission für die ITO (ICITO) bis 1996 verwaltet. 258 Formal hat sich die WTO verpflichtet, VN-Empfehlungen in Erwägung zu ziehen und dazu Stellung zu beziehen, Benedek, in: Weiss/Denters, S. 482. 259 Gold, S. 422: " ... the allocation of responsibility ... is a necessary prerequisite of the procedure for collaboration.". 260 Jenks, RdC 77 (1950-11), S. 239 f.

E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen

107

zuständig für Forschung und Bildung im Gesundheitsbereich, UNESCO für das Verhältnis von Grundlagen- und angewandter Forschung, inklusive gesundheitsrelevanter Forschungsbereiche. Plant eine der Organisationen eine Aktivität, die in die primäre Kompetenz der anderen fallen könnte, soll sie diese konsultieren, ggf. wird ein gemeinsamer Ausschuß mit der Kompetenzfrage befaßt. Schon die Entwürfe für Abkommen der nie ins Leben gerufenen ITO (International Trade Organization), die mit noch umfassenderen Kompetenzen ausgestattet werden sollte, als es die WTO momentan ist, verpflichteten die ITO, andere 1.0. über ihre Aktivitäten von gemeinsamem Interesse zu konsultieren; 261 insbesondere sah der Entwurf des ITO-ILO-Abkommens vor, daß die ITO die ILO konsultiert und mit ihr kooperiert, wenn in ITOStreitverfahren Fragen der Arbeitsbedingungen behandelt werden.Z62 Außerdem war vorgesehen, dass andere 1.0. in die ITO integriert werden konnten, wodurch Synergien geschaffen worden wären. 263 3. Judikative Kooperation zwischen internationalen Gerichten Internationale Gerichte und Streitbeilegungsorgane sind nicht nur gegenüber den Streitparteien und den politischen Organen ihrer Vertragsordnung unabhängig. Auch untereinander sind sie durch kein System der gegenseitigen Bindung oder durch etwaige Vorlageverfahren verbunden: "In International Law, every tribunal is a self-contained system (unless otherwise provided). "264 Mit der Zunahme internationaler Gerichte wird zwar verstärkt über ein Vorlagesystem für Fragen des allgemeinen Völkerrechts an den IGH nachgedacht, 265 eine Realisierung ist aber nicht absehbar. 266 Eine horizontale Kooperation zwischen den Gerichten der Ordnungen des besonderen Völkerrechts ist bisher kaum diskutiert worden, denn dies war bis vor wenigen Jahren nicht erforderlich. Ob sich dies durch die steigende Zahl von Streitfällen mit Bezug zu mehreren Ordnungen ändern wird, bleibt abzuwarten. 267 Jenks, RdC 77 (1950-11), S. 241. Jenks, RdC 77 (1950-ll), S. 242. 263 Art. 87 Abs. 3 Havanna Charter; Chamovitz, AJIL 96 (2002), S. 51. 264 ICTY, Revision "Tadic", ILM 35 (1996), S. 32, para. 11. 265 Treves, MPUNYB 4 (2000), S. 225-229; Schoenbaum, T.M.C. Asser, S. 304; es geht v.a. um die Vermeidung von Auslegungsdivergenzen zwischen WTO-AB, ISGH und IGH, s. 3. Teil 4. Kap. 266 Jennings, BYIL LXVIII (1997), S. 63: " ... there is probably at least for the time being no question of any kind of a general new law-making reform to the situation.". 267 Zu verschiedenen Formen horizontaler Kooperations. 3. Teil 5. Kap. 261

262

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1. Teil, 2. Kap.: Programmk:onflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Die VN und der Internationale Seegerichtshof (ISGH) haben 1997 ein Kooperationsabkommen geschlossen. 268 Es regelt die Beziehungen des ISGH zu den VN, vor allem zum IGH. Die Präambel und Art. 1 Abs. 1 bekräftigen die Unabhängigkeit des ISGH als aufgrund des SRÜ errichtetes Völkerrechtssubjekt. 269 Art. 1 Abs. 3 verpflichtet beide, ihren Status und ihr Mandat gegenseitig zu achten, also vor allem die Kompetenzen von IGH und ISGH. Art. 2 lautet "Kooperation und Koordination". Er verpflichtet die Parteien zu Konsultationen, Kooperation und Koordination, soweit diese angebracht sind (" ... when-ever appropriate ..."). Art. 3 Abs. 3 regelt die Abgabe von Stellungnahmen der VN an den ISGH, ohne aber über die entsprechenden Regelungen im ISGH-Statut hinauszugehen. Art. 4 verpflichtet zum Austausch von Dokumenten und dient der Information von IGH und ISGH über laufende Verfahren vor dem anderen Gericht. Dies umfaßt die Übermittlung aktueller Dokumente auf eigene Initiative und die Beantwortung spezieller Anfragen. Insbesondere dieses Recht, Informationen anzufordern, ermöglicht eine Koordination bzw. eine gewisse gegenseitige Beeinflussung. Die praktische Bedeutung des Kooperationsabkommens muß sich aber noch erweisen. Zur Regelung des Verhältnisses zwischen den VN und dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) sieht Art. 2 des IStGH-Statuts den Abschluß eines Kooperationsabkommens vor. Dieses dürfte neben organisatorischen Fragen auch das Verhältnis des IGH und des VN-Sicherheitsrats zum IStGH betreffen und sich am IStGH-Statut und am Abkommen zwischen VN und ISGH orientieren.Z70 Die politisch bedeutsamen Fragen des Verhältnisses zwischen IStGH und VN-Sicherheitsrat sind aber bereits durch Art. 13 lit. b), 16 des IStGH-Statuts geregelt, das Kooperationsabkommen betrifft vor allem Verwaltungsfragen. 271 Auf regionaler Ebene schafft Art. 106 des EWR-Abkommens ein Informationssystem zwischen EuGH, EFTA-Gerichtshof und den nationalen Höchstgerichten der EFTA-Staaten, um divergierende Auslegungen zu verhindern bzw. auf diese hinzuweisen.Z72 Eine geringe Form der Kooperation im Bereich internationaler Rechtsprechung ist die Aufstellung von Listen potentieller Mitglieder von Schiedsgerichten durchsachkompetente andere 1.0. bzw. durch deren Organe.273 UN Doc. A/52/L.SO, http://www.un.org/Depts/los/res5225l.htm (20.07.00). Fleischhauer, MPUNYB 1 (1997), S. 330: ... .. the Court and the Tribunal, from their institutional set-up, are not in a formal relationship with each other at all. They stand independent and separate from each other. In substance there is, however, a relationship ... ". 270 Marchesi, in: Trifterer, Art. 2 Rn. 12. 271 Marchesi, in: Trifterer, Art. 2 Rn. 2, 13. 272 Eine Informationsstelle besteht auch für die Entscheidungen von EuGH und EFfA-GH zu den ähnlichen Abkommen EuGVÜ und Lugano-Abkommen, SeidlHohenveldern/Loibl, Rn. 1377. 268

269

E. Kooperationsabkommen zwischen internationalen Organisationen

109

N. Fazit Eine inhaltliche Koordination der Rechtsetzung oder -auslegung ist in Kooperationsabkommen noch nicht erfolgt. Insofern ist die Feststellung der WTO-Revisionsinstanz zur fehlenden Regelung von Kollisionen des WTORechts und des IWF-Rechts im IWF-WTO-Abkommen symptomatisch.274 Auch wenn die Bedeutung interdependenter, regimefremder Ziele für die regimeinterne Rechtsetzung zunehmend anerkannt wird, 275 machen die praktischen Schwierigkeiten einer Formulierung multifunktionaler Rechtssätze276 und die Achtsamkeit der 1.0. auf Wahrung ihrer eigenen Kompetenzen eine baldige kooperativ koordinierte Rechtsetzung unwahrscheinlich.277 Kurz- und mittelfristig dürfte eine Auslegung des Regimerechts unter Beachtung interdependenter "regimefremder" Ziele erfolgversprechender sein.278 Kooperationsabkommen haben momentan vor allem prozedurale Bedeutung, indem sie Informationsaustausch und Konsultationspflichten regeln.279

273 Z.B. Betrauung von FAO, UNEP, IOC und IMO durch Art. 2 des SRÜ-Anhang VIII; Mensah, MPUNYB 2 (1998), S. 313; in .,Southern Bluefin Tuna" bestellten die Streitparteien aber Richter, die nicht auf diesen Listen geführt wurden, Kwiatkowska, AJIL 94 (2000), S. 155. 274 Argentina - Footwear, WT/DS56/AB/R, para. 72: .,It does not provide any substantive rules concerning the resolution of possible conflicts between obligations ...."; s. 2. Teil 2. Kap. D. 1.; ähnlich für das Abkommen WTO-WIPO Abbott, in: Bronckers/Quick, S. 18. 275 EG-Mitteilung zur WTO-Ministerkonferenz 1999, WT/GC/W/391, 12.11.1999, para. 9: .,All of these instances of policy interdependence are connected to rule-making and require close cooperation among international organizations.". 276 Stall, in: Wolfrum, S. 92: .. On the international Ievel, this integrated approach is even more difficult to manage, as the relevant policy areas ... are clearly segregated and have different structures of bargaining, decision-making, rulemaking and organizing of trade-offs."; zur schwierigen Verwirklichung der EGQuerschnittsklauseln Müller-Graf!, S. 76 f., zur Umweltquerschnittsklausel Wasmeier, CML Rev. 38 (2001), S. 159-177. 277 Verloren van Themaat, in: Denters/Schrijver, S. 25: ,,No meaningful progress, however, has been made with regard to . . . a coherent implementation of a new international econornic order. Single issue international organizations like the WTO, the IMF and the World Bank cannot autonomously provide for such a coherent implementation. The new pole of sustainable development, notwithstanding important progress on the point of substantive rules, has not yet led to institutional arrangements which can guarantee coherent and effective implementation ...". 278 s. 2. Teil 3. Kap. D. III. 2. e) dd), ee); 3. Teil 5. Kap. 279 Für den Bereich Handel/Gesundheit Correa, JWT 34/5 (2000), S. 112: .,Though the implementation of various WTO agreements ... significantly relies on standardizing activities undertaken by WHO, there has been so far little substantive interaction and co-operation between WHO and WTO.".

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1. Teil, 2. Kap.: Programmkonflikte, Kollisionsregeln, Koordination

Die Programmkonflikte zwischen Regimen wurden wegen ihres politischen Charakters durch die bisherigen, administrativ geprägten Kooperationsverträge also nicht geklärt. Zumindest der Umfang der bestehenden Konsultationspflichten dürfte sich stetig ausweiten. Innerhalb immer mehr Vertragsordnungen können Organe anderer Regime in Verfahren der Rechtsetzung und Rechtsprechung Stellung nehmen und die Belange ihrer Ordnung zu wahren versuchen?80

280 Vgl. auch Blokker, in: Blokker/Schermers, S. 19 f.: "A pragmatic approach seems to offer better prospects."; ähnlich Schermers, in: Blokker/Schermers, S. 552.

2. Teil

Konflikte des materiellen Völkervertragsrechts Überblick über den 2. Teil der Untersuchung

Die Untersuchung von Lösungen für Konflikte des materiellen Völkervertragsrechts beginnt mit der Analyse eines konkreten Programmkonfliktes: das Verhältnis von internationalem Handel und Umweltschutz ist der Bereich der wohl stärksten Bearbeitung und Durchdringung durch WTO-Mitglieder, Entscheidungen von GATI- und WTO-Streitbeilegungsorganen und wissenschaftliche Analysen (1. Kapitel). Dem folgt ein Vergleich des Konfliktfelds Handel/Umwelt mit der Struktur anderer Programmkonflikte, dem Verhältnis Handel/Arbeitsrechte, Handel/Menschenrechte, TRIPS/WIPO-Abkommen, Handel/Finanzen und Entwicklung sowie Handel/Post und Telekommunikation (2. Kapitel). Das 3. Kapitel dient der Darstellung möglicher Lösungen: ausführlich werden Verfahren des Ausgleichs und der gegenseitigen Beeinflussung der Ordnungen untersucht, insbesondere die Potentiale und Grenzen der harmonisierenden Auslegung.

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2. Teil, I. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

1. Kapitel

Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht Nach einer Einleitung in das tatsächliche und politische Verhältnis von Welthandel und Umweltschutz (A) erläutert das 1. Kapitel zunächst die für die Zulässigkeit von umweltschützenden Handelsmaßnahmen wichtigsten Normen des WTO-Rechts in ihrer durch GATT- und WTO-Panel geprägten Interpretation (B). Dem folgt die Darstellung und Diskussion grundlegender Probleme des Bereichs Handel/Umwelt anband der Berichte der GATT- und WTO-Panel (C). Dabei wird neben den klassischen Problemen (Art. I, III, XI, XX GATT) dem im WTOA enthaltenen neuen Welthandelsrecht verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet, insbesondere dem SPS-Abkommen, zu dem die Revisionsinstanz bereits drei Berichte erstellt hat. Abschnitt D. gibt zunächst die Struktur und die wichtigsten Bestimmungen multilateraler Umweltabkommen (MEAs) wider (I.). Dies trägt der Bedeutung Rechnung, die MEAs durch die WTO-Rechtsprechung für die Rechtfertigung von grenzüberschreitenden Handelsmaßnahmen zum Schutz der Umwelt erhalten haben. Neben den "klassischen" WTO-problematischen Abkommen (CITES, Montrealer Ozon-Protokoll, Basler Abfall-Konvention) werden u. a. die Klima-Konvention, das Kyoto-Protokoll und das Biosicherheitsprotokoll wegen ihrer potentiell großen künftigen Handelsrelevanz1 behandelt. Dem folgt eine Übersicht über typische und neuartige Konflikte zwischen WTO-Recht und MEAs (II.). A. Einleitung Umweltschutz und "nachhaltige Entwicklung" haben angesichts der globalen Umweltprobleme eine ebenso große rechtspolitische und wirtschaftliche Bedeutung2 wie der internationale Handel. Auch wenn Umweltzerstörung durch international gehandelte Waren oder Dienste nur ein Teil der globalen Umweltzerstörung ist, wächst die wirtschaftliche und ökologische 1

Boissan de Chazoumes, in: Wolfrum, S. 292; Cameron/Campbell, in: dies.,

s. 218.

2 s. die im Auftrag der VN erstellte "Pilot Analysis of Global Ecosystems", http://www.wri.org/wr2000/page.html, und die Berichte des IPCC, http://www.ipcc. org; zur Bedeutung des internationalen Handels für die Weltwirtschaft (26% der Güterproduktion) http://www.wto.org/wto/anniv/press.htm; zum Verhältnis von internationalem Handel und Umweltzerstörung http://www. wto.org/wto/environ/ press140.htm und http://www.worldwatch.org/, zur steigenden globalen Ungleichverteilung des Wohlstands http://www.undp.org/hdro/report.html.

A. Einleitung

113

Bedeutung des Handels weiter. Ökologische Vorgaben gegenüber Importprodukten und -diensten stoßen bei vielen internationalen Unternehmen eine umweltfreundlichere Produktion auch für den inländischen Markt an. Gerade das Verhältnis Handel/Umwelt zeigt, daß Progranunkonflikte über Normenkollisionen hinausgehen und konkurrierende vertragliche Primärziele widerspiegeln. Die Bedingungen von Import und Export umweltschädlicher Waren bleiben ein zentrales Thema, werden aber z.B. durch die Frage nach internationalem Patentschutz an biologischen Ressourcen und gentechnisch veränderten Lebewesen ergänzt. Daneben gewinnen die weithandelsrechtliehen Begrenzungen der innerstaatlichen Marktregulierung durch GATS und TRIMS an Bedeutung. Kaum ein anderes Verhältnis zwischen Teilbereichen des besonderen Völkerrechts haben internationale Praxis und Wissenschaft in den letzten Jahren so intensiv untersucht, wie den Komplex Handel/Umwelt. I. Vier Verbindungslinien zwischen Umwelt und Handel

Handel und Umweltschutz sind auf mindestens vier Ebenen verknüpft: Erstens hat Handel immer ökologische Auswirkungen; während es bei einzelnen Produkten eindeutig ist, ob der Handel eher umweltfreundliche oder schädliche Waren verbreitet, ist seine ökologische Gesamtbilanz umstritten: manche Ökonomen verweisen auf das mit Handel verbundene Wirtschaftswachstum und steigenden Transportaufwand und den dadurch bedingten Anstieg von Ressourcenverbrauch und Emissionen; andere meinen, der Wohlstandsgewinn durch Handel ermögliche vielen Gesellschaften erst einen Schutz ihrer Umwelt. 3 Zweitens bedeuten schwache nationale Umweltstandards bzw. eine nachlässige Vollzugsüberwachung meist Kosten- und Wettbewerbsvorteile der Produzenten.4 Während bei Fehlen jeglicher Umweltstandards der Begriff "Ökodumping" im Sinne unfairer Bedingungen zutreffen kann, sind unterschiedliche Standards nicht grundsätzlich negativ, sondern legitime nationale Entscheidungen zwischen konkurrierenden Zielen und Opportunitätskosten. 3 Eine differenzierte Sichtweise empfiehlt der Bericht des WTO-Sekretariats vom 8.10.1999, http://www.wto.org/wto/environ/press140.htm (20.10.99); kritisch Charnovitz, GIELR XII (2000), S. 523-542; zu denken geben muß v. a. die Feststellung des WTO-Berichts, daß die Umweltübemutzung, die zu globalen Problemen wie Klimawandel führt, anders als lokale Umweltverschmutzung nicht schon bei Erreichen mäßigen Wohlstands abnimmt, sondern (wenn überhaupt) erst bei einem Wohlstandsniveau, das sich global nicht verallgemeinem läßt (S. 57)! 4 Andererseits können hohe Standards die Entwicklung von Umwelttechnik anreizen, die zu einem wichtigen Exportgut werden kann. 8 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Drittens beeinflussen Zollhöhen die Exportchancen. Solange die Industriestaaten vergleichsweise hohe Zölle auf weiterverarbeitete Waren und Agrarprodukte beibehalten, werden die Entwicklungsländer dazu gedrängt, Primärrohstoffe in einer Menge zu exportieren, die nicht nachhaltig ist und die den Weltmarktpreis so stark drückt, daß sich die sozialen und ökologischen Kosten der Produktion im Preis nicht widerspiegeln. Dies führt zu fortgesetzter Verschwendung und verhindert Effizienzsteigerungen.5 Viertens stellt das Welthandelsrecht Anforderungen an handelsbeeinträchtigende Umweltmaßnahmen und beschränkt somit in gewissem Maße die verfügbare Umweltpolitik. Allerdings stellt das WTO-Recht die nationale Souveränität zur Bestimmung des Umweltniveaus nicht in Frage, sondern verbietet vor allem sachfremde Diskriminierungen und zum Schutz der Umwelt nicht erforderliche Beschränkungen. Daher behindert das Handelsrecht die Korrektur von Marktversagen gegenüber ökologischen Extemalitäten nicht. 6 Andererseits sieht die Außenpolitik vieler Länder die Ausweitung des Zugangs ihrer Produkte zu fremden Märkten als ein gegenüber dem Umweltschutz vorrangiges Ziel an, so daß sie sich Umweltschutzpflichten mit Marktzugangsrechten abkaufen läßt. Daher ist die Verknüpfung von Handel und Umwelt ein wechselseitiger, in beide Richtungen verlaufender Prozeß,7 was ein typisches Phänomen von Programmkonflikten ist. Allerdings ist bei dieser wechselseitigen Verknüpfung die Ebene der Vertragsdurchsetzuns von der Vertragsaushandlung zu unterscheiden: Während bei der Aushandlung ein freies wechselseitiges Verknüpfen von Rechten und Pflichten verschiedener Bereiche zwar tatsächlich schwierig und strategisch bedenklich8 sein kann, aber rechtlich zulässig ist, begegnet eine Koppelung beider Bereiche bei der Vertragsdurchsetzuns rechtlichen Grenzen. Eine Nichterfüllung von Umweltschutzpflichten zur Erzwingung der Einhaltung des WTOTorres, JWT 33/5 (1999), S. 162. Verbruggen/Kuik, in: Van Dijck/Faber, S. 267 f., bemerken, daß Handelspolitik eher auf die Verringerung staatlicher Regulierung ziele, die Umweltpolitik auf Regulierung gegen ökologisches Marktversagen. 7 Treffend Roessler, in: Krueger, S. 226: "The third illusion is that the trade and environment link is a one-way street toward better environmental protection... . If environrnentalists seek in the WTO the , trade weapon' to further environmental goals, they must therefore accept that other nations obtain the ,environmental weapon' to defend their trade interests. However, . .. the main purpose of international bargaining is to create regimes, systems of rules and procedures making governmental actions more predictable. Each of these regimes cannot furnish predictability if it is constantly exposed to the need to adjust to a breakdown in other regimes."; ähnlich Torres, JWT 33/5 (1999), S. 161; Eglin, in: Bhagwati/Hirsch, S. 254 f. 8 Roessler, UPaJintEconL 19 (1998), S. 532: " . . . the hoped cross-fertilization is likely to turn into cross-contarnination."; zur abnehmenden Effektivität bei paralleler Verfolgung unterschiedlicher Ziele s. Dixit. 5

6

A. Einleitung

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Rechts kommt wegen der Unteilbarkeit der Umweltpflichten gegenüber allen Parteien der muttipolaren MEAs genausowenig in Betracht, wie die Erzwingung der Einhaltung der MEAs selbst durch eine Nichterfüllung der eigenen Umweltpflichten erlaubt ist. Eine Verletzung von WTO-Recht darf gemäß Art. 21-23 des WTO-Streitbeilegungsvereinbarung (DSU)9 nur durch Aussetzung äquivalenter Handelsvorteile sanktioniert werden. Eine Verletzung von MEAs darf nach WTO-Recht nur durch eine Beschränkung des Handels solcher Waren und Dienste beantwortet werden, die mit der Verletzung unmittelbar zusammenhängen. 10 Erlaubt ist nur eine positive Verknüpfung, die Motivation zu zusätzlichem Umweltschutz durch zusätzliche besondere Handelserleichterungen. 11 1/. Handelsmaßnahmen als Umweltschutz, Umweltschutz

als Handelsmaßnahme

Die schon bei abstrakter Betrachtung vielfältige Interdependenz von Umwelt und Handel wird in der praktischen Ausarbeitung und Anwendung von Umwelt- und Handelsrecht zusätzlich kompliziert. Während Umweltpolitiker die Legitimität von Handelsbeschränkungen zum Schutz von Umweltgütern betonen, warnen Ökonomen vor allem vor dem Mißbrauch ökologisch begründeter Handelsbeschränkungen zur Abschottung nationaler Märkte und Realisierung überhöhter Gewinnspannen (,,rent seeking"). Die Gefahr des protektionistischen Mißbrauchs von Umweltmaßnahmen beweisen nicht zuletzt die Verhandlungen zum Montrealer Ozon-Protokoll 12 und die Beeinflussung des US-Kongresses durch Öltirrneo als Auslöser des WTO-Streitfalls "US - Gasoline" 13 • Während Umweltschutz als öffentliches Gut im politischen Prozeß eher schwach vertreten ist, haben Industrieverbände als homogene Interessengruppen starken Einfluß, so daß Handelsbeschränkungen, die offiziell dem Umweltschutz dienen, in Wahrheit oft vor allem auf Marktabschottung abzielen und eine nur bescheidene oder gar kontraproduktive ökologische Wirkung aufweisen. 14 Daher sollten Handelsbeschränkungen grundsätzlich nur eingesetzt werden, wenn sie die Umweltverschmutzung unmittelbar bekämpfen und wenn BGBl. 1994 li, S. 1749-1764; ILM 33 (1994), S. 112-135. Näher dazu 3. Kap. E. I. 3. b) bb), cc). 11 Zur GATT-Konformität besonderer Handelsvorteile (GSP): De Haan, in: Weiss/ Denters, S. 310 f.; seit Ende 2001 wurden zwei WTO-Verfahren gegen die EG-GSP angestrengt, EC- GSP, WT/DS242/1 und EC- Tariff Preferences, WT/DS246/l. 12 Roessler, in: Krueger, S. 222. 13 Dunoff, EJIL 10 (1999), S. 749; zu den protektionistischen Wirkungen der EGBananenmarktordnung Borell, Policy Research Working Paper 1386, Worldbank 1994. 14 Roessler, in: Krueger, S. 225-228. 9

10

s•

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

ökonomisch effizientere, gleichwirksame Umweltschutzmaßnahmen nicht zu realisieren sind. Dies verdeutlicht die für Programmkonflikte typische Wechselbezüglichkeit der Lebensbereiche: nicht nur muß das Handelsregime den ökologische Erfordernissen folgen, auch Umweltrecht muß zumindest die grundlegenden ökonomischen Zweckmäßigkeiten beachten, um WTO-konform zu sein. lll. Konflikte und Synergien

Die Liste der Konflikte, aber auch Synergien zwischen Handel und Umweltschutz ist lang und vielfältig: Der Abbau umweltschädigender, wettbewerbsverzerrender Subventionen (z. B. Kohle- und Kernenergie, Fischerei15) hilft Umweltschutz und Handel gleichermaßen ("win-win-situation"),16 ein Verbot von Subventionen zur Einhaltung progressiver Umweltstandards behindert dagegen ökologische Verbesserungen. Umweltstandards für international gehandelte Waren und Dienste können ein Vorreiter für identische inländische Standards im Exportland sein, sie können aber auch den Zugang zu Exportmärkten beschränken. Die Produktionsstandards der Industriestaaten sind im globalen Vergleich zwar überdurchschnittlich, gleichzeitig übertrifft deren Pro-Kopf-Umweltverschmutzung die der Entwicklungsländer aber um ein Mehrfaches. Im Schnittfeld von Handel/Umwelt begegnen sich das Interesse der Industriestaaten an einer möglichst weiten globalen Annäherung der Umweltstandards und das Ziel der Entwicklungsländer, ihre komparativen Kostenvorteile durch Vermeidung teurer Umweltschutztechniken zu bewahren. Das Umweltschutzinteresse der Industriestaaten speist sich aus ökologischer Sorge einerseits, dem Wunsch nach Verringerung der komparativen Kostenvorteile der Entwicklungsländer und Abschirmen der eigenen Märkte andererseits. Außerdem wird eigene Umwelttechnik durch globale Standards zum Exportgut Die Entwicklungsländer dagegen wollen ihre Kostenvorteile wahren und können auf die in absoluten Zahlen, erst recht Pro-Kopf, ungleich höhere Umweltverschmutzung durch die Industriestaaten verweisen, die daher früher und stärker Umwelt schützen müßten. Den Entwicklungsländern fehlen oft einfach die Mittel, kapitalintensiven Umweltschutz zu betreiben. 17 Wenn die Industriestaaten eine Erfüllung ihrer Standards durch 15 Gemäß para. 28 der Ministererklärung von Doha wird in der WTO über Fischereisubventionen verhandelt. 16 Torres, JWT 33/5 (1999), S. 154 f.; Lang, RGDIP IC (1995), S. 545 ff.; WT/ GC/W/358, 12.10.1999, para. 9. 17 Daher greift hier das Verursacherprinzip nur insoweit, daß fremde Hilfe den Entwicklungsländer helfen soll, verschärfte Umweltschutzanforderungen zu erfüllen und daß die Hilfe keine Spielräume für neue Umweltzerstörung eröffnen darf; zum

A. Einleitung

117

Importe aus Entwicklungsländern fordern, kommen sie kaum umhin, dies durch Geld und Technologietransfer in die an Kapitalmangel leidenden Entwicklungsländern zu erleichtern, um diesen den Marktzugang nicht zu verschließen.18 Diese Verbindung von Umweltanforderungen mit Hilfsmaßnahmen ("package deal") hat ihren Niederschlag in mehreren multilateralen Umweltverträgen gefunden. 19 Art. 4 Abs. 7 der Klimarahmenkonvention (FCCC) und Art. 20 Abs. 4 der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) machen die Erfüllung der Vertragspflichten der Entwicklungsländer von der Erfüllung der Vertragspflichten der Industriestaaten zu Finanz- und Technologietransfer abhängig. 20 Ebenso betonen diese Umweltverträge die primäre Bedeutung von Entwicklung und Armutsbekämpfung für umweltfreundlicheres Wirtschaften der Entwicklungsländer. Im WTO-Recht sind manche Pflichten zur Handelsliberalisierung durch die Entwicklungsländer später zu erfüllen, als durch die Industriestaaten (z.B. Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 TRIPS)21 oder Ausnahmen von Meistbegünstigung oder Reziprozität ermöglichen die Bevorzugung von Entwicklungsländern (z.B. Art. XXXVI GATT, "enabling clause"22). Eine unmittelbare Bindung der Rechtmäßigkeit von Umweltstandards an die Gewährung von Finanzhilfe gibt es zwar nicht. Für extraterritorialen Umweltschutz muß aber grundsätzlich eine multilaterale Ermächtigung vorliegen, 23 die als "package deal" regelmäßig Finanz- und Technikhilfe vorsieht. 24 Bedeutender ökologischer Fortschritt, der den Umweltproblemen gerecht wird, ist in Gesellschaften mit ausdifferenzierter Sozialstruktur und kapitalistischem Wirtschaftssystem nur durch eine Einberechnung der ökologischen Folgen in die Kosten der Herstellung von Waren und Bereitstellung von Diensten zu erreichen. 25 Dies würde zu umweltschonenderen Produkten und ökonomischen und völkerrechtlichen Gehalt des Verursacherprinzips s. Smets, in: Campiglio, S. 131 ff. 18 Buck, Millenium 29 (2000), S. 544: .,To seriously address the complex problems underlying the interface of trade and environment, industrialised countfies have to make much greater commitments. "; Anderson, in: Krueger, S. 250; Helm, Economics, 55156 (1997), S. 108; Pyatt, ELQ 26 (1999), S. 837; Stoll, in: Wolfrum, S. 62-86; Torres, JWT 33/5 (1999) S. 161; Wolf, in: Klein/MIR, S. 93. 19 Z.B. Art. 10 Montrealer Ozon-Protokoll, Art. 11 Klimarahmenkonvention, Art. 21 Konvention über biologische Vielfalt; Länderstudien zu diesen .,packages" mehrerer MEAs finden sich bei lha/Hoffmann. 20 Hierzu Boisson de Chazoumes, in: Wolfrum, S. 298 f. 21 s. die Klassifikation zwölf verschiedener Arten der Vorzugsbehandlung im WTOA bei Verwey, in: Denters/Schrijver, S. 55 ff. 22 GATT Doc. L/4903, 28.11.79, BISD 26S, 1980; zum Verhältnis von GSP und GATT: De Haan, in: Weiss/Denters, S. 310 f. 23 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 166-168.; s.u. C. IV. 3. b). 24 Dafür spricht auch Art. 7 der Rio-Erklärung; zu deren Bedeutung für die Auslegung von WTO-Recht US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 168.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Herstellungsverfahren und verändertem Nachfrageverhalten führen. Je stärker dieser für effiziente Umweltpolitik unausweichliche Weg von einzelnen WTO-Mitgliedern beschritten wird, desto stärker wird der Ruf nach einem Ausgleich der unterschiedlichen Kostenbelastung der einheimischen gegenüber der ausländischen Produktion werden, z. B. durch Importsteuern und -abgaben ("border tax adjustment"). Deren Zulässigkeit ist an Art. III Abs. 2, Art. ll Abs. 2 lit. a) GATT zu messen. 26 Dies wirft die schwierigen Fragen der Definition der Gleichartigkeit von Waren und der Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung der Umweltschädlichkeit des Produktionsprozesses (PPM) auf. 27 Einerseits muß eine Internalisierung multilateral anerkannter Umweltfaktoren möglich sein, andererseits darf dies die Exportchancen der Entwicklungsländer nicht zerstören. 28 Rechtspolitisch werden zum Verhältnis von WTO-Recht und Umweltschutz drei Hauptstrategien vertreten: die klassische Freihandelstheorie empfiehlt die Konzentration der WTO auf den Handel i. e. S. (Freihandel durch Abbau von Hindernissen) unter weitgehender Ignorierung von Umweltproblemen ("Handel schafft Wohlstand, der Umweltschutz erst ermöglicht")29; viele Umweltökonomen und liberale Umweltschützer plädieren für eine gegenseitige Durchdringung von Handelsrecht und Umweltrecht im Sinne einer Berücksichtigung von Umweltzielen und -normen durch die WTO und von Handelsprinzipien in MEAs; 30 diese Gruppe sieht die WTO als Reformmotor für die Schaffung eines interdependenten Systems, in dem 25 CITES-Sekretariat, WT/CTE/W/165 (13.10.00), para. 17: " ..., the discussion on synergies should be on how the trade system intends to internalize the cost and effects of environmental degradation generated by their activities."; Chamovitz, A.JIL 96 (2002), S. 34, weist darauf hin, daß Kosteninternalisierung kein Ziel der WTO ist; entgegen weitverbreiteter umweltökonomischer Ansicht gibt es kein "natürliches Maß" der Kosteninternalisierung, das sich aus rein allokationstheoretischen Berechnungen ergeben könnte, die Festlegung des ökologischen Zielbereichs ist eine politische Entscheidung! Deutlich: Maier-Rigaud, S. 85-107; ders., GAlA 8/3 (1999), 172-175. 26 Zu den WTO-Anforderungen an "border tax adjustment" im Klimaschutz Brack/G/W, S. 81-90. 27 s. sogleich B. I. 2. c) bb). 28 Verbruggen/Kuik, in: Van Dijck/Faber, S. 272 f.: " ... border adjustement measures ... create the somewhat curious position where the North would, on the one band, grant developing advantages in international environmental agreements ..., while on the other band curtailing some of the advantages by countervailing trade measures ... Here is a very real danger of conflict between trade and the environment.". 29 Z.B. Motaal, JWT 35/6 (2001), S. 1226-1233; eine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung findet sich z. B. bei Howse, A.JIL 96 (2002), S. 103 f. 30 Z.B. Esty, "Greening the GATI"; Mavroidis, JWT 34/1 (2000), S. 77 f.; Bronckers, JIEL 4 (2001), S. 48-54; Howse!Nicolaidis, S. 13; 1/SD, http://iisd.ca/../ trade/statement.htm (14.09.00); entsprechend für Handel/Soziales: Benedek, in:

B. Umweltrelevante WTO-Nonnen

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das Verhältnis Umwelt/Handel vor allem außerhalb der WTO durch MEAs bestimmt wird, in dem Handelsmaßnahmen aber zur Durchsetzung ökologischer Ziele verwendet werden können. 31 Eine dritte Gruppe, vor allem Nichtregierungsorganisationen, insbesondere aus den Entwicklungsländern, lehnen die erfolgte und mögliche weitere Ausweitungen der WTO-Kompetenzen als zentralistisch und kapitalistisch ab und fordern stattdessen einen generellen Vorrang anderer Politiken gegenüber dem WTO-Recht. 32

B. Umweltrelevante WTO-Normen Alle in den Anhängen 1-3 des WTO-Übereinkommens (WTOA) aufgeführten multilateralen Abkommen sind gemäß Art. II Abs. 2 WTOA integraler Bestandteil des WTOA und gelten für alle WTO-Mitglieder?3 Traditionell wichtigstes Abkommen des Welthandelsrechts ist das den Warenhandel regelnde GATT ("General Agreement on Tariffs and Trade"), das in seiner 1947 beschlossenen Form vom 1.1.1948 bis zum 31.12.1995 galt. Das seit dem 1.1.1995 geltende GATT 1994 umfaßt das GATT 1947 und die einzelne GATT-Artikel konkretisierenden speziellen Warenübereinkünfte, sowie die unter dem GATT 1947 getroffenen Entscheidungen (Absatz 1 lit. b) iv) des Anhangs 1A GATT 1994). Zum Schutze der Umwelt erfolgende Verletzungen des GATT, insbesondere seiner Art. I, III, XI oder XIII können nach Art. XX lit. b), g), a) GATT gerechtfertigt sein. Seit lnkrafttreten des WTOA arn 1.1.1995 gilt für technische Warenvorschriften das auf dem TBT 1979 beruhende TBT ("Agreement on Technical Barriers to Trade"). Für Beschränkungen des Warenhandels aus (pflanzen-) gesundheitlichen Gründen ist das Spezialabkommen SPS ("Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures") einschlägig. Der Dienstleistungshandel ist durch das GATS ("General Agreement on Trade in Services")34 seit dem 1.1.1995 (teil-)liberalisiert, wenn auch in schwächerem Maße als der WarenhandeL Die Struktur des GATS ähnelt Weiss/Denters, S. 494 f.; abwegig Strauss, UPaJintEconL 19 (1998), S. 800 ff., der eine Einklagbarkeit von MEA-Pflichten in der WTO vorschlägt. 31 Z. B. AG Handel des Forums Umwelt&Entwicklung: "Die WTO-Ministerkonferenz in Seattle", UBA-Texte 40/2000. 32 Vgl. 3. Kap. A. III. 1.; für eine Einschränkung der WTO-Kompetenzen z.B.: Erklärung "WTO - Shrink or sink" von 544 NROen, http://www.citizen.org/ pctrade/gattwto/ShrinkSink/Shrinksink.htm (12.7.00); strikt gegen jegliches Durchsetzen handelsverbundener Werte durch Handelsbeschränkungen ist z. B. 1WIN-SAL, in: Econorniquity 11/1999, S. 2-4. 33 "Single undertak.ing", Brazil - Coconut, WT/DS22/AB/R, S. 17; Korea Dairy, WT/DS98/AB/R, para. 74; dagegen gelten die plurilateralen Abkommen des WTOA-Anhang 4 nur zwischen den WTO-Mitgliedern, die ihnen beigetreten sind. 34 BGBL 1994 II S. 1645-1657.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

der des GATI, inklusive der Ausnahme zum Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Daher wird das GATS hier gemeinsam mit dem GATI behandelt. 35 Das TRIPS ("Trade-Related Aspects of /ntellectual Property Rights") stellt Mindestanforderungen an den Schutz geistigen Eigentums und regelt Fragen der Patentfahigkeit von Lebewesen, insbesondere Mikroorganismen. Schließlich finden sich in mehreren Spezialabkommen Sonderregelungen zum Umweltschutz. Die Erwähnung des Umweltschutzes in der Präambel des WTOA beeinflußt die Auslegung der umweltrelevanten Normen der einzelnen Abkommen. Das WTO-Recht macht der Wirtschaftsregulierung durch die Ausweitung über den Bereich des Warenhandels hinaus auf Dienstleistungen, intellektuelles Eigentum und handelsverbundene Investitionsmaßnahmen ("TRIMs", Trade-Related Investment Measures) in immer mehr Bereichen Vorgaben. Obwohl diese überwiegend (Negativ-)Vorgaben in Form von Verboten, insbesondere des Diskriminierungsverbots sind, ist das WTORecht in einer steigenden Zahl von Lebensbereichen eine dem EU-lEGRecht übergeordnete Regulierungsebene, die ähnlich dem EWG-Recht ab den 70er/80er Jahren nicht mehr nur Wirtschaftsfragen regelt, sondern auf damit verbundene soziale und ökologische Sachverhalte übergreift. Wegen dieser Verbreiterung des WTO-Rechts auf handelsverbundene Aspekte, wegen seiner Schutzfunktion für individuelle Freiheiten und wegen der quasiautomatisch verbindlichen obligatorischen Streitbeilegung wird vielfach von einer "Konstitutionalisierung" des Welthandelsrechts gesprochen?6 Die in Anhang 1-3 des WTOA aufgezählten multilateralen Abkommen sind integrale Bestandteile des WTOA, die sich in der Auslegung gegenseitig beeinflussen und die von allen WTO-Mitgliedem beachtet werden müssen ("single undertaking" gemäß Art. II WTOA und Abs. 47 der Ministererklärung 200 l ). Dieser "Kontrahierungszwang" erleichtert weitgehende Handelsliberalisierungen durch abkommenübergreifende Kompromißpakete.37 35 Zu Beschränkungen umweltrechtlicher Regulierung durch das GATS s. Date, S. 19-26, Macmillan, S. 186-221; zu ökologischen Dienstleistungen S/C/W/46 (6.7.2000), WT/CTE/W/172 (20.10.00); allgemein zum GATS statt vieler Senti, UZ 1995, S. 77-84; Weiss, CML Rev. 32 (1995), S. 1177-1225. 36 Z.B. Petersmann, EJIL 6 (1995), S. 162- 187; Jackson, JIEL 1 (1998), S. 1 ff. ; 344 f.; ders., NYUJILaP 31 (1999), S. 826, 830; Cottier, in: Fijalkowski/Cameron, S. 58; StolZ, ZaöRV 57 (1997), S. 116 ff.; exzellente Kritik an diesem Begriff bei Howse/Nicolaidis, S. 6-12; Nettesheim, in: Schenk u. a., 2000, S. 56-66; zur Verfassungsfunktion des EGV: EuGH, Rs. 294/83 "Les Verts/EP", Slg. 1986, 1339; Gutachten 1/91, Slg. 1-1991, S. 6079 Rn. 21; Frowein, DGVR 39 (1999) S. 438, definiert die völkerrechtliche Konstitutionalisierung vor allem über obligatorische Streitbeilegung. 37 Zur Bedeutung der auf dem "single undertaking" beruhenden Verhandlungspakete für das Machtungleichgewicht zwischen den WTO-Mitgliedern Torres, JWT 33/5 (1999), S. 159 Fn. 6; Bronckers, JIEL 3 (2000), S. 548 f.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

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Andererseits beschränkt dies die nationale Souveränität, insbesondere der WTO-Mitglieder, welche mangels handelspolitischem Druckpotenzial und finanzieller und personeller Ressourcen an den Verhandlungen der Welthandelsrunden nicht oder nur unzureichend beteiligt sind.38 Die Struktur der WTO-Verhandlungen ist mit den Anforderungen des Demokratieprinzips (Art. 6 Abs. 1 EU, Art. 20, 23 GG) an die Rechtsetzung kaum zu vereinbaren, insbesondere bei abkommenübergreifenden Kompromissen. Sie ähnelt daher eher der klassischen Außenpolitik. 39 I. Die wichtigsten Vorgaben des GATT und des GATS

Neben den Zollsenkungen nach Art. II GATT sind die wichtigsten GATT-Normen die Art. I (Meistbegünstigung), Art. III (Inländerbehandung), Art. XI (Verbot nichttarifarer Hemmnisse) und Art. XX (allgemeine Ausnahmen). Ihnen entsprechen weitgehend die Art. II (Meistbegünstigung), Art. XVII (Inländerbehandlung), Art. XVI, VI (Marktzugang) und Art. XIV (Ausnahmen) GATS. 1. Meistbegünstigung Die Meistbegünstigungsklausel (Art. I GATT/Art. II GATS) ist eines der grundlegenden WTO-Prinzipien. Sie untersagt die Diskriminierung von Waren/Dienstleistungen nach ihrer Herkunft. Daher müssen die WTO-Mitglieder die Handelsvorteile, die sie einem anderen Staat40 einräumen, auch allen WTO-Mitgliedem gewähren, ohne zusätzliche Anforderungen zu stellen. Dieses multilaterale Prinzip bewirkt einen breiten Abbau von Handelsschanken. 41 Allerdings umfaßt die Meistbegünstigungsklausel nicht jegliche Handelsmaßnahmen, sondern nur die Höhe und Erhebungsmethode 38 Die Mißachtung kleiner WTO-Mitglieder auf der Ministerkonferenz 1999 ist symptomatisch und hat Überlegungen zu organisatorischen Verbesserungen angestoßen. 39 Institutionell hat für den Verlauf der WTO-Verhandlungen das der Ministerkonferenz zuarbeitetende "Trade Negotiations Committee" (TNC) besondere Bedeutung, vgl. Abs. 46 der WTO-Ministererklärung 2001; aus EU-Sicht ist die Beteiligung der nationalen Regierungen und des Europäischen Parlaments an der Verhandlungsführung des "133er-Ausschusses" wichtig, Hilf!Schorkopf, EuR 34 (1999), s. 189-191, 201 f. 40 Dieser muß nicht WTO-Mitglied sein, um einen Anspruch auf Meistbegünstigung auszulösen. 41 Ausführlich Jennings/Watts, § 669; laut Nettesheim, in: Schenk u. a., S. 52, wurde die Meistbegünstigungsklausel erstmals 1417 zwischen England und Burgund verwendet; Ranjeva/Cadoux, S. 50, nennen den Vertrag Englands mit Portugal von 1642 als Beginn.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

von Zöllen und Import-/Exportabgaben sowie Steuern und Vorschriften gemäß Art. III Abs. 2, 4 GATT bzw. Art. XVII GATS. Eine Verletzung des Art. I Abs. 1 GATT liegt auch vor, wenn nicht einzelne Produkte begünstigt werden, sondern Händler, die aufgrund tatsächlicher wirtschaftlicher Gegebenheiten Waren aus bestimmten Staaten bevorzugen.42 Art. I Abs. 1 GATT verbietet also nicht nur de jure-, sondern auch de facto-Diskriminierung.43 Gleiches gilt für Art. II GATS.44

2. Diskriminierungsverbot/Inländergleichbehandlung Diskriminierungsverbot und Inländergleichbehandlung (Art. III GATT, Art. XVII GATS) verbieten die Benachteiligung von ausländischen gegen-

über gleichartigen inländischen Waren/Diensten45 , sie gebieten also die Gleichstellung importierter, in den Empfängerstaat gelangter Produkte/ Dienste gegenüber einheimischen Äquivalenten.46 Während Art. XI GATT die meisten Dichttarifaren Einfuhrbeschränkungen wegen ihrer Verhinderung des Marktzugangs per se verbietet, untersagt Art. III nur die Diskriminierung von Importen auf dem inländischen Markt, also von in das Land gelassenen Waren.47 Relevant sind die Absätze 1, 2 und 4. Ihre Auslegung wurde durch die Berichte der WTO-Revisionsinstanz gegenüber der Dogmatik des GATT 1947 auch zu umweltrelevanten Aspekten verfeinert. a) Art. lii Abs. 1 GAIT Art. III Abs. 1 GATT statuiert ein allgemeines Verbot der protektionistischen Anwendung inländischen Rechts. Dieses Verbot beeinflußt als allgeCanada- Automotive lndustry, WT/DS139, 142/R, S. 362-365. Canada- Automotive Industry, WT/DS139, 142/AB/R, paras. 78, 85; die Bedeutung des Verbots faktischer Diskriminierung betont Steger, AJIL 96 (2002), s. 141 f. 44 EC - Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 233; Canada - Automotive Industry, WT/DS139, 142/AB/R, para. 171; die Meistbegünstigung wird aber nicht verletzt, wenn Bedingungen wgen tatsächlicher Gegebenheiten wie technischer oder finanzieller Mängel nur von Angehörigen einiger Staaten erfüllt werden können. 45 Dies gilt nur für Dienste, die in der länderspezifischen Sektorenliste genannt sind und bzgl. derer keine speziellen Vorbehalte entgegenstehen. 46 Dieses Verbot umfaßt auch bei der Einfuhr an der Grenze vorgenommene Belastungen (Anmerkung zu Art. III GATT in Anlage I des GATT 1994), nicht umfaßt sind Einfuhrbedingungen, Canada - Automotives, WT/DS139, 142/R, paras. 10.146-10.149. 47 Zu den Unklarheiten, ob die Tatbestände sich überschneiden oder ausschließen s. India- Automotive, WT/DS146, 175/R, paras. 7.220-7.224. 42

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B. Umweltrelevante WTO-Normen

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meines Prinzip und als Kontext die Auslegung der übrigen Absätze des Art. III GATI,48 es enthält aber keine eigenständige Pflicht.49 b) Art. III Abs. 2 GATT Abs. 2 des Art. III GATI enthält zwei Sätze unterschiedlicher Bedeutung. aa) Art. ßl Abs. 2 S. 1 GATI Satz 1 verbietet eine höhere Besteuerung oder sonstige finanzielle Belastung von Importgütern im Vergleich zu gleichartigen einheimischen Waren. Ein Verstoß liegt also vor, wenn die Produkte gleichartig sind (1) und die Importware höher belastet wird (2). (1) Gleichartigkeit i.S.d. Abs. 2 S. 1 entzieht sich einer allgemeinen Definition und kann immer nur im Einzelfall bestimmt werden. In "Japan Alcoholic Beverages" nannte der AB unter Verweis auf den GATT-Bericht "Border Tax Adjustments"50 wichtige Indizien, ohne dabei den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben. Danach sind vor allem die physischen Eigenschaften, die vorgesehene Verwendung des Produkts, Verbraucherpräferenzen und die Zollklassifikation zu berücksichtigen. 51 Der Begriff "Gleichartigkeit" i. S. d. Abs. 2 S. 1 ist eng auszulegen, weil Abs. 2 S. 2 an die Behandlung nicht gleichartiger, aber substituierbarer Waren schwächere Anforderungen stellt. 52 Die traditionelle Auslegung der Abs. 2 und 4 des Art. III GATI bejaht eine Gleichartigkeit der Produkte auch dann, wenn sich ein ökologisch gravierender Unterschied der Herstellungsprozesse in den materiellen Eigenschaften des Produkts nicht niederschlägt. Dies würde der Zulässigkeit von Importabgaben auf einen hohen Energieverbrauch im Herstellungsprozeß, welche für die Steigerung der Ökoeffizienz wichtige Preissignale aussenden würden, selbst dann enge Grenzen ziehen, wenn die Abgabe in gleichem Maße auf entsprechend hergestellte innerstaatliche Produkte erhoben würde. 53 Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Gleichartigkeit von 48 Exemplarisch EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 97 f.; US- FSC, WT/ DS108/AB/RW, para. 205. 49 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 18. 50 GATT BISD 18S/97, para. 18; die aufgezählten Kriterien bezogen sich in diesem Bericht nicht nur auf die Feststellung gleichartiger, sondern auch ähnlicher Produkte. 51 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 22-24. 52 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 20 f.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Waren auch bei unterschiedlichen, sich nicht in den physischen Eigenschaften der Ware niederschlagenden Produktionsverfahren (PPM, "non productrelated process and production method") zu bejahen ist, sei hier bei Art. III Abs. 4 GATI näher geprüft. (2) ,,Höhere Belastung" erfordert nicht das Überschreiten einer Mindesthöhe oder den Nachweis von Auswirkungen auf den Handel.54 Im Gegensatz zu Abs. 2 S. 2 muß für eine Verletzung des Abs. 2 S. 1 keine protektionistische Absicht oder Wirkung i. S. d. Abs. 1 vorliegen, da Abs. 2 S. 1 nicht auf Abs. 1 verweist. 55 bb) Art. III Abs. 2 S. 2 GATI Satz 2 des Art. III Abs. 2 GATI verbietet über S. 1 hinaus eine stärkere finanzielle Belastung, die zwischen nicht gleichartigen, aber substituierbaren Gütern protektionistisch i. S. d. Abs. 1 wirkt. Die Anmerkung zur Auslegung des Art. III Abs. 2 in Anhang I des GATI 1994 stellt klar, daß eine mit Art. III Abs. 2 S. 1 konforme Abgabe gegen S. 2 nur verstößt, wenn die belastete Importware mit einer einheimischen Ware unmittelbar konkurriert oder zum gleichen Zweck geeignet ist, nicht aber, wenn sie dieser nur ähnlich ist. Ein Verstoß gegen S. 2 erfordert erstens, daß das Importprodukt zu einem einheimischen Produkt in direktem Wettbewerb steht bzw. ein Substitut ist (1), zweitens, daß das Importprodukt ungleich stärker finanziell belastet wird (2), und drittens, daß die finanzielle Belastung protektionistisch angewendet wird (3). 56 (1) Ob direkter Wettbewerb oder Substituierbarkeit zwischen den Produkten besteht, kann nur durch eine konkrete Marktanalyse bestimmt werden; diese muß erforschen, ob ein gemeinsamer Verbrauchszweck besteht, wofür Kreuzpreiselastizität ein starkes Indiz ist.57 Hierfür ist nicht nur der tatsächliche, sondern auch potenzieller Wettbewerb relevant, da das GATI die Schaffung gleicher Chancen beabsichtigt.58 Für diese Prognose können auch die Bedingungen auf ausländische Märkten vergleichend herangezogen werden. 59 53 Petersmann, in: Wolfrum, S. 176 f., befürwortet bzgl. der Zulässigkeit von Importabgaben auf Energieverbrauch bei der Herstellungs eine Klarstellung des Art. III Abs. 2 GATT und nennt Fn. 61 WTO-Subventionsabkommen als Indiz der Zulässigkeit; a.A. Brack/GIW, S. 85-87. 54 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 25. 55 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 19. 56 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 26; Chile- Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, para. 47. 57 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DSS, 10, 11/AB/R, S. 27. 58 Korea- Alcoholic Beverages, WT/DS75, 84/AB/R, paras. 114-124.

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(2) Eine stärkere finanzielle Belastung besteht nach systematisch-teleologischer Auslegung nur, wenn im Sinne einer "de minimis"-Regel eine gewisse Spürbarkeit erreicht wird. 60 Die zu vergleichenden Gruppen der inländischen und der importierten Produkte setzen sich aus allen substituierbaren, in direktem Wettbewerb stehenden Waren zusammen, nicht nur aus den einzelnen gleichartigen Gütern. Daher kann eine stärkere finanzielle Belastung auch bestehen, wenn die einzelnen gleichartigen Waren zwar gleichstark belastet werden, wegen des unterschiedlich großen Anteils stärker oder schwächer belasteter gleichartiger Produkte an der Gesamtmenge der einheimischen bzw. importierten Waren aber eine höhere Gesamtbelastung der importierten Güter erreicht wird.61 Dies ist bei der Einführung von Ökosteuern und -abgaben zu beachten. (3) Ob die finanzielle Belastung protektionistisch angewendet wird, ist keine Frage der Absichten des Gesetzgebers,62 sondern eine Frage objektiver Kriterien. Hierzu gehören v. a. die Struktur und die Anwendung der belastenden Normen. 63 Ein starker Unterschied der Abgabenhöhe ist regelmäßig ein wichtiges Indiz, aber auch alle anderen für Marktzugang und -teilnahme relevanten Auswirkungen der Abgabe sind zu beachten.64 "Design, Architektur und Struktur" der Maßnahme können Aufschluß über die Absichten des Gesetzgebers geben, welche die Wertung der objektiven Kriterien ergänzt.65 Irrelevant ist, ob einheimische Produkte in absoluten Zahlen stärker belastet werden als Importe, oder ob schon das vor der angegriffenen Regelung geltende Recht das GATT verletzte.66 Art. III Abs. 2 GAIT verlangt nicht, daß die finanzielle Belastung erforderlich ist für die Erreichung ihres Ziels und Zwecks.67 Dies bestätigt, daß Art. III Abs. 2 GAIT ein Diskriminierungsverbot enthält, nicht aber ein Gebot der Minimierung finanzieller Belastungen. Auch dies hat besondere Bedeutung für die Rechtmäßigkeit von Ökosteuern und -abgaben. Korea- Alcoholic Beverages, WT/DS75, 84/AB/R, para. 137. Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 28 f.; Chile - Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, paras. 49-53. 61 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 16; Chile- Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, paras. 51 f. 62 Japan - Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 29: "This is not an issue of intent. ". 63 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 29; Chile - Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, para. 61. 64 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 111AB/R, S. 30-33. 65 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 29; Chile- Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, paras. 62, 70-72: " ... design, architecture and structure of the measure.". 66 Chile- Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, paras. 67 f., 74. 67 Chile - Alcoholic Beverages, WT/DS87, 110/AB/R, para. 72; Trachtman, Chile, S. 3. 59

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

c) An. III Abs. 4 GATT Abs. 4 des Art. III GATI untersagt die Benachteiligung68 gleichartiger Produkte durch sonstige inländische Vorschriften. Dies sind nicht nur Regelungen der physischen Eigenschaft eines Produkts, sondern jegliche Normen, die Marktzugang und Wettbewerbsbedingungen gleichartiger Produkte beeinträchtigen können. 69 Dies sind nicht nur zwingende Vorgaben, sondern auch ungleiche Begünstigungen, z.B. Subvention zugunsten einheimischer Waren70, geringerer Patentschutz für Importe71 oder die Pflicht, Importe getrennt von einheimischen Waren zu verkaufen. 72 Verboten ist nicht nur die de jure-, sondern ebenso die de facto-Diskriminierung. 73 Allerdings wird nur staatliche Benachteiligung verboten, eine Drittwirkung gegenüber mächtigen privaten Wirtschaftsvereinigungen wurde anderes als im EG-Recht (noch) nicht festgestellt. 74 Nicht geklärt wurde bisher die ökologisch relevante Frage, ob die Verbindlichkeit von Herkunftsnachweisen Art. III Abs. 4 GATT verletzt.75 Während Anfang der neunziger Jahre einige GATT-Panel meinten, ein Verstoß gegen Art. m Abs. 4 GATT liege nur vor, wenn gleichartiger Importware nicht nur objektiv benachteiligt wird, sondern die Regelung auch subjektiv zur protektionistischen Abschottung des Marktes i. S. d. Art. m Abs. 1 erlassen wurde ("aim and effects"-Test)/6 hat der AB diese Konzeption verworfen. Die über die objektive Wirkung hinausgehende Prüfung einer protektionistischen Absicht als Voraussetzung für einen Verstoß gegen Art. III Abs. 4 ist mit dessen Wortlaut unvereinbar. 77 Abs. 1 beeinflußt die Auslegung des Abs. 4 nur mittelbar und erfordert neben der Feststellung 68 Eine Ungleichbehandlung verletzt Art. III Abs. 4 GATT nicht notwendigerweise, nötig ist eine Benachteiligung in den Wettbewerbsbedingungen, Korea Beef, WT/DS161, 169/AB/R, paras. 135 f., 141. 69 US- FSC, WT/DS108/AB/RW, paras. 209 f., legt dies weit aus. 70 US - FSC, WT/DS108/AB/RW, para. 219; Italia - Agricultural Machinery, GATT BISD 7 (1958); India- Automotive, WT/DS146, 175/R, para. 7.186. 71 US- Sect. 337 Tariff Act, GATT BISD 36 (1989) 345. 72 Korea- Beef, WT/DS161, 169/AB/R, paras. 135-151. 73 Canada - Automotive Industry, WT/DS139, 142/AB/R, para. 140; Steger, AflL 96 (2002), S. 141 f. 74 Korea- Beef, WT/DS161, 169/AB/R, para. 149. 75 Korea- Beef, WT/DS161, 169/AB/R, paras. 151 f., 184. 76 US - Malt and Alcoholic Beverages, GATT BISD 39S/206 (angenommen); US - Taxes on Automobiles, ILM 33 (1994), S. 1397 ff. (angenommen); zustimmend Tietje, S. 238. 77 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 100: "If there is ,less favourable treatment' of the group of ,like' imported products, there is, conversely, ,protection' of the group of ,like' domestic products."; EC - Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 216; Canada- Automotive Industry, WT/DS139, 142/R, para. 10.78.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

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einer Benachteiligung keine Prüfung einer protektionistischen Tendenz.78 Je stärker die Waren miteinander im Wettbewerb stehen bzw. je höher die Kreuzpreiselastizität ist, desto geringer sind die Anforderungen an den Nachweis bewirkten Schutzes. Schutz wird zweifellos bewirkt, wenn ein Anknüpfen der Maßnahme an typisch ausländische Merkmale die Wettbewerbsposition nationaler Produkte verbessert.79 Entscheidend für die Reichweite des Art. ill Abs. 4 GATI ist die Auslegung des Begriffs "gleichartig". Diese Definition ist von großer Bedeutung für die Begrenzung umweltpolitischer Maßnahmen durch das GATT.80 Seit Mitte der neunziger Jahre ist in die Diskussion über die Kriterien der Gleichartigkeit i.S.d. Art. III Abs. 4 GATT Bewegung gekommen. Langer Zeit war fraglich, ob Gleichartigkeit i. S. d. Abs. 4 physische Gleichheit erfordert oder ob es ausreicht, daß Waren für die Verbraucher nach ihrer Funktion austauschbar sind und in direkter Konkurrenz stehen (aa). Noch immer ist streitig, ob Unterschiede im Produktions- oder Gewinnungsprozeß (PPM) von Waren, die nach ihrer physischen Zusammensetzung gleichartig sind, die Gleichartigkeit i. S. d. Art. III Abs. 4 aufheben können (bb). aa) Gleichartigkeit substituierbarer Waren Das Panel "US - Reformulated Gasoline" berücksichtigte unter Übernahme der in "Japan - Customs Duties"81 und "US - Alcoholic and Malt Beverages"82 zur Gleichartigkeit i. S. d. Art. III Abs. 2 S. 1 entwickelten Indizien nicht nur die physischen Eigenschaften, sondern auch die Substituierbarkeit-der Güter am Markt und ihre Zollklassifikation. 83 Dies bestätigte die Revisionsinstanz zunächst für die Gleichartigkeit i. S. d. Art. III Abs. 2 S. 1 GATT in "Japan - Alcoholic Beverages" und in "Korea - Alcoholic Beverages". Danach gibt es keine genauen und abschließenden Kriterien der Gleichartigkeit, eine fallabhängige Analyse und das Ermessen des Panel sind unverzichtbar. 84 Typische Kriterien sind aber die physischen Eigen78 Japan - Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 18; EC - Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 216; Hudec, Int. Lawyer 32 (1998), S. 619 ff.; a.A. Howse/ Regan, EJIL 11 (2000), S. 268. 79 Diem, S. 181. 8 Cottier, in Fijalkowski/Cameron, S. 59: "The interpretation of like products in Art. III GATI amounts to what perhaps is the most important key issue defining the scope of environmental policies within the present system.". 81 Japan- Customs Duties, BISD 34/S 83, 115, para. 5.6. 82 US - Alcoholic and Malt Beverages, GATI DS23/R (angenommen), para. 5.7 f. 83 US - Gasoline, WT/DS2/R, paras. 6.8 f.; der AB hatte über Art. III Abs. 4 GATI nicht zu entscheiden.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

schaften, der Endverbrauchszweck, die Verbraucherpräferenzen und die Zollklassifikation.

In "EC - Asbestos" hat die Revisionsinstanz diese Kriterien auch für die Gleichartigkeit im Sinne des Art. III Abs. 4 GATT bejaht. 85 Dabei betonte sie die besondere Bedeutung der Frage, ob die verglichenen Waren in einem Wettbewerbsverhältnis stehen. 86 Gleichartigkeit ist daher regelmäßig zu bejahen, wenn die Waren substituierbar sind, weil die Käufer das ausländische Produkt gleichermaßen wie das inländische verwenden können. 87 Den Schutz nicht nur physisch gleicher, sondern am Markt konkurrierender Waren gebietet zwar nicht der Wortlaut des Art. III Abs. 4, aber sein Zweck unter Beachtung des Art. III Abs. 1, wonach wettbewerbsrelevante Benachteiligungen zu vermeiden sind. 88 Würden nur gleiche Produkte geschützt, könnten die WTO-Mitglieder den weitergehenden Schutz substituierbarer Waren gegen finanzielle Nachteile gemäß Art. III Abs. 2 S. 2 durch benachteiligende sonstige Vorschriften umgehen. 89 Der Begriff "like" zwingt also nicht zu einer alleinigen Orientierung an den physischen Merkmalen der Waren, sondern läßt Raum für eine funktionale Betrachtung, die sich an den realen oder potenziellen Marktbedingungen orientiert. Eine solche Fokussierung auf die Konkurrenzsituation am Markt und auf die Verbraucherpräferenzen entspricht dem Hauptzweck des GATT, der Steigerung des internationalen Handels. Aber auch unabhängig von der (potentiellen) Marktnachfrage können Kriterien wie der Endzweck und die fehlende physische Gleichheit die Gleichartigkeit ausschließen, insbesondere Gesundheitsrisiken. 90

84 Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 22 f.: " ... it is a discretionary decision that must be made considering the various characteristics of products in individual cases. . .. there can be no one precise and absolute definition of what is ,like' .... The accordion of ,likeness' stretches and squeezes in different places as different provisions of the WTO Agreement are applied.". 85 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 101-103. 86 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 99: "Article III:4 is tobe interpreted to apply to products that are in such a competitive relationship. Thus, a determination of ,likeness' under Article III:4 is, fundamentally, a determination about the nature and extent of a competitive relationship between and among products.". 87 Japan - Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 111AB/R, S. 21-23; Korea - Alcoholic Beverages, WT/DS75, 84/AB/R, para. 137. 88 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 97 f. 89 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 99. 90 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 99: "We are not saying that all products which are in some competitive relationship are ,like products' under Article III:4.".

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bb) Fehlende Gleichartigkeit wegen unterschiedlicher Herstellungs-/ Gewinnungsverfahren (PPM)? Lange Zeit war es vorherrschende Meinung, daß eine Ungleichbehandlung funktionell gleicher Produkte sich nicht durch einen Unterschied in den Verfahren der Herstellung/Gewinnung (PPM, "process and production method") rechtfertigen lasse, wenn sich dieser Unterschied nicht in den physischen Eigenschaften der Ware widerspiegele. Danach rechtfertigen besonders umweltzerstörende (oder menschenrechtsverletzende) Produktionsweisen grundsätzlich nicht, die Güter nicht ins Land zu lassen oder sie unterschiedlichen Verkaufsbestimmungen zu unterziehen, wenn die Waren von ihrer Substanz bzw. ihren Auswirkungen als Endprodukt nicht umweltzerstörender sind als einheimische Produkte. Eine Unterscheidung nach PPM verletzt nach dieser Ansicht immer den Art. III GATI. Diese Auslegung kann sich nicht auf einen besonderen Anhaltspunkt im Wortlaut stützen,91 sondern beruht zum einen auf Souveränitätsargumenten, zum anderen auf dem Ziel und Zweck des GATT, den internationalen Handel auszuweiten. Das GATT habe das Souveränitätsprinzip des allgemeinen Völkerrechts, nach dem mangels direkter Auswirkungen der Produktionsbedingungen auf den Importstaat nur der Produktionsstaat über die Art und Weise der Güterherstellung und ihre Wirkung auf das heimische Territorium zu bestimmen habe, nicht ändern wollen. Demnach falle die einheimische Produktion grundsätzlich nur in dessen Rechtsetzungshoheit, ohne daß ein Abnehmerstaat hierauf Einfluß nehmen dürfe, indem er die Einfuhr beschränkt. Nur die Irrelevanz von PPM sichere die souveräne Entscheidung der Exportstaaten, nach eigenem Belieben über Einsatz oder Schonung ihrer Ressourcen zu entscheiden. Nur so könnten die komparativen Kostenvorteile gesichert werden.92 Außerdem führten unterschiedliche PPM-Vorgaben verschiedener Zielstaaten zu erhöhten Produktionskosten und seien daher starke Handelshemmnisse. Während PPM-Vorgaben, die sich in unterschiedlichen Produkteigenschaften niederschlagen, durch diese Unterschiede gerechtfertigt seien, sei dies bei PPM, die nur auf die Art der Herstellung abstellen, ohne die Produktqualität zu beeinflussen, zu verneinen. Dieser bisher vorherrschenden Auslegung des Art. III Abs. 4 GATT bzgl. eigenschaftsirrelevanter PPM scheinen mehrere Mißverständnisse zugrunde 91

Demaret/Stewardson, JWT 28/4 (1994), S. 60; Senti, Rn. 702; Howse/Regan,

EJIL 11 (2000), S. 258-262; a.A. US- Gasoline, WT/DS2/R, para. 6.11 ; Jackson,

EnL 11 (2000), S. 303 f.; Weiher, S. 151, die den Begriff "product" für hinreichend halten; Weiher verweist auf Äußerungen einzelner Mitglieder des ITO-Vorbereitungsausschusses, historische Auslegung hat aber gemäß Art. 3 Abs. 2 S. 2 DSU i. V.m. Art. 32 WVK nur nachrangige Bedeutung. 92 Jackson, Wash&Lee LRev 49 (1992), S. 1243 f.; Tietje, S. 210. 9 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

zu liegen (1) und es ist angesichts der steigenden politischen Bedeutung von ökologischen und sozialen Produktionsbedingungen und der entsprechenden Sensibilisierung vieler Verbraucher fraglich, ob sich diese Auslegung aufrecht erhalten läßt (2). (1) Mißverständnisse bzgl. PPM und bzgl. der Bedeutung

des Art. III GATI

PPM werden vielfach als besonders starkes Einfallstor für protektionistische Maßnahmen beurteilt. Sie behinderten den Wettbewerb nachhaltiger, als Vorgaben zu den physischen Wareneigenschaften. Dies übersieht, daß Handelsbeschränkungen wegen PPM nicht als herkunftsabhängige Maßnahme per se auf alle Produkte angewendet werden dürfen, deren Herkunftsland keine innerstaatliche Politik zur allgemeinen Unterlassung der unerwünschten PPM erlassen hat, sondern daß eine Handelsbeschränkung nur gegenüber den Produkten erlaubt ist, die nach der unerwünschten PPM hergestellt werden.93 Im übrigen wird bei der Beurteilung der PPM regelmäßig an Einfuhrverbote gedacht,94 welche eine totale Marktabschottung bewirken. Oft knüpfen an PPM aber Kennzeichnungspflichten an, die viel milder als Einfuhrverbote sind. Ein weiteres verbreitetes Mißverständnis ist die Auffassung, bei Art. III GATI müsse geprüft werden, ob dieser PPM erlaube. Seit den Berichten "US - Tuna I, II" ist vielfach zu lesen, PPM unterfielen generell nicht dem "Schutz" des Art. III GATI. Die Panel haben aber nicht entschieden, ob PPM generell an Art. III GATI zu messen sind, sondern nur, ob ein Importverbot für auf delfintötende Weise gefangenen Thunfisch am Diskriminierungsverbot des Art. III für innerstaatliche Vorgaben zu messen war, oder ob das Verbot nichttarifarer Einfuhrbeschränkungen (Art. XI GATI) einschlägig war. Da es sich bei der Maßnahme um ein Einfuhrverbot handelte, war hier nicht Art. III, sondern Art. XI relevant. Daraus läßt sich aber weder ableiten, PPM seien nie an Art. III zu prüfen, noch, sie verstießen grundsätzlich gegen Art. III. Allerdings machte das Panel "Tuna I" in seiner Entscheidungsbegründung mißverständliche und fehlgehende Ausführungen. Indem es darauf verwies, daß Art. III Abs. 2 nur einen Ausgleich direkt erhobener, nicht aber indirekter Abgaben zulasse, stellte das Panel fest, auch Art. III Abs. 4 finde auf Vorgaben, die nicht das Produkt als solches, sondern allein den Produktionsprozeß beträfen, keine Anwendung. 95 Richtigerweise konnte der Vergleich mit der Zulässigkeit direkter, nicht aber indirekter Abgaben US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 165. Dies dürfte daran liegen, daß diese den einschlägigen Panelberichten US Tuna I, II zugrundelagen. 95 US- Tuna I, GATT DS21/R, ILM 30 (1991), S. 1598 ff., paras. 5.11- 5.14. 93

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nicht über den Anwendungsbereich des Art. ill Abs. 4, sondern höchstens über die unter Art. III Abs. 4 erlaubte Differenzierung entscheiden. Ansonsten wären PPM-Vorgaben, die nicht schon die Einfuhr verbieten, nicht auf eine Diskriminierung der Importprodukte überprüfbar. 96 Somit sind alle Handelsbeschränkungen an Art. III Abs. 4 GATI zu prüfen, soweit sie nicht schon eine mengenmäßige Importbeschränkung gemäß Art. XI GATI sind. (2) Ist ein Verbot von PPM-Vorgaben noch aufrechtzuerhalten? Die Auffassung, daß Produkte, die physisch gleich oder substituierbar sind, unabhängig von der Art und Weise ihrer Herstellung oder Gewinnung immer gleichartig i. S. d. Art. III Abs. 4 GATI sind, gründet wie erwähnt auf Souveränitätsargumenten und einem allgemeinen Protektionismusverdacht Vielfach ist zu lesen, Vorgaben zur Art der Herstellung fielen nicht in die Rechtsetzungshoheit des Importstaates und seien als Verstoß gegen die Souveränität des Herstellungsstaates GATI-widrig. Diese Argumentation begegnet Bedenken. PPM-Vorgaben entfalten keine direkte extraterritoriale Wirkung in dem Sinne, daß ihre Nichtbefolgung ähnlich der extraterritorialen Anwendung des Kartellrechts mit Geld- oder Gefangnisstrafen geahndet werden könnte. Eine PPM-Vorgabe regelt direkt nur, welche Produkte in das Land gelangen dürfen, sie bestimmt also allein über einen innerstaatlichen Sachverhalt. Zwar ist richtig, daß PPM-Vorgaben über das Konditionieren des Marktzugangs indirekt Wirkung auf den extraterritorialen Produktionsprozeß entfalten sollen. Doch diese Vorgaben sind geringere Eingriffe in die Rechtsetzungshoheit des Exportstaates, als eine Verpflichtung des Importstaats, überhaupt keine PPM-Vorgaben zu machen und alle Waren auf seinen Markt zu lassen. Dies gilt insbesondere, weil PPM-Vorgaben nicht alle Produkte eines Landes, in dem die vom Importstaat geächtete PPM noch erlaubt ist, belasten, sondern nur die Produkte, die den PPM-Vorgaben nicht folgen. Somit wird kein Druck auf den Exportstaat als Ganzes ausgeübt, seine PPM-Vorschriften anzupassen, sondern nur die zuwiderhandelnden Produzenten stehen unter wirtschaftlichem Druck. Howse/Regan machen darauf aufmerksam, daß die Vemeinung der Rechtmäßigkeit von PPM-Vorgaben in der GATI-Panelpraxis immer durch besondere Umstände begründet war, aber nur ein Panel die Rechtmäßigkeit von PPM im Rahmen des Art. III GATT grundsätzlich ausschloß. Im zu Art. III GATI meistzitierten Fall "Belgian Family Allowances"97 knüpfte 96 Howse/Regan, EJIL 11 (2000), S. 257 f. Fn. 19, stellen zudem zutreffend fest, daß die Unterscheidung des Panel zwischen direkten und indirekten Abgaben einer anderen Ratio folgt, als die Unterscheidung von produktbezogenen Vorgaben und PPM-Vorgaben. 9*

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

die Abgabenbefreiung gar nicht an eine PPM, sondern an die produktionsunabhängige nationale Sozialpolitik an. In "US - Malt and Alcoholic Beverages"98 wurde ein Steuervorteil für Brauereien wegen seiner Begrenzung auf kleine Brauereien als faktische Diskriminierung ausländischer Brauereien für rechtswidrig erklärt. Die Begrenzung des Vorteils auf kleine Brauereien war auch keine PPM. In "US - Taxes on Automobiles" wurde der Verstoß gegen Art. III Abs. 4 GATT von Geldbußen für einen zu hohen Kraftstoffverbrauch der von einem Hersteller produzierten KFZ mit der protektionistischen Trennung der Berechnung der in den USA produzierten und der in die USA importierten KFZ begründet. Beim Kraftstoffverbrauch handelt es sich aber nicht um PPM, sondern um Produkteigenschaften. Darüber hinaus wurde nicht das Anknüpfen an den Verbrauch per se als rechtswidrig eingestuft, sondern die Berechnungsmethode. In "US - Tuna I" verneinte das Panel zwar die Anwendbarkeit des Art. III GATT auf das Importverbot, erstellte aber ein Hilfsgutachten, in dem es einen Verstoß gegen Art. III bejahte. Nur in diesem (nicht angenommenen) Bericht wurde die Relevanz von PPM für die Beurteilung der Gleichartigkeit von Produkten grundsätzlich ausgeschlossen. Diese strikte Ablehnung aller PPM ist aber auf verbreitete Kritik gestoßen und ist aufgrund des immer stärkeren Schwindens rein innerstaatlicher Sachverhalte, v. a. im internationalen Umweltschutz,99 nicht mehr zeitgemäß. 100 Sie beruht in ihrer Absolutheit auf einer Mißachtung handelsverbundener Ziele und auf einer engen Auslegung des Art. XX lit. g) GATT, die durch die Berichte "US - Reformulated Gasoline" 101 und "US - Shrimp"102 überholt ist. Schwerwiegender ist die Gefahr des protektionistischen Mißbrauchs von PPM bzw. die mit der zunehmenden Einführung von PPM eintretende Erschwerung des Marktzugangs, insb. für Produkte aus Entwicklungsländern. BISD I (1953) 59. GATT DS23/R, 16.3.1992. 99 Allerdings muß das Umweltgut eine grenzüberschreitende oder globale Bedeutung aufweisen; etwas undifferenziert Epiney, DVBI. 115 (2000), S. 82: "Insbesondere impliziert der , universelle Charakter' der Belange des Umweltschutzes, dass diese .. . von der Jurisdiktionsgewalt der einzelnen Staaten erfasst werden.". 100 De Burca/Scott, S. 2, schließen sich Howse/Regan an; noch ablehnender gegenüber der Betonung von "Souveränität" McRae, RdC 260 (1996), S. 211 f.: " . . . implementation of international human rights and environmental standards . . . has often been portrayed in terms of sovereignity. Placing these issues in the context of their relationship to comparative advantage allows a deeper understanding of the issues involved than a sovereignity debate allows.", S. 218: " ... this idea of a reserved ,domestic' domain for States that flows from traditional notions of sovereignity ... conforms neither to the critical assumptions . . . behind the GATT and the WTO, nor to the econmnic reality of ... the framework of a globalized world economy.". 101 US - Reformulated Gasoline, WT /DS2/ AB IR; s. u. C. III. 102 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R; s. u. C. IV. 97

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Sinn des Art. III GATI ist aber nicht eine umfassende Marktöffnung durch Beseitigung aller Handelshemmnisse, sondern die Verhinderung protektionistischer, also sachfremder Diskriminierung. 103 Wenn PPM-Vorgaben nicht nur ausländische, sondern auch inländische Produkte betreffen und sie der Verfolgung eines legitimen (nichtwirtschaftlichen) Zwecks dienen, liegt keine (sachfremde) Diskriminierung vor. Dann geht es nicht um das Abschirmen des Inlandsmarktes, sondern um die Verfolgung wirtschaftsfremder Ziele. Aber auch nichtprotektionistische PPM können den Marktzugang stark beschränken, insbesondere flir Waren aus wirtschaftsschwachen Staaten. Dies spricht flir eine Bindung der Rechtmäßigkeit von PPM an eine Anerkennung ihrer Legitimität und Notwendigkeit durch einen von vielen WTOMitgliedern anerkannten multilateralen Vertrag. 104 Allerdings fUhrt die Zulassung von legitimen, nichtprotektionistischen PPM-Vorgaben zur schwierigen Frage, wer nach welchen Kriterien bestimmt, ob die Vorgabe legitimen Zielen dient. 105 Diese Definition kann nicht den Importstaaten überlassen werden, sondern unterliegt der Letztentscheidungskompetenz des DSB. Außerdem müssen PPM, um nicht gegen Art. III zu verstoßen bzw. um durch Art. XX GATT gerechtfertigt zu sein, zur Zielerreichung erforderlich sein. 106 Die Definition der Gleichartigkeit von Produkten allein nach deren äußeren Merkmalen ist also nicht überzeugend. Der AB hat klargestellt, daß auch Präferenzen der Verbraucher ein wichtiges Indiz sind. 107 Wenn die Produkte auf dem Importmarkt wegen ihrer unterschiedlichen Herstellungsverfahren flir die Käufer trotz physischer Gleichheit nicht substituierbar sind, weil die Art der Herstellung die Kaufentscheidung beeinflußt, stellt sich die Frage, ob dies die Gleichartigkeit ausschließen kann. Nach einer die Ausweitung des Handels und den freien Marktzugang betonenden Sicht sind Verbraucherpräferenzen nur ausschlaggebend für individuelle Kaufentscheidungen, nicht dagegen für eine rechtliche Ungleichbehandlung durch den Staat. Danach verstoßen jegliche an PPM anknüpfende Verkaufsbedingungen, z. B. Kennzeichnungpflichten, gegen Art. III Abs. 4 GATI. Die Gegenansicht betont, daß Art. III Abs. 4 keinen freien Marktzugang garantiert, sondern nur ein (umfassendes) Diskriminierungsverbot. 108 Ein AnHowse/Regan, EJIL 11 (2000), S. 276 f.; Epiney, DVBI. 115 (2000), S. 80. Ebenso Murase, RdC 253 (1995), S. 338. 105 Jackson, EJIL 11 (2000), S. 305, spricht in Anlehnung an GATI, InternationalTrade 1990/91, Vol. I S. 22, von "slippery slope". 106 Epiney, DVBI. 115 (2000), S. 80; zu den Elementen der Verhältnismäßigkeit im WTO-Recht s. 3. Kap. E. I. 107 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 101 f., 117 f.; Japan - Alcoholic Beverages, WT/DS8, 10, 11/AB/R, S. 22. 103

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knüpfen von Verkaufsvorgaben an von der überwiegenden Zahl der Verbraucher und Wähler geteilte Ansichten über die Relevanz von PPM für die Eigenart einer Ware verletze mangels Gleichartigkeit der Waren den Art. III Abs. 4 nicht, bzw. sei nach Art. XX gerechtfertigt. Die Berichte "US - Shrimp"109 und ,,EC - Asbestos" 110 deuten eine Neuausrichtung der PPM-Dogmatik unter Art. III Abs. 4 GATI an. Das Importverbot gegenüber Garnelen, die auf schildkrötentötende Weise gefangen wurden, wurde in "US - Shrimp" zwar als Verstoß gegen Art. XI GATI und nicht als Maßnahme i. S. d. Art. III Abs. 4 GATI eingestuft, 111 so daß Art. III Abs. 4 nicht erwähnt wurde. Der AB erkannte aber an, daß Art. XI verletzende PPM, die sich nicht auf die physische Produkteigenschaft auswirken, gemäß Art. XX lit. g) GATI gerechtfertigt sein können, wenn sie multilateral beschlossen wurden. Danach sind PPM-Vorgaben rechtmäßig, wenn sie ein multilateral anerkanntes Ziel verfolgen und diskriminierungsfrei wirken und. 112 Diese Anerkennung der Relevanz der Unterschiedlichkeit des Herstellungsprozesses legt es nahe, bei der Anti-Diskriminierungsnorm Art. III Abs. 4 schon die Gleichartigkeit der Waren zu verneinen. 113 Allerdings bleibt es möglich, daß der AB bei der zukünftigen Beurteilung von PPM, die kein Importverbot i. S. d. Art. XI bewirken, eine Verletzung des Art. III Abs. 4 wegen Gleichartigkeit der Produkte bejaht (und eine Rechtfertigung nach Art. XX prüft). 114 Zwar spricht die in "US Shrimp" anerkannte Relevanz der Fangmethode gegen eine Gleichartigkeit. Eine Bejahung der Rechtmäßigkeit von PPM erst über Art. XX stellt an PPM aber erhöhte Anforderungen im Vergleich zu einer a priori- Vemeinung eines Verstoßes gegen Art. III Abs. 4. Insofern streitet die systematische Auslegung in Verbindung mit dem Effektivitätsprinzip für eine weite Auslegung des Begriffs "gleichartig" in Art. ID Abs. 4 bei gleichzeitig weiter Auslegung des Art. XX. 115 108

Howse!Regan, EJIL 11 (2000), S. 276 f.; Epiney, DVBl. 115 (2000), S. 80.

US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, s. u. C. IV. EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, s.u. C. V. 111 US- Shrimp, WT/DS58/R, paras. 7.15-7.17; dies wurde im Revisionsverfahren nicht angegriffen. 112 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, s.u. C. IV. 3. 113 Ähnlich Perkins, ILM 38 (1999), S. 119; Zeit/er, S. 69; Quick, in: Bronckers/ Quick, S. 245; allerdings verzichtete der AB ausdrücklich darauf, die Rechtmäßigkeit extraterritorialer PPM zu beurteilen, para. 133; die Schildkröten lebten auch in US-Gewässem und waren daher keine rein extraterritorialen Schutzgüter; das GATT-Panel US - Tuna II anerkannte aber die Zulässigkeit extraterritorialer Vorgaben, paras. 5.16 f., l.Ayard, WC 2111 (1997/98), S. 153. 114 Dies entspräche der Bejahung der Gleichartigkeit von asbesthaitigern und asbestfreiem Zement durch das Panel "EC - Asbestos", das die Gesundheitsrisiken erst im Rahmen des Art. XX lit. b) GATT beachtete. 109

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B. Umweltrelevante WTO-Normen

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Die Äußerung des AB in "EC - Asbestos", daß die Kriterien der Gleichartigkeit nicht abschließend festgelegt, sondern fallabhängig sind, 116 ist eine endgültige Absage an die Auffassung, Produktionsverfahren seien immer irrelevant für die Bestimmung der Gleichartigkeit. 117 Aus "EC - Asbestos" läßt sich aber nicht ableiten, daß Unterschiede in Herstellungsverfahren die Gleichartigkeit meist ausschlössen. 118 Folglich ist festzuhalten, daß Ungleichbehandlungen oder Importverbote aufgrund von PPM die Art. lli Abs. 4 bzw. Art. XI GATI regelmäßig verletzen, daß aber eine Verneinung einer Verletzung des Art. lli wegen fehlender Gleichartigkeit der Herstellungsarten in manchen Fällen möglich ist. 119 Entscheidend dürfte die Beeinflussung der jeweiligen Marktposition der Ware durch die Art ihrer Herstellung sein, gesehen aus der Perspektive der Verbraucher. 120 d) Art. XVII GATS

Das Gebot der Inländergleichbehandlung von Dienstleistern gemäß Art. XVII GATS ist anders als im Güterbereich nicht umfassend, sondern gilt nur im Rahmen der von Mitgliedern in ihren Landeslisten übernommenen Verpflichtungen, welche meist besondere Bedingungen und Vorbehalte aufweisen. 121 Art. XVII Abs. 2, 3 GATS ist dem Art. lli Abs. 4 GATT nachempfunden, ist also abgesehen von seinem Anwendungsbereich diesem vergleichbar. 122 So umfaßt z. B. das Gleichbehandlungsgebot innerhalb des Anwendungsbereichs alle Maßnahmen, die die Dienstleistungserbringung betreffen. Dies sind nicht nur finale, auf eine Regelung der Diensteerbringung abzielende Beschränkungen, sondern auch Maßnahmen, die sich rein tatsächlich auf die Erbringung auswirken, obwohl sie eigentlich nur oder primär andere Bereiche, z. B. den Güterhandel, regeln sollen. 123 A.A. EC """'Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 115. EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 100. 117 Howse, http://www.jeanmonnetprogram.org/wwwboard/messages5/6.htrnl (19.03.01). 118 Trachtman, http://www .jeanmonnetprogram.org/wwwboard/messages5/ 1.htrnl (19.03.0 1); Hudec, http://www.jeanmonnetprogram.org/wwwboard/messages 5/1. html (19.03.01 ); Bronckers, http://www.jeanmonnetprogram.org/wwwboard/messages5/l.html (19.03.01); zumindest mißverständlich Howse, http://www.jeanmonnet program.org/wwwboard/messages5/l.htrnl (19.03.0 l ). 119 Ähnlich Winter, in: Dolde, S. 88; ebenso im EG-Recht, EuGH C-367-377/93, "Roders", Slg. 1-1995, S. 2229, para. 27m. w.N. 120 Vgl. EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 122; Howse, http://www.jean monnetprogram.org/wwwboard/messages5/6.htrnl ( 19.03.01 ). 121 Die Listen spiegeln auch die Zugeständnisse des Marktzugangs nach Art. XVI GATS wider. 122 US - Sect. 110(5) Copyright Act, WT/DS160/R, S. 49 Fn. 164. 115

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

3. Verbot mengenmäßiger Beschränkungen; Marktzugang

a) Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (Art. XI GATT) Art. XI Abs. 1 GATI verbietet jede mengenmäßige Beschränkung von Im-/Exporten, soweit sie nicht durch die besonderen Ausnahmen des Abs. 2 gedeckt ist. Dieses Verbot nichttarifärer Handelshemmnisse hat wegen der starken Zollsenkungen in den bisherigen GATT-Runden eine hohe Bedeutung gewonnen. Abs. 2 lit. c) i) erlaubt Importbeschränkungen zum Schutz der Konkurrenzfähigkeit einheimischer Fischer oder Landwirte, deren umweltschädliche Überproduktion gleichartiger oder entsprechender Produkte durch staatliche Maßnahmen reduziert wird. Art. XIII GATT verpflichtet die Mitglieder, mengenmäßige Ein-/ Ausfuhrbeschränkungen, die aufgrund der Ausnahmen des Art. XI Abs. 2 GATI legal sind, nicht in diskriminierender Weise anzuwenden. Dies überträgt das Meistbegünstigungsprinzip auf nichttarifäre Beschränkungen.

b) Marktzugang (Art. XVI, VI GATS) Im GATS verbürgt Art. XVI Marktzugangsrechte nur im Rahmen der ausgehandelten Listen. 124 Die Art. XIX-XXI GATS verpflichten aber zu einer langfristigen Ausweitung der Zugangsrechte. Für geöffnete Bereiche gilt Art. VI GATS, der die innerstaatliche Regulierungsautonomie gegenüber Dienstleistungserbringern durch Anforderungen an zulässige Marktzugangsbeschränkungen einschränkt. 125 Insbesondere das noch nicht näher definierte Erforderlichkeitskriterium des Art. VI Abs. 4 lit. b) GATS kann ökologische Vorgaben gegenüber Dienstleistungen einschränken. 126 Die WTO-Mitglieder haben eine Arbeitsgruppe zu Art. VI GATS eingesetzt.127

123 EC - Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 220; Canada- Automotive Industry, WT/DS139, 142/R, paras. 10.232- 10.234. 124 Auch für die bereits liberalisierten Sektoren können Ausnahmen in die Listen aufgenommen werden. 125 S/C/W/96 ( 1.3.1999). 126 Vgl. Weiler, JWT 34/3 (2000), S. 80: " ... a considerable agent for regulatory reform."; für eine zurückhaltende Definition der Erforderlichkeit Neumann!Türk; zur ökologischen Bedeutung des GATS s. Date, S. 19-26. 127 S/L/70; S/WPDR/1.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

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4. Allgemeine Ausnahmen Die Art. XX GATT, Art. XIV GATS enthalten allgemeine Ausnahmen. Für Umweltschutzmaßnahmen sind im GATT vor allem die lit. b) und g), u. U. auch lit. a) von Bedeutung, im GATS lit. b), u. U. auch lit. a). Die GATS-Ausnahmen lehnen sich an die GATT-Vorbilder an und sind grds. entsprechend auszulegen. Da Art. XX GATT die Verletzung anderer GATT-Artikel rechtfertigt, hat der Beklagte die Erfüllung der Voraussetzungen sowohl der jeweils angeführten speziellen Ausnahme (lit. a-h), als auch des Einleitungssatzes nachzuweisen. 128 Weil aber Art. XX legitime nationale Maßnahmen schützt, deren Verfolgung nicht gegenüber den übrigen GATT-Artikeln zweitrangig ist, sondern mit diesen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen ist, 129 darf Art. XX nicht per se eng ausgelegt werden, die Interpretation hat sich gemäß Art. 3 Abs. 2 DSU i. V.m. Art. 31 WVK an den allgemeinen Kriterien zu orientieren. 130 a) Art. XX lit. b) GATT, Art. XN lit. b) GATS

Art. XX lit. b) GATT erlaubt Handelsbeschränkungen zum Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen. Gesundheitsschutz ist weit zu verstehen, da auch der Schutz vor mittelbaren Beeinträchtigungen, wie der Versehrnutzung von Umweltmedien, mit denen die Lebewesen in Berührung kommen, Beschränkungen rechtfertigen kann. Wichtig ist, daß der Handel für die Gesundheitsgefährdung (mit-)ursächlich sein muß. Außerdem muß die Maßnahme für den Gesundheitsschutz notwendig ("necessary") sein. Dies erfordert zunächst, daß sie objektiv geeignet ist, die Gesundheit zu schützen bzw. den Schutz zu fördern. Der Schutz muß durch die Maßnahme unmittelbar möglich sein, ohne daß erst eine Änderung der Politik oder Praxis anderer Staaten nötig ist. Daneben muß die Maßnahme auch erforderlich sein, so daß ihr Ziel durch keine das GATT weniger verletzende bzw. den Handel weniger beschränkende Maßnahme ebenso erfolgreich zu erreichen sein darf.131 Allerdings hat der AB die Anforderun128 Um den Schutz der in Art. XX genannten Werte zu ermöglichen, dürfen an den (prima facie-)Beweis keine hohen Anforderungen gestellt werden, bzw. es ist eine anfängliche Beweislast des Klägers überlegenswert, entsprechend Art. 3 Abs. 1-3 SPS und im NAFfA; die EG ist für eine Umkehr der Beweislast bei durch MEAs speziell gebotenen Beschränkungen, s. WT/CTE/W/170 (19.10.00). 129 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 156. 130 EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R para. 104; Ginzky, S. 173, sieht Art. XX als Kompetenzverteilungsnorm, die "nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auszulegen ist".

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

gen der Erforderlichkeit reduziert, indem er die Zumutbarkeit von weniger verletzenden Maßnahmen beschränkt, wenn die eingesetzten Maßnahmen einem wichtigen Ziel dienen und in starkem Maße zur Erreichung des Ziels beitragen.132 Der Schutz der Umwelt dürfte ein so wichtiges Ziel sein, wenn auch nicht in gleichem Maße wie der Schutz menschlicher Gesundheit.133 Ob Maßnahmen nach Art. XX lit. b) nicht nur einheimische Lebewesen, sondern auch solche in staatenfreien Räumen oder gar in den Herkunftsstaaten schützen dürfen, ist umstritten. Eine Meinung beschränkt unter Verweis auf die Begrenzung des Abs. 1 SPS-Anhang A auf die einheimische Gesundheit den Anwendungsbereich des Art. XX lit. b) GATI auf einheimische Lebewesen. 134 Die Gegenauffassung verweist darauf, daß lit. g) auch den Schutz extraterritorialer Naturschätze erlaube und der Schutz der höherwertigen Güter Leben und Gesundheit mindestens so weit gehen müsse. Richtigerweise erlaubt Art. XX lit. b) GATI den Schutz der Gesundheit von Menschen auch in anderen Staaten, zumindest wenn diese Menschen nicht selbstbestimmt handeln können, man denke an den Schutz vor Gesundheitsschäden durch Zwangsarbeit (z. B. in Burma). 135 Bzgl. Tieren und Pflanzen ermöglicht lit. b) nur den Schutz der Lebewesen, die nicht unter der Regelungshoheit eines anderen Staates stehen, z. B. in staatenfreien Räumen. Die Voraussetzungen und Reichweite des Art. XIV lit. b) GATS dürften wegen des fast identischen Wortlauts dem Art. XX lit. b) GATI entsprechen. b) Art. XX lit. g) GAIT Art. XX lit. g) GATI dient der Erhaltung erschöpflieber Naturschätze. Hierzu gehören erneuerbare lebendige Naturgüter genauso wie nicht erneus. ausführlich zur Erforderlichkeit 3. Kap. E. I. 1. EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 172: " . .. the extent to which the alternative measure ,contributes to the realization of the end pursued' ... ,(t)he more vital or important (the) common interests or values' pursued, the easier it would be to accept as ,necessary' measures designed to achieve those ends.", unter Verweis auf Korea- Beef, WT/DS161, 169/AB/R, paras. 162, 163, 166; unklar ist die Relevanz des dritten Abwägungskriteriums in "Korea - Beer', para. 163, das Ausmaß der Behinderung des Handels durch die angegriffene Maßnahme; ausführlich 3. Kap. E. I. 1. a). 133 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 172: " ... the preservation of human life or health .. . is both vital and important in the highest degree."; vgl. Art. 30 EG und ungeschriebene zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls im EU-Recht. 134 Reuß, S. 97. 135 Für einen extraterritorialen Schutz der Gesundheit auch freiwillig Arbeitender wohl Maupain, RdC 278 (1999-lli), S. 290; Bartels, JWT 36/2 (2002), S. 402. 131

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B. Umweltrelevante WTO-Normen

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erbare Rohstoffe, wenn sie sich nicht mehr nachhaltig erneuern bzw. diese Gefahr besteht. 136 Wie unter Art. XX lit. b) GATI ist auch hier ein mittelbarer Schutz hinreichend, so daß eine Handelsbeschränkung auch rechtmäßig ist, wenn sie nicht den Handel des Naturschatzes betrifft, sondern eines anderen Gutes, dessen Gewinnung, Erzeugung, Transport oder Gebrauch einen Naturschatz gefährdet. 137 Auch Naturschätze, die keiner nationalen Verfügungsgewalt unterstehen, sondern deren Erhaltung ein Anliegen der Staatengemeinschaft ist, z. B. globales Klima, Ozonschicht, Fischbestände auf Hoher See, sind geeignete Schutzobjekte. 138 In den Herkunftsstaaten liegende Naturschätze dürfen nur geschützt werden, wenn eine hinreichende Verbindung zwischen ihnen und dem Importstaat dessen Rechtsetzungshoheit begründet. 139 Auf Art. XX lit. g) GATT gestützte Maßnahmen müssen sich auf die Erhaltung des Naturschatzes beziehen (,,relating to"). Das GATT-Panel "Herring and Salmon" hatte hieraus noch abgeleitet, die Maßnahme müsse vor allem dem Ressourcenschutz dienen ("primarily aimed at"). 140 Der WTOAB hat dieses Kriterium zwar gebilligt, 141 er scheint aber nicht mehr zu fordern, daß der Ressourcenschutz das Primärziel der Beschränkung ist, sondern läßt eine enge, inhärente Verbundenheit 142 der Maßnahme mit der Erhaltung der Naturschätze genügen; somit muß eine enge Zweck-MittelRelation 143 bestehen, die der verfassungsrechtlichen Geeignetheitsprüfung ähnelt, aber nicht die Angemessenheit der Maßnahme überprüft. 144 Wichtig ist, daß nicht ausschließlich der das GATT verletzende diskriminierende oder beschränkende Teil der Maßnahme an Art. XX lit. g) geprüft werden darf, sondern daß es ausreicht, wenn die Handelsbeschränkung als Ganzes auf die Erhaltung des Naturschatzes abzielt. 145 Diese weite Ausle136

137 138

II. 2.

US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 127 f., mittels evolutiver Auslegung. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 132. Diem, S. 183; zur Rechtmäßigkeit extraterritorialen Schutzes s. 3. Kap. E.

US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 133. Canada - Measures Affecting Exports of Unprocessed Herring and Salmon, BISD 35S/98 (angenommen), para. 4.6 (zit. in: US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, s. 15). 141 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 18 f. 142 "Substantial relationship" (WT/DS2/AB/R, S. 19); "A close and genuine relationship of ends and means" (WT/DS58/AB/R, paras. 136, 140, 141). 143 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 140: .. This requirement is ... directly connected with the policy of conservation ..." (Kursiv J.N.); Mavroidis, JWT 3411 (2000), s. 84 f. 144 Ähnlich Mavroidis, JWT 3411 (2000), S. 79; Bree, Dickinson.JIL 17 (1998), s. 113 f. 145 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 16. 139

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

gung des lit. g) unter Beachtung des Wortlautes und des Zwecks des Einleitungssatzes des Art. XX senkt gegenüber früheren Panel-Berichten die Anforderungen an Umweltmaßnahmen. Im Gegensatz zu Art. XX lit. b) GATI ist es wegen der fehlenden Erwähnung der Notwendigkeit ("necessary") in lit. g) nicht nötig, daß die Maßnahme die am geringsten handelsbeschränkende Möglichkeit ist. 146 Das führt zu dem etwas paradoxen Ergebnis, daß an Maßnahmen des Ressourcenschutzes geringe Anforderungen gestellt werden, als an Handelsbeschränkungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. 147 Die geforderte enge, inhärente Verbundenheit von Ziel und Maßnahme ist aber insbesondere gegeben, wenn die Maßnahme erforderlich 148 (oder gar angemessen149) ist, um die Schutzpolitik (zum Teil) zu effektivieren. Außerdem muß die Beschränkung in Verbindung mit ("in conjunction with") einer Beschränkung der/des inländischen Produktion/Konsums angewendet werden.' 50 Die inländische Maßnahme muß zeitlich parallel zur Importbeschränkung in Kraft sein. Art. XX lit. g) fordert aber nicht, daß die inländische Maßnahme ohne die Importmaßnahme unwirksam wäre. Ebensowenig muß die Effektivität der Maßnahme zur Zielerreichung im Sinne einer konkreten Geeignetheit nachgewiesen werden. Jedoch wird die Maßnahme regelmäßig nicht die nötige enge Verbundenheit mit dem Schutzziel aufweisen, wenn sie nicht zumindest abstrakt geeignet ist, also typischerweise zur Zielerreichung beiträgt. 151 Die Maßnahmen gegenüber dem Inland und gegenüber dem Ausland müssen nicht identisch sein oder eine Gleichbehandlung bewirken, denn dann würde oft schon keine Diskriminierung i. S. d. Art. III Abs. 4 GATI vorliegen, welche nach Art. XX GATI zu rechtfertigen ist. Daher reicht es, wenn eine Differenzierung unvoreingenommen ("even-handed") erfolgt. 152

US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17 f. Korea - Beef, WT/DS161, 169/AB/R, para. 161 Fn. 104; Desmedt, JIEL 4 (2001), s. 473. 148 US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 19: "without baselines ... the Gasoline Rules objective . .. would be substantially frustrated". 149 US -Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 141: "Section 609, cum implementing guidelines, is not disproportionately wide in its scope and reach in relation to the policy objective.. . . The means are, in principle, reasonab1y related to the ends". 150 Hierzu v.a. US - Tuna from Canada, BISD 29S/91 (angenommen), paras. 4.10-4.15. 151 US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 21 f.; Altemöller, RabelsZ 64 (2000), S. 235; mißverständlich Epiney, DVBI. 115 (2000), S. 84: " ... auch effektiv sein muß". 152 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 21. 146 147

B. Umweltrelevante WTO-Normen

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c) Art. XX lit. a) GAIT, Art. XIV lit. a) GATS

Art. XX lit. a) GATI rechtfertigt Handelsmaßnahmen, die zum Schutz der "öffentlichen Sittlichkeit" ("public morals") notwendig sind. Bei Aushandlung des GATI 1947 wurde vor allem an Alkohol und pornographische Schriften gedacht. 153 Die durch Bezugnahme auf herrschende Wertvorstellungen evolutive Generalklausel dürfte heutzutage auch Handelsbeschränkungen wegen Verstosses der Herstellung gegen die in der ILOErklärung von 1998 bekräftigten grundlegenden Arbeitsrechte oder wegen unnötiger Tierquälerei umfassen. 154

Auf Art. XX lit. a) GATI hat sich bisher noch kein Staat in GATI-/ WTO-Streitverfahren berufen. 155 Grund hierfür dürften der durch die starke Unbestimmtheit des Begriffs "öffentliche Sittlichkeit" bewirkte besondere Protektionismusverdacht und die unklaren Erfolgsaussichten sein. Der Wortlaut des Art. XX lit. a) und sein Sinn und Zweck machen klar, daß der innerstaatliche Maßstab der Sittlichkeit und Moral relevant ist, nicht der des WTO-Panel. 156 Auch eine Anerkennung der zu schützenden innerstaatlichen Werte durch völkerrechtliche Instrumente ist unnötig. Die Ratifikation völkerrechtlicher Instrumente, die solche Werte schützen, und deren Umsetzung und Befolgung im nationalen Recht sind aber ein starkes Indiz für das tatsächliche Bestehen der angeführten innerstaatlichen Überzeugungen.157 Um einen Mißbrauch des wenig bestimmten Begriffs der "öffentlichen Sittlichkeit" zu verhindern, ist dieser restriktiv auszulegen. 158 Der EuGH fordert für die Rechtmäßigkeit einer Nichtanerkennung ausländischer Urteile gemäß des "ordre public" (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ) die offensichtliche McGovem, § 13.12; Chamovitz, VirgllL 38 (1998), S. 704 f. McGovem, § 13.12; Chamovitz, VirgnL 38 (1998), S. 710, 740 f.; auf Art. XX Iit. a) GATI könnte sich die EG in einem WTO-Verfahren zum Importverbot gegen mit Tellereisen gefangene Tier(produkt)e (VO 3254/91) oder gegen ein Importverbot gegen mit Tierversuchen hergestellte Kosmetika (RL 97/18) berufen; Howse!Mutua, S. 11, bejahen Iit. a) bei "gross human rights abuses". 155 McGovem, § 13.12; Chamovitz, VirgnL 38 (1998), S. 690, 702. 156 Ebenso übt der EuGH starke Zurückhaltung bei der Überprüfung, EuGH Slg. 1998, S. 1270 ff. m. w.N.; zustimmend Zeit/er, S. 141. 157 Maupain, RdC 278 (1999-III), S. 290, 294; Diller!Levy, AJIL 91 (1997), S. 695 f. ; die fehlende Ratifikation oder Befolgung völkerrechtlicher Instrumente erschüttert entsprechend die Behauptung dieser Werte; zur Bedeutung der ILO-Konventionen und der ILO-Erklärung über grundlegende Arbeitsrechte für die Auslegung des Art. XX lit. a) GATI ausführlich 3. Kap. D. III. 2. e) bb). 158 !Ayard, WC 2111 (1997/98), S. 167: " . . . imposing import bans on products allegedly offending these morals will only be desirable in the most exceptional circumstances."; Steger, AJIL 96 (2002), S. 144. 153

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Verletzung eines innerstaatlich wesentlichen Rechtsgutes, 159 die Anerkennung ausländischer Urteile soll nur im Extremfall verweigert werden. 160 Der "ordre public" ist aber enger als die "öffentliche Sittlichkeit" des Art. XX lit. a) GATT. Daher sind die Kriterien der Offensichtlichkeit der Verletzung und der Wesentlichkeil des Schutzguts hier nur ungefähre Anhaltspunkte. Wie bei den meisten Schutzgütern des Art. XX GATT ist auch bei lit. a) der genaue territoriale Anwendungsbereich fraglich. Eine extraterritoriale Anwendung i. w. S., also ein Schutz der Moralvorstellungen anderer Länder scheidet aus, da er unnötig ist, weil der jeweilige Staat "seine" Werte selbst schützen kann. Komplizierter ist die Beurteilung, inwieweit die Grundwerte der einheimischen Bevölkerung gegen Verletzungen geschützt werden dürfen, die nicht innerstaatlich, sondern im Herkunftsland passieren, z. B. Herstellung von Importwaren durch Zwangsarbeiter. Der Wortlaut des lit. a) enthält keinen Hinweis auf den räumlichen Anwendungsbereich. Die systematische Auslegung vergleicht lit. a) mit lit. e), t). Gemäß lit. e) darf der Handel mit in Gefangnissen hergestellten Waren beschränkt werden. Dies stellt zwar anders als lit. a) explizit auf den extraterritorialen Produktionsprozeß ab, das ist aber auch zwingend, da der Schutz der einheimischen Wettbewerber vor extraterritorialem "Sozialdumping" bezweckt ist. 161 Daß lit. a) einen extraterritorialen Bezug nicht in vergleichbarer Weise ausdrückt, erklärt sich zum einen aus seinem primären Fokus auf die innerstaatlichen Werte, zum anderen aus der Möglichkeit, extraterritoriale Beeinträchtigungen dieser Werte als vom Wortlaut erfaßt zu sehen. Lit. t) bewirkt ebensowenig wie lit. e) eine systematische Klärung. Der Schutz "nationaler" Kulturgüter kann sowohl als eine Beschränkung auf innerstaatliche Kulturgüter, als auch als eine Ermächtigung zum Schutz jeglicher Kulturgüter von Bedeutung für irgendeine Nation ausgelegt werden. 162 Daher ist der territoriale Anwendungsbereich des lit. a) teleologisch zu bestimmen. Beeinträchtigt es die grundlegenden innerstaatlichen Werte nicht, wenn Importprodukte in den Herkunftsstaaten von Zwangsarbeitern oder ausgebeuteten Kindem hergestellt werden? Daß meist eine Verbindung besteht, beweist nicht zuletzt die öffentliche Empörung über kraß ILO-widrige Arbeitsbedingungen bei asiatischen Zulieferem von US-Firmen. 163 Daher umfaßt der Schutz innerstaatlicher Grundwerte meist auch deren Beein159 EuGH, "Krombach" NJW 53 (2000), 1853 Rn. 37-40; C-38/98 "Renault S.A.", NJW 53 (2000), S. 2185 Rn. 30. 160 Dies gilt auch für den "transnationalen ordre public" des internationalen Wirtschaftsrechts, vgl. Girsberger, DGVR 39 (1999), S. 247 Fn. 91 m. w. N. 161 Die Motivation des lit. e) ist eine ökonomische, keine humanitäre, wie die Entstehungsgeschichte nachweist. 162 Chamovitz, VirgJIL 38 (1998), S. 700 f.; Bartels, JWT 36/2 (2002), S. 358 f.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

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trächtigung durch zuwiderlaufende extraterritoriale Handlungen, wenn ein Anknüpfungspunkt wie der einheimische Konsum der Importwaren besteht.

Art. XN lit. a) GATS erlaubt Beschränkungen, die zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig sind. Hierunter fallen gemäß der Anmerkung Nr. 5 nur schwerwiegende Bedrohungen der Grundwerte der jeweiligen Gesellschaft.164 Der Begriff der "Sittlichkeit" in Art. XX lit. a) GATI ist im Vergleich breiter und enthält keine entsprechende interpretative Einschränkung. 165 Darüber hinaus erwähnt Art. XIV GATS weitere spezielle Schutzgüter, die eine Handelsbeschränkung rechtfertigen können. 166 d) Einleitungssatz des Art. XX GAIT bzw. des Art. XN GATS Maßnahmen sind nach Art. XX GATI oder Art. XIV GATS nur gerechtfertigt, wenn sie nicht nur den Tatbestand der speziellen Ausnahme (lit. aj), sondern auch die drei Anforderungen des jeweiligen167 Einleitungssatzes ("Chapeau") erfüllen. 168 Danach dürfen sie weder willkürlich, noch ungerechtfertigt zwischen Ländern diskriminieren, in denen die gleichen Bedingungen herrschen, noch dürfen sie den internationalen Handel verdeckt beschränken. Die drei Kriterien des Chapeau sind erst nach der speziellen Ausnahme der lit. a)-j) zu prüfen, da ihr Gehalt von der Art der jeweiligen Ausnahme abhängt. Während die lit. a)-j) sich auf den Inhalt der die Maßnahme ermächtigenden Norm beziehen, stellt der Einleitungssatz Anforderungen an die Anwendung der Norm bzw. an die Realisierung der Handelsmaßnahme. 169 Die genaue Bedeutung der Kriterien ergibt sich immer erst aus den Umständen des Einzelfalls. 170 Allgemein ist aber festzustellen, daß eine "will163 Firmen wie Nike machen seitdem ihren Zulieferem Auflagen bzgl. den Arbeitsbedingungen und stehen unter öffentlicher Beobachtung; die zunehmende Verbreitung von Gütern, die zu "fairen" Konditionen hergestellt werden, belegt die Berührung innerstaatlicher Werte durch Herstellungsbedingungen von Importwaren. 164 Als Vergleich dient die enge Auslegung der "öffentlichen Ordnung, Sicherheit" des Art. 39 Abs. 3 EG durch den EuGH. 165 Flory, S. 152. 166 Z. B. Schutz der Privatsphäre gegen unautorisierte Datenweitergabe; zur Relevanz des Art. XIV GATS in einem möglichen WTO-Verfahren der USA gegen die EG-Datenschutz-RL Shajfer, YaleJIL 25 (2000), S. 50-55. 167 Auch wenn die Formulierung des Einleitungssatzes des Art. XIV GATT von der des Art. XX GATT geringfügig abweicht, sind die drei Anforderungen die gleichen, Flory, S. 153. 168 Zu den Anforderungen näher WTO-Sekretariat, WT/CTE/W/203 (08.03.02), paras. 57- 85. 169 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 22; US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 160.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

kürliche" oder "ungerechtfertigte" Diskriminierung i. S. d. Einleitungssatzes schwerwiegender sein muß, als einfache Diskriminierungen im Sinne anderer GATI-Artikel, sonst müßte Art. XX nicht eigene Rechtfertigungskriterien aufstellen, sondern wäre überflüssig. 171 Die Revisionsinstanz hat in "US - Gasoline" und in "US - Shrimp" den Zweck des Chapeaus unter Bezugnahme auf seine Entstehungsgeschichte darin gesehen, einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Freihandelsprinzipien der Art. I, III und XI GATI einerseits und den in Art. XX GATI aufgezählten Ausnahmen andererseits herbeizuführen. Zum einen sei ein Mißbrauch der Ausnahmeklauseln zu verhindern, zum anderen dürfe die Wirksamkeit der legitimen Politiken i. S. d. Art. XX GATI nicht beschnitten werden. Letztlich sei der Chapeau ein Ausdruck von Treu und Glauben. 172 Während das Ziel der Verhinderung von Rechtsmißbrauch eher für eine zurückhaltende Kontrolle im Sinne einer Negativkontrolle spräche, verlangt der AB, in jedem Einzelfall die prinzipiell gleichgewichtigen Pflichten des Importstaats und die Rechte des Exportstaats auszubalancieren. 173 Dazu enthält der Chapeau materielle und prozedurale Kriterien. 174 Während der AB in "US - Gasoline" betonte, die drei Verbote des Einleitungssatzes beeinflußten sich gegenseitig, 175 ordnete er in "US - Shrimp" sechs einzelne Aspekte des US-Importverbots den verbotenen Diskriminierungen zu und verfeinerte so die Auslegung des Einleitungssatzes. 176 Schon in "US - Gasoline" entschied der AB, daß nicht nur durch die unterschiedliche Behandlung von Exportstaaten, sondern auch Differenzierungen zwischen Exportstaat und einheimischen Waren willkürlich oder ungerechtfertigt diskriminieren können. 177 Daß der Einleitungssatz auf Diskriminierung zwischen Ländern abstellt, in denen "die gleichen Bedingungen" herrschen, heißt nicht, daß der Einlei170

171

150.

US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 120, 159. US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 23; US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para.

172 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 156-158; US - Gasoline, WT/DS2/ AB/R, S. 22. 173 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 150 f ., 156, 159; US- Gasoline, WT/ DS2/AB/R, S. 22. 174 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 160. 175 US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 25: "may ... be read side-by-side; they impart meaning to one another". 176 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 161-184; die Auslegung des Einleitungssatz durch GATT-Panel (US - Automotive Spring Assemblies, 1984 BISD 30S/107, paras. 55 f.; US- Tuna from Canada, 1983 BISD 298/91, para. 4.8) spielten trotz Erwähnung in "US - Gasoline", TS/DS2/AB/R, S. 24 Fn. 46, in keinem der beiden AB-Berichte eine Rolle. 177 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 23 f.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

145

tungssatz nie verletzt sein kann, wenn Maßnahmen gegenüber gleichartigen Waren i.S.d. Art. III GATT wegen unterschiedlicher Herstellungsbedingungen (PPM) in den Ländern ergriffen werden. Die Bezugnahme des Diskriminierungsverbots auf das Bestehen gleicher Bedingungen spricht aber dafür, daß die für ein Schutzgut des Art. XX GATT relevante Unterschiedlichkeit von PPM nach Art. XX GATI gerechtfertigt sein kann. /I. TBT-Abkommen

1. Anwendungsbereich Das Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT, "Technical Barriers to Trade") regelt die Zulässigkeit technischer Vorschriften und technischer Normen gegenüber Waren 178 . Mit zunehmender Senkung/Beseitigung von Zöllen werden technische Henunnisse immer wichtiger im internationalen Handel. 179 Auch wenn der Anwendungsbereich des TBT gegenüber dem GATI spezieller ist, wird das GATI nicht verdrängt, sondern ist neben dem TBT weiterhin zu beachten, soweit nicht ein direkter Konflikt besteht. 180 Die TBT-Präambel erwähnt das gleiche Mißbrauchsverbot, wie der Einleitungssatz des Art. XX GATT. Das TBT stellt aber eine gewisse Verschärfung der Anforderungen des GATT dar, da es nicht nur diskriminierende Hemmnisse verbietet, sondern als Ansatz eines Beschränkungsverbotes unverhältnismäßige Hindernisse untersagt und internationale Standards als Richtwerte für nationale Vorschriften vorsieht, was auf eine stärkere Harmonisierung abzielt. 181 Das TBT 1994 geht im wesentlichen auf das TBT 1979 zurück. 182 Technische Vorschriften i.S.d. Abs. 1 TBT-Anhang 1 sind Dokumente, die Merkmale einer Ware oder diese Merkmale beeinflussende Produktions-/Erzeugungsverlabren verbindlich festlegen. Produktionsvorgaben, die sich nicht auf äußere Merkmale des Produkts beziehen, sondern nur die Art und Weise der Herstellung betreffen (PPM), unterfallen nicht dem TBT, 183 178 Gemäß Art. 1 Abs. 3 TBT sind diese Waren Industrieprodukte und landwirtschaftliche Erzeugnisse. 179 s. Sykes, Product Standards; Baldwin, S. 1. 180 Gemäß EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 80, gilt das TBT als "specialized legal regime" zusätzlich zum GATT; ebenso WT/DS135R, paras. 8.49, 8.54; für einen Vorrang des TBT Zedalis, NILR 44 (1997), S. 203-205. 181 EC- Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.49, betont das TBT-Ziel des gegenüber GATT verfeinerten Schutzes vor protektionistischen Produktstandards. 182 Zum TBT 1979 Baldwin, S. 33. . 183 Murase, RdC 253 (1995), S. 340 i. V.m. Fn. 107; Leirer, S. 212; Chang, JWT 3111 (1997), s. 147. 10 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

sondern sind an Art. III oder XI GAIT zu messen. Eine technische Vorschrift muß technische Eigenschaften nennen, die den Marktzugang verbindlich regeln. 184 Dabei ist es gleichgültig, ob positive Anforderungen oder verbotene Eigenschaften genannt werden.185 Dies erfaßt auch allgemeingehaltene Verbote. 186 Dokumente i.S.d. TBT-Anhang 1 sind nicht nur Gesetze oder Verordnungen, sondern auch Verwaltungsvorschriften. Entscheidend ist ihr verbindlicher Charakter. 187 Technische Normen, im Gegensatz zu technischen Vorschriften nicht rechtsverbindlich (Abs. 2 TBTAnhang 1), werden vom TBT wohl auch dann erfaßt, wenn sie als PPM sich nur auf das Herstellungsverfahren, nicht auf die Produkteigenschaften auswirken. 188 Da Panel und AB in "US - Gasoline" eine Überprüfung der Maßnahme am TBT neben der Prüfung am GAIT ablehnten, ist "EC - Asbestos" der erste Streitfall, in dem das TBT angesprochen wurde. 189 Allerdings wurde nur sein genereller Anwendungsbereich geklärt, nicht aber die Bedeutung seiner einzelnen Normen. 190 Ob Art. XX GATT bei Verstößen gegen das TBT als Rechtfertigung anwendbar ist, wurde bislang nicht geklärt. 191 2. Grundlegende Vorgaben für Regulierungsmaßnahmen a) Diskriminierungsverbot, Meistbegünstigung Art. 2 Abs. 1 TBT verbindet das Gebot der inländergleichen Behandlung (Art. III GATT) und das Meistbegünstigungsprinzip (Art. I GATT), da er gebietet, importierte Waren durch technische Vorschriften nicht schlechter zu behandeln, als gleichartige nationale Produkte oder gleichartige Waren aus einem anderen Staat. 184 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 68; EC - Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.57, 8.64. 185 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 69. 186 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 72-75. 187 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 68 f.; ebenso Art. 1 Nr. 9 RL 83/ 189/EWG. 188 In der Rechtsprechung bisher nicht geklärt; dafür Murase, RdC 253 (1995), S. 340 i. V.m. Fn. 107; a.A. Ginzky, S. 192 Fn. 227. 189 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 81. 190 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 64-83; s. aber EC - Sardines, WT/DS231/R; zu den durch Konsultationen beigelegten TBT-Fällen Wilson, S. 710. 191 Da Kanada in ,,EC - Asbestos" keine Verletzung des TBT durch die Art. 2-4 der angegriffenen Verordnung rügte, mußte das Panel keine Rechtfertigung nach Art. XX GATT prüfen.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

147

b) Berechtigte Ziele und Erforderlichkeif Art. 2 Abs. 2 S. 1 TBT verbietet den Entwurf, die Annahme oder die Anwendung technischer Vorschriften, die in ihrer Absicht oder Wirkung unnötig sind. Art. 2 Abs. 2 S. 2 TBT spezifiziert dieses Verbot, indem er drei Erfordernisse für technische Vorschriften aufstellt, die den ersten beiden Schritten des deutschen Verhältnismäßigkeilsprinzips ähneln. Zunächst muß die Vorschrift der Erreichung eines berechtigten Ziels dienen. Satz 3 zählt Beispiele für berechtigte Ziele auf, u. a. Schutz der Gesundheit und Sicherheit des Menschen, Leben und Gesundheit von Tieren oder Pflanzen sowie Umweltschutz. Daneben muß die technische Vorschrift geeignet 192 und erforderlich sein, ihr Ziel darf nicht durch weniger handelsbeschränkende Akte gleich wirksam erreichbar sein. Dies ist gemäß Art. 2 Abs. 3 ein dauerhaftes Erfordernis, so daß bei Wegfall der Erforderlichkeil die Vorschrift abzumildern bzw. aufzuheben ist.

Außerdem sollen nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 TBT die Risiken berücksichtigt werden, die entständen, wenn das Schutzziel nicht erreicht würde. Dies dürfte keine Angemessenheilsprüfung im Sinne des deutschen Verfassungsrechts sein, sondern ein integraler Teil der Erforderlichkeitsprüfung, welcher die Erforderlichkeil von Alternativen entfallen lassen kann, wenn ansonsten das Schutzziel womöglich nicht erreicht würde} 93 Dies wird durch Abs. 6 der TBT-Präambel bestätigt. Technische Vorschriften werden gerade zur Verfolgung nichtwirtschaftlicher Ziele eingesetzt, so daß eine genaue Quantifizierung des Nutzens meist unmöglich ist! 94 Aber erst ein AB-Bericht wird endgültige Klarheit schaffen. 195 c) Das Verhältnis nationaler Regulierungen zu internationalen Standards Art. 2 Abs. 4 TBT verpflichtet zur grundsätzlichen Orientierung nationaler technischer Vorschriften an internationalen Standards. Vergleichbar dem Art. 3 Abs. 1 SPS 196 erfordert dies anders als Art. 3 Abs. 2 SPS keine Kon192 Dazu Desmedt, JIEL 4 (2001), S. 462: " ... obligation of rational connection between the measure and the risk assessment.". 193 WTO-Sekretariat, S/C/W/96 (1.3.1999), paras. 21 f.; Trüeb, S. 377 f.; Montini, RECIEL 6 (1997), S. 123; a. A. Zeitler, S. 61, 118: " ... auf eine ... Interessenabwägung hindeutet"; Diem, S. 92: ,,Proportionalitätsprinzip"; Hilf, JIEL 4 (2001), s. 120. 194 s. aber Worldbank, "Saving two in a billion", über Aflatoxin-Standards der EG, die ca. 2 Leben auf eine Milliarde Menschen retten, aber afrikanische Getreideund Obstexporte um zwei Drittel drosseln dürften. 19 5 Präzisierungen regen die EG, WT/GC/W/274, 27.7.1999, para. 8, und Japan, WT/GC/W/241, 6.7.1999, para. 1, an; anhängig zu Fragen des Art. 2 Abs. 2 TBT ist EC - Sardines, WT/DS231 .

w•

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

fonnität, sondern nur eine Grundübereinstimmung. Dieses Erfordernis entfällt, wenn der internationale Standard zur Erreichung eines berechtigten Ziels unwirksam ist. Da das TBT die Souveränität der WTO-Mitglieder zur Bestimmung des Niveaus der Schutzziele nicht beeinträchtigen sollte und da internationale Standards nicht per se verbindlich sind, bleibt bei einer Abweichung von internationalen Normen die Beweislast zunächst beim Kläger, sie wechselt erst, wenn dieser einen Anscheinsbeweis für eine Verletzung des TBT durch die nationale Abweichung erbracht hat. 197 Internationale Standards i. S. d. Art. 2 Abs. 4 TBT, z. B. ISO-Normen, werden durch private Organisationen festgesetzt und gewinnen erst durch Verweise nationalen Rechts rechtliche Verbindlichkeit. 198 Alle WTO-Mitglieder bzw. ihre Organe müssen Mitglied der Standardisierungsorganisation werden können (Abs. 4 TBT-Anhang 1). Diese potentiell universelle Teilnahme soll die Standards legitimieren, von denen nationale Vorschriften eben nur unter den Bedingungen des Art. 2 Abs. 4 2. Hs. abweichen dürfen. Bedenken an der grundsätzlichen Verbin~lichkeit der Standards als Richtwerte nationaler Vorschriften ergeben sich zum einen aus der mangelnden Vertretung vieler Entwicklungsländer in den Standardisierungsgremien, 199 zum anderen aus der oft übergewichtigen Beteiligung nicht demokratisch gewählter Nichtregierungsorganisationen, insbesondere Industrievertreter.200 Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT begründet die widerlegbare Vermutung, daß eine nationale Vorschrift, die internationalen Normen entspricht, kein unnötiges Handelshemmnis i. S. d. Art. 2 Abs. 2 ist, falls sie einem berechtigten Ziel dient. 201

Während die Vorgaben des Art. 2 TBT nur für auf zentralstaatlicher Ebene erlassene Vorschriften gelten, bezieht sich Art. 3 TBT auf Vorschrif196 Art. 2 Abs. 4 TBT: "Members shall use them, . .. , as a basis... "; Art. 3 Abs. 1 SPS: " ... , Members shall base ... ". 197 Die Ausführungen zu Art. 3 Abs. 1-3 SPS in ,,EC- Hormones", WT/DS26, 48/AB/R, paras. 102, 104 dürften für Art. 2 Abs. 4, 5 TBT entsprechend gelten; EC- Sardines, WT/DS231/R, paras. 7.50-7.52; unzutreffend Ginzky, S. 150, 197. 198 Zur Diskussion in der WTO über Kriterien der Standardsetzung: G/TBT/W/ 106, G/TBT/W/87, G/TBT/W/75; neuerdings kann sich die Öffentlichkeit an der ISO-Standardisierung beteiligen, http://www.iso.ch/bp (4.8.00); zur Aufnahme von ISO-Standards ins TBT Roht-Arriaza und Wirth, in: Shelton, S. 339 f. 199 G/TBT/W/103. 200 Zur zweifelhaften demokratischen Legitimation der zu fast 50% mit Industrievertretern besetzten Codex Alimentarius-Kommission, die Empfehlungen für Chemikaliengrenzwerte in Nahrungsmitteln festlegt: Godt, EWS 9 (1998), 204 f.; Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 188 f. m. w. N.; l.Ayard, WC 21/1 (1997 /98), S. 161. 201 Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT erleichtert keine Beweislast des Mitglieds, das die technische Vorschrift erläßt (so aber Hohmann, RIW 46 (2000), S. 97 Fn. 102), sondern erschwert die schon bestehende Beweislast des dagegen vorgehenden Exportstaates.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

149

ten lokale~02 und nichtstaatlicher Stellen. Er stellt ähnliche Anforderungen.

d) Prozedurale und materielle Anforderungen an technische Normen Wichtige prozedurale Vorgaben für Ausarbeitung, Annahme und Anwendung technischer Normen enthält der in Anhang 3 des TBT niedergelegte Verhaltenskodex. Normen sind im Gegensatz zu Vorschriften nach Abs. 2 des TBT-Anhangs 1 nicht rechtsverbindlich. Allerdings entfalten sie aufgrund der Marktmacht der sie übernehmenden Unternehmen(-sverbände) und aufgrund ihrer häufigen Indizwirkung für den Stand der Technik meist eine starke tatsächliche Bindung und können so starke Marktzugangsschranken sein. Bei umweltschützenden technischen Normen fragt sich insbesondere, ob freiwillige Umweltzeichen als Kennzeichnungen auch dann nach dem Verhaltenskodex des Anhang 3 TBT beschlossen werden müssen, wenn sie sich auf PPM beziehen, die sich nicht auf die Produkteigenschaften auswirken.203 Gemäß Art. 4 Abs. 1 TBT müssen zentralstaatliche Normungsbehörden den Kodex einhalten und sollen darauf hinwirken, daß auch lokale und nichtstaatliche Normungsorganisationen dies tun. Abs. D des Kodex statuiert für technische Normen entsprechend Art. 2 Abs. 1 TBT das Inländerund das Meistbegünstigungsprinzip. Abs. E verbietet sowohl die nach ihrer Absicht, als auch die nach ihrer Wirkung unnötige Hemmung des internationalen Handels durch Ausarbeitung, Annahme oder Anwendung technischer Normen. Abs. F schreibt vergleichbar Art. 2 Abs. 4 TBT internationale Normen als Richtwerte für nationale Normen fest. Abs. G ruft zur Teilnahme an internationaler Normsetzung auf. Nach Abs. L sollen vor Annahme nationaler Normen mindestens 60 Tage liegen, damit Dritte Stellung nehmen können. Nach Abs. N sollen Abweichungen von internationalen Normen begründet werden. Abs. J, K, M, 0, P enthalten Notifizierungspflichten und Transparenzgebote. Besonders wichtig ist hierbei die Vernetzung mit den internationalen Normungsorganisationen ISOIIEC. 202 Hierunter fallen in Deutschland die Bundesländer gemäß Abs. 7 des TBT-Anhangs 1. 203 Im WTO-CTE wurde hierzu noch keine Einigung erzielt; im TBT-Ausschuß ist sogar streitig, ob diese Frage diskutiert werden soll, BRIDGES Weekly 15.11.00; G/L/412 (14.11.00), para. 48; für eine Erfassung dieser Zeichen die wohl h.M., z.B. Ginzky, S. 193; Droege, Aussenwirtschaft 56 (2001), S. 116; zu den verschiedenen Kennzeichnungsarten WT/CTE/W/150 (29.6.00); zur WTO-Konformität verpflichtender und freiwilliger Kennzeichnungen s. Appleton, NYUEnvU 8 (2000), S. 566-578; zur Kennzeichnung gentechnischer Lebewesen Runge/Jackson, JWT 34/1 (2000), s. 111-122.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

e) Verfahrensvorschriften Art. 5 TBT regelt das Verfahren der Bewertung der Übereinstimmung von Waren mit technischen Vorschriften oder Normen durch den Zentralstaat, Art. 6 die gegenseitige Anerkennung der Übereinstimmungsfeststellung, Art. 7 und 8 enthalten Vorgaben für das Verfahren der Übereinstimmungsfeststellung durch lokale bzw. nichtstaatliche Stellen. Art. 9 TBT zielt auf die Installierung internationaler oder regionaler Anerkennungsverfahren.204 Art. 10 verpflichtet die Mitglieder, nationale Informationsstellen zu technischen Vorschriften, Normen und Anerkennungsverfahren zu unterhalten. Art. 11, 12 regeln den technischen Beistand der Mitglieder untereinander bei Aufbau und Betrieb eines nationalen Systems technischer Vorschriften und Normung, insbesondere um Entwicklungsländern zu helfen. Art. 13 TBT betrifft die Arbeit des WTO-Ausschusses für technische Handelshenunnisse, der durch den Internationalen Normungsausschuß (ISO) über nationale Vorschriften und Normen informiert wird und diese an die WTO-Mitglieder weiterleitet. Art. 14 TBT verweist für die Streitbeilegung auf Art. XXII, XXIII GATI und die WTO-Streitbeilegungsvereinbarung (DSU), ergänzt diese aber um die Einsetzung technischer Sachverständiger (Art. 14 Abs. 2, 3 i. V.m. Anhang 2). Ein umweltpolitisch wichtiger05 Anwendungsfall des TBT sind Produktkennzeichnungen.206 Diese sind technische Vorschriften i.S.d. Art. 1 TBT, wenn sie verbindlich sind und an Produkteigenschaften anknüpfen, indem sie über Inhaltsstoffe oder über solche Herstellungsarten (PPM) Auskunft geben, die sich in physischen Produkteigenschaften widerspiegeln. Schwieriger ist die Prüfung der TBT-Konformität von freiwillig verwendeten Zeichen (z. B. Information, Werbung). Hier dürfte zumindest der Verhaltenskodex des TBT-Anhang 3 zu befolgen sein, insbesondere bei Koordination, Überwachung oder Unterstützung durch den Staat. Über die Bedeutung des TBT für die WTO-Konformität von Kennzeichnungen sind sich die WTOMitglieder noch uneins,207 eine definitive Klärung dürfte erst durch eine Streitentscheidung erfolgen. 204 Baldwin, S. 22 f., warnt vor einer Zweiteilung des Welthandels durch bilaterale oder regionale Verfahren gegenseitiger Anerkennung zwischen Industriestaaten, die die Bedürfnisse der Entwicklungsländer mißachten. 205 Zur Kritik einiger WTO-Mitglieder an Belgiens Gesetzentwurf für freiwillige Kennzeichen für Waren, die ILO-konform hergestellt wurden, BRIDGES Weekly 5112 (03.04.01); Kennzeichnungen sind ein wichtiger Teil der EG-Umweltpolitik; ihre Eignung zur Beseitigung von Extemalitäten ist wegen ihrer Effizienzschwäche gegenüber ökonomischen Instrumenten aber zweifelhaft. 206 Zu den verschiedenen Arten der Kennzeichnung: ISO/TC 207/SC 3, s. WT/ CTE/W/114 (31.5.1999). 207 CTE-Bulletin Nr. 32; zur WTO-Konformität.

B. Umweltrelevante WTO-Normen

151

/11. SPS-Abkommen

1. Anwendungsbereich Das Übereinkommen über Gesundheits- und Pflanzengesundheitsmaßnahmen (SPS, "Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures") enthält als selbständiges Abkommen eigenständige Rechte und Pflichten neben dem GATI. 208 Letzteres bleibt neben dem SPS anwendbar. Allerdings begründet Art. 2 Abs. 4 SPS die widerlegbare Vermutung, daß (phyto-)sanitäre Maßnahmen, die SPS-konform sind, auch GATI-konform sind, insbesondere als Ausnahme gemäß Art. XX lit. b) GATI. Für (phyto-)sanitäre Maßnahmen verdrängt das SPS gemäß Art. 1 Abs. 4 SPS das TBT. Die genaue Abgrenzung zwischen TBT und SPS ist aber wegen fehlender Rechtssicherheit zum Anwendungsbereich des SPS noch unklar. Gesundheits- und Pflanzengesundheitsmaßnahmen i. S. d. Art. 1 Abs. 1 SPS sind aufgrund Abs. 1 des SPS-Anhang A alle Maßnahmen, die zum Schutz der Gesundheit ergriffen werden. Die Verwendung des Wortes "to" indiziert die entscheidende Bedeutung des Regelungszwecks?09 Z. T. wird das Abstellen auf schwer überprüfbare subjektive Elemente kritisiert und objektive Kriterien bevorzugt. Schon wegen Art. 11 S. 2 DSU darf ein Panel aber nicht allein die Aussagen des Beklagten berücksichtigen, um zu bewerten, ob eine Gesundheitsmaßnahme vorlag; daher sind objektive Indizien zur Ermittlung des Zwecks der Maßnahme heranzuziehen. Gemäß Abs. 1 des SPS-Anhangs A ist die Anwendung des SPS auf Maßnahmen zum Schutz der innerstaatlichen Gesundheit beschränkt. 2. Zweck des SPS Das SPS soll einerseits freien Handel gesundheitsrelevanter Waren sichern, andererseits den Besonderheiten des politisch sensiblen Gesundheitsschutzes gerecht werden. Es stellt an die vielfältigen und potenziell stark handelshemmenden Maßnahmen des Gesundheitsschutzes weitergehende Anforderungen als das GATI. Zwar obliegt die Festlegung des Gesundheitsschutzniveaus der nationalen Kompetenz der WTO-Mitglieder, die Maßnahmen müssen aber diskriminierungsfrei, notwendig und konsistent sein, sie müssen auf wissenschaftlichen Risikonachweisen basieren und sie sollen möglichst internationalen Standards entsprechen. 208 EC - Hormones, WT/DS26/R, paras. 8.39-8.41, WT/DS48/R, paras. 8.428.44; a.A. EG-KOM in diesem Verfahren; Pescatore, Nachweis in: JIEL 2 (1999), S. 604 Fn. 5. 209 Japan - Varietals, WT/DS76/R, para. 8.12; McNiel, Virg.JIL 39 (1998), S. 113; Fredland, VanderbJTrL 3 (2000/1), S. 199.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

3. Grundlegende Vorgaben für Regulierungsmaßnahmen

a) Wissenschaftlicher Nachweis von Gefahr oder Risiko Zwar erlaubt das SPS PPM-Vorgaben, die sich nicht unmittelbar in der Produkteigenschaft widerspiegeln,210 es verschärft aber im Vergleich zur früheren Freistellungspraxis nach Art. XX lit. b) GATT die Anforderungen an Handelsbeschränkungen wegen gesundheitsriskierender Gewinnungs-/Produktionsmethoden (PPM),211 da seine Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 einen konkreten wissenschaftlichen Nachweis für behauptete Gefahren/Risiken fordern. 212 Auf diesen wissenschaftlichen Nachweis kann nur bei mangelndem Sachwissen vorübergehend gemäß Art. 5 Abs. 7 SPS verzichtet werden.Z 13 Andere Begründungen, wie Ängste oder ethische Präferenzen der Verbraucher, können Handelsbeschränkungen nicht rechtfertigen.Z14

b) Eiforderlichkeit Gemäß Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2 SPS sind Handelsbeschränkungen nur erlaubt, wenn und solange sie zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen erforderlich sind. Die Fußnote 3 zu Art. 5 Abs. 6 SPS bestimmt, daß die Erforderlichkeil aber nur zu verneinen ist, wenn eine Alternativmaßnahme technisch und wirtschaftlich vertretbar ist und den Handel deutlich weniger beschränkt.215 Eine AngemessenVan Djick/Faber, in: dies., S. 320. WTO Agreements Series, Nr. 4, S. 13; Maruyama, Int. Lawyer 32 (1998), s. 675 f. 212 Zu den Einzelheiten siehe die Erörterung der Panel- und AB-Berichte ,,ECHormones", "Australia- Salmon" und "Japan- Varietals", C. Vll.-IX. 213 Bzgl. Art. 5 Abs. 7 SPS fehlt bisher eine WTO-Entscheidung, ob vorläufige Maßnaltrnen solange erlaubt sind, bis sich Anhaltspunkte für Risiken als falsch herausgestellt haben, oder ob die Maßnaltrne bei fehlendem Nachweis konkreter Risiken nach einer gewissen Zeit auch ohne Ausräumen jeglichen Verdachtes aufzuheben ist; die EG vertritt erstere, die USA und Kanada (wegen Wortlaut und Systematik der Art. 5 Abs. 7, 1 SPS wohl zutreffend) letztere Auffassung; Zedalis, JWT 35/2 (2001), S. 346: "tremendous uncertainty"; während Eggers/Mackenzie, JIEL 3 (2000), S. 538 Fn. 96, die Beweislast bei Art. 5 Abs. 7 dem Beschwerdeführer auferlegen, spricht die Vorläufigkeit der Maßnahme für eine Ausnahmenorm, deren Einschlägigkeit der Beklagte beweisen muß. 214 Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 155 f., 169; Bohanes, ColumbiaJTransL 40 (2002), s. 122 f. 215 Altemöller, RabelsZ 64 (2000), S. 249, meint, Art. 5 Abs. 6 SPS und Fn. 3 erforderten die Angemessenheit; dies verkennt, daß die WTO-Mitglieder die Allgemessenheit der Höhe des SPS-Schutzniveaus frei bestimmen dürfen, wenn ein Ri210

211

B. Umweltrelevante WTO-Normen

153

heitsprüfung enthält das SPS nicht, die Mitglieder können bei wissenschaftlichem Nachweis eines Risikos z.B. auch ein Nullrisiko durch Importverbot anstreben. 216 c) Nichtdiskriminierung und Konsistenz Art. 2 Abs. 3 SPS verbietet ähnlich dem Einleitungssatz des Art. XX GATT verschleierte Handelsbeschränkungen und willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierungen zwischen WTO-Mitgliedern, in denen die gleichen Bedingungen bestehen. Dies untersagt unbegründete Unterscheidungen sowohl zwischen verschiedenen Herkunftsstaaten, also auch zwischen dem Importstaat und einem Herkunftsstaat, weshalb Art. 2 Abs. 3 SPS als gesundheitsspezifische Kombination des Meistbegünstigungsprinzips und der Inländergleichbehandlung bezeichnet wird. 217 Dieser Test wird durch Art. 5 Abs. 5 SPS ergänzt. Danach müssen die Schutzmaßnahmen insofern konsistent sein, daß gegenüber vergleichbaren Risiken ähnlich wirksame Maßnahmen ergriffen werden müssen.218 Dies soll protektionistisch motivierten Aktionismus, der sich auf einzelne Substanzen beschränkt, verhindern.

d) Das Verhältnis nationaler Regulierungen zu internationalen Standards Art. 3 Abs. 2 SPS stellt die (widerlegbare) Vermutung auf, daß Maßnahmen, die internationale Standards übernehmen, mit SPS und GATI vereinbar sind. Solche Standards sind z. B. die Standards und Richtwerte der Codex Alimentanus-Kommission (CAK)219 von WHO und FAO und die Standards der Internationalen Konvention220 zum Pflanzenschutz. Mitglieder können nach Art. 3 Abs. 3 SPS Anforderungen stellen, die internationale Standards übertreffen. Dies schützt die nationale Entscheidung über das angemessene Schutzniveau?21 Höhere Anforderungen müssiko nachweisbar ist; Art. 5 Abs. 6 und Fn. 3 SPS beziehen sich nur auf die Erforderlichkeit. 216 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 125. 2 17 Roberts, JIEL 1 (1998), S. 384. 218 Zu den WTO-Richtlinien zur Beachtung des Art. 5 Abs. 5 SPS s. G/SPS/15 (18.7.00). 219 Kirgis, in: Schachter/Joyner, S. 149 f.; zur zweifelhaften demokratischen Legitimation der Codex Alimentarius-Kommission, die Empfehlungen für Chemikaliengrenzwerte in Nahrungsmitteln festlegt, Godt, EWS 9 (1998), 204 f. ; Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 188 f. m. w. N.; Victor, NYUJILaP 32 (2000), S. 885-892. 220 http://www.fao.org/Legal/TREATIES/004t2-e.htm (20.07 .00). 221 Wegen ihrer fehlenden Verbindlichkeit per se beschränken CAK-Standards die WTO-Rechtmäßigkeit nationaler Handelsmaßnahmen nicht direkt, nur indirekt über

154

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

sen aber wissenschaftlich gerechtfertigt sein. Gemäß der Fußnote zu Art. 3 Abs. 3 erfordert eine wissenschaftliche Rechtfertigung die Untersuchung und Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Risikoinformationen in Übereinstimmung mit den SPS-Normen, insbesondere mit Art. 5 Abs. 1 SPS i. V. m. Abs. 4 des Anhangs A. 222 Darüber hinaus muß ein abweichendes nationales Schutzniveau den anderen Erfordernissen der Art. 2, 5 SPS entsprechen, insbesondere muß es für das nationale Schutzniveau notwendig sein. Dies stellt erhebliche Anforderungen (s. C. VII.-IX.).

4. Weitere SPS-Normen Art. 4 SPS macht die gegenseitige Anerkennung von Standards von einem Nachweis ihrer Geeignetheit zur Erreichung des Schutzniveaus des Importstaates abhängig. 223 Art. 7 SPS i. V.m. Anhang B enthält eine Notifizierungspflicht bzgl. SPS-Maßnahmen, Art. 8 i. V.m. Anhang C regelt die Inspektions- und Genehmigungsverfahren. Art. 9 und 10 befassen sich mit technischer Hilfe und besonderer und differenzierter Behandlung der Entwicklungsländer. Art. 11 Abs. 1 SPS erklärt für Streitfalle Art. XXII, XXIII GATT i. V. m. dem DSU für anwendbar, Abs. 2 enthält eine Spezialregel für Gutachten durch Sachverständigengruppen. Art. 11 Abs. 3 SPS bestimmt als Spezialregel zu Art. 23 DSU, daß Streitheilegongsverfahren nach anderen internationalen Vereinbarungen nicht berührt werden.

5. Rechtspolitische Brisanz des SPS Das signifikanteste Merkmal der Regulierungsphilosophie des SPS ist die Forderung eines wissenschaftlichen Nachweises von Gesundheitsrisiken gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 SPS. Handelsbeschränkungen dürfen, soweit es nicht (mehr) um vorläufige Schutzmaßnahmen nach Art. 5 Abs. 7 SPS geht, nicht ohne hinreichenden, konkreten wissenschaftlichen Nachweis eines Gesundheitsrisikos beibehalten werden. Dies widerspricht einer strengen Anwendung des Vorsorgeprinzips insbesondere bei Risiken, deren Auswirkungen aufgrund langer Inkubationszeit erst nach mehreren Jahren offenbar werden. So untersagt das SPS z. B. das EG-Importverbot gegenArt. 3 Abs. 1-3 SPS; wegen ihrer Unverbindlichkeit sind sie keine Basis für Handelsbeschränkungen gemäß Art. 28, 30 EG, vgl. EuGH Rs. 186/86 "Deserbais", Slg. 1988, S. 4907, Rn. 15. 222 Japan - Varietals, WT/DS76/AB/R, para. 79; EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 175. 223 Macmillan, S. 147; zu den nur langsamen Fortschritten G/SPS/19 (24.10.01).

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über hormonbehandeltem Rindfleisch224 und es könnte die EG-Kennzeichnungspflichten gegenüber gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln in Frage stellen. Eine Kennzeichnungspflicht für diese Waren wäre eine mildere Maßnahme als ein Importverbot, wenn sie im selben Maße schützen würde. Aber Art. 5 Abs. 1 SPS fordert für jede Importbeschränkung, also auch für Kennzeichnungspflichten, die wissenschaftliche Nachweisbarkeit des Risikos. Wenn also der Risikonachweis mißlingt und die Frist für vorübergehende Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 7 SPS abgelaufen ist, sind weder Importverbot, noch Kennzeichnungspflicht rechtmäßig. Wird dagegen ein Risikonachweis erbracht, stellt sich die Frage, ob zur Erreichung des vom Importstaat bestimmten Schutzniveaus ein Importverbot i. S. d. Art. 5 Abs. 6 SPS erforderlich ist oder ob eine Kennzeichnungspflicht ausreicht. Ob das SPS auf Handelsbeschränkungen anwendbar ist, die zum Zweck des Gesundheitsschutzes gegenüber gentechnisch veränderten Organismen (GMO) ergriffen werden, ist streitig. Nach einer Meinung ist das SPS unanwendbar, da die gentechnische Veränderung nicht unter die in Abs. 1 SPSAnhang A aufgeführten Risiken falle, dieser Katalog sei abschließend. Die Gegenmeinung hält diesen Katalog für eine Generalklausel, so daß das SPS bei Beschränkungen von GMO zum Schutz der Gesundheit anwendbar sei. Die Auslegung der Art. 2 Abs. 2, 3, Art. 5 Abs. 1, 2, 5, 6, 7 SPS wird bei Erörterung der Panel- und AB-Berichte "EC- Hormones", "AustraliaSalmon" und "Japan- Varietals" (C. VII.-IX.) näher untersucht.

N. TRIPS Das Abkommen über handelsverbundene Aspekte der Rechte geistigen Eigentums (TRIPS, "Trade-Related Aspects of /ntellectual Property Rights")225 begründet einen Mindeststandard für den Schutz wichtiger Arten geistigen Eigentums. Da es nicht der Erleichterung des Handels, sondern dem Schutz dieser (potenziell handelshemmenden) Rechte dient, ist es eigentlich ein Fremdkörper im Welthandelsrecht Aus ökologischer Perspektive ist das TRIPS insbesondere unter dem Aspekt der Auswirkungen der Garantierung von Rechten geistigen Eigentums ("IPRs", /ntellectual Property Rights) an umweltschonenden Verfahren und Produkten interessant. Einerseits schafft die Ausdehnung der (potenziellen) Durchsetzung dieser Rechte über die traditionellen IPRs-Staaten hinaus auf alle WTO-Mitglieder 224 22s

EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R. BGBl. 1994 II S. 1731 ff.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

mittels des TRIPS auf seiten der Erfinder verstärkte Anreize für die Entwicklung umweltfreundlicher Verfahren und Produkte. Andererseits kann die Privatisierung und Kommerzialisierung bisher kostenlos genutzten Wissens die Bevölkerung mancher Staaten oder Regionen von der Nutzung ausschließen, so daß ökologische Verbesserungen verhindert werden. 226 Besondere ökologische Bedeutung hat das TRIPS bei der Patentierbarkeit von Lebewesen, insbesondere von Pflanzensorten und von gentechnisch veränderten Lebewesen. 1. Grundsätze des TRIPS Begünstigt werden nach Art. 1 Abs. 3 S. 1 TRIPS nicht Waren oder Dienstleistungen, sondern die Bürger der WTO-Mitglieder, also Menschen als Inhaber der Schutzrechte. Art. 2 Abs. 1 TRIPS verweist auf die Art. 112, 19 der Pariser Verbandsübereinkunft (1967) als allgemeinen Schutzstandard. Die Verweisungen des TRIPS setzen die inkorporierten Abkommen nicht außer Kraft (Art. 2 Abs. 2 TRIPS). Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 TRIPS sichert die Gleichbehandlung von Ausländern mit Inländern im Umfang der TRIPS-Rechte.Z27 Art. 4 TRIPS enthält die Meistbegünstigungsklausel, 228 die aber die Ausnahmen aufgrund Gegenseitigkeit aus der Berner Übereinkunft und dem Rom-Abkommen übernimmt. Art. 5 stellt klar, daß Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung nicht für Rechte aus solchen WIPO-Abkommen gewährt werden, auf die das TRIPS nicht verweist. Art. 7 formuliert die Ziele des TRIPS. Dies sind Schutz und Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums. Es sollen Erfindungen angereizt und ihre Verbreitung und Nutzung gefördert werden zum beiderseitigen Vorteil der Erfinder und der Nutzer der Erfindungen. Der Schutz und die Durchsetzung der Rechte sollen dem gesellschaftlichen und dem wirtschaftlichen Wohl zuträglich sein und einen Ausgleich zwischen verschiedenen Rechten 226 So verzichtete Indien auf die Übernahme der b.t.-Technik zum Schutz von Baumwollpflanzen vor Schädlingen wegen der von Monsanto geforderten Lizenzgebühren iHv. 7,7 Mio. US-$, Seiler, ila 234 (2000/4), S. 19; zu den ökonomischen Problemen vieler Entwicklungsländer wegen des TRIPS s. den ausgewogenen Überblick bei Liebig. 227 Gemäß US - Sect. 211 Omnisbus Appropriations Act, WT/DS179/AB/R, para. 242, ähnelt Art. 3 Abs. 1 TRIPS dem Art. III Abs. 4 GATT; der Umfang der zugesicherten Rechte und damit auch der Inländergleichbehandlung richtet sich nach den WIPO-Abkommen, er ist daher z.B. für das Urheberrecht gemäß Art. 5 RBÜ umfassender als für die gewerblichen Rechte nach Art. 2 Abs. 2 Rom-Abkommen, s. v. Lewinski, GRUR Int. 1997, 671; zu Art. 3, 4 TRIPS Kloth, S. 67-76. 228 US- Sect. 211 Omnisbus Appropriations Act, WT/DS179/AB/R, para. 297: "lt is, . .. , fundamental".

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und Pflichten herstellen. 229 Art. 8 Abs. 1 erlaubt nationale Ausnahmen vom Schutz des geistigen Eigentums zugunsten der öffentlichen Gesundheit, Ernährung und für die elementare sozio-ökonomische Entwicklung, stellt diese Ausnahmen aber unter die Bedingung ihrer TRIPS-Konformität, wozu insbesondere Inländerbehandlung, Meistbegünstigung und Erforderlichkeil gehören. Art. 8 Abs. 2 erlaubt erforderliche Maßnahmen zur Abwehr des Mißbrauchs von Rechten geistigen Eigentums und erkennt das Ziel des internationalen Technologietransfers an. Hiernach können z.B. auch Beschränkungen TRIPS-konform sein, die zwecks Technologietransfer in Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 16 der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) erfolgen.230 Die Ziele und Prinzipien der Art. 7 und 8 TRIPS sind für die Auslegung des Abkommens wichtig, insbesondere bei Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit nationaler Beschränkungen geistigen Eigentums, z. B. begrenzter Ausnahmen von Patenten zugunsten des Umweltschutzes gemäß Art. 30 TRIPS. 231 2. Die materiellen Schutzstandards und ihre ökologische Relevanz Teil II des TRIPS (Art. 9-40) enthält die materiellen Schutzstandards. Er verweist vor allem auf Normen von WIPO-Abkommen, er~änzt oder modifiziert diese aber durch originäre TRIPS-Bestimmungen.2 2 Art. 9 TRIPS verweist auf die Art. 1-21 und den Anhang der Berner Übereinkunft (RBÜ 1971) zum Urheberrecht, mit Ausnahme der Urheberpersönlichkeitsrechte (Art. 6bis RBÜ). Art. 13 TRIPS erlaubt eng begrenzte Schutzausnahmen. 233 Art. 15-21 TRIPS schützen Marken, Art. 22-24 TRIPS dienen dem Schutz geographischer Angaben, Art. 25, 26 TRIPS behandeln gewerbliche Muster und Modelle.

229 Zur Bedeutung des Art. 7 TRIPS für die Auslegung, "Canada - Patent Protection", WT/DS114/R, para. 7.23. 230 Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 152. 231 Canada -Patent Protection, WT/DSll4/R, para. 7.26; das Panel schloß sich insbesondere nicht der Auffassung der EG von der Neutralität des TRIPS gegenüber gesellschaftlichen Werten an und betonte, diese könnten die Anwendung des TRIPS beeinflussen; Canada - Term, WT/DS170/AB/R, para. 101, zu Art. 7, 8 TRIPS: " ... still await appropriate interpretation.". 232 WIPO-Konventionen, von denen Normen ins TRIPS inkorporiert wurden, können die Auslegung des TRIPS als Kontext beeinflussen, Canada - Patent Protection, WT/DS114/R, paras. 7.14, 7.29. 233 US - Sect. ll0(5) Copyright Act, WT/DS160/R, paras. 6.92-6.97; die Ausnahmen entsprechen dem Art. 9 Abs. 2 RBÜ, s. WIPO, Industrial Property& Copyright 1996, S. 171.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

a) Patentschutz, biologische Vielfalt und Gentechnik

Die Art. 27-34 TRIPS regeln den Patentschutz. Dieser hat insbesondere für den mit der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) verfolgten Schutz der biologischen Vielfalt und für ihre gerechte und nachhaltige Nutzung große Bedeutung. WTO-Sekretariat und CBD-Sekretariat gehen davon aus, daß die Garantie von Rechten des intellektuellen Eigentums ("IPRs", /ntellectual Property Rights) auf dem Gebiet der Biotechnologie verschiedene Auswirkungen auf die Bewahrung der biologischen Vielfalt haben wird. 234 Erstens könnten Patente traditionelle Formen nachhaltiger Nutzung der biologischen Vielfalt, insbesondere Heil- und Agrarmethoden, vor sachwidriger Aneignung oder Verfalschung schützen und den Hütern traditionellen Wissens Lizenzgebühren für die Pflege und Weitergabe ihres Wissens sichern.235 Zweitens führten Patente zu einem ökonomischen Anreiz zur Offenlegung und Vermarktung der Kenntnisse und damit zu einer weltweit verbreiteteren nachhaltigen Nutzung, welche die biologische Vielfalt begünstigen könne.Z36 Drittens beeinflusse ein IPR-System die Aufteilung der Erträge von biologischen Ressourcen zwischen den Herkunftsländern und den Industriestaaten.Z37 Schließlich könnten IPRs aber den Technologietransfer erschweren.238 Gemäß Art. 27 Abs. 1 TRIPS müssen Patente grundsätzlich auf allen Gebieten der Technik erhältlich sein ("Diskriminierungsverbot zwischen Erfindungen"239), eine Patentverweigerung gegenüber besonders umweltzerstörenden Erfindungen wird untersagt. Art. 27 Abs. 2 erlaubt aber die Verweigerung der Patentierbarkeit von Erfindungen, wenn dies zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschließlich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung ernster Umweltschäden notwendig ist, die durch die gewerbsmäßige Ausbeutung der Patentrechte hervorgerufen werden könnten. Dies könnte die Patentierbarkeit von genetisch veränderten Lebewesen ausschließen, wenn deren massenhafte Nutzung zu einer schweren Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt führen könnte. 240 Zum Schutz der öffentlichen Ordnung könnte u. U. auch eine Verweigerung oder Begrenzung von PatentUNEP/CBD/COP3/Inf.9, 10; UNEP/CBD/COP/3/22, paras. 31-58. So z.B. der Vorschlag amerikanischer Staaten, traditionelles Wissen mittels des TRIPS zu schützen, WT/GC/W/362, paras. 8-1 0; manche Indigene lehnen die Privatisierung und Kommerzialisierung traditionellen Wissens aber grundsätzlich ab, UNEP/CBD/COP/3/22, paras. 31-38; Escobar, ila 234 (2000/4), S. 21-23. 236 UNEP/CBD/COP/3/22, paras. 39-51. 237 UNEP/CBD/COP/3/22, paras. 52-54. 238 UNEP/CBD/COP/3/22, paras. 55-58; vgl. die näheren Ausführungen zu Art. 16 CBD, D. I. 5. b) bb). 239 Canada- Patent Protection, WT/DS114/R, para. 7.98. 234 235

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rechten wegen schwerer sozialer Auswirkungen von Patentgebühren241 in Frage kommen, bei einem WTO-Streitverfahren hierüber dürfte die öffentliche Ordnung i. S. d. Art. 27 Abs. 2 TRIPS als Ausnahmenorm aber eng ausgelegt werden. Die Patentierbarkeit darf nicht allein deshalb verweigert werden, weil die Erfindung noch nicht für den Markt zugelassen worden ist.Z42

b) Schutz von "Erfindungen" bei Mikroorganismen und Pflanzenzüchtungen Art. 27 Abs. 3 lit. b) TRIPS stellt den Mitgliedern die innerstaatliche Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren anheim, verlangt aber einen Schutz von Entdeckungen243 an Mikroorganismen und mikrobiologischen Pflanzen-/Tierzüchtungen. Außerdem müssen die Mitglieder Pflanzensorten schützen. Letzteres kann statt durch Patente durch ein sui generis-System erfolgen. Dies könnte das traditionelle Recht von Bauern auf genehmigungs- und gebührenfreie Weiternutzung und Umzüchtung von gekauftem Saatgut im Vergleich zu Patentsystemen eher bewahren.Z44 Der freie Zugang von Bauern zu Saatgut hat insbesondere in Entwicklungsländern sowohl eine große soziale Bedeutung, als auch Auswirkungen auf die Vielfalt der verwandten Pflanzensorten und damit auf die biologische Vielfalt. 245 Die als Alternative zum Patentschutz einzuführenden nationalen sui gene240 Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 152; gemäß einem OECD-Bericht haben mehrere EG-Staaten und Japan unter Berufung auf Art. 27 Abs. 2 die Patentierbarkeit gentechnischer Erfindungen beschränkt, s. Qureshi, ICLQ 49 (2000) S. 852. 241 In den Entwicklungsländern zahlen momentan nur wenige Bauern Lizenzgebühren für Saatgut; deren Einführung und Durchsetzung, z. B. durch WTO-Streitverfahren wegen Verletzung des Art. 27 TRIPS, könnte zu sozialen Verwerfungen führen. 242 Bericht des WTO-Sekretariats an UNEP, UNEP/CBD/COP/3/Inf. 9, para. 88. 243 Art. 27 TRIPS spricht von "Erfindungen", was Neuheit der Tätigkeit voraussetzt, s. Canada- Term WT/DS170/R, para. 6.34; bei Patenten auf Lebewesen ist es aber wegen der Nutzung von unabhängig von menschlicher Erfindung bereits existierender Lebewesen adäquater, von "Entdeckungen" zu sprechen; vgl. Vorschlag der African Group zur Änderung des Art. 27 Abs. 3 lit. b) TRIPS, WT/GC/ W/302, para. 20; Iwasalro, YaleLJ 109 (2000), S. 1505 ff., schlägt in Anlehnung an die Evolutionsbiologie vor, Patente nur auf Lebewesen zuzulassen, die ohne menschlichen Eingriff voraussichtlich nicht entstanden bzw. überlebensfähig wären. 244 Während der Patentschutz umfassend ist und auch die Verwendung patentierter Züchtungstechniken verbietet, erlauben die Gesetze zum Schutz der Pflanzenvielfalt deren freie Nutzung, Footer, YIEL 10 (1999), S. 59 f.; Art. 4 Abs. 2 EGRL 98/44 erlaubt eine Patentierung von Pflanzen. 245 Ein Beispiel der Versuche vieler Unternehmen, in traditionellen Kulturen bereits lange bekannte Nutzungen von Pflanzen als ,,Erfindung" patentieren zu lassen, ist das Patent EP 0436257B1 des "Grace"-Konzems und der US-Regierung an einem Verfahren der Gewinnung von Pilzschutzöl aus dem Samen des Neem-Baums; dieses 1995 erteilte Patent wurde 2000 durch die Große Beschwerdekammer des

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

ris-Systeme für den Schutz von Pflanzensorten dürften sich ganz überwiegend an den UPOV-Konventionen (,.Union for the Proteerion of New Varieties of Plant") zum Schutz von Pflanzenzüchtungen orientieren. 246 Während die Konvention von 1978 noch weitgehende Rechte der Bauern enthielt, v. a. die genehmigungsfreie kommerzielle Weiterverwendung umgezüchteten Saatguts (,.Züchtervorbehalt") und den nicht-kommerziellem, die Verbreitung biologischer Vielfalt fördernden, Saatguttausch (,,Farmerprivileg"), sind diese unter UPOV 1991 eingeschränkt bzw. abgeschafft. 247 Daher läßt Art. 27 Abs. 3 TRIPS den WTO-Mitgliedern zwar die Möglichkeit, für Pflanzensorten statt Patentschutz ein sui generis-System einzuführen, aber auch dieses muß die Forschungsergebnisse ähnlich dem Patentschutz schützen. Ein alternatives Vorbild für sui generis-Systeme ist das International Undertaking on Plant Genetic Resources (lU) der FAO von 1983, dessen Novelle im November 2001 beschlossen wurde. 248 Während es ursprünglich Farmerprivileg und Züchtervorbehalt weitgehend anerkannte, sind diese seit der FAO-Resolution 3/91 eingeschränkt.249 Auch wenn von der TRIPS-Kompatibilität der an UPOV oder lU angelehnten sui generis-Systeme auszugehen ist, liegt die Letztentscheidung darüber bei den WTO-Paneln. Die genauen Auswirkungen des Art. 27 Abs. 3 lit. b) TRIPS auf die Bedingungen des Schutzes des geistigen Eigentums an Pflanzen- und Tierforschungen und auf die Nutzung dieser Forschungsergebnisse sind aber noch nicht abzusehen. 250 Die Überprüfung dieser Vorschrift im TRIPS-Rat dauert länger als geplant und gibt Anlaß zu vielfältigen Kontroversen. 251 Europäischen Patentamts mangels Neuheit aufgehoben, FAZ 11.5.2000, S. 49; FR 16.05.2000, s. 8. 246 Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 150, Seiler, ila 234 (2000/4), S. 18, meinen, die Vertragsparteien hätten dabei vor allem an die UPOV-Konvention von 1978 bzw. 1991 gedacht, a.A. Cottier, JIEL 1 (1998), S. 583 Fn. 67; die UPOV-Konvention ist zwar de jure nicht TRIPS-verbindlich, hat aber de facto starken Modellcharakter. 247 Art. 14 UPOV 1991 schränkt den Züchtervorbehalt ein, nach Art. 15 Abs. 2 können Staaten das Farmerprivileg ausnahmsweise erhalten; Footer, YIEL 10 (1999), S. 59 f.; Seiler, ila 234 (2000/4), S. 19 f.; im Rahmen der Überprüfung des Art. 27 Abs. 3 lit. b) TRIPS schlägt die African Group vor, die Fortdauer dieser Rechte zu sichern, WT/GC/W/302, para. 23 (ii); s. aber die Positionen der USA, IP/C/W/257, und der EG, IP/C/W/254. 248 Der Text findet sich unter http://www.fao.org/waicent/faoinfo/agricult/cgrfal IU.htm (20.12.2001); zu den Verhandlungen s. BRIDGES Weekly 5/25 (03.07.2001). 249 Footer, YIEL 10 (1999), S. 62-68; Art. 9 der IU-Neufassung stellt das Farmerprivileg in das nationale Ermessen. 250 Cottier, JIEL 1 (1998), S. 582 f.; Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 150. 251 So stellt z. B. die Mrican Group die Unterscheidung von Mikroorganismen gegenüber anderen Lebewesen und die damit verbundene Pflicht zu nationalem Pa-

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c) Ausnahmen, institutionelle TRIPS-Normen Gemäß Art. 30 TRIPS können begrenzte nationale Ausnahmen vom Patentschutz zugunsten berechtigter Interessen Dritter erfolgen, wenn die berechtigten Interessen der Rechteinhaber nicht unangemessen beeinträchtigt werden. 252 Art. 31 stellt besondere Anforderungen an die Z wangslizenzierung, wodurch Zwangslizenzen zum Schutz der biologischen Vielfalt aufgrundder CBD erschwert werden könnten. 253 Teil III des TRIPS (Art. 41-61) stellt institutionelle und prozedurale Anforderungen an die innerstaatliche Durchsetzbarkeit von Rechten des geistigen Eigentums,254 Teil IV (Art. 62) macht Vorgaben zu den innerstaatlichen Verfahren des Rechtserwerbs. Gemäß Art. 64 Abs. 1 TRIPS (Teil V) finden auf TRIPS-Streitigkeiten das DSU und die Art. XXII, XXIII GATT Anwendung, soweit das TRIPS nicht Spezialnormen enthält. Art. 63 TRIPS enthält die Pflicht, innerstaatliche !PR-relevante Normen zu veröffentlichen und dem TRIPS-Rat mitzuteilen. Solche Vorschriften sind z.B. Gesetze, die zur Umsetzung der Pflichten aus Art. 15 und 16 CBD über Zugang zu Bioressourcen und Bedingungen des Technologietransfers erlassen werden. 255

V. Die Präambel des WTO-Übereinkommens 1. Die rechtliche Wirkung der WTOA-Präambel

Die WTOA-Präambel ist gemäß allgemeinem Völkerrecht (Art. 31 Abs. 2 WVK) und gemäß WTO-Recht integraler Bestandteil des WTO-Übereinkommens. Sie begründet zwar keine speziellen Vertragspflichten, aber ihre Nennung der Ziele der Handelsbeziehungen der Mitglieder kann die Auslegung des WTO-Rechts gemäß Art. 31 WVK beeinflussen.256 tentschutz in Frage und verlangt ein Verbot von Patenten auf Lebewesen, WT/GC/ W/302, paras. 19-21. 252 Zur Auslegungssystematik des Art. 30 TRIPS "Canada - Patent Protection", WT/DS114/R, para. 7.26. 253 Tarasofsky, RECIEL 6 (1997), S. 152. 254 Zur Auslegung des Art. 50 Abs. 6 TRIPS s. EuGH "Parfums Dior", Rs. C-300/98, und "Assco Gerüste", C-392/98, EuZW 12(2001), S. 117 Rn. 43 f.; Rs. 53/ 96, "Hermes", Slg. 1998 1-3603 Rn. 32 f.; v. Bodgandy, NJW 52 (1999), S. 20882090. 255 WTO TE-Bulletin No. 31, http://www.wto.org/wto/environ/te3l.htm, S. 7. 256 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 153, 155; Brazil - Aircraft, WT/ DS46/RW, para. 6.47 Fn. 49; zur Bedeutung der Präambel im allgemeinen Völkerrecht schon IGH, "Nationals of the U.S. in Morocco", Rep. 1952, 176, 196. 11 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

2. Umweltschutz und "nachhaltige Entwicklung" in der WTOA-Präambel In Absatz 1 der WTOA-Präambel erkennen die Mitglieder an, daß ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen "auf die Erhöhung des Lebensstandards, auf die Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Umfangs des Realeinkommens und der wirksamen Nachfrage sowie auf die Ausweitung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen" ausgerichtet sein sollen, und "gleichzeitig aber die optimale Nutzung der Hilfsquellen der Welt im Einklang mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung gestatten sollen, in dem Bestreben, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt und gleichzeitig die Steigerung der dafür erforderlichen Mittel zu erreichen, und zwar in einer Weise, die mit den ihrem jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklungsstand entsprechenden Bedürfnissen und Anliegen vereinbar ist. "257 Dies stellt den Schutz und die Erhaltung "der Umwelt" als gleichrangiges Ziel (" ... in accordance with") neben eine prosperierende Wirtschaftsentwicklung und die Verbesserung der Lebensverhältnisse (letztere wäre besser als die anderen Ziele umfassendes Metaziel formuliert worden). Die nachhaltige Nutzung der Naturschätze soll also dem Schutz und der Erhaltung der Umwelt dienen. Die für Umweltschutz erforderlichen (finanziellen) Mittel sollen verbessert werden und von den Mitgliedern aufgrund ihrer unterschiedlichen "Entwicklungsstufe" in verschiedenem Maße aufgebracht werden. Hier findet sich die "gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung" des Prinzips 7 der Rio-Erklärung258 wieder. Die Sprache der WTOA-Präambel erinnert vor allem an das Prinzip 12 der Rio-Erklärung. 259 Dort wird das Ziel eines offenen internationalen Wirtschaftssystems postuliert, das zu "nachhaltiger Entwicklung" und Wirtschaftswachstum führen könne und helfe, die Probleme der Umweltzerstörung besser anzugehen. Die Berücksichtigung des Ziels eines offenen, handelsfreundlichen Wirtschaftssystems im Rahmen von UNCED 1992 und WSSD 2002 findet ihren Spiegel in der Festschreibung von Umweltschutz als Ziel des internationalen Handelssystems in der WTOA-Präambel. Der beide Erklärungen verbindende (Meta-)Begriff ist die "nachhaltige Entwicklung", ein unbestimmter (Rechts-)Begriff par excellence.260 Gemeinhin 257 Zitiert aus BGBI. 1994 II, S. 1625; erneut bekräftigt in Abs. 6 der WTO-Ministererklärung 2001. 258 ILM 31 (1992), S. 874 ff. 259 Kohona, WC 20/4 (1996/97), S. 92 f. 260 Zur Frage, ob das "concept of sustainable development" bereits Rechtscharakter aufweist, zurückhaltend IGH "Gabcikovo/Nagymaros", Rep. 1997, S. 78, bejahend sep. op. Weeramantry, Rep. 1997, S. 95; Dolzer, in: Graf Vitzthum, Rn. 36, bejaht eine auslegungsleitende Wirkung; Beyerlin, in: Wolfrum: S. 106-108, hält

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steht er für den Ansatz, daß die gegenwärtige wirtschaftliche und soziale Entwicklung die voraussichtlichen Bedürfnisse künftiger Generationen berücksichtigen soll. 261 Insbesondere sollen die Begrenzung der Verschmutzungskapazitäten der Biosphäre beachtet und erschöpfliehe Rohstoffe geschont bzw. erneuerbare nicht stärker genutzt werden, als sie sich regenerieren.Z62 Daß das Ziel des Umweltschutzes nicht nur in der nicht rechtsverbindlichen Rio-Erklärung, sondern auch in der WTOA-Präambel genannt wird, entspricht dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit von Ökologie, Ökonomie und Sozialem betont. 263 3. Das Heranziehen der WTOA-Präambel zur Auslegung von WTO-Recht durch den Appellate Body Der WTO-Appellate Body hat in "US - Shrimp" festgestellt, daß diese Anerkennung der Bedeutung des Umweltschutzes durch die Präambel die Auslegung aller WTO-Abkommen beeinflußt, z.B. des Art. XX GATT.Z64 Aufgrund der relativ starken Unbestimmtheit der Bedingungen des Einleitungssatzes des Art. XX GATT, die sich immer erst im Einzelfall konkretisieren,265 und wegen des weiten Wortlauts des Art. XX lit. g) GATT half das Heranziehen des Präambelziels Umweltschutz dem AB, multilateral gebilligte PPM für grundsätzlich zulässig zu erklären und sogar die Rechtmäßigkeit einseitiger Maßnahmen in Ausnahmefallen anzudeuten.266 "nachhaltige Entwicklung" (noch) für einen nur politischen Begriff, der aber ein völkerrechtliches Prinzip werden könne; ähnlich: Lowe, in: Byers, S. 216; Epineyl Scheyli, S. 76-86; Sands, MPUNYB 3 (1999), S. 403; Malanczuk, in: Ginther u.a., Sustainable, S. 25 ff.; zu den 19 von der VN-Expertengruppe ausgemachten Prinzipien s. BYIL LXIX (1998), S. 126 f.; zu Beispielen wahrhaft nachhaltigen Handels s. Roberts!Robins. 261 WCED; Prinzipien 3, 4 Rio-Erklärung. 262 Das Prinzip der "nachhaltigen Entwicklung" hat auch der IGH angesprochen, allerdings ohne sich zu seinem Rechtsstatus zu äußern; IGH "Gabdkovo-Nagymaros", Rep. 1997, S. 7, para. 140; ausführlicher diss. Op. Weeramantry, Rep. 1997, S. 90 ff.; dazu Kiss, in: Heere, S. 75 f.; Sands, MPUNYB 3 (1999), S. 394 f.; Stec/ Eckstein, YIEL 8 (1997), S. 47. 263 WCED, S. 43; Handl, in: Lang, S. 35; Stall, in: Wolfrum, S. 92; zur methodo1ogischen Kritik an dieser "Dreifaltigkeit" Maier-Riga!Ul, S. 309-339. 264 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 153: " ... this preambular language... must add colour, texture and shading to our intetpretation", ebenso para. 155; zur Bedeutung der WTOA-Präambel für die Auslegung auch Brazil - Aircraft, WT/ DS46/RW, para. 6.47 Fn. 49, wonach das Präambelziel der Verbesserungen für Entwicklungsländer die Auslegung des SCM-Abkomrnens beeinflußt. 265 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 120. 266 s. u. C. IV. 3.; Abbo!Ul, EELR 9 (2000/6), S. 150 f., meint, die Präambel sei einseitig interpretiert worden; zutreffend stellt Godzierz, S. 52, fest, daß das Nach11*

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Neben der Präambel stützte der AB diese umweltfreundliche Auslegung des Art. XX lit. g) GATI auf die sekundärrechtliche Anerkennung des Umweltschutzes durch die GATI-Parteien in der Minister-Entscheidung von Marrakesch. 267 Somit ist die Betonung des Umweltschutzes als Ziel der Handelspolitik in der Präambel ein wichtiges Argument für die umweltfreundliche Auslegung des WTO-Rechts, die Präambel ist ohne weitere Bestätigungen des Umweltschutzes durch WTO-Sekundärrecht aber nicht in der Lage, umweltfreundliche Auslegungen umfassend abzusichern. VI. Weitere Umweltnormen des WTO-Rechts Im Abkommen über die Landwirtschaft sind Zahlungen aus Umweltschutzprogrammen von der Pflicht der Mitglieder, ihre Agrarsubventionen zu senken, ausgenommen (Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Nr. 12 Anhang 2 Landwirtschaftsabkommen, LA).Z68 Bei den Verhandlungen über die Senkung von Agrarsubventionen ist unter anderem die Verfolgung "nicht handelsbezogener Anliegen" (Art. 20 lit. c) LA) wie Naturschutz und ausreichende Nahrungsmittel versorgung strittig. Gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. c) des Abkommens über Subventionen und Gegenmaßnahmen (SCM) sind 20%-ige Subventionen zur Anpassung bestehender Anlagen an neue Umweltauflagen erlaubt. 269 Diese Regelungen waren zwar noch nicht Gegenstand von Streitentscheidungen, haben aber durchaus umweltpolitische Relevanz. 270

C. Berichte von GATT-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz In sechs GATI-Panel-Berichten sind direkte Ausführungen zum Verhältnis von Umwelt-/Gesundheitsschutz und Handel gemacht worden, in anderen wurden für dieses Verhältnis wichtige allgemeine GATI-Prinzipien angewandt. Die Berichte "US - Tuna 1982", "Canada - Herring and Salhaltigkeitsprinzip umweltrelevante WTO-Streitfalle beeinflussen kann; widersprüchlichweise verneint dies., S. 46, einerseits seine Rechtsverbindlichkeit, andererseits sieht sie es aber als "einschlägigen Völkerrechtssatz" i. S. d. gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK an. 267 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 154. 268 Senti, Rn. 681: " ... weitgehend eine carte blanche". 269 Gemäß Art. 31 SCM sollte Art. 8 SCM eigentlich nur bis Ende 1999 gelten, er ist aber weiterhin in Kraft. 270 Torres, JWT 33/5 (1999), S. 155; Trüeb, S. 35 f.

C. Berichte von GAIT-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

165

mon", "US - Taxes on Petroleum I Superfund Act", "Thailand - Cigarettes", "US - Taxes on Automobiles" werden wegen ihrer fehlenden unmittelbaren Relevanz für den aktuellen Stand der Rechtsprechung271 hier nicht gesondert wiedergegeben, auf sie wird z. T. im inhaltlichen Zusammenhang Bezug genommen?72 Seit dem 1.1.1995 sind in weiteren sechs Streitfällen mit Bezug zum Umwelt- und Gesundheitsschutz Berichte der Panel und des AB ergangen. Diese werden nach Besprechung der immer noch virulenten GATT-Berichte "US - Tuna I, li" analysiert. Außerdem wird auf den Streitfall "Chile - Swordfish" eingegangen, der zwar nach Einsetzung eines WTO-Panel politisch beigelegt wurde, der aber die materiellen und prozeduralen Konflikte und Konkurrenzen von Handel und Umwelt verdeutlicht und für die Analyse von Lösungen wegweisend ist. I. US- Tuna I

1. Der Sachverhalt Mexiko rügte eine Verletzung seiner Rechte aus Art. III, XI GATT durch ein US-Importverbot gegen von mexikanischen Schiffen im Ostpazifik gefangenen Thunfisch, in deren Fangnetzen Delfine verendeten. Der "US Marine Mammal Protection Act" von 1972 verbietet die Einfuhr von im Ostpazifik gefangenen Thunfisch(-produkten) aus Ländern, die keinen dem Delfinschutz der USA vergleichbaren Schutz für Delfine beim Fang von Thunfisch vorschreiben. Das Embargo richtet sich sowohl gegen Direktimporte, als auch gegen Produkte dritter Staaten, die mexikanischen Thunfisch beinhalten. 2. Der Bericht des Panel "US - Tuna I" Das Panel ordnete das Importverbot als mengenmäßige Einfuhrbeschränkung (Art. XI GATT) ein273 und verneinte die Anwendbarkeit des Art. III 271 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 93: "With the creation of the WTO ... this jurisprudence, ... was to evolve significantly."; Petersmann, Disputes, S. 128: "In the seven dispute Settlement proceedings under GAIT 1947 over TREMS, no conflicts between international trade and international environmental rules appears to have arisen.". 272 Diese Berichte besprechen z.B. Petersmann, Disputes, S. 121-128; Zarrilli, WC 20/3 (1996/97), S. 105 ff.; Beyerlin, Rn. 627-629; Trüeb, S. 515-527; WTOStudie vom 8.1 0.99, http://www .wto.org/english/tratop_e/envir_e/environment.pdf, s. 81-84. 273 US - Tuna I, GAIT/DS21/R, ILM 30 (1991), S. 1598 ff., para. 5.18 (nicht angenommen).

166

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Abs. 4 GATI. Der Begriff der gleichartigen Ware ("like product") des

Art. lli Abs. 4 GATI beziehe sich nur auf physische Eigenschaften des Produktes, nicht auf die Art, wie es zustande gekommen sei. Daß Art. III

GATI als Verbotsnorm auch PPM verbieten kann, die nicht die physischen Eigenschaften der Waren beeinflussen, übersah das Panel.274 Hilfsweise stellte es aber fest, die Differenzierung nach der Fangmethode sei eine unzulässige Benachteiligung gleichartiger Produkte. 275 Von grundlegender Bedeutung war die Auffassung des Panel, Art. XX lit. b), g) GATI rechtfertige keine Maßnahmen, die an innerhalb des Territoriums einer anderen GATI-Partei erfolgende Tatsachen anknüpfen. Dem Wortlaut des Art. XX GATI lasse sich eine solche territoriale Begrenzung zwar nicht entnehmen, Art. XX GATI sei aber als Ausnahmebestimmung im Zweifelsfall eng auszulegen. 276 Nach der Entstehungsgeschichte sei vor allem an den Schutz inländischer Rechtsgüter gedacht worden. Aus Sinn und Zweck des GATI als multilateraler Handelsordnung folge, daß nicht einzelne Staaten einseitig Vorgaben zur Art und Weise der Produktion in den Herstellungsstaaten machen dürften, da ansonsten die Rechtssicherheit und Handelsfreiheit beseitigt würden. Art. XX Iit. b), g) erlaube daher keine außerhalb der Rechtsetzungshoheit wirkenden Vorgaben zum Schutz von Leben, Gesundheit oder Naturschätzen. Dieses absolute Verbot extraterritorialer Vorgaben widerspricht dem Text einiger Ausnahmen des Art. XX GATI und dem Sinn dieser Norm. Es ist schon in "US - Tuna ll" angezweifelt worden und ist seit "US - Shrimp" überholt. Die freiwillige Kennzeichnung "delfinsicher" auf Thunfischverpackungen verstieß nicht gegen Art. I Abs. 1 GATI, da sie mexikanischen Thunfisch nicht diskriminiert und seinen Marktzugang nicht behindert. 3. Die Bedeutung des Berichts Der Panel-Bericht wurde wegen einer gütlichen Einigung zwar nicht angenommen, erlangte wegen seiner restriktiven Auslegung des Art. XX lit. b), g) GATI aber besondere Aufmerksamkeit. Insbesondere folgerte das Panel aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des Art. XX lit. b), g) GATI, daß dieser keine einseitigen, außerhalb des nationalen Territoriums wirkenden Vorgaben zur Art und Weise der Produktion/Gewinnung ("pro274 McGovem, § 8.21; Howse!Regan, EJIL 11 (2000), S. 256 f.; richtig dagegen "ltalian Discrimination" BISD 7/1959, S. 64, para. 12 (angenommen); US - Sect. 337 of the TariffAct of 1930, BISD 1990/36, S. 385 (angenommen); US - Taxes on Automobiles (CAFE), ILM 33 (1994), S. 1453 (nicht angenommen). 275 US- Tuna I, GATT/DS21/R, para. 5.15. 276 US- Tuna I, GATT/DS21/R, para. 5.22.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

167

cess or production method", PPM) zulasse. Auch wenn diese Auffassung mittlerweile überholt ist, ist der Bericht als Paradebeispiel der "klassischen" handelszentrierten Auffassung und wegen seiner Betonung der Vorzugswürdigkeit multilateraler Umweltabkommen und der Behandlung freiwilliger Kennzeichnungen noch heute interessant.

1/. US - Tuna li

1. Der Sachverhalt Der Bericht "US - Tuna li" erging auf eine Beschwerde der EG, deren Industrie den von mexikanischen Schiffen gefangenen und in der EG verarbeiteten Thunfisch wegen des umfassenden US-Importverbot nicht in die USA exportieren konnte. Das Importverbot wirkt auch gegen Thunfischprodukte, wenn der Zwischenshandelsstaat nicht beweisen kann, daß er innerhalb der vergangeneo sechs Monate keinen Thunfisch aus einem mit US-Importverbot belegten Land importiert hat. 277 2. Der Bericht des Panel "US - Tuna li" Der Bericht bejahte zunächst wie das Panel "US - Tuna I" eine Verletzung des Art. XI GATT durch das auf die Fangmethode abstellende Importverbot und lehnte die Anwendbarkeit des Art. III Abs. 4 GATT ab. Anders als "US - Tuna I" hielt das Panel eine Rechtfertigung von an extraterritoriale Vorgänge anknüpfenden Handelsbeschränkungen durch Art. XX GATT jedoch nicht für grundsätzlich unmöglich.278 Das Panel war aber der Meinung, daß Maßnahmen, die ergriffen werden, um andere Länder zu einer Änderung ihrer Politik zu zwingen, und die nur bei einem solchen Politikwechsel wirksam sind, nicht "hauptsächlich abzielen" auf die Bewahrung erschöpflieber Naturschätze i. S. d. Art. XX lit. g) GATT und daß sie auch nicht Beschränkungen einheimischer Produktion/ Verbrauchs "effektivieren".279 Diese Auslegung des lit. g) ist deutlich restriktiver gegenüber Umweltschutz als die späteren Auslegungen des Appellate Body in "US - Reformulated Gasoline" und "US - Shrimp". Insbesondere die Verknüpfung des Erfordernisses "hauptsächlich abzielen" mit der Effektivierung einheimischer Beschränkungen280 wird von der WTO-Recht16 U.S.C. 1671(a)(2)(C). US- Tuna II, GATI/DS29/R, ILM 33 (1994), S. 839 ff., paras. 5.16 f., 5.20 (nicht angenommen). 279 US- Tuna II, GATT/DS29/R, paras. 5.26 f. 277

278

168

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

sprechung nicht mehr vorgenommen. Auch die Auffassung des Panel, Ausnahmenormen wie Art. XX GATT seien eng auszulegen, ist aufgrund der gemäß Art. 31 WVK wortlautorientierten Auslegung des AB 281 überholt. Das Panel stellte aber ausdrücklich fest, daß das Verbot der Beeinflussung ausländischer Politik gerade nicht aus dem Wortlaut abzuleiten ist. 282 Die Rechtswidrigkeit der Beeinflussung ausländischer Politik begründete das Panel vor allem mit den Zielen und Prinzipien des GATI als multilateraler Ordnung und mit der bisherigen Panel-Praxis?83 Ein solch pauschaler, auf ganz übergeordnete Ziele, nicht aber auf den konkreten Text des GATT gestützter Ansatz ist jedoch vom AB in "US - Shrimp" zurückgewiesen worden. 284 Zur Bedeutung anderer völkerrechtlicher Abkommen für die Auslegung des GATI stellte das Panel zwar fest, daß diese gemäß Art. 31 WVK im Prinzip eine Rolle spielen können. Vorliegend seien aber weder Art. 31 Abs. 3 lit. a), noch lit. b) WVK einschlägig. Weder seien die von den Parteien genannten MEAs von allen GATI-Parteien angenommen worden, noch seien sie eine Vereinbarung zur Auslegung des GATT. Zwar überzeugt die Verneinung, MEAs seien Auslegungsvereinbarungen oder spätere Praxis i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. a), b) WVK. Das Panel setzte sich aber nicht mit einer möglichen Bedeutung der MEAs als zwischen den Streitparteien einschlägige Rechtssätze i. S. d. Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK auseinander.285 Somit ließ es dieses Potential für eine Auslegung des GATT unter Beachtung der Bedeutung von GATT-fremden Umweltabkommen ungenutzt. 3. Die Bedeutung des Berichts Der Bericht erklärte das Thonfisch-Importverbot gegenüber Drittstaaten zwar zu einem Verstoß gegen Art. XI GATT, der durch Art. XX GATT nicht gerechtfertigt sei. Das Panel schloß aber die Rechtmäßigkeit von Handelsbeschränkungen, die sich auf PPM außerhalb der Rechtsetzungshoheit beziehen, nicht grundsätzlich aus. 286 Jedoch befand das Panel, daß außerhalb des GATI geschlossene völkerrechtliche Abkommen nicht unter Art. 31 Abs. 3 lit. a), b) WVK fallen. US- Tuna II, GATT/DS29/R, paras. 5.22- 5.27. EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 104. 282 US- Tuna II, GATT/DS29/R, para. 5.25. 283 US- Tuna II, GATT/DS29/R, para. 5.26. 284 US - Shrimp, WT/DS58/ AB/R, para. 118. 285 US - Tuna li, GATT/DS29/R, para. 5.19; zu Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK s. 3. Kap. D. III. 286 US- Tuna II, GATT/DS29/R, para. 5.16. 280 281

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

169

1//. US - Refonnulated Gasoline

1. Der Sachverhalt Venezuela und Brasilien klagten gegen eine die Anwendung von Vorschriften des Clean Air Act 1990 (CAA) regelnde US-Verordnung. Gemäß des CAA mußte der Stickoxyd-Anteil in schadstoffarmem Benzin im Vergleich zu 1990 um 15% abnehmen, der Stickoxyd-Anteil in konventionellem Benzin durfte nicht steigen. Die Verordnung ennöglichte US-Herstellem/-Veredlem, zwischen drei Nachweisverfahren ihres Schadstoffanteils zu wählen. Hierdurch konnten sie ihre individuellen Werte zur Grundlage der Berechnung machen. Die ausländische Konkurrenz mußte das komplizierteste Nachweisverfahren befolgen, so daß ihr der rückwirkende Nachweis der eigenen Werte meist unmöglich war. Daher wurde sie gezwungen, gesetzlich fixierte Werte einzuhalten, die auf den Durchschnittswerten allen einheimischen und importierten Benzins von 1990 beruhten. Diese Standardwerte stellten schärfere Umweltschutz-Anforderungen als die meisten individuellen Werte. Die Kläger rügten eine Verletzung der Art. I, III Abs. 4 GATT, Art. 2 TBT. Die USA bestritten die Einschlägigkeil des TBT und beriefen sich auf eine Rechtfertigung der GATT-Verletzung durch Art. XX lit. b), d), g) GATT. Die gesetzliche Festlegung einheitlicher Werte für Importbenzin sei aufgrund der Unsicherheit und Aufwendigkeit der Ermittlung der Einhaltung individueller Werte durch ausländische Hersteller erforderlich für den Gesundheitsschutz, die Einhaltung nationalen Rechts und die Bewahrung von Naturschätzen. 2. Der Bericht des Panel "US - Reformulated Gasoline" Der Bericht des Panel stellte eine Verletzung des Art. III Abs. 4 GATT durch die verschiedenen Berechnungsmethoden fest. 287 Eine Rechtfertigung nach Art. XX b), d), g) GATT sei nicht möglich. Bezüglich lit. b) hätten die USA die Erforderlichkeit der Diskriminierung zur Erreichung effektiven Gesundheitsschutzes nicht nachgewiesen; stattdessen sei eine Berechnung möglich gewesen, die Art. III Abs. 4 GATT nicht oder weniger stark eingeschränkt hätte?88 Das Panel maß nicht die ganze handelsbeschränkende Maßnahme an Art. XX lit. b) GATT, sondern nur ihren gegen Art. III verstoßenden diskriminierenden Teil. Dies wurde vom AB korrigiert. Bezüglich lit. d) des Art. XX GATT sei die Diskriminierung der Importeure nicht 287 288

US- Reformulated Gasoline, WT/DS2/R, para. 6.16. US- Reformulated Gasoline, WT/DS2/R, paras. 6.25, 6.28.

170

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

nötig, um die Einhaltung der individuellen Werte der US-Hersteller zu sichern. Die Diskriminierung sei auch gar keine Vollzugsmaßnahme i. S. d. Art. XX lit. d) GATI, da sie gegen das GATI verstoße.289 Vergleichbar mit seinem Vorgehen bei lit. b) verneinte das Panel auch eine Rechtfertigung durch lit. g), weil die Diskriminierung (nicht die ganze Maßnahme) nicht primär auf die Erhaltung der Naturschätze gerichtet sei. 290 Eine Prüfung des TBT lehnte das Panel als unnötig ab wegen der festgestellten Verletzung des GATI.291 3. Der Bericht des Appellate Body in "US - Reformulated Gasoline" Der Appellate Body bestätigte zwar, daß die unterschiedliche Berechnungsgrundlage nicht durch Art. XX GATI zu rechtfertigen sei, sie scheitere aber nicht schon an den Kriterien des lit. g), sondern erst am EiDleitungssatz des Art. XX GATI. Das Panel habe unter Mißachtung der Bedeutung des Einleitungssatzes nicht die ganze handelsbeschränkende Maßnahme, sondern nur ihren gegen Art. III GATI verstoßenden diskriminierenden Teil an lit. g) geprüft. 292 Diese Rüge des AB folgt den Interpretationsvorgaben des Art. 31 WVK und senkt im Vergleich zu den früheren GATI-Panelberichten die Anforderungen des Art. XX GATI an eine Rechtfertigung von Verletzungen anderer GATI-Normen durch ökologisch ausgerichtete Handelsbegrenzungen. Der AB stellte außerdem fest, daß Art. XX lit. g) anders als lit. b) die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht voraussetze, 293 und daß die Festlegung des nationalen Schutzniveaus unter lit. b) keiner Erforderlichkeitsoder Angemessenheitsprüfung unterliege.294 Gleichzeitig enthält der Bericht die bis dato gründlichste Auseinandersetzung mit dem Einleitungssatz des Art. XX GATI. Der AB betonte dessen Bedeutung für die Überprüfung der konkreten Anwendung von Handelsmaßnahmen.295 Dementsprechend verwarf der AB die Argumentation der USA, die Diskriminierung durch allgemeine Grenzwerte sei gerechtfertigt, da die Erfüllung individueller Grenzwerte nicht mit zurnutbarem Aufwand zu kontrollieren sei. Der AB stellte fest, daß die USA wie in Anti-Dumping-Fällen die Zusammenarbeit mit US- Refonnulated Gasoline, WT/DS2/R, para. 6.33. US- Refonnulated Gasoline, WT/DS2/R, para. 6.40. 291 US- Refonnulated Gasoline, WT/DS2/R, S. 46; s. Zedalis, NILR 44 (1997), S. 186 ff. 292 US- Refonnulated Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 16. 293 US- Refonnulated Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17 f. 294 US- Refonnulated Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 33. 295 s.o. B. I. 4. d). 289

290

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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den Exportstaaten hätten suchen müssen. Dadurch wäre eine Diskriminierung deutlich zu verringern gewesen. Die Ablehnung individueller Grenzwerte für ausländischen Hersteller und die Mißachtung ihrer Kosten durch die strengeren allgemeinen Grenzwerte verstießen gegen den Einleitungssatz des Art. XX GATI. 296 Eine Verletzung des TBT prüfte der AB ebensowenig wie das Panel.297 Grundlegende Bedeutung für die Öffnung des Welthandelsrechts gegenüber anderen Vertragsordnungen hat die Feststellung des AB, das GATI dürfe gemäß Art. 3 Abs. 2 DSU nicht in "klinischer Isolation" vom allgemeinen Völkerrecht gelesen werden. 298 Dementsprechend folge die Interpretation des GATI den herkömmlichen Auslegungsregeln des Völkerrechts. Diese seien mit der größten Autorität in Art. 31, 32 WVK niedergelegt.299 Da Art. 3 Abs. 2 DSU auf das gesamte WTO-Recht Anwendung findet, sind die Art. 31, 32 WVK über GATI-Fälle hinaus für die Auslegung des gesamten WTO-Rechts der Maßstab. Dies bedeutet, daß WTORecht gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. c) WVK unter Beachtung WTO-fremder Verträge, die zwischen WTO-Mitgliedern gelten, auszulegen ist. Dies erleichtert die Koordination des Welthandelsrechts mit anderen Vertragsordnungen beträchtlich. 300 4. Die Bedeutung des Berichts "US- Reformulated Gasoline" war der erste Bericht des WTO-Appellate Body. Er ist grundlegend für die Auslegung des Einleitungssatzes und des lit. g) des Art. XX GATI. Der AB hat einerseits den Umfang der durch Art. XX GATI zu rechtfertigenden Umweltmaßnahmen im Vergleich zu früheren GATI-Berichten ausgeweitet, andererseits aber betont, daß eine Benachteiligung von Importeuren gegenüber Inländern besonderer Gründe bedarf und nicht allein durch allgemeine Verwaltungsprobleme gerechtfertigt ist. 301 Insbesondere hat der AB schon in "US - Gasoline" die BedeuUS- Reforrnulated Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 25-28. WT/DS2/AB/R, S. 12; die USA beantragten eine TBT-Prüfung nicht, Brasilien und Venezuela nur, falls der AB eine Rechtfertigung nach Art. XX lit. g) GATI bejaht hätte. 298 US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17: " .. . the General Agreement is not to be read in clinical isolation from public international law.". 299 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17; zur Abstützung dieser Feststellung zitierte der AB Urteile des IGH, des EGMR und des IAGHM, sowie Literatur. 300 Dazu ausführlich 3. Kap. D. III. 2. 301 Appleton, RECIEL 6 (1997), S. 131; Cameron/Campbell, in: dies., S. 211: "This decision can be seen as simultaneously broadening and narrowing the application of Article XX.". 296 297

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

tung der Zusammenarbeit von Importstaaten mit Exportstaaten bei der Einfuhrregulierung hervorgehoben und damit die Basis für seine weiterführenden Ausführungen in "US - Shrimp" gelegt. Über das Verhältnis von Handel und Umweltschutz hinaus ist der Bericht für die Auslegungsmethodik des WTO-Rechts grundlegend. Die umfassende Anerkennung der Relevanz der Art. 31, 32 WVK öffnet die Interpretation des WTO-Rechts für Vorgaben WTO-fremder Völkerrechtssätze und überwindet damit die Verengung auf rein wirtschaftliche Ziele i. e. S?02 N. US - Shrimp

1. Der Sachverhalt Streitgegenstand war ein von den USA erlassenes Einfuhrverbot für Garnelen ("Shrimp"), die von Schiffen solcher Staaten gefangen wurden, in denen kein verbindliches Programm bestand für die Ausstattung der Fangnetze mit speziellen Vorrichtungen, die das tödliche Verfangen von Meeresschildkröten in den Netzen verhindern. Als festgestellt wurde, daß die Shrimpfischerei mit solchen Netzen der Hauptgrund für die starke Dezimierung der wichtigsten Arten von Meeresschildkröten ist, wurde 1987 die Verwendung von Vorrichtungen, die das Verfangen von Schildkröten in den Netzen verhindem (sog. "turtle excluder devices", TEDs), für US-Schiffe vorgeschrieben. 1989 wurde Art. 609 des US-Artenschutzgesetzes erlassen, der Shrimp-Importe aus außerhalb der USA gelegenen Regionen nur erlaubt, wenn nachweisbar Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, die den TEDs in ihrer Schutzwirkung vergleichbar sind. Diese Anforderungen wurden in der Verwaltungspraxis zunächst auf amerikanische Staaten beschränkt. Durch eine Klage vor dem US-Handelsgericht erreichten US-Umweltgruppen die Anwendung der Anforderungen des Art. 609 US-Artenschutzgesetzes auf alle Staaten, ohne daß eine Übergangsfrist eingeräumt werden durfte, die der ursprünglich für amerikanische Staaten geltenden Frist entsprochen hätte. Daraufbin rügten Indien, Malaysia, Pakistan und Thailand die Verletzung des Art. XI GATT durch die Einfuhrbeschränkungen. Die USA anerkannten die Verletzung des Art. XI GATT, sahen diese aber als durch Art. XX lit. g) gerechtfertigt an. 2. Der Bericht des Panel "US - Shrimp" Wichtige Passagen des Panel-Berichts wurden vom Appellate Body als rechtsfehlerhaft aufgehoben. Das Panel prüfte das Vorliegen der Vorausset302

Ausführlich 3. Kap. D. II., III.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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zungen des "Chapeau" des Art. XX GATT vor der Prüfung der speziellen Ausnahmen (lit. a) - j) dieses Artikels, es löste den Chapeau also vom kontextualen Einfluß der besonderen Vorgaben. 303 Dies brach mit der bisherigen Panel-Praxis und wurde vom AB als unlogisch verworfen. Demgemäß gilt für Art. XX GATT weiterhin, daß zunächst die speziellen Ausnahmen zu prüfen sind und bei deren Erfüllung die Anforderungen des Einleitungssatzes.304 Außerdem bezog sich der Panel-Bericht nicht auf die konkrete Art der Anwendung des Art. 609 US-Artenschutzgesetz, sondern verneinte pauschal die Rechtmäßigkeit jeglicher einseitiger Handelsmaßnahmen, die Vorgaben zum Herstellungsprozeß im Herkunftsland machen. Diese liefen der Sicherheit und Vorhersehbarkeit des GATT zuwider und unterliefen so die Multilateralität des Welthandelssystems.305 Dies hat der AB aufgehoben, da ein solch pauschales Verbot einseitiger extraterritorialer Maßnahmen mit dem Text des Art. XX GATT und der Auslegungsregel des Art. 31 WVK unvereinbar sei. 306 Schließlich erkannte der Panel-Bericht die Bedeutung von Umweltschutz zwar grundsätzlich an, ging aber davon aus, daß der Hauptzweck der WTO die Unterstützung wirtschaftlicher Entwicklung durch Handel sei. Der AB dagegen verwies auf den Text der WTOA-Präambel, der umweltverträgliche Entwicklung zum gleichberechtigten Ziel erhebt und so den Umweltschutz im Vergleich zur GATT-Präambel stärkt.307

3. Der Bericht des Appellate Body in "US -Shrimp" Der Appellate Body bewirkte in "US - Shrimp" nicht nur eine weitere Klärung der Auslegung des Art. XX GATT, sondern er erweiterte auch das Ausmaß des vom GATT erlaubten Umweltschutzes durch Anerkennung bestimmter PPM-Vorgaben. Zwar war die konkrete Anwendung des Art. 609 US-Artenschutzgesetzes gegenüber den Klägern diskriminierend und daher rechtswidrig, der AB hat aber eine diskriminierungsfreie Anwendung von PPM zum Schutz von Seeschildkröten als rechtmäßig anerkannt und damit das bis dato fest versperrte Tor der Rechtmäßigkeit von PPM unter bestimmten Bedingungen geöffnet (a). Gleichzeitig hat der AB die Rechtmäßigkeit einer einseitigen Festlegung von PPM bei fehlender Zu303

304

p. 22. 3°5 306 307

US- Shrimp, WT/DS58/R, para. 7.28, in: WT/DS58/AB/R, para. 117. US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 118; US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, US- Shrimp, WT/DS58/R, paras. 7.44 f., in: WT/DS58/AB/R, para. 112. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 114-116. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 152 f.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

mutbarkeit kooperativer Zusammenarbeit angedeutet (b). Explizit offengelassen wurde dagegen, ob WTO-/GATT-Recht der Zulässigkeit extraterritorial wirkender Recht(sdurch)setzung eine Grenze setzt und wo diese verliefe (c). Der AB hat zum Verbot ungerechtfertigter und willkürlicher Diskriminierung durch den Einleitungssatz des Art. XX GATT Fallgruppen gebildet (d). Das Heranziehen der Rio-Erklärung und von Prinzipien des Umweltvölkerrechts wirft Fragen auf nach einer Erweiterung des klassischen Prüfungsmaßstabs des WTO-Rechts um distributive Gerechtigkeitskriterien (e). a) Die Rechtmäßigkeit von PPM im GATT

Der Bericht des AB erwähnt nicht ausdrücklich, daß das Erfordernis TED-gleichen Schutzes von Meeresschildkröten beim Shrimp-Fang eine Vorgabe an den Gewinnungs-/Herstellungsprozeß ist, die das GATT nach bisher in Panein und Literatur herrschender Auffassung verbietet. Vielmehr stellt der AB bei Zurückweisung der Interpretation des Art. XX seitens des Panel, die von der grundsätzlichen Unzulässigkeit einseitiger Marktzugangsbedingungen ausgegangen war,308 fest, daß eine solche Auslegung zu allgemein sei. Stattdessen sei das (einseitige) Aufstellen von Marktzugangsbedingungen von der einen oder anderen Ausnahme des Art. XX GATT im Prinzip gedeckt?09 Diese Bedingungen bezeichnet der AB zwar nicht als PPM, aber als bewahrende Umweltschutzmaßnahmen ("conservation policies"), welche in der Praxis vor allem PPM sind. Dies stellt eine Abkehr von der bisher als richtig angesehenen Interpretation des Art. XX GATT dar, daß er Ungleichbehandlungen aufgrund unterschiedlicher Produktionsmethoden nicht rechtfertigen könne? 10 Diese Neuausrichtung dürfte, wenn sie bestätigt werden sollte, über den Umweltschutz hinaus Bedeutung für Arbeitsbedingungen während der Produktion erlangen.311 b) Kooperative vs. unilaterale Festlegung von PPM

Zweite wesentliche Feststellung des AB-Berichts ist, daß umweltschützende312 extraterritorial wirkende PPM grundsätzlich auf multilateralen 3os US- Shrimp, WT/DS58/R, paras. 7.44 f. 309

US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 121.

Mavroidis, JWT 34/1 (2000), S. 74: "Thus, implicitly, the AB put an end to a long-standing erroneous interpretation of Art. XX .. ."; Biermann, AVR 38 (2000), 310

S. 473: " ... implizit ... eingestanden, ...". 311 So J.H. Jackson auf der Konferenz "The WTO after Seattle" am 10.12.1999 in Wien.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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Regeln beruhen müssen und nicht einseitig vom Importstaat festgesetzt werden dürfen. 313 Es ist zu untersuchen, ob der AB genauere Anforderungen an die Multilateralität der Regelung stellt (aa), und unter welchen Bedingungen ausnahmsweise sogar einseitige PPM rechtmäßig sein können (bb). aa) Kooperative Festlegung von PPM Ein Bedürfnis für extraterritorial umweltschützende PPM darf grds. nicht einseitig vom Importstaat festgestellt werden, sondern muß auf einer Vereinbarung mit den Exportstaaten beruhen. Dies begründet der AB vor allem mit Prinzip 12 der Rio-Erklärung und mit § 2.22 lit. i) der Agenda 21, auf die sich die WTO-Minister-Erklärung zur Einsetzung des Ausschusses für Handel und Umwelt (CTE) bezog, und mit dem Bericht des CTE an die Ministerkonferenz 1996.314 Der AB bezieht sich auch auf die Anerkennung des Vorrangs multilateraler vor unilateralen Schutzmaßnahmen in solchen MEAs, auf welche WTO-Recht und WTO-Organe bisher keinen Bezug nahmen, z. B. die CBD und die Interamerikanische Konvention zum Schildkrötenschutz (IAKS). Die Aushandlung der IAKS beweise, daß den USA Verhandlungen mit den Klägern vor der Verhängung der Importbeschränkungen zurnutbar gewesen wären. Nähere Anforderungen an die Verhandlungen machte der AB in "US Shrimp" ebensowenig, wie in "US - Gasoline". 315 Es ließe sich daran denken, daß eine große Zahl der WTO-Mitglieder das Umweltschutzziel und die Handelsbeschränkungen durch multilaterale Akte anerkennen müßte ("Quasi-Universalität"), ähnlich der Anerkennung von Gewohnheitsrecht.316 Diese Forderung entnimmt der AB dem Art. XX GATT aber nicht. Daher reicht es, wenn die Umweltschutzmaßnahmen den Kriterien der lit. b) oder g) des Art. XX GATT genügen und der Importstaat vor Ergreifen von Handelsbeschränkungen ernsthafte und diskriminierungsfreie Verhandlungen mit den von Beschränkungen betroffenen WTO-Mitgliedern führt bzw. anbietet. Führen Verhandlungen nicht innerhalb einer angemessenen Zeit zu effektiven Ergebnissen,317 kann der Importstaat einseitig Maßnahmen erlassen. 312 Prinzipiell erlauben alle Ausnahmen des Art. XX GATI unter bestimmten Bedingungen einseitige Maßnahmen, US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 121. 313 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 166-171. 314 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 168. 315 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 105: " ... the AB provided governments with little guidance . ..". 316 Ginzky, S. 258, verlangt vergleichbar den allgemeinverbindlichen Interpretationen des WTO-Rechts (Art. IX Abs. 1 WTOA) eine Zustimmung von drei Vierteln der Mitglieder; in der Praxis dürfte aber "Konsens" nötig sein.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Deren Rechtmäßigkeit ist an den Kriterien des lit. g) bzw. lit. b) und am Einleitungssatz des Art. XX GATT bzw. an sonstigem einschlägigen WTORecht zu messen. bb) Rechtmäßigkeit unilateraler extraterritorialer Umweltmaßnahmen Eine unilaterale Festsetzung extraterritorial wirkender Umweltmaßnahmen ist also erlaubt, wenn Verhandlungen mangels Verhandlungsbereitschaft der potenziell von Handelsmaßnahmen Betroffenen nicht zustande kommen, oder wenn solche ernsthaften und diskriminierungsfreien Gespräche nicht innerhalb angemessener Zeit zu wirksamen Umweltschutzmaßnahmen führen? 18 Ob das Verhandlungsergebnis den Umweltschutz sicherstellt, läßt sich nur im Einzelfall beurteilen. Auch die Zumutbarkeit bzw. Angemessenheil der Verhandlungsdauer ist nicht pauschal festzulegen, sondern richtet sich nach den ökologischen Gegebenheiten. Fraglich ist, ob der Importstaat auch innenpolitischen Druck für frühzeitigere Maßnahmen berücksichtigen darf. Dies wird man verneinen müssen, wenn die Zumutbarkeit sich am Vorsorgegrundsatz orientiert. Innenpolitische Probleme legitimieren kein Aufweichen der an den wissenschaftlichen Erkenntnissen der ökologischen Dringlichkeit ausgerichteten völkerrechtlichen Pflichten. In der Entscheidung nach Art. 21 Abs. 5 DSU bekräftigte die Revisionsinstanz die Rechtmäßigkeit unilateraler Standards bei Scheitern von Verhandlungen. 319 c) Voraussetzungen und Grenzen extraterritorial wirkender Rechtsetzung

Die besonders in den "US - Tuna I, II"-Berichten umstrittene Frage, ob das GATT die Zulässigkelt extraterritorial wirkender Rechtsetzung begrenzt und wo diese Grenze verläuft, wurde vom AB ausdrücklich offengelassen. 320 Er beschränkte sich auf die Feststellung, daß eine hinreichende Verbindung der USA zu den die Gewässer verschiedener Staaten und die Hohe See durchschwimmenden Schildkröten bestehe. Hierfür genüge, daß die geschützten Arten in OS-Hoheitsgewässern auftauchten; nicht erforderlich ist, 317 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 171: " ... reasonably open to the US for securing the legitimate policy goal of its measure" (Kursiv: J.N.). 318 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 171, WT/DS58/AB/RW, paras. 122 f., 137 f., 143 f. 319 US- Shrimp, WT/DS58/AB/RW, paras. 137 f., 143 f. 320 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 133: "We do not pass upon whether there is an implied jurisdictional Iimitation ... ".

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daß alle Populationen US-Gewässer kreuzen. Folglich leitet der AB hier die Berechtigung der USA zum Schutz der Kröten nicht aus ihrem Status als globales Umweltgut ab, 321 sondern aus einer Art passivem "Personalitäts-" bzw. Schutzprinzip.

d) Verletzungen des Einleitungssatzes des Art. XX GATT Der AB spezifizierte seine in "US - Gasoline"322 vorgenommenen grundlegenden Ausführungen zum Einleitungssatz des Art. XX GATT, indem er sechs Aspekte des Shrimp-Importverbots als ungerechtfertigte und/oder als willkürliche Diskriminierung brandmarkte. 323 Eine besonders gravierende ungerechtfertigte Diskriminierung sei es, von den Importstaaten nicht nur zu verlangen, eine gleichwirksame Schildkrötenschutzpolitik zu verfolgen, sondern eine der US-Politik entsprechende, ihr gleichende Politik einzufordern.324 Diese rigide, unbewegliche Vorgabe von Maßnahmen sei mit Art. XX GATT unvereinbar. Dem ist zuzustimmen, denn daß die Exportstaaten nicht nur das Ziel gleichwirksam verfolgen müssen, sondern darüber hinaus mit den gleichen Mitteln wie der Importstaat, ist eine für die Erreichung des Schutzziels unnötige Beschränkung ihrer Autonomie. Im Verfahren nach Art. 21 Abs. 5 DSU bestätigte die Revisionsinstanz, daß ein Importstaat aber das Recht hat, gleichwirksame Schutzmaßnahmen zu fordern.325 Ebenso sei es eine ungerechtfertigte Diskriminierung, wenn ein WTOMitglied Schutzmaßnahmen auf dem ganzen Gebiet des Herkunftsstaates erfordere, obwohl in manchen Gebieten keine Gefährdung des Schutzguts auftrete. Irrelevant sei, ob der Importstaat auch im Inland einen solchen pauschalen landesweiten Schutz vorschreibt. Beschränke ein WTO-Mitglied Importe zugunsten eines Schutzziels, so müsse es abweichende Bedingungen in den Herkunftsländern beachten.326 Eine ungerechtfertigte Diskriminierung seien auch die "country-based measures", Handelsbeschränkungen, die an das Herkunftsland einer Ware 321 Die jeweiligen Schildkrötenarten werden auch durch das Artenschutzabkommen CITES geschützt. 322 US- Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 22-25. 323 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 161-184. 324 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 161-163; das zugrundeliegende Gesetz ließ ähnlich wirksame Maßnahmen genügen, die konkretisierenden Verwaltungsvorschriften und die Verwaltungspraxis verlangten (laut Panel und AB) aber das Vorhandensein der gleichen Maßnahmen. 325 US - Shrimp, WT/DS58/AB/RW, para. 144; Shaw/Schwartz, JWT 3611 (2002), s. 148 f. 326 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 164. 12 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

anknüpfen, nicht aber daran, ob die konkrete Ware unter Beachtung des Schutzziels hergestellt bzw. gewonnen wurde oder nicht. 327

Besonders bedeutend für die prozedurale Rechtmäßigkeit von Handelsmaßnahmen zum Schutz extraterritorialer Umwelt ist die Einstufung der einseitigen Verhängung des Importverbots ohne vorherige ernsthafte Verhandlungen mit den Exportstaaten als ungerechtfertigte Diskriminierung?28 Zur Unterstützung des Herauslesens dieses Zusammenarbeitserfordernisses aus dem Einleitungssatz und der Einordnung sofortiger unilateraler Maßnahmen als ungerechtfertigte Diskriminierung zog der AB mehrere MEAs heran, welche extraterritoriale Maßnahmen unter den Vorbehalt einer multilateralen Ermächtigung bzw. gescheiterter Verhandlungen stellen. Logischerweise wertete der AB es auch als ungerechtfertigte Diskriminierung, daß die USA mit einigen Exportstaaten verhandelten, mit anderen aber nicht. Dasselbe gilt für die ungleichen Übergangszeiträume und Finanzhilfen, die die USA den Exportstaaten zur Umsetzung der Schutzpolitik einräumten.329 Das Verlangen der USA, nicht nur eine ähnlich wirksame, sondern die gleiche Schutzpolitik durchzuführen, bewertete der AB nicht nur als ungerechtfertigte, sondern auch als willkürliche Diskriminierung. Gleiches gilt für die Mißachtung abweichender Bedingungen in den Herkunftsstaaten.330 Willkürliche Diskriminierung sei auch, daß das Antragsverfahren für Importlizenzen (Sect. 609 lit. b) US-Artenschutzgesetz) den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren (Art. X Abs. 3 GATT) nicht genüge, da es weder formelle Anhörungsrechte, noch die Zustellung der Entscheidung, geschweige denn eine Berufungsmöglichkeit vorsieht. 331 327 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 165; inwieweit dieser pauschalen Beurteilung herkunftsbezogener Maßnahmen gefolgt werden kann, ist noch zu diskutieren, 3. Kap. E. I. 3. b) cc). 328 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 166-171; zutreffend meint Tietje, EuR 35 (2000), S. 285 f., von der Erfüllung der umweltrechtlichen Kooperationspflicht hänge die WTO-Konformität extraterritorialen Umweltschutzes ab; daher darf grds. erst nach erfolglosen Verhandlungen der Import zugunsten extraterritorialer Umweltgüter beschränkt werden, bei Verweigerung kooperativen Umweltschutzes durch den Exportstaat darf der Importstaat den Handel einseitig beschränken; zustimmend Jansen, EJIL 11 (2000), S. 311; ähnlich "US - Shrimp" wurde das Abkommen über Standards für Tierfallen erst nach Drohungen der EG mit Importbeschränkungen geschlossen, die EG verzichtete aber auf ein einseitiges Einfuhrverbot, s. Harrop, JoEL 12 (2000), S. 333-360; kritisch ggü. der Rücknahme des EG-Handelsverbots für an Tieren getestete Kosmetika wegen angeblicher Unklarheiten über die WTOKonformität De Burca/Scott, S. 2 f. 329 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 172-175; WT/DS58/AB/RW, para. 122; Mavroidis, JWT 34/1 (2000), S. 80. 330 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 177. 331 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 178- 183.

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Wegen der Bejahung· ungerechtfertigter und willkürlicher Diskriminierung verzichtete der AB auf die Prüfung, ob das Importverbot auch ein verstecktes Handelshenunnis332 darstellt. e) Rechtmäßigkeit extraterritorialer Umweltstandards nur bei Finanzhilfen?

Der AB-Bericht "US - Shrimp" wirft die Frage auf, ob Industriestaaten Umweltschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern finanziell unterstützen müssen, um deren Exporte von der Einhaltung von Produktionsstandards abhängig machen zu dürfen, oder ob sie diese Kosten allein den Herkunftsländern aufbürden dürfen Die Feststellung des AB, daß vor Erlaß einseitiger Handelsbeschränkungen aufgrund PPM grundsätzlich eine Verhandlungsobliegenheit besteht,333 besagt nicht, ob es zurnutbar ist, daß die Exportstaaten die Übernahme der Kosten der Schutzmaßnahmen verlangen. Hierfür gibt es aber mehrere Anhaltspunkte, sowohl in der WTOA-Präambel (1), als auch in MEAs (2) und in Art. XX GATT (3). (1) Die WTOA-Präambel

Gemäß der WTOA-Präambel sollen die Umwelt geschützt und die Mittel hierfür erhöht werden, und zwar auf eine Weise, die den Bedürfnissen und Anliegen der WTO-Mitglieder auf ihren verschiedenen "Entwicklungsstufen" entspricht.334 Dies konstituiert zwar keine Pflicht zu Transferleistungen von hochentwickelten an weniger entwickelte WTO-Mitglieder zum Zwecke des Umweltschutzes, es verdeutlicht aber, daß Umweltschutz nicht immer global einheitlich erfolgen kann, sondern abhängig ist von den jeweiligen Bedürfnissen und ökonomischen Möglichkeiten. Daraus folgt die Ablehnung handelsbeschränkender Umweltanforderungen an Importe, die nicht dem Schutz inländischer, sondern ausländischer Güter dienen, wenn die Anforderungen die geringe Entwicklung des Exportstaats überfordern und keine angemessene finanzielle Unterstützung gewährt wird. Die WTOA-Präambel unterstreicht die Abhängigkeit des Umweltschutzes von der ökonomischen Leistungsfähigkeit und den Prioritäten in den jeweiligen Ländern. Verlangt ein Industriestaat die Einhaltung von an seinen Prioritä332 Epiney, DVBI. 115 (2000), S. 84, bejaht ein solches bei fehlender Geeignetheit der Beschränkung zur Erreichung des Schutzziels; Simmons, ColumJEnvL 24 (1999), S. 449 f., definiert dieses als unangemessene Belastung. 333 US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 170: ". .. available and feasible ... ", para. 171: " . .. reasonably open ... ". 334 "Seeking both to protect and preserve the environment and enhance the means for doing so in a manner consistent with their respective needs and concerns at different Ievels of economic development". 12*

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ten und seinem Reichtum orientierten Umweltstandards, so spricht die Berücksichtigung der Präambel bei der Auslegung des Art. XX GAIT dafür, daß dieser Industriestaat die wesentlichen zusätzlichen Kosten tragen muß. Diese Umweltschutz untrennbar mit ökonomischer Entwicklung verschränkende Operationalisierung des Konzepts der ,,nachhaltigen Entwicklung" in "US - Shrimp" ist zukunftsweisend und hebt sich ab von einer Verwendung des Begriffs "nachhaltige Entwicklung" als besitzstandswahrende, aktionsarme BeschwichtigungsformeL 335 (2) Das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung Für eine Unterstützung der Entwicklungsländer spricht auch das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung. Dieser in der Erklärung von Den Haag336 und der VN-GV -Res. 44/228 erstmals angedeutete Grundsatz ist in Satz 2 des Prinzips 7 der Rio-Erklärung ausformuliert. 337 Dort erkennen die Industrieländer ihre besondere Verantwortung für den Schutz der globalen Umwelt aufgrund ihrer Rolle als historischer und noch aktueller HauptverschmutzeT an. 338 Zweiter Grund für ihre überwiegende Verantwortung ist ihre größere wirtschaftliche und technologische Stärke?39 Beim Schutz globaler Umweltgüter trifft die Industriestaaten damit eine "Vorreiterrolle", sie müssen ihre Umweltverschmutzung früher und stärker senken, als die Entwicklungsländer (vgl. auch Art. 3 Kyoto-Protokoll). Die WTO-Minister-Entscheidung von Marrakesch hat anerkannt, daß das Welthandelssystem auf die Umweltschutzziele der Rio-Erklärung reagieren muß. 340 Der AB hat diesen Passus herangezogen, um das Kooperationsge335 Hauff, S. 304; Marmora, Prokla 86, S. 34: um "zu vermeiden, daß dauerhafte Entwicklung als Leerformel benutzt wird, die mehr zur Verschleierung als zur konstruktiven Austragung von Konflikten beiträgt, ist es erforderlich, die potentiellen Akteure in diesem Feld und die Interessen, in die sie eingebunden sind, genau zu benennen."; Bruckmeier, S. 176: "Was mit dem Konzept ... geschehen ist ... wird an der Diskussion in der OECD deutlich, wo das Konzept auf die Zukunft vertagte Erwartungen ausspricht, ohne Lösungen näherzukommen. . . . Diese Vereinnahmung des Konzepts durch das politische Institutionensystem, . . . ist nicht schon als Verwirklichung zu verstehen, eher als Fortsetzung einer politischen Rhetorik.". 336 ILM 28 (1989), S. 1308. 337 Prinzip 7 S. 2 Rio-Erklärung: "In view of the different contributions to global environmental degradation, States have common, but differentiated responsibilities.". 338 A.A. Kellersmann, S. 41-48, die entgegen dem klaren Wortlaut des Prinzips 7 unter Bezug auf die Entstehungsgeschichte die stärkere Versehrnutzung nicht als Rechtsgrund einstuft. 339 s. S. 3 des Prinzips 7; Kellersmann, S. 41-48.

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bot des Prinzips 12 der Rio-Erklärung in die Auslegung des Art. XX GATT einfließen zu lassen?41 Daher ist das Heranziehen des Prinzips der unterschiedlichen Verantwortung zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von ohne finanzielle Unterstützung erlassenen Umweltstandards nicht nur durch die WTOA-Präambel geboten, sondern gründet auch in der Beachtung der RioErklärung durch den AB, die wiederum auf deren Anerkennung durch die WTO-Minister-Entscheidung fußt. Prinzip 11 S. 2 der Rio-Erklärung betont, daß Umweltschutz nicht einheitlich erfolgen kann, da manche Maßnahmen für Entwicklungsländer unangemessene Kosten bedeuten. Daraus ist im Umkehrschluß zu folgern, daß reichere Staaten für einheitliche PPM-Vorgaben Hilfszahlungen leisten müssen. Das Prinzip der unterschiedlichen Verantwortung wird z. B. auch in Art. 3 Abs. 1 FCCC, Art. 10 KP, Art. 16, 19 CBD, Art. 6 lit. b), 20 CCD umgesetzt.342. Die Gesamtschau dieser Normen macht deutlich, daß die größere Verantwortung sich nicht unbedingt in stärkeren Umweltschutzpflichten niederschlagen muß, sondern vor allem in stärkerer finanzieller Verantwortung. 343 Besonders bemerkenswert ist dabei die Koppelung der Erfüllung der Umweltschutzpflichten der Entwicklungsländer an die Zahlung der Finanzhilfen in Art. 4 Abs. 7 FCCC, Art. 20 Abs. 4 CBD?44 Dies verdeutlicht, daß wegen der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfahigkeit die Industrieländer von den Entwicklungsländern gleichstarken Umweltschutz durch einheitliche Umweltstandards nicht verlangen dürfen, ohne die wesentlichen Zusatzkosten zu tragen. (3) Fehlende Finanzhilfe als Diskriminierung i. S. d. Art. XX GATT? Der Wortlaut des Einleitungssatzes von Art. XX GATI deutet weder auf das Erfordernis finanzieller Unterstützung, noch auf die Notwendigkeit von Verhandlungen direkt hin. Letztere gründet aber im Diskriminierungsverbot, Nachweis in: US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 154. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 154, 168. 342 Hierzu Kellersmann, Kap. 4--6; Dolzer, in: Götz u.a., S. 41; Ähnliches wurde bereits Ende der achtziger Jahre in Art. 5 MP festgeschrieben. 343 Kellersmann, S. 296-303, 316-320; daß bereits entsprechendes Völkergewohnheitsrecht entstanden ist, verneint diess., S. 327-329; skeptisch auch Schröder, AVR 34 (1996), S. 273; Dolzer, in: Götz u.a., S. 61: "Materiell zögern die Industriestaaten (insb. die USA) noch, die globalen Umweltfragen wirklich im Sinne des Schutzes eines gemeinsamen Erbes der Menschheit zu betrachten; ihre Behandlung der Finanzfragen läßt keinen anderen Schluß zu.". 344 Abgeschwächt auch in Art. 5 Abs. 5 MP und Art. 20 Abs. 7 CCD; dazu Kellersmann, S. 308-310; Wolfrum, in: Rengeling, S. 1509 ff. Rn. 40. 340 341

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

denn multilaterale Verhandlungen sind ein wichtiges Mittel, um eine Ungleichbehandlung von gleichen Bedingungen345 bzw. eine Gleichbehandlung von ungleichen Bedingungen346 zu verhindern. Aber auch die Beachtung der unterschiedlichen (finanziellen) Verantwortung ist im Wortlaut des Einleitungssatzes zu Art. XX GAIT verankert. Es ist eine ungerechtfertigte Diskriminierung, wenn die ungleichen finanziellen Möglichkeiten von Herstellern aus Entwicklungsländern mit den finanziellen Möglichkeiten von Produzenten in Industrieländern gleichgesetzt werden. 347 Dies gilt umso mehr aufgrund der unterschiedlichen Verantwortung in Folge der stärkeren Umweltverschmutzung durch die Industriestaaten. (4) Fazit

Der Einleitungssatz des Art. XX GAIT erlaubt bei kontextgeleiteter Auslegung unter Berücksichtigung der WTOA-Präambel und der einschlägigen MEAs Importbeschränkungen zum Schutze grenzüberschreitender oder globaler Umweltgüter regelmäßig nur, wenn die Beschränkung an finanzielle Förderung gekoppelt wird. Macht ein industrieller Importstaat keine angemessenen Finanzierungszusagen, darf er die Verhandlungen nicht für unzumutbar bzw. gescheitert erklären und zu unilateralen Maßnahmen greifen.J48 (5) Folgen für das WTO-Streitverfahren

Die Auslegung von WTO-Recht unter Beriicksichtigung von MEAs in "US - Shrimp" könnte der Ausgangspunkt für eine weitreichendere Beriicksichtigung von Prinzipien WTO-fremden Rechts bei der Auslegung von WTO-Recht sein.349 Nachdem der AB das Erfordernis zurnutbarer Verband345 346

177.

US- Reformulated Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 27 f. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 165 (vorletzter und letzter Satz), 164,

347 Ähnlich Klabbers, JWTI.. 26/2 (1992), S. 90; Ginzky, S. 272 f.; ders., ZUR 10 (1999), S. 221 f.; Anderson, in: Krueger, S. 250; Popick, Emory U 2001, S. 983. 348 Die Höhe der erforderlichen Förderung ist vom Einzelfall abhängig. Bei grenzüberschreitenden Umweltgütem, an deren Beeinträchtigung die Industriestaaten keine wesentlich höhere Verantwortung tragen, dürften sie nicht zur Tragung der vollen Kosten verpflichtet sein; können die Kosten der Umweltauflagen über die Exportpreise auf die Verbraucher des Nordens umgelegt werden, dürfte eine Anschubfinanzierung genügen. 349 Weitergehend Mavroidis, JWT 34/1 (2000), S. 78, der dafür plädiert, MEAs von WTO-Paneln unmittelbar anwenden zu lassen; dem stehen aber Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 S. 2 1. Hs., Art. 7 Abs. 1, Art. 11 S. 2 DSU entgegen, die die Anwendbarkeit auf WTO-Recht beschränken.

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Iungen aufgestellt hat, wird er es schwer haben, bei unilateralen Importbeschränkungen eines Industriestaats nach einem Verhandlungsdissens der Streitparteien wegen geringem finanziellen Engagements des Importstaates die Maßnahme nicht auf die Notwendigkeit und Angemessenheit finanzieller Hilfen zu prüfen. Ein solcher Prüfungsauftrag wirft institutionelle Fragen auf nach der inhaltlichen Kompetenz und der politischen Bereitschaft der WTO, diese Aufgabe zu erfüllen. Die Feststellung der zusätzlichen Kosten ist eine komplizierte Tatsachenfrage. Die Probleme sind aber nicht unüberwindbar. Entsprechend dem Verfahren des Montrealer Protokolls könnte vom Allgemeinen Rat eine für entsprechende Streitfälle geltende Liste allgemeiner Kategorien von Mehrkosten erstellt werden (Art. 10 Abs. 1 S. 3 MP),350 die entsprechend der jeweiligen Besonderheiten ergänzt würde. Da die Finanzhilfe Teil der Rechtfertigung der Maßnahme wäre, läge die Beweislast für ihre Angemessenheit zunächst beim Beklagten. Außerdem treffen WTO-Panel bei der Entscheidung über den Umfang aussetzbarer Handelsvorteile (Art. 22 Abs. 4, 6 DSU) schon jetzt Entscheidungen über ökonomische Summen, die solch komplexe Berechnungen und Prognosen einschließen, daß nur eine annähernde Genauigkeit verlangt werden kann. Bei entsprechendem Sachverhalt und Parteivorbringen wird der AB sich dieser Prüfung wegen Art. 23 DSU kaum entziehen können. 351 Das Prüfungskriterium der finanziellen Unterstützung ist ein Beispiel für das Vordringen von Gerechtigkeitsprinzipien in das WTO-Recht, welche mit dem einstigen Primärziel des GATI, der Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität durch Liberalisierung und Rechtssicherheit, 352 nur noch locker zusammenhängen. 353 Andererseits ist die Abhängigkeit der PPM von der Gewährung von Finanzhilfen ein Beispiel für die Begrenzung von Handelsschranken und für eine Strategie des Offenhaltens von Märkten. Daher ändern sich zwar die konkreten Prüfkriterien, es geht aber weiterhin um das klassische Ziel der Handelsfreiheit, angepaßt an das gestärkte Ziel Umweltschutz. Das Heranziehen von Rio-Erklärung und MEAs zur Auslegung von WTO-Recht könnte Entwicklungsländern angesichts der oft unzu350 UNEP/OzL. Pro.2/3, Annex IV App. I, UNEP/OzL.Pro.4/15, Annex VIII; s. auch Art. 20 CBD. 351 Der AB könnte wie in "US - Shrimp" die Parteien auch zu Neuverhandlungen verpflichten, anstatt selbst einen Finanzierungsschlüssel vorzugeben. 352 US - Sect. 301-310, WT/DS152/R, para. 7.80; Benedek, S. 380. 353 Dunoff, EJIL 10 (1999), S. 735 ff., betont, das WTO-Recht müsse sich wegen seiner Durchdringung von ,,handelsverbundenen" Aspekten von seiner Fixierung auf Effizienz-Parameter lösen (S. 745 f.); die von diesen Aspekten geförderte Harmonisierung rücke Verteilungsfragen stärker in den Blick (S. 748 f.); zu letzteren gehört auch die Finanzierung höherer Umweltstandards; ähnlich Dyrrwnd!Hart, JWT 34/3 (2000), s. 33.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

reichenden Erfüllung der MEA-Finanzierungspflichten354 durch Industriestaaten und wegen der fehlenden obligatorischen Streitbeilegung in MEARegimen mittelbar zur besseren Durchsetzung dieser Finanzierunganspruche verhelfen. 4. Die Bedeutung des Berichts Der Bericht "US - Shrimp" des Appellate Body bewirkte nicht nur eine weitere Klärung der Auslegung des Art. XX GATI, sondern stellt eine wesentliche Neubestimmung des Ausmaßes des im WTO-Recht erlaubten Umweltschutzes dar? 55 Während das Panel die US-Importbeschränkung nicht nur verbot, sondern auch dem Umweltschutz allgemein enge Grenzen auferlegte, hielt der AB die konkreten US-Maßnahmen zwar ebenfalls für rechtswidrig, erkannte aber an, daß Vorschriften, die den Herstellungs-/Gewinnungsprozeß einer Ware ("PPM") betreffen, durch Art. XX GATT erlaubt sein können.356 Voraussetzung ist zunächst die völkerrechtliche Regelungsbefugnis des lmportstaats. Er muß einen hinreichenden Bezug aufweisen zu den bei der Herstellung beeinträchtigten Umweltgütern. Vor einem einseitigen Erlaß von Herstellungsbedingungen für solche Importwaren muß der Importstaat zudem ernsthafte und diskriminierungsfreie Verhandlungen mit den Exportstaaten führen. Gegenüber Entwicklungsländern werden regelmäßig auch finanzielle Hilfen für die Umstellung auf umweltschonendere Herstellungstechniken nötig sein. Scheitern die Verhandlungen jedoch oder sind sie ausnahmsweise nicht zumutbar, dürfen gemäß "US - Shrimp" aber einseitig PPM erlassen und durchgesetzt werden, soweit sie sich nur gegen unmittelbar schädliche Waren richten, mit parallelen inländischen Beschränkungen einhergehen und vergleichbar wirksame Maßnahmen der Exportstaaten anerkennen. Dies wurde im Verfahren über die Umsetzung des Berichts (Art. 21 Abs. 5 DSU) bestätigt. 357 Kellersmann, S. 246, bzgl. Art. 20 CBD. Jackson, EJIL 11 (2000), S. 304: " ... the Appellate Body did a splendid job in trying to move the process a couple of steps further."; Sands, EJIL 11 (2000), S. 299: " ... a radical expression . .. to act unilaterally . . . outside their jurisdiction."; Shaffer, AJIL 93 (1999), S. 511: " . . . amended prior GATTanalysis in light of contemporary perspectives.", ders., S. 513: "departs significantly from earlier GATT jurisprudence, ..."; Simmons, ColumJEnvL 24 (1999), S. 440: " . . . a substantial departure from past interpretations . .."; Berger, ColumJEnvL 24 (1999), S. 358: " ... an evolutionary improvement and breakthrough .. ."; Perkins, ILM 38 (1999), S. 119: " ... singificant advancement .. ."; Tietje, EuR 35 (2000), S. 288: " .. . von herausragender Bedeutung ..."; Schoenbaum, in: Bimie/Boyle, S. 712 f. 356 Zur Kritik der meisten Entwicklungsländer statt vieler Pakistan, in: WT/GC/ 162, das von rechtswidriger Rechtsfortbildung spricht. 357 US - Shrimp, WT/DS58/AB/RW, paras. 122 f., 137 f., 143 f.; WT/DS58/ RW, paras. 5.76, 5.87 f., 5.93-5.104, 6.1 f.; dazu Shaw!Schwartz, JWT 36/1 (2002), S. 148 f., und Trachtman, Shrimp- 21.5. 354

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C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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Für die Koordination des WTO-Rechts mit dem Umweltvölkerrecht ist die Bezugnahme auf multilaterale Umweltabkommen zur Auslegung des Art. XX GATI grundlegend, insbesondere weil nicht alle Streitparteien diese Abkommen unterschrieben hatten?58 Das mit der Prüfung der Umsetzung des Berichts befaßte Panel stellte fest, daß die Auslegung und Anwendung des Einleitungssatzes des Art. XX GATI, welche ein Gleichgewicht zwischen Handel und handelsverbundenen Politiken finden muß, durch spezielleres WTO-fremdes Völkerrecht geleitet wird, so dieses vorhanden ist.359

V. EC - Asbestos 1. Der Sachverhalt 1996 erließ die französische Regierung, gestützt auf Bestimmungen des Arbeitsgesetzes und des Verbrauchsgesetzes, die Verordnung ("decret") 961133. Deren Art. 1 verbietet u. a. die Vermarktung und den Import aller Arten von Asbestfasem, lose oder eingearbeitet, sowie aller asbesthaltiger Waren. Art. 2 erlaubt zeitlich begrenzte Ausnahmen von den Verboten für Chrysotil-Asbest, wenn kein für Arbeiter weniger schädliches Substitut besteht und ein sicherer Gebrauch des Chrystosil-Asbests garantiert ist. Ausnahmen sind aber nur möglich, wenn die Arten in der abschließenden Aufzählung eines ministeriellen Erlasses genannt werden, der jährlich überprüft wird. Die Verarbeitung, der Import und die Vermarktung dieser ausnahmsweise noch erlaubten Fasern ist gemäß Art. 3 der Verordnung (VO) auch nur erlaubt, wenn sie vorher angezeigt wird und gemäß dem Stand der Technik noch erforderlich ist. Art. 3 Abs. 3 ermächtigt den Arbeitsrninister, die Verarbeitung zu verbieten, wenn mittlerweile Substitute bestehen oder das Risiko für Arbeiter oder Verbraucher untragbar ist. Art. 4 enthält ein Kennzeichnungsgebot Art. 5 stellt die Verletzung des Art. 1 i. V. m. Art. 263 des Arbeitsgesetzbuches unter (Geld-)Strafe. Die VO trat am 1.1.1997 in Kraft.

Kanada ist der weltweit zweitgrößte Asbest-Hersteller und sah die Interessen seiner Industrie durch die französische Verordnung bedroht. Daher 358 Sands, NYUJILaP 33 (2001), S. 550: " . .. the AB sought to - and did - treat the international legal order in a holistic way, interpreting and applying one set of rules (free trade) by reference to the values of another set of rules, ... which they read into the existing legal order. "; allerdings hatten die Streitparteien ihre Unterstützung der Abkommen signalisiert, US - Shrimp, WT/DS58/RW, para. 5.57: " ... have accepted or are committed to comply with all of the international instruments referred to by the Appellate Body . . .". 359 US - Shrimp, WT/DS58/RW, para. 5.51: " . . ., we need . . . to consider the legal framework ... ".

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

beantragte es 1998 die Einsetzung eines Panel gegen die EG aufgrund der französischen Verordnung und machte eine Verletzung der Art. III Abs. 4, Art. XI GATI sowie der Art. 2 Abs. 1, 2, 4, 8 TBT geltend. Außerdem sah es die Voraussetzungen der Nichtverletzungsbeschwerde gemäß Art. XXIII Abs. 1 lit. b) GATI, Art. 26 DSU als erfüllt an. Die EG beantragte, die Einschlägigkeit des TBT abzulehnen, hilfsweise eine Verletzung des Art. 2 TBT zu verneinen. Das TBT sei nicht einschlägig, da es nur technische Anforderungen an solche Produkte regele, welche auf den Markt gelangen dürfen. Verbote von Produkten seien dagegen nicht am TBT zu messen, sondern am GATI.360 Art. III Abs. 4 GATI sei nicht verletzt, hilfsweise rechtfertige Art. XX lit. b) GATI. Eine Nichtverletzungsbeschwerde sei bei Bejahung einer Verletzung des GATI grundsätzlich nicht möglich. Darüber hinaus sei sie hier nicht einschlägig, weil eine vorrangige Rechtfertigung nach Art. XX GATI bestehe. 2. Der Bericht des Panel "EC - Asbestos" Das Panel holte gemäß Art. 13 Abs. 1, 2 DSU Gutachten von Wissenschaftlern ein.361 Das Panel begann seine Prüfung mit dem Anwendungsbereich des TBT (a), da dieses, falls es einschlägig sei, speziellere Vorgaben enthalte als das GATI. 362 Dem folgte die Prüfung einer Verletzung der Art.III, XI GATI (b) und einer Rechtfertigung nach Art. XX lit. b) GATI (c). Abschließend entschied das Panel über die Nichtverletzungsbeschwerde (d). a) Anwendungsbereich des TBT

Wie erwähnt stritten die Parteien schon über die Anwendbarkeit des TBT. Den Anwendungsbereich bestimmt Abs. 1 des TBT-Anhangs 1. Danach ist eine technische Vorschrift ein Dokument, das Merkmale einer Ware oder diese Merkmale beeinflussende Produktions-/Erzeugungsverfahren verbindlich festlegt. Kanada zählte hierzu auch die französische Verordnung, da sie auf das technische Merkmal der Asbesthaltigkeit abstelle und hieran ein Verbot knüpfe. Auch die Ausnahmen vom Verbot seien durch die Erfüllung technischer Vorgaben bedingt. Die EG begründete ihre Ablehnung der Einschlägigkeit des TBT damit, daß es technische Merkmale erfasse, die Bedingung für den Markteintritt seien. Generelle Vermarktungs- und ImportverEC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.22 f., 8.25. In Übereinstimmung mit den AB-Berichten ,,EC- Hormones" und "Argentina - Footwear" berief das Panel einzelne Wissenschaftler, nicht Expertengruppen, EC - Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.10 f. 362 EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.16 f. 360 361

C. Berichte von GATI'-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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bote, wie sie die VO enthalte, unterfielen dem TBT nicht. Daher hatte das Panel zu entscheiden, ob es sich der weiten kanadischen Auslegung anschloß oder wie die EG das Statuieren von positiven Marktzugangsvoraussetzungen als Eigenschaft von TBT-Dokumenten voraussetzte. Das Panel unterschied die Verbotsnormen Art. 1, 5 der Verordnung von den Ausnahmeerlaubnissen in Art. 2-4. Der Begriff "Ware" in Abs. 1 TBT-Anhang 1 bedeute, daß technische Vorschriften die Eigenschaften von Produkten nennen müßten, die diese aufweisen müssen, um importiert werden zu dürfen.363 Dies bestätige der Zweck des TBT, nur protektionistisch wirkende, spezielle technische Anforderungen einzudämmen. 364 Für diese vergleichsweise enge Definition technischer Vorschriften spreche auch der Kontext des TBT, nämlich die Erfassung allgemeiner Importverbote durch Art. I, III, XI GATT. 365 Damit folgte das Panel weitgehend der Auffassung der EG. Danach muß eine technische Vorschrift i.S.d. Abs. 1 TBT-Anhang 1 technische Eigenschaften von Waren nennen, die den Marktzugang verbindlich regeln?66 Hierunter fallen nicht allgemeingehaltene Verbote, die nicht speziell technische Eigenschaften nennen. Dementsprechend maß das Panel die Art. 1, 5 der VO nicht am TBT. Andererseits seien die Art. 2-4 der VO technische Vorschriften i. S. d. TBT, da sie technische Voraussetzungen des Marktzugangs aufzählen. Irrelevant sei, daß sie den Marktzugang nur zeitlich begrenzt ermöglichen. 367 Da Kanada keine TBT-Verletzung durch die Art. 2-4 der VO gerügt hatte, mußte das Panel eine Verletzung des TBT nicht prüfen.

b) Verletzung der Art. III Abs. 4, Art. XI GATT Kanada wähnte durch das Importverbot den Art. XI GATT verletzt, das Vermarktungsverbot von Asbestfasern gegenüber der Vermarktungsfreiheit für asbestfreie Fasern sah es Verletzung des Art. III Abs. 4 GATT an. Die EG beurteilte wegen der Verbindung der Importbeschränkung mit internen Vermarktungsbeschränkungen nur Art. III Abs. 4 als einschlägig, verneinte aber dessen Verletzung, da Asbestfasern und asbestfreie Fasern wegen der unterschiedlichen Gesundheitsrisiken nicht gleichartig seien. Das Panel stimmte unter Verweis auf die Panel-Praxis unter dem GATT 1947 der EG zu, daß Art. III Abs. 4 auch anwendbar ist, wenn das Vermarktungsverbot gegenüber nationalen Gütern intern erfolgt, gegenüber Im363 364 365

366 367

EC- Asbestos, WT/DS135/R, EC- Asbestos, WT/DS135/R, EC- Asbestos, WT/DS135/R, EC- Asbestos, WT/DS135/R, EC- Asbestos, WT/DS135/R,

paras. 8.36-8.43. paras. 8.47-8.52. paras. 8.53-8.56. paras. 8.57, 8.64. para. 8.63.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

portwaren aber schon durch ein Importverbot Es sei unnötig, daß identische Maßnahmen ergriffen werden, hinreichend sei der identische Effekt, die Verhinderung der Vermarktung. 368 Ob auch Art. XI GATT verletzt sei, prüfte das Panel mangels Substantiierung Kanadas nicht. 369 Das Panel wandte zur Prüfung der Gleichartigkeit von Asbestfasern und asbestfreien Fasern sowie von asbesthaitigern und asbestfreiem Zement die vom AB in "Japan - Alcoholic Beverages" genannten Kriterien an, betonte aber, daß diese nicht abschließend seien. Relevant waren in "EC Asbestos" die Kriterien der physischen Natur und der Verwendungszweck, nicht dagegen die Verbraucherpräferenzen und die Zollklassifikation?70 Als irrelevant für die Gleichartigkeit verwarf das Panel die unterschiedlichen Gesundheitsrisiken. Diese könnten über Art. XX lit. b) GATI berücksichtigt werden, dürften aber nicht die Frage der Gleichartigkeit der Produkte beeinflussen. 371 Die Gleichartigkeit der physischen Natur verlange keine wissenschaftlich-physikalische Gleichheit, sondern nur eine Gleichartigkeit i. S. d. einer Austauschbarkeit auf dem Markt bzw. beim Marktzugang.372 Danach sei die Gleichartigkeit hier zu bejahen. Eine Ungleichbehandlung finde zwar nicht zwischen französischen und ausländischen Produkten, aber zwischen Asbest(-haltigen) und Nichtasbest(-haltigen Materialien) statt.

c) Rechtfertigung nach Art. XX lit. b) GATT Die Anwendung des Art. XX lit. b) GATI durch das Panel folgt im wesentlichen den etablierten Ansätzen. Eine Besonderheit ist aber die Prüfung des Vorliegens gesundheitlicher Risiken. Während in bisherigen Panel-Verfahren die Parteien über die Existenz von Gesundheitsgefahren einig waren, stellte Kanada das Bestehen von Risiken hinsichtlich des in Zement gebundenen Asbests in Frage. Das Panel stellte fest, daß die WTO-Mitglieder das Schutzniveau selbst bestimmen können, daß sie aber nachweisen müssen, daß ein Gesundheitsrisiko besteht.373 Hierfür spreche u. a. die Verwendung des Wortes "Schutz" in lit. b ), denn ohne Risiko sei dieser unnötig? 74 Bei der Frage des Risikonachweises erwog das Panel, das Konzept des auf Risikofragen spezialisierten SPS heranzuziehen, unterließ dies aber unter Hin368 369

370

371 372 373 374

EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.91, 8.94. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.99, 8.159 f. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.118-8.144. EC- Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.130. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.121-8.123. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.169-8.171. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.170, 8.184.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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weis auf die fehlende Beeinflussung der Auslegung des Art. XX lit. b) durch das SPS im AB-Bericht "US -Gasoline" und auf das fehlende Heranziehen ungeschriebener Prinzipien zur Auslegung des SPS im AB-Bericht "EC - Hormones". 375 Ohne daß das Panel dies erwähnte, hätte Art. 1 Abs. 4 SPS prima facie für eine Berücksichtigung des SPS zur Auslegung der Risikoanforderungen des Art. XX lit. b) GATI gesprochen. Danach wird die Vereinbarkeit von Maßnahmen mit Art. XX lit. b) GATT vermutet, wenn sie SPS-konform sind. Da das SPS nicht Teil des Panel-Mandats war, ist der Verzicht des Panel auf eine Beeinflussung des Art. XX lit. b) GATT durch das SPS zumindest nachvollziehbar, wenngleich nicht zwingend. Das Panel stellte unter Bezug auf internationale Institutionen wie die WHO und das CIRC ("Centre international de recherche sur le cancer") die Karzinogenität von Asbest fest. 376 Zur Frage des von Kanada bestrittenen Krebsrisikos durch Asbestzement bezog sich das Panel im wesentlichen auf die Gutachten der befragten Experten. Danach gibt es keine sicheren Schwellenwerte, unterhalb derer kein Risiko bestünde, mit Ausnahme wohl der Asbestose. 377 Daher bejahte das Panel die Gesundheitsrisiken auch für Asbestzement. Bezüglich der Erforderlichkeil des Verbots prüfte das Panel, ob ein kontrollierter und überwachter Gebrauch ebenso wirksam wäre. Dies verneinte es unter Hinweis auf das Fehlen sicherer Schwellenwerte und auf die einer effizienten Verarbeitungskontrolle abträgliche Dezentralität der Asbestverwendung. 378 Auch die hohe Mobilität von Bauarbeitern und ihre oft mangelhafte Bildung seien zu berücksichtigen.379 Die Orientierung an den realen sozialen Hindernissen für eine komplette Einhaltung von Auflagen und Schwellenwerten ist zu begrüßen und folgt den Feststellungen des AB in "EC - Hormones" zur Risikoermittlung gemäß SPS. 380 Insbesondere reiche die Einhaltung internationaler Standards, hier ISO 7337, nicht aus, da Frankreich ein höheres Schutzniveau anstrebe? 81 Auch müsse die mildere Maßnahme technisch und ökonomisch zurnutbar sein. Dazu machte das Panel Ausführungen, die über die bisherigen Erläuterungen der Zumutbarkeit hinausgehen. Einerseits könne von Frankreich erwartet werden, daß es die zur Erreichung eines gewählten hohen Schutzniveaus er375 EC- Asbestos, WT/DSI35/R, para. 8.180; EC - Hormones, WT/DS26, 48/ AB/R, paras. 115, 123. 376 EC- Asbestos, WT/DSI35/R, paras. 8.188-8.191. 377 EC- Asbestos, WT/DSI35/R, para. 8.202. 378 EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.211 f., 8.216 f. 379 EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.213. 380 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 187: " ... the actual potential for adverse effects on human health in the real world where people live and work and die.", s.u. VII. 3. b). 381 EC- Asbestos, WT/DSI35/R, paras. 8.210 f.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

forderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung stellt. Andererseits sei eine effektive Überwachung einer sehr sorgsamen Verarbeitung des Asbests angesichts des privaten Verbrauchs weder praktisch möglich, noch zumutbar? 82 Das Panel stellte auch klar, daß das Verbot riskanter Stoffe nicht voraussetzt, daß die geringere Gefahrlichkeit der Ersatzstoffe sicher nachgewiesen ist. 383 Bezüglich des Einleitungssatzes des Art. XX GATT verneinte das Panel zunächst eine ungerechtfertigte oder willkürliche Diskriminierung. Die Diskriminierung zwischen asbestfreien und asbesthaltigen Stoffen i. S. d. Art. III Abs. 4 GATT könne bei Art. XX gemäß des AB-Berichts "US - Gasoline" nicht herangezogen werden. Die erforderliche Diskriminierung zwischen Anbietern verschiedener Länder liege aber nicht vor?84 Das Panel behandelte relativ ausführlich die Frage, ob ein verstecktes Handelshemmnis vorliegt. Dies verneinte es, weil keine Diskriminierung im Sinne des Art. XX bestehe und keine protektionistische Absicht erkennbar sei.385 Die protektionistische Absicht prüfte das Panel anband der objektiven Kriterien "Design, Architektur und Struktur".386 Daher war auch das Panel "EC - Asbestos" nicht in der Lage, dem Kriterium des versteckten Handelshemmnisses schärfere Konturen zu verleihen.

d) Nichtverletzungsbeschwerde gegen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes Das Panel hatte zu entscheiden, ob Nichtverletzungsbeschwerden (NVCs, "non-violation complaints") gemäß Art. XXIII Abs. 1 lit. b) GATT, Art. 26 DSU auch gegenüber nach Art. XX GATT gerechtfertigten Maßnahmen zur Verfolgung nichtwirtschaftlicher Ziele zulässig sind. Die EG bestritt dies, denn zum einen seien NVCs generell nur zulässig, wenn keine Verletzung eines GATT-Artikels festgestellt worden sei, zum anderen drücke eine Rechtfertigung nach Art. XX GATT die Vorrangigkeil nichtwirtschaftlicher Ziele aus, so daß ein berechtigtes Vertrauen auf rein wirtschaftliche Handelszugeständnisse nicht entstanden sein könne. 387 Unter Verweis auf den Wortlaut der Art. X:Xßl Abs. 1 lit. b) GATT, Art. 26 Abs. 1 DSU bejahte das Panel die Anwendbarkeit von NVCs auch bei Verletzung eines GATT-Artikels. 388 Zum behaupteten Ausschluß der Anwendbarkeit wegen EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.208-8.212. EC- Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.221. 384 EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.226-8.228. 385 EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.233-8.240. 386 EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.236-8.238; Japan- Alcoholic Beverages, WT/DS 8, 10, 11/AB/R, S. 31. 3 87 EC- Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.246. 382 383

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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einer Rechtfertigung nach Art. XX GATI stellte das Panel zunächst fest, daß die Bejahung einer Zunichtemachung der Vorteile nach Art. 26 Abs. I DSU nicht zur Beseitigung der Maßnahme verpflichtet. Der Text des Art. 26 DSU stütze einen Vorrang des Art. XX GATI nicht. Die Rechtfertigung einer Maßnahme nach Art. XX GATT begründe aber einen Sonderstatus von solchen NVCs, die sich gegen nicht-wirtschaftlich motivierte Maßnahmen richten. Daraus folge eine besondere Beweislast des Klägers hinsichtlich des Schutzes der Handelserwartungen und der fehlenden Vorhersehbarkeit der Beschränkung. 389 Angesichts der gegen die Verwendung von Asbest gerichteten WHO-Entschlüsse, der ll..O-Konvention 162 und der EWG-Richtlinie 90/394 habe Kanada nicht darauf vertrauen können, daß die ausgehandelten Zollerleichterungen den dauerhaften Marktzugang von Asbest sichern sollten. Das französische Verbot habe daher nicht zu einer nicht zu erwartenden Veränderung der Marktzugangsbedindungen geführt.390

3. Der Bericht des Appellate Body in "EC - Asbestos" Die Revisionsinstanz hatte über alle wesentlichen Teile des Panel-Berichts neu zu entscheiden: den Anwendungsbereich des TBT (a), den Begriff der Gleichartigkeit in Art. ill Abs. 4 GATT (b), die Rechtfertigung eines Importverbots als Abwehr von Gesundheitsrisiken (c) und die Anwendbarkeit der Nichtverletzungsbeschwerde neben einer Rechtfertigung nach Art. XX GATT (d). Alle vier Bereiche sind für die Prüfung der WTO-Konformität von Handelsbeschränkungen zugunsten von Umwelt und Gesundheit von grundlegender Bedeutung. 391 a) Anwendungsbereich des TBT

Kanada rügte, daß das Panel das Asbestimportverbot, das keine für den Marktzugang positiv erforderlichen technischen Wareneigenschaften nennt, nicht als technische Vorschrift i. S. d. Abs. 1 TBT-Anhang I ansah. Die Revisionsinstanz gab der Rüge weitgehend statt. Sie stellte fest, daß das Importverbot als Ganzes beurteilt werden müsse, nicht getrennt nach TBTfremdem allgemeinem Verbot und TBT-relevanten Ausnahmen. 392 Danach ist die ganze französische Verordnung eine technische Vorschrift, da sie auf 388 389 390 39 1

392

EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.260-8.265. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.281 f. EC- Asbestos, WT/DS135/R, paras. 8.283-8.304. Dazu ausführlich Howse/Türk, in: De Burca/Scott, S. 288-328. EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 64.

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2. Teil, I. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

das technische Merkmal der Asbesthaltigkeit abstellt und daran ein Verbot knüpft. Inwieweit dieser weite Anwendungsbereich die Verfolgung ökologischer oder anderer Ziele erschwert, wird erst eine Auslegung des die wesentlichen TBT-Pflichten enthaltenden Art. 2 TBT in späteren Fällen erweisen, da der AB mangels Auslegung des Art. 2 TBT durch das Panel nicht als Revisionsinstanz über die TBT-Konformität der französischen Verordnung entscheiden konnte und eine eigene Prüfung als erste Instanz ablehnte.393 b) Gleichartigkeit i. S. d. Art. I// Abs. 4 GATT

Der AB erhielt erstmals Gelegenheit, Art. III Abs. 4 GATT auszulegen. 394 Die EG rügte die Bejahung der Gleichartigkeit von Asbest(-haltigen) und Nichtasbest(-haltigen Materialien) durch das Panel und verwies auf die Unterschiedlichkeit der Gesundheitsrisiken. Die Revisionsinstanz sicherte zunächst der Gleichartigkeit i. S. d. Art. III Abs. 4 einen weiten allgemeinen Anwendungsbereich, da nicht nur physisch gleiche, sondern entsprechend Art. III Abs. 2 S. 2 auch am Markt substituierbare Waren gleichartig sein können. 395 Eine Verletzung des Art. III Abs. 4 erfordert nur eine weniger vorteilhafte Behandlung einer gleichartigen Ware, nicht dagegen eine protektionistische Absicht. Sei die Behandlung objektiv weniger vorteilhaft, liege bereits ein verbotener Schutz i. S. d. Art. III Abs. 1 GATT vor? 96 Dies verwirft den "aim and effects test" für Art. III GATT endgültig und führt zu strengen Anforderungen des Diskriminierungsverbots. Andererseits tritt der AB in "EC - Asbestos" bei der vorgelagerten Prüfung, ob die verglichenen Waren überhaupt gleichartig sind, für Zurückhaltung ein, indem er eine Berücksichtigung "nichtwirtschaftlicher" Aspekte im Rahmen der klassischen, wirtschaftsbezogenen Kriterien zuläßt bzw. fordert. Der AB stellte fest, daß die vier gemeinhin verwendeten Kriterien, physische Eigenschaften, Endzweck, Verbraucherpräferenzen und Zollklassifikation, meist relevant sind, aber nicht immer abschließend sein müssen, sondern daß auf die Umstände des jeweiligen Falls abzustellen ist.397 Im vorliegenden Fall bejahte der AB anders als das Panel die Relevanz der Gesundheitsrisiken durch Asbest für die Frage der Gleichartigkeit. Dabei EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 81-83. EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 88. 395 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 98-100: " ... a relatively broad product scope- although no broader than the product scope of Article III:2.". 396 EC- Asbestos, WT/DSI35/AB/R, paras. 99 f. 397 EC- Asbestos, WT/DSI35/AB/R, paras. 101 f. 393

394

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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stellte er vor allem auf die physischen Eigenschaften ab und ließ erkennen, daß Gesundheitsgefahren auch den Endzweck und die Verbraucherpräferenzen beeinflussen können. Die Betonung der Gesundheitsrisiken für die Festlegung der physischen Eigenschaften und den Warenzweck ist in ihrer Deutlichkeit bedeutsam und fast erstaunlich?98 Dies definiert die Kriterien des Begriffs "like" mit einem ganz anderen Schwerpunkt als das Panel. Der AB sieht die Gesundrisiken als relevanten Teil der Wettbewerbsposition der Waren, während das Panel von preisfixierten und gesundheitsblinden Bauherrn und Verbrauchern auszugehen schien. Diese Berücksichtigung nicht unmittelbar (mikro-)ökonomischer Aspekte bei der Auslegung dieser Grundnorm des WTO-Rechts ist der bisher wohl deutlichste Beweis der Einordnung des WTO-Rechts in das gesamte Völkerrecht mittels koordinationsfreundlicher Auslegung und bestätigt die Bedeutung des Verbots der "klinischen Isolation"399 des WTO-Rechts vom Völkerrecht. Aus all diesen Gründen hob der AB die Feststellung des Panel, gesundheitsgefahrlieber Asbest(-Zement) und harmloser Nichtasbest(-Zement) seien gleichartig, auf.400 Dabei lehnte er das Argument des Panel ab, der Berücksichtigung von Gesundheitsrisiken im Rahmen des Art. III GATI stehe der Effektivitätsgrundsatz entgegen, da die Rechtfertigungsnorm Art. XX lit. b) GATI dann überflüssig würde. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt nach Ansicht des AB nur, daß Art. XX GATI Verletzungen anderer GATI-Artikel rechtfertigen kann, nicht aber, daß dies auch regelmäßig nötig ist.401 Die grundlegende Bedeutung einer (Nicht-)Berücksichtigung WTO-fremder, handelsverbundener Aspekte wie Gesundheits-/Umweltschutz bei der Interpretation der "Gleichartigkeit" von Waren verdeutlicht das weitergehende Einzelvotum eines AB-Mitglieds.402 Danach wurde nicht nur eine Gleichartigkeit des Asbest(-Zement) und des Nichtasbest(-Zement) nicht nachgewiesen, sondern wegen der erwiesenen hohen Gesundheitsrisiken von Asbest könne eine Gleichartigkeit in diesem Fall sogar ausgeschlossen werden.403 Die Ablehnung einer Feststellung der Ungleichartigkeit der 398 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 114: "This carcinogenicity, or toxicity, constitutes, as we see it, a defining aspect of the physical properties of chrysotile asbestos fibres .... We do not see how this highly significant physical difference cannot be a consideration in exarnining the physical properties . . .". 399 US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 19, unter Verweis auf Art. 3 Abs. 2 S. 2 DSU. 400 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 113-148; s. auch das Plädoyer für eine weitergehende direkte Verneinung der Gleichartigkeit im Sondervotum, paras. 152-154. 401 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 115. 402 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 149-154; das Mitglied blieb anonym. 13 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Waren durch die anderen beiden Mitglieder der zuständigen AB-Abteilung beruhe auf einer Betonung der grundlegenden Bedeutung des wirtschaftlichen Wettbewerbs für die Auslegung des WTO-Rechts. Dieses Beharren auf einer .,,fundamentally' economic interpretation" sei zweifelhaft, diese Interpretationsmaxime werde sich in künftigen Verfahren noch bewähren müssen. 404 c) Rechtfertigung nach Art. XX lit. b) GAIT Die Prüfung des Art. XX lit. b) GATT stellte zum einen klar, daß die Anforderungen an den Nachweis von Gesundheitsrisiken i. S. d. Art. XX lit. b) GATT der Dogmatik des SPS entsprechen. Zum anderen weichte der AB die Anforderungen an die Erforderlichkeit einer Handelsbeschränkung für den Bereich des Gesundheitsschutzes auf. Die Argumentation läßt erkennen, daß dies auch für Umweltschutzmaßnahmen gilt. Der AB bestätigte die Feststellung des Panel, daß die WTO-Mitglieder das Niveau des Gesundheitsschutzes selbst bestimmen können, daß sie aber nachweisen müssen, daß ein Gesundheitsrisiko überhaupt besteht.405 Dieser Nachweis muß das Risiko aber nicht quantifizieren, sondern kann sich auf qualitative Aspekte stützen.406 Ein qualitativer Nachweis muß nicht von der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung bejaht werden, es reicht die Stützung durch eine wissenschaftlich qualifizierte Minderheit.407 Diese Anforderungen orientieren sich entgegen dem Panel408 an der SPS-Dogmatik, wie der AB ausdrücklich feststellte. 409 Die Bedingung, daß ein Risiko nachgewiesen sein muß, ist in Verbindung mit den mäßigen Anforderungen an den Nachweis (Zulassung von Minderheitsmeinungen und einer Beschränkung auf Quali- statt Quantifizierung) ein tragbarer Ausgleich zwischen den oft divergierenden Primärzielen Handel und Umwelt. Das Genügenlassen von Minderheitsauffassungen dürfte helfen, eine Vorsorgepolitik bei Unsicherheiten über konkrete Risiken abzusichem.410 Bei der Prüfung der Erforderlichkeit des Importverbots lockerte der AB die Anforderungen an die Notwendigkeit von Handelsbeschränkungen: die 403 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 152: ,.. .. considering the nature and quantum of the scientific evidence showing . .. cacinogenicity, . . . .". 404 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 154. 405 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 157, 161-163, 168. 406 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 167. 407 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 178. 408 EC - Asbestos, WT/DS135/R, para. 8.180. 409 Dafür schon Marceau, in: ILA, 2000, S. 204. 410 Allerdings fehlt Art. XX GATT eine dem Art. 5 Abs. 7 SPS vergleichbare VorsorgeklauseL

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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Untersuchung der Zumutbarkeit einer Alternativmaßnahme sei ein Abwägungsprozeß, bei dem die Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts, das die einzuhaltende WTO-konforme nationale Norm schützen soll und das Ausmaß, in dem die Handelsbeschränkung zur Einhaltung dieser Norm beiträgt, zu berücksichtigen seien. 411 Je wichtiger das zu schützende Rechtsgut ist und je stärker die Handelsbeschränkung zu seinem Schutz beiträgt, desto eher ist die Handelsbeschränkung erforderlich.412 Der vorliegend bezweckte Schutz der Gesundheit diene einem Rechtsgut von höchstem Rang.413 Folglich lehnte der AB die Zumutbarkeit von Alternativen ab. 414 Die von Kanada vorgeschlagene Alternative einer ,,kontrollierten Nutzung" des Asbests sei nicht in gleichem Maße geeignet, das von Frankreich rechtmäßig gewählte Ziel der Ausschaltung jeglichen Risikos zu erreichen. Es verblieben Anzeichen, daß selbst bei sachgemäßer Kontrolle der Nutzung deutliche Restrisiken blieben.415 Daß zugelassene Alternativprodukte ebenfalls Risiken oder Gefahren aufweisen, sei irrelevant, zumindest wenn diese geringer sind, als bei dem beschränkten Produkt. 416 d) Nichtverletzungsbeschwerde gegen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes

"EC - Asbestos" ist der erste Fall, in dem der AB das Institut der Nichtverletzungsbeschwerde (NVC) anwendete.417 Den fehlenden Erfolg seiner Nichtverletzungsbeschwerde vor dem Panel griff Kanada nicht an, so daß 411 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 172: " ... the extent to which the alternative measure ,contributes to the realization of the end pursued' . .. ,(t)he more vital or important (the) common interests or values' pursued, the easier it would be to accept as ,necessary' measures designed to achieve those ends.", unter Verweis auf Korea- Beef, WT/DS161, 169/AB/R, paras. 162, 163, 166; da Frankreichs Importverbot den Asbesthandel völlig unterbindet, verschwieg der AB wohl aus rechtspolitischen Gründen das dritte Abwägungskriterium aus Korea - Beef, para. 163, das Ausmaß der Behinderung des Handels durch die angegriffene Maßnahme. 412 Trachtman, Asbestos, S. 6 f., sieht darin eine Angemessenheitsprüfung; s. aber 3. Kap. E. I. 2. a). 413 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 172: " ... the preservation of human life or health ... is both vital and important in the highest degree.". 414 Insbesondere sind Alternativen nicht nur dann unzumutbar, wenn sie praktisch unmöglich sind, EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 169. 415 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 174. 416 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 168. 417 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 185 f., unter Verweis auf acht Panel-Berichte.

13*

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

der AB nur über die Einwände der EGgegen die Anwendbarkeit des NVC entschied. Zunächst betonte der AB, daß NVC zurückhaltend anzuwenden seien.418 Trotzdem bejahte der AB ihre grundsätzliche Zulässigkeil neben der Rüge einer Verletzung des GATI, wegen des klaren Wortlauts des Art. XXIII Abs. I lit. b) GATI, wonach NVC auch auf GATI-widrige Maßnahmen anwendbar sind.419 Dies gilt auch für den Fall, daß eine Maßnahme durch Art. XX GATI gerechtfertigt ist. Der weite Wortlaut des Art. XXIII Abs. 1 lit. b) GATI ("any measure") verbiete eine Beschränkung des Anwendungsbereichs.420 Ohne daß es für die Entscheidung der Revision erforderlich gewesen wäre, stützte der AB aber das Argument der EG und des Panel, daß bei schweren Gesundheitsrisiken durch Waren schutzwürdige Interessen auf fortgesetzten Marktzugang ausscheiden.421 Somit wahrte der AB einen vergleichsweise weiten Anwendungsbereich der NVC, gab zugleich aber zu erkennen, daß an ihre Begründetheil hohe Anforderungen zu stellen sind. 4. Die Bedeutung des Berichts "EC - Asbestos" ist der erste Bericht, der nähere Ausführungen zum TBT macht. Dessen Anwendungsbereich beschränkt sich nicht nur auf positive Vorgaben für den Marktzugang, sondern umfaßt auch allgemeine Importverbote.422 Ob dieser weite Anwendungsbereich die Verfolgung ökologischer oder anderer Ziele erschwert, wird erst eine Auslegung des Art. 2 TBT in späteren Fällen423 erweisen. Nichtverletzungsbeschwerden (Art. XXIII Abs. 1 lit. b) GATI, Art. 26 DSU) sind zwar auch gegenüber nach Art. XX GATI gerechtfertigten Maßnahmen zulässig, die Rechtfertigung nach Art. XX GATI begründet aber eine besondere Beweislast des Antragstellers hinsichtlich einer Schutzwürdigkeit seines Vertrauens auf fortwährenden Marktzugang. Diese dürfte selten zu erfüllen sein. 424 Die Ausführungen der Revisionsinstanz zu Art. III Abs. 4 GATI sind von grundlegender Bedeutung nicht nur für den Bereich Handel/Umwelt, sondern für jegliche Ungleichbehandlung von Waren aufgrund politischer EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 186: " ... and exceptional remedy". EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 187. 420 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 188. 42 1 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 190. 422 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 69, 72; Shaw/Schwartz, JWT 36/1 (2002), s. 150 f. 423 EC - Sardines, WT /DS231, war bei Drucklegung noch nicht entschieden. 424 Noch strikter Bagwell/Mavroidis/Staiger, AJIL 96 (2002), S. 66. 418

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C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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Ziele.425 Die Revisionsinstanz sicherte der Gleichartigkeit einen weiten Anwendungsbereich, da nicht nur physisch gleiche, sondern entsprechend Art. III Abs. 2 S. 2 auch am Markt konkurrierende, substituierbare Waren gleichartig sein können.426 Andererseits bestätigte der AB, daß die vier Kriterien physische Eigenschaften, Endzweck, Verbraucherpräferenzen und Zollklassifikation nicht abschließend sein müssen, sondern auf die Kriterien des jeweiligen Falls abzustellen ist.427 Vorliegend bejahte der AB im Gegensatz zum Panel die Relevanz der Gesundheitsrisiken durch Asbest für die Frage der Gleichartigkeit im Rahmen der physischen Eigenschaften und ließ erkennen, daß Gesundheitsrisiken auch den Endzweck und die Verbraucherpräferenzen beeinflussen können. Aus all diesen Gründen hob der AB die Feststellung des Panel, gesundheitsgefährlicher Asbest(-Zement) und harmloser Nichtasbest(-Zement) seien gleichartig, auf.428 Diese für handelsverbundene Ziele offene Definition der Gleichartigkeit dürfte auch für die Gleichartigkeit i. S. d. Art. 2 Abs. 1 TBT gelten. Im Rahmen des Art. XX lit. b) GATT bestätigte der AB, daß zwar ein Nachweis eines Gesundheitsrisikos vorliegen muß, wie im SPS reicht aber eine qualitative Messung, die sich auf eine wissenschaftliche Minderheitsmeinung stützen kann.429 Beim Gebot der Erforderlichkeit der Beschränkung ist der AB von einer strikten Prüfung abgerückt und berücksichtigte die gesellschaftliche Bedeutung des verfolgten Ziels und das Ausmaß, in dem die Maßnahme zur Zielerreichung beiträgt.430 Dies hat neben dem Gesundheitsbereich gerade für den Umweltschutz eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.431 Diese Aufweichung des Erforderlichkeitsgebots anband der Kriterien der Bedeutung des mit der Beschränkung verfolgten Ziels und der Wirksamkeit der Beschränkung für die Erreichung dieses Ziels ist ein exzellentes Beispiel für die fortschreitende Koordination des WTO-Rechts mit anderen Vertragsordnungen. Sie erleichtert nämlich die Verfolgung dieser WTO-fremden Zwecke, sei es durch autonome nationale 425 Daher kritisch gegenüber dem Bericht Raghavan, Asbestos; wegen der funktionalen Gleichheit gelten die Feststellungen zu Art. III Abs. 4 GATI ebenso für das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. XVII Abs. 2, 3 GATS, s. US - Sect. 110(5) Copyright Act, WT/DS160/R, S. 49 Fn. 164, welchem ein weiter Anwendungsbereich zukommt, EC- Bananas, WT/DS27/AB/R, para. 220. 426 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 98 f. ; zu kritisch Winter, in: Dolde, s. 79 f. 427 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 101 f. 428 EC - Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 113-148; s. auch das Plädoyer für eine weitergehende direkte Vemeinung der Gleichartigkeit im Sondervotum, paras. 152-154. 429 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, paras. 167, 178; zum SPS s.u. VII. 3. b). 430 EC- Asbestos, WT/DS135/AB/R, para. 172. 431 Ausführlich zu dieser neuen Toleranz im Rahmen der Erforderlichkeil u. 3. Kap. E. I. 1. a) und NeumanniTürk.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Politik, sei es durch Maßnahmen im Rahmen WTO-fremder Vertragsordnungen. VI. Chile - Swordfish

1. Der Sachverhalt Art. 165 des Chilenischen Fischereigesetzes verbietet in Verbindung mit den Ausführungsverordnungen 430 und 598 ausländischen wie chilenischen Schiffen, auf Hoher See gefangenen Schwertfisch in chilenische Häfen anzulanden. Dies erschwert den Export der Fische in Drittstaaten. Chile beschuldigt ausländische Schiffe, auf Hoher See Schwertfische in einem rechtswidrigen Maße zu fangen, das die Bestände in Chiles Ausschließlicher Wirtschaftszone (AWZ) dezimiert und die Erhaltung der Art bedroht.

Der Schwertfisch (,,xiphias gladius") schwimmt zwischen der Hohen See und Chiles AWZ hin und her. Er ist eine weitwandernde Art i. S. d. Art. 64 Seerechtsübereinkommen (SRÜ) i. V.m. Abs. 13 SRÜ-Anhang I. Chile und die EG sind sowohl WTO-Mitglieder, als auch Parteien des SRÜ. Gemäß Art. 116 SRÜ und nach Völkergewohnheitsrecht dürfen alle Staaten auf Hoher See fischen, nach Art. 56, 61 f. SRÜ bestimmt der Küstenstaat aber über die Fischerei in seiner Wirtschaftszone. Die Art. 64, 118, 119 SRÜ verpflichten die Küstenstaaten und die Fischereistaaten zur Zusammenarbeit, um die Erhaltung der weitwandernden, grenzüberschreitenden Arten in den durchwanderten Wirtschaftszonen und in den Gebieten der Hohen See zu gewährleisten und ihre optimale Nutzung zu fördern. 432 Nach Ansicht der EG verletzt Chiles Landungsverbot die durch Art. V Abs. 1-3 GATI garantierte Transitfreiheit und in Art. XI Abs. 1 GATI enthaltene Importrechte.433 Wegen des unkooperativen Vorgehens Chiles, das über Strategien zum Schutz des Schwertfischbestands nicht verhandelt habe, und aufgrund der mangelnden Erforderlichkeit des Landungsverbots komme eine Rechtfertigung nach Art. XX lit. b), g) GATI nicht in Frage. Die EG bewirkte nach Scheitern diplomatischer Verhandlungen am 12.12.2000 die Einsetzung eines WTO-Panel434 trotz der seerechtliehen Prägung des Falles und der Absehbarkeit eines seerechtliehen Streitverfahrens (Art. 287 SRÜ).435 432 Brown, S. 228 f.; Guruswamy, MirutJGITr 7 (1998), S. 303; Joyner/De Cola, ODll.. 24 (1993), S. 106 f.; Mclaughlin, ELQ 21 (1994), S. 29-42. 433 Zu Art. V GATI ist bisher kein Panel-Bericht ergangen. 434 WT/DS19312; Auslöser war eine Beschwerde des Verbands spanischer Hochseefischer, ABlEG L 96/67, 18.4.2000.

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Chile betonte, das Landungsverbot solle die Fischereistaaten zu Verhandlungen über Erhaltungsmaßnahmen zwingen. Der Streit falle nicht in die Zuständigkeit der WTO, denn das SRÜ sei für Fragen des Hafenzugangs und der Fischerei Iex specialis zum GATT, so daß nur die SRÜ-Gerichte zuständig seien. Daher rief Chile im Sommer 2000 zunächst ein Schiedsgericht i.S.d. Art. 287 Abs. 3 SRÜ an, nachdem die EG am 19.04.2000 WTO-Konsultationen mit Chile über das Transitverbot begehrt hatte. Schließlich kamen die Parteien im Dezember 2000 überein, statt des Schiedsverfahrens den Internationalen Seegerichtshof (ISGH) anzurufen. Der ISGH setzte am 20.12.2000 eine fünfköpfige Kammer ein. 436 Am 25.01.2001 einigten sich die Parteien, daß Chile zunächst vier EG-Schiffen Zugang zu seinen Häfen gewährt und daß ein multilaterales Abkommen zur Bewirtschaftung und Erhaltung der Schwertfisch-Bestände ausgehandelt wird. Daraufhin setzten sie die Verfahren vor WTO und ISGH bis zur Umsetzung dieser Einigung aus. Sollte die Umsetzung scheitern, können die Verfahren durch einseitigen Antrag wieder aufgenommen werden.437 Die Einigung wurde nicht zuletzt durch die Angst vor der Zerreißprobe, die parallele Gerichtsverfahren und womöglich unvereinbare Urteile für WTO-Recht und Seevölkerrecht dargestellt hätten, begünstigt. Daher und wegen der jederzeit möglichen Wiederholung der neuen Problematik konkurrierender Streitverfahren werden nachfolgend die durch den "Schwertfisch-Fall" aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen zur Auslegung des GATI' unter Berücksichtigung des Seevölkerrechts untersucht. 438 2. Die in "Chile - Swordfish" aufgeworfenen Fragen In "Chile - Swordfish" geht es um den Konflikt zwischen den weitreichenden Transit- und Importrechten nach Art. V, XI GATT einerseits und dem Recht auf Beschränkung des Hafenzugangs zum Schutz bedrohter Fischarten andererseits.439 Sollte das WTO-Verfahren fortgeführt werden, 435 Daneben drohte Chile zeitweise mit der Beantragung vorläufiger Maßnahmen des Seegerichtshofs (Art. 290 Abs. 5 SRÜ). 436 ISGH-Beschluß 2000/3, http://www.un.org/Depts/los/ITLOS/SWORDFISH_ STOCKS.htrn (21.12.00). 437 WT/DS193/3: " .. ., the European Communities maintains the right to revive the proceedings at any time."; ISGH-Beschluß 2001/1, http://www.un.org/Depts/los/ ITLOS/Order1_2001Eng.pdf(22.03.01), Nr. 6: " ... , each Party reserved its right to revive the preceedings at any time"; Orrelana, ASIL Insight 2/2001. 438 Zum neuartigen Problem des Verhältnisses paralleler obligatorischer Streitverfahren s. 3. Teil. 439 Da die Art. 64, 116-119 SRÜ die Beschränkung des Hafenzugangs durch Chile nicht speziell erlauben oder gar fordern, fußt "Chile - Swordfish" nicht auf

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

wird das Panel prüfen müssen, ob Chiles Landungsverbot ein von Art. V, XI GATT umfaßtes Recht der EG auf Hafenzugang ihrer Schiffe verletzt (a), ob Chiles Verbot durch Art. XX lit. g) GATT gerechtfertigt ist (b) und ob es den Einleitungssatz des Art. XX GATT wahrt (c). Dabei verdeutlicht der "Schwertfisch-Fall", daß die in "US - Shrimp" von der WTO-Revisionsinstanz geprägte Obliegenheit440 der Importstaaten, gemäß des Einleitungssatzes des Art. XX GATI vor einer dem Schutz extraterritorialer Umweltgüter dienenden Beschränkung von Importen mit den Exportstaaten zu verhandeln, durch die in Art. 64, 116-119 SRÜ und im VN-Abkommen über die Erhaltung und Bewirtschaftung von vergesellschafteten Fischbeständen und weit wandemden Fischarten441 statuierten Kooperationspflichten näher bestimmt wird. Somit konkretisiert das Seevölkerrecht die genauen Bedingungen der Anwendung des WTO-Rechts.442

a) Hafenzugang als Teil der Transitfreiheit des Art. V GATT Das SRÜ gewährt fremden Schiffen kein allgemeines Recht auf Hafenzugang.443 Allerdings werden solche Zugangsrechte in vielen Handels- und Schiffahrtsverträgen festgeschrieben, die meist ein Diskriminierungsverbot gegenüber ausländischen Schiffen und eine Meistbegünstigungsklausel enthalten.444 Art. V GATI enthält darüber hinausgehende Zugangsrechte. Seine Abs. 1 und 2 beziehen Wasserfahrzeuge ausdrücklich in die Transitrechte ein.445 Daher besteht aufgrund der Durchfuhrfreiheit gemäß Art. V Abs. 2 S. 1 GATT ein Zugangsrecht zu den chilenischen Häfen, das auch die von den einem direkten Konflikt zwischen WTO-Recht und dem SRÜ, das Ziel der Art. 64, 116-119 SRÜ ist bei der Auslegung des GATT aber zu beachten. 440 US- Wool Shirts, WT/DS33/AB/R, S. 16, über Art. XX GATT: " ... limited exceptions from obligations ... , not positive rules establishing obligations in themselves."; US- FSC, WT/DS108/AB/RW, para. 127. 441 ILM 34 (1995), 1569 ff. 442 Zur Frage, ob das GATT sich auf eine Entscheidung des Seegerichtshofs im Schwertfisch-Fall auswirken würde s. Neumann, ZaöRV 61 (2001), S. 541, 543. 443 Brown, S. 38: "As a general rule there is no right of navigation for foreign ships through internal waters." ; das Recht der friedlichen Durchfahrt (Art. 17-26 SRÜ) gewährt keinen allgemeinen Hafenzugang, Seidl-Hohenveldem/Stein, Rn. 1199; Art. 23 Abs. 4 des VN-Abkommens über weitwandernde Fischarten, ILM 34 (1995), S. 1569 ff., betont die nationale Souveränität über Häfen. 444 So z. B. Art. 2 des Statuts über Seehäfen (1923), s. Brown, S. 38; Chile verletzte das Diskriminierungsverbot nicht, da es nur traditionellen chilenischen Schwertfischbooten mit geringer Fangmenge Zugang gewährte, aber industrielle chilenische Schiffe genauso aussperrte, wie ausländische Industrieschiffe. 445 Art. V Abs. 7 GATT schließt nur Luftfahrzeuge aus, nicht Schiffe.

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Schwertfischern benötigte Um- und Einladung, Umpackung oder Änderung der Beförderungsart umfaßt. Diese Durchfuhrfreiheit verbietet gemäß ihrem Wortlaut und Zweck grundsätzlich jegliche Begrenzungen, da der Transitstaat den Handel Dritter nicht beeinträchtigen darf, soweit nicht Ausnahmen (Art. XX, XXI GATT) greifen. 446 Eine Verdrängung des Art. V GATT durch die Art. 17-26 SRÜ als Spezialregelungen kommt im Rahmen der WTO schon wegen der Begrenzung der anwendbaren Normen auf WTO-Recht (Art. 1 DSU) nicht in Frage. Stattdessen ist Art. V GATT Iex specialis zu Art. 17-26 SRÜ, da er spezielle Transitrechte festschreibt. Eine einschränkende harmonisierende Auslegung des Art. V GATT im Lichte der Art. 17 ff. SRÜ scheitert an seiner Spezialität und seinem klaren Wortlaut. Folglich verletzt Chiles Landeverbot den Art. V GATT. b) Das Landungsverbot als Maßnahme i. S. d. Art. XX lit. g) GAlT

Das Landungsverbot könnte aber gemäß Art. XX lit. g) GATT gerechtfertigt sein.447 Die Voraussetzungen ökologisch motivierter Transitbeschränkungen unter dem GATT und dem SRÜ ähneln sich. Bedrohte Bestände lebender Tiere sind erschöpfliehe Naturschätze i. S. d. Art. XX lit. g). 448 Die Transitbeschränkung geht auch mit einer parallelen Beschränkung der Einfuhr bzw. des Transits von durch chilenische Schiffe gefangene Schwertfische einher. Sie dient auch zumindest hauptsächlich der Bestandserhaltung, insbesondere in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), nicht dagegen der protektionistischen Beschränkung des EG-Transits. 449 Schließlich besteht auch eine hinreichende Verbindung zwischen den extraterritorialen Schwertfischen und dem regelnden Importstaat Chile, um Chiles Rechtsetzungshoheit zu begründen, da die Schwertfische sich als weitwandemde Ar446 Die Aufzählung bestimmter verbotener Diskriminierungsgründe in Art. V Abs. 2 S. 2 ist wohl nur eine deklaratorische Bekräftigung, erlaubt aber keine Beschränkung aus anderen Gründen; Art. V Abs. 3 läßt nur Zollverstöße als Grund für Beschränkungen zu. 447 Auch Art. XX lit. b) GATI käme in Frage, ist wegen der nötigen Erforderlichkeit aber schwieriger zu erfüllen, Korea- Beef, WT/DS161, 169/AB/R, para. 161 Fn. 104; US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 17 f.; US - Shrimp, WT/DS58/ AB/R, paras. 125-145. 448 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 129-132. 449 Bedenklich ist aber, daß Chiles Landungsverbot für jeglichen auf Hoher See gefangenen Schwertfisch gilt, nicht nur für solchen, dessen Fang Nachhaltigkeilsquoten untergräbt; dies ähnelt dem herkunftsabhängigen US-Importverbot, das auch schildkrötenunschädlich gefangene Shrimp aussperrte, US- Shrimp, WT/DS58/AB/ R, paras. 164 f.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

ten zumindest zeitweise in Chiles AWZ aufhalten. 450 Aus all diesen Gründen sind die Bedingungen des lit. g) erfüllt.

c) Auslegung des Einleitungssatzes des Art. XX GATT unter Beachtung des Seevölkerrechts Die Auslegung des Einleitungssatzes von Art. XX GATI durch den AB in "US - Shrimp" betonte den Vorrang kooperativer Lösungen durch Verhandlungen mit den Exportstaaten, wenn es um den Schutz extraterritorialer Güter geht.451 Abgesehen von der Diskriminierungsfreiheit und der Ernsthaftigkeit der Verhandlungen machte der AB in "US - Shrimp" aber keine näheren Vorgaben.452 Ein WTO-Verfahren "Chile - Swordfish" hätte die Gelegenheit gegeben, das Verhandlungserfordernis anband spezieller Kriterien sachlich einschlägiger WTO-fremder Verträge, hier des Seevölkerrechts, zu spezifizieren, denn die Art. 64, 118, 119 SRÜ verpflichten Küstenstaaten, zur Erhaltung von Fischbeständen in AWZ und auf Hoher See mit den Fischereistaaten zusammenzuarbeiten. Genauere Vorgaben macht das SRÜ zwar nicht.453 Solche finden sich aber im VN-Abkommen über weitwandernde Fischarten (FA),454 das der Umsetzung der Art. 64, 116-119 SRÜ dient. aa) Die Relevanz des VN-Fischereiabkommens Die Relevanz des Fischereiabkommens zur Auslegung des Art. XX GATT könnte aber abzulehnen sein, weil es bei Beginn des WTO-Panelverfahrens noch nicht in Kraft war und weil es zwar von der EG, nicht aber von Chile unterzeichnet wurde. Das baldige lokrafttreten des FA war aber abzusehen, da wenige der gemäß Art. 40 FA nötigen 30 Ratifikationen der 59 Unterzeichner fehlten. 455 Zudem hatten die EG und mehrere EG-Mitgliedstaaten das FA bereits ratifiziert, sie werden die Urkunden aber erst gemeinsam mit den übrigen Mitgliedstaaten hinterlegen. 456 Der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Handelsmaßnahme entscheidende Zeitpunkt ist nicht die Beantragung eines Panel, sondern die letzte mündliche Vgl. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 133. US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 166-171. 452 Marceau, JWT 33/5 (1999), S. 105: " ... the AB provided governments with little guidance ...". 453 Balton, ODIL 27 (1996), S. 129; Beyerlin, Rn. 230; Ziemer, S. 52. 454 ILM 34 (1995), S. 1569 ff. 455 Das VN-Fischereiabkommen ist am 12.12.01 in Kraft getreten. 456 ABlEG 1998 Nr. L 189, S. 14 f. 450 451

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Verhandlung.457 Aber auch wenn das FA nicht mehr während des Panelverfahrens in Kraft getreten wäre, wäre seine Beachtung möglich gewesen, denn es ist das vom Großteil der betroffenen Staaten anerkannte Modell des kooperativen Schutzes weitwandernder Fischarten.458 Entsprechend hat das WTO-Panel "US - Sect. 110(5) Copyright Act" den bei der Streitentscheidung noch nicht in Kraft getretenen WIPO-Urheberrechtsvertrag bereits herangezogen, um das WTO-Abkommen über Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) auszulegen. 459 Daher steht das fehlende Inkrafttreten eines WTOfremden Abkommens seiner Relevanz für die Auslegung des WTO-Rechts nicht entgegen.460 Zur fehlenden Unterzeichnung bzw. Ratifikation des FA durch Chile ist festzustellen, daß das FA kein Gewohnheitsrecht reflektiert, da der Schutz weitwandernder Fischarten bisher keiner näheren Regelung unterlag, und das FA die allgemeingehaltenen Art. 64, 11~118 SRÜ konkretisieren soll. Chile wird auch nicht allein aufgrundseiner Bindung an das SRÜ automatisch an das FA gebunden. 461 Allerdings werden die für Chile obligatorischen Art. 64, 11~118 SRÜ gerade durch das FA konkretisiert.462 Dieses ist das vom Großteil der internationalen Gemeinschaft akzeptierte Modell für den kooperativen Schutz weitwandernder Fischarten. Die Revisionsinstanz der WTO hat bereits in "US - Shrimp" ihre Bereitschaft erkennen lassen, Umweltabkommen, die eine globale Ordnungsfunktion aufweisen, zur Auslegung des GATT heranzuziehen, auch wenn nur einige der Streitparteien durch diese gebunden waren.463 Dies verdeutlicht die Wirkung, die solche globalen Ordnungsverträge auch gegenüber Nichtparteien entfalten können. 464 457 Aufgabe der Panelverfahren ist nämlich nicht die Feststellung vergangeneo Unrechts, sondern die "zufriedenstellende Regelung der Angelegenheit" für nach der Entscheidung stattfindenden Handel, Art. 3 Abs. 4, 7; Art. 19 Abs. 1 DSU; Jansen, EuZW 11 (2000), S. 577; Australia- Automotive Leather, WT/DS126/RW. 458 Boissan de Chazoumes, EJIL 11 (2000), S. 331; Nordquist, VirgJIL 40 (2000), S. 1167; Ziemer, S. 290 f. 459 US- Sect. 110(5) Copyright Act, WT/DS160/R, paras. 6.67-6.70. 460 Ebenso Bree, Waste, S. 275; für das Seevölkerrecht meint Freestone, YIEL 10 (1999), S. 31, daß das VN-Fischereiabkommen bereits jetzt Maßstab der Auslegung des SRÜ ist; dafür spräche seine Erwähnung in den Sep. Op. der ISGH-Richter Laing und Treves in "Southern Bluefin Tuna". 461 Ziemer, S. 176. 462 Oxman, AJIL 95 (2001), S. 305; Boissan de Chazoumes, EJIL 11 (2000), S. 331; Nordquist, VirgJIL 40 (2000), S. 1167; Ziemer, S. 290 f. 463 US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, para. 130 Fn. 110 f. bzgl. SRÜ und KBV. 464 Sands, EJIL 11 (2000), S. 300; Brunnee, ZaöRV 49 (1989), S. 791-808; Chamey, AJIL 86 (1993), S. 529-551; Delbrück, in: Götz, S. 17 ff.; Kiss, RdC 175 (1982-11), S. 99-256; Simma, RdC 250 (1994-VI), S. 217-384; Tomuschat, RdC 241 (1993-IV), S. 199-274; sowie die Beiträge in: Delbrück (Hg.): International

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Das FA dürfte damit zumindest als "soft law" zur Auslegung des Einleitungssatzes des Art. XX GATI herangezogen werden.465 Zum einen hatten das Panel und die Revisionsinstanz in "US - Shrimp" das allgemeine Erfordernis der Verhandlungen ebenso aus Umweltabkommen abgeleitet, die thematisch auf den Sachverhalt paßten. Zum anderen sollte das generalklauselartige Verbot ungeiechtfertigter oder willkürlicher Diskriminierung des EiDleitungssatzes des Artikel XX GATT unter Beachtung der speziellen Vorgaben der für den jeweiligen Sachverhalt einschlägigen Völkerrechtssätze ausgelegt werden. Dies rationalisiert die Maßstäbe, vermeidet widersprüchliche Pflichten der Staaten und begrenzt den Übergriff der bei Handelsbeschränkungen umfassend zuständigen WTO-Panel auf andere Vertragsregime und bewirkt so die Integrität der verschiedenen Vertragsordnungen.466 bb) Die Bedeutung der Art. 7 Abs. 4, 5, Art. 23 Abs. 3 VN-Fischereiabkommen für die Auslegung des Art. XX GATT Die Art. 7 Abs. 2, 3, Art. 8 des VN-Fischereiabkommens statuieren die Kooperationspflicht aller betroffenen Staaten zur Erhaltung der Bestände durch Einigung auf Erhaltungsmaßnahmen innerhalb einer angemessenen Zeit.467 Falls innerhalb eines angemessenen Zeitraums keine Einigung über gemeinsame Maßnahmen zustande kommt, ist für Schutzmaßnahmen ein ,Legislation' in the Public Interest, 1997 und in: Tomuschat/Neuhold/Kropholler (Hg.): Völkerrechtlicher Vertrag und Drittstaaten, 1988; dementsprechend bejaht Ziemer, S. 290 f., die mittelbare Bindungswirkung des FA. 465 Zwar hatte die EG ihre Ratifikationsurkunde noch nicht hinterlegt, Chile hatte nicht einmal unterzeichnet; als multilaterales Abkommen universellen Anspruchs könnte das FA aber gemäß "US - Shrimp", WT/DS58/AB/R, para. 130 Fn. 110113, auslegungsleitend sein; bereits die Art. 45 Abs. 1 lit. a) x), Art. 70 Abs. 1 lit. d) der Havanna-Charta sahen einen Vorrang von Verträgen vor, die dem Schutz weitwandernder Fische dienen; auch wenn ITO-Mitglieder durch die Verträge nicht gebunden waren, konnte diesen Verträgen der Vorrang gegenüber der ITO eingeräumt werden. 466 Eine solche koordinierte Auslegung wird auch für die Beurteilung der Erforderlichkeil von Beschränkungen (z.B. Art. XX lit. a), b) d) GATT) gefordert, Esty, S. 121 f.; Gramlich, AVR 33 (1995), S. 154; Schmidt/Kahl, in: Rengeling, § 90 Rn. 113; Shih, JWT 30/3 (1996), S. 114; v. Bogdandy, EuZW 3 (1992), S. 246; Werksman, RECIEL 8 (1999), S. 260. 467 Dabei ist der Schutz der Bestände innerhalb der AWZ als Ziel der Schutzmaßnahmen auf Hoher See zu berücksichtigen (Art. 7 Abs. 2 lit. a), die Küstenstaaten haben aber kein Vetorecht beim Beschluß über gemeinsame Maßnahmen, Ziemer, S. 118 f.; zur Problematik unterschiedlicher Regelungskompetenzen bzgl. AWZ und Hoher See und zu Chiles Konzept des ,,Mar presencial": Orrego Vicuiia, ODIL 24 (1993), S. 84-90; Clingan, ODIL 24 (1993), S. 93-97; Joyner/De Cola, ODIL 24 (1993), S. 103-117.

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Gericht i.S.d. Art. 30 FA, Art. 287 SRÜ anzurufen (Art. 7 Abs. 4 FA). Chiles Vorgehen war aber trotz gewisser Kontakte mit der EG anscheinend zunächst unilateral. 468 Weder GATT, noch SRÜ regeln ausdrücklich, ob einstweilige unilaterale Schutzmaßnahmen in dringenden Fällen erlaubt sind.469 Art. XX GATT soll diese erlauben, wenn Verhandlungen mit dem Handelspartner nicht zustande kommen oder scheitem.470 Das SRÜ enthält nur allgemeine Kooperationspflichten, ohne zu regeln, unter welchen Bedingungen einseitige Maßnahmen bei fehlender Einigung auf gemeinsame Aktivitäten rechtmäßig sind. Gemäß Art. 7 Abs. 4 FA kann jeder Staat ein Gericht i.S.d. Art. 287 SRÜ anrufen, wenn innerhalb eines angemessenen Zeitraums keine Einigung über gemeinsame Maßnahmen ergeht. In der Zwischenzeit kann bei fehlender Einigung über vorläufige Schutzmaßnahmen gemäß Art. 7 Abs. 5 FA jeder Staat einstweiligen Rechtsschutz beantragen. Die im Entwurf des FA enthaltene Bestimmung, nach der bis zum Endurteil die vom Küstenstaat vorgeschriebenen Maßnahmen zu beachten sind, fand keinen Eingang in den Vertragstext.471 Dies spricht wie der Wortlaut und die systematische Stellung des Art. 7 Abs. 5 FA gegen die Zulässigkeit unilateraler vorläufiger Schutzmaßnahmen.472 Das FA verbietet daher bei fehlender Einigung der Küsten- und der Fischereistaaten einseitige Maßnahmen. Erst recht sind einseitige Maßnahmen nicht ohne vorherige Verhandlungen erlaubt. Dies wird durch Art. 23 Abs. 3 FA bekräftigt. Dieser erlaubt Landungsverbote und Transitbeschränkungen nur, wenn bewiesen ist, daß der Fang der Fische die Effektivität (sub-)regionaler oder globaler Schutzmaßnahmen untergräbt. Daher sind multilaterale Maßnahmen die Voraussetzung von Landungsverboten.

468 Am 14.08.2000 unterzeichneten Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru aber das "Galapagos Abkommen", das den Zugang zu Häfen an die Einhaltung der für AWZ und Hohe See geltenden nationalen Fischereigesetze bindet. 469 Der Zweck des Art. XX GATT und der Art. 63 f., 118 f. SRÜ spricht für ihre Zulässigkeit, allerdings nur als Notmaßnahmen. 470 So implizit US- Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 166-171. 471 Ziemer, S. 119. 472 Wortlaut und Systematik der beiden Sätze des Art. 7 Abs. 5 FA verdeutlichen, daß S. 2 nur vorläufige Maßnahmen eines Gerichts, nicht aber von (Küsten-)Staaten erlaubt; a.A. Orrego Vicuna, ODIL 24 (1993), S. 87, der ad hoc-Mitglied der für den Schwertfisch-Fall zuständigen ISOH-Kammer war.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

cc) Galapagos-Abkommen als Kooperationsabkommen i.S.d. Art. XX GATI, Art. 23 FA? Eine solche regionale Schutzmaßnahme könnte aber das am 14.8.2000 von Chile, Peru, Ecuador und Kolumbien geschlossene Galapagos-Abkommen zum Schutz der zwischen der Hohen See und ihren ausschließlichen Wirtschaftszonen hin und her wandemden Fischarten sein.473 Diese vier Staaten sind seit 1952 in der Permanenten Kommission für den Südostpazifik (CPPS) zusammengeschlossen. Da sie die gesamte Pazifikküste Südamerikas abdecken, können ihre Schutzmaßnahmen einen (sub-)regionalen Status i.S.d. Art. 1, 23 FA beanspruchen.474 Fraglich ist aber, ob die Verteilung der Entscheidungsbefugnisse unter dem Galapagos-Abkommen den Vorgaben von SRÜ und FA entspricht. Art. 8 Abs. 3 S. 2 FA gibt Staaten, die ein berechtigtes Interesse an Fischerei in einer Region haben, ein Beitrittsrecht zu dortigen Fischereiorganisationen. Die Bedingungen ihrer Beteiligung dürfen diese Staaten nicht von der Mitgliedschaft oder Beteiligung ausschließen (Art. 8 Abs. 3 S. 3 FA). Auch dürfen die Bestimmungen nicht auf diskriminierende Weise angewandt werden.475 Hierdurch soll die Offenheit der Organisationen garantiert werden, da sie mit Regelungsbefugnissen erga omnes ausgestattet sind. 476 Es gilt, eine gleichberechtigte Teilnahme von Küstenstaaten und Fischereistaaten zu ermöglichen und einseitige Interessenkartelle zu verhindern. Dem wird das Galapagos-Abkommen aber nicht gerecht, da es den Küstenstaaten ein Veto bezüglich Fischereiquoten und -Iizenzen einräumt.477 Somit enthält es eine mit dem FA unvereinbare Letztentscheidungsbefugnis der Küstenstaaten.478 Daher hätte das WTO-Panel bei Verweis Chiles auf das Galapagos-Abkommen als Kooperationsangebot i. S. d. Einleitungssatzes des Art. XX GATI entscheiden müssen, welchen Bedingungen die von der RevisionsZu diesem Abkommen Kibel, JoEL 12 (2000), S. 60 f. Art. 1 lit. b), d) FA beschreibt (sub-)regionale Vereinbarungen als kooperativen Mechanismus, mittels dessen zwei oder mehr Staaten SRÜ- und FA-konsistente Schutzmaßnahmen durchsetzen. 475 Zum Diskriminierungsverbot s. auch Art. 119 Abs. 3 SRÜ; Oxman, ZaöRV 55 (1995), s. 540. 476 Art. 8 Abs. 4 FA spricht Staaten, die regionale Vorgaben mißachten, ihre gemäß Völkergewohnheitsrecht und SRÜ bestehenden Fischereirechte in dieser Region der Hohen See ab; Art. 17 Abs. 4 FA erlaubt Maßnahmen gegen Schiffe von Nichtmitgliedern, De Fontaubert, Ocean Yearbook, 12 (1996), S. 87 f.; Juda, ODIL 28(1997), S. 155; Ziemer, S. 126, 171. 477 Kibel, JoEL 12 (2000), S. 60 f. 478 Deren Negierung durch Art. 8 Abs. 3 FA war der Hauptgrund für die Ablehnung des FA durch Chile. 473

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C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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instanz in "US - Shrimp" geforderten Verhandlungen unterliegen. Für die Gleichberechtigung von Küsten- und Fischereistaaten i. S. d. Art. 8 Abs. 3 FA spricht der Verfassungscharakter des Diskriminierungsverbots im WTORecht. Allerdings gilt das Diskriminierungsverbot nur zwischen Staaten, in denen gleichartige Bedingungen herrschen. Man könnte die Gleichartigkeit von Küsten- und Fischereistaaten verneinen, da die traditionellen Fischer der Küstenstaaten wegen ihrer geringen Mobilität auf das Überleben der einheimischen Bestände angewiesen sind, während die modernen Fabrikschiffe der Fischereistaaten nach Überfischung eines Gebiets weiterziehen können, so daß ihre Staaten ein geringeres Interesse an wirksamen Schutzmaßnahmen haben. Würde nur eine Letztentscheidungsbefugnis der Küstenstaaten die Fischbestände effektiv schützen, wäre das Galapagos-Abkommen mit Art. XX GATI vereinbar, da ineffektive Verhandlungsstrukturen, in denen die Fischereinationen wirksamen Schutz blockieren können, den Küstenstaaten nicht zuzumuten sind. Es gibt aber kaum Erkenntnisse über die (ln-)Effektivität von Fischereiorganisationen, in denen Küsten- und Fischereistaaten gleichberechtigt sind, die universellen Abkommen SRÜ und FA stellen alle Parteien gleich. 479 Entsprechend hatte die EG die Feststellung des Seegerichtshofs beantragt, ob das Galapagos-Abkommen SRÜ-konform ist. Da die Kooperationspflichten der Art. 64, 116--119 SRÜ nur allgemeingehalten sind, ist für die seevölkerrechtliche, wie für die WTO-rechtliche Beurteilung sehr wichtig, ob zur Auslegung der Art. 64, 116--119 SRÜ der Art. 8 Abs. 3 FA herangezogen wird, der genaue Bedingungen der Zusammenarbeit nennt. 3. Die Bedeutung von "Chile - Swordfish" Zwar ist aufgrund der Aussetzung der Streitverfahren bisher kein Panelbericht ergangen und es bleibt fraglich, ob das WTO-Verfahren je wieder aufgenommen wird. Der Sachverhalt verdeutlicht aber die materiellrechtliche und prozessuale Verknüpfung des WTO-Rechts mit WTO-fremden Verträgen, hier dem Seevölkerrecht Die Obliegenheit unter Art. XX GATI, vor der Beschränkung der Einfuhr von Waren zugunsten extraterritorialer Umweltgüter mit den Exportstaaten zu verhandeln, wird durch das Seevölkerrecht für den Schutz weitwandernder Fische konkretisiert. Danach sind Fischereiorganisationen zu errichten, in denen die Küstenstaaten und die Fischereistaaten gleichberechtigt verhandeln und entscheiden. Diese Kon479 Entsprechend hat Chile am 25.1.2001 der Aushandlung eines neuen, alle Parteien gleichberechtigenden Abkommens zugestimmt.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

kretisierungsfunktion dieser WTO-fremden Verträge wirft die Frage auf, ob WTO-Panel über die Geltung und die Bedeutung dieser Verträge entscheiden dürfen, ohne die Vertragsorgane dazu zu befragen. Schließlich belegt die parallele Anhängigkeit der "Schwertfisch-Verfahren" vor der WTO und dem Seegerichtshof erstmals die Bedeutung einer Klärung des Verhältnisses zwischen konkurrierenden obligatorischen Streitverfahren.480

Vll. EC - Hormones 1. Der Sachverhalt Aufgrund von Verbraucherprotesten gegen Hormonzusätze in Rindfleisch hat die EWG die erlaubten Mengen mehrerer Wachstumshormone in diesem Fleisch 1981 reduziert, seit 1986 sind diese Hormonzusätze gänzlich verboten. Die USA und Kanada befaßten hiermit schon 1987 erfolglos ein GATT-Panel unter Berufung auf einen Verstoß gegen das TBT 1979 und ergriffen anschließend Handelsmaßnahmen gegen die EWG. Nach Errichtung der WTO beantragten die USA und Kanada 1996 die Einsetzung eines Panel wegen des EG-Verbots von sechs Hormonen für die Rindermast Während die EG den Verdacht der Krebsrelevanz der Hormone betont, sehen die Kläger im Verbot eine protektionistische Abschottung des EG-Rindfleischmarkts.481 Ein Panel verhandelte beide Beschwerde in einem Verfahren (Art. 10 Abs. 4 S. 2 DSU), so daß die wissenschaftlichen Anhörungen für beide Beschwerden genutzt werden konnten und den Parteien besondere Beteiligungsrechte eingeräumt wurden. 482 Die zwei Berichte des Panel sind praktisch identisch, ihre wichtigsten Feststellungen zur Auslegung des SPS hat der AB jedoch als rechtsfehlerhaft aufgehoben. 2. Die Berichte des Panel "EC - Hormones" Das Panel wertete das Importverbot gegenüber mit einem oder mit mehreren der fünf Hormone behandeltem Rindfleisch als einen Verstoß gegen Art. 5, 3 Abs. 1 SPS, weil die Verschärfung der in dieser Frage nachgiebi480

s. 3. Teil, insb. 1. Kap. A. ill., C.; ausführlich Neumann, ZaöRV 61 (2001),

s. 548-572.

481 Zur wissenschaftlichen Einordnung der Hormone sowie zur Geschichte des Handelsstreits s. neben den Berichten von Panel und AB Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 156-159, 165 Fn. 88; Godt, EWS 9 (1998), S. 203. 482 EC- Hormones, WT/DS26/R/USA, paras. 8.14 f.; WT/DS48/R/CAN, paras. 8.14-8.20.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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geren internationalen Standards nicht hinreichend begründet sei. Die Übernahme internationaler Standards sei nach Art. 3 Abs. 2 SPS nämlich der Regelfall, von dem Staaten nur in besonders begründeten Ausnahmefällen abweichen dürften. 483 Das Verbot des sechsten, nicht harmonisierten Hormons verstoße gegen Art. 5 SPS, da keine richtige Risikoermittlung vorgelegen habe. Das Panel interpretierte die Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 zur Risikoermittlung sehr streng.484 3. Der Bericht des Appellate Body in "EC - Hormones" Der Bericht des AB klärte die Bedeutung internationaler Standards gemäß Art. 3 Abs. 1-3 SPS (a), die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1, 2 SPS an Risikoermittlungen (b), den Gehalt der Diskriminierungsverbote der Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS (c) und ordnete das Vorsorgeprinzip in das SPS ein (d). a) Internationale und nationale Standards (Art. 3 Abs. 1-3 SPS) Zur Bindungswirkung internationaler Standards entschied der AB entgegen dem Panel, diese seien gegenüber autonomen Standards der Mitglieder nicht im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses privilegiert. Die ersten drei Absätze des Art. 3 SPS unterscheiden drei verschiedene, gleichberechtigte Regelungsmethoden. Sind nationale und internationale Standards identisch, so spricht Abs. 2 eine (widerlegbare) Vermutung aus, daß die nationalen Standards für den Gesundheitsschutz notwendig und mit SPS und GATI vereinbar sind. Diese Vermutung zu erschüttern, dürfte regelmäßig besondere Anforderungen an die Beweisführung des Beschwerdeführers stellen. Orientieren sich nationale Maßnahmen gemäß Art. 3 Abs. 1 (nur) insoweit an internationalen Standards oder Empfehlungen, daß sie (nur) einige ihrer Werte oder Elemente übernehmen, so wird ihre Konformität mit SPS und GATT zwar nicht vermutet, die Beweislast für einen Verstoß verbleibt aber beim Beschwerdeführer und das Basieren auf internationalen Standards spricht prima facie für die SPS-Konformität. Gehen nationale Maßnahmen über internationale Standards hinaus, verlangt Art. 3 Abs. 3 die Einhaltung aller SPS-Vorgaben, insbesondere eine Wissenschaftliehe Rechtfertigung durch eine Risikoermittlung in Übereinstimmung mit 483 Dies ist vom AB als zu·restriktive Auslegung des Art. 3 SPS aufgehoben worden, EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 169-172. 484 Der AB hat dem in wichtigen Punkten widersprochen, EC - Hormones, WTI DS26, 48/AB/R, paras. 181-194. 14 Neumann

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2. Teil, l. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 SPS.485 Die prima fade-Beweislast liegt aber auch bei diesen Maßnahmen (anders als bei Art. XX GATI) zunächst beim Beschwerdeführer.486 Art. 3 Abs. 3 SPS erkennt ausdrücklich die nationale Kompetenz zur Festlegung des angemessenen Schutzstandards an, fordert jedoch die Einhaltung aller Normen des SPS, in praxi insbesondere der Vorgaben zur Risikoermittlung (Art. 5). Durch diese Qualifizierung der Erlaubnis nationaler Schutzpolitik soll verhindert werden, daß nationale Standards als willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung oder als verstecktes Handelshemmnis wirken. Dies sei auch das Ziel der vom SPS befürworteten internationalen Harmonisierung.487 Diese eher zurückhaltende Auslegung des Ziels der Harmonisierung, die durch Harmonisierung erreichbare Kostensenkungen und besseren Marktzugang kaum beachtet, und nur auf die Verhinderung willkürlicher oder ungerechtfertigter Diskriminierung bzw. versteckter Handelshemmnisse abzielt, ist bemerkenswert. Sie betont den weiten Umfang nationaler Spielräume der Gesundheitspolitik und bewirkt anders als der Panel-Bericht nicht eine Ausrichtung auf einen "grenzenlosen Weltbinnenmarkt"488 für Lebensmittel. Diese Korrektur des Panel durch den AB ist richtig angesichts der fehlenden unmittelbaren Verbindlichkeit der internationalen Standards489 und dem u. a. im Text der SPS-Präarnbel wiedergegebenen Willen der WTO-Mitglieder, die nationale Souveränität zur Bestimmung der Schutzziele der Gesundheitspolitik durch das SPS nicht zu beseitigen, sondern sie nur an wissenschaftliche Begründung, Konsistenz und Erforderlichkeil zu binden. Zu zurückhaltend werden die Anforderungen des SPS aber definiert, wenn sie nur als Diskriminierungsverbot in Entsprechung zu Art. III GA TI interpretiert werden.490 Zumindest dürfen die nötige Erforderlichkeit (Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2), wissenschaft485 EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 170-172; der AB stellte fest, daß die zwei in Art. 3.3 genannten Situationen, wissenschaftliche Rechtfertigung und Untauglichkeit des internationalen Standards zur Erreichung des nationalen Schutzniveaus, praktisch identisch sind (para. 176). 486 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 102, 104, 180; Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 162; unzutreffend Ginzky, S. 150. 487 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 173, 177. 488 Hierzu kritisch Hilf/Eggers, EuZW 8 (1997), S. 565 f. 489 So werden z. B. CAK-Standards erst durch eine innerstaatliche Umsetzung verbindlich. 490 So aber Godt, EWS 9 (1998), S. 204 Fn. 29: "Damit ist klargestellt, daß das SPS-Abkommen derselben Systematik wie das GATT folgt - und nicht etwa den Mitgliedsstaaten engere Regelungsspielräume setzt. Nach Art. III GATT sind nur solche Maßnahmen verboten, die andere Mitgliedsstaaten diskriminieren; ... "; zu weitgehend wiederum Weiß, EuR 34 (1999), S. 505, der aus dem SPS ein umfassendes Beschränkungsverbot entsprechend Art. 28 EG herausliest, aber verschweigt, daß der AB die entsprechenden Passagen des Panel-Berichts korrigierte.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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liehe Fundierung (Art. 5, 2 Abs. 2) und Konsistenz (Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3) von SPS-Maßnahmen als gegenüber dem GAIT spezielle SPS-Anforderungen nicht vergessen werden. Aufgrund der unzureichenden demokratischen Legitimation der internationalen Harmonisierungsgremien (insb. der CAK) und der geringen Transparenz ihrer Arbeitsweise ist zu begrüßen, daß der AB die fehlende direkte Bindungswirkung der internationalen Standards festgestellt hat.491

b) Die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1, 2 SPS an Risikoermittlungen Der AB stellte zunächst klar, daß das SPS entgegen der Interpretation des Panel (und entgegen der Differenzierung in Art. 15, 16 BiosicherheitsProtokoll) nicht zwischen Risikoermittlung und Risikomanagement unterscheidet, sondern nur von Risikoermittlung spricht. Gemäß Absatz 4 des SPS-Anhang A untersucht die Risikoermittlung das Schadenspotenzial von Zusätzen, Verschmutzungen, Giften oder Krankheitserregern in Essen, Getränken oder Futtermitteln für die menschliche oder tierische Gesundheit.492 Das Verfahren der Risikoermittlung ist nach Art. 5 Abs. 2 nicht auf Phänomene beschränkt, die im Labor exakt wissenschaftlich nachweisbar und quantifizierbar sind. Die nach wohlbegründeter Auffassung des AB nichtabschließende493 Aufzählung nennt beispielhaft Faktoren, die keiner Laboruntersuchung zugänglich sind. Die Risikoermittlung muß gerade auch Risiken der Alltagswelt berücksichtigen, um ihren Zweck zu erfüllen. 494 Daher kann auch das Risiko berücksichtigt werden, daß die Gesundheitsvorschriften von den Normadressaten mißachtet werden, z. B. Verletzung der "guten 491 Sollten die WTO-Mitglieder beschließen, diesen Standards eine direkte Bindungswirkung mittels SPS einzuräumen, was wegen der Vielschichtigkeit von Gesundheitspolitik grundlegenden Bedenken begegnen würde, sollten die Standards in einem transparenteren Verfahren durch eine demokratischer besetzte CAK neu beschlossen werden; vgl. Hilf/Eggers, EuZW 8 (1997), S. 565; Godt, EWS 9 (1998), s. 204 f. 492 Geht es nicht um Nahrungs- oder Futtermittel, so ist Risikoermittlung die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts, der Etablierung oder Ausbreitung einer Seuche oder Krankheit im Importgebiet unter Berücksichtigung der zu ergreifenden Abwehrmaßnahmen und prognostiziert die damit verbundenden potenziellen biologischen und ökonomischen Folgen (s. Abs. 4 SPS-Anhang A). 493 EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 187; Pauwelyn, JIEL 2 (1999), S. 648 zur Frage, ob die Kriterien abschließend sind: "lt may determine the future of the SPS Agreement.". 494 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 187: " ... the actual potential for adverse effects on human health in the real world where people live and work and die.". 14*

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

landwirtschaftlichen Praxis" durch Bauern oder Viehzüchter.495 Für die Bejahung eines Risikos muß kein quantitatives Minimum überschritten werden. Andererseits reicht für die Annahme eines Risikos die der Begrenztheit menschlichen Wissens immanente theoretische Möglichkeit unerkannter Risiken nicht aus.496 Ebensowenig ist es wissenschaftlich, wenn nur auf die Ablehnung der Hormonbeigabe durch die Verbraucher abgestellt wird.497 Prozedural erfordert Art. 5 Abs. 1 entgegen der Meinung des Panel nach Auslegung des AB nicht, daß das die SPS-Maßnahme ergreifende WTOMitglied vor Realisierung der Maßnahme eigene Risikoermittlungen geführt hat. Es reicht, wenn Ermittlungen anderer Staaten oder internationaler Organisationen berücksichtigt werden. 498 Es gebe auch keine prozedurale Pflicht, die Berücksichtigung der Risikoermittlung beim Beschluß über die Handelsmaßnahme nachzuweisen. Daraus folgt, daß für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme der Erkenntnisstand zur Zeit des Panelverfahrens entscheidend ist. 499 Für die materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme läßt es der AB genügen, wenn die Risikoermittlung die SPS-Maßnahme vernünftigerweise trägt und zwischen beiden ein rationales Verhältnis besteht.500 Nicht erforderlich ist, daß die Risikoermittlung zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt, daß mit der wissenschaftlichen Einschätzung, die der Maßnahme zugrundeliegt, völlig übereinstimmt. So kann es rechtmäßig sein, einer besonders vorsichtigen, wissenschaftlich fundierten Minderheit zu folgen, insbesondere bei schwerwiegenden Risiken für Leben oder Gesundheit.501 Andererseits kann nach Art. 5 Abs. 1 auf einen wissenschaftlichen Nachweis konkreter Anhaltspunkte für das Bestehen von Risiken nicht durch einen Verweis auf die theoretische Möglichkeit von Risiken oder auf fehlendes Gesamtwissen verzichtet werden. 502 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 206. EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 186. 497 So auch Quick/Blüthner, JIEL 2 (1999), S. 618. 498 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 188-190. 499 Pauwelyn, JIEL 2 (1999), S. 649. 500 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 193: " ... is a substantive requirement that there be a rational relationship between the measure and the risk assessment."; zur Anwendung dieser Vorgabe Australia- Salmon, WT/DS18/RW, paras. 7.78-7.83; Art. 5 Abs. 1 verlangt nicht die Erforderlichkeil der Maßnahme, dies tut Art. 5 Abs. 6, s. WT/DS18/RW, paras. 7.68 f. sot EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 194. 502 Zu vorläufigen Maßnahmen s. die Auslegung des Art. 5 Abs. 7 SPS in ,,Japan - Varietals", IX. 3. b); anders als das Biosicherheitsprotokoll erlaubt das SPS grundsätzlich keine Handelsbeschräkungen wegen unbewiesenen Risiken; kritisch z. B. Walker, CorniLJ 31 (1998), S. 305. 4 95

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C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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Der AB verneinte, daß die EG den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 SPS an eine umfassende Risikoermittlung nachgekommen sei. Die meisten, wenn nicht gar alle der von der EG vorgelegten wissenschaftlichen Studien hielten den Einsatz der Hormone für unbedenklich, wenn die gute Veterinärpraxis eingehalten wird. Zwar könne das Risiko ihrer Nichteinhaltung im Rahmen der Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 berücksichtigt werden, dies sei aber nicht geschehen, denn die EG-Studien seien mangelhaft und zu allgemein. Folglich verletze das Importverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch Art. 5 Abs. I.503 Insgesamt läßt sich feststellen, daß der AB die Anforderungen der Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 SPS an die Wissenschaftlichkeit relativ zurückhaltend ausgelegt hat, insbesondere im Vergleich zum Panel-Bericht.

c) Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung nach Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS Bezüglich des Verbots der Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS, in vergleichbaren504 Risikosituationen willkürlich oder ungerechtfertigt unterschiedliche nationale Maßnahmen zu ergreifen, die zu Diskriminierung oder einer versteckten Beschränkung des Handels führen, betonte der AB die Dreistufigkeit der Prüfung und korrigierte die Vermischung der Tatbestandsmerkmale durch das Panel. Erstens müssen unterschiedliche Schutzniveaus in vergleichbaren Situationen bestehen, zweitens muß dieser Unterschied willkürlich oder ungerechtfertigt sein, drittens muß der Unterschied eine Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung bewirken.505 Das Panel hatte die Verbote der Beigabe der sechs Hormone einerseits mit dem Unterlassen einer Regulierung natürlich auftretender Hormone in Fleisch und anderen Nahrungsmitteln verglichen, andererseits an der EGRegulierung der Schweinefutterzusätze Carbadox506 und Olaquindox gemessen. Die Unterschiede der zulässigen Mengen hatte das Panel als willkürlich und ungerechtfertigt eingestuft. Der AB wies die Vergleichbarkeit der Regulierung von durch den Menschen zugesetzten Stoffen mit der Regulierung von natürlich vorhandenen Stoffen aufgrund des ungleich größeren Reduzierungsaufwandes bei den letzteren mit ungewöhnlich scharfen Worten zurück507 und begrenzte so die gemäß Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 197-200, 206--208. EC- Hormones, WT/DS26/R, para. 8.176; WT/DS48/R, para. 8.179. 505 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 214. 506 Carbadox ist nach Ansicht der das Panel beratenden Gutachter genotoxisch, s. Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 165 Fn. 88. 507 EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 221: " ... to limit the residues of naturally-occuring hormones in food entails such a comprehensive and massive 503

504

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

SPS vergleichbaren Situationen in vernünftiger Weise. Der AB bejahte aber, daß die Differenzen zwischen der strengen Hormonregulierung und der Iaschen Regulierung gegenüber Carbadox und Olaquindox ungerechtfertigt sind. Im dritten Prüfungsschritt lehnte der AB eine Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung jedoch ab. Entscheidend sei die (primäre) subjektive Motivation für die Ungleichheit der Regulierungen. Im Fall des Rinderhormonverbots habe die EG auf die ablehnende Haltung der Verbraucher aufgrund des Hormonskandals Ende der siebziger Jahre und auf die möglichen Risiken aufgrund falscher Veterinärpraxis reagiert. Dies seien legitime Gründe, so daß eine protektionistische Absicht nicht festgestellt werden könne. 508

Das Abstellen des AB auf subjektive Merkmale für das Feststellen einer Diskriminierung oder eines verdeckten Handelshemmnisses stellt erhöhte Anforderungen an eine Verletzung des Konsistenzgebots des Art. 5 Abs. 5 SPS. Diese Absicht könne zwar durch objektive Tatsachen, wie große, unbegründete Regulierungsdifferenzen indiziert sein, im Gesundheitsbereich seien aber erhöhte Anforderungen zu stellen. Insbesondere wies der AB die vom Panel bejahte Übertragbarkeit der weniger strengen Kriterien zur Feststellung einer Diskriminierung von Produkten i. S. d. Art. m Abs. 2 GATI zurück.509 Insofern erscheint das Abstellen auf die subjektiven Beweggründe unter Beweisgesichtspunkten als problematisch und zu nachgiebig.510 Allerdings läßt sich diese Zurückhaltung des AB auch mit dem Auftrag des Art. 5 Abs. 5 SPS an die WTO-Mitglieder, genauere Leitlinien zur Anwendung des Art. 5 Abs. 5 zu entwickeln, erklären. Daß der AB die Ängste der Verbraucher gegenüber Hormonzusätze im Fleisch als rechtmäßigen Beweggrund für eine unterschiedliche Regulierung vergleichbarer Risiken im Rahmen des Art. 5 Abs. 5 SPS akzeptiert, ist rational, denn es berücksichtigt, daß Geschwindigkeit und Dichte von Regulierungspolitiken in Demokratien oft von nur begrenzt rationalen Prozessen der Informationsverbreitung und Meinungsbildung abhängen. Daß wissenschaftlich nicht belegbare Verbraucherängste nicht Vorschub für Protektionismus leisten, erreicht das SPS bereits über das Gebot des vernünftigen Verhältnisses zwischen Risikoermittlung und Maßnahme (Art. 5 Abs. 1 SPS).511 governmental intervention in nature and in the ordinary lives of people as to reduce the comparison itself to an absurdity.". 508 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 245; kritisch Victor, NYUllPaL 32 (2000), s. 926. 509 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 239. 510 Ebenso Godt, EWS 9 (1998), S. 208; dem AB beipflichtend: Eggers, EuZW 8 (1997), s. 150. 511 Quintillan, JWT 33/6 (1999), S. 169.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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In der Literatur wird die Konsistenzprüfung nach Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS zum Teil ebenso wie das Erfordernis der rationalen Beziehung zwischen Risikoermittlung und Maßnahmen i. S. d. Art. 5 Abs. 1 als eine Art Geeignetheilsprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gesehen.512 Hierbei sollte aber nicht an den Geeignetheilstest des deutschen und des EG-Rechts gedacht werden. Vielmehr geht es um eine Willkürkontrolle. d) Die Bedeutung des Vorsorgeprinzips im SPS

Während das Panel verneinte, daß das Vorsorgeprinzip bereits Teil des Völkergewohnheitsrechts oder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz sei, verzichtete der AB darauf, hierüber zu entscheiden. Das Vorsorgeprinzip habe in mehreren SPS-Normen Widerhall gefunden. Sowohl der sechste Erwägungsgrund der Präambel, als auch Art. 3 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1, 7 SPS enthielten Elemente der Vorsorge. 513 Entscheidend ist, daß der AB einerseits den Gehalt des Prinzips bei der Auslegung dieser Vorschriften berücksichtigt, dabei aber keine Abweichung von der klassischen Auslegungsmethode nach Art. 31, 32 WVK zuläßt, da er ein Heranziehen des Prinzips losgelöst vom Text des SPS ablehnt. 514 Diese Begrenzung bzw. Konkretisierung des Vorsorgeprinzips für das SPS durch Text und Systematik des Abkommens ist rational und verringert durch die vorsorgeorientierte Auslegung der Art. 3 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 SPS den Gehalt des Vorsorgeprinzips nicht. 515 Weniger überzeugend als das Ergebnis ist manche Argumentation des AB. Bei der Frage, ob das Vorsorgeprinzip Gewohnheitsrecht sei, unterschied er das Umweltvölkerrecht vom allgemeinen Völkerrecht und stellte für letzteres ein Fehlen der nötigen Rechtsüberzeugung fest. In ,,EC - Hormones" ging es aber vor allem um Gesundheitsschutz, für den Schutz der menschlichen Gesundheit ist die Anerkennung des Vorsorgeprinzips aber gesicherter als im Umweltschutz,516 wenn nicht als Gewohnheitsrecht, so als allgemeiner Rechtsgrundsatz. 517

Godt, EWS 9 (1998), S. 207. EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 124. 514 Bestätigt in Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, paras. 81-83. 515 Zum Vorsorgeprinzip im Gesundheits- und im Umweltrecht s. Godt, EWS 9 (1998), S. 205 f. m. w. N.; zur Regulierung bei mangelndem Wissen grundlegend Di Fabio. 516 Bejahend Cameron!Campbell, in dies., S. 218 f.; vorsichtiger Sands, Principles, S. 212; skeptisch Bimie/Boyle, S. 115-121. 517 Hughes, GlELR X (1997/98), S. 932; Godt, EWS 9 (1998), S. 205. 512 51 3

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

4. Die Bedeutung des Berichts In "EC - Hormones" finden sich grundlegende Feststellungen zur Auslegung zentraler Bestimmungen des SPS-Abkommens. Beruhen nationale Maßnahmen auf den Standards der führenden internationalen Gesundheitsabkommen, wird ihre SPS-Konformität vermutet. Gehen sie über diese Standards hinaus, so liegt die anfängliche Beweislast für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 zwar beim Beschwerdeführer, das verklagte Mitglied hat aber nachzuweisen, daß die Maßnahme auf einer Riskoermittlung beruht und daß sie in einem vernünftigem Verhältnis zum Ausmaß des Risikos steht. Durch Zulassung eines nicht quantitativ, sondern nur qualitativen bestimmten Risikos und die Akzeptanz wissenschaftlicher Minderheitsmeinungen wird im Rahmen des Art. 5 eine gesundheitsbewußte Politik ermöglicht.518 Dies gilt auch für die zurückhaltende Auslegung des Konsistenzgebots und des Verbots willkürlicher Diskriminierung (Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3). Die Revisionsinstanz hat hier ihren Auslegungsspielraum weitestmöglich genutzt, um die SPS-Bestimmungen "gesundheitsfreundlich" auszulegen.519 Problematischer aus Sicht der in WTO-fremden Gesundheits- und Umweltabkommen verankerten Ansätze des Vorsorgeprinzips520 ist die Verneinung einer vom Text des SPS unabhängigen Geltung des Vorsorgeprinzips. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist dies für das WTO-Recht gleichwohl zu begrüßen. Über die genauen Anforderungen an vorübergehende Vorsorgemaßnahmen gemäß Art. 5 Abs. 7 hatte der AB in "EC - Hormones" nicht zu entscheiden. Insgesamt ist der Bericht des AB anders als der Panelbericht ein ausgewogener Kompromiß zwischen der nationalen Souveränität über das Niveau des Gesundheitsschutzes und dem Erfordernis eines wissenschaftlichen Risikonachweises bei konkreten Handelsbeschränkungen.521

518 Godt, EWS 9 (1998), S. 202: "Die Ausführungen zum Risk-Assessment sind judizielle Pionierleistungen. ". 519 Ebenso Cass, EJIL 12 (2001), S. 62--{i4. 520 Z. B. in Art. 10 Abs. 6, Art. 11 Abs. 8 BSP, s. D. I. 6. b). 521 Cameron/Campbell, in: dies., S. 209: "The AB decision opens the door to a better integration of trade and environmental policy."; ähnlich lobend: Eggers, EuZW 9 (1998), S. 150 f.; Godt, EWS 9 (1998), S. 204, 209.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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VIII. Australia - Salmon

l. Der Sachverhalt

Kanada klagte gegen Australiens Importverbot gegenüber frischem, gekühltem und gefrorenem Lachs. Australien hatte auf Antrag Kanadas (gemäß Art. 5 Abs. 8 SPS) die Gesundheitsrisiken durch Pazifik-Lachs ermittelt und die Ergebnisse zur Begründung des Importverbots gegen Meerlachs und anderen Lachs benutzt. 2. Der Bericht des Panel "Australia - Salmon" Das Panel ging davon aus, Klagegegenstand sei das Importerfordernis der Hitzebehandlung des Lachses, da dieser sonst dem Importverbot unterfiele. Der AB korrigiert dies und bestimmte das Importverbot für nichterhitzten Lachs zum richtigen Klagegegenstand. 522 Bezüglich des Lachses, der nicht im Pazifik gefangen wurde und für den keine Risikoermittlung vorlag, bejahte das Panel einen Verstoß gegen die Risikoermittlungsnormen Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 SPS. Dies wurde von der Revision nicht angegriffen. Bezüglich des Pazifik-Lachses nahm das Panel an, die Risikountersuchung Australiens erfülle die Anforderungen der Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 SPS, obwohl die Untersuchung nur feststellte, daß ein Risiko besteht, nicht aber dessen Größe und die möglicherweise auftretenden Schäden. Daher wurde diese Feststellung vom AB aufgehoben, der eine Verletzung der Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 SPS bejahte (s. 3. b). Zu einer Verletzung des Konsistenzgebots des Art. 5 Abs. 5 SPS stellte das Panel fest, vergleichbare Risiken bestünden, wenn dieselbe oder eine ähnliche Seuche bzw. Krankheit droht oder wenn vergleichbare biologische oder wirtschaftliche Schäden zu erwarten sind. Dies wurde vom AB bestätigt. Ebenso war die Annahme des Panel weitgehend revisionsfest, die starke Differenz der Standards bei vergleichbaren Risiken und die fehlende Begründung einer Verschärfung der Schutzmaßnahmen führten zu einer versteckten Beschränkung des Handels i. S. d. Art. 5 Abs. 5 SPS. Das Panel nahm außerdem an, das Erfordernis der Hitzebehandlung sei handelsbeschränkender als notwendig und verletze Art. 5 Abs. 6 SPS, denn Australiens eigene Risikoermittlung nenne vier weniger beschränkende, aber gleichwirksame Alternativen. Der AB hob diese Feststellung auf, weil sie sich auf die Hitzebehandlung und damit auf den falschen Klagegegenstand bezog.

522

Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 105.

218

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

3. Der Bericht des Appellate Body in "Australia- Salmon" Der Bericht des AB machte grundlegende Ausführungen zum Verhältnis von Art. 5 und Art. 2 SPS (a), zu den Voraussetzungen korrekter Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 (b), zum Gehalt der Diskriminierungsverbote in Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 (c), und zur Erforderlichkeit gemäß Art. 5 Abs. 6 SPS (d). a) Das Verhältnis zwischen den besonderen Pflichten (Art. 5 SPS) und den allgemeinen Pflichten (Art. 2 SPS)

Der AB hatte Gelegenheit, seine Ausführungen in ,,EC - Hormones" zum Spezialitätsverhältnis zwischen Art. 5 und Art. 2 SPS zu bestätigen und zu spezifizieren. Ein Verstoß gegen die speziellen Risikoermittlungsanforderungen des Art. 5 Abs. 1, 2 bewirkt zugleich zwingend eine Verletzung des allgemeineren Art. 2 Abs. 2, der die Stützung von Maßnahmen auf wissenschaftliche Prinzipien vorschreibt; ebenso führt eine Verletzung des Art. 5 Abs. 5 automatisch zu einem Verstoß gegen Art. 2 Abs. 3 SPS. Andererseits können Verstöße gegen den breiteren Art. 2 Abs. 2 auch Art. 5 Abs. 1, 2 verletzen, aber nur, wenn sie sich speziell auf die Risikoermittlung beziehen, so daß ein Rückschluß von der allgemeineren Norm auf die speziellere nicht zwingend ist.523 Da die Anforderungen der allgemeineren Bestimmungen des Art. 2 über die des Art. 5 hinausgehen, darf ein Panel sich nicht mit der Feststellung der Verletzung eines Absatzes des Art. 2 aufgrund der Verletzung eines korrespondierenden Absatzes des Art. 5 begnügen, sondern muß auch prüfen, ob die über den Art. 5 hinausgehenden Anforderungen des Art. 2 SPS aus anderen Gründen mißachtet worden sind, wenn der Kläger dies behauptet.524 b) Korrekte Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 SPS

Während das Panel für die Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 SPS i. V. m. Abs. 4 SPS-Anhangs A die Feststellung genügen ließ, ob ein Risiko vorliegt bzw. der Eintritt von Schäden möglich ist, betonte der AB, daß diese Normen eine genaue Festlegung des Ausmaßes des Risikos erfordern. Der AB hält für diese Bestimmung aber eine qualitative Untersuchung ebenso für ausreichend, wie eine quantitative.525 Für die Bejahung eines Risikos muß kein quantitatives Minimum überschritten werden. 526 Dem523 524

525

Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 138. Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 248, 292. Australia - Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 123 f.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

219

nach erfordert eine Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 im Falle der Seuchenbekämpfung527 drei Schritte: erstens die Identifizierung der abzuwehrenden Krankheit/Seuche und der mit deren Ausbreitung verbundenen potenziellen biologischen und ökonomischen Konsequenzen; zweitens die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit der Ausbreitung der Krankheit und die damit verbundenen möglichen biologischen und ökonomischen Konsequenzen; drittens die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit der Krankheitsausbreitung bei Ergreifen der vorgesehenen Maßnahme.528 Australien versäumte es, die biologischen und ökonomischen Risiken abzuschätzen und die Effektivität seiner Gegenmaßnahmen zu bewerten und verletzte daher Art. 5 Abs. 1 SPS.529 Das Schiedspanel (Art. 21 Abs. 5 DSU), das über die nachgeholte Risikoermittlung entschied, stellte fest, daß Risikoermittlungen so objektiv sein müssen, daß begründetes Vertrauen in die Risikobewertung gerechtfertigt ist.530 Die Ermittlung muß vor Erlaß der Maßnahme vorliegen, da die Maßnahme auf sie zu stützen ist; eine vorherige Veröffentlichung ist aber nicht nötig. 531 Ist die Maßnahme wegen fehlender oder falscher Risikoermittlung rechtswidrig, kann die für eine korrekte Ermittlung nötige Zeitspanne die für die Umsetzung der DSB-Entscheidung zulässige Frist (Art. 21 Abs. 3 DSU) nicht verlängern.532

c) Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung nach Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS Bezüglich des Verbots der Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS, in vergleichbaren Risikolagen willkürlich oder ungerechtfertigt unterschiedliche nationale Maßnahmen zu ergreifen, die zu Diskriminierung oder versteckter Handelsbeschränkung führen, bestätigte der AB die dreistufige Prüfung des Panel und seines eigenen Berichts ,,EC - Hormones": erstens müssen unterschiedliche Schutzniveaus in vergleichbaren Situationen vorliegen, zweitens muß der Unterschied willkürlich oder ungerechtfertigt sein, drittens muß dieser Unterschied in eine Diskriminierung oder versteckte Handelsbe526 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 124; EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 186. 527 Risikoermittlungen bzgl. Futterzusätzen müssen weniger umfangreich sein als bzgl. Seuchen, Australia - Salmon, WT/DS18/AB/R, Fn. 69; kritisch Pauwelyn, JIEL 2 (1999), S. 647. 528 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 121. 529 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 128-138. 530 Australia- Salmon, WT/DS18/RW, paras. 7.48 f . 531 Australia- Salmon, WT/DS18/RW, paras. 7.76. 532 Australia- Salmon, WT/DS18/9, para. 36; EC - Hormones, WT/DS26/15, 48/13, para. 39.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

schränkung münden. 533 Hier machte der AB wichtige, über "EC - Hormones" hinausgehende Ausführungen zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen. Es besteht eine vergleichbare Situation, wenn ein vergleichbares Risiko der Etablierung bzw. Ausbreitung der gleichen oder einer ähnlichen Krankheit besteht oder wenn vergleichbare biologische oder ökonomische Konsequenzen eintreten.534 Die Auffassung Australiens, es müßten eine gleiche/ ähnliche Krankheit und vergleichbare biologische/ökonomische Konsequenzen existieren, lehnte der AB ab und wahrte so einen weiten Anwendungsbereich der Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS. 535 Dieser weite Anwendbarkeit wird dadurch gestärkt, daß es für die Vergleichbarkeit reicht, daß nur eine von mehreren Krankheiten vergleichbar ist. Erforderlich sei für die Rechtfertigung der vergleichbaren Maßnahme aber nicht, daß die bekämpfte vergleichbare Krankheit mit Sicherheit existiert, es reiche eine Risikovermutung. 536 Schwieriger als die Bestimmung der Vergleichbarkeit der Situation und der Willkürlichkeit oder fehlenden Rechtfertigung des Unterschieds im Schutzniveau gestaltet sich der dritte Prüfungsschritt, die Feststellung, ob die Ungleichbehandlung eine Diskriminierung oder versteckte Handelsbeschränkung darstellt. Obwohl diese Formulierung in Art. 2 Abs. 3, Art. 5 Abs. 5 SPS an den Einleitungssatz des Art. XX GATI angelehnt ist,537 suchte der AB hier anders als bei der Prüfung des Art. XX GATI nicht ausdrücklich nach einer Abwägung zwischen den Rechten des Exportstaats und denen des Importstaats.538 Der AB billigte stattdessen die Vorgehensweise des Panel, eine Gesamtwürdigung einzelner Kriterien vorzunehmen, die für eine Diskriminierung oder für eine Verdeckung einer Handelsbeschränkung sprechen. Solche Faktoren sind vor allem die Stärke des Unterschieds zwischen den Schutzniveaus, eine die fehlende wissenschaftliche Fundierung der Maßnahme bewirkende Verletzung des Art. 5 Abs. 1 SPS und die unbegründete Verschärfung von die Maßnahme vorbereitenden Empfehlungen, die für schwächere Maßnahmen plädiert hatten. 539 Der AB betonte, daß diese Indizien zu einer Gesamtwertung verbunden werden 533 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 142; EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 214. 534 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 146. 535 Laut Pauwelyn, JIEL 2 (1999), S. 654, ist der Anwendungsbereich dieses Diskriminierungsverbots daher weiter, als der des Art. ill Abs. 2, 4 GATT. 536 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 151 f. 537 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 251. 538 Vgl. US - Shrimp, WT/DS58/AB/R, paras. 151, 156, 159; Trachtman, Salmon, S. 4. 539 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 161-166, 171 f.; kritisch Charnovitz, Health.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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müßten und ein einzelnes Indiz kein ausreichender Beweis einer Diskriminierung oder versteckten Beschränkung sei. 540 Liegen aber mehrere objektive Indizien vor, spricht dies für die protektionistische Absicht des Importstaats. Demnach verletzte Australien auch Art. 5 Abs. 5 SPS.541 Der AB stellte fest, daß die Anforderungen des Art. 2 Abs. 3 SPS (als allgemeine Norm) über die des Art. 5 Abs. 5 SPS hinausgehen. Während sich Art. 5 Abs. 5 auf die Behandlung vergleichbarer inländischer Risiken bezieht, hat Art. 2 Abs. 3 für den Vergleich von Maßnahmen gegenüber vergleichbaren Importprodukten und einheimischen Produkten besondere Bedeutung, ähnlich den Art. I Abs. 1, Art. ill Abs. 4 GATI. 542 In "Australia - Salmon" stärkte der AB somit die Bedeutung der Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 SPS,543 nachdem der Sachverhalt und das Vorgehen des Panel in "EC - Hormones" zu einer eher restriktiven Auslegung der Vergleichbarkeit der zu regulierenden Sachverhalte Anlaß gegeben hatten.

d) Erforderlichkeil der Maßnahme gemäß Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2 SPS Bezüglich des Erfordernisses der Erforderlichkeit der Maßnahme (Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2 SPS) bestätigte der AB das dreistufige Vorgehen des Panel. Die Notwendigkeit der Maßnahme fehlt nur, wenn eine Alternative besteht, diese genauso wirksam das Schutzniveau erreicht und den Handel weniger beschränkt. Für die Frage nach einer weniger handelsbeschränkende Alternative ist die Fn. 3 zu Art. 5 Abs. 6 SPS zu beachten. Danach ist eine Maßnahme nur dann nicht erforderlich, wenn die technischen und wirtschaftlichen Erfordernisse der Alternative vertretbar sind (,,reasonably available taking into account technical and economic feasibility") und sie deutlich weniger handelshemmend ("significantly less restrictive") ist. Dies ist eine vergleichsweise hohe Anforderung an Alternativen, die den WTOMitgliedern eine nicht unerhebliche Fehlertoleranz sichert.544 Der AB betonte, daß Art. 5 Abs. 6 aber die Festlegung eines angestrebten Schutzniveaus vor Beschluß über die Schutzmaßnahme verlangt. 545 An 540 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 161; EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 240. 541 Zur Vereinbarkeit der geänderten Maßnahme mit Art. 5 Abs. 5 SPS: WT/ DS18/RW, para. 7.113. 542 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 251-255; dabei können Maßnahmen gegenüber Waren eines Landes mit Maßnahmen gegenüber ähnlichen, aber anderen Waren anderer Länder verglichen werden, Australia - Salmon, WT/DS 18/ RW, para. 7.112. 543 Kritisch Mavroidis, in: ILA 2000, S. 199: " ... intrusive ...". 544 s. aber zur Verletzung des Art. 5 Abs. 6 durch Teile der revidierten Maßnahme: WT/DS18/RW, paras. 7.129- 7.151.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

diesem Schutzniveau ist die Erforderlichkeit der Maßnahme dann zu messen, nicht dagegen an dem Schutzniveau, das die zu prüfende Maßnahme verwirklicht. 546 Als Schutzniveau kann auch eine völlige Ausschaltung von Risiken ("zero risk") durch ein Importverbot angemessen sein. Die Festlegung des angemessenen Niveaus liegt allein in der nationalen Kompetenz des WTO-Mitglieds.547 Wenn das Mitglied aber ein bestimmtes Risiko als sein Schutzniveau im Panelverfahren anerkennt, muß es sich hieran festhalten lassen und kann nicht mehr auf ein angeblich angestrebtes höheres Schutzniveau verweisen.548 Auch eine fehlende genaue Angabe des Schutzniveaus hindert eine Prüfung von Maßnahmen nicht. 549 Aufgrund der fehlenden Sachverhaltsaufklärung durch das Panel konnte der AB eine Verletzung des Art. 5 Abs. 6 SPS durch Australien nicht feststellen und urteilte, Kanada habe einen prima facie-Beweis für eine Verletzung nicht erbracht.550 4. Die Bedeutung des Berichts "Australia - Salmon" spiegelt einen ausgewogenen Mittelweg zwischen handelsfreundlicher und gesundheitsbewußter Auslegung des SPS wider. Der AB machte grundlegende Ausführungen zu den Voraussetzungen einer fehlerfreien Risikoermittlung (Art. 5 Abs. 1) und zu den Prüfungsschritten beim Konsistenzgebot (Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3). Hinsichtlich der Risikoermittlung bestätigte er, daß ein quantitativer Nachweis eines Mindestrisikos nicht erforderlich ist und daß auch Minderheitsmeinungen ausreichen. Daß nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Seuchenausbruchs, sondern auch das Ausmaß der damit verbundenen Schäden und die Erfolgswahrscheinlichkeit der handelsbeschränkenden Gegenmaßnahmen zu prognostizieren ist, schmälert die Möglichkeit, Gesundheitsrisiken abzuwehren, nicht. Hinsichtlich der für die Effektivität von Gesundheitspolitik wichtigeren Frage nach der Strenge des Erforderlichkeitsgebots bestätigte der AB den gesundheitsfreundlichen und autonomieschonenden Wortlaut der Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2, wonach die Alternative deutlich weniger handelshemAustralia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 203-206. Ansonsten könnte die Maßnahme bei völliger Ausschaltung von Risiken, z.B. durch Importverbot, nie auf ihre Erforderlichkeit geprüft werden; dies würde Art. 5 Abs. 6, Art. 2 Abs. 2 SPS ihrer Effektivität berauben. 547 Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 125. 548 Australia - Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 197-199; Trachtman, Salmon, s. 4. 549 Australia- Salmon, WT/DS18/RW, para. 7.129. 550 Australia - Salmon, WT/DS18/AB/R, para. 211; Teile der revidierten Maßnahme verletzten dagegen Art. 5 Abs. 6 SPS: WT/DS18/RW, paras. 7.129-7.151. 545

546

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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mend sein muß. Dagegen wahrte der AB einen weiten Anwendungsbereich des Verbots, in vergleichbaren Risikolagen willkürlich oder ungerechtfertigt unterschiedliche nationale Maßnahmen zu ergreifen, die zu Diskriminierung oder versteckter Handelsbeschränkung führen (Art. 5 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3). Folglich beruhte auch "Australia - Salmon" auf einer ausgewogenen Analyse des SPS.

IX. Japan- Varietals 1. Der Sachverhalt Das japanische Pflanzenschutzgesetz verbietet aus Quarantänegründen den Import von Pflanzen(-teilen) aus Gebieten mit Pflanzenkrankheiten. Zum Schutz vor Motten wurde u. a. der Import von acht verschiedenen Früchten aus den USA untersagt. Das Gesetz erlaubt aber eine Aufhebung des Verbots, wenn der Exportstaat nachweist, daß eine andere Quarantänemaßnahme gleichwirksam wie ein Verbot schützt. 551 Hierfür kommt vor allem eine Methylbromid552-Behandlung in Betracht, die praktisch 100% tötungssicher sein muß. 553 Das Pflanzenschutzgesetz fordert aber, daß jede einzelne Sorte554 ("variety") separat getestet werden muß; unzureichend ist die Übertragung der Ergebnisse einer Sorte auf andere Sorten derselben Art. 555 Dieses Erfordernis sortenspezifischer Tests verursacht jahrelange Forschung, so daß der Marktzugang für lange Zeit blockiert ist. Die USA beantragten 1997 die Einsetzung eines Panel und machten eine Verletzung der Art. 2 Abs. 2, Art. 4, 5 Abs. 1, 2, 6, Art. 7, 8 SPS und eine Nichtverletzungsbeschwerde nach Art. XXIII Abs. 1 lit. b) GATT geltend. 2. Der Bericht des Panel "Japan- Varietals" Das Panel berief zur Beurteilung der Erforderlichkeit des Testens der einzelnen Sorten der Früchte drei unabhängige Experten gemäß Art. 13 DSU, Art. 11 Abs. 2 SPS und legte diesen 19 Fragen vor. 556 Das Panel bejahte für vier Früchte eine Verletzung der Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 SPS, da Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 2.22-2.24, 8.9 f. Die Verwendung von Methylbromid muß zwar gemäß Art. 2H Montrealer Protokoll künftig verringert werden, hiervon nimmt sein Abs. 6 Quarantänemaßnahmen aber aus; das Panel betonte, sein Bericht beeinflusse die Rechte und Pflichten unter dem MP nicht, para. 8.119. 553 Japan- Varietals, WT/DS76/R, para. 2.23. 554 Japan - Varietals, WT/DS76/R, para. 2.17: "A category within a species, based on some hereditary difference.". 555 Zum Streitgegenstand: Japan- Varietals, WT/D_ S76/R, paras. 8.6-8.13. 556 Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 6.1-6.115. 551

552

224

2. Teil, I. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Japan keine Ermittlung des Risikos vorgenommen habe, das bei Unterlassen eines Testens jeder einzelnen Fruchtsorte existiere. Daher könne auch kein rationales Verhältnis zwischen der Risikoermittlung und der SPS-Maßnahme bestehen.557 Eine Rechtfertigung nach Art. 5 Abs. 7 SPS komme nicht in Betracht, da keine weiteren Risikoermittlungen und keine Überprüfung der Maßnahme vorgenommen wurden. 558 Gleichzeitig sei bzgl. dieser vier Früchte auch Art. 5 Abs. 6 SPS verletzt, da statt des Tests aller Sorten es nach Ansicht der Experten gereicht hätte, die Absorptionsschwellen der verschiedenen Sorten zu testen und die Quarantänemaßnahmen bei relevanten Unterschieden anzupassen.559 Für die Annahme einer Verletzung der Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 und des Art. 5 Abs. 6 SPS auch bzgl. der anderen vier Früchte reichten die Beweise nach Auffassung des Panel nicht. 560 Schließlich verletze die Nichtveröffentlichung des Testerfordernisses Art. 7 SPS i. V.m. Abs. l des Anhang B.561 Die Untersuchung einer Verletzung des Art. 8 SPS i. V. m. Anhang C sei deshalb unnötig. 3. Der Bericht des Appellate Body in ,,Japan- Varietals" Der Bericht des AB betrifft das Verhältnis von Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 SPS (a), klärt weitgehend die Anforderungen des Art. 5 Abs. 7 SPS an vorläufige Maßnahmen (b), sowie das Vorbringen von Alternativen gemäß Art. 5 Abs. 6 SPS und den Umfang der Veröffentlichungspflicht des Art. 7 SPS (c). a) Verhältnis zwischen Art. 2 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 SPS

Gemäß Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 SPS sind dauerhafte Handelsbeschränkungen nur erlaubt, wenn sie auf wissenschaftlichen Grundsätzen und Risikonachweisen beruhen. Das Panel prüfte anders als das Panel "Australia - Salmon" nicht, ob eine richtige Risikoermittlung nach Art. 5 Abs. 1 SPS vorlag, sondern beschränkte sich auf die Feststellung der Verletzung des allgemeineren Art. 2 Abs. 2 SPS, weil Japan überhaupt keine wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführt hatte. Der AB bestätigte dies als zulässig bezüglich vier der Früchte, weil das völlige Fehlen einer Risiko557 Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 8.15 f., 8.28-8.31, 8.42 f., 8.61 f. unter Bezug auf EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 193. 558 Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 8.56--8.58. 559 Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 8.101 f.; die von den USA vorgeschlagene Alternative, nur eine Sorte jeder Art zu testen, wies das Panel als nicht hinreichend sicher zurück, paras. 8.83 f. 560 Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 8.44 f., 8.104. 561 Japan- Varietals, WT/DS76/R, paras. 8.111, 8.116.

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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ermittlung eine genaue Prüfung an Art. 5 Abs. 1 SPS nicht erfordere. Für die bei vier anderen Früchten vorliegende Risikoermittlung erklärte der AB aber eine Prüfung an Art. 5 Abs. 1 SPS für notwendig und bestätigte den Drei-Schritt-Test aus "Salmon".562 Dessen Anforderungen erfüllte die japanische Risikoermittlung nicht.

b) Die Anforderungen an vorläufige Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 7 SPS Da Art. 2 Abs. 2 SPS einen wissenschaftlichen Nachweis nicht für vorläufige Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 7 SPS erfordert und Japan sich auf Art. 5 Abs. 7 berufen hatte, prüften Panel und AB dessen Anforderungen. Die Beweislast trägt der sich auf Art. 5 Abs. 7 SPS berufende Beklagte.563 Art. 5 Abs. 7 SPS enthält vier Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit vorübergehender Maßnahmen. Nach Satz 1 dürfen diese erstens nur in Situationen ungenügender wissenschaftlicher Informationen ergriffen werden und müssen zweitens auf die verfügbaren Informationen gestützt werden. Nach Satz 2 darf die Maßnahme drittens nur aufrechterhalten werden, wenn das sie verhängende WTO-Mitglied versucht, die für eine objektivere Risikoermittlung erforderlichen Informationen zu erlangen und wenn es viertens die Maßnahme innerhalb einer angemessenen Frist überprüft. 564 Die Angemessenheit der Überprüfungsfrist richtet sich nach den jeweiligen Umständen, insbesondere der Schwierigkeit, weitere Informationen zu erlangen und nach Art und Umfang der Maßnahme. Art. 5 Abs. 7 SPS sagt nicht, welchen Umfang die Resultate haben müssen. Er macht aber zur Bedingung, daß sie eine objektivere Risikoermittlung erlauben, also eine Beurteilung der Maßnahme aufgrund der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts565 und der Hochwertigkeit bzw. des Umfangs des Schutzguts566 . Im vorliegenden Fall verneinten Panel und AB, daß Japan sich auf Art. 5 Abs. 7 SPS berufen könne, da es jahrelang keine weiteren Informationen ermittelt und die Beschränkung nicht überprüft habe. 567 Dies klärte aber nicht, ob in Fällen wie "EC - Hormones", in denen zu zumindest abstrakten Risiken fortlaufend nach neuen Erkenntnissen geforscht wird, die Bedingungen des Art. 5 Abs. 7 erfüllt sein könnten. 568 Zum Teil wird die strikte Anwendung des Wortlauts des Art. 5 Abs. 7 SPS durch den AB als zu restriktiv gegenüber vorläufigen Schutzmaßnahmen im Sinne des Vor562 563

564 565 566 567 568

Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, para. 111. Pauwelyn, JIEL 2 (1999), S. 657. Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, paras. 89, 92 f.; l.Andwehr, S. 4. Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, para. 92. EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 194. Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, para. 93. Zedalis, JWT 3512 (2001), S. 345 f.: "tremendous uncertainty".

15 Neumann

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2. Teil, I. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Sorgeprinzips kritisiert. 569 Aber die vier genannten Voraussetzungen sind nötig, um den Mißbrauch des Art. 5 Abs. 7 SPS zu verhindern.570

c) Vorbringen von Alternativen (Art. 5 Abs. 6 SPS); Maßnahmen i. S. d. Art. 7 SPS Der AB hob die Feststellung des Panel auf, Art. 5 Abs. 6 SPS sei wegen fehlender Erforderlichkeit des Importverbots verletzt. Grund der Aufhebung war keine falsche Auslegung des Art. 5 Abs. 6, sondern der BeweislastGrundsätze571 des DSU. Ein Panel dürfe den Kläger nicht dadurch von seiner Beweislast entlasten, daß es Vorschläge für Alternativen, die nur die Sachverständigen, nicht aber der Kläger machen, berücksichtigt.572 Bezüglich der vom Kläger USA vorgeschlagenen Alternative, nur jede Fruchtart, nicht jede Sorte zu testen, war das Panel der Auffassung, die vorliegenden Beweise ließen eine Bejahung der gleicher Effektivität dieser Tests nicht zu. Der AB stellte klar, daß er nach Art. 17 Abs. 6 DSU keine Kompetenz zur Überprüfung der Sachverhaltsbewertung durch das Panel hat, solange dieses nicht vorsätzlich unzureichend ermittelt oder falsch bewertet.573 Schließlich bestätigte der AB die Auslegung des Panel, daß die nach Art. 7 SPS i. V. m. Abs. 1 SPS-Anhang B zu veröffentlichenden SPSMaßnahmen nicht nur solche sind, die verbindlich durchgeführt werden müssen, sondern auch solche, die durch alternative Maßnahmen verhindert werden können. 574 4. Die Bedeutung des Berichts Der Bericht "Japan - Varietals" des AB hat vor allem wegen seiner Beschreibung der genauen Anforderungen an vorläufige Schutzmaßnahmen i. S. d. Art. 5 Abs. 7 SPS Bedeutung. Der AB folgte dem Wortlaut, wonach strenge Anforderungen zu stellen sind und das Mitglied von sich aus versuchen muß, das nötige Wissen zu erlangen. Läßt sich innerhalb einer angemessenen Frist kein Risiko nachweisen, ist die vorläufige Beschränkung aufzuheben. Daneben enthält der Bericht eine wichtige Entscheidung zum Beweisrecht. Der AB verwarf die Feststellung einer Verletzung des Art. 5 Abs. 6 Boissonde Chazoumes, E.Jll. 11 (2000), S. 337. Alternativvorschläge bei Bohanes, ColumbiaJTransL 40 (2002), S. 337, 363 ff. 57 • US- Shirtsand Blouses, WT/DS33/AB/R, S. 14. 572 Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, para. 129. 573 Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, para. 98. 574 Japan- Varietals, WT/DS76/AB/R, paras. 105-108. 569

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C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

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SPS, denn die handelsfreundlichere Alternative war nicht vom Kläger, sondern von den Sachverständigen vorgeschlagen worden. Außerdem wird ein weiter Anwendungsbereich des Notifizierungsgebots des Art. 7 SPS festgestellt. Nach der Begutachtung von Maßnahmen zum Schutz menschlicher Gesundheit in "EC - Hormones" und der Bewertung von Beschränkungen zum Schutz tierischer Gesundheit in "Australia - Salmon" entschied der AB in ,)apan- Varietals" erstmals über Maßnahmen des Pflanzenschutzes. Diese drei sehr aufwendigen Verfahren575 haben zumindest die grundlegendsten Fragen zur Auslegung des SPS geklärt. Dabei hat der AB den WTO-Mitgliedern durch eine autonomie- und gesundheitsfreundliche Interpretation des SPS die Möglichkeiten einer effektiven Gesundheitspolitik bewahrt. Allein die zeitliche Begrenzung von Vorsorgemaßnahmen i. S. d. Art. 5 Abs. 7 ist bei Langzeitrisiken gesundheitspolitisch problematisch. Eine abweichende, vorsorgefreundlichere Auslegung wäre aber mit dem Wortlaut des Art. 5 Abs. I, 2, 7 kaum zu vereinbaren und würde protektionistische Tendenzen wohl übermäßig begünstigen. X. Fazit: Koordinationsfreundliche Methodik, WTO-Konformität umweltbezogener Handelsschranken

Die besprochenen Berichte lassen sich sowohl übergeordnet hinsichtlich der Koordinationsfreundlichkeit der angewandten Methodik und Prinzipien (1.), als auch konkret bezüglich der WTO-Konformität umweltfreundlicher Handelsbeschränkungen (2.) analysieren. l . Koordinationsfreundliche Auslegungsmethodik Die Berichte zeigen, daß die WTO-Revisionsinstanz sich anders als die meisten GATI-Panel der untrennbaren Zusammenhänge zwischen Handelspolitik und anderen gesellschaftlichen Belangen bewußt ist. Entsprechend bettet sie die Auslegung des Welthandelsrechts in den umfassenderen Zusammenhang des restlichen Völkerrechts ein und ermöglicht damit eine koordinative Vernetzung des WTO-Rechts mit anderen Vertragsordnungen.576 Das Verbot einer "klinischen Isolation" des GAIT vom allgemeinen Völkerrecht ("US - Gasoline") hat der AB in "US - Shrimp" beherzigt und umweltvölkerrechtliche Abkommen zur Auslegung des GATI herangezo575 Victor, NYUJILaP 32 (2000), S. 898: "The ,transaction costs' of interpreting the SPS Agreement through cases are extremly high". 576 Statt vieler Howse, AJIL 96 (2002), S. 109-ll2; Shaw/Schwartz, JWT 36/1 (2002), S. 148-152; Schoenbaum, in: Birnie/Boyle, S. 712 f. 15*

228

2. Teil, I. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

gen. Dadurch wurde einerseits eine weite Auslegung der "erschöpflichen Naturschätze" ermöglicht, andererseits wurde für den Schutz extraterritorialer Güter der Vorrang von Verhandlungen übernommen. Die Beachtung der gesellschaftlichen Bedeutung eines durch Handelsbeschränkungen zu schützenden Gutes im Rahmen des Art. XX lit. b) GATI ("EC - Asbestos") erleichtert die Rechtfertigung von durch WTO-fremde Verträge angeordneten oder erlaubten Handelsbeschränkungen. Diese Aufweichung des Gebots der Erforderlichkeil von Handelbeschränkungen relativiert den bisher strengen Prüfungsmaßstab hinsichtlich des wichtigsten Teils der im nationalen und im europäischen Recht für die Lösung von Güterkollisionen unabdingbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung. 577 Hinsichtlich des SPS hat die Revisionsinstanz zu Recht den reinen Empfehlungscharakter der Standards spezieller internationaler Gesundheitsgremien (CAK, IPPC) beibehalten und deren Modifikation durch Art. 3 Abs. 3 SPS zu quasi-verbindlichen Standards verneint (,,EC - Hormones"). Die Souveränität der WTO-Mitglieder hinsichtlich ihres gesundheitlichen Schutzniveaus bleibt gewahrt. Ein Risiko muß aber zumindest qualitativ durch eine Minderheitsmeinung nachgewiesen sein ("EC - Hormones", "Australia - Salmon"). Der Sachverhalt des ausgesetzten Verfahrens "Chile - Swordfish" verdeutlicht, daß die Obliegenheit der Importstaaten, vor einer Importbeschränkung zugunsten extraterritorialer Güter mit den Exportstaaten nach gemeinsamen Schutzmaßnahmen zu suchen, oft durch spezielle WTO-fremde Abkommen, hier das Seerecht, näher geregelt wird. Diese Regeln sollten bei der Auslegung des Art. XX GATI der Maßstab von Kooperationsmaßnahmen sein, um die Abkommen zu koordinieren. Die Relevanz dieser WTOfremden Regeln für das WTO-Recht wirft aber die Frage auf, ob WTO-Panel einseitig über ihre Einschlägigkeil zwischen den Parteien und über ihre normative Bedeutung entscheiden dürfen oder ob dies nicht, soweit möglich, einer Entscheidung eines Organs dieser anderen Vertragsordnung vorbehalten bleiben muß. 578 2. Die WTO-Konformität umweltbezogener Handelsbeschränkungen Die Berichte, insbesondere "US - Gasoline", verdeutlichen, daß Handelsbeschränkungen zum Schutz der inländischen Umwelt durch das WTORecht kaum echten Hindernissen unterliegen. Die Erweiterung der Auslegung der lit. b), g) des Art. XX GATI durch die Revisionsinstanz schafft hinreichende Rechtfertigungsmöglichkeiten für Verletzungen des GATT. Näher dazu 3. Kap. E. I. 1. s?s Näher dazu 3. Teil 5. Kap. A. I. 1.

577

C. Berichte von GATI-/WTO-Paneln zu Handel und Umweltschutz

229

Die Kontrolle bezieht sich neben der wahrhaftigen Ausrichtung der Beschränkung auf Umweltschutz (lit. g) bzw. neben ihrer Erforderlichkeit (lit. b) auf die konkrete Anwendung der beschränkenden Norm. Das Verbot der unbegründeten Schlechterstellung fremder gegenüber inländischen Herstellern oder Konkurrenten aus anderen Staaten im Einleitungssatz des Art. XX GATI kann die Kooperation des Einfuhrstaats mit dem Exportstaat beim Vollzug der Umweltschutznormen erfordern. 579 Das Gebot der Erforderlichkeil (lit. b) hat der AB in "EC - Asbestos" durch die Bezugnahme auf die Bedeutung des zu schützenden Gutes bei der Frage der Zumutbarkeit von Alternativen abgeschwächt. Der Schutz grenzüberschreitender Umweltgüter, z. B. migrierender Vögel oder Fische, rechtfertigt gemäß "US - Shrimp" einseitige Handelsbeschränkungen (nur), wenn eine hinreichende Verbindung zum Schutzgut besteht, wenn vorherige ernsthafte Verhandlungen mit den schädigenden Exportstaaten zu keinem effektiven Ergebnis führen, wenn die Maßnahme gegenüber allen Exporteuren gleichermaßen angewendet wird und wenn sie sich nur gegen die schädlichen Waren richtet. Die Obliegenheit der vorherigen Verhandlungen dürfte zu Finanzierungslasten wohlhabender Importstaaten gegenüber ärmeren Exportländern führen. Zum Schutz von Gemeinschaftsgütern der Staatengemeinschaft, den "common global goods" (z. B. Klima, Antarktis) haben sich die besprochenen Berichte nicht geäußert. Diese Güter werden vor allem durch MEAs geschützt, deren WTO-Verträglichkeit der AB bisher nicht beurteilen mußte. Die Bedeutung und Problematik von MEAs im Rahmen der WTO ist Schwerpunkt des nächsten Abschnitts der Untersuchung. Unilaterale Maßnahmen sind ähnlich wie bei grenzüberschreitenden Umweltgütern (nur) ausnahmsweise rechtmäßig,580 wenn Verhandlungen zu keinem wirksamen Schutz führen. Umweltgüter, die zwar in bestimmten Staaten belegen sind und daher grds. deren territorialer Souveränität unterfallen, die aber für die Staatengemeinschaft von Bedeutung sind ("common concem", z.B. Waldflächen zum Schutz biologischer Vielfalt und des Klimas), dürfen nicht einseitig durch Handelssanktionen geschützt werden. Vielmehr müssen die Importstaaten mit den Herkunftsstaaten über den Schutz verhandeln und sich finanziell an den Kosten beteiligen bzw. den Schutz "abkaufen". 581 579

US- Reformulated Gasoline, WT/DS2/AB/R, S. 25- 28.

° Für die Vergleichbarkeit spricht, daß auch hier die Schutzstaaten physischen

58

Anteil an den Schutzgütern haben; ähnlich wie in der Bruchteilsgemeinschaft (§ 744 BGB) sind Schutzmaßnahmen grundsätzlich multilateral zu beschließen, im Notfall kann aber der Einzelne allein handeln. 581 Dies folgt aus der Souveränität der Herkunftsstaaten über diese Güter; allerdings können gemeinsame Beschränkungen der importierenden Staaten aufgrund des

230

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Güter innerhalb des Exportstaats, die dort nur innerstaatliche ökologische Bedeutung haben, können Handelsbeschränkungen nicht rechtfertigen. Für die dem SPS unterfallenden Handelsbeschränkungen zum Schutze der (innerstaatlichen) Gesundheit haben die AB-Berichte "EC - Hormones", "Australia - Salmon" und ,,Japan - Varietals" das Erfordernis des wissenschaftlichen Nachweises konkreter Risiken bestätigt.582 Gegenüber den Panel-Berichten haben sie die materiellen und prozeduralen Anforderungen an Ermittlung und Nachweis von Risiken aber verringert. Besteht ein Risiko, sind die WTO-Mitglieder in der Bestimmung des Schutzniveaus souverän. Von internationalen Standards können sie abweichen, um ein höheres Schutzniveau zu erreichen.583 Neben der Erforderlichkeil ist die Konsistenz der Regulierung ein wichtiges Rechtmäßigkeilskriterium des SPS, das protektionistische Überregulierungen bestimmter Einzelfälle verhindem kann. Wirksamer Gesundheitsschutz wird dadurch nicht gehindert, solange wie in ,,EC - Hormones" auch die Besorgnis der Öffentlichkeit eine schärfere Regulierung einzelner Risiken im Rahmen des Art. 5 Abs. 5 SPS rechtfertigt. 584 D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht Aufgrund der großen Bedeutung multilateraler Umweltabkommen für die Lösung internationaler Umweltprobleme und wegen des Gebots des WTORechts, grenzüberschreitende Umweltprobleme nicht durch einseitige Handelsbeschränkungen, sondern multilateral anzugehen, werden nachfolgend die Strukturen der wichtigsten Umweltverträge globaler Bedeutung skizziert (1.). Viele MEAs schreiben Handelsmaßnahmen schon gegenwärtig vor bzw. erlauben diese bereits jetzt, andere MEAs werden ab ihrem baldigen Inkrafttreten Beschränkungen erlauben oder zur Erreichung von Umweltschutzzielen verpflichten, deren Verwirklichung nationale Handelsbeschränkungen erfordern dürften. Die Struktur der Konflikte mit WTO-Recht wird im Überblick dargestellt (II.).

"common concern" rechtmäßig sein, wenn der Herkunftsstaat seine ,,Monopolstellung" mißbraucht und treuwidrige Forderungen stellt. 582 Dieses Erfordernis wird nicht durch das Vorsorgeprinzip beseitigt, EC - Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, para. 124. 583 EC- Hormones, WT/DS26, 48/AB/R paras. 170-177. 584 EC -Hormones, WT/DS26, 48/AB/R, paras. 214, 239-245; Australia- Salmon, WT/DS18/AB/R, paras. 161-166, 171 f., 214.

D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht

231

I. Die wichtigsten Handelsbeschränkungen erlaubenden

multilateralen Umweltabkommen (MEAs)

Etwa 25 MEAs enthalten Ermächtigungen zu Handelsbeschränkungen.585 Schon Anfang des 20. Jahrhunderts waren Handelsbeschränkungen Instrumente von Umweltabkommen.586 Während früher mit Tier- und Artenschutz der klassische Naturschutz im Vordergrund stand, sind ihm in den letzten 15 Jahren des 20. Jhrh. mit dem Montrealer Ozon-Protokoll, der Klimarahmenkonvention und dem Kyoto-Protokoll, der Basler Abfallkonvention, der Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt und dem Biosicherheitsprotokoll sechs wichtige MEAs zum Schutz besonders wichtiger globaler Umweltgüter hinzugefügt worden. Bei den Ermächtigungen zu Handelsmaßnahmen sind drei Stufen zu unterscheiden: manche genau definierten Beschränkungen sind von den Vertragsparteien obligatorisch zu ergreifen ("mandatory restrictions"), andere spezifizierte Beschränkungen werden den Parteien ausdrücklich erlaubt ("voluntary restrictions"). Die meisten MEAs erwähnen außerdem ausdrücklich, daß sie keine abschließenden Regelungen enthalten, sondern daß Parteien weitergehende einzelstaatliche oder regionale Schutzmaßnahmen zur Erreichung des Vertragsziels erlassen dürfen ("measures in furtherance"). Multilateral spezifisch geforderte oder erlaubte Maßnahmen stimmen mit WTO-Recht eher überein, als einzelstaatliche Maßnahmen, die (angeblich) zur Verfolgung des Vertragsziels ergriffen wurden. 1. Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES)587

a) Ziel und Anwendungsbereich

CITES regelt den internationalen Handel mit gefährdeten Tieren und Pflanzen. Der 4. Erwägungsgrund der Präambel erwähnt die Notwendigkeit internationaler Kooperation für den Schutz wilder Tier- und Pflanzenarten gegen ihre Übernutzung durch internationalen Handel. Art. I lit. b), c) definiert die für den Anwendungsbereich der Konvention wichtigen Begriffe des "Exemplars" und des "Handels". CITES unterscheidet drei Kategorien geschützter Arten.

WT/CTE/W/160/Rev.1 (14.06.01); Stilwell/Türk, S. 19-22. Chamovitz, JWTL 25 (1991), S. 37 ff. 587 "Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, 03.03.1973/01.07.1975; 154 Parteien (Stand 28.12.01). 585

586

232

2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

b) Import und Export der vom Aussterben bedrohten Anhang I-Arten

Art. II Abs. 1 und Art. III regeln den Handel mit den in Anhang I aufgeführten, vom Aussterben bedrohten und durch Handel (potenziell) beeinträchtigten Arten. Dies sind gegenwärtig etwa 600 Tier- und 300 Pflanzenarten. Nach Art. II Abs. 1 S. 2 muß deren Handel strikter Regulierung unterworfen werden und darf nur unter außergewöhnlichen Umständen erlaubt werden. Gemäß Art. III Abs. 2 darf der Export nur bei vorheriger Exporterlaubnis erfolgen, die der Zustimmung wissenschaftlicher und mit dem Artenmanagement befaßter Stellen bedarf. Die wissenschaftliche Stelle muß angeben, daß der Export für das Überleben der Spezies nicht schädlich ist. Die Managementbehörde muß davon überzeugt sein, daß das Exemplar nicht unter Verstoß gegen Normen des Tier- oder Pflanzenschutzes gewonnen wurde und daß der Export unter Minimierung der Gesundheitsrisiken des Exemplars erfolgt. Außerdem muß eine (vorher beantragte) Importgenehmigung des Empfängerstaats vorliegen. Ein Import dieser Arten wiederum ist nach Art. III Abs. 3 nur bei vorheriger Exportgenehmigung zu erlauben. Die wissenschaftliche Stelle muß bestätigen, daß der Import für das Überleben der Art nicht schädlich ist und daß der Empfänger des Exemplars es angemessen beherbergen und pflegen kann. Die Managementstelle muß überzeugt sein, daß das Exemplar nicht primär für kommerzielle Zwecke genutzt werden soll. Schließlich muß eine (Re-)Exportgenehmigung des Exportstaats vorliegen. c) Import und Export von Anhang li-Arten

Art. II Abs. II und Art. IV beziehen sich auf die in Anhang II aufgeführten Arten, momentan ca. 4.000 Tier- und 25.000 Pflanzenarten. Diese könnten vom Aussterben bedroht sein, wenn ihr Handel keiner strikten Regulierung unterliegt oder sie müssen einer solchen Kontrolle unterworfen werden, um andernfalls bedrohte Arten schützen zu können. Der Export darf nach Art. IV Abs. 2 nur erlaubt werden, wenn wie bei den Anhang I-Arten laut Wissenschaft und Managementstellen das Überleben durch den Handel nicht beeinträchtigt wird, die Gewinnung nicht unter Verstoß gegen Schutzgesetze erfolgte und die Gesundheitsrisiken des Transports minimiert sind. Anders als bei Anhang I-Arten ist das Vorliegen einer Importgenehmigung nicht erforderlich. Dafür bestimmt Art. IV Abs. 3, daß die Zahl der Exportgenehmigungen beobachtet und ggf. begrenzt werden soll. Der Import bedarf nach Art. IV Abs. 4 nur der Vorlage der (Re-)Exportgenehmigung.

D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht

233

d) Import und Export von Anhang /li-Arten

Art. II Abs. III ordnet dem Anhang III alle Arten zu, die in einem Vertragsstaat Regeln zur Verhinderung oder Begrenzung der Nutzung unterliegen und für die dieser Staat ein Bedürfnis der Kooperation in der Kontrolle des Handels sieht. Nur für Exporte aus diesem Land ist eine Exportgenehmigung erforderlich. Nach Art. V Abs. 2 darf diese nur ausgestellt werden, wenn etwaige Schutznormen bei der Gewinnung nicht verletzt wurden und die Gesundheitsrisiken des Transports minimiert sind. Eine Importgenehmigung setzt nach Art. V Abs. 3 einen Ursprungsnachweis voraus und bei Importen aus einem Land, das die Art in Anhang III einordnet, auch eine Exporterlaubnis. e) Zusammenfassung der Handelsbeschränkungen, Fazit

Somit ist für den Handel mit den akut bedrohten Anhang I-Arten sowohl eine Export-, wie eine Importgenehmigung erforderlich, für Anhang li-Arten nur eine Exportgenehmigung (die keiner Vorlage einer Importgenehmigung bedart) und für Anhang III-Arten eine Exportgenehmigung nur in den Staaten, die ein Schutzbedürfnis erkennen.588 Die vertraglichen Handelsbeschränkungen werden aber ergänzt durch die Entscheidungen der Vertragsparteienkonferenz und des Ständigen Ausschusses über die Einordnung der Arten in die Anhänge. 589 f) Handelsbeschränkungen gegenüber Nichtparteien

Art. II Abs. 4 CITES bestimmt, daß der internationale Handel mit Exemplaren der in den Anhängen aufgeführten Arten nur gemäß den Vorgaben der Konvention erlaubt werden darf. Dies bezieht sich nicht nur auf den Handel zwischen CITES-Parteien, sondern auch auf den Handel mit Nichtparteien.590 Allerdings ist nicht letztlich geklärt, ob und inwieweit CITES den Parteien auch Handelsmaßnahmen gegenüber Nichtparteien erlaubt. Eine solche Ermächtigung könnte Art. VIII Abs. 1 sein, wonach die Parteien angemessene Maßnahmen zur Durchsetzung der CITES-Normen ergreifen. CITES-Ausschüsse haben den Parteien mehrfach empfohlen, Handelsmaßnahmen gegen Parteien und Nichtparteien zu ergreifen, um deren Ausführlich Swanson, S. 216-218. Die Mitteilung des CITES-Sekretariats, WT/CTE/W/165 (13.10.2000), führt zusätzlich die Empfehlungen des Tier- und des Pflanzenausschusses und des Sekretariats auf (para. 9). 590 Ginzky, S. 205. 588

589

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

CITES-widersprechendes Verhalten zu unterbinden.591 Diese sind z. T. befolgt worden. 592 Daß diese Maßnahmen durch den allgemeingehaltenen Wortlaut des Art. Vlli gedeckt sind, muß aber bezweifelt werden. 593 Es läßt sich jedoch ein Umkehrschluß aus Art. X CITES ziehen. Danach dürfen Vertragsparteien mit Nichtparteien Handel treiben, wenn letztere den Nachweis der Erfüllung der CITES-Anforderungen beibringen. Demnach müßte ein fehlendes Beibringen der Äquivalenznachweise nicht nur den Handel verbieten, sondern auch Handelsmaßnahmen rechtfertigen. Eine eindeutige Ermächtigung hierzu fehlt aber. Schließlich erlaubt Art. XIV CITES den Parteien, über die Konvention hinausgehende Handelsbeschränkungen zu ergreifen. 594 Der Ständige Ausschuß hat den Parteien mehrfach solche Beschränkungen empfohlen.595 Da CITES speziell der Beschränkung des internationalen Handels mit gefährdeten Arten dient und zudem seit über 25 Jahren von den GATT-Parteien toleriert wurde, ist es vertretbar, CITES als eine gegenüber WTO-Recht vorrangige Spezialordnung anzusehen. 596 2. Montrealer Protokoll zum Wiener Übereinkommen über den Schutz der Ozonschicht (MPi97

a) Ziel und Anwendungsbereich Das Montrealer Protokoll (MP) zum Wiener Übereinkommen (WÜ) über den Schutz der Ozonschicht operationalisiert gemäß Art. 8-10 WÜ die in Art. 2-5 WÜ enthaltenen allgemeinen Kooperations- und Forschungspflichten in konkrete Produktions-, Verwendungs- und Handelsbeschränkungen für bestimmte Stoffe, die (stratosphärisches) Ozon zerstören. Diese Beschränkungen sind durch fortlaufende Änderungen des Protokolls598 auf im591 Beispiele bei Sand, EJIL 8 (1997), S. 38 f.; Hudec, in: Wolfrum, S. 142; Berger, ColumJEnvL 24 (1999), S. 396. 592 Z.B. erfolgreiches US-Embargo 1994/95 gegen taiwanesische Tiere und ihre Produkte; Taiwan war nicht damals noch nicht WTO-Mitglied. 593 Chamovitz, AUJll..P 9(1994), S. 769-771; Hudec, in: Wolfrum, S. 142; optimistischer Crawford, GIELR Vll (1995), S. 580 f. 594 CITES Sekretariat, WT/CTE/W/165 (13.10.00), para. 23: "An area of potential tension between the WTO and CITES . . .". 595 Sand, EJIL 8 (1997), S. 38 f. 596 Vgl. CITES Sekretariat, WT/CTE/W/165 (13.10.00), para. 12: " .. . the international community decided to regulate under a special regime to ensure that international trade does not threaten their survival. . .. trade measures are intrinsic and essential ... "; Niclwls, NYUJll..aP 28 (1996), S. 748. 597 16.09.1987, 01.01.1989; am 28.12.01 hatte das Wiener Übereinkommen 184 Parteien, das Montrealer Protokoll 183.

D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht

235

mer mehr, z. Zt. 96 Substanzen ausgeweitet und die Reduktionsfristen sind z. T. drastisch verkürzt worden. Das übergeordnete Ziel ist gemäß Art. 2 Abs. 1 WÜ der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor Schäden durch von Menschen verursachte Veränderungen der Ozonschicht. Das Montrealer Protokoll gilt trotz mancher Umsetzungsprobleme599 wegen der von Finanzhilfen (Art. 10, 13 MP) begleiteten vergleichsweise zügigen Ausstiegsfristen, aufgrund des eingeführten Lizenzsystems für internationalen Handel und wegen der Kombination des multilateralen Nichteinhaltungsverfahrens (Art. 8 MP) und des abgestuften bilateralen Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 14 MP i. V.m. Art. 11 WÜ)600 als eines der erfolgreichsten und innovativsten multilateralen Umwelt- und Handelsabkommen. Zwar sorgen 183 Parteien für eine fast universelle grundsätzliche Unterstützung, die anspruchsvollen Modifizierungen der Vertragsparteienkonferenzen sind aber zum Teil von deutlich weniger Staaten ratifiziert worden.60I

b) Grundlegende Rechte und Pflichten, Handel zwischen Vertragsparteien Die Art. 2A-21 MP regeln i. V.m. den Anlagen A-C, E die Verbote bzw. Reduktionsquoten und -fristen für Produktion und Verbrauch bestimmter Substanzen. Art. 5 räumt Entwicklungsländern längere Übergangsfristen bzw. geringere Reduktionsquoten ein. Gemäß Art. 2 Abs. 5, 5bis MP können Staaten ihre Quoten gemeinsam erfüllen (,joint implementation"), wodurch eine Effizienzsteigerung ermöglicht wird.602 Art. 2 Abs. 9, 10, Art. 6 MP sehen eine regelmäßige Überprüfung der Regelungen anband der wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Der außergewöhnliche Art. 2 Abs. 9 ermöglicht die Verschärfung der Pflichten hinsichtlich bereits erfaßter Stoffe durch Zwei-Drittel-Mehrheit (welche die einfache Mehrheit sowohl der 598 Aufnahme der Art. 2C-2E in London 1990, der Art. 2F-H in Kopenhagen 1992, Beschleunigung der Reduktion mehrerer Stoffe in Wien 1995, verstärkte Kontrolle des Handels in Montreal 1997, Aufnahme des Art. 21 und Ausweitung von Handelsbeschränkungen in Peking 1999; die Änderungen gelten nur für die Staaten, die sie ratifiziert haben; formal-juristisch handelt es sich daher um sechs verschiedene Protokolle. 599 Z.B. Nichteinhaltungsverfahren gemäß Art. 8 MP gegenüber der Russischen Föderation 1995. 600 Zu beiden Yoshida, S. 139 f.; Tanner, in: Schrecker, S. 150-152. 601 28.12.2001: London 1990: 158 Parteien; Kopenhagen 1992: 134; Montreal 1997: 73; Peking 1999: 22. 602 Dies verspricht zwar kurzfristig Kostenersparnis aufgrund kurzfristig höherer Effizienz der eingesetzten Mittel in Ländern mit schwächerem Stand der Technik, begegnet aber als Bremse für die Entwicklung fortschrittlicherer Technik grundlegenden ökonomischen und ökologischen Bedenken.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

Art. 5-Staaten wie der übrigen Parteien umfaßt), ohne daß es einer inner-

staatlichen Ratifikation bedürfte oder ein "opting out" möglich wäre. 603

Der internationale Handel mit Substanzen zwischen den Vertragsparteien begegnet abgesehen von der indirekten Begrenzung durch die Produktionsund Verbrauchslimitierungen604 der Art. 2A-2I keinen Beschränkungen. Wenn Parteien ihre Pflichten zur Einstellung der für einheimischen Verbrauch gedachten Produktion nicht erfüllen können, müssen sie den Export dieser gebrauchten oder recycleten Substanzen verbieten (Art. 4A). Dies soll eine Umgehung der Pflichten anderer Vertragsparteien verhindern. Seit dem 10.2.2000 müssen die Parteien, die die Protokollergänzung von Montreal 1997 ratifiziert haben, ein Lizenzsystem für den Import und Export neuer, gebrauchter, recycleter oder wiedergewonnener Substanzen aller in den Anhängen aufgeführter Stoffe einrichten (Art. 4B).605 c) Handelsbeschränkungen gegenüber Nichtparteien

Der Handel gegenüber Nichtparteien606 wird von Art. 4 MP stark beschränkt. Die Abs. 1-lsex. verbieten Importe der in den Anlagen A, B, C, E enthaltenen Substanzen, die Abs. 2-2sex. untersagen die entsprechenden Exporte. Abs. 3-3ter verbieten die Einfuhr von nach Art. 10 WÜ bestimmten Erzeugnissen, die Substanzen der Anlagen A, B oder C-Gruppe ll enthalten. Durch förmlichen Einspruch können sich einzelne Parteien diesem Verbot entziehen. Die Ausfuhr von Waren, die geregelte Substanzen enthalten, ist nicht beschränkt. Abs. 4-4ter ermächtigen die Vertragsparteienkonferenz, die Einfuhr von Waren zu verbieten, die zwar keine der in den Anlagen A, B, C-Gruppe II geHsteten Substanzen enthalten, aber unter deren Verwendung hergestellt worden sind. Von dieser Ermächtigung ist aber kein Gebrauch gemacht worden. 607 Art. 4 Abs. 5-7 soll Exporte von Herstellungs- und Verwendungstechnik verhindern. Eine wichtige Modifizierung der Handelsbeschränkungen gegenüber Nichtparteien enthält Art. 4 Abs. 8 MP. Danach können nach Art. 4 Abs. l4ter verbotene Ein- und Ausfuhren durch eine Entscheidung der Vertragsparteien erlaubt werden, wenn die Parteien feststellen, daß die jeweilige Zu Art. 2 Abs. 9 MP näher Ott, S. 155-158. Verbrauch i. S. d. MP ist die Produktionsmenge zuzüglich Einfuhren, abzüglich Ausfuhren (Art. 1 Nr. 6 MP). 605 Entwicklungsländer haben bzgl. der Substanzen der Anhänge C, E bis 2002/ 2005 Zeit. 606 Nichtparteien sind bezüglich mancher Stoffe auch die MP-Parteien, die für diese Substanzen die in den Ergänzungen des Protokolls enthaltenen Reduktionspflichten nicht akzeptiert haben. 607 COP-Dec. V/17, VI/12, VIII/18. 603

604

D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht

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Nichtpartei die Pflichten aus den Art. 2-21, 4, 7 einhält, also dieselben Pflichten wie die Vertragparteien bezüglich Verringerung von Produktion und Verwendung sowie das Handelsverbot gegenüber anderen Nichtparteien einhält und dazu Daten vorlegt. Dies verhindert die durch Art. I, III GATI untersagte Diskriminierung vertragskonformer Nichtparteien gegenüber den Vertragsparteien bzw. gegenüber einheimischen Produkten. Die Diskriminierung der MP-widrig handelnden Nichtparteien kann gemäß Art. XX GATT gerechtfertigt werden, da keine tatsächliche Gleichheit der Verhältnisse in den Ländern besteht. In der Praxis sind die Beschränkungen gegenüber Nichtparteien bisher unproblematisch, da nur drei kleine WTO-Mitglieder nicht Partei des MP sind.608 3. Basler Konvention über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfalle (BC)609

a) Ziel und Anwendungsbereich Die Basler Konvention über die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfalle zielt auf eine Verhinderung von Umweltgefährdungen durch Transporte gefährlicher Abfalle in Gebiete, in denen diese nicht sicher entsorgt oder aufgearbeitet werden können. DieBCerfaßt gemäß Art. 1 nicht nur gefährliche (Abs. 1), sondern auch "andere" Abfalle (Abs. 2), die Eigenschaften i. S. d. Anhangs III aufweisen. Gefährliche Abfalle stammen aus den Quellen des ersten Teils der Anlage I oder enthalten Stoffe des zweiten Teils der Anlage I oder werden von nationalem Recht als "gefährlich" eingestuft.610 ,.Andere" Abfalle sind in Anlage II definiert. Gemäß Art. 1 Abs. 3 werden radioaktive Stoffe nicht von der BC erfaßt, da die IAEA für sie zuständig ist. Art. 1 Abs. 4 schließt Schiffsabfalle aus, da andere Verträge, z. B. MARPOL diese regeln. Abfalle, die vom Montrealer Protokoll erfaßte Stoffe enthalten, unterfallen ebensowenig der BC.611

WT/CTE/W/160 (19.09.2000). Basel Convention, 22.03.1989/05.05.1992; 149 Parteien (Stand: 28.12.01). 610 Weitere Abflil.le bestimmen die durch COP-Dec. IV/9 beschlossenen Anhänge Vlll und IX. 611 COP-Dec. 111115, UNEP/CHW.3/35; Dec. VII/31, UNEP/OzL.Pro.?/12; Ott, S. 195 f. 60s

609

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

b) Grundlegende Rechte und Pflichten Die BC verlangt für den Handel zwischen Vertragsstaaten die vorherige Genehmigung durch den informierten Importstaat und verbietet weitgehend den Handel mit Nichtparteien (aa). Durch eine Vertragsergänzung könnte künftig auch der Handel zwischen Parteien beschränkt werden (bb). aa) Handelsverbot gegenüber Nichtparteien (Art. 4 Abs. 5, Art. 11), PIC (Art. 4 Abs. 1) Die ursprüngliche Fassung der Konvention enthält ein absolutes Verbot nur von Transporten in die Antarktis (Art. 4 Abs. 6) und von Handel mit Nichtparteien (Art. 4 Abs. 5). Das Verbot des Handels (Import und Export) mit Nichtparteien in Art. 4 Abs. 5 kann aber durch bilaterale, multilaterale oder regionale Abkommen gemäß Art. 11 umgangen werden, wenn diese die umweltgerechte Behandlung der Abfälle garantieren und ihre Normen ebenso umweltschützend wie die BC sind.612 Ein solches regionales Abkommen ist z.B. die Bamako-Konvention afrikanischer Staaten.613 Darüber hinaus verbietet Art. 4 Abs. 5 BC auch nicht den Transit durch das Gebiet von Nichtparteien. 614 Jeder Staat darf aber von sich aus die Einfuhr von Abfällen verbieten (Art. 4 Abs. 1 lit. a), muß dieses Verbot aber gemäß Art. 13 notifizieren. Ein solches notifiziertes Verbot verpflichtet die anderen Parteien, Exporte dorthin zu verbieten (Art. 4 Abs. 1 lit. b). Außerdem dürfen Exporte in Gebiete anderer Parteien nicht erlaubt werden, solange nicht eine schriftliche Importerlaubnis in Kenntnis der Umstände vorliegt (Art. 4 Abs. 1 lit. c ). Die Art. 6, 7 regeln i. V.m. Anhang V-A dieses Verfahren der vorherigen Information seitens des Exporteurs und der Genehmigungsentscheidung des Importstaats ("PIC", prior informed consent).615 Art. 4 Abs. 2 lit. e) verbietet darüber hinaus den Export, wenn das Empfängerland den Import gesetzlich verboten hat oder wenn Anzeichen dafür bestehen, daß die Abfälle im Empfängerland nicht so umweltgerecht behandelt werden, wie es die von der Vertragsparteienkonferenz festgelegten Kriterien erfordern.616 Entspre612 26 WTO-Mitglieder sind nicht Partei der BC, vgl. WT/CTE/W/160; Kummer, S. 62, weist darauf hin, daß der umstrittene Art. 11 BC nicht die völlige Konformität dieser Vereinbarungen mit der BC erfordert. 613 Kiss/Shelton, S. 543 f. 614 Kummer, S. 61. 615 Zu den Details des PIC-Verfahrens und zu regulatorischen Defiziten Kummer, s. 65-67. 616 Diese Kriterien wurden von der COP V festgelegt; s. auch Dec. 1/19, 11113, III/13.

D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht

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chend untersagt Art. 4 Abs. 2 lit. g) die Erlaubnis von Importen, wenn nicht von einer umweltgerechten Behandlung auszugehen ist. Gemäß Art. 4 Abs. 9 soll internationale Abfallverbringung nur erlaubt werden, wenn der Exportstaat zu einer umweltgerechten Beseitigung nicht in der Lage ist oder wenn die Abfalle im Importstaat als Rohstoff benötigt werden oder die Verbringung die von den Vertragsparteien beschlossenen Kriterien erfüllt. Diese grundsätzliche Beschränkung drückt das Prinzip der Entsorgungsnähe aus. 617 Art. 4 Abs. 8 verpflichtet die Exportstaaten, vom Exporteur eine umweltgerechte Abfallbehandlung im Importstaat zu verlangen. Art. 4 Abs. 7 lit. b) erfordert, daß die Abfalle in Übereinstimmung mit internationalen Standards verpackt, gekennzeichnet und transportiert werden. Art. 4 Abs. 11 erlaubt den Parteien, weitergehende Beschränkungen einzuführen. Diese müssen aber mit dem sonstigen Völkerrecht konform sein, also auch mit WTO-Recht.

bb) Absolutes Handelsverbot zwischen Parteien (Art. 4A) Die Vertragsstaaten beschlossen durch Dec. Ill/1 die Einfügung eines Art. 4A. Dieser verbietet den Export von Abfallen aus den in Anhang VII aufgezählten Parteien (im wesentlichen OECD-Staaten)618 in alle Staaten, die nicht in Anhang VII aufgeführt sind (egal, ob sie Art. 4A ratifiziert haben, nur die ursprüngliche BC ratifiziert haben oder nicht BC-Parteien sind).619 Dieses sogenannte "ban amendment" schafft also ein absolutes und automatisches Exportverbot für seine in Anlage VII aufgeführten Unterzeichner in alle Staaten, die nicht in Anhang VII aufgeführt sind.620 Dieses Verbot wird aber nur für die ratifizierenden Parteien verbindlich werden, wenn es überhaupt in Kraft treten sollte.621 Aufgrund des allgemeinen Verbots des Art. 4A sind gegenläufige Erlaubnisse von Transporten zwischen Anhang VII-Staaten und anderen Staaten durch Abkommen i. S. d. Art. 11 BC nicht mehr zulässig, da die Abfallbehandlung nicht als hinreichend umweltgerecht anzusehen ist.622

617 Zum Verhältnis zu Art. 28, 30 EG: EuGH, Rs. C-2/90, "Wallonische Abfälle", Slg. 1992, 1-4431, 4479 f. 618 Kummer, RECIEL 7 (1998), S. 234, plädiert für eine Erweiterung der Anhang VII-Parteien um die Schwellenländer. 619 Wirth, RECIEL 7 (1998), S. 243. 620 Art. 4A fußt auf der umstrittenen, nicht rechtsverbindlichen COP-Dec. 11/12, Kummer, S. 63 f.; Ott, S. 84 f., 199. 621 Am 28.12.01 lagen erst 27 der zum lokrafttreten nötigen 48 Ratifikationen vor; kritisch zu den Erfolgschancen Krueger, S. 106-108.

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

cc) Haftung und Streitbeilegung Die Vertragsparteienkonferenz beschloß 1999 ein Protokoll über die Haftung für verbotene oder mißglückte Exporte. Dieses sieht unter bestimmten Umständen eine verschuldensunabhängige Haftung vor. Das Protokoll wird neunzig Tage nach seiner zwanzigsten Ratifikation in Kraft treten (Art. 29 Protokoll) und entfaltet keine Rückwirkung (Art. 1 Abs. 6 lit. a) Protokoll).623 Art. 19 BC enthält Ansätze einer multilateralen Überwachung der Vertragserfüllung, Art. 20 BC nennt für die Beilegung von Streitigkeiten die ,.Montreal-Formel", wonach Verhandlungen bevorzugt werden und Schiedsoder IGH-Verfahren einer ausdrücklichen Unterwerfung bedürfen.624

4. Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (FCCC) und Kyoto-Protokoll (KP)625

a) Ziel und Struktur Das Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen626 zielt gemäß seinem Art. 2 auf die Stabilisierung des Treibhausgas-Gehalts in der Atmosphäre auf einem Niveau, auf dem eine gefahrliehe menschengemachte Klimastörung verhindert wird. Dies soll so schnell erreicht werden, daß die Ökosysteme sich an die eintretenden Klimaänderungen anpassen können. Dieses in der FCCC festgelegte Ziel und die damit verbundenen Verhandlungspflichten werden durch die Emissionsbegrenzungspflichten und Umsetzungsvorgaben des Kyoto-Protokolls627 in Übereinstimmung mit Art. 3 FCCC konkretisiert. 628 622

623 624

den.

Kummer, RECIEL 7 (1998), S. 234. Am 28.12.01 gab es 13 Unterzeichner. Bis Ende 2000 ist der Streitbeilegungsmechanismus noch nicht genutzt wor-

625 Framework-Convention on Climate Change, 09.05.1992/21.03.1994; Kyoto Protocol, 11.12.1997; am 28.12.01 gab es 186 FCCC-Parteien, das KP, noch nicht in Kraft, hatte 46 Parteien und 84 Unterzeichner. 626 ll..M 31 (1992), S. 849 ff. 627 Einen Überblick geben Sach I Reese, ZUR 13 (2002), S. 68-73; zum Verhältnis von FCCC und KP Durner, AVR 37 (1999), S. 357-437; zu den Klimaschutznormen aus Sicht der ökonomischen Spieltheorie Heister. 628 Die KP-Präambel erwähnt die Bedeutung des Art. 3 FCCC; Boyle, ICLQ 48 (1999), S. 907, bezweifelt wegen der unbestimmten Formulierung der FCCC, daß sie bindende Pflichten enthält ( .,.. . its core articles, . .. , are so cautiously and obscurely worded and so weak that it is uncertain whether any real obligations are

D. Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) und WTO-Recht

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b) Pflichten zur Reduktion von Treibhausgasemissionen

Gemäß Art. 3 Abs. 1 KP muß der Gesamtausstoß der sechs in KP-Anhang A genannten Treibhausgase, der in den in FCCC-Anhang I aufgeführten Industriestaaten anfällt, 629 in den fünf Jahren 2008-2012 im Vergleich zum fünffachen Ausstoß des Jahres 1990 um mindestens fünf Prozent gesenkt werden. Für die einzelnen Anhang I-Parteien gelten die in KP-Anhang B vereinbarten speziellen Emissionsmengen (Art. 3 Abs. 7 KP). 630 Die erlaubte Emissionsmenge wird durch Aufforstung und Abholzung beeinträchtigt (Art. 3 Abs. 3, 4), so daß die realen Emissionsmengen deutlich geringer sein können. 631 Art. 3 Abs. 2 KP verlangt wesentliche Fortschritte bei der Emissionsbegrenzung bis 2005. Laut Art. 3 Abs. 9 KP soll spätestens 2005 auch eine Anpassung der Emissionsgrenzen (Art. 21 Abs. 7, Art. 20) überlegt werden. Gemäß Art. 4 KP können Parteien ihre Reduktionspflichten gemeinsam erfüllen (joint fulfilment bzw. bubbling), wodurch Effizienzsteigerungen bzw. "Freikäufe" ermöglicht werden. 632 Weitere Möglichkeiten der Effizienzsteigerung bzw. Hinauszögerung effektiver innerstaatlicher Reduktionsmaßnahmen sind gemeinsame Umsetzung (Art. 6), Emissionshandel (Art. 17) und der Mechanismus für saubere Entwicklung (Art. 12), s. u. d). c) Handelsbeschränkungen

Weder die FCCC, noch das KP schreiben Handelsbeschränkungen vor oder erlauben sie ausdrücklich. Handelsbeschränkungen dürften jedoch als Teil der nationalen Umsetzung der im KP eingegangenen Reduktionspflichten erlassen werden. 633 Art. 3 Nr. 5 S. 1 FCCC fordert die Staaten zur Förcreated."). Er verweist aber auf die Bedeutung der Grundsätze des Art. 3 FCCC für die Ausarbeitung von konkreten Pflichten in Protokollen. 629 Nicht umfaßt sind Ernissionen von Luftverkehr und Schifffahrt (Art. 2 Abs. 2 KP); deren Reduktion sollen die Parteien im Rahmen der ICAO und der IMO erreichen, dazu Brack/G/W, S. 99-115; dies trägt der größeren Sachkompetenz der genannten 1.0. Rechnung und ist ein Beispiel der Koordination der Regime; ebensowenig zählen Ernissionen multilateraler Maßnahmen gemäß der VN-Charter, FCCC/ CP/199717/Add.1 Dec. 2/CP.3. 630 Die Mengen reichen von einer Reduzierung um 8% für die meisten Anhang I-Parteien bis zu einer Steigerung um 10% (lsland); für HFCs, PFCs und SF6 kann 1995 als Referenzjahr gewählt werden, Art. 3 Abs. 8 KP. 631 FCCC/CP/2001/L.7, S. 10-13; der WWF geht davon aus, daß statt 5,2% faktisch nur 1,7% Reduktionen nötig sind; ausführlich zu Art. 3 Abs. 4 S. 3, 4 KP Oberthür/Ott, S. 130-136. 632 So soll die Pflicht der EU-Staaten zur Reduktion um 8% durch Einsparungen von 8 Mitgliedern um 6 bis 21% erreicht werden, während andere Mitglieder um 25% bzw. 27% zulegen dürfen. 16 Neumann

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2. Teil, 1. Kap.: Das Verhältnis von WTO und Umweltschutzrecht

derung eines offenen internationalen Wirtschaftssystems auf. Da vereinzelte Handelsbeschränkungen gegen besonders klimafeindliche Produkte aber die generelle Offenheit des Wirtschaftssystems nicht in Frage stellen,634 ist dies kein absolutes Verbot von Handelsbeschränkungen. Art. 3 Nr. 5 S. 2 FCCC betont in Parallele zum Einleitungssatz des Art. XX GATT, 635 daß Klimaschutzmaßnahmen weder ein Mittel willkürlicher oder ungerechtfertigter Diskriminierung, noch einer verschleierten Handelsbeschränkung sein sollen. Dies zeigt, daß die FCCC Handelsbeschränkungen zwar weder vorschreibt, noch speziell erlaubt, daß sie aber Beschränkungen zum Schutz des Klimas nicht verbietet. 636 Ansonsten wäre S. 2 entgegen dem Effektivitätsprinzip überflüssig, da er wie der Einleitungssatz des Art. XX GATT gerechtfertigte von diskriminierenden bzw. versteckt beschränkenden Handelsbeschränkungen unterscheidet. Außerdem warnt S. 2 vor allem vor einseitigen Maßnahmen.637 Im Übrigen war im Vertragsentwurf die Rechtmäßigkeit von Handelsbeschränkungen noch von einer Erlaubnis durch die Vertragsparteien abhängig gemacht worden, diese Klausel wurde aber gestrichen.638 Zumindest solange nicht in das KP spezielle Handelsbeschränkungen aufgenommen werden, dürfen die Parteien also in Übereinstimmung mit Art. 3 Nr. 5 FCCC Handel beschränken, insbesondere Importe verbieten, die sich sehr negativ auf ihre in Anhang I festgelegten verbindlichen Emissionsbzw. Reduktionsquoten auswirken. Dies wird durch Art. 2 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 14 KP bestätigt. Danach sollen sich die Anhang I-Parteien bemühen, ihre Vertragspflichten so zu erfüllen, daß die negativen Auswirkungen auf den internationalen Handel, insbesondere den mit Entwicklungsländern, minimiert weden. Dies erkennt die potenzielle Beeinträchtigung der Handelsfreiheit an. Aufgrund der Schwierigkeit, nähere Kriterien für speziell erlaubte oder gebotene Handelsbegrenzungen festzulegen, 639 dürften autonome nationale Maßnahmen in Verfolgung des Protokollziels ("measures in furtherance") wichtige Testf50 Anschlüssen/100 Einwohner) bis zu 0,327 SZR/Min. (bei