Verantwortlichkeit und Schuldzumessung in Mitwirkungsfällen [1 ed.] 9783428553549, 9783428153541

Die vorliegende Arbeit sucht nach einer Lösung für ein zentrales Problem der strafrechtlichen Zurechnungslehre, nämlich

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Verantwortlichkeit und Schuldzumessung in Mitwirkungsfällen [1 ed.]
 9783428553549, 9783428153541

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Schriften zum Strafrecht Band 316

Verantwortlichkeit und Schuldzumessung in Mitwirkungsfällen Von

Georgia Stefanopoulou

Duncker & Humblot · Berlin

GEORGIA STEFANOPOULOU

Verantwortlichkeit und Schuldzumessung in Mitwirkungsfällen

Schriften zum Strafrecht Band 316

Verantwortlichkeit und Schuldzumessung in Mitwirkungsfällen Von

Georgia Stefanopoulou

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15354-1 (Print) ISBN 978-3-428-55354-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85354-0 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In memoriam Georgios Stefanopoulos (1916–2014)

Vorwort Die vorliegende Arbeit begibt sich auf die Suche nach einer Lösung für eines der unklarsten Probleme der strafrechtlichen Zurechnungslehre, nämlich der Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung. Sie befindet sich nicht in Gewissheit darüber, die endgültig richtige Lösung gefunden zu haben, hält es aber für ausgemacht, dass jede überzeugende Lösung nur unter Aufgabe der genannten dogmatischen Unterscheidung und unter Einbeziehung von etwas mehr Psychologie zu gewinnen ist. Zurechnungsunterbrechungen werden im Strafrecht häufig zu einseitig vorgenommen und unterlaufen damit die soziale Komplexität der Verantwortungsverteilungen. Um dies bereits von Beginn an klarzustellen, bezieht sich die Arbeit auf die einschlägigen Konstellationen als Mitwirkungsfälle. Die Arbeit wurde im Sommer 2017 vom Rechtswissenschaftlichen Fachbereich der Humboldt-Universität als Dissertation angenommen. Ich danke Frau Prof. Tatjana Hörnle für konstruktive sachliche Hinweise und die zügige Erstellung des Erstgutachtens, Frau Prof. Anette Grünewald danke ich für die Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Klaus Marxen danke ich für die Übernahme des Vorsitzes in der Prüfungskommission. Der griechischen Staatlichen Stipendien-Stiftung I.K.Y. danke ich für finanzielle Förderung meines Projekts. Danken möchte ich darüber hinaus auch meinen Eltern Anastasios Stefanopoulos und Ioanna Lianou, die mich immer gefördert haben, Dr. Peter Bung und Ulla Bung für ihre allgemeine Unterstützung und Hilfe beim Korrekturlesen sowie meinem Mann Jochen Bung für die ständige Diskussionsbereitschaft. Hamburg, im September 2017

Georgia Stefanopoulou

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Teil 1 Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

19

A. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

B. Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbstschädigung und einverständlicher Fremdschädigung sowie eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grenzziehung nach objektiven Kriterien am Beispiel des Aids-Falles . . . . II. Grenzziehung nach subjektiven Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 21 22 23

Teil 2 Bestandsaufnahme

29

A. Die Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung – Ein erster Überblick . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Tatherrschaftskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 29 31 32

B. Die rechtliche Behandlung der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frühere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Heutige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Teilnahmeargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abschied vom Teilnahmeargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 34 34 35 35 37 38 38

10

Inhaltsverzeichnis

(2) Gesamtergebnis für das Teilnahmeargument als Grundlage der Schutzzwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 cc) Rettungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 ee) Schlussbemerkungen zur Anwendung der Schutzzwecklehre als Lösungsansatz für die Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Alteritätsprinzip oder Identitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Erlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Vermischung unterschiedlicher Normzwecke . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Abstellen auf eine zu kurz greifende Selbstbestimmung . . . . 92 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II.

d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Einverständliche Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Frühere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Heutige Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Die Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Die Sorgfaltswidrigkeitslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Die tatbestandliche Zurechnungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Rechtfertigung des Täterverhaltens nach den Einwilligungsgrundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Erfolgsbezogenheit der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Disponibilität des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 ee) Unzulässigkeit von Notwehr und Nothilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 d) Viktimodogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Inhaltsverzeichnis

11

Teil 3 Abkehr von der Unterscheidung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung

118

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 B. Die Herrschaft des Tatherrschaftskriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 C. Die Familie „Mitwirkungsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt: Husserls phänomenologische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wittgensteins Familienähnlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Familienähnlichkeiten der Mitwirkungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Abgrenzungspluralismus einer Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis: Fixe Gruppeneinteilungen eignen sich nicht für Familienmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 126 126 127 128 130 132

Teil 4 Die Selbstbestimmung der Akteure unter Berücksichtigung der sozialpsychologischen Dimension der Mitwirkungsfälle

134

A. Wechsel von der Opfer- zur Täterperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gruppendynamik und riskantes Verhalten bei Autorennen-WetttrinkenFällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Affektivität und Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Fuß-in-der-Tür-Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fremdbestimmungsindizien bei Wettkampf-Konstellationen . . . . . . . . . . a) Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönlichkeitsfremdes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verhalten des Opfers unter Gruppenwirkungen – Indizwirkung ohne Verantwortungszuschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die „Selbstverantwortung“ des Opfers als Attributionskonzept im Rahmen von Heiders Verantwortlichkeitsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwei Anwendungsbeispiele von sozialpsychologischen Erkenntnissen . a) Das Beispiel des Jugendstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Beispiel der Makrokriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Situation Auto-Surfen – Gesamtbetrachtung der „Atmosphäre“ . . . . . . . . . 1. Die Indizwirkung der Gefahrengemeinschaft nach Gesamtbetrachtung des Geschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesamtbetrachtung des Geschehens als Voraussetzung einer umfassenden Autonomieprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse einer Gesamtbetrachtung des Autosurfen-Falls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 136 137 140 144 144 146 146 150 153 154 156 159 159 161 163

12

Inhaltsverzeichnis

III. Die soziale Realität der Beifahrer-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Memel-Fall: Situative Erschwerungen zur Durchsetzung des eigenen Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die übrigen Beifahrer-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die entscheidende Frage: Wer fordert und wer wird aufgefordert? . . b) Das Opfer als faktische Größe des Geschehnisses . . . . . . . . . . . . . . . . c) Indizien für Einflüsse von erheblicher Stärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Echte“ und „unechte“ Interaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kurze Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Interaktionen innerhalb der Drogenszene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Drogenaustausch in einer Gruppensituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinsamer Drogenkonsum in dyadischer Konstellation – Die situative „Suchtdynamik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Überlassen von Betäubungsmitteln ohne gemeinsamen Konsum . . . . . . 4. Zusammenfassende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gefährliche sexuelle Umgangsformen unter Interaktionspartnern . . . . . . . .

164 165 168 168 169 170 171 174 175 175 178 184 185 186

Teil 5 Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

190

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 B. Sozialpsychologische Prozesse und Schuldfähigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . I. Integration des Willensmodells von Frankfurt in die §§ 20, 21 StGB . . . . . II. Integration der Sozialpsychologie in die §§ 20, 21 StGB . . . . . . . . . . . . . . . III. Hörnles Vorschlag zur Abschaffung des § 21 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zu viel Psychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 191 195 209 213

C. Alternativvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 D. Anhang: Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf die behandelten Mitwirkungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Autorennen-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Autosurfen-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stechapfeltee-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tequila-Wetttrinkenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Betäubungsmittel-Verabreichungsfall, BGHSt 49, 34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verkauf und Übergabe von Heroin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Aids-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Memel-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Kleintransporter-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227 228 229 230 231 233 234 235 235

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Einleitung Jim und Buzz fahren in ihren Autos mit hoher Geschwindigkeit auf eine Felsenschlucht zu. Ihrer „Spielregel“ nach soll derjenige gewinnen, der die Nerven behält und am längsten im Auto bleibt, bevor es in die Tiefe stürzt. Der Autofahrer, der als erster das Auto verlässt, gilt dann als Feigling. Die Mutprobe zwischen den zwei jungen Männern nimmt allerdings ein tragisches Ende. Jim schafft es, rechtzeitig aus dem Wagen zu springen, Buzz aber bleibt hängen. Er stürzt mit dem Auto in den Abgrund. Diese Szene aus dem US-amerikanischen Film „. . . denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Originalversion „Rebel Without a Cause“ 1955 mit James Dean) könnte einem Lehrbuch des Strafrechts entspringen, behandelt unter der Thematik der Eigenverantwortung des Opfers.1 Die strafrechtliche Behandlung solcher Fälle, wie sie derzeit in der Lehre und der Rechtsprechung gehandhabt wird, läuft allerdings meines Erachtens an der psychosozialen Realität vorbei. Demgegenüber scheint die künstlerische Annäherung an das Problem, wie der Filmtitel andeutet, der psychosozialen Wirklichkeit des Sachverhalts näher zu sein. Während das strafrechtliche Urteil lautete, der tödliche Erfolg sei allein dem Opfer als dessen Werk zuzurechnen, lässt der Titel des Filmes keine einseitige Verantwortungszuschreibung zu, alle Beteiligten „wissen nicht, was sie tun“, d.h. beide Teilnehmer des Autorennens, unabhängig vom zufälligen Ausgang der Mutprobe, legen danach ein irrationales Verhalten an den Tag, das mit einer verzerrten Wahrnehmung und Einschätzung der Folgen des riskanten Handelns in Verbindung steht. Damit kommt der Film zumindest sozialpsychologisch der Wirklichkeit näher als das Strafrecht, dessen „Antennen“ die guppendynamischen Einflüsse bei allen Beteiligten nicht wahrzunehmen scheinen. Der vorliegenden Arbeit liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Erkenntnisse der Sozialpsychologie, vor allem jene aus dem Bereich der Gruppen- und der Konformitätsforschung, eine entscheidende Hilfe für das Verständnis und die angemessene strafrechtliche Bewertung von irrationalen, hochriskanten Unternehmungen sind, bei denen das Opfer bewusst mitwirkt. Bei der sog. Thematik der Eigenverantwortung des Opfers geht es um interaktives Verhalten und wechselseitige Verstärkung zwischen Opfer und Täter, also um Prozesse, die Untersuchungsgegenstand der Sozialpsychologie sind. Ein Rekurs auf die Sozialpsychologie für die Beleuchtung der Frage der Verantwortung bei Fällen der gegenseitigen Ver-

1

Renzikowski bezieht sich auf den Film, Renzikowski, HRRS 2009, 347.

14

Einleitung

stärkung zwischen Täter und Opfer kann daher für das Strafrecht von Gewinn sein, zumindest sollte er in Erwägung gezogen werden. Die sozialpsychologische Annäherung an solche Fälle, die unter der Thematik der Eigenverantwortung des Opfers diskutiert werden, findet im Folgenden unter der Grundannahme statt, dass die in der Strafrechtwissenschaft übliche Unterscheidung zwischen „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ und „einverständlicher Fremdgefährdung“ wenig überzeugend ist. Für die vorliegende Arbeit gibt es nur „Mitwirkungsfälle“, d.h. Fälle, bei denen das Opfer durch die Interaktion mit dem Täter bei seiner Gefährdung mitwirkt, eine weitere Unterscheidung wird nicht als sinnvoll erachtet. Festgestellt wird dann, dass bei solchen Opfer-TäterKonstellationen oft eine emotional und affektiv aufgeladene Situation entstehen kann, die eine erhebliche Wirkung auf die Willensfreiheit der handelnden Individuen entfaltet. Je nach Konstellation dyadischer oder mehrpersonaler Natur wird die Rede von Gruppendynamik, Konformitätsdruck, Sucht- und Triebdynamik sein. Für die Annäherung des Begriffs der Willensfreiheit wird auf das – um eine objektive Perspektive ergänzte – hierarchische volitive Modell von Harry Frankfurt abgestellt. Danach setzt die Willensfreiheit die Bildung von sog. Volitionen zweiter Stufe voraus, d.h. den Aufbau einer Kontrollinstanz gegenüber den Wünschen erster Stufe und die Schaffung einer Steuerungs- und Überprüfungsmöglichkeit der ersten Impulse.2 Zentrale These der vorliegenden Arbeit ist, dass die oben genannten außerpersonalen und situativen Kräfte starken Einfluss auf die Wahrnehmung, vor allem aber auf die Willensentschließung und Willenssteuerung der Akteure eines interaktiven und hochriskanten Geschehensablaufes ausüben.3 Die Lenkung des eigenen Willens wird bei allen Beteiligten durch den situativen Druck erheblich erschwert. Dieses Ergebnis unterstützt die zweite Grundauffassung der Arbeit, dass bei interaktiver, wechselseitiger Verstärkung zwischen Täter und Opfer die Rede von der Eigenverantwortung des Opfers, die, unabhängig von der konkreten dogmatischen Begründung, den Täter entlastet und straffrei stellt, unberechtigt ist. Vielmehr sollte man von einer Mitverantwortung des Opfers ausgehen, die Raum für ein Stück Verantwortung des Täters lässt. Eine einseitige Verantwortungszuschreibung auf das Opfer bedeutet, dass es seinen Schutz verliert.4 Ausgehend von dieser Überzeugung werden in der vorliegenden Arbeit Tatbestandslösungen abgelehnt. Die Verortung des Problems in der Rechtswidrigkeit wird ebenso als unbefriedigend betrachtet. Genauso wenig wie der Ausschluss der objektiven Zurechnung ermöglicht die Einwilligungslösung die Wahrnehmung sowohl von Opferinteres2 3 4

Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 72 ff. Vgl. Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 232.

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sen als auch von Täterinteressen. Es wird außer Acht gelassen, dass das Unrecht eine quantitativ einstufbare Größe ist. Eine Ja/Nein-Frage, wie sie sowohl bei der Frage der objektiven Zurechnung als auch bei der Frage der Rechtfertigung gestellt wird, bedeutet eine einseitige Belastung des Opfers oder des Täters. Dies ist dem Opfer gegenüber ungerechtfertigt, weil einmal wegen seiner Mitwirkung nur eine Unrechtsminderung in Betracht kommt und zum anderen seine Willenssteuerung wegen situativen Drucks beeinträchtigt ist. Eine einseitige Belastung des Täters ist allerdings auch unbefriedigend, da er bei Mitwirkungskonstellationen häufig starken psychosozialen Einflusskräften ausgesetzt ist, die seine Willensfreiheit tangieren. Daher sucht die vorliegende Arbeit eine Kompromisslösung im Bereich der Strafzumessung, insbesondere dem Bereich des § 49 StGB. Der Vorschlag, die psychosozialen Erschwerungen der autonomen Willensbildung in die Schuldmilderungsgründe (§ 21 StGB) einzubeziehen, wurde in Bezug auf die gruppendynamischen Faktoren schon 1980 von Willi Schumacher vorgetragen.5 In der vorliegenden Arbeit findet eine Ausarbeitung und Ausweitung des Vorschlags von Schumacher für den ganzen Bereich der „Mitwirkungsfälle“ statt, soweit Anzeichen einer hochgradigen psychosozialen Wirkung auf die Willenssteuerung des Täters vorhanden sind. Als Bindeglied zwischen Sozialpsychologie und Zurechnungsfähigkeit wird das oben erwähnte Willensmodell Frankfurts dienen. Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile: In den beiden ersten Kapiteln findet eine kritische Auseinandersetzung mit der Abgrenzung zwischen den Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung sowie deren rechtlicher Behandlung statt. In den folgenden Abschnitten wird schrittweise der eigene Lösungsansatz entfaltet und begründet. Während in Teil 3 philosophische Überlegungen als Grundlage der argumentativen Untermauerung der (in dieser Untersuchung) vorgeschlagenen Lösung dienen, wendet sich Teil 4 der Sozialpsychologie und der Attributionsforschung zu. In Teil 5 folgt die dogmatische Bearbeitung und Verortung der bisherigen Ergebnisse. Hier ein kurzer Abriss der einzelnen Kapitel: In Teil 1 wird durch das Stellen der Abgrenzungsfrage zwischen eigenverantwortlicher Schädigung und einverständlicher Fremdschädigung einerseits und eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung andererseits der Untersuchungsgegenstand bestimmt. Es geht hier um die Analyse und Behandlung von Mitwirkungskonstellationen zwischen Tätern und Opfern, die auf die Fahrlässigkeit von beiden zurückzuführen sind. In Teil 2 werden die hinsichtlich der Grundprämissen häufig ineinandergreifenden6 Ansichten in der Lehre und Rechtsprechung dargestellt und bezüglich 5 6

Schumacher, NJW 1980, 1880 ff. Cancio Meliá, ZStW 11 (1999), 357 (361).

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der rechtlichen Behandlung der Figuren der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ ausgewertet. Im Mittelpunkt der Kritik steht das sog. Teilnahmeargument. Hier folgt die Arbeit den kritischen Stimmen, wonach das Teilnahmeargument sowohl aus formallogischer als auch axiologischer Sicht unvertretbar ist.7 Auch die Suche einer Lösung für die Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung im Bereich des erlaubten Risikos wird in der ersten Hälfte des Abschnitts, der die Behandlung der eigenverantwortlichen Gefährdung analysiert, kritisch betrachtet. Die Vermischung der Selbstgefährdungsfälle mit der Thematik des erlaubten Risikos wird als nicht überzeugend erachtet. Es wird darauf hingewiesen, dass es bei den Selbstgefährdungsfällen auf die Frage der Autonomie der Handelnden ankommt und nicht auf den sozialen Sinn einer Handlung, wie bei der Thematik des erlaubten Risikos. Die zweite Hälfte dieses Untersuchungsteils ist der Figur der einverständlichen Fremdgefährdung gewidmet. Hier wird versucht, die Schwächen der sog. Sorgfaltswidrigkeitslösung und der sog. Tatbestandslösung aufzuzeigen. Besondere Aufmerksamkeit wird auch der sog. Einwilligungslösung geschenkt. Es wird in Übereinstimmung mit einem großen Teil der Literatur8 argumentiert, dass auf das Erfordernis der Erfolgsbezogenheit der Einwilligung nicht verzichtet werden kann. Die zentrale Aussage des gesamten zweiten Teils ist die folgende These: In der mangelnden Überzeugungskraft aller Lösungsvorschläge lässt sich die Unzulänglichkeit des Tatherrschaftskriteriums erkennen, nach dem zwischen eigenverantwotlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung zu unterscheiden sei, da ein Unterschied darin bestehe, ob eine Person sich selbst gefährdet und das Geschehen selber beherrscht, oder ob sie sich von anderen gefährden lässt und sich damit der Gefahr ausliefert.9 Diese These wird in Teil 3 der Untersuchung durch Bezugnahme auf Husserls deskriptive Phänomenologie und Wittgensteins Theorie der Familienähnlichkeiten näher begründet. Es wird zuerst gezeigt, dass jeder Versuch, eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung voneinander abzugrenzen, zwangsläufig mit im Fahrlässigkeitsbereich unzulässigen Herrschaftsverteilungen über das Geschehen verbunden ist. Von solchen Herrschaftserwägungen ist auch das von Roxin vorgeschlagene Abgrenzungsmodell nicht frei, wonach es auf die Frage ankommt, wer, Täter oder Opfer, die unmittelbar zur tatbestandsmäßigen Gefährdung führende Handlung durchgeführt hat.10 Es wird ausgeführt, dass das Kriterium der Gefährdungsherrschaft eine an den Phänotyp des Fahrläs7 Statt vieler Derksen, NJW 1995, 240 (241); ders., Handeln auf eigene Gefahr, S. 39 f. 8 Statt vieler Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 75. 9 So Roxin, JZ 2009, 399. 10 Roxin, GA 2012, 655 (660).

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sigkeitsdelikts angepasste Tatherrschaft ist. Der Grund dafür wird in der fehlenden „phänomenologischen Reduktion“ 11 der von Roxin unternommenen deskriptiven Phänomenologie gesehen. Um dem Problem der sog. Eigenverantwortung des Opfers näher zu kommen, wird die Auffassung vertreten, die von Husserl postulierte Ausschaltung aller „theoretischen Vormeinungen“ 12 und Prämissen13 als Grundbedingung der weiteren Diskussion zu erkennen, d.h. sich von den Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einverständlichen Fremdgefährdung zu verabschieden. Auf der Grundlage dieser Annahme wird im Rahmen des dritten Teils der Untersuchung nach Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Mitwirkungsfällen gesucht. Das Ergebnis dieser Suche lautet: Die Mitwirkungsfälle weisen Familienähnlichkeiten auf, sich kreuzende und übergreifende Merkmale,14 die fixe Gruppeneinteilungen wie z. B. die generelle Untergliederung in eigenverantworliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung nicht zulassen. Die in Teil 3 festgestellten sich kreuzenden Merkmale werden in Teil 4 als Indizien für Fremdbestimmung behandelt. Hierzu zählen die Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer, die triebhafte Motivationslage der Akteure, die spielerische Interaktion zwischen den Beteiligten sowie die Tatsache, dass nicht selten das Opfer die Initiative zu dem riskanten Verhalten ergreift. Die Bedeutung dieser Merkmale für die Bewertung des interaktiven Sachverhalts wird in Teil 4 anhand einer kasuistischen Darstellung der psychosozialen Rahmenbedingungen von unterschiedlichen Mitwirkungsfällen veranschaulicht. Die Begriffe der Gruppendynamik, des Konformitätsdrucks, der Sucht- und Triebdynamik werden hier anhand von Mitwirkungskonstellationen erläutert, die die Rechtsprechung beschäftigt und die Lehre zu interessanten Diskussionen veranlasst haben. Es wird hier dargelegt, dass Opfer und Täter oft in ein Netz von Kräften großer Stärke verstrickt sind, die Einfluss auf ihr Selbstbestimmungspotenzial entfalten können. Es wird auf die Bedeutung der Selbstbindung an eine schon übernommene Rolle hingewiesen und es wird angeregt, die vorschnellen einseitigen Verantwortungszuschreibungen auf die Person des Täters oder des Opfers zu überdenken. Die außerpersonalen situativen Momente einer Mitwirkungskonstellation werden aufgezeigt und im Prozess der Verantwortungszuschreibung mitberücksichtigt. In diesem Zusammenhang wird versucht, das Kon11 Husserl, Die Idee der Phänomenologie, S. 44 f.; ders., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, S. 56 ff., 59 f. 12 Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, S. 29. 13 Husserl, Die Idee der Phänomenologie, S. 44 ff.; ders., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, S. 56 ff.; dazu ausführlich Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, S. 29 ff. 14 s. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 66.

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zept der Selbstverantwortung des Opfers aus attributionstheoretischer Sicht kritisch zu durchleuchten. In Teil 5 folgt die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle im Bereich der privilegierten Strafzumessung auf der Grundlage der in Teil 4 erörterten sozialpsychologischen Erkenntnisse. Es wird untersucht, ob und wie sozialpsychologische Prozesse in die Schuldfähigkeitsprüfung einbezogen werden können. Es wird versucht, dies über die Integration des um die psychosozialen Einflusskräfte erweiterten volitionalen Modells von Frankfurt zu erreichen.15 Dabei wird eine neue Lesart des § 21 StGB vorgeschlagen, nach der die Erheblichkeitsschwelle der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nicht zu hoch angesiedelt ist. Es wird argumentiert, dass für eine solche extensive Auslegung des § 21 StGB die Regel des § 17 StGB spricht, nach der jeder Mangel an Einsichtsfähigkeit zur Strafmilderung führen kann. Im Zusammenhang mit dem Vorschlag zur Erweiterung des Anwendungsfelds des § 21 StGB setzt sich die Arbeit mit aktuellen Tendenzen radikaler Desubjektivierung und starker Normativierung des Strafrechts auseinander. Im Bewusstsein, dass der Hauptlösungsvorschlag der Arbeit sich im „Tabubereich“ der Schuldfähigkeit bewegt, wo auf psychologisch begründete Änderungen überwiegend mit Skepsis reagiert wird,16 schlägt die Arbeit in Teil 5 als Alternativlösung zur Anwendung der privilegierten Strafrahmen des § 49 StGB die Berücksichtigung der psychosozialen Dimension der Mitwirkungsfälle zumindest im Rahmen des § 46 StGB vor. Teil 5 endet mit der exemplarischen Anwendung der vorgeschlagenen Lösung in den in Teil 4 angesprochenen Sachverhalten.

15 Eine Verbindung zwischen dem volitionalen Modell Frankfurts und der Frage der Steuerungsfähigkeit wurde schon von Bung hergestellt, Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (67, 71). 16 Vgl. Grosbüsch, Die Affekttat, Sozialpsychologische Aspekte der Schuldfähigkeit, S. 6; Fabricius, Kriminalwissenschaften: Grundlagen und Grundfragen, S. 20.

Teil 1

Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands A. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung Hebt man hervor, dass die zwei Rechtsfiguren der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ zu den umstrittensten, meistdiskutierten Problemen des Strafrechts gehören, stellt diese Aussage gewiss keine innovative Einführung in das Thema der Eigenverantwortung des Opfers mehr dar – dies wurde bereits mehrmals betont.1 Nichtdestotrotz fühlt man sich wegen der auffällig großen Zahl von unterschiedlichen und sich trotzdem kreuzenden Begründungsansätzen zu dieser Wiederholung verpflichtet. Es ist diese Vielfalt der Meinungen, die dann doch viele gemeinsame Punkte an unterschiedlichen Stellen aufweisen, die die Darstellung des Problems nicht unerheblich erschwert.2 Zwar wird auch die vorliegende Arbeit die Meinungsverschiedenheiten nicht ausräumen, sie bemüht sich aber um eine klare Nachzeichnung der Streitstände und der verschiedenen Argumente. Der Beginn kann nur eine erste grobe Wiedergabe der Definitionen der zwei Figuren sein, wie sie in der Literatur zu finden sind:3 Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung liegt vor, wenn das Opfer die gefährliche Handlung selbst vornimmt und der Täter4 lediglich Hilfe leistet.5 Umgekehrt wird bei dem Fall der einverständlichen Fremdgefährdung die Gefährdung nicht vom Opfer, sondern vom Täter vorgenommen.6 Das Opfer beherrscht hier das Geschehen nicht und setzt sich nur der vom Täter vorgenommenen ge1 s. z. B. Roxin, GA 2012, 656; ders., JZ 2009, 3992; Lasson, ZJS 2009, 359; Murmann, in: FS für Puppe, S. 767. 2 Vgl. Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357, 361; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 28; Murmann, in: FS für Puppe, S. 767; Stratenwerth, in: FS für Puppe, S. 1017. 3 So die Einführung bei Lasson, ZJS 2009, 359. 4 Zum Begriff des Täters soll hier vorweg angemerkt werden, dass trotz dessen immanenter Vorverurteilung dieser Begriff verwendet wird, weil er zur klaren Trennung der beteiligten Personen dient. Deshalb wird er im Folgenden nicht im typischen juristischen Sinn gebraucht. 5 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (250); s. auch die verallgemeinernde Begriffsbestimmung bei Lasson, ZJS 2009, 359. 6 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (250).

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Teil 1: Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

fährlichen Handlung aus.7 Als klassisches Fallbeispiel für die eigenverantwortliche Selbstgefährdung wird in der Literatur der sog. Heroinspritzenfall genannt, in dem der drogensüchtige D bei dem Drogenhändler H Heroin kauft und verstirbt, nachdem er (D) es sich selbst injiziert hat.8 Als Musterbeispiel für die einverständliche Fremdgefährdung wird der Fall angeführt, in dem der Beifahrer (B) sich von Fahrer (F) im Auto mitnehmen lässt, obwohl ihm die Alkoholisierung des F bewusst ist.9 Die hier vorgetragenen Definitionen der zwei Mitwirkungsvarianten sind, wie schon erwähnt, zunächst grob gefasst.10 Im Laufe der Untersuchung wird durch eine kritische Auseinandersetzung mit den vertretenen Ansichten über die zwei Fallgruppen die notwendige Verfeinerung vorgenommen. Noch ohne Vertiefung in Sonderthesen lässt sich aber bereits an dieser Stelle sagen, dass die zwei Arten der Opfermitwirkung in der Beeinträchtigung eigener Rechtsgüter nach verbreiteter Ansicht grundsätzlich zu gegensätzlichen strafrechtlichen Urteilen führen.11 Während die Lehre bei dem Fall einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung von einer bloßen straflosen Mitwirkung an einer strafrechtlich irrelevanten Selbstgefährdung ausgeht (Auschluß der objektiven Zurechnung)12 ordnet sie die Verantwortung für das Geschehen bei dem Fall einer einverständlichen Fremdgefährdung grundsätzlich dem Täter zu.13

B. Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbstschädigung und einverständlicher Fremdschädigung sowie eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen stehen Fälle der eigenverantwortlichen Selbst- bzw. einverständlichen Fremdgefährdung. Hier ist es notwendig, das Diskussionsfeld konkreter zu beschreiben. Dabei müssen zuerst die Fälle der Gefährdung von denen der Schädigung auseinandergehalten werden. Dabei handelt sich um ein in der Literatur wenig beachtetes Thema.14 Wie Otto bildhaft feststellt, besteht diesbezüglich eine „eigentümliche Grauzone der Argumentation.“ 15 7

Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (250); ders., JZ 2009, 399. Lasson, ZJS 2009, 359; BGHSt 32, 262. 9 Vgl. BayObLG JR 1963, 27. 10 So die Einführung bei Lasson, ZJS 2009, 359. 11 Instruktiver Überblick ebd., 359 ff. 12 Abweich. Arzt, in: GS für Schlüchter, S. 163 (168). 13 Statt vieler Roxin, GA 2012, 655 ff. 14 Dazu kritisch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 379; Eisele, JuS 2012, 577. 15 Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (169). 8

B. Abgrenzung zwischen Selbstschädigung und Fremdschädigung

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Bei der hier diskutierten Frage geht es nicht um eine pauschale Abgrenzung zwischen Schädigungs- und Gefährdungsdelikten, sondern um die Grenzziehung zwischen Schädigung und Gefährdung, bei denen das Opfer jeweils an seiner Schädigung oder Gefährdung mitwirkt. Das Problem der Abgrenzung der Fälle der Gefährdung gegen die der Schädigung bei Opfermitwirkung wird oft im Rahmen der Diskussion um die Behandlung der Fälle des ungeschützten Geschlechtsverkehrs mit einem darüber aufgeklärten Partner thematisiert.16 Hier sind zwei konträre Meinungen zu erwähnen.17

I. Grenzziehung nach objektiven Kriterien am Beispiel des Aids-Falles18 Nach der einen Ansicht wird die Grenzziehung auf der Grundlage von objektiven Kriterien vorgenommen.19 Die Willensrichtung des Täters, nämlich des HIVInfizierten, spiele keine Rolle für die Unterscheidung.20 Ob er einen Verletzungsoder aber Gefährdungsvorsatz habe, interessiere bei der Bewertung des Geschehens nicht.21 Maßgeblich sei nur, wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung ist.22 In Fachkreisen wird, was den Grad der Ansteckungswahrscheinlichkeit betrifft, ein Verhältnis von 1:100 oder 1:400 angenommen, deshalb sollte man nur von einem Ansteckungsrisiko und damit von einer Lebensgefährdung ausgehen.23 Daraus ergebe sich, dass das Differenzierungskriterium nicht die innere Vorstellung des infizierten Partners, sondern der Grad der Wahrscheinlichkeit der Ansteckung ist.24 Wenn das Opfer in den ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem HIV-Infizierten einwilligt, willige es nicht in eine Ansteckung ein, die mit Sicherheit eintreten wird, sondern es gehe lediglich das Risiko einer Ansteckung ein.25 16 s. z. B. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (166), Helgerth, NStZ 1988, 261 (262); dazu auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 381. 17 Darstellung der entgegengesetzten Meinungen Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 379 ff. 18 BayOLG JR 1990, 473; NJW 1990, 131. 19 Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). Zu Recht weist Murmann darauf hin, dass zu den Ansichten, die auf die objektive Gefährlichkeit abstellen, auch die Auffassung Döllings gezählt werden kann, wonach die Einwilligung in den Fällen, bei denen „die Lebensgefahr so hoch [ist], dass die Tat praktisch einer vorsätzlichen Tötung gleich kommt“, nicht wirksam sei (Dölling, GA 1984, 92). Trotz der Tatsache, dass Dölling von einer Gefährdung in diesen Fällen ausgeht, nimmt er auf der Ebene der normativen Konsequenzen (normative Gleichstellung zur vorsätzlichen Tötung) eine Schädigung an, Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 380 (Fn. 239). 20 Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd.

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Teil 1: Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

II. Grenzziehung nach subjektiven Kriterien Nach der anderen Ansicht sind für die Abgrenzung subjektive Kriterien zugrunde zu legen.26 Hierbei sei entscheidend, ob der Täter mit Verletzungsvorsatz oder fahrlässig handelt.27 Ein Verletzungswille und daher eine Schädigung seien zu bejahen, auch wenn der Täter nicht auf die Verletzung des Rechtsgutes abzielt (dolus directus 1. Grades) oder die Verletzung als sichere Folge seines Verhaltens voraussieht (dolus directus 2. Grades), sondern sich nur der Gefahr der Verletzung bewusst ist.28 Einen Gefährdungssachverhalt bildeten dagegen unvorsätzlich sorgfaltspflichtwidrige Handlungen.29 Wendet man diese Ansicht bei dem Aids-Fall an, ergibt sich dann Folgendes: Handelt der Infizierte mit Verletzungsvorsatz, ginge es dann um eine Schädigung und nicht um eine Gefährdung.30 Dieses Trennungskriterium eignet sich nach Otto nur für die Grenzziehung zwischen Fremdschädigung (darunter falle auch die einverständliche Fremdschädigung) und Fremdgefährdung.31 Eine Selbstgefährdung liege vielmehr dann vor, „wenn jemand sich freiverantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in eine Gefahrensituation begibt“.32 Es kommt hier nur auf die Perspektive des Opfers an.33 Eine ähnliche Position scheint auf den ersten Blick auch Peña zu vertreten. Er postuliert: „[. . .] die Bezeichnung „Begünstigung einer Selbstgefährdung“ [soll] für die Fälle reserviert werden, in denen der sich Gefährdende keinen Willen („Vorsatz“) hat, sein Rechtsgut zu verletzen; dagegen sollen als Begünstigung eines Selbstverletzungsversuches die Fälle bezeichnet werden, in denen der Begünstigte sein Rechtsgut verletzen will. Denn, obwohl in dem willentlichen Versuch der Selbstverletzung objektiv eine Selbstgefährdung steckt, ist bei diesen Konstellationen [. . .] der Gefahrengrad viel höher als bei den ersten.“ 34 Es ist jedoch bei näherem Hinschauen zu erkennen, dass es sich hier um keine rein

26 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (169); die an dieser Stelle kurze Darstellung von Ottos Meinung orientiert sich an Murmanns Wiedergabe von Ottos Ansicht, Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. 27 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (169); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. 28 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (166, 169). 29 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (169 f.). 30 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (166); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. 31 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (175); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. 32 Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (175); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. 33 Eisele, JuS 2102, 577 (578); s. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. 34 Peña, GA 2011, 295 (296).

B. Abgrenzung zwischen Selbstschädigung und Fremdschädigung

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subjektiv orientierte Abgrenzung handelt, sondern um eine hybride Auffassung. Peña will aus dem subjektiven Kriterium des Willens des Opfers den Gefahrengrad des risikoträchtigen Handelns ableiten. Wesentliches Charakteristikum der Selbstverletzung sei der hochstufige Gefahrengrad. Das subjektive Element des Willens spiele lediglich die Rolle eines Indikators für die Höhe des Risikos.

III. Eigene Stellungnahme Zwar enthalten beide Auffassungen richtige Elemente, bieten jedoch keine befriedigende Lösung an. Beide vertreten ein einseitiges Abgrenzungskriterium, das jeweils nur auf die Person des Opfers oder des Täters abstellt.35 Aber erst durch die Zusammenschau der subjektiven Vorstellungen beider Akteure kann eine Trennlinie gezogen werden. Zwar verfährt die zweite Auffassung prinzipiell richtig, wenn sie sich nicht auf die objektive Gefährlichkeitsprognose bezieht, sondern auf die Willensrichtung der Beteiligten abstellt, ihr ist jedoch mit Bedenken zu begegnen. Die Abgrenzungsfrage scheint falsch gestellt zu sein. Zunächst wird versucht, zwischen einverständlicher Fremdschädigung und einverständlicher Fremdgefährdung zu unterscheiden und dann zwischen Selbstschädigung und Selbstgefährdung eine Trennungslinie zu ziehen. Für das erste Paar soll es auf die innere Willensrichtung des Täters, für das zweite Paar hingegen auf die subjektiven Perspektive des Opfers ankommen.36 Die abgrenzungsbedürftigen Paare müssen aber so heißen: Selbstschädigung und einverständliche Fremdschädigung als eine Kategorie gegenüber Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung als zweiter Kategorie. Daher ist die Frage so zu formulieren: Wann handelt es sich um eine Schädigung mit der Mitwirkung des Opfers und wann um eine Gefährdung mit der Mitwirkung des Opfers? Die konkretere Differenzierung zwischen Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung soll hier zunächst unbeachtet bleiben.37 Diese gehört zu einer späteren Denkstufe. Die erwähnte zweite Auffassung vermischt allerdings diese verschiedenen Trennungsebenen und dreht auf diese Weise die Perspektive im Hinblick darauf um, ob hier die Vorstellungen des Täters oder aber die Vorstellungen des Opfers zu betrachten sind. Die innere Perspektive des Opfers soll allerdings immer mitberücksichtigt werden, ansonsten könnte nicht die Rede von Selbstschädigung bzw. -gefährdung und von einverständlicher Fremdschädigung bzw. -gefährdung sein. Die Wahl der Begriffe für die Bezeichnung der hier behandelten Fälle macht deutlich, dass die Beurteilung jedenfalls auch aus der Sicht des Opfers zu erfolgen hat. 35

Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 381. Dies ergibt sich aus den Aussagen Ottos, in: FS für Tröndle, S. 158 (169, 175). 37 Hierin besteht das Problem von Ottos Abgrenzungsmodell. Die Differenzierungsebenen werden vermischt, siehe z. B. Otto, in: FS für Tröndle, S. 158 (175). 36

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Teil 1: Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

Unter diesem Aspekt sind die psychischen Beziehungen des Opfers zum Erfolg und seine inneren Vorstellungen von maßgeblicher Bedeutung. Wenn man das Autonomieprinzip ernst nehmen will, kann man im Rahmen der Thematik der Selbstverantwortung des Opfers nicht ohne Berücksichtigung der inhaltlichen Reichweite der Entscheidung des in das Risiko „einwilligenden“ Opfers Konsequenzen für die rechtliche Bewertung von Fallkonstellationen ziehen. So weist Degener richtigerweise darauf hin, dass das Fehlen des Verletzungswillens und das geringere Risikobewusstsein des Opfers die Eigenheit der „Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ ausmachen.38 Ähnlich sieht Zaczyk eine bewusste Selbstverletzung als gegeben, „wenn das Opfer mit Wissen um die Folgen eine Handlung vornimmt, die ein eigenes Rechtsgut beeinträchtigt und dabei diesen Erfolg auch will.“ 39 Hinsichtlich der Selbstgefährdung führt er treffend aus: „Die Einstellung des Opfers zur Realisierung der Gefahr ist hier ersichtlich anders als in den [. . .] Fällen bewusster Selbstverletzung: der Erfolg ist nicht in den Handlungszusammenhang als Ziel integriert, sondern er liegt außerhalb dieses Zusammenhangs und es wäre eine Fiktion, schon die bewusste Eingehung einer Gefahr als eine Entscheidung für diesen Erfolg anzusehen, zumal in den meisten Fällen auf sein Ausbleiben vertraut wird.“ 40 Anders als bei den Gefährdungskonstellationen wird die innere Beziehung des Opfers zum Erfolg bei der Selbstschädigung und der einverständlichen Fremdschädigung dadurch gekennzeichnet, dass es mit Wissen um eine Verletzungsgefahr eine Handlung vornimmt und dabei den Eintritt des Verletzungserfolgs will oder sich mit dem Erfolg abfindet oder ihn in Kauf nimmt. Die innere Beziehung des Selbstgefährdenden zum Erfolg deckt sich mit dieser des vorsätzlich Handelnden, wobei auch der mit bedingtem Vorsatz Agierende mitgemeint ist.41 Sowohl im Fall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung als auch dem der einverständlichen Fremdgefährdung wünscht das Opfer dagegen die Verwirklichung des Erfolges nicht, sondern vertraut auf sein Ausbleiben.42 Dabei hat es Kenntnis von einer Gefahr, mit seiner Realisierung wird aber nicht gerechnet.43 Ausgehend von einem solchen Verständnis des inneren Zustands des Opfers entspricht 38 Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 341; auch Puppe, GA 2009, 486 (490), die ebenfalls auf die inneren Vorstellungen des Opfers abstellt: „Der entscheidende Unterschied [zwischen Selbstschädigung und Selbstgefährdung] besteht aber darin, dass bei der Beihilfe zur Selbstverletzung der Rechtsgutsträger den Willen hat, das Rechtsgutsobjekt preiszugeben“. 39 Zaczyk, Strafrechtliches Urteil und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 32 f. 40 Ebd., S. 49. 41 Peña, GA 2011, 295 (296); vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 380 ff. 42 Zaczyk, Strafrechtliches Urrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 50. 43 s. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 382.

B. Abgrenzung zwischen Selbstschädigung und Fremdschädigung

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der Sachverhalt der Gefährdungskonstellationen dem der bewussten Fahrlässigkeit.44 Im Gegensatz zu der zweiten Ansicht wird die Wichtigkeit der Opferentscheidung für die Abgrenzung zwischen Selbstschädigung bzw. einverständlicher Fremdschädigung und Selbstgefährdung bzw. „einverständlicher Fremdgefährdung“ von der ersten Auffassung besser erkannt. Helgerth schreibt: „Maßgebend ist allein, ob das Opfer mit der konkreten Ausführung der sexuellen Handlung einverstanden ist.“ 45 Das prinzipiell richtige Einbeziehen des Opfers in die Diskussion der Abgrenzung wird aber mit der Gefährlichkeitsprognose in Zusammenhang gebracht und dies zulasten der Person des Täters, dessen Willensrichtung unberücksichtigt bleibt. So liest man: „Wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung ist, ist auch in Fachkreisen noch weitgehend ungeklärt. Teilweise wird ein Verhältnis von 1:100 oder 1:400 angenommen. Bei einer derartigen Sachlage willigt der mit dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einverstandene Partner nicht in eine bereits als sicher vorauszusehende Ansteckung ein, sondern er nimmt lediglich das Risiko einer Ansteckung auf sich, freilich in der Hoffnung, dass es sich nicht realisiert.“ Und: „Liegt [ein] Einverständnis [des Opfers] vor, spielt es keine Rolle, welche inneren Vorstellungen der Täter dabei gehabt hat.“ 46 Aus dieser Argumentation folgt, dass der geringe Gefährlichkeitsgrad eine fahrlässige Mitwirkung des Opfers in seine Gefährdung indiziert.47 Wegen der niedrig angesiedelten Realisierungswahrscheinlichkeit käme einen Schädigungssachverhalt nicht in Betracht. Denn wenn jemand sich schädigen will, wählt er eine Handlungsmodalität, die den Erfolgseintritt mit hoher Wahrscheinlichkeit verspricht.48 Diese Annahme ist allerdings nicht haltbar. Murmann weist richtigerweise darauf hin, dass eine Gefahrschaffung, bei der die Aussicht des Erfolgseintritts gegenüber anderen Möglichkeiten der Erfolgsherbeiführung deutlich geringer ist, trotzdem von den Beteiligten mit dem Ziel der Schädigung aufgeführt werden kann.49 Umgekehrt ist es gut möglich, dass bei Gefahrschaffungen, bei denen sich objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts erkennen lässt, die Beteiligten auf das Ausbleiben des Erfolges vertrauen.50 Von einer Ge44 s. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 382; die Berücksichtigung in der Selbstgefährdungsproblematik auch der unbewussten Fahrlässigkeit des Opfers vertritt P. Frisch, Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 118 ff. 45 Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). 46 Ebd. 47 So versteht auch Murmann den Ansatz von Helgerth, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 380. 48 Ebd. 49 Ebd. 50 Ebd.

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Teil 1: Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

fahrverwirklichungsprognose kann man keine Schlussfolgerungen für die innere Beziehung der Beteiligten zum Erfolg ziehen. Der Versuch Helgerths, eine Verbindung zwischen dem Wahrscheinlichkeitsgrad des Erfolgseintritts und der inneren Vorstellung des Opfers herzustellen, zeigt allerdings, dass eine Abgrenzung zwischen Schädigung und Gefährdung ohne Rücksicht auf die Innenwelt der Beteiligten nicht möglich ist. Die Einbeziehung der Willensrichtung des Opfers könnte auch Helgerth letztlich nicht vermeiden. Von maßgeblicher Bedeutung ist jedoch auch die Willensrichtung des Täters. Sie darf nicht ausgeblendet werden. Wenn der Aids-Infizierte auf die Körperverletzung des Partners abzielt oder sie in Kauf nimmt und die Körperverletzung im Sinne der Ansteckung stattfindet, ist es nicht ersichtlich, warum man nur von einer vorsätzlichen Gefährdung ausgehen soll. Er wollte die Schädigung und sie wurde realisiert. Damit ist aber nicht gemeint, dass es auf die Realisierung der Ansteckung ankommt. Wenn es so wäre, müsste jede Ansteckung, die im Stadium des Versuchs geblieben ist, was nach den Wahrscheinlichkeitsregeln bei Aidsfällen häufig vorkommt, als versuchte Gefährdung bezeichnet werden. Eine Verwirklichung der Gefahr würde aber die im Stadium des Versuches noch als Gefährdung bezeichnete Handlung zur Schädigung umwandeln. Dies kann nicht richtig sein. Die Differenzierung darf nicht von dem zufälligen Eintritt eines Schadens abhängen.51 Dies wird deutlich an der Überlegung, dass jede Selbstverletzung zu einem früheren Zeitpunkt noch eine Selbstgefährdung war.52 Da auch eine Schädigung zum Handlungszeitpunkt nur eine Gefährdung darstellt und umgekehrt jede Gefährdung sich zu einer Schädigung entwickeln kann, ist eine klare Einordnung einer Handlung als Schädigung oder als Gefährdung, je nachdem ob ein Schaden eingetreten ist oder nicht, schwerlich sinnvoll.53 Daher ist ein Schädigungssachverhalt auch in dem Fall anzunehmen, wo es zur Schädigung nicht kommt. Maßgeblich sind hier die subjektiven Vorstellungen des Täters, seine innere Beziehung zum Erfolg. Für eine versuchte Schädigung reicht auch ein niedriger Grad der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung. Dafür spricht die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs in § 23 III StGB. Die objektive Gefährlichkeit einer Handlung, die an einem Gegenstand oder durch ein Mittel durchgeführt wird, deren Natur es ausschließt, dass es zu einer Vollendung der Tat kommen könnte, fällt völlig weg.54 Trotzdem wird dadurch die Strafbarkeit

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Ebd., S. 379. „Jede Selbstverletzung vollzieht sich über die Zwischenstufe der Selbstgefährdung. Umgekehrt: Alle Fälle der sog. Selbstgefährdung sind als Fälle von Fahrlässigkeitshaftung, die de lege lata nur bei Erfolgseintritt möglich ist, zugleich Fälle der Selbstverletzung“, Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 339 (Fn. 839); vgl. auch Peña, GA 2011, 295 (296). 53 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 379. 54 Dazu statt vieler Rengier, § 35, Rn. 1. 52

B. Abgrenzung zwischen Selbstschädigung und Fremdschädigung

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nicht ausgeschlossen. Nach der gemischt subjektiv-objektiven Theorie ist auch in einem objektiv ungefährlichen Akt des Täters die Manifestation eines rechtsfeindlichen Willens festzustellen.55 Wenn die Wertungen des § 23 StGB zugrunde gelegt werden, wird ersichtlich, dass der Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts keine Grundbedingung für die rechtliche Bewertung des AidsFalles sein kann und nicht die Rolle des Abgrenzungskriteriums zwischen Schädigung und Gefährdung spielen darf. Wenn die objektive Ungefährlichkeit des untauglichen Versuchs die Bedeutung der subjektiven Welt des Täters nicht aufhebt, darf erst recht nicht die Existenz eines kleinen Risikos zur Entmachtung der inneren Vorstellungen des Täters führen. Die innere Willensrichtung des Täters ist entscheidend, unabhängig von Risikowahrscheinlichkeiten. Folglich sollte sowohl den inneren Vorstellungen des Opfers als auch denen des Täters Beachtung geschenkt werden. Durch die einseitige Beachtung des Opferwillens können auch paradoxe Situationen entstehen. Wenn Helgerth im Fall einer geringen Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts immer von einem Risiko ausgeht, welches das Opfer auf sich nimmt, „freilich in der Hoffnung, dass es sich nicht realisiert“,56 sieht er eine Gefährdung im Fall einer bewussten Fahrlässigkeit des Opfers. Man stelle sich aber nun eine Konstellation vor, in der das Opfer lediglich in eine Gefährdung einwilligt, der Täter aber einen Tötungsvorsatz hat, d.h. eine Schädigung will. Wenn das Geschehen nur aus der inneren Sicht des Opfers zu bewerten ist, kommen wir zu dem erstaunlichen Ergebnis, den mit Vorsatz handelnden Täter wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen, und dies nur ausnahmeweise, wenn sich die Konstellation konkreter als einverständliche Fremdgefährdung bezeichnen lässt und die Einwilligung des Opfers unwirksam ist. Der vorsätzliche Täter wird durch die Leichtsinnigkeit des Opfers genauso behandelt wie ein fahrlässiger. Diesen Widerspruch kann man vermeiden, wenn die Vorstellungen beider Beteiligter in die Abgrenzungsfrage einbezogen werden.57 Von Selbstgefährdung bzw. „einverständlicher Fremdgefährdung“ ist nur zu sprechen, wenn sowohl Täter als auch Opfer bewusst fahrlässig handeln. Beide sollen die Gefahr nicht ernst nehmen und auf das Ausbleiben des Erfolges vertrauen. Wenn einer von beiden den Erfolg will oder in Kauf nimmt, d.h. vorsätzlich handelt, sind wir im Bereich der Schädigung. Falls der Vorsatz nur beim Täter liegt, handelt es sich um eine Fremdschädigung. Das leichtsinnige Verhalten des Opfers darf abgesehen von der Strafzumessung keinen anderen Einfluss auf die rechtliche Bewertung der

55 Zu der gemischten subjektiv-objektiven Theorie und den Strafgrund des Versuchs s. statt vieler Rengier, § 33, Rn. 4. 56 Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). 57 In diese Richtung auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 380 ff., der allerdings die Grenzziehung von den Schädigungs- zu den Gefährdungsfällen für überbewertet hält, S. 382.

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Teil 1: Begriffsbestimmung/Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

vorsätzlichen Handlung haben. Umgekehrt, wenn das Opfer vorsätzlich hinsichtlich seiner Rechtsgutsverletzung handelt, liegt eine Selbstschädigung vor und dem Täter kann man eventuell einen Fahrlässigkeitsvorwurf machen. Durch diese Aufklärung der Abgrenzungsfrage gewinnt man gleichzeitig eine erste Bestimmung unseres Untersuchungsgegenstands. Im Rahmen dieser Abhandlung werden diejenigen Mitwirkungskonstellationen untersucht, die auf die Fahrlässigkeit von Täter und Opfer zurückzuführen sind.

Teil 2

Bestandsaufnahme A. Die Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung – Ein erster Überblick I. Ausgangslage Fester Topos in der Literatur ist, dass eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung klar voneinander abzugrenzen sind.1 Einige vertreten jedoch, dass eine solche Abgrenzung unbedeutend sei.2 Die h. M. ist von der Erforderlichkeit einer Differenzierung überzeugt. Auf dieser Grundlage stellt sich die Frage nach dem geeigneten Abgrenzungskriterium.3

II. Das Tatherrschaftskriterium Die grundlegende Frage, die sich im Rahmen der Abgrenzungsdiskussion nach der h. M. stellt, lautet: Wer beherrscht das Geschehen?4 Der Täter oder das Opfer? Es handelt sich um das sog. Tatherrschaftskriterium. Dieses findet auch in einer der meistdiskutierten Enstscheidungen des BGH Anwendung.5 Im Sachverhalt geht es um ein auf öffentlicher Straße veranstaltetes Autorennen, bei dem einer der Beifahrer ums Leben kam. Das Gericht hat das Geschehen als einverständliche Fremdgefährdung eingestuft und beide Fahrer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. 1 Statt vieler Roxin, GA 2012, 655 (657 f.); a. A. Stratenwerth, in: FS für Puppe, S. 1017 (1024); Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 259 f., 321. 2 Schünemann, JA 1975, 715 (722 f.); so auch Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (273), der meint: „eine exakte Grenzziehung ist gar nicht erforderlich, da die Strafbarkeit davon letztlich nicht abhängt.“; vgl. auch Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (217). 3 Für einen Überblick über die Abgrenzungsfrage und die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die jede Fallgruppe mit sich bringt, Lasson, ZJS 2009, 359 ff. 4 Lasson, ZJS 2009, 359 (363). 5 BGHSt 53, 55; dazu Roxin, JZ 2009, 399 ff.; Puppe, GA 2009, 486 ff.; Renzikowski, HRRS 2009, 347 ff.; Lasson, ZJS 2009, 359 ff.; Duttge, NStZ 2009, 690 ff.; Brüning, ZJS 2009, 194 ff.; Timpe, ZJS 2009, 170; Dölling, in: FS für Geppert, S. 53 ff.; Kühl, NJW 2009, 1155 (1158); Murmann, in: FS für Puppe, S. 767; Stratenwerth, in: FS für Puppe, S. 1017.

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Teil 2: Bestandsaufnahme

Für die Einordnung in die Fallgruppe der einverständlichen Fremdgefährdung stellte der BGH auf die Grundsätze der Tatherrschaftslehre ab. Er argumentiert wie folgt: „Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -schädigung und der – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdschädigung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Herrschaft über die Gefährdungs- bzw. Schädigungshandlung nicht allein beim Gefährdeten bzw. Geschädigten, sondern zumindest auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein.“ 6 In der vorliegenden Entscheidung erklärt der BGH, dass es für die Abgrenzung zwischen den zwei Figuren bei Fahrlässigkeitsdelikten auf die Herrschaft über den Geschehensablauf ankommt.7 Es wird konkret auf die sog. Gefährdungsherrschaft abgestellt.8 Damit wird die Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme auf die Fahrlässigkeit übertragen.9 Dies blieb natürlich nicht ohne Kritik.10 Denn eine Unterscheidung von Täter und Teilnehmer ist nur in Bezug auf das Vorsatzdelikt und nicht auf die Fahrlässigkeitstat möglich, bei der das Dogma des Einheitstäters gilt.11 Außerdem ist bemerkenswert, dass der BGH in dem vorliegenden Urteil die Tatherrschaft allein anhand objektiver Kriterien beurteilte und nicht wie sonst nach subjektiven.12 Das Gericht betont: „Bei der Prüfung, wer die Gefährdungsherrschaft innehat, kommt dem unmittelbar zum Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu.“ 13 Dies stellte eine Wendung in der Rechtsprechung dar, die bis dahin den „Willen zur Tatherrschaft“ 14 bei der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme als maßgebliches Kriterium sah.15

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BGHSt 53, 55 (60 f.). Ebd., 61. 8 BGHSt 53, 55 (61); Duttge, NStZ 2009, 690 (691). 9 Puppe, GA 2009, 486. 10 Ebd., 491 f. 11 Puppe, ZIS 2007, 247 (249); kritisch gegen eine solche Unterscheidung für den Bereich des Fahrlässigkeitsdeliktes auch Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 32 f.; Schlehofer, in: FS für Herzberg, S. 355 (377); Otto, in: GS für Schlüchter, S. 77 (92) f.). 12 Renzikowski, HRRS 2009, 347 (349); Puppe, GA 2009, 486 (491); Kühl, NJW 1155 (1158); s. auch BGHSt 53, 55 (61). 13 BGHSt 53, 55 (61). 14 BGHSt 37, 289 (291); zur Rechtsprechung s. Puppe, GA 2009, 486 (491); Renzikowski, HRRS 2009, 347 (349); s. auch Christmann, JURA 2002, 679. 15 Renzikowski, HRRS 2009, 347 (349); Puppe, GA 2009, 486 (491). 7

A. Abgrenzung zwischen Selbstgefährdung und Fremdgefährdung

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III. Kritik In der Literatur wird allerdigs nicht selten die Eignung des Tatherrschaftskriteriums zur scharfen Grenzziehung zwischen den zwei Figuren angezweifelt.16 Die fehlende „Trennschärfe“ lasse sich vor allem bei den Fällen erkennen, in denen Opfer und Täter „quasi-mittäterschaftlich“ zusammenwirken.17 Als Beispiel wird hier die Konstellation dargestellt, in der ein HIV-Infizierter nach Aufklärung des Partners über seine Infizierung mit diesem ungeschützt Geschlechtsverkehr ausübt.18 Es wird betont, dass in diesem Fall Täter und Opfer in gleicher Weise beteiligt sind, damit lasse sich die Trennungsfrage nicht einfach beantworten.19 Was ist hier anzunehmen, eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder eine einverständliche Fremdgefährdung?20 Hier erweist sich das Tatherrschaftskriterium als wenig hilfreich.21 Die Meinungen gehen auseinander.22 Einige23 sehen eine bloße Beteiligung des Infizierten an der Selbstgefährdung des Partners, andere24 nehmen eine einverständliche Fremdgefährdung an. In diesem Zusammenhang ist auch die Auffassung Roxins zu erwähnen, der die „Gefährdungsherrschaft“ genauer bestimmen will.25 Danach sei für die Bestimmung, wer das Geschehen beherrscht, entscheidend, wer den letzten Akt vornimmt, der unmittelbar zum Erfolg führt.26 Gefragt wird, von wem die Gefahr ausging, wer unmittel16 Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (211); Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (162); Christmann, JURA 2002, 679; Dach, NStZ 1985, 24 (25). 17 Beulke, in: FS Otto, S. 207 (211); Christmann, Jura 2002, 679; Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (273); Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (164 ff.); Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 f.; Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (368). 18 BayObLG NJW 1990, 131; JR 1990, 473 mit Anmerkung von Dölling; dazu Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (211). 19 Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). 20 Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (211). 21 Vgl. Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (211); Christmann, Jura 2002, 679; die Abgrenzungsschwierigkeiten sieht in diesem Fall auch Cancio Meliá, der sie allerdings für nicht entscheidend hält, Cancio Meliá, ZStW 111(1999), 357 (368); ähnlich Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (250 Fn. 28), worauf sich auch Cancio Meliá bezieht. 22 s. Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (368, Fn. 38); Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (273). 23 Prittwitz, NJW 1988, 2942 (2943); Dölling, JR 1990, 473 (475); Herzog/NestlerTremel, StV 1987, 360 (370); Bruns, M., MDR 1987, 353 (356); ders., NJW 1987, 693 (694); Duttge, in: FS für Otto, S. 227 (244 ff.); ders., NStZ 2009, 690 (692). 24 Roxin, GA 2012, 655 (656, 668); Helgerth, NStZ 1988, 261 (262); Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (273). 25 Roxin, GA 2012, 655 (658 ff.). 26 Roxin, GA 2012, 655 (660), der allerdings das Tatherrschaftskriterium ablehnt; Dölling, GA 1984, 71 (78); Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 31 f.; auch Otto, aber nur für die Abgrenzung zwischen Tötung auf Verlangen und Teilnahme an der Selbsttötung. Das Kriterium des letzten Aktes hält er für die Gefährdungsfälle als ungeeignet. Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (162 ff., 170); dazu Christmann, Jura 2002, 679 (680).

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Teil 2: Bestandsaufnahme

bar über das Rechtsgut verfügte.27 Gehe die den Erfolg unmittelbar bewirkende Gefährdung vom Dritten aus, dann liege eine einverständliche Fremdgefährdung vor.28 Schünemann vertritt einen ähnlichen Ansatz, der auf Äußerlichkeiten des Geschehens abstellt29, nämlich auf die zeitliche Reihenfolge von Dritt- und Opferhandlung.30 Eine einverständliche Fremdgefährdung sei anzunehmen, wenn „die Tatherrschaft bis zuletzt beim Täter bleibt“,31 d.h. auf den Täterbeitrag keine Handlung des Opfers folgt.32 Es wird allerdings zu Recht moniert, dass solche Differenzierungen abhängig von Zufälligkeiten bei der Gestaltung des Geschehens sind.33 Beulke erwähnt dabei das Beispiel des tödlich wirkenden Rauschgiftes. Er merkt an, dass allein aufgrund dessen, dass die Hand des Opfers zufällig zitterte und nicht selber das Rauschgift verabreichen konnte, der Fall als Fremdgefährdung eingestuft und als strafbar bewertet wird.34 Otto macht darauf aufmerksam, dass das Kriterium des zeitlich letzten Akts vor Realisierung des Erfolges den Unrechtsgehalt des Geschehens nicht beachte.35 „Da die Beteiligten davon ausgehen, daß die Verletzung nicht eintritt, bliebe die Differenzierung zufällig, weil dem zeitlich letzten Akt vor der Realisierung der Gefahr aus der Sicht der Handelnden keinerlei Signalwirkung, kein Verfügungscharakter über das sodann betroffene Rechtsgut zukommt.“ 36 Vor diesem Hintergrund ist die Kritik von Puppe, dass „von allen Beteiligten nur den letzten die Hunde beißen“ 37, berechtigt.

IV. Zwischenergebnis Festzuhalten ist zunächst, dass das Tatherrschaftskriterium zufällig ist und dem Einheitstäterbegriff widerspricht. Gleichwohl ist keine Alternative für die Abgrenzung von „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ und „einverständlicher Fremdgefährdung“ ersichtlich, die von Herrschaftserwägungen frei ist. Das sollte

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Roxin, GA 2012, 655 (660), s. dazu Christmann, Jura 2002, 679 (680). Roxin, GA 2012, 655 (659). 29 Zu Schünemanns Auffassung s. Christmann, Jura 2002, 679 (680). 30 So auch die Anmerkungen Christmanns, Jura 2002, 679 (680) und Beulkes, in: FS für Otto, S. 207 (212, Fn. 22); Schünemann, JA 1975, 715 (722); ders., JR 1989, 89 (90); ders., in: Die Rechtsprobleme von AIDS, S. 375 (474). 31 Schünemann, JA 1975, 715 (722), eine rechtliche Bedeutung der Unterscheidung lehnt er allerdings ab. 32 Christmann, Jura 2002, 679 (680). 33 Christmann, Jura 2002, 679 (680 f.); Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (212); Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (170). 34 Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (212); Dach, NStZ 1985, 24 (25). 35 Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (170). 36 Ebd. 37 Puppe, GA 2009, 486 (493). 28

B. Die rechtliche Behandlung

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gegen die Annahme, dass es sich bei „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ und „einverständlicher Fremdgefährdung“ um trennbare Fälle handelt, kritisch stimmen. Die Mängel des Tatherrschaftskriteriums und die Notwendigkeit einer neuen Betrachtung der Fälle, bei denen das Opfer an seiner Gefährdung mitwirkt, werden bei einem genaueren Blick auf die zwei Figuren und die Probleme ihrer rechtlichen Behandlung noch deutlicher werden.38

B. Die rechtliche Behandlung der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ Nicht nur die Abgrenzung der Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung ist in der Literatur umstritten, sondern auch, welche dogmatische Behandlung für jede von ihnen maßgebend sein soll.39 Im Folgenden werden verschiedene Ansätze präsentiert, denen unterschiedliche Konzeptionen zugrunde liegen. Es fällt auf, dass die Lösungsvorschläge oft eine Verschränkung von Grundgedanken aufweisen,40 was bei der Systematisierung der Konzepte gelegentlich zu Wiederholungen zwingt.

I. Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung Es wird überwiegend die Straflosigkeit der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung vertreten.41 Es herrscht jedoch keine Einigkeit hinsichtlich der dogmatischen Begründung dieses Ergebnisses.42

38 Die folgende Darstellung der in der Literatur zu findenden Lösungsvorschläge für die zwei Figuren orientiert sich an Lassons schematischer Darstellung, Lasson, ZJS 2009, 359 ff. 39 Vgl. Lasson, ZJS 2009, 359 (360); Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 152. 40 Dies konstatiert schon Cancio Meliá, ZStW 1999, 357 (361), der anmerkt: „Das herausragendste gemeinsame Merkmal aller vorhandenen Lösungen liegt in der Fragmentierung der Diskussion. Die Behandlung der Problematik erfolgt zum großen Teil unter verschiedenen dogmatischen Etiketten, oft ohne Berücksichtigung identischer materieller Argumente und Probleme, wenn diese aus einer anderen systematischen Perspektive eingebracht werden. Diese Streuung der dogmatischen Behandlung hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Diskussion in der Lehre in hohem Grade ungeordnet und konfus verläuft. Deshalb muß bei der folgenden kurzen Analyse der verschiedenen dogmatischen Ansätze vor allem die jeweils zugrundeliegende materielle Perspektive beachtet werden, wobei die Grundgedanken oft vermischt innerhalb verschiedener Lösungsvorschläge koexistieren“; vgl. auch Dölling, GA 1984, 71 (73). 41 Instruktiver Überblick bei Lasson, ZJS 2009, 359 ff. 42 Lasson, ZJS 2009, 359 (360).

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Teil 2: Bestandsaufnahme

1. Frühere Rechtsprechung Nach der früheren Rechtsprechung des BGH galt die Beteiligung an einer Selbstgefährdung, die unter den Begriff der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung fällt, als strafbar.43 Sofern ein für den Erfolg kausaler Beitrag vorlag, wurde eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung ausgesprochen.44 Nach dieser Betrachtungsweise wurden vom BGH die Heroinkonsumfälle mit tödlichem Ausgang behandelt.45 Dabei wurde die Strafbarkeit des Drogenlieferanten nach § 222 StGB begründet.46 Die Tatsache, dass das spätere Opfer die lebensgefährliche Dosis sich selbst injiziert hatte, spielte für die frühere Rechtsprechung keine Rolle.47 In diesem Zusammenhang sind noch zwei weitere Fälle zu erwähnen. In dem ersten ging es um eine Motorradwettfahrt zwischen zwei Angetrunkenen, von denen der eine ums Leben kam.48 Auch hier wurde der überlebende Fahrer wegen fahrlässiger Tötung bestraft. Die Selbstgefährdung des Getöteten war nach Ansicht des BGH „für die Tötungshandlung ohne Rechtswirkung“.49 Der zweite Fall war der so genannte „Pockenarztfall“, in dem ein Arzt, der nach einer Studienreise nach Indien an Pocken erkrankt war, unter anderem auch einen Seelsorger angesteckt hatte.50 Der Seelsorger hatte den erkrankten Arzt freiwillig in der Quarantäne aufgesucht. Diesem Umstand wurde allerdings für die rechtliche Behandlung des Arztes keine Bedeutung beigemessen.51 Letzterer wurde ebenfalls wegen Fahrlässigkeit verurteilt. 2. Heutige Rechtsprechung Eine neue Ausrichtung unternahm die BGH-Rechtsprechung mit dem viel diskutierten „Heroinspritzenfall“ 52.53 Hier handelte sich um einen typischen Heroinkonsumfall, in dem die Person, die sich eine Dosis Heroin selbst injiziert hatte, gestorben war. Der Angeklagte hatte dem Opfer die notwendigen Spritzen be43

Dazu Lasson, ZJS 2009, 359. Ebd. 45 BGH, NStZ 1981, 350; BGH, NStZ 1983, 72; s. Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 46 Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 47 Lasson, ZJS 2009, 359 (360); zur alten Rechtsprechung auch Otto, Jura 1984, 536 (537 f.). 48 BGHSt 7, 112; dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (360); Otto, Jura 1984, 536 (538). 49 BGHSt 7, 112 (114). 50 BGH, NJW 1963, 165 mit Anmerkung von Rutkowsky; dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (360); Otto, Jura 1984, 536 (538). 51 Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 52 BGHSt 32, 262; dazu Roxin, NStZ 1984, 411 ff.; Otto, Jura 1984, 536 ff.; Dach, NStZ 1985, 24 ff.; Stree, JuS 1985, 179 ff.; Seier, JA 1984, 533 ff.; Kienapfel, JZ 1984, 751 ff.; Horn, JR 1984, 513 ff. 53 Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 44

B. Die rechtliche Behandlung

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sorgt.54 In Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung sprach der BGH mit einem argumentum a fortiori den Angeklagten frei.55 Ausgehend von der Straflosigkeit der Selbsttötung und der Selbstverletzung erklärte der BHG die Teilnahme an dieser für straflos, weil nur die Tötung oder Verletzung eines anderen dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts unterfielen.56 Dabei stützte er sich auf das Akzessorietätsprinzip der Teilnahmelehre.57 Mangels einer Haupttat werde eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Beteiligung an Selbsttötung oder Selbstverletzung i. S. d. §§ 26 f. StGB unzulässig.58 Daraus schloss der BGH, dass auch die fahrlässige Mitwirkung an Selbstschädigungen wegen des Wertungsdefizits derselben im Vergleich zur vorsätzlichen Mitwirkung an Selbstschädigungen tatbestandslos sein müsse.59 Wenn aber die vorsätzliche oder fahrlässige Beteiligung an Selbstschädigungen tatbestandslos sei, müsse erst recht die Beteiligung an Selbstgefährdungen als straflos betrachtet werden.60 Dieser Ansatz ist als das „Teilnahmeargument“ 61 bekannt und wird seither in der Rechtsprechung durchgehalten.62 3. Die Lehre Nach diesem kurzen Blick auf die Rechtsprechung werden im Folgenden die verschiedenen Ansätze, die in der Literatur vorgeschlagen werden, kritisch beleuchtet. a) Der Schutzzweck der Norm Den Ausgangspunkt dieser Lehre bildet „die Notwendigkeit zu einer normativen Begrenzung des Haftungsrahmens“ bei fahrlässigen Delikten.63 Als Instrument dafür dient die Anwendung teleologischen Denkens in der Fahrlässigkeitsdogmatik.64 Hierbei wird ersichtlich, wie Derksen treffend anmerkt, dass die objektive Zurechnung als „universelles Lösungskonzept für alle schwierigen Grenzfragen der Zurechnung“ dient.65 Anhand des Schutzzwecks der Norm soll 54

Ebd. Otto, Jura 1984, 536 (537); Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 56 BGHSt 32, 262 (264). 57 BGHSt 32, 262 (264); s. Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 58 BGHSt 32, 262 (264); Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 59 BGHSt 32, 262 (264); Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 60 BGHSt 32, 262 (264); Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 61 Dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 62 Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 63 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241. 64 Ebd., S. 243, 259. 65 So Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 30, der eine ausführliche Darstellung der zentralen These der Lehre des Schutzzwecks der Norm bietet (30 ff.). 55

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Teil 2: Bestandsaufnahme

auch die Straflosigkeit der fahrlässigen Teilnahme an einer Selbstschädigung oder Selbstgefährdung begründet werden.66 Nach den Anhängern dieser teleologischen Auslegung der Vorschriften hört der Schutzbereich der Norm da auf, wo der Verantwortungsbereich des Einzelnen für sich selbst beginnt.67 So beziehe sich der Tatbestand des Tötungsverbots nicht auf Selbstschädigungen.68 Der Schutzzweck der §§ 212, 222 StGB erfasse den Fall der Selbsttötung nicht.69 Vielmehr solle die Mitwirkung eines Dritten an einer Gefährdung oder Verletzung, die in die Verantwortungssphäre des Verletzten falle, vom Strafrecht nicht erfasst werden.70 Eine Zurechnung zum objektiven Tatbestand wird abgelehnt. Der Erfolg wird trotz der vorhandenen Risikoverwirklichung nicht vom Schutzbereich der Norm erfasst und kann nicht zugerechnet werden.71 Roxin argumentiert, dass der Normzweckgedanke bei den Fallkonstellationen der Selbstgefährdung und Selbstverletzung sich in zwei Ausprägungen manifestiert, einerseits in der Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme und anderseits in dem Gedanken, dass niemandem Folgen zugerechnet werden dürfen, wenn der Verletzte sich gefährdet, um andere zu retten.72 Die Bezugnahme auf die Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme weist auf das oben erwähnte Teilnahmeargument hin, das der BGH schon in dem Heroinspritzenfall angewendet hat. Letzteres entspringt aus der Grundidee, dass die Selbsttötung nicht durch den Schutzzweck der Sorgfaltsnorm gedeckt werde.73 Es liegt auf der Hand, dass das Teilnahmeargument durch zwei74 Argumente a fortiori die argumentative Brücke zwischen dem Schutzzweckgedanken und der Straflosigkeit der Mitwirkung an Selbstgefährdungen bietet.75 Deshalb soll im Folgenden die Stoßkraft dieses Arguments näher geprüft werden. Sollte sich seine Unhaltbarkeit herausstellen, gewinnt man den richtigen Standpunkt, um auch das Unzulängliche des Ausgangsgedankens aufzuzeigen, dass der Schutzzweck des § 222 StGB den Fall der Veranlassung oder Förderung eines Selbstmordes nicht erfasse. Schließlich werden wir uns mit der Argumentation Roxins in Bezug auf die verunglückten Rettungshandlungen auseinandersetzen. 66 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (245 ff.); dazu Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 31 ff.; Lasson, ZJS 2009, 359 (360 f.). 67 Stree, JuS 1985, 179 (181); hierzu Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 68 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 107. 69 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (245); ders., Strafrecht-AT I, § 11 Rn. 107; Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 182 f. 70 Stree, JuS 1985, 179 (181). 71 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 107. 72 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (249, 247). 73 Lasson, ZJS 2009, 359 (361). 74 Ebd., 360. 75 Vgl. Derksen, S. 33, 40; Peña, GA 2011, 295 (298); Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 237 f.

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aa) Das Teilnahmeargument In Übereinstimmung mit der BGH-Rechtsprechung wird in großen Teilen der Literatur die Straflosigkeit der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auf der Basis der Teilnahmelehre angenommen.76 Das Fundament dieser Ansicht ist die nach deutschem Recht bestehende Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid.77 Wie in der vorliegenden BGH-Entscheidung wird hier betont, dass aufgrund einer fehlenden Haupttat – die Selbstschädigung fällt nicht unter den Schutzzweck des Tötungsverbots78 – die Bestrafung für die Teilnahme an dem Suizid ausgeschlossen ist.79 Wenn aber das Mehr (die Selbstschädigung) strafrechtlich irrelevant ist, müsse das Weniger (die Selbstgefährdung) erst Recht straflos bleiben.80 Aus dieser argumentatio a maiore ad minus resultiere nach den Anhängern des Teilnahmearguments auch die Straflosigkeit der Teilnahme an einer Selbstgefährdung.81 Nur so würden Wertungswidersprüche vermieden.82 Dazu argumentiert Rudolphi: „Da die Teilnahmetatbestände auf der Grundlage eines primären Täterbegriffs nur Strafausdehnungsgründe sind, greifen sie hier ins Leere. Es fehlt ein primäres Verbot, das sie auf die Fälle der Teilnahme erstrecken könnten.“ 83 Auf der Grundlage dieser Argumentation wird dann die objektive Zurechnung abgelehnt.84 Sofern der Geschädigte das Risiko bewusst eingegangen ist, sei der Erfolg nur ihm zuzurechnen.85 So auch der BGH im Heroinspritzenfall: „Auch die eigenverantwortlich gewollte – erstrebte, als sicher vorausgesehene oder in Kauf genommene – und vollzogene Selbstgefährdung unterfällt nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, gleichgültig, ob das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko sich realisiert [. . .] oder ob der ,Erfolg‘ ausbleibt. Wer lediglich den Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung (vorsätzlich oder fahrlässig) veranlasst, ermöglicht oder 76 s. z. B. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 107; Dölling, GA 1984, 71 (77); Stree, JuS 1985, 179 (181). 77 Dölling, GA 1984, 71 (75). 78 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 107. 79 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 107; Stree, JuS 1985, 179 (181), dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 80 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 107; so auch Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (557); Dölling, GA 1984, S. 71 (75 ff.). 81 s. Lassons Darstellung des Arguments, der richtigerweise von einer zweifachen argumentio a maiore ad minus spricht, Lasson, ZJS 2009, 359; so auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 32. 82 Otto, Jura 1984, 536 (537); Stree, JuS 1985, 179 (181). 83 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz, S. 149 (Fn.149); hierzu Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 32. 84 Otto, Jura 1984, 536 (539); Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 110. 85 Otto, Jura 1984, 536 (538 f.).

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fördert, nimmt an einem Geschehen teil, das – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist. Die Strafbarkeit kann erst dort beginnen, wo der Beteiligte kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende.“ 86 Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Teilnahmeargument von der Gleichstellung der Suizidbeteiligung mit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung ausgeht.87 Diese wird anhand der Grundsätze der Tatherrschaftslehre begründet. Dölling argumentiert: „Weiterhin spricht für die Gleichstellung, dass ebenso wie bei der gezielten Selbsttötung auch bei der bewussten Selbstgefährdung das Opfer allein die Tatherrschaft über das Geschehen ausübt.“ 88 Dadurch wird das Tatherrschaftskriterium auch in den Fahrlässigkeitsbereich übertragen.89 Es fällt nicht schwer zu erkennen, dass das Teilnahmeargument als Abgrenzung der zwei Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einverständlichen Fremdgefährdung mit dem Teilnahmeargument bei der konkreten Behandlung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung korreliert. bb) Kritik Zwar mag der Erst-Recht-Schluss des Teilnahmearguments zunächst als „folgerichtig und überzeugend“ erscheinen.90 Diese Plausibilität wird jedoch bei näherem Zusehen erschüttert.91 Das Teilnahmeargument steht auf schwachen Füßen, weil es sowohl aus formallogischer als auch aus wertlogischer Sicht nicht von bedenkenfreien Prämissen ausgeht.92 Damit sind einerseits die Berufung auf die Straflosigkeit der Beteiligung am Suizid und anderseits die Unterstellung eines restriktiven Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsbereich gemeint.93 (1) Abschied vom Teilnahmeargument 94 Die Überzeugungskraft des Teilnahmearguments wird erheblich vermindert, wenn man sieht, dass es rein positivistischer und formal-systematischer Natur 86

BGHSt 32, 262 (265). s. Dölling, GA 1984, 71 (77). 88 Ebd. 89 So auch, wie schon gesehen, die Kritik von Puppe, GA 2009, 486 ff. 90 s. Stree, JuS 1985, 179 (181); seine formallogische Qualität wird dagegen zu Recht von Derksen bestritten, Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 37 ff.; so auch Spendel, JuS 1974, 749 (751). 91 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 38 f. 92 Ebd., S. 39 f. 93 In Bezug auf die zweite Prämisse, ebd., S. 37 f. 94 So der Titel des Beitrags von Schilling in JZ 1979, 159. Schilling fordert die Abkehr von dem Teilnahmeargument; dazu Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 235 ff. 87

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ist.95 Der Gedankengang basiert auf der Annahme, dass die aktive Suizidbeteiligung wegen des Akzessorietätsprinzips straflos ist. Zu diesem Ergebnis, das mit dem intuitiven Rechtsbewusstsein nicht notwendigerweise in Einklang steht,96 gelangt die h. L. schlicht deswegen, weil die Suizidbeteiligung im deutschen Strafrecht nicht strafbar ist. Hätte der deutsche Gesetzgeber einen selbstständigen Straftatbestand geschaffen, wie dies in anderen europäischen Rechtsordnungen der Fall ist, machte das Abstellen auf das Akzessorietätsprinzip wenig Sinn.97 Daher würde auch die erste Prämisse des argumentum a fortiori bezüglich der Mitwirkung an Selbstgefährdung nicht in Betracht kommen. Die systematische Lücke erlaubt allerdings die formalistische Argumentation der h. L. Betrachtet man Ibsens Drama „Hedda Gabler“, ist kaum bestreitbar, dass Hedda Gabler eine Tat begeht, die äußerst verwerflich und strafwürdig ist,98 als sie Ejlert Løvborgs Verzweiflung verstärkt und ihm eine Pistole gibt, mit der er sich später erschießt und sich dabei auch noch wünscht, dass, was stattfinden sollte, „in Schönheit“ geschehe.99 Da die Suggestivkraft von Hedda Gabler so groß ist und ihr Tatbeitrag „das Anfangsglied der Kausalkette“ 100 darstellt, ist nach dem Gerechtigkeitsgefühl des Lesers der kriminelle Charakter ihres Verhaltens unzweifelhaft. Dass Ejlert Løvborg eine zurechnungsfähige Person ist, ändert nichts an dieser Intuition. Es ist allerdings so, dass eine reale „Hedda Gabler“ strafrechtlich unangreifbar wäre.101 Eine Strafbarkeit wegen Anstiftung 95 Auf die formal-systematische und positivistische Natur des Teilnahmearguments machen auch Peña und Geilen aufmerksam, Peña, GA 2011, 295 (303) und Geilen, JZ 1974, 145. 96 Vgl. Herzberg, JuS 1974, 374 (379); Dölling, in: FS für Maiwald, S. 119 (128). 97 So auch Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 235; s. auch Dölling, in: FS für Maiwald, S. 119 (129); Peña, GA 2011, 295 (303); Feldmann, GA 2012, 498 (500, 514). 98 Vgl. Dölling, in: FS für Maiwald, S. 119 (128); Herzberg, JuS, 1974, S. 374 (379). 99 Ibsen, Hedda Gabler, Sämtliche Werke, Band 5, S. 194. 100 Esser, GA 1958, 321 (325). 101 Zur Strafbarkeit gelänge man im Fall Hedda Gabler möglicherweise dann, wenn man Ansichten der Literatur folgte, wonach das gezielte Hervorrufen eines zum Suizid führenden Motivirrtums mittelbare Täterschaft begründet, so Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 40; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 225 ff., 228 ff. (später aber anders, s. LK-StGB/Roxin, 11. Aufl., § 25, Rn. 110); Frister, Strafrecht AT, Kapitel 27, Rn. 21 ff.; Neumann, JA 1987, 244 (253 f.); s. auch BGH GA 1986, 508 f. Hedda Gabler hat zwar nicht den Motivirrtum durch aktives Handeln hervorgerufen, sie hat es jedoch gezielt unterlassen, Ejlert zu offenbaren, dass sein verlorenes Manuskript von ihrem Mann gefunden wurde. Sie hatte also die Wissensherrschaft und Ejlert unterlag einem Irrtum über „den konkreten Handlungssinn“ (Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 224, 227), der ihn zum Suizid brachte. Das Ausnutzen eines bereits vorhandenen Irrtums genügt für die Annahme der mittelbaren Täterschaft, Frister, Strafrecht AT, Kapitel 27, Rn. 23. Die These, wonach das Hervorrufen eines zum Suizid führenden Motivirrtums mittelbare Täterschaft begründet, ist allerdings nicht unumstritten, Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 40; s. auch die Darstellung der Diskussion in Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 225 ff. Nach einer verbreiteten Meinung soll nur ein „rechtsgutbezogener Motivirrtum des Verletzten“ (Frister, Strafrecht AT, Kapitel 27,

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scheidet mangels einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Haupttat aus. Wie aber Herzberg richtigerweise anmerkt, erscheint diese Behandlung „dem unbefangenen Betrachter eher skandalös“.102 Man stößt hier auf eine Strafbarkeitslücke, die sich auch nicht mit der Berufung auf den fragmentarischen Charakter des Strafrechts rechtfertigen lässt.103 Der bruchstückhafte Schutz des Strafrechts erfasst besonders sozialschädliche Angriffe auf Rechtsgüter, gerade eine solche Art von Angriff gegen das Rechtsgut des Lebens stellt aber die Anstiftung zum Suizid dar. Die Verzweiflung eines Menschen wird hier ausgenutzt und destruktive Kräfte gegen das Rechtsgut des Lebens werden in Gang gesetzt.104 Entsprechendes gilt für die Beihilfe zum Suizid. Der Unrechtsunterschied zwischen den zwei Beteiligungsformen ist nur für die Bestimmung des konkreten Strafmaßes maßgeblich, hat aber für die Feststellung der allgemeinen Strafwürdigkeit von beiden keine Bedeutung. Entscheidend für die Strafwürdigkeit der Beihilfe zum Suizid ist, dass sie, wie die Anstiftung zum Suizid, das Moment einer Missachtung fremden Lebens enthält.105 Deshalb sollte man sich nicht damit zufrieden geben, dass anhand einer einseitigen positivistischen Betrachtungsweise des Problems eine strafrechtliche „Enklave“ für moralisch zweifelhaftes Verhalten geschaffen wird.106 Vor allem aber kann ein solcher Formalismus, der in einem zentalen Bereich mit Gerechtigkeitsgefühlen kollidiert, nicht die argumentative Basis bieten, auf der weitere Konstruktionen aufgebaut werden.107 Dass die konstruktivistische Begründung des Teilnahmearguments in der falschen Prämisse der Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid gefangen ist, zeigt die Rn. 19 ff.) zur mittelbaren Täterschaft führen, so SK-StGB/Hoyer, § 25, Rn. 86; Joecks, in: MüKo-StGB, § 25, Rn. 129 ff. Charalambakis, GA 1986, 485 (497 f.); unter Berücksichtigung der Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers krit. auch Schneider, H. in: MüKoStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 56; Kühl, Strafrecht AT, § 20, Rn. 49; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 62 II. 1; LK-StGB/Roxin, 11. Aufl., § 25, Rn. 110; hierzu s. Frister, Strafrecht AT, Kapitel 27, Rn. 21. Zudem würde diese Umgehung der pauschalen Straflosigkeit auch nicht helfen, wenn Ejlert tatsächlich das vom ihm verfasste Manuskript verloren hätte und Hedda ihm „nur“ in diesem Verzweiflungsmoment die Pistole in die Hand gedrückt hätte. Bei dem Verhalten von Hedda handelte sich immer noch um eine ethisch verwerfliche Ausnutzung einer temporären Schwäche des Opfers, die vom Strafrecht nicht ignoriert werden darf. 102 Herzberg, JuS, 1974, S. 374 (379). 103 Auf der Fragmentarität des Strafrechts in diesem Zusammenhang beruft sich Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 54. 104 Vgl. Dölling, in: FS für Maiwald, S. 119 (128); Klingenberg, JR 1978, 441 (442). 105 „So setzt sich etwa der Teilnehmende immer über den Achtungsanspruch fremden Lebens hinweg“ bemerkt Klingenberg, JR 1978, 441 (445). 106 Vgl. Herzberg, JuS 1974, S. 374 (379). 107 Auch Herzberg beruft sich auf das Rechtsgefühl, das Strafe wegen Mordes verlange, Herzberg, JuS 1974, S. 374 (379). Auf die Ungeeignetheit des Teilnahmearguments wegen des Aufbaus auf dem „unsicher[en]“ und „exzeptionell[en]“ Fall der Beihilfe zum Selbstmord weist auch Puppe hin, NK-StGB/Puppe, Vor § 13 ff., Rn. 185.

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bisherige Rechtsprechung auch hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Garanten, der Hilfeleistungen gegenüber einem Suizidenten unterlässt.108 Es wird dabei für die Begründung der Strafbarkeit des Garanten auf die so genannte „überspringende Tatherrschaft“ 109 zurückgegriffen.110 Danach begründet die Nichthinderung des Suizids, falls der Suizident nicht sogleich „mit Erfolg“ seinen Selbstvernichtungsplan verwirklicht und nur bewusstlos ist, eine Strafbarkeit wegen Tötung durch Unterlassen oder wegen einer unterlassenen Hilfeleistung, obwohl die aktive Teilnahme am Suizid nicht mit Strafe bedroht wird.111 Solange der Suizident das Geschehen beherrscht, ist der Teilnehmer straflos.112 Wenn er aber z. B. bewusstlos in der Schlinge hängt, „springt“ die Tatherrschaft von ihm auf den anwesenden Teilnehmer „über“, der bei Nichtrettung des Suizidenten als Garant wegen Tötung durch Unterlassen oder nach § 323 c StGB bestraft wird.113 Dieses Konstrukt führt zu folgendem paradoxen Ergebnis: der Garant114, der bei der Durchführung des Suizids aktiv mitwirkt und zunächst wegen des formellen Teilnahmearguments straflos ist, wird am Ende doch bestraft.115 In diesem von vielen116 festgestellten Widerspruch zeigt sich, dass die Straflosigkeit der aktiven Teilnahmehandlung den „sozial-ethischen Belange[n] der Rechtsgemeinschaft“ 117 widerspricht und daher negativ bewertet wird.118 Es ist erstaunlich, dass die Rechtsfolge dieser negativen Bewertung am zufälligen Ausgang der Suizidausführung festgemacht wird und nicht bereits bei 108

BGHSt 2, 150; BGHSt 32, 367; vgl. auch BGHSt 6, 147; BGHSt 13, 162. Klingenberg, JR 1978, 441. 110 BGHSt 32, 367 (374 f.). 111 Klingenberg, JR 1978, 441. Eine Ausnahme kann nur aufgrund von Zumutbarkeitserwägungen für Ärzte in Betracht kommen, die die Rettung eines Suizidenten unterlassen, so BGHSt 32, 367 (380 f.); dazu krit. Schneider, H., in: MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 69, 75; s. auch Feldmann, GA 2012, 498 (499). Auf Unzumutbarkeitserwägungen stellt auch Dölling ab. Wenn ein „objektiv erkennbarer Abwägungssuizid“ vorliegt, sei die Rettung dem Dritten nicht zumutbar, Dölling, NJW 1986, 1011 (1016). 112 Klingenberg, JR 1978, 441. 113 Klingenberg, JR 1978, 441; dazu Feldmann, GA 2012, 498 (499). 114 Darunter fallen nicht Garanten aus Ingerenz. Keine Garantenstellung ergibt sich nach einhelliger Meinung aus Ingerenz wegen Mitwirkung am Suizid, s. Klingenberg, JR 1978, 441 (442); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 233 f. 115 Klingenberg, JR 1978, 441; Schneider, H., in: MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 68; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 234; Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, seine Schranken und die strafrechtlichen Konsequenzen, S. 191; s. auch Hillenkamp, in: FS für Otto, S. 287 (295). 116 Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 211, Rn. 43; Roxin: in FS für Dreher, 331 (348); Schneider, H., in: MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 68; Klingenberg, JR 1978, 441 f.; Schilling, JZ 1979, 159 (162); Verrel, JZ 1996, 224 (230); Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, seine Schranken und die strafrechtlichen Konsequenzen, S. 191; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 234. 117 BGHSt 32, 367 (379). 118 Vgl. Klingenberg, JR 1978, 441 (442); Geilen, JZ 1974, 145 (148). 109

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der Phase der Suizidausführung.119 Nur dieser rechtzeitige Strafrechtseinsatz würde dem Erfordernis einer wirksamen Suizidprävention entsprechen.120 Ferner ist nicht zu erklären, warum der einem Zufall zuzuschreibende, nicht sofortige Tod das Rechtsgut des Lebens schutzwürdiger macht, damit das Strafrecht erst dann gegen das ohnehin gefährliche Tun der Teilnehmer eingreift. Diese merkwürdig differenzierende Behandlung der zwei Suizidphasen sieht auch Klingenberg, der schreibt: „Um einer Bestrafung zu entgehen, genügt es also z. B. für einen Gehilfen, daß er ein möglichst schnell wirkendes Suizidmittel auswählt, so daß letztlich eine Bestrafung des Teilnehmers wegen täterschaftlicher Unterlassung von der Wahl des Suizidmittels abhängt.“ 121 Das Abstellen auf ein rein formelles Tatherrschaftskriterium hat solche fragwürdigen Konsequenzen.122 Ein wenig befriedigendes Ergebnis stellt sich auch ein, wenn man eine andere Unterlassungskonstellation vorstellt, in der anwesende Dritte nicht aus Ingerenz Garanten sind, sondern z. B. aus dem Gesetz.123 Greift der Garant, der keinen Beitrag geleistet hat, in diesem Fall nicht ein, um seinen Schützling zu retten, macht er sich nach §§ 216, 13 StGB strafbar.124 Andererseits aber wird als straffrei der Fall angesehen, bei dem die Garantenstellung durch eine vorherige aktive Förderung entstand.125 Dadurch bleibt aber das Handeln, das durch eine größere deliktische Energie gekennzeichnet ist als das Garantenunterlassen ohne vorangegangenes gefährliches Tun, paradoxerweise straflos, während das zweite bestraft wird.126 119 Klare Hinweise, dass schon die aktive Beteiligung am Suizid ein Verstoß gegen rechtlich anerkannte Solidaritätspflichten ist, sind in BGHSt 32, 367 (374 f.) zu finden: „Die hier vertretene Auffassung führt auch nicht notwendig zu der als widersinnig abgelehnten Folgerung, daß derjenige, der dem Selbstmörder straflos das Tötungsmittel zur Verfügung stellen dürfe, einschreiten müsse, wenn es gewirkt habe. Zwar ist der Garant, solange der Suizident noch Herr des Geschehens ist, mangels eigener Tatherrschaft nicht aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Garantenhaftung verpflichtet, einzuschreiten. Seine Rechtspflicht, das ihm Mögliche und Zumutbare zur Verhinderung des Selbstmords auch schon vor Eintritt der Bewußtlosigkeit des Opfers zu tun, kann sich jedoch aus der für jedermann geltenden allgemeinen Hilfeleistungspflicht, die in § 323 c StGB mit Strafe bewehrt ist, ergeben.“ 120 Für Tenthoff, der die Straflosigkeit der Suizidteilnahme nicht bestreitet, ist die Hilfspflicht im Fall eines gescheiterten Suizidversuchs dadurch zu begründen, dass Suizidversuche häufig nicht freiverantwortlich begangen werden, Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, S. 227. Zu fragen ist allerdings, warum darf das Strafrecht erst in diesem späteren Stadium einschreiten? Zur Notwendigkeit einer wirksamen Suizidprävention Dölling, in: FS für Maiwald, S. 119 (128 f.). 121 Klingenberg, JR 1978, 441. 122 Ebd., 442. 123 Zu diesem Paradox Klingenberg, JR 1978, 441 (442). 124 Ebd. 125 Klingenberg, JR 1978, 441 (442); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, 233 f.; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 275 f. 126 Klingenberg, JR 1978, 441 (442).

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Schließlich ist zu erwähnen, dass der BGH bei der Annahme von Rettungspflichten in Fällen gescheiterter Selbstmordversuche den formalistischen Charakter der Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid hervorhebt. So ist im Beschluss vom 10. März 1954 zu lesen: „Der Gesetzgeber hat das Sittengebot der Hilfeleistung in gewissen Fällen zu einer durch Strafe erzwingbaren Rechtspflicht erhoben, die nach Sinn und Zweck des § 330 c StGB [a. F.] sich auch auf die Folgen des Selbstmordversuchs erstreckt. Dieser Rechtspflicht gegenüber muß die formalrechtliche Folgerung, daß die Teilnahme an fremdem Selbstmordversuch als solche straflos ist, zurücktreten.“ 127 Alle diese Anmerkungen machen die Schwäche des Teilnahmearguments noch augenscheinlicher. Die Straflosigkeit der aktiven Mitwirkung am Suizid steht im Spannungsverhältnis mit der strafrechtlichen Bewertung anderer deliktischer Konstellationen und führt zu folgewidrigen Ergebnissen.128 Mittlerweile ist allerdings in der Rechtsprechung eine Wende festzustellen. Um den Widerspruch aufzuheben, beruft sich die neue Rechtsprechung auf die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten und zieht daraus den Schluss, dass im Fall eines freiverantwortlichen „Bilanzsuizides“ für den Arzt keine Pflicht besteht, lebenserhaltende Maßnahmen zu unternehmen.129 Eine Sanktionierung stoße gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten.130 Auch im Schrifttum wird das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit als Sperre für die Strafbarkeit des Garanten gesehen.131 Es wird erklärt, dass die Unterlassungsfälle deshalb straflos sind, weil sie auf der freien verantwortlichen Entscheidung des Selbstmörders beruhen, wie das aktive Tun.132 Dadurch kommt zum Ausdruck, dass für die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten maßgeblich ist. Die Zuordnung der Tatherrschaft hängt dann von der Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses ab.133 Solange der Suizident freiverantwortlich handle, stelle die Mit-

127 BGHSt 6, 147 (154); anders Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 94 f., der die Eigenverantwortlichkeit eines verzweifelten Suizidenten nicht hinterfragt und daher die Hilfsbedürftigkeit nach § 323 c verneint. 128 Schilling, JZ 1979, 159 (162); vgl. auch Klingenberg, JR 1978, 441 (442). 129 LG Deggendorf, RDG 2014, 237 (238 f.); so auch NK-StGB/Neumann, Vor § 211, Rn. 80 ff.; Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 211, Rn. 41. 130 LG Deggendorf RDG 2014, 237 (238); vgl. auch die neuere Rechtsprechung vor BGHSt 32, 367; Düsseldorf NJW 1973, 2215; BGH NStZ 1983, 117; anschauliche Darstellung der Entwicklung in der Rechtsprechung Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 211, Rn. 43. 131 NK-StGB/Neumann, Vor § 211, Rn. 80 ff., der die Strafbarkeit des Dritten auch im Falle eines nicht wohlüberlegten Appellsuizids verneint (Rn. 82); Roxin, in: FS für Dreher, 331 (348 f.); Schneider, H., in: MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 68 ff., 72 ff. 132 NK-StGB/Neumann, Vor § 211, Rn. 80, 84; Schneider, H., in: MüKo-StGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 73 ff. 133 Dölling, FS für Maiwald, S. 119 (122); Spendel, JuS, 1974, 749 (751 f.); Feldmann, GA 2012, 498.

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wirkung eine straflose Beteiligung am Suizid dar, ansonsten wird eine Fremdtötung in mittelbarer Täterschaft angenommen.134 Es ist auf jeden Fall erfreulich, dass die Literatur hier über das positivistische Teilnahmeargument hinausgeht und sich unter dem normativen Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit auf die Selbstbestimmung bezieht.135 Letztere ist in einem Selbstmordfall allerdings alles andere als selbstverständlich. Die Suizidneigung ist meistens nicht auf einen freien und selbstbestimmten Willen zurückzuführen.136 Sie ist vielmehr das Ergebnis von Verzweiflungs- und Depressionsmomenten, die mit der Prägung eines eigenen Willens nicht zu vereinbaren sind.137 Es handelt sich häufig nicht um „wohlüberlegte Bilanzsuizide“, sondern um Verzweiflungstaten im Gefühl von Ausweglosigkeit.138 134 Dölling, FS für Maiwald, S. 119 (122). Mit dieser Argumentation wird die Pönalisierung der Suizidteilnahme als überflüssig abgelehnt, die Einführung eines besonderen Tatbestandes sei nicht nötig, Duttge ZfL 2012, 51 (52); ders., in: FS für Otto, S. 227 (239); Rosenau, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ, BT-Drucks. 17/ 11126, S. 4. Diese These kann aber nicht überzeugen, da sie zu Bestrafungsexzessen führt, Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589). Die Intensität der Mitwirkung und der Grad der Beeinträchtigung der Willensfreiheit variiert von Fall zu Fall, so dass es als unangemessen erscheint, den Dritten gleich als Täter zu bestrafen, Feldmann, GA 2012, 498 (514). Durch einen Spezialtatbestand der Suizidmitwirkung lassen sich einfache Mitwirkungsformen angemessen behandeln, Feldmann, GA 2012, 498 (514); dies., Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 201. Zudem bedeutet die Anwendung der §§ 211, 212 StGB für die Beteiligung an fremder Selbschädigung, dass im Fall von Autonomiedefiziten des Suizidenten eine unzulässige Angleichung von einer Rechtsgutverletzung ohne Mitwirkung des Rechtsgutinhabers mit einer Rechtsgutsverletzung erfolgt, die der Initiative des Opfers entspringt, so du Bois-Pedain auf der Basis des harm principle, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 33 (45). Nur ein Sondertatbestand kann den Unterschied auf Unrechts- und Schuldebene zwischen den zwei Konstellationen richtig erfassen. 135 Darauf beruft sich auch Roxin, wenn er schreibt: „Die Anknüpfung dieser Begründung [Teilnahmeargument] an das positive Recht darf freilich nicht den Blick auf die dahinter stehende normative Wertentscheidung verdecken: dass nämlich kein Grund besteht, die Handlungsfreiheit der Beteiligten einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird.“ Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn 107 (Fn. 230); ders., in: FS für Gallas, S. 241 (243 ff.); ders., in: FS für Dreher, S. 331 (348 f.); so auch Neumann, JA 1987, 244 (248 f.); Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 222 ff. 136 Klingenberg, JR 1978, 441 (443) mit weiteren Hinweisen. 137 Dölling, FS für Maiwald, S. 119 (128); Geilen, JZ 1974, 145 (145 f., 154); LKStGB/Jähnke, 11. Aufl. vor § 211, Rn. 27; Bung, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 27 (29); Bringewat, ZStW 87 (1975), 632 (646 ff.); ders., in: Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, S. 368; Kubiciel, JZ 2009, 600 (608). Zur Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung aus psychiatrischer Sicht ausführlich Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, 175 ff.; s. auch Thomas, Menschen vor dem Abgrund, S. 33. 138 Dölling, FS für Maiwald, S. 119 (128); vgl. Feldmann, GA 2012, 498 (500 f.); dies., Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 177 ff., 194 ff.; auch Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (588), der allerdings den „übereilten Suizid“ nicht mit dem nicht freiverantwortlichen Suizid gleichsetzt (589).

B. Die rechtliche Behandlung

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In Ansehung von Beispielen des realen Lebens erweist sich die Betonung der Selbstbestimmung des Suizidenten als „leeres Pathos“.139 Beispiel: Eine junge Frau vergiftet sich aus Liebeskummer.140 Soll die Mutter, die der Tochter das Gift überreicht oder deren Vergiftung zuschaut, straflos bleiben?141 Kann man sich hier auf die Achtung des angeblich freien Willens berufen und gegen den gesunden Menschenverstand Straffreiheit annehmen?142 Bedarf eine Person in einer vorübergehenden Krisensituation nicht des Schutzes?143 Ein großzügiger Umgang mit dem Begriff der Freiverantwortlichkeit wie ihn vor allem die sog. Exkulpationslehre vertritt,144 wonach die Freiverantwortlichkeit nach Maßgabe der §§ 20, 21 und 35 StGB bestimmt wird,145 führt bei Suizidenten, die eine temporäre Lebenskrise erleben und auf „anteilnehmende Mitmenschlichkeit“ 146 angewiesen sind, zu einem unvertretbaren Schutzdefizit.147

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Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 266. Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 266; vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 32. 141 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 266. An Stelle der Mutter kann man sich auch eine dritte beliebige Person vorstellen. Die Schutzbedürftigkeit des verzweifelten Suizidenten bleibt bestehen. 142 Ebd. 143 Ebd. 144 Feldmann, GA 2012, 498 (500). 145 Roxin, in: FS für Dreher, 331 (349); ders., GA 2013, 312 (319 f.); Charalambakis, GA 1986, 485 (498); Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 116 ff.; Schneider, H., in: MüKo, Vor §§ 211 ff., Rn. 54 ff.; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 252 ff.; Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, seine Schranken und die strafrechtlichen Konsequenzen, S. 178 ff.; Dölling, NJW 1986, 1012; zu den Eigenverantwortungskriterien s. Feldmann, GA 2012, 498 ff. 146 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 267. 147 Feldmann, GA 2012, 498 (500). Der defizitäre Lebensschutz beim Fall eines übereilten Entschlusses, Abschied vom Leben zu nehmen, der durch temporäre Verzweiflung motiviert ist, zeigt sich deutlich im Bewerten der Veranlassung oder Förderung des Suizids eines Jugendlichen, der sich aus enttäuschter Liebe für den Suizid entscheidet. Der Antipaternalismuseifer führt dazu, dass in einem großen Teil der Literatur die Straflosigkeit des mitwirkenden Dritten als vertretbar angesehen wird, s. Darstellung von Schneider, H., in: MüKo, Vor §§ 211 ff., Rn. 45. Die Freiverantwortlichkeit des Suizids eines 16-jährigen Mädchens, das aus dem Leben scheiden wollte, weil seine Eltern negativ zu seiner Liebesbeziehung zum Angeklagten eingestellt waren, wurde von BGH grundsätzlich nicht bestritten, BGHSt 19, 135 (137); ähnlich Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 571 (Fn. 87). Das Gericht beschäftigte sich nur mit der Frage der Abgrenzung von strafloser Teilnahme und strafbarer Täterschaft nach § 216 StGB und die Schutzbedürftigkeit eines 16-jährigen Mädchens wird nicht thematisiert, zust. NK-StGB/Neumann, Vor § 211, Rn. 67. Zwar wird angemerkt, dass bei jugendtypischen Kurzschlusshandlungen das Vorliegen der Freiverantwortlichkeit genau geprüft werden muss, „derartige Entscheidungen Jugendlicher stets als normativ defizitär zu behandeln und die Mitwirkungen hieran durchgängig als mittelbare Tötungstäterschaft einzustufen“ wäre jedoch nicht richtig, Schneider, H., in: MüKo, Vor §§ 211 ff., Rn. 45. Diese Agumentation vermag allerdings nicht zu überzeugen. Die „derartigen Entscheidungen“ betreffen nicht etwa die Durchführung eines harmlosen Piercings oder einer 140

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Teil 2: Bestandsaufnahme

Unter Hinweis auf die Ergebnisse der empirischen Suizidforschung bestreitet auch Geilen die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten und weist darauf hin, dass die selbstschädigenden Personen psychisch unfrei und hilfsbedürftig sind, so dass die Straflosigkeit der Beteiligung am Suizid eine „als mit Eifer betriebenen Demontage geradezu selbstverständlicher Solidaritätspflichten“ darstelle.148 Ähnlich sieht Bringewat in der Annahme der Freiverantwortlichkeit des Suizidenten eine aus medizinisch-empirischer Sicht „unhaltbare Fiktion“.149 Diese Erkenntnis der Tätowierung – für Letztere stellt sogar die Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen kein Automatismus dar (s. z. B. Rengier, Strafrecht AT, § 23, Rn. 19), sondern die Aufgabe des wichtigsten Rechtsgutes, des Lebens – und wer sein Leben aufgibt, kann es nicht zurückbekommen, Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (586); Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 30. Die Entscheidung eines Jugendlichen aus Liebeskummer das Leben aufzugeben ist nicht „aufgeklärt“, er erkennt nicht, dass Verzweiflungen dieser Art nach einer gewissen Zeit schwinden, Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 32. Die Tragweite seiner Entscheidung ist ihm nicht ganz klar, weil er sich in seinem Leid keine glückliche Zukunft vorstellen kann und den vorübergehenden Charakter der Krise verkennt, ebd. Das berechtigte Zögern, eine mittelbare Täterschaft der mitwirkenden Dritten anzunehmen, reicht nicht aus, um die Schutzlosstellung von jungen Leuten in temporären Krisensituationen zu rechtfertigen. Die Einführung eines Sondertatbestandes der Mitwirkung am Suizid ist der richtige Kompromiss zwischen absoluter Schutzlosigkeit und punitivem Exzess durch die Annahme einer Täterschaft des Dritten, so auch Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589); Feldmann, GA 2012, 498 (514). 148 Geilen, JZ 1974, 145 (145 f., 151 f., 154), der anhand des Suizidversuchs zeigt, dass ein ernsthafter Selbsttötungswille mit einer unbewusst ambivalenten und die Suizidausführung hintertreibenden Haltung zu vereinbaren sein kann (153). In den Suizidversuchsfällen sei das Scheitern des Versuchs nicht immer auf einen Zufall zurückzuführen, sondern oft auf die Ambivalenz der Selbstschädigungsentscheidung, ebd. So erklärt er zutreffend, dass es nicht nur falsch sei, „sondern geradezu absurd“, Selbstmordversuchen nach dem Grundsatz des „volenti non fit iniuria“ eine strafrechtliche Relevanz abzusagen, ebd.; vgl. LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., Vor § 211, Rn. 24 ff., 27 f.; vgl. auch Herzberg, JuS 1974, 374 (379); ders., Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, S. 266 ff. Aus medizinischer, psychotherapeutischer Sicht Thomas’, Menschen vor dem Abgrund, S. 33 f.; Ringel hat auf das sog. präsuicidale Syndrom hingewiesen, das der Lebensmüde kurz vor der Durchführung des suizidalen Aktes hat. Der Lebensmüde erlebt in dieser Phase eine „Einengung“ seiner Wahrnehmungsfähigkeit, er kann seine Entfaltungsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven nicht richtig einschätzen, Ringel, Selbstschädigung durch Neurose, S. 158 ff.; LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., Vor § 211, Rn. 27. Zum „präsuicidalen Syndrom“ auch Thomas, Menschen vor dem Abgrund, S. 166 f. 149 Bringewat, in: Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, S. 368. Bringewat geht sogar so weit, dass er einen realen Anwendungsbereich für den § 216 StGB bestreitet, S. 375; krit. dazu zu Recht Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 180 f. Zwar ist die Gefahr sehr hoch, dass Entschlüsse für den Tod „übereilt“ durch vorübergehende und pathologische Verzweiflung motiviert sind, „wohlüberlegte“ Suizidentscheidungen sind jedoch durchaus möglich; Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (594); Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 36 ff.; Kubiciel, JZ 2009, 600 (608). Hier handelt es sich um Fälle, bei denen der „Lebensstandard“ einer Person, beispielsweise wegen einer unheilbaren Krankheit oder schwerwiegenden Behinderung irreversibel beeinträchtigt ist, von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (90); vgl. Jakobs, in: FS für Kaufmann, S. 459 (469 ff.). Es ist in solchen Fällen nachvollziehbar, dass sich die Person nach reif-

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empirischen Forschung sollte dazu veranlassen, dass das Strafrecht sich vom „Dogma von der Beachtlichkeit des selbstmörderischen Willens“ abwendet.150 Dieses sollte durch den Gedanken der Hilfsbedürftigkeit des Suizidenten ersetzt werden.151 Daher ist der politische Prozess, die Straflosigkeit der Suizidbeteiligung zu überdenken, begrüßenswert.152 Ungeachtet des „in der juristischen Literatur vorherrschenden[153], manchmal penetranten Freiheitspathos“ 154 scheint der Gedanke an Boden zu gewinnen, dass die pauschale Straflosigkeit der Suizidbeteiligung zur „Schutzlosstellung vieler hilfsbedürftiger Menschen“ 155 führt. Allerdings beschränkt sich der Umfang der allgemein konsentierten Änderung auf den Bereich der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung.156 Wie Feldmann allerlicher Überlegung für den Tod entscheidet, Jakobs, in: FS für Kaufmann, S. 459 (470). Daher ist der „reale Anwendungsbereich“ des § 216 StGB zwar begrenzt, aber nicht auf null reduziert, Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 180 f.; vgl. Merkel, in: Zur Debatte über Euthanasie, 1992, S. 71 (87); Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 111. Für solche Fälle wird in der Literatur die Straflosigkeit der aktiven Sterbehilfe vertreten, Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 32 ff., 37 f.; Merkel, Früheuthanasie, S. 425 ff.; von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (92); Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 232 f.; Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtsystem, S. 31 f. 150 Bringewat, in: Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, S. 368 f. 151 Ebd., S. 369. 152 Gesetzentwurf des BMJ zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drucks. 17/11126. 153 s. die Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe (https://idw-online.de/de/attachmentdata 43853.pdf). 154 Geilen, JZ 1974, 145 (148). 155 Feldmann, GA 2012, 498 (500); s. auch Kubiciel, JZ 2009, 600 (605, 608); Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (587 ff.). 156 Dass in der gesetzlichen Fassung des neuen § 217 StGB von „Geschäftsmäßigkeit“ die Rede ist, wirft Auslegungsfragen auf, die hier nicht zu erörtern sind. Im Fokus der Kriminalisierungspolitik stehen Freitod-Organisationen wie „Exit“ und „Dignitas“. Das Zögern des Gesetzgebers, die Suizidteilnahme über die gewerbliche Suizidförderung hinaus zu pönalisieren, resultiert u. a. aus der Überakzentuierung des Selbstbestimmungsrechts in der juristischen Fachwelt, aber auch, wie Feldmann richtigerweise anmerkt, aus der Vermengung der Suizidteilnahme mit der Sterbehilfeproblematik, die sich auf extreme hoffnungslose Lebenssituationen bezieht, Feldmann, GA 2012, 498 (512); vgl. Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (593). Die Möglichkeit der Verwechslung zweier unterschiedlicher Lebenskonstellationen wird in der Begründung des Gesetzesentwurfes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung (S. 8) angesprochen: „Der hier vorgelegte Entwurf will [. . .] nicht die Suizidhilfe kriminalisieren, die z. B. im engsten Familienkreis in einer schwierigen Konfliktsituation oder womöglich auch durch einen Dritten aus rein altruistischen Gründen gewährt wird. Erst recht erscheint daher in Deutschland kein vollständiges strafbewehrtes Verbot der Beihilfe zum Suizid sachgerecht.“ Hier wird Folgendes verkannt: Strafbarkeit der Suizidteilnahme muss nicht gleich Strafbarkeit der Sterbehilfe heißen (Feldmann, GA 2012, 498 (514); vgl. Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (593); Hoerster, Sterbehilfe im säkula-

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Teil 2: Bestandsaufnahme

dings treffend bemerkt, bleibt die „asymmetrische deutsche Lösung“ 157 erhalten, nach der die Beteiligung am Suizid und die Tötung auf Verlangen unterschiedliche strafrechtliche Behandlung erfahren.158 Aus dem Blickwinkel der Schutzbedürftigkeit von psychisch angeschlagenen Menschen ist diese Differenzierung unbegründet.159 Der Grund für die Pönalisierung der Tötung auf Verlangen, nämren Staat, S. 32 ff., 37) oder, wie Engländer treffend bemerkt, Lebensschutz vor vorschnellen Entscheidungen bei vorübergehenden Lebenskrisen bedeutet nicht, dass eine schwerstkranke Sterbewillige durch die Rechtslage „in den Brutalst-Suizid“, z. B. Wurf vor den Zug, Sprung von der Brücke) getrieben wird (so das Argument von Rosenau gegen die Pönalisierung der Suizidbeteiligung, Rosenau, Stellungnahme zum Gesetzentwurf des BMJ, BT-Drucks. 17/11126; Rosenau/Sorge, NK 2013, 108 (116); so auch von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (82 ff.)), Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (595). Suizidteilnahme und Sterbehilfe dürfen nicht in denselben Topf geworfen werden, um dadurch – wegen der Befürchtung, dass die Würde und Selbstbestimmung Schwerstkranker verletzt wird – die Regel der Nichtstrafbarkeit der Suizidteilnahme zu begründen. Aus Schutzbedürftigkeitserwägungen sollte die RegelAusnahme-Beziehung von Strafbarkeit und Nichtstrafbarkeit eine Umkehrung erfahren. Ein Verbot der Suizidteilnahme sollte die Regel sein und die Straflosigkeit nur als mögliche Ausnahme für Fälle aus dem Bereich der Sterbehilfe in Betracht kommen, Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 202, 194 f.; ähnlich Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (595). 157 Feldmann, GA 2012, 498 (501). 158 s. ebd., 504 ff., 507 ff., 512. 159 Feldmann, GA 2012, 498 (504, 510), die auch zu Recht das sog. Hemmschwellenargument kritisiert (Feldmann, GA 2012, 498 (511)), wonach das Beauftragen eines Dritten, die Tötung zu vollziehen, ein Indiz für die schwache Entschlossenheit zu sterben darstellt. Wenn dagegen der Suizident selbst Hand an sich legt, sei auf den endgültigen, ernsten und damit freien Willen des Suizidenten zu schließen. Hierin soll der kiminalpolitische Grund der unterschiedlichen Behandlung von Tötung auf Verlangen und Teilnahme am Suizid gesehen werden, Roxin, GA 2013, 313; ders., NStZ 1987, 345 (348); Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie, S. 265 f.; Duttge ZfL 2004, 30 (35); Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, S. 22 f.; grundsätzlich auch Schneider, H., in: MüKo, § 216, Rn. 5 f.; Engisch, in: FS für Dreher, S. 309 (318); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 496, Verrel, JZ 1996, 224 (226); Dölling, NJW 1011 (1012); Freund/Timm, GA 2012, 491 (495 f.). Feldmann zeigt allerdings, dass diese Argumentation mit der Voraussetzung eines ernsten Verlangens im § 216 StGB nicht vereinbar ist. Der § 216 StGB geht davon aus, dass die Delegation des Tötungsvollzugs und die Endgültigkeit des Suizidentenwillens sich nicht ausschließen, Feldmann, GA 2012, 498 (511); krit. gegen das Hemmschwellen-Argument auch von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (80 ff.); Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, S. 155 ff.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (571 f.); Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 151 f. Außerdem kann man das Hemmschwellenargument anders deuten und anwenden als die herkömmliche Meinung. Roxin meint zur Begründung der unterschiedlichen Behandlung der Tötung auf Verlangen und der Suizidteilnahme: „[V]iele haben sich die Pistole schon an die Schläfen gesetzt, aber wenige haben den Mut gehabt abzudrücken“, Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 571. Diejenigen, die das geschafft haben, sollen dann richtig entschlossen gewesen sein, Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 571; Duttge, ZfL 2/2004, 30 (35). Zwingend ist diese Schlussfolgerung nicht, s. auch Schneider, H., in: MüKo, § 216 Rn. 6. Man könnte auch sagen, die wenigen, die das

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lich der Schutz vor eigenen übereilten Verzweiflungsakten,160 ist auch der Grund, weshalb auch die Suizidteilnahme ohne Beschränkung auf die organisierte, gewerbsmäßige Förderung unter Strafe gestellt werden muss.161 Zu Recht betont Engländer unter dem Schutzbedürftigkeitsaspekt, dass die Gefahr einer übereilten Entscheidung im Fall der unorganisierten Suizidförderung höher ist als im Fall der organisierten, wo gewisse Sicherungsprozesse vorgesehen werden köngeschafft haben, sollen richtig verzweifelt gewesen sein. Der mit eigener Hand durchgeführte Suizid könnte auch für das Vorliegen von starken Affekten, Gefühlsüberschwemmung oder großer Verzweiflung mit Verzerrung der Realitätswahrnehmung sprechen, ähnlich Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 112; zu der psychischen Fassung des Suizidenten Ringel, Selbschädigung durch Neurose, S. 158 ff.; LKStGB/Jähnke, Vor § 211, Rn. 27. Wer in der Lage ist, sich eigenhändig das Leben zu nehmen, also keine Hemmungen hat, selber die Pistole abzudrücken, befindet sich unter Umständen in einem solch emotionalen Ausnahmezustand, in einer solchen Verzweiflung, dass er über seine aktuelle Lage hinweg, seine zukünftigen Lebensmöglichkeiten nicht mehr einzuschätzen vermag, vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 32 f. Dagegen könnte man behaupten, dass das ernsthafte und ausdrückliche Bestimmen eines Dritten, der den Vollzug übernehmen soll, eher mit einem langfristigen Entscheidungsprozess und reiflicher Überlegung verbunden ist, als die Selbstdurchführung des letzten Aktes in tiefer Niederschlagenheit, so auch Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 112. Die intersubjektive Handlungsstruktur und die „arbeitsteilige“ Durchführung des suizidalen Planes setzen einen gewissen Begründungs- und Überzeugungsaufwand voraus und lassen dadurch mehr Raum zur Überprüfung des eigenen Entschlusses als eine eigenhändige Durchführung der Selbsttötung im Affekt, Müller, § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 112; Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß,S. 51; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, S. 229; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 230. Diese Umdeutung des Hemmschwellenarguments beansprucht nicht, das maßgebliche Kriterium für die Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches zu sein. Sie zeigt allerdings, dass die Indizwirkung der Eigenhändigkeit des letzten Aktes für das Vorliegen der Freiverantwortlichkeit nicht stark genug ist, um eine eine radikal unterschiedliche Behandlung von ähnlichen Fällen zu legitimieren. 160 Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (586) ff.; Merkel, Früheuthanasie, S. 412; Jakobs, in: FS für Kaufmann, S. 459 (468, 470); ders., Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, S. 19 f.; Brunhöber, JuS 2011, 401 (406); vgl. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S. 27 ff., 32 ff. 161 Feldmann, GA 2012, 498 (507, 510 ff.); Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (587); Kubiciel, JZ 2009, 600 (605, 608). Die unterschiedliche Behandlung der zwei Konstellationen ist nicht zu rechtfertigen, auch wenn man, wie Ingelfinger, die primäre Begründung des Verbots der Tötung auf Verlangen in der „Sicherung der Gesamtheit der Menschenleben“ sieht, Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 195. Das Leben des Verlangenden sei nicht um seiner selbst willen zu schützen, sondern zur Sicherung des Rechtsgutes Leben im Allgemeinen, ebd., S. 239. Eine solche Sicherung des Lebens ist nicht weniger notwendig, wenn der Sterbewillige selber der Tötungsakt vollzieht, vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, S. 19 f. Die unberechtigte unterschiedliche Behandlung der zwei Konstellationen merken auch andere Autoren an und verlangen deswegen ihre Angleichung. Die Angleichung soll allerdings nach deren Auffassung auf Kosten des Suizidentenschutzes durchgeführt werden. Nicht die Beteiligung am Suizid soll strafbar sein, sondern die Tötung auf Verlangen straflos, s. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 121; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, S. 228 ff.

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nen.162 Außerdem kann auch in persönlichen Beziehungen die Förderung eines Suizids aus Eigennutz motiviert werden.163 Eine Beschränkung der Strafbarkeit im Bereich der kommerzialisierten Suizidteilnahme ist daher nicht gerechtfertigt.164 Nichtdestoweniger zeigt die aktuelle rechtspolitische Diskussion, dass es sich bei der Suizidbeteiligung um ein hochkontroverses165 Thema handelt, aus dem man keine sichere Argumentationsbasis für weitere dogmatische Lösungen gewinnen kann. Die Straflosigkeit der Suizidteilnahme stellt keine Selbstverständlichkeit dar. Vielmehr mehren sich die Stimmen, die gegen eine bislang verbreitete Paternalismusphobie berechtigterweise auf eine „Schutzlücke“ 166 aufmerksam machen.167 Nun könnte man erwidern: Auch wenn die vorgetragenen Gründe gegen den „Abbau des strafrechtlichen Suizidentenschutzes“ 168 durch die Straflosigkeit der Suizidteilnahme stimmen, solange ein Spezialtatbestand der Suizidmitwirkung nicht eingeführt wird, der über die gewerbsmäßige Förderung des Suizides hinausgeht, wird die Sperrung des Akzessorietätsprinzips immer zur Straflosigkeit der Teilnehmer am Suizid zwingen.169 Dies ist aber nicht unausweichlich, eine umfassende Bestrafung der Suizidbeteiligung ist doch zu gewinnen.170 Denn die 162 Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (594), der allerdings ein absolutes Verbot der Suizidteilnahme ablehnt, da es Fälle gibt, bei denen der Suizident die Entscheidung sein Leben zu beenden nach reiflicher Überlegung trifft. Damit meint er aber den Bereich der Sterbehilfe, aus dem seine Beispiele stammen. 163 Ebd., S. 593. 164 Ebd., S. 594. 165 s. dazu Roxin, in: FS für Dreher, S. 331 ff.; ders., GA 2013, 313 (320). 166 Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589). 167 Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589); Feldmann, GA 2013, 498 ff.; Kubiciel, JZ 2009, 600 (608).; Freund/Timm, GA 2012, 491 (496); auf diese Tendenz weist auch Roxin hin, Roxin, GA 2013, 313 (320). 168 Herzberg, JuS 1974, 374 (379). 169 „An der Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme ist nicht vorbeizukommen“, Geilen, JZ 1974 145 (153). 170 Die generelle Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid wurde von einigen Stimmen in der älteren Literatur anhand unterschiedlicher Argumentationen kritisiert, ausführliche Darstellung dieser Auffassungen in Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 42 ff. Schmidhäuser sieht eine „Pflicht des Einzelnen zum Weiterleben gegenüber der Gemeinschaft“, Schmidhäuser, in: FS für Welzel, S. 801 (817). Der Suizid sei tatbestandliches Unrecht, das nicht aus der Autonomie gerechtfertigt werden kann, ebd., S. 819. Daraus ergebe sich die Strafbarkeit der Beteiligung am Selbstmord, ebd., S. 819 ff. Ähnlich Klingenberg, JR 1978, 441 (445). Bringewat gelangt zum selben Ergebnis, nachdem er den Suizid als ein „nichtverratbestandliches Sonderdelikt“ versteht, das aus „gesetzesgleichem Gewohnheitsrecht“ entspringt, Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (647 f.). Diese gewohnheitsrechtlich begründete Straflosigkeit darf dann nicht mit einer „per se“ fehlenden Verratbestandlichung gleichgestellt werden, ebd., 648; Schilling behandelt die Mitwirkung zur Selbsttötung als mittelbare Täterschaft und verlangt daher die Abkehr vom Teilnahmeargument. Die Frage der Strafbarkeit gehöre dann zum Be-

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Hindernisse, die §§ 26, 27 StGB auf den Weg zur Annahme der Strafbarkeit der Teilnahme am Suizid legen, lassen sich beseitigen. Dies kann erreicht werden, ohne auf den gesetzlich verankerten Grundsatz der Akzessorietät zu verzichten. Den Ausgangspunkt für eine Begründung der Strafbarkeit des Anstifters und des Gehilfen am Suizid de lege ferenda bildet die Frage nach dem Strafgrund der Teilnahme.171 Aufschlussreich bezüglich dieser Thematik ist die Lehre Lüderssens, der mit guten Gründen erklärt, dass der Teilnehmer nicht für fremdes, sondern für eigenes Unrecht haftet.172 Nur ein solches Verständnis des Teilnahmeunrechts ist vereinbar mit dem Grundsatz der individualisierten, autonomen Verantwortlichkeit der Beteiligten.173 Dies verkennt die sog. akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie, nach der das Unrecht des Teilnehmers sich aus dem des Täters ergibt.174 Danach haben Anstiftung und Beihilfe keine strafrechtliche Bedeutung sui generis und fallen nicht unter die Tatbestände des Besonderen Teils.175 Die akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie beschränkt sich, wie zu Recht moniert worden ist, nur auf die Berücksichtigung des Erfolgsunrechts und lässt das Handlungsunrecht des Teilnehmers unbeachtet.176 Daher scheint zunächst die inzwischen im Schrifttum vorherrschende „Theorie vom akzessorischen Rechtsgutangriff“ 177 vorzugswürdiger. Hiernach bezieht sich reich der Einwilligung, Schilling, JZ 1979, 159 (163 ff., 166 f.); auch Geilen lehnt die Straflosigkeit am Suizid auf der Grundlage der modernen Selbstmordforschung ab, Geilen, JZ (1974), 145 (154). 171 Vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 49 ff. 172 Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 25, 59; insoweit zust. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 51, der allerdings im Ergebnis von Lüderssens These stark abweicht (S. 51, 55). Der Normbruch des Vordermannes bleibt für ihn die Bezugsgröße für die Verantwortung des Teilnehmers (S. 54 f.); die „Theorie vom Eigenunwert der Teilnahme“ vertritt auch Schmidhäuser in Strafrecht AT, 10/10, 10/16; Meyer, M.-K., GA 1979, 252 (255); von der früheren Literatur s. Höpfner, ZStW 26, 1906, 579 (583 ff.). Ähnlichkeiten weisen die Theorien von Renzikowski und Herzberg auf, Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 123 ff., 127 ff.; Herzberg, GA 1971, 1 ff., wobei letztere von Lüderssens Auffassung explizit Abstand nimmt, da er die Selbstständigkeit der Teilnahmetatbestände in den Teilnahmeparagraphen sieht, während Lüderssen sie in den Deliktsnormen des Besonderen Teils verortet (3). 173 Vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 51. Zum Grundsatz der autonomen Verantwortlichkeit der Beteiligten, Kienapfel, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 21 (26). 174 Hierzu Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 985; Küper ZStW 104 (1992), 577; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 64 I 2.; krit. dazu Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 25 ff. 175 So die Kritik Höpfners in ZStW 26 (1906), 579 (585); ausführlich zu Höpfners Ansatz, Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 84 ff. 176 Geppert, Jura 2008, 34 (35); ähnlich Meyer, M.-K., GA 1979, 252 (256). 177 Geppert, Jura 2008, 34 (35); Roxin, in: FS für Stree/Wessels, S. 365 (365 f., 369 ff., 380 ff.); ders., Strafrecht AT, Bd. II, § 26 Rn. 11; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 988 f. und Rn. 994.

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das Teilnahmeunrecht sowohl auf die Haupttat als auch auf einen selbstständigen Rechtsgutangriff.178 Diese Theorie besagt, dass der Strafgrund der Teilnahme in seinen beiden Erscheinungsformen primär im Mitverursachen der Rechtsgutverletzung des Haupttäters und sekundär im eigenen Rechtsgutangriff des Beteiligten liegt.179 Zwar wird hier berücksichtigt, dass die Teilnahme einen eigenen Unwert besitzt,180 der eigene Unwert wird jedoch als zweitrangiger Strafgrund betrachtet. In erster Linie sei das Unrecht der Teilnahme aus dem vom Täter begangenen Unrecht abzuleiten. Die Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Strafgrund und damit das Weiterbestehen der akzessorischen Unselbstständigkeit des Teilnahmeunrechts basiert aber auf einem Missverständnis der Funktion der §§ 26, 27 StGB als den zentralen Vorschriften, die das Unrecht der Teilnahme bestimmen. Versteht man aber die Teilnahme als Beitrag zu der Verletzung eines nicht nur dem Täter, sondern auch dem Teilnehmer gegenüber geschützten Rechtsgutes,181 so wird deutlich, dass das Teilnahmeunrecht durch die Vorschriften des Besonderen Teils begründet wird.182 Die Vorschriften des Besonderen Teils legen durch die Bestimmung von schutzwürdigen Rechtsgütern Pflichten zugrunde, die auf die Vermeidung der Rechtsgutverletzung zielen.183 Die Teilnahme an einer Haupttat sei ein Verstoß gegen diese Pflichten.184 Dass die Rechtsgutverletzung in diesem Fall erst mittelbar durch das Verhalten des Täters verursacht wird,185 hebt den eigenständigen Angriffscharakter der Teilnahme nicht auf. Jedes Strafgesetz, wie Lüderssen mit Recht erklärt, ist auch an den Teilnehmer adressiert und die Rolle der zwei Vorschriften des Allgemeinen Teils beschränkt sich darin, den Verbotsgehalt den Beteiligten gegenüber anzupassen.186 Damit wird allerdings nicht gemeint, dass das Unrecht des Teilnehmers von derselben Natur ist wie das Unrecht des täterschaftlichen Verhaltens. Die Ver178

Geppert, Jura 2008, 34 (35), Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 988. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 988 f. und Rn. 994. 180 Ebd., Rn. 988. 181 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 127, vgl. Meyer, M.-K., GA 1979, 252 (255, 257 f., 265). 182 Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 29, 90; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 127. 183 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 127 f.; Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 166. 184 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 127. 185 Ebd. Renzikowski sieht richtigerweise das besondere Kennzeichen der Teilnahme im mittelbaren Angriff auf das Rechtsgut. Diese mittelbare Rechtsgutverletzung soll nicht mit der mittelbaren Täterschaft verwechselt werden. Wie Renzikowski anschaulich erklärt, greift der mittelbare Täter das Rechtsgut nicht mittelbar, sondern unmittelbar an. Dem mittelbaren Täter wird der Rechtsgutangriff, den sein „Werkzeug“ begeht, als eigener zugerechnet“, ebd., S. 127 (Fn. 313). 186 Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 29, 90. 179

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meidung der Rechtsgutverletzung, die jede Strafnorm beansprucht, kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden, je nachdem wer der Adressat ist.187 Auf diesen Punkt macht Renzikowski aufmerksam, der zum richtigen Ergebnis gelangt: „Während die Haupttat wegen der Verletzung verboten ist, ist die Teilnahme wegen der Gefährdung desselben Rechtsguts verboten“.188 Unter diesem Gesichtspunkt besteht der eigenständige Rechtsgutangriff des Teilnehmers darin, dass das Hervorrufen des Tatentschlusses oder die Unterstützung der Haupttat den „Schutzwall“ 189 des Rechtsgutes untergraben und gefährden.190 In dieser Rechtsgutgefährdung liegt das Unrecht des Verhaltens des Teilnehmers. Mit der Feststellung des Gefährdungsunwerts der Teilnahme ist aber das letzte Wort noch nicht gesprochen. Zwar ist an der Lehre vom akzessorischen Rechtsgutangriff zu tadeln, dass sie dem Akzessorietätsgedanken der §§ 26, 27 StGB eine erstrangige Rolle gegenüber dem eigenen Rechtsgutangriff in Gestalt der Gefährdung einräumt. Sie behandelt das Mitverursachen der Rechtsgutverletzung seitens des Täters als Hauptstrafgrund und das Vorliegen eines eigenen Rechtsgutangriffs als Strafgrund sekundärer Gewichtung.191 Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass auch dem Akzessorietätsprinzip eine erhebliche Funktion zukommt, nämlich eine Strafbarkeitseinschränkungsfunktion.192 Die §§ 26, 27 StGB bestimmen zwar nicht den Strafgrund der Teilnahme, sie sehen allerdings Sanktionsbedingungen der Teilnahme vor.193 Der Grundsatz der limitierten Akzessorietät bestimmt die Rechtsgutverletzung als Voraussetzung der Strafbarkeit der Teilnahme oder im Fall eines Versuchs eine erhöhte Rechtsgutgefährdung.194 Damit wird nicht jede Gefährdung des Rechtsgutes durch Anstiftung oder Beihilfe zur Strafbarkeit des Teilnehmers führen, sondern nur diejenige, die in einer mittelbaren Rechtsgutverletzung konkretisiert wird. Dem Prinzip der Akzessorietät ist also nicht zu entnehmen, dass der Teilnehmer für die Veranlassung oder Unterstützung für fremdes Unrecht haftet. Der Teilnehmer begeht einen eigenen Normverstoß.195 Die Funktion des Akzessorie187

Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 127 f. Ebd., S. 130. 189 Der Begriff stammt aus Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, S. 241; dazu Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 124 f. 190 Vgl. Stein, Die Strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, S. 243, der allerdings, anders als Renzikowski, eine Verhaltenspflicht nur in Bezug auf den Vordermann annimmt (S. 241 ff.). 191 Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 988 f. und Rn. 994. 192 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 131 ff.; Meyer, M.-K., GA 1979, 252 (258); dazu auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 50. 193 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 131. 194 Ebd., S. 131 ff. 195 Anders Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 55. 188

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tätsprinzips ist nur in der Begrenzung der Strafbarkeit in den Fällen zu sehen, in denen sich das Gefährdungspotenzial der Teilnahmehandlung realisiert oder zu realisieren droht.196 Dies wird ersichtlich, wenn man im Fall eines Tötungsdelikts an die Grundkonstellation denkt, die beispielsweise der § 26 StGB umfasst. Hier agieren drei Personen: Anstifter (A), Täter (T) und das Opfer (O). Das Rechtsgut des Lebens von O ist sowohl dem T als auch A gegenüber geschützt. Daher sind sowohl die Tat des T als auch die Anstiftungshandlung des A selbstständige Angriffe gegen das Leben des O. Im Ausführungsstadium stellt allerdings der Angriff des T das Mittel für den Angriff des A dar. So ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass es sinnvoll ist, von einer „faktischen Abhängigkeit“ des selbstständigen Anstifterangriffs von dem des Täters zu sprechen.197 Wenn aber nun T keine Tötungshandlung begeht oder wenn diese gerechtfertigt ist, fehlt es überhaupt an einer Rechtsgutverletzung oder an einer rechtlich missbilligten Rechtsgutverletzung, die A mittels des T verursacht hat. Die Voraussetzung der Bestrafung des A liegt dann nicht vor. Der Grund seiner Nichtbestrafung ist nicht, dass er sich nicht an fremdem Unrecht beteiligt, sondern dass sein zweifellos vorliegender Angriff faktisch nicht zu einer Rechtsgutverletzung geführt hat. A kann allenfalls nach § 30 StGB bestraft werden. Es ist aber gerade diese Strafvorschrift, die die These bestätigt, dass die Teilnahme einen Eigenunwert besitzt, der nicht von dem des Täters abhängt.198 So wird die versuchte Anstiftung im Sinne einer Rechtsgutgefährdung unter Strafe gestellt, obgleich die Haupttat und daher die Rechtsgutverletzung nicht verwirklicht sind. Der § 30 StGB stellt lediglich eine Ausnahme von der Strafbarkeitseinschränkungsvoraussetzung der §§ 26, 27 StGB dar. Dass dies nicht der Fall wäre, wenn es sich nicht um ein Verbrechen handelte oder wenn der Teilnehmer A nicht Anstifter, sondern Gehilfe wäre, widerspricht nicht der hier vertretenen These. Denn der Gesetzgeber hat sich für die Straflosigkeit dieser Verhaltensweisen entschieden, nicht weil er damit den eigenständigen Unrechtscharakter der Teilnahme bestreiten wollte, sondern weil bei solch weniger gravierenden Rechtsgütergefährdungen der Einsatz des Strafrechts unverhältnismäßig wäre.199 Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, dass die Bestrafung des Teilnehmers das kumulative Vorliegen eines Angriffs im Sinne der Gefährdung eines

196

Ebd., S. 131. So Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 25, 119; s. dazu Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 50. 198 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 135; Meyer, M.-K., GA 1979, 252 (255). 199 Ähnlich Renzikowski, der die Abhängigkeit der Teilnahme von einer fremden vorsätzlichen und rechtswidrigen Tat als „eigenständige Voraussetzung der Strafbedürftigkeit der Teilnahmetat“ wahrnimmt, Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 152. 197

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ihm gegenüber geschützten Rechtsgutes und die Verwirklichung oder Manifestierung desselben in der äußeren Welt voraussetzt.200 Mit anderen Worten, der Teilnehmer soll eine Gefahr geschaffen haben, die zur Rechtsgutverletzung führte. Damit haben wir einen Fingerzeig, wie die Teilnahme am Suizid behandelt werden soll. Es lässt sich kaum bezweifeln, dass das Verhalten des Teilnehmers am Suizid in erheblichem Maß das Rechtsgut des Lebens gefährdet. Dabei ist ein selbständiger Verstoß des Teilnehmers zu vermerken, der unabhängig vom Unwert des Täterverhaltens ist. Insoweit ist die Tatsache bedeutungslos, dass der Täter hier kein Unrecht verwirklicht.201 Der Teilnehmer am Suizid begeht einen selbständigen Rechtsgutangriff. Lüderssen betont zu Recht, „daß die Straflosigkeit des Teilnehmers [am Selbstmord] nicht etwa schon mit dem Fehlen eines ihm gegenüber geschützten Rechtsguts begründet werden kann. Das Leben eines anderen ist für jedermann unantastbar, niemand darf zu seiner Verletzung auch nur beitragen. Daß der sich selbst Tötende sterben will, ist für jeden anderen – wie § 216 zeigt – nur ein Unrechtsminderungsgrund, der obendrein für Täter und Teilnehmer gleichermaßen gilt. Wenn man gleichwohl der Ansicht ist, daß der Teilnehmer am Selbstmord sich nicht strafbar mache [da keine Teilnahme an fremdem Unrecht vorliegt]202, so muß man dafür einen anderen Grund namhaft machen.“ 203 Nun ist die Frage nach der Verwirklichung einer mittelbaren Rechtsgutverletzung näher ins Auge zu fassen. Während die h. M. diese wegen des Selbstverletzungscharakters des Täterverhaltens ablehnt, wird im Folgenden gezeigt, dass eine mittelbare Rechtsgutverletzung zu bejahen ist. Sofern der Teilnehmer, wie der Täter, wegen der Verursachung oder Förderung einer Rechtsgutverletzung für eigenes Unrecht bestraft wird, soll in einem Umkehrschluss eine fehlende Rechtsgutverletzung sowohl aus der Perspektive des Täters als auch der des Teilnehmers konstatiert werden. Im Gegensatz zu der oben skizzierten klassischen Teilnahmekonstellation, in welcher der Täter den Tatbestand des § 212 StGB nicht erfüllt und eine Rechtsgutverletzung aus der Perspektive aller Beteiligten ausgeblieben ist, fehlt es im Fall einer Teilnahme am Suizid an einer Rechtsgutverletzung seitens des „Täters“. Eine Rechtsgutverletzung seitens des Teilnehmers ist jedoch vorhanden. Wie oben erörtert wurde, ist die Abhängigkeit des Teilnehmerangriffs vom Verhalten des Täters „rein faktischer Natur“,204 im Sinne des faktischen Eintritts einer Rechtsgutverletzung oder des unmittelbaren Ansetzens beim Versuch. So reicht die faktische Konstatierung

200 201 202 203 204

Vgl. ebd. So auch Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 25, 168 (Fn. 178). Ebd., S. 168 (Fn. 178). Ebd., S. 168. Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme, S. 25, 119.

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einer Rechtsgutverletzung des Teilnehmers als Ergebnis des von ihm geschaffenen Verletzungsrisikos, um die Bestrafung des Teilnehmers zu begründen.205 Das Argument der Gegenmeinung, dass eine Selbstverletzung keine Rechtsgutverletzung darstellt,206 ist nicht haltbar. Denn jede Selbstverletzung ist eine solche nur aus der Perspektive des sich selbst Verletzenden. In interpersonal strukturierten Verhältnissen soll das Geschehen allerdings auch aus der Perspektive der anderen mitwirkenden Person begutachtet werden, nämlich der des Teilnehmers.207 Damit liegt aus der Sicht des Teilnehmers an einer Selbstverletzung bzw. Selbstgefährdung eine Fremdverletzung bzw. Fremdgefährdung vor.208 Bei dieser Betrachtungsweise ist ein Beitrag zum Suizid als Beitrag an einer Fremdtötung zu betrachten. Diese doppelte Sichtweise wählte auch Zaczyk als Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Zwar erkennt er anhand des Perspektivwechsels eine „Rechtsqualität“ der selbstverletzenden Handlung für dritte Personen, er begrenzt jedoch diese „Rechtsqualität“ auf eine Berechtigung jedes Dritten zur Verhinderung oder zur Aufhebung des Erfolges der Verletzung.209 Die hier zutreffend identifizierte Rechtsqualität des Geschehens für jeden Außenstehenden muss allerdings erst recht für die an einer Selbstverletzung mitwirkende Person als der näher stehenden Akteurin und Unterstützerin dieses Geschehens gelten. In diesem Fall ist die Rechtsqualität nicht nur auf eine Berechtigung altruistischen Verhaltens zu beschränken, sondern vielmehr als Verpflichtung zu verstehen, keinen Beitrag zur Fremdschädigung zu leisten. Von dem hier vertretenen Perspektivenwechsel geht auch der BGH bei der Bejahung einer Rettungspflicht nach § 330c StGB a. F. bei einem Selbstmordversuch aus.210 Dabei argumentiert das Gericht wie folgt: „Aus der Straflosigkeit des Selbstmordversuchs kann indes nichts gegen die hier vertretene Ansicht für den Fall hergeleitet werden, daß bei besonderer Sachgestaltung die unterlassene Hilfeleistung rechtlich zugleich als Beihilfe zum Selbstmordversuch aufgefasst werden könnte. Dies liegt schon um deswillen fern, weil derjenige, der fremden Selbstmord fördert, anders als der Selbstmörder, nicht in eigenes, sondern in fremdes Leben greift und selbst in der Regel nicht in den zerreißenden Spannungen steht, die den Selbstmörder meist zu seiner Tat drängen.“ 211 Es ist zu fragen,

205 Mit der Frage der Bedeutung einer faktischen Rechtsgutverletzung setzt sich auch Derksen auseinander, der allerdings die Möglichkeit der Beteiligung an einer „natürlichen Tat“ ablehnt, Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 52 ff. 206 s. z. B. Sax, JZ 1975, 137 (146 f.); krit. hierzu Schilling, JZ 1979, 159 (162). 207 Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 27. 208 Vgl. Schilling, JZ 1979, 159 (162); Klingenberg, JR 1978, 441 (445). 209 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Verantwortung des Verletzten, S. 27. 210 BGHSt 6, 147 ff. 211 Ebd., 154.

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warum diese richtigen Ausführungen in Bezug auf die Fremdheit des Rechtsgutes aus der Perspektive des Teilnehmers nur im Sonderfall eines gescheiterten Suizids beachtet werden und nicht schon in der Grundkonstellation der Mitwirkung am Suizid. Darüber hinaus ist leicht zu erkennen, dass der Teilnehmer am Selbstmord ein ihm gegenüber geschütztes Rechtsgut in Gefahr bringt und diese Gefahr durch das suizidale Verhalten des Täters realisiert. Dass die Identitäten von Täter und Opfer in derselben Person zusammenfallen, kann nicht dazu führen, dass das Vorliegen einer Rechtsgutverletzung als faktischer Erfolg abgelehnt wird. Was für die Dreipersonenkonstellation der Teilnahme die Strafbarkeit des Teilnehmers als zwangsläufige Folge hätte, nämlich die eingetretene Rechtsgutverletzung, ist in der Zweipersonenkonstellation der Teilnahme am Suizid nicht anders zu bewerten. Letztere sollte in die Sprache der Dreipersonenkonstellation übersetzt werden. Denn der Gesetzgeber hatte bei der Abfassung der §§ 26, 27 StGB nur das typische Teilnahmemodell „Teilnehmer, Täter, Opfer“ vor Augen. Überträgt man die Teilnahme am Suizid in das Teilnahmemodell des StGB, leuchtet es ein, dass eine klare Rechtsgutverletzung, die dem Teilnehmer zuzurechnen ist, vorliegt. Wenn man bei der rechtlichen Beurteilung des Zweipersonenschemas der Teilnahme am Suizid die Identitäten von Täter und Opfer in der Person des Suizidenten auseinandernimmt und eine dritte Person als Opfer figuriert, wird augenscheinlich, dass eine unterschiedliche Behandlung der Teilnahme am Suizid von der Teilnahme am Totschlag ungerechtfertigt ist. Zwischenergebnis: Aus dem oben Erörterten ist ersichtlich, dass das Teilnahmeargument wegen seines formalistischen Charakters eine inkonsistente dogmatische Konstruktion darstellt, die nicht überzeugen kann. Weiterhin ist die erste Prämisse des Teilnahmearguments, nämlich die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid, nicht einwandfrei. Der Strafzweck der Teilnahme, der eigene Rechtsgutangriff, und die Konkretisierung dieses Angriffs in einer Rechtsgutverletzung können deren Strafbarkeit begründen. Auch das „Bedürfnis nach wirksamer Suizidprävention“ verlangt eine Änderung des kriminalpolitischen Klimas gegenüber Mitwirkungshandlungen an suizidalem Verhalten.212 Daher ist die erste Prämisse des Teilnahmearguments nicht überzeugend und die erste Säule des Schutzzweckgedankens wackelig. Was nun die zweite Prämisse des Teilnahmearguments betrifft, ist sie nicht weniger problematisch als die erste. Hierbei wird die Übertragungsmöglichkeit des restriktiven Täterbegriffs vom Vorsatz in den Fahrlässigkeitsbereich vorausgesetzt.213 Dies wird anhand eines doppelten Erst-Recht-Schlusses durchgeführt.214 212 213 214

Dölling, FS für Maiwald, S. 119 (129); s. auch Geilen, JZ 1974, 145 (154). Spendel, JuS 1974, 749 (750). Lasson, ZJS 2009, 359 (360).

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Teil 2: Bestandsaufnahme

Sowohl die formallogische als auch die dogmatische Qualität dieses Erst-RechtSchlusses sind zu Recht mehrfach angezweifelt.215 Konkret: Ausgehend von der Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid, die, wie oben gezeigt wurde, alles anders als selbstverständlich ist, gelangen die Verfechter des Teilnahmearguments zur Straflosigkeit der Teilnahme an der Selbstgefährdung. Diese Auffassung beruht auf zwei interdependenten Schlussfolgerungen. Zuerst auf dem Schluss vom Vorsatz auf das Fahrlässigkeitsdelikt216: Wenn die vorsätzliche Teilnahme am Selbstmord straffrei ist, darf die fahrlässige Teilnahme am Selbstmord „erst recht“ straffrei sein.217 Daraus folgt ein zweiter Schluss, der Schluss von der Selbstverletzung auf die Selbstgefährdung.218 Wenn die fahrlässige Teilnahme an einer Selbstverletzung straflos ist, soll die fahrlässige Teilnahme an einer Selbstgefährdung „erst recht“ nicht strafbar sein.219 Bei dieser Rekonstruktion des Teilnahmearguments fällt sofort auf, dass der Denkfehler bereits in der ersten Schlussfolgerung liegt. Es ist dieser Schluss, der die zweite problematische Prämisse des Teilnahmearguments inkorporiert. Die Unterstellung eines restriktiven Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsdelikt kommt schon in dem ersten Erst-Recht-Schluss zum Ausdruck. Der zweite Schluss, per se zwar auch schwach, stellt jedoch im Rahmen der Argumentation lediglich die Verstärkung der Fehlannahme des ersten Schlusses dar. Denn er beruht auf einer Fehlannahme. Deshalb ist es erforderlich, im Folgenden zuerst den ersten Schluss näher ins Auge zu fassen, seine Unrichtigkeit aufzuzeigen und sich erst dann der Unzulänglichkeit des zweiten Schlusses zuzuwenden. Erster Erst-Recht-Schluss: Die Schlussfolgerung, dass die fahrlässige Teilnahme an einer Selbstverletzung straflos ist, geht davon aus, dass die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme auch in Bezug auf das fahrlässige Delikt gilt.220 Es handelt sich um einen Erst-Recht-Schluss vom Vorsatz auf

215

Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 37 ff.; Spendel, JuS 1974, 749 (750). Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 37 ff. 217 Diese Argumentation findet sich auch in BGHSt 24, 342; s. dazu Spendel, JuS 1974, 749 ff.; Welp, JR 1972, 426 ff.; Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11, Rn. 107. Der Sachverhalt des sog. „Dienstpistolenfalls“ war Folgender: Ein Polizist machte mit seiner Partnerin eine Autofahrt, bei der, nach einem Besuch eines Wirtshauses, die Frau alkoholisiert war. Obwohl er wusste, dass seine Partnerin in alkoholisiertem Zustand zu suizidalem Verhalten tendierte und in der Vergangenheit schon mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte, hatte er seine Pistole auf das Armaturenbrett gelegt, ohne sie zu entladen. Während eines Zwischenhalts, in einem Moment, in dem der Polizeibeamte es nicht merkte, nahm die Frau die Dienstpistole und erschoss sich. Der BGH verneinte eine fahrlässige Tötung auf der Grundlage des Erst-Recht-Schlusses. Wenn die vorsätzliche Teilnahme am Selbstmord nicht strafbar sei, darf es „aus Gründen der Gerechtigkeit“ die fahrlässige Mitwirkung in einem suizidalen Geschehen „erst recht“ nicht sein, BGHSt 24, 342 (344). 218 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39. 219 Ebd., S. 32, 39. 216

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Fahrlässigkeit, der nicht einwandfrei ist. Im Schrifttum werden ihm zu Recht sowohl die Inkorrektheit formallogischer und axiologischer Natur als auch dogmatische Ungereimtheiten vorgeworfen.221 Es ist umstritten, ob der juristische Erst-Recht-Schluss überhaupt als Schluss der klassischen formalen Logik aufgefasst werden kann, oder ihm nur eine axiologische Qualität zukommt.222 Zwar erscheint im Rahmen der Jurisprudenz das zweite Verständnis des Erst-Recht-Schlusses plausibler als das erste, weil es bei der juristischen Argumentation hauptsächlich um die rhetorische Überzeugungskraft eines Werturteils geht,223 doch ist die Qualität des Teilnahmeargument auch aus axiologischer Sicht zu bestreiten.224 Auf eine grundlegende philosophische Auseinandersetzung mit der Problematik muss hier verzichtet werden. Für die umfassende Behandlung der argumentativen Qualität des Erst-Recht-Schlusses vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit ist allerdings wichtig, die Zulässigkeit des Erst-Recht-Schlusses aus beiden Perspektiven, sowohl aus der Perspektive der formalen Logik als auch aus der Perspektive einer axiologischen Betrachtungsweise, zu überprüfen.225 Wenn man von dem formallogischen Charakter des Erst-Recht-Schlusses ausgeht, geht man auch davon aus, dass es sich um ein argumentum a maiore ad minus handelt, d.h. einen „Subalternationsschluss“.226 Ob hier allerdings tatsächlich die Kriterien eines „Subalternationsschlusses“ erfüllt werden, wird aus guten Gründen bezweifelt.227 Die lateinische Wendung „argumentum a maiore ad minus“ bezeichnet eine Schlussfolgerung, die vom „Größeren“ auf das „Kleinere“ geht.228 Danach wird 220 Spendel, JuS 1974, 749 (750); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 37 f.; Renzikowski, HRRS 2009, 347 (348). 221 Welp, JR 1972, 426 (428); Spendel, JuS 1974, 749 (750); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 38 f.; ders., NJW 1995, 240 (241); Walther, Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, S. 74 f. 222 Spendel, JuS 1974, 749 (751); Klug, Juristische Logik, S. 151; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 37 ff.; Joerden, Logik im Recht, S. 352 f.; vgl. auch Schreiber, R., Logik des Rechts, S. 54. 223 Spendel, JuS 1974, 749 (751); Klug, Juristische Logik, S. 151, wo er darauf hinweist, dass das argumentum a fortiori nicht als formallogischer Argumentationstypus zu verstehen ist, sondern als „teleologisch bedingte juristische Argumentationsweise, welche von einer juristisch (nicht notwendig auch logisch) weitergehenden auf eine weniger weitgehende Rechtsregel schließt“; als rhetorisches Überzeugungsargument behandelt das argumentum a fortiori auch Joerden, Logik im Recht, S. 352 ff. 224 Vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39 f. 225 So auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 38 ff. 226 Spendel, JuS 1974, 749 (750); Schneider, E., Logik für Juristen, S. 154. 227 Spendel, JuS 1974, 749 (750 f.); Walther, Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, S. 74 f. 228 Schneider, E., Logik für Juristen, S. 154; Spendel, JuS 1974, 749 (750); Schreiber, R., Logik des Rechts, S. 55.

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Teil 2: Bestandsaufnahme

von der Wahrheit und der Gültigkeit der allgemeinen Aussage (sog. subalternierendes Urteil) auf die Wahrheit und Gültigkeit der besonderen Aussage geschlossen (sog. subalterniertes Urteil).229 An dieser Stelle wird von einem Subalternationsverhältnis zwischen den Prämissen des Erst-Recht-Schlusses ausgegangen, d.h. von einer „Unterordnung eines Urteils unter ein anderes“.230 Legt man dieses Verständnis des Schlusses zugrunde, dann setzt seine Gültigkeit ein Unterordnungsverhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit voraus.231 Dies wurde in der Literatur jedoch mehrfach abgelehnt, mit der richtigen Argumentation, dass Vorsatz nicht das Fahrlässigkeitsdelikt umfasst, sondern ein aliud zu ihm darstelle.232 Von einem Aliudverhältnis geht auch die Rechtsprechung aus: „Vorsatz und Fahrlässigkeit [stehen] nicht im Verhältnis des Mehr oder Weniger zueinander, sondern sind etwas grundsätzlich voneinander Verschiedenes.“ 233 Aber auch auf der Grundlage der Lehre des Plus-Minus-Verhältnisses zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist das „argumentum a maiore ad minus“ nicht haltbar. Es unterstellt, dass die Fahrlässigkeit eine Unterkategorie des Vorsatzes ist, während die Lehre des Plus-Minus-Verhältnisses von dem Gegenteil ausgeht. Konkret: Anders als die h. M., die von dem Aliud-Verhältnis ausgeht, sind den Verfechtern des Plus-Minus-Verhältnisses Vorsatz und Fahrlässigkeit keine sich gegenseitig ausschließenden Begriffe.234 Die Fahrlässigkeit sei vielmehr notwendige Bedingung des vorsätzlichen Delikts.235 Herzberg, der Hauptvertreter dieser

229 Spendel, JuS 1974, 749 (750); Schneider, E., Logik für Juristen, S. 154 ff. Die Gültigkeit des subalternierenden Urteils, nämlich Straflosigkeit der vorsätzlichen Teilnahme am Suizid ist schon angezweifelt worden. An dieser Stelle konzentriert sich die Kritik auf zusätzliche Mängel der Argumentation, die auch im Fall einer gültigen allgemeinen Aussage festzustellen wären. 230 Spendel, JuS 1974, 749 (750). 231 Ebd., 751. 232 Spendel, JuS 1974, 749 (751); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 38; Walther, Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, S. 74 f.; Duttge, in: MüKo-StGB, § 15 Rn. 152, der den Erst-Recht-Schluss methodisch als höchst problematisch sieht. Allgemein für das Aliudverhältnis Roxin, Strafrecht-AT Bd. I, § 24, Rn. 79; Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, S. 74; ders., ZStW 99 (1987), 684 (715, 721); Duttge, in: MüKo-StGB, § 15 Rn. 102 ff.; Baumann/ Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 10, Rn. 15; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 54, I. 2; Bung, RW 2014, 546 (548 ff.). 233 BGHSt 4, 340 (344). Zur Rechtsprechung zur Frage des Stufenverhältnisses zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit LK-StGB/Vogel, § 15, Rn. 13 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts § 54, I. 2. 234 Herzberg, JuS 1996, 377 (380 ff.); ders., in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (58 ff.); ders., NStZ 2004, 593 (595 ff.); ders., in: FS für Schwind, S. 317 (319); ders., GA 2001, 568 (570 f.); Jakobs, GA 1971, 257 (260); SK-StGB/Hoyer, Ahn. zu § 16, Rn. 2 f.; NK-StGB/Puppe, § 15, Rn. 5; NK-StGB/Frister, Nachbemerkungen zu § 2, Rn. 34; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 373. 235 Herzberg, JuS 1996, 377 (380 ff.); ders., in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (58 ff.); ders., GA 2001, 568 (570 f.).

B. Die rechtliche Behandlung

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Lehre, argumentiert auf folgende Weise: Für die Bestimmung der Beziehung von Vorsatz zu Fahrlässigkeit komme es auf die Einstellung des Täters zum Erfolg nicht an.236 Sorgfalt zur „Vermeidung der Rechtsgutverletzung“ sei der „allein maßgebliche Aspekt“, unter dem das Verhältnis der zwei Begriffe bestimmt werden könne.237 Daraus ergebe sich, dass „jede vorsätzliche Straftat eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“ sei238 und jeder Vorsatztäter fahrlässig handle.239, 240 Dies bedeutet dann z. B., dass § 212 StGB eine lex specialis gegenüber § 222 SGB darstellt.241 Alle Voraussetzungen des Fahrlässigkeitsdelikts sind im vor-

236

Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (60). Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (60 f.); ähnlich Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 372 f.; Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 47. 238 Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (61). 239 Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (58); Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 373. 240 Diese Argumentation kann allerdings nicht überzeugen, weil sie einen logischen Fehler beinhaltet. Eine zufällige und beliebig ausgesuchte äußere Gemeinsamkeit der „Vermeidepflichtverletzung“ reicht nicht aus, um eine Verschmelzung der zwei Kategorien zu begründen, Duttge, in: MüKo, § 15, Rn. 102. Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen zu sagen, dass jemand, der Fußball spielt, gleichzeitig Basketball spielt, nur weil in beiden Sportarten mit einem Ball gespielt wird, s. auch Beispiele Jähnkes in: GS für Schlüchter, S. 99 (100) und Duttges in: MüKo, § 15, Rn. 102. Man kann bestimmt sagen, dass Fußball und Basketball zwei Sportarten sind, bei denen man mit einem Ball spielt. Für das innere Verhältnis des Fußballs zum Basketball besagt diese einfache Feststellung allerdings nichts, vgl. Duttge, in: MüKo, § 15, Rn. 102. Man muss zuerst die Regeln beider Spiele kennen, um das Verhältnis von Fußball und Basketball beurteilen zu können. Da die sich zwei Hauptspielregeln der beiden Spielarten gegenseitig ausschließen (Händeverbot für Fußball, Füßeverbot für Basketball) ist eine quantitative Klassifizierung der zwei Sportarten unmöglich, vgl. ebd. Ähnlich wie die „Fußball-Basketball-Beziehung“ verhält sich die „Vorsatz-Fahrlässigkeits-Beziehung“. Auf die „Vermeidepflichtverletzung“ kommt es so wenig an, wie auf die Verwendung eines Balles bei der Bestimmung der Beziehung von Fußball und Basketball. Maßgeblich ist nur die innere Einstellung des Täters zum Erfolg (Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 10, Rn. 15; Duttge, in: MüKo, § 15, Rn. 102; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 54, I. 2), also ob der Täter die Verletzung des Rechtsgutes will/sich damit abfindet oder nicht. Vorsätzlicher Täter und fahrlässiger Täter gleichzeitig zu sein ist also genauso wenig denkbar, wie im selben Moment Fußballspieler und Basketballspieler zu sein. Der logische Widerspruch kann nicht durch den ohnehin nicht überzeugenden Verzicht auf die Frage des Willens des Täters für die Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit aufgehoben werden, so Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 376 ff., 380 ff.; Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (71 ff., 78 ff.). Was die Beziehung von Vorsatz und unbewusster Fahrlässigkeit betrifft, besteht das logische Problem auf jeden Fall weiter. Wie kann dem Täter die Gefahr gleichzeitig bewusst und unbewusst sein? Dies merkt auch Vogel zu Recht an, der sich allerdings trotz dieses festgestellten Widerspuchs der Lehre vom Plus-Minus-Verhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit anschließt, LK-StGB/Vogel, § 15, Rn. 20. 241 Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (58 f.). 237

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sätzlichen Delikt enthalten.242 Da das Vorsatzunrecht ein „qualifizierendes Moment“ aufweise,243 stelle es dann dem Fahrlässigkeitsunrecht gegenüber ein Plus 242

Ebd. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 374. Das „qualifizierte Moment“ liegt allein in dem Wissen um eine qualifizierte, unerlaubte, „unabgeschirmte“ Gefahr, Herzberg, JuS 1986, 249 (262). „Es kommt für den Vorsatz nicht darauf an, daß der Täter eine erkannte Gefahr ernstgenommen, sondern daß er eine ernstzunehmende Gefahr erkannt hat.“, Herzberg, JuS 1986, 249 (262); ders., in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (71 ff., 80); ders., JuS 1987, 777 (779 ff., 781 f.). Für den Verzicht auf das volitive Element des Vorsatzes auch Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 257 ff. 268; Geppert, in: GS für Schlüchter, S. 43 (61 f.); Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 119; Weigend, in: FS für Herzberg, S. 997 (1004 f.); Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 15 f., 44 f., 168; Bottke, in: Die Rechtsprobleme von AIDS, S. 171 (191, 201); vgl. auch Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 35 ff., 40 ff.; krit. statt vieler Bung, Wissen und Wollen im Strafrecht, S. 267 ff., 270 f.; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/ Schröder, § 15, Rn 78a ff.; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 12, Rn. 68 f. Die Theorie Herzbergs würde für die vorgestellte Problematik der Mitwirkungsfälle Folgendes bedeuten: Bei Mitwirkungsfällen wie den Autorennen wäre ein Vorsatzdelikt anzunehmen. Wenn das Erkennen eines „unabgeschirmten“ hohen Risikos bei solchen Fällen ausreicht und das Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolges keine Rolle spielt, ist die Person, die hinter dem Steuer sitzt, ein Vorsatztäter, vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 12, Rn. 65. Dass eine solche Folgerung auf Grund der Selbstgefährdung widersprochen werden muss, liegt allerdings auf der Hand. Wenn der Fahrer einen bedingten Vorsatz bezüglich der Verletzung des Mitfahrers hätte, hätte er gleichzeitig einen Vorsatz in Bezug auf seine eigene Verletzung. Damit wird die spielerische Interaktion zum echten suizidalen Vorgang. Das ist aber offensichtlich nicht vertretbar, weil es dem Rechtsgefühl widerspricht, das Herzberg als den „zuverlässigste[n] Wegweiser“ bezeichnet, Herzberg, JuS 1986, 249 (250). Es sind also die Mitwirkungsfälle dieser Art, die die Schwäche der Theorie der „unabgeschirmten“ Gefahr zeigen. Auf die innere Einstellung des Täters zum Erfolg kann man nicht verzichten. Eine im ersten Augenblick normativ wirkende Auffassung der kognitiven Theorie Herzbergs vertritt Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 381. Es komme nicht auf das Wissen an, das der Täter im Moment der Begehung der Tat besaß, sondern auf das Wissen, das er „vernünftiger- und zumutbarerweise hätte haben müssen“, ebd.; eine ähnliche Normativierungstendenz findet sich bei Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 40; s. auch NK-StGB/Puppe, § 15, Rn. 55. Dies ist allerdings nicht das endgültige Kriterium Pawliks für die Abgrenzung von Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit. Wenn es nur dabei bliebe, dann könnte man gleich die Kategorie der bewussten Fahrlässigkeit abschaffen, jede bewusste Sorgfaltspflichtverletzung wäre gleich eine vorsätzliche Rechtsgutverletzung; vgl. Puppe, in FS Grünwald, S. 469 (486). Der Grund, weshalb der Täter verkannt hat, was ein Vernünftiger hätte erkennen müssen, spiele die entscheidende Rolle, Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 396 f. So kommt er dann zu dem folgenden Ergebnis: „Nur unter der doppelten Voraussetzung, daß der Täter verkennt, was für jeden Vernünftigen auf der Hand liegt, und dieses Versagen auf [Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit] beruht, kann – und muß! – ihm also zur Vermeidung ungerechtigter Priviligierungen seine ,Dickfelligkeit‘ als rechtsfeindlich zugerechnet werden.“, ebd. S. 397. Hier entpuppt sich das Konzept Pawliks als weniger „antipsychologisch“ als er vorgibt. Nach dem Grund der Verfehlung zu suchen, heißt, sich für die aktuelle innere, „gefühlsmäßige Einstellung“ (Begriff aus Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 256) des Täters gegenüber dem Erfolg zu interessieren. Da das kognitive Element normativ aufgefasst wird, während das konkrete Individuum in Bezug auf den Grund der Fehleinschätzung in den Vordergrund tritt, tendiert Pawliks Theorie – anders als er selbst behauptet (s. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 381) – mehr zur Willenstheorie als zur Vorstel243

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dar.244 Diese Plus-Minus-Beziehung lässt sich für das Problem der Wahlfeststellung245 auch so ausdrücken: Die Fahrlässigkeit sei die übergeordnete Kategorie und erfasse als „Auffangstatbestand“ die Fälle, in denen der Vorsatz sich nicht nachweisen lässt.246 Der Vorsatz sei der Spezialfall der Fahrlässigkeit.247 Vor diesem Hintergrund wäre dann ein Subalternationsschluss von der Fahrlässigkeit auf den Vorsatz möglich, aber nicht – wie es beim Teilnahmeargument der Fall ist – vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit. Das Teilnahmeargument verkennt, dass die zwei Begriffe sich nicht in die Sprachformel: „V (Vorsatz) führe zu S (Strafe), F (Fahrlässigkeit) ist V, also F führt zu S“ bringen lassen.248 Sofern die Fahrlässigkeit keine Unterkategorie des Vorsatzes ist, gilt in ihrem Bereich nicht unbedingt, was im Bereich des vorsätzlichen Delikts gilt. Während auf der Grundlage eines rein formallogischen Verständnisses des juristischen Erst-Recht-Schlusses der defizitäre Zusammenhang des hier behandelten Schlusses von der vorsätzlichen Teilnahme am Suizid auf die fahrlässige mit lungstheorie. Das emotionale Element (Begriff aus Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 256) übernimmt durch die Normativierung der kognitiven Komponente die bestimmende Rolle für die Abgrenzung. Aber auch eine normative Auffassung der „Gleichgültigkeit“ würde nichts an dieser Feststellung ändern, zum Begriff der „Gleichgültigkeit“ im deskriptiven und im normativen Sinne NK-StGB/Puppe, § 15, Rn. 56 f. Die Bewertung der Einstellung des Täters stützt sich auf eine Beweisführung der emotionalen Beziehung des Täters zum Erfolg, dadurch kehrt die Argumentation in den Bereich des Faktischen und Deskriptiven zurück. Die Untersuchung der faktisch-psychischen Beziehung des Täters zum Erfolg ist letzlich unabdingbar. Rein normativ ist dann die Entscheidung über die Gleichsetzung der Gleichgültigkeit mit dem Vorsatz. Zudem steht diese unvermeidbare Bezugnahme auf die emotionale Komponente der Gleichgültigkeit bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit im Widerspruch zu Pawliks Ablehnung des Aliud-Verhältnisses. Wenn die Fahrlässigkeit die übergreifende Kategorie ist und der Vorsatz von ihr umfasst wird, ist es nicht nachvollziehbar, wie der Täter, der die Pflichtverletzung nicht aus Gleichgültigkeit begangen hat, gleichzeitig gleichgültig und rücksichtslos sein kann. Die Inkompatibilität der Willenstheorie mit der Theorie des Minus-Plus-Verhältnisses ist auch bei Pawliks Abgrenzungsvorschlag festzustellen, gerade weil er den Schritt zur Vorstellungstheorie nicht macht. 244 NK-StGB/Puppe, § 15, Rn. 5; Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, Bd. IV, S. 51 (60 ff.); ders., JuS 1996, 377 (380); Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 373 f. Pawlik argumentiert, dass Vorsatz durch eine Haltung der „Feindschaft“ und Fahrlässigkeit durch eine Haltung des „Mangels an Freundschaft“ gekennzeichet sind. Da „Feindschaft nichts anderes [. . .] als ein qualifizierter Mangel an Freundschaft“ sei, stelle der Vorsatz auch den qualifizierten Tatbestand der Fahrlässigkeit dar, Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 373 f. 245 Zur Problematik der Wahlfeststellung SK-StGB/Wolter, Anh. zu § 55, Rn. 17 ff., 20 ff. 246 So BGHSt 17, 210 (212); NK-StGB/Puppe, § 15, Rn. 5; Herzberg, JuS 1996, 377 (380); krit. dazu Duttge, in: MüKo, § 15, Rn. 103; anders die heutige Rechtsprechung, s. BGHS 32, 48 (57). 247 NK-StGB/Puppe, § 15, Rn. 5; so auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 373; Herzberg, JuS 1996, 377 (380). 248 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 38.

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den Regeln der formalen Logik schnell deutlich wird – es wird unrichtigerweise auf ein „begriffslogisches Stufenverhältnis“ 249 zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit abgestellt – erscheint die Überzeugungskraft des Schlusses zunächst stärker zu sein, wenn man von der Auffassung ausgeht, dass der juristische Erst-RechtSchluss kein Subalternationsschluss, sondern eine „teleologisch bedingte juristische Argumentationsweise“ 250 darstellt, die auf einem Relationsverhältnis zwischen den Prämissen aufgebaut wird.251 Der Erst-Recht-Schluss beinhaltet nach dem Vergleich zweier Rechtsregeln ein Werturteil, welche von den beiden juristisch, aber nicht unbedingt logisch, gewichtiger sei.252 Dann wird von der gewichtigeren auf die weniger gewichtige geschlossen.253 Im Gegensatz zu einem Subalternationsschluss, der wegen der Verkennung des selbstständigen Charakters der Fahrlässigkeit dem Vorsatz gegenüber evident unzulässig ist, widerspricht die Betrachtung des Erst-Recht-Schlusses als Werturteil der echten Natur des Vorsatz-Fahrlässigkeits-Verhältnisses nicht. Da sie in einem aliud-Verhältnis stehen, können sie nur als Wertungen gegenübergestellt werden.254 Auf der Grundlage eines solchen axiologischen Verständnisses des Teilnahmearguments scheint eine Schlussfolgerung vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit zunächst zulässig zu sein, da hier nur auf das „normative Stufenverhältnis“ 255 zwischen den zwei Schuldformen abgestellt wird.256 Doch offenbart ein genauer Blick auf die Argumentation, dass der hier behandelte Erst-RechtSchluss auch aus axiologischer Sichtweise angreifbar ist.257 Wenn man davon ausgeht, dass ein Wertevergleich einen Sachverhalt voraussetzt, in dem man „eine Beschaffenheit wiederentdeckt, die man schon an einem 249

Dazu krit. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 24, Rn. 79. Klug, Juristische Logik, S. 137; dazu Spendel, JuS 1974, 749 (751). 251 Joerden, Logik im Recht, S. 354; s. auch Spendel, JuS 1974, 749 (751); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39; ähnlich Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 63. 252 Klug, Juristische Logik, S. 137; Spendel, JuS 1974, 749 (751); vgl. Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1, Rn. 85. 253 Klug, Juristische Logik, S. 137; Spendel, JuS 1974, 749 (751). 254 Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, S. 74; ders., ZStW 99 (1987), 685 (715); Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 24, Rn. 80. 255 Das Aliudverhältnis steht einem „normativen Stufenverhältnis“ nicht entgegen, hier geht es nicht um die Bestimmung der klassifikatorischen Beziehung der Schuldformen zueinander, sondern lediglich um einen Vergleich des sozialen Unrechtsgehalts der zwei Formen innerer Beteiligung an der Rechtsgutverletzung, Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 24, Rn. 79 f.; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 10, Rn. 15; s. auch Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1, Rn. 85. Ein „normatives Stufenverhältnis“ zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit nimmt auch die Rechtsprechung an, BGHSt 32, 48 (57). 256 So auch Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 63. 257 So auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39; Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 63. 250

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anderen erkannt hat und die ihn in gleichem oder verschiedenem Maße wertvoll oder wertwidrig macht“,258 wird dann klar, dass es bei dem hier diskutierten Schluss an einer vergleichbaren Rechtskonstellation zur vorsätzlichen Teilnahme im Fahrlässigkeitsbereich fehlt.259 Zwar darf man nach der inneren Beteiligung beim rechtlich missbilligten Verhalten einen Vergleich zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz ziehen und zum Ergebnis kommen, dass die erste einen geringeren Unwert als der zweite aufweist.260 Es darf jedoch kein Werturteil gebildet werden, wenn es an einer ähnlichen Rechtskonstellation fehlt.261 So ist auch die These Murmanns zu verstehen, dass die grundsätzlichen strukturellen Unterschiede zwischen vorsätzlicher Veranlassung und fahrlässiger Veranlassung von Vorsatztaten einem Vergleich entgegenstehen.262 Die Veranlassung einer Tat im Vorsatzbereich und die Veranlassung einer Tat im Fahrlässigkeitsbereich weisen strukturell keine Gemeinsamkeiten auf, auf deren Basis ein Vergleich ihrer rechtlichen Behandlung möglich ist.263

258 Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, S. 75; vgl. ders., ZStW 99 (1987), 685 (715 f.). 259 Vgl. Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 63 ff., 70 ff. 260 Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, S. 75; ders., ZStW 99 (1987), 685 (715); Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 24, Rn. 80. Dass die Fahrlässigkeit im Vergleich zum Vorsatz anhand des Kriteriums der inneren Beteiligung (Wollensfehler im vorsätzlichen Handeln und lediglich Wissensfehler im fahrlässigen Handeln) eine geringere Schuldform darstellt, bestreitet Jakobs in: ZStW 101 (1989), 516 (528). Es sei eine Aufgabe jeder Person, sowohl für Normbefolgungsbereitschaft in ausreichendem Maße als auch für Erfüllung der Sorgfaltsstandards zu sorgen, ebd. Wenn sie die Voraussetzungen der Sorgfältigkeit nicht erfüllt, könne ihr das so wenig zugute kommen wie dem Normbefolgungsunwilligen sein Unwille zugute kommen kann, ebd. Der Grund der regelmäßig milderen Behandlung der Fahrlässigkeit liegt nach Jakobs darin, dass dem Fahrlässigkeitstäter bewiesen werden kann, dass es richtig ist, die Norm zu befolgen, dem Vorsatztäter dagegen nicht, ebd., 530 ff. Dies gelte allerdings nur für den Fall der „ungerichteten“ Fahrlässigkeit, ebd. Insofern könnte man auf dem Standpunkt von Jakobs ein axiologisches Stufenverhältnis nur zwischen Vorsatz und „ungerichteter“ Fahrlässigkeit annehmen, nicht aber zwischen Vorsatz und „gerichteter“ Fahrlässigkeit, s. ebd., 530. Für letztere wäre ein axiologisches Stufenverhältnis anhand der Unterscheidung von Kenntnis und Nicht-Kenntnis „ein axiologisch nicht zu rechtfertigendes Benefiz“, ebd.; auf Jakobs’ Sichtweise in diesem Zusammenhang weist auch Derksen hin, Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39 (Fn. 47). 261 Vgl. Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 63 ff.; 71. 262 Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht, S. 267, vgl. auch Roxin, in: FS für Tröndle, S. 177 (183), auf dessen Argumentation sich Murmann bezieht; Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, S. 166; Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342; vgl. auch Bindokat, JZ 1986, 421 (422). 263 Die Vergleichbarkeit vorsätzlicher und fahrlässiger Mitverursachung bezweifeln auch Welp, JR 1972, 426 (428); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40.

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Teil 2: Bestandsaufnahme

Anders wäre zu urteilen, wenn es die Figur der fahrlässigen Teilnahme gäbe.264 Dann könnte zulässig argumentiert werden, dass, sofern die Fahrlässigkeit eine weniger intensive Schuldform als der Vorsatz ist, die Haftung für Fahrlässigkeit nicht weiterreichen darf als die für Vorsatz,265 damit sollte die fahrlässige Teilnahme ebenso straflos bleiben, wie die vorsätzliche. Dies ist aber nicht der Fall. Eine Vergleichsbasis ist nicht vorhanden.266 Die Fahrlässigkeitsdogmatik kennt im Gegensatz zur Vorsatzdogmatik keine Trennung zwischen Teilnahme und Täterschaft, es wird nur fahrlässige Täterschaft angenommen.267, 268 Das Hervorrufen eines Tatentschlusses bei der Anstiftung und die Unterscheidung zwischen Täter und Gehilfe verlangen sowohl nach der animus-Theorie als auch nach der Tatherrschaftslehre vom Begriff her Vorsatz.269 Zwischen Vorsatz und Teilnahme fehlt es hier also an einer gemeinsamen vergleichbaren Rechtskonstellation, die unabhängig von einem konkreten Werturteil existiert. Diese wird erst durch den Erst-Recht-Schluss erfunden. Es handelt sich eigentlich um die Ad-hoc-Anerkennung von Rechtsfiguren, damit beliebige Ergebnisse gewonnen werden. Ein juristisches Werturteil, das sich des allgemeinen Wertunterschieds zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bedient, um nachvollziehbar zu sein, sollte das Ergebnis eines Vergleichs zweier konkreter Rechtskonstellationen sein, die in beiden Zurechnungsfeldern zu finden sind, und nicht erst um des Vergleichs willen erfunden werden. Die im Rahmen des Schlusses erfolgende Ad-hoc-Anerkennung der ansonsten überwiegend abgelehnten Rechtsfigur der fahrlässigen Teilnahme wird noch deutlicher, wenn man bei Roxin liest: „In einem Bereich gilt freilich der Einheitstäterbegriff auch im geltenden deutschen Strafrecht ganz allgemein: bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Bei ihnen gibt es keine Anstiftung und Beihilfe, weil beide Teilnahmeformen nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes (§§ 26, 27 StGB) nur vorsätzlich verwirklicht werden können. Wer fahrlässig einen tatbestandsmäßigen Erfolg verursacht, ist immer Täter einer fahrlässigen Tat.“ 270 264 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39 (Fn. 52); vgl. Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 63 ff., 70 ff. 265 So z. B. Bockelmann, ZStW 66 (1954), 110 (117); zu diesem Grundsatz auf der Grundlage der Regreßverbotslehre Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 158 ff. 266 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40. 267 s. statt vieler Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (540). Bottke behauptet sogar, dass der Begriff des fahrlässigen Täters einen „lapsus linguae“ darstellt und deshalb vom Begriff des „Tatzuständigen“ ersetzt werden sollte, Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 33; zu Bottkes Auffassung s. auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 171. 268 Zum Einheitstätersystem Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 155 ff., 170 ff.; vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40. 269 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff., Rn. 179. 270 Roxin, Strafrecht AT Bd. II, § 25, Rn. 8.

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Wenn aber der fahrlässige Verursacher eines Erfolges „immer Täter der fahrlässigen Tat“ ist, ist zu fragen, wie es zu einem Vergleich zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Teilnahme kommen kann. Ist es die Tatsache, dass es sich im Rahmen des Erst-Recht-Schlusses um eine „Selbsttötung“ handelt, die zu dieser überraschenden Unterscheidung zwischen fahrlässiger Teilnahme und fahrlässiger Täterschaft führt? Aber aus welcher Norm ist es abzuleiten, dass das Zulässige einer Unterscheidung von Beteiligung und Täterschaft von der Identität des Opfers abhängt?271 Warum wird das, was unvereinbar mit dem geltenden Recht im Fall einer Fremdtötung ist, auf einmal mit den Vorschriften der §§ 26 27 StGB kompatibel? Dem Wortlaut ist eine solche Auslegung nicht zu entnehmen. Vielmehr ist jede Differenzierung zwischen fahrlässiger Mitwirkung an Fremdtötung und fahrlässiger Mitwirkung an Selbsttötung eines Dritten unzulässig. Im Fahrlässigkeitsbereich ist eine Mitwirkung an Selbsttötung aufgrund des Einheitstäterbegriffs und der Gleichwertigkeit der Kausalbeiträge als eine fahrlässige Fremdverletzung zu beurteilen, weil das Opfer für den Mitwirkenden „ein anderer“ ist.272 Daher stellt die Straflosigkeit der „fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung“, wie Welp bemerkt, „eine dogmatisch ungereimte Ausnahme von der Einförmigkeit des extensiven Täterbegriffs der Fahrlässigkeitsdelikte“ dar.273 Welp unternimmt allerdings einen Rechtfertigungsversuch der unterschiedlichen Behandlung der fahrlässigen Mitwirkung an der Fremdtötung und der fahrlässigen Mitwirkung an der Selbsttötung eines Dritten. Er erklärt, dass eine Ausnahme von dem Einheitstäterbegriff zu vermeiden ist, wenn man den richtigen Grund der Straflosigkeit der Mitwirkung am Suizid, unabhängig davon, ob vorsätzlich oder fahrlässig, in der rechtlichen Bewertung der Selbsttötung als „erlaubt“ und nicht als „unverboten“ sieht.274 Da die freie Selbsttötung kein „Unrechtserfolg“ sei, bliebe jede Art von Mitwirkung, also auch die fahrlässige, straflos.275 Zwar bemüht sich Welp hier den Einheitstäterbegriff unberührt zu lassen, es ist jedoch kritisch anzumerken, dass auch seine Auffassung begrifflich

271 So auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 194 (Fn. 153), der Roxin zutreffend vorwirft, dass er die Zurechnung eines Todes davon abhängig macht, wer getötet worden ist; ähnlich Diel, Das Regreßverbot als allgemeine Tatbestandsgrenze im Strafrecht, S. 259; Welp, JR 1979, 426 (428). 272 Auf der Grundlage des extensiven Täterbegriffs Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 195; Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (377); Puppe/NK-StGB, Vor §§ 13 ff., Rn. 179; Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt, S. 166; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 147, der zu Recht schreibt, dass im Hinblick auf § 222 StGB der Tod des Opfers nicht als Selbstmord, sondern als Fremdtötung zu beurteilen ist; so auch Schilling, JZ 1979, 159 (162). 273 Welp, JR 1972, 426 (428); ihm zust. Diel, Das Regreßverbot als allgemeine Tatbestandsgrenze im Strafrecht, S. 258. 274 Welp, JR 1972, 426 (428). 275 Ebd.

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einen restriktiven Täterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich voraussetzt. Denn, sofern seine Lösung von der Tatbestandslosigkeit der Selbsttötung ausgeht, wird die Selbsttötung als tatbestandslose Haupttat behandelt und die Mitwirkung als nicht strafbare Teilnahme an der tatbestandslosen Haupttat. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass „eine fahrlässige Teilnahme an Selbsttötung“ mit dem Einheitstäterbegriff 276 nicht zu vereinbaren ist. Eine solche Figur, die einen Fremdkörper im Bereich des Fahrlässigkeitsdelikts darstellt, wird erst im Rahmen des Erst-Recht-Schlusses erfunden, um eine geeignete Vergleichsbasis zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Mitwirkung am Suizid zu schaffen. Die Vergleichsbasis sollte allerdings unabhängig von den Erfordernissen des konkreten Werturteils existieren. Diese Voraussetzung erfüllt der ErstRecht-Schluss nicht und sollte daher abgelehnt werden. Auf Grund der hier aufgezeigten Fehler scheitert das Teilnahmeargument bereits bei der ersten Schlussfolgerung von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Mitwirkung am Suizid, unter der Voraussetzung, dass die Richtigkeit der ersten Prämisse, nämlich die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid unterstellt wird. Das argumentative Gebäude stürzt schon bei diesem Punkt ein. Da die zweite Erst-Recht-Schlussfolgerung die Gültigkeit der ersten voraussetzt, fällt sie als nächster Dominostein der Argumentation. Selbst wenn man die Richtigkeit des vorstehenden Satzes annimmt, ist festzustellen, dass auch die zweite Schlussfolgerung argumentativ nicht überleben kann, weil in ihr eigenständige Fehler stecken.277 Auch wenn von der Zulässigkeit einer fahrlässigen Teilnahme ausgegangen wird, scheitert der Schluss von der fahrlässigen Teilnahme an Selbstverletzung auf die fahrlässige Teilnahme an Selbstgefährdung per se.278 Genau wie bei der ersten Schlussfolgerung offenbart sich die Unstimmigkeit des zweiten Erst-Recht-Schlusses sowohl auf der Basis einer formallogischen Betrachtung seiner Prämisse als auch auf der Basis seiner Betrachtung als axiologische Argumentationsweise.279 Sofern die fahrlässige Teilnahme an Selbsttötung straflos ist, solle erst recht die fahrlässige Teilnahme an Selbstgefährdung straflos sein, postulieren die Verfechter des Teilnahmearguments. Dies scheint im Gegensatz zu der ersten Schlussfolgerung, wo der unzulässige Subalternationsschluss zwischen zwei Größen (Vorsatz – Fahrlässigkeit), die im aliud-Verhältnis stehen, gleich ins Auge fällt – aus formallogischer Perspektive unanfechtbar zu sein. Eine Selbstverletzung umfasst, anders als der Vorsatz in Bezug auf die Fahrlässigkeit, eine Selbstgefährdung, weil die zweite eine Zwischenstufe der ersten darstellt.280 Dies 276

Zum Einheitstäterbegriff im Strafrecht Seier, JA 1990, 342 ff. So auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39. 278 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39; Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342. 279 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39. 277

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könnte den Eindruck erwecken, dass einem Subalternationsschluss nichts entgegensteht. Eine solche Ansicht wäre aber verfehlt. Zwar umfasst jede Selbstverletzung naturgemäß eine Selbstgefährdung, da eine Schädigung zum Handlungszeitpunkt eine Gefährdung darstellt,281 jedoch führt eine Selbstgefährdung nicht immer unbedingt zu einer Selbstverletzung. So lässt sich die Sprachformel „X führt zu S, R ist X, also führt R auch zu S“ im Fall der Selbstverletzung und Selbstgefährdung nicht übertragen. Bei Selbstverletzung (SV) und Selbstgefährdung (SG) sollte die Formel lauten: SV führt zu S, SG ist SV, also führt SG auch zu S. Es ist allerdings so, dass SG sich zu einer SV entwickeln kann aber nicht muss. Daher wäre es falsch zu sagen, SG ist SV.282 Dem eventuellen Einwand, dass es sich im Fall einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung um eine Konstellation handelt, in der sich die Selbstgefährdung zu einer späteren Selbstverletzung entwickelt und deshalb der subalternierende Satz „SG ist SV“ hier wahr sei, ist entgegenzuhalten, dass eine solche Betrachtungsweise eine Art von Ex-post-Beurteilung eines konkreten Tatgeschehens darstellt, die mit der abstrakten Natur eines formallogischen Schlusses nicht zu vereinbaren ist. Die Zulässigkeit des Subalternationsschlusses hängt von der abstrakten und allgemeinen Logik der Begriffe ab und nicht von nachträglichen Ausdifferenzierungen konkreter Selbstgefährdungsarten. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass, wenn man die Richtigkeit des ersten Schlusses unterstellt, der zweite Schluss per se aus formallogischer Sicht fehlerhaft sein kann.283 Wenn man die Richtigkeitsunterstellung des ersten Schlusses, die lediglich dem Aufzeigen des selbstständigen Defizits des Schlusses von der Selbstverletzung auf die Selbstgefährdung dient, zur Seite schiebt, wird ersichtlich, dass der zweite Schluss eine Wiederholung und Vertiefung des ersten fehlerhaften Syllogismus darstellt. Es ist auch hier derselbe Fehlschluss vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit zu konstatieren. Dies offenbart ein Blick auf den Inhalt und die Qualität der Willensrichtung des Opfers in den zwei Fällen der Selbstverletzung und der Selbstgefährdung. Die Willensrichtung des Opfers im Fall einer Selbstverletzung entspricht dem Vorstellungsinhalt des Vorsatzes.284 Hierbei nimmt das Opfer eine Handlung mit Wissen um eine Verletzungsgefahr vor und will seine Verwirklichung.285 Anders ist die innere Bezie280 Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 339 (Fn. 839); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 379. 281 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 379. 282 Vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39. 283 Ebd. 284 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 380 ff. 285 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 32, 50; Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 339 ff.; Puppe, GA 2009, 486 (490).

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hung des Opfers zum Erfolg bei den Gefährdungskonstellationen. Das Opfer wünscht die Verwirklichung des Erfolges nicht, sondern vertraut auf sein Ausbleiben.286 Ausgehend von einem solchen Verständnis des inneren Zustands des Opfers entspricht der Sachverhalt der Gefährdungskonstellationen dem der bewussten Fahrlässigkeit.287 Daher ist ein Schluss von der Selbstverletzung auf die Selbstgefährdung eine andere Form des Schlusses vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit und unterliegt der oben stehenden Kritik, dass ein Subalternationsschluss zwischen zwei Größen, die zueinander im Aliud-Verhältnis stehen, unzulässig ist. Das Unzulängliche der Schlussfolgerung von der Selbstverletzung auf die Selbstgefährdung lässt sich auch aus der Perspektive einer axiologischen Argumentationsweise aufzeigen. Nach diesem Argumentationsverständnis beinhaltet ein Erst-Recht-Schluss ein Werturteil.288 Was die hier behandelte Schlussfolgerung betrifft, wird zwischen den zwei Rechtskonstellationen der Selbstverletzung und der Selbstgefährdung verglichen, mit dem Ergebnis, dass die erste gewichtiger als die zweite sei. Dann wird von der gewichtigeren Selbstverletzung auf die weniger gewichtige Selbstgefährdung geschlossen.289 Diese Gestaltung des Stufenverhältnisses zwischen den zwei Figuren ist aber, wie im Folgenden gezeigt wird, alles andere als zweifelsfrei.290 Maßgebend und nicht leicht zu beantworten, meint Spendel zu Recht, ist die Frage der Wertung im Rahmen eines Erst-Recht-Schlusses,291 d.h. welche Regelung von größerem Gewicht ist. Für die Antwort auf diese Frage ist die Bestimmung eines Kriteriums notwendig. Die Kriterien können aber variieren.292 Je nachdem welcher Vergleichsmaßstab gewählt wird, gelangt man zu unterschiedlichen Relationsverhältnissen zwischen den vergleichenden Prämissen.293 Wenn man auf die innere Beziehung des Opfers zu der Rechtsgutverletzung abstellt und damit die Weite der angeblichen Selbstbestimmung des Opfers zum Vergleichsmaßstab macht, stellt die Selbstgefährdung kein Minus gegenüber der Selbstverletzung dar.294 Während es sich im Fall einer Mitwirkung an einer 286

Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten,

S. 50. 287 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 382; Weber, in: FS für Baumann, S. 43. 288 Spendel, JuS 1974, 749 (751). 289 Vgl. ebd. 290 So auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39; Neumann, JA 1987, 244 (248). 291 Spendel, JuS 1974, 749 (751). 292 Vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39; Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, S. 75. 293 Vgl. Walther, Eigenverantwortlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, S. 76; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39. 294 Vgl. Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (376 f.); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40; hierzu s. auch Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die

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Selbstverletzung um eine Konstellation der gewollten Rechtsgutsdisposition handelt, stellt der Fall der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung eine Konstellation der ungewollten Rechtsgutsdisposition dar.295 Dabei ist das Opfer als besonders schutzbedürftig wahrzunehmen.296 Damit findet eine Umkehrung des Stufenverhältnisses statt.297 Da das Opfer sein Interesse am Erhalt des Rechtsgutes nicht aufgibt,298 erscheint die Selbstgefährdung wegen Schutzbedürftigkeitserwägungen gegenüber der Selbstverletzung als Maius und nicht als Minus.299 Das umgedrehte Verhältnis zwischen Selbstverletzung und Selbstgefährdung wird auch durch die Wertungen des § 216 StGB bestätigt. Trotz Verletzungswillens bleibt das Opfer hier schutzbedürftig. Wenn aber im Fall der gewollten Rechtsgutverletzung das Opfer aus guten Gründen als schutzbedürftig angesehen wird, soll es erst recht im Fall der nicht beabsichtigten Rechtsgutverletzung unter Schutz gestellt werden. Gegen diese These könnte jedoch eingewendet werden, dass § 216 StGB den Fall der einverständlichen Fremdverletzung betrifft, in dem die Tatherrschaft bei dem Dritten liegt, während das Argumentum a maiore ad minus nicht auf den im Fahrlässigkeitsbereich der einverständlichen Fremdverletzung entsprechenden Fall der einverständlichen Fremdgefährdung angewendet wird, sondern lediglich für die separate Fallgruppe der Teilnahme an Selbstgefährdungen, in denen die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342, der allerdings dem fehlenden Selbstverletzungswillen keine große Bedeutung beimisst (s. S. 344). 295 Vgl. Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (376 f.); Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 49 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 195; Bindokat, JZ 1986, 421 (422). 296 Vgl. Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (376 f.); die Frage wird auch bei Degener aufgeworfen, Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342. 297 Vgl. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff., Rn. 184. 298 Anders aber Degener, der schon die Risikobereitschaft als „eine Form der Interessenpreisgabe“ wahrnimmt, die haftungsreduzierend wirkt, Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 344 ff. 299 Ähnlich zum Stufenverhältnis zwischen Selbstverletzung und Selbstgefährdung NK-StGB/Puppe, Vor § 13, Rn. 184; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 195; Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (376 f.). Von anderen Prämissen aus gelangt auch Neumann zum umgekehrten Stufenverhältnis zwischen Mitwirkung am Suizid und Mitwirkung an Selbstgefährdung. Neumann stellt auf das Maß des „Bedrohungsmoments“ (Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 158 ff.) der Gesellschaft ab und bewertet das fahrlässige Zugänglichmachen eines gefährlichen Giftes als gefährlicher als die vorsätzliche Mitwirkung am Suizid durch die gezielte Bereitstellung des Giftes für den Suizidenten. Denn Opfer der Fahrlässigkeitstat kann jede Person im Rahmen eines Unfalls sein, Opfer der vorsätzlichen Handlung dagegen nur derjenige, der den Sterbewunsch hat, Neumann, JA 1987, 244 (248); wie Neumann auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39; a. A. Peña, GA 2011, 295 (303).

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Tatherrschaft beim Opfer liege. Diesem möglichen Vorwurf lässt sich entgegenhalten, dass eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme anhand des Tatherrschaftskriteriums im Fahrlässigkeitsbereich unzulässig ist, auch wenn Letzteres in „Gefährdungsherrschaft“ modifiziert wird.300 Danach sei die Gefährdungstäterschaft demjenigen zuzuordnen, der die unmittelbar zur tatbestandsmäßigen Gefährdung führende Handlung vorgenommen hat.301 Dem Wortlaut des § 222 StGB nach („den Tod eines Menschen verursachen“) stellt jedes fahrlässige Handeln eine gleichwertige kausale Bedingung für den Eintritt des Erfolges dar, die zur Annahme von Täterschaft führt.302 Daher scheitert eine Bestimmung von vergleichstauglichen und nicht vergleichstauglichen Gruppen anhand der Tatbeherrschungszuordnung, deshalb ist von Gruppeneinteilungen abzusehen. Abgesehen davon, dass sich die zweite Erst-Recht-Schlussfolgerung auf ein unzutreffendes Stufenverhältnis zwischen Selbstverletzung und Selbstgefährdung stützt, stellt sie auch eine Wiederholung und Vertiefung des ersten Fehlschlusses von der vorsätzlichen Teilnahme auf die fahrlässige dar. Es wird auch hier eine Vergleichsbasis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gekünstelt, damit ein konkretes Werturteil ermöglicht wird. Konkreter: Sofern die Selbstgefährdung unter dem Gesichtspunkt der Willensrichtung des Opfers die Qualität einer fahrlässigen Tat aufweist, kann eine Teilnahme an Selbstgefährdungen nicht in Betracht kommen. Der Wortlaut des § 26 StGB verlangt eine vorsätzlich begangene Haupttat. Dies entspricht ebenso wie die Unzulänglichkeit einer fahrlässigen Teilnahme an einer vorsätzlichen Haupttat dem im Fahrlässigkeitsdelikt geltenden Einheitstäterbegriff. Es wird erneut verkannt, dass die vorsätzliche Veranlassung einer vorsätzlichen Tat und die fahrlässige Veranlassung einer fahrlässigen Tat grundsätzliche strukturelle Unterschiede aufweisen, die einen Vergleich anhand der Teilnahmelehre untersagen.303 Der zweite Erst-Recht-Schluss ist daher genau wie der erste Erst-Recht-Schluss weder aus der Perspektive der formalen Logik noch aus der Perspektive einer axiologischer Argumentationsweise akzeptabel. (2) Gesamtergebnis für das Teilnahmeargument als Grundlage der Schutzzwecklehre Zwar behauptet Roxin, dass die Straflosigkeit der fahrlässigen Selbstmordermöglichung „nicht aus allgemeinen Erwägungen der Teilnahmelehre“ folgt,304 und er will Bezug auf normative Wertungen nehmen – er beruft sich auf die 300

BGHSt 53, 61. Roxin, GA 2012, 655 (660); Dölling, GA 1984, 71 (78). 302 Seier, JA 1990, 342 (344); dazu Diel, Das Regreßverbot als allgemeine Tatbestandsgrenze im Strafrecht, S. 326. 303 Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht, S. 267; s. auch Welp, JR 1972, 426 (428); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40. 304 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (245). 301

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Handlungsfreiheit der Beteiligten.305 Er argumentiert jedoch, dass der Normzweckgedanke bei den Fallkonstellationen der Selbstgefährdung und Selbstverletzung „sich auf zwei Wurzeln zurückführen lässt“ 306: einerseits auf die der Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme und anderseits auf den Gedanken, dass bei verunglückten Rettungshandlungen dem Erstverursacher die Verletzungen der gesetzlich verpflichteten Retter nicht zugerechnet werden dürfen.307 Die Abhängigkeit seiner Lehre vom Grundsatz der Akzessorietät ist im ersten Teil der Argumentation ersichtlich. Daher bemerkt Derksen sehr treffend, dass die Lehre vom Schutzzweck der Norm keine echte Materialisierung der von ihr vorgeschlagenen Zurechnungskriterien unternimmt, sondern sich zur Begründung ihrer Ergebnisse der für das Vorsatzdelikt geltenden Akzessorietätsregelung und des Erst-RechtSchlusses vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit bedient.308 Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass der doppelte Erst-RechtSchluss sowohl aus formallogischer als auch aus wertlogischer Sicht nicht zu überzeugen vermag. Der Hauptfehler ist in der Annahme eines restriktiven Täterbegriffs im Fahrlässigkeitsdelikt zu sehen. Der Grund für die nicht ausreichende Berücksichtigung der Tatsache, dass im Fall einer Selbstgefährdung das Opfer nicht weniger schutzwürdig ist als im Fall einer Selbstverletzung – dies nach Unterstellung, dass die h. M. zu Recht von der Autonomie des Opfers in allen Selbstgefährdungskonstellationen ausgeht – liegt in der künstlichen Unterscheidung zwischen Fahrlässigkeitsgruppen, in denen das Opfer die Tatherrschaft hat und in denen das Opfer sich der Tatherrschaft eines Dritten ausgeliefert hat. Wenn vom Tatherrschaftskriterium im Fahrlässigkeitsdelikt, bei dem der Einheitstäterbegriff gilt, abgesehen wird, dann wird ersichtlich, dass die Wertungen des § 216 StGB als Kompass für den maßvollen Schutz des Opfers dienen können. Denn es wurde auch deutlich, dass die Selbstgefährdung aus Schutzwürdigkeitserwägungen (wegen der inhaltlichen Reichweite der Selbstbestimmung, die geringer ist als die Reichweite der Selbstbestimmung bei einer Selbstverletzung) ein Maius und nicht ein Minus im Vergleich zur Selbstverletzung ist.309 Vor diesem Hintergrund fällt der Ansicht, dass das Problem der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung anhand der Schutzzwecklehre zu lösen ist, eine ihrer zwei argumentativen Säulen weg. Nun ist es wichtig, sich dem zweiten Argument Roxins bei der Begründung seines Ansatzes zuzuwenden, dass eine Fahrlässig-

305

Roxin, Strafrecht AT, Bd I, § 11, Rn. 107 (Fn. 230). Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (249). 307 Ebd., S. 249, 247. 308 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 40 f.; s. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 392; vgl. Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 147. 309 Vgl. Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (376 f.); hierzu Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342. 306

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keitshaftung Dritter bei verunglückten Rettungshandlungen nicht in Betracht kommt.310 cc) Rettungshandlungen311 Roxin vertritt die Meinung, dass der Schutzzweck der Norm die Fahrlässigkeitshaftung ausschließt, wenn jemand sich selbst gefährdet, um einen anderen zu retten.312 Nach dieser Auffassung, wenn der Retter eines verunglückten Bergwanderers freiwillig die Grenzen des rechtlich Geforderten überschreitet, ist seine Verletzung nicht dem Bergwanderer zuzurechnen.313 Er schreibt: „Wer, um den verunglückten Bergwanderer zu retten, eine tollkühne Kletterpartie unternimmt, abstürzt und sich ein Bein bricht, kann nicht verlangen, dass der Verunglückte wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft werde. Denn auch wenn dieser für den Beinbruch kausal und ein Unfall des Retters durchaus nicht unvorhersehbar war, ist es nicht der Zweck des § 230 StGB, Menschen vor den Risiken freiwilliger Selbstgefährdung zu bewahren. Die Ratio, die sich aus der Straflosigkeit einer Mitwirkung an freiwilliger Selbsttötung ableiten lässt, stellt das außer Zweifel.“ 314 Die Fahrlässigkeitshaftung des Erstverursachers lehnt Roxin auch im Fall von Rettungshandlungen ab, wo der Retter wegen der Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht handelt oder während der Ausübung eines mit Risikos verbundenen Berufs die gefährliche Rettungshandlung unternimmt, z. B. ein Feuerwehrmann, der während der Löscharbeiten tödlich verunglückt.315 Der Ausschluss der Fahrlässigkeitshaftung für den Erstverursacher ergebe sich allerdings in diesen konkreteren Sachverhalten nicht aus der freiwilligen Selbstgefährdung, sondern aus der Tatsache, dass der Retter wegen eines gesetzlichen Gebotes handelt.316 Der Gesetzgeber solle die Verantwortung für die möglichen Risiken, die seine Gebote mit sich bringen, selbst übernehmen und nicht dritten Personen aufbürden.317

310

Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (247). Verwandt ist die Problematik um die Verfolgerfälle, bei denen ein Fliehender die Selbstgefährdung des Verfolgers veranlasst, dazu Stuckenberg, in: FS für Puppe, S. 1039. Trotz der Ähnlichkeiten mit den Retterfällen verdienen die Verfolgerfälle eine gesonderte Behandlung, bei der es mehr auf das Selbstbegünstigungsprinzip ankommt als auf notstandsähnliche Güterabwägungen, ebd., S. 1039, 1055 f. 312 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (246); zust. Burgstaller, Das Fahlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 115. 313 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (246 f.). 314 Ebd. S. 247. 315 Ebd. 316 Ebd. 317 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (247); ders., in: FS Honig, S. 132 (142 f.); so auch Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 115; anders aber Roxin später, Roxin, in: FS für Puppe, S. 909 (914). 311

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dd) Kritik Diese Argumentation überzeugt genauso wenig wie der Schluss Roxins von der Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme auf die Mitwirkung an Selbstgefährdungen. Wenn man das Beispiel des verunglückten Bergwanderers näher ins Auge fasst, wird man feststellen, dass die Annahme einer Straflosigkeit wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung eine überflüssige Anwendung der ohnehin zweifelhaften Figur ist. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Zugriff auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung, die angeblich nicht unter den Schutzbereich des § 230 StGB fällt, notwendig ist, wenn es bereits an einem unerlaubten Risiko fehlt. Der Bergwanderer hat sich sozial nicht inadäquat verhalten, daher liegt seine Sporttätigkeit zweifellos noch im Bereich des erlaubten Risikos.318 Aus diesem Grund, und nicht wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Retters, scheidet die Bestrafung des verunglückten Bergwanderers wegen fahrlässiger Körperverletzung aus. Die Einbeziehung der Ratio der Straflosigkeit der Selbstmordteilnahme ist, abgesehen von den an früherer Stelle dieser Abhandlung dargelegten Einwänden gegen dieses Argument, in diesem Fall nutzlos. Daher verliert das vorgebrachte zugespitzte Argument an Kraft, dass die Einbeziehung der Selbstgefährdung des Retters in den Schutzbereich der Norm den Verunglückten zu dem „unwürdigen Kalkül“ zwingen würde, sich zu entscheiden, ob er einen Retter rufen oder besser auf Hilfe verzichten soll, um nicht das Risiko einer Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung des Retters einzugehen.319 Ein solches Strafbarkeitsrisiko ist wegen fehlender unerlaubter Risikoschaffung seitens des Bergwanderers von vornherein ausgeschlossen. Anders als beim Fall des Bergwanderers ist beim Fall einer Brandstiftung, bei der ein Feuerwehrmann zu Tode kommt, zu argumentieren. In dem normwidrigen Verhalten des Brandstifters ist die Schaffung eines sozial unerlaubten Risikos zu sehen.320 Das Inbrandsetzen von Häusern verletzt strafrechtliche Normen und stellt eine unerlaubte Gefährdung dar, die die Pflichten bestimmter Berufsgruppen aktiviert und diese zur Selbstgefährdungen zwingt.321 Vor diesem Hintergrund kann nicht die Rede von einer freiwilligen Selbstgefährdung sein.322 Dies 318 Vgl. Frisch, W., Tatbestandmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, S. 479. 319 Roxin, in: FS für Honig, S. 132 (143); zust. Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 115; Diel, Das Regressverbot als allgemeine Tatbestandsgrenze im Strafrecht, S. 246. 320 Ähnlich stellt auch Derksen auf das Kriterium des „normwidrigen Auslöseverhaltens“ ab, um die strafrechtliche Behandlung des Gefahrverursachers zu bestimmen, Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 204. 321 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 204; SK-SGB/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 136 ff.; vgl. auch Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (17). 322 Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 13 ff., Rn. 101 f.; Geppert, Jura 2001, 490 (495); SK-SGB/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 138; NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff., Rn. 186; Sowada, JZ 1994, S. 663 (665); Radke/Hoffmann, GA 2007, 201 (215); anders

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Teil 2: Bestandsaufnahme

räumt auch Roxin ein. Er bemerkt, dass es hier nicht auf die Erwägungen der freiwilligen Selbstgefährdung ankommt.323 Außerdem lässt die Ansicht, dass die verunglückten Rettungshandlungen eines Berufsträgers oder von jemandem, der in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht handelt, nicht dem Erstverursacher zugerechnet werden dürfen, weil der Gesetzgeber die Verantwortung für die Risiken seiner Gebote selbst übernehmen solle,324 ein gewisses Unbehagen zurück. Nicht die Rechtsordnung, sondern das normwidrige Verhalten des Erstverursachers begründet das Risiko für den Schaden des Retters.325 Ausgehend von denselben Prämissen der Rechtspflicht zieht Rudolphi überzeugend die Gegenschlussfolgerung zu Roxins These.326 Wenn die Rechtsordnung von einem Feuerwehrmann verlangt, den Brand zu bekämpfen, solle sie ihn auch davor schützen, dass Dritte Gefahrensituationen schaffen, bei denen er verpflichtet ist, sich zu gefährden.327 Ausschlaggebend solle sein, wie die Rechtsordnung die Rettungshandlung bewertet.328 Wenn die Bewertung positiv ist, lasse sich auch derjenige als schutzwürdig anerkennen, der die Rettungshandlung unternimmt.329 Damit macht Rudolphi eine Ausnahme von dem sonst von ihm vertretenen Grundsatz, dass der sich selbst in Gefahr Begebende nicht in den Schutzbereich der strafrechtlichen Normen fällt.330 Dies setze allerdings voraus, dass der verfolgte Rettungszweck nicht außer jedem Verhältnis zu den Gefahren steht, denen der Retter sich selbst aussetzt.331 Zu Rudolphis grundsätzlich richtiger These ist jedoch Folgendes anzumerken: Wenn er die positive Bewertung der Rettungshandlung als Voraussetzung der Schutzwürdigkeit nennt, entsteht der Eindruck, dass in der Rechtsordnung auch eine negative Bewertung einer Rettungshandlung vorkommen kann. Eine Unterscheidung zwischen positiver und negativer Bewertung einer Rettungshandlung lässt sich von der Rechtsordnung her nicht begründen, auch wenn der Rettungszweck in Abwägung der einander gegenüberstehenden Rechtsgüter als unange-

Strasser, F., Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht, S. 245. 323 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (247). 324 Ebd. 325 SK-StGB/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 138; Sowada, JZ 1994, S. 663 (665); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 204, 209; so auch heute Roxin, in: FS für Puppe, S. 909 (914); vgl. BGHSt 39, 322 (325); dagegen Diel, Das Regressverbot als allgemeine Tatbestandsgrenze im Strafrecht, S. 245. 326 Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (557). 327 Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (557); vgl. Sowada, JZ 1994, S. 663 (665); Strasser, F., Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht, S. 232. 328 Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (557). 329 Ebd. 330 Ebd. 331 Ebd.

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messen erscheint.332 Rudolphi meint damit den Fall, in dem sich jemand in große Gefahr begibt, um eine geringwertige Sache zu retten.333 Zwar kann man hier von unvernünftigem Verhalten sprechen, von negativer Bewertung der Rettungshandlung allerdings nicht. Eigentum ist ein von der Rechtsordnung anerkanntes und geschütztes Rechtsgut und dies sollte reichen für eine positive Bewertung einer entsprechenden Rettungshandlung.334 Abgesehen von diesem Einwand gegen Rudolphis Meinung ist in seinem Argument der positiven Bewertung einer Rettungshandlung wie auch in der Unterscheidung zwischen Schaffung eines erlaubten und eines unerlaubten Risikos die Lösung für das Problem der Rettungsfälle zu sehen.335 Die positive Einschätzung einer Rettungshandlung wird nicht nur in den Fällen der berufsmäßigen Retter, die rettungsverpflichtet sind, eingeschränkt, sondern bezieht sich auch auf Hilfeleistungen Dritter. Dies bestätigt auch die allgemeine Hilfeleistungspflicht des § 323 c StGB in der Form eines echten Unterlassungsdelikts, dessen Adressat jedermann ist und nicht nur Garanten. Zwar entsteht keine Rechtspflicht, falls die Zumutbarkeit entfällt, ein positives Urteil über die Rettungshandlung steht trotz der entfallenen Zumutbarkeit außer jedem Zweifel.336 Dass die Rechtsordnung in bestimmten Konstellationen von dem Retter eine Hilfeleistung nicht erwartet, darf sich nicht gegen ihn auswirken.337 Vielmehr soll ein Handeln, das über das gebotene und zumutbare Maß einer Hilfeleistung hinaus geht und durch ein großes Maß an mitmenschlicher Solidarität gekennzeichnet ist, besonders positiv bewertet und rechtlich geschützt werden. Zusammenfassend erscheint es zweckmäßig, das hier zu behandelnde Thema in zwei Kategorien aufzuteilen. Die erste Kategorie erfasst die Rettungsfälle, bei denen die Gefahrenlage nicht das Ergebnis eines normwidrigen Verhaltens seitens des Verunglückten darstellt.338 Hier darf nicht die Veranlassung der Selbstgefährdung des später zu Tode kommenden Retters zur Verurteilung des Verunglückten wegen fahrlässiger Tötung führen, weil der Erstverursacher kein unerlaubtes Risiko geschaffen hat. Unter diese Kategorie fällt der oben erwähnte Bergwanderfall. Im Gegensatz zu der ersten Art von Rettungsfällen erfasst die zweite Kategorie die Rettungsfälle, bei denen die Gefahr das Ergebnis eines

332

s. ebd. s. ebd. 334 Vgl. Amelung, NStZ 1994, 338; ders., GA 1999, 182 (197); ders., in: FS für Eser, S. 3 (15). 335 Vgl. Strasser, F., Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht, S. 232 f., 245. 336 Vgl. Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (557). 337 Ebd. 338 Vgl. Frisch, W., Tatbestandmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, S. 479. 333

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normwidrigen Verhaltens des Erstverursachers ist. Hier ist dem Gefahrverursacher eine fahrlässige Tötung anzurechnen, da er ein unerlaubtes Risiko geschaffen hat, das sich in dem Tötungserfolg des Retters realisiert. Eine solche Gefahr liegt auch nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit. Dem Gedanken der Zweiteilung der Rettungsfälle anhand des Kriteriums der Schaffung eines unerlaubten Risikos steht Schünemanns differenzierende Lösung nah, obwohl er der Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung treu bleibt.339 Eine rechtlich nicht gebotene Selbstgefährdung, die eigenverantwortlich unternommen wird, solle die Zurechnung ausschließen.340 Im Fall einer Selbstgefährdung in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht solle dagegen die Zurechnung des Retterunfalls oder des Unfalls während einer polizeilichen Verfolgung in Betracht kommen, „wenn hierfür eine vom Erstverursacher geschaffene oder gesteuerte Gefahrenquelle im gegenständlichen Sinne ursächlich ist, nicht aber, wenn das Primärverschulden nur in dem Ausliefern von Personen an bereits vorhandene Gefahrenquellen besteht und auch der Retter diesen vom Täter weder hervorgerufenen noch gesteuerten Gefahren erliegt.“ 341 Dies führt dazu, dass im Fall einer Brandstiftung der Erstverursacher strafrechtlich verantwortlich für die Verletzung der Rettungsmannschaften wird.342 Denn hier wird die Gefahrenquelle erst durch ihn geschaffen.343 Ist dagegen die Gefahrenquelle nicht vom Erstverursacher geschaffen, sondern bereits vorhanden, dann haftet er nicht wegen fahrlässiger Tötung des Retters.344 Diese Unterscheidung Schünemanns zwischen einer Gefahrenquelle, die aus normwidrigem Verhalten resultiert und einer Gefahrenquelle, die unabhängig von dem Verunglückten ist, weist Ähnlichkeiten mit der hiesigen Zweiteilung der Rettungsfälle auf. Allerdings bleibt Schünemann bei der faktischen/phänomenologischen Unterscheidung zwischen geschaffener und vorhandener Gefahrenquelle stehen345 und überträgt sie nicht auf die normative Ebene der erlaubten und nicht erlaubten Risikoschaffung, im Gegenteil, er integriert in der zweiten Fallgruppe auch Fälle der unerlaubten Risikoschaffung. So verwendet er folgendes Beispiel für den Fall der vorhandenen Gefahrenquelle: Wegen der Unachtsamkeit der Aufsichtsperson geraten badende Kinder in Lebensgefahr.346 Beim Versuch ihrer Rettung ertrinkt

339

Schünemann, JA 1975, S. 715 (722). Ebd. 341 Schünemann, JA 1975, S. 715 (722); kritisch zu Schünemanns Auffassung Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, S. 479; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (16, Fn. 56). 342 Schünemann, JA 1975, S. 715 (722). 343 Ebd. 344 Ebd. 345 Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (16, Fn. 56). 346 Ebd. 340

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ein unbeteiligter Dritter.347 Da die zum Tode des Retters führende Gefahrenquelle die Nordsee ist, die nicht von dem Erstverursacher geschaffen wurde, sondern vorhanden war, wird der Aufsichtsperson nicht der Tod des Retters zugerechnet.348 Hier bezieht sich Schünemann in seiner Fallgruppe der vorhandenen Gefahrenquellen auf einen Fall des unerlaubten Risikos, die Aufsichtsperson schuf aus Unachtsamkeit ein unerlaubtes Risiko. Daher könnte man sagen, dass der Ansatz Schünemanns die hier vorgeschlagene Unterteilung der Rettungsfälle in zwei Fallgruppen anhand des Kriteriums der unerlaubten Risikoschaffung beinhaltet, aber nicht damit identisch ist. Was nun die zweite Kategorie der Rettungsfälle, bei denen die Selbstgefährdung die Folge eines unerlaubten Risikos darstellt, konkreter betrifft, ist anzumerken: Eine unterschiedliche Behandlung dieser Art von Rettungsfällen, je nachdem ob der Retter zur Rettung gesetzlich verpflichtet ist oder nicht,349 kann nicht überzeugen.350 Denn die Rechtsordnung bewertet alle Rettungshandlungen positiv, unabhängig von dem Vorliegen einer Rettungspflicht. Jedes Rettungshandeln weist solidarische Qualität auf und kann nur als schutzwürdig betrachtet werden, unabhängig davon, ob es „vernünftig“ ist oder nicht.351 Kritisch ist auch folgende These Derksens zu bewerten: „Daß nur „vernünftige“ Rettungsaktionen den für deren Anlaß Zuständigen belasten, dürfte im wesentlichen mit dem das Kriterium der Zumutbarkeit der Hilfspflicht ausfüllenden Prüfungsmaßstab erfaßt sein“.352 Der sozialethische Sinn einer Rettungshandlung kann nicht durch die als Minimum eingeforderte interpersonale Solidarität bestimmt werden. Wie schon erwähnt, soll vielmehr ein Handeln, das über das gebotene und zumutbare Maß einer Hilfeleistung hinausgeht und ein hohes Maß an mitmenschlicher Solidarität zum Ausdruck bringt, besonders positiv bewertet und rechtlich geschützt werden.353 Ein solches Engagement liegt im Interesse der Ge-

347

Ebd. Ebd. 349 So der Vorschlag Schünemanns, JA 1975, S. 715 (722); vgl. Strasser, F., Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht, S. 245; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 204, 233; Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (215 ff.); Radtke, in: FS für Puppe, S. 831 (845). 350 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13, Rn. 186. 351 Es wird allerdings häufig in der Literatur das Gegenteil vertreten, nämlich, dass bei unvernünftigen Rettungsaktionen die Schutzwürdigkeit des Retters entfalle, s. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, S. 481 ff.; NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13, Rn. 186 f.; dies., Die Erfolgszurechnung im Strafrecht, S. 265 f.; dies., NStZ 2009, 331 (333 f.); Sowada, JZ 1994, 663 (665 f.); vgl. Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 210, 233. 352 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 210; vgl. ders., NJW 240 (241). 353 Anders Günther, StV 1995, 78 (81), nach dessen Auffassung die Überschreitung der „minimalen Solidaritätspflichten“ eine moralische Anerkennung verdienen kann, aber keinen strafrechtlichen Schutz. 348

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meinschaft.354 Daher ist eine Privilegierung der „vernünftigen“ Rettungen als rechtlich einzig schutzwürdiger Rettungsaktionen ungerechtfertigt. Es darf auch nicht übersehen werden, dass der Retter sich meistens in einer außergewöhnlichen Motivationslage befindet, der einer „vernünftigen“ Rechtsgüterabwägung im Wege steht.355 Puppe lehnt die Entlastung des Erstverursachers im Fall eines unvernünftigen Handelns ab, wenn die „Unvernünftigkeit“ panisch bedingt ist.356 Der Retter handle nicht freiwillig.357 Für diese Panik, die die Freiwilligkeit ausschließt, sei der Erstverursacher verantwortlich.358 Dies ist eine zutreffende Anmerkung. Man fragt sich allerdings, warum man nicht dieselbe Einstellung gegenüber allen unvernünftigen Verhaltensweisen hat, unabhängig davon, ob sie das Ausmaß einer panischen Reaktion erreichen. Unter dem Druck einer Gefahrensituation ist von einer unfreiwilligen Entscheidung zum Rettungsversuch auszugehen, die oft auch mit „sinnlosen“ und „unverhältnismäßigen Wagnissen“ 359 verbunden wird.360 Geppert bemerkt richtig, dass der Retter trotz fehlender rechtlicher Verpflichtung Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, eine sittlich-moralische Pflicht empfindet, die Rettungshandlung auszuführen.361 An einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist daher zu zweifeln.362 Für das Entstehen dieser Unfreiheit, die zur unvernünftigen Selbstgefährdung führt, ist der Erstverursacher genauso verantwortlich, wie bei dem Fall eines panischen Verhaltens. Es liegt auch nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass

354 Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, S. 484, der allerdings auf die Unterscheidung von vernünftigen und unvernünftigen Handlungen abstellt. Er macht das Interesse der Gemeinschaft zum Kriterium der Vernünftigkeit der Rettungshandlungen, ebd. Vernünftige Rettungshandlung ist diejenige, die als „sozialethisch wertvoll“ bewertet werden kann, ebd.; vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (778); zur Diskussion um die Rettungsfälle aus dem Blickwinkel des Gemeinschaftsinteresses, Sowada, JZ 1994, 663 (666). 355 Vgl. Amelung, NStZ 1994, 338; Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (217); ders., Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 298; vgl. auch Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 372 f., der den Erstverursacher wegen der Zwangslage des Retters als mittelbaren Täter behandelt (S. 362, 375), krit. zu Degeners Auffassung Strasser, F., Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht, S. 206 ff. 356 NK-StGB/Puppe; Vor §§ 13 ff., Rn. 186a; vgl. Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 298. 357 Ebd. 358 Ebd. 359 In den Schutzbereich der Norm ist nach dem 3. Strafsenat ein von vorneherein zweckloser oder mit offenkundig unverhältnismäßigen Wagnissen verbundener Rettungsversuch nicht einzubeziehen, BGHSt 39, 322 (325 f.). 360 Vgl. Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (217 f.); Amelung, NStZ 1994, 338; Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (778). 361 Geppert, Jura 2001, 490 (495); Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (217). 362 Geppert, Jura 21, 490 (495); ähnlich Amelung, NStZ 1994, 338; Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (778), aber dies gelte nicht für die professionellen Retter (779).

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der Rettende in der Hektik und unter dem Druck der Gefahrenlage exzessiv und sogar unvernünftig agiert.363 Eine Entlastung des Erstverursachers könnte nur in Betracht kommen bei Unvernünftigkeitsfällen, die außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegen und einen atypischen Kausalverlauf darstellen.364 Durch die Berücksichtigung solcher „völlig unvernünftig[en]“ 365 Rettungshandlungen unter der Konstellation des atypischen Kausalverlaufs, wenn sie auf keinen Fall objektiv vorherzusehen waren,366 gewinnt man einen objektiven Maßstab für die Bewertung des unvernünftigen Handelns des Retters.367 Der vage Begriff der „Unvernünftigkeit“ wird dadurch greifbarer als durch die abstrakte Güterabwägung.368 Zudem wird ersichtlich, dass die Bezugnahme auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung in den Retterfällen nicht adäquat ist.369 Puppe merkt an: „Die Retterfälle widerlegen also die Maßgeblichkeit der Unterscheidung zwischen einer unter allen Bedingungen straffreien Beteiligung an einer Selbstgefährdung und einer bei unmittelbarer Lebensgefahr trotz Einwilligung strafbaren Fremdgefährdung.“ 370 ee) Schlussbemerkungen zur Anwendung der Schutzzwecklehre als Lösungsansatz für die Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Abgesehen von der dogmatisch fragwürdigen Bezugnahme auf das Teilnahmeargument und die nicht überzeugende Behandlung der Retterfälle als Fälle eigenverantwortlicher Selbstgefährdung ist aber schon am Ausgangsgedanken der Argumentation zu bezweifeln, dass der Schutzzweck des § 222 StGB nicht den Fall 363 So auch Strasser, F., Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht, S. 216, der allerdings das Argument gegen die richtige Auffassung Radtkes vorbringt, dass grobe Unvernünftigkeit ein Problem der objektiven Vorhersehbarkeit ist und nicht der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Radtke und Hoffmann sprechen allerdings bei Fällen extremer psychischer Zustände von einer „Widerlegung der Freiwilligkeitsvermutung“, sie wenden das Kriterium der objektiven Vorhersehbarkeit nur für Extremfälle des Missverhältnisses zwischen den in Abwägung stehenden Rechtsgütern an, s. Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (218). 364 So auch Amelung, GA 1999, 182 (197); vgl. Geppert, Jura 2001, 490 (495). 365 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff., Rn. 186a. 366 Vgl. Amelung, GA 1999, 182 (197), der zutreffend die „Unvernunft“ als Frage der Vorhersehbarkeit behandelt; ders., in: FS für Eser, S. 3 (15); Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (218); Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (777, 779, Fn. 53). 367 Vgl. Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (218). 368 So auch Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (217); ders., Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 299; für die Rechtsgüterabwägung als Maßstab der Vernünftigkeit sprechen Rudolphi, JuS 1969, S. 549 (557); Sowada, JZ 1994, S. 663 (665); Puppe, Die Erfolgszurechnung im Strafrecht, S. 265. 369 Vgl. Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (218), die das Aufwerfen der Frage der Eigenverantwortlichkeit bei grobem Missverhältnis der Rechtsgüter nicht als notwendig sehen. 370 NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff., Rn. 186.

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Teil 2: Bestandsaufnahme

der Mitwirkung am Selbstmord erfasst.371 Dem Wortlaut des § 222 StGB ist aber eine solche teleologische Auslegung nicht zu entnehmen.372 Roxin behauptet, dass die legislatorische Wertentscheidung unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob durch die Unachtsamkeit des Mitwirkenden eine andere Person sich selbst oder einen Dritten schädigt.373 In dem Fall der Drittenschädigung meint er: „Warum die selbstständige Strafbarkeit des Mörders es gestatten sollte, andere von ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber dem Dritten zu entbinden, ist nicht einzusehen.“ 374 Diese richtige Anmerkung ist allerdings unvollständig, da der Kreis der Personen, denen gegenüber eine Sorgfaltspflicht besteht, eng gefasst wird. Es wird eine nicht nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Selbstschädigendem und Drittem gemacht, obwohl beide Opfer des Geschehens und dem Täter gegenüber ein „Anderer“ sind.375 Ist nicht die Frau, die sich mit der Schusswaffe des Polizeibeamten erschießt, genauso ein „Anderer“ gegenüber dem Polizeibeamten, wie der fremde Passagier, falls die Frau ihn statt sich selbst erschießen würde? Oder ist für den Theaterbesucher, der seinen Mantel, in dessen Tasche sich ein geladener Revolver befand, an der Garderobe abgab, der Logenschließer, wenn er sich selbst tödlich verletzen würde, nicht genauso ein „Anderer“, wie der Arbeitskollege des Logenschließers, der im sog. „Theatergarderoben-Fall“ 376 im Rahmen eines Scherzes von dem Logenschließer mit der zufällig gefundenen Waffe tödlich verletzt wurde? b) Alteritätsprinzip oder Identitätsprinzip Einen anderen Ansatz schlägt Peña vor.377 Ausgehend von der Feststellung, dass das Teilnahmeargument wegen seines formal-systematischen Charakters keine materielle Begründung bieten kann,378 versucht er, eine materielle Basis anhand des im römischen Recht verwurzelten „Prinzips der Alterität“ (Andersheit) oder der „Fremdheit“ der Verletzung (alterum non laedere, den anderen nicht schädigen oder verletzen) zu schaffen.379 371

So z. B. Roxin, in: FS für Gallas, 1973, S. 241 (245). Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 193 ff. 373 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (245). 374 Ebd. 375 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 194 f.; ähnlich Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 147. 376 RGSt 34, S. 91 ff. Ein Theaterbesucher gab seinen Mantel, in dessen Tasche sich ein geladener und ungesicherter Revolver befand, an der Garderobe ab. Der Revolver fiel heraus und der Logenschließer, der die Waffe aufhob, legte sie scherzhaft auf die Brust einen Kollegen an. Da er dachte, die Waffe sei nicht geladen, drückte er ab und verursachte den sofortigen Tod seines Kollegen. Das RG verurteilte den Theaterbesucher wegen fahrlässiger Tötung, zum Fall Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 160. 377 Peña, GA 2011, 295 ff. 378 Ebd., 297, 301 ff. 379 Ebd., 303 ff. 372

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aa) Darstellung der Ansicht Durch eine Umformulierung des Rechtsgrundsatzes „alterum non laedere“ in negativer Weise als „Prinzip der Nicht-Identität“ von Täter und Opfer gelangt Peña zum Ergebnis, dass die Selbstverletzung und die Selbstgefährdung nicht verboten sind.380 Beide sind durch Identität von Täter und Opfer gekennzeichnet.381 Daher schließt er auch auf die fehlende Strafbarkeit der bloßen Begünstigung einer Selbstverletzung oder Selbstgefährdung: „Da das Hauptverhalten, d.h. die Selbstverletzung oder Selbstgefährdung, in der Regel nicht verboten ist, wird auch nicht – umso weniger – die bloße Begünstigung dieses unverbotenen Verhaltens verboten.“ 382 Vielmehr betrachtet er die Teilnahme an einer Selbstgefährdung, nämlich die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, als Identitätsfall.383 Da der Dritte nicht die Lage kontrolliere und der Rechtsgutträger der einzige sei, der die objektive Kontrolle über den Verlauf in der Hand habe, ob die Gefahr zunimmt, sich vermindert oder endet, sei hier die Identität von Täter und Opfer als Maßstab der Gefährdung anzuwenden.384 Daraus folge der Ausschluss der objektiven Zurechnung des Erfolges zum Verhalten des Drittens und die Zurechnung zum Verhalten des Opfers.385 Außer als Lösungsvorschlag für den Umgang mit dem Fall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung wird das Alteritätsprinzip als Abgrenzungskriterium für die zwei Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung verwendet.386 Während die eigenverantwortliche Selbstgefährdung ein Identitätsfall sei, stelle die einverständliche Fremdgefährdung grundsätzlich einen Alteritätsfall dar.387 Für diese Identitäts-Alteritäts-Bewertung der Fallgruppe stellt Peña auf das Kriterium der Kontrolle über das Geschehen ab.388 Soweit das Opfer die Kontrolle über den Verlauf habe, fielen die Personen des Täters und des Opfers zusammen.389 Daher handele es sich um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung. Im umgekehrten Fall gehe es um eine einverständliche Fremdgefährdung, bei der der Erfolg dem Dritten zuzurechnen sei.390

380 381 382 383 384 385 386 387 388 389 390

Ebd., 304. Ebd. Ebd. Ebd., 305 f. Ebd., 305. Ebd., 305 f. s. ebd., 305. Ebd., 305 f. Ebd., 305. Ebd. Ebd., 305 f.

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Teil 2: Bestandsaufnahme

bb) Kritik Zwar geht Peña von der richtigen Prämisse aus, dass die Problematik der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht anhand eines auf dem deutschen positiven Recht beruhenden systematischen Arguments a maiore ad minus gelöst werden kann,391 sondern eine materielle Begründung der Straflosigkeit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erforderlich ist.392 Es ist jedoch zweifelhaft, ob sein eigenes Gedankengebäude von einem solchen Argument a maiore ad minus frei ist. Peña behauptet, weil „das Hauptverhalten, d.h. die Selbstverletzung oder Selbstgefährdung, in der Regel nicht verboten ist, wird auch nicht – umso weniger – die bloße Begünstigung dieses unverbotenen Verhaltens verboten“ 393. Hier ist kein echtes Abstandnehmen vom Teilnahmeargument erkennbar. Zudem teilt sein Konzept denselben Ausgangspunkt mit dem Teilnahmeargument, nämlich die Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme anhand der Tatherrschaft. Dies wird durch einen Blick auf das von ihm vorgeschlagene Kriterium der Kontrolle über das Geschehen bestätigt. Peña argumentiert, dass eine Identität zwischen Täter und Opfer nicht gegeben ist, wenn „der Rechtsgutträger, mag dieser auch in das Risiko einwilligen, eine rein passive Rolle hat und es zulässt, dass der Dritte derjenige ist, der vorsätzlich oder fahrlässig die Gefahr und den Tatverlauf kontrolliert und objektiv bestimmt.“ 394 Es ist hier offensichtlich, dass er mit dem Kriterium der Risikokontrolle zur Feststellung einer Identitäts- oder Alteritätssachlage, um davon eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder eine einverständliche Fremdgefährdung abzuleiten, ein Tatherrschaftskriterium anwendet. Weiterhin ist die Verwandtschaft des Alteritätsprinzips mit dem Schutzzweck der Norm leicht zu erkennen. Ausgangspunkt beider Ansätze ist die Ablehnung strafrechtlicher Sanktionen für die Verletzung oder Gefährdung eigener Rechtsgüter. Genauso fragwürdig ist Peñas These, dass das Prinzip der Alterität die richtige materielle Basis für die Abgrenzung der zwei Figuren und ihre rechtliche Behandlung bietet. Mit dem Prinzip der Alterität gelingt es genauso wenig wie mit dem Tatherrschaftskriterium, die Fallkonstellationen der „Quasi-Mittäterschaft“ der einen oder der anderen Figur zuzuordnen. Hierbei haben aus der Perspektive des Identitäts-Alteritäts-Prinzips Täter und Opfer die gemeinsame Kontrolle über das Risiko, so dass gleichzeitig „Identität“ und „Alterität“ zwischen Risikoschaffung und Opfer festzustellen ist. Von der Antwort auf die Frage, welches von diesen zwei Charakteristika bei der „Quasi-Mittäterschaft“-Sachlage vorherrscht, hängt die rechtliche Behandlung des Problems entweder als Teilnahme an Selbstgefährdung oder als einverständliche Fremdgefährdung ab. Peña sieht hier eine 391 392 393 394

Ebd., 297. Ebd., 301. Ebd., 304. Ebd., 305.

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Vorrangigkeit der Identität zwischen Risikoschaffung und Opfer, die zur Gleichstellung dieser Fälle mit der Begünstigung einer Selbstgefährdung führt.395 Dies ist allerdings nicht selbstverständlich. Es könnte ebenso das Gegenteil vertreten werden. Es bleibt offen, warum nicht die Alterität der Risikoschaffung und des Opfers maßgeblich sein sollte. Das Alteritätsprinzip selbst gibt keine Antwort, sondern lässt nur Raum für willkürliche Ergebnisse, um erwünschte Lösungen zu erzielen. Einen Nachteil, den das Konzept der Alterität auch mit anderen Lösungsansätzen gemein hat, ist seine Orientierung an der Verteilung der Risikoschaffung zwischen Täter und Opfer. Hierbei wird die Verteilung der risikoträchtigen Aktivität anhand der Risikokontrolle zum Maßstab für die Feststellung eines Identitätsoder Alteritätsfalls. Dieser Maßstab ist allerdings wenig hilfreich bei Fallkonstellationen, in denen der Täter sich mit der Risikoschaffung für die Rechtsgüter des Opfers gleichzeitig selbst gefährdet. Der Mitgefährdung des Täters ist ein entscheidendes Gewicht beizumessen. Denn sie bedeutet aus einer objektiven Sicht der Gefährdungslage die Koexistenz einer Alterität zwischen Gefahrerzeugung und tatsächlichem Opfer und einer potenziellen Identität zwischen Risikoschaffung und möglichem Opfer, wenn das Geschehen anders abläuft und der Täter ums Leben kommt. Dass letzteres nicht geschieht, hängt vom Zufall ab. Soweit aber das hier behandelte Konzept allein von der Verteilung der Risikoschaffung ausgeht, wird verkannt, dass der Sachverhalt einer Mitgefährdung gleichzeitig das Potenzial eines Identitätsfalls hat und diesen hinsichtlich eines Erfolgs bewertet, der lediglich zufällig bei der Person des Opfers und nicht des Täters eintritt. c) Erlaubtes Risiko Neben den vorliegenden Stellungnahmen steht die Ansicht, wonach die Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung nach normativen Gesichtspunkten zu beurteilen ist und nicht nach Tatherrschaftserwägungen.396 Den Schwerpunkt bilde hier das Prinzip der „Selbstverantwortung des Opfers“, das sich auf die Autonomie des Einzelnen stützt.397 Die Lösung sei bei der „Primärordnung“ im Selbstbestimmungsrecht zu finden und nicht im Rahmen von Akzessorietätserfordernissen oder von Schutzzwecküberlegungen.398 Die dogmati395

Ebd., 308 ff. Neumann, JA 1987, 244 (249); Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 319; dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (361). 397 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 392 ff.; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 17, 52. 398 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 391 ff. (393); Keine materiale Begründung der Straflosigkeit beinhaltet das „a maiore ad minus-Argument“ auch nach Frisch, W., NStZ 1992, 1 (5); Duttge, in: MüKo, § 15 Rn. 153; vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 50 ff.; dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (361). 396

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sche Widerspiegelung der Autonomie des Opfers befindet sich nach einigen der Vertreter dieser Ansicht in dem Rechtsinstitut des „erlaubten Risikos“ oder der „Sozialadäquanz“.399 aa) Darstellung der Ansicht Aus der Verortung des Problems im Bereich des „erlaubten Risikos“ ergebe sich, dass die objektive Zurechnung ausgeschlossen sei.400 Die Strafbarkeit des Drittverhaltens scheitere aber nicht in der Erfolgszurechnung, sondern bereits beim Vorliegen eines unerlaubten Risikos.401 Die Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung begründe keine missbilligte Risikoschaffung und sei daher schon von vornherein tatbestandlich nicht erfasst.402 Die materiale Grundlage dieser Lösung bildet der Gedanke, dass das fehlende Interesse des Betroffenen am Rechtsgutschutz die Legitimationsbasis für die Beschränkung der Handlungsfreiheit von Dritten und deren Interessenverwirklichung entfallen lässt.403 Denselben Schutz genieße die Handlungsfreiheit Dritter, wenn deren Interessen einerseits von großem Gewicht sind, und anderseits der Gutsträger sehr eng begrenzte Risiken eingeht.404 Als Musterfälle dienen nach den Vertretern dieser Meinung solche Verhaltensweisen, die man klassisch dem Bereich des erlaubten Risikos zuordnet, wie das Autofahren unter Einhaltung aller Regeln des Straßenverkehrs oder die Bedienung von Maschinen.405 Trotz der Tatsache, dass diese Verhaltensweisen eindeutig mit einem gewissem Lebensrisiko verbunden sind, könne niemand das Verbot der Herstellung von Autos und Maschinen verlangen.406 Denn neben dem Interesse an der Erhaltung des eigenen Rechtsgutes bestünden hier schwerer wiegende Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit.407 Ein Interesse des Einzelnen an einem Herstellungsverbot von gefährlichen Produkten sei nicht festzustellen, wenn dieser die Sicherheitsvorkehrungen und Bedienungsvorschriften nicht beach-

399 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 393; Frisch, W., Tatbestandmäßiges Verhalten, S. 149 ff.; ders., NStZ 1992, 1 (5 f.), 62 ff.; Duttge, in: MüKo, § 15 Rn. 153. 400 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (5); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 393. 401 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (5); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 393. 402 Frisch, W., NStZ 1992,1 (5); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 393, 397; Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 319 f. 403 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (6); ders., NStZ 1992, 62 (63); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 397 ff. 404 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (6). 405 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (6); ders., NStZ 1992, 62 (63). 406 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (6). 407 Ebd.

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tet.408 Daher stelle die Ermöglichung einer Selbstgefährdung – durch die Herstellung von gefährlichen Gegenständen – bei zweckwidrigem oder unvorsichtigem Gebrauch keine missbilligte Risikoschaffung dar.409 Jeder bleibe selbst zuständig für seinen eigenen Schutz.410 Das Gegenteil sei eine unvertretbare Einschränkung der Handlungsfreiheit der Dritten.411 Der Ansatz der Figur des erlaubten Risikos in klassischen Bereichen wird von den Vertretern der hier diskutierten Lösung bedenkenlos in das Feld der §§ 222, 223 ff. StGB übertragen.412 So stelle bei den Drogenfällen das Überlassen von Drogen unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit kein unerlaubtes Verhalten dar, da der Süchtige, weil er die Droge haben will, kein Interesse an einem Verbot der Überlassung von Drogen habe.413 Die Legitimationsbasis für ein individualschutzorientiertes Verbot sei wegen des Willens des Rechtsgutinhabers nicht mehr gegeben.414 Dennoch bleibe die objektive Zurechnung bei den Drogenfallkonstellationen unter dem Aspekt der „Volksgesundheit“ bestehen.415 Letztere stehe für die Einzelperson nicht zur Disposition.416 Außerdem sei § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG eine Selbstgefährdung mit Todesfolge immanent, somit könne nicht verhindert werden, dass der Tod dem die Droge überlassenden Dritten objektiv zugerechnet wird.417 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach der hier dargestellten Auffassung eine die Selbstgefährdung ermöglichende Handlung des Dritten grundsätzlich erlaubt ist. Nur ausnahmeweise, wenn Interessen nachweisbar sind, die nicht zur Disposition des Rechtsgutinhabers stehen, sei das Verhalten der Dritten als verboten zu betrachten. bb) Kritik Zwar verdient die Forderung nach einer normativen Begründung der Straflosigkeit in den Fallkonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung anhand des Selbstbestimmungsrechts Zustimmung. Die dogmatische Ansiedlung der Autonomie als materiale Grundlage unter dem Dach des erlaubten Risikos ist jedoch aus den im Folgenden aufgeführten Gründen nicht überzeugend. 408

Ebd. Ebd. 410 Ebd. 411 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (6); ders., NStZ 1992, 62 (63). 412 s. Frisch, W., NStZ 1992, 62 (63). 413 Ebd. 414 Ebd. 415 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (63); Duttge, in: MüKo, § 15 Rn. 154; so auch NKStGB/Puppe, Vor §§ 13 ff., 192 ff.; Weber, in: FS für Spendel, S. 370 (379). 416 Duttge, in: MüKo, § 15, Rn. 154. 417 Duttge, in: MüKo, § 15, Rn. 154; vgl. Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (57); Weber, in: FS für Spendel, S. 370 (379). 409

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(1) Vermischung unterschiedlicher Normzwecke Neben dem in der Literatur zu Recht erhobenen Einwand, dass die Rechtsfiguren des erlaubten Risikos oder der Sozialadäquanz418 „lediglich dazu führen, dass die Frage nach der individuellen Verantwortlichkeit des Gefährdenden für einen konkreten Erfolg gewissermaßen auf einer abstrakten Ebene beantwortet und dadurch der maßgebliche Gesichtspunkt eher verschleiert als erhellt wird“ 419, ist dieser dogmatischen Verortung des Problems auch Folgendes entgegenzuhalten: Sie verkennt die Ratio der Erlaubtheit von Gefahrsetzungen und erweitert sie auf Lebenskonstellationen, denen es an einer mit dem Grundgedanken des erlaubten Risikos und der Sozialadäquanz vereinbaren sozialen Bedeutung fehlt. Diese fragwürdige Ausbreitung der Ratio des erlaubten Risikos entsteht durch die kaum ausdifferenzierte Behandlung eines großen Spektrums von Verhaltensweisen, die zwar alle ein Selbstgefährdungsmoment aufweisen, jedoch aus völlig unterschiedlichen Lebensbereichen stammen. Der Grund für den Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit nach dem Prinzip des erlaubten Risikos oder der Sozialadäquanz ist, dass gesellschaftliche Bereiche wegen der Strafbarkeit bestimmter Verhaltensweisen ihre Aufgaben nicht vollbringen könnten.420 Die Sozialadäquanz eines Verhaltens bezieht sich auf „das allgemein Übliche, geschichtlich Gewordene und sozialethisch Gebilligte“.421 In diesem Zusammenhang trifft man auf bildhafte Sätze wie „wollte das Recht ernsthaft alle Rechtsgutsverletzungen verbieten, so würde jedes soziale Leben augenblicklich stillstehen müssen.“ 422 Hiermit sind Risikoschaffungen und Rechtsgutverletzungen gemeint, die aus Lebensbereichen stammen, wie die Teilnahme am Straßenverkehr, die Bedienung von Fahrzeugen und Maschinen, der Betrieb von Industrieanlagen oder die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen.423 Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie die Ratio der erlaubten Risikoschaffung mit dem Fall der Drogenüberlassung zu vereinbaren ist. Müsste durch das Verbot der Überlassung von Drogen das soziale Leben stillstehen? Dies würde niemand ernsthaft behaupten. Niemand müsste auch im Fall der Drogenüberlassung oder des Geschlechtsverkehrs mit HIV-Infizierten etwas „allgemein Übliches“ und „geschichtlich Gewordenes“ sehen. Die Unterschiede der Fälle wie jene der Teilnahme am Straßenverkehr, am sportlichen Wettkampf oder der Be418 Im Folgenden werden die zwei Begriffe als Synonyme verwendet, so auch Lasson, ZJS 2009, 359 (361) so auch Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (995), der das erlaubte Risiko im Wesentlichen mit Sozialadäquanz gleichsetzt. 419 Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (279); s. auch Lasson, ZJS 2009, 359 (361), der anmerkt, dass „die Begründungen mit dem erlaubten Risiko etwas vage in der Luft stehen“. 420 Dölling, in: FS für Otto, S. 219 (220). 421 Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (378). 422 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516); dazu Schaffstein, ZStW 72 (1960), 369 (370). 423 s. Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 10, Rn. 38.

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dienung von Maschinen zu Fällen, wie der Überlassung von Drogen oder des Geschlechtsverkehrs mit HIV-Infizierten, liegt auf der Hand. Die erstgenannten Verhaltensarten werden trotz der damit verbundenen Gefahr im Interesse des sozialen Lebens durchgeführt.424 Deshalb hält die Rechtsordnung sie für unabdingbar, sie werden herkömmlich durch das erlaubte Risiko gedeckt.425 Die Überlassung von Drogen oder die Infizierung von anderen mit dem HIV-Virus liegen jedenfalls nicht im Interesse des Gemeinschaftslebens. Im Gegenteil, es handelt sich eher um Verhaltensweisen, „die aus den [. . .] Ordnungen des Soziallebens [. . .] herausfallen“,426 was die Verbotsmaterie der Straftatbestände kennzeichnet.427 Es ist also nicht überzeugend, dass eine für ganz andere Konstellationen gedachte Figur bei den Selbstgefährdungsfällen zum Einsatz kommen soll.428 Das Selbstbestimmungsrecht des Opfers kann solchen Verhaltensweisen nicht die Qualität eines sozialadäquaten Geschehens verleihen.429 Die Sozialadäquanz einer Handlung ist als Merkmal der Handlung selbst anzusehen und soll nicht von der inneren Vorstellung Außenstehender, hier des späteren Opfers, abhängig gemacht werden.430 Maßgebliches Kriterium für Sozialadäquanz dürfen nur die Interessen der Allgemeinheit sein. Weiter wird das Rechtsinstitut der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund entkräftet, wenn man dem Selbstbestimmungsrecht eine solche Umgestaltungswirkung zuerkennt, oder, anders formuliert, jede Einwilligung würde dann zu einem sozialadäquaten Verhalten führen. Diese Entkräftung des rechtfertigenden Charakters der Einwilligung führt wiederum zur Übermacht der Einwilligung. Sie wird dadurch überhaupt zum Entscheidungskriterium dafür, was strafbar ist oder nicht.431 Theoretisch wäre dieser Ansatz nur unter der Voraussetzung vertretbar, dass der ganze Verbrechensaufbau auf den Kopf gestellt und der Rechtsgutlehre entsprechend angepasst würde. Es scheint aber nicht so, dass die Vertreter der Sozialadäquanz bei der Lösung der Selbstgefährdungsproblematik so weit gehen wollen. Sie bleiben dem Rechtfertigungsinstitut der Einwilligung treu und versuchen sogar „die Straflosigkeit des Dritten wegen Selbstgefährdung des Opfers“ unter dem Aspekt der Sozialadäquanz von dem Einwilligungsinstitut abzugrenzen.432 424

Oehler, in: FS für E. Schmidt, S. 233 (244). Ebd., S. 245. 426 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 55. 427 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 25, IV. 1; Dölling, in: FS für Otto, S. 219. 428 Vgl. Dölling, GA 1984, 71 (81). 429 Vgl. Roxin, GA 2012, 655 (662). 430 Das Argument orientiert sich an dem Argument Roxins, dass die Sorgfaltswidrigkeit einer Handlung als Merkmal der Handlung wahrzunehmen ist und nicht vom Verhalten Außenstehender abhängig gemacht werden darf, Roxin, JZ 2009, 399 (400); s. auch ders., GA 2012, 655 (662). 431 Vgl. Roxin, GA 2012, 655 (662). 432 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (7). 425

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Die Abgrenzung erfolgt allerdings auf der Grundlage eines wenig bestimmten Kriteriums, nämlich der Feststellung eines allgemein fehlenden Interesses oder eines konkreten Desinteresses am Unterbleiben einer Handlung. Konkret wird so argumentiert: „Von einer – jenseits vor allem der Einwilligungssachverhalte stehenden – eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers sollte [. . .] nur gesprochen werden, wenn und soweit Verhaltensweisen (Dritter) schon generell wegen allgemein fehlenden Interesses an verbotsweiser Unterbindung oder wegen des Interesses an ihrer Vornahme nicht von den tatbestandlichen Verboten erfasst werden. Bestehen dagegen, wenn auch nur begrenzt, berechtigte Interessen an der verbotsweisen Unterbindung der (ermöglichenden, fördernden oder veranlassenden) Drittverhaltensweisen und müssen diese Interessen auch nicht generell gewichtigen anderen Interessen weichen, sind die Verhaltensweisen also damit überhaupt tatbestandsrelevant, so können für die Straflosigkeit des Dritten hier nur noch dem überwiegenden Interesse verpflichtete Rechtfertigungsgründe oder das in concreto bekundete Desinteresse am Unterbleiben der Handlung in Gestalt der Einwilligung sorgen.“ 433 Auf welche Art und Weise aber das Bestehen eines allgemeinen oder eines konkreten Desinteresses festgestellt werden kann, wird nicht erwähnt. Was hier fehlt, ist das Kriterium des Kriteriums. Es ist unklar, warum das Desinteresse einer Person, die sich gegen ärztlichen Rat alle ihre Zähne herausoperieren lässt,434 konkreterer Natur sein soll als – um ein in der Literatur diskutiertes Beispiel435 aufzugreifen – das Desinteresse am Leben oder der körperlichen Unversehrtheit eines Leichtsinnigen, der sich zur Überquerung eines Sees bei brüchigem Eis überreden lässt. Unklar ist auch, warum in dem einen Fall berechtigtes Interesse an der Unterbindung bestehten soll, in dem anderen Fall aber nicht. Desinteresse an Schutz besteht in beiden Fällen. Nach Murmann ist es das Selbstbestimmungsrecht des Leichtsinnigen, mit dem sich der gefährliche Rat als erlaubtes Risiko einstufen lässt.436 Ist aber nicht auch die Entscheidung für die Zahnoperation mit der Frage des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in Verbindung zu bringen? Auf der Grundlage der oben dargestellten Abgrenzungsargumentation, dass in den Fällen der Selbstgefährdung generell gewichtige andere Interessen vorliegen, denen die Interessen an der Unterbindung des Verhaltens eines Dritten weichen müssen, ist zu fragen, welche diese gewichtigen Interessen in dem Eisüberquerungsfall oder bei den Drogenfällen sind. Wie schon betont wurde, sind gewichtige Interessen, im Sinne der Figur des erlaubten Risikos, Interessen des Soziallebens. Dazu gehört weder das Laufen auf brüchigem Eis noch der Konsum von 433 434 435 436

Ebd. BGH NJW 1978, 1206. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 393. Ebd., S. 393, 397.

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Drogen. Deshalb stellen die Ermöglichung oder Veranlassung solchen Verhaltens keine erlaubte Risikoschaffung dar. Der Versuch, die Selbstgefährdung anhand von Interessenabwägungen von der Einwilligung auseinander zu halten, um dem Vorwurf vorzubeugen, dass die Lösung der Selbstgefährdungsfälle mit dem Instrument des erlaubten Risikos die Einwilligung mit dem erlaubten Risiko gleichsetzt, überzeugt nicht. Ein geschickter Versuch das Problem zu umgehen, ist bei Murmann zu finden.437 Er stellt für die Abgrenzungsfrage zwischen Selbstgefährdung und Einwilligung nicht auf den Audruck der konkreten Interessenlage der Betroffenen ab,438 sondern auf die abstrakte Ausübungsmöglichkeit des Selbstbestimmungsrechts.439 Während die Einwilligung durch eine tatsächliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in der Form einer Zustimmung gekennzeichnet werde, sei für die erlaubte Ermöglichung oder Veranlassung der Selbstgefährdung charakteristisch, dass das Opfer sein Selbstbestimmungsrecht nicht auf eine konkrete Weise ausüben muss.440 Es muss keine zustimmende Stellungnahme vorliegen.441 Im Heroinspritzenfall sei das Verhalten des Dritten deshalb erlaubt, weil die Verwendung der Spritze von der selbstbestimmten Entscheidung des Opfers abhängt und nicht, weil das Opfer zugestimmt hat.442 Eine Umgestaltung der Verhältnisse durch das Opfer finde in den Fällen der Selbstgefährdung nicht statt.443 Das Verhalten sei erlaubt, „ohne dass das Opfer sein Selbstbestimmungsrecht tatsächlich in die eine oder andere Richtung ausübt“.444 Einwilligung und erlaubtes Risiko bleiben nach Murmann klar voneinander getrennt. Gleichwohl kann Murmanns geschickte Argumentation dem Vorwurf nicht entgehen, dass dem Opfer doch eine Umgestaltungswirkung auf das Geschehen verliehen wird. Dies wird ersichtlich, wenn man die Ratio der Figur des erlaubten Risikos nicht aus den Augen verliert. Das Verhalten des Außenstehenden stellt ein riskantes Verhalten dar und dies nicht im Sinne des Gemeinschaftslebens. Dieser Vorgang ist prinzipiell objektiv riskant und unerlaubt, es ist das Selbstbestimmungsrecht, das ihn als erlaubt erscheinen lässt. Ob die konkrete Ausübung der Autonomie oder die abstrakte Ausübungsmöglichkeit in die eine oder andere Richtung maßgeblich ist, macht keinen Unterschied. Beide beziehen sich auf das forum internum der Opfer als Außenstehende, im ersten Fall als schon in der Außenwelt geäußerter Wille, im zweiten Fall als potentieller Wille. Nach Murmann genügt schon der potentielle Opferwille zur Selbstgefährdung, der die ur437 438 439 440 441 442 443 444

Ebd., S. 398. So Frisch, W., NStZ 2009, 1 (6 f.); dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (361). Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 398. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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sprüngliche, den Interessen der Gesellschaft nicht entsprechende unerlaubte Risikoschaffung zur erlaubten macht. (2) Abstellen auf eine zu kurz greifende Selbstbestimmung Beim Ansatz der Tatbestandslosigkeit wegen fehlender unerlaubter Risikoschaffung ist auch das Abstellen auf eine zu kurz greifende Selbstbestimmung problematisch. Es wird behauptet, dass die Ermöglichung einer Selbstgefährdung mit Blick auf die Ausübungsmöglichkeit des Selbstbestimmungsrechts erlaubt sei,445 „alles andere wäre eine Bevormundung des verantwortlichen Bürgers“ 446. Unter dem Aspekt des Individualgüterschutzes (Leben, Gesundheit) sei allein maßgeblich, dass diejenigen, die bestimmte Drogen konsumieren wollen, kein Interesse am Unterbinden der Überlassung der Drogen haben, was zum Entfallen der Legitimationsbasis für ein individualschutzorientiertes Verbot führen würde.447 Daher sei das Verhalten des Dritten im Heroinspritzenfall zulässig, weil die Annahme der Droge der autonomen Willensentscheidung des Opfers unterliege.448 Abgesehen davon, dass schon an der Grundaussage dieser Argumentation zu zweifeln ist, dass der Drogenabhängige selbstbestimmt handelt, wird hier auch verkannt, dass die angebliche Autonomie des Süchtigen, so wie die Autonomie jedes anderen selbstgefährdenden Handelnden, nur die Gefährdung erfasst, nicht aber die Realisierung des Risikos. Wie an späterer Stelle ausführlicher erklärt wird, geht es bei den behandelten Selbstgefährdungsfällen um unerwünschte Rechtsgutdispositionen, die von der autonomen Entscheidung des mitwirkenden Opfers nicht erfasst werden. Vor diesem Hintergrund entfällt die Legitimationsbasis für ein individualschutzorientiertes Verbot nicht. Der ungewollt „selbstverfügend“ Handelnde bleibt schutzwürdig.449 Diese Bedenken werden schnell mit 445

Ebd. Frisch, W., NStZ 1992, 62 (63, Fn. 73). 447 Ebd., 63. 448 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 398. 449 Weber, in: FS für Spendel, S. 371 (376 f.); hierzu Degener, „Die Lehre vom Schutzzweck der Norm“ und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte, S. 342. Ähnlich vertritt Zaczyk die Auffassung, dass es bei den Selbstgefährdungsfällen wegen der subjektiven Einstellung der Selbstgefährdenden zum Erfolgseintritt an der „vom Opfer selbstgestifteten Einheit zwischen Wille, Handlung und Erfolg“ fehlt. Wegen dieser fehlenden Einheit ist eine Fahrlässigkeitshaftung des Außenstehenden nicht ausgeschlossen, Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 53, 56 f.; dazu Murmann, die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 398 f. Zwar ist dieser Ansatz zu begrüßen, weil er den Zusammenhang zwischen Selbstbestimmung und innerer Einstellung der Person zum Ausdruck bringt. Es ist jedoch anzumerken, dass die Feststellung der Schutzwürdigkeit des Opfers einer Selbstgefährdung zulasten der Schutzwürdigkeit des Opfers einer Selbstschädigung durchgeführt wird. Während es bei der Selbstgefährdung an einer „Einheit zwischen Wille, Handlung und Erfolg“ fehlt, besteht nach Zaczyk diese Einheit bei Selbstschädigungsfällen, diese führt zu einer „Sperre gegenüber fremder Beherrschung“, Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die 446

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dem Argument weggewischt, dass „der Selbstbestimmungsfreiheit die Eingehung von Risiken ohne Rücksicht darauf unterliegt, welche innere Einstellung der selbstverfügend Handelnde zur Möglichkeit der Risikorealisierung einnimmt.“ 450 Daraus folge, dass die innere Einstellung des Opfers zur Realisierung des Risikos für die Erlaubtheit des Verhaltens eines Dritten keine Rolle spielt.451 Diese Behauptung resultiert aber aus einem zu eng gefassten Selbstbestimmungsbegriff. Es ist unstrittig, dass sowohl das Herbeiführen von Schäden als auch das Eingehen von Risiken der Selbstbestimmungsfreiheit unterliegt. Das Abstellen auf die subjektive Einstellung des Opfers zum Erfolg ist tatsächlich für die Selbstbestimmungsfreiheit bedeutungslos. Was aber neben der Feststellung der allgemeinen Selbstbestimmungsfreiheit des mitwirkenden Opfers für den Selbstgefährdungsdiskurs entscheidend ist, ist der Umfang des Selbstbestimmungsinhalts. Dieser kann nur anhand der inneren Vorstellungen des Opfers herausgefunden werden. Die inhaltliche Reichweite seiner Entscheidung ist Bestandteil des Ausdrucks seiner Selbstbestimmung in einem konkreten Fall. Dies nicht zu berücksichtigen, bedeutet eine Verstümmelung des Selbstbestimmungsbegriffs. Die negative Grundeinstellung gegenüber der Einbeziehung der inneren Seite des Opfers bei der Bewertung der Selbstgefährdungsfälle erweist sich als unbegründet, wenn man an die entscheidende Bedeutung der subjektiven Vorstellungen der Verursacher einer Rechtsgutverletzung (Täter, Teilnehmer) bei „normalen“ Deliktskonstellationen denkt, bei denen kein Selbstgefährdungsmoment vorkommt. Das Wissen und das Wollen des Erfolgs und jedes Tatbestandsmerkmals bilden hier zentrale Kriterien für die Bestimmung der Rechtsfolgen einer Handlung. Bei den „Eigenverantwortungsfällen“ 452 übernimmt nun das Opfer als Mitverursacher des Erfolgs die Rolle eines „Täters“ 453. Es ist daher nicht einzusehen, warum in diesen Fällen die subjektiven Vorstellungen des „Opfer-Täters“, anders als bei Tätern nichteigenverantwortlich verursachter Delikte, irrelevant sein sollen. Man kann über die konkreten Auswirkungen der inneren Einstellung des Opfers zum Erfolg für die Beurteilung von „Eigenverantwortungsfällen“ streiten, die Notwendigkeit der Mitberücksichtigung der inneren Seite des Opfers sollte jedoch unstrittig sein. Das Gegenteil würde im Widerspruch zu allgemeinen Zurechnungsregeln stehen, die ohne Ausnahme anwendbar sein sollen.

Selbstverantwortung des Verletzten, S. 53. Damit bleibt aber die Behandlung der Selbstschädigung, und im Umkehrschluss auch der Selbstgefährdung, in Tatherrschaftserwägungen gefangen, s. auch ebd., S. 61. 450 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 398. 451 Ebd. 452 Hierunter fallen alle Schädigungs- und Gefährdungsfälle mit Mitwirkung des Opfers. 453 Eine Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme oder eine Annahme von einer Mittäterschaft ist im Fahrlässigkeitsbereich nicht zulässig.

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(3) Zusammenfassung Dass die Fälle des erlaubten Risikos auch meistens ein Selbstgefährdungsmoment beinhalten, darf nicht zu einer einheitlichen normativen Bewertung der unterschiedlichen Fallgruppen führen. Die Vermischung des erlaubten Risikos mit den Selbstgefährdungsfällen verkennt nicht nur die Ratio des Instituts, sondern auch, worauf es bei den Selbstgefährdungsfällen ankommt, nämlich nicht auf den sozialen Sinn der Handlung, sondern auf die Frage der Autonomie der Akteure des Selbstgefährdungsvorgangs. Wenn es bei diesen Konstellationen überhaupt einen Weg zur Entlastung des Täters gibt, dann sollte man diesen in einem dogmatischen Ort suchen, der der Natur der Selbstgefährdungsproblematik besser entspricht. Der dogmatische Ort des erlaubten Risikos eignet sich nicht für eine Auseinandersetzung mit der Autonomie der Beteiligten. d) Zwischenergebnis Von entscheidender Bedeutung ist, die Frage der Autonomie von Opfer und Täter im Rahmen ihres Interaktionsverhältnisses zu klären. Alle Denkkonstruktionen,454 die über das systematische „Teilnahmeargument“ hinausgehen, zeigen die Absicht, die Frage der Freiwilligkeit zu klären. Dabei konzentrieren sie sich aber nur auf die Autonomie des Opfers. Der Frage nach der Autonomie des Täters im Rahmen der Wechselwirkung zwischen Täter und Opfer wird keine Aufmerksamkeit geschenkt. Alle Ansätze verorten das Thema unter unterschiedlichen Aspekten auf der Ebene der objektiven Zurechnung und gehen von einer eindeutigen Entlastung des Täters aus. An der Selbstverständlichkeit dieser Behandlung der Fälle der sog. eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist zu zweifeln, wenn man das Verhalten beider Akteure unter dem Aspekt der Freiwilligkeit untersucht.

II. Einverständliche Fremdgefährdung Nach der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lösungsvorschlägen für die Konstellation der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung soll nun die Figur der einverständlichen Fremdgefährdung untersucht werden. 1. Frühere Rechtsprechung Das Reichsgericht wandte im sogenannten Memel-Fall455 die noch heute in Teilen der Literatur456 vertretene Sorgfaltswidrigkeitslösung an.457 Ein Fährmann 454

Lasson, ZJS 2009, 359 (361). RGSt 57, 172. 456 Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 126; Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko im Strafrecht, S. 160; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (992); Überblick bei Lasson, ZJS 2009, 359 (364). 455

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setzte bei stürmischem Wetter und Hochwasser zwei Reisende über die Memel, diese ertranken beim Umkippen des Kahnes. Der Fährmann hatte „beide auf das Gefährliche des Unternehmens wiederholt und nachdrücklich hingewiesen, sie davon abzuhalten versucht und erst auf ihr unausgesetztes Drängen und, als sie seinen persönlichen Mut in Zweifel zogen, widerwillig nachgegeben“.458 Dem Reichsgericht zufolge hatte der Fährmann nicht pflichtwidrig gehandelt.459 Der Grundgedanke dabei ist, dass wenn sich das Opfer in Kenntnis des Risikos einer Gefahr freiwillig aussetzt, der Gefährdende nicht sorgfaltswidrig handelt.460 Die Sorgfaltswidrigkeitslösung des Reichsgerichts ist auch von BGH übernommen worden.461 Bei einem Wettrennen-Fall, bei dem einer der Beteiligten ums Leben kam,462 ging das Gericht, ohne zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung zu unterscheiden,463 davon aus, dass, „wenn bei gemeinsamer gefährlicher Tätigkeit erwachsener und verständiger Menschen jemand in klarer Erkenntnis die Gefahr in Kauf nimmt und tödlich verunglückt, der andere aber seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht genügt“, das Verhalten des Dritten nicht pflichtwidrig ist.464 Nach der Würdigung aller Umstände des Falles nahm das Gericht aber doch die Pflichtwidrigkeit an.465 Die Pflichtwidrigkeit der Mitwirkung an einer fremden fahrlässigen Selbstverletzung sei von den Umständen des konkreten Falles abhängig.466 2. Heutige Rechtsprechung Die neuere Rechtsprechung wendet bei den Fällen der einverständlichen Fremdgefährdung die sog. Einwilligungslösung an.467 Maßgeblich ist hier das BGH-Urteil vom 20.11.2008. In dem behandelten Fall ging es um die Durchführung eines Rennens von zwei „hoch frisierten Autos“ im Rahmen eines „Beschleunigungstests“ auf öffentlichen Straßen.468 Durch das gleichzeitige Überholen eines dritten unbeteiligten PKWs kam einer von den Beifahrern ums

457

Dazu Roxin, JZ 2009, 399. RGSt 57, 172 (174). 459 RGSt 57, 172 (174). 460 Roxin, JZ 2009, 399. 461 BGHSt 4, 88 (93); BGHSt 7, 112 (115); dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (364); Roxin, JZ 209, 399. 462 BGHSt 7, 112. 463 Roxin, JZ 209, 399. 464 BGHSt 7, 112 (115). 465 Ebd. 466 BGHSt 7, 112 (115); dazu krit. Roxin, JZ 2009, 399 f. 467 BGHSt 53, 55; dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (364); Roxin, JZ 209, 399 (400). 468 BGHSt 53, 55. 458

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Leben.469 Nach dem Senat kam keine wirksame Einwilligung des Opfers in Betracht, weil zumindest zum Zeitpunkt des gleichzeitigen Überholens des dritten Autos wegen der „nicht mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche Betroffenen“ die „drohende Rechtsgutgefährdung“ „so groß war, dass eine konkrete Todesgefahr vorlag“.470 Eine „konkrete Todesgefahr“ überschreite dann die Grenze der Sittenwidrigkeit.471 3. Die Lehre Es ist eine verbreitete Meinung472, die auf Roxin zurückzuführen ist,473 dass die einverständliche Fremdgefährdung eine „gesonderte Fallgruppe“ darstellt, die von den Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung abzugrenzen sei.474 Trotz dieser Ansicht herrscht keine Einigkeit darüber, welche Auswirkungen die Konstellation der einverständlichen Fremdgefährdung auf die Strafbarkeit des Täters hat und wie sie dogmatisch zu verorten ist.475 Im Folgenden werden die verschiedenen Ansätze in der Lehre kurz skizziert.476 a) Die Sorgfaltswidrigkeitslösung Die schon aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts bekannte Sorgfaltswidrigkeitslösung besagt, dass der Täter nicht pflichtwidrig handelt, wenn er seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht genügt und das Opfer eine gewisse Gefahr in Kauf genommen hatte.477 aa) Darstellung der Ansicht Nach Hirsch hängt das Maß der zu erwartenden Sorgfalt von der Art des Risikobereichs ab, in den die Personen sich willentlich begeben.478 Das Recht habe keinen Grund, für den Gefährdeten mehr Sorgfalt zu verlangen, als die von ihm gewünschte Betätigung ihrer Natur nach zulässt.479 Im Anschluss an Hirsch de-

469

Zum Fall Roxin, GA 2012, 655 (656); krit. ders., JZ 2009, 399 (400). BGHSt 53, 55 (63 f.). 471 Ebd., 62. 472 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 191 f.; Dölling, in FS für Geppert, S. 53 (55 f.); ders., JR 1994, 518 (520) mit weiteren Hinweisen. 473 Roxin, in: FS für Gallas, 241 (250). 474 Roxin, JZ 2009, 399; s. auch ders., GA 2012, 655 (657 ff.) 475 Lasson, ZJS 2009, 359 (363). 476 Überblick ebd., 363 ff. 477 Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (992); BGHSt 4, 88 (89); BGHSt 7, 112 (115); dazu auch Lasson, ZJS 2009, 359 (363). 478 Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (95 f.). 479 Ebd. 470

B. Die rechtliche Behandlung

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klariert auch Geppert, dass das bewusste Eingehen eines Risikos durch den Gefährdeten das Maß der verkehrsüblichen Sorgfalt vermindern kann.480 Diese Lösung in Bezug auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt vertritt auch Peter Frisch.481 Er geht einen Schritt weiter als Geppert und meint, dass nicht nur die bewusste Selbstgefährdung, sondern auch die unbewusste zum Ausschluss einer tatbestandsmäßigen Sorgfaltspflichtverletzung führen kann.482 Die Sorgfaltswidrigkeit des Täters entfalle, wenn das Opfer diese Gefährdung zutreffend erkannt hat oder hätte erkennen können.483 Ausgangspunkt von Frischs Gedanken ist die generelle Feststellung einer Kollision von Interessen im Verkehr.484 Die Interessen des Einzelnen und der Allgemeinheit an einem möglichst umfassenden Schutz ihrer strafrechtlich geschützten Rechtsgüter stünden in Konkurrenz mit den Interessen des Einzelnen und der Allgemeinheit an einer möglichst großen Handlungsfreiheit des Einzelnen.485 Dies führe zu einer Abwägung von Interessen, deren Ergebnis bestimmt, ob eine Sorgfaltsverletzung vorliegt oder nicht.486 Wenn das Interesse des Rechtsgüterschutzes gewichtiger als das Interesse an Handlungsfreiheit sei, verletze die Handlung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt.487 Dies sei allerdings nicht der Fall, wenn „die Interessen am Rechtsgüterschutz für den Verkehr aus besonderen Gründen geringeren als den generellen Wert besitzen“.488 Den Vorrang hat dann die Handlungsfreiheit.489 Geringer sei dann der Wert der Interessen am Schutz, wenn der Rechtsgutinhaber seine Interessen nicht selbst wahrt.490 Im Fall der Preisgabe spricht Frisch von einem Interessenmangel und im Fall der fehlenden Wahrung, d.h. der Nichtverhinderung von Gefährdungen von einer Interessenverletzung.491 Von Bedeutung für das hier behandelte Thema der einverständlichen Fremdgefährdung ist allerdings nur die zweite von Frisch genannte Kategorie der Interes-

480

Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (992 f. Fn. 210). Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 116 ff., 123 ff.; ähnlich Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 182, 289. 482 Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 122, 126; vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 382. 483 Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 126. 484 Ebd., S. 87. 485 Ebd. 486 Ebd. 487 Ebd. 488 Ebd., S. 99, 116. 489 Ebd., S. 116 ff. 490 Ebd., S. 117. 491 Ebd., S. 117 ff. 481

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Teil 2: Bestandsaufnahme

senverletzung.492 Es sei eine Obliegenheit, sich selbst zu schützen.493 Die Rechtsgüter werden nur dann strafrechtlich geschützt, wenn der Rechtsgutinhaber in einem bestimmten Maße dafür sorgt, Rechtsgutverletzungen durch Handlungen anderer zu entgehen.494 Dagegen verdiene nach dieser Auffassung den strafrechtlichen Schutz nicht, wer sich auf eine Gefährdung einlässt.495 Denn dadurch verletze der Rechtsgutinhaber selbst seine Interessen und daher sei von einem geminderten Interesse am Rechtsgüterschutz auszugehen.496 So sei bei Gefälligkeitsmitnahmen anzunehmen, dass die Mitfahrer durch die gefährliche Mitfahrt ihre Interessen am Rechtsgüterschutz nicht wahren, was dazu führe, dass der Fahrer ihnen gegenüber nicht seine Sorgfaltspflicht verletzt.497 Ebenso verletze ein Kraftfahrer nicht durch Fahrfehler die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gegenüber anderen Insassen seines Wagens, wenn es ihnen bekannt ist, dass der Fahrer angetrunken ist und zu Fahrfehlern neigt, sie aber trotzdem in den Wagen einsteigen.498 bb) Kritik Gegenüber der Sorgfaltswidrigkeitslösung bestehen starke Bedenken. Ihr ist entgegenzuhalten, dass die dogmatische Grundstruktur des Fahrlässigkeitsdelikts unzulässig modifiziert wird. Man fügt das nicht zum Aufbau der fahrlässigen Straftat gehörende Kriterium des sorgfaltswidrigen Opferverhaltens als Faktor hinzu, der die pflichtwidrige Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinsichtlich fremder Rechtsgüter seitens des Täters aufheben kann. Der Vorschlag, die Sorgfalt des Täters davon abhängig zu machen, ob das Opfer sich sorgfaltswidrig oder sorgfaltsgemäß gegenüber seinen eigenen Rechtsgütern verhält, kann nicht überzeugen.499 Denn, wie Roxin zutreffend kritisiert, ist die Sorgfaltswidrigkeit einer Handlung als Merkmal der Handlung selbst zu verstehen und kann nicht von dem Verhalten Dritter abhängig gemacht werden.500 Das

492 Preisgabe des Rechtsgutes bedeutet, dass der Rechtsgutinhaber auf die Verletzung zielt, sie als sichere Folge seiner riskanten Handlung akzeptiert oder sie billigend in Kauf nimmt, ebd., S. 118. In den hier diskutierten Fällen geht es nicht um eine solche bewusste Preisgabe des Rechtsgutes, sondern nur um eine Einwilligung in das Risiko, wobei der Begriff der Einwilligung nicht als rechtfertigende Einwilligung im technischen Sinne verwendet wird. So kommt die Kategorie des Interessenmangels, die eine Preisgabe voraussetzt, hier nicht in Betracht. Auch Frisch merkt an, dass die Sachverhalte des Interessenmangels im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte selten sind, ebd. 493 Ebd., S. 119. 494 Ebd., S. 120. 495 Ebd., S. 119. 496 Ebd., S. 117. 497 Ebd., S. 126. 498 Ebd. 499 Vgl. Hellman, in: FS für Roxin, S. 271 (274). 500 Roxin, JZ 2009, 399 (400).

B. Die rechtliche Behandlung

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Mitverschulden des Opfers kann möglicherweise die zivilrechtliche Haftung gemäß § 254 BGB ausschließen, für die strafrechtliche Bewertung aber kommt es nur auf die Frage an, ob der Täter selbst sorgfaltswidrig gehandelt hat.501 Problematisch ist auch die von Frisch vertretene These, es sei sachgerecht, „von den Rechtsgutinhabern zur Erfüllung ihrer Obliegenheit die gleiche Sorgfalt zu erwarten, wie sie von den anderen Rechtsgenossen zur Erfüllung ihrer auf dasselbe Ziel gerichteten Pflicht verlangt wird“.502 Hier ist eine Gewichtsverlagerung von der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinsichtlich fremder Rechtsgüter – als Kernsäule der Fahrlässigkeitsdogmatik – auf eine Pflicht zur Sorgfalt gegen sich selbst zu konstatieren. Der Begriff „Sorgfaltspflicht“ ist jedoch kaum vereinbar mit der Person des Opfers. Frisch selbst sieht die Schwierigkeiten, die die Anerkennung einer Sorgfaltspflicht für eigene Rechtsgüter bereitet und bemüht sich deshalb, sein Konzept von der entsprechenden Pflichtbegrifflichkeit zu entlasten. Er erklärt, dass es dabei nicht etwa um eine Pflicht zur Sorgfalt gegen sich selbst gehe, sondern um eine Obliegenheit.503 Ist eine aber Obliegenheit etwas anderes als eine Pflicht gegen sich selbst?504 Der Begriff der Obliegenheit beinhaltet eine eigene indirekte Mitwirkungsverpflichtung, zum vermeiden von Verschlechterungen der eigenen Rechtsposition505 und wenn in diesem Zusammenhang Mitwirkung Selbstschutz heißt, bedeutet Obliegenheit faktisch doch das, was Frisch begrifflich vermeiden will, nämlich Selbstschutzverpflichtung, um eine nachteilige Rechtsposition zu verhindern.506 Schließlich lässt sich kaum übersehen, dass in dem Gedanken der Obliegenheit die Grundthese der viktimodogmatischen Argumentation anklingt, und zwar die Schutzunwürdigkeit des Opfers, wenn es seine Rechtsgüter selbst vor Schaden bewahren könnte und dies trotzdem nicht tut.507 Aussagen von Frisch wie „nur dann, wenn die Rechtsgutinhaber sich in einem bestimmten Maße darum bemühen, eine Rechtsgutverletzung durch Handlungen anderer zu vermeiden, werden ihre Rechtsgüter strafrechtlich geschützt“ 508 unterliegen daher derselben Kritik, wie derjenigen, die gegen den viktimodogmatischen Ansatz geübt wird. Eine Unterscheidung zwischen schutzwürdigen und schutzunwürdigen Personen ist kaum 501

Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (274); so auch Roxin, JZ 2009, 399 (400). Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 120. 503 Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 119; vgl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 53 f. 504 Vgl. Hörnle, GA 2009, 626 (634); Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 53. 505 Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 53; Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 316; Zitelmann, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Allgemeiner Teil, S. 152 f. 506 Bei Obliegenheit und Pflicht handelt sich nur um „Abstufungen des Sollens“, Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 312. 507 Vgl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 637. 508 P. Frisch, ebd. S. 119. 502

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kompatibel mit der Werteordnung eines Rechtsstaates. Außerdem macht die bloße Unachtsamkeit, wie Dölling richtig bemerkt, das Leben des Opfers nicht weniger schutzwürdig als sonst und befreit den Täter nicht vom Verbot der fahrlässigen Tötung.509 b) Die tatbestandliche Zurechnungslösung Verbreiteter als die Sorgfaltswidrigkeitslösung ist im Schrifttum die sog. tatbestandliche Zurechnungslösung.510 aa) Darstellung der Ansicht Nach Roxin ist die einverständliche Fremdgefährdung als Fallgruppe der objektiven Zurechnung zu behandeln.511 Er vertritt die Ansicht, dass der durch eine einverständliche Fremdgefährdung verursachte Erfolg dem Gefährdenden dort nicht mehr zuzurechnen ist, „wo die einverständliche Fremdgefährdung einer Selbstgefährdung unter allen relevanten Aspekten gleichsteht.“ 512 Eine generelle Gleichstellung lehnt er ab, „weil derjenige, der sich gefährden lässt, dem Geschehen mehr ausgeliefert ist als ein sich selbst Gefährdender, der die Gefahren aus eigener Kraft zu meistern versuchen kann.“ 513 Wenn aber der Erfolg das Ergebnis des eingegangenen Risikos ist und der Gefährdete dieselbe Verantwortung wie der Gefährdende trägt, solle eine Gleichstellung vorliegen.514 Maßgeblich sei dabei die „gleichrangige Eigenverantwortlichkeit“ 515 des Opfers, die voraussetzt, dass es das Risiko im selben Maße übersehen muss, wie der Gefährdende.516 Neben dem Risikowissen und dem Einverständnis mit der Risikohandlung verlangt Roxin als zusätzliche Gleichstellungsvoraussetzung, dass der Gefährdete dasselbe Ausmaß von Verantwortung trägt wie der Gefährdende.517 Dies sei der Fall, „wenn er das Risiko aus freiem, eigenem Entschluss übernimmt, ohne vom Gefährdenden dazu gedrängt worden zu sein und sich dessen Willen unterworfen zu haben.“ 518 509

Dölling, GA 1984, 71 (82; zust. Lasson, ZJS 2009, 359 (365). Die einverständliche Fremdgefährdung als Problem der objektiven Zurechnung behandeln Roxin, JZ 2009, 399 (400 ff.); Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (279 ff.); Hammer, JuS 1998, 785 (788); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (372 ff.); Schünemann, JA 1975, 715 (722 f.) Lasson, ZJS 2009, 359 (366); dazu Geppert, JURA 2001 559 (565); Lasson, ZJS 2009, 359 (365 f.). 511 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 121 ff.; ders., JZ 2009, 399 (400). 512 Roxin, JZ 2009, 399 (400); ders., Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 123. 513 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 123; ders., JZ 2009, 399 (400). 514 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 123; ders., in: FS für Gallas, S. 240 (252); ders., JZ 2009, 399 (401). 515 Roxin, JZ 2009, 399 (401). 516 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11 Rn. 124; ders., in: FS für Gallas, S. 240 (252). 517 Roxin, GA 2012, 655 (664). 518 Ebd. 510

B. Die rechtliche Behandlung

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Das Kriterium der „gleichrangigen Verantwortung“ macht Roxin am Beispiel des ungeschützten Geschlechtsverkehrs mit einem Aids-Infizierten deutlich. Habe eine Frau mit einem Aids-Infizierten ungeschützten Geschlechtsverkehr, sei eine Gleichstellung der einverständlichen Fremdgefährdung mit einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zu verneinen, wenn die Initiative zum ungeschützten Geschlechtsverkehr von dem Mann kommt, der die Frau damit emotional unter Druck setzt, dass sie ihm dadurch ihre Liebe beweisen könne.519 Zwar fände hier keine Nötigung im strafrechtlichen Sinne statt, es sei jedoch ein Drängen auf ungeschützten Geschlechtsverkehr festzustellen, das die gleichrangige Verantwortung der Gefährdeten ausschließe.520 Der Mann habe in diesem Fall „die weitaus überwiegende Verantwortung für das Geschehen“ und solle hier strafbar bleiben.521 Zum anderen Ergebnis solle man kommen, wenn der ungeschützte Geschlechtsverkehr dem Wunsch der Frau entspricht, die sich gegenüber dem zunächst sich verweigerndem Mann durchsetzt.522 Hier ist nach Roxin eine einverständliche Fremdgefährdung anzunehmen, die mit einer straflosen „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ gleichgesetzt wird.523 Da sich die Frau aus eigenem Entschluss und ohne Drängen für das Risiko entscheidet, sei dem Mann die Körperverletzung objektiv nicht zuzurechnen.524 bb) Kritik Wenn man seine fundamentalen Einwände gegen die Abgrenzung von „einverständlicher Fremdgefährdung“ und „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ noch einmal zurückstellt und davon ausgeht, dass die Prämisse zutrifft, die einverständliche Fremdgefährdung sei eine selbstständige Fallgruppe, ist hinsichtlich Roxins Thesen folgendes anzumerken: Nach Roxin ist für die Verantwortungszuschreibung wichtig, wer der ausschlaggebende Initiator und die treibende Kraft für das Zustandekommen des riskanten Verhaltens ist.525 Das entscheidende Kriterium für die rechtliche Lösung von Sachverhalten mit Opfermitwirkung ist dadurch angedeutet, nämlich das Vorhandensein eines motivischen Einflusses auf den Gefährdenden seitens des Gefährdeten. Trotz dieser richtigen Lokalisierung des Problems überzeugen Roxins dogmatische Schlussfolgerungen nicht. Das Abstellen auf das Kriterium des motivischen Einflusses sollte zur Betrachtung der inneren Welt der Akteure führen. Dadurch rücken als gewichtige 519

Ebd., 665. Ebd. 521 Ebd. 522 Ebd.; so auch der Sachverhalt des berühmten Aids-Falles, BayObLG, JR 1990, 473 f.; NJW 1990, 131 f. 523 Roxin, GA 2012, 655 (665). 524 Ebd., 664 f. 525 Ebd., 668 f. 520

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Teil 2: Bestandsaufnahme

Faktoren für die Prägung des Geschehens innere Kräfte wie Gefühle, Affekte und Impulse in den Vordergrund. Dann ist aber zu fragen, warum diese inneren Geschehnisse mit der objektiven Zurechnung in Verbindung gebracht werden. Wäre nicht doch die subjektive Zurechnung der natürliche Ort, um die motivischen Interaktionen zwischen Gefährdenden und Gefährdeten anzusprechen? Spricht das Kriterium des „dominierenden Einflusses beim Zustandekommen des gefährlichen Verhaltens“ 526, das Roxin aus guten Gründen einführt, nicht dafür, dass es eher um ein Problem der subjektiven als der objektiven Zurechnung geht? c) Rechtfertigung des Täterverhaltens nach den Einwilligungsgrundsätzen Die bisher dargestellten Ansichten könnte man trotz ihrer Unterschiede zu einer Gruppe zusammenfassen. Alle behandeln das Problem der einverständlichen Fremdgefährdung auf der Tatbestandsebene. Dieser Gruppe von Lösungen steht die verbreitete Ansicht gegenüber, dass es sich bei der Konstellation der einverständlichen Fremdgefährdung um ein Problem der Einwilligung des Verletzten handelt. Wie schon erwähnt, wird diese Ansicht auch in der aktuellen Rechtsprechung vertreten.527 Nach dieser sog. Einwilligungslösung ist das Verhalten des gefährdenden Dritten gerechtfertigt, wenn das Opfer wirksam in seine eigene Gefährdung eingewilligt hat.528 Diese These ist alles andere als selbstverständlich. In der Literatur werden oft zwei berechtigte Einwände vorgebracht.529 Der erste Einwand betrifft das Erfordernis der Erfolgsbezogenheit der Einwilligung.530 Während das Opfer einer einverständlichen Fremdgefährdung in das Risiko einwilligt, willigt es nicht in die aus dem Risiko erfolgende Rechtsgutverletzung ein.531 Es hofft, dass der Erfolg ausbleibt.532 Aus diesem Grund ist zu fragen, ob die Einwilligung an einer einverständlichen Fremdgefährdung nicht ausscheidet.533 Wenn man aber unterstellt, dass das erste Problem der Erfolgsbezogenheit beseitigt werden kann, ist noch nicht über die Wirksamkeit dieser Einwilligung entschieden worden.534 526

Ebd. BGHSt 53, 55. 528 Lasson, ZJS 2009, 359 (364, 366). 529 Anschauliche Darstellung der zwei Einwände, Lasson, ZJS 2009, 359 (364 f.); auch Dölling, GA 1984, 71 (83 ff.); Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, 247 ff. 530 Lasson, ZJS 2009, 359 (364, 366). 531 Zu diesem Einwand Lasson, ZJS 2009, 359 (364, 366); Dölling, GA 1984, 71 (83). 532 Lasson, ZJS 2009, 359 (364, 366); s. auch Kohlhaas, DAR 1960, 348 (349). 533 Lasson, ZJS 2009, 359 (364); Dölling, GA 1984, 71 (83 ff.), der allerdings das Ausscheiden der Einwilligung wegen fehlender Erfolgsbezogenheit ablehnt, (84). 534 Lasson, ZJS 2009, 359 (364); Dölling, GA 1984, 71 (84 f.). 527

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Darum geht es bei dem zweiten Einwand, mit dem die Einwilligungslösung konfrontiert wird. Mit der Begründung, dass die Wertungen der §§ 216, 228 StGB die Disponibilität des Rechtsgutes nicht zulassen, wird vertreten, dass die Einwilligung an einer einverständlichen Fremdgefährdung unwirksam bleibt.535 Im Folgenden wird dargestellt, mit welchen Argumentationen die Anhänger der Einwilligungslösung mit diesen zwei Einwänden umgehen. Diese Argumentationen werden dann kritisch gewürdigt.536 aa) Erfolgsbezogenheit der Einwilligung Die Frage, ob die Einwilligung des Verletzten bei einer einverständlichen Fremdgefährdung nicht ausscheidet, weil dieser nur das Risiko und nicht den Erfolg wollte,537 hängt mit der Frage des Einwilligungsgegenstandes zusammen.538 Eine Einwilligungsmöglichkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten besteht nicht, wenn Gegenstand der Einwilligung sowohl die tatbestandsmäßige Handlung als auch der aus der Handlung herrührende Erfolg ist.539 Deswegen bestreitet Schaffstein die Erfolgsbezogenheit der Einwilligung.540 Gegenstand der Einwilligung sei lediglich die tatbestandsmäßige Handlung, also nur die Gefährdung.541 Da es sich bei Fahrlässigkeitstaten um Gefährdungsdelikte handele, sei für die Unrechtsbegründung nur der Handlungsunwert maßgeblich.542 Der Erfolgsunwert habe keine konstitutive Bedeutung für das Unrecht des Fahrlässigkeitsdelikts.543 Daher komme es für die Rechtfertigung der fahrlässigen Tat lediglich auf den Handlungsunwert an und nicht auf den Erfolgsunwert.544 Die Einwilligung beziehe sich also nur auf die Sorgfaltsverletzung und nicht auf den Erfolg.545 Das Abstellen auf die Bedeutungslosigkeit des Erfolgsunwerts ist nicht der einzige argumentative Weg für die Begründung der Einwilligungsmöglichkeit in eine nicht gewollte Rechtsgutverletzung, der in der Literatur vorgeschlagen wird. Dem Ausgangspunkt Schaffsteins, dass der Erfolg kein Gegenstand der Einwilligung sei, wird nicht immer unter den Anhängern der Einwilligungslösung ge535

Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Dölling, GA 1984, 71 (83 ff.). Vgl. bereits die Darstellung in Stefanopoulou, ZStW 124 (2012), 689. 537 Kohlhaas, DAR 1960, 348 (349). 538 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 24. 539 Ebd. 540 Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (562 ff., 567, 574); auch Grünewald, GA 2012, 364 (374); Walter, T., NStZ 2013, 673 (680); Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 55. 541 Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (567, 574). 542 Ebd., S. 562, 567, 574. 543 Ebd., S. 561. 544 Ebd., S. 563 ff., 574. 545 Ebd., S. 563 ff., 567. 536

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Teil 2: Bestandsaufnahme

folgt.546 Es wird dann häufig versucht, den Einwand der fehlenden Einwilligung in die Rechtsgutverletzung durch das Unterstellen einer solchen Einwilligung zu umgehen.547 So meint etwa Beulke, die Einwilligung in eine Gefährdung schließe auch ihre Verwirklichung mitein.548 „[E]s mutet schlichtweg gekünstelt und lebensfremd an, wenn derjenige, der einwilligt, dass seine Rechtsgüter gefährdet werden, später einwendet, er habe mit dem Eintritt des Schadens nicht gerechnet. Es kann also durchaus von einer Einwilligung in die Verletzung ausgegangen werden.“ 549 Eine ähnliche These vertritt Dölling.550 Er teilt die Meinung von Hirsch, dass es bei der Einwilligung „um die Dispensierungsbefugnis von zum Schutz des Rechtsguts aufgestellten Rechtsnormen geht“ 551 und er versteht das Institut als Rechtsschutzverzicht.552 Der Rechtsschutzverzicht liege schon vor, wenn das Opfer sich bewusst einer Lebensgefahr aussetzt.553 Die innere Einstellung des Opfers gegenüber der Rechtsgutverletzung sei unerheblich für die Frage der Rechtfertigung.554 Eine zusätzliche Einwilligung in die Verletzung lehnt auch Murmann ab.555 Auch für ihn ist die Einwilligung in die Gefährdung ausreichend für die Rechtfertigung des Täterverhaltens.556 Er unterscheidet sich aber dabei von der Meinung Schaffsteins, dass für die Begründung des Fahrlässigkeitsunrechts nur das Handlungsunrecht maßgebend ist.557 Er sieht in dem Erfolgsunrecht mehr als eine bloße Bedingung der Strafbarkeit.558 Der Erfolg gehöre als „Objektivation der Unrechtshandlung“ zu Unrechtselementen.559 Der Erfolgsunwert sei der im Erfolg objektivierte Handlungsunwert, d.h. einen Erfolgsunwert ohne Handlungsunwert könne es nicht geben.560 Darauf stützt Murmann seine These, dass die

546

s. z. B. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 432. So krit. Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 74 f.; vgl. auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 51; Sternberg-Lieben, I., JuS 1998, 428 (429); Sternberg-Lieben, D., Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 218 f. 548 Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (215); vgl. Prittwitz, NJW 1988, 2942. 549 Ebd. 550 Dölling, in: FS für Geppert, S. 53 (59); Dölling, GA 1984, 71 (84); s. auch konkret Fn. 103, worauf sich Beulke auch bezieht, Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (215). 551 Hirsch, in: FS für Welzel, S. 775 (797). 552 Dölling, GA 1984, 71 (84). 553 Ebd. 554 Dölling, GA 1984, 71 (84); ders., in: FS für Geppert, S. 53 (59). 555 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 431 f. 556 Ebd. 557 Ebd., S. 432. 558 Ebd. 559 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 432; ders., in: FS für Puppe, S. 767 (777). 560 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 431. 547

B. Die rechtliche Behandlung

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Einwilligung in eine Gefährdung für die Rechtfertigung des Täterverhaltens reicht. Da es einen Erfolgsunwert ohne Handlungsunwert nicht gebe, fehle es an Erfolgsunwert, wenn der Handlungsunwert wegen Einwilligung in das sorgfaltspflichtwidrige Handeln aufgehoben wird.561 bb) Kritik Die Einwilligungslösung setzt als Grundprämisse voraus, dass sich der Verletzte in der Konstellation der einverständlichen Fremdverletzung für seine Gefährdung vollautonom und verantwortlich entscheidet. Die in einem späteren Kapitel durchgeführte fallbezogene Auseinandersetzung mit der Autonomie der Beteiligten wird allerdings zeigen, dass bei einigen Konstellationen von Täter- und Opfermitwirkung an einem uneingeschränkt selbstbestimmten Opferverhalten zu zweifeln ist, so dass die Behandlung dieser Fälle nach den Einwilligungsgrundsätzen nicht überzeugen kann. Das Eingehen eines Risikos ist nicht immer eine wohlüberlegte, reife Entscheidung, sondern häufig als das Ergebnis situationsbedingter dynamischer Prozesse zu bewerten. Dieser grundsätzliche Einwand wird aber an dieser Stelle zurückgestellt. Die folgende Bewertung der vorstehenden argumentativen Bemühungen, die Nichterforderlichkeit der Erfolgsbezogenheit der Einwilligung zu begründen, unterstellt, dass die Grundprämisse der Einwilligungslösung richtig ist, dass das Opfer einer einverständlichen Fremdgefährdung sich „immer selbstbestimmt“ einer Lebensgefahr aussetzt. Geht man von dieser Annahme aus, ist allen Begründungsversuchen der Einwilligungslösung entgegen zu halten, dass sie die inhaltliche Reichweite einer selbstbestimmten Entscheidung nicht richtig erfassen. Da das Selbstbestimmungsrecht den materiellen Grundgedanken des Einwilligungsinstituts bildet, kommt es für die Frage der Einwilligung auf den inhaltlichen Umfang der Entscheidung des Verletzten an.562 Bestandteil der Entscheidung des Opfers ist im Fall einer einverständlichen Fremdgefährdung nur das Eingehen eines Risikos.563 Wenn man etwas nicht will, macht man es nicht zum Bestandteil einer selbstbestimmten Entscheidung. Die These, wer in seine Gefährdung einwilligt, willige auch in seine Verletzung ein,564 stellt eine das Selbstbestimmungsrecht missachtende „Einwilligungsfiktion“ 565 dar.566 Eine solche 561

Ebd. So auch Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 26; die Anmerkung findet sich auch bei Brüning, ZJS 2009, 194 (197), sie lehnt allerdings die Erfolgsbezogenheit der Einwilligung doch ab. 563 Ebd., S. 25 f. 564 Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (215). 565 Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 74; so auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 51; I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (429); Sternberg-Lieben, D., Die objektiven Schranken der 562

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Teil 2: Bestandsaufnahme

„Einwilligungsfiktion“ verkennt auch, wie Zipf zu Recht anmerkt, die psychologische Realität eines fahrlässigen Verhaltens.567 Es kann ja „lebensfremd“ klingen, wenn derjenige, der ein Risiko eingeht, später behauptet, er habe mit dem Eintritt des Verletzungserfolges nicht gerechnet.568 Mindestens genauso lebensfremd ist es allerdings auch, daraus zu schließen, dass er mit dem Eintritt des Erfolges einverstanden ist.569 „Etwas als möglich zu erkennen, bedeutet keineswegs, es auch zu billigen“, merkt Zipf treffend an, und beruft sich auf die Unterscheidung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz.570 Wenn das Erkennen einer Gefahr auch ihre Billigung implizieren würde, dann gäbe es keine bewusste Fahrlässigkeit mehr.571 Was die Auffassung Schaffsteins betrifft, ist mit I. Sternberg-Lieben einzuwenden, dass die Reduktion des Erfolges „auf eine nur zufällig eingetretene Bedingung der Strafbarkeit“ nicht überzeugen kann.572 Der Erfolg stehe „keineswegs beziehungslos zur Fahrlässigkeitshandlung“,573 sondern ist, wie Murmann anmerkt, die „Objektivation der Unrechtshandlung“ und gehört deshalb zum Unrecht.574 Aus dieser richtigen These, die dem Erfolgsunwert eine wichtige Bedeutung für die Unrechtsbegründung beimisst, zieht Murmann allerdings Schlussfolgerungen, die auf der Rechtfertigungsebene wiederum zur Vernachlässigung des Erfolgsunwerts führen. Da der Erfolgsunwert nichts anderes als der objektivierte Handlungsunwert sei, bedeute die Beseitigung des Handlungsunrechts auch die Beseitigung des Erfolgsunwertes.575 Es ist aber zu fragen, ob die Beziehung des Erfolgs zur Fahrlässigkeitshandlung dazu zwingt, aus der Einwilligung in die Gefährdung auf die Beseitigung des Erfolgsunwertes zu schließen? Ist nicht auch ein umgekehrter Schluss denkEinwilligung im Strafrecht, S. 218 f.; Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 26; Schünemann, JA 1975, 715 (724); Duttge, in: FS für Harro Otto, S. 227 (232). 566 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 26. 567 Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 75; vgl. auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 51; SternbergLieben, I., JuS 1998, 428 (429); Sternberg-Lieben, D., Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 218 f. 568 So Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (215); ihm zust. Dölling, in: FS für Geppert, S. 53 (59). 569 Vgl. Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Duttge, NStZ 2009, 690 (691). 570 Zipf, Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht, S. 75. 571 Ebd. 572 Sternberg-Lieben, I., JuS 1998, 428 (429); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 432; krit. auch Duttge, in: FS für Otto, S. 227 (233 f.). 573 Sternberg-Lieben, I., JuS 1998, 428 (429); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 432. 574 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 432. 575 Ebd.

B. Die rechtliche Behandlung

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bar? Murmann legt den „Schwerpunkt des Fahrlässigkeitsunrechts“ 576 auf das Handlungsunrecht. Kann man nicht mit der Begründung, dass der Erfolg die Objektivation der Gefährdung ist, anders herum denken und den Schwerpunkt auf den Erfolg legen? Genauso wie die Behauptung, dass der Erfolgsunwert als Objektivation des Handlungsunwerts beseitigt wird, wenn das Handlungsunrecht infolge der Einwilligung des Verletzten beseitigt wird, wäre die folgende These vertretbar: Da der Erfolg die Vergegenständlichung des Handlungsunwerts ist, scheidet eine Einwilligung in die Gefährdung aus, wenn ihre Objektivation nicht gewollt wird. Wenn die Objektivation des Unwerts eines sorgfaltspflichtwidrigen Handelns nicht gerechtfertigt wird, ist auch die Rechtfertigung des sorgfaltswidrigen Handelns ausgeschlossen. Aus der richtig festgestellten Beziehung zwischen Handlungsunwert und Erfolgsunwert, die beide Unwerte zu Unrechtselementen macht, folgt daher kein zwingendes Argument für die Nichterforderlichkeit einer Einwilligung in den Erfolg. Generell ist anzumerken, dass sich die Anhänger der Einwilligungslösung auf die künstliche Annahme stützen, dass es eine separate Rechtfertigungsmöglichkeit von Handlungs- und Erfolgsunrecht gibt. Auf der Rechtfertigungsebene ist allerdings die unkomplizierte und natürliche Frage zu stellen, ob die vorliegende Rechtsgutverletzung durch einen Erlaubnissatz ausnahmeweise gestattet wird. Wenn der Erlaubnissatz der Einwilligung in Betracht kommt, kommt es dann nur auf die innere Einstellung des Verletzten gegenüber der vorliegenden Rechtsgutverletzung an? Wollte der Verletzte das, was passiert ist, oder wollte er es nicht? Wenn man es in den Fällen einverständlicher Fremdgefährdung mit der Selbstbestimmung des Opfers ernst meint, darf man den Willen des Opfers nicht unbeachtet lassen. Wenn man wie Dölling und Beulke argumentiert und eine fiktive Einwilligung in die Verletzung bejaht, trotz der tatsächlichen Ablehnung der Rechtsgutverletzung des Verletzten, unternimmt man eine normative Verantwortungszuschreibung, die in den Bereich der objektiven Zurechnung fällt und keine Relevanz für die Einwilligung hat.577 Für die Einwilligungsfrage kommt es nur auf den tatsächlichen Willen des Verletzten an. cc) Disponibilität des Rechtsguts Das Erfordernis der Erfolgsbezogenheit der Einwilligung ist nicht das einzige Problem, mit dem man sich bei der Einwilligungslösung auseinandersetzen muss. Selbst wenn die Einwilligungsmöglichkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten bejaht wird, ist zu fragen, ob die als vorliegend angesehene Einwilligung in einigen Konstellationen nicht als unwirksam zu bewerten ist.578 Gegen die Wirksamkeit 576 577 578

Ebd. Hellmann, in: FS für Roxin (2001), S. 272 (276). Lasson, ZJS 2009, 359 (364 f.).

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Teil 2: Bestandsaufnahme

der Einwilligung in eine fahrlässige Tötung könnten die Wertungen der §§ 216, 228 StGB sprechen.579 Dölling z.B., der das Erfordernis der Erfolgsbezogenheit ablehnt und die Einwilligungsmöglichkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten vertritt, zögert bei der Annahme einer wirksamen Einwilligung in eine fahrlässige Tötung.580 Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB entziehe dem Rechtsgutinhaber die Dispositionsbefugnis über das Rechtsgut des Lebens.581 Einige Stimmen582 halten § 216 StGB für die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung mit tödlichem Ausgang für irrelevant.583 Es gebe einen großen Unterschied zwischen der Einwilligung in die Vernichtung des eigenen Lebens und der Einwilligung in die bloße Lebensgefährdung.584 Das Berufen auf die Sperrwirkung des § 216 StGB für die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung mit tödlichem Ausgang würde die Gleichstellung von zwei unterschiedlichen Sachverhalten bedeuten.585 Eine Relevanz des § 228 StGB wird ebenso abgelehnt. Die Berufung auf die Sittenwidrigkeitsklausel lasse willkürliche und moralisierende Wertungen im Fahrlässigkeitsbereich zu.586 Dölling merkt an, dass es fragwürdig ist, ob die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang steht.587 Wenn man das Eingehen eines Lebensrisikos als sittenwidrig versteht und die Wirksamkeit der Einwilligung ablehnen will, dann übertrage man einen problematischen Begriff des Vorsatzdelikts und den Streit um diesen auf das Fahrlässigkeitsdelikt.588 Nach Dölling ist es also nicht die Sperre des § 228 StGB, die gegen die Einwilligung in eine Lebensgefährdung wirkt, sondern nur die Sperre des § 216 StGB.589 Letztere könne allerdings ausnahmeweise beseitigt werden, was eventuell zur Rechtfertigung der Tat des Gefährdenden führen könne.590 Hier handelt es sich um Döllings Konzept der 579

Dazu ebd., 364 ff. Dölling, GA 1984, 71 (85 ff.); ähnlich Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 137; zu Döllings Auffassung Lasson, ZJS 2009, 359 (365). 581 Ebd. 582 Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (571); Hirsch/LK-StGB, 11. Aufl., Vor § 32, Rn. 95; Weber, in: FS für Baumann, S. 43 (48); Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 32 ff., Rn. 104; Brüning, ZJS 2009, 194; dazu s. auch Lasson, ZJS 2009, 359 (365) mit weiteren Hinweisen. 583 Dazu krit. Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (277 ff.). 584 Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (571); Duttge, NStZ 2009, 690 (691); Stratenwerth, in: FS für Puppe, S.1017 (1020). 585 Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (571); Duttge, NStZ 2009, 690 (691). 586 Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (570); Dölling, GA 1984, 71 (89 f.). 587 Dölling, GA 1984, 71 (89). 588 Ebd. 589 Dölling, GA 1984, 71 (89 f.); ders., JR 1994, 518 (521); so auch Hauck, GA 2012, 202 (218). 590 Dölling, GA 1984, 71 (89 ff.). 580

B. Die rechtliche Behandlung

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„qualifizierten Einwilligung“.591 Zwar sei die Einwilligung in eine fahrlässige Tötung grundsätzlich unwirksam, weil dem Verletzten die Dispositionsbefugnis über das Rechtsgut des Lebens entzogen wird – sein Selbstbestimmungsrecht trete „hinter die Werte der Bewahrung des Lebens im dauerhaften Interesse des Rechtsgutsträgers und der Wahrung der generellen Unantastbarkeit fremden Lebens zurück“ –, es könne jedoch zur Wirksamkeit der Einwilligung kommen, wenn die Addition des Selbstbestimmungswertes mit dem Wert der durch die Tat verfolgten Zwecke einen gesamten Wert ergebe, der den in der fahrlässigen Tötung enthaltenen Unwert überwiegt.592 Dölling wendet dieses Konzept auf den Memel-Fall an und kommt zum Ergebnis, dass die Tat des Fährmannes nicht als gerechtfertigt zu sehen ist, weil die Fahrgäste nicht durch eine „sittliche Pflicht von existentieller Bedeutung“ zu der gefährlichen Überfahrt motiviert waren.593 Das Handeln des Fährmanns wäre dagegen gerechtfertigt gewesen, wenn die zwei Reisenden auf der Überfahrt insistiert hätten, weil sie nur dadurch die Möglichkeit gehabt hätten, den im Sterbebett liegenden Vater ein letztes Mal zu sehen.594 dd) Kritik „Wenn es überhaupt einen Bereich gibt, der zu tabuisieren ist, dann der des Lebens des anderen. Durch die Strafdrohung wird dem einzelnen [. . .] nichts an wirklicher Freiheit genommen, dafür aber allen einzelnen ein Plus an Sicherheit und damit eine wesentliche Voraussetzung der Selbstbestimmung gegeben“ 595, schreibt Hirsch.596 Darauf bezieht sich Dölling zu Recht, wenn er sich zu der Sperrwirkung des § 216 StGB äußert.597 Die Wirksamkeit der Einwilligung in eine lebensgefährliche Handlung würde die Einrichtung eines „Einfalltors“ bedeuten, „von dem aus die um das Leben der anderen errichtete Tabuzone ausgehöhlt werden könnte.“ 598 Recht ist ihm auch zu geben, wenn er die Wirksamkeit der Einwilligung an dem Gebot der Unantastbarkeit fremden Lebens scheitern 591

Ebd., 91. Dölling, GA 1984, 71 (90 f.), ders., JA 1994, 518 (521). 593 Dölling, GA 1984, 71 (93); zu einem anderen Ergebnis kommt Dölling in dem Kleintransporter-Fall. Zwar werden keine hochwertigen Ziele durch das Eingehen auf das Risiko verfolgt (das Opfer will zur Baustelle fahren). Wegen des niedrigen Lebensrisikos sei jedoch die Wirksamkeit der Einwilligung anzunehmen, Dölling, JA 1994, 518 (521). 594 Dölling, GA 1984, 71 (93); s. auch Darstellung des Konzepts bei Lasson, ZJS 2009, 359 (365). 595 Hirsch, in: FS für Welzel, S. 774 (790). 596 Das Tabu ist nicht auf einen irrationalen Atavismus zurückzuführen, sondern auf „wohl überlegte Regelung“ der Gesellschaft, Dölling, GA 1984, 71 (86, 94); auch Hirsch, in: FS für Welzel, 1974, S. 774 (782, 789). 597 Dölling, GA 1984, 71 (86, 94). 598 Dölling, GA 1984, 71 (87); zur Erklärung des Tabuphänomens anhand der Tiefenpsychologie, Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 160 ff., 186 ff. 592

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Teil 2: Bestandsaufnahme

lässt und nicht an den unbestimmten Wertungen des § 228 StGB.599 Dies würde tatsächlich zu der Übertragung von Wertungen einer wenig befriedigenden Norm, die für das vorsätzliche Delikt gilt, auf das Fahrlässigkeitsdelikt führen. Anzumerken ist allerdings, dass Dölling seinen richtigen Thesen hinsichtlich der Übertragung von Sittenwidrigkeitserwägungen mit seinem Konzept der „qualifizierten Einwilligung“ selbst widerspricht. Das Abstellen auf die Qualität der verfolgten Zwecke des Verletzten für die Wirksamkeit seiner Einwilligung in ein Lebensrisiko bedeutet nichts anderes als die Integration der Sittenwidrigkeitsklausel in die Problematik der Disponibilität des Rechtsgutes. Das Konzept der „qualifizierten Einwilligung“ ist eigentlich eine Umetikettierung der Sittenwidrigkeitssperre. Der Hauptunterschied liegt in dem Umdrehen der Regel-Ausnahmebeziehung zwischen Wirksamkeit und Nichtwirksamkeit der Einwilligung. Während bei den Sittenwidrigkeitserwägungen des § 228 StGB die Unwirksamkeit der Einwilligung die Ausnahme ist und die Wirksamkeit als die Regel konzipiert wird, stellt die Unwirksamkeit der Einwilligung im Konzept der „qualifizierten Einwilligung“ den Regelfall dar. Hier wird die Verwerflichkeitsprüfung der Einwilligung nicht als Sperre eines sittenwidrigen Verhaltens, sondern als Billigung eines sittenkonformen Verhaltens gestaltet. Es handelt sich aber dabei um die zwei Seiten derselben Medaille. Ein weiterer, aber unwesentlicher Unterschied zwischen dem Konzept der „qualifizierten Einwilligung“ und der Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB ist folgender: Während die Sittenwidrigkeitssperre nach § 228 StGB ein Rechtsgut voraussetzt, das der Dispositionsmacht des Einzelnen unterliegt (§ 216 StGB lässt keinen Raum für die Anwendung des § 228 StGB beim vorsätzlichen Delikt),600 macht Dölling die Verwerflichkeitsprüfung durch die positive Umformulierung der Sittenwidrigkeitsklausel zum maßgeblichen Faktor für die Entscheidung, ob das Rechtsgut überhaupt unter die Dispositionsmacht des Einzelnen fällt. Er unternimmt also eine Umsiedlung der Sittenwidrigkeitsklausel. Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich beim Konzept der „qualifizierten Einwilligung“ um eine der Frage, welches Rechtsgut überhaupt disponibel sei, vorgelagerte, positiv konzipierte Sittenwidrigkeitsklausel handelt, die genauso wenig wie § 228 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG kompatibel ist. Das Konzept hat den zusätzlichen Nachteil, dass es gewisse Ausnahmen von dem absoluten Schutz des Rechtsgutes des Lebens zulässt.601 Die Wertungen des § 216 StGB sollten allerdings ohne Ausnahmen auch im Fahrlässigkeitsbereich gelten. 599 Dölling, GA 1984, 71 (87); zu der Unbestimmtheit der Sittenwidrigkeit s. auch Hauck, GA 2012, 202 (218). 600 Paeffgen/NK-StGB, § 228, Rn. 3. 601 Zum Grundsatz des „absoluten Lebensschutzes“ Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 187; dazu auch Hauck, GA 2012, 202 (204).

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Was die Ansicht betrifft, wonach § 216 StGB keine Relevanz für die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung mit tödlichem Ausgang hat, weil es einen großen Unterschied zwischen der Einwilligung in die Vernichtung des eigenen Lebens und der Einwilligung in die bloße Lebensgefährdung gebe,602 ist folgendes zu sagen: Es gibt tatsächlich einen wichtigen Unterschied zwischen den zwei Sachverhalten, und es ist gerade dieser Unterschied, der die Relevanz des § 216 StGB begründet. Der Unterschied liegt allerdings nicht darin, dass ein fahrlässiges Verhalten das Rechtsgut des Lebens weniger gefährdet als ein vorsätzlicher Angriff – so die Gegenmeinung603 –, sondern in der unterschiedlichen Reichweite der Selbstbestimmung des Einwilligenden in die zwei Konstellationen.604 Während die Konstellation der Tötung auf Verlangen eine Konstellation der gewollten Rechtsgutsdisposition ist, stellt der Fall der „einverständlichen Fremdgefährdung“ eine Konstellation der ungewollten Rechtsgutsdisposition dar. Wenn das Verhalten des Täters in einem Fall nicht gerechtfertigt wird, in dem der Verletzte die Rechtsgutverletzung zum Inhalt seiner Selbstbestimmung gemacht hat, ist eine Rechtfertigung des Täters erst recht in einem Fall abzulehnen, in dem der Verletzte die Rechtsgutverletzung nicht zum Inhalt seiner selbstbestimmten Entscheidung gemacht hat. Bewertet man also die zwei Sachverhalte aus dem Blickwinkel der Selbstbestimmung als Grundgedanken der Einwilligung,605 kommt man zum Ergebnis, dass sich aus der Unwirksamkeit der Einwilligung im Fall einer Tötung auf Verlangen auf die Unwirksamkeit einer Einwilligung in eine Lebensgefährdung schließen lässt. Aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgt also, dass die Wertungen des § 216 StGB von großer Bedeutung für die Behandlung der Konstellation der „einverständlichen Fremdgefährdung“ sind, gerade weil die zwei Sachverhalte bezüglich der Reichweite der Entscheidung des Einwilligenden unterschiedlich sind.606 ee) Unzulässigkeit von Notwehr und Nothilfe Neben den Einwänden, die den Erfolgsbezug der Einwilligung und die Disponibilität des Rechtsgutes des Lebens betreffen, ist auch ein dritter Einwand gegen die Einwilligungslösung zu nennen. Wenn der fahrlässige Angriff gegen das Le602

Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (571). Dölling, GA 1984, 71 (87), der allerdings den Grundgedanken des § 216 StGB als relevant auch im Fahrlässigkeitsbereich sieht; Schaffstein, in: FS für Welzel, S. 557 (571). 604 Vgl. Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 24 ff. 605 Dazu Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 24 ff. 606 Darauf stützt auch Göbel für die Begründung des Erfordernisses der Erfolgsbezogenheit der Einwilligung, Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts, S. 24 ff. 603

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Teil 2: Bestandsaufnahme

ben im Fall der einverständlichen Fremdgefährdung wegen der Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt würde, wäre konsequenterweise die Rettung des Rechtsgutes im Wege der Nothilfe unzulässig. Notwehr und Nothilfe setzen einen rechtswidrigen Angriff voraus.607 Die Unzulässigkeit des Einschreitens eines Dritten zur Rettung des Rechtsguts widerspräche dem Grundsatz des „absoluten Lebensschutzes“ 608 und würde ein großes Unbehagen auslösen, vor allem, weil der Nothelfer nicht gegen den Willen des Rechtsgutinhabers handeln würde. Vielmehr agiert er gerade in dessen Sinne. Der Verletzte wollte die Rechtsgutdisposition nicht. Die Annahme einer wirksamen Einwilligung bei den Fällen der einverständlichen Fremdgefährdung würde das Sperren des Weges zum Rechtsgutsschutz durch einen Dritten bedeuten, obwohl dieser dem Willen des Rechtsgutinhabers selbst entspräche. d) Viktimodogmatik Während die Selbstverantwortung des Opfers in der Regel mit dem Grundgedanken der Selbstbestimmung begründet wird,609 findet sich in der Literatur ein zweiter Begründungsansatz, der auf das „viktimologische Prinzip“ stützt.610 aa) Darstellung der Ansicht Nach der sog. viktimodogmatischen611 Argumentation „[ist] die Verhängung von Strafe als Ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht am Platze [. . .], wenn das Opfer keinen Schutz [verdient] und keines Schutzes [bedarf]“.612 Die viktimologische Perspektive stammt ursprünglich aus der 607

Statt vielen Rengier, Strafrecht AT, § 18, Rn. 5. Dazu Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 187. 609 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, 2004; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, 199; MatthesWegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 79 ff., 87, 287; Meyer, M.-K., Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, 1984; zu ihrer Auffassung ausführlich Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 13 ff.; auf die Menschenwürde und die Selbstbestimmung bezieht sich auch Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 59 f.; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, Einleitung; krit. hierzu Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 12 f. 610 Eine viktimologische Annäherung des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit findet sich bei Arzt, MschrKrim 67 (1984), 105 (113); Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 35; Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung unter besonderer Berücksichtigung des viktimologischen Prinzips, S. 120 ff. Zu den zwei Richtungen Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 9 ff. 12 ff., S. 17. 611 Schünemann, NStZ 1986, 439. 612 Schünemann, NStZ 1986, 439; ders., NStZ 1986, 193 (195); ders., in: Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, S. 407 (415), wo er betont, dass die Begrenzung 608

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Kriminologie.613 Danach kommt dem Verbrechensopfer eine entscheidende Rolle im Prozess der Verbrechensentstehung zu.614 Opfer und Täter werden „als sich gegenseitig ergänzende Partner“ wahrgenommen.615 Täter und Opfer stellen ein „couple penal“ dar.616 Auf der Grundlage des viktimologischen Grundsatzes hängt die Strafwürdigkeit des Täters von der Schutzwürdigkeit des Opfers ab.617 Schutzunwürdig sind die Rechtsgüter des Opfers dann, wenn das Opfer die Gefahren für das Rechtsgut selber schafft oder intensiviert.618 Hier beruft man sich auf das Prinzip der Selbstverantwortung.619 So bedeutet nach Hassemer die Selbstverantwortung des Opfers nicht nur das Recht am Gebrauch von Rechtsgütern, sondern auch die Pflicht individuell um die eigenen Güter zu sorgen.620 Wegen des fragmentarischen und subsidiären Charakters des Strafrechts sei der Geschädigte als nicht schutzwürdig und -bedürftig zu betrachten, wenn er seine Rechtsgüter vor Schaden nicht selbst bewahrt, obwohl er über hinreichende zumutbare Möglichkeiten verfügt.621 Die Strafbarkeit des Dritten im Fall eines der Haftung unter dem Aspekt des Schutzzwecks der Norm von dem viktimologischen Grundsatz abzuleiten ist; ähnliche Formulierung des Zitats bei Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 10; s. auch Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 34 f.; für den Betrug Amelung, GA 1977, 1 (6); Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, S. 175 ff.; zum Opferverhalten im Rahmen eines Betrugs auch Esser, in: FS für Krey, S. 81 (84 ff., 93 ff.); im Rahmen der Diskussion um die Aidsbekämpfung Prittwitz, KJ 1988, S. 304 (307 f.); vgl. ders., NJW 1988, 2942 f.; Anwendung des Prinzips am Beispiel des Ladendiebstahls Arzt, JuS 1974, 693 (694 f.); ders., JZ 1976, 54; ders., MschrKrim 67 (1984), 105 (111 f.); tiefgehende Auseinandersetzung mit Arzts „viktimologischem Ansatz“ Hillenkamp, Vorsatz und Opferverhalten, S. 42 ff. 613 Dazu Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 11; Ebert, JZ 1983, 633; zur Viktimologie tiefgehend Hillenkamp, JuS 1987, S. 940 ff.; Schneider, H. J., DRiZ 1978, 141 ff.; Jung, MschrKrim 67 (1984), 125. 614 Schneider, H. J., Kriminologie, S. 754 f.; „the victim shapes and moulds the criminal“, von Hentig, The Criminal And His Victim, S. 384; dazu auch Zazcyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 11. 615 Schneider, H. J., Kriminologie, S. 755; von Hentig, The Criminal And His Victim, S. 384. 616 Mendelsohn, Revue internationale de criminologie et de police technique, 1956, 99, zit. nach Fiedler, S. 144; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 11. 617 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung – unter besonderer Berücksichtigung des viktimologischen Prinzips, S. 143 f.; hierzu Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 10 f. 618 Ebd. 619 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 10. 620 Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 35. 621 So Amelung, GA 1977, 1 (6 f.); Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, S. 177 ff.; auch Schünemann, NStZ 1986, 439; krit. dazu Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (67 f.).

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nicht schutzbedürftigen Opfers (wie z. B. des Beifahrers eines Betrunkenen) verstoße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip.622 Das viktimologische Prinzip sorge dafür, dass „Strafbarkeits-Hypertrophien“ vermieden werden.623 Den Gedanken Hassemers, dass eine „außerordentliche Erhöhung der konkreten Gefährdung“ seitens des Opfers seine Schutzbedürftigkeit ausschließt,624 macht Fiedler zur zentralen Säule seiner Argumentation bei der Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung.625 Die „eigentätige“ Steigerung der Gefahrintensität für die eigenen Rechtsgüter stelle eine „Vernachlässigung des Selbstschutzes“ dar, die die Selbstverantwortung des Opfers für die Rechtsgutverletzung begründe und zur Straflosigkeit des Dritten führe.626 Die als Selbstschutzpflichtverletzung konzipierte Selbstverantwortung des Opfers sei ein „eigenständiger Abwägungsfaktor“ bei der normativen Abwägung von Täter- und Opferbeitrag auf Tatbestandsebene.627 Dies führe dazu, dass bei Konstellationen, in denen sich das Opfer bewusst einer Gefahr aussetzt und zur Risikosteigerung beiträgt, es allein die Verantwortung trägt und es nicht mehr als schutzwürdig und -bedürftig angesehen wird.628 bb) Kritik Diese Überlegungen können nicht ohne Kritik bleiben.629 Selbst wenn dem Geschädigten eine Mitverantwortung an der Verletzung seiner Rechtsgüter vorzuwerfen wäre, so wäre es doch, wie Puppe richtig anmerkt, nicht gerecht, ihn mit der Verantwortung alleine zu belasten, sofern der Beitrag des anderen mitentscheidend für die Realisierung des Erfolges war.630 Dölling weist zu Recht darauf hin, dass einfache Unüberlegtheit das Leben des Opfers nicht schutzunwürdig macht.631 Außerdem ist zu beachten, dass eine Unterscheidung zwischen schutz622

Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 88. Schünemann, in: FS für Faller, S. 357 (361); ders., in: FS für Bockelmann, S. 117 (129 ff.); Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung – unter besonderer Berücksichtigung des viktimologischen Prinzips, S. 142 f. 624 Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 85. 625 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung – unter besonderer Berücksichtigung des viktimologischen Prinzips, S. 171 ff., 175 ff. 626 Ebd., S. 170 f., 180 f., 184. 627 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung – unter besonderer Berücksichtigung des viktimologischen Prinzips, S. 178 f., 180; krit. dazu Zazcyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 11. 628 Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung – unter besonderer Berücksichtigung des viktimologischen Prinzips, S. 185; s. dazu Zazcyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 10. 629 Tiefgehende Kritik bei Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 180 ff., 192 ff. 630 Puppe, ZIS 2007, 247 (248); s. auch Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 181, 191. 631 Dölling, GA 1984, 71 (82). 623

B. Die rechtliche Behandlung

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würdigen und schutzunwürdigen Personen schon vom Begriff her nicht zu einem rechtsstaatlichen Vokabular passt. Der Grundsatz „ultima ratio“ darf sich nicht auf Schutzunwürdigkeitserwägungen beziehen, sondern nur auf Strafwürdigkeitsüberlegungen. Die Strafwürdigkeit setzt das Vorliegen eines schutzwürdigen Rechtsguts voraus, das durch eine schuldhafte Handlung des Täters hinreichend bedroht wird.632 Damit scheiden Bagatelldelikte aus.633 Das entscheidende Kriterium für die Aktivierung des strafrechtlichen Mechanismus ist die Existenz einer für das Rechtsgut ernstzunehmenden Gefahr und nicht die Frage, inwieweit das Opfer schutzwürdig ist. Die Bedingung des Vorhandenseins eines schutzwürdigen Rechtsgutes des Opfers ändert nichts an dieser Voraussetzung, weil die Schutzwürdigkeit des Rechtsgutes dabei in abstracto und als gesetzgeberische Vorwertung gemeint ist und nicht als kasuistische Betrachtung des Geschehens. Der Bezug der Viktimodogmatik auf den Grundsatz der ultima ratio ist also nicht gerechtfertigt. Dabei geht es nicht um die Schutzwürdigkeit des Opfers in conkreto, sondern um die von der Rechtsordnung festgelegte Strafwürdigkeit des Täters in abstracto. Zudem spricht das Notwehrrecht gegen die Erstreckung des Subsidiaritätsprinzips auf Selbstschutzmöglichkeiten der Bürger.634 Dem staatlichen Rechtsschutz wird der Vorrang vor privater Abwehr eingeräumt.635 In einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Viktimo-Dogmatik erörtert Hillenkamp zutreffend, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht das Verhältnis zwischen staatlicher Abwehr und Selbstschutz des Bürgers betrifft, sondern das Verhältnis der dem Staat zur Verfügung stehenden Mittel untereinander.636 Er zitiert dabei das Bundesverfassungsgericht [BVerfGE 39, 1 (47)]: „Die Strafnorm stellt gewissermaßen die ,ultima ratio‘ im Instrumentarium des Gesetzgebers dar.“ 637 Gegen die These, das Opfer „verdiene“ keinen Rechtsschutz, wenn es seine Rechtsgüter selbst vor Schaden bewahren könne, dies aber trotzdem nicht unternimmt,638 sind auch kriminalpolitische Einwände zu formulieren.639 Die Pau632

Schünemann, in: FS für Bockelmann, S. 117 (129). Ebd., S. 130. 634 Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 176. 635 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 176; Schaffstein, in: GS für Schröder, S. 97 (99 ff.). 636 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 176. 637 Ebd. 638 Schünemann, NStZ 1986, 439. Auf diese viktimodogmatische These stützt sich letztlich auch die Sorgfaltswidrigkeitslösung im Bereich der „einverständlichen Fremdgefährdung“, s. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten, S. 126; so auch Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 12; Dölling, GA 1984, 71 (82, Fn. 84). 639 Hierzu vor allem Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (68). 633

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Teil 2: Bestandsaufnahme

schalität dieser These liegt auf der Hand und enthält die Gefahr einer unzulässigen Verstärkung von Neutralisationstechniken des Täters durch das Strafrechtssystem.640 Mit der Neutralisationstechnik ist eine Selbstrechtfertigungsstrategie des Täters gemeint.641 Das Opfer hat nach der Vorstellung des Täters seine Viktimisierung „verdient“.642 Diese Einbildung des Täters „erfährt [durch den viktimodogmatischen Ansatz] massive Unterstützung“.643 Außerdem verkennen die Vertreter der Viktimodogmatik, die sich auf die Viktimologie berufen, dass es bei der Viktimologie „nicht darum [geht], das Opfer zu beschuldigen und den Täter zu entschuldigen“, sondern darum, den Prozess des Opferwerdens zu untersuchen und Vorbeugungsmaßnahmen vorzuschlagen.644 Der Viktimologie liegt der Gedanke der Schutzwürdigkeit des Opfers sehr wohl zugrunde und nicht der Gedanke der Schutzunwürdigkeit, wie die Anwender des viktimologischen Ansatzes im Strafrecht annehmen.645 Es ist allerdings nicht zu bestreiten, dass die Viktimologie, trotz ihrer nicht überzeugenden Einbeziehung in die strafrechtliche Dogmatik über den Weg der Schutzwürdigkeitsfrage zu der „Wiederentdeckung des Opfers“ 646 für das Strafrecht beigetragen hat.647 Der Motivationshintergrund einer Tat kann durch die Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Täter und Opfer besser beleuchtet werden.648 Dies dient der von H. J. Schneider angesprochenen „wirklichkeitsnäheren strafrechtlichen Reaktion“.649 Die Viktimologie weist auf den interaktionistisch-sozialpsychologischen Hintergrund einer Straftat hin und macht darauf aufmerksam, dass das Opferverhalten das Täterverhalten gestalten kann.650 Der Viktimodogmatik ist daher Recht zu geben, wenn sie viktimologische Erkenntnisse in die strafrechtliche Beurteilung einbeziehen und gewisse Auswirkungen auf die Bewertung des Täterverhaltens zulassen will.651 Die Integration dieser Erkenntnisse über den Weg der Schutzpflicht des Opfers kann allerdings nicht überzeugen. Die Entlastung des Täters darf aus den oben 640

So auch Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 202. Schneider, H. J., Kriminologie, S. 762 f.; Sykes/Matza, in: Kriminalsoziologie, S. 360 (365, 368). 642 Schneider, H. J., Kriminologie, S. 763. 643 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 202. 644 Schneider, H. J., Kriminologie, S. 760. 645 Vgl. Hörnle, JZ 2006, 950 (957), die darauf hinweist, dass im Rahmen der Viktimodogmatik die Bezugnahme auf das Opfer tendenziell täterfreundlich ist. 646 Hillenkamp, JuS 1987, 940; Küper, GA 1980, 217. 647 Hillenkamp, JuS 1987, 940 8943); krit. aber hierzu bezüglich der Strafzumessungslehre ders., Vorsatztat und Opferverhalten, S. 10. 648 Vgl. Schneider, H. J., Viktimologie, Vorwort, IX. 649 Schneider, H. J., Kriminologie, S. 760. 650 Schneider, H. J., Kriminologie, S. 755; von Hentig, The Criminal And His Victim, S. 436; vgl. Hillenkamp, JuS 1987, 940 (943). 651 Ebert, JZ 1983, 633. 641

B. Die rechtliche Behandlung

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genannten Gründen nicht auf der Grundlage negativer Wertungen über die Schutzwürdigkeit des Opfers begründet werden. Vielmehr ist diese Entlastung in einem weniger wertungsbezogenen Autonomiebegriff zu suchen. e) Zusammenfassung Trotz der Meinungsunterschiede bei der Behandlung der sog. einverständlichen Fremdgefährdung lässt sich folgendes feststellen: Zwar wird vertreten, dass ein Unterschied darin besteht, ob eine Person sich selbst gefährdet und das Geschehen selbst in der Hand hat oder ob sie sich von einem anderen gefährden lässt und dem Gefährdungsgeschehen ausgeliefert ist.652 Die Lehre tendiert jedoch unter Berufung auf die Eigenverantwortlichkeit des Opfers zu einer Straflosigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, wie bei den Fällen der sog. eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Nur die Begründung variiert.653

652 653

Roxin, JZ 2009, 399; Prittwitz, NJW 1988, 2942. Instruktiver Überblick bei Lasson, ZJS 2009, 359 (363 ff.).

Teil 3

Abkehr von der Unterscheidung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung A. Einleitung Die bisherige kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Lösungsmodellen für die Behandlung der zwei Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einverständlichen Fremdgefährdung hat gezeigt, dass keines dieser Modelle völlig zu überzeugen vermag. Selbst Roxin, der „Erfinder“ der zwei Figuren, merkt an, dass eine endgültige, klare Lösung noch nicht vorhanden ist. Er schreibt: „Da aber alle Lösungen bisher äußerst umstritten sind, ist nur eines sicher: Die Diskussion muss weitergehen!“ 1 Die Diskussion ist aber wenig zielführend, wenn man weiter, als sei es selbstverständlich, von zwei klar abtrennbaren und selbstständigen Fallgruppen („eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ oder „einverständliche Fremdgefährdung“) ausgeht. Fruchtbar kann die Fortsetzung der Diskussion nur sein, wenn wir uns von den bisherigen Prämissen der Herrschaft über das Geschehen befreien und die ganze Problematik von Grund auf neu betrachten.

B. Die Herrschaft des Tatherrschaftskriteriums Alle vorgeschlagenen Trennungskriterien sind bisher Tatherrschaftskriterien. Diese Behauptung ruft vielleicht Verwunderung hervor, wenn man z. B. an Roxins Abgrenzungsvorschlag denkt, wonach auf die unmittelbare Herbeiführung der Gefährdung abgestellt werden soll.2 Er lehnt die Anwendung des Tatherrschaftskriteriums bei Fahrlässigkeitsdelikten ab, „der Rückgriff auf die Teilnahmelehre [ist] verfehlt“.3 Der Herrschaftsgedanke ist nach Roxin grundsätzlich falsch, „denn der Gefährder ,beherrscht‘ das Gefährdungsgeschehen ja gerade nicht, wenn es zum Erfolgseintritt kommt. Vielmehr entgleitet ihm die Beherr1

Roxin, GA 2012, 655 (669). Ebd., 660. 3 Roxin, GA 2012, 655 (659). Auch die Fachliteratur unterscheidet zwischen den Tatherrschaftslehren und der Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt, s. z. B. Christmann, JURA 2002, 679 (680). 2

B. Die Herrschaft des Tatherrschaftskriteriums

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schung der Situation.“ 4 Es gehe nicht darum, wer die Tatherrschaft hat, die habe zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts keiner der Beteiligten.5 Entscheidend sei vielmehr, von wem die Gefährdung ausgeht, die sich unmittelbar in dem Erfolg realisiert.6 Wenn die Gefährdung vom Opfer ausgeht, liegt nach Roxin eine Selbstgefährdung vor.7 Wenn dagegen die Gefährdung von einem Dritten ausgeht und das Opfer keine Möglichkeit hat, die Realisierung des Erfolgs zu verhindern, sei eine einverständliche Fremdgefährdung anzunehmen.8 Durch diese Abgrenzungsweise meint Roxin das Tatherrschaftskriterium zu umgehen. Er schreibt: „Sieht man [. . .] die unmittelbar zur tatbestandsmäßigen Gefährdung führende Handlung als entscheidend an, so liegt [im Aids-Fall] unabhängig von allen Herrschaftserwägungen ein eindeutiger Fall einverständlicher Fremdgefährdung vor. Denn die Gefahr ging allein vom Infizierten aus.“ 9 Ist dies aber tatsächlich so? Gelangt man durch sein Kriterium auf eine einverständliche Fremdgefährdung, unabhängig „von allen Herrschaftserwägungen“? Bei näherem Betrachten des Kriteriums der unmittelbaren Herbeiführung der Gefährdung ist festzustellen, dass es doch dem Tatherrschaftsgedanken verhaftet ist.10 Es ist wahr, dass keiner der Beteiligten im Hinblick auf den verwirklichten Tatbestand die Tatherrschaft hat. Niemand beherrscht das Gefährdungsgeschehen, wenn es zum Erfolgseintritt kommt. Tatherrschaft bedeutet allerdings nicht nur Beherrschung des Geschehens im Augenblick des Erfolgseintritts, sondern auch Beherrschung der tatbestandsmäßigen Handlung. Letztere besteht schon in dem Akt der Herbeiführung der Gefährdung. Daher ist das Kriterium der unmittelbaren Herbeiführung der Gefährdung ein Herrschaftskriterium. Genau genommen handelt es sich um das Abgrenzungskriterium der Gefährdungsherrschaft, wie der BGH im Fall des Autorennens11 formuliert hat. Die Gefährdungsherrschaft ist wiederum im Grunde eine dem Phänotyp des Fahrlässigkeitsdelikts angepasste Tatherrschaft. Der fahrlässige Täter herrscht über einen Teil der ganzen Tat, nämlich über den Gefährdungsteil und nicht über den Erfolgseintrittsteil, über eine Tat herrscht er aber auf jeden Fall. Daher bleibt das Kriterium der unmittelbaren Herbeiführung der Gefährdung ein Tatherrschaftskriterium. Dies fällt vielleicht nicht sofort auf, weil die normativen Prämissen von dem deskriptiven Sprachgebrauch (den Erfolg unmittelbar herbeiführende Gefährdung) kaschiert werden. Sie leuchten allerdings bei der Bestimmung zweier un4

Ebd., 660. Ebd., 659. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Roxin, GA 2012, 655 (659); ders., JZ 2009, 339 (402). 9 Roxin, GA 2012, 655 (660). 10 Das Kriterium der Herbeiführung des unmittelbar lebensbeendenden Akts nimmt auch Puppe als Tatherrschaftskriterium wahr, s. Puppe, GA 2009, 486 (492 f.). 11 BGH 53, 55 (61). 5

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

terschiedlich behandelter Fallgruppen auf. Der Dritte, der die Gefährdungshandlung unmittelbar herbeiführt, begeht eine einverständliche Fremdgefährdung, während der Dritte, der nicht den letzten Gefährdungsakt herbeiführt, „lediglich“ bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mitwirkt. Die gewählten Gruppenbezeichnungen „Fremdgefährdung“ und „Selbstgefährdung“ implizieren schon die normative Qualifizierung der zwei Gruppen, die mit der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme zusammenhängt. Die Verwendung des deskriptiven Begriffs der „Mitwirkung“ nur für die eine Gruppe erweckt den Eindruck der Teilnahme lediglich für die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, obwohl es sich um Mitwirkung auch in den Fällen der einverständlichen Fremdgefährdung handelt. Das Ergebnis ist, dass die Straflosigkeit in den Fällen der Gruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung – entweder direkt oder durch den Normzweckgedanken – anhand der Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid begründet wird.12 Der Schutzzweck des Tötungsverbots decke den Fall der Teilnahme am Suizid nicht, dann dürfe das Weniger (die Mitwirkung an der Selbstgefährdung) straflos bleiben.13 Die Verzahnung zwischen Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung – weil der Dritte nicht den letzten Gefährdungsakt herbeigeführt hat – und der Teilnahmelehre beim vorsätzlichen Delikt sticht bei der rechtlichen Behandlung der Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung hervor. Im Gegensatz zu den Fällen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, die durch die Bezugnahme auf die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid immer zur Sanktionslosigkeit führen, sind die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung weniger privilegiert und führen nicht gleich zur Straflosigkeit, sondern unter der zusätzlichen Voraussetzung ihrer Gleichstellung mit der privilegierten Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Der Dritte, der dieser letzten Gruppe zugeordnet wird, hat nicht das Glück den positiven Nimbus des Mitwirkungsbegriffs zu genießen, er begeht eine „Fremdgefährdung“. Das Kriterium der unmittelbaren Herbeiführung des Erfolgs verdrängt die Tatsache, dass es sich hier auch um eine Mitwirkung handelt, die im Fahrlässigkeitsbereich gleichwertig zu jeder anderen früheren Mitwirkung steht.14 Die Abgrenzung der zwei Gruppen anhand der Herbeiführung des Gefährdungsakts, der unmittelbar zum Erfolg führt, ist vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Behandlung der Fälle mit der Gleichwertigkeit der Mitwirkungen nicht vereinbar.15 Daher ver12 Nach Roxin ist die Straflosigkeit der Teilnahme am Suizid die Ausprägung des Schutzzweckgedankens, Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (245). Dadurch macht Roxin das Teilnahmeargument zur argumentativen Brücke zwischen dem Schutzzweckgedanken und der Straflosigkeit der Mitwirkung an Selbstgefährdungen. 13 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11, Rn. 107. 14 Vgl. Puppe, GA 2009, 486 (492 f.). 15 Die Gleichwertigkeit der Beiträge der fahrlässigen Nebentäter verkennt Hellmann, wenn er nur in besonderen Konstellationen (z. B. Geschlechtsverkehr mit Aidsinfizier-

B. Die Herrschaft des Tatherrschaftskriteriums

121

stößt auch das Abgrenzungsmodell Roxins gegen die Einheitstäterschaft im Fahrlässigkeitsbereich.16 Grund für die Verhaftung des Roxinschen Abgrenzungsmodells mit den Herrschaftserwägungen liegt in einer methodischen Schwäche seines Konzepts. Er unternimmt – gleichsam – eine deskriptive Phänomenologie,17 der es an Deskriptivität und damit an Neutralität mangelt. Die von Edmund Husserl systematisch reflektierte Methode der deskriptiven Phänomenologie setzt eine „phänomenologische Reduktion“ voraus.18 Damit ist die Ausschaltung aller Voranahmen, Vorwertungen und Vorurteile gemeint.19 Die deskriptiv-phänomenologische Einstellung verlangt die „Einklammerung“ 20 aller vorgegeben Theorien und jedes überlieferten Wissens.21 Zur Erläuterung der phänomenologischen Reduktion schreibt Husserl: „Alle Setzung einer „nicht immanenten Wirklichkeit“, einer im Phänomen nicht enthaltenen, obschon in ihm gemeinten, und zugleich einer nicht gegebenen im zweiten Sinne ist ausgeschaltet, d.h. suspendiert.“ 22 Das Ziel der Deskription soll das „reine Schauen“ sein.23 Die Voraussetzung der „Voraussetzungslosigkeit“ 24 erfüllt die beschreibende Phänomenologie Roxins nicht. Die theoretische Annahme, das Dogma, dass zwei Fallgruppen existieren, die voneinander abgegrenzt werden müssen, wird nicht ausgeklammert, sondern bleibt erhalten.25 Dadurch werden die untersuchten Fälle nicht „vollkommen ,theorienfrei‘ genommen“ 26. Die Roxinsche Phänomenologie „verfährt nicht [rein] schauend“ 27, sondern theoretisiert 28 auf der Grundlage der festen Überzeugung, dass zwischen „eigenverantwortlicher Selbstgefähr-

ten) gleichwertiges Verhalten von Täter und Opfer annimmt, Hellmann, in: FS für Roxin 2001, 271 (273, 284); ähnlich wie Hellmann Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). 16 Vgl. Puppe, GA 2009, 486 (493). 17 s. auch Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 34. 18 Husserl, Die Idee der Phänomenologie, S. 44 f.; ders., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, S. 56 ff., 59 f. 19 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, S. 56 ff., 121 f.; ders., Die Idee der Phänomenologie, 1986, S. 29, 44 ff. s. auch Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, 1987, S. 29 ff. 20 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 1980, S. 56 ff. 21 Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, S. 29. 22 Husserl, Die Idee der Phänomenologie, S. 45. 23 Ebd., S. 58. 24 Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, S. 29. 25 Zur Ausklammerung jeder theoretischen Vorannahme bei Husserls Phänomenologie s. ebd., S. 29 ff. 26 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und Phänomenologischen Philosophie, S. 57. 27 Husserl, Die Idee der Phänomenologie, S. 58. 28 Die Phänomenologie „theorisiert und mathematisiert nicht“, ebd.

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

dung“ und „einverständlicher Fremdgefährdung“ zu unterscheiden ist. Wegen dieses Überzeugunghintergrunds (Ziel der Abgrenzung der zwei Fallgruppen) wird die Anschauung der betreffenden Fälle voreingenommen. Die „Vormeinung“ Roxins, die zwei von ihm vorgeschlagenen Figuren als selbstständige Fallgruppen zu behandeln, bestimmt das Kriterium ihrer Abgrenzung, welches wiederum die Vorannahme von zwei selbstständigen Gruppen bestätigt. Der Versuch, implizite Vorwertungen bei der Abgrenzung der zwei in Frage stehenden Figuren durch Phänomenologie und beschreibene Annäherung zu vermeiden, wird erfolglos bleiben, solange die Maxime der phänomenologischen Reduktion nicht konsequent umgesetzt wird, d.h. solange das Ausklammern der zwei fraglichen Konzepte unterbleibt. Solange das dogmatische Denken von diesen zwei Konzepten ausgeht, wird man man immer in Herrschaftserwägungen geraten und gegen den Grundsatz der Einheitstäterschaft im Fahrlässigkeitsdelikt verstoßen.29 Denn aus dem Trennungskriterium entstehen die getrennten Figuren und letztere führen denklogisch zum selben Trennungskriterium zurück. Diese Zirkelbewegung blockiert aber leider den Versuch einer neu und unvoreingenommen einsetzenden Beschreibung des Problems der Mitwirkung des Opfers bei seiner eigenen Gefährdung. Nur durch eine Befreiung von den Konstrukten „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ und „einverständliche Fremdgefährdung“ kann der Einfluss des Verhaltens des Verletzten auf die Strafbarkeit von Fahrlässigkeitstätern sachgerecht und angemessen erfasst werden.30 Die Forderung nach Abkehr von der Annahme zweier selbstständiger Figuren darf allerdings nicht als materielle Gleichstellungsforderung der beiden Fallgruppen missverstanden werden. Durch die Gleichstellung werden die Herrschaftserwägungen im Fahrlässigkeitsdelikt nicht umgangen. Dies wird im Folgenden am Beispiel des Gleichstellungskonzepts von Timpe gezeigt.31 Der Skeptizismus gegen die von Roxin vorgeschlagene Unterscheidung betrifft vor allem die „relative Willkürlichkeit der phänomenologischen Konstellatio-

29

Vgl. Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (59). Die Verhaftung der dogmatischen Diskussion in Herrschaftsverteilungen führt auch zur Verdunkelung des Begriffs der Eigenverantwortlichkeit, siehe z. B. Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (285), der die Eigenverantwortlichkeit zum Teil anhand von Herrschaftsverteilungen über das äußere Geschehen definiert. Die Eigenverantwortlichkeit erfordert aber eine Kontrolle der inneren Welt der Akteure und kann nicht von äußeren Umständen abhängen, wie z. B. – so das Beispiel von Hellmann – davon, ob der Fährmann die von den Naturgewalten ausgehenden Gefahren beherrscht. 31 Die materielle Gleichstellung der zwei Figuren vertreten auch Radtke, in: FS für Puppe, S. 831 (842, 847); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (375); auch Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, S. 159 f.; Otto, in: FS für Lampe, S. 491 (510); ders., in: FS für Tröndle, S. 157 (170 f., 175); vgl. Meyer, M.-K., Ausschluß der Autonomie durch Irrtum, S. 139 ff., 148; zur Gleichstellung tendiert auch Hörnle, GA 2009, 626 (634 Fn. 42). 30

B. Die Herrschaft des Tatherrschaftskriteriums

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nen“.32 Deshalb schlägt z. B. Timpe die Abkehr vom Tatherrschaftskriterium vor und sieht in der einverständlichen Fremdgefährdung einen „Sonderfall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“.33 Die einverständliche Fremdgefährdung sei „nur die arbeitsteilig realisierte Variante einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“.34 Das Abstellen auf die Eigenhändigkeit des Tatherrschaftskriteriums sei verfehlt, da die Eigenhändigkeit genauso wenig eine Fremdverwaltung ausschließe, wie die Fremdhändigkeit eine Selbstverwaltung.35 Dieser Argumentation ist insoweit zuzustimmen, als sie auf die zufällige Zurechnungsverteilung hinweist, die das Modell Roxins begünstigt (die Tat sei das Werk der eigenhändig handelnden Beteiligten). Es ist ihr allerdings vorzuwerfen, dass auch sie Herrschaftserwägungen verhaftet bleibt, sofern die einverständliche Fremdgefährdung als ein Sonderfall der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ erhalten bleibt. Die fortbestehende Fesselung an Herrschaftserwägungen ist in Timpes zentraler Aussage zu bemerken: „Die einverständliche Fremdgefährdung ist also nur die arbeitsteilig realisierte Variante einer eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung, also eine gemeinsame Tat von Gefährdetem und Gefährdendem, und damit ein Sonderfall der eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung.“ 36 Was Timpe hier eigentlich vorschlägt, ist, die einverständliche Fremdgefährdung als eine in Mittäterschaft (arbeitsteilig, gemeinsam) begangene eigenverantwortliche Selbstgefährdung wahrzunehmen, die gleich mit den übrigen Fällen von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung zu behandeln ist. Diese Lösung befriedigt nicht. Denn die Zurechnungsfigur der Mittäterschaft wird auf das Fahrlässigkeitsdelikt übertragen, wo nur Nebentäterschaft möglich ist.37 Zudem impliziert die These von Timpe, die als gemeinsame Tatausführung verstandene einverständliche Fremdgefährdung sei ein Sonderfall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, dass bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, die nicht „gemeinsam“ 38 begangen wird, zwischen Täterschaft und Teilnahme zu unterscheiden sei. Damit entpuppt sich das Modell Timpes als Tatherrschaftsmodell, obwohl er das Tatherrschaftskriterium ausdrücklich ablehnt.39 Die Unterschiede zwischen dem „klassischen“ Tatherrschaftskriterium und Timpes 32 Frisch, Tatbestandmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, S. 117. Krit. dazu auch Timpe, ZJS 2009, 170 (174). Die zufällige Zurechnungsverteilung bemerken auch Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (170 f.); Puppe, GA 2009, 486 (493); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (375). 33 Timpe, ZJS 2009, 170 (175). 34 Ebd. 35 Timpe, JR 2014, 52 (59 ff.). 36 Timpe, ZJS 2009, 170 (175). 37 Grundlegende Kritik zur Konstruktion der „fahrlässigen Täterschaft“ Rotsch, in: FS für Puppe, S. 887 (905 ff.). 38 Timpe, ZJS 2009, 170 (175). 39 s. Timpe, JR 2014, 56 (59).

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

Tatherrschaftskriterium sind folgende: Erstens, die Fallgruppen werden anhand der Mittäterschaft und der Täterschaft abgegrenzt, während das „klassische“ Abgrenzungsmodell auf der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme beruht. Zweitens, der gefährdende Mittäter wird als Teilnehmer behandelt, weil die spätere Gefährdungsfolge dem gefährdeten Mittäter zugerechnet wird. Das Opfer bleibt immer Täter (Mit- oder Alleintäter), was den Gefährdenden immer entlastet.40 Drittens führt Timpe eine neue Klassifikation der Fallgruppen ein, sie sind nicht mehr als gleichrangige Fallgruppen wahrzunehmen, sondern sie stehen in einem Unterordnungsverhältnis zueinander. Einzuräumen ist aber, dass es sich dabei um eine kreative Umgestaltung des Tatherrschaftskriteriums handelt, die allerdings etwas aussagekräftiger wäre, wenn sie auf der Grundlage eines umfassenden Begründungskonzepts über die Fahrlässigkeit in Mittäterschaft entwickelt worden wäre. Aber auch unter dieser Voraussetzung bliebe das Modell den Herrschaftserwägungen verhaftet und verstieße gegen den Grundsatz der Einheitstäterschaft, da es die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme voraussetzt. So führt die materielle Gleichstellung der zwei Figuren nicht zur Vermeidung von Herrschaftserwägungen. Dies wird erst durch eine Absage an die zwei Figuren möglich, d.h. durch die Nichtunterscheidung zwischen „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ und „einverständlicher Fremdgefährdung“. Die Nichtunterscheidung hat schon einige Anhänger in der Literatur gefunden.41 Unsere Einwände gegen deren Ansätze betreffen die rechtliche Behandlung der gemeinsamen Gruppe der „Selbstgefährdungsfälle“, die einerseits auf eine mangelnde oder wenig differenzierte phänomenologische Betrachtung der unterschiedlichen Konstellationen und andererseits auf einen falsch verstandenen und dogmatisch verorteten Eigenverantwortlichkeitsbegriff zurückzuführen ist. Diese Einwände werden im weiteren Verlauf der Abhandlung begründet. Die Grundeinstellung dieser Autoren gegen die verkrusteten Denkfiguren der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und „einverständlichen Fremdgefährdung“ ist aber zu begrüßen. Erst die konsequente Auflösung des dualen Strukturierungsmusters in allen „Selbstgefährdungsfällen“ ermöglicht neue dogmatische Wege aus der Sackgasse des Herrschaftskriteriums. In diesem Zusammenhang ist auch eine komparative Betrachtung der Ansätze von Timpe und Cancio Meliá aufschlussreich.42 Obwohl die zwei Konzepte nahe 40 Anders Helgerth, der den „Mittäter“-Infizierten des infektiösen Geschlechtsverkehrs, genau weil er Mittäter sei, als Täter einer einverständlichen Fremdgefährdung behandelt, Helgerth, NStZ 1988, 261 (262). 41 Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (170 ff., 174 f.); Frisch, W., Tatbestandmäßiges Verhalten und Zurechnung, S. 87, 115 ff.; Cancio Melia, ZStW 111 (1999), 357 (369); Puppe, GA 2009, 486 (490). 42 Timpe, ZJS 2009, 170 (174 ff.); ders., JR 2014, 56 (59 ff.); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369 ff.).

C. Die Familie „Mitwirkungsfälle‘‘

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verwandt sind, weisen sie einen entscheidenden Unterschied auf, der dazu führt, dass Timpes Ansatz im Herrschaftsmodell verbleibt, während Cancio Meliá die Tatherrschaftserwägungen vermeidet. Der Unterschied besteht darin, dass in dem einen Konzept die Fallgruppen von der Argumentation ausgeklammert werden, in dem anderen aber nicht. Bei beiden Konzepten kommt der Konstellation der „gemeinsamen Organisation“ eine zentrale Bedeutung zu. Während aber Cancio Meliá die „gemeinsame Organisation“ als Kernzeichen aller Selbstgefährdungsfälle sieht ohne eine Unterscheidung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung zu machen,43 spricht Timpe von einem gemeinsamen Organisationsakt nur in Bezug auf die einverständliche Fremdgefährdung, die dadurch zu einem „Sonderfall“ der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung wird.44 Die von Timpe vorgeschlagenen taxonomischen Verhältnisse zwischen den zwei Figuren stellen eine neue Abgrenzungsform dar, die das Schicksal mit allen anderen Abgrenzungsversuchen teilt, nämlich die Verhaftung mit dem Tatherrschaftskriterium. Die Befreiung davon gelingt dagegen Cancio Meliá, trotz seiner Begriffswahl („gemeinsame Organisation“), die an Mittäterschaft erinnert, weil er keinen Abgrenzungsversuch unternimmt. Die „gemeinsame Organisation“, wie er ausdrücklich erklärt, darf nicht als Mittäterschaft verstanden werden, sondern als faktische Mitwirkung von Täter und Opfer,45 die nach seinem Modell bei allen Selbstgefährdungsfällen vorkommt. Der vergleichende Blick auf diese zwei Ansätze liefert uns ein zusätzliches Indiz dafür, dass man stets ungewollt Herrschaftsverteilungen vornimmt, die im Fahrlässigkeitsbereich unzulässig sind, solange man von der Existenz der zwei Figuren der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ ausgeht.

C. Die Familie „Mitwirkungsfälle“ Im Folgenden werde ich versuchen, neue Wege zu beschreiten, um eine richtige dogmatische Behandlung jener Gefährdungsfälle zu ermöglichen, die durch die Mitwirkung des Opfers gekennzeichnet sind. Die erste Grundbedingung dafür ist die Bestimmung eines neuen Ausgangspunkts, der sich vom Zwang der Unterscheidung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung gelöst hat. Damit verbinde ich die Hoffnung einer Entkomplizierung und Aufhellung der Diskussion um die Rolle des Opfers bei seiner eigenen Gefährdung.

43 44 45

Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (379). Timpe, ZJS 2009, 170 (175). Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (379).

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

I. Ausgangspunkt: Husserls phänomenologische Methode Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung ist eine streng beschreibende Betrachtung der Fälle, in denen eine Mitwirkung des Opfers bei der späteren Verletzung zu beobachten ist. In der Beobachtung soll versucht werden, der methodologischen Hauptforderung Husserls zu entsprechen und – möglichst – jegliche theoretische Vormeinung auszuschalten.46 Das verabschiedet die verfestigte und verselbständigte duale Struktur („eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ oder „einverständliche Fremdgefährdung“) zugunsten einer – wie es Husserl nannte – „rein schauend[en]“ 47 Vorgehensweise: „Die Phänomenologie verfährt schauend, aufklärend, Sinn bestimmend und Sinn unterscheidend. Sie vergleicht, sie unterscheidet, sie verknüpft, setzt in Beziehung, trennt in Teile, oder scheidet ab Momente.“ 48 Husserl meint, dass dieses bewusst unvoreingenommene Verfahren, dessen Voraussetzung die „phänomenologische Reduktion“ (die Ausschaltung der Überlieferungen)49 ist, ein neues Feld der Erkenntnisse freizulegen imstande ist.50 Wir werden sehen, inwieweit dieser Optimismus im Zusammenhang der hier verfolgten Fragestellungen eingelöst werden kann.

II. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten Die Fälle, in denen das Opfer bei seiner eigenen Gefährdung mitwirkt – im Folgenden aus Gründen der Sprachökonomie als „Mitwirkungsfälle“ bezeichnet – decken ein breites Spektrum von Lebenssituationen ab. Sie reichen von der Überquerung eines Sees bei brüchigem Eis nach Rat eines Dritten51 über das Injizieren von Heroinspritzen52 bis hin zu sadomasochistischen Sexualpraktiken53. Exemplarisch sind auch die folgenden wichtigen Rechtsprechungsfälle: Der bekannte Memel-Fall,54 der Aids-Fall,55 der Autorennen-Fall,56 der WetttrinkenFall,57 der Autosurfen-Fall,58 der Stechapfeltee-Fall,59 der Betrunkenheits-Fall60 46

Vgl. hierzu Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, S. 29. Husserl, Die Idee der Phänomenologie, S. 30, 44. 48 Ebd., S. 58. 49 Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, S. 32. 50 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, S. 120. 51 Beispiel von Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11, Rn. 107; s. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 393. 52 BGHSt 32, 262. 53 BGHSt 49, 166. 54 RGSt 57, 172. 55 BayObLG JR 1990, 473; NJW 1990, 131. 56 BGHSt 53, 55. 57 Die Bezeichnung „Wetttrinken-Fall“ wird hier umfassender als üblicherweise in der Fachliteratur verwendet. Sie erfasst nicht nur den Sachverhalt des Urteils des LG 47

C. Die Familie „Mitwirkungsfälle‘‘

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und der Kleintransporter-Fall61. Alle diese Fälle sind regelmäßig wiederkehrende Untersuchungsobjekte der strafrechtlichen Diskussion, die sie mit den hier abgelehnten Begriffen der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und der „einverständlichen Fremdgefährdung“ erörtert. Um Vorwertungen zu vermeiden, werden alle diese Fälle lediglich „Mitwirkungsfälle“ genannt. Freilich drängt sich nun jene Frage auf, die durch Ludwig Wittgenstein berühmt geworden ist, nämlich die Frage, was allen diesen Vorgängen gemeinsam ist. Um die bekannte Passage aus den „Philosophischen Untersuchungen“ zu variieren „Du machst dir’s leicht! Du redest von allen möglichen Mitwirkungsfällen, hast aber nirgends gesagt, was denn das Wesentliche der Mitwirkungsfälle ist“ 62. 1. Wittgensteins Familienähnlichkeiten In Bezug auf die von ihm als solche bezeichneten „Sprachspiele“ (regelgeleitete sprachliche Praktiken) trifft Wittgenstein seine vieldiskutierte Feststellung, dass sie nichts Gemeinsames haben, sie seien lediglich auf verschiedene Weisen miteinander verwandt.63 Diese Verwandtschaften verdeutlicht er am Beispiel von Spielen. Ich zitiere die – schon vielfach zitierte – Passage noch einmal in ganzer Länge, weil sie unübertroffen beschreibt, welche methodischen Anforderungen Verallgemeinerung und Klassifikation auf bestimmten Feldern zu gewärtigen haben: „Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir „Spiele“ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: „Es muss ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ,Spiele‘ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! – Schau z. B. die Brettspiele an, mit ihren

Berlin vom 03. Juli 2009 (LG Berlin, Urteil vom 03.07.2009 – (522) 1 Kap Js &03/07 Ks (1/08)), sondern auch Konstellationen, bei denen ein Wetttrinken nicht auf der Grundlage einer Täuschung stattfindet. Zum Urteil des LG Berlin vom 03. Juli 2009 siehe Krawczyk/Neugebauer, JA 2011, 264 (267 f.); Lange/Wagner, NStZ 2011, 67 ff. 58 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 325. 59 BGH NStZ 1985, 25. 60 BayObLG JR 1963, 27. 61 OLG Zweibrücken JR 1994, 518 mit Anmerkung von Dölling. 62 Im Original: „Hier stoßen wir auf die große Frage, die hinter allen diesen Betrachtungen steht. – Denn man könnte mir einwenden: „Du machst dir’s leicht! Du redest von allen möglichen Sprachspielen, hast aber nirgends gesagt, was denn das Wesentliche des Sprachspiels, und also der Sprache, ist. Was allen diesen Vorgängen gemeinsam ist, und sie zur Sprache, oder zu Teilen der Sprache macht [. . .]“, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 65. 63 Ebd.

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. – Sind sie alle unterhaltend? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden? [. . .] Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel [. . .] Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen, Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen.“ 64 Nach diesem schauenden Verfahren kommt Wittgenstein zum Ergebnis, dass hinsichtlich der Spiele „ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“, festzustellen ist.65 Diese Ähnlichkeiten nennt er „Familienähnlichkeiten“.66 Die Spiele z. B. bilden nach Wittgenstein eine Familie.67 2. Die Familienähnlichkeiten der Mitwirkungsfälle Die „schauende“ Vorgehensweise Wittgensteins – die der hier vorgeschlagenen „phänomenologischen“ Methode entspricht –, insbesondere die Beobachtung von „Familienähnlichkeiten“, ist für die Aufhellung der hier zu erörternden Mitwirkungsfälle aufschlussreich. Wenn man die verschiedenen Mitwirkungskonstellationen betrachtet und sie unter strenger phänomenologischer Reduktion vergleicht, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass auch bei den (oben exemplarisch erwähnten) Mitwirkungsfällen, wie bei Wittgensteins beispielhaft erwähnten Spielen, ein Netz von Ähnlichkeiten zu sehen ist, die „einander übergreifen und kreuzen“. Dieses Netz weist nicht die Komplexität des Netzes der Spiele auf, aber auch hier ist es so, dass Wittgensteins weitere Beschreibung trifft, wonach der „Faden“ nicht deswegen hält, weil eine Faser durch seine ganze Länge läuft.68 Hier könnte man erwidern, dass doch allen diesen Konstellationen etwas gemeinsam ist, nämlich das eigenverantwortliche Handeln des Opfers. Dem wäre aber Folgendes entgegenzuhalten: Ein eigenverantwortliches Handeln als vorgegeben anzunehmen, wäre eine Annullierung der Reduktion und eine unzulässige petitio principii. Denn gerade dies, das Vorliegen eigenverantwortlichen Handelns in diesen Konstellationen, wollen wir unter anderem überprüfen. Es ist auch nicht zwingend,

64

Ebd., Nr. 66 (nicht alle Hervorhebungen wiedergegeben). Ebd. 66 Ebd., Nr. 67. 67 Ebd. 68 „Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, dass irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, dass viele Fasern einander übergreifen“, ebd. 65

C. Die Familie „Mitwirkungsfälle‘‘

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dass die Mitwirkungsfälle auf eigenverantwortliches Handeln des Opfers zurückzuführen sind. Zur Klärung, inwieweit das eigenverantwortliche Handeln des Opfers die Mitwirkungsfälle kennzeichnet, werden sowohl die Ergebnisse der beschreibenden Betrachtung der in Frage stehenden Phänomene als auch die noch zu leistende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Selbstbestimmung beitragen. Vorstellbar wäre auch der Einwand, dass die faktische Mitwirkung des späteren Opfers allen zu den Mitwirkungsfällen gehörenden Konstellationen gemeinsam ist. Dies besagt allerdings noch nichts über den gemeinsamen Charakter aller Mitwirkungsfälle. Auch bei der Familie der Spiele besteht die Gemeinsamkeit darin, dass bei allen Spielen gespielt wird. Wittgenstein sucht aber nicht nach einer tautologischen Definition des Spieles, diese wäre einfach zu formulieren: Spiel ist das, was gespielt wird. Ähnlich könnte man sagen, Mitwirkungsfall ist der Fall, in dem mitgewirkt wird. Eine solche Definition ist möglich, sie stellt aber lediglich eine Tautologie dar, die nichts zur Aufklärung des Untersuchungsgegenstands beiträgt. Die entscheidende Frage betrifft die Eigenschaften des gemeinsamen Moments, also die Eigenschaften des Spielens oder die Eigenschaften des Mitwirkens. Wie wird es gespielt, wie wird die Mitwirkung ausgestaltet? Gibt es unter diesen Eigenschaften des Gemeinsamen eine Eigenschaft, die durchlaufend ist? In diesem Sinne ist die Frage Wittgensteins zu verstehen und zu stellen. Betrachtet man die Fälle, die hier als Mitwirkungsfälle bezeichnet werden, dann sieht man, dass sie teilweise Gemeinsamkeiten haben und teilweise Unterschiede aufweisen. Betrachtet man den Sadomasochismus-Fall und den Autorennen-Fall, die nach h. M. beide zu der hier abgelehnten Gruppe der „einverständlichen Fremdgefährdung“ gehören, fällt auf: In beiden Fällen geht die Gefahr allein von den Dritten aus, da die unmittelbar zur tatbestandsmäßigen Gefährdung führende Handlung von ihnen stammt. Neben dieser Gemeinsamkeit besteht aber ein großer Unterschied. Während in dem Fall der sadomasochistischen Praktiken der Gefährdende sich selbst nicht der Gefahr aussetzt, kann der Gefährdende des Autorennen-Falles selbst das Opfer seines riskanten Verhaltens sein. Er nimmt genau in demselben Maß an der Gefahr teil und überlebt den Unfall nur zufällig. Die Mitwirkung des Opfers in seine eigene Gefährdung hängt hier mit der Selbstgefährdung des Täters zusammen. Vergleicht man nun den Sadomasochismus-Fall mit dem Heroinspritzen-Fall, bemerkt man erneut eine Gemeinsamkeit, obwohl die zwei Fälle nach h. M. unterschiedlich bewertet werden. Die Gemeinsamkeit ist die Nichtteilnahme an der Gefahr seitens des Gefährdenden. Dasselbe Konstellationsmerkmal (Nichtteilnahme an der Gefahr) bleibt in dem Aids-Fall und in dem Auto-Surfer-Fall erhalten und verschwindet wieder bei dem Memel-Fall und dem Betrunkenheitsfahrt-Fall. Das Merkmal der unmittelbar zur tatbestandsmäßigen Gefährdung führenden Handlung des Gefährdenden bleibt in dem Memel-Fall, dem Autorennen-Fall, dem Sa-

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

domasochismus-Fall und dem Betrunkenheitsfahrt-Fall erhalten, ist aber in den übrigen Fällen nicht mehr existent.69 Man denke auch an das Merkmal der Unterhaltung. „Sind sie [hier: die Gefährdungshandlungen] unterhaltend?“ 70 Ein Vergleich des Memel-Falls mit dem Autorennen-Fall, oder des Drogen-Falles mit dem Auto-Surfer-Fall zeigt, dass Fälle, die unter dem Aspekt der Teilnahme an der Gefahr zusammengehören, unter dem Aspekt des motivationalen Hintergrunds auseinandergehen. Betrachtet man weiter den triebhaften Charakter der Geschehnisse, stellt man fest, dass der Sadomasochismus-Fall und der MemelFall doch unterschiedlich sind.

III. Der Abgrenzungspluralismus einer Familie Aus der Betrachtung der Mitwirkungsfälle ergibt sich, dass von Fall zu Fall einige Merkmale übereinstimmen, aber keines von diesen Merkmalen „durchlaufend“ ist.71 Einzelne Eigenarten übergreifen und kreuzen sich, aber keine ist allen Fällen gemeinsam.72 Man kann hier nur von Verwandtschaften sprechen. Die Fälle weisen nur Ähnlichkeiten auf, wie sie zwischen den Mitgliedern einer Familie bestehen, z. B. Wuchs, Augenfarbe, Temperament usw.73 Dadurch bestehen stets diverse Möglichkeiten, die zu unterschiedlichen Taxonomien und Gruppierungen führen können. Eine Fokussierung nur auf das Merkmal der unmittelbar zur Gefährdung führenden Handlung des Gefährdenden ist einseitig und nicht gerechtfertigt. Alle übereinstimmenden und sich kreuzenden Merkmale sind gleichberechtigt, die Rolle eines Trennungskriteriums zu übernehmen. Z. B.

69 Anders Roxin, GA 2012, 655 (656, 660). Seiner Meinung nach führt sowohl im Aids-Fall als auch im Auto-Surfer-Fall der Dritte die unmittelbar zur Gefährdung führende Handlung durch, deshalb behandelt er beide Fälle als einverständliche Fremdgefährdungen. Die Verortung des letzten Aktes bei der Person des Dritten ist allerdings nicht zweifelsfrei, s. hierzu Otto, in: FS für Tröndle, S. 157 (166); Hammer, JuS 1998, 785 (788 f.); Prittwitz, NJW 1988, 2942 (2943); Hellmann, in: FS für Roxin, S. 271 (284). 70 Nach der Frage „Sind sie alle unterhaltend?“, die Wittgenstein in Bezug auf die Spiele stellt, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 66. 71 So generell zur „Familienähnlichkeit“ Gabriel, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, S. 473. 72 Siebel, in: Grundbegriffe der analytischen Philosophie, S. 79; Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 65 ff. Insofern zutreffend merken Krawczyk und Neugebauer an, dass kein Selbstgefährdungsfall dem anderen gleicht, Krawczyk/Neugebauer, JA 2011, 264 (268). Sie machen darauf aufmerksam, dass auf die Besonderheiten jeder Konstellation genau geachtet werden muss, ebd. Daher betonen sie, dass eine „schematische Anwendung von Obersätzen“ unzulässig ist, ebd. Die Ablehnung von Obersätzen ist insofern richtig, als eine fixe Abgrenzung zwischen Fallgruppen keine adäquate Lösungsformel zu bieten vermag. Trotzdem verlangt auch ein flexibler Umgang mit den Mitwirkungsfällen die Formulierung einiger Leitsätze, die als Kompass für die sorgfältige Lösung des jeweiligen Falls dienen können. 73 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 67.

C. Die Familie „Mitwirkungsfälle‘‘

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wäre eine Aufteilung der Fälle in solche, in denen der Gefährdende sich im selben Maß wie das Opfer einer Gefahr aussetzt, und in solche, in denen der Gefährdende sich nicht oder nicht im selben Maß wie das Opfer gefährdet, ebenfalls eine vertretbare Trennungsmöglichkeit. Diese Lösung hat gegenüber dem Kriterium des letzten Aktes sogar den Vorteil, dass sie mit dem Grundsatz des Einheitstäters im Fahrlässigkeitsbereich nicht kollidiert. Zwar eignet sich das Merkmal der „Mitselbstgefährdung“ oder der „Gefahrengemeinschaft zwischen Gefährdenden und Gefährdeten“, das in einigen Fällen auftaucht und in anderen verschwindet, als neues Abgrenzungskriterium, es ist aber nicht gegenüber den anderen sichkreuzenden Merkmalen zu bevorzugen. Genauso möglich wäre eine Abgrenzung anhand der triebhaften Kräfte, die den motivationalen Hintergrund einiger Gefährdungskonstellationen entscheidend bestimmen, die wiederum bei anderen fehlen oder keine erstrangige Rolle spielen. Ebenso denkbar wäre eine Abgrenzung zwischen Mitwirkungsfällen, die im Rahmen eines spielerischen Umgangs mit anderen Anwesenden stattfinden (z. B. innerhalb einer Gruppe) und Mitwirkungsfällen, bei denen dieses Merkmal nicht vorhanden ist. Das Favorisieren eines dieser Merkmale als maßgebliches Abgrenzungskriterium wäre allerdings unbegründet. Die Schwäche des Einteilens der Mitwirkungsfälle in feste Gruppen anhand eines der hier festgestellten Merkmale wird deutlich, wenn man an die möglichen rechtlichen Konsequenzen denkt. Der Sinn einer Aufteilung in Gruppen ist die Bestimmung einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung der Fälle, je nachdem zu welcher Gruppe sie gehören. Wenn man z. B. auf die Gefahrengemeinschaft zwischen Gefährdendem und Opfer abstellt, wäre von zwei Gruppen auszugehen, für die unterschiedliche rechtliche Konsequenzen zu erwarten sind. So könnte dies bedeuten, dass für die Fallgruppe, bei der der Dritte sich mitgefährdet, eine Straffreiheit anzunehmen sei, während für die Fallgruppe, bei der der Dritte nicht gefährdet ist, eine Straffreiheit nicht in Betracht käme. Dieses Ergebnis stellte allerding eine sehr starre Lösung dar. Die Mitwirkungsfälle stehen in einer Verwandtschaftsbeziehung zueinander, da sich die Gemeinsamkeiten kreuzen. Dies bedeutet, dass das Abstellen auf ein anderes Merkmal, z. B. auf das Merkmal des triebhaften motivationalen Hintergrunds, womöglich zu umgekehrten Ergebnissen führen würde. In Abhängigkeit davon, welches teilweise gemeinsame Merkmal gerade zum maßgeblichen Trennungskriterium befördert wird, werden wegen der Durchkreuzung von Ähnlichkeiten immer wieder andere Fälle rechtlich begünstigt.

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Teil 3: Abkehr von Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung

IV. Ergebnis: Fixe Gruppeneinteilungen eignen sich nicht für Familienmitglieder Eine starre Klassifizierung von Mitwirkungsfällen ist mit ihrer familienähnlichen Natur nicht vereinbar.74 Dies wird bei jedem Abgrenzungsversuch zwischen „eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ und „einverständlicher Fremdgefährdung“ offensichtlich verkannt. Die Mitwirkungskonstellationen haben „verschwommene Ränder“ 75, so dass eine Abgrenzung, die zu fixen Figuren mit unterschiedlichen Rechtsfolgen führt, nicht geeignet ist, um gerechte Lösungen zu ermöglichen. Scharfe Grenzen sind zwischen verwandten Fällen nicht zu ziehen, feste Gruppeneinteilungen eignen sich nicht für Familienmitglieder. Vielmehr sollte auf Trennungsversuche verzichtet werden. Wir sollten nur festhalten, dass von Mitwirkungsfall zu Mitwirkungsfall folgende Merkmale auftauchen können: a) der letzte Akt wird vom Dritten aufgeführt, b) die Gefahrengemeinschaft von Gefährdetem und Drittem, c) die triebhafte Motivationslage, d) die spielerische Interaktion zwischen den Beteiligten. Neben diesen Merkmalen ist darüber hinaus der Tatsache Aufmerksamkeit zu schenken, dass von Fall zu Fall variiert, wer von den Beteiligten der Initiator des riskanten Verhaltens ist. Dieses Konstellationsmerkmal kann keinem der hier exemplarisch dargestellten Mitwirkungsfälle fest zugeschrieben werden, z. B. kann in einem Aids-Fall die Initiative für ungeschützten Geschlechtsverkehr vom Dritten ergriffen werden, in einem anderen Aids-Fall kann das Opfer der entscheidende Initiator sein. Zwar kann man dieses Merkmal nicht von vornherein mit einem konkreten Mitwirkungsfall in Verbindung bringen, es ist jedoch als wesentliches Charakteristikum einiger Konstellationen im Auge zu behalten.76 74

Wittgenstein zeigt durch die Familienähnlichkeiten, dass die Begriffe elastisch und biegsam sein dürfen, Wittgenstein, Letzte Schrifte über die Philosophie der Psychologie. Das Innere und das Äußere, S. 39; dazu Goeres, Die Entwicklung der Philosophie Ludwig Wittgensteins unter Berücksichtigung seiner Logikkonzeptionen, S. 237. Es gibt Randzonen, wo eine klare Zuordnung zu dem Begriff nicht möglich ist, so Goeres, Die Entwicklung der Philosophie Ludwig Wittgensteins unter Berücksichtigung seiner Logikkonzeptionen, S. 236; s. auch Gabriel, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, S. 473; Siebel, in: Grundbegriffe der analytischen Philosophie, S. 79. Die geforderte Zuordnungsflexibilität bei den Mitwirkungsfällen entspricht der Wittgenstein’schen These von elastischen Begriffen. 75 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 71; s. auch Goeres bei der Darstellung von Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeiten, Goeres, Die Entwicklung der Philosophie Ludwig Wittgensteins unter Berücksichtigung seiner Logikkonzeptionen, S. 236. 76 Roxin hat schon auf die Wichtigkeit dieses Merkmals hingewiesen, siehe Roxin, GA 2012, 655 (669). Er spricht ihm eine Gleichstellungsfunktion zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung zu. Zwar vermag diese Verfahrensweise nicht zu überzeugen, weil sie auf die prinzipielle Differenzierung der zwei Fallgruppen abstellt, sie enthält jedoch Richtiges. Zutreffend wird eine Verbindung dieses Merkmals mit dem eigenverantwortlichen Verhalten hergestellt, wenngleich nicht explizit.

C. Die Familie „Mitwirkungsfälle‘‘

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Von den hier beschriebenen Merkmalen ist das erste (der letzte Akt wird vom Dritten ausgeführt) allerdings nicht zu berücksichtigen. Denn seine Mitberücksichtigung würde aus den Gründen, die bereits dargestellt wurden, zur Übertragung von Herrschaftserwägungen in das Fahrlässigkeitsdelikt führen. Zudem ist dieses in einigen Fällen auftretende Merkmal in Bezug auf den Begriff der Autonomie nicht aussagekräftig. Dagegen sind die anderen Merkmale der Mitwirkungsfälle von großer Bedeutung für die Frage des autonomen, eigenverantwortlichen Handelns der Akteure. Sie können dadurch entscheidend für mehr Klarheit in der Behandlung der Mitwirkungsfälle sorgen. Auf welche Art und Weise sie dazu beitragen, wird gleich im nächsten Kapitel gezeigt, wo es um die Begriffe der Autonomie und der Eigenverantwortlichkeit bei Interaktionsfällen zwischen Opfer und Beteiligten geht.

Teil 4

Die Selbstbestimmung der Akteure unter Berücksichtigung der sozialpsychologischen Dimension der Mitwirkungsfälle A. Wechsel von der Opfer- zur Täterperspektive Die Mitwirkungsfälle werden in der Regel zu Recht mit dem Prinzip der Selbstbestimmung in Verbindung gebracht. Auffällig ist allerdings dabei, dass es stets lediglich um die Selbstbestimmung des Opfers geht. Jede Äußerung über die Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der einverständlichen Fremdgefährdung gilt gleichzeitig als eine Stellungnahme bezüglich des autonomen und verantwortlichen Opferverhaltens und seiner legitimen und sinnvollen Reichweite. Was ist aber mit dem Täter? Es wird aus guten Gründen gefragt, wie z. B. evident im Fall eines Drogenabhängigen, ob sich das Opfer überhaupt in eine Gefahr selbstbestimmt begibt. Ob aber auch der Täter am Gefährdungsgeschehen freiwillig und verantwortlich teilgenommen hat, wird kaum diskutiert. Seine Verantwortung wird lediglich als eine von der Verantwortung des Opfers abhängige Größe behandelt. Handelt das Opfer selbstbestimmt, ist er für den Erfolg nicht verantwortlich. Handelt das Opfer nicht selbstbestimmt, ist er für den Erfolg verantwortlich. Abgesehen davon, dass dieses Konzept von Verantwortungsverteilung mit unzulässigen Bewertungen hinsichtlich der Opferschutzwürdigkeit verbunden ist, basiert es auch auf einer nicht nachvollziehbaren Abkoppelung des Verantwortungsbegriffs von der Selbstbestimmung des Täters. Bei den Mitwirkungsfällen handelt sich oft um Konstellationen, bei denen der Täter in ein Netz von Kräften großer Stärke verwickelt wird, die ihn zur Tat anspornen und sein Selbstbestimmungspotenzial in Frage stellen. Es reicht, wenn man sich folgendes Szenario vorstellt: Der Jugendliche Aristaios verspottet und beleidigt den Jugendlichen Orpheus vor einer Gruppe von ebenfalls zur Verspottung bereiten Freunden mit den Worten: „Du bist feige!“ Darunter befindet sich auch Euridike, die Geliebte von Orpheus, die auch von Aristaios begehrt wird, ein weiterer Grund für die sich wiederholenden und steigernden Provokationen. Auf die Reaktion Orpheus’, dass er kein Feigling sei, provoziert ihn Aristaios weiter und fordert ihn zu einem Autorennen heraus. Orpheus lehnt dies anfänglich ab, was zu noch größerem Spott von Aristaios und der anderen Anwesenden führt. Da dazu auch der verachtende Blick Euridikes kommt, akzeptiert er schließlich das Autorennen, bei dem Aristaios tödlich verletzt wird. Die Intensi-

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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tät des Verhaltens von Aristaios hat ein solches Ausmaß, dass er Ereignisse verursacht, die eine eigene Dynamik entwickeln. Die Art und Weise der Provokation steigert die Ironie der Gruppe, die Ironie der Gruppe veranlasst Zweifel an der Männlichkeit, dieser Zweifel erzeugt Liebesdisharmonie, die wiederum Beeindruckungs- und Selbstbestätigungsbedürfnisse veranlasst. Roxin schreibt: „Wenn der Beifahrer, der es besonders eilig hat, den am Steuer Sitzenden zu einer verbotenen Geschwindigkeitsüberschreitung drängt, ist nicht einzusehen, warum der Kfz-Lenker gegenüber seinem Mitfahrer für die aus dem überhöhten Tempo resultierenden Folgen strafrechtlich sollte haften müssen.“ 1 Hier schildert Roxin eine Drucksituation als Fall der einverständlichen Fremdgefährdung, so wie sie im Hauptfall der Diskussion über die Mitverantwortung des Opfers, dem „Memel-Fall“, vorliegt. Zur Erinnerung: Ein Fährmann wollte bei stürmischem Wetter und Hochwasser zwei Reisende über die Memel setzen, die dann beim Kentern des Kahnes ertranken. Der Fährmann habe beide vor der Gefahr wiederholt gewarnt und „erst auf ihr unausgesetztes Drängen [. . .] widerwillig nachgegeben“.2 Die Art und Weise der Schilderung der zwei Fälle lässt erkennen, dass die Kernmomente beider das Drängen seitens des Opfers und das ursprüngliche Nicht-Wollen des Täters bilden. Die gewählten Beschreibungsbegriffe sind alles andere als zufällig. Es ist die wahre Natur des Interaktionsverhältnisses, nämlich die auf die Probe gestellte Selbstbestimmung des Täters, die zu dieser Wortwahl führt. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag Roxins zu erwähnen, auf die Frage abzustellen, wer den dominierenden Einfluss beim Zustandekommen des gefährlichen Verhaltens hatte, um über die Gleichstellung von einverständlicher Fremdgefährdung und eigenverantwortlicher Selbstgefährdung zu entscheiden.3 Diese nimmt Roxin an, wenn das Opfer der „alleinige und auschlaggebende Initiator“ des riskanten Verhaltens gewesen ist.4 Damit wendet er sein Interesse richtigerweise auf die Motivationslage des Täters. Er geht allerdings weder auf die sozialpsychologische Dimension des motivationalen Entscheidungshintergrunds noch auf ihre Bedeutung für den selbstbestimmenden Willen des Täters ein.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung Es ist nun eine gewisse Konkretisierung der Umstände nötig, unter denen von einer Beeinträchtigung der Autonomie des Täters die Rede sein kann. Damit erhebt sich die Frage, wann genau man bei einem Interaktionsgeschehen zwischen Täter und Opfer von einer Selbstbestimmungsrelativierung und Verantwortungs1 2 3 4

Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (253). RGSt 57, 172 (174). Roxin, GA 2012, 655 (669). Ebd.

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

minderung ausgehen kann. Welche Qualität soll das aufdringliche Verhalten des Opfers haben? Wie soll die Motivationslage des Täters gestaltet sein? Was für Antriebskräfte sollen vorliegen? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Alle hier genannten Problemstellungen laufen letztlich auf die zentrale Frage hinaus, an Hand welcher konkreten Kriterien ein Urteil über die Selbstbestimmung des Täters zu bilden ist. Auf die Suche nach einheitlichen Kriterien, die bei jeder Selbstgefährdungskonstellation immer anwendbar sind und die mit mathematischer Genauigkeit den Grad der Selbstbestimmung der handelnden Personen bestimmen können, sollte man verzichten. Es wurde schon gezeigt, dass bei den Selbstgefährdungsfällen keine durchlaufende Gemeinsamkeit feststellbar ist. Kein Selbstgefährdungsfall entspricht genau dem anderen.5 Sie stehen nur in einer Verwandtschaftsbeziehung zueinander (Familienähnlichkeit). Sogar unter Konstellationen, die unter dieselbe Selbstgefährdungsgattung fallen, d.h. von Autorennen-Fall zu Autorennen-Fall, kann es zu einer unterschiedlichen Gestaltung der Interaktion kommen. Deshalb sollten starre Selbstbestimmungsformeln vermieden werden. Nichtdestotrotz ist die Herstellung eines Kompasses zur Orientierung bei der sorgfältigen Lösung des jeweiligen Falles unabdingbar. Als Kompass, der den flexiblen Umgang mit den Mitwirkungsfällen gewährt, können nur Regelbeispiele dienen, die eine Indizwirkung entfalten. Damit wird deutlich, welche Rolle den bei der phänomenologischen Beobachtung der Mitwirkungsfälle analysierten, sich kreuzenden Merkmalen zukommt. Die Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer, die triebhafte Motivationslage des Täters, die spielerische Interaktion zwischen den Beteiligten sowie die Tatsache, dass es häufig vorkommt, dass das Opfer der Initiator des riskanten Verhaltens ist, können Indizien für eine verminderte oder sogar – in eher seltenen Fällen – fehlende Verantwortung des Täters liefern. Die Aussagekraft dieser Merkmale über die Selbstbestimmung der handelnden Personen wird deutlich, wenn man die Erkenntnisse der Sozialpsychologie und vor allem der empirischen Gruppenforschung zu Hilfe nimmt. Aus diesem Grund wird in diesem Abschnitt eine kasuistische Darstellung der sozialpsychologischen Dimension von unterschiedlichen Lebenssachverhalten vorgestellt, in denen die Übernahme eines Risikos auf das Beziehungsgeflecht zwischen Täter und Opfer zurückzuführen ist.

I. Gruppendynamik und riskantes Verhalten bei Autorennen-Wetttrinken-Fällen Die strafrechtliche Dogmatik wird bei dem Problem der Mitwirkungsfälle oder, nach üblichem dogmatischem Sprachgebrauch, bei dem Problem der Selbst5

Krawczyk/Neugebauer, JA 2011, 264 (268).

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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verantwortung des Opfers, mit den Problemen zwischenmenschlicher Interaktion und sozialer Einflüsse konfrontiert. Daher könnte sich das Einbeziehen der Forschungsergebnisse der Sozialpsychologie als „Wissenschaft von den Interaktionen zwischen Individuen“ 6, die untersucht, wie Meinungen, Gefühle, Absichten und Verhalten von Personen durch andere beeinflusst werden,7 als fruchtbares Unternehmen erweisen. Insbesondere die sog. Kleingruppenforschung kann erheblich dazu beitragen, häufig auftretende Mitwirkungskonstellationen, wie den Autorennen-Fall, den Auto-Surfer-Fall oder Trinkwettbewerbe mit tödlichen Konsequenzen, strafrechtlich sachgerecht zu behandeln.8 In der Regel handelt es sich bei diesen Fällen um die Entfaltung von riskantem Verhalten junger Leute, das durch situative, gruppendynamische Prozesse ausgelöst wird. 1. Affektivität und Konformität Die Zugehörigkeit zu Gruppen, auch wenn sie sich spontan bilden und nur vorübergehend bestehen, führt häufig zur Entstehung von situativen Normen und Zwängen.9 Gruppendynamische Antriebskräfte werden entfaltet, die Affektivität und Hemmungslosigkeit fördern.10 Es kann zu emotionalem Überschwang kommen, der zu einem riskanten, leichtsinnigen und impulsiven Verhalten zwingt.11 Man fühlt sich verpflichtet, nach dem Gruppengeist zu handeln und mitzumachen.12 Es entsteht ein Konformitäts- und Anpassungsbedürfnis,13 so dass die 6

Herkner, Lehrbuch Sozialpsychologie, S. 17. Ebd. 8 Vgl. Schumacher, NJW 1989, 1880. Insoweit wirft Kuhli zu Recht die Frage auf, welche Bedeutung die „Wettkampfdynamik“ für die Eigenverantwortung des Opfers hat, Kuhli, HRRS 2008, 385 (388). 9 Jäger, Makrokriminalität, S. 158 f.; Cabanis, StV 1982, 315, der in diesem Fall von Gruppierungen statt Gruppen spricht. Es ist an der Stelle von „Gruppe“ und „Gruppendynamik“ auch die besondere Begriffsbildung „Koinosphäre“ und „koinosphärische Dynamik“ zu finden, Schmitz, MschrKrim 1962, 1 ff.; s. auch Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 96. 10 Cabanis, StV 1982, 315 (317); Jäger, Makrokriminalität, S. 171; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 11 Jäger, Makrokriminalität, S. 171; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881); Cabanis, StV 1982, 315 (317); Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 96. Die Unkontrollierbarkeit gruppendynamischer Prozesse berücksichtigt in einem jüngeren Beschluss der erste Strafsenat des BGH, Beschluss vom 20.2.2013 – 1 StR 585/12, NStZ 2013, 342 (343 ff.). 12 Lempp, Jugendliche Mörder, S. 15, 177 ff. Lempp schildert den Fall zweier Jugendlicher, die in einer Clique kriminelle Handlungen unternahmen. Einer der beiden sagte: „[S]ie wären sich beide wohl ein wenig dumm vorgekommen, wenn sie unmittelbar vor der Tat plötzlich gesagt hätten, sie wollten nicht mehr mitmachen.“, Lempp, Jugendliche Mörder, S. 15. Vgl. auch Cabanis, StV 315 (317); Jäger, Makrokriminalität, S. 161 f. 13 Zum Anpassungsverhalten und Konformitätsbedürfnis s. Jäger, Makrokriminalität, S. 149 ff., 159; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 7

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

Anwesenden spontanen Einfällen impulsiv und unreflektiert nachgeben.14 Rollen werden rasch verteilt, was zur Verantwortungsdiffusion und fehlender Identifikation mit dem Tatgeschehen führt.15 Bei der Veranstaltung eines Autorennens oder eines Trinkwettbewerbes sind gruppendynamische Prozesse festzustellen, die zu Destruktivität und Hemmungslosigkeit führen.16 Im Schutze des Kollektivs lässt das Gefühl der sozialen Verantwortung nach.17 Die Beteiligten werden einem Rollenzwang ausgeliefert.18 So übernimmt der junge Orpheus des oben geschilderten Beispiels die Rolle, die ihm die Gruppesituation aufzwingt. Um das Bedürfnis einer Selbstwerterhöhung in der Gruppe zu befriedigen,19 gibt er dem Konformitätsdruck nach. Dass Konformität ein Begleitphänomen der Entstehung von Gruppen ist, wurde mehrfach experimentell bewiesen. Eines der berühmtesten Konformitätsexperimente der Sozialpsychologie ist das Experiment von Asch.20 Dabei mussten die Versuchspersonen in einer Gruppe von sieben bis neun Leuten eine Linie mit zwei anderen Linien vergleichen und herausfinden, welche der zwei Vergleichslinien gleich lang mit ersten Linie war.21 Alle teilnehmenden Personen außer einer hatten in einem vorherigen Treffen mit dem Versuchsleiter die Anweisung bekommen, die Vergleichsfrage falsch zu beantworten.22 Die Versuchsperson gab ihr Urteil über die Länge der Linie als letzte ab.23 Eine nicht unerhebliche Zahl der nicht instruierten Versuchspersonen schloss sich dem falschen Urteil der Mehrheit an, obwohl gut erkennbar war, dass das Urteil nicht richtig sein konnte.24 Von der Meinung der Mehrheit abzuweichen empfanden die Probanden als sehr unangenehm und peinlich.25 Das objektiv Wahrnehmbare verlor 14

Cabanis, StV 1982, 315 (317). Cabanis, StV 1982, 315 (317); Jäger, Makrokriminalität, S. 200; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1882). 16 Kuhli spricht von „Wettkampfdynamik“, er kommt allerdings zum Ergebnis, dass sie keine strafrechtlich relevante Bedeutung für die Frage der Eigenverantwortung hat, Kuhli, HRRS 2008, 385 (388). 17 Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 98. 18 Lempp, Jugendliche Mörder, S. 17; dazu auch Jäger, Makrokriminalität, S. 162. 19 Zum Bedürfnis der Gruppenmitglieder nach Selbstwerterhöhung Jäger, Makrokriminalität, S. 155. 20 Asch, Psychological Monographs, 1956, Vol. 70, No. 9; ähnliche Schilderung des Experiments wie hier bei Herkner, Lehrbuch Sozialpsychologie, S. 458 f. 21 Asch, Psychological Monographs, 1956, Vol. 70, No. 9, S. 3. 22 Ebd. 23 Ebd., S. 4. 24 Nur ein Viertel (25 %) aller Versuchspersonen gab bei allen Versuchsdurchgängen dem Konformitätsdruck nicht nach, Asch, Psychological Monographs, 1956, Vol. 70, No. 9, S. 11; s. auch die Schilderung des Gesamtergebnisses bei Herkner, Lehrbuch Sozialpsychologie, S. 459. 25 Asch, Psychological Monographs, 1956, Vol. 70, No. 9, S. 31; Herkner, Lehrbuch Sozialpsychologie, S. 459. 15

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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unter dem Bedürfnis nach Zustimmung und sozialer Anerkennung an Evidenzkraft.26 Die Meinung der Gruppe schuf hier eine „soziale Realität“, die die „physikalische Realität“ ersetzte.27 Ähnlich verdrängt die soziale Realität, die durch das Beziehungsgeflecht in einer Gruppe entsteht, die persönliche Realitäts- und Gefahreinschätzung der einzelnen Teilnehmer eines Wetttrinkens oder eines Autorennens. Die Bereitschaft zum Risiko wird größer und die Gefahrwahrnehmung verzerrt.28 Der Einfluss kann so groß sein, dass es zu persönlichkeitsfremdem Verhalten kommen kann.29 Schumacher bemerkt: „Vom Blickpunkt des einzelnen, der in einem gruppendynamisch aktiven Handlungsfeld steht und unter seinem Einfluss handelt, kommen damit gewissermaßen fremdgesetzliche, seiner Persönlichkeit primär nicht innewohnende Kräfte ins Spiel.“ 30 Ein imitatives Verhalten tritt an die Stelle des eigenen Willens, weil die soziale Realität der Gruppe die affektiv geladene Risikowilligkeit fördert. Auf die Anpassungstendenzen in situativen Zwängen und den hochaffektiven Charakter des Handelns im Kollektiv hat schon die frühe massenpsychologische Forschung, der Vorgänger der Kleingruppenforschung, aufmerksam gemacht.31 In seiner berühmten „Psychologie der Masse“ nennt Le Bon als besondere Eigenschaften der Masse Merkmale wie Triebhaftigkeit, Reizbarkeit, Überschwang der Gefühle und Unfähigkeit zum logischen Denken.32 Die Masse sei „der Spielball aller äußeren Reize, deren unaufhörlichen Wechsel sie widerspiegelt.“ 33 Zudem stellt er fest, dass die Einwirkungen des Kollektiven auf die Willensbildung des Einzelnen von unwiderstehlicher suggestiver Kraft sind.34 Das Ergebnis sei, dass der Mensch in den Zustand des Hypnotisierten versetzt wird.35 Die Person sei nicht mehr sie selbst, sie sei im Rahmen des Kollektiven nur ein „Automat“, und werde nicht mehr vom eigenen Willen gesteuert.36 Die bewusste Einzelpersönlichkeit werde ausgeschaltet, die Gefühle und Gedanken aller Einzelnen seien in

26

Herkner, Lehrbuch Sozialpsychologie, S. 458 f. Über den in diesem Experiment entstandenen „Konflikt zwischen physikalischer und sozialer Realität“ sowie die Reaktionen der Probanden darauf s. ebd. 28 Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 29 Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883); Cabanis, StV 1982, 315 (317). 30 Schumacher, NJW 1980, 1880; dazu auch Cabanis, StV 1982, 315 (317); Schmitz, MschrKrim 1962, 1 (2). 31 Jäger, Makrokriminalität, S. 137 ff., 166; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 32 Le Bon, Psychologie der Massen, S. 40. Zu Le Bons Auffassung s. auch Jäger, Makrokriminalität, S. 137. 33 Ebd., S. 41. 34 Le Bon, Psychologie der Massen, S. 37; vgl. auch Mc Douglas, The Group Mind, S. 45. 35 Ebd. 36 Ebd., S. 37 f. 27

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dieselbe Richtung orientiert.37 Nach Le Bon sinkt in dieser psychischen Lage das Verantwortungsgefühl und Hemmungen werden abgebaut,38 an deren Stelle ein Machtgefühl entsteht, das zur raschen Verwirklichung von Ideen und Plänen führt.39 Den mächtigen Einfluss eines Kollektivs auf das Wollen und Handeln des Einzelnen bestätigt auch Freud in seinem Werk „Massenpsychologie und Ich-Analyse“.40 Unter Bezug auf das Werk von McDougall „The Group Mind“ meint er, dass in einem Kollektiv ein Zwang zur Affektsteigerung, zur Aufhebung der Hemmungen und zur Anpassung an das Verhalten von anderen erkennbar sei.41 Im Rahmen eines Kollektivs drohe die Gefahr der Affektansteckung42 durch einen „automatische[n] Zwang“, der dazu führt, „es den anderen gleichzutun, im Einklang mit den vielen zu bleiben.“ 43 Freud hat versucht, diesen „automatischen Zwang“ zur Konformität anhand der Psychoanalyse zu erklären.44 So schreibt er in Bezug auf die Masse, dass sie „eine Anzahl von Individuen [ist], die ein und dasselbe Objekt [Führer] an die Stelle ihres Ichideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben.“ 45 2. Das Fuß-in-der-Tür-Phänomen Hat man dem Konformitätsdruck nachgegeben und die erwartete Rolle übernommen, ist es sehr schwierig, ja fast unwahrscheinlich, diese erste Entscheidung zu revidieren und in einer späteren Phase des Geschehens die Rolle wieder

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Ebd., S. 29 ff. s. auch Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 39 Le Bon, Psychologie der Massen, S. 35, 37; dazu auch Jäger, Makrokriminalität, S. 137. 40 Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 28; dazu Jäger, Makrokriminalität, S. 137. 41 Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 24 f., 28 f.; s. auch McDougall, The Group Mind, S. 25 ff., S. 45, der das Verhalten eines Kollektivs mit dem eines ungezogenes Kindes oder eines Unzivilisierten vergleicht: „[. . .] its behaviour is like that of an unruly child or an untutored passionate savage in a strage situation, rather than like that of its average member [. . .]“. 42 Zum Phänomen der Affektansteckung („principle of direct induction of emotion by way of the primitive sympathetic response“) im Rahmen eines Kollektivs s. McDougall, The Group Mind, S. 25 ff.; zu McDougalls Auffassung ausführlich Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 23 ff. 43 Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 24. 44 Ebd., S. 28. 45 Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 61. Ähnlich spricht Schumacher von „Über-Ich-Reexternalisierungen“ oder „Über-Ich-Abtretungen“, die vorübergehend im Rahmen eines Kollektivs vorkommen, Schumacher, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 169 (187). 38

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abzugeben.46 Vielmehr entsteht ein Rollenzwang, der zum Weitermachen verpflichtet.47 Die Person steigert sich in die Rolle hinein und lässt sich von ihrer Dynamik mitreißen.48 Auf die Wichtigkeit des Rollenzwangs für die weitere Entwicklung des Geschehens macht Lempp aufmerksam. Er weist darauf hin, dass Jugendliche im Rahmen einer Gruppe sich „über die möglichen Folgen und das Risiko [der vorgenommenen Handlung] keine Gedanken machen“ und dass sie „von der Rolle, in die sie sich begeben, gefangen genommen werden“.49 Die gruppendynamischen Kräfte setzen dadurch „eine Art selbständige Mechanik in Gang, die dann automatisch, eigengesetzlich und weit über das Ziel hinausschießend“, abläuft.50 Das sich Einlassen auf einen Wettkampf stellt den Beginn einer schiefen Ebene dar.51 Mit dem Start des Autorennens wird dann eine Kette von verhängnisvollen Ereignissen ausgelöst.52 Die Bindekraft der Rollenübernahme verkennen die Autoren, die davon ausgehen, dass z. B. während eines Wetttrinkens zur Fortführung des riskanten Wettkampfs kein Druck ausgeübt wird.53 Sie übersehen dabei jene sozialpsychologischen Besonderheiten des Geschehens, die die motivationalen Strukturen des Täters erheblich bestimmen und erklären. Diese sozialpsychologische Dimension eines riskanten Verhaltens kommt auch bei Roxin zu kurz, wenn er bei dem Autorennen-Fall54 zwischen „Beschleunigung“ und „Überholungsmanöver“ während des Beschleunigungstests unterscheidet.55 Hätte nach Roxin die Beschleunigung per se zu dem tödlichen Unfall geführt, dann wäre die objektive Zurechnung zum Fahrer auszuschließen.56 Da aber der Unfall das Ergebnis eines Risikos (Überholungsmanöver) sei, das über die Gefahren des Beschleunigungstests hinausging und sich nicht auf das Einverständnis des Opfers bezog, lehnt er den Zurechnungsausschluss wegen einer einverständlichen Fremdgefährdung ab.57

46 Lempp, Jugendliche Mörder, S. 177; Jäger, Makrokriminalität, S. 161 f.; vgl. auch Sader, Psychologie der Gruppe, S. 174; Schmid, Moralische Integrität, 61 ff. 47 Lempp, Jugendliche Mörder, S. 15 ff., 110, 178 f.; Jäger, Makrokriminalität, S. 161. 48 Schmitz, MschrKrim 1962, 1 (4). 49 Lempp, Jugendliche Mörder, S. 15. 50 Lempp, Jugendliche Mörder, S. 26; vgl. auch Schmitz, MschrKrim 1962, 1 (4); zust. Jäger, Makrokriminalität, S. 163, der allerdings diese Erkenntnisse nicht in die Frage des Andershandelnkönnens einfließen lassen will. 51 Sog. Slippery-Slope-Problem; s. hierzu Schmid, Moralische Integrität, S. 61. 52 Vgl. Schmitz, MschrKrim 1962, 1 (4). 53 Lange/Wagner, NStZ 2011, 67 (68 f.); Eisele, JuS 2012, 577 (583). Allgemein zum Problem der nicht ausreichenden Beachtung der Rollenerwartungen aus attributionstheoretischer Sicht Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 131. 54 BGHSt 53, 55. 55 Roxin, JZ 2009, 399 (402). 56 Ebd. 57 Roxin, JZ 2009, 399 (402), so auch Radtke, in: FS für Puppe, S. 831 (846 f.).

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Diese Ausführungen sind ein Beispiel für die „Erzeugung von punktuellen Evidenzerlebnissen“ 58, die von der Auseinandersetzung mit den sozialpsychologischen Momenten der betreffenden Fälle ablenken. Roxin zerschneidet das gesamte Geschehen in künstlicher Weise. Es ist lebensfremd zu behaupten, dass ein gefährliches Überholmanöver über die Gefahren des Beschleunigungstests hinausgeht.59 Der Eintritt des Erfolgs nach einem Überholmanöver während eines Beschleunigungstests liegt nicht völlig außerhalb dessen, was nach gewöhnlichem Verlauf der Dinge und der allgemeiner Lebenserfahrung passieren kann. Das lebensfremde Zerteilen des riskanten Sachverhalts, das Roxin unternimmt, ist das Ergebnis eines einseitigen Abstellens auf die Opferperspektive. Das Opfer sei mit dem Beschleunigungstest und nicht mit dem Überholmanöver einverstanden.60 Die zwei Fahrer und ihre komplexen motivationalen Strukturen bleiben unbeachtet. Durch die künstliche Spaltung des Geschehens in zwei Teile (Überholmanöver und übriger Beschleunigungstest) und ihre unterschiedliche strafrechtliche Bewertung wird unterstellt, dass die Fahrer im Moment des Überholens eine Entscheidung zur Gefahrsteigerung träfen, die unabhängig von der ersten Entscheidung sei, den Beschleunigungstest durchzuführen. Die Bedeutung des Rollenzwangs und der Selbstbindung an die erste Entscheidung werden hier verkannt. Dass im Moment des Überholens eine Entscheidung zur Steigerung der Gefahr getroffen wird, ist nicht zu bestreiten. Diese Entscheidung ist allerdings das Produkt der ersten, unter Konformitätsdruck und gruppendynamisch bedingtem Gefühlsüberschwang getroffenen Entscheidung, die Rolle des Fahrers zu übernehmen. Die Motivation zum Überholen ist nicht unabhängig von der ersten Ent-

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Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 51. Aus anderem Blickwinkel bezeichnet auch T. Walter die Ausführungen Roxins in dem Autorennen-Fall als lebensfremd: „Zweitens ist die Annahme Roxins nur auf den ersten Blick lebensnah, weil ein vernünftiger Mensch das Überholmanöver abgelehnt hätte. Tatsächlich ist sie aber lebensfern, weil die jungen Männer bei jenem Rennen keine vernünftigen Menschen waren: Würde der Fahrer vorab oder während der Fahrt um Erlaubnis auch noch für den Wahnsinn des Überholens gebeten haben, so hätte sie ihm der Beifahrer aller Wahrscheinlichkeit nach gegeben. [. . .] In einer Gruppe junger Männer [. . .], die sich ihren Mut beweisen wollen, spielen Vernunft und Sorge für das eigene Leben nun einmal kaum eine Rolle. Was aber eine große Rolle spielt, ist, sich vor den anderen keine Blöße zu geben“, Walter, T., NStZ 2013, 673 (679). Diese Anmerkungen sind richtig und treffen sogar den Kern des Problems. Wechselseitige Verstärkung, Konformitätsdruck und Rollenbindungen in einer Gruppe junger Männer führen tatsächlich zum leichtsinnigen, affektiven und übermütigen Verhalten. Walter thematisiert allerdings die gruppenbedingte „Unvernunft“ nur bei der Frage der inhaltlichen Reichweite der Einwilligung des Opfers, ohne einen Bezug auf die Frage der Autonomie zu nehmen. Was für Konsequenzen die Gruppe für die Willensbildung sowohl des Opfers als auch des Täters hat, wird außer Acht gelassen. Walters Anmerkungen lassen aber im Fall des Autorennens zumindest sozialpsychologische Sensibilität erkennen. 60 Roxin, JZ 2009, 399 (402). 59

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scheidung. Es wird die Vollendung eines „Projekts“ angestrebt, das schon begonnen hat.61 Auf die menschliche Neigung zur Selbstfestlegung auf einen Plan, weist die Sozialphilosophie hin.62 Schmid bemerkt, dass die Selbstbindung an eine Entscheidung sogar besteht, wenn sich die Motivlage der Person geändert hat, und schildert das folgende Beispiel: „Ursprünglich hatte man sich aus Lust am Wandern und weil die Wetterprognose zumindest zeitweisen Sonnenschein versprach zur Wanderung entschlossen; jetzt beim schweißtreibenden Aufstieg, ist die Wanderlust gründlich verflogen, und eine Wolkendecke hat sich gebildet. Trotzdem mag man einen Grund dazu haben, die Wanderung wie geplant zu vollenden: entweder weil man ein Mensch sein will, der seine Projekte vollendet, oder auch einfach deswegen, weil man das Projekt nun einmal begonnen hat.“ 63 Der Wanderer will konsequent sein, auch wenn sich herausgestellt hat, dass sein Plan eine Fehlentscheidung war. Das Bedürfnis konsequent zu sein, bestätigt das Experiment von Freedman und Fraser, wonach 55 Prozent der Versuchspersonen einverstanden waren, ein großes geschmackloses Schild, auf dem „Drive carefully!“ stand, im Vorgarten zu platzieren.64 Dieses Einverständnis war das Ergebnis eines vorherigen Gesprächs, bei dem die Versuchspersonen eine Petition unterschrieben hatten, die auf die Durchführung von legislativen Maßnahmen für die Förderung eines Projektes mit dem Titel „safe driving“ zielten.65 Nach dem Unterschreiben der Petition, die eine leichte Aufgabe („small favor“)66 war, fühlten sich die meisten Versuchspersonen verpflichtet auch ihr Einverständnis für etwas Weitergehendes und Invasiveres („larger request“)67, wie das Aufstellen des hässlichen Schildes im Vorgarten zu geben, aus Angst nicht konsequent zu wirken.68 Dieser sozialpsychologische Vorgang wurde unter dem Namen des Fuß-in-der-Tür-Phänomens bekannt.69 Wenn einmal der Fuß in der Tür ist, dauert es nicht lange, bis die ganze Tür auf ist. In unserem Kontext: Wenn man sich einmal auf ein Autoren-

61

s. hierzu Schmid, Moralische Integrität, S. 61 f. Schmid, Moralische Integrität, S. 61 ff.; aus sozialpsychologischer Perspektive Sader, Psychologie der Gruppe, S. 174 f. 63 Schmid, Moralische Integrität, S. 62. 64 Freedman/Fraser, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 4, No. 2, 195 (200); dazu Sader, Psychologie der Gruppe, S. 174. 65 Freedman/Fraser, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 4, No. 2, 195 (200). 66 Ebd., 196. 67 Ebd. 68 Sader, Psychologie der Gruppe, S. 175; Freedman/Fraser, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 4, No. 2, 195. 69 Freedman und Fraser sprechen von „foot-in-the-door-technique“ or „gradation technique“ als Überzeugungsstrategie, Freedman/Fraser, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 4, No. 2, 195 f.; s. dazu auch Welzer, Täter, S. 141; Schmid, Moralische Integrität, S. 65. 62

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nen eingelassen hat, dauert es auch nicht lange, bis man ein gefährliches Überholmanöver unternimmt. Die Festlegung auf die einmal übernommene Rolle verlangt die Fortführung des Autorennens, die mit sukzessiv zunehmendem Risiko verbunden ist.70 Die Veranlagung zum konsequenten Handeln wird bei Gruppensituationen verstärkt. Bei Anwesenheit Dritter wächst das Pflichtgefühl, etwas, das schon begonnen hat, zu vollenden. Gruppenwirkungen, wie die zunehmende Aufregung, der Abbau von Hemmungen, der Wunsch zu imponieren, das Gefühl der Kameradschaft, der Gruppengeist und die Überschätzung der eigenen Kräfte verstärken die Neigung, konsequent zu wirken. Die destruktiven Kräfte vermehren sich sukzessive und das Individuum verstrickt sich immer mehr in sie. Sie zurückzuweisen, fällt der Person sehr schwer. Bei einem Autorennen mit sehr hohen Geschwindigkeiten und steigendem Adrenalin gibt es wenig Zeit nachzudenken und ursprüngliche Fehlentscheidungen zu revidieren.71 Auf der Grundlage dieser sozialpsychologischen Erkenntnisse kann nur die Gesamtbetrachtung eines riskanten Sachverhaltes zu gerechten Lösungen führen. Die Einzelaktbetrachtung, die Roxin unternimmt, wenn er beim Autorennen-Fall zwischen Beschleunigungstest und Überholmanöver unterscheidet, führt, ähnlich wie die Einzelakttheorie im Rahmen der Rücktrittslehre, zu Strafbarkeitserweiterungen. Diese ist hier allerdings ungerechtfertigt. Das Überholmanöver darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil eines einheitlichen Ganzen, das insgesamt durch „fremdgesetzliche“ 72, „außerpersonale“ 73 und situative Kräfte ausgelöst wird. Es stellt nur die rollenkonforme Radikalisierung der ersten gruppendynamisch bedingten Entscheidung dar, den Beschleunigungstest durchzuführen. Anders gesagt, im Moment des Überholmanövers manifestiert sich der Höhepunkt des Gruppenzwangs. 3. Fremdbestimmungsindizien bei Wettkampf-Konstellationen Der Einfluss des Kollektivs auf das Wollen und Handeln des Täters wird oft durch bestimmte Konstellationsmerkmale indiziert. a) Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer Das Bestehen eines Gruppenzwangs und die daraus resultierende Fremdbestimmung des Täters lassen sich vor allem in der Tatsache erkennen, dass er sich, genauso wie das Opfer, in Lebensgefahr begibt. Es war Zufall, dass im Beschleu70

Vgl. Schmid, Moralische Integrität, S. 65; Schmitz, MschKrim 1962, 1 (4). Vgl. Sader, Psychologie der Gruppe, S. 175. 72 Schumacher, NJW 1980, 1880. 73 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 133. 71

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nigungstest-Fall der Beifahrer ums Leben kam und nicht die Fahrer. Bei einem Wetttrinken riskieren beide Wettende ihr Leben, nicht nur das spätere Opfer.74 Das Merkmal der „Gefahrengemeinschaft“, das meistens bei solchen Sachverhalten auftritt, ist von großer Bedeutung, weil es auf die übrigen Fremdbestimmungsindizien bei Mitwirkungsfällen deutet. Es spricht für die triebhafte Motivationslage des Täters und für eine spielerische Interaktion zwischen den Beteiligten. Die Selbstgefährdung der Täter demonstriert den hohen affektiven Hintergrund des Geschehens. Sie weist auf gruppendynamische Einflüsse hin, die zur „Gleichschaltung von Stimmungen und Emotionen“ 75 der Beteiligten führen. Der Täter gibt den Gruppenreizen nach, so dass sein Selbsterhaltungstrieb vor ihnen zurücktritt.76 Das Jubeln, der Spott, die Scherze und das Lob der Anwesenden eines Wettkampfes reizen zum unüberlegten und übermütigen Verhalten. Der Sachverhalt des Tequila-Falls liefert trotz fehlender Gefahrengemeinschaft – der Täter hatte nur scheinbar dieselbe Menge von Tequila getrunken, in Wirklichkeit war ihm überwiegend Wasser eingeschenkt worden – ein Bespiel für aufgeladene Gruppenstimmung. „In dem Lokal war bis etwa gegen 2.00 Uhr eine geschlossene Feier veranstaltet worden. In der Folgezeit traf eine Gruppe jugendlicher Gäste ein, nämlich die Zeugen [. . .]. Der Zeuge [. . .] unterstützte den Wettkampf, in dem er eine Strichliste der nunmehr konsumierten Tequilas führte und immer wieder die Zwischenstände in den Raum hineinrief.“ 77 Wenn man nun von einem „normalen“ Wetttrinken ausgeht, bei dem der Täter keine Tricks anwendet, veranschaulicht dieses Beispiel, welche Gruppenprozesse ihn und das Opfer dazu bringen, sich zu gefährden. Kuhli, der meines Wissens der bisher einzige ist, der das Problem der Mitwirkungsfälle unter einem sozialpsychologischen Blickwinkel behandelt, spricht zu Recht von einer „Wettkampfdynamik“. 78 Er kommt allerdings zum Ergebnis, dass die „Wettkampfdynamik“ keine strafrechtliche Relevanz für die Frage der Eigenverantwortung hat.79 Man solle nicht auf den Zeitpunkt des riskanten Vorgehens abstellen, zu dem möglicherweise psychischen Hemmnisse vorhanden sind, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung zur Wettkampfteilnahme. 80 Zum diesem Ergebnis kann man vielleicht kommen, wenn man, wie Kuhli die Teilnahme an einem institutionalisierten Sportevent vor Augen hat,81 wo die Entscheidung in das Vorstadium der Gruppensituation fällt. Anders ist aber zu ent74 Anders beim Tequila-Fall, LG Berlin, Urteil vom 03.07.2009 – (522) 1 Kap Js 603/07 Ks (1/08), wo der Täter statt Tequila überwiegend Wasser trank. 75 Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 76 Le Bon, Psychologie der Massen, S. 41. 77 LG Berlin, Urteil vom 03.07.2009 – (522) 1 Kap Js 603/07 Ks (1/08). 78 Kuhli, HRRS 2008, 385 (388). 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Ebd.

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scheiden bei Konstelltaionen, bei denen die situative Dynamik schon zum Zeitpunkt besteht, wo die Entscheidung getroffen wird. Außerdem ist es zu berücksichtigen, dass die Teilnahme an einem institutionalisierten Wettkampf meistens nicht mit der Schaffung eines unerlaubten Risikos verbunden ist, so dass eine Bezugnahme auf die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht notwendig ist. Jene Entlastung des Veranstalters ist vielmehr in dem Bereich der Sozialadäquanz zu suchen. Die Frage der Eigenverantwortung wird erst mit der unerlaubten Schaffung oder Steigerung der Gefahr relevant, die erst zu dem späteren Zeitpunkt des Wettbewerbs zustande kommt, wenn die Beteiligten der „Wettkampfdynamik“ schon ausgesetzt sind. b) Persönlichkeitsfremdes Verhalten Zwar ist das Kriterium der „Gefahrengemeinschaft“ von so erheblichem Gewicht, dass es meist allein für die Annahme eines gruppendynamischen Zwangs bei Wettkämpfen reicht, das Kriterium des persönlichkeitsfremden Verhaltens kann jedoch noch ein weiteres Indiz für fremdbestimmtes Handeln liefern.82 Autonomes Verhalten setzt einen Handlungsgrund voraus, mit dem der Handelnde sich identifiziert. Wenn der Handelnde aber von seinen Wünschen und Impulsen innerlich Abstand nimmt, ist von der Wirkung eines situativen Zwangs auszugehen. Zeichen dafür könnte eine möglicherweise vorhandene Diskrepanz zwischen dem Handeln und der Persönlichkeitsstruktur des Handelnden sein.83 Das Verhalten einer Person in einer Gruppensituation sollte immer im Zusammenhang mit ihrer gesamten Persönlichkeit bewertet werden.84 Je deutlicher die Abweichung ihres Handelns von ihrem üblichen Handlungsmuster ist, desto sicherer ist von einer persönlichkeitsfremden, gruppendynamisch bedingten Handlung auszugehen, die der Umwelt zuzuschreiben ist. c) Das Verhalten des Opfers unter Gruppenwirkungen – Indizwirkung ohne Verantwortungszuschreibung Der Druck des Täters vermehrt sich oft, wenn das Opfer als Gegenspieler ihn provoziert und aufstachelt, so wie bei dem oben dargestellten Beispiel von Orpheus und Aristaios. Eine solche Konstellation liefert auch ein Indiz für verstärkten Gruppenzwang gegenüber dem Täter. Insoweit ist es richtig, wenn Roxin dem Ursprung der Initiative zum riskanten Verhalten eine erhebliche Bedeutung für den strafrechtlichen Umgang mit dem Täter beimisst.85 Ihm kommt unter sozial82 83 84 85

So auch Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883); Cabanis, StV 1982, 315 (317). Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883). Cabanis, StV 1982, 315 (317); Schumacher, NJW 1980, 1880 (1882). Roxin, GA 2012, 655 (669).

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psychologischem Blickwinkel eine entscheidende Indiz-Funktion zu. Eine Zurechnung des Erfolgs zum Opfer selbst, die den Täter entlastet, wäre allerdings falsch. In einer Gruppensituation laufen Prozesse der wechselseitigen Affektivitätsverstärkung.86 Das Opfer eines Wettkampfes kann, wie der Täter, auch das Opfer gruppendynamischer Destruktionskräfte sein. Sein aufreizendes Verhalten findet auch unter den Bedingungen des Gruppenzwangs und kollektiver Emotionsaufwallung statt. Die Berücksichtigung seines Verhaltens im Sinne der Feststellung, ob ihm als Initiator die Rolle des Risikoanstifters zukommt, darf nicht als Verantwortungszuschreibung verstanden werden. Das Opfer ist unter den Bedingungen des Gruppenzwangs im selben Maß verantwortlich wie der Täter. Die Konstatierung, dass das Opfer der Initiator des riskanten Handelns war, entfaltet nur eine Indizwirkung für den Gruppenzwang, unter dem sich der Täter befand. Die sozialpsychologische Beleuchtung des riskanten Unternehmens eines Wettkampfes zeigt, dass eine Verantwortungszuschreibung nicht immer notwendig ist. Es muss nicht sein, dass der Erfolg entweder dem Täter oder dem Opfer zugerechnet wird. Unter Gruppenwirkungen kann es sein, dass keiner der beiden verantwortlich ist oder beide nicht voll verantwortlich agieren. Der Erfolg ist dann ganz oder überwiegend außerpersonalen und situativen Faktoren „zuzurechnen“. In Anbetracht dieser sozialpsychologischen Erkenntnis ist dem Teil der Lehre zuzustimmen, der das Institut der Einwilligung als Lösung der Mitwirkungsfälle ablehnt. Es ist aber nicht nur das Problem der Erfolgsbezogenheit der Einwilligung und die Sperrwirkung von § 216 StGB, weshalb sich die Einwilligung nicht als Lösungsansatz eignet. Es ist vor allem die fehlende oder beeinträchtigte Autonomie des Opfers, die seine Einwilligung als unwirksam erkennen lässt. Die Einwilligung unter Gruppensituationen ist meistens kein Produkt autonomer Willensbildung und kann daher für den Täter keine Entlastungsfunktion entfalten. Die dogmatische Unterstützung des Täters kommt aus situativen Momenten, die außerhalb der Person des Opfers liegen. Wie gesagt, die Entlastung des Täters in Gruppensituationen kann unabhängig davon erfolgen, ob das Opfer verantwortlich ist oder nicht, ob es wirksam eingewilligt hat oder nicht. Die Abkoppelung der Täterverantwortung in einer affektiven Gruppensituation von der Verantwortung des Opfers hat eine Folge, die möglicherweise Verwunderung erzeugt. Bei dem Autorennen-Fall sind zwischen Orpheus und Aristaios zwei Abläufe vorstellbar: Bei dem ersten Ablauf wird Aristaios tödlich verletzt, bei dem zweiten wird der am Wettkampf nicht beteiligte, von der Gefahr nichts ahnende Agathis, der die Straße ordnungsgemäß überqueren wollte, überfahren und tödlich verletzt. So ähnlich hätte auch der vom BGH beurteilte Beschleunigungstest-Fall ausgehen können, dass anstelle des Beifahrers der Fahrer eines 86

Herkner, Lehrbuch Sozialpsychologie, S. 453.

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

dritten unbeteiligten Fahrzeugs tödlich verunglückt. Wenn nun die dogmatische Entlastung des Täters nicht von der Verantwortung des Opfers abhängt, dann wird die Person des am Wettkampf beteiligten Opfers der Person jedes unbeteiligten Dritten gleichgestellt, der zufällig Opfer eines Wettkampfes wird, den andere veranstalten. Anders formuliert: Sofern gruppendynamische Einwirkungen auf die Person des Täters feststellbar sind, ist seine Verantwortung reduziert oder sogar ausgeschlossen, unabhängig davon, ob das Opfer am Wettkampf beteiligt war oder nicht. Wenn dem Opfer die Verantwortung nicht zugeschrieben werden muss, kommt es nur auf die äußeren situativen Zwänge des Geschehens an, die dazu führen können, dass ihnen sowohl Beteiligte als auch nicht Beteiligte zum Opfer fallen. Es ist nicht zu leugnen, dass dieses Ergebnis irritierend ist. Während es bei den Konstellationen, in denen das Opfer des Unfalls am Risiko mitwirkt, plausibel scheint, dass dessen Mitwirkung dem Täter zugute kommen soll, spürt man bei den Fällen, wo ein dritter Unbeteiligter das Opfer des Wettkampfs wird, das intuitive Bedürfnis, dem Täter oder den Tätern die Verantwortung zuzuschreiben, trotz der Tatsache, dass der Täter in beiden Fällen unter demselben Druck oder Zwang gehandelt hat. Diese Neigung repräsentiert die sog. „Tendenz zu primitiven Verantwortlichkeitsattributionen“ 87. Auf dieses Phänomen macht Bierbrauer in seiner attributionstheoretischen Analyse der strafrechtlichen Verantwortlichkeit aufmerksam.88 Die Attributionstheorie versucht zu zeigen, auf welche Weise der Mensch durch „intuitive Urteilsmuster“ 89 Verantwortung zuschreibt.90 Aus der Neigung zu „primitiver“ Attribution, wie sie besonders in frühen Entwicklungsstufen festzustellen ist,91 resultiert eine unreife und vorschnelle Verantwortungszuschreibung, die auf eine wenig ausgeprägte Differenzierung zwischen Verursachung und Verantwortung zurückzuführen ist.92 87 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (145). 88 Ebd. 89 Ebd., S. 133. 90 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (131 ff.); Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 102 ff., 110, 136 ff., der Attributionen „die Verbindung eines Ereignisses mit seinen zugrundeliegenden Bedingungen“ nennt (S. 110). 91 Piaget, Das moralische Urteil des Kindes, S. 122, 133 ff., 136 f., 148. Piaget unterscheidet zwischen „objektiver“ und „subjektiver Verantwortlichkeit“. Die „objektive Verantwortlichkeit“ kennzeichnet das Urteil der Kinder. Verursachung und Verantwortung fallen hier zusammen. Die motivationalen Strukturen der Handelnden bleiben unberücksichtigt (S. 122). Die „subjektive Verantwortlichkeit“ dagegen setzt die Beachtung der Motive des Handelnden voraus; s. hierzu Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 137 f.; Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (144). 92 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (144).

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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Bierbrauer weist darauf hin, dass die Neigung zu „primitiver“ Verantwortlichkeitszuschreibung mit dem Ausmaß des verursachten Schadens zusammenhängt.93 Er schildert eine sozialpsychologische Untersuchung von Walster über die Beziehung zwischen der Größe des Schadens und dem Maß an persönlicher Verantwortung für diesen.94 Die Versuchspersonen mussten über das Maß der Verantwortung eines Autobesitzers urteilen, der einen Unfall verursacht hatte.95 Der Autobesitzer hatte sein sechs Jahre altes Auto oben auf einem Hügel abgestellt und stellte die Handbremse ein.96 Nachdem er sich entfernte, riss das verrostete Bremsseil und das Auto rollte die steile Straße hinab.97 In Bezug auf die Folgen variierte der Sachverhalt. Nach einem Szenario rollte das Auto auf einen Baumstumpf und blieb dann stehen, nach einem anderen Szenario wurde das Auto zerstört.98 Unterschiedliche Szenarien wurden den Versuchspersonen auch in Bezug auf den Grad der verursachten Verletzung vorgestellt.99 In einem Fall wurde beinahe ein Kind in einem Kaufladen angefahren, in einem anderen Fall kam das Auto durch das Schaufenster des Kaufladens und dadurch wurde der Kaufmann, der an der Kasse stand, schwer verletzt.100 Trotz der Tatsache, dass das Verhalten des Autofahrers bei allen Sachverhalten dasselbe war,101 wurde bei den Versuchspersonen die Tendenz festgestellt, dem Autobesitzer ein großes Maß an Verantwortlichkeit zuzuschreiben, wenn der Unfall folgenschwer war.102 Wie Bierbrauer treffend anmerkt, sollte man den Autobesitzer bei jeder Konstellation in gleicher Weise verantwortlich machen oder nicht machen, wenn sich z. B. herausstellen würde, dass der Unfall auf einen technischen Defekt zurückzuführen wäre.103 Die unterschiedliche Beurteilung desselben Verhaltens je nach Schadensintensität ist das Produkt eines irrationalen Attributionsprozesses.104

93

Ebd., S. 145. Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S.130 (145); Walster, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 3, No. 1, 73. 95 Walster, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 3, No. 1, 75 ff.; ähnliche Schilderung des Experiments wie im Folgenden bei Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S.130 (145). 96 Walster, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 3, No. 1, 75. 97 Ebd. 98 Ebd., 75 f. 99 Ebd., 76. 100 Ebd. 101 Ebd., 75. 102 Walster, Journal of Personality and Social Psychology 1966, Vol. 3, No. 1, 77; Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (145). 103 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (145). 104 Vgl. ebd. 94

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

Im Fall eines Wettkampfes die Verantwortung der Fahrer davon abhängig zu machen, welche Person Opfer des gruppendynamischen Geschehens wird, ist ein ähnlich sachungemessenes Verantwortungsurteil. Der Einfluss situativer Kräfte ist in beiden Unfallabläufen (beim ersten Unfall ist der Beifahrer das Opfer, im zweiten ein nicht beteiligter Dritter) derselbe. Die Bedingungen des Unfalls sind in beiden Fällen gleich, so dass das Ausmaß der Verantwortung (verminderte oder ausgeschlossene Verantwortung) auch gleich bleibt. Dies wird übersehen, wenn man von einer robusten Unterordnung aller Mitwirkungsfälle unter das Problem der Selbstverantwortung des Opfers ausgeht. Erstens ist unter gruppendynamischem Einfluss an der Verantwortung des Opfers zu zweifeln und zweitens ändert die Verantwortung des Opfers nichts an der Verantwortung des Täters, diese bleibt in allen möglichen Konstellationen des Unfalls gleich. Insoweit beinhaltet der Ausdruck „Selbstverantwortung des Opfers“ einen Attributionsfehler. Als Attributionsfehler werden im Rahmen der Attributionstheorie Verhaltensbeurteilungen bezeichnet, die sich einerseits auf die Überakzentuierung der personenbezogenen Faktoren und andererseits auf das Herunterspielen der situativen, außerpersonalen Momente eines Geschehens stützen.105 „Internale Ursachen“ 106 werden häufig zulasten von „externalen Ursachen“ 107 unterstellt.108 Wenn man von einer „Selbstverantwortung des Opfers“ spricht, führt dies zu einer „Überattribuierung“ 109 der personalen Faktoren.110 Rollenzwänge, situative Anreize, Impulse und Einflüsse der Umwelt bleiben unbeachtet, obwohl die Erklärung des Verhaltes der Beteiligten bei ihnen zu suchen ist.111 4. Die „Selbstverantwortung“ des Opfers als Attributionskonzept im Rahmen von Heiders Verantwortlichkeitsebenen Die im Rahmen der Untersuchung, welche Rolle das Opferverhalten für die Verantwortung des Täters im Rahmen eines Wettkampfes spielt, vorgenommene Verbindung des Selbstverantwortungskonzepts mit der Attributionstheorie ermöglicht eine umfassendere attributionstheoretische Analyse des Selbstverantwortungskonzepts. Im Folgenden wird versucht, die attributive Qualität des Konstrukts der Selbstverantwortung des Opfers zu prüfen. 105

Ebd., S. 134 ff. 146 ff., 150. Ebd., S. 135. 107 Ebd. 108 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (134 ff., 146 ff.); dazu auch Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 130 f., 134 ff. 109 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (148). 110 Anders vermutlich Jäger, s. seine Auffassung in Bezug auf die Verbindung des Handelns im Kollektiv mit der Exkulpationsfrage, eine „Überattribuierung von persönlicher Verantwortlichkeit“ lehnt er explit ab, Jäger, Makrokriminalität, S. 136. 111 Ebd., S. 134, 146. 106

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

151

Das Konzept der Selbstverantwortung des Opfers als Attributionskonzept setzt sich nicht richtig mit der Frage auseinander, was der Ursprung der Handlungsmotive der Beteiligten (sowohl des Täters als auch des Opfers) an einem riskanten Wettkampf ist. Dabei wird den Beteiligten autonomes Verhalten unterstellt und ihnen Verantwortung zugeschrieben, obwohl es an einer profunden Untersuchung ihrer Handlungsmotive fehlt. Ein feinnuanciertes und entwickeltes Verantwortungskonzept setzt allerdings die Prüfung der Motive und ihrer Quelle voraus.112 Heider teilt in seinem grundlegenden atrributionstheoretischen Werk „Psychologie der interpersonalen Beziehungen“ das Konzept der Verantwortung in fünf aufeinander folgende Stufen ein und zeigt, wie die Berücksichtigung der Motive das entscheidende Moment der entwickelten Ebenen ist.113 Auf den ersten zwei Stufen fehlt es entscheidend an Differenziertheit.114 Die Verantwortungszuschreibung der ersten Stufe ist assoziativ,115 die Person wird für jedes Ereignis verantwortlich gemacht, das auf irgendwelche Weise, auch indirekt, mit ihr verbunden werden kann.116 Die Verantwortungszuschreibung weist hier ein hohes Maß an Irrationalität auf. Auf der zweiten Stufe führen die faktischen Resultate zur Verantwortungszuschreibung, die reine Kausalität reicht, ohne Berücksichtigung des motivationalen Hintergrunds.117 Auf der nächsten Stufe wird die Person nur verantwortlich gemacht, wenn sie die Folgen ihrer Handlung voraussehen konnte.118 Auf der vierten Stufe sind für die Attribution die Motive und Absichten des Handelnden maßgeblich.119 Diese Verantwortungszuschreibung nennt Heider „persönliche Kausalität“.120 Auf der fünften und letzten Ebene werden die Handlungsmotive nicht der Person allein zugeschrieben, sondern auch oder nur der Umwelt.121 Heider schreibt: „Die kausalen Linien, die zum Endergebnis führten, werden immer noch von p [der Person] geleitet und deshalb paßt die Handlung in die Struktur der persönlichen Kausalität. Da aber ein Zwang aus der Umwelt und nicht p [Person] selbst als Ursprung des Motivs betrachtet wird, wird die Verantwortlichkeit für die Handlung zumindest mit von der Umwelt getragen.“ 122 112

Ebd., S. 142 f. Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S.137 f.; dazu Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (143 f.); Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 139 f. 114 Vgl. Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (144). 115 Ebd., S. 143. 116 Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 137 f. 117 Ebd. 118 Ebd., S. 138. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Ebd. 122 Ebd. 113

152

Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

Heiders Ebenen der Verantwortlichkeit entsprechen Piagets Entwicklungsstufen des moralischen Urteils.123 In seinem Werk „Das moralische Urteil beim Kinde“ unterscheidet Piaget zwischen „objektiver“ und „subjektiver Verantwortlichkeit“.124 Bei der „objektiven Verantwortlichkeit“ kommt es für die Verantwortungszuschreibung nur auf die materiellen Ergebnisse an.125 Die Motive und Absichten der Handelnden bleiben unberücksichtigt.126 Diese Art von Verantwortlichkeit findet sich nach Piaget in den früheren Entwicklungsstadien des Kindes.127 Die „subjektive Verantwortlichkeit“ dagegen setzt die Beachtung der Motive des Handelnden voraus und stellt gegenüber der objektiven Verantwortlichkeit eine reifere Stufe der Urteilsbildung dar.128 Diese Unterscheidung zieht sich durch Heiders Ebenen der Verantwortlichkeit.129 Je differenzierter die Motive und ihr Ursprung überprüft werden, desto entwickelter ist die Stufe der Verantwortlichkeit.130 Je mehr die Motive in den Vordergrund der Urteilsbildung rücken, desto mehr nimmt die Attribution zur Person ab.131 Je subjektiver die Verantwortlichkeit wird, desto mehr nimmt die Attribution zur Umwelt zu.132 Im Rahmen dieser Verantwortungsklassifizierung ist das Konzept der Selbstverantwortung des Opfers aufgrund der fehlenden Berücksichtigung der Handlungsmotive als Konzept der „objektiven Verantwortlichkeit“ einzustufen. Ein aufgeklärtes Strafrecht kann allerdings nur auf der Basis „subjektiver Verantwortlichkeit“ Verantwortung zuschreiben. Neben der „objektiven Verantwortlichkeit“ ist an dem Konzept der Selbstverantwortung des Opfers noch ein weiterer Punkt zu kritisieren. Mit den Abstufungen zeigt Heider, worauf es ankommt, wenn wir ein Urteil über die Verantwortung einer Person bilden wollen. „Man wird erkennen, daß das Problem der Verantwortlichkeit das Problem der Attribution von Handlungen enthält. D. h., es 123 Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 137 f.; s. hierzu Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (143); Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 139. 124 Piaget, Das moralische Urteil beim Kinde, S. 133 ff., 136, 148; hierzu Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (141). 125 Piaget, Das moralische Urteil beim Kinde, S. 148. 126 Piaget, Das moralische Urteil beim Kinde, S. 148; hierzu ausführlich Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (141). 127 Piaget, Das moralische Urteil beim Kinde, S. 148; Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 138. 128 Piaget, Das moralische Urteil beim Kinde, S. 133 ff. (148); Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 138; Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (144). 129 Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 137 f.; Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (144). 130 Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, S. 130 (144). 131 Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 137. 132 Ebd.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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ist wichtig, welchen der verschiedenen Bedingungen der Handlung – Absichten der Person, persönliche Machtfaktoren oder Umweltkräfte – das hauptsächliche Gewicht für das Ergebnis der Handlung gegeben wird. Sobald eine solche Attribution entschieden ist, ist eine Bewertung der Verantwortung möglich.“ 133 Das Konzept der Selbstverantwortung des Opfers basiert allerdings auf einer defizitären Berücksichtigung aller Handlungsbedingungen. Die Umweltkräfte, die außerpersonalen situativen Momente werden in die Attributionsentscheidung nicht einbezogen, obwohl sie immer Bedingungen einer Handlung sind. Ob auf ihnen das Hauptgewicht einer Handlung liegt, ist eine zweite Frage. Zunächst müssen sie als Rahmenbedingungen einer Handlung überhaupt wahrgenommen werden. An dieser Grundwahrnehmung mangelt es bei dem Konzept der Selbstverantwortung des Opfers und deshalb entscheidet man sich für eine Attribution der dritten Stufe. Wenn der Beifahrer das Opfer eines Autorennens ist, wird er für seine Verletzung verantwortlich gemacht, wenn er sie hätte voraussehen können. Wenn das Opfer eine unbeteiligte dritte Person ist, wird der Fahrer verantwortlich, wenn er die Rechtsgutverletzung hätte voraussehen können. Auf der Grundlage der attributionstheoretischen Erkenntnisse, dass das Ergebnis einer Handlung von zwei Bedingungsgruppen abhängt, nämlich von personalen Faktoren und Umweltfaktoren,134 sollte im Fall eines riskanten Verhaltens in einer Gruppensituation in der Regel eine Attribution fünfter Stufe angenommen werden. Unter Berücksichtigung der Indizien der Gefahrengemeinschaft, der spielerischen Interaktion und der triebhaften Motivationslage ist anzunehmen, dass die Hauptursache für das riskante Verhalten die Umweltkräfte sind, sowohl wenn das Opfer ein Beteiligter, als auch wenn das Opfer eine dritte unbeteiligte Person ist. 5. Zwei Anwendungsbeispiele von sozialpsychologischen Erkenntnissen Der Vorschlag, die komplexen sozialpsychologischen Realitäten bei der Entstehung und Durchführung eines riskanten, lebensgefährlichen Wettkampfes im strafrechtlichen Urteil zu berücksichtigen, dürfte die Strafrechtswissenschaft nicht überraschen. Das Strafrecht in der Form des Jugendstrafrechts befindet sich schon lange in einem dialektischen Verhältnis mit der Sozialpsychologie. Die Rolle des Vermittlers spielt dabei die Kriminologie.135 Letztere hat im Rahmen der Makrokriminalitätsforschung dem Strafrecht noch einen zweiten Zugang zur Sozialpsychologie ermöglicht. Die Strafrechtswissenschaft hat sich im Zusammenhang mit dem Phänomen der Makrokriminalität schon mit der Frage der Bedeutung von gruppendynamischen und situativen Einflüssen für die Zurech133

Ebd., S. 138 f. Ebd., S. 102. 135 Vgl. Hassemer/Lüderssen, Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, Einleitung. 134

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

nungsproblematik auseinandergesetzt. Die Beispiele des Jugendstrafrechts und der Makrokriminalität zeigen, dass eine strafrechtsdogmatische Rezeption sozialpsychologischer Erkenntnisse kein unvorstellbares Projekt ist. a) Das Beispiel des Jugendstrafrechts Dass durch situative Umweltkräfte Druckphänomene entstehen können, die zu impulsiven rechtswidrigen Handlungen anspornen, wird im Rahmen des Jugendstrafrechts anerkannt und bei der Sanktionsauswahl mitberücksichtigt. Bei Gruppenzwangskonstellationen wird dann von der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 JGG abgesehen. Nach der Struktur dieser unter dem Blickwinkel des Erziehungsgedankens höchst umstrittenen Vorschrift darf nach h. M. eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen des Jugendlichen (§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG) oder wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) verhängt werden.136 Es wird allerdings betont, dass das Begehen einer Straftat, die auf gruppendynamische Zwänge („falsch verstandene Kameradschaft“) zurückzuführen ist, nicht zwingend schädliche Neigungen begründet.137 Dies ist richtig, weil ein Verhalten unter Gruppenzwang häufig eine Spontan- oder Gelegenheitstat darstellen kann.138 Die Annahme von schädlichen Neigungen setzt aber eine Rückfallgefahr voraus, für die eine gelegentliche Straftat nicht ausreicht.139 Wenn schädliche Neigungen nicht festgestellt werden, könnte allerdings wegen der fragwürdigen Alternation des § 17 JGG eine Jugendstrafe allein wegen der Schwere der Schuld verhängt werden.140 Die Schwere der Schuld wird aber im Fall einer gruppendynamisch verursachten Tatmotivation abgelehnt.141 Eine Tat „aus einer jugendtypischen Motivation wie Imponiergehabe oder Gruppenzwang“ kann genauso wenig eine Schuldschwere nach § 17 JGG begründen wie das Vorliegen eines Beweggrundes wie Eifersucht oder der Tötung des langjährigen Familientyrannen außerhalb einer Notwehr- oder Notstandslage.142 Auch die Mitwirkung des Opfers wird im Rahmen der restriktiven Auslegung der Schuldschwere im Auge behalten.143 Es ist also hier eine besondere Sensibilisierung des Strafrechts für den motivationalen Hintergrund der Tat festzustellen. Das Ausmaß 136

Statt vieler Schaffstein/Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, S. 167. Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 725; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 225; Eisenberg, JGG, § 17 Rn. 20. 138 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 725; Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 225. 139 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 724 f. 140 Gegen die Alternation Eisenberg/Bung, Fälle zum Schwerpunkt Strafrecht, S. 175 ff., wo die „Assimilation“ von Schuldschwere und schädlichen Neigungen vertreten wird, Eisenberg/Bung, Fälle zum Schwerpunkt Strafrecht, S. 175 ff. 141 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 738; Eisenberg, JGG, § 17 Rn. 32. 142 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 738. 143 Ebd. 137

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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der Verantwortung des Jugendlichen hängt damit zusammen, ob seine Umwelt frei von motivationalen Zwängen ist. Die Sensibilisierung für die freien Rahmenbedingungen der Tat eines Jugendlichen bestätigt der BGH. Bei der Schwere der Schuld eines Jugendlichen ist „unter Berücksichtigung seines Entwicklungsstandes und seines gesamten Persönlichkeitsbildes besonders zu prüfen, in welchem Ausmaß er sich bereits frei und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat.“ 144 Das Phänomen des Gruppenzwangs wird aber nicht nur im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verantwortung bei der Verhängung einer Jugendstrafe thematisiert. Im Rahmen einer „jugendadäquaten Auslegung“ der allgemeinen Straftatbestände weist Ostendorf darauf hin, dass die Anwendung des § 244a StGB auf Jugendbanden problematisch ist.145 Er betont, dass der Begriff der Bande im Jugendstrafrecht als Strafmilderung betrachtet werden sollte und nicht als Strafverschärfung.146 Am Beispiel des Jugendstrafrechts ist zu sehen, dass eine Berücksichtigung sozialpsychologischer Erkenntnisse im strafrechtlichen Denken kein ungewöhnliches Anliegen darstellt.147 Das Erwachsenenstrafrecht könnte sich hier am Jugendstrafrecht orientieren. „Mit dem Jugendstrafrecht ins Erwachsenenstrafrecht“ 148 fordert Lüderssen und macht die schlagkräftige Anmerkung, dass sich starre Altersgrenzen bei Jugendlichen und Heranwachsenden für pauschale Aussagen über den Reifungsgrad des in kontinuierlicher Entwicklung befindenden jungen Menschen nicht eignen.149 „Es hat Zeiten gegeben, in denen man der Auffassung nahe war, man könne aus dem Jugendstrafrecht etwas für das Erwachsenenstrafrecht lernen. Dieser Faden muß wiederaufgenommen werden. Es gibt mannigfache Erfahrungen, die dahin gehen, daß weder die Vollendung des 18. noch die des 21. Lebensjahres (das ist nach dem geltenden Jugendstrafrecht die Altersgrenze für Heranwachsende) eine signifikante Zäsur in der Entwicklung eines Menschen ist. Vielmehr erreicht der Mensch das Alter, in dem eine gewisse Kontinuität seines Lebens beginnt, wohl erst mit etwa 30 Jahren.“ 150 Lüderssen hat Recht, die Reifungsprozesse sind nicht automatisch mit der Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der sozialökonomischen Verhältnisse der modernen Familie davon auszuge144

BGH StV 1982, 335, (336). Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30. 146 Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 30. Gruppendynamische Einflüsse werden auch bei der Prüfung des Vorliegens einer Jugendverfehlung im Sinne des § 105 JGG berücksichtigt, Ostendorf, Jugendstrafrecht, Rn. 305; so auch BGH NStZ 2001, 102. 147 Zur Integrationsnotwendigkeit der Sozialwissenschaften im Strafrecht, Hassemer/ Lüderssen, Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, Einleitung. 148 Lüderssen, Rechtsfreie Räume?, S. 195. 149 Ebd., S. 197. 150 Ebd. 145

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

hen, dass die jungen Leute (Studierende, Auszubildende, Arbeitslose) länger von der elterlichen Unterstützung abhängig sind, was auf ihre Reifung einen beträchtlichen Einfluss haben kann.151 Als Lösung könnte man die Verlängerung der jugendstrafrechtlichen Altersgrenze in Erwägung ziehen.152 Es gäbe aber auch die noch flexiblere Möglichkeit, wie sie Lüderssen vorschlägt, dass sich das Erwachsenenstrafrecht bezüglich der Verantwortungsprüfung am Jugendstrafrecht orientiert.153 Die Hilfe der Sozialwissenschaften ist dabei von entscheidender Bedeutung.154 Für den Fall der riskanten Wettkämpfe bedeutet es, dass das Erwachsenenstrafrecht der sozialpsychologischen Kulisse des riskanten Unternehmens Rechnung tragen muss. Die gruppendynamischen Kräfte und der Konformitätsdruck („falsch verstandene Kameradschaft“ 155) treten nicht nur in der Umwelt von Einundzwanzigjährigen in Erscheinung. Der Zweiundzwanzig-, der Achtundzwanzig- und sogar der Dreißigjährige können gelegentlich im Netz von unübersichtlichen Gruppenkräften gefangen sein. Zwar ist klar, dass mit zunehmendem Alter die normativen Erwartungen des Widerstehens gegen Umweltzwänge höher werden, es kann jedoch regelmäßig beobachtet werden, dass Personen auch in fortgeschrittenem Alter eine geringe Widerstandsfähigkeit ausweisen. Wie im Jugendstrafrecht wäre eine „sensible Prüfung der persönlichen Verantwortung“ 156 auch im Erwachsenenstrafrecht sicherlich nicht fehl am Platz.157 b) Das Beispiel der Makrokriminalität Im Rahmen einer „Kriminologie ohne Täter“ 158 sind in den letzten Jahren die situativen Bedingungen einer Tat in den Vordergrund der kriminologischen Forschung gerückt.159 Die Bedeutung der situativen Gegebenheiten für abnormes Verhalten wurde entdeckt.160 Die zentrale These dieser kriminologischen Richtung ist, dass die Situation den Täter schafft und nicht der Täter die Situation.161 Die „kriminogene Tat“ 162 schafft die Bedingungen zu ihrer eigenen Durchführung.163 Die Situationen entfalten oft eine Eigendynamik mit besonderen Anre151

Vgl. Bung, StV 2011, 625 (628, 630). Ebd. 153 Lüderssen, Rechtsfreie Räume?, S. 197 f. 154 Vgl. Lüderssen, Rechtsfreie Räume?, S. 195 ff.; Hassemer/Lüderssen, Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, Einleitung. 155 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 725. 156 Lüderssen, Rechtsfreie Räume?, S. 195. 157 Vgl. ebd. 158 Sessar, MschrKrim 80 (1997), 1 ff. 159 Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 85 f. 160 Ebd., Rn. 86. 161 Sessar, MschrKrim 80 (1997), 1 (5). 162 Ebd., 1 ff. 163 Ebd., 5. 152

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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gungen und Spannungen.164 Der „Kriminologie ohne Täter“ entstammen unter anderem auch die Viktimologie sowie die „Broken-Windows“-Theorie.165 Besondere Aufmerksamkeit fand der situative Ansatz bei der Erklärung von Jugendkriminalität und wurde folglich vom Jugendstrafrecht rezipiert.166 Neben der Jugendkriminalität spielt der situative Ansatz eine sehr wichtige Rolle in der Makrokriminologie, nämlich bei der kriminologischen Analyse der Makrokriminalität.167 Mit dem Begriff der Makrokriminalität werden „Großformen kollektiver Gewalt“ mit besonders gravierenden und destruktiven Folgen bezeichnet, wie Völker- und Massenmorde, Kriegsverbrechen, Staats- und Gruppenterrorismus.168 Die makrokriminologische Forschung geht davon aus, dass ein normaler Mensch in bestimmten Situationen und unter besonderen Umweltbedingungen zum Massenmörder werden kann.169 Die sozialpsychologische Forschung liefert hier die entscheidenden Argumente. Gehorsamkeit und Konformität, gruppendynamische Vorgänge, Gruppenloyalität, wechselseitige Verstärkung im Rahmen eines Kollektivs und Bindungen an Rollen schaffen die Entstehungsbedingungen kollektiver Verbrechen.170 Milgrams Gehorsamsexperiment171 und Zimbardos Gefängnissimulation172 zeigen, zu welchen Übeltaten normale und sozial unauf-

164

Walter/Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 88, 96. Ebd., Rn. 97 f. 166 s. ebd., Rn. 85, 95 ff., 99. 167 Eisenberg/Bung, Fälle zum Schwerpunkt Strafrecht, S. 105. 168 Jäger, H., Makrokriminalität, S. 11. 169 Dazu Welzer, Täter, S. 113; s. auch Schumacher, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht 169 (177 ff.); Sessar, MschrKrim 80 (1997), 1 (4); Jäger, H., Makrokriminalität, S. 135. 170 Welzer, Täter, S. 113 ff.; dazu Jäger, H., Makrokriminalität, S. 28, 132 ff., 150 ff., 155 ff., 164 ff.; s. auch Sessar, MschrKrim 80 (1997), 1 (4). 171 Im Rahmen dieses Experiments sollten die Versuchspersonen als „Lehrer“ einem „Schüler“ Stromstöße verabreichen, wenn er bei seinen Fragen falsche Antworte gab. Dem „Schüler“, der ein Assistent des Versuchsleiters war, wurden in Wirklichkeitk keine Schocks erteilt, er hat nur Schmerzen simuliert. Die Mehrheit der Versuchspersonen aber, die von der Echtheit des „Lerntests“ ausgingen, erteilten unter Forderungen des Versuchsleiters („das Experiment verlangt, dass Sie weitermachen“) dem „Schüler“ heftige Stromstöße von 450 Volt, obwohl sie wussten, dass es sich dabei um lebensgefährliche Schocks handelte, Milgram, Das Milgram-Experiment, S. 18 ff., 25; dazu Welzer, Täter, S. 108 f.; zur Bedeutung des Experiments für das Strafrecht tiefgehend Kargl, Die Funktion des Strafrechts in rechtstheoretischer Sicht, S. 4 f., 8 f. 172 Im Rahmen dieses Experiments übernahm „eine Gruppe von normalen, gesunden und intelligenten Studenten“ die Rolle eines Wärters oder eines Häftlings, Zimbardo, Der Luzifer Effekt, S. 18. Das Ergebnis sah so aus: Rollenanpassungen verbunden mit Demütigungs- und Entmenschlichungsritualen, ebd., S. 39 ff., 165 f. Normale Menschen, die in eine schlechte institutionelle Umgebung versetzt werden, erfahren gravierende Umwandlungen auf ihr Verhalten und Denken, Zimbardo, Der Luzifer Effekt, S. 18 f., 203 ff., 207 ff. 165

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

fällige Menschen fähig sind, wenn die situativen Bedingungen die entsprechenden Anreize bieten.173 In diesem Sinne ist auch Arendts „Banalität des Bösen“ zu verstehen.174 Eine der sozial unaufälligen und normalen Versuchspersonen in Milgrams Experiment, die dem „Schüler“ den „tödlichen“ Stromstoß verabreicht hatte, sagte später tatsächlich zu seiner Frau, dass sie ihn „Eichmann“ nennen könne.175 In Anbetracht dieser sozialpsychologisch fundierten Erklärungsansätze der Makrokriminalität hat sich die Strafwissenschaft mit der Frage auseinandergesetzt, welche Konsequenzen die Kollektivtaten als konformes, situativ und gruppendynamisch bedingtes Verhalten für die individuelle Verantwortung des Täters eines Massenverbrechens haben.176 Dabei wurde allerdings gezögert, eine fehlende Verantwortlichkeit bei Kollektivtaten anzunehmen.177 Womöglich liegt der Grund darin, dass Massenverbrechen von einer derart fürchterlichen destruktiven Kraft sind, dass es undenkbar erscheint, auf individuelle Zurechnung zu verzichten. Die Menschenrechtsverletzungen sind derart massiv, dass das allgemeine Rechtsbewusstsein höhere oder andere Ansprüche an den Ausgleich des Unrechts im Sinne der positiven Generalprävention zu haben scheint als im Bereich der „normalen“ Alltagskriminalität. 178 Die positive Generalprävention ist im Rahmen der völkerrechtlichen Verbrechen nicht als Integrationsprävention zu verstehen.179 Vielmehr wird nach „Desintegrationsprävention“ verlangt, d.h. nach Prävention durch Forderung von Zivilcourage und Widerstand gegen Machtstrukturen.180 Durch die völkerstrafrechtliche Strafe wird kommuniziert, dass die Bürger der zivilen Weltgesellschaft sich nicht in staatlich organisierte makrokriminelle Strukturen einfügen lassen dürfen.181 Im Rahmen des Völkerrechts, anders als

173 Sessar, MschrKrim 80 (1997), 1 (4); Zimbardo, Der Luzifer Effekt, S. 18 f.; Welzer, Täter, S. 113. 174 Arendt, Eichmann in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen, S. 371, 400; dazu Zimbardo, Der Luzifer Effekt, S. 277 f. 175 Milgram, Das Milgram-Experiment, S. 72. 176 Zur Diskussion Jäger, H., Makrokriminalität, S. 142 ff., 173 ff. 177 Jäger, H., Makrokriminalität, S. 146, 151 f., 173 ff., der sich allerdings der Berücksichtigung der gruppendynamischen Vorgänge in der Strafzumessung oder, was die Exkulpation betrifft, einer Lösung de lege ferenda nicht verschließt (S. 179 f.); Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 (136 ff.), der allerdings die psychologische Plausibilität sozialpsychologischer Erkenntnisse nicht in Frage stellt; Reuss, Zivilcourage als Strafzweck des Völkerstrafrechts, S. 24 ff.; Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 430 ff., insbes. S. 433, der aber – wie Jäger – die Berücksichtigung des Konformitätsdrucks in dem Maß der Schuld für die sog. Mitläufer als vertretbar ansieht (S. 224, 433). 178 Vgl. Reuss, Zivilcourage als Strafzweck des Völkerstrafrechts, S. 24 ff.; Neubacher, Kriminologischen Grundlage einer internationalen Gerichtsbarkeit, S. 430. 179 Ebd., S.19. 180 Ebd. 181 Ebd., S. 19 f.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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im Rahmen der Alltagskriminalität, wird das non-konforme Verhalten zum Strafzweck.182 Ob die Verweigerung einer Entlastung des in makrokriminellen Zusammenhängen integrierten und handelnden Individuums legitim ist oder nicht, erfordert eine eigene Diskussion und muss hier offen bleiben. Die Diskussion zeigt aber, dass die Sozialpsychologie viele Fragen für die Zurechnungsproblematik aufwirft. Die Strafrechtswissenschaft wird durch die makrokriminologische Forschung mit diesen Fragen konfrontiert. Der Dialog zwischen Sozialpsychologie und Strafrecht sollte sich allerdings nicht nur auf den Bereich der Makrokriminalität beschränken. Auch der Bereich der Alltagskriminalität, vor allem jener der Fahrlässigkeit in mehrpersonalen Konstellationen, bietet sich für eine Rezeption sozialpsychologischer Befunde an.

II. Situation Auto-Surfen – Gesamtbetrachtung der „Atmosphäre“ „Die Situation hat wesentlich Atmosphärencharakter“, schreibt Schmitz in seinem Beitrag „Druckphänomene als wesentliche Faktoren im Delinquenzverhalten des unreifen Menschen“.183 Betrachtet man die „Atmosphäre“ beim Auto-Surfen, merkt man, dass sie im Wesentlichen die gleiche „Atmosphäre“ ist, die bei einem riskanten Wettkampf herrscht. Die gruppendynamischen Antriebskräfte, die wechselseitige Stimulation zu Mutproben, die Senkung der Hemmungen, die Impulsivität des Handelns, die Spontaneität der Rollenverteilung und die Wirksamkeit der Rollenbindung, der Konformitätsdruck, die affektive Koordination der Beteiligten, die Verantwortungsdiffusion sind auch hier gegeben.184 1. Die Indizwirkung der Gefahrengemeinschaft nach Gesamtbetrachtung des Geschehens Trotz der starken atmosphärischen Ähnlichkeiten, ist doch auf den ersten Blick ein wichtiger Unterschied zwischen den zwei Situationen festzustellen. Während bei einem Wettkampf, wie z. B. einem Autorennen sowohl Fahrer und Beifahrer sich im selben Maß gefährden, setzt sich der Fahrer im Fall eines Autosurfens nicht derselben Gefahr aus wie das spätere Opfer. Anders als bei den symmetrischen Wettkämpfen, d.h. bei den Wettkämpfen, wo alle Beteiligten in dem riskanten Unternehmen auf dieselbe Weise mitmachen, scheint es in der Situation 182

Ebd., S. 16 ff. Schmitz, MschrKrim 45 (1962), 1 (2). 184 Zu diesen Gruppenwirkungen, Jäger, H., Makrokriminalität, S. 161 f., 165, 171 ff.; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881 ff.); Cabanis, StV 1982, 315 (317); Lempp, Jugendliche Mörder, S. 15. 183

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des Autosurfens an der Indizwirkung der Gefahrengemeinschaft zu fehlen. Diese vorschnelle Beobachtung darf uns aber nicht davon abhalten, die Verantwortung des Fahrers in Zweifel zu ziehen. Es ist häufig so, dass sich bei solchen gefährlichen Spielen die Beteiligten der Gefahr abwechselnd aussetzen. Dies bestätigt der Sachverhalt des bekannten und vieldiskutierten Autosurfen-Falls. „Am Abend des 21.8.1993 erhielt der Angekl. [A] in seinem Elternhaus Besuch von seinen Freunden V, E, T und W. Nachdem die fünf Freunde den Abend mit Würfelspielen verbracht und währenddessen in geringen Mengen alkoholische Getränke zu sich genommen hatten, beschlossen sie kurz nach Mitternacht, noch etwas zu unternehmen. [. . .]. Zunächst führten sie das sogenannte „Auto-Surfen“ auf landwirtschaftlichen Feldwegen in der Nähe der Ortschaft G in der Weise durch, daß sich einer von ihnen auf das Autodach, welches über eine Breite von 1,98 m und eine Länge von 1,40 m verfügt, legte und sich während der Fahrt jeweils an den Türholmen der geöffneten Fenster auf der Fahrer- und Beifahrerseite festhielt, dann legten sich zwei Personen auf das Dach und schließlich drei, wobei sie sich mit der anderen Hand sich jeweils gegenseitig umklammernd festhielten. Sie wechselten sich bei den jeweiligen Fahrten, die jeweils über eine Strecke von bis zu 2 km gingen, ab, so daß jeder von ihnen auf dem Dach zu liegen kam und ein jeder mit Ausnahme des Zeugen W den Pkw fuhr, obwohl lediglich V über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügte, wie ihnen allen bekannt war. Sie setzten dieses Auto-Surfen schließlich dann auf geteerten landwirtschaftlichen Wegen im Gebiet M in der Weise fort, daß sich vier von ihnen auf das Dach legten und nur einer, der das Fahrzeug steuerte, in diesem blieb. Bei der ersten dieser Fahrten [. . .] steuerte der Zeuge E das Fahrzeug, [. . .]. Die nächsten beiden Fahrten führte der Angekl. durch [. . .]“ 185 Während der letzten Fahrt, die der Angeklagte durchführte, flog V in einen angrenzenden Graben.186 Der zitierte Sachverhalt zeigt, dass, obwohl der Fahrer sich im Moment des Unfalls nicht derselben Gefahr wie der des Opfers aussetzt, doch eine Gefahrengemeinschaft besteht. Es handelt sich um eine allgemeine Gefahrengemeinschaft, die sich auf das gesamte Projekt des Autosurfens bezieht. Dass A im oberen Sachverhalt in dem Moment des Unglücks hinter dem Steuer saß und nicht auf dem Dach, war lediglich dem Zufall geschuldet. Wie bei einem Autorennen hätten die Geschehnisse auch anders ablaufen und A hätte an der Stelle von V ums Leben kommen können. Das Abstellen auf das punktuelle Fehlen der Gefahrengemeinschaft wäre, ähnlich wie die Trennung zwischen Überholungsmanöver und übrigem Beschleunigungstest bei dem Autorennen-Fall, eine künstliche Zerstückelung einer Einheit, die eine zufallsabhängige Verantwortungszuschreibung begünstigen würde. 185 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 325 (326); zu der Entscheidung Hammer, JuS 1998, 785 ff. 186 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 325 (326).

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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Nur die gesamte Betrachtung des Geschehens entspricht dem atmosphärischen Charakter der Situation. Die „Atmosphäre“ der Situation „Autorennen“ umfasst alle einzelnen Surfrunden und stellt sich gegenüber den einzelnen Handlungsmomenten als eine übergeordnete „dynamische Größe“ dar.187 Anders gesagt ist jede einzelne Runde mit ihrer besonderen Gestaltung das Produkt derselben „Atmosphäre“. Dazu kommt, dass jede Surfrunde mit dem Unternehmen der vorherigen Runde zusammenhängt. Der Unfall ist das Ergebnis des letzten Aktes einer gesamten Handlungskette.188 Mit jeder Runde steigt die affektive Spannung und das Verantwortungsgefühl lässt immer mehr nach. Die „Spielkameraden“ werden immer mutiger und hemmungsloser. Dabei entsteht eine Rollenabwechslungspflicht aus „falsch verstandener Kameradschaft“ 189. A setzte sich hinter das Steuer, weil seine „Spielkameraden“ das vorher auch gemacht hatten. Er war nun dran, die weniger abenteuerliche Rolle zu übernehmen. Es wäre also nicht sachgerecht, jeden Durchgang als gesonderten Sachverhalt zu betrachten und der punktuell fehlenden Gefahrengemeinschaft eine Bedeutung beizumessen. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Momenten gingen dann verloren. 2. Gesamtbetrachtung des Geschehens als Voraussetzung einer umfassenden Autonomieprüfung Wer die enge Abhängigkeit der einzelnen Akte voneinander im Rahmen einer gruppendynamischen Situation wahrnimmt, erkennt, dass Abgrenzungsversuche zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung anhand von Kriterien wie denen des letzten Aktes oder der unmittelbaren Gefährdungsverursachung, sowie die Gleichstellung der einverständlichen Fremdgefährdung mit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung anhand des Kriteriums der Kontrollmöglichkeit190 bei Fällen wie dem Autosurfen an der situativen Realität vorbei laufen. Bei solcher Betrachtungsweise des Geschehens wird Verantwortung auf der Grundlage der punktuellen und zufälligen Gestaltung einer kontinuierlich transformierten Konstellation zugeschrieben. Dies entsteht durch die Isolierung eines Teils des Ganzen. Peña schreibt z. B. bei Anwendung des Kriteriums der Kontrollmöglichkeit des Risikos die Verantwortung dem Fahrer zu, weil er das Risiko kontrolliere.191 Es sei für die Surfer „nach dem 187

Vgl. Schmitz, MschrKrim 45 (1962), 1. So Welzer in Bezug auf makrokriminelle Handlungen, Welzer Täter, S. 141. 189 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 725. 190 Peña GA 2011, 295 (308 ff.). 191 Peña GA 2011, 295 (310); dazu krit. Roxin, GA 2012, 655 (668 f.). Roxin räumt dem Kriterium der Kontrollmöglichkeit eine Indizwirkung für gleichrangige Verantwortlichkeit ein (668). Er bestreitet jedoch, dass es bei der Verantwortungszuschreibung allein auf die objektive Kontrolle des Risikos ankommt (ebd.). Entscheidend ist für Roxin, wer der Initiator des riskanten Unternehmens war, das Opfer oder der Täter (ebd.). In diesem Kriterium kommt eine gewisse Sensibilität für den motivationalen Hinter188

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Starten des Fahrzeuges [. . .] überaus schwer oder gar unmöglich gewesen, den Fahrer um Bremsen oder Stoppen zu bitten, und darüber hinaus kontrollierten sie die Schwankungen und Bewegungen des Autos nicht und damit auch nicht die Möglichkeit, das Gleichgewicht und den Halt zu verlieren und hinausgeschleudert zu werden.“ 192 Bei Peñas Argumentation fällt auf, dass nur der Zeitpunkt des Unfalls relevant ist. Frühere Momente und Akte werden ausgeblendet, so dass seine Sichtweise auch keine Einzelaktbetrachtung ist. Die Einzelaktbetrachtung als Gegenstück der Gesamtbetrachtung setzt wenigstens die Wahrnehmung mehrerer einzelner Akte eines Geschehens voraus, was hier jedoch nicht geschieht. Es tritt die Verengung des Blicks auf nur einen singulären Akt ein, eine Singularisierung im Lichte eines kontigenten Phänotyps. Dieser Phänotyp bestimmt dann, ob Täter und Opfer eine gleichrangige Verantwortung haben oder nicht. Man fragt sich aber, was für eine Art von Autonomiekonzept steckt hinter dieser Verantwortlichkeitszuschreibung? Ist es so zu verstehen, dass ein „Autosurfer“, wenn er hinter dem Steuer sitzt, mehr verantwortlich und also autonomer ist, als wenn er zehn Minuten später auf dem Dach des Autos sitzt? Und wenn er nach zehn weiteren Minuten wieder hinter dem Steuer sitzt, wird er wieder verantwortlich und autonom? Dies wäre allerdings ein seltsames Verständnis von Autonomie, zu sehr abhängig von zufälligen Äußerlichkeiten, um einleuchtend zu sein. Eine umfassende Autonomieprüfung scheitert hier wegen der Singularisierung des letzten Aktes. Schlüsse über die Autonomie des Handelnden können wir nicht ziehen ohne Berücksichtigung der psychosozialen Gegebenheiten des interaktiven Sachverhalts, in dem er sich befindet. Die psychosozialen Gegebenheiten eines interaktiven Sachverhalts stellen wiederum eine unteilbare Gesamtheit dar, weil jeder einzelne Akt nur im Zusammenhang mit früheren und vorstehenden Akten zu erklären ist. Die Gesamtbetrachtung der gefährlichen Vorgänge als eine einheitliche atmosphärische Größe beleuchtet aber nicht nur die Autonomiedefizite des Fahrers, sondern auch die des späteren Opfers. Dadurch wird noch einmal klar, dass das grund des Täters zum Ausdruck, was bei dem Kriterium der Kontrollmöglichkeit des Risikos fehlt. Das von Roxin vorgeschlagene Kriterium kann man besser mit dem Problem der Autonomie als Hinterfragung der Motivationsquelle des Handelnden in seiner eigenen Person vereinbaren. Gleichwohl befriedigt das Kriterium Roxins nicht. Es geht davon aus, dass einer von den beiden Beteiligten den anderen mehr oder weniger bestimmt. Es wird dadurch verkannt, dass ein Interaktionsverhältnis situative Zwangsmomente gegenüber allen Beteiligten entfalten kann. Das Geschehen kann sich verselbständigen und alle interagierenden Personen bestimmen. Stratenwerth wirft Roxin vor, dass eine Begründung für sein auf die Initiative abstellende Abgrenzungskriterium „[n]irgendwo“ zu finden ist, Stratenwerth, in: FS für Puppe, S. 1017 (1021). Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Begründung in den sozialpsychologischen Einwirkungen bei der Willensbetätigung der Mitwirkenden zu suchen. 192 Peña, GA 2011, 295 (310).

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Konzept der Selbstverantwortung des Opfers für die Mitwirkungsfälle nicht richtig ist. Der letzte, zum Erfolg unmittelbar führende Akt ist das Ergebnis der hohen affektiven und emotionalen Koordination193 der Beteiligten während der gesamten Handlungskette. Alle Autosurfer sind in einem Prozess der wechselseitigen Verstärkung verstrickt und in der jeweiligen Rolle gefangen.194 Sowohl Fahrer als auch Autosurfer unterliegen nach der zufälligen Gestaltung des letzten Aktes dem Zwang der Gruppenatmosphäre, die über diesen letzten Akt hinaus auch alle früheren Akte erfasst und sie in einem Ganzen zusammenbindet. Das schon angesprochene sozialpsychologische Phänomen „des Fußes in der Tür“ ist dabei erkennbar. Hat das „Spiel“ einmal angefangen, ist mit jeder Runde eine Steigerung des Risikos (am Anfang lag nur einer auf dem Dach, später lagen dort vier Personen) sowie der Verbindlichkeit gegenüber den „Spielkameraden“ zu erwarten. Die Verbindlichkeit zwingt einmal den einen einmal den anderen zur Rolle des Autosurfers, wie auch zur Rolle des Fahrers, so dass an dem unbeeinträchtigten autonomen Verhalten aller Mitgefährdeten, unabhängig von der konkreten Rolle im Moment des Unfalls, zu zweifeln ist. Vor diesem sozialpsychologischen Hintergrund ist eine Verantwortungszuschreibung zum einen oder anderen Beteiligten oder zu beiden nicht nachvollziehbar. 3. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse einer Gesamtbetrachtung des Autosurfen-Falls Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Autosurfen-Fall, in dem sich die Beteiligten in ihren Rollen abwechseln – oder auch, wenn die Rollenverteilung das Ergebnis eines Losverfahrens ist – den Wettkampf-Konstellationen gleich zu stellen ist. Die fehlende punktuelle Gefahrengemeinschaft wird durch eine allgemeine Gefahrengemeinschaft ausgeglichen, die sich auf das ganze riskante Unternehmen bezieht. Das Indiz für die Wirkung eines situativen, gruppendynamischen Zwangs auf den Täter ist dann auch hier vorhanden. Ebenso wenig autonom und verantwortlich wie der Täter handelt das Opfer. Es wird auch von den schwunghaften Gruppenkräften hingerissen. So scheitert beim Autosurfen-Fall, wie bei den Wettkämpfen, das Konzept der Selbstverantwortung des Opfers, das die Entlastung des Täters in der überwiegenden oder der gleichrangigen Eigenverantwortlichkeit des Opfers zu der des Täters sucht.195 Bei beiden Konstellationen handelt es sich um Fälle der „gleichrangigen Nichtverantwortlichkeit“ oder der „gleichrangigen verminderten Verantwortlichkeit“. 193 Die „hohe affektive und emotionale Koordination der Beteiligten in der Tatsituation“ nennt Schumacher als Indiz von gruppendynamischen Einflüssen in der Person der Handelnden, Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883). 194 Zur Gefangenschaft durch die Rolle Lempp, Jugendliche Mörder, S. 15. 195 Von dem „Prinzip der gleichrangigen Eigenverantwortlichkeit“ spricht Roxin, JZ 2009, 399 (401).

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III. Die soziale Realität der Beifahrer-Fälle Bisher wurden Interaktionsprozesse in Gruppen behandelt. Dabei wurde versucht zu zeigen, dass das Verhalten der Beteiligten durch Kräfte beeinflusst wird, die außerpersonaler und situativer Natur sind. Die Kräfte sind weder das Produkt der bewussten Willensentschließung der Person, noch das Ergebnis des Zusammenkommens der Entscheidungen aller beteiligten Individuen.196 Sie entspringen aus dem Beziehungsgeflecht der Gruppe und sie verselbständigen sich den beteiligten Personen gegenüber.197 Es handelt sich bei ihnen um eine selbständige, eigendynamische Größe, die die Entscheidungsfreiheit der in der Gruppe mitwirkenden Individuen einschränkt oder in einigen Fällen sogar ausschließt.198 Gegenstand der sozialpsychologischen Forschung sind aber nicht nur die Wechselwirkungen unter mehr als zwei Leuten. Vielmehr interessiert sie sich besonders für die soziale Beeinflussung in Dyaden.199 Anders als in der Strafrechtswissenschaft, wo der Begriff der Gruppe/Bande im Rahmen der Reaktion gegen die organisierte Kriminalität mindestens drei Mitglieder voraussetzt200, wird in der Sozialpsychologie die Dyade als die „kleinste Kleingruppe“ wahrgenommen.201 Sie stellt das „Grundbiotop“ sozialen Einflusses dar, so dass man sich größere Gruppen aus mehreren Dyaden zusammengesetzt vorstellen kann, wobei jeder Einzelne an mehreren Dyaden teilnimmt.202 Daher sollte man bei den Bemühungen zur Integration sozialpsychologischer Erfahrungen in die strafrechtliche Diskussion um die Mitwirkungsfälle die dyadisch gestalteten kommunikativen Geschehnisse nicht außer Acht lassen. Man darf sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass auch hier soziale Zwänge entstehen können, die dazu führen, dass eine Person gegen ihren eigentlichen Willen agiert. Die Beifahrer-Fälle sind häufig durch ein dyadisches Kommunikationsverhältnis gekennzeichnet. Damit sind die Konstellationen gemeint, bei denen der Beifahrer trotz Erkennens der Fahruntüchtigkeit des Fahrers in das Fahrzeug einsteigt und sich fahren lässt, mit dem Ergebnis seiner späteren Verletzung oder Tötung.203 Das Risiko muss allerdings nicht nur aus der Person des Fahrers stammen, es kann auch in einem objektiven Defekt des Fahrzeugs liegen oder in einer ungünstigen Wetterlage, die dem risikobereiten Opfer bewusst ist. Als BeifahrerFall lässt sich auch der schon erwähnte Memel-Fall204 bezeichnen. Ein Fährmann 196 197 198 199 200 201 202 203 204

Schumacher, NJW 1980, 1880. Ebd. Ebd., 1880 ff. Herkner, Sozialpsychologie, S. 385 ff. Grundlegend BGHSt 46, 321. Herkner, Sozialpsychologie, S. 385. Ebd. BayObLG JR 1963, 27. RGSt 57, 172.

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transportiert bei einem Unwetter und Hochwasser zwei Reisende über den Fluss. Die zwei Reisenden ertrinken, als das Fährboot wegen des Sturms kentert. Beim Memel-Fall handelt es sich äußerlich nicht um einen Sachverhalt dyadischer Natur, was auch bei anderen Beifahrer-Konstellationen nicht immer der Fall ist. Es kommt häufig vor, dass zwei oder mehrere Beifahrer sich in Kenntnis der Fahruntüchtigkeit des Fahrers oder eines Defekts dem Risiko aussetzen. Gleichwohl stellen diese Sachverhalte nicht automatisch eine gruppendynamisch bedingte Konstellation dar. Solange es an der erforderlichen affektiven und gefühlsübertönten Koordination aller Beteiligten in Richtung eines durch das Interaktionsnetz vorgegebenen Ziels fehlt,205 stehen Fälle mit mehr als einem risikobereiten Beifahrer jedoch den dyadischen Sachverhalten näher als den Wettkampf- und Autosurf-Fällen. Dies bedeutet aber nicht, dass die numerische Gestaltung jedes Falls unberücksichtigt bleibt. Sie kann dazu beitragen, dass ein besseres Bild über die psychosoziale Realität des Geschehens entsteht. Über diese Realität werden im Folgenden einige Anmerkungen gemacht, die für die Verantwortungszuschreibung von Bedeutung sind. Als erstes wird der Memel-Fall thematisiert. 1. Memel-Fall: Situative Erschwerungen zur Durchsetzung des eigenen Willens Der Fährmann habe die zwei Reisenden „auf das Gefährliche des Unternehmens wiederholt und nachdrücklich hingewiesen, sie davon abzuhalten versucht und erst auf ihr unausgesetztes Drängen und, als sie seinen persönlichen Mut in Zweifel zogen, widerwillig nachgegeben und aus Gutmütigkeit, um ihnen gefällig zu sein, sein eigenes Leben mit auf das Spiel gesetzt.“ 206 Dieser Schilderung des Sachverhalts in der berühmten Entscheidung des Reichsgerichts ist zu entnehmen, dass der Fährmann sich in einem Entscheidungsdilemma befand, die zwei Reisenden über den Fluss zu setzen oder nicht. Nach ersten Hemmungen entschied er sich dann schließlich doch dafür, den Wunsch der beiden zu erfüllen. Die strafrechtliche Bewertung der Konstellation setzt das Verständnis voraus, wie diese Entscheidung zustand kam oder überhaupt: wie solche Entscheidungen zustande kommen. Ein Strafrecht, das sozialpsychologisch nicht ausreichend informiert ist, tendiert zu einem rein normativen Ansatz. Dadurch verbleibt es womöglich hinter den Anforderungen zurück, die man an ein aufgeklärtes Strafrecht auch dann richten darf, wenn es die Grenzen seines Selbstverständnisses durch eine Abgrenzung gegenüber der Psychologie gewinnt. Nimmt man die „deliberativen“ Vorgänge in der Person des Fährmannes im Memel-Fall genauer in den Blick, ist dessen innere Konfliktlage nicht zu übersehen. Die Risiken und möglichen Konsequenzen einer Überfahrt bei dem Un205 206

Vgl. Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883). RGSt 57, 172 (174).

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

wetter sind ihm bewusst, deshalb will er die zwei Reisenden im Grunde nicht über den Fluss setzen. Seine endgültige Entscheidung gerät aber in Konflikt mit seinem eigenen Willen. Es kommt zu einer volitionalen Inkohärenz, wie sie von dem amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt analysiert wordern ist.207 Sie ist offenbar das Ergebnis eines Drucks, der von den zwei aufdringlichen Reisenden ausgeübt wird. Der Fährmann hat „widerwillig nachgegeben“, dies deutet auf eine fehlende „Identifikation“ 208 mit seiner Entscheidung hin. Um mit Frankfurt weiter zu sprechen, scheint es so zu sein, dass die Entscheidung zu fahren nicht jene ist, die er zu treffen wünscht, sondern eine, die ihm durch eine Kraft aufgedrängt wird.209 Diese Kraft ist sozialpsychologischer Natur und liegt außerhalb der Person des Fährmannes. Das Ergebnis ist, dass er seinen Willen nicht ganz unter Kontrolle hat und sich mit seiner Entscheidung nicht identifiziert. Die Anwendung des volitionalen Modells von Frankfurt (Inkohärenz zwischen Willensakten erster und zweiter Stufe) lässt sich so begründen, dass das Problem des Fährmannes als Problem der Willensfreiheit rekonstruierbar ist. Konkreter: Die Mitwirkungsfälle weisen die Besonderheit auf, dass sie in die Interferenzzone zwischen Handlungs- und Willensfreiheit fallen. Zwar entspricht diese Art der äußeren Kräfte nicht den im klassischen Sinne verstandenen äußeren Zwängen, wie etwa Gewalt oder Drohung, doch liegt der Ursprung der Zwänge in externen, situativen Determinanten, sie ähneln also insoweit den Fällen der Handlungsunfreiheit. Die Handlungsfreiheit bleibt aber auf jeden Fall erhalten. Weil die äußeren Druckphänomene sich im Rahmen des situativen Interaktionsverhältnisses zu inneren Zwängen transformieren, ist gleichwohl zu fragen, ob die Willensentscheidung trotz der Handlungsfreiheit nicht doch als unfrei zu qualifizieren ist. Der Fährmann war frei zu tun, was er wollte, aber nicht frei zu tun, was er wirklich wollte.210 Damit lassen sich Mitwirkungsfälle trotz der äußeren Einflusskräfte als Probleme der Willensfreiheit behandeln, bei denen das Modell von Frankfurt analytisch behilflich sein kann. Danach ist Willensfreiheit nur dann anzunehmen, wenn man fähig ist, ein Wollen höherer Ordnung (sog. Volitionen zweiter Stufe) handlungswirksam werden zu lassen.211 Zwar stellt der Fall der Sucht das Hauptbeispiel Frankfurts für eingeschränkte Willensfreiheit dar,212 man kann jedoch sein Modell problemlos erweitern und situativ und interaktionsbedingte innere Zwänge einbeziehen. Durch „hochaufgeladene“ 213 Interaktionsabläufe können Situationen entstehen, bei denen eine involvierte Person nur

207 208 209 210 211 212 213

Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 123. Ebd., S. 74. Ebd., S. 71 ff., 79. Ebd., S. 79. Ebd., S. 77. Ebd., S. 73 ff. Jäger, H., Makrokriminalität, S. 171; Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881).

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schwer einen anderen Willen hätte bilden können, als sie ihn tatsächlich gebildet hat. Indiz für den situativ bedingten inneren Zwang des Fährmanns und seine Fremdbestimmung bei der Willensentschließung ist die Tatsache, dass er sich auch selbst dem stürmischen Wetter und dem Hochwasser aussetzte. Die eigene Gefährdung neben den zwei Fremdgefährdungen darf nicht übersehen werden. Auch das Reichsgericht weist auf die Selbstgefährdung des Fahrers hin. Er habe „widerwillig nachgegeben und aus Gutmütigkeit, um ihnen gefällig zu sein, sein eigenes Leben mit auf das Spiel gesetzt.“ 214 Die Selbstgefährdung des Fährmannes geht auf einen erheblichen Druck zum Übersetzen zurück. Damit wird auch nachvollziehbar, dass Roxin zu Recht vorschlägt, die Frage zu berücksichtigen, wer von den Beteiligten der Initiator des riskanten Unternehmens war.215 Zwar wird diese Frage unrichtigerweise als Abgrenzungskriterium zwischen den konstruierten Figuren der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einverständlichen Fremdgefährdung angesetzt, sie ist jedoch sozialpsychologisch sensibler und kann die Indizwirkung der Gefahrengemeinschaft zwischen den Beteiligten ergänzen. Das Ergänzungsverhältnis zwischen den zwei Indizien wirkt auch auf umgekehrtem Weg. Man hat dann mehr Anhaltspunkte, einen Willenseinfluss durch situative Faktoren anzunehmen, wenn der Initiator des gefährlichen Verhaltens nicht nur das spätere Opfer ist, sondern, wenn dessen Einfluss von solch maßgebender Intensität war, dass sich auch der Täter in dieselbe Gefahr begibt. Eine solche Art von verstärkter Indizwirkung für Willenseinfluss und erheblich verminderte Verantwortung liegt bei dem Memel-Fall vor. Der gefährdende Fährmann war aufgrund des Druckes der zwei Gefährdeten auch deren Mitgefährdeter geworden. Zudem ist die numerische Gestaltung dieses Falles ein Zeichen für die schwächere sozialpsychologische Position und die daraus resultierende Verantwortungsminderung des Fährmannes. Zwei aufdringliche Reisende, die massiv darauf bestehen gefahren zu werden und seinen persönlichen Mut in Zweifel ziehen, können die Einwände des Fährmannes einfacher ausschalten als es bei einem Fall möglich wäre, in dem es der Fährmann nur mit einem Reisenden zu tun hat. Der situative Konformitätsdruck („aus Gutmütigkeit, um ihnen gefällig zu sein“, steht in der Entscheidung des Reichsgerichts)216 nimmt bei mehreren Interaktionspartnern zu. Zur Steigerung des Konformitätsdrucks kann das Sich-Befinden in einer unsicheren Lage beitragen. Die Sozialpsychologie weist darauf hin, dass je ungewohnter die Situation ist, in der sich eine Person befindet, sie sich umso leichter von den Interaktionspartnern beeinflussen lässt.217 Die Abweichung von den üb214 215 216 217

RGSt 57, 172 (174). Roxin, GA 2012, 655 (668). RGSt 57, 172 (174). Welzer, Täter, S. 88.

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lichen und gewöhnlichen „Referenzrahmen“ des Handelns kann zu verstärkter Konformität und Orientierung an den anderen führen.218 Dass dieser spezielle Gesichtspunkt im Memel-Fall einschlägig ist, dass also die Nachgiebigkeit des Fährmannes und seine Anpassung an die Wünsche der Reisenden auch das Ergebnis seiner Unsicherheit in einer ungewöhnlichen Situation gewesen ist, muss freilich eher bezweifelt werden. Dennoch haben „seiner Persönlichkeit primär nicht innewohnende Kräfte“ 219, die ihren Ursprung im Handeln der Opfer haben, das Geschehen entscheidend mitbestimmt. Die zwei Initiatoren des riskanten Unternehmens haben im Rahmen der Interaktion mit dem Fährmann eine zwangserzeugende Situation für ihn geschaffen. In dieser Situation war es dem Fährmann erheblich schwerer gemacht, sich der aufgedrängten Wünsche zu erwehren. Diese situativen Erschwerungen zur Verwirklichung des eigenen Willens sollten bei der Verantwortungszuschreibung mitgerechnet werden. Eine Minderung der Verantwortung erscheint unter den äußeren Bedingungen des Falles sachgerecht zu sein. 2. Die übrigen Beifahrer-Fälle Was über den Memel-Fall ausgeführt wurde, betrifft das ganze Spektrum der Beifahrer-Fälle. Einige zusätzliche Erläuterungen sind allerdings in Bezug auf die klassische Konstellation des Beifahrer-Falls erforderlich. Dabei geht es um den Fall, in dem der Beifahrer sich von einem erheblich Alkoholisierten fahren lässt und dabei ums Leben kommt. a) Die entscheidende Frage: Wer fordert und wer wird aufgefordert? Nach Roxin sollte man die Beifahrer-Fälle danach unterscheiden, ob der Beifahrer die treibende Kraft der riskanten Fahrt ist oder ob der Autofahrer selber die Initiative ergriffen hat, ohne Einwirkung des Beifahrers.220 Im ersten Fall würde er den Fahrer straflos lassen wollen, im zweiten aber bestrafen.221 Wie wir mehrmals betont haben, ist eine solche Unterscheidung aus sozialpsychologischer Sicht durchaus plausibel. Sie trifft auch den Kerngrund einer möglichen ungleichen Behandlung von Sachverhalten, bei denen zum Teil dieselben Indizien verminderter Verantwortung zu verzeichnen sind. Genauer: Bei beiden Konstellationen haben wir es mit einer Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer zu tun, was uns dazu bringen könnte, beide Fälle gleich zu behandeln. Die Unterschei218 219 220 221

Ebd. Schumacher, NJW 1980, 1880. Roxin, GA 2012, 655 (665 ff., 669). Vgl. ebd.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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dung Roxins offenbart allerdings den Grund dafür, dass eine unterschiedliche Bewertung der Fälle vertretbar ist. In dem ersten Fall ist die Gefahrengemeinschaft, also die Mitgefährdung des Fahrers das Ergebnis eines situativen Drucks, dessen Wirkung sich der Fahrer, auch wegen seiner Alkoholisierung, nicht ganz entziehen konnte. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Täter (wie auch der Fährmann des Memel-Falles) vor der Aufforderung nicht vorhatte, alleine zu fahren. Im Gegensatz zu dem ersten Fall erscheint dieser externe Druck auf den Fahrer in der zweiten Konstellation zu fehlen. Eine Verantwortungsminderung erscheint hier dann nur aufgrund der Trunkenheit möglich zu sein. Es kann sogar in diesem Fall so kommen, dass situative Zwangsmomente auf die Person des Beifahrers wirken. Man stelle sich z. B. die Konstellation vor, bei der die Ehefrau in das Auto des unter starkem Alkoholeinfluss stehenden Ehemannes steigt, der auch behauptet, er sei nüchtern genug, um zu fahren. Dass der Fahrer sich mitgefährdet, kann hier nicht relevant sein. Die Gefahrengemeinschaft entwickelt ihre Indizwirkung für beeinträchtigte Willensfreiheit erst, wenn der Handelnde aufgrund kommunikativer Einflüsse unter Druck gerät, wie in dem Fall, wo das Opfer den Täter zum riskanten Verhalten auffordert. Im Fall der Ehefrau ist umgekehrt ein situativer Zwang auf das Opfer festzustellen. Sie fühlt sich sozial verpflichtet mit ihrem Mann mitzufahren, der sie auch in ihrem Entschluss bekräftigt. b) Das Opfer als faktische Größe des Geschehnisses Die unterschiedliche Behandlung der Fahrer in beiden oben genannten Sachverhalten darf nicht in Zusammenhang mit der Verantwortung des Opfers gebracht werden. Man würde vielleicht in dieser Differenzierung eine Bestätigung des Selbstverantwortungskonzepts sehen wollen: Da wo das Opfer verantwortlich handelt, wird der Täter entlastet, und umgekehrt, da wo das Opfer unter starkem situativem Druck steht und nicht vollverantwortlich handelt, bleibt der Täter strafbar. So ist aber die oben dargestellte Unterscheidung nicht gemeint. Wenn es um die Bewertung des Verhaltens des Täters geht, ist das Verhalten des Opfers immer als eine faktische Größe zu behandeln.222 Das Verhalten des Opfers, unabhängig davon, ob es frei oder nicht, hat das Potenzial, psychosozialen Zwang auf den Täter auszuüben. Aus diesem Grund ist das Selbstverantwortungskonzept nicht haltbar. Wie man schon im Rahmen der Diskussion um die gruppendynamischen Konstellationen des Autorennens und des Autosurfens gesehen hat, ist das Opfer in der Steuerung seines Willens stark beeinträchtigt. Dies hat eine Entlastung des Täters nicht gehindert. Eine Verantwortungszuschreibung zur Person des Opfers muss dafür nicht erfolgen. 222 Vgl. Bois-Pedain, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 33 (44). Das Gegenteil betont Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (366).

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c) Indizien für Einflüsse von erheblicher Stärke Außer dem klassischen Beispiel der Trunkenheitsfahrt ist im Rahmen der Diskussion um die Beifahrer-Fälle auch der sog. Kleintransporter-Fall223 kurz zu erwähnen. Hier hatte ein Bauarbeiter sich gegen die Warnung des Fahrers in den Laderaum des Wagens gesetzt, der ungesichert und ohne Sitzgelegenheit war.224 Als es während der Fahrt zu einem vom Fahrer nicht verschuldeten Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug kam, wurde der Bauarbeiter auf die Fahrbahn geschleudert.225 Er stieß mit dem Kopf an einen Schutzplankenpfosten und kam ums Leben.226 Dieser Sachverhalt erinnert an den Memel-Fall, insoweit das Risiko nicht in der Person des Fahrers, sondern in äußeren Umständen (dort Wetterlage, hier ungesicherte Ladefläche) liegt. Gleichwohl fehlt es hier an Indizien starken situativen Einflusses. Anders als bei dem Memel-Fall und den übrigen Beifahrer-Fällen geht es hier allein um eine Gefährdung des späteren Opfers. Das Merkmal der Gefahrengemeinschaft nach Aufforderung des Opfers liefert ein sicheres Zeichen für Fremdbestimmung durch erhebliche situative Kräfte. Man kann bei solchen Konstellationen davon ausgehen, dass der vom Opfer geschaffene situative Druck gegenüber dem Täter von erheblicher Stärke ist, so dass er sich gegen seine eigenen Überzeugungen und gegen seinen Willen auch selbst gefährdet. Bei Sachverhalten wie dem Kleintransporter-Fall, wo es nicht zur Gefahrengemeinschaft zwischen Täter und Opfer kommt, fehlt aber dieses hilfreiche Zeichen für starke Umwelteinflüsse mit psychosozialer Wirkung. Die Tatsache, dass das Opfer der Initiator des gefährlichen Unternehmens war, sofern dies, wie im Rahmen der Diskussion um den Memel-Fall schon erwähnt wurde, nicht durch das Indiz der Gefahrengemeinschaft ergänzt wird, bleibt zunächst ein schwaches und eher unsicheres Anzeichen für erhebliche Beeinträchtigung der Willensfreiheit. Dafür brauchen wir mehr als einen einfachen Einfluss des Opfers auf die Person des Fahrers. Dies besagt allerdings nicht, dass die Feststellung, dass der Initiator des Risikos das Opfer war, eine Entlastung des Täters nicht begründen kann. Dann ist aber die Suche nach weiteren Anzeichen psychosozialer Zwangswirkung nötig. Im Kleintransporter-Fall ist eine Entlastung des Fahrers abzulehnen. Der ausgeübte Einfluss scheint nicht jene Stärke erreicht zu haben, die eine erhebliche Verantwortungsminderung begründen könnte. Auch in unmittelbarem Vergleich mit dem Memel-Fall und den Trunkenheitsfällen ist festzustellen, dass in letzteren der Täter in deutlich schwächerer Position bei der Durchsetzung seines eigenen Willens ist als der Fahrer im Kleintransporter-Fall. Die Überzahl derer, die zu 223 224 225 226

OLG Zweibrücken JR 1994, 518, mit Anmerkung von Dölling. OLG Zweibrücken JR 1994, 518; zum Fall Roxin, GA 2012, 655 (656). OLG Zweibrücken JR 1994, 518. Ebd., 518 f.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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dem riskanten Unternehmen auffordern, im ersten Fall und die Alkoholisierung im zweiten reduzieren die Widerstandskraft des Fahrers und verstärken die Wirkung der Drucksituation. Dagegen ist der Fahrer im Kleintransporter-Fall nüchtern und steht nur einer auffordernden Person gegenüber. 3. „Echte“ und „unechte“ Interaktionen Nach der Grunddefinition des Begriffs setzt Interaktion eine Wechselwirkung zwischen den Akteuren voraus.227 Das Handeln der Beteiligten in einer Interaktionssequenz ist dann das Ergebnis einer gegenseitigen Beeinflussung.228 Das Verhalten des einen stellt eine Reaktion auf das Verhalten des anderen dar, die wiederum eine neue Reaktion des Interaktionspartners hervorruft.229 Da aber eine Interaktion oft nicht rein reaktiv abläuft, sondern neben den äußeren Faktoren (z. B. situative Reaktion des Interaktionspartners) auch innere Determinanten (eigene Motive, Ziele, Überzeugungen) in der Prägung des Interaktionsprozesses mitwirken, werden in der sozialpsychologischen Literatur Verfeinerungen der Grunddefinition vorgenommen.230 Vier Grundtypen von Interaktionssequenzen werden unterschieden: Pseudokontingenz, asymmetrische Kontingenz, reaktive Kontingenz und wechselseitige Kontingenz.231, 232 Pseudokontingenz liegt vor, wenn beide Interaktionspartner nur nach inneren Determinanten agieren und sich nicht richtig auf einen echten Austausch untereinander einlassen.233 Die Reaktion des einen Interaktionspartners übt keinen sozialen Einfluss auf das Verhalten des anderen aus.234 Beim Theaterspielen oder bei ritualisierten Vorgängen kommt es zur Pseudokontingenz.235 Die Reaktionen 227

Herkner, Sozialpsychologie, S. 385. Ebd. 229 Ebd. 230 Ebd., S. 385 f. 231 Diese Unterteilung wurde von Jones und Gerard eingeführt, Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 506 ff. Eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Interaktionssequenzen findet man bei Herkner, Sozialpsychologie, S. 385 ff. 232 Die Unterteilung der Interaktionssequenzen in die vier Grundtypen wurde auf der Basis einer dyadischen Interaktion durchgeführt, s. Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 506 ff. Da aber jede mehrpersonale Konstellation als eine Zusammensetzung sich kreuzender Dyaden bestimmbar ist, betreffen die Erkenntnisse über die unterschiedlichen Arten von Interaktionssequenzen das ganze Spektrum von Interaktionen (mehrpersonale Konstellationen ohne Gruppencharakter, Gruppenkonstellationen) und nicht nur die Interaktionen in Dyaden, vgl. Herkner, Sozialpsychologie, S. 385. 233 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 506 f.; Herkner, Sozialpsychologie, S. 386. 234 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 506 f.; Herkner, Sozialpsychologie, S. 386. 235 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 507; Herkner, Sozialpsychologie, S. 386. Neben dem Theaterspielen werden als weitere Beispiele die Diskussionen genannt, die zwischen psychotischen Patienten oder Kindern ablaufen. Zwar wird hier 228

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sind dabei vorprogrammiert und die ganze Interaktion ist vorherbestimmt.236 Asymmetrische Kontingenz tritt auf, wenn nur einer der Beteiligten in der Interaktion durch die Reaktionen seines Interaktionspartners beeinflusst wird, also durch äußere Determinanten gesteuert wird.237 Dagegen ist das Verhalten des anderen Beteiligten in dem Interaktionsgeschehen nur durch dessen eigene Überzeugungen und Absichten bestimmt.238 Die Reaktionen des Interaktionspartners werden im Grunde ignoriert und lediglich durch „self-produced stimuli“ gelenkt.239 Ein solches asymmetrisches Interaktionsverhältnis entsteht, wenn der eine Partner keine eigenen Absichten hat oder wenn er nicht in der Lage ist, seine Absichten durchzusetzen, er passt er sich dem Anderen an.240 Bei der sog. reaktiven Kontingenz reagieren die Interaktionspartner aufeinander, ohne eigene Pläne zu verfolgen.241 Die gegenseitige Beeinflussung läuft nur über die äußeren Determinanten.242 Die Interaktionspartner wollen keine Ziele während der Interaktion erreichen.243 Ein Beispiel für reaktive Kontingenz ist die oberflächliche Unterhaltung, bei der ständig von einem Thema zu anderem gesprungen wird.244 Das Verhalten der Diskussionspartner ist reflexartig, planlos unbedacht, wie es bei Kleinkindern und Tieren vorkommt.245 Zuletzt gibt es den Typus der wechselseitigen Kontingenz, der die häufigste Interaktionsart darstellt.246 Hier handelt es sich um Interaktionssequenzen gegenseitiger Beeinflussung, die sowohl durch innere als auch durch äußere Determinanten bestimmt werden, d.h. im Grunde, dass jeder Partner nach situationsangepassten eigenen Zielen handelt.247 Anders die Form einer Diskussion aufrechterhalten, es ist jedoch zu merken, dass die Antworten der Diskussionspartner nicht richtig aufeinander abgestimmt sind, Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 508. 236 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 506 f. 237 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 509; Herkner, Sozialpsychologie, S. 386. 238 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 509; Herkner, Sozialpsychologie, S. 386. 239 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 509. 240 Herkner, Sozialpsychologie, S. 386 f. 241 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387; Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 510. 242 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387. 243 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387; Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 510. 244 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387. Weiteres Beispiel: Schachspielen ohne eine richtige Strategie zu haben. Jeder Schachzug entsteht dann nur reaktiv und impulsiv, Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 510. 245 Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 510; Herkner, Sozialpsychologie, S. 387. 246 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387; Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 511. 247 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387; Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 511 f.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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formuliert: Die Verfolgung der eigenen Zielen wird an die Reaktionen des Partners angepasst.248 Diese feine Differenzierung der Interaktionstypen könnte man simplifizieren, indem man Pseudokontingenz und asymmetrische Kontingenz zu einer Klasse und reaktive Kontingenz und wechselseitige Kontingenz zu einer anderen Klasse zusammenfasst. Ausgehend von der Grunddefinition der Interaktion als gegenseitige Beeinflussung der Interaktionspartner, könnte man die Interaktionssequenzen der ersten Gruppe als „unechte“ Interaktionen bezeichnen, die Interaktionssequenzen der zweiten Gruppe als „echte“ Interaktionen. Während die klassischen Beispiele von gruppendynamischen riskanten Vorgängen durch ein Interaktionsverhältnis gegenseitiger Beeinflussung und Steuerung der Beteiligten gekennzeichnet sind, aus dem sich eine sich verselbständigende Situation ergibt, fehlt bei dem Memel-Fall diese Art von Interaktion. Bei dem Memel-Fall wirkt der soziale Einfluss in eine Richtung, nämlich von den Opfern zum Täter. Es liegt hier ein Fall von „unechtem“ Interaktionsverhältnis in der konkreten Gestalt der asymmetrischen Kontingenz vor. Die Reisenden werden von den Willensäußerungen des Fährmannes nicht erreicht, sie richten sich nur nach ihren eigenen Plänen. Im Gegensatz zu ihnen richtet der Fährmann sein Handeln an den Reisenden aus. Er ist nicht in der Lage seinen eigenen Willen durchzusetzen. Die einseitige Beeinflussung durch äußere Determinanten führt zu dem konformen Verhalten des Fährmannes. Als Sachverhalte „unechter“ Interaktion zwischen den Beteiligten wurden oben auch die anderen Beifahrer-Fälle behandelt. Dabei sollten für die Bewertung der Täterverantwortlichkeit zwei Punkte entscheidend sein: a) Wer hat wen aufgefordert und b) wie stark ist diese Aufforderung unter den konkreten Umständen des Einzelfalles gewesen? Die asymmetrische Kontingenz kann dem Täter zugute kommen, wenn er nicht imstande war, seinen Willen durchzusetzen, also nur dann, wenn er erheblichem Druck ausgesetzt wurde. Es ist allerdings durchaus möglich, dass einige Beifahrer-Fälle ein „echtes“ Interaktionsverhältnis in Form der wechselseitigen Kontingenz aufweisen. Die eigenen Ziele (z. B. früher zu Hause zu sein) werden durch die Reaktionen des Interaktionspartners beeinflusst und verstärkt. Wenn das reaktive Geschehen unter den konkreten Umständen starken Einfluss auf die inneren Ziele hat, sollte von einer Verantwortungszuschreibung allein auf die Person des Fahrers abgesehen werden. Sie ist dann zum Teil auch der Situation zuzuschreiben. Es ist dann entscheidend, welche der verschiedenen Bedingungen der Handlungsabsichten einer Person, etwa persönliche Machtfaktoren oder Umwelteinflüsse, als Hauptursache für das Ergebnis der Handlung angesehen wird.249 248 Herkner, Sozialpsychologie, S. 387; Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 511 f. 249 Heider, Psychologie der interpersonalen Beziehungen, S. 138 f.

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Wenn in einem Beifahrer-Fall mit wechselseitiger Kontingenz mehr als zwei Personen beteiligt sind, hat man es mit einem gruppendynamischen Vorgang zu tun, der den Fällen der gruppendynamischen Wettbewerbe entspricht. Während der Interaktion handeln die Interaktionspartner nach eigenen Absichten, sie zielen z. B. auf soziale Akzeptanz und Bestätigung, bei deren Verfolgung sie allerdings von den äußeren Determinanten derart stark getrieben werden, dass dann die Entscheidung zum Fahren hauptsächlich das Produkt affektiver Koordinationskräfte ist. Die Reaktionen der Gruppenmitglieder untereinander erzeugen außergewöhnliche Antriebskräfte, die die inneren Determinanten in erheblichem Umfang prägen.250 In diesem Zusammenhang eine Anmerkung, die sowohl die Fälle asymmetrischer als auch diejenigen wechselseitiger Kontingenz betrifft: Eine Handlung im Rahmen einer mehrpersonalen Interaktionssequenz wird häufiger externen situativen Faktoren zugerechnet werden als eine Handlung in dyadischer Interaktion. Die äußeren Determinanten in einem dyadischen Interaktionsverhältnis weisen in der Regel nicht dieselbe Steuerungsstärke auf, wie sie die im Rahmen einer Gruppe zustande kommenden situativen Faktoren entfalten. Hier gibt es mehr Raum für die Mitwirkung der inneren Determinanten. Diese Differenzierung zwischen Sachverhalten von dyadischer und mehrpersonaler Interaktion zwischen den Beteiligten beansprucht nicht, eine allgemeine Klassifizierung aller Mitwirkungsfälle nach der numerischen Gestaltung des Geschehens zu sein. Es kann zu Konstellationen dyadischer Interaktion kommen (z. B. gegenseitige Verstärkung beim Aids-Fall), die genauso starke Zwangsmomente erzeugen, wie ein mehrpersonales Interaktionsgeschehen, so dass starre Gruppeneinteilungen mit fixen Rechtsfolgen inadäquat wären. Der an früherer Stelle aufgezeigte familienähnliche Charakter der Mitwirkungsfälle steht einer unflexiblen Abgrenzung der Mitwirkungsfälle in Fällen mit dyadischer oder mehrpersonaler Gestaltung entgegen. Was man allerding von diesem Unterscheidungsschema gewinnen könnte, ist ein zusätzliches kreuzendes Merkmal, das eine Indizwirkung für fremdgesetzliche Steuerung des Willens entfaltet. Das kreuzende Merkmal heißt mehrpersonales Interaktionsverhältnis. Es ist ein Zeichen (neben anderen) für das Vorliegen erheblicher Einflüsse. In dieser Funktion wird es auch hier bei den Beifahrer-Fällen verwendet. 4. Kurze Zusammenfassung Unsere Auseinandersetzung mit den Beifahrer-Fällen kann in den folgenden, für das ganze Spektrum der Mitwirkungsfälle relevanten Thesen zusammengefasst werden: a) Die Mitwirkungsfälle von dyadischer Interaktion können sozial250 Die Bedeutung der externen Determinanten bei einer Interaktion unter Gruppenbedingungen ist von solch erheblicher Kraft, dass man die Gruppeninteraktionen auch als Interaktionen reaktiver Kontingenz wahrnehmen kann, vgl. Jones/Gerard, Foundations of Social Psychology, S. 510 f.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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psychologisch hochaufgeladene Situationen hervorrufen, b) wegen der situativen Erschwerungen der Durchsetzung des eigenen Willens lassen sich die Mitwirkungsfälle insgesamt als Problem der Willensfreiheit behandeln, c) die Umstände des Einzelfalles müssen Indizien für Willenseinflüsse von erheblicher Stärke liefern, d) ein zuverlässiges Zeichen für Beeinflussung erheblicher Stärke stellt die Sich-Mitgefährden des Täters dar, wenn das riskante Unternehmen nach Aufforderung des Opfers entstanden ist, sowie die mehrpersonale Gestaltung des Interaktionsverhältnisses, e) das Opfer ist bei der Prüfung der Willensbeeinflussung des Täters als faktische Größe des Geschehnisses wahrzunehmen.

IV. Interaktionen innerhalb der Drogenszene Als typische Fallbeispiele für die Problematik der Eigenverantwortung des Opfers gelten die Drogenfälle.251 Rechtsprechung und Lehre folgen dabei einer klaren Linie: Das Überlassen von Betäubungsmitteln stellt lediglich eine straflose Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung dar.252 Die Stimmen, die nicht nur bei den formalistischen Akzessorietätsgründen bleiben wollen, berufen sich auch auf den Schutzzweck der Norm.253 Der Schutzbereich einer Norm ende dort, wo der Verantwortungsbereich einer Person für sich selbst anfange.254 Gegen diese Annahmen wurde bereits mit formallogischen, dogmatischen und kriminalpolitischen Argumenten Stellung bezogen. Nun wird mit Hilfe der Sozialpsychologie versucht, einen neuen Zugang zur Drogenproblematik zu bahnen. Auf der Basis der unterschiedlichen Interaktionsmuster beim Drogenaustausch soll ein neuer Weg der Verantwortungszuschreibung eingeschlagen werden, welcher der psychosozialen Wirklichkeit der Sachverhalte besser gerecht wird. Unsere Beobachtungen in Bezug auf die Wettbewerbs-Fälle und BeifahrerFälle werden hierbei nützlich sein. 1. Drogenaustausch in einer Gruppensituation „Am Abend des 3.6.1982 kehrten G und M von einer Radtour nach Friedrichshafen zurück. Sie beschlossen, im Park des Friedrichshafener Schlosses in der Nähe eines verfallenen Badehauses zu biwakieren. Dieser Platz war ein beliebter Treffpunkt für junge Leute und Mitglieder der örtlichen Drogenszene. Die Schüler entzündeten ein Lagerfeuer; nach und nach gesellte sich ein wechselnder Kreis von Personen dazu, unter ihnen der Angekl. und die Zeugen Ö, P und S. Während des Gesprächs kam in der Runde der Gedanke auf, einen Stechapfeltee 251

Instruktiver Überblick bei Lasson, ZJS 2009, 359. Dazu Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 253 Roxin, in: FS für Gallas, S. 241 (245); ders., Strafrecht AT Bd. I, § 11, Rn. 107. 254 Stree, JuS 1985, 179 (181); Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 11, Rn. 107; ähnlich auch Schünemann, GA 1999, 207 (222); s. hierzu Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 252

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

zu kochen und gemeinsam zu trinken. Über die berauschende Wirkung dieser Pflanze, die G und M schon bekannt war, wurde ausführlich gesprochen. Da sich der Angekl. mit Rauschdrogen, insb. solchen aus Nachtschattengewächsen, schon früher eingehend befaßt hatte, erbot er sich, Blätter des Stechapfels zu sammeln und den Tee zuzubereiten. Er pflückte die Blätter und gab sie in einen Topf mit heißem Wasser, wobei er auf jeden Teilnehmer der Runde drei Blätter rechnete. Diesen Sud ließ der Angekl. längere Zeit ziehen, fügte Schwarztee und Zucker hinzu, um den bitteren Geschmack des Stechapfels zu überdecken, und bot das fertige Getränk allen Anwesenden zum Probieren an. Er drängte nicht zum Genuß und äußerte, niemand sollte mehr als eine Tasse nehmen, da es sonst „auf die Optik gehe“. G, M, Ö, S, P und der Angekl. selbst tranken von dem Tee aus Tassen und Tellern, die am Lagerfeuer reihum gingen. G, dem es auf eine „besondere Wirkung“ ankam, trank entgegen der Warnung des Angekla. zwei Tassen des Getränks und anschließend noch den im Topf verbliebenen Satz; der Angekl. hatte keine Möglichkeit, ihn an diesem Tun zu hindern. Die im Stechapfel enthaltenen Wirkstoffe Hydroscyamin und Scopolamin hatten bei allen Teetrinkern schon nach kurzer Zeit schwere Rauschzustände mit Halluzinationen und Ausfallerscheinungen zur Folge. Die von G konsumierte Mehrmenge führte allerdings nicht zu zusätzlichen Beeinträchtigungen. In diesem Zustand geriet G während der Nacht auf ungeklärte Weise in den nahegelegenen Bodensee, wo er im flachen Wasser ertrank. Ö begab sich bis zur Brust in das Wasser und blieb dort lange Zeit stehen, bis er zitterte und heftig fror. M stürzte mehrfach zu Boden, wobei er sich im Gesicht und an den Beinen Schürfungen zuzog. Der Angekl. war infolge seines Rausches zu Hilfeleistungen nicht in der Lage.“ 255 Der hier zitierte Sachverhalt, bekannt als „Stechapfeltee-Fall“, passt gut zu der bisherigen Diskussion über die Auswirkungen gruppendynamischer Prozesse auf die Steuerungsfähigkeit des Einzelnen. An einem Lagerfeuer bildet sich eine größer werdende Gruppe und eine äußere Dynamik wird in Gang gesetzt. Fremdgesetzliche, außerpersonale und situative Kräfte256 werden ausgelöst und führen zur Steigerung der Risikobereitschaft.257 Die Urheberschaft der Idee, Stechapfeltee zu kochen, kann nicht bestimmt werden. Sie ist nicht eindeutig auf einen konkreten Anwesenden zurückzuführen. „Während des Gesprächs kam in der Runde der Gedanke auf, einen Stechapfeltee zu kochen und gemeinsam zu trinken“, liest man in der Sachverhaltsschilderung.258 Schon die Idee selbst ist das Produkt des gruppendynamischen Vorgangs. Wie Schumacher erklärt, stammen die unter dem Begriff „Gruppendynamik“ gemeinten Kräfte weder von der bewussten Willens-

255

BGH NStZ 1985, 25 f. Zu außerpersonalen und situationellen Aspekten einer Handlung, Bierbrauer, in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. III, Strafrecht, 133 ff. 257 Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880, 1881). 258 BGH NStZ 1985, 25 f. 256

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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entscheidung jedes Anwesenden, noch sind sie das additive Ergebnis des Zusammentreffens der Willenserklärungen aller Beteiligten.259 „Die Wirkungen der Gruppe sind übersummativ.“ 260 Daher kann eine Verantwortungszuschreibung in Bezug auf den Vorschlag, Stechapfeltee zu kochen, nicht erfolgen. Dem Angeklagten aber den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung zu machen, weil er das gefährliche Getränk gekocht hat, wäre nicht sachgerecht. Zufällig war er der einzige, der sich mit der konkreten Substanz auskannte. Mit der Zubereitung des Tees machte er das, was den Erwartungen der Gruppe entsprach. Wegen „falsch verstandener Kameradschaft“ 261 verhielt er sich gruppenkonform und stellte seine speziellen Kenntnisse über Nachtschattengewächse zur Verfügung. Außerdem trank der Angeklagte selbst von dem Tee. Darauf macht auch das BGH-Urteil aufmerksam, um ein den Opfern überlegenes Sachwissen zu verneinen. „Der Angekl. unterzog sich ohne Wissensvorsprung dem gleichen Risiko wie seine Zechgenossen.“ 262 Die Eigengefährdung des Angeklagten zeigt, dass er demselben situativen Einfluss ausgesetzt war wie die anderen. „Täter“ und „Opfer“ des StechapfelteeFalles unterliegen der koordinierenden Kraft der Gruppe.263 Alle Beteiligten, der Angeklagte eingeschlossen, standen unter den gruppendynamischen Einflussfaktoren, die sie zu dem riskanten Verhalten drängten. Der Stechapfeltee-Fall ist kein singulärer Fall. Drogenkonsum findet oft unter Gruppenbedingungen statt, so dass Mitwirkungsfälle im Bereich des Konsums von Betäubungsmitteln häufig als Gruppensituationen behandelt werden sollten.264 Ob dabei der Angeklagte das Betäubungsmittel seinem Kameraden lediglich besorgt oder ihm auch injiziert hat, weil letzterer zu stark zitterte oder Angst vor Spritzen hatte, ist normativ irrelevant. Die unterschiedliche Behandlung der zwei Fälle stellt eine pedantische Anwendung des Tatherrschaftskriteriums im Fahrlässigkeitsbereich dar, welche die psychosoziale Wirklichkeit eines gemeinsamen Drogenkonsums völlig verkennt.265

259

Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880, 1881). Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 261 Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, Rn. 725. 262 BGH NStZ 1985, 25 (26). 263 Zu emotionaler und affektiver Koordination der Beteiligten in einer Gruppensituation Schumacher, NJW 1980, 1880 (1882 f.). 264 Auf die gruppendynamischen Einflüsse der „Drogenscene“ auf den Drogenkonsumenten weist Blau hin, Blau, JR 1987, 206 (207); zur Drogenszene als „kriminogene Subkultur“ ausführlich Kreuzer, Jugend-Drogen-Kriminalität, S. 34 ff. 265 Unterschiedlich werden die zwei Fälle in BGHSt 49, 34 (39 ff.) behandelt. Da der Angeklagte das Injizieren des Heroins eigenhändig vornahm, nahm das Gericht keine straflose Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung an, sondern ein tatherrschaftliches Handeln, das eine einverständliche Fremdgefährdung begründete. Der Angeklagte wurde dann wegen Erlaubnistatbestandsirrtums freigesprochen, s. ge260

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

2. Gemeinsamer Drogenkonsum in dyadischer Konstellation – Die situative „Suchtdynamik“ Im Rahmen der Diskussion um die Beifahrer-Fälle wurde festgestellt, dass nicht nur das Beziehungsgeflecht innerhalb einer Gruppe situative, außerpersonale und auf die Willensbildung der Person wirkende Kräfte entfesselt, sondern dass auch Interaktionen außerhalb einer Gruppe sozialpsychologisch „aufgeladene“ Situationen hervorrufen können, die die Willensfreiheit erheblich beeinträchtigen. Eine solche Wirkung kann z. B. eine dyadische Interaktion vor allem dann entfalten, wenn sie auf der Sucht der beiden Interaktionspartner beruht. Die Macht der Sucht kompensiert dann die fehlende Gruppendynamik. Sie löst eine Koordinationskraft unter den Beteiligten aus, die der emotionalen Koordination der Beteiligten an einer Gruppensituation entspricht.266 Die Gruppenkameradschaft wird durch eine Kameradschaft bei der Suchtbefriedigung ersetzt. Man kann – in Entsprechung zum Begriff der „Gruppendynamik“ – von einer „Suchtdynamik“ sprechen. Zwei Drogenabhängige bei gemeinsamem Konsum von Heroin, das jeder für sich mitbringt, stellen eine Risikogemeinschaft dar. Wenn die Hände des einen zittern und er deshalb nicht in der Lage ist, sich die Spritze selbst zu setzen, ist es lebensfremd zu denken, dass der Andere seine Hilfe verweigert, wenn er um Hilfe gefragt wird. Die Situation „verlangt“ von ihm, dass er seinem Kameraden bei der Einnahme der Droge hilft. Seine Entscheidung dafür war allerdings von der Situation erheblich beeinflusst. Unter den konkreten psychosozialen Bedingungen hätte er sich schwer dagegen entscheiden können, selbst wenn er es anders gewollt hätte. Genauso schwer scheint eine freie Willensbildung zu sein, wenn der Wunsch zu gemeinsamem Drogenkonsum erst während des Zusammentreffens der zwei Drogenabhängigen ausgedrückt wird und der eine das Betäubungsmittel zum gemeinsamen Verbrauch anbietet, das dann jeder eigenhändig konsumiert. Hier ist dieselbe emotionale Koordination der Beteiligten in einer hemmungsmindernden Situation zu sehen, wie beim Fall der Hilfeleistung bei der Heroininjektion. Beide Beteiligten handeln, verstärkt durch die Situation (Interaktion zweier Süchtiger), triebhaft und geben, ohne sich einer Selbstkontrolle zu unterziehen, dem „Sog“ ihrer Sucht nach.267 Nach dem oben bereits vorläufig eingeführten Stufen-Modell der Wünsche von Frankfurt kann eine Person Wünsche erster und zweiter Stufe haben.268 Die Wünsche zweiter Stufe, die sich auf die Frage beziehen, ob jemand möchte, dass naue Argumentation BGHSt 49, 34 (44 f.); krit. Beulke, in: FS für Otto, S. 207 (212); vgl. auch Otto, in: FS für Tröndle, S. 160 ff. 266 Zu emotionaler und affektiver Koordination der Beteiligten in einer Gruppensituation Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883). 267 Vgl. Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 72 f. 268 Ebd., S. 67 f., 71 ff.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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ein bestimmter Wunsch sein Wille sei, bezeichnet er als „Volitionen zweiter Stufe“.269 Volitionen zweiter Stufe stellen ein Kriterium der Willensfreiheit dar. Wenn jemand keine Volitionen zweiter Stufe hat, d.h. wenn er auf Wünsche erster Stufe reagiert, ohne zu überprüfen, ob sie seinem eigenen Willen entsprechen, dann handelt er nach Frankfurt triebhaft.270 Der triebhaft Handelnde „übergeht die Frage, welches sein Wille sein soll.“ 271 Er „ergibt“ sich gleichsam dem Handlungsablauf, ohne seinen Willen zu bedenken.272 Einen triebhaft Handelnden betrachtet Frankfurt als unfrei. „Weder hat er den Willen, den er haben möchte, noch hat er einen Willen, der von dem verschieden wäre, den er möchte. Da er keine Volitionen zweiter Stufe hat, kann ihm die Freiheit seines Willens nicht zum Problem werden. Er versäumt sozusagen seine Freiheit.“ 273 Zu einem solchen unreflektierten Verhalten kann es schnell kommen, wenn Menschen, die wegen ihrer Suchtstruktur ohnehin eine Neigung zu triebhafter Umsetzung ihrer Wünsche aufweisen, zusammenkommen und sich gegenseitig verstärken. Dann entsteht eine ungünstige Situation für die kritische Überprüfung der eigenen Neigungen und Entscheidungen. Es gibt wenig Zeit und Gelegenheit die spontanen Wünsche zu hinterfragen und sich zu bremsen. Die Hemmungen werden schnell abgebaut und den Beteiligten fällt es schwer, den Druck der „Suchtkameradschaft“ abzuwehren. Unter den situativen Umständen, die die Interaktion der zwei Süchtigen hervorruft, wird die Bildung einer Volition zweiter Stufe erheblich behindert. Das Überlassen des Betäubungsmittels, wie auch das Injizieren der Spritze in dem ersten Beispiel, findet in einer Situation statt, die die triebhafte Suchtstruktur beider Interaktionspartner vorantreibt. Eine Verantwortungszuschreibung auf ein Individuum allein würde, wie Grosbüsch formuliert, „eine Verleugnung menschlicher Wirklichkeit“ 274 darstellen. Von den zwei hier beschriebenen Konstellationen (Täter setzt dem Opfer die Heroinspritze, Überlassen der Droge während des Treffens ohne frühere Vereinbarung), die sich auf Grund situativer Einflussfaktoren als Fälle der Beeinträchtigung der Willensfreiheit wahrnehmen lassen, sollte man eine dritte Konstellation unterscheiden. Es handelt sich um den Fall, bei dem zwei Drogenabhängige im Vorfeld ihres Treffens den gemeinsamen Konsum von Drogen vereinbaren, die einer der beiden besorgen muss. Anders als bei den ersten zwei Fallbeispielen gibt es hier zwischen Vereinbarung und Ausführung der Handlung eine erhebliche Zeitspanne, die es dem Täter erlaubt, sein Vorhaben zu überdenken. Die suchtdynamische Situation, die wohl zum Zeitpunkt der Absprache besteht, wird

269 270 271 272 273 274

Ebd., S. 71. Ebd., S. 72. Ebd. Ebd. Ebd., S. 77. Grosbüsch, Die Affekttat, S. 84.

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

wegen der zeitlichen Zäsur unterbrochen. Die zwei Drogenabhängigen befinden sich dann noch im Vorstadium des hochaufgeladenen Interaktionsfeldes und können sich noch der Wirkung der gegenseitigen Verstärkung entziehen. Ein normativer Anspruch auf Hinterfragung des vereinbarten Planes kann hier erhoben werden. Im Fall der Vereinbarung eines späteren gemeinsamen Konsums nach Besorgen des Rauschgiftes oder des „Konsumbestecks“ kann eine Entlastung versagt werden, wenn die wechselseitige Verstärkung, die zur Vereinbarung geführt hat, unterbrochen wird. Eine solche Unterbrechung der „Suchtdynamik“ ist allgemein dann anzunehmen, wenn eine erhebliche Zeitspanne zwischen Absprache und Ausführung der Handlung vorliegt, der Konsum also etwa erst am Tag nach der Vereinbarung erfolgt. Von einer Fortwirkung der „suchtdynamischen“ Beeinflussung der Willensbildungen ist dagegen eher auszugehen, wenn die beiden Süchtigen schon wenige Stunden nach der spontanen Absprache zum gemeinsamen Konsum zusammenkommen.275 In diesem Fall stellen die Momente der Absprache, der Besorgung der notwendigen Mittel und des gemeinsamen Konsums einen einheitlichen Lebensvorgang dar, der durch „suchtdynamische“ situative Kräfte determiniert wird. Die in dem Moment der Vereinbarung entstehende wechselseitige Verstärkung zwischen den zwei Süchtigen wirkt während des unerheblichen Zeitraums von einigen Stunden fort. Das Abstellen auf den erheblichen zeitlichen Abstand zwischen einem Entschluss und seiner Durchführung für die unterschiedliche Behandlung der Drogenfälle, beruht auf dem Gedanken, dass kurzschlüssige, wenig überlegte Entscheidungen nicht immer als freiverantwortlich angesehen werden dürfen.276 Diese These ist schon von der Diskussion um den Selbsttötungsentschluss des Suizidenten bekannt. Es wird aus guten Gründen vertreten, dass der Suizident, der seine Selbsttötungsentscheidung nicht nach reiflicher Überlegung getroffen hat, nicht freiverantwortlich handelt.277 So betont Rosenau in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ zu einem Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, dass eine überstürzte, nicht wohldurchdachte Entscheidung „nicht authentisch“ und mit Willensmängeln behaftet ist.278 Nur die sog. „Bilanzsuizide“ sind als freiverantwortlich zu betrachten.279 275

s. BGHSt 49, 34; BGH NJW 1984, 1469. Nicht aus dem Aspekt der Freiverantwortlichkeit, sondern aus dem Aspekt des „Übereilungsschutzes“ vertritt Engländer die Unwirksamkeit der Einwilligung in die eigene Tötung, Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (586); vgl. auch Hoerster, NJW 1986, 1786 (1789). 277 Duttge, ZfL 2012, 51 (52); Rosenau, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ, BT-Drucks. 17/11126, S. 2. 278 Rosenau, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ, BT-Drucks. 17/11126, S. 2; vgl. auch Rosenau/Sorge, NK 2013, 108 (110, 115). 279 Duttge, ZfL 2012, 51 (52). 276

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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Auf die Bedeutung einer angemessenen „Wartezeit“ zum Nachdenken als Sicherungsmechanismus für das Auschließen einer „unreiflich erwogene[n] Entscheidung“ im Rahmen des § 216 StGB weisen auch von Hirsch und Neumann hin.280 Eine bestimmte Zeitspanne zwischen der ersten Äußerung des Tötungsverlangens und der Ausführung der Tat bietet die Gelegenheit zum Erwägen der Entscheidung.281 Die Gewährleistung einer ausreichenden Möglichkeit zum Überdenken der Entscheidung ist als Voraussetzung der Freiverantwortlichkeit anzusehen.282 280 von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (79 f.). Die „Bilanzsuizide“ stellen allerdings auf keinen Fall die Regel dar, die Selbsttötungsentschlüsse sind nach den Erkenntnissen der empirisch-medizinischen Suizidforschung hauptsächlich das Ergebnis von Depressionen und von durch Verzweiflung motivierten Kurzschlussreaktionen, Feldmann, GA 2012, 498 (499, 513 f.); Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (588); Dölling, in: FS für Maiwald, S. 119 (128); s. auch Duttge, ZfL 2012, 51 (52). „Wohlüberlegte“ Sterbenswünsche, die Beachtung verdienen, kommen vorwiegend aus dem Bereich der Sterbehilfe, die allerdings weit oder eng gefasst werden kann, vgl. Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (594 f.); für ein weites Verständnis des Sterbehilfebereichs im Rahmen der Diskussion um die Tötung auf Verlangen anhand des „Lebensstandardkonzepts“ von Sen plädieren von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (89 ff., 98). Daher sollte die Strafbarkeit der Suizidteilnahme die Regel sein und die Straflosigkeit nur als Ausnahme für die Fälle der Sterbehilfe bleiben, die dann gesetzlich genau definiert werden müssen. Eine „Lebensstandardanalyse“ im Sinne Sens Modell, wie sie von Hirsch und Neumann für § 216 StGB vorschlagen, kann ein hilfreicher Ausgangspunkt auch für die Bestimmung der Grenze des straflosen Bereichs im Fall einer Beteiligung am Suizid sein, die allerdings aus Schutzbedürftigkeitserwägungen eng gefasst werden muss; anders von Hirsch/Neumann in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (92 ff.). 281 von Hirsch/Neumann, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (79), die allerdings die Gewährleistung einer ausreichenden Möglichkeit zum Überdenken der Entscheidung nicht explizit zur Voraussetzung der Freiverantwortlichkeit machen. 282 Vgl. Bung, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 27 (29). Die These, dass eine Kurzschlussreaktion die Freiverantwortlichkeit beeinträchtigt oder sogar ausschließt, findet allerdings im Schrifttum nicht immer Zustimmung. Im Rahmen der Diskussion um die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten vertritt zwar Engländer die Schutzbedürftigkeit des Suizidenten, dessen Entschluss auf Übereilung zurückzuführen ist, er will ihm jedoch die Freiverantwortlichkeit nicht abstreiten, Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589); vgl. auch Hoerster, NJW 1986, 1786 (1789); vgl. Merkel, in: Zur Debatte über Euthanasie, S. 71 (83 ff.). Der übereilte Suizid bleibe freiverantwortlich, Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589). Nicht jede fehlerhafte Einschätzung der eigenen Interessenlage bedeute einen wesentlichen Willensmangel, ebd. Dies ist richtig, aber nur, wenn die fehlerhafte Bestimmung des eigenen Interesses das Produkt seines eigenen Willens ist. Die Prägung des eigenen Willens setzt aber die Hinterfragung der ersten spontanen Neigung zu einer Handlung voraus. Es gibt aber Situationen, die der Person keine ausreichende Möglichkeit zum Überdenken geben. Mit Frankfurt gesprochen, hat die Person nicht die Gelegenheit Volitionen zweiter Stufe zu bilden. Sie reagiert dann unreflektiert auf Wünsche erster Stufe, Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 72. Verzweiflungszustände stellen für die Suizidenden solche Situationen dar, vgl. Bung, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 27 (29). Der Übereilungsschutz, für den Engländer zutreffend plädiert, bedeutet auf der Grundlage des hierarchischen Willensmodells von Frankfurt Gewährleistung des richtigen Rahmens für die Ausprägung eines freien Willens und nicht Absprechen des freiverantwortlichen Charakters fehlerhafter Entscheidungen.

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

Zudem vermag die Abkoppelung der Schutzbedürftigkeit des Suizidenten von seiner Freiverantwortlichkeit nicht zu überzeugen. In der Annahme, dass jemand freiverantwortlich handelt, aber trotzdem schutzbedürftig ist, verbirgt sich die Gefahr eines rigorosen Paternalismus. Dem Vorwurf der „paternalistischen Anmaßung“ (Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (586)) gegen den Gedanken des Übereilungsschutzes wird bei einer Abtrennung von Schutzbedürftigkeit und Freiverantwortlichkeit Vorschub geleistet. Die Kritik Mosbachers, dass es sich hier um eine „Fremddefinition von Lebensglück“ handelt, ist berechtigt, Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 156. Der Hinweis darauf, dass auf die „real existierenden subjektiven Präferenzen“ abgestellt wird und nicht auf „irgendwelche ,objektiven‘ Interessen“, Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (586), entkräftet nicht den Vorwurf des Paternalismus. Die Bestimmung subjektiver Präferenzen von außen bringt immer ein Stück Zuschreibung von „objektiven“ Interessen mit sich, d.h. ein „Stück Paternalismus“, Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 156. Wenn nun trotz situativ bedingter Übereilung die Autonomie besteht, stellt dieses „Stück“ Paternalismus eine Menge unberechtigter Intervention in den Lebensbereich der Person dar, vgl. ebd., S. 156. Die paternalistische Intervention ist dagegen berechtigt, wenn sie aufgrund eines fehlenden autonomen Handelns stattfindet. Anders gesagt, die fehlende oder beeinträchtigte Freiverantwortlichkeit wegen situativer Kurzschlussreaktionen rechtfertigt das Eingreifen in die Lebensgestaltung des Individuums eher. Der Beigeschmack der Fremdbestimmung von Interessen, den die Abtrennung des Übereilungsschutzes von der Freiverantwortlichkeit hat, wird dadurch vermieden. Das Ziel der paternalistischen Einmischung verlagert sich dann von dem Bereich der Interessenbestimmung auf die Gewährleistung der richtigen Rahmenbedingungen für das Treffen einer Entscheidung mit gravierenden Konsequenzen. Dass die Intention, den Menschen vor sich selbst zu schützen, auch hier erhalten bleibt, versteht sich von selbst. Dieser Weg scheint aber durch „paternalistische Anmaßung“ anhand von Vernünftigkeitsunterstellungen weniger gefährdet zu sein als der Weg der Interessenzuschreibung. Zuletzt ist Folgendes anzumerken: Auf der Basis der Unterscheidung Feinbergs zwischen „hartem“ und „weichem“ Paternalismus bedeutet die Abkoppelung der Autonomie vom Übereilungsschutz und dadurch die strafrechtliche Intervention trotz vorliegender autonomer Entscheidung die Einführung eines „harten Paternalismus“, zur Unterscheidung Feinberg, Harm to self, S. 12. Von „weichem“ Paternalismus kann nur gesprochen werden, wenn die Intervention zum Zweck des Schutzes des Suizidenten und seiner Interessen unter der Bedingung stattfindet, dass die Entscheidung für den Tod nicht frei ist. So erklärt Feinberg: „Soft paternalism holds that the state has the right to prevent self-regarding harmful conduct [. . .] when but only when that conduct ist substantially nonvoluntary, or when temporary intervention is established whether it is voluntary or not“, Feinberg, Harm to self, S. 12; zur Unterscheidung auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 176; du Bois-Pedain, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 33 (34); Magnus, Patientenautonomie im Strafrecht, S. 94 ff.; s. auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie, S. 266; Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 135, 215 ff. Es ist allerdings nicht zu übersehen, worauf das Auseinanderhalten von Freiwilligkeit und Übereilungsschutz zielt. Wenn ein übereilter Suizid freiverantwortlich bleibt, dann wird denjenigen Stimmen der argumentative Boden entzogen, die die Strafbarkeit der Beteiligung am Suizid als überflüssig sehen, s. z. B. Rosenau, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ, BT-Drucks. 17/11126, S. 4; Duttge, ZfL 2012, 51 (52). Danach sei die Beteiligung an einem übereilten und deshalb nicht freiverantwortlichen Selbstmord als mittelbare Täterschaft zu behandeln, Duttge, ZfL 2012, 51 (52). Die Einführung eines besonderen Tatbestandes sei nicht nötig. Diese These ist aber nicht haltbar.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

183

Überträgt man nun die Gedanken über die übereilte und nicht freiverantwortliche Entscheidung des Suizidenten in das interaktionale Feld zwischen zwei Drogensüchtigen, erscheint es nicht sachgerecht, die dritte geschilderte Konstellation den beiden ersten Konstellationen gleichzustellen. Nach einer erheblichen zeitlichen Zäsur zwischen der Vereinbarung des Überlassens der Droge und der VerEine Abstufung des Schutzes ist je nach Intensität der Lenkung des Suizidenten durch die Mitwirkung des Dritten notwendig, Feldmann, GA 2012, 498 (514). Während dem Anstifter eines nicht freiverantwortlichen Suizides Willensherrschaft zugerechnet werden kann, scheint die Anwendung der mittelbaren Täterschaft bei Fällen einfacher Beihilfe unangemessen zu sein, vgl. Engländer, in: FS für Schünemann, S. 583 (589), der zu Recht von einer „unangemessen bestrafungsexzessiven Konzeption“ spricht. Wenigstens für die Fälle einfacher Beihilfe ist die Schaffung eines besonderen Straftatbestandes zu befürworten, vgl. Feldmann, GA 2012, 498 (514). Außerdem bedeutet eine undifferenzierte Anwendung der §§ 211, 212 StGB für die Beteiligung an fremder Selbstschädigung, wenn es an der Freiwilligkeit des Suizidenten fehlt, die Gleichsetzung einer Rechtsgutverletzung ohne Mitwirkung des Rechtsgutinhabers mit einem Rechtsguteingriff, dessen Initiative aus der Person des Opfers stammt. Wie du Bois-Pedain in einem anderen Zusammenhang zutreffend anmerkt: „[V]on der Warte des harm principle aus betrachtet bleibt die Gleichsetzung von aktiv-dreisten Rechtsverletzungen mit Rechtseingriffen aufgrund unwirksamer Einwilligungen problematisch“, du Bois-Pedain, in: Paternalismus im Strafrecht, S. 33 (45). Nur ein Sondertatbestand kann den Unterschied von Unrechts- und Schuldebene zwischen den beiden Konstellationen richtig zum Ausdruck bringen. Eine Ablehnung jeder Form der Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid scheint von der übermäßigen Angst vor paternalistischer Lebensgestaltung motiviert zu sein. Dem Verlangen nach Strafbarkeit der Teilnahme am Suizid wird zu schnell konservatives und autonomiefeindliches Denken zugeschrieben, s. z. B. Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 111, die im Fall der Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid von einer „Entwertung des Selbstbestimmungsrechts“ spricht; vgl. auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 2 ff. Das Verlangen nach Unterstützung von Hilfsbedürftigen in Krisensituationen wird dann als unangemessene Einmischung in die individuelle Lebensgestaltung missverstanden, s. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 156. Der Ultraliberalismus (s. Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 224) verkennt allerdings, dass ein gewisses Maß an Paternalismus bei Situationen, die für den freien Willen ungünstig sind, die Autonomie des Handelnden fördern kann, vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 176 f. Das Intervenieren schafft den Raum zur Überprüfung des eigenen Willens und zur Entfaltung autonomen Verhaltens. Die Unzulässigkeit der Mitwirkung beim Suizid stellt keinen übermäßigen Paternalismus dar. Dies wäre der Fall, wenn der Person eine Rechtspflicht zum Leben aufgebürdet würde; solche Selbsterhaltungspflicht als Rechtspflicht vertreten, sich auf Kant berufend, Köhler, Strafrecht AT, S. 255 f., Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß, S. 189 ff., 195, 213 f.; krit. zur Ableitung von Rechtspflichten aus der Tugendphilosophie Kants Hörnle GA 2008, 707 (708 f.); krit. auch Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 103 ff.; vgl. auch Kühl, in: FS für Spendel, S. 75 (90); zu Köhlers und Maatsch Positionen ausführlich Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots S. 171 ff. Was nun das Argument betrifft, dass einige Sterbewillige bei der Durchführung des Suizides auf Hilfe angewiesen sind (s. statt vieler Rosenau, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ, BT-Drucks. 17/11126, S. 2), ist anzumerken, dass die Lösung solcher Fälle in dem Bereich der Sterbehilfe gesucht werden sollte, Feldmann, GA 2012, 498 (514), die die Vermengung der zwei Bereiche zu Recht moniert (512 f.).

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

wirklichung der Absprache befindet sich die Person außerhalb der „suchtdynamischen“ Situation und unterliegt noch nicht deren Einfluss. Dagegen gibt es bei den zwei ersten Konstellationen (Täter setzt dem Opfer die Heroinspritze, Überlassen der Droge während des Treffens ohne frühere Vereinbarung) keine ausreichende Gelegenheit seine Entscheidung und seine Neigungen zu hinterfragen. Das Handeln des Täters ist dann, jedenfalls regelmäßig, eine triebhafte Kurzschlussreaktion auf das Verlangen des Anderen unter den Bedingungen eines „suchtdynamischen“ Prozesses. 3. Überlassen von Betäubungsmitteln ohne gemeinsamen Konsum Aus dem oben Gesagten lässt sich folgern, dass keine entlastende „suchtdynamische“ Situation vorliegt, wenn es in dem zu bewertenden Fall nicht um gemeinsamen Konsum des Betäubungsmittels durch zwei Süchtige geht. Wenn die Interaktion sich auf das Überlassen der Droge beschränkt, fehlt es an der „emotionalen Koordination“ 283 zweier suchtmotivierter Personen. Der Überlassende teilt mit dem Opfer nicht dieselbe Gefahr und unterliegt in der Situation nicht dem Suchtdrang, der bei gemeinsamem Konsum durch die gegenseitige Verstärkung ein triebhaftes Handeln begünstigt. Die Rechtsordnung darf hier trotz Mitwirkung des Opfers erhöhte normative Ansprüche auf das Unterlassen des sorgfaltswidrigen Verhaltens haben. Die verbreitete Ansicht, dass es sich dabei um ein strafloses Verhalten handelt, das dem Willen des Konsumenten entspricht, zeichnet sich durch eine Unbekümmertheit hinsichtlich der Autonomie eines Süchtigen aus.284 Das Paradoxe ist, ähnlich wie bei dem Fall des Sterbewilligen, dass die vertretene Straflosigkeit als ein selbstverständlicher Ausdruck eines autonomiefreundlichen Denkens wahrgenommen wird, obwohl von Autonomie des Konsumenten in dem Moment der Drogenannahme schwerlich die Rede sein kann. Es ist kein Zufall, dass das Hauptbeispiel Frankfurts für sein Modell der Willens(un)freiheit das des Süchtigen ist. Viele Süchtige sind das, was Frankfurt „Süchtige wider Willen“ nennt.285 Der Süchtige wider Willen hat konträre Wünsche der ersten Stufe.286 Einerseits wünscht er die Annahme der Droge, anderseits möchte er diesen Wunsch unterdrücken.287 Neben den Wünschen erster Stufe hat er auch eine Volition zweiter

283

Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883). s. aber Amelung, NJW 1996, 2393; vgl. Hellmann, in FS für Roxin, S. 271 (283); auf der Grundlage von Feinbergs Autonomiekonzept Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 138; zur Thematik auch Köhler, ZStW 104 (1992), 3 ff., der allerdings den Drogenabhängigen trotz des „freiheitsbeeinträchtigenden Körperzustands“ als „prinzipiell autonomes Subjekt“ ansieht (42). 285 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 73. 286 Ebd. 287 Ebd. 284

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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Stufe.288 Er möchte, dass der zweite Wunsch sich durchsetzt und nicht der erste. Er identifiziert sich durch die Bildung der Volition zweiter Stufe mit dem Wunsch, die Droge abzulehnen.289 Darin also bestünde eigentlich seine Freiheit. Weil aber der erste Wunsch, die Droge zu nehmen so gewaltig ist, schafft er es trotz des höherstehenden Willens nicht, dem ersten Wunsch zu widerstehen.290 Das Ergebnis ist, dass er wegen fehlender Identifikation mit dem handlungswirksamen Wunsch nicht nach seinem eigenen freien Willen handelt.291 Gewiss gibt es nicht nur „Süchtige wider Willen“.292 Es gibt auch die „willigen Süchtigen“, die das Verlangen, die Droge zu nehmen durch ihre Volition zweiter Stufe zum eigenen Willen machen.293 Sie wollen, dass sie die Droge nehmen wollen. Es kommt zwar in diesem Fall die Zuschreibung einer moralischen Verantwortung in Betracht,294 man sollte jedoch zögern, hier immer eine Freiverantwortlichkeit fraglos anzunehmen. An dieser Stelle möchte man von der Meinung Frankfurts abweichen, der in solchen Fällen die Drogeneinnahme als frei ansieht.295 Der Süchtige beherrscht seinen Willen nicht. Die Sucht bestimmt auch sein Wollen zweiter Stufe. Darauf verweist selbst Frankfurt: „Der Wille eines willigen Süchtigen ist nicht frei, denn sein Verlangen, die Droge zu nehmen, wird sich als wirksam erweisen, gleichgültig ob er nun möchte, daß dieser Wunsch sein Wille sei oder nicht. [. . .] Er hat seinen Willen nicht unter Kontrolle.“ 296 Die Identifikation des Süchtigen mit seinem Wunsch erster Stufe, die Droge zu konsumieren, wird in vielen Fällen das Ergebnis einer suchtbedingten Selbsttäuschung sein. Hier kann man von einer fehlerhaften Steuerung der Wünsche erster Stufe sprechen. Die Volitionen zweiter Stufe als Kontrollinstanz der Wünsche erster Stufe sind nicht von der Person gesteuert, sondern von ihrer Sucht. 4. Zusammenfassende Überlegungen Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist noch einmal zu bezweifeln, ob das Konzept der Selbstverantwortung des Opfers in seinen unterschiedlichen dogmatischen Ausprägungen (Schutzzweck der Norm, Einwilligung des Opfers etc.) eine berechtigende Grundlage hat. Es ist verfehlt, die Entlastung des Täters bei den Mitwirkungsfällen in der Freiverantwortlichkeit des Opfers zu suchen. Es wird dem Opfer autonomes Verhalten unterstellt, obwohl es in Konstellationen 288

Ebd., S. 73 f. Ebd., S. 74. 290 Ebd., S. 73. 291 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 74; vgl. auch Amelung, NJW 1996, 2393 (2397). 292 Bung, in: FS für Kargl, S. 67. 293 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 82. 294 Ebd. 295 Ebd. 296 Ebd. 289

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

verwickelt ist, in denen aufgrund von Suchtstrukturen oder anderen psychosozialen Determinanten ein freiverantwortliches Handeln erheblich erschwert ist. Die Entlastung des Täters ist in seinem Verantwortungsbereich zu suchen, wie er durch die interaktive Situation geprägt wird. Bei dem gemeinsamen Drogenkonsum von Süchtigen ist von einer interaktiven Situation mit erheblicher psychosozialer Beeinflussung auszugehen, die eine Verantwortungsminderung begründet. Voraussetzung dafür ist, dass die Idee des gemeinsamen Konsums spontan entsteht und kein signifikanter Zeitabstand zwischen der Entscheidung und ihrer Ausführung liegt. Die bei diesen Fällen entstandene „Suchtdynamik“ drängt zum triebhaften, unbedachten gefährlichen Verhalten. Anders sind die Fälle ohne Beteiligung eines Dritten an dem Konsum des von ihm überlassenen Betäubungsmittels zu bewerten. Eine erhebliche situative, psychosoziale Beeinflussung der Interaktionspartner untereinander ist wegen der fehlenden „Suchtdynamik“ grundsätzlich nicht ersichtlich.

V. Gefährliche sexuelle Umgangsformen unter Interaktionspartnern Nach den interaktiven Handlungsabläufen unter Süchtigen soll zuletzt der Bereich der sexuell motivierten Gefährdungen betrachtet werden, bei denen das Opfer entscheidend mitwirkt. Es geht hier um zwei Fallkonstellationen, einmal um den ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem HIV-Infizierten, der seinen Partner bzw. seine Partnerin vorher über die Infizierung informiert hat, zum anderen um einverständlich vorgenommene sadomasochistische Praktiken, die zur Tötung des einen Partners führen. Mit den sozialpsychologischen Einsichten, die bei der Auseinandersetzung mit den anderen Mitwirkungsfällen dargestellt wurden, lassen sich auch die riskanten sexuellen Interaktionen sachgerecht erfassen. Diese Art von Interaktionen sind Paradebeispiele dafür, dass dyadische Interaktionen emotional hochaufgeladene Situationen darstellen, bei denen die Akteure ihre Willensbildung nicht vollkommen unter ihrer Kontrolle haben. Die intime Interaktion zwischen den zwei Partnern ist durch affektive, impulsive und triebhafte Neigungen gekennzeichnet. Emotionale Reaktionen und libidinöse Triebregungen entfalten eine eigene situative Dynamik. Diesen Kontext der triebhaften und impulsiven Dynamik sollte man im Auge behalten, wenn man das Verhalten des HIV-Infizierten in dem bekannten Aids-Fall beurteilen will, der von seiner Partnerin zum ungeschützten Geschlechtsverkehr gedrängt wurde.297 Der starke Druck, den die Frau auf ihn ausübte, erreichte ihn in einer Phase, in der er aufgrund der triebhaft aufgeladenen Situation zu schwach war zu widerstehen. Die Steuerungskräfte werden in diesem impulsiven Kontext leichter gelähmt und die Hemmungen bauen sich schneller ab als in einem Interaktions297

BayObLG JR 1990, 473 f. mit Anmerkung von Dölling, NJW 1990, 131.

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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feld ohne triebhaften Charakter. Das Drängen verstärkt die ohnehin bestehenden Triebimpulse und erschwert ihre Beherrschung. Die Gewalt der Impulse wird noch mächtiger unter der Aufforderung der Partnerin. Aus diesem Grund ist Roxin soweit zuzustimmen, dass der Aids-Fall eine differenzierte Behandlung verlangt, je nachdem, von welchem Partner die Initiative zum ungeschützten Geschlechtsverkehr kommt.298 Wenn der HIV-Infizierte von seinem Partner gedrängt wird, begeht er nach Roxin eine „einverständliche Fremdgefährdung“, die einer „eigenverantwotlichen Selbstgefährdung“ gleichzustellen sei.299 Wenn aber umgekehrt der HIV-Infizierte den Partner zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr drängt, sei eine strafbare „einverständliche Fremdgefährdung“ anzunehmen.300 „Denn wenn der Mann durch Drängen auf ungeschützten Geschlechtsverkehr die Zuneigung seiner Freundin ausgenutzt hätte, hätte die weitaus überwiegende Verantwortung für das Geschehen bei ihm gelegen, und er wäre mit Recht bestraft worden.“ 301 Diese Argumentation stellt eine Reformulierung folgender Anmerkung von Puppe dar: „Problematisch wäre der Fall, wenn er irgendwelchen Druck gemacht, etwa den ungeschützten Geschlechtsverkehr als Liebesbeweis von ihr gefordert hätte. Wer einen anderen nötigt, sich selbst zu gefährden, handelt ihm gegenüber sorgfaltswidrig, auch wenn die Nötigung nicht das Niveau eines rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstandes erreicht.“ 302 Da sowohl eine Sorgfaltswidrigkeit als auch die objektive Zurechnung auch dann zu bejahen sind, wenn der Initiator das Opfer gewesen ist,303 sollte man die Reformulierungskette auf diese Weise erweitern: Sofern der HIV-Infizierte nicht vom Opfer gedrängt wird, gibt es keinen Grund, an seiner Willensfreiheit zu zweifeln. Es ist dann keine Verantwortungsminderung zu konstatieren. Diese negative Formulierung des bedrängenden Täters bedeutet wiederum, dass, wenn das Opfer Druck macht, wegen der Verstärkung einer ohnehin triebimprägnierten Situation eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit nahe liegt. In diesem Fall ist von einer abgeschwächten Fähigkeit auszugehen, von den triebhaften Neigungen abzulassen, eine Verantwortungsminderung sollte in Betracht kommen. Erst durch die Verbindung des Drangs der Opferseite mit der Willensfreiheit des Täters gewinnt man eine Begründung für die intuitiv nachvollziehbare Unterscheidung zwischen Fällen, bei denen das Opfer zum ungeschützten Geschlechtsverkehr drängt und Fällen, in denen der entscheidende Initiator der Täter ist.

298

Roxin, GA 2012, 655 (665). Ebd. 300 Ebd. 301 Ebd. 302 Puppe, Strafrecht AT I, 1. Aufl., § 6, Rn 7. 303 So auch die Anmerkung von Roxin in Bezug auf die Sorgfaltswidrigkeit, Roxin, GA 2012, 655 (665). 299

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Teil 4: Die Selbstbestimmung der Akteure

In dem bekannten Aids-Fall wollte der HIV-Infizierte dem Wunsch seiner Partnerin zunächst nicht nachkommen, erst nach ihrem starken Druck gab er nach.304 Nach den Feststellungen des Gerichts „hat sich die Zeugin mit ihrem Wunsch nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr gegenüber dem Angeklagten durchgesetzt, der sich diesem Ansinnen zunächst entschieden widersetzt hatte.“ 305 Übersetzt man diese psychosozialen triebhaften Vorgänge in die Sprache Frankfurts, sieht man, dass es hier um einen Fall von Diskrepanz geht zwischen dem handlungswirksamen Wunsch erster Stufe, nach den Triebregungen zu handeln, und der Volition zweiter Stufe, die Triebregungen zu bremsen. Da das Verlangen des Opfers die Gewalt der Triebregungen vergrößert hat, ist der Wunsch erster Stufe so stark geworden, dass die Durchsetzung der Volition zweiter Stufe erheblich erschwert wurde. Diese Erschwerungen müssen bei der Beurteilung der Verantwortung des Täters Berücksichtigung finden. Dieselbe Behandlung sollten auch jene Fälle erfahren, bei denen Täter und Opfer sadomasochistische Praktiken unternehmen. Auch hier können Triebimpulse durch die Aufforderung des Opfers eine destruktive Dynamik entfalten,306 welcher der Täter schwer widerstehen kann. Wichtig ist es, wie bei dem AidsFall, solche Sadomasochismus-Fälle, bei denen allein der Täter der Initiator des lebensgefährlichen sexuellen Vorgangs ist und das Opfer gedrängt hat, seine sadistischen Triebwünsche zu tolerieren, anders zu behandeln, als jene Fälle, bei denen das Opfer nach sadomasochistischen Praktiken verlangt und der Täter dessen Wunsch nachgegeben hat.307 Nur in der zweiten Konstellation ist von einer Situation auszugehen, bei der die Triebimpulse mächtig genug waren, um die Willenssteuerung zu erschweren und eine Verantwortungsminderung zu rechtfertigen. Hier soll es keine Rolle spielen, ob bei dem Täter sadistische Sexualneigungen vorliegen oder nicht. Sowohl die Hervorrufung als auch die Förderung solcher Triebregungen durch das Opfer sind bei der Beurteilung, wie groß die Verantwortung des Täters ist, einzubeziehen. Es ist oft auch so, dass das Ausleben sadomasochistischer Phantasien und Praktiken unter Angehörigen einer sadomasochistischen Subkultur stattfindet.308 Diese Subkultur ermöglicht die ritualisierte Entladung der Impulse,309 die in der wissenschaftlichen Literatur oft als Ausdruck einer Pathologie beschrieben werden.310 Im Kontext der Subkultur

304

BayObLG JR 1990, 473; NJW 1990, 131. Ebd., 474. 306 Zu der „destruktiven Dynamik“ beim Ausleben sadomasochistischer Wünsche Schorsch, in: Spengler, Sadomasochisten und ihre Subkulturen, S. 8 ff.; May, Strafrecht und Sadomasochismus, S. 6 ff. 307 Zur zweiten Konstellation BGHSt 49, 166. 308 Schorsch, in: Spengler, Sadomasochisten und ihre Subkulturen, S. 7 ff. 309 Ebd., S. 8. 310 Spengler, Sadomasochisten und ihre Subkulturen, S. 17. 305

B. Indizien als Kriterien für die Fremdbestimmung

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können die entfalteten Interaktionen unter denjenigen, die sich als Bewohner eines „Randgebiet[es] sozialer Wirklichkeit“ 311 wahrnehmen, den destruktiven Impulsen Vorschub leisten. Die psychosoziale Wirklichkeit solcher „Randgruppen“ 312 darf aber bei der strafrechtlichen Beurteilung nicht unbeachtet bleiben.

311 312

Schorsch, in: Spengler, Sadomasochisten und ihre Subkulturen, S. 7. Ebd., S. 7 ff.

Teil 5

Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle A. Einleitung Nach der vorstehenden Analyse der „Mitwirkungsfälle“ fällt es nicht schwer zu erraten, welcher Weg für ihre strafrechtliche Behandlung vorgeschlagen wird. Wir haben gesehen, wie der Täter eines Mitwirkungsfalles durch die Interaktion mit dem Opfer in Situationen verstrickt werden kann, bei der die Bildung und die Lenkung seines Willens erheblich erschwert werden. Außerpersonale Kräfte, die je nach Mitwirkungskonstellation mit den Begriffen der „Gruppendynamik“, „Suchtdynamik“, „triebhaften Dynamik“ oder „Konformitätsdruck“ erfasst werden, üben starken Einfluss auf die Wahrnehmung, vor allem aber auf die Willensentschließung und Willenssteuerung aus.1 Diese situativen psychosozialen Einflüsse auf die Entscheidungsbildung des Täters in einem Mitwirkungsfall sollten nach der hier vertretenen Meinung im strafrechtlichen Urteil berücksichtigt werden. Dies kann durch das Einbeziehen der psychosozialen Erschwerungen der Willensbildung und -steuerung in die Schuldmilderungs- bzw. Schuldausschließungsgründe (§§ 21, 20 StGB) erfolgen.

B. Sozialpsychologische Prozesse und Schuldfähigkeitsprüfung Die Mitberücksichtigung sozialpsychologischer Erkenntnisse in der Schuldfähigkeitsprüfung hat schon Schumacher in Bezug auf die gruppendynamischen Faktoren vorgeschlagen.2 Hier wird eine Ausweitung seines Vorschlags für den ganzen Bereich der Mitwirkungsfälle befürwortet, soweit Indizien starken sozialpsychologischen Einflusses vorhanden sind. Im vorherigen Abschnitt habe ich versucht aufzuzeigen, wann solche Indizien vorliegen. Auch eine fallbezogene Verbindung zwischen sozialpsychologischer Situation und Verantwortungsminderung oder gar Verantwortungsausschluss wurde im Rahmen der vorstehenden Überlegungen hergestellt. Der Fokus des folgenden Abschnitts liegt nun auf der Darlegung, wie die psychosozialen Wirkungen auf den Täter eines Mitwirkungs1

Vgl. Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883); zust. Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 19, Rn. 28; NK-StGB/Schild, § 21 Rn. 23. 2

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falles in die Schuldfähigkeitsnormen (§§ 21, 20 StGB) integriert werden können sowie auf der Verteidigung dieses Ansatzes gegen den möglichen Vorwurf einer „Überpsychologisierung“ des Strafrechts.

I. Integration des Willensmodells von Frankfurt in die §§ 20, 21 StGB Während der Entwicklung der Untersuchungsperspektive wurde Bezug auf Frankfurts volitionales Modell genommen, um zu verdeutlichen, in welchem Sinne die konkrete „Sozialpsychologie“ der Situation dazu führt, dass der Täter eine Handlung unternimmt, die entweder nicht seinem wahren Willen entspricht oder von seinem Willen nicht vorher zum Prüfungsgegenstand gemacht wurde. Im Zusammenhang dieser fallbezogenen Anwendung legte das Modell die Schlussfolgerung nahe, dass eine Bewertung des Verhaltens in einschlägigen Situationen eine Verantwortungsminderung einschließen muss. Damit bieten sich §§ 20, 21 StGB als normative Folie an, auf deren Grundlage dieser allgemeine Gedanke in den rechtlich spezifischeren der geminderten Schuld übersetzt werden kann. Es geht im Folgenden also darum, mit dem Modell Frankfurts, den §§ 20, 21 StGB einen erweiterten Anwendungsspielraum zu geben. Zu diesem Zweck soll das Modell noch einmal in seiner gedanklichen Reinform ohne kasuistische Schattierungen dargestellt werden Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist nach Frankfurt „die Fähigkeit zur reflektierenden Selbstbewertung“.3 Diese Fähigkeit setzt eine hierarchische volitionale Struktur voraus, die in ihrer vereinfachten Form zweistufig ist.4 Danach bilden die Menschen Wünsche erster und zweiter Stufe.5 Einen Wunsch erster Stufe zu haben heißt, etwas tun oder nicht tun zu wollen.6 Einen Wunsch zweiter Stufe zu haben bedeutet, den Wunsch erster Stufe haben oder nicht haben zu wollen.7 Die Kategorie der Wünsche zweiter Stufe unterzieht Frankfurt einer weiteren Differenzierung. Ein Wunsch zweiter Stufe kann in zwei Formen ausgedrückt werden: Entweder in dem einfachen Wunsch einer Person, einen bestimmten Wunsch zu haben oder in dem Wunsch, dass ein bestimmter Wunsch erster Stufe zum Willen der Person wird.8 In diesem zweiten Fall wünscht die Person, dass ein Wunsch handlungswirksam wird.9 Plakativ ausgedrückt, geht es im Grunde um „das Wollen des Wollens“. Es ist ein solches „Wollen des Wol3 4 5 6 7 8 9

Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 66 f. Ebd., S. 67. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 71. Betzler, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 23.

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lens“, was Frankfurt als „Volition zweiter Stufe“ bezeichnet.10 Bei der Bildung von „Volitionen zweiter Stufe“ kommt die „besondere Eigentümlichkeit von Menschen“ zum Ausdruck, ihre Wünsche zu überprüfen und zu bewerten.11 Hierin sieht Frankfurt das entscheidende Moment der Willensfreiheit.12 Anders gesagt: Die Willensfreiheit setzt die Bildung von Volitionen zweiter Stufe voraus, im Sinne der Einrichtung einer Kontrollinstanz gegenüber den Wünschen erster Stufe, der Schaffung einer Steuerungs- und Überprüfungsmöglichkeit der ersten Impulse.13 Denjenigen, der keine Volitionen zweiter Stufe hat und lediglich auf Wünsche erster Stufe agiert oder reagiert, bezeichnet Frankfurt als einen „Triebhaften“, dessen Wille nicht frei ist.14 Ein triebhaftes Verhalten kann entstehen, wenn jemand „keine Gelegenheit [hat], entsprechend [seinen] Wünschen zu handeln“ oder seine Wünsche erster Stufe zu überdenken.15 Übersetzt man diese These Frankfurts in die Sprache der §§ 20, 21 StGB, ist von einer fehlenden oder erheblich beeinträchtigten Steuerungsfähigkeit zu sprechen. Der Zusammenhang zwischen Steuerungsfähigkeit und Volitionen zweiter Stufe zeigt sich besonders klar im Problem der fehlenden Identifikation des Individuums mit seinem handlungswirksamen Wunsch.16 In diesem Fall hat eine Person einen Wunsch erster Stufe, den sie allerdings auf der zweiten volitionalen Ebene ablehnt.17 Die Person will nicht, was sie will. Durch die Bildung der Volition zweiter Stufe identifiziert sie sich nicht mit dem Wunsch erster Stufe, sie macht ihn sich nicht zu eigen.18 Sie will nicht, dass der Wunsch handlungswirksam wird. Wenn es ihr aber nicht gelingt, dem Wunsch erster Stufe zu widerstehen, geschieht dies gegen ihren Willen.19 Das Problem der fehlenden Identifikation veranschaulicht Frankfurt am Beispiel des „Süchtigen wider Willen“.20 Der Süchtige wider Willen hat auf der ersten volitionalen Stufe zwei konträre Wünsche: einerseits will er die Droge nehmen, andererseits will er die Droge nicht nehmen.21 Auf der zweiten Ebene will er, dass sein zweiter Wunsch erster Stufe, vom Drogenkonsum Abstand zu nehmen, wirksam wird.22 Da aber seine Sucht 10

Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 71. Ebd., S. 67. 12 Betzler, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 23. 13 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 72 ff.; vgl. auch Guckes, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 10 f. 14 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung S. 72. 15 Ebd. 16 Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (66 ff., 71). 17 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 73 f. 18 Ebd., S. 74. 19 Ebd., S. 73 f. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 73. 22 Ebd. 11

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zu mächtig ist, gibt er dem unerwünschten Wunsch nach.23 Die Volition zweiter Stufe konnte sich nicht durchsetzen und schaffte es nicht, die Macht der Sucht zu überwinden. In der Unterdrückung der Volition zweiter Stufe zeigt sich eine defizitäre Steuerungsfähigkeit des volitionalen Systems, nach dem wahren Willen zu handeln. Legt man das Willensfreiheitskonzept Frankfurts bei der Präzisierung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zugrunde, gewinnt man eine neue Lesart der §§ 20, 21 StGB.24 Danach ist steuerungs- und daher schuldfähig, wer wollte, was er wollte.25 Die Steuerungsfähigkeit des volitionalen Systems durch die Bildung von Volitionen zweiter Stufe besagt, inwieweit eine Steuerungsfähigkeit auch im rechtlich relevanten Sinne besteht. Frister hat gezeigt, worauf es für die Schuldfähigkeit ankommt, nämlich auf die Art und Weise der Willensbildung.26 Schuldfähigkeit nennt er die „Fähigkeit zu einer hinreichend differenziert strukturierten Willensbildung“ 27 und betont, dass „man sich um eine möglichst nüchterne begriffliche Beschreibung der die Schuldfähigkeit konstituierenden Modalität von Willensbildungsprozessen bemühen“ 28 sollte. Das Konzept Frankfurts bietet sich dabei als Orientierungshilfe an. Es stellt ein eingängiges, moralisch neutrales Willensbildungsmodell dar,29 mit dem das strafrechtliche Denken bei der Ermittlung schwer zu überschauender motivationaler Abläufe operieren kann.30 Eine „hinreichend differenziert strukturierte Willensbildung“ setzt jedenfalls die Bildung von Volitionen zweiter Stufe voraus. Wer nicht die Gelegenheit hat, durch die Bildung einer Volition zweiter Stufe seine spontanen Impulse zu überdenken, entscheidet sich zu wenig „strukturiert“ und „differenziert“ für oder gegen das Handeln. Neben dem völligen Fehlen einer Volition zweiter Stufe, deutet der Umstand der Unfähigkeit einer höherstufigen Volition, handlungswirksam zu werden, auf einen mangelhaften Willensbildungsprozess. Wenn jemand in einen „volitionalen Streitfall“ 31 gerät und von seinem Handeln inneren Abstand nimmt, liegt die Vermutung nahe, dass der Entscheidungsprozess in der konkreten Situation wegen einer schwer zu widerstehenden

23

Ebd. Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (66 ff., 71); ders., Wissen und Wollen, S. 264. Auf Frankfurts Willensfreiheitskonzept nimmt bereits auch Kindhäuser bei der Präzisierung des Schuldbegriffs Bezug, Kindhäuser, GA 1989, 493 (500). 25 Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (71). 26 Frister, MschrKrim 1994, 316 (320 f.). 27 Frister, MschrKrim 1994, 316 (320); ders., Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, Zugleich eine Analyse des Verhältnisses von Schuld und positiver Generalprävention, S. 125 ff. 28 Frister, MschrKrim 1994, 316 (320). 29 Vgl. Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (67). 30 Ebd., S. 71. 31 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 123. 24

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Kraft „signifikant hinter dem in der sozialen Interaktion unserer Gesellschaft im allgemeinen erreichten Differenziertheitsniveau zurückbleibt.“ 32 An einer freien Willensbildung ist hier zu zweifeln. An dieser Stelle eine wichtige Bemerkung: Das Willensmodell Frankfurts bietet sich als Orientierungshilfe bei der Beantwortung der Frage der Steuerungsfähigkeit an. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass diese „rein subjektivistische“ 33 Freiheitstheorie für die Zuschreibung von Freiheit ausreichend ist.34 Frankfurt stellt bei der Freiheitszuschreibung ausschließlich auf die subjektive Perspektive ab.35 Entscheidende Bedeutung kommt bei dieser Zuschreibung aber der Frage nach der Quelle der Volitionen zweiter Stufe zu.36 Legt man nur die subjektive Perspektive zugrunde, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass der durch Gehirnwäsche manipulierte Überzeugungstäter voll verantwortlich sei, weil er auf der zweiten Ebene der Willensbildung das will, was er auf der ersten Stufe will;37 oder zu dem noch radikaleren Ergebnis, dass sogar der Psychotiker will, was er will und deshalb voll schuldfähig sei.38 Die Berücksichtigung der Motivationsquelle aus objektiver Perspektive zeigt allerdings, dass es in beiden Fällen um einen Irrtum des Subjekts geht, der zwar in unterschiedliche Richtungen einschlägt, jedoch in beiden Fällen die Schuldfähigkeit wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit vermindert oder ausschließt. Der Psychotiker weiß nicht wirklich, was er will, nämlich, dass er einen Menschen töten will und nicht einen Dämon, daher fehlt es bei ihm an der Unrechtseinsicht.39 Der unter Gehirnwäsche stehende Überzeugungstäter irrt sich nicht im Gegenstand seines Wollens wie der

32 Frister, MschrKrim 1994, 316 (320); s. auch ders., Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 128. 33 Guckes, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 13. 34 Guckes, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 14; Willascheck, in: FS Volker, S. 90 (97). 35 Guckes, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 13. 36 Ebd. 37 Vgl. Guckes, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 13 f.; vgl. auch die Kritik Slotes – worauf sich auch Guckes bezieht – anhand des Beispiels des Hypnotisierten, Slote, The Journal of Philosophy, 77 (1980), 136 (149 f.) und die Kritik Willascheks anhand des Beispiels von Skinners utopischer Gesellschaft „Walden Two“, in der die Mitglieder der Kommune ohne inneren oder äußeren Zwang, aber auf Grund von „Verhaltenssteuerung“ und „Kulturgestaltung“ – so die Übersetzung des im Original so genannten „behavioral engineering“ und „cultural engineering“, s. Vorwort des Übersetzers in: Skinner, Walden Two – immer das wollen, was auch für die Gesellschaft von Gewinn ist, Willaschek, in: FS Volker, S. 90 (93 ff., 96 ff.). Die Bewohner der Kommune „Walden Two“ wollen stets auch auf der zweiten Ebene, was sie auf der ersten wünschen. Welche Wünsche zweiter Ordnung sie haben, bestimmen sie allerdings nicht selber, sondern ein Verhaltenspsychologe namens Frazier, Willaschek, in: FS Volker, S. 90 (95 ff.); s. exemplarisch Skinner, Walden Two, S. 102 ff., 105, 251 f., 257. 38 Vgl. Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (68). 39 Ebd.

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Psychotiker, sondern in der Person des Urhebers seines Wollens.40 Er weiß nicht, wer wirklich will, was er will. Irrtümlich meint er, dass er es selbst ist, der bestimmt, welche Wünsche er hat, er nimmt also fälschlicherweise an, dass er selbstbestimmt handelt. Die Anregung, das Modell Frankfurts bei der Diskussion der Schuldfähigkeit zu verwenden, beinhaltet daher die Modifikation, dass Bedeutungsgehalte des Wollens nicht ausschließlich aus der Perspektive dessen bestimmt werden, um dessen Schuldfähigkeit es geht.41

II. Integration der Sozialpsychologie in die §§ 20, 21 StGB Frankfurt schreibt in Bezug auf den Süchtigen wider Willen: „[Die] Identifikation [mit dem Wunsch, die Droge abzulehnen] und zugleich der Rückzug [von dem Wunsch, die Droge zu nehmen] durch Ausbildung einer entsprechenden Volition der zweiten Stufe sind es, die den Süchtigen wider Willen die analytisch irritierende Behauptung machen lassen können, dass die Kraft, die ihn dazu bringt, die Droge zu nehmen, eine andere als seine eigene Kraft ist, und daß es nicht nach seinem eigenen freien Willen, sondern gegen seinen Willen geschieht, wenn diese Kraft ihn dazu bewegt, die Droge zu nehmen.“ 42 Es wird hier vorgeschlagen, das von Frankfurt vorgetragene Beispiel der Sucht als Anregung zu verstehen, das Feld der Kräfte, die die Willensfreiheit durch eine Erschwerung der Bildung oder der Durchsetzung von Volitionen zweiter Stufe beeinträchtigen, um die im Kontext einer intensiven Interaktion zwischen Opfer und Täter entstandenen situativen psychosozialen Einflüsse zu erweitern.43 Gruppendynamik“, „Suchtdynamik“, „triebhafte Dynamik“ und „Konformitätsdruck“ sollen als „fremdgesetzliche, [der] Persönlichkeit [des Täters] primär nicht innewohnende Kräfte“ 44 wahrgenommen werden, die das Potenzial haben, die Willensteuerung anzugreifen und erheblich herabzusetzen. Beschädigte Willensteuerung bedeutet zumindest Schuldfähigkeitsminderung wegen erheblicher Steuerungsfähigkeitsminderung.45 „Das Person-Situations-Interaktions-Geflecht“ 46, das die „Mitwirkungsfälle“ kennzeichnet, kann oft zu affektähnlichen Handlungen führen.47 Die Hemmschwelle der Interaktionspartner sinkt und eine „hohe affektive und emotionale Koordination der Beteiligten in der Tatsituation“ kommt dann zu40

Vgl. Slote, The Journal of Philosophy, 77 (1980), 136 (149). Eine Modifikation des Frankfurtschen Modells, die auch objektivistische Aspekte mitberücksichtigt vertritt Guckes, in: Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 16 f. 42 Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, S. 74. 43 Zur Bedeutung des Willensmodells von Frankfurt für die Frage der Schuld schon Bung, Wissen und Wollen, S. 264. 44 So Schumacher in Bezug auf die Gruppendynamik, Schumacher, NJW 1980, 1880. 45 Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (71). 46 Grosbüsch, Die Affekttat, S. 6. 47 Vgl. Schumacher, NJW 1980, 1880 (1884). 41

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stande.48 Der beschädigten Steuerungsfähigkeit kann auch, muss aber nicht, eine abgeschwächte Einsichtsfähigkeit vorausgehen.49 Psychosoziale Vorgänge können nicht nur den voluntativen Steuerungsmechanismus der Beteiligten beeinflussen, sondern auch schon deren Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen.50 Die Erkenntnisse über gruppendynamische Einflüsse findet auch Jakobs psychologisch plausibel und betont, dass solche Befunde nicht außer Acht gelassen werden dürfen.51 Er lehnt aber eine Schuldminderung wegen gruppendynamischer Einflüsse kategorisch ab.52 Der sich unter Gruppenwirkungen befindende Täter, bleibe für die Zwangslage zuständig.53 Die Zuständigkeit muß unbedingt jemandem zugeschrieben werden, dies ergebe sich aus der Gefährlichkeit der durch Gruppendynamik geschaffenen Situation.54 Ein Zufall sei hier nicht anzunehmen, denn Gruppenbildungen fänden nicht zufällig statt.55 Es sei auch nicht zufällig, mit wem man in einer Gruppe zusammen kommt.56 Diese Argumentation geht von einem eng konturierten Begriff der Gruppe aus, einer Gruppe im Sinne der organisierten Kriminalität,57 und übersieht, dass es durchaus auch zufällig zur Entstehung von Spontangruppen und flüchtigen, losen Personenzusammenschlüssen oder Personenverbindungen kommt.58 Exemplarisch für ein zufälliges, spontanes Zusammenkommen von jungen Leuten ist der schon angesprochene Stechapfeltee-Fall. Die Ansicht von Jakobs, wonach der Täter trotz Gruppeneinflüssen für die Zwangslage zuständig bleibt, läuft bei solchen Fällen auf einen Lebensführungsschuldvorwurf hinaus. Es wird dem Täter letzlich vorgeworfen, dass er sich in der Vergangenheit an „falschen“ Orten in der „falschen“ Zeit bewegt und mit den „falschen“ Leuten eingelassen hat.59 „Ein Sich-Treiben-Lassen zu den Bedingungen, aus denen Taten wachsen können“ 60 reiche dann für das Erheben des Schuldvorwurfs. 48 So Schumacher in Bezug auf die Gruppendynamik, Schumacher, NJW 1980, (1881, 1883). 49 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 29. 50 Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881, 1884); vgl. Fabricius, Kriminalwissenschaften: Grundlagen und Grundfragen, S. 95. 51 Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 (136 f.); zu Jakobs’ Auffassung ausführlich Jäger, H., Makrokriminalität, S. 174 ff. 52 Ebd., S. 137. 53 Ebd. 54 Ebd., S. 136. 55 Ebd., S. 137. 56 Ebd. 57 s. ebd. 58 Zu spontan entstehenden Gruppen Jäger, H., Makrokriminalität, S. 158 f., 171, Cabanis, StV 1982, 315. 59 Jakobs ist generell einer Lebensführungsschuld gegenüber nicht abgeneigt, s. Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 31 ff.; ders., Schuld und Prävention, S. 16. 60 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 16.

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Die Zurechnung eines Vorverschuldens lässt allerdings das Koinzidenzprinzip nicht zu.61 Dem Wortlaut der §§ 20, 21 StGB nach („bei der Begehung der Tat“) sollen Tat und Schuldfähigkeit zusammenfallen.62 Die defizitäre Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt, die auch Jakobs bei gruppendynamischen Prozessen für prinzipiell möglich hält,63 darf nicht einfach deswegen ignoriert werden, weil die Perspektive auf ein Vorverschulden möglich ist.64 Das vermeintliche Gegenargument, dass sich bei den Mitwirkungsfällen das Problem der zeitlichen Vorverlagerung nicht stellt, weil hier jedes objektiv pflichtwidrige Verhalten, das den Erfolg in objektiv zurechenbarer Weise verursacht hat, Bezugspunkt für den Schuldvorwurf werden kann,65 würde verkennen, dass das zufällige Zusammentreffen von Jugendlichen (Stechapfeltee-Fall) oder die einfache Verabredung von Freunden für eine gemeinsame Übernachtung (Autosurfen-Fall) noch kein objektiv pflichtwidriges Verhalten darstellen. Der Vorwurf der Zuständigkeit, wie er von Jakobs formuliert wird, betrifft nur abstrakt die Art der Lebensführung und Einstellung des Täters vor dem Begehen der Tat und somit auch seine Charakterzüge. Die sanktionslimitierende Wirkung der Einzeltatschuld geht dabei völlig verloren.66 Erwähnenswert ist, dass gruppendynamische Prozesse in der Rechtsprechung durchaus berücksichtigt werden. In einem jüngeren Beschluss hat der erste Strafsenat des BGH unter Bezugnahme auf die unkontrollierbaren Auswirkungen von gruppendynamischen Einflüssen die Wirksamkeit der Einwilligung in eine Gruppenschlägerei abgelehnt.67 Der Senat führt aus, dass die durch Gruppendynamiken bewirkte abstrakte Eskalationsgefahr zu einer Steigerung der Gefährlichkeit der Körperverletzung führt, die vom Gehalt der Einwilligungserklärung nicht erfasst ist.68 Trotz Einwilligung sei dann die Tat als sittenwidrig nach § 228 StGB

61 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 62 f.; so auch Krümpelmann, ZStW (88) 1976, 6 (13), der allerdings aus generalpräventiven Gründen eine Abweichung von dem Koinzidenzprinzip durch gesetzliche Regelung als sinnvoll betrachtet, ebd., 35 ff. Die Vermeidbarkeit der Motivationsunfähigkeit im Vorfeld der Tat soll durch Änderung der gesetzlichen Lage berücksichtigt werden, ebd. S. 36. Diese Sichtweise kann eine gewisse Plausibilität für Fälle des vorsätzlichen Vorverhaltens ergeben, bei den Mitwirkungsfällen würde jedoch ein Vermeidbarkeitsvorwurf einen reinen Lebensführungsvorwurf bedeuten, der sich auf noch sozialadäquates Verhalten stützt (Bindungen eingehen, Kontakte knüpfen). 62 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 62 f. 63 Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 (136 ff.). 64 Vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 63. 65 So allgemein für die fahrlässige actio libera in causa statt vieler Rengier, Strafrecht AT, § 25, Rn. 27. 66 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 62. 67 BGH NStZ 2013, 342 (343 ff.); zust. Jäger, C., JA 2013, 634 (636 f.); dazu auch Jahn, JuS 2013, 945 ff. 68 BGH NStZ 2013, 344 f.

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zu betrachten.69 Damit weicht das Gericht von der bisherigen Annahme ab, dass erst der Eintritt einer konkreten Todesgefahr die Sittenwidrigkeit begründet.70 Die Argumentation des Gerichts ist vor allem aus zwei Gründen zu beachten: Erstens macht sie auf die Stärke der Beeinflussungskräfte innerhalb einer Gruppe aufmerksam und ordnet ihnen eine strafrechtliche Bedeutung zu. Zweitens liefert sie zusätzliche Argumente für die Verweigerung einer rechtfertigenden Einwilligung bei Fällen wie dem Autorennen. Die Einwilligungswirksamkeit soll nicht nur von dem zufälligen Moment eines vereinzelten Überholungsmanövers abhängig sein, das eine konkrete Lebensgefahr verursacht. Es ist das ganze Gruppengeschehen als eine einheitliche Größe, die in die Frage der Wirksamkeit einbezogen werden muss. Das Gericht bezieht sich auf das Gruppengeschehen als Gesamtheit, um zunächst die Sittenwidrigkeit wegen fehlender Steuerung gruppendynamischer Auswirkungen festzustellen. Die Frage der Einwilligungsfähigkeit oder der eigenverantwortlichen Willenserklärung im Rahmen der Gruppe wirft es nicht auf. Es ist allerdings zu überlegen, ob die gruppendynamischen Beeinflussungen nicht schon Zweifel an der Mängelfreiheit einer Willenserklärung wecken müssen oder überhaupt an der Fähigkeit, die Bedeutung und Tragweite des Risikos sachgerecht zu beurteilen und seinen Willen danach zu bestimmen. Abgesehen von der genauen Verortung der Gruppendynamik in der Einwilligungsfrage ist es zu begrüßen, dass das Gericht die Einwilligug mit dem Thema der Gruppendynamik in Verbindung bringt. Wichtig ist auch, dass auf der Grundlage einer abgelehnten Rechtfertigung wegen gruppendynamischer Einflüsse die Berücksichtigung dieser Beeinflussungen in der Schuld mehr als plausibel erscheint. Wenn die Beeinflussungen dazu führen, dass das Opfer seinen Schutz nicht verliert, sollten sie konsequenterweise dazu führen, dass der Täter auch milder bestraft wird. Alle Beteiligten im Rahmen des gruppendynamischen Geschehens unterliegen denselben Einflusskräften und es ist nur der Zufall, der bestimmt, wer von ihnen zum Täter und wer zum Opfer wird. Die hier vertretene Einbeziehung der Sozialpsychologie in die §§ 20, 21 StGB würde zu einer größeren Sensibilität für die psychosoziale Dimension eines strafrechtlich relevanten Interaktionsvorgangs beitragen.71 Die Aufzählung in § 20 StGB stellt ein Relikt des alten „psychiatrischen“ Krankheitsbegriffs72 dar, dessen Enge auf die Sorge um die Rechtssicherheit zurückzuführen.73 Ein „Dammbruch“, eine unkontrollierte Zunahme von Freisprüchen wegen Schuldunfähig69

Ebd. Vgl. Jäger, C., JA 2013, 634 (636). 71 Vgl. Grosbüsch, Die Affekttat, S. 86. 72 Zum „psychiatrischen Krankheitsbegriff“ Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 3. 73 Frister, Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 172; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 4; Rasch, StV 1984, 264 (267); Arndt, in: Protokolle SA Strafrechtsreform, S. 478. 70

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keit, sollte durch die gesetzliche Anbindung an bestimmte psychopathologische Befunde verhindert werden.74 Dem Schuldprinzip wird allerdings eine allgemeine Formulierung der Schuldfähigkeit, m. a. W. das alleinige Abstellen auf die Einsichts- und Hemmungsfähigkeit ohne biologisch-psychiatrische Kategorisierungen, gerechter, als eine Aufzählung von Störungen, die den Einwirkungsraum der empirischen Forschung in die strafrechtliche Beurteilungspraxis limitieren wollen.75, 76 Durch die Offenheit gegenüber Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung gewinnt man den für die Bewertung des motivationalen Hintergrunds notwendigen „aufgeklärten Sachverstand“.77 Ein Beispiel für interdisziplinäre Aufgeschlossenheit ist § 3 JGG: „Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“ Ein weiterer Vorteil der Formulierung des § 3 JGG ist das Aufgeben des negativen Schuldbegriffs.78 § 3 JGG sagt nicht, wann die Schuld ausnahmeweise ausgeschlossen, sondern wann Schuld anzunehmen ist. Dadurch kommt besser zum Ausdruck, worin der Kern der Schuld liegt, nämlich in der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.79 In der Bestimmung der Schuld ex negativo lässt sich die Unsicherheit des strafrechtlichen Denkens erkennen, wenn es den Bereich der Psychologie betritt.80 Zwar ist diese Unsicherheit nachvollziehbar, sie darf jedoch nicht zu einer allgemeinen Skepsis gegenüber der Integration von Erkenntnissen der Psychologie in den Schuldbegriff führen. Dass jede Straftat letztlich auf einen psychischen Sachverhalt zurückzuführen ist,81 darf nicht übersehen werden.

74 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 4; Frister, Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 172; Streng, in: MüKo-StGB, § 20, Rn. 7; Rasch, StV 1984, 264 (267); ders., StV 1991, 126 (127); Schreiber, H. L., NStZ 1981, 46 (47); Baurmann, in: Kriminalpolitik und Strafrecht, S. 196 (234 f.). 75 Vgl. Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (66). Den Verzicht auf die psychopathologische Terminologie und das Abstellen auf die Einsichts- und Hemmungsfähigkeit, allerdings unter anderen Prämissen, vertreten auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn.7; Frister, Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 177; Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 f. s. auch Arndt, in: Protokolle SA Strafrechtsreform, S. 478 f. Zu Arndts Vorschlag, s. auch Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn.7. 76 Als Beispiel einer allgemeinen Formulierung der Schuldfähigkeit weist Bung auf die Formulierung des Art. 19 des schweizerischen StGB hin, „[w]ar der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar“, Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (66). 77 Grosbüsch, Die Affekttat, S. 86. 78 So Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (66) bezüglich des Art. 19 Schweizerischen StGB. 79 Vgl. ebd. 80 Bung, in: FS für Kargl, S. 65 f.; Rasch, StV 1991, 126 (127). 81 Frister, MschrKrim 1994, 316 (322).

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Die Wortwahl des § 20 StGB offenbart, wie das Strafrecht die Psychologie, deren Gegenstand das „Person-Situations-Interaktions-Geflecht“ ist, als eine Bedrohung seiner dogmatischen Fundamente wahrnimmt.82 Der Weg zur Einbeziehung der Sozialpsychologie in die Schuldfähigkeitsnormen ist durch die Formulierungen des § 20 StGB allerdings nicht versperrt. Die „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ (§ 20 Var. 2 StGB) erfasst alle nicht krankhaften, d.h. nicht auf eine organische Ursache zurückzuführenden Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeit.83 Unter diese „normalpsychologischen“ Bewusstseinsstörungen fallen Zustände, die auf Grund von Hypnose, Übermüdung oder Affekten entstehen.84 Psychosoziale Einflüsse, wie die „Gruppendynamik“, die „Suchtdynamik“, die „triebhafte Dynamik“ und der „Konformitätsdruck“ können dazu gezählt werden.85 Solche psychosozialen Einflusskräfte können Erregungszustände und Affektlagen hervorrufen, die die freie Willensbildung zumindest im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigen können. Eine „strukturierte“ 86 Willensbildung durch die Prägung oder die Durchsetzung höherstufiger Volitionen wird erheblich erschwert. Ein erster zu erwartender Einwand gegen diesen Ansatz betrifft möglicherweise den erforderlichen Intensitätsgrad der Bewusstseinsstörung. Die Vorschrift des § 20 StGB verlangt einer „tiefgreifenden“ Bewusstseinsstörung. Auch wenn die psychosozialen Einflusskräfte ein affektives Verhalten oder sogar eine dem Affekt vorausgehende Wahrnehmungsverzerrung bewirken, könnte diese Bewusstseinsstörung „noch im Spielraum des Normalen“ 87 liegen und jedenfalls keine „tiefgreifende“ Bewusstseinsstörung darstellen. Der Mensch, könnte weiter argumentiert werden „unterliegt immer wieder mehr oder weniger stark Bewusstseinsbeeinträchtigungen [. . .]. [Diese] können in der Regel nicht im Bereich der Schuldfähigkeit, sondern allenfalls bei der Bewertung des Maßes der Schuld berücksichtigt werden.“ 88 Dagegen lässt sich folgendermaßen argumentieren: Der Begriff „tiefgreifend“ ist vor dem Hintergrund der erforderlichen individualisierten Verantwortungszu-

82

So Grosbüsch über die Beziehung von Strafrecht und Psychologie, Grosbüsch, Die Affekttat, S. 6. 83 Statt vieler Streng, in: MüKo-StGB, § 20, Rn. 31, 36. 84 Streng, in: MüKo-StGB, § 20, Rn. 36; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 13. 85 So auch der Vorschlag Schumachers in Bezug auf die gruppendynamischen Einflüsse, Schumacher, NJW 1980, 1880 (183 f.). 86 Frister, MschrKrim 1994, 316 (320 f.); ders., Die Struktur des „voluntativen Schuldelements“, S. 125 ff. 87 Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650, 139; s. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 13. 88 Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650, 139; s. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 13.

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schreibung überflüssig.89 Nach dem Wortlaut des § 20 StGB kommt es für die subjektive Zurechnung „ganz individualisierend“ auf die „Fähigkeiten“ an.90 Wenn jemand einer Bewusstseinsstörung unterliegt und deshalb unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bedeutet dies, dass die Bewusstseinsstörung für ihn konkret und individuell von erheblicher Intensität, d.h., dass sie in seinem Fall „tiefgreifend“ ist.91 Eine ausdrückliche Erwähnung im Gesetz ist daher müßig, sie unterfüttert nur die Neigung, die normativen Ansprüche unermesslich auszuweiten. Viele Bewusstseinsstörungen werden dann schnell aus dem Bereich der schuldrelevanten Störungen herausgenommen und dem Bereich des „Normalen“ zugeordnet, wo die Normbefolgung zu erwarten ist. Die Übernormativierung durch den Begriff „tiefgreifend“ ist besonders interessant, wenn man auf die Einführung des Begriffs in das Gesetz durch das 2. StrRG zurückblickt. Im Rahmen der Beratungen um die neue Gestaltung des § 20 StGB wurde anfänglich vorgeschlagen, eine der krankhaften seelischen Störung „gleichwertige“ Bewusstseinsstörung aufzunehmen.92 Nach Protesten von Seiten der Psychologen setzte sich dieser Vorschlag nicht durch, stattdessen wurde der Begriff „tiefgreifend“ eingeführt, mit dem allerdings nichts anderes gemeint ist als die „Gleichwertigkeit“ von Bewusstseinsstörung und krankhafter seelischer Störung.93 Dieser Terminus ist der Versuch einer analogen Übertragung des längst aufgegebenen psychiatrischen Krankheitsbegriffs auf Bewusstseinsstörungen nicht kranker Menschen.94 Auf diese Weise wird das Bild des psychisch Kranken zum Maßstab für die Bewertung des psychischen Zustandes des gesunden Menschen,95 was den in § 20 StGB seit der Berücksichtigung der normalpsychologischen Affektzustände in der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit zugrundegelegten „juristischen“ Krankheitsbegriff konterkariert.96 89 Auf die Überflüssigkeit des Begriffs hat schon Rasch hingewiesen, Rasch, StV 1984, 264 (267); ders., StV 1991, 126 (127). 90 Streng, in: MüKo-StGB § 20, Rn. 26. 91 Vgl. Rasch, StV 1991, 126 (127). 92 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 13; Rasch, StV 1984, 264 (267); s. auch Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650, 139. 93 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 13; Schreiber, NStZ 1981, 46 (47); Schwalm, JZ 1970, 487 (494); Rasch, StV 1991, 126 (127); ders., StV 1984, 264 (267); LKStGB/Schöch, § 20, Rn. 63; Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (8 f.); vgl. BGHSt 34, 22 (24 f.); BGHSt 35, 76 (79). 94 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 13; dazu auch LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 62. 95 LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 62, 65; Schwalm, JZ 1970, 487 (494); Schreiber, H. L., NStZ 1981, 46 (48). Dazu auch Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (8, 29); Rasch, StV 1984, 264 (265 ff.). 96 Vgl. LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 55; Schreiber, H. L., NStZ 1981, 46 (48); Grosbüsch, Die Affekttat, S. 37, die schreibt: „Der Wortlaut des § 20 StGB, wonach auch „tiefgreifende Bewußtseinsstörungen“ exkulpieren können, trägt weniger einem psycho-

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Vor dem Hintergrund dieser Verbindung zwischen dem Wort „tiefgreifend“ und dem psychiatrischen Krankheitsbegriff ist bemerkenswert, dass dasselbe Wort das Gegenprogramm zum psychiatrischen Krankheitsbegriff, nämlich die normativierende Zuschreibung auf beträchtliche Weise unterstützt. In der durch das Wort „tiefgreifend“ verkörperten Antinomie offenbart sich die Gemeinsamkeit der zwei Krankheitsbegriffe. Ausgangspunkt beider Konzepte ist die grundsätzliche Skepsis gegenüber einer Kommunikation mit der Wissenschaft der Psychologie,97 aus Angst vor einer Zunahme der Exkulpationsfälle.98, 99 Die Empirie wird als der „Totengräber eines humanen Tatschuldverantwortungs- und Sühnestrafrechts“ befürchtet.100 Aber gerade das Wissen über die psychischen und sozialen Gegebenheiten, die Einfluss auf das menschliche Verhalten nehmen, kann die Humanität des Strafrechts gewährleisten. Je bescheidener die normativen Erwartungen sind, desto besser und gerechter kann man das Individuum und seine Fähigkeiten beleuchten. Dem Individuum möglichst nahe zu kommen, sollte das Ziel eines auf dem Schuldprinzip basierenden humanen und aufgeklärten Strafrechts sein.101 Die mit der Berücksichtigung der inneren Welt des Täters verbundenen Schwierigkeiten an der Feststellung des Anders-Entscheiden-Könnens zum

logischen Wissensstand als vielmehr einem psychiatrischen Berufsstand Rechnung [. . .]“; krit. auch Fischer-StGB, § 20, Rn. 29. Zum Streit zwischen dem „psychiatrischen“ und „juristischen“ Krankheitsbegriff s. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 3 ff.; Streng, in: MüKo-StGB, § 20, Rn. 13 ff. Ausführlich zum „Krankheitsbegriff“ auch Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (8 ff.). 97 Vgl. Schreiber, H. L., NStZ 1981, 46 (48), der von dem Ausschluss der Tiefenpsychologie aus dem Bereich der Schuldfähigkeitsproblematik spricht; Kargl, Kritik des Schuldprinzips, S. 231 f. 98 Nicht nur die zwei Krankheitsbegriffe werden auf der Grundlage derselben Motivation konzipiert, auch die forensische psychiatrische Praxis und die Justiz sind sehr zurückhaltend bei der Annahme eines Exkulpationsfalles, s. hierzu Strasser, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 143 (155 f.), der von einer „beeindruckende[n] Interessenallianz zwischen Justiz und Psychiatrie“ spricht, S. 156; vgl. auch Kargl, Kritik des Schuldprinzips, S. 232; Schreiber, H. L., NStZ 1981, 46 (48); Rasch, StV 1991, 126 (127). 99 Exemplarisch für die kriminalpolitische Sorge einer Ausweitung der Entschuldigungsfälle s. die an generalpräventiven Aspekten orientierte Schuldauffassung Krümpelmanns, der bei § 21 StGB „die eigentliche Gefahrzone des Dammbruchs“ sieht, Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (31). Zu Krümpelmanns Schuldbegriff Baurmann, in: Kriminalpolitik und Strafrecht, S. 196 (234 f.). s. auch die Anmerkung von Haddenbrock, wonach „der Wassereinbruch der Normalpsychologie (als methologisches Prinzip) und die damit verbundene Unterhöhlung des psychopathologischen Grenzdammes eine innere Auflösung des Schuldstrafreches überhaupt (im Sinne der Tatverantwortung und -sühne jedes verantwortungs- und sühnefähigen Täters) nach sich zu ziehen droht“, Haddenbrock, in: Hdb. der forensischen Psychiatrie, Bd. II, S. 932; hierzu krit. Kargl, Kritik des Schuldprinzips, S. 231 f. 100 So Haddenbrock, MschrKrim 77 (1994), 44 (59). 101 Vgl. Bung, RW 2014, 546 (549); Schünemann, in: Politisch motivierte Kriminalität – echte Kriminalität?, S. 49 (97 [Fn. 177a]); anders Hörnle, in: FS für Schünemann, S. 93 (102).

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Tatzeitpunkt sind, wie Schünemann anmerkt, „der Preis, den man für eine gesteigerte Individualisierung im Bereich der Schuld zahlen muß“ 102.103 Auf der Grundlage eines an den „Fähigkeiten“ orientierten Zurechnungsmodells, wie es der Wortlaut des § 20 StGB nahelegt,104 stellt das Wort „tiefgreifend“ lediglich eine überflüssige Wiederholung der Unfähigkeit dar, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln – als Voraussetzung des Schuldausschlusses. Wer einer Bewusstseinsstörung unterliegt, welche die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, blockiert, unterliegt einer „tiefgreifenden“ Bewusstseinsstörung.105 Aus dieser Lesart des § 20 StGB ergibt sich auch eine neue Lesart des § 21 StGB. Wenn „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ in § 20 StGB eine Bewusstseinsstörung bedeutet, aufgrund derer der Täter unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist die „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ des § 21 StGB als eine Bewusstseinsstörung zu verstehen, die zur „erheblichen Verminderung“ der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit führt. Daraus folgt, dass das Eingangsmerkmal „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ des § 21 StGB nicht identisch ist mit dem Eingangsmerkmal „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ des § 20 StGB, sondern etwas breiter gefasst ist.106 Unter die Bewusstseinsstörungen des § 21 StGB fallen auch Störungen, die eine geringere Intensität aufweisen, als die Störungen des § 20 StGB.107 So sollte man bei der normativ-psychologischen Bestimmung der schuldmilderungsrelevanten Bewusstseinsstörungen im Rahmen des § 21 StGB ein wenig weiter gehen als bei der Bestimmung der schuldrelevanten Bewusstseinsstörungen im Rahmen des § 20 StGB und mehr Varianten 102

Schünemann, in: Politisch motivierte Kriminalität – echte Kriminalität?, S. 49

(108). 103 Auf dieses an der „agnostischen“ Richtung der Psychiatrie erinnernde Argument der Feststellungsschwierigkeiten beruft sich Hörnle unter anderem bei ihrem Vorschlag zur Abschaffung von § 21 StGB, Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 76; S. 78; dies., in: FS für Schünemann, S. 93 (95 f., 99, 102). Die von K. Schneider vertretene „agnostische“ Richtung verneint die Möglichkeit, die Frage nach der Einsichts-Steuerungsfähigkeit im Einzelfall empirisch zu ergründen, s. Schneider, K., Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, S. 25 ff., 31; Haddenbrock, Hdb. der forensischen Psychiatrie, Bd. II S. 863 (897, 911). s. auch De Boor, Über motivisch unklare Delikte, S. 163, nach dessen Meinung die psychologische Beweisführung bei nicht psychisch kranken Menschen auf „bloßen Vermutungen von der Psyche“ basiert. Als sichere Beweisbasis seien dagegen die psychopathologischen Störungen zu sehen, die durch klinische Erfahrung bestätigt werden, ebd. Zur „agnostischen“ Richtung im Allgemeinen und zum sog. „Agnostizismusstreit“ bezüglich der Frage der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Einzelfall s. LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 32; Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (10). 104 Streng, in: MüKo-StGB, § 20, Rn. 26. 105 So auch Fischer-StGB, § 20, Rn. 29. Entsprechendes gilt für den Begriff „schwer“ in Bezug auf das Eingangsmerkmal der „anderen seelischen Abartigkeit“. 106 Vgl. NK-Schild, § 20, Rn. 29. 107 Vgl. ebd.

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der Bewusstseinsstörung in die Schuldfähigkeitsfrage einbeziehen als im Rahmen des § 20 StGB. Eine Erweiterung des Anwendungsfeldes des § 21 StGB durch eine unterschiedliche Auslegung des Eingangsmerkmals „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ in § 20 StGB und § 21 StGB wurde vom BGH bereits dahingehend vorgenommen, dass der Begriff „tiefgreifend“ auf die Gleichwertigkeit der schuldrelevanten normal-psychologischen Störungen mit der krankhaften Störung hinweise.108 Während die schuldausschließenden normal-psychologischen Störungen mit Krankheitsbildern vergleichbar sein sollten, die die Schuldunfähigkeit begründen, sollten die normal-psychologischen Störungen, die nur zu einer Verminderung der Schuldfähigkeit führen, mit „schwächeren Formen“ von krankhaften Störungen verglichen werden.109 So ist in BGHSt 37, 397 folgende interessante Überlegung zu finden: „Unter diesen Umständen mußte der Tatrichter prüfen, ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen – auch sozialen – Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen [. . .]. Soweit [. . .] nur an eine Verminderung der Schuldfähigkeit, nicht dagegen an deren Ausschluß zu denken ist, braucht sich der Vergleich mit den Auswirkungen nicht notwendig an solchen Krankheitsbildern zu orientieren, die zum Aussschluß der Schuldfähigkeit führen. Der Vergleich mit schwächeren Formen kann genügen [. . .].“ 110 Zwar ist die Orientierung der normal-psychologischen Störung an der krankhaften seelischen Störung für die Gewichtung abzulehnen.111 Der Grundansatz des Gerichts, dass der Anwendungsbereich von § 21 StGB etwas weiter konzipiert werden darf als das Geltungsfeld von § 20 StGB, verdient jedoch Beachtung. Er entspricht im Ergebnis der hier vorgeschlagenen Auslegung des § 21 StGB, dass unter die Bewusstseinsstörungen dieser Regelung auch Störungen fallen, die eine geringere Intensität aufweisen, als die Störungen des § 20 StGB.112 Die sog. Einheitslösung, nach der die Voraussetzungen für Schuldausschluss und Strafmilderung gleich sind,113 ist nicht im Sinne einer quantitativen Gleichheit zu verabsolutieren. Dagegen ist von quantitativen Unterschieden zwischen den Eingangsmerkmalen der zwei Normen auszugehen, eine These, die Schild vorstellt: 108 Zum „Krankheitswert“ als „reinem Maßbegriff“ für die Schwere eine Bewusstseinsstörung LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 63. 109 BGHSt 37, 397 (401); dazu LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 65. 110 BGHSt 37, 397 (401). 111 Schöch spricht zu Recht von einem zu groben Vergleich, LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 64. 112 Auch die Praxis geht mit der Anwendung des § 21 StGB bei „normalen“ Tätern großzügiger vor als mit der Anwendung des § 20 StGB, LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 137; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 33. 113 NK-StGB/Schild, § 20, Rn. 29.

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„[M]uss nicht das „tief greifend“ quantitativ verstanden werden, weshalb sie [die Bewusstseinsstörung] iRd § 20 „tiefer“-greifend sein muss?“ 114 Formuliert man diese berechtige Frage aus dem Blickwinkel des § 21 StGB um, dann stellt sich die Frage, ob nicht das quantitativ verstandene „tief greifend“ im Rahmen des § 21 StGB nicht ein „weniger tief greifend“ ist. Die Herabsetzung der Anforderungen an eine „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ für die Frage der Schuldfähigkeitsverminderung lässt dann Raum für die Integration von psychosozialen Einflüssen zumindest in § 21 StGB.115 Wenn man Vorbehalte gegen das Einbeziehen psychosozialer Determinanten in den Begriff von Bewusstseinsstörungen hat, die das Potenzial haben, die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters auszuschließen, sollte man diese Determinanten wenigstens als Einflusskräfte anerkennen, die Bewusstseinsstörungszustände im Sinne des § 21 StGB hervorrufen können, d.h. Bewusstseinsstörungen, die das Potenzial haben, die Einsichts- und vor allem die Steuerungsfähigkeit erheblich zu mindern Hier ist mit einem zweiten Einwand zu rechnen: Auch wenn die schuldmilderungsrelevanten Bewusstseinsstörungen im Rahmen des § 21 StGB auf der Grundlage des hier vorgeschlagenen Umgangs mit dem Begriff „tiefgreifend“ etwas weiter gefasst sind als die schuldrelevanten Bewusstseinsstörungen im Rahmen des § 20 StGB, würde die Integration der psychosozialen Einflusskräfte in § 21 StGB an der Voraussetzung der „Erheblichkeit“ scheitern. Die psychosozialen Einflüsse, so der mögliche Einwand, seien nicht imstande, Bewusstseinsstörungen hervorzurufen, die das Potenzial haben, die Einsichts- und vor allem die Steuerungsfähigkeit „erheblich“ zu mindern, um so als „tiefgreifend“ eingestuft werden zu können. Eine solche Behauptung wäre allerdings in dieser Pauschalität nicht richtig. Psychosoziale, situative Einflusskräfte können einen Willenskonflikt auslösen oder eine voluntative Desorientierung erzeugen, die die Schuldfähigkeit vermindern. Gruppeneinflüsse, Konformitätsdruck im außergewöhnlichen Kontext, Sucht und Triebkräfte, die durch das Opferverhalten angespornt werden, stellen keine normalen Einflüsse des Alltags dar, keine Einflüsse, die „immer vorliegen und deshalb strafzumessungsneutral sind“ 116. Sie entstehen in besonderen Interaktionszusammenhängen und entfalten eine besondere Intensität. 114

Ebd. Die Anwendung des § 21 StGB zieht auch Schild trotz Einheitslösung in Erwägung und bezieht sich dabei auf den durch gruppendynamische Beeinflussungen und Phänomene entstehenden sozialen Druck im Drogenmilieu, NK-StGB/Schild, § 21, Rn. 23. 116 Als Einflüsse, die „immer vorliegen und deshalb strafzumessungsneutral sind“ bewertet Hörnle die kulturellen und religiösen Einflüsse, denen ein Gewissenstäter unterliegt, Hörnle, Gutachten C, S. 86, die generell Einschränkungen der Steuerungsfähigkeiten als ubiquitär ansieht, dies., in: FS für Schünemann, S. 93 (102). 115

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Maßgeblich für die „wertende Filterung“ 117 der psychosozialen Einflüsse, d.h. für die Abgrenzung der nichtstrafzumessungsrelevanten (nicht erheblichen) von den strafzumessungsrelevanten (erheblichen) psychosozialen Einflüssen kann ein größerer zeitlicher Abstand zwischen einem Entschluss und seiner Durchführung sein,118 wie er am Beispiel der Drogenkonsumfälle aufgezeigt wurde. Beim Vorliegen eines größeren zeitlichen Abstands zwischen Entschluss und Handeln kann man davon ausgehen, dass weniger situative Determinanten entstehen, die das Potenzial haben, die Steuerungsfähigkeit erheblich zu vermindern. Der motivationale Druck auf der ersten voluntativen Stufe ist dann geringer, das Überprüfen und Steuern des Willens ist dann eher zu erwarten. Insoweit hat K. Schneider recht, wenn er schreibt: „Je mehr eine Handlung zeitlich ausgedehnt ist, je mehr Etappen sie hatte, je mehr sie Einzelhandlungen und Überlegungen erfoderte [. . .], um so mehr kann man erwarten und „verlangen“, dass auch die Einsicht Zeit hatte, da zu sein, und Gelegenheit bekam mitzusprechen.“ 119 Nichtdestotrotz sollte die Erheblichkeitsschwelle insgesamt nicht zu hoch angesiedelt werden. Das Herabsetzen der Anforderungen an die Erheblichkeit ist auf jeden Fall für Fahrlässigkeitsdelikte (wie die Mitwirkungsfälle) leichter annehmbar als bei Vorsatzdelikten. Da das Begehen – zumal eines schwerwiegenden – Vorsatzdeliktes typischerweise die Überwindung einer höheren Hemmschwelle voraussetzt als das Eingehen eines bewussten Risikos, sollte man für Vorsatz-und Fahrlässigkeitstaten nicht von derselben Erheblichkeitsgrenze ausgehen.120 Vielmehr sollte die Erheblichkeitsschwelle bei Fahrlässigkeitstaten an die niedrigere Hemmschwelle angepasst werden, die ein Fahrlässigkeitstäter überwinden muss. Zudem erscheint eine extensive Auslegung des § 21 StGB durch eine nicht zu hoch angesetzte Erheblichkeitsgrenze gerechtfertigt, wenn man die Regelung von § 17 StGB und sein Verhältnis zu §§ 20 und 21 StGB ansieht. Da im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung nach § 20 StGB auf die Einsichtsfähigkeit abgestellt wird, stellen §§ 20 und 21 StGB im Grunde Spezialfälle des weiter gefassten 117 So Hörnle für die Unterscheidung strafmildernder Normenkonflikte von nicht strafmildernden Normenkonflikten, Hörnle, Gutachten C, S. 87. 118 Vgl. Schneider, K., Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, S. 24, der zu Recht auf den Faktor Zeit bei der Beurteilung der Einsichtsfähigkeit hinweist, da er mehr für eine überlegte als für eine spontane affektähnliche Handlung spreche. Auf die Überlegtheit und Planmäßigkeit einer Handlung als Kriterium für die Annahme von gruppendynamischen Einflüssen weist auch Schumacher hin, Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 119 Schneider, K., Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, S. 24. 120 Auf die Bedeutung der Schwere des Delikts für die Frage der Erheblichkeit weist die BGH-Rechtsprechung hin: „Entscheidend [für die Frage der Erheblichkeit] sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt [. . .]. Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist“, BGHSt 49, 45 (53); BGH NStZ 2005, 149 (150).

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Verbotsirrtums dar.121 Während es nach dem Wortlaut des § 21 StGB für die Frage der Strafmilderung auf die „Erheblichkeit“ der Verminderung der Einsichtsfähigkeit kommt, kann nach § 17 StGB jeder Mangel an Einsichtsfähigkeit eine Strafmilderung begründen, sofern die verminderte Einsichtsfähigkeit zum Ausschluss der Unrechtseinsicht führt.122 Eine „erhebliche“ Herabsetzung der Einsichtsfähigkeit wird im Rahmen des § 17 StGB nicht verlangt, so dass bei den Fällen, in denen die Einsichtsfähigkeit nicht „erheblich“ eingeschränkt ist, nach verbreiteter Ansicht eine Strafmilderung trotz der Nichtanwendung von § 21 StGB auf der Grundlage des „allgemeine[n], täterfreundlichere[n]“ § 17 StGB erfolgen kann.123 § 17 StGB wirkt dann im Bereich der fehlenden Unrechtseinsicht korrektiv zu dem vom Wortlaut her eng formulierten § 21 StGB.124 Eine solche § 17 StGB entsprechende „täterfreundliche“ 125 Regelung fehlt bezüglich des voluntativen Schuldelements. Hier bestünde Anlass, an eine extensivere Auslegung des § 21 StGB zu denken, um eine entsprechende Behandlung von Defiziten der kognitiven und volitiven Seite zu erreichen. Die Diskussion um die Beziehung von § 17 StGB und § 21 StGB ist aber nicht nur wegen der Feststellungen interessant, dass § 17 StGB nach h. M. „täterfreundlicher“ ist als § 21 StGB oder dass die Behandlung von Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeit im Vergleich zum Umgang mit Verminderungen der Einsichtsfähigkeit defizitär ist, sondern auch vor dem Hintergrund der methodischen Vorgehensweise einer von der h. M. abweichenden These von Jähnke.126 Jähnke vertritt bei seinem Versuch, das Verhältnis von § 17 StGB und § 21 StGB zu beleuchten und deren widersprüchliche Voraussetzungen hinsichtlich des Intensitätsgrades der Einsichtsverminderung zu erklären, eine Auslegung des § 21 StGB, die Ähnlichkeit mit der hier vorgeschlagenen Lesart der Norm aufweist. Jähnke sieht wie die h. M. im Fall des § 21 StGB einen Sonderfall des Verbotsirrtums nach § 17 StGB, er schließt sich aber nicht der verbreiteten Ansicht an, dass die zwei Regelungen im Widerspruch stehen.127 Dass § 21 StGB nur eine erhebliche Verminderung der Einsichtsfähigkeit berücksichtigt, während es für 121 Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 20, Rn. 4; dies., in: Schönke/Schröder, § 21, Rn. 6/7; LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 319; Dreher, GA 1957 97 (99); Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 36; NK-StGB/Neumann, § 17, Rn. 97; LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 20, Rn. 5; s. auch BGHSt 40, 341 (349). 122 LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 319; Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 21, Rn. 6/7. 123 LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 319; s. auch Maurach/Zipf, Strafrecht AT Bd. I, § 36, Rn. 74; Dreher, GA 1957, 97 (99). 124 Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 21, Rn. 6/7; Dreher, GA 1957 97 (99); s. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 36; NK-StGB/Neumann, § 17, Rn. 97. 125 LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 319; Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 21, Rn. 6/7; Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 36. 126 LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 21, Rn. 4. 127 Ebd., Rn. 3 f.

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die Frage der Schuldminderung im Rahmen des § 17 StGB nicht auf die Erheblichkeit ankommt, stellt für Jähnke nur ein „Scheinproblem“ dar.128 Anders als in der h. M., bei der, wie oben dargelegt, dem § 17 als „täterfreundlicherer“ Regelung als § 21 StGB der Vorrang eingeräumt wird,129 sieht Jähnke zwischen den beiden Vorschriften keine Diskrepanz.130 Wenn eine verminderte Einsichtsfähigkeit zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt hat, sei sie immer erheblich.131 „Eine verminderte Einsichtsfähigkeit, welche den Täter daran gehindert hat, das Unerlaubte seines Handelns zu erkennen, kann schlechterdings nicht als bloß unwesentliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gelten.“ 132 Daraus ergebe sich, dass das Fehlen der Einsicht in den zwei Normen auf dieselbe Weise zu beachten sei.133 Auf der Grundlage dieser Annahme vertritt er eine analoge Anwendung des § 21 StGB auch in Fällen, bei denen sich ein biologischer Defekt weder als Bewusstseinsstörung noch als seelische Abartigkeit einordnen lässt.134 Jähnke vertritt eine weite Auslegung der Norm, bei der der Begriff „erheblich“ ähnlich behandelt wird, wie der Begriff „tiefgreifend“ im Rahmen der hier vorgeschlagenen Leseart der §§ 20, 21 StGB. Danach stellt das Wort „tiefgreifend“ lediglich eine überflüssige Wiederholung der Unfähigkeit dar, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Wenn jemand einer Bewusstseinsstörung unterliegt und deshalb unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bedeutet dies, dass die Bewusstseinsstörung für ihn konkret und individuell von erheblicher Intensität ist, d.h., dass 128

Ebd., Rn. 4. Perron/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 21, Rn. 6/7; Dreher, GA 1957, 97 (99); Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 36; Maurach/Zipf, Strafrecht AT Bd. I, § 36, Rn. 74; LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 319; Streng, in: MüKo-StGB, § 21, Rn. 13 f.; NK-StGB-Neumann, § 17, Rn. 97; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 21, Rn. 5; a. A. Jakobs, Strafrecht AT, 18. Abschn., Rn. 24, 31; SK-StGB/Rudolphi, § 17, Rn. 16, 26; SK-StGB/Rudolphi, § 21, Rn. 4. 130 LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 21, Rn. 4. 131 LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 21, Rn. 4; s. auch LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 13. 132 LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 21, Rn. 4. 133 Ebd. Die These Jähnkes ist anders als der Vorschlag von Jakobs zu verstehen, wonach „die Erheblichkeit“ ein „in § 17 Satz 2 hineinzuinterpretierendes Merkmal“ sei, Jakobs, Strafrecht AT, 18. Abschn., Rn. 31. Zwar schlagen beide Autoren die gleiche Behandlung der zwei Regelungen bezüglich der Voraussetzung der „Erheblichkeit“ vor (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 36 [Fn. 122]), wegen der unterschiedlichen Argumentation gelangen sie jedoch zu anderen Folgen. Während der Vorschlag von Jähnke die Anregung gibt, über die Anwendung des § 21 StGB über die Bewusstseinsstörung oder die seelische Abartigkeit hinaus zu denken, weil jede Verminderung der Einsichtsfähigkeit, die zum Fehlen der Einsicht führt, als „erheblich“ einzustufen ist, führt die von Jakobs vorgeschlagene gleiche Behandlung der zwei Normen zu einer unzulässigen, zu Lasten des Täters führenden Auslegung des § 17 StGB, so zu Recht Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn 36. 134 LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 21, Rn. 4. 129

B. Sozialpsychologische Prozesse und Schuldfähigkeitsprüfung

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sie in seinem Fall „tiefgreifend“ ist. Ähnlich sieht Jähnke in dem Begriff „erheblich“ vor dem Hintergrund einer individualisierten Verantwortungszuschreibung eine tatbestandliche Redundanz, die reduziert werden muss. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beziehung von § 21 StGB zu § 17 StGB nicht nur vor dem Hintergrund der h. M., sondern auch auf Grund der abweichenden Meinung bezüglich einer gleichen Behandlung der zwei Vorschriften, Argumente für eine extensive Auslegung des § 21 StGB hinsichtlich der Begriffe „erheblich“ und „tiefgreifend“ liefert. Die Deutung des § 17 StGB als umfassende „täterfreundlichere“ Regelung im Vergleich zu § 21 StGB, der deshalb der Vorrang eingeräumt wird, macht auf das Fehlen einer dem § 17 StGB entsprechenden Vorschrift bezüglich „nicht erheblicher“ Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeit aufmerksam. Damit Defekte des voluntativen Schuldelements eine dem intellektuellen Schuldelement annähernd gleiche Behandlung erfahren, sollte man die Erheblichkeitsgrenze des § 21 StGB nicht zu hoch ansetzen. Die abweichende Meinung von Jähnke, dass das Fehlen der Einsicht in den zwei Normen auf die gleiche Weise zu berücksichtigen sei, ist aus methodischem Blickwinkel interessant, weil sie zeigt, dass eine extensive Auslegung des § 21 StGB durch die Reduktion einer tatbestandlichen Redundanz in Betracht kommen kann. Das methodische Vorgehen Jähnkes weist darauf hin, dass die hier vorgeschlagene Lesart des Begriffs „tiefgreifend“ keineswegs unberechtigt ist.

III. Hörnles Vorschlag zur Abschaffung des § 21 StGB Burkhardt weist richtigerweise darauf hin, dass es, wenn es um die Fragen der Freiheit und des Verantwortlichmachens geht, keine falschen oder unlogischen Antworten gibt, sondern nur „Meinungsverschiedenheiten“ über die „analytisch wahre Aussage“, dass die Entscheidungsfreiheit eine logische Bedingung der Verantwortungszuschreibung sei.135 Um eine solche Meinungsverschiedenheit geht es auch zwischen der hier vertretenen Auffassung zur Erweiterung des Bereichs von § 21 StGB und dem Vorschlag Hörnles, die Vorschrift des § 21 StGB abzuschaffen. Die zwei Auffassungen gehen von unterschiedlichen Verantwortungsbegriffen aus.136 Während die vorliegende Untersuchung die Prämisse zugrunde legt, dass Verantwortung Entscheidungsfreiheit voraussetzt,137 lehnt Hörnle diese Prämisse ab.138 Die Verantwortungszuschreibung setzt nach Hörnle 135 Burkhardt, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 87 (111). 136 Vgl. ebd. 137 Grundlegend hier Kaufmann, Arthur, Das Schuldprinzip, S. 128 ff., 192, 279 ff. Zu Kaufmanns Auffassung s. Burkhardt, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 87 (111). 138 Vgl. Burkhardt, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 87 (111). Den Zusammenhang zwischen Willensfreiheit und Schuld will

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

eine Handlung voraus, die für den Erfolg kausal war, sowie die Feststellung einer Pflichtverletzung, die aus der Perspektive des Opfers als „Missachtung interpersonaler Pflichten der Rücksichtnahme, des Schutzes usw.“ bezeichnet werden kann.139 Auf die „Letztverantwortung“ soll es nicht ankommen.140 Ausgangspunkt des Konzepts von Hörnle ist Strawsons „teilnehmende reaktive Haltung“ 141.142 Nach Strawson setzen interpersonale Beziehungen eine teilnehmende Haltung voraus, d. h. reaktive Einstellungen und Gefühle wie Übelnehmen und Dankbarkeit und reaktive Praktiken wie Lob und Tadel.143 Diese Reaktionen würden weiter bestehen, auch wenn man das menschliche Verhalten als determiniert und fremdgesteuert wahrnehmen würde.144 Daraus zieht Hörnle die Schlussfolgerung, dass zwischen Strafe, Verantwortlichkeit und Willensfreiheit keine zwingende Beziehung besteht.145 Die Erhebung eines Unrechtvorwurfs im Sinne des Übelnehmens seitens des Opfers genügt für das Verantwortlichmachen und die Verhängung der Kriminalstrafe.146 Ein Schuldvorwurf, der die Freiheit impliziert, sei ein Vorwurf „höchstpersönlichen Versagens“ und setzt nach Hörnle „ein verfehltes, überzogenes, ja anmaßendes Verständnis der richterlichen Aufgabe“ voraus, „ein Urteil über die Person in ihrer Gesamtheit abzugeben oder Aussagen zu machen, die das Schwergewicht des Vorwurfs ins Innerliche des Täters verlegen.“ 147 Die Fokussierung auf die innere Welt des Täters und daher die Schuld werden von Hörnle als Ausdruck metaphysischen und religiösen Denkens wahrgenommen, wovon sich das Strafrecht verabschieden sollte.148

auch Herzberg „mit Entschiedenheit zerbrechen“, Herzberg, Willensunfreiheit und Schuldvorwurf, S. 87; ders., in: FS für Achenbach, S. 157 (178 ff.); ders., GA 2015, 250 (256 ff.). Anders als Hörnle will aber Herzberg den Schuldvorwurf nicht abschaffen, sondern ihn nur von der Determinismusfrage separat behandeln, Herzberg, GA 2015, 250 (259); ders., in: FS für Achenbach, S. 157 (184 ff.); ders., Willensunfreiheit und Schuldvorwurf, 90 ff. Zum Vergleich der zwei Meinungen ausführlich Roxin, GA 2015, 489 (500 f.). 139 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 55. 140 Ebd., S. 65 141 Strawson, in: Seminar: Freies Handeln und Determinismus, S. 201 (209, 212). Dazu Burkhardt, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 87 (118 ff.); Hörnle, Straftheorien, S. 35 f. 142 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 33, 51. 143 Strawson, in: Seminar: Freies Handeln und Determinismus, S. 201 (211); Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 33, 51. 144 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 33, 51; Strawson, in: Seminar: Freies Handeln und Determinismus, S. 201 (223 f.); Burkhardt, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, S. 87 (124); Herzberg, in: FS für Achenbach, 157 (182). 145 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S.49 f. 146 Ebd., S. 57, 64. 147 Ebd., S. 59, 65. 148 Ebd., S. 59.

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Die Konsequenz dieses von der Entscheidungsfreiheit abgekoppelten Verantwortungsbegriffs ist die radikale Desubjektivierung des Strafrechts. Die Wertabstufungen des § 21 StGB machten nur Sinn, wenn zu dem Unrechtsvorwurf ein Schuldvorwurf hinzukäme.149 Dann könnte man den Gesamtunwert bemessen, je nachdem, wie gewichtig der Schuldvorwurf ist, d.h. wie stark das Anders-Entscheiden-Können beeinträchtigt wurde.150 Wenn aber auf die Untersuchung der Entscheidungsfreiheit verzichtet wird, „erledigt sich die Frage, wie man Abstufungen behandeln müsse.“ 151 Nach Hörnle kommt es nur auf die normative Ansprechbarkeit zum Zeitpunkt der Handlung/Unterlassung an, deren Voraussetzungen die pathologischen Befunde des § 20 StGB seien.152 Die normative Ansprechbarkeit stelle aber keinen quantifizierbaren Schuldvorwurf dar und sei daher nur als „Ja/Nein-Frage“ zu verstehen.153 Zwar ist Hörnle zuzustimmen, dass das Strafrecht von „moralisierenden Überreaktionen“ 154 und metaphysischem Denken gereinigt werden muss, der Verzicht auf die Bedingung der Willensfreiheit ist dafür jedoch keine zwingende Voraussetzung. Das Willensmodell Frankfurts zeigt, dass es möglich ist, die Willensfreiheit pragmatisch ohne metaphysische Färbung zu bestimmen. Dadurch kann man eine moralisch neutrale Verantwortungszuschreibung erreichen.155 Auf Vernünftigkeitserwägungen kommt es dabei nicht an, sondern nur auf den Prozess der Willensbildung.156 Das Postulat einer pragmatisch und moralisch neutral aufgefassten Willensfreiheit ist vorzugswürdiger als der Verzicht auf das Erfordernis der Entscheidungsfreiheit, weil damit das Interesse an der „inneren Welt“ des Täters erhalten bleibt. Die Berücksichtigung des Internums und gerade das Bemühen um Feinabstufungen der individuellen Schuldfähigkeit machen das moderne Strafrecht aus.157 Das Gegenteil wäre mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren.158

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Ebd., S. 75. Ebd. 151 Ebd., S. 76. 152 Ebd., S. 72 f. 153 Ebd., S. 76. 154 Ebd., S. 65. 155 Der Vorwurf verliert dadurch seine moralisierende Färbung, aber er behält die für die Verhängung einer Strafe notwendige Bedingung des höchstpersönlichen Charakters. Der Zusammenhang zwischen Strafe und Schuld als höchstpersönlicher Vorwurf ergibt sich, wie Greco anmerkt, aus der Tatsache, dass sich die Strafe gegen höchstpersönliche, „angeborene“ Rechte des Täters richtet, Greco, GA 2015, 503 (513, 516). 156 Vgl. Frister, MschrKrim 1994, 316 (317 f., 321). 157 Bung, RW 2014, 546 (549). Mit diesem Einwand rechnet auch Hörnle: „Für viele Praktiker wie Strafrechtstheoretiker sind wahrscheinlich der Gedanke einer (jedenfalls nach unten) abstufbaren Schuld und die darauf gestützte Strafmilderungsmöglichkeit unverzichtbare Elemente eines modernen Strafrechts.“, Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 76. 150

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

Auf der Grundlage dieser Überzeugung wird hier die Mitberücksichtigung der psychosozialen Dimension der Mitwirkungsfälle im Strafmilderungsbereich des § 21 StGB angeregt. Das Konzept von Hörnle ist durch die Gegenüberzeugung motiviert, dass die Aufgabe des Strafrechts nicht darin liegt, „diffizile Feinabstufungen [der] normativen Kompetenz auszuleuchten.“ 159 An der Möglichkeit des Anders-Entscheiden-Könnens überhaupt, auch als Fiktion, sei nicht mehr festzuhalten.160 Hörnle fragt sich dabei, wie eine solche Zuschreibung gerechtfertigt werden,161 wie eine „kontrafaktische Unterstellung von Anders-EntscheidenKönnen“ legitimiert sein soll?162 Diese Frage ist mehr als berechtigt und legt das Legitimationsproblem des Normativierungsexzesses offen. Ohne Zögern kann man sich der Meinung anschließen, dass die Logik des Vorwürfemachens die sachliche Rechtfertigung der Vorwürfe voraussetzt.163 Die Lösung, ganz auf den Schuldvorwurf zu verzichten, ist allerdings problematisch. Warum ist das völlige Außerachtlassen der psychischen Welt des Täters zum Tatzeitpunkt legitimer als die „kontrafaktische Unterstellung“ von Steuerungsfähigkeit? In beiden Fällen wird über die psychische Welt des Täters hinweggesehen. Die Logik des Vorwerfens betrifft selbstverständlich auch den Unrechtsvorwurf und verlangt auch dafür eine sachliche Rechtfertigung, die sich nicht in der Feststellung des Unrechts aus der Perspektive der zweiten Person erschöpfen darf.164 Diese reicht nicht für die Begründung des Vorwurfs gegenüber dem Angeklagten aus. Hörnle legt zu Recht darauf Wert, dass das Strafverfahren dialogisch verläuft, d. h. „der Angeklagte [soll] zu einer Kommunikation über das relevante Thema und vor allem auch zum Verständnis und zum Nachvollziehen des Unrechtsvorwurfs in der Lage sein.“ 165 Grundvoraussetzug dafür ist zweifellos die „normative Ansprechbarkeit“.166 Diese ist zwar eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung. Wichtig für das Entstehen eines dialogischen Verfahrens ist auch die Schaffung von Bedingungen, die die Bereitschaft des Angeklagten zum

158 Beck, Ad Legendum 2015, 102 (103); Heinrich, Ad Legendum 2015, 89 (91); LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 308; vgl. Schünemann, in: Politisch motivierte Kriminalität – echte Kriminalität?, S. 49 (97 [Fn. 177a]), der das Schuldprinzip in der Verfassung verankert sieht. s. auch BVerfGE 6, 439 f.; 20, 331; 28, 390 f., ständige Rechtsprechung. 159 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 78; dies., in: FS für Schünemann, S. 93 (95, 99). 160 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 40 ff. 161 Ebd., S. 41. 162 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 42; vgl. auch Baurmann, in: Kriminalpolitik und Strafrecht, S. 196 (262 f.). 163 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 42. 164 Vgl. Roxin, GA 2015, 489 (501); Herzberg, GA 2015, 250 (251 f.). 165 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 70; vgl. dies., Straftheorien, S. 36. 166 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 70.

B. Sozialpsychologische Prozesse und Schuldfähigkeitsprüfung

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Verständnis des Vorwurfs nicht von vornherein ausschließen. Der Angeklagte ist eher bereit und in der Lage den Unrechtsvorwurf nachzuvollziehen, wenn er den Eindruck gewinnt, dass seine Erklärungen ernst genommen werden. Wie soll einem Angeklagten dieser Eindruck vermittelt werden, wenn die Rechtsordnung sagt: „Es interessiert nicht, ob du etwas für deine Tat konntest, oder nicht“? Wie Haft anmerkt, ist es erst die Schaffung aller notwendigen Bedingungen für das Gelingen eines „Schulddialogs“, die einen Schuldvorwurf gegenüber dem Täter legitimiert.167 Will man die Begriffe „Schulddialog“ und „Schuldvorwurf“ durch „teilnehmende Reaktion“ und „Unrechtsvorwurf“ ersetzen, ist trotzdem nicht an der Richtigkeit seiner Anmerkung zu zweifeln. Mit dem Verzicht auf die Frage des Anders-Entscheiden-Könnens fällt also eine entscheidende Bedingung für das Gelingen eines Dialogs weg. Eine sachliche Legitimation168 jeglichen Vorwurfs gegenüber dem Angeklagten gegenüber scheidet aus. In diesem Zusammenhang ist folgende Anmerkung relevant: Hörnle kritisiert zu Recht Roxins Gleichstellung von Freiheitsfiktion und Gleichheitsfiktion,169 und verweist darauf, dass, während die Fiktion von Gleichheit grundsätzlich zugunsten der Person ausgeht, auf sie sich bezieht, sich die Fiktion von Freiheit zu Lasten des Betroffenen auswirkt.170 Das Legitimationsproblem sei deshalb „unbedingt ernst zu nehmen“.171 Aus demselben Grund aber sollte das Legitimationsproblem der Verhängung einer Kriminalstrafe, ohne die Frage der „Letztverantwortung“ zu stellen, auch ernst gennomen werden. „Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf“ 172 bedeutet, dass zwar der Versagensvorwurf vermieden wird, dem Angeklagten aber etscheidende Entlastungsmöglichkeiten entzogen werden.173

IV. Zu viel Psychologie? Wie man das Konzept Hörnles als „Entpsychologisierungskonzept“ verstehen kann, könnte man umgekehrt die hier vorgeschlagene Integration der Sozialpsychologie in § 21 StGB als „Überpsychologisierungskonzept“ wahrnehmen. Dies wäre allerdings eine verfehlte Sichtweise. Es handelt sich bei dem Vorschlag nicht um eine Überpsychologisierung des Strafrechts, sondern um eine Ein167

Haft, Der Schulddialog, S. 28. „Es liegt in der Logik des Machens von Vorwürfen, dass diese intrinsisch legitimiert, d. h. sachlich gerechtfertigt sein müssen, um zulässig zu sein“, Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 42. 169 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 37. 170 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 41; auch Kindhäuser, in: FS für Hassemer, S. 761 (773). 171 Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 41. 172 So der Titel der Abhandlung von Hörnle. 173 Vgl. LK-StGB/Rönnau, Vor § 32, Rn. 309; Kindhäuser, in: FS für Hassemer, S. 761 (773). 168

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

schränkung der Übernormativierung der Schuldfähigkeit.174 Übernormativierung der Schuldfähigkeit bedeutet in vielen Konstellationen „Verleugnung menschlicher Wirklichkeit“ 175 und kann – wie Puppe in einem anderen Zusammenhang anmerkt – dazu führen, dass „vom wirklichen Täter [. . .] nichts übrig [bleibt] als ein Leib und von der wirklichen Tat nichts als eine erfolgskausale Körperbewegung.“ 176 Vielfach wird zu sparsam mit der Bestimmung der schuldrelevanten Zustände umgegangen. Wegen der Kompliziertheit der psychischen Vorgänge und der motivationalen Abläufe wird zu schnell Zuflucht in normativen Setzungen gesucht und der Person eine rechtskonforme Willensbildung zugemutet.177 Gerade aber, weil die psychischen Vorgänge so komplex und schwer zu durchschauen sind, verlangen die schuldrelevanten Zustände nach großzügigen Werturteilen.178 Merkel meint: „Ob [der Täter] als empirischer Mensch wirklich verdient, was ihm als Rechtsperson mit der Strafe auferlegt wird, wissen wir nicht“.179 Deshalb zitiert er Radbruchs Spruch, wonach ein guter Jurist nur derjenige werden kann, der es mit schlechtem Gewissen ist.180 Das ist wohl richtig, aber es dürfte auch so sein, dass niemand etwas dagegen hätte, wenn das Gewissen ein wenig beruhigt werden könnte. Gerade weil die Gefahr der Ungerechtigkeit gegenüber dem Täter als empirische Person besteht, sollte man sich bemühen, empirische Erkenntnisse konstruktiv in der Festlegung von Maßstäben aufzunehmen und sie realitätsnah zu prägen. Das Strafrecht ist gewiss nicht Psychologie und daher ist die Setzung normativer Grenzen unverzichtbar. Das Schuldprinzip setzt aber voraus, dass diese Setzungen die menschliche Wirklichkeit nicht übersehen oder übergehen. Zur besseren Erfassung dieser Wirklichkeit können Grundannahmen der Sozialpsychologie in Verbindung mit einem Modell volitionaler Stufen beitragen. Zudem befasst sich die Sozialpsychologie mit dem Verhalten durchschnittlicher Menschen in psychosozialen Drucksituationen. Ihre Einsichten dürften also für ein an der Durchschnittsperson orientiertes Strafrecht nicht ohne Gewinn 174 Fabricius spricht in diesem Zusammenhang von „Zuschreibungsmanie“, Fabricius, Kriminalwissenschaften: Grundlagen und Grundfragen II, S. 84 (Fn. 150). 175 Von Verleugnung menschlicher Wirklichkeit spricht Grosbüsch, wenn die Tiefenpsychologie bei der Beurteilung von Affekttaten nicht ausreichend beachtet wird, Grosbüsch, Die Affekttat, S. 84. 176 Puppe, in: FS für Grünwald, S. 469 (484), die von einer „Rutschbahn der Normativierung“ spricht, S. 485; kritisch zu einer Übernormativierung des Subjektiven auch Bung, RW 2014, 546 (549). 177 Vgl. Puppe, JA 1989, S. 345 (364, [Fn. 51]): „Die Juristen reden heute gern von Wertung, wenn sie keine Rechenschaft darüber ablegen können, was sie tun.“ Krit. auch Frister, MschrKrim, 1994, S. 316, der auch auf die Kritik Puppes Bezug nimmt, s. dabei Fn. 4. Vgl. auch Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (65, 71). 178 In diese Richtung Bung, in: FS für Kargl, S. 65 (71); ders., RW 2014, 546 (549); anders Hörnle, in: FS für Schünemann, S. 93 (102). 179 Merkel, Willensfreiheit und rechtliche Schuld, S. 135. 180 Ebd., S. 136.

B. Sozialpsychologische Prozesse und Schuldfähigkeitsprüfung

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sein. Auch die Indizien der Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer, der triebhaften Motivationslage des Täters, der spielerischen Interaktion zwischen den Beteiligten und der Opferinitiative sind das „Resultat von Erfahrungsregeln“,181 die das Strafrecht in einem „generalisierenden“ 182 Schuldmaßstab aufnehmen kann. Normativierung der Schuld wird so realitätshaltiger und realitätsgerechter als eine die Empirie abweisende „Vergröberung des Schuldmaßstabes“ 183. Die Bereitschaft, sozialpsycholgisches Wissen in § 21 StGB einzubeziehen und so einen großzügigeren Schuldmaßstab zu Grunde zu legen, würde keine Abkehr von normativer Schuld bedeuten, sondern eine Hilfe bei der Vermeidung kontrafaktischer Unterstellungen unbeeinträchtigter Entscheidungsfreiheit. Richtige Zurechnung sollte darin bestehen, eine praktische Konkordanz zwischen Ansprüchen des Rechts einerseits und dem Gebot faktischer Gerechtigkeit andererseits herzustellen,184 d.h. einen Kompromiss zu finden und „beide [kollidierenden Interessen] zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen“ 185. Die hier vorgeschlagene Lösung versteht sich als Beitrag zu dieser Kompromissfindung.186 Eine Überpsychologisierung des Schuldbegriffs ist genauso falsch wie 181 So Krümpelmann über die Indizien für die Umwelteinflüsse in der konkreten Tatsituation, Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (13). 182 Dabei kommt es auf die Befindlichkeit der Durchschnittsperson in einer mit der Tatsituation vergleichbaren Sachlage an, Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (31). Zu Krümpelmanns Schuldauffassung ausführlich Baurmann, in: Kriminalpolitik und Strafrecht, S. 196 (234 f.). 183 Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (35). 184 Zum Begriff der „praktischen Konkordanz“ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 317 ff. 185 Ebd., Rn. 318. 186 Das Gegenteil einer ausgleichenden Lösung zwischen Norm und Faktum stellen radikale Normativierungen des Schuldbegriffs dar, wie sie etwa Jakobs vertritt, vgl. auch Jäger, H., Makrokriminalität, S. 176. Zwar spricht er von der Notwendigkeit einer „Balance“ zwischen „psychischem Faktum“ einerseits und dem Anspuch nach Geltung der Normen anderseits, schlägt aber vor, den Begriff Fähigkeit als „Zuständigkeit“ zu erfassen, Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 (128, 137); ders., Strafrecht AT, Abschn. 17, Rn. 26; dies ist von einer Kompromisslösung zwischen Norm und Faktum im Sinne der praktischen Konkordanz weit entfernt. Bei Kollision der zwei Interessen gibt er der Normgarantie den Vorrang vor dem „psychischen Faktum“, Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 (137 f.); vgl. auch Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (31 ff.). Eine Entlastung des Täters käme nur in Betracht, wenn die Normengarantie dadurch nicht angezweifelt wird, ansosten „bleibt volle Schuld, auch bei psychologisierend plausibler Ermittlung eines verengten Verhaltensspielraums“ Jakobs, in: Sozialtherapie, S. 127 (137 f.); vgl. ders., Schuld und Prävention, S. 17. Die psychische Wirklichkeit wird erst berücksichtigt, wenn Alternativlösungen zur Abarbeitung des abweichenden Verhaltens zur Verfügung stehen, Jakobs, Strafrecht AT, Abschn. 17, Rn. 26; ders., in: Sozialtherapie, S. 127 (137 f.). Die Verabsolutierung der positiven Generalprävention lässt hier keinen Raum für eine verhältnismäßige „Balance“ zwischen Norm und Wirklichkeit. Der von Roxin aufgeführte Einwand der Instrumentalisierung des Täters zum Zweck der Generalprävention ist mehr als berechtigt, Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 35. Die Legitimationsfrage nach einem Schuldbegriff, der dem Täter die Entlastungsmöglichkeiten wegnimmt

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ein Normativierungsexzess bei der Zurechnung, beide wären für die fragilen Strukuren des Strafrechts bedrohlich. Maßregelrecht einerseits und Zurechnung durch normative Wirklichkeitsunterstellungen andererseits stellen Skylla und Charybdis der Zurechnungsdogmatik dar, durch die man hindurch segeln muss, wenn man, trotz fortbestehender Gewissensbisse, mit halbwegs gutem Gewissen strafen möchte.

C. Alternativvorschläge Es ist offenkundig, dass die oben vorgeschlagene Auslegung der §§ 20, 21 StGB stark von der vorherrschenden Einstellung in der Strafrechtswissenschaft zur Schuldfähigkeitsfrage abweicht. Nach der überwiegend vertretenen Meinung führt nicht jede psychologisch bedingte Beeinträchtigung der Möglichkeit des Andersentscheidens zur Schuldminderung.187 Es wird nur auf den „Krankheitswert“ der die Steuerungsfähigkeit ausschließenden oder vermindernden Störung abgestellt.188 Die ärztlich anerkannten Krankheitsbilder stellen, wie bereits erwähnt, den Maßstab für die Intensität der jeweiligen Störung dar.189 Störungen jenseits dieser Krankheitsbilder werden dem Bereich des „Normalen“ zugerechnet und bleiben unberücksichtigt.190 Dies ergebe sich aus dem Wortlaut („tiefgreifend“, „schwere“) und der Entstehungsgeschichte der Schuldfähigkeitsnormen.191 Eine Anwendung des § 21 StGB für verminderte Steuerungsfähigkeit auf Grund starker psychosozialer Einflüsse kommt daher auf der Basis des gängigen Verständnisses der §§ 20, 21 StGB nicht in Betracht. Die hier angeregte Einbeziehung sozialpsychologischer Erkenntnisse in die Anwendung der Schuldfähigkeitsnormen würde sich aus Sicht der h. M. auf eine den Wortlaut sprengende Rechtsfortbildung stützen müssen. (ebd., Rn. 34), ist beim Ansatz von Jakobs viel akuter zu stellen als bei Roxins „empirisch-normativer“ Schuldauffassung, so der Einwand von Hörnle gegen Roxin, Hörnle, Kriminalstrafe ohne Schuldvorwurf, S. 41 f. Zur empirisch-normativen Schuldauffassung Roxin, GA 2015, 489 (490); ders., Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 36 ff. Außerdem ist stark anzuzweifeln, dass die radikal entpsychologisierte Schuldauffassung von Jakobs den positiv-generalpräventiven Bedürfnissen tatsächlich entgegenkommt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass das Vertrauen an die Normgeltung durch die Ignorierung der psychischen Wirklichkeit eher erschüttert als gesichert wird, so auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 19, Rn. 35. Die Instrumentalisierung des Täters zum Zweck der Generalprävention durch die Einführung eines generalisierenden Schuldbegriffs räumt Krümpelmann ein, der dann die Korrektur im Vollzug durch den Resozialisierungsgedanken sucht, Krümpelmann, ZStW 88 (1976), 6 (32 f.). 187 Dazu Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 13; s. auch dazu Hörnle, Gutachten C zum 70. Deutschen Juristentag, S. 76. 188 Dazu LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 62 f.; s. auch Krümpelmann, ZStW (88), 1976, 6 (8). 189 LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 63. 190 Dazu Roxin, Strafrecht AT Bd I, § 20, Rn. 13. 191 LK-StGB/Schöch, § 20, Rn. 62.

C. Alternativvorschläge

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Auch Schünemann, der von einem „individualpsychologisch“ verstandenen Schuldprinzip ausgeht und bereit ist, jede Einschränkung der Steuerungsfähigkeit strafmindernd zu berücksichtigen,192 unternimmt keinen Versuch, den Geltungsbereich von § 21 StGB für psychologische Vorgänge zu öffnen, die jenseits von psychischen Zuständen mit krankheitsähnlichem Charakter liegen. Zwar sieht er in den Erkenntnissen der Tiefenpsychologie einen Ansatz für die Begründung einer Strafmilderung bei Gewissenstätern,193 nimmt aber gleichwohl den durch „Krankheitswerte“ bestimmten Anwendungsbereich von § 21 StGB hin und beschränkt sich auf den Vorschlag, die Strafmilderung wegen Bestimmung durch ein „diktatorisches Über-Ich“ über die Schaffung einer Sondervorschrift (§ 35 a StGB) einzuführen.194 Das „diktatorische Über-Ich“ könne genauso intensiv auf eine Person einwirken wie das „Unter-Ich“ bei einem psychisch schwer Gestörten.195 Eine direkte oder analoge Anwendung von § 21 StGB scheide jedoch aus, es sei denn, die „subjektive Verbindlichkeit“ 196 nimmt paranoide Züge an.197 Der Hauptgrund von Schünemanns Zögern für eine Lösung de lege lata scheint aber nicht in den normativen Maßstäben der Schuldausschließungsgründe zu liegen, sondern in der Verbindung des § 63 StGB mit § 21 StGB.198 Da § 21 StGB „die Brücke zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus schlägt“, bedeute eine Schuldminderung für Gewissenstäter durch direkte oder analoge Anwendung von § 21 StGB eine Schlechterstellung des politischen Deliquenten.199 Falls man nach einer Grundlage für die mildere Behandlung von politischen Gewissenstätern sucht, trifft die Anmerkung Schünemanns zu. Die Anwendung von § 21 StGB kann wegen der Verbindung, die § 63 StGB zu § 21 StGB herstellt, zu einer Schlechterstellung des Gewissenstäters führen. Diese Gefahr besteht allerdings nicht für den unter psychosozialen Einflüssen wie der „Gruppendynamik“, „Suchtdynamik“, „triebhaften Dynamik“ oder unter „Konformitätsdruck“ handelnden Täter. Die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus scheitert in diesen Fällen an der Voraussetzung der künftigen Gefährlichkeit des Täters. Das Verhalten des Täters bei psychosozialen Einwirkungen kann nicht als „symptomatisch für einen Zustand von nicht lediglich vorübergehender Natur“ 200 verstanden werden, „der eine ungünstige Prog192

Schünemann, in: Politisch motivierte Kriminalität – echte Kriminalität?, S. 49

(97). 193

Ebd., S. 99 ff., 107 f. Ebd., S. 107 f. 195 Ebd., S. 107, 101. 196 Ebd., S. 108. 197 Ebd., S. 102 f. 198 Ebd., S. 101 f. 199 Ebd. 200 Exner, Kriminologie, S. 297, zit. nach Stree, in: Schönke/Schröder, 27. Auflage, § 63, Rn. 18; vgl. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 63, Rn. 20 194

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

nose zu begründen geeignet ist“ 201. Es handelt sich dagegen um situative, punktuelle, episodische und augenblickliche Kurzschlussreaktionen, die keine ungünstige Gefährlichkeitsprognose zulassen.202 Wenn die „dynamisch hochaufgeladenen Situationen“ 203 vorüber sind, werden die voluntativen Funktionen wiederhergestellt. In der Regel scheidet aber eine Anwendung von § 63 StGB bei den Fällen situativen psychosozialen Drucks schon allein deswegen aus, weil hier das affektive Verhalten des Täters keinen „länger andauernden Zustand“ 204 darstellt. Auf die Frage der Prognose kommt es dann nicht an. Eine nicht pathologisch bedingte Störung erlangt nur unter der Bedingung Relevanz, dass sie als ein „länger andauernder Zustand“ anzusehen ist.205 Anders als beim Fall des Gewissenstäters besteht also aus den hier genannten Gründen bei der Berücksichtigung von psychosozialen Einflüssen in § 21 StGB nicht die Gefahr einer Schlechterstellung des Täters auf der Grundlage von § 63 StGB. Eine unzulässige Auslegung wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG findet daher bei der hier vertretenen Lesart der §§ 20, 21 StGB nicht statt. Aber auch der Vorwurf, dass es sich hier um eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung handelt, wäre nicht berechtigt. Die hier vertretene Lesart von §§ 20, 21 StGB geht bezüglich des Begriffs der „Bewusstseinsstörung“ nicht über die Auslegungsgrenze des möglichen Wortsinns hinaus. Der Begriff der „Bewusstseinsstörung“ ist sehr weit gefasst,206 so dass sich nicht-krankhafte, „normalpsychologische“ Störungen durch psychosoziale Einflüsse problemlos direkt auf den Wortlaut stützen können.207 Eine Rechtsfortbildung könnte man allerdings in der vorgenommenen Reduktion der tatbestandlichen Redundanz der §§ 20, 21 StGB sehen (Teil 5, B.II.). Hier sind aber folgende Anmerkungen zu machen: Die scharfe Trennung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung ist nicht unstreitig, es gibt eine auf den römisch-rechtlichen Begriff der „Interpretatio“ zurückzuführende Tradition, die zwischen Auslegung und Fortbildung nicht unterscheidet.208 Aber auch auf der 201 Exner, Kriminologie, S. 297, zit. nach Stree, in: Schönke/Schröder, 27. Auflage, § 63, Rn. 18. 202 Vgl. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 63, Rn. 20 f.; BGH NStZ 1985, 309 (310). 203 Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). 204 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 63, Rn. 14; BGH NStZ 1985, 309 (310); 1993, 181. 205 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 63, Rn. 14. 206 Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 7. 207 Anders Jäger, H., Makrokriminalität, S. 179, der zu einer de lege ferenda Lösung tendiert. 208 Dazu Mecke, in: Juristische Hermeneutik zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 37 (49 ff.). Zu den unscharfen Grenzen zwischen Auslegung und Fortbildung Huber, JZ 2003, 1 (15 ff.). Es ist hauptsächlich die deutsche Methodenlehre die auf die Unterscheidung Wert legt, vgl. Grosche, Rechtsfortbildung im Unionsrecht, S. 327. In der

C. Alternativvorschläge

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Grundlage der in der deutschen Methodenlehre vorherrschenden Ansicht der Unterscheidung von Auslegung und Fortbildung des Rechts bleibt die hier vertretene Lesart im Rahmen der zulässigen methodischen Verfahrensweise. Es handelt sich nicht um eine Rechtsfortbildung contra legem, sondern um eine „gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“ 209, die im Rahmen des aus dem Schuldprinzip abgeleiteten Gesetzeszweckes bleibt,210 nach dem Strafe die Möglichkeit zum Anders-Handeln-Können voraussetzt und Einschränkungen dieser Möglichkeit strafmildernd berücksichtigt werden müssen.211 Durch die Reduktion der Redundanz der §§ 20, 21 StGB wird lediglich eine zulässige teleologische Extension zugunsten des Täters vorgenommen. Der Weg der teleologischen Extension des § 21 StGB wird hier bevorzugt, weil er der potenziellen Stärke von psychosozialen Bindungskräften am besten Rechnung trägt. Er stellt jedoch nicht die einzige Möglichkeit dar, die psychosozialen Einflüsse auf die Steuerungsfähigkeit bei der strafrechtlichen Bewertung des fahrlässigen Täters in Mitwirkungsfällen zu berücksichtigen. Wenn man nicht bereit ist, die empirischen Erkenntnisse der Sozialpsychologie in den § 21 StGB zu integrieren, könnten psychosoziale Einflüsse, wie die Gruppendynamik, die Suchtdynamik, die triebhafte Dynamik und der Konformitätsdruck als Strafmilderungsgründe nach § 46 StGB in Betracht kommen. Die Aufzählung strafzumessungsrelevanter Faktoren in Abs. 2 S. 2 des § 46 StGB ist nicht abschließend,212 so dass weitere psychosoziale Vorgänge berücksichtigt werden können.213 Es lässt sich kaum bestreiten, dass alle Gründe, die die Schuld ausschließen, eine strafmindernde Wirkung entfalten können, wenn sie sich in geringerem Grad bemerkbar machen.214 Die Verortung der Mitwirkungsfälle im Bereich der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB dürfte für die h. M. eher annehmbar sein als der oben vorgeschlaJudikatur und in der Rechtswissenschaft anderer Länder der Civil-law-Tradition findet sich keine ausdrückliche Unterscheidung zwischen Auslegung und Fortbildung, vgl. ebd., S. 327, 42. 209 Zur „gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung“ Walter, K., Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 218; grundlegend Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366 ff. 210 Die „immanente Teleologie“ des Gesetzes erfasst nicht nur die „bewußt getroffenen Entscheidungen des Gesetzgebers“, sondern auch die „objektiven Rechtszwecke und allgemeinen Rechtsprinzipien, die in das Gesetz Eingang gefunden haben“, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 374. 211 Zu dieser aus dem verfassungsverankerten Schuldprinzip abgeleiteten Konsequenz Schünemann, in: Politisch motivierte Kriminalität – echte Kriminalität?, S. 49 (97). 212 LK-StGB/Theune, § 46, Rn. 82; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46, Rn. 10. 213 Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 311. 214 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 236; s. auch Roxin, Strafrecht AT Bd. I, § 20, Rn. 34; Noll, ZStW 68 (1956), 181; Kern, ZStW 64 (1952), 255.

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

gene Weg, da man sich nicht mehr im „Tabubereich“ der Schuldfähigkeit bewegt. Zudem ist die Strafminderung nach § 46 StGB für Konstellationen, in denen das Opfer bei seiner Verletzung mitgewirkt hat, weitgehend vertreten.215 Allerdings wird hier von strafzumessungsrelevantem „Mitverschulden des Verletzten“ gesprochen.216 Dieser Sprachgebrauch wird aber nicht allen Mitwirkungskonstellationen gerecht. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei den Mitwirkungsfällen oft um Konstellationen, bei denen sowohl der Täter als auch das Opfer in ein Netz von starken Kräften verwickelt werden, das ihr Selbstbestimmungspotenzial in Frage stellt. Darf man im Memel-Fall vielleicht noch vom „Mitverschulden des Opfers“ sprechen, so ist dies z. B. beim Auto-Surfen zu bezweifeln. Unter Gruppenwirkungen kann es sich so verhalten, dass keiner der beiden verantwortlich ist oder beide nicht voll verantwortlich agieren. Der Erfolg ist dann überwiegend außerpersonalen und situativen Faktoren „zuzurechnen“. Zwar ist mit dem Begriff „Mitverschulden des Verletzten“ auch die „schuldlose Mitverursachung“ erfasst,217 jedoch sind wertneutrale Bezeichnungen der Strafzumessungsfaktoren vorzugswürdig. Mit Bezug auf die Situation und nicht auf die im Geschehen verwickelten Personen vermeidet man implizite Bewertungen des Verhaltens des Opfers und seiner Schutzwürdigkeit. Das ist auch der Sinn der Verortung des Problems im Bereich der Strafzumessung (§§ 21, 49 StGB oder § 46 StGB) und der Vorzug dieser Lösung gegenüber der Lösung bei der objektiven Zurechnung. Hillenkamp hat in seiner Untersuchung über die Bedeutung des Opferverhaltens für das Vorsatzdelikt eine für die gesamte Problematik entscheidende Frage gestellt: „Soll das Opfer seinen Schutz verlieren oder soll die Täterverantwortung nur sinken?“ 218 Eine Verortung des Problems in der objektiven Zurechnung wäre nachteilig für den Opferschutz.219 Bei einem interaktionalen Vorgang ist das Opfer nicht allein verantwortlich.220 Dem Opfer hier den Schutz zu verweigern, ist unbefriedigend. Der Täter zeigt, trotz der Mitwir215 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 231 ff., 311 f.; LK-StGB/Theune, § 46, Rn. 226 f.; Schüler-Springorum, in: FS für Honig, S. 209 ff.; Bußmann, in: Matt/ Renzikowski, § 46, Rn. 45; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 StGB, Rn. 24 f.; s. auch BGHSt 3, 218 (220). Die Strafzumessungsrelevanz der gruppendynamischen Vorgänge wird vereinzelt thematisiert, LK-StGB/Theune, § 46, Rn. 89. Zur Selbstgefährdung der Beifahrer einer Trunkenheitsfahrt als Milderungsgrund s. OLG Stuttgart, NJW 1970, 258; dazu auch LK-StGB/Theune, § 46, Rn. 232; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 437. 216 LK-StGB/Theune, § 46, Rn. 227; Bußmann, in: Matt/Renzikowski, § 46, Rn. 44; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 StG, Rn. 24; Schüler-Springorum, in: FS für Honig, S. 201 (214). 217 LK-StGB/Theune, § 46, Rn. 227; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 StG, Rn.24; Schüler-Springorum, in: FS für Honig, S. 201 (214). 218 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 232. 219 Vgl. ebd. 220 Ebd.

C. Alternativvorschläge

221

kung des Opfers, ein sorgfaltswidriges Verhalten und verwirklicht das Unrecht einer fahrlässigen Tat. Das Opferverhalten und die damit verbundenen situationsbedingten Einflussfaktoren wirken freilich auf das Unrecht ein,221 das heißt aber nicht, dass sie zum Ausschluss des Unrechts führen. Die Opfermitwirkung, die aufgrund situativen Drucks und fehlender Billigung des Verletzungserfolges „unterhalb“ der Grenzwerte der Einwilligung bleibt und daher nicht zum Unrechtsausschluss führen kann, begründet auf jeden Fall eine Unrechtsminderung,222 die strafmildernd wirkt.223 Die Behandlung der Mitwirkungsfälle im Rahmen des § 21 StGB oder zumindest des § 46 StGB bedeutet nicht, dass fahrlässige Tötungen mit Mitwirkung des späteren Opfers und fahrlässige Tötungen ohne eine solche auf der Unrechtsebene undifferenziert betrachtet werden. Die Strafzumessungslösung stützt sich auf die Grundannahme, dass das Unrecht, wie auch die Schuld, eine quantitativ abstufbare Größe ist.224 Dies bedeutet, dass es sich bei der Feststellung des Unrechts nicht um eine Ja-Nein-Frage handelt. Es gibt eben nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern auch Zwischentöne. Anders als die Tatbestandslösung nimmt die Strafzumessungslösung diese Nuancierungen225 wahr und lässt die Feststellung des geminderten Unrechts zu, eine Lösung, die dem Gedanken des Opferschutzes entspricht. Abgesehen davon, welcher argumentative Weg für die Berücksichtigung von sozialpsychologischen Erkenntnissen in der Strafzumessung beschritten wird, ist Folgendes festzuhalten: Die Strafzumessungslösung stellt eine opferfreundlichere Behandlung des Problems dar als die tatbestandliche Zurechnungslösung, die sich auf die Selbstverantwortung des Opfers beruft und damit den Täter völlig entlastet. Bei einem interaktionistischen Geschehen trägt das Opfer nicht die Alleinverantwortung.226 Wie H. J. Schneider zu Recht betont, „kann keine Rede davon sein, im Opfer den eigentlich Schuldigen gefunden zu haben.“ 227 Das Konzept der Eigenverantwortung des Opfers, auf das sich die Figuren der „eigen221

Vgl. Hörnle, GA 2009, 626 (634). Zur Unrechtsminderung wegen Opferverhaltens Hörnle, JZ 2006, 950 (957). 223 So generell für das Opferverhalten Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239; Noll, ZStW 68 (1956), 181 (193); Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 StG, Rn. 25; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 437. Die Grenzwerte sind in der Regel die „Extreme, bei denen Schuld oder Unrecht entfallen“, Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 236. 224 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 238; grundlegend Kern, ZStW 64 (1952), 255 ff.; Noll, ZStW 68 (1956), S. 181; s. auch Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (536). 225 Und „je mehr Zwischenstufen, desto näher kommen wir dem realen Kontinuum“, Arzt, Die Strafrechtsklausur, S. 109. 226 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 232; vgl. ders., JuS 1987, 940 (943); Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (60). 227 Schneider, H. J., Das Opfer und sein Täter – Partner im Verbrechen, S. 88. 222

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

verantwortlichen Selbstgefährdung“ und „einverständlichen Fremdgefährdung“ stützen, läuft an der psychosozialen Realität der Mitwirkungsfälle vorbei. Eine klare Abgrenzung von Verantwortungsbereichen zwischen Täter und Opfer in einem emotional aufgeladenen Interaktionsvorgang ist nicht möglich. Die auf das Konzept der Eigenverantwortung des Opfers abstellende Tatbestandslösung arbeitet auf der Basis von Verantwortungsfiktionen. Hier bedeutet Mitverantwortung des Opfers regelmäßig Alleinverantwortung.228 Warum die Mitverantwortung des Täters wegen der Mitverantwortung des Opfers auf Null abgesenkt wird, ist nicht nachvollziehbar. Überzeugt vom Gegenteil ist Matthes-Wegfraß, die die Verdrängung der Mitverantwortung durch die Eigenverantwortung als zwingendes Ergebnis des Eigenverantwortungsprinzips vertritt.229 Dies soll sogar die „Haupterkenntnis“ des Eigenverantwortungsprinzips sein.230 Es ist zwar nicht zu beanstanden, wenn auf die Verbindung zwischen Eigenverantwortung und Selbstbestimmung hingewiesen wird, welche die Grundlage für die Ableitung eines Rechtsprinzips bildet.231 Die angeblich daraus folgende Schlussfolgerung, dass die Eigenverantwortung des Rechsttägers jede Mitverantwortung anderer verdrängt, leuchtet jedoch nicht ein.232 Schiebt man kurz den Einwand beiseite, dass die unbeeinträchtigte Selbstbestimmung des Opfers eines interaktiven riskanten Geschehens oft zu schnell und ohne Beachtung der sozialpsychologischen Dimension des Sachverhalts bejaht wird, ist trotzdem weiter zu fragen, warum eine Verdrängung der Verantwortung erfolgen soll und nicht nur eine Relativierung oder Minderung? Die These der Verdrängung stellt kein zwingendes Ergebnis des Eigenverantwortungsprinzips dar, vor allem, wenn man überlegt, dass schon die Konstruktion des gegensätzlichen Paares „Eigenverantwortung und Mitverantwortung“ für die Mitwirkungsfälle unzutreffend und irreführend ist. Man hat nicht mit der Eigenverantwortung des Opfers einerseits und der Mitverantwortung des Dritten andererseits zu tun, sondern mit zwei „Mitverantwortungen“. Die Frage, die sich dann stellt, ist nicht, ob die eine Mitverantwortung die andere verdrängt, sondern ob jede von ihnen eigenverantwortlich ist. Bei den Mitwirkungsfällen geht es also – wegen der inhaltlichen Verdoppelung begrifflich zugespitzt – um die „eigenverantwortliche Mitverantwortung“ 233 beider Akteure des riskanten Geschehens und nicht um die Eigenverantwortung des Opfers. Vor diesem Hintergrund ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die eine Mitverantwortung die andere verdrängt, ge228

Vgl. Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (60, 68). Matthes-Wegfraß, Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht, S. 86. 230 Ebd., S. 89. 231 Ebd., S. 85. 232 Ebd., S. 86. 233 Genauer und korrekter geht es um die „eigenverantwortlichen Mitwirkungen“ der Beteiligten. 229

C. Alternativvorschläge

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rade wenn man kriminalpolitische Erwägungen wie den Opferschutz mitberücksichtigt. Für eine angemessene Wahrnehmung der Interessen beider Seiten bietet sich die Strafzumessungslösung an. Im Grunde geht es dabei um einen Kompromiss zwischen Opfer- und Täterinteressen. Solche Kompromisse sind der Strafrechtswissenschaft nicht unbekannt, z. B. wird einem Opfer bei einer schuldhaften Provokation der Notwehrlage dessen Notwehrrecht wegen des schuldhaften Vorverhaltens nicht völlig ausgeschlossen, sondern es wird durch eine abgestufte Vorgehensweise lediglich eingeschränkt.234 Ersetzt man das Kriterium der Selbstverantwortung des Opfers durch ein sozialpsychologisches Kriterium, stellt sich die Frage, ob die Tatbestandslösung eine vertretbare Alternative zur Behandlung der Mitwirkungsfälle im Bereich der Schuld ist.235 Könnte sich die objektive Zurechnung vielleicht auch als Dach für eine sozialpsychologischen Aspekten folgende Verantwortungszuschreibung anbieten? Dazu folgende Überlegungen: Die Mitwirkungsfälle stellen keine Konstellation der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der geschaffenen Gefahr und dem Erfolg dar. Im Erfolg wird die Ausgangsgefahr realisiert. Es geht dabei nicht um die Frage der Beziehung zwischen Gefahr und Erfolg. Die sozialpsychologisch relevanten Umweltfaktoren treten nicht erst zwischen der Handlung des Täters und dem späteren Erfolg auf, sondern wirken schon zum Zeitpunkt der Gefahrschaffung. Daher ist zu entscheiden, wie die Sozialpsychologie in der Frage der Gefahrschaffung einzubeziehen wäre. Eine Möglichkeit wäre dabei die Gefahrschaffungszurechnung auszuschließen. Der Zurechnungsausschluss würde dann abhängig von den psychosozialen Umweltfaktoren gemacht, d.h. es dürfte nicht mehr um die Zuschreibung von Verantwortung entweder gegenüber dem Opfer oder dem Täter gehen, sondern um die Frage, ob die Risikoschaffung und nachfolgend der Erfolgseintritt „Werk des Täters“ oder „Werk der Situation“ waren. Diese Fragestellung erforderte freilich eine Erweiterung der Grundformel der objektiven Zurechnung (nach der dem Täter ein Erfolg zuzurechnen ist, wenn er eine rechtlich missbilligte Gefahr schafft, die sich im tatbestandlichen Erfolg realisiert) um ein zusätzliches Kriterium, nämlich jenem der sozialpsychologischen Adäquanz der Rahmenbedingungen der Tat. Es würde sich hierbei systematisch um eine Voraussetzung der objektiven Zurechenbarkeit handeln, die Elemente der zwei anderen Voraussetzungen, Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr und Werk des Täters in sich vereinigte. Es würde nicht gefragt, ob der Erfolgs234

Dazu statt vieler Rengier, Strafrecht AT, § 18, Rn. 54 ff., Rn. 72 ff. Für weitere Integrationsmöglichkeiten der Sozialpsychologie in das dogmatische Gebäude s. Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883), der allerdings die Einordnung der Gruppendynamik in den Bereich der Schuldminderung als „praktikabelste“ Lösung sieht, s. ebd. 235

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

eintritt Werk des Täters, sondern ob ihm schon die Risikoschaffung zuzurechnen ist. Im Fall von „sozialpsychologischer Inadäquanz“ der Umweltfaktoren, d.h. in Fällen, in denen Gruppendynamik, Sucht- und Triebdynamik oder starker Konformitätsdruck als Umweltkräfte festzustellen sind, sollte man die objektive Zurechnung des Erfolges wegen fehlender zurechenbarer Gefahrschaffung entfallen lassen. Die Frage allerdings „Werk des Täters oder Werk der Situation“ hätte zur Konsequenz, dass im Rahmen der objektiven Zurechnung Fragen gestellt werden, die den Rahmen des objektiven Tatbestands sprengen würden. Die Verantwortungszuschreibung zur Situation erfolgt unter Berücksichtigung von Umwelteinflüssen auf das Individuum. Der natürliche Prüfungsort der Mächtigkeit von solchen situativen Einflüssen ist aber die Schuld. Da das Problem der „sozialpsychologischen Adäquanz“ einer Tat nicht die Beziehung von Erfolg und Gefahrschaffung betrifft, kann es nur als Frage nach der Willensfreiheit des Täters gestellt werden. Das Miteinbeziehen der „sozialpsychologischen Inadäquanz“ in das „Ensemble von Topoi“ 236 der objektiven Zurechnung würde eine eindeutige Verlagerung der Willensfreiheitsfrage in den objektiven Tatbestand bedeuten.237 Die psychosoziale Auffälligkeit eines Vorgangs kann nicht isoliert ohne Bezug auf ihre Wirkung auf das Individuum betrachtet werden. Die Verantwortungszuschreibung erfordert die Bewertung der Intensität der Umweltkräfte. Die Intensität der Umweltkräfte kann aber nur unter Berücksichtigung der inneren Welt des Täters „gemessen“ werden. Verantwortungszuschreibung auf der Grundlage der Sozialpsychologie kann nicht abgelöst von der Bewertung der Stärke der erzeugten Gefühle und Affekte erfolgen. Ob eine Tat „Werk der Situation“ ist, hängt von der emotionalen Reaktion des Täters auf sie ab. Eine solche Vorverlagerung der Willensfreiheit in den objektiven Tatbestand ist zwar theoretisch vertretbar, aber es liegt auf der Hand, dass sie radikale Konsequenzen hätte. Die Willensfreiheit würde dann als eine Ja-Nein-Frage gestellt, und die Gefahr einer zu weitgehenden Exkulpation des Täters wäre deutlich realer als bei der Integration der Sozialpsychologie in die Schuld, wo man viel nuancierter mit der Frage der Autonomie umgehen kann. In der Regel wird es so sein, dass die Verantwortung für die Gefahrschaffung bei den Mitwirkungsfällen nicht allein von der Umwelt getragen, sondern mitgetragen wird.238 Wenn man der Tatbestandslösung folgt, muss man auf feine Ver236

Kaufmann, Armin, in: FS für Jescheck, S. 251 (271); Puppe, GA, 2015, 203 (205). Eine solche Verlagerung hängt, um mit Arzt zu sprechen, mit der „pragmatische[n] Frage“ zusammen, inwieweit man ein System „ganzheitlich“ haben will, also mit der Frage, wie viele „Mosaiksteine, die man aus dem Gesamtpuzzle ,Strafrechtssystem‘ in das Teilpuzzle ,objektive Zurechnung‘ verlagern möchte“, Arzt, in: GS für Schlüchter, S. 163. 238 Vgl. Heider, Psychologie der Interpersonalen Beziehungen, S. 138. 237

C. Alternativvorschläge

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antwortungsabstufungen verzichten. Das hieße immer Ablehnung der Zurechnung zum Täter, falls eine „sozialpsychologische Inadäquanz“ der Umweltfaktoren festzustellen ist, auch wenn sie nicht die Stärke eines Umweltzwanges aufweist, der das Geschehen allein gestaltet. Es handelte sich dann um eine vereinfachte Verantwortungszuschreibung, die gegenüber dem Verletzten immerhin wertungsneutraler ist als ein vorschnelles Zuschieben von Verantwortung auf der Grundlage des Konzepts der Eigenverantwortung des Opfers, die jedoch ebenso zum Verlust des Opferschutzes führt. Dagegen weist die Behandlung der Mitwirkungsfälle im Bereich der Schuld den klaren Vorteil auf, dass dem Opfer trotz seiner Unachtsamkeit Schutz gewährleistet wird und ihm gegenüber begangenes Unrecht festgestellt wird. Es ist daher sinnvoll, differenziert vorzugehen und die Zurechnung der Gefahrschaffung zum Täter als dessen Werk einmal aus objektiven und einmal aus subjektiven Perspektiven zu prüfen. Auf der Grundlage der gängigen Kriterien der objektiven Zurechnung ist dann anzunehmen, dass der Täter objektiv eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die im Erfolg realisiert wird. Die entscheidende Frage stellt sich allerding auf der Stufe der Schuld, inwieweit er anders handeln konnte. Nachdem gezeigt wurde, dass die objektive Zurechnung sich nicht als Ansiedlungsort für die Sozialpsychologie anbietet, ist über eine letzte Möglichkeit für deren Integration in den objektiven Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts nachzudenken: Es wäre vorstellbar, die sozialpsychologischen Erkenntnisse in den generellen Sorgfaltsmaßstab einzubeziehen. Dies klingt zunächst nachvollziehbar, ist es doch gerade die Sozialpsychologie, die das Verhalten des normalen „Durchschnittsmenschen“ in Gruppensituationen und unter dem Einfluss anderer starker psychosozialer Kräfte erklärt.239 Wenn sich also der „Durchschnittsmensch“ bei bestimmten Konstellationen dem Konformitätszwang nicht entziehen kann, dann soll der Erfolg als objektiv unvermeidbar bewertet werden. Anders als die Frage „Werk des Täters oder Werk der Situation“ weist die Frage der Vermeidbarkeit den Vorteil auf, dass sie ohne Bezugnahme auf die Autonomie des Täters beantwortet werden kann. Zwar hängt das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung mit dem Autonomieproblem in einem interaktiven Spannungsfeld zusammen, das Problem stellt sich jedoch nicht als Frage der Fähigkeiten des Täters in der konkreten Situation, sondern als Frage des „durchschnittlichen“ Maßstabs. Nichtdestotrotz ist diese Lösung nicht optimal. Die Schwäche liegt auch hier darin, dass die Frage der objektiven Vermeidbarkeit nur als Ja-Nein-Frage gestellt werden kann, Zwischenstufen bleiben unbeachtet. Der 239 „Typ Jedermann“, Schumacher, in: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, 169 (177). Zum „Durchschnittsmenschen“ unter starken sozialpsychologischen Einflüssen Welzer, Täter, S. 113; s. auch Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, S. 132, 371.

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

Konformitätsdruck begründet in der Regel lediglich Erschwerungen der Vermeidbarkeit. Die Bestimmung des generellen Sorgfaltsmaßstabs anhand der sozialpsychologischen Empirie hätte dann dieselben Konsequenzen, wie die Verlagerung des Autonomieproblems in die objektive Zurechnung, d.h. eine zu weitgehende Entlastung des Täters zulasten des Opferschutzes. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass das Konzept der Eigenverantwortung des Opfers und die hier dargestellte Alternativlösung der Berücksichtigung der Sozialpsychologie in der Frage des Sorgfaltsmaßstabs im Ergebnis übereinstimmen – auf der Basis des Konzepts der Eigenverantwortung des Opfers wird der Täter genauso extensiv entlastet, wie bei der Alternativlösung der Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabs – werden die negativen Konsequenzen der Alternativlösung relativiert. Immerhin würde die Alternativlösung das Opfer nicht zum allein Schuldigen für den Erfolg machen.240 Die vorliegende Arbeit will sich daher dem Einbeziehen von gruppen- und triebdynamischen Vorgängen in der Bestimmung des generellen Sorgfaltsmaßstabs nicht ganz verschließen. Mit diesem letzten Alternativvorschlag zur Integration sozialpsychologischer Erkenntnisse in die Frage der objektiven Zurechenbarkeit wird deutlich, dass das Hauptbestreben dieser Untersuchung mehr im Aufzeigen der sozialpsychologischen Relevanz der unter den Begriffen der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“ und „einverständlichen Fremdgefährdung“ diskutierten Fälle liegt und weniger im Beharren auf einer konkreten dogmatischen Verortung dieser Erkenntnis. Die Darstellung der psychosozialen Dimension der Mitwirkungsfälle sollte dazu veranlassen, das Konzept der Selbstverantwortung des Opfers zu hinterfragen und die situativen Bedingungen des interaktionellen Vorgangs bei der Verantwortungszuschreibung einzubeziehen.241 Wenn der psychosozialen Dynamik der Täter-Opfer-Interaktion Beachtung geschenkt wird, wäre schon einiges für die angemessene Behandlung der Mitwirkungsfälle gewonnen, unabhängig davon, ob der Tatbestand oder die (Zumessungs-)Schuld der vorzugswürdige Ort der dogmatischen Behandlung ist. Gleichwohl favorisiert die vorliegende Arbeit die Berücksichtigung der gruppen- und triebdynamischen Vorgänge in der Frage der Schuld und der Bemessung der Täterverantwortlichkeit.242 Nur hier kann die Sozialpsychologie eine 240

Vgl. Schneider, H. J., Das Opfer und sein Täter – Partner im Verbrechen, S. 88. Kritisch zum Konzept der Eigenverantwortung aus guten Gründen auch Kubink, in: FS für Kohlmann, S. 53 (68 ff.), nicht aber aus sozialpsychologischer Perspektive, sondern aus gesellschaftstheoretischem und kriminalpolitischem Blickwinkel, S. 68. 242 Für die Berücksichtigung des Opferverhaltens generell in der Strafzumessung Schneider, H. J., Das Opfer und sein Täter – Partner im Verbrechen, S. 87; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 232 ff.; Schüler-Springorum, in: FS für Honig, S. 201 (214); Amelung, in: FS für Eser, S. 3 (15); Paasch, Grundprobleme der Viktimologie, S. 115 ff.; vgl. auch Jäger, H., Makrokriminalität, S. 180; Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 222, 433; zum Teil auch 241

D. Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf Mitwirkungsfälle

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angemessene Behandlung erfahren, die auf Differenziertheit setzt und auch insoweit den Opferschutz am sachgerechtesten gewährleistet.

D. Anhang: Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf die behandelten Mitwirkungsfälle Abschließend wird die vorgeschlagene Lösung zur Veranschaulichung auf die in Teil 4 behandelten Sachverhalte angewandt, in denen die Risikoschaffung auf intensive Interaktionen zwischen Täter und Opfer zurückzuführen ist.

I. Autorennen-Fall243 Dem Sachverhalt nach, wie vom BGH angenommen, gehörten die Angeklagten und das später Opfer zu einer „Szene“ von jungen Männern, die auf öffentlichen Straßen im Bodenseegebiet Autorennen durchführten. Am Tag des Unfalls fand ein solcher „Beschleunigungstest“ statt. Der Angeklagte B war Führer seines für die Zwecke des Autorennens umgebauten VW-Golfs und der Angeklagte H war Führer des Porsches seines Vaters. Beifahrer des Angeklagten B war der später getötete S, der das Geschehen mit einer Videokamera filmte. S hatte schon öfter an „Beschleunigungstests“ teilgenommen, zum Teil als Fahrer, zum Teil als Beifahrer. Beifahrer des Angeklagten H war X. Als der G mit einem dritten Fahrzeug erschien, setzten die Fahrer das Rennen fort und überholten gleichzeitig das Fahrzeug des G. Beim gleichzeitigen Überholen geriet der VWGolf ins Schleudern und stieß gegen ein Verkehrszeichen. Der Beifahrer S starb, der Fahrer B wurde schwer verletzt. Anders als die Rechtsprechung und die Lehre, die den Fall auf der Ebene des Unrechts diskutieren, behandelt die vorliegende Untersuchung ihn zuerst auf der Ebene der Schuld. Die dabei entstehende Frage ist, ob die konkrete Situation die Willensentschließung der Angeklagten erheblich beeinflusst und ihre Handlungsimpulse bestimmt hat. Anzeichen dafür sind die Gefahrengemeinschaft von Täter und Opfer, die zufällige Rollenverteilung sowie die „Gleichschaltung von Stimmungen und Emotionen“ 244.245 Es geht hier um ein riskantes Verhalten von jungen Leuten, das durch starke gruppendynamische Prozesse ausgelöst wurde. Die Hörnle, GA 2009, 626 (633 ff.), aber nicht im Fall eines gemeinsamen riskanten Unternehmens, hier vertritt sie Straffreiheit auf der Ebene der ojektiven Zurechnung; instruktiver Überblick bei Schünemann, in: Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, S. 405 (408), der allerdings die Strafzumessungslösung ablehnt (409). 243 BGHSt 53, 55. 244 Schumacher, 1980, 1880 (1881). 245 Zur Rollenverteilung in einer Gruppensituation Cabanis, StV 1982, 315 (317).

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

Durchführung des Autorennens, dessen Teil das Überholmanöver war, ergab sich aus einer die Hemmungen abbauenden Gruppensituation heraus. Die Atmosphäre der Situation lässt auf erhebliche Erschwernisse bei der Steuerung und Überprüfung der ersten Impulse schließen, Ist der Fahrer des Golfs wegen § 222 StGB strafbar, was hier bejaht wird, so ist jedenfalls aber die Anwendung des § 21 StGB begründet.

II. Autosurfen-Fall246 Im vieldiskutierten Autosurfen-Fall erhielt der junge A am Abend des Unfalls in seinem Elternhaus Besuch von seinen Freunden V, E, T und W. Im Laufe des Abends kamen sie auf die Idee „noch etwas zu unternehmen“ und beschlossen, ein „Auto-Surfen“ durchzuführen, zunächst auf landwirtschaftlichen Feldwegen, später auf geteerten Landstraßen. Es wurden mehrere Fahrrunden gedreht, bei denen sie sich so abwechselten, dass sich jeder von ihnen einmal auf das Dach legte. Tatherrschaft ist somit zur Erfassung des Vorgangs ungeeignet. Die Zahl der Personen, die bei jeder Fahrt auf dem Autodach lag, stieg mit der Fortdauer des Surfens an. Zunächst lag nur eine, dann befanden sich zwei und bei den späteren Runden drei oder vier Personen auf dem Autodach. Bei der letzten Fahrt, die A durchführte, wurde V in einen angrenzenden Graben geschleudert und getötet. Der Fall ist wie der Autorennen-Fall zu lösen. A handelte tatbestandsmäßig und rechtswidrig im Sinne des § 222 StGB, er schaffte ein rechtlich zu missbilligendes Risiko, das sich im Erfolg realisierte. Die alleinige Zuschreibung des Erfolges zum Verantwortungsbereich des V ist nach den Ergebnissen der Untersuchung nicht vertretbar, da wegen der Wirkung von gruppendynamischen Kräften an seinem unbeeinträchtigten autonomen Verhalten zu zweifeln ist. Seine Selbstbestimmungsfähigkeit muss wegen der situativen Determinanten als erheblich geschwächt bewertet werden. Eine Einwilligung des Opfers kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Verletzte nicht in den Erfolg einwilligte. Zudem könnte man argumentieren, dass V wegen der gruppendynamischen Faktoren nicht imstande gewesen wäre, die Bedeutung und Tragweite der Rechtsgutgefährdung sach- und interessengerecht zu beurteilen. Denselben gruppendynamischen Einflusskräften war aber auch A ausgesetzt. Dies ist in die Frage der Schuldfähigkeit zu berücksichtigen. Die Atmosphäre der konkreten Situation liefert starke Indizien für eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des A im Sinne des § 21 StGB. Eine spielerische Interaktion zwischen den Beteiligten, die eine affektive Spannung und einen kontinuierlichen Abbau des Verantwortungsgefühls zeigt, ist hier vorhanden. Es wurden mehrere Runden gefahren, bei denen der Schwierigkeits- und damit der Risikograd stufenweise zunahmen. Aus dem „Spiel“ ergab sich eine „Rollenabwechs246

OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325.

D. Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf Mitwirkungsfälle

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lungspflicht“.247 Durch den ständigen Rollenwechsel entstand – auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung des Abenteuers „Auto-Surfen“ – eine Gefahrengemeinschaft zwischen Täter und Opfer. Zu dieser Gefahrengemeinschaft gehörten freilich auch die übrigen „Spielteilnehmer“. Der Täter war in demselben Netz von Kräften gefangen wie die übrigen Beteiligten. Wie diese setzte er sich dem Risiko aus, das auch seine „Spielkameraden“ eingingen. Vor diesem Hintergrund kommt zugunsten des A eine Strafmilderung nach §§ 49, 21 StGB in Betracht.

III. Stechapfeltee-Fall248 Nach einer Radtour beschlossen die Schüler G und M im Park des Friedrichshafener Schlosses in der Nähe eines Badehauses zu zelten, wo viele junge Leute und Mitglieder der örtlichen Drogenszene sich regelmäßig trafen. Sie entzündeten ein Lagerfeuer, das einen wechselnden Kreis von Personen anzog, unter ihnen der A und Ö, P und S. Während der Zusammenkunft „kam in der Runde der Gedanke auf, einen Stechapfeltee zu kochen und gemeinsam zu trinken.“ Da sich A mit Rauschdrogen aus Nachtschattengewächsen auskannte, erklärte er sich bereit, Blätter des Stechapfels zu sammeln und den Tee zuzubereiten. Er riss die Blätter ab und kochte sie in einem Topf. Er rechnete auf jeden Teilnehmer der Runde drei Blätter. Als das Getränk fertig war, bot er es allen Anwesenden an. G, M, Ö, S, P und A selbst tranken von dem Tee aus Tassen und Tellern, die am Lagerfeuer die Runde machten. Alle hatten sehr schnell Halluzinationen und Ausfallerscheinungen. G trank „entgegen der Warnung“ des A zwei Tassen des Getränks, da er sich eine „besondere Wirkung“ wünschte. Die zusätzliche Menge, die G konsumierte, hatte allerdings keine weitere Folgen. In seinem Rauschzustand gelangte G während der Nacht in den nahegelegenen Bodensee, wo er im flachen Wasser ertrank. Ö stand zitternd und frierend im Wasser. M erlitt im Gesicht und an den Beinen Schürfwunden, weil er im Rausch mehrmals hinfiel. A war infolge seines Rausches nicht in der Lage, Hilfe zu leisten. Die Zubereitung des Tees stellte eine rechtswidrige Rechtsgutgefährdung dar, in die das spätere Opfer nicht wirksam einwilligte, da es wegen der situationsbedingten Gruppendynamik nicht imstande war, die Bedeutung und Tragweite der Rechtsgutgefährdung sachgerecht zu beurteilen. Das Opfer unterlag starken Umwelteinflüssen, die weder das Produkt seiner bewussten Willensbildung noch das additive Ergebnis der Willensentschließungen aller Beteiligten waren.249 Denselben gruppendynamischen Einflussfaktoren, die die freie Willensbildung erheb247 Zu Rollenbindungen bei Jugendlichen in Gruppensituationen Lempp, Jugendliche Mörder, S. 16 f., 26. 248 BGH NStZ 1985, 25; Sachverhalt auch zitiert in Teil 4, B.IV.1. 249 s. Schumacher, NJW 1980, 1880 (1880, 1881).

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

lich beeinträchtigen, war auch A ausgesetzt. Die Initiative, Stechapfelblätter zu kochen, ist nicht auf ihn allein zurückzuführen, sondern auf die gruppendynamische Situation. Neben der anonymen Urheberschaft der Idee, Stechapfeltee zu kochen, ist auch die Entstehung eines „Gruppengeistes“ zu bemerken, die Tassen und Teller gingen am Lagerfeuer reihum. Auf die Entstehung eines „Gruppengeists“ deuten die spielerischen wechselseitigen Stimulation zu Mutproben, die generierten Rollenbindungen und der Anpassungsdruck hin. Hinweis für das Einfügen des A in den Gruppengeist war seine Beteiligung an dem gleichen Risiko wie seine Kameraden.250 Wie das Opfer unterlag er der koordinierenden Kraft der Gruppe.251 Vor diesem Hintergrund kommt zugunsten des A eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 StGB in Betracht.

IV. Tequila-Wetttrinkenfall252 In einem Lokal forderte ein 16-Jähriger den Gastwirt A auf, zu einem Wetttrinken mit Tequila gegen ihn anzutreten. Als Verlierer sollte derjenige gelten, der sich zuerst übergeben müsste. Nach den Feststellungen des Gerichts zeigte sich A diesem Vorschlag gegenüber zunächst reserviert, „er sah allerdings letztendlich keine Möglichkeit, sich dem Begehren des nach seiner Kenntnis Sechzehnjährigen ohne Gesichtsverlust zu entziehen.“ Am Abend des Geschehens fand bis etwa 2.00 Uhr morgens eine geschlossene Feier statt. Danach ging es mit dem Wetttrinken los. In der Folge traf eine Gruppe von Jugendlichen ein, die sich im Eingangsbereich niederließen. Den Ausschank übernahm einer der Anwesenden, der allerdings von A instruiert war, ihm zunächst nur Wasser statt Tequila einzuschenken. Einer der Anwesenden führte eine Strichliste der konsumierten Tequilas und teile die Zwischenstände mit. Als der 16-Jährige die Täuschung bemerkte, war er bereits stark alkoholisiert. Das Wetttrinken lief aber nun mit richtigem Tequila für beide weiter. In der Sachverhaltsschilderung heißt es: „Nach etwa einer Stunde trank der Angeklagte in schneller Folge unmittelbar nacheinander fünf Gläser Tequila [. . .]. Dem so provozierten [Jugendlichen] gelang es, seinerseits weitere vier Gläser zu trinken, so dass für ihn insgesamt vierundvierzig Tequila notiert wurden, bevor er mit dem Kopf auf den Minitresen sank.“ 253 Der Jugendliche fiel ins Koma und verstarb vier Wochen später. 250 Auf die Gefahrengemeinschaft weist auch die Entscheidung des BGH, ohne aber dieses Fallmerkmal in Verbindung mit der Frage der Willensbildung in Verbindung zu bringen: „Der Angekl. unterzog sich ohne Wissensvorsprung dem gleichen Risiko wie seine Zechgenossen“, BGH, Urt. v. 7.8.1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25 (26). 251 Zur koordinierten Kraft der Gruppe, Schumacher, NJW 1980, 1880 (1882 f.). 252 LG Berlin, Urteil vom 03.07.2009 – (522) 1 Kap Js &03/07 Ks (1/08); LG Berlin ZJJ 2010, 78 ff.; Sachverhalt auch zitiert in Teil 4, B.I.3.a. Bestätigung der Verurteilung durch BGH, Beschluss vom 24.03.2010, Az. 5 StR 31/10. 253 LG Berlin, Urteil vom 03.07.2009 – (522) 1 Kap Js &03/07 Ks (1/08).

D. Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf Mitwirkungsfälle

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Es handelt sich hier zwar um einen „Wettkampf“, der gruppendynamisch eskaliert, der Gastwirt verdient jedoch nicht dieselbe privilegierte Behandlung wie die Fahrer der Auto-Fälle. Zwar sind die Indizien einer Beeinträchtigung der Steuerungskontrolle in einer Gruppensituation vorhanden, die spielerische Interaktion, eine affektive Motivationslage sowie die Tatsache, dass das Opfer der Initiator des Wetttrinkens war. Gleichwohl wird die Indizwirkung dieser Fallmerkmale dadurch, dass sich der Gastwirt durch List der „Gefahrengemeinschaft“ entzog, stark abgeschwächt. Riskante Wettkampf-Konstellationen und Mutproben unter Gruppenbedingungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sowohl das Opfer als auch der Täter zu übermütigem, unüberlegtem und exzessivem Verhalten neigen. Dadurch entsteht eine „Gefahrengemeinschaft“, die die „Gleichschaltung von Stimmungen und Emotionen“ 254 der Beteiligten indiziert. Hier fehlt es nicht nur an diesem Indiz starker gruppendynamischer Beeinflussung, sondern es ist vielmehr ein Gegenindiz festzustellen, nämlich die gezielte Vermeidung des eigenen exzessiven Verhaltens. Ein Einfluss des Kollektivs auf das Wollen und Handeln des Täters ist zwar vorhanden, nach der Entdeckung der Täuschung wurde auch ihm mehrmals Tequila eingeschenkt, dieser Einfluss erreicht allerdings nicht die Intensität der situativen Kräfte, die auf das Opfer einwirkten. Vielmehr deutet die Begrenzung der eigenen Gefährdung durch Täuschung darauf hin, dass er in der Lage war, die Destruktivität der gruppendynamischen Vorgänge zu erkennen und dagegen zu steuern. Eine Anwendung der privilegierten Strafrahmen des § 49 StGB ist daher zu verneinen. Die Beeinträchtigung seiner Fähigkeit zum Anders-Handeln-Können bleibt unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 21 StGB. Seine Beeinflussung durch die gruppendynamischen Antriebskräfte sind nur im Rahmen des § 46 StGB zu berücksichtigen.

V. Betäubungsmittel-Verabreichungsfall, BGHSt 49, 34255 „Am Abend des 23. August 2001 traf der Angeklagte den M., der sich mit Zechkumpanen vor einem Supermarkt aufhielt und eine Dose Bier in der Hand hatte. M. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Mengen Bier getrunken, zeigte wegen seiner Alkoholgewöhnung jedoch keine Ausfallerscheinungen. Der Angeklagte und M. kamen überein, gemeinsam 1 g Heroin zu konsumieren. Absprachegemäß besorgte der Angeklagte das Rauschgift und begab sich damit zur Wohnung des M. Nachdem beide dort zunächst weiteren Alkohol getrunken hatten, holte der Angeklagte aus seiner nahegelegenen Wohnung ein Spritzenbesteck. Er kochte die Hälfte des erworbenen Heroins mit Ascorbinsäure und etwas 254

Schumacher, NJW 1980, 1880 (1881). Dieselbe Bewertung sollte der hier vertretenen Lösung zufolge auch der sog. Heroinspritzenfall (BGHSt 32, 262) erfahren. 255

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Teil 5: Die dogmatische Verortung der Mitwirkungsfälle

Wasser auf und injizierte sich das Rauschgift. [. . .] Nachdem die Spritze in heißem Wasser desinfiziert worden war, kochte der Angeklagte die andere Hälfte des Heroins auf. M. band sich den Arm ab, konnte sich wegen des Zitterns seiner Hände die Spritze aber nicht mehr selbst setzen. Er bat daher den Angeklagten, ihm das Heroin zu injizieren und hielt ihm hierzu seine linke Armbeuge entgegen. Der Angeklagte kam die Bitte nach. Alsbald nach der Injektion verstarb M.“ 256 Der in dieser Untersuchung vertretenen Lösung zufolge ist die Verabreichung des Betäubungsmittels dem Angeklagten objektiv zuzurechnen, weder Täter noch Opfer sind allein verantwortlich, eine einseitige Verantwortungszuschreibung zum Opfer ist deshalb abzulehnen. Gegen das Verschieben der Verantwortung auf den Verletzten spricht hier auch dessen Sucht, die durch enge Interaktion mit einem zweiten Süchtigen verstärkt wird. Sein Vermögen zur freien Willensbildung ist wegen der wechselseitigen Anstachelung der beiden Süchtigen erheblich erschwert. Aus demselben Grund ist auch eine wirksame Einwilligung abzulehnen. Eine Einwilligung in den Erfolg ist ebenfalls nicht vorhanden. So wie man das Opfer nicht zum allein Verantwortlichen machen darf, lässt sich auf Grund der dargestellten situativen Einflusskräfte auch dem Täter nicht die ganze Verantwortung zuschreiben. Die situativen Determinanten und ihre Wirkung auf seine Willensbildung sind in der Frage der Schuldfähigkeit zu beachten. In dem vorliegenden Fall ist zu fragen, ob wegen der Zeitspanne zwischen situationsverhafteter Vereinbarung und Ausführung des Vereinbarten eine Entlastung des Täters ausgeschlossen ist, weil er genügend Zeit zur Hinterfragung des vereinbarten Planes hatte. Für eine mildere Behandlung des Täters spricht aber, dass die Zeitspanne unerheblich war, am selben Abend der Vereinbarung fand auch das Treffen statt. In diesem Fall stellen die Momente der Absprache, der Besorgung der notwendigen Mittel und des gemeinsamen Konsums einen einheitlichen Lebensvorgang dar, der durch „suchtdynamische“ situative Kräfte bestimmt wird. Die triebhafte Suchtstruktur des Angeklagten wurde durch die Situation auf beträchtliche Weise verstärkt. Wegen der durch die Suchtdynamik bestimmten engen Abstimmung zwischen den zwei Süchtigen hätte sich der Angeklagte nur schwer gegen den Wunsch nach Besorgung und Verbrauch der Droge widersetzen können.257 Der Angeklagte injizierte sich auch selbst das Rauschgift und bildete zusammen mit dem Opfer eine Risikogemeinschaft. Daraus ergab sich auch eine „Verpflichtung“ zur Unterstützung des „Suchtkameraden“ bei der Injektion des Rauschgiftes. Unter den gegebenen psychosozialen Bedingungen ist davon auszugehen, dass sich die Hemmungen schnell abbauten 256

BGHSt 49, 34 (35 f.). Zur Koordinationskraft gruppendynamischer Einflüssen Schumacher, NJW 1980, 1880 (1883); Jäger, H., Makrokriminalität, S. 171. 257

D. Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf Mitwirkungsfälle

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und es dem Angeklagten in dem fortgeschrittenen Stadium, in dem das Rauschgift injektionsbereit zur Verfügung stand, nicht mehr gelang, aus dem gefährlichen Vorhaben auszusteigen. Hat der Angklagte dem Druck der Suchtdynamik nachgegeben und die Droge besorgt, ist es eher unwahrscheinlich, dass er in einer späteren Phase des Geschehens seine erste Entscheidung revidiert und aus der Risikogemeinschaft aussteigt. Vielmehr steigert sich die Person in solchen Konstellationen typischerweise in ihre Rolle hinein.258 Vor dem Hintergrund dieser kontinuierlich anwachsenden Rollenbindung überzeugt die Hervorhebung des Aktes der Injektion durch den BGH als Versagungsgrund für die Entlastung des Täters nicht.259 Auf die Lehre der Tatherrschaft verweisend, spaltet das Gericht das Geschehen in zwei Teile, die Besorgung der Droge und die Injektion des Rauschgiftes.260 Nur der zweite Akt sei strafrechtlich relevant.261 Diese Verfahrensweise stellt allerdings ein künstliches Zerschneiden eines unter sozialpsychologischem Blickwinkel einheitlichen Geschehens dar. Der hier vertretenen Lösung zufolge sind die Momente der Vereinbarung, die Besorgung des Rauschgiftes und seiner Injektion als Produkte einer durch alle Interaktionsstadien ununterbrochen wirkenden Suchtdynamik wahrzunehmen. Durch die hemmungsmindernde, triebverstärkende emotionale Koordination zwischen den Beteiligten entstand eine Gefahrengemeinschaft, die Selbstbindungen an Rollen hervorrief. Diese für die kritische Überprüfung der eigenen Neigungen und Entscheidungen hinderliche Situation (mangelnde Steuerung durch höherstufige Volitionen, vgl. o.) muss in der Frage des Anders-Entscheiden-Könnens zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. In der konkreten Situation war es sehr schwer, dem Antrieb riskanten Verhalten zu widerstehen. Daher ist eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 StGB geboten.

VI. Verkauf und Übergabe von Heroin262 A verkaufte in seiner Wohnung eine Portion Heroin an P, die sich P gleich injizierte. P verstarb alsbald infolge einer Betäubungsmittelintoxikation. Dieser Fall unterscheidet sich von dem oben behandelten darin, dass die Interaktion sich auf den Verkauf und das Überlassen der Droge beschränkt. Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine „emotionale Koordination“ zweier Süchtiger in ei258 Zum Rollenzwang in einer Gruppensituation s. Schmitz, MschrKrim 1962, 1 (4); Lempp, Jugendliche Mörder, S. 16 f., 26; s. auch Sader, Psychologie der Gruppe, S. 174 f.; vgl. Schmid, Moralische Integrität, S. 61 ff., 64 ff. 259 BGHSt 49, 34 (39 f.). 260 Ebd. 261 Ebd. 262 BGH NStZ 1981, 350.

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ner hemmungsmindernden Situation. Es fehlt am gemeinsamen Konsum der Droge, aus dem sich eine durch Rollenbindungen gekennzeichnete Gefahrengemeinschaft ergibt. Der Überlassende teilt mit dem Opfer nicht dieselbe Gefahr, es fehlt also an einem Zeichen, dass er in der Situation demselben Suchtdrang unterlag, wie das Opfer. Eine suchtdynamische Wechselseitigkeit, die das Anders-Handeln-Können hätte beeinflussen können, liegt nicht vor. Das Überlassen der Droge findet nach Entscheidungen statt, die der konkreten Interaktion zwischen Täter und Opfer vorausgehen. Eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 StGB wegen einer suchtdynamischen Situation ist daher abzulehnen.263

VII. Aids-Fall264 Eine Minderjährige, die über die Aids-Erkrankung ihres Partners informiert ist, drängt ihn zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Er lehnt zunächst ab, gibt aber schließlich nach. Die Frau wird angesteckt.265 Mit dem Vollzug des ungeschützten Geschlechtsverkehrs schuf der HIV-Infizierte eine rechtlich missbilligte Gefahr. Die Körperverletzung ist ihm auch objektiv zuzurechnen. Die Mitverantwortung des Opfers darf nicht als Alleinverantwortung des Opfers behandelt werden. Eine Einwilligung greift nicht ein. In einer affektiven, impulsiv triebhaften Situation, die durch intime Interaktion entsteht, kann angezweifelt werden, ob das Opfer imstande ist, die Bedeutung und die Tragweite der Rechtsgutgefährdung sachgerecht zu beurteilen; vor allem, wenn es sich wie hier um eine Minderjährige handelt. Die Annahme einer wirksamen Einwilligung würde hier die Versagung des Schutzes im Fall von Unerfahrenheit und altersbedingter Naivität bedeuten. Daher ist erst auf der Ebene der Schuld nach einer Entlastung des Täters zu suchen. Die Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit indiziert die Tatsache, dass die Initiative von seiner Partnerin ergriffen wurde. Das starke Drängen verstärkt die ohnehin bestehenden Triebimpulse derart, dass ihre Beherrschung erheblich erschwert wird, was die Anwendung der §§ 21, 49 StGB rechtfertigt.266

263 Beachtung sollten allerdings mögliche gruppendynamische Einflüsse der Drogenszene auf einen drogenabhängigen Händler finden. Zu den Einwirkungen der „Drogenscene“ auf die „Drogenkarriere“ des Süchtigen Blau, JR 1987, 206 (207). 264 BayObLG JR 1990, 473; NJW 1990, 131. 265 Aus Klarheitsgründen Abweichung vom Sachverhalt des BayObLG JR 1990, 473, in dem die Frau nicht krank wurde. Das Gericht hat das Vorliegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung geprüft. 266 Die privilegierten Strafrahmen des § 49 StGB kämen nicht in Betracht, wenn der HIV-Infizierte die Initiative zum ungeschützten Geschlechtsverkehr ergriffen hätte. Dieselbe Behandlung sollte der hier vertretenen Meinung nach auch der sog. Sadomasochismus-Fall (BGHSt 49, 166) erfahren. Auch hier war das Opfer der Initiator der gefährlichen sexuellen Umgangsform. Das Opfer drängte und der Täter gab nach.

D. Anwendung der vorgeschlagenen Lösung auf Mitwirkungsfälle

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VIII. Memel-Fall267 Ein Fährmann transportierte bei Sturm und Hochwasser zwei Reisende über die Memel. Als der Kahn wegen des Unwetters umkippte, ertranken die zwei Reisenden. Auslöser des gefährlichen Vorgangs war das hartnäckige Drängen der zwei Reisenden, die Fahrt zu unternehmen. Der Fährmann hatte nach Feststellung des Gerichts die zwei späteren Opfer „auf das Gefährliche des Unternehmens wiederholt und nachdrücklich hingewiesen, sie davon abzuhalten gesucht und erst auf ihr unausgesetztes Drängen und, als sie seinen persönlichen Mut in Zweifel zogen, widerwillig nachgegeben und aus Gutmütigkeit, um ihnen gefällig zu sein, sein eigenes Leben mit auf das Spiel gesetzt.“ 268 In der zitierten Schilderung offenbart sich die sozialpsychologische Dimension des vieldiskutierten Memel-Falles. Die Verletzung der Sorgfaltspflicht ist auf einen situativ bedingten inneren Zwang des Fährmannes zurückzuführen. Die Selbstgefährdung, das Übersetzen trotz der ursprünglichen Ablehnung und die Tatsache, dass die Initiatoren des riskanten Unternehmens die Opfer waren, erlauben die Annahme einer erheblichen Willensbeeinflussung durch situativen Druck. Der Fall ist ein Paradebeispiel für situativen Konformitätsdruck („aus Gutmütigkeit, um ihnen gefällig zu sein“), der zudem noch wegen der numerischen „Übermacht“ der Fordernden, zwei gegen einen, als besonders stark zu bewerten ist. Diese situative Erschwerung der Durchsetzung des eigenen Willens, sich und andere dem stürmischen Wetter nicht auszusetzen, begründen die Anwendung der §§ 21, 49 StGB.

IX. Kleintransporter-Fall269 Der Bauarbeiter X stieg in den Kleintransporter des Angeklagten und setzte sich in den Laderaum des Wagens trotz des Hinweises des Angeklagten, dass die Ladefläche ohne Sitzgelegenheit und ungesichert sei. Während der Fahrt kam es zu einem vom Fahrer nicht verschuldeten Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug, wobei X auf die Fahrbahn geschleudert wurde. Er stieß mit dem Kopf an einen Schutzplankenpfosten und kam ums Leben. Hier fehlt es an dem Indiz einer erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zum Anders-Entscheiden-Können. Zwar ist das Opfer der Initiator des gefährlichen Vorgangs, daraus ergibt sich jedoch noch nicht, dass der Angeklagte einem großen situativen Druck unterlag. Dazu bedarf es der ergänzenden Indizwirkung 267

RGSt 57, 172. RGSt 57, 172 (174). 269 OLG Zweibrücken JR 1994, 518 mit Anmerkung von Dölling. Eine ähnliche Fallgestaltung liegt dem sog. Skateboard-Fall zugrunde, BayObLG NZV 1989, 80 mit Anmerkung von Molketin. 268

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einer bestehenden Gefahrengemeinschaft. Anders aber als bei dem Memel-Fall, bei dem der Druck des Opfers den Täter dazu bringt, sich auch selbst einer Gefahr auszusetzen, liegt dieses Indiz für hohen situativen Druck hier nicht vor. Andere Anhaltspunkte für die Feststellung situativer Zwangsmomente von erheblicher Intensität und die Begründung einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zum Anders-Entscheiden-Können sind nicht vorhanden. Der tödliche Unfall des Bauarbeiters kann deshalb nur innerhalb des normalen Strafrahmens behandelt werden.

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Stichwortverzeichnis Abgrenzungspluralismus 130 Affektivität 137, 147 Aids-Fall 21, 22, 126, 129, 130, 132, 174, 186, 188, 234 Alteritätsprinzip 82–85 Attributionstheorie 148, 150 Autorennen-Fall 126, 129, 130, 136, 137, 141, 142, 144, 147, 160, 228 Auto-Surfen 159, 160, 220, 228, 229

Gruppendynamik 14, 17, 136, 176, 178, 190, 195, 196, 198, 200, 217, 219, 224, 229 Gruppenwirkungen 144, 146, 147, 196, 220 Heroinspritzenfall 20, 34, 36, 37, 91, 92, 231

Beifahrer-Fälle 164, 168, 170, 173–175, 178

Identitätsprinzip 82 Indizwirkung 49, 136, 146, 147, 159, 161, 167, 169, 174, 231, 235

dyadische Interaktion 178, 186

Jugendstrafrecht 153–157

eigenverantwortliche Selbstgefährdung 16, 19, 29, 31, 33, 75, 81, 83, 84, 118, 122, 123, 126 Eigenverantwortung 13, 14, 17, 19, 137, 145, 146, 175, 221, 222, 225, 226 Einheitstäterschaft 121, 122, 124 einverständliche Fremdgefährdung 16, 17, 19, 20, 27, 29, 31, 32, 83, 84, 94, 96, 100, 101, 118–120, 122, 123, 125, 126, 130, 177, 187 Einwilligung 108 Einwilligungslösung 14, 16, 95, 102, 103, 105, 107, 111 erlaubtes Risiko 77, 78, 85, 90, 91 Familienähnlichkeiten 16, 127, 128, 132 Fremdbestimmung 17, 135, 144, 145, 167, 170, 182 Fuß-in-der-Tür-Phänomen 143 Gefahrengemeinschaft 17, 131, 132, 136, 144–146, 153, 159–161, 163, 167, 168, 170, 215, 227, 229–231, 233, 234, 236

Kleintransporter-Fall 127, 170, 235 Konformität 137, 138, 157, 168 Konformitätsdruck 14, 17, 138, 140, 142, 156, 159, 167, 190, 200, 205, 217, 219, 224, 226, 235 Makrokriminalität 153, 156–159 Memel-Fall 94, 109, 126, 129, 130, 135, 164, 165, 167–170, 173, 220, 235, 236 Mitwirkungsfälle 14, 15, 17, 18, 62, 125–134, 136, 145, 147, 150, 163, 164, 166, 174, 177, 185, 186, 190, 195, 197, 206, 212, 219–223, 225–227 – Autorennenfall 14 Nothilfe 111, 112 Notwehr 111, 112, 115, 154, 223 Opferperspektive 142 Persönlichkeitsfremdes Verhalten 146 Phänomenologie 16, 17, 121, 122, 126

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Stichwortverzeichnis

Rettungshandlungen 36, 73, 74, 76, 79– 81 Sadomasochismus-Fall 129, 130, 234 Schuldfähigkeitsprüfung 18, 190, 206 Schutzzweck der Norm 35, 73, 74, 84, 175, 185 Selbstbestimmung 43, 48, 92, 136, 183, 220, 222, 228 Selbstverantwortung 18, 24 Selbstverantwortung des Opfers 85, 112– 114, 137, 150, 152, 163, 185, 221, 223, 226 situative Dynamik 146, 186 Sorgfaltswidrigkeitslösung 16, 94–96, 98, 100, 115 Sozialpsychologie 13, 15, 136–138, 153, 159, 164, 167, 175, 191, 195, 198, 200, 213, 214, 219, 223–226 Stechapfeltee-Fall 126, 176, 177, 196, 197, 229 Suchtdynamik 178, 180, 186, 190, 195, 200, 217, 219, 232, 233

Tatbestandslösung 14, 16, 221–224 Täterperspektive 134 Tatherrschaftskriterium 16, 29, 31, 32, 38, 42, 72, 73, 84, 118, 119, 123, 125, 177 Teilnahmeargument 16, 36–41, 43, 44, 50, 57–59, 63, 64, 68, 72, 81, 82, 84, 94, 120 Tequila-Fall 145 Tequila-Wetttrinkenfall 230 Triebdynamik 14, 17, 224 Überlassen von Betäubungsmittel 175, 184 Überzeugungstäter 194 Verantwortungszuschreibung 13 Viktimodogmatik 112, 115, 116 Volitionen 14, 166, 179, 181, 185, 192– 195, 200, 233 Wettkampf-Konstellationen 144, 163, 231 Willensmodell 15, 181, 191, 194, 195, 211