Varianten von Familialismus: Eine historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten [1 ed.] 9783428540983, 9783428140985

Wohlfahrtsstaaten unterscheiden sich unter anderem darin, welchen Stellenwert sie der Familie – im Vergleich zum Staat o

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Varianten von Familialismus: Eine historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten [1 ed.]
 9783428540983, 9783428140985

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S ozialp olitis che S chriften Band 91

Varianten von Familialismus Eine historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten

Von Sigrid Leitner

Duncker & Humblot · Berlin

SIGRID LEITNER

Varianten von Familialismus

Sozia lpolit ische Schrif ten herausgegeben von Ute Klammer, Simone Leiber und Sigrid Leitner

Band 91

Varianten von Familialismus Eine historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten

Von Sigrid Leitner

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0584-5998 ISBN 978-3-428-14098-5 (Print) ISBN 978-3-428-54098-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84098-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Was lange währt, wird endlich doch noch als Monographie publiziert. Einige Teile aus dem vorliegenden Buch sind als Artikel in Fachzeitschriften und Sammelbänden über die Jahre bereits veröffentlicht worden. Das nun vorliegende Buch schlägt die vergleichende Brücke zwischen vier historischen Fallstudien und verbindet erstmals das analytische Konzept des Familialismus mit einem historisch erklärenden Ansatz: Die Theorien der Staatstätigkeitsforschung werden zur Erklärung familienpolitischen Wandels adaptiert. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um meine Habilitationsschrift, die im Sommer 2009 von der GeorgAugust-Universität Göttingen angenommen wurde. Die Länderberichte wurden, soweit notwendig, aktualisiert, einige Detaildarstellungen zugunsten der besseren Lesbar­keit gekürzt. Ich möchte allen danken, die mich auf dem langen Weg von der ersten konzeptionellen Idee bis hin zum Abschluss des Habilitationsverfahrens fachlich wie freundschaftlich begleitet haben. Allen voran gilt mein Dank Ilona Ostner, die mir die Freiheit des Denkens und Arbeitens in meiner Zeit an der Georg-August-Universität Göttingen ermöglichte und mir immer wieder „Stoff zum Nachdenken“ lieferte. Als sehr bereichernd und produktiv habe ich auch die Diskussions­kultur und kollegiale Arbeitsatmosphäre am Zentrum für Europa- und Nordamerika­ studien empfunden, das mir schnell eine Heimat war. Besonders aber fühle ich mich meinem langjährigen Kollegen, freundschaftlichen Begleiter und fachlichen Ratgeber Stephan Lessenich dankend verbunden. Die Arbeit an dem Manuskript erstreckte sich insgesamt über knapp ein Jahrzehnt. Diese zehn Jahre waren auch privat eine bewegte und bewegende Zeit. Der Geburt meiner Tochter 2004 folgte die Geburt meines Sohnes 2006. Die Auseinandersetzung mit den Varianten des Familialismus war deshalb auch eine lebenspraktische. Das Buch ist meiner Familie gewidmet. Köln, im März 2013

Sigrid Leitner

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I.

Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . 17 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Staat, Markt, Familie: Die drei Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Feministische Wohlfahrtsstaatskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. De-Familisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5. Familialistische und de-familisierende Wohlfahrtsregime . . . . . . . . . . . . . . . . 22 6. Zur Operationalisierung von Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 7. Vier Typen von Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 8. Zur Geschlechtsspezifik von Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 9. Operationalisierung der Geschlechterperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 10. Rekapitulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

II. Theoretische Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Funktionalistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Die Modernisierungsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Politisch-ökonomische Funktionszusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Kulturalistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4. Akteurszentrierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Interessenskoalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Supranationale Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5. Institutionalistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 6. Erklärungsfaktoren für die Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik . . . . . . 51

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Inhaltsverzeichnis

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Kinderbetreuung: Varianten des expliziten Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Expliziter Familialismus (fast) von Anfang an:Die frühe indirekte Variante 53 b) Expliziter Familialismus: Die frühe direkte Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Der Ausbau familisierender Strukturen in den 1970er Jahren . . . . . . . . . . . 57 d) Um- und Ausbau familisierender Leistungen in den 1980er Jahren . . . . . . 62 e) Die Einführung geschlechtsneutraler Regelungen 1990 . . . . . . . . . . . . . . . 63 f) Die Re-Feminisierung von Elternschaft 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 g) Der Abbau familisierender Strukturen Mitte der 1990er Jahre . . . . . . . . . . 70 h) Die neo-konservative Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 i) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Altenpflegepolitik: Vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus . . 84 a) Die Familie als Pflege-Dienstleister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Die Einführung von Pflegegeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Der weitere Ausbau familisierender Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus . . . 91 1. Kinderbetreuungspolitik: Vom impliziten über den expliziten zum optionalen Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Der lange Arm des impliziten Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Die indirekte Anerkennung von familialer Kinderbetreuungsarbeit . . . . . . 94 c) Die direkte Anerkennung von familialer Kinderbetreuungsarbeit . . . . . . . . 97 d) Die Reform familisierender Strukturen seit Ende der 1990er Jahre . . . . . . 108 e) Vom expliziten zum optionalen Familialismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Altenpflegepolitik: Vom impliziten zum expliziten Familialismus . . . . . . . . . 124 a) De-Familisierung auf niedrigem Niveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Die direkte Anerkennung von familialer Pflegearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 V.

Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Kinderbetreuungspolitik: Vom strukturellen De-Familialismus zum expliziten und zum optionalen Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Früher struktureller De-Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Inhaltsverzeichnis

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b) Expliziter Familialismus: Geschlechtsspezifisch diskriminierend . . . . . . . 136 c) Der Ausbau der (Klein-)Kinderbetreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 d) Die Wieder-Einführung von familisierenden Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . 142 e) Ausbau der (Klein-)Kinderbetreuung durch Kinderfrauen und Tagesmütter 147 f) Fazit: Vom impliziten zum optionalen Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Altenpflegepolitik: Vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus . . 150 a) Die Entwicklung der de-familisierenden Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Die Entwicklung familisierender Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt . . . . . . . . . . 158 1. Kinderbetreuungspolitik: Vom De-Familialismus zum optionalen Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Vom impliziten zum frühen optionalen Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung für unter Dreijährige . . . 164 c) Die Entwicklung der indirekten familialistischen Strukturen . . . . . . . . . . . 168 d) Die Einführung von direkten familialistischen Strukturen . . . . . . . . . . . . . 170 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Altenpflegepolitik: Vom impliziten zum expliziten Familialismus . . . . . . . . . 182 a) Pflegezeit im Rahmen der Beurlaubungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Die flämische Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 VII. Entwicklungspfade des Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Familialismus und Wohlfahrtsstaatstypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Entwicklungspfade in der Kinderbetreuungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Entwicklungspfade in der Altenpflegepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Entwicklungspfade des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten . . . 196 VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Übergang zum indirekten expliziten Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Kinderbetreuung: Übergang zum direkten expliziten Familialismus . . . . . . . . 202 a) Der französische Zick-Zack-Kurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Österreich und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Altenpflege: Übergang zum direkten expliziten Familialismus . . . . . . . . . . . . 204

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Inhaltsverzeichnis 4. Kinderbetreuung: Übergang zum optionalen Familialismus . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Frankreich und Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5. Erklärungsmuster für den Wandel des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder Tabelle 1:

Vier Varianten von Familialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Tabelle 2a:

Überblick über die Untersuchungsziele und -gegenstände . . . . . . . . . . . . 36

Tabelle 2b:

Überblick über die Untersuchungsziele und -gegenstände . . . . . . . . . . . . 36

Tabelle 3:

Überblick über mögliche Erklärungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Tabelle 4:

Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen in Österreich, 1970– 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Tabelle 5:

Kinderbetreuungsquoten in Österreich, 1995–2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Tabelle 6:

Entwicklung der direkten familialistischen Strukturen in Österreich . . . . 82

Tabelle 7:

Die sieben Stufen des Pflegegelds in Österreich (2011) . . . . . . . . . . . . . . 86

Tabelle 8:

Müttererwerbstätigenquote in Deutschland 1961–1980 in % . . . . . . . . . . 94

Tabelle 9:

Die Entwicklung von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

Tabelle 10:

Anrechnung von Erziehungszeiten im deutschen Rentensystem . . . . . . . 110

Tabelle 11:

Müttererwerbstätigenquote 1991 und 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Tabelle 12: Entwicklung der Versorgungsquoten in der stationären und ambulanten Altenhilfe in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Tabelle 13:

Leistungen der Pflegeversicherung in € pro Monat . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Tabelle 14:

Müttererwerbsquote nach Anzahl der Kinder, 1954–1982 . . . . . . . . . . . . 135

Tabelle 15:

Überblick über die sechs Pflegestufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Tabelle 16:

Die Entwicklung institutioneller Kinderbetreuung für Kinder im Vorschul­ alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Tabelle 17:

Frauenerwerbsquote 1960–2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Tabelle 18:

Interruption de carrière – Übersicht über die Regelungen . . . . . . . . . . . . 171

Tabelle 19:

Congé parental – Übersicht über die Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

Tabelle 20:

Crédit-temps – Übersicht über die Regelungen (Privatwirtschaft) . . . . . . 175

Tabelle 21: Anzahl der beurlaubten Beschäftigten („interruption de carrière“ oder „congé parental“) nach Geschlecht, 1985–2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Tabelle 22:

Anteil der beurlaubten Personen über 50 Jahre nach Geschlecht . . . . . . . 184

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Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder

Tabelle 23:

Congé pour soins palliatifs – Überblick über die Regelungen . . . . . . . . . 185

Tabelle 24:

Erziehungsgeld-Leistungen im Vergleich, in € pro Monat, Stand 2008 . 193

Tabelle 25:

Familisierende Leistungen im Vergleich, in € pro Monat, Stand 2008 . . 196

Tabelle 26:

Drei Entwicklungspfade des konservativen Familialismus . . . . . . . . . . . . 200

Tabelle 27:

Erklärungsfaktoren im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 * * *

Schaubild 1: Die familialistische Verortung der Wohlfahrtsstaatstypen . . . . . . . . . . . . 189 Schaubild 2: Familialistische Entwicklung der österreichischen Kinderbetreuungspolitik 190 Schaubild 3: Familialistische Entwicklung der deutschen Kinderbetreuungspolitik . . . 190 Schaubild 4: Familialistische Entwicklung der französischen Kinderbetreuungspolitik 191 Schaubild 5: Familialistische Entwicklung der belgischen Kinderbetreuungspolitik . . 191 Schaubild 6: Familialistische Entwicklung der österreichischen Altenpflegepolitik . . . 194 Schaubild 7: Familialistische Entwicklung der deutschen Altenpflegepolitik . . . . . . . . 194 Schaubild 8: Familialistische Entwicklung der französischen Altenpflegepolitik . . . . . 194 Schaubild 9: Familialistische Entwicklung der belgischen Altenpflegepolitik . . . . . . . 195 Schaubild 10: Entwicklungspfade des Familialismus in der Kinderbetreuungspolitik . . 197

Einleitung Alle modernen Wohlfahrtsstaaten sehen sich heute den Problemen steigender Betreuungs- und Pflegebedarfe gegenüber. Während auf der einen Seite ver­ änderte Familienstrukturen und die Zunahme der Müttererwerbstätigkeit nach mehr Kinderbetreuungsplätzen verlangen, führt auf der anderen Seite die Alterung der Bevölkerung zu einem erhöhten Pflegeaufwand. Im Zuge des Ausbaus der europäischen Wohlfahrtsstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde – in manchen Ländern stärker, in anderen schwächer – ein System von Familienarbeit institutionalisiert, welches es Frauen ermöglichte (und gleichzeitig von ihnen einforderte) für ihre Kinder, ältere Familienmitglieder und Menschen mit Behinderung zu Hause zu sorgen (vgl. Knijn/Kremer 1997). Diese strukturelle Verankerung des männlichen Ernährermodells wirkt bis heute nach und wird seit Ende der 1970er/ Anfang der 1980er Jahre zunehmend durch direkte Leistungen für Familienarbeit ergänzt. So haben im Bereich der Kinderbetreuung die meisten EU-Länder Erziehungszeit-Regelungen eingeführt oder ausgeweitet, die oftmals mit einer – allerdings meist geringen – Geldleistung verbunden sind. In vielen Ländern werden Erziehungs- und Pflegezeiten im Rentensystem anerkannt und familiale Pflege­ arrangements durch Geldleistungen unterstützt. Abgesehen von dieser generellen Entwicklung ist die Bedeutung der Familie in der Erbringung von Betreuungs- und Pflegearbeiten in den einzelnen Wohlfahrtsstaaten unterschiedlich stark: Die Familie „konkurriert“ gewissermaßen mit anderen – öffentlich subventionierten oder marktförmig organisierten – Erbringern sozialer Dienstleistungen. So wurde beispielsweise vor allem in den skandinavischen Ländern der öffentliche Dienstleistungssektor nach dem Zweiten Weltkrieg stark ausgebaut, wodurch Teile der Kinderbetreuung und Altenpflege „sozialisiert“ bzw. aus der Familie ausgelagert wurden. In der vorliegenden Arbeit werden diejenigen Wohlfahrtsstaaten in den Blick genommen, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass sie der Familie einen besonders großen Stellenwert bei der Erbringung von Betreuungs- und Pflegearbeiten zumessen: die so genannten „konservativen“ Wohlfahrtsstaaten (vgl. Esping-Andersen 1999).1 Diese Fokussierung ist zweifach begründet. Zum einen gilt der Typus des „konservativen Wohlfahrtsregimes“ nach wie vor als „under-researched“:

1 Gøsta Esping-Andersen (1990) unterscheidet in seiner bahnbrechenden Typologie zwischen konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Wohlfahrtsregimen. Dazu ausführlicher: Kapitel I.

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Einleitung Einleitung „Bei näherer Betrachtung mutet das ‚konservative‘ Regime wie ein bunter Flickenteppich an, unter den all jene wohlfahrtsstaatlichen Regulierungssysteme gekehrt wurden, die sich keiner der beiden anderen Kategorien zuordnen ließen.“ (Lessenich/Ostner 1998, S. 13)

Durch die historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Alten­ pflegepolitiken soll Licht in die „black box“ der konservativen Wohlfahrtsstaaten gebracht werden, zumal als eines der besonderen Merkmale derselben die besondere Bedeutung der Familie in der Wohlfahrtsproduktion betont wird. Inwiefern zeichnen sich die konservativen Wohlfahrtsstaaten tatsächlich durch eine spezi­ fische familialistische Sozialpolitik aus? Zum anderen knüpft die vorliegende Arbeit an den Familialismus-Begriff von Esping-Andersen (1999) an und entwickelt diesen weiter. Die damit verbundenen Thesen lauten: (1) dass es unterschiedliche Varianten von Familialismus gibt und (2) die jeweils vorherrschende Variante von Familialismus historisch kontingent ist. Die Fokussierung auf konservative Wohlfahrtsstaaten hat vor diesem Hintergrund den Vorteil, dass die Thesen gewissermaßen am „Extremfall“ geprüft werden können. Die analytische Differenzierung des Phänomens lässt sich empirisch am besten dort untersuchen, wo es gehäuft auftritt, so die Vermutung. Es sollen aber nicht nur die historischen Entwicklungsmuster von Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten rekonstruiert werden. Die vorliegende Arbeit geht auch der Frage nach, wie sich die Übergänge von einem FamilialismusTypus in den nächsten erklären lassen. Dazu wird auf die Theorien der Staatstätigkeitsforschung zurückgegriffen. Diese bieten ein Set an Forschungsansätzen, mit denen die Sozialpolitikforschung versucht, sozialpolitischen Wandel zu erklären. Der Gegenstandsbereich der Familienpolitik wurde von der (vergleichenden) Sozialpolitikforschung bislang eher stiefmütterlich behandelt; er gehört nicht in den Mainstream-Kanon des sozialpolitischen Forschungsinteresses, das z. B. der Beschäftigungspolitik oder der Rentenpolitik entgegengebracht wird. Insofern soll die vorliegende Arbeit auch einen Beitrag zur Adaptierung der Theorien der Staatstätigkeitsforschung für die Erklärung familienpolitischen Wandels leisten. Vor dem Hintergrund der Politikfelder der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik sollen die jeweiligen Bestimmungsfaktoren für die Politikentwicklung heraus­gearbeitet und die besonders erklärungskräftigen theoretischen Ansätze identifiziert werden. Wie kann der Wandel des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten erklärt werden? Die oben begründete Eingrenzung der Untersuchungseinheit auf die konserva­ tiven Wohlfahrtsstaaten bedarf aus rein forschungspraktischen Gründen allerdings einer weiteren Reduktion der zu untersuchenden Fälle. Zunächst können mit Griechenland, Portugal und Spanien diejenigen konservativen Wohlfahrtsstaaten aus der Untersuchung ausgenommen werden, die im Bereich der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik keine nennenswerte Entwicklungsgeschichte

Einleitung Einleitung

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auf­zuweisen haben. Sie wären wohl kaum ergiebige Fallbeispiele. Von den verbleibenden sechs Ländern (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich) lassen sich wiederum nicht alle über einen Kamm scheren. Österreich gilt gemeinsam mit Deutschland als Prototyp des konservativen Wohlfahrtsregimes (vgl. Esping-Andersen 1990), Italien wird – gemeinsam mit den anderen südeuropäischen Ländern – oft als in einem Stadium der „nachholenden Entwicklung“ gesehen, die Niederlande gilt eher als wohlfahrtsstaatlicher Mischtypus mit starken liberalen und sozialdemokratischen Elementen, während Frankreich – und auch Belgien – aufgrund ihrer früh aufgebauten Kinderbetreuungsstruktur insbesondere von der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung als Sonderfall des konservativen Wohlfahrtsstaats klassifiziert wurde(n) (vgl. Langan/Ostner 1991). Da der konservative Cluster daraufhin untersucht werden soll, ob er unterschiedliche Varianten von Familialismus aufweist, bietet sich eine kontrastierende Fallauswahl an. Neben den beiden Prototypen Österreich und Deutschland sollen daher Frankreich und Belgien ausgewählt werden, die im Bereich der Familienpolitik offensichtlich als „Abweichler“ gelten. Für Italien und die Nieder­ lande werden keine detaillierten Fallstudien durchgeführt, ihre Entwicklungs­ geschichte der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik soll jedoch in den vergleichenden Schlusskapiteln ergänzend in die Analyse mit einfließen. Der Aufbau der Arbeit gestaltet sich mithin wie folgt: In Kapitel I. wird das zentrale Analysekonzept des Familialismus grundgelegt. Neben der forschungshistorischen Herleitung des Konzepts und seiner Abgrenzung zur Begrifflichkeit von Esping-Andersen (1999) erfolgt die analytische Differenzierung in vier unterschiedliche Varianten von Familialismus. Diese dienen später zur Bestimmung des familialistischen Profils der einzelnen Untersuchungsländer. In Kapitel II. werden die Theorien der Staatstätigkeit daraufhin geprüft, inwiefern sie für die Erklärung der Einführung und Weiterentwicklung von Kinder­ betreuungs- und Altenpflegepolitiken Anknüpfungspunkte bieten. Die sich daraus ergebenden möglichen Erklärungsfaktoren sollen als Anhaltspunkte für die Fallanalysen dienen. In den Kapiteln III. bis VI. werden sodann die vier Fallstudien der Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken dargestellt. Mit Ausnahme des belgischen Falls stützen sich die Falldarstellungen ausschließlich auf Sekundär­ literatur, da für Deutschland und Österreich die Entwicklungsgeschichte in den beiden Politikbereichen bereits umfassend aufgearbeitet ist. Für Frankreich ist die Literaturlage im Bereich der Kinderbetreuungspolitik ähnlich gut, im Bereich der Altenpflegepolitik allerdings deutlich dünner. Im belgischen Fall werden aufgrund der vergleichsweise schlechten Literaturlage zusätzlich Experteninterviews als Informationsquelle verwendet. Jede Fallstudie endet mit einer Zusammenfassung des länderspezifischen familialistischen Entwicklungspfads unter Berücksichtigung der zentralen Erklärungsfaktoren beim Übergang zwischen unterschied­ lichen Varianten des Familialismus.

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Einleitung Einleitung

In Kapitel VII. werden die familialistischen Entwicklungspfade der vier Untersuchungsländer miteinander verglichen, und es wird der Frage nachgegangen, ob es ein spezifisch konservatives Familialismus-Muster gibt. Dabei zeichnen sich drei konservative Familialismus-Pfade ab, und es wird deutlich, dass auch Frankreich und Belgien einem konservativen Muster folgen. In Kapitel VIII. schließlich wird der Wandel von Familialismus im historischen Zeitverlauf vergleichend erklärt. Es werden die prägenden Zeitpunkte des Übergangs von einem Familialismus-Typus in einen anderen fokusiert und die jeweiligen länderspezifischen Erklärungsfaktoren einander gegenüber gestellt. Es zeigen sich drei Erklärungsmuster für den Wandel von Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten. Glossar: institutionalisiertes System des Rückgriffs auf die Pflege- und Betreuungsarbeit der Familie; Adjektiv: familialistisch. Familisierung: Prozess der Stärkung der Pflege- und Betreuungsfunktion der Familie; Adjektiv: familisierend. De-Familisierung: Prozess der Auslagerung von Pflege- und Betreuungsarbeit aus der Familie; Adjektiv: de-familisierend. Re-Familisierung: Prozess der Rückverlagerung von Pflege- und Betreuungs­arbeit in die Familie; Adjektiv: re-familisierend. Familialismus:

I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands1 1. Einleitung Ausgangspunkt der Überlegungen zum Begriff des Familialismus in der (inter­ national vergleichenden) Wohlfahrtsstaatsforschung bildet die analytisch-kategoriale Vorstellung, dass die Familie – neben dem Staat und dem Markt – als ein Ort der „Wohlfahrtsproduktion“ (Zapf 1977; Glatzer/Zapf 1984; Kaufmann 1994) begriffen werden muss. Der Familie kommt eine wichtige Rolle für das soziale Wohlergehen ihrer Mitglieder zu. Zum einen werden Kinderbetreuung sowie die Pflege und Betreuung von älteren oder behinderten Menschen in allen entwickelten Wohlfahrtsstaaten nach wie vor zum überwiegenden Teil von Familien­ mitgliedern geleistet. Zum anderen finden innerhalb der Familie auch materielle Umverteilungsprozesse statt: zwischen den Generationen wie zwischen den Geschlechtern und – in Zeiten sozialpolitischen Rückbaus sogar verstärkt – von „reichen“ zu „armen“ Familienmitgliedern. Die Bedeutung der Familie als Ressource für soziale Wohlfahrt wurde bis in die 1990er Jahre hinein von der Wohlfahrtsstaatsforschung, insbesondere der inter­ national vergleichenden, nur am Rande wahrgenommen. Die Familie kam nur insofern vor, als ihr sozialhistorischer Wandel zu einer Erosion traditioneller Formen sozialer Sicherheit führte und das „funktionale Vakuum“ schuf, welches staatliche Sozialpolitik zu füllen aufgerufen war (Esping-Andersen 1999, S. 47; Achinger 1958; Wilensky 1975; Flora/Alber 1981). Im Zentrum des Forschungsinteresses stand somit zunächst staatliche Sozialpolitik, ihre Entstehung und Entwicklung. Erst in den 1980er Jahren, als das „goldene Zeitalter“ (Pierson 1998, S. 122) des Wohlfahrtsstaats sich dem Ende zugeneigt hatte, wurden zusätzlich der Markt, zivilgesellschaftliche Organisationen und auch Privathaushalte als Orte der Wohlfahrtsproduktion systematisch in sozialpolitische Analysen mit einbezogen (Zapf 1981; Evers/Wintersberger 1988). Vor allem das Zusammenspiel zwischen öffentlichen und privaten Leistungssystemen, der public-private welfare mix, konstituierte eine neue Betrachtungsweise von Sozialpolitik (vgl. Esping-Andersen 1999, S. 34). Es ging nicht mehr nur um den Wohlfahrtsstaat, sondern um eine ganzheitlichere, über die staatliche Sozialpolitik hinausgehende Sicht auf gesellschaftliche Prozesse und Strukturen, die zur Produktion von Wohlfahrt führen. Erst

1 Eine Kurzfassung dieses Kapitels ist als Lexikoneintrag „Familialism“ in der International Encyclopedia of Social Policy erschienen (Leitner 2006a).

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diese Öffnung des analytischen Verständnisses von Wohlfahrtsstaatlichkeit bietet einen Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung der Familie als einen weiteren Ort der Wohlfahrtsproduktion, dem neben der staatlichen sowie der marktförmig oder zivilgesellschaftlich vermittelten Sozialpolitik eine eigenständige Bedeutung zukommt. Der Begriff des Wohlfahrtsregimes (Esping-Andersen 1990) knüpft an diese neue Forschungsperspektive an. 2. Staat, Markt, Familie: Die drei Welten Die Triade von Staat, Markt und Familie gelangte in der international ver­ gleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung zunächst im Rahmen der Typologisierung von Wohlfahrtsstaaten in drei „Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ durch Gøsta Esping-Andersen (1990) in das kollektive Bewusstsein der Disziplin. EspingAndersen stützte sich bei der Entwicklung seiner bekannten Typologie neben den Konzepten der De-Kommodifizierung2 und der sozialen Stratifizierung3 auch auf die Vorstellung des Zusammenspiels von Staat, Markt und Familie im Sinne eines Wohlfahrtsregimes: „As we survey international variations in social rights and welfare-state stratification, we will find qualitatively different arrangements between state, market and the family. The welfare-state variations we find are therefore not linearly distributed, but clustered by regimetypes.“ (1990, S. 26)

In seiner „überarbeiteten Fassung“ der Typologie (Esping-Andersen 1999) präzisierte er den verwendeten Regime-Begriff: „A welfare regime can be defined as the combined, interdependent way in which welfare is produced and allocated between state, market and family.“ (1999, S. 34f)

Zudem, so Esping-Andersen in einer Fußnote, sei diese Triade um den so genannten „dritten Sektor“ der ehrenamtlich bzw. zivilgesellschaftlich organisierten, nicht auf wirtschaftlichen Profit ausgerichteten Wohlfahrtsproduktion zu ergänzen.4 Wohlfahrtsregime unterscheiden sich demnach unter anderem in der spezi­ fischen Gewichtung von Staat, Markt, Familie und „drittem Sektor“ bei der Wohlfahrtsproduktion. Insbesondere im konservativ-korporatistischen Wohlfahrts­ 2

De-Kommodifizierung ist ein Maß für die Unabhängigkeit des Individuums von dem Zwang, die eigene Arbeitskraft zum Zwecke der Existenzsicherung auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen. 3 Stratifizierung misst die Ungleichheit zwischen Individuen, nachdem sozialpolitische Intervention stattgefunden hat. Esping-Andersen unterscheidet zwischen polarisierenden, statusreproduzierenden und egalitären Stratifizierungseffekten und ordnet diese analog dem libe­ralen, dem korporatistischen und dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime zu. 4 Die Bedeutung des dritten Sektors haben andere (z. B. Evers/Wintersberger 1988 oder Kaufmann et al. 1986) allerdings schon lange vor Esping-Andersen hervorgehoben.

3. Feministische Wohlfahrtsstaatskritik

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regime – als Beispiele nennt Esping-Andersen (1990) Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich – komme der Familie große Bedeutung zu. Aufgrund des historischen Einflusses der Kirche sei die Aufrechterhaltung traditionaler Fami­ lienstrukturen auch sozialpolitisches Ziel: „Social insurance typically excludes non-working wives, and family benefits encourage motherhood. Day care, and similar family services, are conspicuously underdeveloped; the principle of ‚subsidiarity‘ serves to emphasize that the state will only interfere when the family’s capacity to service its members is exhausted.“ (Esping-Andersen 1990, S 27)

Mit diesen knappen Ausführungen endete in „The Three Worlds of Welfare Capitalism“ die Auseinandersetzung mit der Familie als Ort der Wohlfahrts­ produktion. Die feministische Wohlfahrtsstaatsforschung hat Esping-Andersen deshalb in Reaktion auf seine Typologisierung von Wohlfahrtsstaaten zu Recht vorgeworfen, dass sein Verständnis von Familie oberflächlich und seine Konzeption des Verhältnisses zwischen Familie und Staat in der Wohlfahrtsproduktion unterkomplex sei.

3. Feministische Wohlfahrtsstaatskritik Die Mitte der 1980er Jahre einsetzende feministische Beschäftigung mit dem Wohlfahrtsstaat hatte nämlich ihrerseits das Verhältnis von Familie und Wohlfahrtsstaat analysiert und zwei grundlegende Dimensionen der Geschlechterdiskriminierung im Wohlfahrtsstaat festgestellt (vgl. Orloff 1993, S. 315; zur Entwicklung der feministischen Sozialstaatskritik in Deutschland siehe Leitner 2004): Die Erwerbsarbeitszentriertheit der sozialen Sicherungssysteme sowie die an die Familie gebundene, von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen geprägte materielle Existenzsicherung von Frauen. Zum einen unterscheiden Wohlfahrtsstaaten zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter (Familien-)Arbeit, wenn es um die Ausgestaltung des Sozialleistungssystems geht. Während Erwerbsarbeit durch Sozialversicherungsansprüche abgesichert wird, die – aufgrund der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung – hauptsächlich Männern zugute kommen, erwirkt unbezahlte Arbeit wie z. B. die familiale Pflege- und Betreuungsarbeit soziale Sicherungsansprüche, die den Charakter von Fürsorgeleistungen haben und eine vorwiegend weibliche Klientel bedienen. Diese Zweigleisigkeit des Systems sozialer Sicherung – Nelson (1984) spricht mit Blick auf den US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat von einem „two-tier welfare state“ – reproduziere die Geschlechterhierarchie. Die meist von Frauen geleistete unbezahlte Arbeit generiert keine gleichwertigen sozialen Rechte, weil Fürsorgeleistungen meist bedarfsgeprüft sind und mit der sozialen Kontrolle der Leistungsbezieherinnen (und -bezieher) einhergehen, deshalb einen stigmatisierenden Charakter aufweisen, während Sozialversicherungsleistungen aufgrund der Finanzierung über erwerbsarbeitsbezogene Beitrags­leistungen als

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„verdiente“ Anprüche gelten, die den Leistungsempfängern (und in geringerem Maße: den Leistungsempfängerinnen) rechtlich zustehen.5 Zum anderen behandeln die meisten Wohlfahrtsstaaten Frauen als abhängige Personen, indem sie abgeleitete soziale Rechte für verheiratete (bzw. in Partnerschaft lebende) Frauen vorsehen. Diese soziale Absicherung von Ehefrauen über den Versichertenstatus ihrer Ehemänner institutionalisiert und reproduziert die Abhängigkeitsstrukturen, die im männlichen Ernährermodell angelegt sind: Der Ehemann ist Vollzeit erwerbstätig und verdient den Familienlohn, mit dem er sich und die Seinen ernährt, während die nicht erwerbstätige Ehefrau für die Familien­ arbeit zuständig ist. Teresa Kulawik brachte diese ineinander verwobenen Abhängigkeits- und Diskriminierungsstrukturen mithilfe des Begriffs der Familien­ subsidiarität auf den Punkt: „Sie beinhaltet zweierlei, nämlich die Gewährung des sogenannten monetären Unterhalts des Mannes an die Frau sowie die Dienstverpflichtung der Frau in der Familie.“ (Kulawik 1989, S. 248–249, Hervorhebung im Original)

Durch die Familiensubsidiarität wird zudem das Verhältnis von Familie und Staat in der Wohlfahrtsproduktion definiert: Betreuungs- und Pflegearbeiten können in der Familie quasi kostenlos erbracht werden, denn soziale Rechts­ansprüche aus Familienarbeit ergeben sich nur indirekt über den männlichen Ernährer. In einer Art „Arbeitsteilung“ zwischen Frauen und Staat wird der Wohlfahrtsstaat von der Erbringung sozialer Dienstleistungen „befreit“, im Gegenzug gewährt er allenfalls abgeleitete Sozialleistungen.6

5 Diese Argumentation entstand im US-amerikanischen Kontext und mag hinsichtlich anderer Wohlfahrtsstaaten als übertrieben erscheinen. Allerdings kann man auch in den „frauen­ freundlichen“ skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, in denen es auch nicht bedarfsgeprüfte universalistisch ausgestaltete Fürsorgeleistungen gibt, von einer zweigeteilten Sozialpolitik sprechen, da Sozialversicherungsleistungen in der Regel weitaus großzügiger ausfallen als die Pauschalleistungen der Fürsorge. Dennoch ist in den skaninavischen Wohlfahrtsstaaten aufgrund der vergleichsweise hohen Frauenerwerbsquote die Geschlechtertrennung zwischen Versicherungs- und Fürsorgesystem stark abgeschwächt. 6 Der vergleichsweise großzügige Ausbau des öffentlichen sozialen Dienstleistungssektors unterscheidet die skandinavischen von den anderen Wohlfahrtsstaaten, ebenso wie die weiter fortgeschrittene Individualisierung der sozialen Rechte. In diesem Sinne sind auch unterschiedliche Erscheinungsformen des männlichen Ernährermodells zu unterscheiden – starke, moderate, schwache Ernährermodelle (vgl. Ostner 1995) –, die wiederum die Balance zwischen Staat, Markt und Familie als Orte der Wohlfahrtsproduktion wesentlich beeinflussen. Starke Ernährermodelle erlauben dem Wohlfahrtsstaat einen schwach ausgebauten sozialen Dienstleistungssektor, während schwache Ernährermodelle – insbesondere das „adult worker model“ (Lewis 2001), in dem alle erwerbsfähigen Erwachsenen erwerbstätig sein sollen –, im Gegenteil den Ausbau des sozialen Dienstleistungssektors erforderlich machen.

4. De-Familisierung

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4. De-Familisierung Die dominante Rolle von Frauen in der Familienarbeit wie ihre sozialpolitische Festlegung darauf wurde nicht nur als Quelle ihrer Diskriminierung im wohlfahrtsstaatlichen Leistungssystem identifiziert, sondern auch als Haupthindernis der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen. Und hier schließt sich der Kreis: Ohne Kommodifizierung keine (gleichwertige) De-Kommodifizierung durch den Wohlfahrtsstaat. Kommodifizierung jedoch, also: Erwerbstätigkeit, lässt sich nicht so ohne weiteres mit familialen Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen vereinbaren. Frauen, so Eithne McLaughlin und Caroline Glendinning in ihrem grundlegenden Aufsatz (1994), müssten deshalb zunächst von ihren Familienarbeiten entlastet werden, um überhaupt erwerbstätig sein zu können. Ihre De-Familisierung, d. h. die Entlastung von familialer Pflege- und Betreuungsarbeit, wird somit gleichermaßen zur Voraussetzung für die Herstellung von Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt wie für die Gleichbehandlung der Geschlechter im Wohlfahrtsstaat.7 Insofern kam es zunächst zu einer Definition von Familialismus ex negativo: „[…] de-familisation is constituted by those provisions and practices which vary the extent to which well-being is dependent on ‚our‘ relation to the (patriarchal) family. […] de-familisation is about the terms and conditions under which people engage in families, and the extent to which they can uphold an acceptable standard of living independently of (patriarchal) ‚family‘ participation.“ (McLaughlin/Glendinning 1994, S. 65)

Folgt man dieser Definition, so ergibt sich zunächst eine Differenzierung zwischen zwei Ebenen von De-Familisierung: Zum einen handelt es sich um das Ausmaß, in dem das Wohlergehen einer Person, die Deckung ihres Pflege- und Betreuungsbedarfs, von ihren familiären Beziehungen abhängt. Hier wird also die Perspektive der pflegebedürftigen Person eingenommen und danach gefragt, inwiefern deren Bedarfe unabhängig von der Familie erfüllt werden können. Ein durch den Wohlfahrtsstaat garantierter Zugang zu qualitativ hochwertiger professioneller Pflege – „the right to receive care“ (Knijn/Kremer 1997) – wäre beispielsweise hoch de-familisierend aus der Perspektive der pflegebedürftigen Person. Zum anderen beschreibt De-Familisierung das Ausmaß, in dem Personen, die familiale Pflege- und Betreuungsarbeit leisten, von ihrer Familie unabhängig sind. Die Unabhängigkeit familialer Pflegepersonen kann beispielsweise durch direkte Transferleistungen für Pflege- oder Betreuungsarbeit gestützt werden – „the right to care“ – oder aber auch durch ein entsprechendes Angebot an pro­ fessionellen sozialen Dienstleistungen, die es familialen Pflegepersonen erlauben, die Pflege- und Betreuungsarbeit nicht zu verrichten – „the right not to care“ 7

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass De-Familisierung weder den einzig denkbaren Weg zur Gleichbehandlung der Geschlechter im Wohlfahrtsstaat darstellt noch zwangsläufig tatsächlich zu mehr Geschlechtergleichheit führt (vgl. ausführlich dazu: Leitner/Lessenich 2007).

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

(Lewis 1997). Diese Wahlfreiheit zwischen einem Recht zu pflegen/betreuen und dem Recht nicht zu pflegen/betreuen wird auch von Hammer und Österle (2003, S. 41 f.) als Kern gelungener De-Familisierung definiert. Leitner und Lessenich (2007) unterscheiden in diesem Sinne zwischen einer ökonomischen und einer sozialen Dimension der De-Familisierung von Familienarbeitenden: Ihre finanzielle Unabhängigkeit von der Familie und ihre Möglichkeiten der sozial-emotionalen Distanzierung von familialen Pflege- und Betreuungspflichten. 5. Familialistische und de-familisierende Wohlfahrtsregime Gøsta Esping-Andersen (1999) reagierte auf die von feministischer Seite geäußerte Kritik an seiner „Drei Welten“-Typologie mit der Unterscheidung zwischen familialistischen und de-familisierenden Wohlfahrtsregimen: „A familialistic system, […], is one in which public policy assumes – indeed insists – that households must carry the principal responsibility for their members’ welfare. A de-familizing regime is one which seeks to unburden the household and diminish individuals’ welfare dependence on kinship.“ (1999, S. 51)

Wohlfahrtsstaatliche Politiken können somit familisierend oder de-familisierend wirken. Im Unterschied zu McLaughling und Glendinning (1994) nimmt Esping-Andersen nicht die Mikro-Perspektive der Pflegebedürftigen bzw. der familialen Pflegepersonen ein, sondern argumentiert aus einer Makro-Perspektive. Er stellt zum einen die Frage, inwiefern der Staat und der Markt die Familie von Pflege- und Betreuungsaufgaben entlasten. Das Ausmaß an De-Familisierung misst Esping-Andersen deshalb sowohl mittels der vom Staat wie auch der vom Markt bereitgestellten sozialen Dienstleistungen. Während die sozialdemokra­ tischen Wohlfahrtsstaaten8 durch ein gut ausgebautes öffentliches Dienstleistungssystem charakterisiert sind, ist für die liberalen Wohlfahrtsstaaten9 die Versorgung über marktförmig erbrachte Dienstleistungen typisch. Nur die korporatistischen Wohlfahrtsstaaten10 sind weder über öffentliche noch über marktförmige soziale Dienstleistungen de-familisiert und werden von Esping-Andersen als familialis­ tische Regime klassifiziert.11 Zum anderen bestimmt Esping-Andersen den Familialismusgrad von Wohlfahrtsregimen danach, wie intensiv die Familie tatsächlich als Ort der Wohlfahrtsproduktion genutzt wird. Hierzu betrachtet er drei Indikatoren: den Anteil älterer 8

Dänemark, Norwegen, Schweden. Australien, Großbritannien, Irland, Kanada, USA. 10 Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien. 11 Anttonen/Sipilä (1996) kommen in ihrer nach Kinderbetreuungs- und Altenpflegediensten differenzierenden Untersuchung zu anderen Länderclustern. Insbesondere ist hervorzu­ heben, dass die Niederlande im Bereich der Altenpflege durchaus einen hohen Versorgungsgrad mit sozialen Diensten aufweist. 9

6. Zur Operationalisierung von Familialismus

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Menschen, die bei ihren Kindern leben; den Anteil arbeitsloser Jugendlicher, die bei ihren Eltern leben; die Anzahl der wöchentlich von Frauen erbrachten Stunden an unbezahlter Hausarbeit. Es zeigt sich, dass die korporatistisch ausgerichteten südeuropäischen Länder (und Japan) mit Abstand die höchsten Werte aufweisen, während die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten ihren hohen De-Familisierungsgrad bestätigen. Die übrigen korporatistischen wie auch die liberalen Wohlfahrtsstaaten liegen mit ihren Werten dazwischen. Insgesamt betrachtet können somit nach Esping-Andersen (1999, S. 61–67) nur die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten als klar de-familisierend charakte­ risiert werden. Die liberalen Wohlfahrtsstaaten sind über marktförmige Dienstleistungen de-familisiert, der Familie kommt aber dennoch eine moderate Bedeutung für die Wohlfahrtsproduktion zu. Die korporatistischen Wohlfahrtsstaaten hingegen sind klar familialistisch, wobei dies für die südeuropäischen Länder (und Japan) ganz besonders gilt, für Frankreich und Belgien allerdings aufgrund der guten Kinderbetreuungsinfrastruktur nur mit Einschränkungen. 6. Zur Operationalisierung von Familialismus Man kann dieser Analyse zunächst entgegenhalten, dass (1) auch in den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten die Familie immer noch der Hauptdienstleister im Pflege- und Betreuungsbereich ist und (2) die De-Familisierung in den liberalen Wohlfahrtsstaaten einen starken schichtspezifischen Bias enthält, da sich nur ein Teil der Bevölkerung de-familisierende Dienste leisten kann und die Qualität der erlangten De-Familisierung nach Einkommen variiert. Der Hauptkritikpunkt betrifft jedoch das zweite Indikatorenset, das Esping-Andersen zur Bestimmung des Familialismusgrads einsetzt. Dieses bildet Ergebnisse wohlfahrtsstaatlicher Rahmenbedingungen ab, enthält aber keine Informationen zur strukturellen Ausgestaltung dieser Rahmenbedingungen und kann auch nichts zum Verhältnis zwischen strukturellen Rahmenbedingungen und Ergebnissen aussagen. Wenn es aber, wie in der oben zitierten Definition, um diejenigen sozialpolitischen Maßnahmen geht, die als strukturelle Rahmenbedingungen familisierend oder defamilisierend wirken, d. h. der Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion mehr oder weniger Gewicht beimessen, sollten diese sozialpolitischen Maßnahmen auch ins Zentrum der Analyse gestellt werden. Die Versorgung mit sozialen Dienstleistungen wäre aus dieser Perspektive derjenige Teil der Maßnahmen, der vorwiegend de-familisierend wirkt, weil er die Pflege- und Betreuungsaufgaben der Familie entweder sozialisiert oder vermarktlicht. Bei der Bewertung des de-familisierenden Effektes von sozialen Dienstleistun­gen kommt es allerdings darauf an, in welchem Umfang diese zum Einsatz kommen und um welche Art der Dienstleistung es sich handelt. In der Kinderbetreuung bilden Betreuungsdienste wie Krippen, Kindergärten, Horte und die Tagespflege den Kern der in Frage kommenden Dienste. Neben der Bildung und

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

Erziehung der Kinder haben sie auch die Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, somit die De-Familisierung von Eltern, zum Ziel. Insofern bemisst sich der de-familisierende Effekt der Kinderbetreuungsdienste danach, wie gut sie dieser Zielsetzung der Vereinbarkeit gerecht werden: Lange und flexible Öffnungszeiten sowie der offene Zugang zu den Diensten (hoher Versorgungsgrad und geringe Kosten) und eine hohe Betreuungsqualität wären Indikatoren für einen hohen De-Familisierungsgrad. In der Alten- und Behindertenpflege zählen mobile soziale Dienste, teilstationäre und stationäre Pflegeeinrichtungen zum Kern der Versorgung mit sozialen Dienstleistungen. Sie tragen in jedem Fall zur Entlastung von Familien bei, weil sie der Familie ein Stück weit Pflegearbeit abnehmen. Sie können aber gleich­zeitig auch zur Aufrechterhaltung eines vorwiegend familialen Pflegearrangements beitragen („crowding in“), dann wäre ihr de-familisierender Effekt eher gering zu veranschlagen. Ein hoher De-Familisierungsgrad läge nur vor, wenn die Familie tatsächlich von der hauptsächlichen Pflegeverantwortung entlastet wird, wie dies bei (teil-)stationären Einrichtungen der Fall ist oder auch bei einem dichten Versorgungsnetz mit mobilen Pflegediensten, die pflegebedürftigen Personen ein von familialer Pflege weitgehend unabhängiges Leben ermöglichen können. Auf der anderen Seite stehen familisierende Maßnahmen, die die Familie in der Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen aktiv unterstützen. Im Sinne des Wohlfahrtsregime-Ansatzes können familisierende – ähnlich wie de-familisierende – Maßnahmen von unterschiedlichen sozialpolitischen Akteuren „produziert“ werden. Während es sich bei den de-familisierenden Maßnahmen um An­ gebotsstrukturen handelt, die vom Wohlfahrtsstaat, von zivilgesellschaftlichen oder privatwirtschaftlichen Anbietern bereitgestellt werden, sind familisierende Maßnahmen Gewährleistungsstrukturen, die entweder durch staatliche oder betriebliche Sozialpolitik institutionalisiert werden müssen. Zu den familisierenden Maßnahmen zählen: (1) Zeitrechte Zeitrechte wie z. B. Elternurlaub oder Pflegeurlaub sind darauf ausgerichtet, erwerbstätigen Personen arbeitsrechtlich abgesicherte Auszeiten zu gewähren, in denen sie familialen Betreuungs- oder Pflegeverpflichtungen nachkommen können. Sie wirken insofern familisierend, als sie die zeitlich befristete Übernahme von Betreuungs- und Pflegearbeit durch die Familie unterstützen. Ihr familisierender Effekt ist umso stärker, je länger diese Zeiträume angesetzt sind, zumal lange Ausstiege aus der Erwerbsarbeit die Wiederaufnahme von Erwerbsarbeit negativ beeinflussen. Eine Besonderheit stellt in diesem Zusammenhang die Teilzeitarbeit dar. Sie bietet zum einen eine Alternative zur Vollzeit Erwerbstätigkeit. In diesem Fall kann die Reduzierung der Arbeitszeit dazu genutzt werden, familiale Pflegeund Betreuungsaufgaben zu übernehmen, und nur dann wirkt Teilzeitarbeit fami-

6. Zur Operationalisierung von Familialismus

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lisierend. Zum anderen kann Teilzeitarbeit aber auch eine Alternative zur NichtErwerbstätigkeit von Familienarbeitenden darstellen: Wenn der zeitliche Umfang der familialen Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen Teilzeitarbeit erlaubt – z. B. auch in Kombination mit der Nutzung von sozialen Dienstleistungen –, dann wirkt Teilzeitarbeit zwar kommodifizierend, aber nicht automatisch de-familisierend. De-familisierende Effekte entstehen wenn, dann nur indirekt über die Auslagerung von Familienarbeit an soziale Dienstleister.

(2) Geldleistungen für familiale Pflege- und Betreuungsarbeit Familiale Pflege- und Betreuungsarbeit kann durch unterschiedliche Geldleistungen unterstützt werden. Ungerson (1997) unterscheidet fünf Arten der „payments for care“: –– „Carer allowances“ haben oftmals den Charakter von Kompensationszahlungen für entgangene Erwerbschancen von Familienarbeitenden und werden entweder durch Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern finanziert. Die in vielen Ländern gewährten unterschiedlichen Formen von Elterngeld, die Anerkennung von Familienarbeit in der Sozialversicherung oder auch steuerliche Begünstigungen für familiale Pflege- und Betreuungsarbeit wären beispielsweise hier einzuordnen. –– „Proper wages“ werden von staatlichen Einrichtungen bezahlt, indem z. B. Familienarbeitende – wie in Schweden oder Norwegen möglich – als solche direkt von den Kommunen beschäftigt werden. –– „Routed wages“ sind Geldleistungen, die direkt an die Pflegbedürftigen gezahlt werden. Diese können darüber entscheiden, wofür sie ihr „Pflegegeld“ ausgeben, können somit auch die familiale Pflegeperson bezahlen. –– „Symbolic payments“ weisen vor allem einen sehr geringen Leistungsumfang auf. Sie sind als „Geschenke“ an Verwandte, Freunde oder Nachbarn gedacht, die Pflege- und Betreuungsarbeit leisten. –– „Paid volunteering“ stellt in gewisser Weise auch eine Art der symbolischen Bezahlung dar, richtet sich aber an „fremde“ ehrenamtlich tätige Personen. Diese Leistungen erhöhen das Einkommen von Familienarbeitenden bzw. der Familie, stellen eine Alternative zur marktförmigen Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit dar und somit einen Anreiz für die Übernahme von Betreuungs- und Pflegearbeit durch die Familie. Je höher die Leistungen, desto umfassender ermöglichen sie das Recht auf „time to care“ und desto höher ist ihr familisierender Effekt. In Anlehnung an Ostner (2003; 2006) kann zudem zwischen „positiven“ und „negativen“ Maßnahmen der Familisierung und De-Familisierung unterschieden

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

werden. Die oben genannten de-familisierenden und familisierenden Maßnahmen wären allesamt insofern als „positiv“ zu bezeichnen, als sie sozialpolitische Angebote für die Familie bereithalten: soziale Dienste, Zeitrechte, Geldleistungen. „Negative“ (de-)familisierende Maßnahmen hingegen würden der Familie nicht zusätzliche Angebote machen, sondern durch (indirekten) Zwang familisierend oder de-familisierend wirken. So würde beispielsweise eine Kürzung der Leistungen und Dienste für ältere und chronisch kranke oder behinderte Menschen dahingehend Auswirkungen zeigen, dass die Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion (wieder) verstärkt in Anspruch genommen werden muss. Man könnte in diesem Fall von „negativer“ (Re-)Familisierung sprechen. Eine „negative“ de-familisierende Maßnahme wäre z. B. die zwangsweise Unterbringung von Kindern in einer Erziehungsanstalt (siehe auch Leitner et al. 2004). Im Fokus dieser Arbeit stehen jedoch vorwiegend „positive“ Maßnahmen der (De-)Familisierung: Die Schaffung von Angebots- und Gewährleistungsstrukturen. 7. Vier Typen von Familialismus Angenommen, dass Wohlfahrtsregime sowohl familisierende als auch de-familisierende Maßnahmen beinhalten können und diese jeweils eine starke oder eine schwache Ausprägung aufweisen können, ergibt sich folgende Vier-Felder-Matrix, anhand derer idealtypisch vier Familialismen unterschieden werden können (Tabelle 1)12: Tabelle 1 Vier Varianten von Familialismus Familisierende Maßnahmen

De-familisierende Maßnahmen stark

schwach

stark

Optionaler Familialismus

Expliziter Familialismus

schwach

De-Familialismus

Impliziter Familialismus

Quelle: Eigene Darstellung.

Der explizite Familialismus unterstützt die Familie in ihren Betreuungs- und Pflegeaufgaben durch familisierende Maßnahmen. Gleichzeitig fehlen de-fami­ lisierende Maßnahmen, so dass familiale Pflege- und Betreuungsarbeit nicht nur gefördert, sondern mangels Alternative explizit eingefordert wird.

12 Diese Typologie von Familialismen habe ich in Leitner (2003a) theoretisch grundgelegt und in einem ersten Versuch empirisch vergleichend für 15 EU-Staaten angewendet.

7. Vier Typen von Familialismus

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Im optionalen Familialismus hingegen gibt es sowohl familisierende als auch de-familisierende Maßnahmen. Somit wird zwar die familiale Pflege- und Betreuungsarbeit gefördert, es besteht aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, dass die Familie (teilweise) von Pflege- und Betreuungsaufgaben entlastet wird. Sowohl im expliziten als auch im optionalen Familialismus wird das Recht auf „time to care“ (Knijn/Kremer 1997) eingelöst, indem familiale Pflege und Betreuung ermöglicht wird. Jedoch bedeutet nur im optionalen Familialismus das Recht zu pflegen nicht gleichzeitig auch die Pflicht zu pflegen. Der implizite Familialismus hat weder familisierende noch de-familisierende Maßnahmen zu bieten. Dennoch kommt der Familie – gewissermaßen ex negativo – die Hauptrolle in der Pflege und Betreuung zu, denn es gibt keine Alternativen dazu. Es wird sich also implizit – wie selbstverständlich – auf die Familie verlassen, wenn es um Pflege- und Betreuungsarbeit geht; man könnte auch von „familialism by default“ sprechen. Der De-Familialismus – man könnte auch Anti-Familialismus sagen – ist schließlich durch ein gutes Angebot an de-familisierenden Maßnahmen charakterisiert, dem jedoch keine familisierenden Maßnahmen gegenüber stehen. Die Familie wird also (teilweise) von ihren Pflege- und Betreuungsaufgaben entlastet, es besteht jedoch kein soziales Recht auf „time to care“ für die Familie.13 Wie eine erste empirisch vergleichende Untersuchung zeigen konnte (Leitner 2003a), unterscheiden sich Wohlfahrtsregime in ihrem familialistischen Profil auch in Abhängigkeit von einzelnen Feldern der Pflege- und Betreuungspolitik. In der Kinderbetreuungspolitik ergeben sich andere Ländercluster als in der Altenpflegepolitik; für die Behindertenpolitik wäre das Bild vermutlich wiederum ein anderes (vgl. Maschke 2004). Es ist daher wichtig, zwischen diesen Pflege- und Betreuungspolitiken zu unterscheiden, weshalb in den folgenden vier Länderstudien die Kinderbetreuungs- und die Altenpflegepolitik getrennt untersucht werden. Dies erscheint auch insofern sinnvoll, als zu vermuten ist, dass die Entwicklung in den beiden Politikfeldern mit unterschiedlichen Bestimmungsfaktoren erklärt werden muss (siehe Kapitel II.). 13

Hochschild bezeichnet diesen Typus als „cold-modern model [of care, S. L.] represented by impersonal institutional care in year-round ten-hour day care and old-age homes“ (1995, S. 332). Sie identifiziert außerdem ein „traditional model of care“, in dem die nicht erwerbstätige Hausfrau und Mutter für Familienarbeit zuständig ist, ein „postmodern model of care“, in dem die erwerbstätige Mutter mit der Doppelbelastung von Erwerbs- und Familienarbeit ohne Unterstützung von außen kämpft, und ein „warm-modern model of care“, in dem nur ein Teil der Pflege- und Betreuungsarbeit von Institutionen und der andere Teil partnerschaftlich von der Familie erbracht wird. Bruning/Plantenga (1999, S. 207 f.) identifizieren für den Bereich der Kinderbetreuungspolitik ein „time model“, das in etwa dem expliziten Familialismus entspricht, ein „parallel model“, das dem optionalen Familialismus entspricht, und ein „facilitation of services-model“, das dem De-Familialismus nahe kommt. Außerdem sprechen sie von einem „sequential model“, das eine zeitlich hintereinander geschaltete Kombination von explizitem Familialismus und De-Familialismus darstellt.

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

Die Klassifizierung von Wohlfahrtsregimen entlang der Familialismus-Typo­ logie wird sich dabei hauptsächlich auf die Analyse von sozialpolitischen Maßnahmen der Familisierung und De-Familisierung konzentrieren. Im Zentrum steht die historische Entwicklung von Angebots- und Gewährleistungsstrukturen in der Kinderbetreuung und der Altenpflege: Diese Entwicklung soll kategorisiert werden. Interessant sind dabei insbesondere jene „critical junctures“, an denen die Verortung eines Landes zwischen zwei Familialismus-Typen wechselt. Diese historischen Wendepunkte sollen mittels unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatstheorien (siehe Kapitel II.) erklärt werden. Zusätzlich zu der Analyse von (de-)familisierenden Strukturen sollen zwei weitere analytische Ebenen berücksichtigt werden: Die Frage nach der familisierenden oder de-familisierenden politischen Intention, mit der die jeweiligen Maßnahmen eingeführt wurden und die Frage, ob die eingeführten Maßnahmen auch im Sinne der mit ihnen verbundenen Optionen der Familisierung oder De-Familisierung genutzt wurden bzw. werden. Auf diese beiden zusätzlichen Analyseebenen wird insbesondere dann eingegangen, wenn es zu Diskrepanzen zwischen strukturellen Optionen auf der einen Seite und politischer Intention oder Nutzungsverhalten auf der anderen Seite kommt, da sich aus diesen Diskrepanzen Unklarheiten bezüglich der Klassifizierung ergeben und eventuell auch zusätzliche Erklärungsmomente erschließen können. 8. Zur Geschlechtsspezifik von Familialismus Die vier Länderstudien sind zunächst auf der Makro-Ebene zu verorten, es interessiert die Frage, welches Gewicht der Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion im Bereich der Kinderbetreuung und der Altenpflege zukommt. Erst in einem weiteren Schritt kommt dann die Mikro-Ebene in den analytischen Blick: Es ist die Frage zu klären, inwiefern die umgesetzten familisierenden und de-familisierenden Maßnahmen geschlechtsspezifisch diskriminierend wirken. Dabei wird in Anlehnung an die De-Familisierungs-Definition von McLaughlin und Glendinning (1994) und gleichzeitig in Abgrenzung davon ausschließlich auf die Perspektive familialer Pflege- und Betreuungspersonen Bezug genommen. Die Perspektive der betreuten oder gepflegten Person, ihre (Un-)Abhängigkeit von der familialen Betreuungs- und Pflegearbeit, ist aus der Geschlechterperspektive wenig ergiebig. Abgesehen von der empirischen Tatsache, dass Frauen aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung häufiger auf Pflege angewiesen sind als Männer, ergeben sich geschlechtsspezifische Ungleichheiten zwischen pflege­ bedürftigen Personen in erster Linie aufgrund der geschlechtsspezifisch ungleichen Einkommenssituation, die über das Potential des Zukaufs von sozialen Dienstleistungen entscheidet. Für Frauen verschärft sich die Situation insofern als sie – anders als Männer – meist nicht auf ihren Partner zurückgreifen können, wenn sie Pflege brauchen. Auch dies ist vor allem ein Effekt der unterschied­

8. Zur Geschlechtsspezifik von Familialismus

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lichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen. Frauen sind deshalb öfter von (bedarfs­geprüften) staatlichen Hilfen abhängig, Männer werden öfter von ihren Partnerinnen gepflegt. In diesem Sinne sind Frauen öfter (negativ) de-familisiert und Männer öfter familisiert. Andererseits können sich Männer eher eine DeFamilisierung über soziale Dienstleistungen erkaufen.14 Weitaus komplexer gestalten sich jedoch die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von (de-)familisierenden Maßnahmen für diejenigen, die die Betreuungsund Pflegearbeit in der Familie erbringen. Zunächst lässt sich feststellen, dass de-familisierende Maßnahmen keinen direkten Einfluss auf das Geschlechterverhältnis ausüben. Dadurch, dass sie Familienarbeitende von ihren Verpflichtungen entlasten, eröffnen sie diesen allerdings Optionen der Zeitverwendung – beispielsweise die Möglichkeit der Arbeitsmarktpartizipation –, die vorher nicht da waren.15 Insofern unterlaufen sie auch das traditionelle Ernährermodell und stellen eine wichtige Opportunitätsstrukur für die Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt dar. „Social care services excuse women, at least in part, for their caring obligations (‚exit out of the family‘) and in this way reduce their dependence on the male breadwinner.“ (Anttonen/ Sipilä 1996, S. 93)

Vor allem im Bereich der Kinderbetreuung können soziale Dienste Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Im Bereich der Altenpflege ist ein ähnlicher Effekt für jüngere Familienarbeitende zu erwarten, die im erwerbsfähigen Alter sind und deren Pflegeaufgaben noch mit einer Erwerbstätigkeit vereinbart werden können.16 Im Unterschied dazu haben familisierende Maßnahmen einen direkten Effekt auf das Geschlechterverhältnis. Einerseits bekräftigen sie die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, indem sie auf die Aufrechterhaltung und Stärkung der Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion zielen: Da familiale Pflege- und Betreuungsarbeit in den meisten Fällen von Frauen erbracht wird, unterstützen familisierende Maßnahmen nicht nur die Familie als solche, sondern auch die damit verbundene Festlegung von Frauen auf die Familienarbeit (vgl.

14 Die (De-)Familisierungs-Begrifflichkeit ist hier auf der Ebene der Individuen angesiedelt und beschreibt die (Un-)Abhängigkeit der Individuen von familialen Pflege- und Betreuungsleistungen. 15 De-familisierende Maßnahmen müssen aber nicht notwendig wahrgenommen werden und führen deshalb auch nicht automatisch zur individuellen De-Familisierung von Familienarbeitenden (vgl. Leitner/Lessenich 2007). 16 Ein großer Teil der familialen Pflegepersonen befindet sich selbst im Rentenalter, weshalb soziale Dienste hier weniger die Option der Erwerbstätigkeit eröffnen als die Option der physischen und psychischen Entlastung, um die familiale Pflegesituation überhaupt aufrecht erhalten zu können. Ähnliches gilt für familiale Pflegepersonen, die sich um schwerst Pflegebedürftige kümmern: Mit zunehmender Pflegebedürftigkeit stellt die Erwerbstätigkeit der Pflegeperson immer weniger eine Option dar (vgl. Dallinger 2001).

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

J­ enson/Jacobzone 2000). Ungerson gibt zu bedenken, dass bereits kleine, symbolische Leistungen Frauen unter Druck setzen, aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, um Familienarbeit zu leisten: „Thus there is a powerful argument that such payments are entrapping rather than l­ iberating.“ (Ungerson 1995, S. 48)

Andererseits handelt es sich bei dem eben skizzierten Zusammenhang nicht um einen Automatismus, sondern eher um eine Dilemma-Situation17, aus der es auch Auswege geben kann: Familisierende Maßnahmen können Anreize für eine geschlechtergerechte Aufteilung von Familienarbeit enthalten und Übergänge zwischen Familien- und Erwerbsarbeit unterstützen. Die Bewertung der geschlechtsspezifischen Effekte von familisierenden Maßnahmen muss deshalb auf die in ihnen enthaltenen Möglichkeiten der partnerschaftlichen Aufteilung von Familienarbeit achten sowie auf die Möglichkeiten des Wechsels zwischen Familien- und Erwerbsarbeit, so dass einmal getroffene Entscheidungen nicht zwangsläufig zu langfristigen oder gar lebenslangen Festschreibungen werden. Außerdem kommt es darauf an, ob familisierende Maßnahmen zu einer eigenständigen Existenzsicherung von Familienarbeitenden beitragen, ob sie – in den Worten von Ann Orloff – die Möglichkeit bieten, „to form and maintain an autonomous household“ (1993, S. 319).18 In Anknüpfung an die vier Typen von Familialismus können sowohl geschlechtsspezifisch diskriminierende als auch geschlechtsspezifisch egalitäre Varianten von Familialismus unterschieden werden. Im impliziten Familialismus gibt es mangels (de-)familisierender Maßnahmen keine direkte Beeinflussung des Geschlechterverhältnisses. Er stellt vielmehr ein laissez-faire Modell der Familienpolitik dar, in dem der Staat keinerlei Eingriff in die Familien- und Geschlechterverhältnisse vornimmt (vgl. Harding 1996, S. 183–186). Dennoch weist auch der implizite Familialismus einen geschlechtsspezifischen Effekt auf: Durch die 17 Es handelt sich dabei gewissermaßen um eine zeitgenössische Variante des Wollstonecraft-Dilemmas: „We are torn between wanting to validate and support, through some form of income maintenance provision, the caring work for which women still take the responsibility in the ‚private‘ sphere and to liberate them from this responsibility so that they can achieve economic and political autonomy in the public sphere.“ (Lister 1994 zitiert nach Knijn/Kremer 1997, S. 350) – Die englische Frauenrechtlerin Mary Wollstoncraft hat sich in „A Vindication of the Rights of Woman“ (1792) sowohl für die Gleichheit der Geschlechter als auch für die Anerkennung der Differenz zwischen den Geschlechtern ausgesprochen. Carol Pateman bezeichnete diese feministische Doppelstrategie in Bezug auf den Wohlfahrtsstaat – zum einen geschlechtsneutrale Regelungen, zum anderen besondere Leistungen für Frauen – als „Wollstonecraft’s dilemma“ (Pateman 1989). 18 Familisierende Maßnahmen – also Maßnahmen, die darauf abzielen, die Erbringung von Pflege- und Betreuungsarbeit durch die Familie zu fördern – wirken nach McLaughlin/ Glendinning (1994) auf der individuellen Ebene der Familienarbeitenden de-familisierend, wenn sie zur finanziellen Unabhängigkeit von Familienangehörigen gegenüber ihrer Familie sichern. Die finanzielle Unabhängigkeit von Familienarbeitenden stellt jedoch nur einen Aspekt der geschlechtsspezifischen Effekte familisierender Maßnahmen dar.

8. Zur Geschlechtsspezifik von Familialismus

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Nicht-Intervention wird der Status quo des Geschlechterverhältnisses reproduziert. In einer egalitären Gesellschaft fände sich somit eine geschlechtsspezifisch egalitäre Variante des impliziten Familialismus, in einer traditionell geschlechter­ hierarchisch strukturierten Gesellschaft wäre der implizite Familialismus geschlechtsspezifisch diskriminierend wirksam. Im De-Familialismus sind nur indirekte Effekte auf das Geschlechterverhältnis möglich, wenn Familienarbeitende die Möglichkeit der Arbeitsmarktpartizipation, die ihnen durch de-familisierende Maßnahmen eröffnet werden, nutzen. In welchem Ausmaß diese indirekten Effekte als geschlechtsspezifisch egalitär zu bezeichnen sind, hängt davon ab, wie stark der Arbeitsmarkt geschlechtsspezifisch strukturiert ist und wie stark Familienarbeit der traditionellen Arbeitsteilung folgt. Eine geschlechtsspezifisch egalitäre Variante des De-Familialismus setzt Geschlechtergleichheit am Arbeitsmarkt und eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit voraus. Im expliziten Familialismus üben die familisierenden Maßnahmen einen direkten Einfluss auf das Geschlechterverhältnis aus. Bieten diese nicht die Möglichkeit der eigenständigen Lebensführung von Familienarbeitenden, enthalten sie weder Anreize zur partnerschaftlichen Aufteilung von Familienarbeit noch Möglichkeiten des fließenden Übergangs von Familien- zu Erwerbsarbeit, dann liegt eine geschlechtsspezifisch diskriminierende Variante des expliziten Familialismus vor. Bei einem sehr hohen, dem Lohn für Erwerbsarbeit vergleichbaren Leistungsniveau und gleichzeitiger Förderung einer traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern kann weder von diskriminierenden noch von egalitären Effekten gesprochen werden, vielmehr liegt eine auf Gleichstellung zielende Geschlechterdifferenzierung vor: Gleichheit unter der Bedingung der Ungleichheit. Eine geschlechtsspezifisch egalitäre Variante des expliziten Familialismus müsste jedoch die duale Zuschreibungsstruktur von Tätigkeiten an Männer und Frauen überwinden. Für den optionalen Familialismus gilt das gleiche wie für den expliziten Familialismus: Eine geschlechtsspezifisch egalitäre Variante müsste die eigenständige Lebensführung von Familienarbeitenden sicherstellen, Anreize zur partnerschaftlichen Aufteilung von Familienarbeit setzen und Übergänge von Familien- zu Erwerbsarbeit fördern. Im optionalen Familialismus besteht aufgrund der de-familisierenden Maßnahmen allerdings bereits ein kleiner „Vorsprung“ in Richtung auf die geschlechteregalitäre Variante, da die strukturellen Rahmenbedingungen zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit bereits gesetzt sind.

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

9. Operationalisierung der Geschlechterperspektive In den vier Länderstudien wird die Entwicklung von de-familisierenden und familisierenden Maßnahmen in der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik nachgezeichnet und mit Hilfe der Familialismus-Typologie klassifiziert. Zur Bewertung der geschlechtsspezifischen Effekte während unterschiedlicher Entwicklungsphasen des länderspezifischen familialistischen Profils wird sodann die oben entwickelte analytische Perspektive systematisch angewandt. Konkret bedeutet dies, dass zum einen die Fragen der Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie als Rahmenbedingungen mit berücksichtigt werden müssen. Zum anderen sind die familisierenden Maßnahmen auf ihre zu erwartenden strukturellen geschlechtsspezifischen Effekte hin zu analysieren. Eine derartige Analyse muss unterschiedliche Aspekte der sozialpolitischen Geschlechterdifferenzierung und -diskriminierung beinhalten (Leitner 1999, S. 19–36; 2001): (1) Die sozialpolitische Differenzierung nach dem biologischen Geschlecht hat diskriminierende Effekte, wenn es zu einer Verknüpfung von biologischen Geschlechtsunterschieden mit der traditionellen bipolaren Zuschreibung von Geschlechtsrollen kommt. Wenn beispielsweise Geldleistungen für familiale Pflege- und Betreuungsarbeit nur für Frauen gewährt werden, wird implizit vorausgesetzt, dass Familienarbeit nur von Frauen geleistet wird. Es kommt damit zu einem Leistungsausschluss von Männern, die Familienarbeit leisten; die sozialpolitischen Rahmenbedingungen lassen ein Ausbrechen aus traditionellen Geschlechterrollen nicht zu. Die biologische Geschlechterdifferenzierung kann allerdings auch geschlechteregalitäre Effekte zeitigen, wenn sie dazu dient, das traditionelle Geschlechterverhältnis in Frage zu stellen. So haben beispielsweise die so genannten „Daddy leave“-Programme, die sich nur an Väter richten, eine partnerschaftlichere Aufteilung von Kinderbetreuungs­ arbeit zum Ziel. (2) Die sozialpolitische Differenzierung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit kommt in der Parallelität von erwerbsarbeitszentrierter Sozialversicherung und (bedarfsgeprüften) Leistungen für Nicht-Erwerbsarbeit zum Ausdruck und wurde von der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung (siehe Kapitel I.3.) als einer der beiden zentralen geschlechtsspezifischen Diskriminierungsmechanismen identifiziert. Hierbei kommt es allerdings entscheidend auf die Höhe der Leistungen für Familienarbeit an: Wenn diese in Relation zu Erwerbsarbeit gleich behandelt wird, liegt keine Geschlechterdiskriminierung vor. Solange jedoch die sozialpolitische Differenzierung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit mit der Zuordnung der biologischen Geschlechter zu den traditionellen Geschlechtsrollen verbunden ist, können keinesfalls geschlechteregalitäre Effekte entstehen. Dazu müsste der Wechsel zwischen

9. Operationalisierung der Geschlechterperspektive

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bezahlter und unbezahlter Arbeit für beide Geschlechter in gleicher Weise gefördert werden, gewissermaßen selbstverständlich sein. (3) Die sozialpolitische Differenzierung zwischen eigenständigen und abgeleiteten Ansprüchen zeigt sich in der sozialpolitischen Förderung des männlichen Er­ nährermodells und gilt in der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung (siehe Kapitel I.3.) als zweiter zentraler geschlechtsspezifischer Diskriminierungsmechanismus. Der generell diskriminierende Charakter dieser Differenzierung ergibt sich aus dem Abhängigkeitsstatus abgeleiteter sozialer Rechte. Geschlechtsspezifisch diskriminierend wirkt die Differenzierung dann, wenn sie mit der biologischen Geschlechterdifferenzierung verknüpft ist, wenn also zum Beispiel nur Witwen-, aber keine Witwerrenten vorgesehen sind. Etwas weiter gefasst, geht es hierbei auch um die sozialpolitische Differenzierung zwischen (verheirateten) heterosexuellen Paargemeinschaften und anderen Formen des Zusammenlebens, da abgeleitete Ansprüche in der Regel nur für heterosexuelle (Ehe-)Paare vorgesehen sind. Somit liegt zum einen eine Diskriminierung innerhalb der Paargemeinschaft vor und zum anderen eine Diskriminierung zwischen unterschiedlichen Lebensformen, die durch die sozialpolitische Privilegierung einer Lebensform entsteht. So fördern abgeleitete Ansprüche eben nicht die familiale Pflege- und Betreuungsarbeit an sich, sondern ein Familienmodell, von dem angenommen wird, dass es diese sozialen Dienstleistungen erbringt. Somit werden aber auch Ehepaare gefördert, die weder Pflege- noch Betreuungsarbeit leisten. Andererseits werden nicht verheiratete Paare und Zweiverdienerehen nicht bzw. letztere nur in geringerem Maße gefördert, auch wenn sie nachweislich familiale Pflege- und Betreuungsarbeit leisten. Wenn beispielsweise beide Ehepartner erwerbstätig sind, erhält der jeweils überlebende Ehepartner nur eine um das eigene Einkommen gekürzte Hinterbliebenenrente. Dadurch setzen abgeleitete Ansprüche einen starken Anreiz für die Nicht-Erwerbstätigkeit von Ehefrauen und benachteiligen gleichzeitig erwerbstätige Ehefrauen, womit deren Wahlfreiheit massiv eingeschränkt wird. Der Familienarbeit wird außerdem ein unterschiedlicher Wert zugesprochen: Wenn ein Ehemann als Alleinverdiener über lange Jahre hohe Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, erhält seine zeitlebens nicht erwerbstätige Witwe eine hohe Hinterbliebenenrente. Bei einem weniger gut verdienenden Ernährer-Ehemann hingegen fällt auch die Hinterbliebenenrente entsprechend niedriger aus. Und bei nicht verheirateten Paaren entfällt die Hinterbliebenenrente zur Gänze. Die in den Fallstudien untersuchten Geldleistungen für familiale Pflege- und Betreuungsarbeit umfassen zum einen abgeleitete Leistungen, die indirekte Unterstützungsleistungen für Familienarbeitende darstellen, wie etwa die Witwen- bzw. Witwerrente und die beitragsfreie Mitversicherung von (Ehe-)Partnern in der Krankenversicherung. Hier ist insbesondere darauf zu achten, ob eine biologische Geschlechterdiskriminierung vorliegt, wie stark die Diskriminierung von unbezahlter gegenüber bezahlter Arbeit ausfällt und welche Lebensformen privilegiert bzw. diskriminiert werden. Die Gesamtheit der indirekten Unterstützungsleistungen für

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands 

Familienarbeitende wird mit dem Begriff des „indirekten Familialismus“ bezeichnet. Dieser kann Bestandteil des expliziten oder des optionalen Familialismus sein. Zum anderen werden individualisierte Leistungen betrachtet, die familiale Pflege- und Betreuungsarbeit direkt unterstützen und eigenständige Ansprüche für Familienarbeitende bewirken. Die Gesamtheit der direkten Unterstützungsleistungen für Familienangehörige wird mit dem Begriff des „direkten Familialismus“ bezeichnet. Dazu gehören im Bereich der Kinderbetreuung arbeitsrechtliche Ansprüche auf Elternzeit, Elterngeld und die Anerkennung von Erziehungsarbeit im Rentensystem. Im Bereich der Altenpflege sind analog arbeitsrechtliche Beurlaubungen zum Zweck der Angehörigenpflege, Pflegegeld und die Anerkennung von Angehörigenpflege im Rentensystem zu nennen. Für die geschlechtsspezifische Analyse der direkten familisierenden Maßnahmen ist – auch im Hinblick auf vorliegende empirische Untersuchungen zu den geschlechtsspezifischen Effekten derartiger Maßnahmen – darauf zu achten, (1) inwiefern sie biologische Geschlechterdifferenzierungen enthalten. Angesichts der empirischen Tatsache, dass Männer in weit geringerem Ausmaß als Frauen familiale Betreuungs- und Pflegearbeit leisten, sind hierbei vor allem Maßnahmen interessant, die „payments for care“ in Form von individuellen Ansprüchen für Männer gewähren. Während beispielsweise bei einer geschlechtsneutral formulierten Elternzeitregelung („family right“) die Entscheidung darüber, wer wie lange die Kinderbetreuung übernimmt, bei den Eltern liegt, setzen explizit auf den Vater ausgerichtete Ansprüche – seien es „Partnermonate“, Vaterschaftsurlaub oder „daddy leave“ – einen Anreiz für die Teilung der Kinderbetreuung zwischen den Eltern. Es muss (2) beurteilt werden, ob die Höhe der gewährten Leistungen die Existenzsicherung von Familienarbeitenden gewährleistet, Familienarbeit also in Relation zu Erwerbsarbeit angemessen „entlohnt“ wird, ob Übergänge von Familien- zu Erwerbsarbeit sowie die partnerschaftliche Teilung der Familienarbeit unterstützt werden. Insbesondere zwei Elemente sind hierbei von entscheidender Bedeutung: die Höhe der Leistung und die Dauer der Erwerbsunterbrechung. a) So setzen beispielsweise Länder, in denen Lohnersatzraten gezahlt werden, einen positiven Anreiz sowohl für die Arbeitsmarktpartizipation von Familienarbeitenden sowie für die Beteiligung von Männern an der Familienarbeit (Bruning/Plantenga 1999, S. 205 f.). Ein geringes Leistungsniveau führt hingegen zu einer Verstärkung der geschlechtsspezifischen Zuschreibung von Pflege- und Betreuungsarbeit: „Given sex segmented labour markets throughout Europe, it is likely that such amounts are geared to attract labour that has low expected earnings in alternative employment, and that is more likely to be women workers than men.“ (Ungerson 1995, S. 46)

b) Von Bedeutung ist auch die Dauer der Erwerbsunterbrechung zum Zwecke der Familienarbeit. Für die Kinderbetreuung gilt: Für diejenigen, die nur

9. Operationalisierung der Geschlechterperspektive

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kurze Zeit Familienarbeit leisten, scheint der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt kein großes Problem darzustellen, insbesondere wenn ein entsprechender Kündigungsschutz und Wiedereinstellungsgarantien vorhanden sind (Thenner 2000, S. 103). Gottschall und Bird (2003) kommen für Deutschland sogar zu dem Schluss, dass die Einführung der Erziehungsurlaubsregelung den weiblichen Erwerbsverlauf standardisiert und im Vergleich zu vorher zu kürzeren Erwerbsunterbrechungen sowie höheren Rückkehrraten von Müttern geführt habe. Rønsen (1999) argumentiert, dass kurze Erziehungszeiten ebenso kontraproduktiv für das Rückkehrverhalten von Müttern sein können wie Maßnahmen, die lange Erwerbsunterbrechungen ermöglichen: Zum einen verhindern unzureichende Betreuungsstrukturen für unter Dreijährige einen allzu raschen Wiedereinstieg, zum andern beschneiden zu lange Ausstiege zukünftige Karriereoptionen. Auch die OECD sieht lange Erwerbsausstiege kritisch: „However, long leave periods may create difficulties in returning to the job if there have been significant changes in the technological and organisational context of the firm in the meantime.“ (OECD 1995, S. 188)



Bruning und Plantenga (1999, S. 207) empfehlen aus der Perspektive der Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt eine Dauer von einem Jahr. Allerdings scheint die Chance auf einen guten Wiedereinstieg nicht zuletzt von der allgemeinen Arbeitsmarktlage abhängig zu sein (Bothfeld 2005, S. 277). Die Möglichkeit von Teilzeit-Beurlaubungen wirkt in diesem Sinne präventiv und ist vor allem auch hinsichtlich der Väterbeteiligung ein begünstigender Faktor (OECD 1995, S. 187; European Com­ mission 200419). Schließlich geht es

(3) auch darum, ob direkte familisierende Maßnahmen nach bestimmten Merk­ malen des Zusammenlebens – z. B. Ehegemeinschaft oder Alleinerziehende – differenzieren. Insgesamt werden also die länderspezifischen Entwicklungen der o. g. direkten und indirekten familisierenden Maßnahmen nachgezeichnet sowie ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen analysiert. Hinzu kommen die länderspezifischen Entwicklungen der de-familisierenden Maßnahmen sowie jeweils die Analyse der Daten zur familialen Arbeitsteilung und zur weiblichen Erwerbs­ beteiligung. Die Zusammenschau dieser Faktoren bestimmt sowohl die (historisch kontingente) Einordnung der Länder in die Familialismus-Typologie als auch die Bewertung des geschlechtsspezifisch diskriminierenden Charakters der jeweils vorliegenden Variante von Familialismus.

19 Der Sonder-Eurobarometer zeigt deutlich, dass Männer ihre Inanspruchnahme von Elternzeit vor allem von zwei Faktoren abhängig machen: einer hohen Transferleistung und der Absicherung ihrer Karriereperspektiven.

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I. Familialismus: Zur Definition des Untersuchungsgegenstands  Tabelle 2a Überblick über die Untersuchungsziele und -gegenstände

Ziel: Klassifizierung der Untersuchungsländer nach der Familialismus-Typologie (1) de-familisierende Maßnahmen a) Entwicklung der Angebotsstruktur von Krippen, Kindergärten, Horten und Kindertagespflege b) Entwicklung der Angebotsstruktur von (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen und mobilen Pflegediensten (2) familisierende Maßnahmen a) Entwicklung von Zeitrechten: Beurlaubungen wegen Kinderbetreuung und Angehörigenpflege, Recht auf Teilzeitarbeit b) Entwicklung von Geldleistungen: Elterngeld, Pflegegeld, Anerkennung von Erziehungsarbeit und Angehörigenpflege in der Rentenversicherung, abgeleitete Ansprüche für Familienarbeit Kontrollvariablen: politische Intention und Nutzungsverhalten Quelle: Eigene Darstellung.

Tabelle 2b Überblick über die Untersuchungsziele und -gegenstände Ziel: Klassifizierung der Familialismen aus der Geschlechterperspektive (1) familisierende Maßnahmen a) abgeleitete Ansprüche für Familienarbeit: biologische Differenzierung, Höhe der Leistung, Differenzierung nach Lebensformen b) individualisierte Zeitrechte und Geldleistungen: biologische Differenzierung, Höhe der Leistung, Übergänge von Familien- zu Erwerbsarbeit, Anreize zur partnerschaftlichen Teilung, Differenzierung nach Lebensformen (2) Struktur und Nutzung de-familisierender Maßnahmen Kontrollvariablen: geschlechtsspezifische Arbeitsmarktstrukturen und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie Quelle: Eigene Darstellung.

10. Rekapitulation Zur Klärung des zentralen Begriffs dieser Arbeit wurde in diesem Kapitel an die Bedeutung der Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion erinnert. Die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung nahm die Familie durch die wohlfahrts­ pluralistische Erweiterung der Analyseperspektive im Sinne eines „welfare mix“ in den Blick, die feministische Sozialpolitikforschung thematisierte das Verhältnis

10. Rekapitulation

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von Familienarbeit und Erwerbsarbeit im Wohlfahrtsstaat. An beide Forschungsstränge wurde im Folgenden angeknüpft: Zum einen wurde in Weiterführung und gleichzeitig in Abgrenzung von Esping-Andersen (1999) eine Operationa­lisierung von Familialismus entwickelt, die sowohl de-familisierende als auch familisierende Maßnahmen umfasst. Aus der Gegenüberstellung der beiden Maßnahmenbündel wurde sodann eine Typologie des Familialismus abgeleitet, die vier Varianten von Familialismus unterscheidet: den impliziten, den expliziten und den optionalen Familialismus sowie den De-Familialismus. Zum anderen wurde die geschlechtsspezifische Betrachtungsweise von Sozialpolitik in die Analyse des Familialismus integriert. De-familisierende wie familisierende Maßnahmen – nämlich: soziale Dienste, Zeitrechte und Geldleistungen für familiale Pflege- und Betreuungsarbeit – haben geschlechtsspezifische Effekte, die je nach konkreter Ausgestaltung der Maßnahmen und in Abhängigkeit von anderen gesellschaft­ lichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen unterschiedlich ausfallen können. Insofern bergen die vier Familialismus-Typen jeweils eine geschlechtsspezifisch diskriminierende und eine geschlechteregalitäre Variante in sich. Die Bestimmung des familialistischen Profils der vier Untersuchungsländer (Kapitel III. – VI.)wird sich demnach sowohl an der Familialismus-Typologie als auch an der geschlechteranalytischen Bewertung derselben orientieren. In dem historisch vergleichenden Kapitel VII. werden die Entwicklungspfade des Familialismus in den vier Untersuchungsländern in den Kontext der international vergleichenden Sozialpolitikforschung gestellt. Es sollen die spezifischen konservativen Entwicklungspfade des Familialismus identifiziert werden.

II. Theoretische Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken 1. Einleitung Neben der Frage, welchem familialistischen Muster folgend sich Kinder­ betreuungs- und Altenpflegepolitiken in den vier Untersuchungsländern historisch entwickelt haben, sollen auch die zentralen Erklärungsfaktoren für die Grundlegung und die Fortschreibung der länderspezifischen Familialismuspfade sowie für eventuelle Pfadwechsel identifiziert werden. Hierzu wird an die bekannten Erklärungsansätze zur wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung, die in der politikwissenschaftlichen Sozialpolitikforschung als „Theorien der Staatstätigkeit“ bezeichnet werden, angeknüpft.1 Diese werden zunächst dahingehend „gefiltert“, inwiefern sie für die Erklärung der Einführung und Weiterentwicklung von Kinder­ betreuungs- und Altenpflegepolitiken aus theoretischer Perspektive relevant sein könnten. Wo immer empirische Untersuchungen zur Frage nach den Ursachen für die Entstehung oder den Wandel von Kinderbetreuungs- und Altenpflege­ politiken vorhanden sind, soll zusätzlich zu den theoretischen Überlegungen auf diese empirischen Ergebnisse zurückgegriffen werden. Am Ende der Ausführungen wird eine Auflistung von Erklärungsfaktoren stehen, die für die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung im Bereich der Kinderbetreuung und der Altenpflege von Be­deutung sind. 2. Funktionalistische Ansätze Funktionalistische Ansätze zur Erklärung wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung gehen davon aus, dass diese eine Reaktion auf gesellschaftliche Problemlagen darstelle: Sozialpolitik trage zum Funktionieren der Gesellschaft, zur Aufrechterhaltung des politischen und wirtschaftlichen Systems, bei, indem sie die Probleme löse, die sich aufgrund der sozio-ökonomischen Verhältnisse stellen. In den Blick geraten somit zum einen sozial-strukturelle Wandlungsprozesse, die neue Problemlagen und damit Handlungsdruck generieren, und zum anderen die Funktionserfordernisse des politisch-ökonomischen Systems, die bestimmter gesellschaftlicher Voraussetzungen – wie z. B. Qualifizierung und Regeneration von 1 Für einen Überblick über die unterschiedlichen Erklärungsansätze siehe Alber (1982, S. 73–86), Lessenich (2000), Ullrich (2005, S. 28–40), Schmidt et al. (2007, S. 29–95).

2. Funktionalistische Ansätze

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Arbeitskräften – bedürfen, zu deren Herstellung staatliche Sozialpolitik beitragen kann. Aus einer familienpolitischen Perspektive bieten beide Argumentationsstränge theoretische Anknüpfungspunkte.

a) Die Modernisierungsthese Es sind vor allem drei sozial-strukturelle Entwicklungstrends, die zu neuen Problemlagen im Bereich der Kinderbetreuung und der Altenpflege führen: (1) Die Veränderungen familialer Strukturen des Zusammenlebens – wie z. B. der Rückgang von Mehrgenerationen- und Großfamilien und die zunehmende Bedeutung der Eltern-Kind-Kernfamilie, der Anstieg von Alleinlebenden und Alleinerziehenden sowie die räumliche Distanz zwischen Familiengenerationen und innerhalb einer Familiengeneration – führen dazu, dass Kinderbetreuung und Altenpflege zunehmend schwieriger von Familienmitgliedern erbracht werden können. (2) Durch den Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit gewinnt die Vereinbarkeitsproblematik für Eltern und pflegende Angehörige zunehmend an Bedeutung. (3) Schließlich führt die demographische Entwicklung zum einen in Form der Alterung der Gesellschaft zu einem wachsenden Bedarf im Bereich der Altenpflege und zum anderen in Form sinkender Geburtenraten zu einem Zustand, der die Reproduktion der Gesellschaft zu gefährden scheint. Die Generierung von gesellschaftlichen Problemlagen durch die drei Entwicklungstrends wird im Folgenden für die beiden Bereiche der Kinderbetreuung und der Altenpflege differenziert dargestellt (vgl. Leitner 2007a). Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung wird aufgrund der steigenden Müttererwerbstätigkeit, die sich in der Zunahme von Zweiverdiener-Haushalten sowie der wachsenden Zahl von erwerbstätigen Alleinerziehenden niederschlägt, zunehmend zu einem Problem, das einen großen Teil der Bevölkerung belastet (vgl. OECD 1995, S. 171). Hinzu kommen veränderte Familienstrukturen: Während in Zeiten von Mehrgenerationenhaushalten die gleichzeitige Erwerbstätigkeit beider Eltern oder eines alleinerziehenden Elternteils meist nicht zu einem Betreuungsproblem geführt hat, weil Kinder auch von anderen Familienmitgliedern mitbetreut wurden, lastet in den heute üblichen Eltern-Kind-Kernfamilien die Betreuung meist allein auf den Eltern (vgl. Lohkamp-Himmighofen 1993, S. 321). Zum einen sind die Großeltern – insbesondere: die Großmütter – oft selbst noch erwerbstätig und können die Kinderbetreuungsaufgabe nicht dauerhaft übernehmen, zum anderen führt auch die räumliche Mobilität zu einem Verlust oder einer „Anspannung“ der großelterlichen oder anderer verwandtschaftlicher Betreuungsnetzwerke. Vor allem Alleinerziehende sind von diesen Entwicklungen besonders unter Druck gesetzt:

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II. Theoretische Überlegungen  „Lone mothers must carry the dual responsibility of being the main breadwinner and the main carer wishing to enter the labour market where caring responsibilities may not be recognised, and in the face of social arrangements which often continue to take for granted the flexibility and availability of a mother’s time (e.g. time schedule of schools, the offer of child-care services, the opening hours of shops, public offices, etc.).“ (OECD 1998, S. 10)

Diese Unvereinbarkeit beider „Welten“, Familie und Beruf, verlangt nach politischen Lösungen. Insofern stellt Kinderbetreuungspolitik – egal, ob es sich um den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen oder die Einführung von (bezahlten) Erziehungszeiten handelt – eine Reaktion auf das Vereinbarkeitsproblem dar, welche sich aus der Kombination einer erhöhten Müttererwerbstätigkeit und gewandelter Familienstrukturen ergibt: „These policies also represent efforts by policy makers to respond to the demands of families seeking help in balancing work and family life.“ (Morgan/Zippel 2003, S. 65)

Kinderbetreuungspolitik als Vereinbarkeitspolitik hat aber auch eine geburtenfördernde Funktion und kann als Reaktion auf das „soziale Problem“ einer sinkenden oder zu niedrig empfundenen Geburtenrate entwickelt werden. Im Bereich der Versorgung von pflegebedürftigen älteren Menschen trägt europaweit üblicherweise die Familie die Hauptlast der Pflegearbeit. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung steigt der Bedarf an Pflegearbeit, zumal die Gruppe der über 80-Jährigen um einiges rascher anwächst als die Gruppe der über 65-Jährigen insgesamt (OECD 1996, S. 15). Da Behinderungen nach dem 75. Lebensjahr zunehmen, ist der wachsende zukünftige Pflegemehrbedarf abzusehen. Der größte Teil der familialen Pflegearbeit wird heute von älteren Ehefrauen und Ehemännern geleistet, wobei – aufgrund der unterschiedlichen Lebenserwartung und weil sich Frauen im Alter länger selbstständig versorgen können als Männer – in der Regel mehr Ehefrauen ihre Ehemänner pflegen als umgekehrt. Aber angesichts der Tatsache, dass der Anteil der allein lebenden Älteren steigt, vor allem auch in den höheren Altersgruppen, scheint die zukünftige Deckung der Versorgung durch EhepartnerInnen fraglich. Andererseits wird familiale Pflege auch von weiblichen Verwandten, hauptsächlich Töchtern und Schwiegertöchtern, erbracht; jedoch auch diese „Pflegereserve“ erscheint für die Zukunft nicht ausreichend: „Where spouses are not available or able to help, female children have in the past been the most common source of informal care. This, of course, reflected an economic environment with low female participation rates and relatively fewer people surviving to an age such that they require help. Demographic and labour market trends mean that the situation in future will be more complex. Female labour force participation has risen rapidly. Fewer women will be in a position to offer informal help and there will be many more in the age groups most likely to need help.“ (OECD 1998, S. 11)

Ob der zukünftige Pflegebedarf von der Familie abgedeckt werden kann, hängt deshalb von der Verfügbarkeit jüngerer Altersgruppen für die bzw. deren Bereitschaft zur Familienpflege ab. Diese potenziellen pflegenden Angehörigen sind

2. Funktionalistische Ansätze

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aber gleichzeitig potenzielle Erwerbspersonen und werden, ähnlich wie im Fall der Kinderbetreuung, mit dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf konfrontiert werden, vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden weiblichen Erwerbstätigkeit. Altenpflegepolitik kann als eine Reaktion auf diese Problem­ lagen interpretiert werden.

b) Politisch-ökonomische Funktionszusammenhänge Ein weiterer funktionalistischer Erklärungsfaktor, der auch auf die Familienpolitik zutrifft, ist der Verweis auf „günstige“ bzw. „restriktive“ ökonomische Rahmenbedingungen, unter denen sozialpolitische Entscheidungen getroffen werden. Dabei wird ein Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und der sozial­ politischen Entwicklung konstatiert: Die Großzügigkeit des Wohlfahrtsstaats hänge entscheidend davon ab, ob er sich diese „leisten“ kann. Der Ausbau von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken wäre aus dieser Perspektive nur möglich, wenn genügend Ressourcen dafür vorhanden sind, die (prognostizierte) gesamtwirtschaftliche Entwicklung also positiv verläuft. Zumindest wäre ein derartiger Ausbau aus politisch-ökonomischer Sicht nur in wirtschaftlich guten Zeiten anzuraten, denn Sozialausgaben, die in Relation zum Wirtschaftswachstum als zu hoch gelten, würden die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit des Staates einschränken. Wenn sich der Wohlfahrtsstaat „übernimmt“, verengt er seine zukünftigen Handlungsspielräume und schwächt die politische Handlungsautonomie zukünftiger Generationen. Mit dieser Argumentation könnte beispielsweise Nicht-Handeln im Bereich der Kinderbetreuungsoder Altenpflegepolitik erklärt werden oder auch die Entscheidung für „kosten­ günstige“ Maßnahmen: „Growing fiscal pressures have shaped care leave policies as well. While care benefits entail increased government spending, they often serve the needs of more people, more quickly, than expensive public child care centers.“ (Morgan/Zippel 2003, S. 62)

Ähnliches gilt für die Einführung von „payments for care“ im Bereich der Angehörigenpflege: Sie sind in der Regel „billiger“ als der Ausbau von ambulanten oder – noch teurer – stationären Pflegedienstleistungen. „Provided that the level of financial support given is not high and does not approximate to market rates for paid care labour, then informal care represents a cheaper solution to long term care needs than any other.“ (McLaughlin/Glendinning 1994, S. 53)

Erklärungsbedürftig bleibt, warum es in Zeiten der Mittelknappheit überhaupt zu einem Ausbau im Bereich der Kinderbetreuungs- und der Altenpflegepolitik kommt oder warum nicht immer auf die kostengünstigeren Maßnahmen gesetzt wird. Aus einer neo-marxistisch inspirierten funktionalistischen Perspektive kann diesbezüglich argumentiert werden, dass Kinderbetreuungs- und Altenpflege­

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II. Theoretische Überlegungen 

politiken für das Funktionieren der Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind (vgl. Leitner 2007b). So können etwa de-familisierende Vereinbarkeitspolitiken mittel- und langfristig als Instrument zur Prävention der prognostizierten Arbeitskräfteknappheit eingesetzt werden: Zum einen ermöglichen sie Eltern und pflegenden Angehörigen die Partizipation am Arbeitsmarkt, zum anderen begünstigen sie im Bereich der Kinderbetreuung die Entscheidung für Kinder und sichern somit – im Idealfall – das „Nachwachsen“ von zukünftigen Arbeitskräften. Damit diese zukünftigen Arbeitskräfte von Anfang an entsprechend gefördert und zu produktiven Gesellschaftsmitgliedern werden, ist die Kinderbetreuungspolitik gefordert, den neuen Anforderungen im Übergang zur postindustriellen Gesellschaft gerecht zu werden: „… early childhood education and care are necessary to lay the foundation for subsequent lifelong skill acquisition, a requisite for effective participation in the emergent knowledgebased economy and society.“ (Mahon 2002, S. 345)

De-Familisierung im Bereich der Kinderbetreuung erfüllt somit drei Funktionen: Sie fördert die Elternerwerbstätigkeit und sichert sowohl die Quantität als auch die Qualität des zukünftigen Arbeitskraftangebots. Zudem schaffen defamilisierende Maßnahmen – in der Kinderbetreuung wie in der Altenpflege – Arbeitsplätze. Der Ausbau des (sozialen) Dienstleistungsbereichs gilt sogar als die tragende Säule einer postindustriellen Wachstums- und Vollbeschäftigungsstrategie (vgl. Esping-Andersen 1999). Aus dieser Perspektive lohnt sich langfristig die Investition in die „kostspieligeren“ de-familisierenden Maßnahmen der Kinder­ betreuungs- und Altenpflegepolitik. Eine funktionalistische Sichtweise legt somit nahe, Erklärungen für die Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in sozial-strukturellen Veränderungen sowie in ökonomischen Rahmenbedingungen und Funktionserfordernissen zu suchen. 3. Kulturalistische Ansätze Kulturalistische Erklärungsansätze beschäftigen sich mit den kulturellen Voraussetzungen des Wohlfahrtsstaats. Die Grundannahme lautet, dass sich wohlfahrtsstaatliche Politik vor dem Hintergrund bestimmter gesellschaftlicher Werthaltungen entwickelt, die sich in der konkreten Ausgestaltung der Sozialpolitik widerspiegeln. Für den Bereich der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik werden in diesem Sinne gesellschaftlich-kulturelle Leitbilder hinsichtlich einer „idealen“ Kinderbetreuung bzw. Altenpflege als Basis für die Politikentwicklung betrachtet. Hochschild (1995) unterscheidet vier „ideal models of care“: Das traditionelle Modell entspricht dem männlichen Ernährermodell, in dem ausschließlich die nicht erwerbstätige Ehefrau für Angehörigenpflege und Kinderbetreuung zustän-

3. Kulturalistische Ansätze

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dig ist. Im postmodernen Modell sind Frauen erwerbstätig und durch die Familienarbeit, für die sie immer noch zuständig erklärt werden, doppelt belastet. Im „coldmodern model“ hingegen dominiert die institutionalisierte Pflege und Betreuung, während sich im „warm-modern model“ institutionelle und familiale Pflege- und Betreuungsarbeit ergänzen, wobei diese partnerschaftlich sowohl von Frauen als auch von Männern geleistet wird. Angesichts dieser Überlegungen wird deutlich, dass den jeweiligen „idealen“ Modellen je spezifische Geschlechter- und Familienleitbilder zugrunde liegen. Hochschild geht dabei von einer Entwicklung vom traditionellen über das postmoderne zum „cold-modern“ oder „warm-modern“ Modell aus und damit von einer historischen Transformation der dominierenden Geschlechter- und Familienleitbilder. Pfau-Effinger (2005) erweitert diese Analyse, indem sie „family values“ und „welfare values“ unterscheidet. „Family values“ transportieren Vorstellungen über die Rolle der Familie in der Kinderbetreuung und Altenpflege, über die inner­ familiale Arbeitsteilung sowie über eine „gute“ Kindheit. „Welfare values“ hingegen beziehen sich in Anlehnung an die Drei-Welten-Typologie von Esping-­ Andersen (1990) auf die unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Leitbilder: Die Rolle des Staates kann als liberaler „Nachtwächterstaat“ oder Garant staatsbürgerlicher Gleichheit oder Bewahrer von Statusunterschieden angelegt sein. Hinsichtlich der Entwicklung von „family values“ in acht europäischen Ländern während der 1980er und 1990er Jahre arbeitete Pfau-Effinger zwei historische Entwicklungspfade heraus: (1) Zum einen gibt es Länder, die bis weit in die 1960er Jahre hinein vom männ­ lichen Ernährermodell bestimmt wurden, welches mit der Auffassung kor­ reliert, dass Kinder insbesondere die mütterliche Zuwendung im privaten Haushalt brauchen. Der kulturelle Widerspruch zwischen der Vorstellung von der Autonomie und Gleichheit der Individuen in modernen Industriegesellschaften und den Ungleichheits- und Abhängigkeitsstrukturen des Hausfrauenmodells führte schließlich zu einer Transformation der „family values“. Das männliche Ernährer- bzw. Hausfrauen-Modell wurde entweder durch das „male breadwinner/female part-time carer“-Modell abgelöst, in dem Frauen als Teilzeit-Erwerbstätige und Teilzeit-Familienarbeitende konzipiert sind, oder durch das „dual breadwinner/dual carer“-Modell, in dem Männer wie Frauen Teilzeit-Erwerbstätige und Teilzeit-Familienarbeitende sind. In beiden Modellen spielt die Betreuung der Kinder durch die Eltern weiterhin eine zentrale Rolle. (2) Zum anderen gibt es Länder, in denen bereits früh ein „dual breadwinner/exter­ nal childcare“-Modell vorherrschte, in dem Männer wie Frauen Vollzeit erwerbstätig sind und Kinderbetreuung familienextern erfolgt. Je nach Land ist dieses Modell unterschiedlich stark mit geschlechteregalitären Vorstellungen verbunden.

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II. Theoretische Überlegungen 

Wohlfahrtsstaatliche Politik, so das Argument, setzte die jeweils vorherrschenden „family values“ um, wobei es durchaus länderspezifische Unterschiede gab, die wiederum durch die „welfare values“ beeinflusst wurden. Während bei Pfau-Effinger „family values“ auf „welfare values“ treffen, die wie ein Filter für die sozialpolitische Umsetzung der Familienleitbilder wirken, versteht Kremer (2007) „ideals of care“ stärker als integralen Teil von Wohlfahrtsstaaten: „These ideals of care are embedded in welfare states and their regulations, laws, and implementation processes. Each welfare state promotes specific ideals of care, which change over time.“ (ebd., S. 243)

Konkret unterscheidet sie – aus ihrer empirischen Untersuchung von vier Ländern abgeleitet – zwischen fünf realtypischen „ideals of care“: dem Modell der Vollzeit-Mutter, dem Modell der geteilten Elternschaft, dem Modell der intergenerationellen wechselweisen Kinderbetreuung und Altenpflege, dem Modell der „Ersatzmutter“ und dem Modell der professionellen Kinderbetreuung. In den fünf Modellen wird jeweils eine konkrete Praxis der Kinderbetreuung abgebildet: familiale Betreuung durch die Mutter, familiale Betreuung durch die Mutter und den Vater, familiale Betreuung durch die Großmutter im Austausch für das Versprechen zukünftiger familialer Pflege durch die (Schwieger-)Tochter, Betreuung durch eine „Ersatzmutter“ (z. B. Tagesmutter) im Privathaushalt, institutionelle Betreuung durch eine professionelle Erzieherin (ebd., S. 72 f.). Kremer konnte zeigen, dass in allen vier untersuchten Ländern historisch betrachtet das Modell der Vollzeit-Mutter von anderen „ideals of care“ abgelöst wurde. Dieser Prozess beinhaltete, dass das zunächst vorherrschende und sozialpolitisch institutionalisierte Modell der Vollzeit-Mutter die Lebensrealität von Müttern nicht mehr hinreichend abdeckte. In dieser „Krise“ des Auseinanderklaffens zwischen institutionalisiertem Ideal und gelebter Betreuungssituation konkurrierten unterschiedliche „ideals of care“ miteinander. Schließlich kam es zur sozialpolitischen Institutionalisierung eines neuen kulturellen Leitbilds. Neben der bedeutenden Rolle, die Geschlechter- und Familienleitbilder für die Kinderbetreuung und Altenpflege spielen, können auch noch andere Wertvorstellungen bzw. deren Wandel zur Politikentwicklung in diesen Bereichen beitragen. So argumentiert z. B. Jensen (2007), dass diejenigen Länder, in denen die Bildungsfunktion der Kinderbetreuung im Vordergrund steht, eher zum Ausbau der Kinderbetreuung neigen als Länder, deren Kinderbetreuungspolitik von einem sozial-pädagogischen Betreuungsparadigma geprägt ist. Analog könnte man für den Bereich der Altenpflege argumentieren, dass die Abkehr vom alten Paradigma der stationären Versorgung von Pflegebedürftigen zum Ausbau von ambulanten Versorgungsstrukturen und zur Einführung von „payments for care“ geführt hat, die dem neuen Paradigma folgen, welches älteren Menschen so lange wie möglich das Wohnen zu Hause ermöglichen möchte (vgl. Ungerson 1995, S. 39–41). Inwiefern

4. Akteurszentrierte Ansätze

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in diesem Fall der „Wertewandel“ – von stationärer Pflege zur Pflege zu Hause – eher auf ökonomischen und nicht auf kulturellen Werthaltungen beruht, muss an dieser Stelle offen bleiben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für die Entstehung und Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken kulturelle Leitbilder eine Rolle spielen. Dies betrifft neben den Geschlechter- und Familienleitbildern auch spezifische Leitvorstellungen zur Zielsetzung bzw. Ausrichtung der beiden Politikbereiche. 4. Akteurszentrierte Ansätze Akteurszentrierte Ansätze beschäftigen sich mit der Bedeutung von politischen Akteuren im Politikprozess. Sie gehen davon aus, dass soziale Probleme von unterschiedlichen Akteuren unterschiedlich gelöst werden und dass die Umsetzung bestimmter kultureller Leitbilder mit der Stärke von bestimmten politischen Akteursgruppen in Zusammenhang steht. Für die Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik stellt sich die Frage, welche politischen Akteure welche Interessen in diesen Politikfeldern vertreten. a) Parteien Von Parteien ist anzunehmen, dass sie die familienpolitischen Interessen ihrer Klientel ideologisch bündeln und je nach politischer Durchsetzungsmacht (­Regierungspartei oder Oppositionspartei, Alleinregierung oder Koalitionszwang) und politischer Dringlichkeit der Thematik umzusetzen versuchen. Es scheint zunächst plausibel, dass auch in der Familienpolitik vor allem die klassischen „Sozialstaatsparteien“, nämlich die Sozialdemokratie und die Christdemokratie, tätig werden. Eine quantitative Vergleichsstudie bestätigte dies jedoch nur teilweise: Wilensky (2002, S. 263–290) entwickelte einen Familienpolitik-Index, der – neben Regelungen zum flexiblen Rentenantritt, die als Indikator für flexible Arbeitszeitregelungen herangezogen wurden – auch Regelungen zum Mutterschutz und zu Erziehungszeiten sowie die Höhe der öffentlichen Ausgaben für Kinderbetreuung beinhaltete. Danach berechnete er den Einfluss unterschiedlicher sozial-struktureller und politischer Faktoren auf die Ausprägung des Familienpolitik-Indexes für die 19 reichsten OECD-Länder im Vergleich. Sein zentrales Ergebnis lautet, dass es zwei unterschiedliche Wege zu einer „innovativen und expansiven“2 Familien-

2

Die Wertung ist dabei durchaus mit Vorsicht zu genießen, da Wilensky z. B. diejenigen Erziehungszeit-Regelungen am höchsten bewertet, die bezahlt sind und lange Zeiträume umfassen. Ein langer Erwerbsausstieg hat in der Regel aber negative Effekte für die Arbeitsmarktpartizipation von Eltern (vgl. Kapitel I.).

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II. Theoretische Überlegungen 

politik gebe: (1) Linke Parteien fördern – im Gegensatz zu christdemokra­tischen Parteien – die Frauenerwerbstätigkeit und in der Folge auch den Ausbau der Familienpolitik. (2) Korporatistische Strukturen begünstigen den Ausbau der Familienpolitik. Sowohl die Sozialdemokratie als auch die Christdemokratie neigen zu korporatistischen Verhandlungssystemen, was zu einer ambivalenten Rolle der Christdemokratie in der Familienpolitik führt: „… the negative Catholic influence on women working is overcome by the consensus-making machinery that produces family policy.“ (Wilensky 2002, S. 281)

Implizit unterstellt Wilensky damit, dass christdemokratische Parteien kein ausgeprägtes Eigeninteresse an familienpolitischen Maßnahmen haben, da in seinem Analysemodell Familienpolitik ausschließlich als Vereinbarkeitspolitik konzipiert ist. Er übersieht dabei aber, dass gerade die Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik für christdemokratische Parteien durchaus ein interessantes Handlungsfeld sein kann, wenn die politischen Maßnahmen entsprechend familialistisch orientiert sind und die Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern unterstützen. In Abgrenzung zu Wilensky könnte also durchaus beiden Sozialstaatsparteien ein Interesse an Familienpolitik unterstellt werden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es parteipolitische Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik gibt, ob also grundlegende ideologische Differenzen zwischen Sozialdemokratie und Christdemokratie diesbezüglich feststellbar sind. Idealtypisch könnten diametral entgegen gesetzte Geschlechter- und Familienideologien und damit unterschiedliche Forderungen hinsichtlich der Aufgaben der Familie in der Kinderbetreuung wie in der Altenpflege unterstellt werden. Idealtypisch würde eine sozialdemokratische Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik die Erwerbstätigkeit von Eltern und pflegenden Angehörigen unterstützen, indem Kinderbetreuungseinrichtungen sowie die stationäre und ambulante Pflege ausgebaut werden. Erziehungsgeld und Pflegegeld wären so ausgestaltet, dass sie nicht zu einem langfristigen Ausstieg von Eltern oder pflegenden Angehörigen aus der Erwerbsarbeit führen. Das Primat der allgemeinen Erwerbstätigkeit wäre – ganz im Sinne eines „adult worker“-Modells – politikbestimmend. Eine christdemokratische Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik hingegen würde idealtypischer Weise die Betreuungs- und Pflegefunktion der Familie betonen. Erziehungsgeld- und Pflegegeld dienten dem Ziel, die Nicht-Erwerbstätigkeit von betreuenden und pflegenden Familienmitgliedern – wie sie im traditionellen Ernährermodell angelegt ist – anzuregen und zu ermöglichen. Bislang gibt es nur wenige Untersuchungen darüber, ob die parteipolitische „Färbung“ der Regierung tatsächlich einen Unterschied hinsichtlich der Art der eingeführten Maßnahmen in der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik macht. Morgan und Zippel (2003) kommen in ihrer vergleichenden qualitativen Studie der Kinderbetreuungspolitik in 13 westeuropäischen Ländern zu dem Ergebnis, dass

4. Akteurszentrierte Ansätze

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„center and conservative parties have been the main advocates of child care leave and benefit policies and they have implemented these policies when in power. Yet while these parties have been the most vocal champions of paid care leaves, the left often has acceded either tacitly or actively to these policies.“ (Morgan/Zippel 2003, S. 58 f.)

Dieses Nachziehen der Sozialdemokratie in punkto bezahlter Erziehungszeiten bleibt erklärungsbedürftig; ebenso der Ausbau von institutioneller Kinderbetreuung unter christdemokratischen Regierungen. Laut Morgan (2003, S. 286 f.) muss bei letzteren unbedingt zwischen säkularisierten und nicht säkularisierten Parteien unterschieden werden, denn politische Säkularisierung stelle die entscheidende Bedingung dar, damit die traditionelle Geschlechter- und Familienideologie in der Kinderbetreuungspolitik aufgegeben wird. Die Ergebnisse der Studie lassen jedenfalls Zweifel an der oben vorgenommenen idealtypischen Zuordnung von Geschlechter- und Familienideologien aufkommen. Genauso wenig wie alle christdemokratischen können auch nicht alle sozial­ demokratischen Parteien über einen Kamm geschoren werden, wenn es um ihre Geschlechter- und Familienideologie geht. Insofern wären die obigen generalisierend formulierten idealtypischen Politikprofile in konkreten Fallstudien zu überprüfen. Zu bedenken ist zudem, dass Parteien ihre ideologische Ausrichtung im historischen Zeitablauf verändern können. Eine historische Fallstudie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten im österreichischen Rentensystem konnte detailliert zeigen, dass sozial-strukturelle Veränderungsprozesse zu einer veränderten Geschlechterideologie sowohl der Sozial- als auch der Christdemokratie geführt haben (Leitner 2002). Historisch betrachtet ist zu vermuten, dass auch die Sozialdemokratie zunächst mit einer idealtypisch „konservativen“ Geschlechter- und Familienideologie ausgestattet ist, welche sich erst allmählich in Richtung Geschlechteregalität wandelt. Bothfeld (2005) spricht hier in Bezug auf die Familienpolitik der SPD von einem Prozess des politischen Lernens: Das gleichstellungspolitische Überzeugungssystem der Akteure habe sich verändert und führte damit auch zu einer Änderung der Erziehungsurlaubsregelung. Aber auch die Christdemokratie kann sich diesen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen langfristig möglicherweise nicht entziehen, so dass die Unterschiede zwischen sozialund christdemokratischen Parteien in der Kinderbetreuungs- und Altenpflege­ politik weder historisch noch aktuell besonders groß sein müssen.

b) Interessenskoalitionen Geht man davon aus, dass die politische Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemlagen nicht nur durch Parteien, sondern auch durch andere organisierte Interessen stattfindet, stellt sich zunächst die Frage, welche Interessengruppen sich abseits der Parteien der Themen Kinderbetreuung und Altenpflege annehmen. Betrachtet man zunächst das Politikfeld der Kinderbetreuung, so ist von einer extrem heterogenen Gruppe von „Interessierten“ auszugehen: Auf der einen Seite stehen

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II. Theoretische Überlegungen 

Eltern, Gewerkschaften und – zunehmend (s. o.) – auch Arbeitgeber, die Kinderbetreuung als Vereinbarkeitspolitik verstehen, auf der anderen Seite wird Kinderbetreuung von ErzieherInnen und PädagogInnen auch als Bildungspolitik verstanden. Die Erfüllung beider Funktionen, Betreuung und Bildung, schreiben sich wiederum die Anbieter von Betreuungseinrichtungen auf die Fahnen. Frauenorganisationen vertreten je nach ideologischer Ausrichtung Kinderbetreuung als Vereinbarkeits- oder Familienpolitik, und schließlich mischen auch die (selbsternannten) „Wächter des Kindeswohls“ mit, die allein die familiale Kinderbetreuung als gesellschaftlich wertvoll betrachten und oftmals in konservativen Parteien beheimatet sind. Sie koalieren zum Teil mit Natalisten, die in der Kinderbetreuungs­ politik ein Mittel zur Steigerung der Geburtenrate sehen. Für das Politikfeld der Altenpflege stellen sich die Interessenlagen etwas übersichtlicher dar: Zum einen können die Pflegebedürftigen und ihre Familien als Betroffene identifiziert werden, die auf die professionelle Abdeckung der Pflegebedarfe und/oder die Unterstützung familialer Pflegearrangements drängen. Zum anderen sind die Anbieter von Pflegedienstleistungen zu nennen, die ein vitales Eigeninteresse an der Entwicklung der Altenpflegepolitik haben dürften. Hinzu kommen diejenigen, die einen großen Teil der aufgrund der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft steigenden Kosten der Altenpflege tragen, nämlich wohlfahrtsstaatliche Institutionen wie beispielsweise die Träger der Sozialhilfe oder (Sozial-)Versicherungen. Nicht alle an der Kinderbetreuungs- oder Altenpflegepolitik Interessierten sind als Gruppe organisiert, insbesondere die Zielgruppen der Politiken – nämlich Eltern und Kinder bzw. Pfegebedürftige und pflegende Angehörige – sind in aller Regel unorganisiert.3 Ihr Einfluss auf die Politik bleibt deshalb zumeist auf die Wahrnehmung ihres passiven politischen Wahlrechts beschränkt. Organisierte Interessensgruppen hingegen können auf andere Art und Weise politischen Druck erzeugen. Gerade weil Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik keine klassischen Profilierungsbereiche der Sozialstaatsparteien sind und sie auf der politischen Agenda der Regierungsparteien zumeist nicht an vorderster Stelle stehen, könnten organisierte Interessen außerhalb von Parteien eine Rolle für die Entwicklung dieser Politikfelder spielen. Die vergleichende Studie von Kremer (2007) konnte zeigen, dass die Bildung von strategischen Interessenkoalitionen entscheidend für die sozialpolitische Institutionalisierung von neuen „ideals of care“ waren: Welches Idealmodell sich durchsetzen konnte, hing davon ab, welches Paradigma über das beste politische Netzwerk, eine so genannte „advocacy coalition“, verfügte. Diese themenbezogenen Netzwerke waren von gemeinsamen Überzeugungen geprägt und hatten auch

3 Die Interessen von Eltern und pflegenden Angehörigen werden auch von den Gewerkschaften bislang nur am Rande thematisiert.

4. Akteurszentrierte Ansätze

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einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. Insbesondere die Frauen­bewegung stellte eine wichtige „advocacy coalition“ in der Kinderbetreuungspolitik dar (ebd., S. 79–82).

c) Supranationale Akteure Seit Mitte der 1990er Jahre wurden Kinderbetreuung und Altenpflege zu­ nehmend von der OECD und der EU als Politikfelder „entdeckt“. Als supranationale Organisationen sind sie Teil des politisch-institutionellen Systems und üben Einfluss auf nationale Politikprozesse aus, indem sie Empfehlungen zu den beiden Politikfeldern aussprechen. Im Bereich der Altenpflege warnte die OECD (1996; 1998) vorwiegend vor der wachsenden Schere zwischen einer steigenden Pflegenachfrage und einem Rückgang der Pflegefunktion der Familie, zudem stellte sie die Pflegepolitiken einzelner Länder gegenüber (1998; 2005), ohne jedoch eine klare politische Empfehlung für eine bestimmte „best practice“ abzugeben. Die Ländervergleiche zeigen zwar, dass es einen gemeinsamen internationalen Trend gibt, der sich aus dem Zusammenspiel von humanitären und finanzpolitischen Motiven begründet: Pflegebedürftigen soll so lange wie möglich der Verbleib in ihrer gewohnten Umgebung ermöglicht werden. Auf welchem Wege, d. h. mit welchen Maßnahmen der Altenpflegepolitik diese Zielsetzung erreicht wird, bleibt höchst unterschiedlich und wird von der OECD auch nicht normativ bewertet. Insofern macht die OECD darauf aufmerksam, dass politischer Handlungsbedarf in der Altenpflegepolitik besteht und gibt durch das Aufzeigen eines internationalen Trends eine Orientierungshilfe für die nationale Politikentwicklung. Im Vergleich dazu erfuhr der Bereich der Kinderbetreuung sowohl von der OECD als auch von der EU stärker politisch-normativ orientierte Aufmerksamkeit. Zum einen hat sich die OECD des Themas „Frühkindliche Erziehung und Betreuung“ („Early Childhood Education and Care“) angenommen, um die Entwicklung dieses Politikfeldes ländervergleichend zu dokumentieren (OECD 2001a; 2006) und die Bedeutung frühkindlicher Bildung für den späteren Bildungserfolg aufzuzeigen. Letzterer wurde in etwa zeitgleich durch die so genannte PISA-Studie (OECD 2001b; 2004; 2007a) erhoben, deren Ergebnisse in den schwächer abschneidenden Ländern einen „PISA-Schock“ auslösten und zu beträchtlichem politischen Handlungsdruck führten. Zusätzlich beschäftigte sich die OECD aus der Vereinbarkeitsperspektive mit dem Thema Kinderbetreuung. In ihrer „Babies and Bosses“-Serie wurden die Vereinbarkeitspolitiken von insgesamt 13 Ländern analysiert und die Bedeutung der Kinderbetreuung für die Erwerbstätigkeit von Eltern hervorgehoben (vgl. OECD 2007b). Die OECD thematisiert auch hier wieder, dass politischer Handlungsdruck bestehe, und gibt zudem ganz klare Orientierungshilfen für die nationale Politikentwicklung: Von Nöten sei der Ausbau der Kinderbetreuung, um den Bildungserfolg der nachwachsenden Generation zu sichern und die Erwerbstätigkeit von Eltern zu ermöglichen.

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II. Theoretische Überlegungen 

Zum anderen lässt sich das politische Ziel der Erwerbstätigkeit beider Elternteile im Sinne des „adult worker“-Modells auch in der EU Beschäftigungs­politik feststellen (vgl. Lewis/Giullari 2005). So sprach der Europäische Rat im Jahr 2000 die Empfehlung aus, die durchschnittliche EU-Frauenerwerbsquote bis zum Jahr 2010 von damals 51 % auf über 60 % anzuheben. Im Jahr 2002 formulierten die Europäische Kommission wie auch der Europäische Rat im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie gemeinsame Zielsetzungen für den Ausbau der Kinderbetreuung: Bis 2010 sollen mindestens 90 % der Drei- bis Sechsjährigen sowie mindestens 33 % der unter Dreijährigen über einen Betreuungsplatz verfügen. Es scheint vor diesem Hintergrund plausibel, dass nationale Kinderbetreuungs­ politiken seit Ende der 1990er Jahre zunehmend von den politischen Zielvorstellungen supranationaler Organisationen beeinflusst wurden. Der Blick auf politische Akteure fokusiert in Bezug auf die Kinderbetreuungsund Altenpflegepolitik somit sowohl auf die Sozialstaatsparteien als auch auf themenbezogene Netzwerke von organisierten Interessen sowie auf die OECD und die EU als supranational agierende Akteure.

5. Institutionalistische Ansätze Von den institutionalistischen Erklärungsansätzen scheinen insbesondere diejenigen interessant für die Erklärung der Entstehung und Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik, die den unterschiedlichen Institutionen des politischen Systems eine mögliche entscheidende Rolle für den Politikprozess zuschreiben. Es geht dabei zum einen um die Wirkung von politisch-institutionellen Barrieren wie z. B. das Vetorecht einer zweiten Kammer, die föderale Kompetenzverteilung, konkordanz-demokratische Entscheidungsstrukturen oder die Gewaltenteilung im präsidentiellen System. Diese Institutionen des politischen Systems können von politischen Akteuren benutzt werden, um einzelne politische Vor­haben kurzfristig zu blockieren oder mittelfristig zu verhindern. Vor allem dann, wenn es – wie in der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik – um stark umstrittene Gesetzesvorhaben geht, spielen diese „Bremsmöglichkeiten“ eine Rolle im Politikprozess. So war zum Beispiel das Schweizer Volk erst 2004 bereit, einem bezahlten Mutterschaftsurlaub von 16 Wochen zuzustimmen. Das direktdemokratische Verfahren hatte den bereits 1945 erteilten Verfassungsauftrag zur Einführung einer derartigen Leistung fast 60 Jahre lang immer wieder scheitern lassen (vgl. Reinmann 2004). Zum anderen können bestimmte Institutionen des politischen Systems auch als Motoren der Politikentwicklung wirken. So wird dem deutschen Bundesverfassungsgericht beispielsweise eine tragende Bedeutung für die Entwicklung der Familienpolitik zugesprochen (vgl. Gerlach 2000). Durch politisch-institutionelle Strukturen lassen sich vor allem Besonderheiten der Politikentwicklung wie etwa der Zeitpunkt oder die Sequenzierung der Einführung einzelner Kinderbetreuungs- oder Altenpflegepolitiken erklären.

6. Erklärungsfaktoren für die Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik 

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Aber auch der Wohlfahrtsstaat selbst wirkt als Institution auf die Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken ein. Sozialpolitische Entscheidungen der Vergangenheit können als Politik-Erbe die Richtungsentscheidungen der Zukunft beeinflussen, wenn beispielsweise der Ausbau in einem Bereich den finanziellen Handlungsspielraum in einem anderen Bereich einschränkt. Es kann zu Rückkopplungseffekten kommen, wenn z. B. der Ausbau von Kinderbetreuung die Müttererwerbsquote weiter steigen lässt und noch mehr Bedarf an Kinderbetreuung entsteht. Einmal eingeschlagene Pfade sind dadurch oft schwer zu wechseln. Als Erklärungsfaktoren können somit auch bestimmte Institutionen des politischen Systems und die historisch gewachsenen Strukturen des Wohlfahrtsstaates selbst von Bedeutung sein. 6. Erklärungsfaktoren für die Kinderbetreuungsund Altenpflegepolitik Der Durchgang durch die gängigen Erklärungsansätze für wohlfahrtsstaatliche Entwicklung macht deutlich, dass für die Politikfelder der Kinderbetreuung und der Altenpflege zunächst sozialstrukturelle Faktoren – die steigende Frauen- bzw. Müttererwerbstätigkeit, veränderte Familienformen und die demographische Entwicklung – zur Auslösung von politischem Problemdruck führen dürften. Dieser trifft wiederum auf restriktive ökonomische Rahmenbedingungen, die den Handlungsspielraum von politischen Akteuren einengen. Allerdings kommt der Kinderbetreuungs- und der Altenpflegepolitik auch eine unterstützende Funktion für die Volkswirtschaft zu, wodurch ihre Legitimität außer Zweifel gestellt wird. Es muss etwas geschehen, wenn auch die Mittel knapp sind: So könnte man die Argumentation zuspitzen. Was aber geschieht, hängt sodann von den vorherrschenden gesellschaftlichkulturellen Leitbildern zur Kinderbetreuung und Altenpflege ab, wobei hier insbesondere den Geschlechter- und Familienleitbildern eine bedeutende Rolle zukommt. Die politischen Akteure sind wiederum für die konkrete Umsetzung dieser Leitbilder in politische Maßnahmen verantwortlich. Dabei scheint es weniger um die Frage der politischen Färbung der Regierungspartei zu gehen, sondern vielmehr um die Durchsetzungsfähigkeit von inhaltlichen Interessenkoalitionen. Die Zusammensetzung dieser Interessenkoalitionen stellt sich für die Kinder­betreuungspolitik anders dar als für die Altenpflegepolitik, in jedem Fall aber teilen die Akteure der jeweiligen Interessenkoalition gemeinsame kulturelle Leit­bilder. Diese werden wiederum auch durch Empfehlungen supranationaler Akteure beeinflusst. Ob sich Interessenkoalitionen durchsetzen können, hängt schließlich auch von den politisch-institutionellen Rahmenbedingungen ab. Diese zwingen unter Umständen zu Kompromissen oder geben – im Sinne einer pfad­ abhängigen Entwicklung – bestimmte Gestaltungsprinzipien vor.

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II. Theoretische Überlegungen 

Im Rahmen der Rekonstruktion der Entwicklung der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in Österreich, Deutschland, Frankreich und Belgien (Kapitel III. – IV.) soll auf die möglichen Erklärungsfaktoren für die einzelnen Fallgeschichten geachtet werden. In einem synthetisierenden Schlusskapitel (Kapitel VIII.) werden die empirischen Erkenntnisse aus den Fallstudien zusammengeführt und vor dem Hintergrund der hier erläuterten theoretischen Überlegungen ana­ lysiert. Es soll herausgearbeitet werden, welche Faktoren für die Entwicklung der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik in konservativen Wohlfahrtsstaaten aus einer historisch vergleichenden Perspektive tatsächlich erklärungsrelevant sind. Tabelle 3 Überblick über mögliche Erklärungsfaktoren Kinderbetreuungspolitik

Altenpflegepolitik

sozial-strukturelle Faktoren Müttererwerbstätigkeit, Familienstruktur, Geburtenrückgang

Frauenerwerbstätigkeit, Familienstruktur, Lebenserwartung

ökonomische Rahmenbedingungen politisch-ökonomische Funktionserfordernisse Erhöhung der Frauenerwerbsquote, Erhöhung der Geburtenrate, Sicherung der Qualität zukünftiger Arbeitskräfte, Schaffung von Arbeitsplätzen

Erhöhung der Frauenerwerbsquote, Schaffung von Arbeitsplätzen

kulturelle Leitbilder Geschlechterleitbild, Familienleitbild, Leitbild der Kinderbetreuung

Geschlechterleitbild, Familienleitbild, Leitbild der Altenpflege

Sozialstaatsparteien inhaltliche Interessenkoalitionen Eltern, Arbeitgeber, ErzieherInnen, PädagogInnen, Trägerorganisationen, Frauenorganisationen, Natalisten, Familialisten

Pflegebedürftige und ihre Familien, An­ bieter von Pflegedienstleistungen, Versicherungen, Sozialhilfeträger

supranationale Akteure Institutionen des politischen Systems Sozialpolitik-Erbe Quelle: Eigene Darstellung.

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 1. Kinderbetreuung: Varianten des expliziten Familialismus In Österreich zeichnet sich das familialistische Profil im Bereich der Kinderbetreuungspolitik bis weit in die 1990er Jahre hinein dadurch aus, dass die Betreuung von Klein- und Kindergartenkindern als – im europäischen Vergleich – unterentwickelt charakterisiert werden muss. Kinderbetreuung ist Familiensache und wurde schon früh durch entsprechende familialistische Politiken gefördert: Zunächst durch abgeleitete Sozialversicherungsansprüche für (Ehe-)Frauen, seit Ende der 1950er Jahre aber bereits durch direkte Transferleistungen für Mütter, die ihre Erwerbstätigkeit zugunsten von Kinderbetreuung unterbrechen. Die Trias von Karenzurlaub, Sonder-Notstandshilfe und rentenrechtlicher Anrechnung von Kindererziehung bestimmte die Entwicklung des expliziten Familialismus in Österreich bis Ende der 1990er Jahre. Zahlreiche kleinere und größere Reformen veränderten immer wieder seine konkrete Ausprägung, nicht aber die Gesamtausrichtung auf ein traditionelles Familienmodell. Erst mit der neuen Mitte-RechtsRegierung setzte eine stärker polarisierende Kinderbetreuungspolitik ein, die zum einen alte konservative Traditionen fortschreibt und zum anderen neue Möglichkeiten in Richtung auf ein modernisiertes Ernährermodell eröffnet.

a) Expliziter Familialismus (fast) von Anfang an: Die frühe indirekte Variante Ähnlich wie in Deutschland war auch in Österreich die institutionelle Kinderbetreuung bis weit in die 1970er Jahre hinein nur schwach entwickelt. Krippen für unter Dreijährige – die erste wurde 1849 gegründet – galten zunächst als reine Pflegeanstalten und kamen nur in Notfällen, beispielsweise bei verwahrlosten Kleinkindern, zum Einsatz (Fix 2001, S. 75). In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden auch die ersten Kinderbewahranstalten für Kinder der Arbeiterklasse und die ersten Kindergärten für Kinder wohlhabender Schichten, die nicht nur auf die Beaufsichtigung von Kindern gerichtet waren, sondern auch pädagogische Zielsetzungen verfolgten. Diese institutionelle Zweiteilung wurde in den 1920er Jahren aufgehoben, d. h. die Kinderbewahranstalten wurden in Kinder­ gärten umgewandelt. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1939 unterstanden die Einrichtungen wie in Deutschland der Nationalsozialis-

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

tischen Volkswohlfahrt (Fix 2001, S. 72 f.). Das Angebot an Betreuungsplätzen blieb jedoch gering. Erst im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung (BMUJF 1999b, S. 87), die Versorgungsquoten lagen aber 1960/61 bei nur 19 % für Kinder im Kindergartenalter und noch 1970 bei nur 1,4 % für die unter Dreijährigen (Fix 2001, S. 74 f.). Gleichzeitig kam es in Österreich, das wie Deutschland als Pionier hinsichtlich der Einführung von Sozialversicherungen gilt, auch sehr früh zur Institutionalisierung von abgeleiteten sozialrechtlichen Ansprüchen für Familienmitglieder. Zuerst wurde 1887 im Rahmen der Unfallversicherung eine Witwenrente in Höhe von 20 % des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen eingeführt. Das Motiv bestand weniger darin, Frauen ein Leben abseits der Erwerbsarbeit zu ermöglichen, sondern die Armenpflege zu entlasten, der die Hinterbliebenen aufgrund des Ausfalls des Haupteinkommensbeziehers anheim zu fallen drohten (Mair­huber 2000, S. 38): „Der Festlegung der Leistungen in der Unfallversicherung lag das Bild einer vollerwerbs­ tätigen Arbeiterfamilie zugrunde, d. h. die Vorstellung, dass die Reproduktion der Arbeiterfamilie durch alle Familienmitglieder getragen wird.“ (Tálos 1981, S. 64)

Die geringe Höhe der Witwenrente weist hier eindeutig auf deren Zuschuss-Funktion hin, so dass zunächst noch von einem impliziten Familialismus ausgegangen werden muss. 1906 folgte die Einführung einer unbedingten Witwenrente in Höhe der Hälfte der Rente des Verstorbenen im Rahmen des Pensionsgesetzes für Privatbeamte. Interessanter Weise hatte ab 1920 auch die Lebensgefährtin eines Privatbeamten (sprich: Angestellten) Anspruch auf eine Witwenrente, wenn keine anspruchs­ berechtigte Witwe vorhanden war. Allerdings wurde der Anspruch der Lebens­ gefährtin 1926 auf eine Abfertigungszahlung beschränkt, um Doppelversorgungen zu vermeiden (Hofmeister 1981, S. 196 [640]). Für Arbeiterwitwen wurde hingegen weiterhin kein dringender Bedarf für eine existenzsichernde Hinterbliebenenversorgung gesehen: „Vor allem sei es die Witwen- und Waisenversicherung, die für die Arbeiter nicht in Aussicht genommen werden kann, die dagegen für die Hinterbliebenen der Privatbeamten unerläßlich ist, da deren Frauen und Kinder nicht in dem Maße gewöhnt seien, sich ihr Brot im Falle des Verlustes ihres Ernährers selbst zu finden, wie die Frauen und Kinder der Arbeiter.“ (Berichterstatter der Minorität Eldersch in der Parlamentssitzung vom 5.2.1906, zitiert nach Mairhuber 1998, S. 64)

Während also für Ehefrauen (und Lebensgefährtinnen!) von Angestellten von einem bürgerlichen Familienmodell ausgegangen wurde, in dem die nicht erwerbstätige Frau vom männlichen Ernährer lebenslang finanziell abhängig ist, galten die Ehefrauen von Arbeitern prinzipiell als Erwerbstätige, die sich weitgehend selbst versorgen konnten (Mairhuber 2000, S. 77). In einem ersten Schritt

1. Kinderbetreuung

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kann deshalb nur für Angestellte von einer frühen indirekten Form des expliziten Familialismus gesprochen werden. Erst 1949 kam es zu einer Angleichung der Witwenrenten der Arbeiter an die der Angestellten: In beiden Fällen wurde nun eine unbedingte Witwenrente in Höhe von 50 % (seit 1970: 60 %) der Rente des Verstorbenen gewährt (Mairhuber 2000, S. 115).1 In der Krankenversicherung wurde die beitragsfreie Mitversicherung der nicht erwerbstätigen Ehefrau 1917 als freiwillige Mehrleistung der Krankenversicherung eingeführt, seit 1926 (Angestellte) bzw. 1927 (Arbeiter) ist diese Leistung obligatorisch (Hofmeister 1981; Tàlos 1981). Anstelle einer Ehefrau konnte auch die „Wirtschaftsführerin“ (sprich: Lebensgefährtin) des männlichen Versicherten beitragsfrei mitversichert werden.2 Als Wirtschaftsführerin galt jene Person, die seit mindestens acht Monaten ununterbrochen in der Hausgemeinschaft des unmittelbar Versicherten lebte und unentgeltlich die Hauswirtschaft führte. Dadurch erfolgte nicht nur die sozialpolitische Ermöglichung des traditionellen Ernährer­ modells durch die Subventionierung der nicht erwerbstätigen Ehefrau: „Die obligatorische Familienversicherung schuf einerseits eine direkte sozialrechtliche Abhängigkeit der (Ehe-)Frauen von den (Ehe-)Männern und konstatierte andererseits über die Einbeziehung der weiblichen Wirtschaftsführerin einen grundsätzlichen männlichen Bedarf an weiblicher, unbezahlter Hausarbeit. (…) Unbezahlte Hausarbeit wurde grundsätzlich und nicht nur im Falle, daß sie von der eigenen Ehefrau erbracht wird, von der gesamten Versicherungsgemeinschaft subventioniert (…).“ (Mairhuber 2000, S. 77)

Bemerkenswert an dieser österreichischen Variante des frühen (indirekten) expliziten Familialismus ist somit zweierlei: Zum einen die Differenzierung zwischen Angestellten und Arbeitern und zum anderen die partielle Gleichstellung von Ehefrauen mit Lebensgefährtinnen.

1

Seit 1.10.2000 liegt die Witwen/r-Rente zwischen 0 % und 60 % der Pension des/der Verstorbenen. Die Höhe hängt von den Einkommensdifferenzen zwischen den Partnern ab: Hatten beide ein gleich hohes Einkommen, beträgt der Prozentsatz 40 %; war das Einkommen des verstorbenen Partners mindestens dreimal so hoch wie das des überlebenden Partners, beträgt der Prozentsatz 60 %; übersteigt das Einkommen des überlebenden Partners das Einkommen des verstorbenen Partners um das 2,3-fache, entfällt die Witwen/r-Rente zur Gänze. 2 Für mitversicherte Ehegatten/innen und Lebensgefährten/innen sind seit 1.1.2001 Zusatzbeiträge (3,4 % der Bemessungsgrundlage des Hauptversicherten) zu bezahlen, außer wenn sie aktuell Kinder erziehen oder in der Vergangenheit mindestens 4 Jahre Kinder er­ zogen haben, wenn sie Pflegegeld zumindest der Stufe 4 erhalten oder den Hauptversicherten pflegen, der Pflegegeld in mindestens der Stufe 4 erhält. Von den Zusatzbeiträgen ausgenommen sind Mitversicherte auch, wenn das monatliche Nettoeinkommen des Hauptversicherten den Ausgleichszulagenrichtsatz für Ehepaare (1.222 € für 2012) nicht übersteigt oder wenn sie Kranken-, Wochen-, Karenz- oder Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beziehen.

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

b) Expliziter Familialismus: Die frühe direkte Variante Bereits seit 1957 war in Österreich eine Mutterschutzregelung in Kraft, die es unselbständig erwerbstätigen Müttern erlaubte, nach Ablauf der Schutzfrist einen unbezahlten Karenzurlaub bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes in Anspruch zu nehmen, ohne deshalb ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Damit hatte Öster­reich – zeithistorisch betrachtet – die großzügigste Mutterschutzbestimmung von allen westlichen Industrieländern (Münz et al. 1986, S. 47 f.). Aber viele Mütter – insbesondere einkommensschwache und allein erziehende – konnten sich die relativ lange Unterbrechung der Erwerbsarbeit gar nicht leisten. Diesem Umstand sollte 1961 Abhilfe geschaffen werden, indem der Anspruch auf Karenz­urlaub bis zum 1. Geburtstag des Kindes ausgedehnt und mit einer Transferleistung, dem so genannten Karenz(urlaubs)geld, ausgestattet wurde. Letzteres variierte je nach Haushaltseinkommen und Familiengröße: Mütter, die allein erziehend oder Familienerhalterinnen waren, bekamen Karenzgeld in Höhe des ihnen zustehenden Arbeitslosengeldanspruchs, verheiratete Mütter nur die Hälfte davon. Ab einer bestimmten Höhe wurde das Haushaltseinkommen auf die Transferzahlung angerechnet, so dass diese auch ganz entfallen konnte. Anspruch auf Karenzurlaub entstand bei der ersten Geburt nach 52wöchiger Beschäftigungsdauer (innerhalb von 2 Jahren), bei weiteren Geburten bereits nach 20wöchiger Beschäftigungsdauer (Münz et al. 1986, S. 51 f.). Insgesamt hatten 1962 37 % aller Mütter Anspruch auf Karenzurlaub, 73 % davon nahmen diesen Anspruch auch wahr (ebd., S. 151). Die Karenzurlaubsregelung stellte also eine Weiterentwicklung der Mutterschutzregelung dar und war wie diese sowohl hinsichtlich des Erwerbs von Ansprüchen als auch bezüglich der Höhe der Transferleistung an die Regelungen der Arbeitslosenversicherung angelehnt und damit an vorangegangene Erwerbstätigkeit geknüpft. Mutterschaft wurde dabei als inkompatibel mit Erwerbstätigkeit konzipiert (Neyer 2000, S. 110): Es war nicht möglich, während des Karenzurlaubs Teilzeit zu arbeiten. Sowohl die Sozialdemokraten (SPÖ) als auch die christlich-konservativen Partei (ÖVP) betonten die Notwendigkeit der Entlastung der Mütter von Erwerbsarbeit zumindest während der ersten Monate nach der Geburt (Münz et al. 1986, S. 49). Dieser gesellschaftlichen Normvorstellung entsprechend wurden gleichzeitig mit der Einführung des Karenzurlaubs die ohnehin nur in geringem Ausmaß vorhandenen Betriebskindergärten und öffentlichen Krippen nach 1957 sukzessive geschlossen: „Mütterlicher Erziehungsarbeit wurde der Vorrang eingeräumt vor dem Ausbau familien­ ergänzender Einrichtungen.“ (Neyer 1987, S. 98)

Während jedoch die SPÖ die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen grundsätzlich befürwortete und in der Karenzurlaubsregelung einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Erwerbstätigkeit nach der Kinderpause sah, war der Karenz­ urlaub für die ÖVP der erste Schritt hin zu einer Befreiung aller (Ehe-)Frauen vom Erwerbszwang und somit ganz im Sinne des bürgerlichen Modells der Haus­

1. Kinderbetreuung

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frauenehe (Mairhuber 2000, S. 126; Münz et al. 1986, S. 50). Die generelle Bezugnahme auf die Versorgung von Müttern durch einen männlichen Ernährer zeigt sich im Übrigen auch an der geringeren Höhe des Karenzgelds für Ehefrauen sowie an der Anrechnung des Haushaltseinkommens. c) Der Ausbau familisierender Strukturen in den 1970er Jahren Mit der Ende der 1960er Jahre entstehenden autonomen Frauenbewegung kam es auch in Österreich zu einer wachsenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber den Schwierigkeiten erwerbstätiger Mütter, Familie und Beruf zu vereinbaren. Als die Sozialdemokraten 1970 die Regierung übernahmen, stellte sich zunehmend politisches Interesse für die Situation erwerbstätiger Mütter ein. Zwar orientierten sich die Sozialdemokraten traditionell an den Interessen der männlichen Arbeiterschaft, aber die eklatante Arbeitskräfteknappheit zu Beginn der 1970er Jahre lenkte die Aufmerksamkeit auf die weibliche Arbeitskraftreserve3. Die Mobilisierung dieser „Reservearmee des Arbeitsmarktes“ sollte unter anderem durch Verbesserungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht werden (Neyer 1996, S. 28 f.).4 Dies bedeutete einerseits einen Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur im Kindergartenbereich (s. u., Tabelle 4) und andererseits eine großzügigere Gestaltung der Karenzurlaubsregelung, die seit 1971 auch eine Anerkennung von Kindererziehungszeit im Rentensystem beinhaltet und ab 1974 mit einer bedarfsgeprüften Anschlussleistung, der so genannten Sonder-Notstandshilfe, verlängert werden kann. Diese sozialpolitische Entwicklung wurde durch eine Phase ökonomischer Prosperität begleitet und ermöglicht, die die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellte: Zwischen 1960 und 1973 betrug die durchschnittliche jährliche reale Zunahme des BIP pro Kopf 4,3 % (OECD 1997, S. 50). 1971 wurde zunächst die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Renten­ recht für erwerbstätige Mütter eingeführt, die Karenzurlaub in Anspruch nahmen. Dazu wurde die Zeit des Karenzurlaubs als Ersatzzeit im Rentensystem berücksichtigt. Wie andere Ersatzzeiten auch erhöhte der Karenzurlaub somit die Rente der Mutter, vorausgesetzt dass diese überhaupt einen Rentenanspruch erwerben würde. 1973 kam es zu einer Novellierung dieser Regelung, da nicht alle erwerbstätigen Mütter Anspruch auf Karenzurlaub hatten und infolge dessen auch von der Kindererziehungszeitenregelung ausgeschlossen blieben. Die Neufassung des Ge 3 Die Frauenerwerbsquote (weibliche Arbeitskräfte als Prozentsatz der weiblichen Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren) lag in den 60er Jahren bei 50 % (OECD 1997, S. 41). 4 Ergänzend kam es 1974 zur Einführung der Individualbesteuerung und 1975 zur Abschaffung der klaren Vorrangstellung des männlichen Familienoberhauptes sowie der Wohnsitzfolge der Gattin: „Berufstätigkeit verheirateter Frauen ist seither nicht mehr an die Zustimmung des Familienvorstands gebunden, und die Partner sind gemeinsam sowohl für den Unterhalt als auch für die Hausarbeit und die Kindererziehung verantwortlich.“ (Tálos/Falkner 1992, S. 204 f.).

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

setzes gewährte allen erwerbstätigen Müttern ein Jahr Kindererziehungszeit pro Kind, unabhängig von Karenzurlaubsansprüchen. Gleichzeitig wurde die Bedingung, dass die Mutter während des ersten Lebensjahres des Kindes nicht erwerbstätig sein darf, als Anspruchsvoraussetzung festgeschrieben (Leitner 2002, S. 178). 1974 kam es zur Neuregelung des Karenzurlaubs. Zum einen wurden die Zugangsbedingungen erleichtert, indem nunmehr der Wochengeldbezug (16–20 Wochen) sowie Lehr- und Ausbildungszeiten auf die erforderliche Anwartschaftszeit von insgesamt 52 Wochen angerechnet wurden. Unter 20-jährige Frauen, die bereits einmal Karenzgeld bezogen haben, mussten für einen neuerlichen Anspruch nur noch 20 Wochen Anwartschaftszeit nachweisen. Zum anderen wurde das Karenzurlaubsgeld pauschaliert und weniger restriktiv gewährt: Der Regelsatz („kleines Karenzgeld“; 1974: 2.000 ATS) wurde nunmehr vom Haushaltseinkommen unabhängig ausbezahlt. Allein erziehende Mütter und verheiratete Mütter, deren Ehemänner nur über ein geringes Einkommen verfügten, bekamen eine um 50 % höhere Leistung („großes Karenzgeld“). Gleichzeitig mit der Neuregelung des Karenzurlaubs wurde die so genannte Sonder-Notstandshilfe eingeführt.5 Während Mütter nach Ende des Karenz­ urlaubs bislang teilweise – d. h. abhängig von der Praxis des jeweiligen Arbeitsamtes – Arbeitslosengeld beziehen konnten6, gewährte die Sonder-Notstandshilfe nunmehr allein erziehenden Müttern nach Ende des Karenzurlaubs ein Transfereinkommen bis zum 3. Geburtstag des Kindes, wenn diese Mütter nicht erwerbstätig waren, sich vorwiegend der Kinderbetreuung widmeten und keine andere Betreuungsmöglichkeit bestand. Die Höhe der Sonder-Notstandshilfe betrug zwischen 45 % und 60 % des zuletzt (d. h. vor Beginn des Karenzurlaubs) bezogenen Netto-Einkommens der Mutter (Münz et al. 1986, S. 54). Durch die Neuregelungen sollten möglichst alle erwerbstätigen Mütter in die Lage versetzt werden, sich um ihre kleinen Kinder zu kümmern.7 Die Verknüpfung der Ansprüche mit der Bedingung der Nicht-Erwerbstätigkeit folgte der Auffassung, dass die Betreuung von Kleinkindern nicht mit Erwerbstätigkeit vereinbar sei. Die Betonung der familialen und die Vernachlässigung der institutionellen Betreuung für Kinder unter drei Jahren (Münz et al. 1986, S. 55) bedeutete zudem eine klare Zuschreibung der Verantwortlichkeiten an die Familie. Dabei wurde die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie nicht hinterfragt: Die Leistungen waren ausschließlich für Mütter vorgesehen. Die biolo­ 5

Die Notstandshilfe bezeichnet in Österreich die bedarfsgeprüfte Anschlussleistung an das Arbeitslosengeld und ist mit der deutschen Arbeitslosenhilfe vergleichbar. Die SonderNotstandshilfe wurde in Anlehnung an die Notstandhilfe konzipiert, so wurden auch die Bezugszeiten von Sonder-Notstandshilfe im Rentensystem angerechnet. 6 So genannte „Kulanzregelung“: Regional unterschiedlich gehandhabte „erweiterte Karenzregelung“, die am ehesten von jenen Frauen in Anspruch genommen wurde, die sich eine längere Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit leisten konnten. 7 Dies auch vor dem Hintergrund bzw. als Begleitmaßnahme zu der 1975 verabschiedeten Fristenlösung (Neyer 1996, S. 28 f.; Rosenberger 1999, S. 767).

1. Kinderbetreuung

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gische „Natur“ der Mutterschaft wurde somit explizit betont, eine Unterscheidung zwischen biologischer und sozialer „Mutterschaft“ nicht getroffen. Folglich galten der Karenzurlaub, die Anerkennung von Kindererziehungszeiten sowie die Sonder-Notstandshilfe als Politik für Mütter, und es kam zu einer Feminisierung von Elternschaft im Rahmen der Sozialpolitik. Abgesehen von diesen gemeinsamen Motivlagen unterschieden sich die beiden politischen Lager jedoch durchaus hinsichtlich ihres Frauenbildes: „Die Kongruenz in den Argumentationen von SPÖ und ÖVP für eine mütterliche Betreuung und die Konzentration beider auf eine sozialpolitisch feminisierte Elternschaft verdeckte die geschlechterpolitischen unterschiedlichen Ausrichtungen der beiden Parteien. Während die SPÖ für eine Berufstätigkeit und eigenständige Absicherung von Frauen auch als Mütter eintrat und mithin die Verschränkung zweier kontrastierender Welten – Beruf und Kleinkind – anstrebte, polarisierte die ÖVP zwischen Familienpolitik und Arbeitsmarktpolitik, indem sie für eine Wahlfreiheit von Frauen zwischen Beruf und Mutterschaft, mithin für eine Trennung dieser Welten und eine Familialisierung von Müttern eintrat.“ (Neyer 1996, S. 29)

Die SPÖ sprach sich in diesem Sinne für eine rasche berufliche Wiedereingliederung von Frauen nach dem Karenzurlaub aus, während die ÖVP für eine Ver­ längerung des Karenzurlaubes auf drei Jahre8 und für eine Anhebung des Anrechnungszeitraums für Kindererziehungszeiten auf sechs Jahre pro Kind eintrat, um Müttern einen möglichst langen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit zu ermöglichen (Münz et al. 1986, S. 56 f.; Deutsch-Stix/Janik 1993, S. 64; Leitner 2002, S. 179). Als Folge der Neuregelungen erhöhte sich der Anteil der beurlaubten Mütter: Von allen Müttern hatten 1981 58 % Anspruch auf Karenzurlaub. 95 % von ihnen nahmen diesen Anspruch auch wahr (Münz et al. 1986, S. 151) und zwar im überwiegenden Ausmaß (zu 90 %) auch in der vollen Länge, d. h. bis zum ersten Geburtstag des Kindes (ebd., S. 172). 1980 bezogen 73 % aller beurlaubten Mütter ein „kleines“ Karenzurlaubsgeld (sprich: den Regelsatz). Die restlichen 27 % mit „großem“ Karenzurlaubsgeld (sprich: dem um 50 % erhöhten Regelsatz) waren vorwiegend (zu 97 %) noch nie oder nicht mehr verheiratete Frauen (ebd., S. 161). Von diesen allein erziehenden beurlaubten Müttern des Jahres 1980 bezogen 53 % anschließend Sonder-Notstandshilfe (ebd., S. 181) für einen durchschnittlichen Zeitraum von 16 Monaten (ebd., S. 191). Eine Langzeitstudie von beurlaubten Müttern ergab für den Zeitraum 1966 bis 1981, dass ein Drittel der Mütter nach dem Karenzurlaub nicht wieder erwerbstätig wurde. Von den übrigen kehrte der Großteil (45 %) unmittelbar nach Ende des Karenzurlaubs in die Erwerbstätigkeit zurück. Der zweite „Haupttermin“ für die Berufsrückkehr war das Ende des dritten Lebensjahres des Kindes, verbunden 8 So war die ÖVP auch gegen die Abschaffung der „Kulanzregelung“, da ihr die neue Sonder-Notstandsregelung zu restriktiv, da nur auf allein erziehende Mütter bezogen, erschien (Münz et al. 1986, S. 56 f.).

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

mit dessen Unterbringung in einem Kindergarten. Danach häuften sich die Rückkehrerinnen noch im sechsten und im zehnten Lebensjahr des Kindes (Münz et al. 1986, S. 253 f.), so dass man von einem kurzen, einem mittelfristigen und einem langen Drei-Phasen-Modell sprechen kann. Während Frauen noch in den 1950er und 1960er Jahren in der Regel nach der Heirat, spätestens nach der Geburt des ersten Kindes aus dem Beruf ausschieden, konnte das Drei-Phasen-Modell ab den 1970er Jahren verstärkt Fuß fassen (Mairhuber 2000, S. 110 f.). Für ein Drittel der potentiellen Rückkehrerinnen stellten fehlende Betreuungsmöglichkeiten das Haupthindernis für eine verzögerte Rückkehr dar (Münz et al. 1986, S. 260). Die niedrigen Versorgungsquoten mit Betreuungsplätzen zeigen klar bis in die 1980er Jahre, dass für Kinder unter drei Jahren so gut wie keine institutionellen Betreuungsmöglichkeiten vorhanden waren. Die Versorgung mit Kindergartenplätzen kann dem gegenüber zwar als eindeutig besser und rascher ansteigend bezeichnet werden, aber auch zu Beginn der 1980er Jahre waren nur knapp mehr als die Hälfte aller Kinder zwischen drei und sechs Jahren in einem Kindergarten untergebracht (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4 Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen in Österreich, 1970–1982 Jahr

Anteil der Kinder in Krippen an allen 0- bis 3-Jährigen

Anteil der Kinder in Kindergärten an allen 3- bis unter 6-Jährigen

1970

1,3

27,9

1971

1,4

29,5

1972

1,5

31,3

1973

1,5

34,4

1974

1,6

39,3

1975

1,6

41,4

1976

1,7

44,2

1977

1,8

47,2

1978

1,9

49,4

1979

2,0

51,8

1980

2,0

53,9

1981

2,0

55,0

1982

2,1

54,2

Quelle: Münz et al. 1986, S. 216.

1. Kinderbetreuung

61

Dennoch waren 1980 39 % aller Mütter, deren jüngstes Kind unter drei Jahre alt war, und 41 % aller Mütter, deren jüngstes Kind zwischen drei und sechs Jahre alt war, erwerbstätig (OECD 2003, S. 48). Somit lässt sich zumindest für den Krippenbereich eine massive Unterversorgung festhalten. So zeigte beispielsweise eine Mikrozensuserhebung 1983, dass sich 36 % der Mütter mit Kindern unter einem Jahr, 43 % der Mütter mit Kindern zwischen einem und zwei Jahren und 51 % der Mütter mit Kindern zwischen zwei und drei Jahren eine außerhäusliche Betreuung wünschten. Aber auch bei den Eltern mit Kindern im Kindergartenalter war der Wunsch nach einem Betreuungsplatz mit 85 % weit höher als das Angebot (Neyer 1995, S. 79). Trotz des Ausbaus der Kindergartenplätze wurde auch in den 1970er Jahren die direkte Variante des expliziten Familialismus im Bereich der Kinderbetreuung fortgeschrieben. Diese war zudem geschlechtsspezifisch geprägt, zunächst jedoch nicht unbedingt mit der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt verbunden. Von den Müttern, die direkt nach dem Karenzjahr wieder einstiegen, änderte sich bei 60 % nichts an ihrer beruflichen Situation, 12 % mussten beim Gehalt oder beim Arbeitsinhalt Abstriche machen, 25 % konnten ihre berufliche Situation sogar verbessern. Mütter, die eine längere Unterbrechung aufwiesen, konnten sich zu 28 % verbessern (interessanterer oder besser bezahlter Job), bei 28 % änderte sich nichts, für 37 % ergab sich eine berufliche Verschlechterung (Münz et al. 1986, S. 267–269). Die zunehmend krisenhafte Arbeitsmarktlage seit Mitte der 1970er Jahre stellte jedoch auch für Berufsrückkehrerinnen eine neue, ungünstigere Rahmenbedingung dar: „Jede sechste Frau, die 1981 ein Kind geboren hatte und in Karenz ging, war in den folgenden Jahren mindestens einmal von Arbeitslosigkeit betroffen. Da jedoch ein beträchtlicher Teil der Frauen nicht wieder in den Arbeitsmarkt eintreten kann oder will, liegt das tatsächliche Arbeitslosigkeitsrisiko für die wieder erwerbstätigen Frauen weit höher: Schätzungsweise jede Dritte dieser Frauen muß damit rechnen, arbeitslos zu werden.“ (Wiederschwinger 1990, S. 146)

Damit zeigt sich deutlich, dass die jeweiligen ökonomischen Rahmenbedingungen einen entscheidenden Einfluss darauf nehmen, welche arbeitsmarktpolitischen Effekte familisierende Leistungen – unabhängig von ihrer strukturellen Ausrichtung – nach sich ziehen: Was in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession zum Ausschluss vom Arbeitsmarkt führt, mag in Zeiten der Arbeitskräfteknappheit keineswegs strukturell diskriminierend wirken (Münz et al. 1986, S. 148 f.).9

9 Insofern müssen auch Empfehlungen zum möglichst kurzen Ausstieg aus der Erwerbs­ arbeit im Kontext wirtschaftlicher Rahmenbedingungen gesehen werden (vgl. Kapitel I.).

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

d) Um- und Ausbau familisierender Leistungen in den 1980er Jahren Drei Themen der öffentlichen Diskussion bestimmten die Entwicklung des öster­reichischen Familialismus in den 1980er Jahren. Zum einen wurden 1981 die abgeleiteten sozialen Rechtsansprüche in der Kranken- und Rentenversicherung geschlechtsneutral geregelt. Bislang hatte z. B. der Witwer nur Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente, wenn seine verstorbene Ehefrau seinen Lebensunterhalt überwiegend bestritten hatte und er erwerbsunfähig und bedürftig war (Hieden-Sommer 1994, S. 180). Der österreichische Verfassungsgerichtshof ging nunmehr in einem Urteil von 1980 aber davon aus, dass Frauen zunehmend erwerbstätig seien und das traditionelle Rollenbild als Basis für das Hinterbliebenenrecht ob­solet geworden sei (Mairhuber 1999, S. 37; Mairhuber 2000, S. 141–146). Die einseitige Gewährung von Hinterbliebenenrenten nur an Frauen stelle deshalb eine Diskriminierung von Männern dar, weshalb das Hinterbliebenenrecht zu ändern sei. De facto spielt jedoch nach wie vor die Hinterbliebenenrente für die Alterssicherung von Frauen eine weitaus größere Rolle als für diejenige der Männer (Badelt/Österle 2001, S. 116). Zum anderen kam die bevorzugte Behandlung von allein erziehenden Müttern im Rahmen von Karenzurlaub und Sonder-Notstandshilfe zunehmend in die Kritik. Die ÖVP unterstellte, dass durch die Vorteile für allein erziehende Mütter Eheschließungen verhindert würden. Der Missbrauchsvorwurf mündete 1984 in der Regelung, dass nur noch tatsächlich allein erziehende Mütter, nicht aber in Lebensgemeinschaft lebende Mütter Anspruch auf das große Karenzgeld und auf Sonder-Notstandshilfe haben sollten (Münz et al. 1986, S. 61 f.). Seit 1989 hatten schließlich alle – auch verheiratete – Mütter Anspruch auf das große Karenzgeld und auf Sonder-Notstandshilfe, sofern ihr Haushaltseinkommen niedrig war. Schließlich flammte die Diskussion um die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung in den frühen 1980er Jahren neu auf. Durch das Zusammenwirken der Institutionalisierung der sozialdemokratischen Frauen­ bewegung auf Regierungsebene10 einerseits und der Einführung der Witwerrente, die zu geschlechtsspezifischen Kürzungseffekten im System der eigenständigen Alterssicherung führte11, kam es 1985 zur Einführung eines speziellen Kindererziehungszuschlags. Jede Mutter, die einen Rentenanspruch erworben hatte, sollte nun zusätzlich zu den üblichen Kindererziehungszeiten für jedes Kind einen 3 %-Zuschlag zu ihrer individuellen Bemessungsgrundlage erhalten. Voraussetzung war, dass sie weniger als 30 Beitragsjahre aufwies. Der Zuschlag erforderte 10 1979 wurden zwei Staatssekretariate geschaffen: eines für allgemeine Frauenfragen, das im Kanzleramt angesiedelt wurde, und ein zweites für die Belange erwerbstätiger Frauen, welches dem Sozialministerium zugeordnet wurde. Die politischen Einfußmöglichkeiten der Staatssekretariate waren jedoch von Anfang an begrenzt, da die jeweiligen Ressortchefs Inhalte und Strategien vorgaben, die Personalausstattung gering und kein eigenes Budget verfügbar war (Köpl 1999, S. 66). 11 Zu den Details dieses Zusammenhangs siehe Leitner 2002, S. 180.

1. Kinderbetreuung

63

allerdings nicht – und hier ist eine wesentliche Abkehr vom konservativen Leitbild der 1970er Jahre zu sehen –, dass die Mutter ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kindererziehung unterbrochen hatte. Diese Neuakzentuierung der Problematik ist hauptsächlich auf den Einfluss der sozialdemokratischen Frauen zurückzuführen. Sie wollten eine Erhöhung der Renten für alle erwerbstätigen Mütter erreichen, unabhängig von Erwerbsunterbrechungen während der Kindererziehung, so dass Kindererziehung nicht (mehr) automatisch mit einem Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit verknüpft wurde. Aufgrund der angespannten Finanzlage des Rentensystems stimmten die SPÖ-Frauen dem Kompromiss zu, dass nur erwerbstätige Mütter mit weniger als 30 Beitragsjahren Anspruch auf den 3 %-Zuschlag erhalten sollten. Abgeordnete der ÖVP formulierten starken Widerstand gegen die neue Regelung. Ihre Argumentation konzentrierte sich auf die Situation von Frauen mit sehr kurzen Perioden der Beitragszahlung, z. B. erwerbstätige Mütter, die relativ lange Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kinderbetreuungsarbeit aufwiesen. Diese Mütter sollten unterstützt und die Politik der Trennung von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft beibehalten werden. Die Freiheitliche Partei, seit 1983 in einer Regierungskoalition mit der SPÖ, stimmte für die neue Gesetzgebung, da diese ihrer Meinung nach ausreichend lange Perioden der ausschließlichen Kindererziehung ohne finanzielle Verluste ermöglichte.12 Der politische Konsens innerhalb der kleinen Koalition von SPÖ und FPÖ ermöglichte die Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament (Leitner 2002, S. 181). e) Die Einführung geschlechtsneutraler Regelungen 1990 Bereits seit Mitte der 1970er Jahre hatte ein Teil der SPÖ-Frauen über die Inklusion von Vätern in die Karenzurlaubsregelung diskutiert. Ihre Forderung nach einer geschlechtsneutralen Regelung und einer Aufteilung des Karenzurlaubs zwischen den Eltern ging auf die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt aufgrund von Karenzurlaubszeiten zurück: Zum einen galten Frauen als „unsichere“ Arbeitskräfte (Neyer 1987), zum anderen wurden die arbeitsmarktexternalisierenden Wirkungen des Karenzurlaubs zunehmend problematisiert (Neyer 2000, S. 114). Die Zielsetzung der Chancengleichheit am Arbeitsmarkt sollte deshalb durch eine Umverteilung der unbezahlten Familienarbeit erreicht werden. In den frühen 1980er Jahren begannen auch die ÖVP-Frauen, eine geschlechtsneutrale Karenzurlaubsregelung zu fordern. Sie intendierten eine Stärkung der moralischen Verantwortung des Vaters gegenüber seinem Kind sowie dessen Mutter und zielten auf eine Stabilisierung des traditionellen Familienmodells. Die Kontroverse rund 12

Der 3 %-Zuschlag entsprach einer Anerkennung von eineinhalb Jahren Nicht-Erwerbs­ tätigkeit. Gemeinsam mit den bereits vorhandenen Kindererziehungszeiten von einem Jahr pro Kind konnte eine Frau für zweieinhalb Jahre pro Kind aus dem Erwerbsleben aussteigen, ohne im Rentensystem finanzielle Einbußen zu erleiden.

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

um die Inklusion von Vätern kann deshalb nicht hinreichend als Konflikt entlang von Parteigrenzen beschrieben werden. Vielmehr handelte es sich um einen Konflikt innerhalb der Parteien, wobei in der ÖVP mehrheitlich davor gewarnt wurde, einen Anreiz zur Veränderung der traditionellen Geschlechterrollen zu setzen und damit die Destabilisierung der Familie voranzutreiben. Teile der SPÖ fürchteten eine Aushöhlung der sozialen Rechte von erwerbstätigen Müttern (Mairhuber 2000; Neyer 1996; Münz et al. 1986, S. 62 f.). Bis Mitte der 1980er Jahre gelang es den SPÖ-Frauen nicht, einen innerparteilichen Konsens für die geschlechtsneutrale Neuformulierung des Karenzurlaubs zu erreichen. Schließlich brachten sie gemeinsam mit den FPÖ-Frauen 1985 eine parlamentarische Gesetzesinitiative zum Elternkarenzurlaub ein, die – nach leichten Modifikationen – gegen den Widerstand der ÖVP vom Nationalrat verabschiedet wurde. Der Bundesrat, die zweite Kammer des Parlaments, in der die ÖVP die Mehrheit hielt, verweigerte dem Gesetz jedoch seine Zustimmung. Wegen der Neuwahlen zum Nationalrat konnte dieser das aufschiebende Veto der zweiten Kammer nicht mehr aufheben; das Gesetz wurde nicht verabschiedet. Aus den Neuwahlen ging eine SPÖ-ÖVP Koali­ tionsregierung hervor, die eine Neuauflage der politischen Verhandlungen über die Reform des Karenzurlaubs mit sich brachte, um die Interessen beider Koalitionspartner adäquat zu berücksichtigen. Nach intensiven Verhandlungen, die 1988 durch einen Antrag der Grünen wieder in Gang kamen (Deutsch-Stix/Janik 1993, S. 67), wurde 1990 – gegen den massiven Widerstand des ÖVP-Wirtschaftsbundes (Tálos/Falkner 1992, S. 214; Rosenberger 1990, S. 187) – eine Gesetzgebung verabschiedet, die sowohl die SPÖ-Forderung nach einer geschlechtsneutralen Neuformulierung des Karenz­ urlaubs als auch das ÖVP-Anliegen einer Ausweitung desselben auf zwei Jahre pro Kind beinhaltete. Seit 1.1.1990 können auch Väter Karenzurlaub nehmen, allerdings handelte es sich dabei um einen abgeleiteten Anspruch, d. h. nur dann, wenn die Mutter anspruchsberechtigt oder erwerbstätig war, ergab sich ein Anspruch für den Vater. Grundsätzlich können sich die Eltern im Laufe des Karenzurlaubs einmal abwechseln. Seit 1.7.1990 beträgt die maximale Dauer des Karenzurlaubs zwei Jahre, und es besteht die Möglichkeit der gleichzeitigen Teilzeit Erwerbstätigkeit beider Eltern im zweiten Lebensjahr des Kindes oder der Teilzeit Erwerbstätigkeit eines Elternteils im zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes.13 Das kleine 13 Seit 1.1.1993 ist Teilzeitkarenz bis zum 4. Lebensjahr des Kindes möglich. Es besteht allerdings kein Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung, d. h. die Zustimmung des Arbeitgebers ist Voraussetzung, und keine Verpflichtung der Bundesländer zum Ausbau der Kinderbetreuung (Neyer 1992, S. 26), außerdem besteht ein gelockerter Kündigungsschutz ab dem dritten Teilzeitkarenzjahr. Die Möglichkeit der Teilzeitkarenz wird deshalb kaum genutzt: Ende 1998 waren nur 4 % der beurlaubten Eltern in Teilzeitkarenz (Wörister 1999, S. 4). Seit 1.1.2000 gibt es flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten: Der Wechsel von Karenzurlaub zu Teilzeitbeschäftigung kann jetzt jederzeit, nicht nur wie bisher mit dem ersten Geburtstag des Kindes, erfolgen. Seit 2004 besteht parallel dazu ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit von Eltern bis zum Schuleintritt des Kindes. Dieser besteht allerdings nur in Betrieben mit über 20 Beschäftigten und nur bei mindestens dreijähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit,

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Karenzgeld betrug 1990 rund 4.700 ATS pro Monat (155,30 ATS pro Tag), das große Karenzgeld rund 7.000 ATS pro Monat (232,30 ATS pro Tag). Bei einer Teilzeit Erwerbstätigkeit während des Karenzurlaubs wurde ein – der wöchent­lichen Arbeitszeit angepasstes – reduziertes Karenzgeld festgelegt14, und erstmals wurde nunmehr unselbständig erwerbstätigen Frauen ohne Anspruch auf Karenzgeld sowie bäuerlich und gewerblich Selbständigen ein Anspruch auf das halbe Karenzgeld bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes gewährt (Deutsch-Stix/Janik 1993, S. 67; Neyer 2000, S. 115). Durch die Verlängerung des Karenzurlaubs wurde auch der Anrechnungszeitraum für Kindererziehungszeiten auf zwei Jahre ausgeweitet, und die Möglichkeit der Aufteilung des Karenzurlaubs zwischen den Eltern wurde auf die Anrechnung von Kindererziehungszeiten übertragen. Während nun erwerbstätige Mütter automatisch Anspruch auf zwei Jahre Kindererziehungszeit pro Kind hatten (vorausgesetzt, dass sie in dieser Zeit nicht erwerbstätig waren), hing der Anspruch von Vätern von ihrer Inanspruchnahme des Karenzurlaubs ab. Der Anspruch der Mutter reduzierte sich jedenfalls um den Anspruch, den der Vater aufgrund seiner Beurlaubung erworben hatte (Leitner 2002, S. 182 f.). Während noch in den 1980er Jahren die ÖVP-Familienpolitik der SPÖ-Frauenpolitik gegenüber stand, kam es gegen Ende der 1980er Jahre zu einer Annäherung der Positionen (Rosenberger 1990, S. 189). Die ÖVP verteidigte ihre Zustimmung zur Inklusion von Vätern anhand von zwei Argumenten. Zum einen betonte sie die stabilisierende Funktion des Elternurlaubs für die Familie als ganzes. Zum anderen war man darauf bedacht, den innerparteilichen Widerstand (hauptsächlich der Unternehmerseite) zu besänftigen, indem darüber spekuliert wurde, dass ohnehin nur wenige Männer von ihrem neuen Recht Gebrauch machen würden (Neyer 1996, S. 33). Die Sozialdemokraten gaben hingegen ihrer Hoffnung Ausdruck, dass Eltern das neue Gesetz auch annehmen würden und so ein Fortschritt für die Gleichberechtigung in der Familie wie am Arbeitsmarkt erreicht würde. Aber sie mussten sich auch dafür rechtfertigen, warum sie einer Verlängerung des Karenzurlaubs zugestimmt hatten. Die SPÖ hatte sich seit Beginn der familialistischen Gesetzgebung mit den damit verbundenen negativen Arbeitsmarkteffekten beschäftigt und sich bis 1990 immer gegen eine Ausweitung der einjährigen ausschließlichen Kindererziehungszeit ausgesprochen. Jetzt – vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Kompromissfindung mit dem ideologischen Gegenpart – argumentierte sie, dass ihre Zustimmung nur erfolgt sei, weil begleitende Maßnahmen zum Wiedereinstieg von Müttern in den Arbeitsmarkt in das Gesetzespaket aufgenommen wurden. Sie zeigte sich zudem optimistisch hinsichtlich des zukünftigen wodurch zwei Drittel aller Frauen gar nicht anspruchsberechtigt sind (Liebhart et al. 2003, S. 419 f.). Außerdem muss die betroffene Person mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt leben, und der andere Elternteil darf nicht gleichzeitig in Karenz sein. Es können jedoch beide Elternteile gleichzeitig Elternteilzeit in Anspruch nehmen. Die Mindestdauer beträgt drei Monate, und es besteht Anspruch auf Rückkehr in Vollzeitbeschäftigung. 14 Seit 1.1.2000 beträgt das Teilzeitkarenzgeld einheitlich 50 % des vollen Karenzgelds.

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Engagements von Vätern in der Kindererziehung und verwies auf die zukünftigen Anstrengungen der SPÖ hinsichtlich des Ausbaus von öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen sowie der Unterstützung der Inanspruchnahme des Eltern­ urlaubs durch eine große Anzahl von Vätern (Leitner 2002, S. 183). Feministische Analysen kritisierten die Sozialdemokraten für ihre Zustimmung zu dem Gesetz, das ganz offensichtlich negative Auswirkungen für erwerbstätige Mütter nach sich ziehen würde. Aufgrund der geringen Höhe des (pauschalen) Karenzgeldes wie auch wegen des nur abgeleiteten Anspruchs von Vätern war vorhersehbar, dass auch in Zukunft hauptsächlich Frauen Karenzurlaub in Anspruch nehmen würden: „Die gesetzliche Einengung des potentiell betreuungswilligen Vaterkreises verstärkt zusätzlich die Beschränkungen, die sich schon vorab aus den gesellschaftlichen Verhältnissen – namentlich den Familien- und Arbeitsmarktbedingungen – ergeben.“ (Neyer/Wiederschwinger 1990, S. 194)

Auch hatten frühere Untersuchungen bereits gezeigt, dass sogar ein Jahr Karenzurlaub Arbeitslosigkeitsraten von 20 % unter den Wiedereinsteigerinnen auslöste (Neyer/Wiederschwinger 1990, S. 20). Die Ausdehnung des Karenzurlaubs würde – so die Prognose – die Chancen von Müttern auf einen Wiedereintritt ins Berufsleben erheblich mindern, wie die Erfahrungen mit der Sonder-Notstandshilfe vermuten ließen: Mehr als ein Drittel der Bezieherinnen von Sonder-Notstandshilfe, die bis zum dritten Geburtstag des Kindes nicht erwerbstätig waren, erhielten im Anschluss Notstandshilfe oder Arbeitslosengeld, waren also regis­ trierte Arbeitslose (ebd., S. 201). Unmittelbar nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes wurde klar, dass sich die sozialdemokratische Vision einer höheren Geschlechtergleichheit in der Praxis nicht umsetzen würde. Zwischen 1990 und 1994 verdoppelte sich die Anzahl der Eltern, die in Karenzurlaub waren, was darauf hinweist, dass die meisten Eltern von der Verlängerung desselben Gebrauch machten (Mairhuber 2000, S. 154). Die Inanspruchnahme erfolgte jedoch fast ausschließlich durch Mütter: Von 1990 bis 1997 stieg der Anteil der Männer an allen Eltern in Karenzurlaub lediglich von 0,2 % auf 1 % (BMUJF 1999b, S. 156 f.). Am ehesten nahmen Väter dann Karenzurlaub, wenn das Verdienstniveau zwischen den Eltern ausgeglichen war und die Frau eine starke Karriereorientierung aufwies oder wenn die Erwerbskarriere des Vaters gerade unterbrochen war (z. B. wegen Arbeitslosigkeit). Außerdem waren Väter wenn, dann häufig in Teilzeit Karenzurlaub (ebd., S. 158; Deutsch-Stix/Janik 1993, S. 96–98). Diese Zahlen machen deutlich, wie unattraktiv der Karenzurlaub für Väter war. Das geringe Karenzgeld und die Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen ließen den Familien wenig Wahl hinsichtlich der Aufteilung des Karenzurlaubs zwischen den Eltern. Das Fehlen von Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige15 15 Die Versorgungsquote für unter Dreijährige lag auch noch 1993/94 unverändert bei 2 % (Neyer 1995, S. 76).

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beschränkte wiederum die Wahlfreiheit der Eltern zwischen Familien- und Erwerbsarbeit. Allein schon aufgrund dieser strukturellen Barrieren war der Großteil der österreichischen Eltern den traditionellen Vorstellungen der ÖVP gefolgt. Mütter nahmen weiterhin Karenzurlaub in Anspruch, Väter blieben in aller Regel Vollzeit erwerbstätig, wodurch es zu einer Reproduktion der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Rahmen des männlichen Ernährermodells kam. Mütter verbrachten zudem längere Zeit im Karenzurlaub, was wiederum zu einem Anstieg der Arbeitslosenrate unter Wiedereinsteigerinnen auf 33 % führte (Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien 1994). f) Die Re-Feminisierung von Elternschaft 1993 1991 kam es erneut zur Diskussion über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten – wiederum initiiert vom Verfassungsgerichtshof.16 Dieser entschied, dass das unterschiedliche Rentenantrittsalter von 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer nicht mit dem Grundsatz der Geschlechtergleichheit vereinbar sei. Das niedrigere Frauenrentenalter könne nicht als adäquates Instrument zum Ausgleich von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen aufgrund der traditionellen Arbeitsteilung angewandt werden. Nicht alle Frauen, die von dieser Sonderbehandlung profitierten, hätten die Doppelbelastung von Erwerbs- und Familien­arbeit zu tragen, während hingegen Männer mit einer derartigen Doppelbelastung nicht durch ein niedrigeres Rentenantrittsalter entschädigt würden (Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte 1992, S. 30). SPÖ, ÖVP und auch die Grünen stellten diesem Gerichtsurteil die Tatsache der strukturellen geschlechtsspezifischen Diskriminierung im Rentensystem gegenüber, die zu kontinuierlich geringeren Rentenleistungen von Frauen führte.17 Johanna Dohnal, SPÖ-Ministerin für Frauenangelegenheiten18, hob den Widerspruch zwischen dem Verfassungsgerichtshofsurteil zur formalen Gleichheit und der de facto bestehenden Ungleichheit im Rentensystem hervor. Sie forderte eine Anhebung von niedrigen Frauenrenten durch eine verbesserte Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Die Ministerin hatte einen breiten generellen politischen Konsens hinter sich, der alle Parteien wie auch die Sozialpartner umfasste, aber die Meinungen über die Details einer Neuregelung der Kindererziehungszeitenregelung gingen auseinander.

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Zum folgenden Reformprozess siehe Mairhuber 2000, S. 165–171 und Leitner 2002, S. 184–187. 17 Für eine detaillierte Analyse der geschlechtsspezifischen Diskriminierung im österreichischen Rentensystem siehe Leitner/Obinger (1996) und Leitner (1999, S. 97–106). 18 Nach der Institutionalisierung der Frauenbewegung 1979 wurde das Staatssekretariat für die Belange der erwerbstätigen Frauen 1983 aus strategischen Gründen der Koalitionsbildung mit der FPÖ abgeschafft. 1986 kam es zur Gründung des Familienministeriums, das von der ÖVP besetzt wurde, und schließlich, 1990, wurde das Staatssekretariat für allgemeine Frauen­angelegenheiten zum, der SPÖ zugeordneten, Frauenministerium.

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Die ÖVP konzentrierte sich vorwiegend auf ihre traditionelle Forderung, dass alle nicht erwerbstätigen Mütter von der Kindererziehungszeitenregelung profitieren sollten. Die SPÖ hingegen forderte, dass alle erwerbstätigen Mütter Anspruch auf eine höhere Anrechnung haben sollten, unabhängig von Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererziehung.19 Im Unterschied zur eben geführten Diskussion um die Einführung einer geschlechtsneutralen Karenzurlaubsregelung konzentrierte man sich in der Argumentation nunmehr jedoch ausschließlich auf die Situation erwerbstätiger Mütter und vernachlässigten die Rolle der Väter in der Kindererziehung. Dies war offensichtlich dem generellen Kontext der Diskussion um die Diskriminierung von Frauen im Rentensystem geschuldet, aber auch der Tatsache, dass es immer noch hauptsächlich Frauen waren, die ihre Erwerbstätigkeit zum Zweck der Kindererziehung unterbrachen. Die unterschiedlichen Forderungen der beiden Koalitionsparteien mündeten 1993 in einer Kompromissgesetzgebung, mit der die alte KindererziehungszeitenGesetzgebung, inklusive dem 3 %-Zuschlag, abgeschafft wurde. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentensystem wurde auf eine komplett neue Basis gestellt, sowohl was die Anspruchsbedingungen als auch was die Höhe der Leistungen betrifft. Es wurde ein universeller Anspruch auf maximal vier Jahre Kindererziehungszeit für alle Mütter unabhängig von ihrem Erwerbsstatus eingeführt. Die Anrechnungsperiode beginnt mit der Geburt des ersten Kindes und dauert bis zum vierten Geburtstag des Kindes. Die Geburt eines zweiten Kindes vor Ablauf der ersten Vierjahresperiode beendet automatisch die erste Anrechnungsperiode. Gleichzeitig beginnt die zweite vierjährige Anrechnungsperiode für das zweite Kind (usw.). In der Regel werden Kindererziehungszeiten bei der Mutter angerechnet, es sei denn, der Vater hat das Kind überwiegend erzogen. Eine Aufteilung der Anrechnungszeiten zwischen den Eltern ist nicht möglich. Die neuen Anrechnungsmodalitäten betreffen zum einen den Zugang zum Rentensystem: Es wurde die Möglichkeit geschaffen, dass auch Ersatzzeiten einen Rentenanspruch begründen können. Dazu sind 25 Versicherungsjahre (bestehend aus Beitrags- und/oder Ersatzzeiten) nachzuweisen. Im Extremfall können 25 Kindererziehungsjahre – wozu die Geburt von mindestens sieben Kindern in Vierjahresintervallen nötig wäre – einen Rentenanspruch begründen, ohne dass Beitragszahlungen aus Erwerbstätigkeit vorliegen. Zum anderen erhöht sich die Rente, indem der Kindererziehungszeit ein Pauschalbetrag zugewiesen wird. Bei Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererziehung wird diese Zeit so behandelt, als ob die Mutter ein Einkommen in Höhe des Pauschalbetrags erzielt 19 Dies widersprach dem Prinzip der Trennung von Erwerbsarbeit und Mutterschaft im geltenden Gesetz: Während der 1985 eingeführte 3 %-Zuschlag unabhängig vom Erwerbsstatus der Mutter während der Kindererziehung gewährt wurde, verlangte der andere Teil der Kindererziehungszeitenregelung, der 1971 eingeführt und 1990 grundlegend reformiert worden war, die Nicht-Erwerbstätigkeit der (des) kindererziehenden Mutter (Vaters) als Anspruchsvoraussetzung.

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hätte. War die Mutter während der Kindererziehungszeit erwerbstätig, wird der Pauschal­betrag zu ihrem Einkommen hinzugezählt und erhöht so ihre individuelle Bemessungsgrundlage für die Rentenberechnung.20 Diese ziemlich komplizierte Regelung stellt sicher, dass (beinahe) alle Mütter auf die eine oder andere Weise von der neuen Gesetzgebung profitieren. Die parlamentarische Debatte über das neue Gesetz konzentrierte sich in erster Linie auf die Höhe des Kindererziehungs-Pauschalbetrags. Dieser wurde 1993 auf 5.800 ATS (= 422 €) pro Kindererziehungsmonat fixiert, was einen sehr niedrigen Betrag darstellt, wenn man als Vergleichsmaßstab den Durchschnittslohn von 18.101 ATS (= 1.316 €) monatlich heranzieht (Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte 1995, 220). Die beiden Oppositionsparteien (FPÖ und Grüne) kritisierten, dass der Pauschalbetrag zu gering sei und die meisten Mütter unter dem neuen Gesetz schlechter abschneiden würden als unter der alten Regelung (vgl. auch Kohmaier 1995, S. 222). Die SPÖ- wie die ÖVP-Frauen waren ebenfalls enttäuscht von dem geringen Pauschalbetrag. Die Frauenministerin versuchte bis zum Ende des Verhandlungsprozesses, eine Anhebung des Pauschalbetrags durchzusetzen, ihr fehlte jedoch die Unterstützung von ihrer eigenen Partei. Dies war dem finanziellen Druck geschuldet, der aus sich verschlechternden ökonomischen Rahmenbedingungen entstanden war. Während der 1990 vorgenommene Ausbau der Karenzurlaubsregelung unter ökonomischem Wachstum (3,8 % 1989 und 3,3 % 1990) vonstatten ging, konnte ein Negativwachstum von 0,9 % 1993 (OECD 1997, 41) zusammen mit einer pessimistischen Wirtschaftsprognose nicht den entsprechenden finanziellen Rückhalt, der für eine Erhöhung des Pauschalbetrags notwendig gewesen wäre, bereitstellen. Die Koalitionsparteien verteidigten ihren Kompromiss je nach ideologischer Ausrichtung mit unterschiedlichen Argumenten. Die alte Forderung der Volks­ partei, lange Perioden der Kindererziehung anzuerkennen, wird von dem neuen Gesetz eingelöst. Nicht nur kam es zu einer Ausweitung von zwei auf vier Jahre Kindererziehungszeit pro Kind, Kindererziehungszeiten können erstmals auch einen Rentenanspruch begründen. Die sozialen Rechte, die durch ausschließliche Kinderbetreuung erworben werden können, erfuhren damit eine entscheidende Verbesserung. Zwar kann der geringe Pauschalbetrag im Fall von ausschließlicher Kindererziehung nur kleine Rentenansprüche generieren, aber es entstehen dadurch auch Rentenansprüche, die es zuvor nicht gegeben hätte. In der Praxis hat sich diese rentenbegründende Funktion bislang jedoch als nur von marginaler Bedeutung herausgestellt, die überwiegende Mehrheit der Frauen erwirbt ihren Rentenanspruch auf der Basis von 15 Jahren Erwerbstätigkeit. Die Sozialdemokraten hingegen sahen ihren Erfolg in der Abschaffung der Trennung von Erwerbsarbeit und Kindererziehung. Das neue Gesetz begünstigt 20 Der maximale monatliche Rentenzuschlag pro Kind betrug bis zur Rentenreform 2003 440 ATS (= 32 €).

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auch Mütter, die ihre Erwerbskarriere nicht unterbrochen haben. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass nicht alle erwerbstätigen Mütter von der Neuregelung profitieren: Diejenigen mit kontinuierlichen Erwerbskarrieren und hohem Einkommen werden kaum eine Erhöhung ihrer Rente durch den Pauschalbetrag erfahren. Wenn ihre 15 besten Jahre, die die Bemessungsgrundlage darstellen, sich nicht aus Einkommen, das um den Pauschalbetrag erhöht wurde, zusammensetzen, erhöhen Kindererziehungszeiten ihre Rente nicht. Die Beurteilung des neuen Gesetzes durch Feministinnen gestaltet sich sehr zwiespältig. Mairhuber (2000, S. 170) behauptet, dass keine Anreize für eine ausschließliche Kindererziehungszeit gesetzt werden, weil parallele Erwerbstätigkeit erlaubt wird. Im Gegensatz dazu kritisiert Hieden-Sommer (1994, S. 190), dass, solange der Pauschalbetrag gering gehalten wird und alle anderen Strukturen und Symbolsysteme der Gesellschaft gleich bleiben, die neue Regelung die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie fixiere. Diese Überlegung wird in gewisser Weise auch von Rosenberger (1995, S. 392) geteilt. Ihrer Meinung nach erforderte die spezifische politische Konstellation eine Politik, die auf Kompromissen basiert, und resultierte in einer Harmonisierung progressiver feministischer Forderungen mit konservativen Forderungen nach einer Stärkung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (ebd., S. 363 f.). Das neue Gesetz engt meines Erachtens die Wahlmöglichkeiten von Müttern nicht ein, weil es beide Sichtweisen, diejenige von Frauen als Mütter und Erwerbstätige wie auch diejenige von Frauen als Mütter oder Erwerbstätige beinhaltet. Der Knackpunkt liegt jedoch in dem Fokus auf Frauen. In dieser Hinsicht geht die Neuregelung hinter den Standard des Elternkarenzurlaubs zurück und reinstalliert die Feminisierung von Elternschaft. Genau deshalb kommt es zu einer Verstärkung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie, die das traditionelle Ernährer­modell stützt.

g) Der Abbau familisierender Strukturen Mitte der 1990er Jahre Infolge der Verlängerung des Karenzurlaubs von einem auf zwei Jahre hatte sich die Zahl der Bezieherinnen von Karenzgeld und die damit verbundene Ausgabenlast verdoppelt. Auch der relative Anteil der Bezieherinnen des großen Karenzgelds war stark angestiegen: Betrafen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gut ein Viertel aller Karenzgeldbezüge das große Karenzgeld, so stieg der Anteil des großen Karenzgelds bis 1993 auf ein Drittel (BMUJF 1999b, S. 156), was vor dem Hintergrund der Budgetkrise und des politisch verordneten Sparzwangs die schon in den 1980er Jahren geführte Missbrauchsdebatte wieder aufleben ließ. „Die Tatsache, dass aufgrund der zunehmenden Erwerbslosigkeit auch immer mehr verheiratete Frauen Anspruch auf erhöhtes Karenzgeld erwarben, blieb dabei völlig außer Acht.“ (Mairhuber 1999, S. 43)

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Im Rahmen der beiden Strukturanpassungsgesetze von 1995 und 1996 kam es schließlich unter anderem zu einer Reihe von Einschränkungen bezüglich der bestehenden Karenzurlaubsregelung: Die Zugangsbedingungen wurden erschwert. Aufgrund der in der Arbeitslosenversicherung vorgenommenen Änderungen mussten seit 1.1.1996 unter-25-jährige Frauen mindestens 16 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein, um Anspruch auf Karenzgeld zu haben. Davor genügte die volle Dauer des Wochengeldbezugs im Ausmaß von 20 Wochen, um die Anwartschaftsfrist zu erfüllen, jetzt wurden gewissermaßen nur noch vier Wochen des Wochengeld­ bezugs auf die Anwartschaftsfrist angerechnet. Für eine weitere Inanspruchnahme von Karenzgeld mussten 26 Wochen (davor: 20) als anrechenbare Zeiten nach­ gewiesen werden. Die Bezugsdauer wurde gekürzt. Seit 1.7.1996 konnte nur noch 18 Monate lang Karenzgeld bezogen werden, die restlichen sechs Monate kamen nur zur Auszahlung, wenn sie vom zweiten Elternteil in Anspruch genommen wurden. Unverändert ist allerdings die Möglichkeit der zweijährigen Beurlaubung, im letzen halben Jahr ist die Mutter jedoch nicht arbeitslosenversichert, in der Krankenversicherung besteht die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung21, sofern nicht die beitragsfreie Familienmitversicherung in Anspruch genommen wird. Die Regelung galt gleichermaßen für Alleinerziehende. Aufgrund der oben geschilderten geschlechtsspezifisch diskriminierenden Strukturen war nicht zu erwarten, dass die Verknüpfung der letzten sechs Monate des Karenzgeldbezugs mit einem Wechsel der Beurlaubung zwischen den Elternteilen tatsächlich zu einer Umverteilung der Betreuungsarbeit zwischen den Eltern führen würde. Dies scheint auch vor dem Hintergrund der Sparpolitik gar nicht gewünscht, wie auch die Nicht-Berücksichtigung der speziellen Situation von Alleinerziehenden vermuten lässt (Mairhuber 1999, S. 45). De facto stieg der Anteil der Väter an allen Karenzgeld­bezieherInnen bis Ende der 1990er Jahre geringfügig auf 1,5 % (Hausegger et al. 2003, S. 8). Das große Karenzgeld wurde abgeschafft. Seit 1.1.1996 konnte nur noch ein Antrag auf einen Karenzgeldzuschuss gestellt werden, der ca. 45 % des kleinen Karenzgelds betrug. Es handelte sich dabei um einen Kredit, der von dem Elternteil, der kein Karenzgeld bezog (meist der Vater), zurückzuzahlen war. Verheiratete oder in Lebensgemeinschaft lebende Mütter mussten sich bereit erklären, den Zuschuss selbst zurückzuzahlen, wenn der Vater dazu nicht herangezogen werden konnte.

21 Seit 1.1.1998 bestand eine beitragsfreie Krankenversicherung für die Zeit zwischen dem 19. Lebensmonat und dem zweiten Geburtstag des Kindes, wenn ein Elternteil nach Ablauf des Karenzgeldes noch Karenzurlaub in Anspruch nimmt. „Damit werden vor allem Müttern, die den Karenzurlaub alleine bis zum 2. Geburtstag des Kindes in Anspruch nehmen, im Falle einer neuerlichen Schwangerschaft die Ansprüche auf Wochengeld und Karenzgeld gewahrt.“ (BMUJF 1999a, S. 468)

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus  „Der Staat zwingt somit diese Frauen, die Bürgschaft für eine vom Vater des Kindes zu leistende Unterhaltszahlung zu übernehmen. Frauen, die aus Existenzgründen den Zuschuß beantragen (müssen), riskieren damit in vielen Fällen eine langfristige Einschränkung ihrer eigenen sowie der materiellen Existenz ihrer Familie.“ (Neyer 2000, S. 122)

Alleinerziehende bekamen den Zuschuss nur, wenn die Möglichkeit der Rückerstattung durch den Vater gegeben war, d. h. sie mussten die Identität des Kindsvaters preisgeben.22 Der rückzahlungspflichtige Zuschuss stellt – wie schon das große Karenzgeld – einen Ersatz für den Ausfall des Ernährereinkommens dar. War jedoch mit dem großen Karenzgeld der Staat an die Stelle des Familienernährers getreten, fällt mit dem Zuschuss, der eigentlich nur einen Vorschuss auf das Einkommen des Kindsvaters darstellt, die Verantwortung für den Unterhalt von Mutter und Kind auf den Familienernährer – bzw. teilweise auch auf die Mutter selbst – zurück (Neyer 2000, S. 125). „Mit der Umwandlung des bislang als Versicherungsleistung gewährten erhöhten Karenzurlaubsgeldes in einen durch den Kindesvater rückzuerstattenden Zuschuß wird indirekt eine Unterhaltspflicht des Mannes gegenüber der karenzierten Frau eingeführt.“ (Neyer 1996, S. 17)

Zwar zielte die Logik der Karenzurlaubsregelung aufgrund der geringen Höhe des kleinen Karenzgelds23 immer schon auf die Versorgung durch einen Partner ab, für Alleinerziehende – und seit 1989 auch für Mütter mit gering verdienenden Partnern – war diese jedoch mit dem Instrument des großen Karenzgelds durchbrochen worden. Mit der Einführung des Zuschusses wird das Prinzip der Versorgung durch einen Ernährer nun jedoch universell angewendet – sogar auf nicht bestehende Partnerschaften (ebd., S. 18). Der Anteil derjenigen KarenzgeldbezieherInnen, die ein großes Karenzgeld bzw. einen Karenzgeldzuschuss bezogen, ging daraufhin deutlich zurück: Er sank von 34 % 1995 auf 25 % 1996, 14 % 1997 und schließlich auf 11 % 1998/99. Der Rückgang ging dabei hauptsächlich zu Lasten von Alleinerziehenden und weniger zu Lasten von einkommensschwachen Paaren (BMUJF 1999b: 160). Der Zugang zur Sonder-Notstandshilfe wurde erschwert. Seit 1.5.1996 konnte Sonder-Notstandshilfe nicht mehr wie bisher im Anschluss an das Karenzgeld bis zum dritten Geburtstag des Kindes bezogen werden, sondern nur noch ein Jahr lang. D. h., dass in der Regel – wenn der zweite Elternteil nicht auch sechs Monate Karenzgeld bezogen hat – spätestens zweieinhalb Jahre nach der Geburt der Leistungsbezug endete. Der Anspruch auf Sonder-Notstandshilfe setzte außerdem voraus, dass keine Möglichkeit der Kinderbetreuung bestand. Dieser Umstand musste seit 1.5.1995 von der jeweiligen Kommune bestätigt werden, wobei die Kommunen gleichzeitig dazu verpflichtet wurden, ein Drittel der Kosten für die Sonder-Notstandshilfe an den Bund zurückzuerstatten. 22 Seit 1.1.2000 hatten allein erziehende Mütter, die den Kindsvater nicht bekannt gaben, auch Anspruch auf den Zuschuss, wenn sie sich selbst zur Rückzahlung verpflichteten. 23 Das kleine Karenzgeld betrug 1996 rund 5.500 ATS monatlich (181,3 ATS pro Tag).

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„Mit der Einbindung der Gemeinden in die Finanzierung der Sonder-Notstandshilfe wurde ein seit Jahren offener Konflikt über den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen zwischen Bund und Gemeinden zunächst zu Lasten der Gemeinden geregelt. Diese sollten solcherart dazu gezwungen werden, Betreuungseinrichtungen für (Klein-)Kinder zu schaffen. Doch die Gemeinden wälzten das Problem auf die Frauen ab, indem sie das Vorhandensein einer geeigneten Kinderbetreuung auch dann bestätigten, wenn dies nicht den Tatsachen entsprach oder die Bedingungen für die Frau oder das Kind unzumutbar waren. Damit verloren viele Frauen ihre finanzielle Existenzsicherung nach der Karenzierung.“ (Neyer 2000, S. 125)

Die Folgen für die betroffenen Mütter lassen sich am Rückgang der Anzahl der Bezieherinnen von Sonder-Notstandshilfe ablesen: Von 1994 bis 1997 reduzierte sich ihre Anzahl um rund zwei Drittel (Liebhart et al. 2003, S. 420). Der Sozialabbau im Rahmen der Karenzurlaubsregelung setzte an mehreren Punkten an und betraf unterschiedliche Gruppen von Frauen in unterschiedlichem Ausmaß. Die verlängerten Anwartschaftsfristen für den Karenzgeldanspruch verstärken die Bedeutung der Anknüpfung an vorangegangene Erwerbsarbeit ins­ besondere für jüngere Frauen. Die Kürzung der Bezugsdauer des Karenzgelds und die Ablösung des großen Karenzgelds durch den Karenzgeldzuschuss kann zum einen als Anreiz für eine verkürzte Erwerbsunterbrechung interpretiert werden. Durch die fehlende Kinderbetreuungsinfrastruktur für unter Dreijährige ist eine Aufnahme von Erwerbsarbeit für Eltern von Kleinkindern jedoch gleichzeitig höchst problematisch. Dass dieses Betreuungsdefizit durchaus bekannt war, zeigt ein parteipolitischer Kompromiss zwischen SPÖ und ÖVP, der 1,2 Milliarden ATS (87,21 Mio. €) an zusätzlichen Bundesmitteln für die Länder zum Ausbau der Kinderbetreuung zwischen 1996 und 2000 vorsah (Rosenberger 1999, S. 768). Die Mittel wurden jedoch nicht ausgeschöpft, weil die Bundesländer, in deren Zuständigkeitsbereich der Ausbau der Kinderbetreuung fällt, die Folgekosten zur Erhaltung der Einrichtungen nicht tragen wollten (Liebhart et al. 2003, S. 420). Dass sich diese ambivalente Anreizstruktur für Alleinerziehende besonders negativ auswirkte, liegt auf der Hand, zumal sie weder die theoretische Möglichkeit der Verlängerung des Karenzgeld- oder Sonder-Notstandshilfe-Bezugs um sechs Monate durch den Vater des Kindes hatten und noch dazu in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Bewilligungsbehörde standen.

h) Die neo-konservative Wende Im Jahr vor der Nationalratswahl 1999 zeichnete sich ein Konflikt zwischen den Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP ab, der sich an dem ÖVP-Vorschlag eines „Karenzgelds für alle“ entzündete. Die SPÖ wie auch weite Teile der Gewerkschaft standen einer Ausweitung des Karenzgelds auf alle Mütter mit Kleinkindern ohne Rücksicht auf den Erwerbsstatus vor der Mutterschaft ablehnend gegenüber. Die FPÖ hingegen verfolgte mit dem in Kärnten unter Landeshauptmann Haider ex-

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perimentell umgesetzten „Kinderscheck“ ein ähnliches Modell wie die ÖVP, so dass die späteren Koalitionspartner sehr rasch zu einer Umsetzung des bereits im Regierungsprogramm 2000 angekündigten Kinderbetreuungsgelds kamen: Gegen das Votum der Oppositionsparteien wurden zum 1.1.2002 von der ÖVP/FPÖ-Koalition das Kinderbetreuungsgeld (KBG) eingeführt und die bisherigen Regelungen zu Karenzgeld, Sonder-Notstandshilfe und Anerkennung von Kindererziehung im Rentensystem abgeschafft (vgl. Wintersberger 2006). Mit der Einführung des KBG erfuhr die österreichische Variante des expliziten Familialismus eine grundlegend neue Ausrichtung: Frauen mit Kindern werden nunmehr in erster Linie in der Familie verortet und nicht als Erwerbstätige, sondern als Mütter wahrgenommen (Rosenberger 2000, S. 426). Die bisherige sozialdemokratische Akzentsetzung in der Familienpolitik, nämlich einen Anreiz für die Erwerbstätigkeit von Frauen durch eine erwerbszentrierte Versicherungsleistung bei Mutterschaft zu schaffen, wurde zurückgedrängt (Obinger/Tálos 2006, S. 174). Anspruch auf KBG haben alle Eltern, d. h. der Bezug von KBG ist von vorangegangener Erwerbsarbeit abgekoppelt und somit universell. Dies führte zu einer Ausweitung des BezieherInnenkreises auf gewerblich und industriell Selbständige, auf Bäuerinnen/Bauern, unselbständig Beschäftigte ohne ausreichende Anwartschaft auf Karenzgeld, auf Hausfrauen/-männer, StudentInnen und SchülerInnen. Etwa ein Viertel aller KBG-BezieherInnen hätte keinen Anspruch auf das alte Karenzgeld, vorwiegend handelt es sich dabei um Hausfrauen und ­StudentInnen (ÖIF 2003). Die Höhe des KBG beträgt pauschal 436 € pro Monat und liegt damit leicht über dem alten Karenzgeld. Ähnlich dem alten Karenzgeldzuschuss gibt es für gering verdienende Eltern einen Zuschuss zum KBG von 181,68 € pro Monat. Der Zuschuss muss inklusive eines Zuschlags von 15 % zurückgezahlt werden, sobald wieder ein gewisses Einkommen erzielt wird. Nach 15 Jahren erlischt die Rückzahlungspflicht. Die KBG-Bezugsdauer erstreckt sich maximal auf drei Jahre, wenn (mindestens) sechs Monate durch den jeweils anderen Elternteil in Anspruch genommen werden. Ein zweimaliger Wechsel zwischen den Eltern ist möglich, allerdings können nicht beide Eltern gleichzeitig KBG beziehen. Aufgrund der nach wie vor geringen Höhe der Transferleistung überwiegt der Anreiz zur traditionellen Rollenteilung zwischen den Eltern (Riesenfelder et al. 2007, S. 91). So hat sich der Anteil der Väter an allen KBG-BezieherInnen nur geringfügig gesteigert: von knapp 2 % Ende der 1990er Jahre auf 3 % 2005 und 4 % 200824. Etwa ein Drittel der Väter, die KBG beziehen, ist denjenigen Gruppen zuzuordnen, die früher vom Karenzgeldbezug ausgeschlossen waren: Selbstständige,

24 http://www.bmwfj.gv.at/Familie/FinanzielleUnterstuetzungen/Kinderbetreuungsgeld/ Seiten/Monatsstatistiken.aspx (4.8.2011).

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Landwirte, Hausmänner, Studenten, Schüler (ÖIF 2005). Dies allein würde den leichten Anstieg der Väterbeteiligung schon fast erklären. „Nicht überraschend dürfte es sein, dass das Kinderbetreuungsgeld in ungleich höherem Ausmaß von (freiberuflich) selbstständig erwerbstätigen Männern und von Bauern in Anspruch genommen wird. Die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Zuverdienstgrenze sind für diese Berufsgruppen anders bzw. günstiger als für unselbstständig erwerbstätige Männer.“ (Tálos 2005, S. 290)

Insgesamt beziehen Väter kürzer KBG als Mütter und steigen dabei seltener ganz aus dem Erwerb aus (ÖIF 2005). Dies spiegelt sich auch darin, dass Väter in der Regel erst KBG beziehen, wenn die Kinder etwas älter sind und eventuell auch außerfamiliär betreut werden, was Zeit für die Erwerbsarbeit schafft (Fritsch 2004, S. 51). Für die Väterbeteiligung ist – nach wie vor – förderlich, wenn das Einkommen des Vaters gleich hoch oder niedriger ist als das der Mutter und wenn eine starke Erwerbsorientierung der Partnerin vorliegt. Für Männer mit hohem Einkommen und für Alleinverdiener (Hausfrauen als neue Bezieherinnen) bietet das KBG hingegen wenig Anreize zur Väterbeteiligung. Auch Männer, die negative Auswirkungen auf ihre Karriere befürchten, zeigen wenig Bereitschaft zur Inanspruchnahme von KBG (ÖIF 2003). Zudem bestehen auch strukturelle Hemmnisse, die in der KBG-Regelung selbst wurzeln: Die arbeitsrechtliche Absicherung von KBG-BezieherInnen erstreckt sich nur bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes. Dies liegt daran, dass der alte Rechtsanspruch auf Karenzurlaub inklusive 4 Wochen Kündigungsschutz weiterhin nur bis zum 24. Lebensmonat des Kindes gilt und zwar unabhängig davon, ob sich ein oder beide Elternteil(e) beurlauben lassen. „Nach der derzeitigen Rechtslage schwebt somit über dem Vater, der das letzte halbe Jahr Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nimmt und während dieser Zeit in Karenz ist, das Damoklesschwert des Arbeitsplatzverlustes, da er keine rechtlich gedeckte Rückkehrmöglichkeit besitzt und daher auf das Entgegenkommen seiner Arbeitgeber bzw. Arbeit­ geberinnen angewiesen ist.“ (Fritsch 2004, S. 32)

Zudem bestand bis 1.7.2004 zwar weiterhin die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Teilzeitkarenz (Herabsetzung der Arbeitszeit um zwei Fünftel mit Kündigungs- und Entlassungsschutz), wenn der Arbeitgeber zustimmte. Diese konnte längstens bis zum vierten Geburtstag des Kindes dauern, verkürzte sich aber, wenn ein Elternteil Vollzeitkarenz in Anspruch nahm.25 Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings die im Vergleich zum männlichen Teilzeit­ einkommen relativ niedrige Zuverdienstgrenze (s. u.), ab der der KBG-Anspruch 25

Nahm z. B. ein Elternteil Vollzeitkarenzurlaub bis zum 12. Lebensmonat des Kindes in Anspruch, bestand noch Anspruch auf Teilzeitkarenz bis zum 36. Lebensmonat des Kindes. Bei Vollzeitkarenz bis zum 18. Lebensmonat war noch Teilzeitkarenz bis zum 30. Lebens­ monat möglich.

76

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

erlischt und die somit der Väterbeteiligung hinderlich ist (ÖIF 2003). Dies gilt analog für die seit 1.7.2004 bestehende Möglichkeit der Elternteilzeit, ein arbeitsrechtlicher Anspruch, der maximal bis zum siebten Lebensjahr des Kindes gewährt wird. Die geringe Väterbeteiligung ergibt sich aber auch daraus, dass der „Verzicht“ auf weitere sechs Monate KBG von den Eltern nicht als finanzieller Verlust wahrgenommen wird: „Der Entfall eines halben Jahres Kinderbetreuungsgeld wird bewusst in Kauf genommen, da die generell verlängerte Bezugsdauer um ein Jahr für eine Betreuungsperson – im Klartext, die Mutter – als ausreichende Maßnahme empfunden wird.“ (Fritsch 2004, S. 61)

Der Anreiz zur Väterbeteiligung durch die Verknüpfung der vollen Leistungsgewährung mit dem wechselnden KBG-Bezug der Eltern läuft somit ins Leere. Der KBG beziehenden Elternteil darf jährlich bis zu 14.600 € brutto hinzuverdienen, ohne dass es zu einer Leistungskürzung kommt (vorher: 296 € monatlich). Seit 2010 gilt eine individuelle Zuverdienstgrenze, die bis zu ca. 60 % des vorherigen Einkommens beträgt. Diese Anhebung der Zuverdienstgrenze fördert zum einen die kontinuierliche Beschäftigungsintegration von Eltern (sprich: Müttern), was sich positiv auf deren Wiedereinstiegschancen auswirken könnte. Zum anderen werden dadurch flexible und ungeschützte Beschäftigungsformen ge­ fördert (Tálos 2005, S. 290; Schmidjell 2003, S. 67), somit die geschlechtsspezi­ fische Segregation des Arbeitsmarktes verstärkt. Der Anteil der Mütter, die die Zuverdienstgrenze nutzten, ist zwischen Januar 2002 und April 2005 von 7,6 % auf 16,8 % gestiegen (ÖIF 2005). Im März 2006 war es bereits ein knappes Viertel (Rille-Pfeiffer et al. 2007, S. 71). Anders gestalten sich die Zuverdienstregelungen bezüglich des Zuschusses zum KBG. Dieser bleibt nur dann erhalten, wenn die Einkünfte des beziehenden Eltern­teils 3.997  € jährlich nicht überschreiten bzw. die Einkünfte des Partners 7.200 € nicht übersteigen (pro weiteres unterhaltenes Kind erhöht sich die Frei­ betragsgrenze um 3.600 €). Die Einkommensgrenze des Zuschuss beziehenden Elternteils liegt also nur knapp über der Geringfügigkeitsgrenze und damit weit unter der Zuverdienstgrenze des normalen KBG. „Somit werden Personen mit geringem Familieneinkommen, die den staatlichen Zuschuss erhalten wollen, von zusätzlicher Erwerbstätigkeit weitgehend ausgeschlossen. Vor allem Alleinerzieherinnen, die während der Karenzzeit keiner Erwerbsarbeit nachgehen, sollen von dieser Regelung profitieren.“ (Fritsch 2004, S. 18)

Die kontinuierliche Erwerbsintegration durch höhere Zuverdienstgrenzen scheint bei Einführung des KBG paradoxerweise im Hinblick auf einkommensschwache Eltern keine sozialpolitische Zielsetzung gewesen zu sein. 2008 erfolgte eine Anhebung der Zuverdienstgrenze des KBG beziehenden Elternteils auf 16.200 € jährlich, der zweite Elternteil darf maximal 12.200 € plus 4.000 € pro unterhaltspflichtigem Kind hinzuverdienen.

1. Kinderbetreuung

77

Insgesamt betrachtet scheint sich die verlängerte Bezugsdauer des KBG negativer auf die Frauenerwerbstätigkeit auszuwirken als durch die positiven Effekte der höheren Zuverdienstgrenze wettgemacht werden kann: Nach zweieinhalb Jahren sind weniger Mütter wieder erwerbstätig als unter der alten Regelung. Erst in den darauf folgenden drei Monaten ist die Erwerbsbeteiligung wieder vergleichbar hoch, allerdings sind mehr Frauen arbeitslos, d. h. weniger Frauen als zuvor schaffen den Wiedereinstieg (Lutz 2004). Die neue Zuverdienstgrenze hat positive Effekte für die Beschäftigungsintegration von Frauen, die bereits ein Naheverhältnis zum Arbeitsmarkt haben. Insbesondere für Frauen mit höherer Qualifikation sind die Wiedereinstiegschancen besser, sie nutzen die Möglichkeit des Zuverdienstes über der Geringfügigkeitsgrenze während der Karenz auch häufiger (Prammer-Waldhör 2003, S. 3). Insofern hat die Ausweitung der Zuverdienstmöglichkeiten den Anteil von Wiedereinsteigerinnen innerhalb des ersten Jahres deutlich erhöht: Während unter der alten Regelung nur 5 % der Frauen innerhalb der ersten zwölf Monate wieder in eine Standardbeschäftigung einstiegen, sind es unter der KBG-Regelung 9 %. Gleichzeitig aber verringerte sich der Anteil der Frauen, die im zweiten Bezugsjahr in den Arbeitsmarkt zurückkehren: Waren es unter der alten Regelung 42 %, so sind es unter der KBG-Regelung nur noch 19 %. Mütter steigen also insgesamt länger aus der Erwerbsarbeit aus als früher, es wird jedoch angenommen, dass sie langfristig in ähnlich hohem Ausmaß wie früher auf den Arbeitsmarkt zurückkehren werden (Riesenfelder et al. 2007, S. 94–97). Ob sie nach dem längeren Ausstieg den Wiedereinstieg auch ähnlich gut bewältigen werden, ist umstritten: „Jene Frauen dagegen, die die ganze (verlängerte) Dauer der Elternkarenz ausschöpfen, werden vermehrt erwerbslos bleiben.“ (Prammer-Waldhör 2004, S. 6)

Das KBG verstärkt gewissermaßen die jeweilige Grundorientierung der BezieherInnen hinsichtlich ihrer Präferenzen für Erwerbs- oder Familienarbeit. Tendenziell fördert es die Familienorientierung stärker (ÖIF 2003; Rille-Pfeiffer et al. 2007), beispielsweise in Form einer beruflichen Umorientierung hin zu einem Job, bei dem sich Familie und Erwerbsarbeit besser vereinbaren lassen als bei einem unmittelbaren Wiedereinstieg in den „alten“ Job (ÖIF 2005). Dies sicherlich auch deshalb, weil mit dem KBG das traditionelle Übergewicht finanzieller Leistungen im Vergleich zu Sach- und Infrastrukturmaßnahmen in der österreichischen Familienpolitik noch verstärkt wurde (Tálos 2005, S. 289), denn der erfolgreiche (Wieder-)Einstieg nach dem Karenzurlaub hängt auch vom Angebot außerfami­ liärer Kinderbetreuung ab: „So nehmen in Vorarlberg, wo bloß ein Viertel aller dreijährigen Kinder außerfamiliär betreut werden, lediglich 31 % der Mütter nach der Elternkarenz eine Standardbeschäftigung auf. Im Burgenland dagegen (mit dem österreichweit größten Betreuungsangebot für Dreijährige) beträgt der analoge Anteil fast 45 %.“ (Prammer-Waldhör 2004, S. 3)

Hinzu kommt, dass der fehlende Kündigungsschutz nach dem 24. Lebensmonat des Kindes den Wiedereinstieg erschwert:

78

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus  „Die kürzere arbeitsrechtliche Karenz wird nicht als Motivation zur Rückkehr in die Erwerbstätigkeit gesehen, sondern führt gemeinsam mit mangelnder Informiertheit bezüglich des kürzeren Kündigungsschutzes meist zu ungesicherten Überbrückungszeiten in die Erwerbsbiografie.“ (Rille-Pfeiffer et al. 2007, S. 75)

Verbessert hat sich hingegen die sozialversicherungsrechtliche Absicherung während des KBG-Bezugs: Während der gesamten Bezugsdauer sind KBG-BezieherInnen beitragsfrei krankenversichert, und während der KBG-Bezugszeit plus drei Jahre danach bleibt der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung aufrecht („Rahmenerstreckungsfrist“). Somit können KBG-BezieherInnen, die nach der Kündigungsschutzfrist ihren Arbeitsplatz verlieren, ihre vor dem KBG-Bezug erworbenen Ansprüche geltend machen (Fritsch 2004, S. 18). Hinsichtlich der Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht werden seit 2000 18 Monate, seit 2003 24 Monate des KBG-Bezugs pensionsbegründend angerechnet.26 Darüber hinaus gehen Zeiten bis maximal zum vierten Geburtstag des Kindes in die Berechnung der Rentenhöhe ein. Sie werden seit 2004 erhöht bewertet und orientieren sich am Ausgleichszulagen-Richtsatz: Bis zum Jahr 2028 wird die Kindererziehungs-Pauschale jährlich um 2 % angehoben, so dass 2028 150 % des Ausgleichszulagen-Richtsatzes für Alleinstehende erreicht werden. 2011 beträgt die Pauschale 920 € pro Monat (Ausgleichszulage plus 16 %). Die Kindererziehungszeit wird demjenigen Elternteil gutgeschrieben, der das Kind überwiegend erzogen hat, wobei im Regelfall die Gutschrift bei der Mutter erfolgt. Im Unterschied zur alten Regelung ist vor allem die verbesserte Möglichkeit der rentenbegründenden Anrechnung hervorzuheben, die ganz in der konservativen Traditionslinie der ÖVP steht und in gewisser Weise einen „Alternativberuf“ für Frauen (Rosenberger 2000, S. 427), nämlich den Beruf der nicht erwerbstätigen Mutter, konstruiert. Die geschlechtsspezifischen Wirkungen der Neuregelung sind insgesamt sehr ambivalent zu beurteilen. Zum einen scheint es einen klaren Trend hin zu einem längerem Erwerbsausstieg mit schwierigerem Wiedereinstieg zu geben, der auch noch sozialrechtlich besser als früher abgesichert wird. Zum anderen können Mütter in höherem Ausmaß als früher gleichzeitig zur Kinderbetreuung erwerbstätig sein und so ihre Bindung an den Arbeitsmarkt besser aufrechterhalten. Um diese Wahlfreiheit zu ermöglichen, müssten allerdings die entsprechenden strukturellen Rahmenbedingungen hinsichtlich der institutionellen Kinderbetreuung für unter Dreijährige gegeben sein. Zwar hat sich seit Mitte der 1990er Jahre die Betreuungsquote von 4,6 % im Jahr 1995 auf 11,8 % im Jahr 2007 verbessert (vgl. Tabelle 5), gleichzeitig aber ist auch die Erwerbstätigenquote von Müttern mit einem Kind unter drei Jahren angestiegen: 2007 waren 28,8 % dieser Mütter mindestens 12 Stunden pro Woche erwerbstätig (die Mütter in Karenzurlaub nicht mitgezählt). 26 Im neuen „harmonisierten“ System, das 2005 eingeführt wurde, können insgesamt acht von den erforderlichen 15 Beitragsjahren, die einen Rentenanspruch begründen, durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten erbracht werden.

79

1. Kinderbetreuung

Bei den Müttern, deren jüngstes Kind im Kindergartenalter war, betrug die entsprechende Erwerbstätigenquote 69,9 %, von den Müttern, deren jüngstes Kind zwischen sechs und 15 Jahre alt war, waren 78,1 % mindestens 12 Stunden pro Woche erwerbstätig (Statistik Austria 2008a, S. 81). Während für die erste Gruppe die Versorgung mit Kindergartenplätzen als ausreichend beurteilt werden kann, ergibt sich für die zweite Gruppe – ähnlich wie bei den unter Dreijährigen – ein Betreuungsdefizit (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5 Kinderbetreuungsquoten in Österreich, 1995–2010 0–2 Jahre

3–5 Jahre

6–9 Jahre

1995

4,6

70,6

7,0

1996

5,0

71,7

7,1

1997

5,4

73,2

7,7

1998

6,3

74,7

7,8

1999

7,1

76,1

7,8

2000

7,7

77,6

8,4

2001

8,4

79,0

8,8

2002

8,7

80,7

9,4

2003

8,5

81,8

10,1

2004

9,2

82,1

11,1

2005

10,2

82,7

11,9

2006

10,8

83,5

12,9

2007

11,8

84,9

13,8

2008

14,0

86,5

14,5

2009

15,8

88,5

15,4

2010

17,1

90,7

16,3

Quelle: Statistik Austria 2011.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nur etwa ein Drittel der Kindergartenplätze als Ganztagsplätze ausgestaltet sind (Dörfler/Kaindl 2007, S. 19). Rund drei Viertel der Mütter mit einem Kind im Kindergartenalter sind daher auch nur Teilzeit erwerbstätig (Statistik Austria 2008a, S. 85). Während das KBG in Kombination mit der geringen Betreuungsquote für unter Dreijährige immer noch eher

80

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

den Erwerbsausstieg von Müttern mit Kleinkindern und damit das traditionelle Ernährermodell fördert, stützt die Institution des Halbtagskindergartens gemeinsam mit der Halbtagsschule das modernisierte Ernährermodell. Das 2009 eingeführte verpflichtende kostenlose letzte Kindergartenjahr auf Halbtagsbasis − verpflichtend ist der Besuch des Kindergartens für Fünfjährige im Umfang von 16 Wochenstunden – führt diese Tradition des modernisierten Ernährermodells fort (Kreimer 2011, S. 91). Seit 1.1.2008 kann das KBG in drei unterschiedlichen Varianten bezogen werden: Alternativ zur bisherigen Regelung kann eine verkürzte Bezugszeit zu einem höheren monatlichen Pauschalsatz gewählt werden. Eltern haben die Möglichkeit, maximal 20 Monate (24 bei Partnerbeteiligung) lang 624 € oder maximal 15 Monate (18 bei Partnerbeteiligung) lang 800 € zu beziehen. Seit 1.9.2009 kommen zwei weitere Varianten hinzu: Eltern haben die Möglichkeit, maximal 12 Monate (14 bei Partnerbeteiligung) lang 80 % ihres vorangegangenen Einkommens als KBG zu beziehen (mit einer Obergrenze von 2.000 € pro Monat) oder eine Pauschale von 1.000 € für den selben Zeitraum in Anspruch zu nehmen. Dies fördert einen rascheren Wiedereinstieg und führt in Kombination mit den Zuverdienstmöglichkeiten zur finanziellen Unabhängigkeit von Erziehenden. Entscheidend für die positive Umsetzung dieser neuen strukturellen Optionen, die im Rahmen der seit 2007 regierenden großen Koalition von der SPÖ eingefordert wurden, ist jedoch auch hier wieder eine ausreichende Betreuungsinfrastruktur. Solange die Betreuung für unter Dreijährige nicht weiter ausgebaut wird, können die Anreize zur Erwerbstätigkeit nur von wenigen genutzt werden: „Aufgrund dieser Defizite in der institutionellen Kinderbetreuung sind die kurzen Varianten nur für bestimmte Gruppen attraktiv und wählbar, insbesondere für einkommensstärkere und urbane Schichten, die auf das höhere Betreuungsangebot in den Städten zurückgreifen können und/oder sich alternative Betreuungsvarianten (Tagesmütter, Au-Pairs, Babysitter …) leisten können.“ (Kreimer 2011, S. 94)

So nutzte Anfang 2011 knapp ein Drittel aller KBG-Beziehenden eine Kurzvariante, wobei die längeren Kurzvarianten favorisiert wurden. Mit zunehmender Kürze der Betreuungszeit steigt auch der Väteranteil: Während er insgesamt bei 4,6 % liegt, beträgt er bei den Kurzvarianten 6,6 % (ebd., S. 89). i) Fazit Österreich setzte schon sehr früh auf die sozialpolitische Unterstützung familialer Betreuungsarbeit: zunächst – getrieben von einer konservativen Familienideologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – durch die Einführung abgeleiteter Ansprüche in der Renten- und Krankenversicherung, später dann, Ende der 1950er Jahre, auch durch direkte Transferleistungen für Kinderbetreuungsarbeit. Insofern kann zunächst ein Wechsel vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus festgestellt werden. Besonders bemerkenswert an der Einführung des bezahl-

1. Kinderbetreuung

81

ten Karenzurlaubs 1961 ist zum einen die Anlehnung der Leistung an das System der Arbeitslosenversicherung. Die Zielgruppe waren erwerbstätige Mütter, die für eine begrenzte Zeit der exklusiven Kindererziehung ihre Erwerbskarriere unterbrechen sollten, und diese Unterbrechung sollte sozial abgesichert werden. Zum anderen differenzierte der Gesetzgeber zwischen allein erziehenden und verheirateten Müttern. Während ersteren dieselben Leistungen wie im Fall einer Arbeitslosigkeit zugesprochen wurden, fand bezüglich letzterer der Verweis auf den Ernährer-Ehemann statt. Somit schien gewährleistet, dass sich alle erwerbstätigen Mütter eine Erwerbsunterbrechung zwecks Kindererziehung leisten konnten. Die Einführung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung Anfang der 1970er Jahre unterstützte diese Zielsetzung zusätzlich. Die Neuregelung des Karenzgelds sowie insbesondere die Einführung der Sonder-Notstandshilfe 1974 setzten die privilegierte Leistungsgewährung an allein erziehende Mütter fort: Diese konnten nun bis zum dritten Lebensjahr des Kindes ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen. Und während das „kleine“ und „große“ Karenzgeld nunmehr als einkommensunabhängige Pauschalen konzipiert waren, orientierte sich die Höhe der Sonder-Notstandshilfe wiederum analog zur Arbeitslosenversicherung am vorangegangenen Erwerbseinkommen der Mütter. Verheiratete Mütter mit gering verdienendem Ehemann wurden zwar hinsichtlich des großen Karenzgelds mit Alleinerziehenden gleichgestellt, nicht jedoch in der Sonder-Notstandshilfe; dies geschah erst 1989. Die Ermöglichung eines verlängerten Erwerbsausstiegs sollte zunächst also vor allem für Alleinerziehende garantiert werden, verheiratete Mütter wurden auf ihren Ernährer-Ehemann verwiesen. Dass das traditionelle Ernährermodell noch funktionierte, zeigen die Daten über die Wiedereinsteigerinnen, von denen über die Hälfte (55 %) zwischen drei und zehn Jahre aus dem Erwerbsleben ausgestiegen war und sich dies offensichtlich auch leisten konnte. Der von Anfang an latent vorhandene Konflikt zwischen den Sozialdemokraten einerseits, die sich für eine rasche Rückkehr der Mütter in den Beruf einsetzten, und den Christdemokraten andererseits, die Müttern eine möglichst lange Phase der Nicht-Erwerbstätigkeit zugunsten von Kinderbetreuungsarbeit ermög­lichen wollten, wurde lange Zeit durch eine Kompromiss-Gesetzgebung in Schach gehalten, die – wie oben beschrieben – Kindererziehung nur für vormals erwerbstätige Mütter absicherte, die Absicherung der Auszeit mit dem Ernährermodell verknüpfte und gleichzeitig den Ausbau institutioneller Kinderbetreuung hintan hielt. Letzterer gestaltete sich nicht zuletzt wegen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als schwierig. Aber vor allem die ideologische Distanz zwischen SPÖ und ÖVP unterstützte – gewissermaßen als kleinsten gemeinsamen Nenner – die Konzentration auf die Reform der familisierenden Strukturen (siehe auch Obinger/Tàlos 2006, S. 159). Als Kompromiss-Gesetzgebung ist demnach auch die 1990 erfolgte Einführung der Väterkarenz zu bezeichnen, die mit einer Verlängerung des Karenzurlaubs bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes ge­ koppelt wurde. In der Umsetzung zeigte sich jedoch ein eindeutig konservativer

bis zum 6. Lebensmonat des Kindes

bis zum 1. Lebensjahr des Kindes

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

1957

1961

1971/ 1973

1974

1985

1989

Karenzurlaub

keine Änderung

keine Änderung

Pauschale (kleines Karenzgeld), 50 % Zuschlag für Alleinerziehende und verheiratete Mütter mit gering verdienendem Ehemann (großes Karenzgeld), keine Anrechnung des Haushaltseinkommens

keine Änderung

Arbeitslosengeld für Alleinerziehende, Hälfte des Arbeitslosengeldes für verheiratete Mütter, Anrechnung des Haushaltseinkommens

nicht existent

Karenzgeld/KBG

keine Änderung

Kindererziehungszuschlag von 3 %

keine Änderung

Karenzurlaubszeit bzw. 1 Jahr pro Kind als Ersatzzeit

nicht existent

nicht existent

Renten­anrechnung

Tabelle 6 Entwicklung der direkten familialistischen Strukturen in Österreich

auch für verheiratete Mütter mit gering verdienendem Ehemann

keine Änderung

Alleinerziehende bis zum 3. Lebensjahr des Kindes

nicht existent

nicht existent

nicht existent

Sonder-Notstandshilfe

82 III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

1993

1996

2002

2003

2008

2009

Quelle: Eigene Darstellung.

Väterkarenz, bis zum 2. Lebensjahr des Kindes

1990

einkommensbezogene Variante des KBG

erhöhtes KBG bei kürzerer Bezugszeit

keine Änderung

universelles Kinderbetreuungsgeld bis zum 3. Lebensjahr des Kindes (30+6), Pauschale plus rückzahlungspflichtiger Zuschuss für Geringverdienende

volle Bezugsdauer an Väterbeteiligung geknüpft (18+6), großes Karenzgeld nur noch als Zuschuss/Kredit

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

keine Änderung

24 Monate KBG-Bezug rentenbegründend, max. 4 Jahre pro Kind, erhöhte Pauschale ab 2004

18 Monate KBG-Bezug rentenbegründend, max. 4 Jahre pro Kind, Pauschale

keine Änderung

universeller Anspruch auf maximal 4 Jahre pro Kind, nur für die Mutter, Pauschale

2 Jahre pro Kind, Aufteilung zwischen den Eltern möglich

nicht existent

nicht existent

nicht existent

abgeschafft

maximale Bezugsdauer 1 Jahr

keine Änderung

keine Änderung

1. Kinderbetreuung

83

84

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

geschlechtsspezifischer Bias der Neuregelung: Nach wie vor stiegen fast ausschließlich Mütter aus der Erwerbsarbeit aus, dafür nun aber doppelt so lange wie vorher. Hinzu kam die seit 1989 bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sonder-Notstandshilfe auch für verheiratete Mütter mit gering verdienendem Ehemann und die 1993 wesentlich erweiterte Anrechung von Kindererziehungszeiten auf die Rente, die zusätzliche Anreize für eine verlängerte Erwerbsunterbrechung von Müttern setzten. Der immer stärker werdende Finanzierungsdruck auf die Sozialpolitik führte schließlich Mitte der 1990er Jahre zu massiven Kürzungen bei den familialistischen Transferleistungen. Die Dauer des Karenzurlaubs wurde de facto um sechs Monate gekürzt, und für Alleinerziehende und verheiratete Mütter mit gering verdienendem Ehemann verschlechterten sich die Möglichkeiten, längerfristig sozial abgesichert aus der Erwerbsarbeit auszusteigen. Dieser gestiegene Erwerbszwang für Mütter ohne potenten Ernährer wurde schließlich durch die neue Mitte-Rechts-Regierung 2002 wieder entschärft, indem das Kinderbetreuungsgeld eingeführt wurde. Dieses ermöglicht nunmehr für alle Mütter – unabhängig von vorangegangener Erwerbstätigkeit – eine pauschale Abgeltung von Kinderbetreuungsarbeit bis zum 30. Lebensmonat des Kindes. Die Höhe der Pauschale ist zwar nicht existenzsichernd, kann aber bei geringem Einkommen durch einen rückzahlungspflichtigen Kredit aufgestockt werden. Seit 2008 bzw. 2009 kann auch eine kürzere Bezugsdauer mit einer höheren Pauschalleistung gewählt werden. Zudem besteht die Möglichkeit des Zuverdienstes, die ganz im Sinne eines modernisierten Ernährermodells die geringfügige und teilzeitige Erwerbstätigkeit von Müttern fördert. Angesichts der immer noch geringen Versorgungsquote mit Betreuungsplätzen für unter Dreijährige bleibt dieser Bereich der de-familisierenden Maßnahmen schwach ausgeprägt. Im Kinder­gartenbereich ist die Versorgung gut, aber nur ein Drittel der Plätze sind Ganztagsplätze, und im Hortbereich besteht ein ähnliches Versorgungsdefizit wie bei den unter Dreijährigen. Der explizit familialistische und geschlechtsspezifisch diskriminierende Charakter der österreichischen Kinderbetreuungspolitik hat sich somit zwar im Laufe der Zeit gewandelt, ist aber letztendlich in Form des teilmodernisierten Ernährermodells bis heute erhalten geblieben. 2. Altenpflegepolitik: Vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus a) Die Familie als Pflege-Dienstleister Ähnlich wie in der Kinderbetreuungspolitik ist das österreichische familialistische Profil auch im Bereich der Altenpflege zunächst dadurch geprägt, dass die Familie als der zentrale Ort der Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen gilt. Ende der 1980er Jahre wurden 96,6 % der pflegebedürftigen über Sech-

2. Altenpflegepolitik

85

zigjährigen in Privathaushalten betreut, nur 3,4 % lebten in stationären Einrichtungen. In 63 % zeichnete die Familie für die Betreuung verantwortlich, wobei ­EhepartnerInnen (36,2 %) und Töchter (16,8 %) den größten Teil der Pflegearbeit übernahmen. 4,9 % wurden von sozialen Diensten versorgt (Kytir/Münz 1992, S. 92; Evers et al. 1994, S. 193). 80 % der familialen Hauptbetreuungspersonen sind Frauen (Badelt et al. 1997, S. 109, ÖBIG 2005, S. 11). Männer pflegen wenn, dann erst im Rentenalter und fast ausschließlich ihre (Ehe-)Partnerin. Von den pflegenden Frauen ist hingegen die Hälfte zwischen 40 und 60 Jahre alt, knapp ein Drittel ist älter als 60 Jahre (BMUJF 1999b, S. 104). Damit ist Angehörigenpflege ähnlich wie Kinderbetreuung hauptsächlich Frauensache. Bis zur Einführung des Pflegegeldes 1993 war Angehörigenpflege zudem nur durch indirekte Sozialleistungen ab­gesichert oder anders formuliert: Das sozialpolitisch gestützte traditionelle Ernährermodell ermöglichte erst die familiale Angehörigenpflege. „Ohne unterhaltsrechtliche Existenzsicherung, ohne ‚Mitversicherung‘ in der Krankenversicherung bzw. ohne abgeleitete Ansprüche in der Pensionsversicherung wäre es Frauen nämlich nicht möglich, über einen längeren Zeitraum unentgeltlich bzw. nahezu unbezahlt Pflegearbeit zu verrichten.“ (Mairhuber 2000, S. 181)

Dies bestätigt auch die Tatsache, dass mehr als zwei Drittel der familialen Betreuungspersonen verheiratet sind (ÖBIG 2005, S. 14) und die indirekten familisierenden Strukturen somit in Anspruch nehmen können. Es kann also analog zur Kinderbetreuungspolitik von einer geschlechtsspezifisch geprägten frühen indirekten Form des expliziten Familialismus im Bereich der Altenpflegepolitik gesprochen werden. b) Die Einführung von Pflegegeld Vor 1993 waren Geldleistungen für Hilfs- und Pflegebedürftige sehr unübersichtlich gestaltet und stark segregiert. Diese Unterschiede zwischen den bestehenden Pflege-Geldleistungen waren sachlich nicht zu rechtfertigen und wurden vor allem von Interessenorganisationen jüngerer behinderter Menschen kritisiert, die schließlich auch die Triebkraft hinsichtlich der Einführung des Pflegegelds darstellten (Evers et al. 1994, S. 198). Insbesondere der Österreichische Zivil­ invalidenverband (ÖZIV) und die Parlamentsfraktion der Grünen haben in den 1980er Jahren politisch Druck gemacht. So legte der ÖZIV 1985 den ersten Gesetzesentwurf über eine Pflegeversicherung vor, und der grüne Nationalratsabgeordnete Manfred Srb – selbst Rollstuhlfahrer – trat im November 1990 gemeinsam mit anderen Behinderten in einen zehntägigen Hungerstreik in der Säulenhalle des Parlaments.27 Die demographische Entwicklung, der Wandel der Familienstruktur sowie die drohende Erosion der Familienpflege waren zudem sozio-kulturelle Rahmen­ 27

Zum detaillierten Ablauf des Politikprozesses siehe Behning (1999).

86

III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

bedingungen, die den Handlungsbedarf im Bereich der Pflege deutlich werden ließen. Hinzu kamen ein Anstieg der Krankenhauskosten aufgrund von „Fehlbelegung“ durch Pflegebedürftige, lange Wartelisten in Pflegeheimen und ein Anstieg der Sozialhilfekosten für PflegeheimbewohnerInnen (Mairhuber 2000, S. 172 f.). Seit 1.7.1993 besteht in Österreich unabhängig von vorangegangener Beitragsleistung und von Einkommens- und Vermögensverhältnissen Anspruch auf Pflegegeld, wenn ein ständiger Pflegebedarf vorliegt, der voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird und monatlich mehr als 50 Stunden (seit 2011: 60 Stunden) beträgt. Je nach Ausmaß des Pflegebedarfs gestaltet sich die Höhe des Pflegegelds in sieben Stufen (siehe Tabelle 7). Die Festlegung des individuellen Pflegebedarfs erfolgt über ein amtsärztliches Gutachten. Das Pflegegeld wird an die pflegebedürftige Person ausbezahlt, die über die Verwendung der Geldleistung autonom entscheiden kann.28 Im Jahr 2005 bezogen rund 330.000 Personen Pflege­geld. 17 % von ihnen waren in stationärer Pflege, 13 % nahmen ambulante Pflegedienste in Anspruch. 70 % jedoch wurden ausschließlich zu Hause von pflegenden Angehörigen betreut (BMSK 2007, S. 7). Tabelle 7 Die sieben Stufen des Pflegegelds in Österreich (2011) Pflegestufe

Höhe des Pflegegelds

Pflegeaufwand

I

154,2 €

mehr als 60 Stunden pro Monat

II

284,3 €

mehr als 85 Stunden pro Monat

III

442,9 €

mehr als 120 Stunden pro Monat

IV

664,3 €

mehr als 160 Stunden pro Monat

V

902,3 €

mehr als 180 Stunden pro Monat

VI

1.260,0 €

mehr als 180 Stunden pro Monat mit zeitlich un­ koordinierbaren Betreuungsaufgaben oder 24-Stunden-Anwesenheitserfordernis

VII

1.655,8 €

mehr als 180 Stunden pro Monat bei Bewegungsunfähigkeit

Quelle: www.bmask.gv.at.

Pflegende Angehörige erhalten nur dann eine Vergütung für ihre Pflegearbeit, wenn die pflegebedürftige Person das Pflegegeld entsprechend weiterreicht. Zwar haben 86 % der familialen Pflegepersonen zumindest einen indirekten Zugang 28 Im Fall einer stationären Unterbringung erhält die pflegebedürftige Person nur ein Taschengeld in Höhe von 10 % der Pflegestufe 3, der restliche Betrag wird direkt an das entsprechende Alten- oder Pflegeheim ausbezahlt.

2. Altenpflegepolitik

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zum Pflegegeld (Badelt/Österle 1997, S. 193)29, dieses wird jedoch zumeist dazu verwendet, soziale Dienste zu bezahlen, Anpassungen in der Wohnung vorzunehmen oder spezielle Hilfsmittel zu kaufen. Für die Pflegepersonen selbst bleibt in der Regel sehr wenig übrig, es handelt sich wenn, dann um symbolische Zahlungen (s. u.). Insofern bietet das Pflegegeld keinen Anreiz für eine Entgeschlecht­ lichung der Angehörigenpflege. Es verstärkt im Gegenteil den Druck auf Frauen, ihrer erwarteten Rolle als unbezahlte Pflegeperson in der Familie nachzukommen (Hammer/Österle 2003, S. 46 f.), zumal das geringe Leistungsniveau des Pflegegelds die Finanzierung einer bedarfsgerechten, professionellen Pflege unmöglich macht.30 Das Pflegegeld wird deshalb auch kaum für reguläre Arbeitsverträge verwendet: Informelle Pflegearrangements werden entweder mit einem Minimum an sozialen Diensten oder durch Pflegedienstleistungen von informellen Märkten – insbesondere durch die illegale Beschäftigung von osteuropäischen Arbeitsmigrantinnen – ergänzt.31 Von den pflegenden Angehörigen selbst sind etwa zwei Drittel im erwerbs­ fähigen Alter und damit potentiell mit dem Problem der Vereinbarkeit von Pflegearbeit und Beruf konfrontiert. 37 % von ihnen sind tatsächlich erwerbstätig, wobei es sich nur bei etwas mehr als der Hälfte um Vollzeit Beschäftigte handelt. In diesen Fällen kann das Pflegegeld – im oben geschilderten Rahmen – zum Zukauf von sozialen Diensten verwendet werden, was zur Entlastung der Pflegeperson dient und damit zur Fortführung der Erwerbsarbeit führen kann. Etwa ein Viertel der pflegenden Angehörigen im erwerbsfähigen Alter haben ihre Erwerbs­ tätigkeit jedoch wegen der Pflegeaufgaben eingeschränkt oder aufgegeben, bei den meisten von ihnen war dies erst durch das Pflegegeld möglich, das die entstehenden Einkommensverluste (zumindest teilweise) ausgleicht (Badelt/Österle 1997, S. 193). Das Pflegegeld stellt somit auch einen Anreiz dar, vorübergehend aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, was mittel- und langfristig zu sozialrechtlichen Nachteilen und Problemen beim Wiedereinstieg führt, denn anders als bei der Kinderbetreuung ist die Erwerbsunterbrechung aufgrund von Angehörigenpflege sozial­ politisch kaum abgesichert. Angesichts der Tatsache, dass nur knapp 40 % der Betreuungspersonen regelmäßig Pflegegeld erhalten, und in nur knapp 10 % die Leistungen über 350 € im Monat liegen, ist die Einkommenskompensation durch das Pflegegeld als eher gering zu bewerten: 62 % (bzw. 55 %) der pflegenden An 29

39 % erhalten eine regelmäßige, 20 % eine fallweise finanzielle Entschädigung, 27 % haben eine gemeinsame Kasse mit der pflegebedürftigen Person. 30 Mit der Einführung des Pflegegeldes sind zudem die Tagessätze für Pflegeheime und die Tarife für ambulante Dienste erhöht worden, und Leistungen, die vorher kostenlos erbracht wurden, sind teilweise abgeschafft oder kostenpflichtig gestaltet worden (Mairhuber 2000, S. 179). 31 „Die niedrigen ‚Stundensätze‘ führen im Sinne einer teilweisen Entlastung der pflegen­ den (weiblichen) Familienangehörigen eher dazu, dass Pflegeleistungen vom ‚grauen‘ Arbeitsmarkt (sprich: von geringfügig beschäftigten Frauen) bzw. vom ‚schwarzen‘ Arbeitsmarkt billigst zugekauft werden.“ (Mairhuber 2000, S. 180) Seit 2008 fördert das Sozialministerium die Legalisierung von 24-Stunden-Betreuungsverhältnissen.

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

gehörigen gaben beispielsweise 2005 an, dass das Pflegegeld nicht ausreiche, um ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben (bzw. einzuschränken) (ÖBIG 2005, S. 23). Das Pflegegeld erweitert vielmehr zunächst nur den finanziellen Spielraum, innerhalb dessen derartige Entscheidungen getroffen werden. Es sind letztendlich auch bestehende Wertorientierungen über die (prinzipielle) Einbeziehung von sozialen Diensten in die Familienpflege und die Frage der Vereinbarkeit von Pflegetätigkeit mit Erwerbsarbeit, die die potentielle Wirkrichtung des Pflegegelds bestimmen (BMUJF 1999b, S. 107). Insgesamt betrachtet stärkt das Pflegegeld die familiale Pflegearbeit und hat nur geringes De-Familisierungspotential (Hammer/Österle 2003, S. 51). Dies auch deshalb, weil das Pflegegeld zwar grundsätzlich den Handlungsspielraum innerhalb des Pflegearrangements erhöht, aber nicht unbedingt tatsächlich mehr Wahlfreiheit ermöglicht, denn die Versorgung mit sozialen Diensten ist regional sehr unterschiedlich: „So steht einem nahezu flächendeckenden Netz an sozialen Diensten in Wien, Vorarlberg und Niederösterreich ein äußerst lückenhaftes Angebot vor allem im Burgenland und in Kärnten gegenüber. Dies betrifft sowohl den Umfang der verfügbaren Hilfen als auch das Leistungsspektrum.“ (BMUJF 1999b, S. 109)

Soziale Dienste sind Ländersache, und erst seit den 1970er Jahren werden sie ausgebaut. In weiten Teilen Österreichs sind sie nicht ausreichend verfügbar, ihre Qualität ist nicht einheitlich standardisiert, es gibt kaum Dienste, die sieben Tage die Woche oder rund um die Uhr verfügbar sind (Evers et al. 1994, S. 194). 25 % der Pflegegeldbezieher gaben 1995 folgende Versorgungsdefizite an: Begleitdienste (20 %), medizinisch-therapeutische Dienste (20 %), Besuchsdienst (14 %), Heimhilfe (11 %), Hauskrankenpflege (10 %), Essen auf Rädern (8 %) (Badelt et al. 1997, S. 193). Die Bedarfsschätzungen nach 1993 gingen davon aus, dass für eine adäquate Versorgung die Zahl der Hauskrankenschwestern und ambulanten Pflegepersonen zwischen 1996 und 2000 verdoppelt werden müsste (Hammer/Österle 2003, S. 43). Nach Einführung der Pflegeversicherung und der so genannten 15a-Verträge mit den Ländern, in denen sich die Länder zur Etablierung von Mindeststandards im Bereich der ambulanten, teilstationären und stationären Dienste verpflichteten, kam es zwar zu einem Ausbau der sozialen Dienste: „But the lack of binding force in the treaty and rigorous cost-containment policies are still preventing the development of an adequate system of social services.“ (ebd., S. 48)

So ist auch Ende 2002 noch keine Bedarfsdeckung im Bereich der mobilen Dienste erreicht (Schaffenberger/Pochobradsky 2004, S. II), und bei einer Befragung 2005 schätzten 38 % der familialen Pflegepersonen das Angebot an Hauskrankenpflege als defizitär ein, 28 % beurteilten das Angebot an Heimhilfe als nicht ausreichend. Dies trifft insbesondere auf ländliche Gebiete zu (ÖBIG 2005, S. 33).

2. Altenpflegepolitik

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c) Der weitere Ausbau familisierender Strukturen Obwohl das Pflegegeld den pflegenden Angehörigen nur sehr begrenzt als Abgeltung ihrer Pflegearbeit zu Gute kommt, markiert es trotzdem einen Übergang vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus. Die 1998 eingeführte Möglichkeit der begünstigten Rentenversicherung für pflegende Angehörige und die 2002 eingeführte Familienhospitzkarenz verstärken diese Richtungsänderung und setzen eindeutige und direkte Anreize für eine Stärkung der familialen Pflege – und zwar insbesondere in Fällen, in denen die pflegenden Angehörigen erwerbstätig sind. Es handelt sich gewissermaßen um eine politische Reaktion auf neue Bedarfssituationen (vgl. Obinger/Tálos 2006, S. 177). So besteht seit 1998 für Pflegepersonen, die aufgrund von Angehörigenpflege ihre Erwerbs­ tätigkeit auf­gegeben haben, die Möglichkeit, eine begünstigte Rentenversicherung in Anspruch zu nehmen. Seit 2006 haben auch vormals nicht erwerbstätige pflegende Angehörige und Pflegepersonen, die neben der Angehörigenpflege noch erwerbstätig sind, diese Möglichkeit. Voraussetzung für die freiwillige Weiter- oder Selbstversicherung ist, dass die pflegebedürftige Person Anspruch auf Pflegegeld der Stufe drei, vier, fünf, sechs oder sieben hat. Im Fall der Weiterversicherung muss ein reduzierter Beitragssatz von 10,25 % des vorangegangenen Einkommens bezahlt werden. Die Differenz auf den regulären Beitragssatz von 22,8 % wird aus Bundesmitteln finanziert. Im Fall der freiwilligen Selbstversicherung wird der reduzierte Beitragssatz auf Grundlage eines Festbetrages ermittelt (2010: € 1.529), d. h. er beträgt € 156,7 monatlich, und wird wiederum aus Bundesmitteln auf den regulären Beitragssatz angehoben. Seit 1.7.2007 werden für maximal vier Jahre 50 % der Beitragszahlungen der pflegenden Angehörigen vom Bund übernommen, wenn die pflegebedürftige Person die Pflegestufe vier aufweist. Bei Pflegepersonen, die Angehörige mit Pflegegeld der Stufe fünf, sechs oder sieben betreuen, wird der gesamte Rentenversicherungsbeitrag für einen maximalen Zeitraum von vier Jahren vom Bund übernommen. Seit 1.8.2009 übernimmt der Bund alle Beiträge zur freiwilligen Weiter- oder Selbstversicherung unbefristet und zur Gänze ab der Pflegestufe 3. Somit werden sowohl (vormals) erwerbstätige als auch nicht erwerbstätige pflegende Angehörige rentenversicherungsrechtlich abgesichert. Die 2002 eingeführte Familienhospitzkarenz fördert hingegen ausschließlich die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zugunsten von familialer Pflegearbeit. Zum Zweck der Sterbebegleitung von Angehörigen können ArbeitnehmerInnen eine Herabsetzung der Arbeitszeit, eine Änderung der Lage der Arbeitszeit oder eine unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung für längstens sechs Monate verlangen.32 Nach Ende der Familienhospitzkarenz besteht ein viermonatiger Kündigungsschutz. 32 Die Einwilligung des Arbeitgebers ist zunächst nicht erforderlich. Diese kann jedoch aufgrund von betrieblichen Erfordernissen gegen die Inanspruchnahme von Familienhospitzkarenz Klage einreichen.

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III. Österreich: Der Prototyp des expliziten Familialismus 

ArbeitnehmerInnen, die aufgrund der Inanspruchnahme von Familienhospitzkarenz kein oder nur ein geringfügiges Entgelt erhalten, werden kostenfrei krankenversichert (Sachleistungsversicherung) und erhalten Beitragszeiten in der Rentenversicherung gutgeschrieben.33 In besonderen Härtefällen kann im Fall der unbezahlten Freistellung eine Geldzuwendung gewährt werden, um BezieherInnen niedriger Einkommen nicht zu benachteiligen: Wenn das gewichtete Haushaltseinkommen pro Person unter 700 € pro Monat sinkt, wird es auf dieses Minimum angehoben. Die Zuwendung darf aber die tatsächlich eingetretene Einkommensminderung aufgrund der Familienhospitzkarenz nicht übersteigen. Eine weiterreichende Kompensationszahlung, wie sie die SPÖ und die Grünen forderten, wurde aus finanzpolitischen Gründen von der Mitte-Rechts-Regierung abgelehnt (Obinger/Tálos 2006, S. 168 f.). Erste Daten von August 2004 zeigen, dass die Familienhospitzkarenz wenig genutzt wird. Zu 84 % nehmen Frauen die Familienhospitzkarenz in Anspruch (Kreimer/Schiffbänker 2005, S. 174 f.), was aufgrund der geschlechtsspezifischen Einkommensdifferenzen nicht weiter überrascht. Es kann für die Entwicklung des expliziten Familialismus im Bereich der Altenpflegepolitik somit festgehalten werden, dass – ähnlich wie im Bereich der Kinderbetreuungspolitik – zunächst eine frühe indirekte Variante des expliziten Familialismus vorherrschte, die sich durch die Einführung des Pflegegelds 1993 und verstärkt durch die Einführung der rentenversicherungsrechtlichen Absicherung von pflegenden Angehörigen 1998 und 2006 sowie die Einführung der Familienhospitzkarenz 2002 zu einer direkten Variante des expliziten Familialismus gewandelt hat. Getrieben wurde dieser Wandel von sozial-kulturellen wie auch sozio-ökonomischen Faktoren: Zu nennen sind hier insbesondere Veränderungen im Pflegepotential der pflegenden Angehörigen und die steigenden Kosten der Altenpflege. Als zentrale Akteure bei der Einführung des Pflegegelds ragen jedoch die Behindertenverbände hervor, während sich die ideologischen Differenzen zwischen den beiden Großparteien – ganz im Unterschied zur Kinderbetreuungs­ politik – kaum politikbestimmend auswirkten.

33 Monatliche Beitragsgrundlage: 1.561 Euro (2011). Einkommen, die darunter liegen, werden rentenrechtlich auf diese Beitragsgrundlage aufgestockt.

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 1. Kinderbetreuungspolitik: Vom impliziten über den expliziten zum optionalen Familialismus Die Entwicklung des deutschen Familialismus im Bereich der Kinderbetreuung ist zunächst durch eine bis nach dem Zweiten Weltkrieg andauernde Phase des impliziten Familialismus geprägt. Erst gegen Ende der 1950er Jahre kommt es zu einer indirekten Form des expliziten Familialismus, der seit Beginn der 1980er Jahre um direkte familisierende Strukturen – zunächst durch Mutterschaftsurlaub und Mutterschaftsurlaubsgeld, dann durch Erziehungsurlaub, Erziehungsgeld und die rentenrechtliche Anerkennung von Erziehungsarbeit – ergänzt wurde. Seit Ende der 1990er Jahre ist in diesem Rahmen des expliziten Familialismus schließlich eine Tendenz festzustellen, die die traditionell geschlechtsspezifisch dis­ kriminierende Ausrichtung des deutschen Familialismus aufzubrechen versucht: Sowohl hinsichtlich der Einbeziehung von Vätern in die Kinderbetreuung als auch in Bezug auf die Verstärkung der Erwerbsorientierung von Müttern. Die Entwicklungen der aktuellen Familienpolitik, namentlich der Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige und die Ablösung des Erziehungsgelds durch das Elterngeld, markieren schließlich den Wendepunkt im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus im Bereich der Kinderbetreuung.

a) Der lange Arm des impliziten Familialismus Lange Zeit war in Deutschland die institutionelle Betreuung von Kindern unter drei Jahren wie auch von Vorschulkindern nur schwach entwickelt. Zwar gab es bereits im 18. Jahrhundert vereinzelt Spiel- und Warteschulen für Kinder von Tagelöhnern und Arbeitern sowie standesgemäße Spielschulen für Kinder aus den wohlhabenden bürgerlichen Schichten, sie waren jedoch nicht nennenswert verbreitet. Im 19. Jahrhundert entstanden im Zuge der Armenpolitik und ihrer Zielsetzung der Disziplinierung der verarmten Bevölkerung dreierlei Arten der Be­ treuungseinrichtungen: katholische Bewahranstalten für die Kinder der Armen mit dem Ziel der Erziehung zur Sittlichkeit, evangelische Kleinkinderschulen zur religiösen Unterweisung von Kindern erwerbstätiger Mütter sowie von bürger­lichen Kreisen getragene reformpädagogische Kindergärten (Fix 2001, S. 63 f.). Der selektive und stigmatisierende Fokus auf die Armenpopulation wirkte gleichzeitig als Bremse für einen umfangreicheren Ausbau von Kinderbetreuungseinrich­

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

tungen, ging es doch bei der Betreuung von Kleinkindern unter sechs Jahren vor allem um Defizitausgleich: „Kinder von Arbeiterinnen, die unbeaufsichtigt zu Hause verwahrlosten, sollten hygienisch gehalten und ernährt werden. Kinder aus sozialen Brennpunkten sollten durch vorschu­ lische Erziehung die Chance auf eine gesunde Entwicklung erhalten. Krippen sollten – vor allem alleinerziehende – Mütter entlasten, die finanziell und körperlich nicht in der Lage waren, für ihre Säuglinge zu sorgen. (…) Damit war vorschulische Kinderbetreuung bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Ausnahme, Familienerziehung aber die Regel.“ (Dienel 2002, S. 115 f.)

Noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs lag die Versorgungsquote der Kinder­ gartenkinder mit entsprechenden Betreuungsplätzen bei geringen 5 % und stieg in der Weimarer Republik nur allmählich auf 10 % an. Unter dem NS-Regime erreichte sie schließlich – getrieben von einer neuen Erziehungsideologie – in den 1940er Jahren die 20 %-Marke (Bahle et al. 2002, S. 49). Die Schaffung von Kindererziehungseinrichtungen durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt wie die Gleichschaltung der Einrichtungen anderer Träger zerstörte nicht nur die alte, durch Vielfalt gekennzeichnete Trägerstruktur (Fix 2001, S. 65), sondern sollte vor allem auch die frühe systemkonforme „Erziehung“ der Kinder sicherstellen. Der Nationalsozialistischen Familienideologie folgend war Frauenerwerbstätigkeit in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft geächtet, denn die Rolle der Frau wurde einzig und allein über Mutterschaft de­ finiert. Der Frau oblag die Aufgabe der Betreuung und Erziehung der Kinder, insbesondere der jüngeren Kinder, die noch nicht in der Hitlerjugend oder dem Bund Deutscher Mädel organisiert waren. Spätestens ab 1939 jedoch war die Erwerbs­ tätigkeit von Frauen zur kriegswirtschaftlichen Notwendigkeit geworden (vgl. Ruhl 1991). Das damit verbundene „Erziehungsproblem“ stellte sich umso dringlicher, denn immer noch wurde als Folge der Erwerbstätigkeit von Frauen bzw. Müttern die Vernachlässigung des Haushalts und der Kindererziehung befürchtet. Die Kinder erwerbstätiger Frauen wurden zumeist von Großmüttern, Tanten oder Nachbarinnen betreut. Einige blieben jedoch auch unbeaufsichtigt, was ganz und gar nicht im Sinne der Nationalsozialistischen Familien- und Erziehungsideologie war (Pine 1997, S. 20 f.). Der vorgenommene Ausbau der Kindererziehungseinrichtungen sollte ihre Entwicklung im Sinne des Regimes sicherstellen. In den 1950er und 1960er Jahren dienten die Erfahrungen des Nationalsozialis­ mus, aber auch das durchreglementierte Erziehungssystem der sozialistischen Länder, speziell der DDR, als abschreckende Szenarien für die bundesdeutsche Fami­ lienpolitik. Gewissermaßen als „Gegenpol“ dazu wurde die Verteidigung der Erziehungsrechte der Eltern als zentrales Anliegen betrachtet (Keil 1993, S. 118). Für den Bereich der Kinderbetreuung bedeutete das eine dem tradierten männ­ lichen Ernährermodell entsprechende Hinwendung der Familienpolitik zur priva­ ten, innerhalb der Familie erbrachten Betreuung von (Klein-)Kindern durch ihre Mütter. Die Versorgung mit bzw. die Nutzung von öffentlichen Kinderbetreuungs­

1. Kinderbetreuungspolitik

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einrichtungen stellte somit in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik ein Randphänomen dar, das einer ähnlichen Stigmatisierung unterlag wie die Armenpolitik des 19. Jahrhunderts: „Krippen und Hortplätze gab es fast ausschließlich nur für sozial Schwache, Kindergartenplätze nur für Kinder von Müttern mit wirtschaftlich erzwungener Erwerbstätigkeit.“ (Keil 1993, S. 122)

Obwohl in den 1960er Jahren der soziale Druck hinsichtlich des Ausbaus von Kinderbetreuungseinrichtungen aufgrund der steigenden Erwerbstätigkeit von Müttern wuchs, hatten noch 1965 nur rund ein Drittel aller Kindergartenkinder einen Kindergartenplatz. Erst mit dem Regierungswechsel 1972 von der CDU/ CSU zur sozial-liberalen Koalition kam es zu einem sprunghaften Ausbau der Betreuungsinfrastruktur. So stieg die Versorgungsquote der Kindergartenkinder von 38,5 % im Jahr 1970 auf 65,5 % im Jahr 1975 und auf 78 % im Jahr 1980 an (Bothfeld 2005, S. 54). Der schwelende Widerspruch zwischen konservativem Frauenbild und wirtschaftlicher Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften konnte damit zumindest teilweise aufgelöst werden. Als weitere „Auswege“ aus dem Dilemma wurde für verheiratete Frauen die Teilzeit Erwerbstätigkeit propagiert – so z. B. die SPD in ihren Parteiprogrammen der 1960er Jahre (Naumann 2005, S. 53) – und der Arbeitskräftemangel durch die massive Anwerbung von Gastarbeitern behoben. Illustrativ für die nur zögerliche Abkehr – auch der sozial-liberalen Koalition – von einer Ideologie der Mütterlichkeit, die die Verantwortung für die Betreuung von (Klein-)Kindern ausschließlich bei den Müttern ansiedelte, ist das 1973 ins Leben gerufene „Modellprojekt Tagesmütter“. Ausgelöst durch die Reportage einer Frauenzeitschrift über öffentlich beschäftigte Tagesmütter in Schweden forderten über 50 deutsche Fraueninitiativen die Bundesregierung auf, diesem Vorbild zu folgen. Auf ihr Drängen hin entstand schließlich eine Modellförderung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, die jedoch von Anfang an sehr umstritten war: „Die Kritiker, vor allem Kinderärzte und -psychologen, erhoben warnend Anklage gegen dieses Versuchsprogramm, da sie befürchteten, ein täglicher Wechsel von Mutter zu Tagesmutter führe bei kleinen Kindern zu schweren Entwicklungsstörungen und schädige ganze Familien.“ (Fuchs 1984, S. 31; siehe auch Sommerkorn 1988, S. 134 f.)

Obwohl der Modellversuch 1980 in einem entsprechenden Endbericht als erfolgreich bewertet wurde, kam es zu keiner weiteren finanziellen Förderung durch den Bund. Auch auf Länderebene folgten dem Modellprojekt Tagesmütter keine umfassenden Maßnahmen (Becker 2000, S. 189; Kolbe 2002, S. 320).1 1

Dies ist umso erstaunlicher, als Tagesmütter gewissermaßen als „Ersatzmütter“ der konservativen Mutterideologie sehr nahe kommen und z. B. in Belgien durchaus seit Mitte der 1970er Jahre als politischer Kompromiss zwischen konservativen und sozialliberalen Kräften institutionalisiert werden konnten (vgl. Kapitel VI.).

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Betrachtet man die Entwicklung der Kinderbetreuungspolitik, so ist Deutschland bis Ende der 1950er Jahre mit dem Etikett eines geschlechtsspezifisch geprägten impliziten Familialismus zu versehen: Weder gab es ein nennenswertes Maß an de-familisierenden Betreuungseinrichtungen – insbesondere wenn man die quasi nicht existierenden Einrichtungen für die unter 3-Jährigen mitberücksichtigt – noch waren direkte Leistungen für die familiale Kinderbetreuungsarbeit vorhanden. Indirekte Leistungen für Familienarbeit standen nur sehr beschränkt zur Verfügung (siehe unten). Gleichzeitig lag die Frauenerwerbsquote insgesamt sehr niedrig: Noch Mitte der 1980er Jahre war nur jede zweite Frau im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig (oder arbeitslos gemeldet) (OECD 1988). Tabelle 8 Müttererwerbstätigenquote in Deutschland 1961–1980 in % Mütter mit Kindern unter 18 Jahren

Mütter mit Kindern unter 15 Jahren

Mütter mit Kindern unter 6 Jahren

1961

34,7

32,7

29,7

1970

35,7

34,2

29,8

1980

42,3

40,8

35,8

Quelle: Nave-Herz (1988, S. 299).

Die Müttererwerbsbeteiligung bewegte sich in noch kleinerem Rahmen: So war in den 1960er Jahren nur jede dritte Mutter erwerbstätig, und erst in den 1970er Jahren kam es zu einem größeren Anstieg der Müttererwerbstätigenquote, wobei Mütter mit Kindern unter sechs Jahren generell eine deutlich geringere Arbeitsmarktpräsenz aufwiesen (vgl. Tabelle 8).

b) Die indirekte Anerkennung von familialer Kinderbetreuungsarbeit Diese stark ausgeprägte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wurde durch eine am männlichen Ernährermodell orientierte Sozialpolitik ermöglicht und prolongiert, die so genannte abgeleitete sozialrechtliche Ansprüche für Ehefrauen und steuerliche Begünstigungen für Ehepaare vorsah (vgl. Scheiwe 2005). Neben der 1930 als obligatorische Versicherungsleistung eingeführten Möglichkeit der beitragsfreien Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Familienmitgliedern in der Krankenversicherung spielt hierbei vor allem die Witwenrente eine bedeutende Rolle. Schon die 1884 eingeführte Unfallversicherung sah eine Witwenrente vor. In der Alters- und Invaliditätsversicherung wurde aus Kostengründen 1888/89 zunächst nur eine Beitragserstattung bei Tod des Familienernährers eingeführt, 1911 dann eine auf erwerbsunfähige Witwen beschränkte Witwenrente. Ebenfalls 1911 wurde im Rahmen der Angestelltenversicherung eine unbedingte Witwenrente

1. Kinderbetreuungspolitik

95

eingeführt. Die ausbezahlten Leistungen waren jedoch insgesamt sehr gering, speziell die Renten von Arbeiterwitwen lagen oftmals unter den lokalen Armen­ pflegesätzen. Erst mit der grundlegenden Reform der Hinterbliebenenversorgung und der Einführung der großen und kleinen Witwenrente 1957 kann man von einer Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente sprechen (vgl. Ellerkamp 2000). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von Witwen also nicht mehr erwartet, dass sie für ihr Einkommen durch eigene Erwerbstätigkeit aufkommen müssen. Wie allen Ehefrauen wurde auch ihnen das Anrecht zuerkannt, als Hausfrau und Mutter für ihre (verbliebene) Familie zu sorgen, indem der Staat als Ernährerehemann einsprang (Oertzen/Rietzschel 1997, S. 180–183). Die sozialpolitische Förderung des Ernährermodells erfolgte im NachkriegsDeutschland zudem über das Einkommenssteuerrecht, das Alleinverdienerehen begünstigt. Zunächst galt für Ehepaare die steuerrechtliche Zusammenveran­ lagung, bei der die Einkommen der Ehegatten addiert und die Gesamtsumme nach dem geltenden (progressiven) Steuertarif besteuert wird. Die Zusammenveran­ lagung „bestraft“ gewissermaßen Zweiverdienerehen und stellt einen starken Anreiz zur Nicht-Erwerbstätigkeit von Ehefrauen dar. Sie war 1920 erstmals eingeführt worden (Bahle et al. 2002, S. 70), ab 1922 wurden abhängig beschäftigte Frauen jedoch individuell besteuert. 1933 wurde die Zusammenveranlagung von den Nationalsozialisten zunächst wieder eingeführt (Oertzen/Rietzschel 1997, S. 189 f.), 1941 jedoch „im Zuge der Mobilisierung weiblicher Arbeitskräfte für die Kriegswirtschaft“ (Becker 2000, S. 187) modifiziert: abhängig beschäftigte Ehefrauen wurden wieder getrennt veranlagt. 1954 kam es zu weiteren Ausnahme­ regelungen, so dass nur noch mithelfende Familienangehörige zusammen veranlagt wurden. Dennoch wurde eine Verfassungsklage eingereicht, und das Bundesverfassungsgericht erklärte 1957 die Zusammenveranlagung von Ehepaaren für verfassungswidrig: Laut Art. 6 Abs. 1 GG dürften Ehepaare im Vergleich zu unverheirateten Paaren nicht durch höhere Steuerabgaben benachteiligt werden. Der Gesetzgeber führte daraufhin 1958 das so genannte Ehegattensplitting ein (Joosten 1990, S. 58–60).2 Bei diesem steuerrechtlichen Verfahren werden die Einkommen der Ehegatten addiert, durch zwei geteilt und je für sich besteuert. In einem progressiven Steuersystem führt dies in der Regel zu einer geringeren Steuerschuld als die Individualbesteuerung beider Ehegatten, insbesondere dann, wenn der Einkommensunterschied zwischen den Ehegatten groß ist, also z. B. in einer Alleinverdienerehe: „Das Splitting stellt einen Anreiz für die Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit eines Partners bzw. die Ungleichverteilung von Einkommen und Erwerbsarbeit zwischen den Partnern dar. Damit begünstigt das Ehegattensplitting nicht nur die Nichterwerbstätigkeit, sondern – vor dem Hintergrund zunehmender Erwerbsorientierung – auch die Teilzeitarbeit verheirateter Frauen.“ (Dingeldey 2002, S. 156) 2 Prinzipiell kann zwischen dieser neuen Form der Zusammenveranlagung und der individuellen Besteuerung gewählt werden.

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Während die Zusammenveranlagung die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen „bestrafte“, „belohnt“ das Ehegattensplitting die Nicht-Erwerbstätigkeit der Ehefrau.3 Mit der Einführung der obligatorischen Mitversicherung von nicht erwerbs­ tätigen Ehefrauen in der Krankenversicherung 1930, der Reform der Witwenrente 1957 und der Einführung des Ehegattensplittings 1958 schuf der deutsche Wohlfahrtsstaat wichtige sozialpolitische Grundlagen für die breitenwirksame Rea­ lisierung des männlichen Ernährermodells. Ende der 1950er Jahre war es auch erstmals möglich, vom Einkommen eines Familienernährers tatsächlich eine Familie zu ernähren (Oertzen/Rietzschel 1997, S. 187). Insofern kann man ab 1957/58 von einer indirekten Form des expliziten Familialismus in Deutschland sprechen: Strukturell betrachtet war die Betreuung von (Klein-)Kindern in der Familie zu erbringen, die wiederum durch abgeleitete soziale Rechte für die nicht erwerbstätige Ehefrau und durch den Steuervorteil des Ehegattensplittings in dieser Aufgabe unterstützt wurde. Es bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass es sich lediglich um eine indirekte Förderung der Kinderbetreuungsarbeit handelte, denn die Leistungsgewährung war einzig und allein an die Bedingung der Ehegemeinschaft, nicht an das Vorhanden-Sein von Kindern oder die tatsächlich geleistete Betreuungsarbeit geknüpft. Dieser „ehezentrierte Familialismus“ – „… die Konstruktion der Rollen des Erwerbsbürgers und des Nichterwerbsbürgers, ihre geschlechterdifferente Zuweisung und die politische Relationierung beider Sozialrollen (und ihrer Träger) über die Institution Ehe …“ (Lessenich 2003, S. 159, Hervorhebung im Original) – verfestigt die bereits in der Phase des impliziten Familialismus bestehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Das geschlechtsspezifisch geprägte familialistische Profil basiert auf einem auch nach 1945 noch vorherrschenden konservativen Familienbild. Exemplarisch wird dieses vom ersten Familienminister der Bundesrepublik, Franz Josef ­Wuermeling, repräsentiert. Sein Familienmodell war das der bürgerlichen Klein­ familie, sein Frauenbild konzentrierte sich auf die liebevoll sorgende Ehefrau und Mutter (Delille/Grohn 1985, S. 69; Joosten 1990, S. 41 f.). Die Familienpolitik Wuermelings richtete sich gegen die Frauen- und insbesondere gegen die Müttererwerbstätigkeit: Die unter seiner Amtszeit eingeführten materiellen Unterstützungsleistungen für die Familie – wie z. B. Kindergeld und Wohngeld – sollten die Nicht-Erwerbstätigkeit der Ehefrau ermöglichen. Dementsprechend lehnte er sowohl die steuerliche Getrenntveranlagung von Ehegatten als auch den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen ab (Joosten 1990, S. 61; Gerlach 1996, S. 189). Auch die große Mehrheit der Bevölkerung sprach sich in den 1950er und 1960er Jahren gegen die Erwerbstätigkeit verheirateter Mütter aus (Kolbe 2002, S. 68; Sommerkorn 1988, S. 130).

3 Zur geschlechtsspezifischen Wirkung des Ehegattensplittings siehe auch Mennel 1988, Ostendorf 1997 und Schratzenstaller 2001.

1. Kinderbetreuungspolitik

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Tatsächlich jedoch nahm die Frauenerwerbstätigkeit bereits im Laufe der 1950er Jahre zu, besonders der Anteil der verheirateten Frauen und der Mütter stieg (­Delille/Grohn 1985, S. 32; siehe auch Tabelle 8). Neben die materielle Notwendigkeit weiblicher Erwerbstätigkeit, die durch die zunehmende sozialpolitische Unterstützung des Ernährermodells sukzessive zurückging, trat seit Mitte der 1950er Jahre der aufgrund des rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs entstandene erhöhte Bedarf an Arbeitskräften. Eine Lösung für den Widerspruch zwischen konservativem Frauenbild und der wirtschaftlichen Notwendigkeit von Frauenbeschäftigung lag im Ausbau von Teilzeitarbeitsplätzen. In den 1960er Jahren kam es zu einem regelrechten „Teilzeit-Boom“. Die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze verdreifachte sich zwischen 1960 und 1971 auf rund 1,5 Millionen. Damit stieg der Anteil der Teilzeit beschäftigten Frauen von 7 auf 19 % (Kolbe 2002, S. 72). In den 1960er Jahren wandelte sich schließlich auch die Einstellung vieler Mütter zur Erwerbstätigkeit, ihre Berufsorientierung nahm zu (vgl. Sommerkorn 1988). Sie wollten die Kombination von Familie und Beruf, wollten erwerbstätig sein aus Gründen der Selbstverwirklichung und Emanzipation: „Alongside the exploited victim of hostile economic conditions, there now appeared on the scene the self-confident and active wife who sought employment in order to earn some extra income and for the sake of a pleasant change from the everyday routine of house and family work.“ (Oertzen/Rietzschel 1997, S. 188)

Trotz einer Öffnung der Frauenrolle seit den 1960er Jahren in Richtung Erwerbstätigkeit änderte sich nichts an ihrer traditionellen Zuständigkeit für un­ bezahlte Familienarbeit (Ostner 1993, S. 95–103) 4. Das sich daraus ergebende Konfliktfeld der (Un-)Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit führte schließlich zu sozialpolitischen Maßnahmen, die – im Unterschied zur ehezentrierten Familienförderung – Kinderbetreuungsarbeit direkt anerkennen. c) Die direkte Anerkennung von familialer Kinderbetreuungsarbeit Die Diskussion um die direkte Anerkennung von Kinderbetreuungsarbeit bewegte sich von Anfang an zwischen der Zielsetzung einer – vom DGB bereits seit 1961 geforderten – besseren Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit durch ein Erziehungsgeld für Erwerbstätige und einer generellen Honorierung von Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgeld für alle (auch nicht erwerbstätige) Eltern. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion reichte 1974 den ersten Gesetzentwurf für ein Erziehungsgeld im letzteren Sinne ein. Das Erziehungsgeld sollte als bessere Alternative zum Tagesmütter-Projekt und zum Ausbau öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen fungieren. Die sozial-liberale Bundesregie 4 Dies spiegelt sich beispielsweise in den empirischen Ergebnissen der bundesdeutschen Zeitbudgetforschung sowohl in den 1980er Jahren (Künzler 1995, S. 115–121) als auch noch in den Erhebungen 1991/92 und 2001/02 (BMFSFJ 1996; 2003).

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

rung lehnte den Gesetzentwurf ab. Ausschlaggebend waren sowohl finanzielle Gründe als auch letztendlich die programmatische sozialdemokratische Argumentation, dass institutionelle Betreuung stärker zu einer schichtennovellierenden Politik beitrage und somit die Chancengleichheit aller Kinder fördere (Kolbe 2002, S. 175–195). Schließlich verabschiedete die SPD/FDP-Koalition 1979 das Gesetz zur Einführung des Mutterschaftsurlaubs, wonach erwerbstätigen Frauen im Anschluss an die Mutterschutzfrist bis zur Vollendung des sechsten Lebensmonats des Neugeborenen Mutterschaftsurlaub sowie ein Mutterschaftsurlaubsgeld von bis zu 750 DM monatlich gewährt wurden. Die Regierung installierte somit eine – allerdings nach oben hin begrenzte – Lohnersatzleistung anstelle des von der konservativen Opposition geforderten universellen Erziehungsgelds. Durch die Beschränkung auf erwerbstätige Mütter wurden sowohl Väter als auch nicht erwerbstätige Mütter vom Leistungsbezug ausgeschlossen, und die beabsichtigte Lohnersatzfunktion des „gedeckelten“ Mutterschaftsgelds muss angesichts der (dama­ligen) durchschnittlich erzielten Bruttolöhne von 1.664 DM für Industriearbeiterinnen bzw. 2.169 DM für weibliche Angestellte in Industrie und Handel (Kolbe 2002, S. 293) als unzureichend bezeichnet werden. Diese selektive Ausrichtung der Anerkennung von Erziehungsarbeit war zum einen den Finanzierungsengpässen der öffentlichen Haushalte geschuldet (Bleses/Rose 1998, S. 148; Kolbe 2002, S. 299).5 Die Beschränkung auf erwerbstätige Mütter war jedoch auch Ausdruck der grundsätzlich unterschiedlichen familienpolitischen Vorstellungen von CDU/ CSU und SPD. Die Union betrieb Familienpolitik als Institutionenpolitik, d. h. es ging ihr um die Stärkung der Familie als wertvolle gesellschaftliche Institution, für deren Erhalt es notwendig sei, dass Kindererziehung ohne parallele Erwerbstätigkeit (der Mutter) stattfindet: „Dabei besteht ihr zentrales Begründungskonstrukt in der Behauptung, dass es zur wirksamen Förderung der Familie unerlässlich sei, dass zwecks Kindererziehung ein Elternteil – am besten die Mutter – die Möglichkeit erhält, längerfristig aus der Erwerbsarbeit auszusteigen.“ (Bleses/Rose 1998, S. 250 f.; Hervorhebung im Original)

Wahlfreiheit bedeutete dementsprechend für die CDU/CSU die Entscheidung zwischen Erwerbstätigkeit oder Mutterschaft. Für die SPD (und auch für die FDP) 5 Vordergründig wurde die Einführung des Mutterschaftsurlaubs zunächst arbeitsmarktpolitisch begründet. Die Arbeitgeberorganisationen sträubten sich jedoch dagegen, da ihrer Meinung nach nicht Arbeitsplätze (für Frauen) entstehen würden, sondern sich die Chancen von Frauen weiter verschlechtern würden. Besonders kleine und mittlere Betriebe könnten die zusätzlich entstehenden Kosten nicht verkraften und würden deshalb in Zukunft weniger junge Frauen einstellen. Daraufhin wurde argumentiert, auch erwerbstätige Mütter sollten die Möglichkeit bekommen, sich um ihre Neugeborenen zu kümmern. Schließlich wurde das Gesetz gesundheitspolitisch begründet: Die gestiegene Müttererwerbstätigkeit und die sich daraus ergebende zunehmende Doppelbelastung der Mütter erfordere einen Ausbau des geltenden Mutterschutzes (Kolbe 2002, S. 295–299).

1. Kinderbetreuungspolitik

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ging es im Sinne der von ihr favorisierten Familienmitgliederpolitik6 sowohl um die Ermöglichung der Erwerbstätigkeit für Mütter wie auch um die Entscheidungsfreiheit der Eltern zwischen Eigen- und Fremdbetreuung ihrer Kinder. „Die familienpolitischen Konzepte der Union und der Koalition unterschieden sich somit darin, dass die CDU/CSU das Drei-Phasen-Modell für Frauen favorisierte, während die SPD und FDP dazu neigten, Müttern eine gleichzeitige Erwerbstätigkeit und Kindererziehung zu ermöglichen.“ (Kolbe 2002, S. 307)

Mit dem Regierungswechsel 1982 vollzog sich auch eine Wende in der Kinderbetreuungspolitik, die diese unterschiedlichen familienpolitischen Positionen deutlich machte (vgl. Ostner 2006). Zunächst wurde das von den Unionsparteien ohnehin ungeliebte Mutterschaftsurlaubsgeld auf maximal 510 DM monatlich gekürzt, und 1985 wurde der bezahlte Mutterschaftsurlaub schließlich durch die Einführung von Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht ersetzt. Laut Heiner Geissler, der von 1982– 1985 das Amt des Familienministers innehatte, entstand die Idee des Erziehungsgelds in der Auseinandersetzung mit der Situation von Alleinerziehenden und deren Dilemma zwischen Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung. Außerdem wollten immer mehr Frauen trotz Kind(ern) erwerbstätig sein, so dass sich das Vereinbarkeitsproblem zunehmend auch für verheiratete oder in einer Partnerschaft lebende Mütter stellte. „Das waren also die wichtigen Motive, die zu diesen Gesetzen geführt haben: die Beseitigung der Notlagen alleinstehender Mütter, Erziehung und Betreuung des Kindes in der ersten wichtigen Lebensphase durch Mutter oder Vater, Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie.“ (Geissler 1993, S. 106)

Neben der als immer dringlicher werdend eingestuften Vereinbarkeitsproblematik – insbesondere allein erziehender Mütter – spielten konservative Wert- und Sozialisationsvorstellungen der CDU/CSU, die die Betreuung und Erziehung der Kinder in den ersten Lebensjahren den Familien zuschrieben, eine wichtige Rolle in der Wahl der familienpolitischen Mittel (Pettinger 2000, S. 244). Die Kombination von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub stellte das Instrumentarium dar, um beides zu ermöglichen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen des Drei-Phasen-Modells und Förderung der familialen Betreuung von Kleinkindern. Das Erziehungsgeld war zudem ausdrücklich als Alternative zu institutioneller Kinderbetreuung konzipiert, die bis in die jüngste Vergangenheit im Kleinkind­ bereich finanziell unterausgestattet geblieben ist (Kolbe 2002, S. 367). Seit 1.1.1986 betrug die Höhe des Erziehungsgelds maximal 600 DM monatlich und unterlag – zunächst ab dem siebten Monat, seit 1994 auch während der 6

Die mitgliederorientierte Familienpolitik betont die Individualrechte der einzelnen Familienmitglieder, insbesondere die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Kindeswohl. Sie zielt auf einen Abbau der innerfamiliären Abhängigkeitsstrukturen (MüllerHeine 1999, S. 59; Schöning 2001, S. 37).

100

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

ersten sechs Monate – bestimmten Einkommensgrenzen. Die Bezugsdauer erstreckte sich anfangs auf zehn Monate und wurde bis 1993 sukzessive auf 24 Monate ausgedehnt (vgl. Tabelle 9).7 Im Unterschied zum Mutterschaftsurlaubsgeld konnte das Erziehungsgeld von Müttern wie von Vätern bezogen werden, und der Anspruch war nicht an vorangegangene Erwerbstätigkeit geknüpft. Trotz dieser geschlechtsneutralen Gestaltung der Anspruchsvoraussetzungen lag dem Erziehungsgeld die Vorstellung komplementärer Elternrollen zu Grunde: „Ein Elternteil sollte mehrere Jahre lang ausschließlich oder überwiegend die Kinder betreuen, während der andere für den notwendigen Familienunterhalt sorgte. Welche dieser Aufgaben den Müttern und welche den Vätern zukamen, machten sowohl die politischen Diskussionen über das Erziehungsgeld als auch das familienpolitische Informationsmaterial der Bundesregierung unmissverständlich deutlich. Beide hielten weitgehend ein Bild traditioneller Mutter- und Vaterschaft mit eindeutig verteilten Rollen aufrecht.“ (Kolbe 2000, S. 57 f.)

Die geringe Höhe des Erziehungsgelds legte zudem die strukturelle Voraussetzung für eine geschlechtsspezifische Inanspruchnahme der Leistung (siehe unten). Der Union ging es somit letztendlich weniger um die Einbeziehung beider Elternteile in die Kinderbetreuungsarbeit als um „die Gleichberechtigung zwischen der nicht erwerbstätigen und der erwerbstätigen Frau und Mutter“ (Geiss­ ler 1993, S. 106). Diese Abkoppelung des Anspruchs auf Erziehungsgeld vom Erwerbsstatus der Mutter zusammen mit der nicht existenzsichernden Höhe des Erziehungsgelds, das somit implizit einen Familienernährer voraussetzt, förderte wiederum die traditionelle Hausfrauenehe: „Einen wirklichen Vorteil durch das Erziehungsgeld haben lediglich Hausfrauen, die schon vor der Geburt des Kindes nicht erwerbstätig waren und somit vom offensichtlich als ausreichend empfundenen Einkommen des Mannes leben.“ (Notz 1993, S. 108)

Demgegenüber betonte die SPD die besondere Förderungswürdigkeit und Bedürftigkeit der erwerbstätigen Mütter, rückte jedoch bei den Debatten um das Erziehungsgeld 1985 von ihrer früheren Linie der Lohnersatzleistung ab. Ihre Kritik an Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub beschränkte sich auf die geringe Höhe des Erziehungsgeldes und dessen unzureichende soziale Abstufung sowie auf Mängel bezüglich des Kündigungsschutzes nach dem Erziehungsurlaub (­Bleses/Rose 1998, S. 255). Der Erziehungsurlaub ist ein arbeitsrechtlicher Anspruch, der unabhängig vom Erziehungsgeld seit 1.1.1986 besteht und dessen Dauer sich bis 1992 an der Be 7 In Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und in Thüringen wurde im Anschluss an das Bundeserziehungsgeld ein Landeserziehungsgeld gewährt. Die Bezugsdauer betrug zwölf Monate (Thüringen: sechs Monate), die Höhe lag bei monatlich 505 € in Baden-Württemberg, 256 € in Bayern und 307 € in den anderen drei Bundesländern. Der Anspruch war einkommensabhängig, in Bayern nach der Kinderzahl gestaffelt und in Sachsen an die elterliche Betreuung des Kindes gebunden (Gerlach 2004, S. 127; Eggen 2000, S. 322).

1. Kinderbetreuungspolitik

101

zugsdauer des Erziehungsgelds orientierte. Er konnte bis dahin in zwei Teil­ abschnitten von den Eltern abwechselnd in Anspruch genommen werden. Seit 1992 ist ein zweimaliger Wechsel zwischen den Eltern während der nunmehr maximal dreijährigen Beurlaubung möglich, seit 2001 besteht die Möglichkeit des dreimaligen Wechsels zwischen den Eltern. Während der Dauer des Erziehungsurlaubs war ursprünglich eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von maximal 18 Wochenstunden erlaubt. Seit 1.7.1989 sind es 19 Wochenstunden8, seit 2001 sogar 30 Wochenstunden. Zudem besteht ein Kündigungsschutz im Anschluss an den Erziehungsurlaub. Dieser wurde aufgrund des Widerstands der FDP und des unternehmerorientierten Flügels der CDU nicht als umfassende Arbeitsplatzgarantie ausgestaltet, sondern nur als Rückkehrgarantie auf einen „gleichwertigen“ Arbeitsplatz (Bleses/Rose 1998, S. 151). Der Erziehungsurlaub konnte bis 2001 nur von erwerbstätigen Eltern in Anspruch genommen werden, deren Partner ebenfalls erwerbstätig (oder in Ausbildung) war. Auch hier wurde also die Vorstellung der komplementären Elternrollen strukturell festgelegt, wenn auch die Möglichkeit des zeitlich versetzten Rollentauschs eröffnet wurde. Die seit 1992 ermöglichte Maximaldauer von drei Jahren lässt wiederum befürchten, dass die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub ohne Wechsel zwischen den Partnern zu Problemen beim Wiedereinstieg in die Erwerbsarbeit führt (siehe unten). Da die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub durch die geringe Höhe des Erziehungsgelds geschlechtsspezifische Struktureffekte aufweist, d. h. hauptsächlich Mütter Erziehungsurlaub nehmen, wurde mit der Ausdehnung des Erziehungsurlaubs auf drei Jahre eine strukturelle Weiche für die Prolongierung der Ungleichheit der Geschlechter am Arbeitsmarkt gestellt. Gleichstellungspolitisch betrachtet, handelt es sich bei Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld um eine Anerkennung und damit eine Aufwertung von Erziehungsarbeit in Relation zur Erwerbsarbeit. Als problematisch erweist sich dabei die – im Vergleich zum durchschnittlichen Erwerbseinkommen – geringe Bewertung von Erziehungsarbeit, die Kindererziehenden keine eigenständige Lebensführung ermöglicht.9 Die zunächst nur ab dem siebten Monat festgelegten Einkommensgrenzen führten zudem zu einer Beschränkung der Anspruchsberechtigung: 1986 erhielten nur 83,6 % der Erziehungsgeldbezieherinnen den vollen Betrag (Pettinger 2000, S. 246). Durch die Nicht-Anpassung der Einkommensgrenzen vergrößerte sich über die Jahre die Schere zwischen Einkommensgrenzen

8 Durch die Ausweitung der erlaubten Teilzeitbeschäftigung auf 19 Wochenstunden kann ein Anspruch auf Arbeitslosengeld im Fall der Arbeitslosigkeit nach dem Erziehungsurlaub begründet werden. 9 Die Problematik hat sich über die Jahre sogar noch verschärft, da die Höhe des Erziehungsgelds seit seiner Einführung nicht an die Inflation angepasst wurde, so dass es zu einem Realwertverlust gekommen ist: 1999 war das monatliche Erziehungsgeld im Vergleich zum Jahr 1986 nur noch 460 DM wert (Kolbe 2002, S. 345).

102

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

und Durchschnittseinkommen.10 Hinzu kam 1994 die Einführung von Einkommensgrenzen bis zum siebten Monat. Als Folge beider Entwicklungen hatten immer weniger Eltern Anspruch auf (das volle) Erziehungsgeld: So haben im Jahr 2000 18,9 % der AntragstellerInnen (West: 21 %, Ost: 7,8 %) nur in den ersten sechs Monaten Erziehungsgeld erhalten. Ab dem siebten Monat bezogen nur noch 51,3 % der AntragstellerInnen (West: 46,6 %, Ost: 76,6 %) die volle Leistung (Engstler/Menning 2003, S. 115). Der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beurteilte diese Entwicklung folgendermaßen: „Vorrangig sollte das Kindergeld jedoch die Erziehung der Kinder in der frühkindlichen Phase durch die Mutter oder den Vater fördern. Die aus Gründen großer Knappheit öffentlicher Mittel eingeführten Einkommensgrenzen und einkommensbedingten Kürzungen rücken das Erziehungsgeld jedoch in die Nähe eines am Ziel der Bedarfsgerechtigkeit orientierten Familienlastenausgleichs.“ (Wissenschaftlicher Beirat 2001, S. 31)

Für einen großen Teil der Eltern stellte das Erziehungsgeld somit lediglich eine „symbolische Politik“ der Anerkennung von Erziehungsleistung (Kolbe 2002, S. 345) dar. Für untere Einkommensschichten jedoch hatte es durchaus die Funktion der finanziellen Entlastung beim Übergang zur Elternschaft (Vaskovics 2000, S. 235). Festzuhalten bleibt, dass das Erziehungsgeld nur in Verbindung mit dem Familienernährermodell zur Existenzsicherung von Kindererziehenden führte.11 Die bereits aufgrund der Struktur der Regelung vermutete geschlechtsspezi­ fische Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld zeigt sich in den diesbezüglichen empirischen Daten. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede und der geringen Höhe des Erziehungsgelds kommt es (in aller Regel) zu einer unverhältnismäßig starken Reduzierung des Haushaltseinkommens bei Beurlaubung des Vaters. Damit erfolgt eine strukturelle Zuweisung der Kinderbetreuungsarbeit an die Mütter. Väter nahmen dementsprechend ihren Anspruch auf Erziehungsurlaub kaum wahr: Der Anteil der Männer an allen abhängig Beschäftigten in Erziehungsurlaub erreichte in Westdeutschland 1991, in Ostdeutschland 1993 erstmals die 1 %-Marke (Vaskovics/Rost 1999, S. 26). Durch die faktische Nicht-Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch Väter kommt es zu einer „Traditionalisierung der Geschlechterrollen zwischen den Partnern, indem die Mütter sich überwiegend um die Kinderbetreuung und -erziehung und die Haushaltsarbeit kümmern, während die Väter in die Ernährerrolle schlüpfen und für die finanzielle Basis der Familie verantwortlich sind.“ (Vaskovics 2000, S. 236)

10 Orientiert man sich an der Entwicklung der nominalen Arbeitnehmereinkommen, hätte die Einkommensgrenze bis 1998 bereits um fast 45 % angehoben werden müssen (Koch 2001, S. 52). 11 Selbst bei Allein-Erziehenden ist das Familienernährermodell durch die Unterhaltsverpflichtung des Kindsvaters für Kind und Mutter (seit 1995 bis zum dritten Lebensjahr des Kindes und in begründeten Fällen sogar darüber hinaus) in modifizierter Form übernommen worden (Berghahn 2004, S. 115 f.).

1. Kinderbetreuungspolitik

103

Die Sorge um die finanzielle Absicherung der Familie gilt als Hauptgrund für die geringe Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch Väter; danach wird die Angst vor einem „Karriereknick“ angeführt und mit einigem Abstand erst die Sorge um den Arbeitsplatz sowie gesellschaftlich-kulturelle Erwägungen (Vaskovics/Rost 1999, S. 47–49; Beckmann 2001). Hingegen stellen eine starke beruf­ liche Position (mit entsprechend gutem Einkommen) der Frau, ein egalitäres Rollenverständnis sowie die Veränderung der Vaterrolle durch die Emotionalisierung der Vater-Kind-Beziehung positive Einflussfaktoren für die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch Männer dar (Vaskovics 2000, S. 237). Gleichstellungspolitisch bedenklich ist die beschriebene Traditionalisierung der Geschlechterrollen nicht nur hinsichtlich der Festschreibung der Zuständigkeit von Müttern für die Kinderbetreuungsarbeit, sondern auch hinsichtlich der nachhaltigen Ausgliederungseffekte, die viele Erziehungsurlauberinnen auf dem Arbeitsmarkt erfahren.12 Leider gibt es weder offizielle Statistiken über die Zahl der ErziehungsurlauberInnen und die Dauer der Erziehungsurlaube noch Daten über deren Erwerbsverläufe und die familiale Situation. Eine Erhebung des IAB (Beckmann/Kurtz 2001, S. 4) zeigt für den Analysezeitraum von 1992 bis 2000 folgende Ergebnisse: In Westdeutschland nahmen 73 % der anspruchsberechtigten Frauen nach der Geburt des ersten Kindes Erziehungsurlaub. 11 % blieben erwerbstätig, 4 % kombinierten Erwerbstätigkeit (bis zu 19 Wochenstunden) und Erziehungsurlaub, und 10 % wurden Hausfrau und verzichteten auf den Weiterbeschäftigungsanspruch. In Ostdeutschland nahmen 85 % der anspruchsberechtigten Frauen nach der Geburt des ersten Kindes Erziehungsurlaub. 7 % blieben erwerbstätig, 4 % kombinierten Erwerbstätigkeit und Erziehungsurlaub, und nur 2 % wurden Hausfrau. Zwar nahmen die meisten der beurlaubten Frauen (West: 53 %, Ost: 70 %) nach dem Erziehungsurlaub ihre Erwerbstätigkeit wieder auf, die selbe Erhebung kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2000 41 % der westdeutschen und 22 % der ostdeutschen ehemals berufstätigen Mütter drei Jahre nach der Geburt ihres Kindes nicht wieder erwerbstätig waren13 (Engelbrecht/Jungkunst 2001, S. 2; vgl. auch Landenberger 1993, S. 94). Dabei besteht insbesondere in Ostdeutschland eine erhebliche Diskrepanz zwischen einer hohen Erwerbsorientierung von Müttern und deren unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten nach dem Erziehungsurlaub, aber auch in Westdeutschland wäre mehr als die Hälfte der nicht erwerbstätigen Frauen mit Kindergartenkindern grundsätzlich gerne berufstätig (Engelbrecht/Reinberg 1998, S. 75). Diese durch Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld geförderte Ausgliederung von Müttern aus dem Arbeitsmarkt wird durch die rechtliche Möglichkeit der parallelen Teilzeitbeschäftigung während des Erziehungsurlaubs nur scheinbar unterlaufen: Die geringe Nutzung der Kombination von Teilzeitarbeit und (Teilzeit-)Erziehungsurlaub ist dabei in Westdeutsch 12

Immerhin waren beispielsweise im Jahr 2000 57 % der Erziehungsgeldbezieherinnen vor der Geburt des Kindes erwerbstätig (Engstler/Menning 2003, S. 115). 13 39 % dieser westdeutschen und 96 % dieser ostdeutschen nicht erwerbstätigen Mütter waren auch als arbeitslos gemeldet, wollten also offensichtlich erwerbstätig sein.

12 Monate

15 Monate

18 Monate

Erziehungsurlaub: 3 Jahre (3 Teilabschnitte möglich)

Erziehungsgeld: 24 Monate

1.1.1988

1.7.1989

1.7.1990

1.1.1992

1.1.1993

1.1.1994

10 Monate (zwei Teilabschnitte möglich)

1.1.1986

Dauer

600 DM monatlich

Höhe

Paare: 100.000 DM Alleinlebende: 75.000 DM

Keine

Jährliche (netto) Einkommensgrenzen bis zum 7. Monata) Paare: 29.400 DM Alleinlebende: 23.700 DM

Jährliche (netto) Einkommensgrenzen ab dem 7. Monatb)

Tabelle 9 Die Entwicklung von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld in Deutschland

19 Wochenstunden

18 Wochenstunden

Erlaubte Beschäftigung

104 IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Paare: 51.130 Euro Alleinlebende: 38.350 Euro

Paare: 16.500 Euro Alleinlebende: 13.500 Euro

Paare: 16.470 Euro Alleinlebende: 13.498 Euro

Für Budgetangebot gilt: 22.086 Euro (Paare) bzw. 19.086 Euro (Alleinlebende)

300 Euro monatlich Paare: oder 450 Euro monat- 30.000 Euro lich (Budgetangebot) Alleinlebende: 23.000 Euro

Erziehungsgeld: 307 Euro monatlich 24 Monate oder oder 460 Euro monat12 Monate (Budgetangebot) lich (Budgetangebot) Erziehungsurlaub: 4 Teilabschnitte im Wechsel oder gleichzeitig möglich, 12 Monate können zwischen dem 2. und dem 8. Lebensjahr genommen werden (Zeitkonto)

30 Wochenstunden, Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit

Quelle: Eigene Darstellung.

Anmerkungen: a) Bei Überschreiten der Einkommensgrenzen entfällt das Erziehungsgeld vollständig. – b) Bei Überschreiten der Einkommensgrenzen wird das Erziehungsgeld prozentual zur Einkommenshöhe reduziert.

1.1.2004

1.1.2001

1. Kinderbetreuungspolitik

105

106

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

land vor allem auf das unzureichende Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren zurückzuführen (Engelbrecht/Jungkunst 2001, S. 4). Diese Einschränkung der Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie war – wie oben ausgeführt – wiederum durchaus politisch beabsichtigt (Landenberger 1993, S. 91). Diejenigen Erziehungsurlauberinnen, die erfolgreich in ihren Beruf zurückgekehrt waren, konnten überwiegend – zu 86 % in Westdeutschland und zu 92 % in Ostdeutschland – eine Verschlechterung ihrer Stelle vermeiden (Engelbrecht/ Jungkunst 2001, S. 3). Allerdings kehrten sie häufig auf Teilzeitarbeitsplätze zurück: In Westdeutschland war nur ein Fünftel der wiedereingegliederten Erziehungsurlauberinnen Vollzeit beschäftigt, in Ostdeutschland waren es knapp über die Hälfte (57 %) (Beckmann/Kurtz 2001, S. 3). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Erziehungsurlaub sich negativ auf die Entwicklung der individuellen Entlohnung auswirken (vgl. Ziefle 2004). Zum einen wird durch die Erziehungsphase der Prozess der arbeitsplatzbezogenen Aneignung von betriebsspezifischen Qualifikationen unterbrochen („lost seniority“), andererseits findet eine Entwertung des bislang erworbenen Humankapitals statt. Vergleicht man die Einkommen von Erziehungsurlauberinnen mit denjenigen von (vergleichbaren) Erwerbstätigen, die keine Unterbrechungszeiten aufweisen, so betragen diese pro Unterbrechungsjahr um 3,2 % weniger (Althammer/Pfaff 1999, S. 37). Beblo und Wolf (2002) haben zudem gezeigt, dass auch das Timing der Unterbrechung von Bedeutung für den Lohneffekt ist: späte Mutterschaft hat zusätzliche Einkommenseinbußen zur Folge. Grundsätzlich können nur eine kurze Unterbrechung und die schnelle Wiederaufnahme einer zumindest teilzeitigen Beschäftigung die nega­ tiven Einkommenseffekte des Erziehungsurlaubs abfedern. Das dritte 1986 eingeführte Instrument der Anerkennung von Erziehungsarbeit bildet die Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht. Bereits davor war der Mutterschaftsurlaub in Form von fiktiven Beitragszeiten in der Rente angerechnet worden. Allerdings ging es dabei in erster Linie um eine Verbesserung der Freistellungszeiten aufgrund der Mutterschutzregelung und nicht um die Anerkennung von Erziehungsleistung. Bewertet wurden die Zeiten entsprechend der Höhe des Mutterschaftsurlaubsgeldes (maximal 750 DM monatlich). 1986 jedoch wurde Erziehungsarbeit als Leistung anerkannt, die einen Rentenanspruch begründen kann: „Das eigentliche Novum an der gesetzlichen Neuregelung von 1986 ist also, dass nunmehr auch die unbezahlte Reproduktionsarbeit von Eltern im erwerbsarbeitszentrierten deutschen Rentensystem anerkannt wird, und zwar (…) als Leistungstatbestand und nicht bloß (wie die Mutterschaftsurlaubszeiten) als Erwerbsverhinderungsgrund.“ (Götting 1992, S. 10)

Die jahrelange Reformdebatte über die Alterssicherung der Frau hatte parteiübergreifend den Boden für die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht bereitet. Uneinigkeit bestand nur darüber, wie bei gleichzeitiger Erwerbs-

1. Kinderbetreuungspolitik

107

tätigkeit und Erziehungsarbeit verfahren werden sollte. Die SPD war für eine additive Anrechnung von Zeiten der Erwerbstätigkeit und Erziehungsarbeit. Die Regierung beschloss jedoch ein Modell, das für jedes Kind ein Jahr lang Erziehungsarbeit in Höhe von bis zu 75 % des Durchschnittseinkommens anrechnet und in dem sich eine gleichzeitige Erwerbstätigkeit subtraktiv auf den Anrechnungsmodus auswirkt. Das heißt, dass bei Erwerbstätigkeit nur die Differenz auf 75 % des Durchschnittseinkommens aufgefüllt wird. Wenn das Einkommen darüber liegt, entfällt die Anrechnung von Erziehungszeiten. Seit 1992 werden – parallel zur Ausdehnung des Erziehungsurlaubs auf drei Jahre – für jedes ab dem 1.1.1992 geborene Kind drei Jahre Erziehungszeit im Wert von 75 % des Durchschnittseinkommens in der Rentenversicherung angerechnet, sofern in dieser Zeit keine Erwerbstätigkeit erfolgte. Damit erhöhte sich nach damals geltendem Rentenrecht die monatliche Rente bei Erziehung eines Kindes von (maximal) 31,10 DM auf (maximal) 93,3 DM (Veil 1992, S. 81–85). Gefördert wurde durch das subtraktive Anrechnungsmodell auch hier das zeitliche Nacheinander von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit im Sinne des Drei-Phasen-Modells: „Nicht die Familiengründung per se wird gefördert, vielmehr wird regulierend auf die Lebensmuster der Individuen eingewirkt, dass einer der Elternteile sich in der ersten Phase der Kindererziehung völlig aus dem Berufsleben zurückziehen möge. Der niedrige Bewertungsprozentsatz macht diese Option realiter allerdings eher für Frauen als für Männer attraktiv, da der Verdienst von Frauen in der Regel 75 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Versicherten nicht übersteigt.“ (Götting 1992, S. 16)

Die Praxis zeigt, dass die Anrechnung von Erziehungszeiten tatsächlich vorwiegend von Frauen in Anspruch genommen wird. So wurden beispielsweise 1998 bei 81 % der Frauen, die in diesem Jahr erstmals eine Altersrente bezogen, Kindererziehungszeiten berücksichtigt, aber nur bei 2 % der Männer (Michaelis 2000, S. 156). Durch die direkte Anerkennung von Erziehungsarbeit – zunächst durch die Einführung von Mutterschaftsurlaub und Mutterschaftsurlaubsgeld 1979, dann durch die Einführung von Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und die Anrechnung von Erziehungszeiten im Rentenrecht 1986 – entwickelte sich in Deutschland eine direkte Form des expliziten Familialismus, die trotz strukturell formaler Geschlechtergleichheit der Regelungen geschlechtsspezifische Effekte aufweist. Dieses Leitbild einer „modernen konservativen Familienpolitik“ (Götting 1992, S. 19 f.), die sich zum einen die Herstellung von geschlechtsneutralen Rahmenbedingungen bezüglich der Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf auf die Fahnen schreibt und zum anderen an tradierten Mustern der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung festhält, spiegelt sich auch in der Entwicklung der abgeleiteten sozialrechtlichen Ansprüche wieder. Hier kam es 1985 zur Einführung von Geschlechterneutralität im Bereich der Hinterbliebenenrenten: Das Bundesverfassungsgericht hatte 1975 im so genannten Witwerrentenurteil festgestellt, dass der Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes eine geschlechtliche Differenzierung im Hinterbliebenenrecht verbiete. Die 1985 vorgenommene Reform des Hinterbliebenenrechts

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

stellte dementsprechend Witwen und Witwer gleich.14 Nach wie vor werden Hinterbliebenenrenten jedoch in der Regel von Frauen in Anspruch genommen. Neben den geschlechtsspezifischen Überlebenswahrscheinlichkeiten und dem Altersunterschied zwischen den Ehegatten ist dafür die fehlende oder vergleichsweise sehr geringe eigene Rente von Frauen verantwortlich. Dies lässt sich beispielsweise an der wegen zu hohem eigenem Einkommen nicht gewährten Hinterbliebenenrentenansprüche ablesen: 1999 ruhten in Deutschland ca. 29.000 Witwenrenten und 218.000 Witwerrenten (Ruland/Bieber 2000, S. 295). Die geschlechtsneutrale Hinterbliebenenrente wird somit aufgrund der tradierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung vor allem von Frauen genutzt. Dies lässt auch entsprechende Rückschlüsse auf die geschlechtsspezifische Nutzung der beitragsfreien Mitversicherung von Ehegatten in der Kranken- und seit 1995 auch in der Pflegeversicherung zu: Rund ein Viertel aller Frauen ist beitragsfrei bei ihrem Ehepartner in der Krankenversicherung mitversichert (Bothfeld 2005, S. 63). Das Instrument der abgeleiteten Ansprüche reproduziert trotz „Modernisierung“ nach wie vor das männliche Ernährermodell und bildet gemeinsam mit den expliziten Anerkennungspolitiken eine geschlechtsspezifisch diskriminierende Form des expliziten Familialismus. d) Die Reform familisierender Strukturen seit Ende der 1990er Jahre Die oben beschriebene Förderung des Drei-Phasen-Modells einer sukzessiven, zeitlich aufeinander folgenden Vereinbarung von Familie und Beruf bildete eines der Kernelemente des so genannten Vereinbarkeitsmodells der männlichen Versorgerehe (Pfau-Effinger 2000), in dem Ehefrauen als Teilzeit oder geringfügig beschäftigte Zuverdienerinnen des Ernährerehemannes konzipiert sind. Demgegenüber zielen die seit Ende der 1990er Jahre einsetzenden Reformen der expliziten Anerkennung von Kindererziehungsarbeit verstärkt auf die Förderung der Gleichzeitigkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung „von Anfang an“ und damit auf eine weitgehende Ablösung des (modifizierten) Ernährermodells durch ein „adult worker“-Modell (Lewis 2001), in dem alle erwerbsfähigen Erwachsenen, auch Eltern von Kleinkindern, als Erwerbstätige behandelt werden (vgl. Ostner 2006). Anlass dazu gaben zunächst die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und die aus der vergleichsweise hohen Erwerbsquote ostdeutscher Frauen resultierenden Impulse der deutschen Wiedervereinigung. So wurde im Zuge der Rentenreform 1999 die additive Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rente eingeführt. Bereits 1992 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem 14 Gleichzeitig wurde – um der politischen Vorgabe der Kostenneutralität der Reform gerecht zu werden – eine Einkommensanrechnung oberhalb einer Freibetragsgrenze eingeführt. Die Leistungsverbesserungen für Witwer wurden somit durch Rentenanspruchsminderungen von Witwen/Witwern, die über ein Einkommen oberhalb der Freibetragsgrenze verfügten, finanziert. Auch deshalb kam es zur (kompensatorischen) Anerkennung von Erziehungszeiten (Götting 1992, S. 21).

1. Kinderbetreuungspolitik

109

Urteil moniert, dass der geringe Anrechnungssatz von 75 % des Durchschnittseinkommens das Gleichberechtigungsgebot verletzen würde. In einem Urteil von 1996 wurde gefordert, die Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Müttern durch die Einführung eines additiven Anrechnungsmodells zu beseitigen (Scheiwe 1999, S. 309). Während sich die SPD bereits in den 1980er Jahren für ein additives Modell ausgesprochen hatte15, brauchte es für die Unionsparteien neben dem BVerfG-Urteilen noch einen weiteren Anstoß für die entsprechende Reform: Bei der Angleichung der Rentensysteme im Zuge der Wiedervereinigung gab es einen Bestandsschutz für die ostdeutschen „Babyjahre“. Daraus ergab sich ein „Hebel“, um die additive Anrechnung auch in Westdeutschland einzuführen (Götting 1992, S. 24). Für jedes Kind werden nunmehr drei Jahre Erziehungszeit additiv auf die Rente angerechnet, und die Anrechnungssätze wurden schrittweise auf 100 % des Durchschnittseinkommens angehoben (siehe Tabelle 10). Im Jahr 2000 brachte ein Erziehungsjahr in den alten (neuen) Bundesländern 48,56 (42,24) DM Monatsrente, so dass sich die monatliche Rentenzahlung pro Kind um etwa 150 (125) DM erhöhte (Wissenschaftlicher Beirat 2001, S. 32). Die Höherbewertung der Erziehungszeiten und die Ermöglichung der Gleichzeitigkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit durch das additive Anrechnungsverfahren stellen gleichstellungspolitische Fortschritte dar. Mit der rot-grünen Regierungsübernahme 1998 wurde der Ausbau der Anrechnungszeiten fortgesetzt: Das Rentenreformgesetz 2001 führte zusätzlich zu den und im Anschluss an die bestehenden Anrechnungszeiten die Anrechnung von Erziehungszeiten zwischen dem vierten und dem 10. Lebensjahr des Kindes ein. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist, dass insgesamt 25 Versicherungsjahre vorliegen. Nicht erwerbstätige Elternteile, die mindestens zwei Kinder unter zehn Jahren erziehen, erhalten pauschal 0,33 Entgeltpunkte (PEP) pro Jahr gutgeschrieben. Bei erwerbstätigen Eltern wird der Rentenbeitrag um die Hälfte aufgestockt, maximal jedoch bis zur Höhe von einem PEP (was 100 % des Durchschnitts­ einkommens aller Versicherten entspricht). Erwerbstätige Eltern, die genau zwei Drittel des Durchschnittseinkommens verdienen, schneiden am besten ab: Sie werden – genau wie nicht erwerbstätige Eltern mit zwei Kindern – mit dem Maximalbetrag von 0,33 PEP gefördert.16 Eltern, die weniger verdienen, erhalten eine Höherbewertung um 50 %, also weniger als 0,33 PEP. Rentenbeiträge von Eltern, die mehr verdienen, werden höchstens auf einen PEP angehoben, werden also auch mit weniger als 0,33 PEP gefördert. Die neue Regelung weist somit widersprüch 15 Bei den Verhandlungen zum Rentenreformgesetz 1992 drohte sogar eine Ampelkoalition für ein additives Anrechnungsmodell. Die Union konnte das subtraktive Modell nur beibehalten, weil sie der SPD Zugeständnisse bei der Verlängerung der Rente nach Mindesteinkommen machte (Götting 1992, S. 18 f.). 16 Zwei Drittel des Durchschnittsentgelts aller Versicherten entspricht 0,66 PEP. Diese werden um 50 % aufgestockt (+33 PEP). Es ergibt sich somit ein Gesamtwert von 0,99 PEP, was wiederum einem angenommenen Einkommen von 99 % des Durchschnitts aller Versicherten entspricht.

110

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

liche Elemente hinsichtlich der Förderung einer Gleichzeitigkeit von Kindererziehung und Erwerbsarbeit auf: Einerseits wird nur eine Teilzeittätigkeit mit einem Einkommen in Höhe von zwei Drittel des Durchschnittseinkommens voll gefördert, andererseits wird die Nicht-Erwerbstätigkeit von Eltern mit weniger als zwei Kindern unter zehn Jahren sowie die überdurchschnittlich bezahlte Erwerbstätigkeit von Eltern von der Förderung ausgeschlossen (Leitner 2003b, S. 78 f.). Tabelle 10 Anrechnung von Erziehungszeiten im deutschen Rentensystem Renten- Dauer reform

Bewertung

Ansprüche aus Erwerbstätigkeit

Anspruch für

1985

1 Jahr pro Kind

75 % des Durchschnittsein- Subtraktiv kommens

Frauen ab Geburtsjahrgang 1921

1992

3 Jahre pro Kind

75 % des Durchschnittsein- Subtraktiv kommens

Geburten ab dem 1.1.1992

1999

3 Jahre pro Kind

Ab 1.7.1998: 85  % des Additiv Durchschnittseinkommens Ab 1.7.1999: 90  % des Durchschnittseinkommens Ab 1.7.2000: 100  % des Durchschnittseinkommens

Geburten ab dem 1.1.1992

2001

Zusätzlich vom 4. bis zum 10. Lebensjahr des Kindes, wenn 25 Versicherungsjahre vorliegen

Maximal 33 % des Durchschnittseinkommens: a) nicht erwerbstätig und mindestens zwei Kinder b) Aufstockung der Renten­ beiträge aus Erwerbsarbeit um 50 % bis zu einer Obergrenze von 100 % des Durchschnittseinkommens

prinzipiell additiv, Erziehungsaußer wenn mehr zeiten ab dem als zwei Drittel 1.1.1992 des Durchschnittseinkommens verdient werden

Quelle: Eigene Darstellung.

Ähnliche Ambivalenzen in Bezug auf die strukturelle Ermöglichung der Parallelität von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit finden sich in der Reform von Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld von 2000, die eine Umsetzung der EURichtlinie zum Elternurlaub (96/34/EWG) darstellt (Gerlach 2004, S. 189). Die neue Elternzeit unterscheidet sich vom alten Erziehungsurlaub durch neue Anreize für eine partnerschaftliche Teilung der Erziehungsarbeit zwischen den Eltern und bildet den eigentlichen Fokus der rot-grünen Reformpolitik (siehe Tabelle 9). So können jetzt beide Eltern gleichzeitig Elternzeit nehmen, wobei diese insgesamt

1. Kinderbetreuungspolitik

111

auf drei Jahre pro Kind begrenzt bleibt und in bis zu vier Teilabschnitten konsumiert werden kann. Die Einführung eines so genannten Zeitkontos ermöglicht zudem die flexible Nutzung des letzten Jahres der Elternzeit zwischen dem zweiten und dem achten Lebensjahr des Kindes, wobei die Nutzung des Zeitkontos der Zustimmung des Arbeitgebers unterliegt und keinen verbürgten Rechtsanspruch darstellt. Während der Elternzeit ist eine Erwerbstätigkeit von bis zu 30 Stunden pro Woche erlaubt, und es besteht ein Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit während der Elternzeit, sofern es sich um einen Betrieb mit mehr als 15 Beschäftigten handelt, das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht und keine betrieblichen Gründe entgegenstehen.17 Die gewollte Gleichzeitigkeit von (geteilter) Elternschaft und Teilzeiterwerbstätigkeit tritt in diesen Regelungen offen zu Tage. Dennoch konterkarierte bis in die jüngste Vergangenheit die mangelnde Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren nach wie vor die angestrebte Vereinbarkeitslösung (siehe unten). Nur wenn beide Eltern Teilzeit Erwerbsarbeit und Teilzeit Erziehungsarbeit leisteten, konnte das Vereinbarkeits­ problem gelöst werden. Dies erwies sich jedoch umso schwieriger, als die Reform des Erziehungsgelds keine wesentlichen Verbesserungen in punkto finanzieller Unterstützung von Erziehenden gebracht hat: Die Höhe des Erziehungsgelds (307 € pro Monat bis zum zweiten Geburtstag des Kindes) wurde beibehalten, und eine Dynamisierung des seit 1986 in seiner Höhe unveränderten Erziehungsgeldes weiter hinausgeschoben. Es wurden jedoch die Einkommensgrenzen, die ab dem siebten Monat galten, erhöht. Damit wurde der Kreis der TransferempfängerInnen, der sich vor allem nach dem sechsten Monat stark reduziert hatte, erweitert. Da die Einkommensgrenzen seit 1986 nicht an die nominale Einkommensentwicklung angepasst wurden, fiel diese erstmalige Anpassung insgesamt sehr gering aus (vgl. Koch 2001, S. 52). Der Anteil der Berechtigten erhöhte sich nur um ca. 5 %; zudem verringerte sich das Erziehungsgeld für diejenigen, die die Einkommensgrenzen ab dem siebten Monat überschritten, stärker als früher (Kolbe 2002, S. 398). Erziehende waren somit nach wie vor auf einen Familienernährer angewiesen, umso mehr als seit 2004 wieder strengere Einkommensgrenzen galten und die Höhe des Erziehungsgeldes auf 300 € monatlich gesenkt wurde. Neu war das so genannte Budget-Angebot: Wenn die Bezugsdauer des Er­ ziehungsgelds freiwillig auf ein Jahr verkürzt wurde, erhöhte sich die monatliche 17

Der Rechtsanspruch auf Arbeitszeitverkürzung wurde gegen den Widerstand der Arbeitgeber durchgesetzt (vgl. Kolbe 2002, S. 398), die diesen als „einen erheblichen Eingriff in ihre Dispositionsfreiheit und die Einführung planwirtschaftlicher Zwangsinstrumente in die soziale Wirtschaftsordnung Deutschlands“ (Lindemann/Simon 2001, S. 260) bewerteten. Dieser Widerstand der Arbeitgeber lässt sich auch daran festmachen, dass der Rechtsanspruch auf Arbeitszeitverkürzung durch die o. g. erforderlichen „Nebenbedingungen“ stark eingeschränkt ist. Die notwendige Zustimmung des Arbeitgebers soll jedoch auch für Frauen, die Kinder im Grundschulalter haben, mögliche Nachteile bei der Einstellung vermindern (Bothfeld 2005, S. 32).

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Leistung auf 460 € (bzw. seit 2004 nur noch auf 450 €) pro Monat. Insgesamt reduzierte sich durch das Budget-Angebot jedoch der maximal zu gewährende Betrag um 1.848 € (1.800 €), was wohl nur mit finanzpolitischen Argumenten zu erklären ist (vgl. Bothfeld 2005). Außerdem war die Regelung auf Elternpaare beschränkt, die auch nach dem siebten Lebensmonat des Kindes noch Anspruch auf das volle Erziehungsgeld haben. Dadurch sollten Mitnahmeeffekte vermieden werden, da gut verdienende Frauen aufgrund ihrer stärkeren Identifikation mit der Erwerbsarbeit ohnehin kürzere Erziehungszeiten nehmen würden (Bothfeld 2005, S. 31). Somit wurde zwar für gering verdienende Eltern ein Anreiz für kurze Erwerbsunterbrechungen gesetzt, womit die Rückkehr in den Arbeitsmarkt begünstigt wird. Die Höhe des Budget-Angebots war jedoch nach wie vor nicht existenzsichernd, und die fehlende Kinderbetreuungsinfrastruktur für unter Dreijährige machte das Budget-Angebot schwer einlösbar (vgl. Schratzenstaller 2002, S. 130). Eine weitere Neuerung betraf die Ausweitung der Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung während des Erziehungsgeldbezugs: Statt wie bisher 19 Stunden pro Woche, konnten nunmehr 30 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Auch diese Maßnahme ist ambivalent zu beurteilen, da sie einerseits mit den Einkommensgrenzen für den Erziehungsgeldbezug konkurriert und andererseits wiederum die Frage nach der Kinderbetreuungsmöglichkeit gestellt werden muss (Leitner 2003c, S. 256–258). Eine erste Evaluierung der Reform zeigte, dass die Gleichzeitigkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung von 38,6 % der Haushalte mit Anspruch auf Elternzeit genutzt wurde, wobei der Anteil mit steigendem Lebensalter des Kindes zunahm. Mit dem Alter des Kindes nahm auch der zeitliche Umfang der Teilzeitarbeit zu, und während Mütter vor allem im ersten Lebensjahr des Kindes eher kurze Teilzeit (bis zu 19 Wochenstunden) bevorzugten, waren Väter zum über­ wiegenden Teil in langer Teilzeit (zwischen 20 und 30 Wochenstunden) beschäftigt. Ein Drittel der Teilzeit arbeitenden Mütter und die Hälfte der Teilzeit arbeitenden Väter, die Elternzeit beanspruchten, gaben an, dass die Neuregelung für ihre Entscheidung der Kombination von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung ausschlaggebend war (BMFSFJ 2004a, S. 16–20). Die Neuregelung scheint somit tatsächlich zu einer Steigerung des Anteils derjenigen Eltern geführt zu haben, die während der Elternzeit Teilzeit erwerbstätig sind. Erhöht hat sich auch der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen: Zwar war nur in 0,2 % der Haushalte der Vater in Elternzeit und nicht erwerbstätig, aber in 4,7 % der Haushalte waren beide Eltern gleichzeitig in Elternzeit und Teilzeit erwerbstätig (ebd., S. 16). Die Väterbeteiligung scheint sich somit in Kombination mit Teilzeitarbeit besser umsetzen zu lassen. Als Fazit der Reformpolitik lässt sich somit festhalten, dass durchaus ein (wenn auch kleiner) gleichstellungspolitischer Erfolg zu verzeichnen ist, der an der deutschen Tradition des männlichen Ernährermodells kratzt.18 18 Es muss jedoch angemerkt werden, dass der empirisch festgestellte Anstieg der Väterbeteiligung sich höchstwahrscheinlich auf Eltern der oberen Einkommensschichten bezieht und auch die Steigerung der Teilzeitquote von Eltern in Erziehungszeit schichtspezifisch differen-

1. Kinderbetreuungspolitik

113

Hinsichtlich der Entwicklung der direkten familisierenden Politikelemente (Erziehungsurlaub, Erziehungsgeld und Anrechnung von Kindererziehungs­zeiten) kann seit Ende der 1990er Jahre und verstärkt mit der Regierungsübernahme durch die rot-grüne Koalition konstatiert werden, dass es in Teilen zu einem Abbau der geschlechtsspezifischen Diskriminierung gekommen ist. Dies würde auf eine tendenzielle Erosion des Brotverdienermodells hindeuten.19 Gleichwohl kam es hinsichtlich der indirekten Anerkennung von Kinderbetreuungsarbeit durch abgeleitete Ansprüche sowie durch das Ehegattensplitting trotz entsprechender rotgrüner Reformdiskussionen nach der Regierungsübernahme zu keinen wesentlichen Veränderungen. Einzig die Hinterbliebenenrente wurde 2001 modifiziert: Die kleine Witwen/Witwerrente wurde auf zwei Jahre befristet. D. h. Witwen und Witwer, die jünger als 45 Jahre sind und weder erwerbsunfähig sind noch ein Kind unter 18 Jahren betreuen, müssen nach einer kurzen Übergangszeit für sich selbst sorgen. Die große Witwen/Witwerrente wurde von 60 % auf 55 % des Rentenanspruchs des/der Verstorbenen gekürzt. Im Gegenzug erhalten Witwen bzw. Witwer, die Kinder erzogen haben, Rentenerhöhungen für jedes Kind (Leitner 2003b, S. 79 f.). Damit wurde im Wesentlichen dem Ernährermodell für jüngere kinderlose Paare eine Absage erteilt, es wurde jedoch nicht das Ernährermodell an sich angegriffen. Nach dem Amtsantritt der großen Koalition 2006 wurde der Leitbildwandel in der Familienpolitik allerdings noch weiter vorangetrieben. Das neue Elterngeld ersetzt seit 2007 das alte Erziehungsgeld. Nunmehr können Eltern maximal 14 Monate lang eine Lohnersatzleistung von 67 % erhalten (Untergrenze: 300 €, Obergrenze: 1.800 €).20 Zwei Monate des Elterngeldbezugs sind für den jeweils anderen Elternteil reserviert und verfallen, wenn dieser sie nicht in Anspruch nimmt. Für rund 40 % der Erziehenden besteht nun während der Erziehungszeit keine Abhängigkeit von einem Ernährer: 12,7 % der ElterngeldbezieherInnen erhielten Ende 2011 ein Elterngeld in Höhe von 750–1.000 € monatlich, bei 26,3 % lag das Elterngeld über 1.000 € pro Monat. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass das Elterngeld in 61 % weniger als 750 € ausmacht, bei 26,3 % wird sogar nur der Mindestbetrag von 300 € ausbezahlt (Statistisches Bundesamt 2011).21 Die relativ kurze und am vorangegangenen Einkommen orientierte Leistung für Erziehungsarbeit setzt Anreize sowohl für kurze Erwerbsunterbrechungen mit einem raschen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt als auch für die Beteiligung ziert betrachtet werden muss: Es handelt sich dabei zum einen um Haushalte mit sehr geringem und zum anderem um Haushalte mit sehr hohem Einkommen (vgl. Leitner 2005b). 19 Meyer (1998a; b) kommt für die 1990er Jahre zu einer ähnlichen Bilanz. 20 Seit 2011 wird bei Eltern, die Grundsicherungsleistungen beziehen, das Elterngeld auf die Höhe der Grundsicherung angerechnet. Eltern mit einem vorangegangen Brutto-Jahreseinkommen von über 250.000 € (Alleinerziehende) bzw. 500.000 € (Paare) haben seit 2011 keinen Anspruch auf Elterngeld mehr. Eltern mit einem vorangegangenen Nettoeinkommen von über 1.200 € monatlich erhalten nur noch 65 % davon als Elterngeld. 21 Zu den Umverteilungswirkungen des Elterngelds siehe kritisch Bothfeld (2006), Farahat et al. (2006) oder Henninger et al. (2008).

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

von Vätern an der Kinderbetreuung. Insgesamt betrug die Väterbeteiligung Ende 2011 18,6 %, wobei 72,6 % dieser Väter ausschließlich die beiden Partnermonate in Anspruch nahmen. Mütter beanspruchten hingegen das Elterngeld zu 92 % für zehn bis zwölf Monate (ebd.). Eine Veränderung der familialen Arbeitsteilung wird somit nur sehr bedingt erreicht (vgl. Ehnis 2008; Rüling 2008a). Hinzu kommt, dass die Elternzeit von insgesamt drei Jahren (vorerst) nicht gekürzt wird, „da die Kinderbetreuungsmöglichkeiten (zumindest in den alten Bundesländern) noch lange nicht ausreichend sind, um der Mutter [sic!] einen problemlosen Wiedereinstieg in den Beruf“ (Rürup/Gruescu 2003, S. 57) vor dem dritten Lebensjahr des Kindes zu ermöglichen. Nach der bezahlten Elternzeit kann also wie bisher unbezahlte Elternzeit beansprucht werden. Die Anreize, die das neue Elterngeld setzt, werden somit teilweise durch die alte Elternzeitregelung konterkariert. e) Vom expliziten zum optionalen Familialismus? Betrachtet man nun – als Indikator für den Wandel des traditionellen Ernährermodells – das Erwerbsverhalten von Müttern, so zeigt sich, dass die Erwerbstätigenquote von Müttern in den 1980er und 1990er Jahren stark angestiegen ist (vgl. Tabelle 8 und 11). Auffallend ist zum einen die in allen Altersstufen der Kinder weitaus höhere Erwerbsbeteiligung ostdeutscher Mütter, aber auch der „Aufholprozess“ westdeutscher Mütter in den 1990er Jahren.22 Auch sind in Westdeutschland erwerbstätige Frauen mit Kindern zu zwei Dritteln Teilzeit beschäftigt, während dies nur für ein Drittel der ostdeutschen Mütter zutrifft (Klammer/Klenner 2004, S. 182). Es zeigt sich also für Westdeutschland, dass mit zunehmendem Alter der Kinder das traditionelle durch das modifizierte Ernährermodell (Pfau-Effinger 2000) abgelöst wird. In Familien mit Kindern unter drei Jahren ist die Kombination Vollzeit/nicht erwerbstätig am stärksten vertreten, der Anteil der Kombination Vollzeit/Teilzeit steigt jedoch mit zunehmendem Alter der Kinder an. Für Ostdeutschland zeigt sich in Familien mit Kindern unter drei Jahren ein ähnliches Bild, bei Familien mit älteren Kindern sind im Unterschied zu Westdeutschland jedoch drei in etwa gleichgewichtig vertretene Kombinationen festzustellen: Vollzeit/nicht erwerbstätig, Vollzeit/Teilzeit und Vollzeit/Vollzeit. In Ostdeutschland verliert somit das traditionelle Ernährermodell mit zunehmendem Alter der Kinder noch stärker an Bedeutung als in Westdeutschland, es wird zum Teil durch das modifizierte Ernährermodell und zum Teil durch das „egalitäre“ Arbeitszeitmodell „beide Eltern arbeiten Vollzeit“ abgelöst (vgl. Beckmann 2002). 22 Die rückläufigen Quoten ostdeutscher Mütter sind vorwiegend der zunehmenden Arbeitslosigkeit geschuldet und weniger einem „echten“ Rückzug aus dem Arbeitsmarkt (Klammer/Klenner 2004, S. 179).

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1. Kinderbetreuungspolitik Tabelle 11 Müttererwerbstätigenquote 1991 und 2000 1991a)

2000a)

2000b)

D-West

D-Ost

D-West

D-Ost

D-West

D-Ost

< 3 Jahre

37,3

75,9

47,7

52,2

29,0

40,0

3–5 Jahre

47,6

82,8

55,7

63,7

54,3

63,4

6–14 Jahre

59,2

86,6

67,6

76,5

67,1

76,3

15+ Jahre

53,7

74,9

62,9

73,3

62,6

73,1

Anmerkungen: a) Anteil der erwerbstätigen Mütter an allen Müttern zwischen 15 und 64 Jahren, einschließlich vorübergehend beurlaubter Personen, die ihre Erwerbstätigkeit vorübergehend nicht ausüben, weil sie sich z. B. in Elternzeit befinden. – b) Ohne vorübergehend beurlaubte Personen; diese Daten werden im Mikrozensus erst seit 1996 erhoben. Quelle: Klammer/Klenner 2004, S. 180.

Diese Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland können zum einen mit kulturellen Unterschieden erklärt werden, die sich auf ein anderes Rollenverständnis im Rahmen der DDR-Frauenpolitik gründen. Zum anderen sind aber auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern zu berücksichtigen: Während in Westdeutschland oftmals die Aufnahme einer Erwerbsarbeit an fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten scheitert, ist für ostdeutsche Mütter die eigene Erwerbsarbeit angesichts der hohen Arbeitslosigkeit häufig eine Frage der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Betrachtet man die Arbeitszeitwünsche von Frauen mit Kindern, wird deutlich, dass das modifizierte Versorgermodell als gesellschaftliches Leitbild dominiert: Sowohl in West- als auch in Ostdeutschland wünschen sich Frauen mehrheitlich – abhängig vom Alter der Kinder sind es zwischen 63 % und 68 % – ein Familienmodell, in dem ein Partner Vollzeit und der andere Teilzeit erwerbstätig ist (Beckmann 2002). Es bestehen somit beträchtliche Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Für westdeutsche Frauen – insbesondere für Frauen mit Kindern unter drei Jahren – geht es dabei in erster Linie um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, während sich ostdeutsche Frauen – vor allem diejenigen mit Kindern über drei Jahren – auch die Reduzierung von Vollzeit auf Teilzeit wünschen.

Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz Der rasante Anstieg der Müttererwerbstätigkeit wie die Zunahme der Erwerbsorientierung von Müttern mit Kindern unter drei Jahren stellt auch neue Anforde­ rungen an de-familisierende Maßnahmen, d. h. konkret: Der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung wurde zunehmend eingefordert. Neue Entwicklungen zeichneten sich im Bereich der institutionellen Kinderbetreuungspolitik zunächst

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

in Folge der Wiedervereinigung ab. Diese nämlich schuf den Anlass für die Neuregelung des § 218 StGB, da – im Gegensatz zur BRD – in der DDR eine Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei vorgenommen werden konnte. Laut Einigungsvertrag sollte eine bundeseinheitliche Lösung gefunden werden. Als „Ausgleich“ für die gegenüber dem DDR-Recht restriktivere Fristenregelung mit Pflichtberatung wurde 1992 im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt (Auth 2002, S. 240 f.). Da die Autonomie von Frauen in der Abtreibungsfrage eingeschränkt wird, sollte ihnen wenigstens die Entscheidung für eine Teilnahme am Arbeitsmarkt trotz Mutterschaft ermöglicht werden: „Keine Partei wollte zu dem Vorwurf Anlaß geben, ihre Politik verschlechtere die materielle Lage von Frauen oder enge ihre beruflichen Spielräume durch eine rigide Festlegung auf die Familie ein.“ (Meyer 1998a, S. 832)

Allerdings stellte damit der Bund den Ländern – und insbesondere den Kommunen, die die Hauptlast der Finanzierung von Kindergartenplätzen tragen,23 – eine Aufgabe, der sie nicht so ohne weiteres gewachsen waren: Da die öffentliche Kinderbetreuung Landeskompetenz ist, und der Bund zunächst keine Finanzierungszusagen gemacht hatte, war die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz nicht gewährleistet. Der Bundesrat stimmte dem Gesetz deshalb auch nicht zu (Keil 1993, S. 130). Wegen der finanziellen Belastung der Länder und Kommunen durch den neuen Rechtsanspruch wurde dieser sodann erst für das Jahr 1996 festgelegt und eine Bundesbeteiligung im Rahmen des Bund-Länder-Finanzausgleichs verabredet. Darüber hinaus gab es Übergangsregelungen für eine stufenweise Verwirklichung des Rechtsanspruchs bis 1999 (Auth 2002, S. 246–249). In der Folge kam es tatsächlich zu einem Anstieg der Versorgungsquote der Kindergartenkinder (Drei- bis Fünfjährige). Betrachtet man die Altersgruppe der Drei- bis Sechseinhalbjährigen, stieg die bundesweite Versorgungsquote von 77,2 % 1994 auf 89,5 % 1998 an, wobei es große Unterschiede zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern gibt. Alle ostdeutschen Länder lagen 1998 knapp unter oder über der 100 %-Versorgungsmarke, während in Westdeutschland nur Baden-Württemberg, Hessen und das Saarland entsprechende Werte aufwiesen. Alle anderen westdeutschen Länder lagen unter dem Bundesdurchschnitt (DJI 2002, S. 119 f.). 2007 betrug die bundesweite Versorgungsquote 88,7 % (West: 87,8 %, Ost: 93,6 %). Betrachtet man den zeitlichen Betreuungsumfang der angebotenen Plätze, wird der Ost-West-Unterschied noch deutlicher: 2007 waren in Ostdeutschland 60 %, in Westdeutschland nur 16,1 % der Plätze Ganztagsplätze mit Mittagessen (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008). Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der ursächlich für

23 Die Länder beteiligen sich nur selektiv an der Finanzierung: „Da Kinderbetreuung Anfang des 20. Jahrhunderts als Armenfürsorge begriffen wurde, wurde sie wie andere Bereiche der Fürsorge zur kommunalen Aufgabe erklärt.“ (Spieß et al. 2000, S. 271)

1. Kinderbetreuungspolitik

117

den Anstieg der Versorgungsquote seit Mitte der 1990er Jahre ist (Büchel/Spieß 2002, S. 17), beschränkt sich in Westdeutschland somit de facto auf einen Halbtagsplatz. Die bestehenden Versorgungsdefizite entstehen dabei hauptsächlich durch die oben beschriebene zersplitterte Kompetenzverteilung und die daraus resultierende „föderale Finanzierungsverflechtungsfalle“ (Sell 2002, S. 149), die die Umsetzung von Bundesrecht von der Finanzierungsleistung der Länder und vor allem der Kommunen abhängig macht: „Die Ausweitung des Angebots scheitert deshalb oft an Querelen zwischen den verschiedenen Akteuren, die versuchen, die Kosten auf andere abzuwälzen, oder die andere kommunale Aufgaben zu Lasten von Kinderbetreuungseinrichtungen fördern.“ (Scheiwe 1999, S. 326)

Das Ziel der verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird – zumindest in Westdeutschland – durch den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nur sehr eingeschränkt erreicht, da angesichts der mangelhaften Ganztagsversorgung nur schwerlich mehr als eine (kurze) Teilzeit Erwerbstätigkeit des hauptsächlich betreuenden Elternteils möglich ist.24 Die Fokussierung auf die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kinder­ gartenplatz im Kontext der Abtreibungsdebatte enthält jedoch auch eine gewisse Widersprüchlichkeit, da Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren und für Grundschulkinder nicht hinreichend thematisiert wurden. Diana Auth führt die Negierung der mangelhaften Betreuungssituation für die unter Dreijährigen auf „entsprechend konservative[r] Frauen- und Familienvorstellungen“ zurück, denen zufolge „die Erziehung von Kleinkindern in der Familie stattfinden sollte“ (Auth 2002, S. 244). Diese für die westdeutsche Politik traditionell bestimmende Ideologie der Mutterschaft, die den Halbtagskindergarten zwar als Unterstützung der Familienerziehung akzeptiert, die Hauptverantwortung für die Kindererziehung jedoch in der Familie bzw. bei der Mutter verortet (OECD 2004, S. 17), scheint auch Mitte der 1990er Jahre und trotz anderer Traditionen der ostdeutschen Bevölkerung die Politik bestimmt zu haben. Dementsprechend ist die Versorgung der unter Dreijährigen mit Betreuungsplätzen zumindest in Westdeutschland immer noch sehr niedrig. Insgesamt wurden 1998 nur knapp 3 % der Kinder unter drei Jahren in Krippen betreut, wobei Berlin West, Hamburg und Bremen deutlich bessere Versorgungsquoten von 23,4 %, 11,7 % und 6,8 % aufwiesen. In der DDR, wo die institutionelle Betreuung von Kindern ab dem ersten Lebensjahr durchaus üblich war, lag die Versorgungsquote für unter Dreijährige 1989 noch bei 56,4 %.25 Seither ist jedoch ein starker Rückgang 24 Kritisiert wird auch die Qualitätsverschlechterung des Betreuungsangebots: Um die Kosten des Einzelplatzes zu senken wurden Ganztags- in Halbtagsplätze umgewandelt, die Gruppengröße ausgedehnt, Elterngebühren erhöht und Bauvorschriften gelockert (Meyer 1998a, S. 823). 25 In Kombination mit dem Babyjahr bedeutete dies de facto eine Komplettversorgung für Kinder ab zwölf Monaten.

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

zu verzeichnen: 1998 betrug die Versorgungsquote in den ostdeutschen Ländern 36,3 %, wobei sie zwischen 24 % (Sachsen) und 52 % (Berlin Ost, Brandenburg) variierte (DJI 2002, S. 100). Zwar handelte es sich bei dem Großteil der angebotenen Krippenplätze um Ganztagsplätze, dennoch gab es ein erhebliches Betreuungsdefizit angesichts der Erwerbsquote von Müttern mit Kindern im Krippenalter: In Ostdeutschland waren im Jahr 2000 40 %, in Westdeutschland 29 % der Frauen mit Kindern unter drei Jahren erwerbstätig (vgl. Tabelle 11). Berücksichtigt man außerdem, dass in Ostdeutschland 12,7 % und in Westdeutschland 2,6 % der Frauen mit Kindern unter drei Jahren arbeitslos, d. h. auf Arbeitsuche, waren (Klammer/Klenner 2004, S. 180), ergibt sich insgesamt ein Betreuungsdefizit für die unter Dreijährigen von ungefähr 16 % in Ost- und 29 % in Westdeutschland. Alternativ zur Krippe übernehmen auch Tagesmütter die Betreuung von unter Dreijährigen, insgesamt handelt es sich dabei jedoch nur um 3 % der unter Dreijährigen. Die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten werden in der Folge vor allem in Westdeutschland durch eine stärkere Beanspruchung verwandtschaftlicher Betreuungskapazitäten kompensiert: Jedes dritte Kind wird regelmäßig und ausschließlich von Personen außerhalb des elterlichen Haushalts betreut. In Ostdeutschland trifft dies nur auf jedes fünfte Kind unter drei Jahren zu (Büchel/ Spieß 2002, S. 41).

Der Ausbau der Betreuung für die unter Dreijährigen 2002 hat die Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung das Ziel festgeschrieben, bis zum Jahr 2010 230.000 neue Plätze für Kinder unter drei Jahren zu schaffen und damit eine Versorgungsquote von etwa 20 % zu erreichen. Die Regierung folgte damit sowohl dem Beschluss des Europäischen Rats von Lissabon im März 2000, die Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen, als auch dem Beschluss des Europäischen Rats von Barcelona im März 2002, den Versorgungsgrad für Kinder unter drei Jahren bis 2010 auf 33 % anzuheben. Der eigentliche Motor für die Ausbaupläne bestand jedoch in der Wahrnehmung der niedrigen Geburtenrate als gesellschaftspolitisches Problem, welches die SPD Ende 2002 dazu veranlasste, einen neuen familienpolitischen Diskurs zu etablieren. Die offene Thematisierung der niedrigen Geburtenrate stellte dabei ein Novum für die Bundesrepublik dar, ebenso die Vorstellung, dass diese durch entsprechende Maßnahmen angehoben werden könnte. Das Familienministerium bemühte sich, diese pronatalistische Position, die nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik als Tabu galt, durch die Herstellung des positiven Zusammenhangs zwischen einer hohen Geburtenrate, einer hohen Frauenerwerbstätigkeit und guten Vereinbarkeitsbedingungen salonfähig zu machen (Rüling 2008b). Dieses neue produktivistische Paradigma wird seit Ende 2002 vom Familienministerium als „nachhaltige Familienpolitik“ bezeichnet und scheint nicht nur von der SPD, sondern auch von weiten Teilen der Christdemokratie getragen zu werden (siehe unten). Auf den Punkt gebracht geht es dabei um folgende Argumentationskette:

1. Kinderbetreuungspolitik

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Eine gute Vereinbarkeitspolitik sichert kurz- und mittelfristig den Zugriff auf das weibliche Arbeitskräftepotential und erhöht zudem die Geburtenrate. Eine höhere Geburtenrate garantiert langfristig Arbeitskräfte in ausreichendem Maße. Diese sind umso besser einsetzbar, wenn sie eine durch die Frühförderung in qualitativ hochwertigen Betreuungseinrichtungen erworbene hohe Lernkompetenz aufweisen (Gruescu/Rürup 2005; Ristau 2005). Umgesetzt wurde die Koalitionsvereinbarung durch die Verabschiedung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG), das die Kommunen zu einem Ausbau ihres Betreuungsangebots verpflichtet. Wie schon bei der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz hat der Bundesrat auch gegenüber dem TAG, und wiederum aus finanzpolitischen Gründen, sein Veto eingelegt. Der Bundestag hat den Einspruch des Bundesrats jedoch zurückgewiesen, womit das TAG mit 1.1.2005 in Kraft getreten ist. Da der Bund den Kommunen aufgrund der föderalen Kompetenzverteilung in diesem Bereich keine zweckgebundenen Mittel für den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur zur Verfügung stellen kann, sollte die Finanzierung über die Einsparungen aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe (Hartz IV) erfolgen. Die Kommunen sparen durch Hartz IV nach Schätzung des Bundes voraussichtlich 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. 1,5 Milliarden davon sollen laut Vorschlag des Bundes für den Ausbau des Betreuungsangebots für unter Dreijährige verwendet werden. „Die Strategie der Regierung hing daher davon ab, dass beide Maßnahmen durchgingen, und dass die Kommunen bereit wären, Einsparungen in dem einen Bereich für einen Ausbau des anderen Bereichs zu verwenden.“ (OECD 2004, S. 27 f.)

Diese Finanzierungsstrategie scheint jedoch nicht unproblematisch, da das komplexe Geflecht der föderalen Aufgaben- und Finanzmittelverteilung keine Garantie für die tatsächliche Umsetzung des TAG bietet: Zum einen liegt es an den Ländern, ob die Mittel entsprechend weitergeleitet werden. Zum anderen müssen die Mittel im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs als zweckgebundene Zahlungen an die Gemeinden fließen, um die Verwendung der Mittel zu regulieren. Der Bund kann auf diese Entscheidungen keinen direkten Einfluss nehmen (Vesper 2005, S. 48). Zudem stellt sich das Problem, dass die für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind und deren Höhe je nach Anzahl der von der kommunalen Sozialhilfe an die bundesstaatliche Agentur für Arbeit „abgegebenen“ Sozialhilfeempfänger variiert. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass diejenigen Kommunen mit höheren Einsparungen aufgrund von Hartz IV auch diejenigen sind, die den größten Bedarf an einem Ausbau der Kinderbetreuung haben. Das Gesetz sieht vor, dass die Kommunen, die für die Finanzierung der neuen Plätze verantwortlich sind, sich am Bedarf vor Ort orientieren und mindestens Plätze für Kinder vorhalten, deren beide Elternteile (bzw. deren allein erziehender Elternteil) erwerbstätig sind oder demnächst sein werden oder sich in einer Ausbildung befinden oder an Eingliederungsmaßnahmen im Sinne von Hartz IV teil-

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

nehmen.26 Spieß und Wrohlich (2005) haben berechnet, dass im Jahr 2005 etwa 250.000 Kinder unter drei Jahren auf einen Betreuungsplatz warteten. Dieser Bedarf wäre durch den geplanten Ausbau weitgehend gedeckt. Berücksichtigt man jedoch auch diejenigen Kinder, deren Mütter „so bald wie möglich“ erwerbstätig sein wollen, wären etwa weitere 35.000 Plätze nötig, und für Kinder von geringfügig beschäftigten Müttern kämen weitere 128.000 Plätze hinzu. Es war also bereits bei Einführung des TAG abzusehen, dass selbst bei Erreichen der Zielvorgabe des Gesetzes der Bedarf nicht vollständig gedeckt wird. Dennoch kann von einer Verbesserung der Betreuungssituation für unter Dreijährige ausgegangen werden: Konkret hat sich im ersten Jahr nach dem Gesetz die Betreuungsquote in Westdeutschland um 0,8 Prozentpunkte von 6,9 % auf 7,7 % erhöht (BMFSFJ 2006). Als „kostengünstige Form der Betreuung, die insbesondere in dünn besiedelten Regionen den Bedarf effizienter decken kann als andere Formen der Betreuung“ (BMFSFJ 2004c), soll im Rahmen des TAG die Tagespflege mit ihren flexiblen Betreuungszeiten aufgewertet werden. Rund ein Drittel der anvisierten 230.000 Plätze sollen von Tagesmüttern angeboten werden. Das Bundesministerium ortet für Westdeutschland einen Bedarf in Höhe von 40.000 öffentlich geförderten Tagesmüttern (BMFSFJ 2004b). Diese sollen zukünftig vor Aufnahme ihrer Tätigkeit in Kurzkursen eine entsprechende Grundqualifikation erwerben, um die Qualität der frühkindlichen Betreuung und Erziehung sicher zu stellen. Schließlich fördert die Bundesregierung auch aus bildungspolitischen Gründen (Stichwort: PISA-Studie) den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur (OECD 2004, S. 28).27 Zudem soll der Ausbau der Tagespflege denjenigen Arbeitslosen, die einen erzieherischen oder pflegerischen Beruf ausgeübt haben, neue Beschäftigungsmöglichkeiten bieten (BMFSFJ 2004c). Das vor 25 Jahren eingestellte Modellprojekt Tagesmütter der 1970er Jahre soll nun unter neuen Vorzeichen nicht nur wieder belebt werden, es erscheint sogar plötzlich als die Lösung der anstehenden Probleme: Die Betreuung ist kostengünstig, sie ist flexibel, sie schafft neue Arbeitsplätze und fördert gleichzeitig die frühkindliche Bildung. Aus Sicht der Tagesmütter stellt sich die Situation allerdings weniger rosig dar: Die Bezahlung ist nicht existenzsichernd, die Arbeitsbedingungen sind durch hohe, von den Bedürfnissen der Eltern bestimmte Flexibilitätsanforderungen hinsichtlich Dauer und Lage der Arbeitszeit sowie zum Teil auch hinsichtlich des Arbeitsortes geprägt, und die Kontinuität der Beschäftigung ist nicht gewährleistet, da es keine Garantie für eine langfristige Besetzung der angebotenen Betreuungsplätze gibt (OECD 2004, S. 41). Zudem ist die soziale Absicherung der zumeist selbständig tätigen Tagesmütter prekär. Zwar sieht das Tagesbetreuungsausbaugesetz vor, dass die öffentliche Jugendhilfe die Kosten einer Unfallversicherung und einen Zuschuss zur 26 Vorrang haben auch Kinder, die zur Sicherung einer ihrem Wohl entsprechenden Förderung auf einen Betreuungsplatz angewiesen sind. 27 Der 12. Kinder- und Jugendbericht aus 2005 beschäftigt sich dementsprechend schwerpunktmäßig mit der Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen und der Bildungsfunktion von Kinderbetreuungseinrichtungen.

1. Kinderbetreuungspolitik

121

Alterssicherung bei der Gestaltung ihrer Tarifsätze berücksichtigen soll,28 Tagesmütter müssen aber auch ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge selbst bezahlen und haben keine Arbeitslosenversicherung. Mit dem forcierten Ausbau der Tagespflege entsteht somit ein weiterer „bad job“-Sektor für Frauen; die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes wird fortgeschrieben. 2007 wurden 2 % aller unter Dreijährigen von Tagesmüttern betreut, wobei die Betreuungsquote in Ostdeutschland mit 3,6 % etwa doppelt so hoch liegt wie in Westdeutschland (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008). Die insgesamt eher bescheidene Wirkung des TAG veranlasste die große Koalition, den weiteren Ausbau der Kleinstkinderbetreuung als Regierungsziel im Koalitionsvertrag festzuhalten: Für den Fall, dass mehr als 10 % der Kommunen das Ziel eines bedarfsgerechten Angebots bis 2010 nicht erreichen, wird sogar die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz auf alle Kinder ab dem zweiten Lebensjahr in Aussicht gestellt.29 Die CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen ging schließlich noch einen Schritt weiter und forderte eine Betreuungsquote von 35 % bis zum Jahr 2013. Noch im August 2007 einigte sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe über die Finanzierung dieses Ausbaus, der im April 2008 im Rahmen des Kinderförderungsgesetzes verabschiedet wurde. Bis 2013 sollen somit ca. 750.000 Plätze für die unter Dreijährigen zur Verfügung stehen, wobei etwa 30 % davon in Form von Tagespflegeplätzen angeboten werden sollen. Der Bund stellt den Ländern bis 2013 2,15 Mrd. € für Investitionen zur Verfügung und beteiligt sich an den zusätzlich entstehenden Betriebsausgaben in der Ausbauphase in Höhe von insgesamt 1,85 Mrd. €. Ab 2014 werden jährlich 770 Mio. € für Betriebsausgaben vom Bund beigesteuert.30 Nach Abschluss der Ausbauphase wird ab 1. August 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr eingeführt. 2010 lag die Betreuungsquote für die Unter-Dreijährigen bei 23,1 %, wobei vor allem Westdeutschland mit 17,4 % einen deutlichen Ausbaurückstand gegenüber Ostdeutschland mit 48,1 % aufweist (BFSFJ 2011). Aufgrund der maroden Finanzsituation der meisten deutschen Kommunen ist die Zielerreichung einer 35 %igen Betreuungsquote für die westdeutschen Bundesländer noch fraglich. Diese Entwicklung ist erklärungsbedürftig: Während es sich bei der SPD im Grunde um eine konsequente Fortsetzung des bereits unter Rot-Grün eingeschlagenen Reformweges handelte, stellt die neue Familienpolitik einen Bruch mit dem konservativen Familienleitbild von CDU und CSU dar. Die Überwindung dieses konservativen Leitbilds kann nur durch die Hegemonie des seit 2002 die Fami­ 28 Bei geringem Einkommen der Eltern kann die öffentliche Jugendhilfe die Kosten für die Tagespflege ganz oder teilweise übernehmen (Bedarfsprüfung). 29 Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. 11. November 2005. http://koalitionsvertrag.spd.de 30 Die Bezuschussung der Betriebskosten erfolgt über eine Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung zu Gunsten der Länder.

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

lienpolitik dominierenden produktivistischen Paradigmas erklärt werden, das sich über traditionelle parteipolitische Lagerbildungen hinweg durchgesetzt hat: „The new policy connotes a politically neutral and economically moderate path that is not exclusively co-opted by either the Right or the Left.“ (von Wahl 2008, S. 37)

Beck-Gernsheim (2007) ortet einen Konflikt zwischen zwei konservativen Grundsatzpositionen: Auf der einen Seite steht die traditionelle Familie als Garant einer auf wechselseitiger Hilfe und Liebe fußenden Gesellschaft, auf der anderen Seite die Sorge um den Geburtenrückgang, der nur durch ein Mehr an Geschlechtergleichberechtigung aufzuhalten ist. Wer also für die traditionelle Familie eintritt, begünstigt den Geburtenrückgang, und wer die Geburtenrate an­ heben möchte, muss ein modernes Familienmodell unterstützen. Angesichts dieser Dilemmasituation spaltet sich die Christdemokratie in zwei Gruppen: Zum einen die „Realos“, die zugunsten der Geburtenrate auf mehr Gleichberechtigung setzen, zum anderen die „Fundamentalisten“, die an dem traditionellen Familienleitbild festhalten. Während also ein Teil der Christdemokraten das produktivistische Paradigma als „notwendiges Übel“ mitträgt, leistet der andere Teil durchaus politischen Widerstand. Diesen zu überwinden war die Hauptaufgabe von Familienministerin Ursula von der Leyen, die schon aufgrund ihrer eigenen Biographie − schließlich sind sieben Kinder und eine kontinuierliche Erwerbskarriere kaum Ausdruck einer „Heimchen am Herd“-Ideologie − für einen neuen familienpolitischen Kurs der CDU stand. Zum einen konnte die Familienministerin dabei auf die Unterstützung der Bundeskanzlerin zählen, deren ostdeutsche Sozialisation in Gleichstellungsfragen sich vermutlich zugunsten der neuen Familienpolitik niederschlug (Bothfeld 2007). Zum anderen verstand es Ursula von der Leyen, den konservativen Widerstand durch politische Zugeständnisse klein zu halten. Der Ausbau der Kinderbetreuung, insbesondere die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr, war mit dem Zugeständnis verknüpft, für Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihr Kind beanspruchen, alternativ ab 2013 ein Betreuungsgeld einzuführen. Geplant ist ein monatlicher Pauschalbetrag von zunächst 100 € (ab 2014 150 €), der zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr des Kindes bezogen werden kann, wenn dieses keinen Betreuungsplatz in Anspuch nimmt. Diese Leistung setzt einen Anreiz zur Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter drei Jahren und steht damit nicht nur im Widerspruch zum Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, sondern auch zum neuen Elterngeld (vgl. Wersing 2007). Insgesamt betrachtet ist seit Mitte der 1990er Jahre ein Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur festzustellen, der sich zunächst auf die Versorgung von Kindern im Kindergartenalter konzentrierte, während für Kinder unter drei Jahren erst jüngst Reformen angestoßen wurden. Für Ostdeutschland lässt sich aufgrund der relativ guten Betreuungssituation für beide Altersgruppen bereits seit 1990 durchaus von einem optionalen Familialismus sprechen, während Westdeutschland sich erst auf dem Weg vom expliziten zum optionalen Familialismus befindet.

1. Kinderbetreuungspolitik

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f) Fazit In Deutschland hat sich der Familialismus im Bereich der Kinderbetreuung in fünf Phasen entwickelt. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es weder nennenswerte de-familisierende noch familisierende Strukturen, so dass von einem impliziten Familialismus gesprochen werden kann, der – Zeichen der Zeit – stark geschlechtsspezifisch diskriminierend ausgerichtet war: Kinderbetreuungsarbeit war „natürlich“ Frauensache. Mit der Einführung des Ehegattensplittings und der Reform der Witwenrente gegen Ende der 1950er Jahre vollzog sich ein Wandel hin zu einer indirekten Form des expliziten Familialismus, der über abgeleitete s­ oziale Rechte für die nicht erwerbstätige Ehefrau das männliche Ernährermodell zu einem breitenwirksamen Gesellschaftsmodell machte. Kinderbetreuung war nach wie vor Frauensache, nun wurde allerdings die Nicht-Erwerbstätigkeit von Ehefrauen – und damit indirekt auch die in der Ehegemeinschaft geleistete Kinderbetreuung – staatlich gefördert. Ermöglicht wurde dieser sozialpolitische Ausbau durch ein außergewöhnlich hohes Wirtschaftswachstum seit Anfang der 1950er Jahre. Sein spezifischer Charakter ist dem damals vorherrschenden konservativen Familienbild geschuldet, welches bis 1966 von CDU/CSU geführten Bundesregierungen familienpolitisch umgesetzt wurde. Erst 1979 bzw. 1986 kam es zur Einführung von direkten familisierenden Strukturen, die den expliziten Familialismus im Kern ausmachen. Dies geschah letztendlich (1986) unter dem Diktum der Wahlfreiheit zwischen Familie oder Beruf und förderte nicht die Gleichzeitigkeit von Familie und Beruf. Deshalb kam es auch in den 1980er Jahren zu einer Fortschreibung des geschlechtsspezifisch diskriminierenden Charakters des deutschen Familialismus: Kinderbetreuung blieb strukturell wie real Frauenarbeit. Allerdings wurden Mütter zunehmend auch als (Teilzeit) Erwerbstätige gesehen, deren Doppelbelastung zumindest während der ersten Lebensjahre ihrer Kinder aufgehoben werden sollte. Dies spiegelt den sozial-strukturellen wie ideologischen Wandel vom traditionellen zum modernisierten Ernährermodell wieder. An dem anfänglichen Streit zwischen SPD und CDU über die konkrete Ausgestaltung des Mutterschafts- bzw. Erziehungsgelds zeigen sich jedoch grundlegende ideologische Differenzen zwischen den beiden Volksparteien hinsichtlich ihres Familienbildes: Während die SPD die Gleichzeitigkeit von Kinderbetreuung und (Teilzeit) Erwerbstätigkeit in den Vordergrund stellte – und deshalb in den 1970er Jahren auch den Ausbau der (Halbtags-)Kindergartenplätze voranbrachte – ging die CDU vom Drei-Phasen-Modell der weiblichen Erwerbstätigkeit und damit von einer langen Phase exklusiver Kinderbetreuungsarbeit aus. Insofern war der Regierungswechsel 1982 entscheidend für die fortgesetzt geschlechtsspezifisch diskriminierende Ausprägung des deutschen Familialismus. Die Förderung der Gleichzeitigkeit von Familie und Beruf setzte erst seit den 1990er Jahren ein, der Versuch der Einbeziehung von Vätern in die Kinderbetreuung erst mit der Erziehungsurlaubsreform 2001. Beide Aspekte deuten in

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Richtung einer Abschwächung des geschlechtsspezifisch diskriminierenden Charakters des expliziten Familialismus, allerdings kommt es erst 2007 mit der Einführung des lohnbezogenen Elterngelds in Kombination mit einer individualisierten Väter-Elternzeit (sprich: den Partnermonaten) auf der strukturellen Ebene zu einer deutlichen Öffnung hinsichtlich einer Neuordnung der Geschlechterrollen. Gleichzeitig bleiben die indirekt familisierenden Leistungen, die das traditionelle Ernährermodell unterstützen, in Kraft, so dass unterschiedliche Familienmodelle gefördert werden. Das neue Betreuungsgeld wird ab 2013 den geschlechtsspezifisch diskriminierenden Charakter des expliziten Familialismus weiter verstärken. Diese strukturelle Unentschiedenheit hinsichtlich des zu fördernden Familienbildes spiegelt widerstreitende ideologische Grundhaltungen der Regierungsparteien ebenso wie das Vorhandensein von politischen Erblasten, die nur schwer „umzupolen“ sind (Stichwort: Ehegattensplitting), als auch finanzielle Handlungs­ restriktionen, die einer weitergehenden „Entgeschlechtlichung“ von Kinderbetreuungsarbeit entgegenstehen. Empirisch kann (noch) nicht von einem Aufbrechen der traditionellen Zuständigkeit von Müttern für die Kinderbetreuung gesprochen werden. Allerdings zeigt sich sehr wohl ein Trend zur zunehmenden Erwerbstätigkeit von Müttern auch sehr junger Kinder. Ebenfalls seit den 1990er Jahren zeichnet sich eine weitere Entwicklung des deutschen Familialismus ab: der Ausbau de-familisierender Strukturen. Die treibende Kraft kam hierbei zunächst durch die deutsche Wiedervereinigung, später durch die Entwicklung eines neuen produktivistischen Paradigmas der Familienpolitik. Die als „Bremse“ wirkende föderale Kompentenzverteilung in der Kinderbetreuung konnte durch spezielle Finanzierungskompromisse geschickt ausgehebelt werden. Während die Versorgungsquoten in Ostdeutschland – aufgrund des Erbes der ehemaligen DDR – in allen Altersgruppen vergleichsweise hoch liegen, kann in Westdeutschland nur für die Gruppe der Kindergartenkinder von einer guten, allerdings nur halbtägigen Versorgung ausgegangen werden. Somit weisen die neuen Bundesländer einen optionalen Familialismus auf, während sich die alten Bundesländer noch in der Phase des Übergangs vom expliziten zum optionalen Familialismus befinden. Das 2008 verabschiedete Kinderförderungsgesetz birgt das Potential, dass zukünftig auch Westdeutschland ein optional familialistisches Profil aufweisen wird.

2. Altenpflegepolitik: Vom impliziten zum expliziten Familialismus a) De-Familisierung auf niedrigem Niveau Ähnlich wie im Bereich der Kinderbetreuung zeigt sich auch in der Altenpflege die herausragende Bedeutung der Familie. Betrachtet man zunächst die de-familisierenden Strukturen, wird deutlich, dass die Pflege von älteren Menschen bis heute nur in geringem Maße außerhalb der Familie stattfindet. Insgesamt gelten

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2. Altenpflegepolitik

ca. 15 % der über 65-Jährigen als pflegebedürftig: 1999 wurden 4 % in Heimen, 3 % ambulant und 8 % ausschließlich informell betreut (Roth 2003). Etwa zwei Drittel aller pflegebedürftigen älteren Menschen sind demnach – zu einem großen Teil ausschließlich – auf die Unterstützung und Betreuung durch Angehörige angewiesen, denn nur selten kann das häusliche Pflegearrangement allein durch professionelle Pflege aufrecht erhalten werden (BMFSFJ 2005). Parallel mit der Zunahme der Bevölkerungsgruppe der über 75-Jährigen, die insbesondere vom Risiko der Pflegebedürftigkeit betroffen ist, erfolgte in Deutschland ein Ausbau der stationären wie ambulanten Pflegeangebote (vgl. Tabelle 12). So hat sich zwischen 1961 und 1990 die Zahl der Pflegeplätze fast versiebenfacht, so dass sich die Versorgungsquote (d. h. das Verhältnis von Pflegeplätzen zur Anzahl der über 75-Jährigen) mehr als verdoppelt hat. Die professionelle Pflege erfolgt somit vorwiegend in Heimen, da es im Bereich der ambulanten Dienste erst seit Ende der 1970er Jahre zu einem Ausbau kam.31 Die Versorgungsquote im ambulanten Bereich (d. h. das Verhältnis von Pflegepersonal zur Anzahl der über 75-Jährigen) konnte seit Beginn der 1980er Jahre stetig erhöht werden. Das Angebot an stationärer und ambulanter Pflege hat mit dem wachsenden demographischen Problemdruck demnach mehr als nur Schritt gehalten, es kam sogar zu einer Verbesserung des Versorgungsniveaus (Schölkopf 1998). Tabelle 12 Entwicklung der Versorgungsquoten in der stationären und ambulanten Altenhilfe in Deutschland Jahr

Versorgungsquote mit Pflegeplätzen (für 100 Menschen im Alter von 75+ Jahren)

Jahr

Versorgungsquote mit ambulantem Pflegepersonal (Vollzeitäquivalente pro 100 Menschen im Alter von 75+ Jahren)

1961

2,0

1970

0,66

1969

2,7

1981

0,49

1979

3,2

1984

0,53

1986

4,6

1990

0,59

1990

5,5

1993

0,74

Quelle: Schölkopf 1998: Tabelle 3 und 7.

31

Zu Beginn der 1970er Jahre kam es zunächst zu einem Rückgang der Versorgungsquote, was auf die Erosion der traditionellen Gemeindepflege zurückzuführen ist, die erst durch die Neuorganisation der ambulanten Versorgungsstrukturen während der 1980er Jahre langsam ausgeglichen werden konnte (Schölkopf 1998).

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Auch in Folge der Einführung der Pflegeversicherung 1995 (siehe unten) kam es im ambulanten Bereich zu einer Ausweitung der Pflegeangebote, und die Beschäftigtenzahlen stiegen (Pabst/Rothgang 2000, S. 365). Insbesondere kam es zu einem Zuwachs von kleinen kommerziellen Anbietern mit weniger als zehn MitarbeiterInnen, der jedoch die Größenverhältnisse in der Pflegelandschaft nicht grundlegend verändert hat: „Trotz des seit Einführung der Pflegeversicherung starken Ausbaus der ambulanten Dienste tendiert eine große Mehrheit der Pflegebedürftigen dazu, nur die Geldleistung in voller Höhe zu beziehen, zweitwichtigste Option bleibt das Pflegeheim.“ (Bahle 2007, S. 239)

Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen, um den durchaus bestehenden Bedarf an ambulanten Diensten zu decken. Die fehlende Finanzkraft der Hilfebedürftigen vereitelt somit einen stärkeren Ausbau des ambulanten Sektors. Auch gibt es konkrete Indikatoren für eine Mangelversorgung sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich: Zum einen haben 62 % der Pflegeeinrichtungen Wartelisten, und es mangelt an Tages- und Kurzzeitpflegeplätzen (Meyer 2003, S. 315). Zum anderen geben 18 % der Pflegebedürftigen an, dass ihr Hilfebedarf im pflegerischen und/oder hauswirtschaftlichen Bereich nicht gedeckt sei (BMFSFJ 2005). Hier zeigen sich auch Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Zwar liegen die stationären Versorgungsquoten in etwa gleich hoch – u. a. auch deshalb, weil es nach der Wende zu vielen Heimschließungen in Ostdeutschland kam32 – (Schneider 1998), bei den ambulanten Diensten gibt es jedoch ein West-Ost-Gefälle in der Versorgungsdichte, wobei gleichzeitig in den neuen Bundesländern „die informellen Hilfepotenziale geringer ausgeprägt, auch die finanziellen Möglichkeiten und Spielräume hinsichtlich der ‚Zuzahlung‘ für pflegerische Leistungen [sind] eingeschränkt“ (BMFSFJ 2001, S. 110) sind. Dieser geringe Versorgungsgrad mit de-familisierenden Strukturen im Bereich der Altenpflege deutet auf ein implizit familialistisches Profil hin, das sich – wie im Bereich der Kinderbetreuung – erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die sozialpolitische Förderung des Ernährermodells in Form der Witwenrente und des Ehegattensplittings zu einer indirekten Form des expliziten Familialismus wandelt. Dass es sich dabei zudem um eine geschlechtsspezifisch diskriminierende Variante des Familialismus handelt, steht außer Zweifel: „Mainstream im ambulanten Bereich ist allerdings nach wie vor ein häusliches Arrangement, bei dem die Pflege von einer einzelnen engen Angehörigen getragen wird, die in der Regel rund um die Uhr verfügbar ist.“ (BMFSFJ 2005, S. 11)

So waren 2002 73 % der Hauptpflegepersonen in der häuslichen Pflege weiblich. Es handelte sich dabei vorwiegend um (Ehe-)Partnerinnen, Töchter und Schwiegertöchter (BMFSFJ 2005). 32 In der DDR war nicht die häusliche Pflege, sondern die Heimunterbringung der Regelfall (Behning 1999, S. 134).

2. Altenpflegepolitik

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b) Die direkte Anerkennung von familialer Pflegearbeit Die Einführung von direkten familialistischen Strukturen im Bereich der Altenpflege wurde in Deutschland schon seit den 1970er Jahren diskutiert.33 Im Vordergrund stand dabei die zunehmende Finanzierungsproblematik aufgrund der demographischen Entwicklung und der Kostenexplosion im Bereich der professionellen Altenpflege. Insbesondere für die Finanzierung eines Heimaufenthalts war ein großer Teil der Pflegebedürftigen auf die Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen angewiesen. Die zunehmende Fallzahl und zunehmende Fallkosten führten zu immer stärkeren Belastungen der Sozialhilfeträger, d. h. der Kommunen und Länder. Aufgrund dieser föderalen Finanzierungsstruktur bestand zunächst kein genuines Interesse der Bundesregierung an einer Neuregelung der Absicherung des Pflegerisikos. Der Gesetzgeber verkörperte gewissermaßen einen Veto-Spieler im Reformprozess (Pabst/Rothgang 2000, S. 348 f.). Erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre stellte sich auf Ebene der Bundesregierung ein entsprechendes Pro­blembewusstsein ein, das schließlich zur so genannten „kleinen Lösung“, dem Gesundheits-Reformgesetz 1988, führte. Seit 1989 war es nunmehr im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung möglich, eine Kostenerstattung für die Urlaubs- und Ersatzpflege zu bekommen. D. h., wenn eine private Pflegeperson wegen Urlaub oder Krankheit „ausfiel“, konnte der Einsatz einer Ersatzpflegeperson für längstens vier Wochen im Jahr mit bis zu 1.800 DM subventioniert werden. Zudem konnten Schwerstpflegebedürftige seit 1991 entweder Sachleistungen für die häusliche Pflege in Höhe von maximal 750 DM monatlich oder Pflegegeld in Höhe von 400 DM monatlich erhalten. Für die Geldleistung musste eine Pflegeperson nachgewiesen werden, die nicht mehr als 19,5 Stunden pro Woche erwerbstätig war. Vom Gesundheits-Reformgesetz 1988 konnten somit nur Schwerstpflegebedürftige profitieren, die sich in häuslicher Pflege befanden. „Diese Schwerpunktsetzung findet ihre Begründung in dem Grundsatz der Unterstützung von Familienpflege. Schwerstpflegebedürftige sollen nicht in Heime abgeschoben werden, sondern private Pflegepersonen sollen durch soziale Dienste unterstützt werden.“ (­Behning 1999, S. 159)

Als nächstes wurden mit dem Rentenreformgesetz 1989 Pflegeberücksichtungszeiten in der Rentenversicherung eingeführt. Danach konnten Pflegepersonen, die mindestens zehn Stunden Pflegetätigkeit pro Woche leisten, seit 1992 begrenzte Verbesserungen im Hinblick auf ihren Rentenstatus erzielen. Ein eigenständiger Rentenanspruch aufgrund der Pflegearbeit entstand jedoch nicht (Götting 1992, S. 24; Veil 1992, S. 89–92). Sowohl die Pflegeberücksichtigungszeiten wie auch 33

Zur Reformdiskussion bis zur Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes liegen mittlerweile zahlreiche Analysen vor: Siehe u. a. Behning 1999, Götting/Hinrichs 1993, Landen­berger 1994, Meyer 1996, Papst/Rothgang 2000, Rothgang 1994, Sebaldt 2000, Skuban 2000.

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IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

die GKV-Leistungen für Schwerstpflegebedürftige können als Übergangsleistungen bis zur Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes, der „großen Lösung“, bezeichnet werden. Im Vorfeld der Bundestagswahlen 1990 nahm sich der damalige amtierende Sozialminister Norbert Blüm der Thematik an und machte die Einführung einer Pflegeversicherung zum Wahlkampfthema. Er setzte sich für eine umlagefinanzierte Pflichtversicherung ein, wogegen der Wirtschaftsflügel der Union wie auch der Koalitionspartner FDP zunächst Widerstand leisteten. Letztere forderten eine private kapitalgedeckte Versicherungslösung und vor allem Kostenneutralität für die Arbeitgeber. Daraus ergaben sich zwei politische Kompromisse: Zum einen kam es – ähnlich wie in der Krankenversicherung – zu einer Zweiteilung in GPV und PPV. Zum anderen wurde als Kompensation für die Arbeitgeberbeiträge die Einführung von „Karenztagen“ bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vorgeschlagen. Dies jedoch wurde von der oppositionellen SPD, die sich prinzipiell auch für eine Sozialversicherungslösung ausgesprochen hatte, vehement abgelehnt. Aufgrund der Mehrheit der SPD-regierten Länder im Bundesrat konnte die Karenztagsregelung zu Fall gebracht werden. Um die Pflegeversicherung nicht scheitern zu lassen – und daran hatten die Länder ein massives finanzpolitisches Interesse –, wurde schließlich die Streichung eines Feiertags als Kompensation für die Zusatzkosten der Arbeitgeber vereinbart. Der Gesetzgebungsprozess unterlag somit einem doppelten institutionell begründeten Kompromisszwang: Innerhalb der Regierungskoalition musste eine gemeinsame Linie gefunden werden, weil die Koalitionsvereinbarung das Regieren mit wechselnden Mehrheiten nicht zuließ. Ebenso bestand zwischen Regierung und Opposition Einigungszwang aufgrund der Machtverhältnisse im Bundesrat, wobei es sich bei letzterem nicht nur um eine parteipolitische, sondern auch um eine föderale Konfliktlinie handelte (Rothgang 1994, S. 168). Durch die Einführung der Pflegeversicherung wurden die Länder und Kommunen finanziell entlastet.34 Außerdem wurden zusätzliche Mittel – die Beiträge der Versicherten – mobilisiert, „ohne den Wirtschaftsinteressen und den Interessen an einer Konsolidierung der Staatsfinanzen zuwiderzuhandeln“ (Landenberger 1995, S. 27). Am 1.1.1995 trat die Pflegeversicherung als umlagefinanzierte Pflichtversicherung (bzw. für besser Verdienende als private kapitalgedeckte Pflichtversicherung) in Kraft. Der Beitragssatz wurde auf 1,7 % der beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt35, womit gleichzeitig das verfügbare Finanzvolumen der Pflegeversicherung von vorne herein begrenzt wurde, zumal sich die Ausgaben nach den Einnahmen richten sollten. Seit dem 1.4.1995 werden Leistungen für häusliche und teilstationäre Pflege gewährt und seit dem 1.7.1996 Leistungen für vollstationäre Pflege.36 34 Die Zahl der Pflegebedürftigen, die auf Hilfe zur Pflege angewiesen ist, hat sich nach 1995 deutlich verringert (BMGS 2004). 35 Für Kinderlose beträgt der Beitragssatz 1,95 %. Ab 1.7.2008 werden die Beitragssätze um 0,25 Prozentpunkte auf 1,95 % für Eltern und 2,2 % für Kinderlose angehoben. 36 Die verzögerte Leistungsgewährung für die vollstationäre Pflege sollte einen „Heimsog“ vermeiden (Pabst/Rothgang 2000, S. 358).

129

2. Altenpflegepolitik

Auf Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung werden Pflegebedürftige in eine der drei Pflegestufen eingestuft, wobei für die Pflegestufe I ein Pflegeaufwand von mindestens 90 Minuten täglich angenommen wird, für die Pflegestufe II und III ein Pflegeaufwand von mindestens 3 bzw. 5 Stunden täglich. Es können, je nach Pflegestufe und je nach Art der Pflege unterschiedlich hohe, Geld- und/oder Sachleistungen bezogen werden (vgl. Tabelle 13). Bei stationärer Pflege sind die Leistungen generell höher als bei häuslicher Pflege. Eine Ausnahme stellt hier die Sachleistung bei häuslicher Pflege in Pflegestufe III dar: Sie ist gleich hoch wie die Leistung bei stationärer Pflege. Bei der häuslichen Pflege kann zwischen Geld- und Sachleistungen oder einer Kombination aus beiden gewählt werden. 2006 verteilten sich die 2,02 Millionen Pflegebedürftigen, die Leistungen aus der GPV bekamen, wie folgt: 48,3 % wählten das Pflegegeld, 8,8 % Pflegesachleistungen, 10,3 % Kombinationsleistungen und 26,8 % Leistungen der vollstationären Pflege (BMGS 2008). Seit Einführung der Pflegeversicherung ist sowohl ein Trend von Geldleistungen zu Sachleistungen (in der häuslichen Pflege) als auch von ambulanter zu stationärer Pflege festzustellen. Zudem führte eine zunehmend rigidere Einstufungspraxis zu einer Verschiebung im Pflegestufenspektrum von höheren zu niedrigeren Pflegestufen.37 2010 waren 61,3 % der Pflegebedürftigen in der Pflegestufe I, 29,9 % in der Pflegestufe II und 8,8 % in der Pflegestufe III (www.bmg.bund.de). Tabelle 13 Leistungen der Pflegeversicherung in € pro Monat Pflegestufe I Pflegestufe II Pflegestufe III Pflegestufe III (Härtefälle) Häusliche Pflege

Sachleistung ab 1.7.2008 ab 1.1.2010 ab 1.1.2012

384 420 440 450

921 980 1.040 1.100

1.432 1.470 1.510 1.550

Pflegegeld ab 1.7.2008 ab 1.1.2010 ab 1.1.2012

205 215 225 235

410 420 430 440

665 675 685 700

1.023 1.023 1.023 1.023

1.279 1.279 1.279 1.279

1.432 1.470 1.510 1.550

Stationäre Pflege ab 1.7.2008 ab 1.1.2010 ab 1.1.2012

1.918 1.918 1.918 1.918 – – – – 1.688 1.750 1.825 1.918

Quelle: www.bmg.bund.de. 37

Zwar ist die Zahl der Leistungsempfänger zwischen 1997 und 2001 um 10,8 % gestiegen, die Ausgabenentwicklung blieb jedoch seit 2000 hinter der Entwicklung des BIP zurück (­Simon 2003, S. 222).

130

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

Leistungsberechtigt ist immer die pflegebedürftige Person, auch wenn das Pflegegeld gewählt wird. Die Geldleistung ist zwar für die familiale Pflegeperson gedacht, es findet jedoch keine direkte Zahlung an die Pflegeperson statt, d. h. die Pflegeperson ist darauf angewiesen, dass die pflegebedürftige Person das Pflegegeld entsprechend weiterreicht. Angesichts des steigenden Pflegeaufwands von Pflegestufe I zu III und dem nicht proportional steigenden Pflegegeld, gestaltet sich zudem die monetäre Bewertung von Pflegearbeit relativ immer dürftiger, je belastender die Pflege wird. Damit ist zum einen zumindest in Frage gestellt, ob die Anreize zur Aufrechterhaltung der häuslichen Pflege durch das Pflegegeld tatsächlich gegeben sind. Andererseits sollten nach der Intention des Gesetzgebers die Geldleistungen auch ganz bewußt nicht den Charakter einer Lohnfunktion einnehmen. Dies entspricht der Gesamtlogik der Pflegeversicherung, die nur ergänzende und entlastende, aber keine bedarfsdeckenden Hilfen zur Verfügung stellt (so genannte „Teilkaskolösung“); deshalb gibt es gestufte und gedeckelte Leistungen (Evers 1995).38 Mit der Pflegereform 2008 kommt es erstmals seit 1995 zu einer Anhebung der Leistungen (siehe Tabelle 13). Diese war nötig geworden, um den Realwertverlust auszugleichen. Zukünftig soll es – beginnend mit 2015 – alle drei Jahre eine Leistungsdynamisierung geben. Unabhängig von der Höhe des Pflegegelds und von der Frage, ob dieses tatsächlich bei der Pflegeperson ankommt, ist die familiale Pflegeperson, wenn sie mindestens 14 Stunden pro Woche pflegt, unfall- und rentenversichert, nicht jedoch arbeitslosen-, kranken- oder pflegeversichert.39 Das Ausmaß der rentenversicherungsrechtlichen Anrechnung von Pflegezeiten richtet sich nach dem Umfang der geleisteten Pflegearbeit und liegt zwischen mindestens 0,27 PEP (persönliche Entgeltpunkte) pro Jahr bei 14 Wochenstunden Pflege in Pflegestufe I und maximal 0,8 PEP bei mindestens 28 Wochenstunden Pflege in Pflegestufe III.40 Eine gleichzeitige Erwerbstätigkeit der Pflegeperson von bis zu 30 Wochenstunden ist zwar erlaubt; angesichts des hohen durchschnittlichen Zeitaufwands für die Pflege41 ist die Möglichkeit einer parallel ausgeübten existenzsichernden Erwerbstätigkeit jedoch begrenzt. Deshalb sowie aufgrund der geringen Höhe des Pflegegeldes und der mangelhaften sozialrechtlichen Absicherung von Pflegepersonen lässt sich ähnlich wie bei den Regelungen zu Elternzeit und Erziehungsgeld schlussfolgern, dass es sich um geschlechtsspezifisch diskriminierende familialistische Strukturen handelt. Abgesehen von eventuellen kulturellen Präferenzen ist 38 Zur Frage der sozialen (Un-)Gerechtigkeiten dieser Leistungsstruktur siehe Kantel (2000), S. 1084 und Landenberger (1994), S. 331. 39 Die eingeschränkte sozialversicherungsrechtliche Absicherung wurde finanzpolitisch begründet (Behning 1999, S. 191). Pflegepersonen können sich jedoch freiwillig in der Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung versichern. 40 D. h. die Pflegearbeit wird so bewertet als hätte die Pflegeperson 27 % (bei 0,27 PEP) bzw. 80 % (bei 0,8 PEP) des Durchschnittseinkommens verdient. 41 Hauptpflegepersonen pflegen durchschnittlich 37,9 Wochenstunden in Pflegestufe I, 49,5 Wochenstunden in Pflegestufe II und 60,6 Wochenstunden in Pflegestufe III (Schneekloth/Müller 2000, S. 55).

2. Altenpflegepolitik

131

es allein aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktdisparitäten für Männer weniger attraktiv als für Frauen, familiale Pflegearbeit bei gleichzeitiger Reduktion der Erwerbstätigkeit zu übernehmen. Am besten stellen sich verheiratete Pflegepersonen: „Implizit wird m. E. angenommen, dass diese Pflegepersonen verheiratet sind und über einen Ehepartner oder eine Ehepartnerin kranken- und pflegeversicherungsrechtlich abgesichert sind.“ (Behning 1997, S. 111)

Somit wäre auch in der Pflegeversicherung das Prinzip der Ehezentriertheit implantiert (siehe auch Behning 1999, S. 203 f.), das mit einem bestimmten Familienmodell einhergeht. Denn erst das männliche Ernährermodell ermöglicht die Verwirklichung des in der Pflegeversicherung angelegten Subsidiaritätsprinzips der Altenpflege: Den Vorrang der häuslichen Pflege unter den Bedingungen eines niedrigen, nicht existenzsichernden Leistungsniveaus für diejenigen, die diesen Vorrang garantieren (siehe auch Paquet 1999, S. 34). Mit der Pflegeversicherung sollte demnach vor allem auf die „mittleren und älteren Müttergenerationen“ zurückgegriffen werden, die verheiratet sind und ihre Erwerbskarriere ohnehin schon durch Kindererziehung unterbrochen haben, nur noch Teilzeit arbeiten, wenn überhaupt (Behning 1999, S. 206). Diese Analyse trifft jedoch bestenfalls auf diejenigen zwei Drittel aller Pflegepersonen zu, die im erwerbsfähigen Alter sind. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass nur 70 % der zu Hause versorgten Pflegebedürftigen Leistungsbezieher der Pflegeversicherung sind (Schupp/Künemund 2004, S. 289) 42, d. h. auch, dass nicht alle pflegenden Angehörigen von der Pflegeversicherung profitieren können. Dies gilt in gewisser Weise auch für dasjenige Drittel aller Pflegepersonen, das sich bereits im Rentenalter befindet (Schneekloth/Müller 2000, S. 58) und die rentenrechtliche Anerkennung der Pflegearbeit nicht mehr nutzen kann. In dieser Gruppe der älteren Pflegepersonen, die ohnehin nicht mehr erwerbstätig sind, könnte das Pflegegeld wiederum durchaus auch für Männer ein Anreiz sein, Angehörigenpflege zu übernehmen. Tatsächlich ist der Anteil der männlichen pflegenden Angehörigen zwischen 1991 und 2002 von 17 % auf 27 % gestiegen. Allerdings spiegelt dieser Zuwachs nicht eine größere Pflegebereitschaft älterer (Ehe-) Partner43 wieder, sondern ist insbesondere auf den Anstieg des Anteils der pflegenden Söhne von 3 % auf 10 % aller Hauptpflegepersonen zurückzuführen.44 Es handelt sich dabei jedoch häufig um instabile Pflegearrangements, auch weil Män 42

Vor allem der psychosoziale Hilfebedarf wurde in der Vergangenheit bei der Bewertung der Pflegebedürftigkeit durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen systematisch unterschätzt (Sonntag/Angermeyer 2000). Die Pflegereform 2012 bringt hier jedoch wesentliche Leistungsverbesserungen. 43 Diese liegt bei 12 % (Engstler/Menning 2003, S. 139). 44 Betrachtet man nicht nur die Hauptpflegepersonen, beteiligen sich 8 % der Frauen und 5 % der Männer über 16 Jahren an der Versorgung und Betreuung von pflegebedürftigen Personen. Männer stellen in dieser Perspektive 37 % der familialen Pflegepersonen (Schupp/ Künemund 2004).

132

IV. Deutschland: Im Übergang vom expliziten zum optionalen Familialismus 

ner ihre Erwerbstätigkeit nicht so leicht zu Gunsten der häuslichen Pflege aufgeben wie Frauen (BMFSFJ 2005, S. 10). Dennoch können vor diesem Hintergrund die durch die Pflegeversicherung bereitgestellten neuen Strukturen auch als Anreize für Männer zur Übernahme von häuslicher Pflegeverantwortung interpretiert werden: „Die Verfügbarkeit über ein regelmäßiges Pflegegeld oder aber die Nutzung von professionellen Pflegeeinsätzen führt hier dazu, dass im Bedarfsfall auch männliche Angehörige die häusliche Pflege tragen können.“ (ebd.)

Im Bereich der Angehörigenpflege zeigt sich somit – wiederum ähnlich wie bei der Kinderbetreuung – ein Trend zum stärkeren Engagement von Männern. Von den Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter sind 45 % erwerbstätig und stehen damit vor dem Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. In der Regel handelt es sich dabei um Frauen zwischen 40 und 50 Jahren. Der Umfang der Erwerbstätigkeit ist abhängig vom Schweregrad der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit und damit von der Art der erforderlichen Unterstützungsleistung, wobei in den neuen Bundesländern Pflegepersonen etwa doppelt so oft Vollzeit erwerbstätig sind wie in den alten Bundesländern (Dallinger 2001). Bislang bestehen vereinzelt einige wenige tarifvertragliche oder betriebliche Arbeitszeitregelungen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflegearbeit. Meist handelt es sich um zeitlich befristete unbezahlte Freistellungsoptionen zwischen sechs Monaten und vier Jahren, die allerdings nur selten in Anspruch genommen werden (Naegele 2001, S. 30). Mit der Pflegereform 2008 werden zwei neue Instrumente zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit geschaffen: Ab 1.7.2008 können Beschäftigte eine unbezahlte45 kurzzeitige Freistellung von zehn Arbeitstagen in Anspruch nehmen, um bei Eintritt einer akuten Pflege-Notsituation Pflege für Angehörige zu organisieren. Zudem können ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten eine unbezahlte Pflegezeit von sechs Monaten in Anspruch nehmen. Ihr Sozialversicherungsschutz bleibt während dieser Zeit aufrecht, und es besteht – ähnlich wie bei der Elternzeit – ein Kündigungsschutz. Damit wird zwar eine begrenzte Möglichkeit der Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit geschaffen, diese kann jedoch nur bei einer entsprechenden finanziellen Absicherung der Pflegeperson über das Pflegegeld und/oder einen Partner/eine Partnerin wahrgenommen werden. Die relativ kurze Dauer der Pflegezeit könnte in Kombination mit der Möglichkeit, dass verschiedene Angehörige diese nacheinander in Anspruch nehmen, zu einer Aufteilung der Pflege auf mehrere Angehörige führen, somit auch einen Schritt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit darstellen. Im schlechtesten Fall fördert die Pflegezeit durch das zeitlich begrenzte Rückkehrrecht den dauerhaften Erwerbsausstieg von pflegenden Angehörigen.

45

Die SPD konnte sich mit ihrer Forderung nach einem Lohnersatz nicht durchsetzen.

2. Altenpflegepolitik

133

Seit 2012 besteht zudem die Möglichkeit, die sogenannte Familienpflegezeit in Anspruch zu nehmen. Diese Funktioniert nach der Logik eines Arbeitszeitkontos: Im Pflegefall reduzieren Beschäftigte für maximal zwei Jahre ihre Arbeitszeit um 50 %, erhalten aber 75 % ihres Einkommens. Nach der Pflegephase wird die Arbeitszeit wieder auf 100 % angehoben, das Einkommen beträgt aber weiterhin 75 %, solange bis das Zeitkonto ausgeglichen ist. Dies soll die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und familialer Pflegearbeit erleichtern, ist aber letztlich ein Modell, das von den Arbeitnehmern selbst finanziert wird. Insgesamt betrachtet hat sich das familialistische Profil Deutschlands im Bereich der Altenpflege durch die Einführung der Pflegeversicherung nur geringfügig verändert. Zum einen wurde der explizit familialistische Charakter durch die unfall- und rentenversicherungsrechtliche Absicherung von familialen Pflegepersonen sowie durch das Pflegegeld um direkte familialistische Strukturen ergänzt. Zum anderen sieht die Konstruktion des Leistungsspektrums zwar prinzipiell die Wahlfreiheit zwischen familialer und professioneller Pflege vor, was in Richtung des optionalen Familialismus deuten würde. Aufgrund des mangelhaften Angebots an professioneller Pflege und der weit unter Marktpreisen liegenden PV-Leistungen für dieselbe findet der Schritt in Richtung optionalen Familialismus jedoch nicht statt. Das eindeutig geschlechtsspezifisch diskriminierende Moment scheint hingegen eine leichte Abschwächung zu erfahren.

V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 1. Kinderbetreuungspolitik: Vom strukturellen De-Familialismus zum expliziten und zum optionalen Familialismus Frankreich ist im Allgemeinen für sein gut ausgebautes System der institutionellen Kinderbetreuung bekannt. Im Folgenden soll dessen Institutionalisierung seit dem späten 19. Jahrhundert nachgezeichnet werden. Dabei wird zunächst deutlich, dass Kinderbetreuungseinrichtungen erst seit den 1970er Jahren tatsächlich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt wurden. Neben dieser de-familisierenden Schiene der Betreuungspolitik wird die Entwicklung von familisierenden Maßnahmen betrachtet. Hierbei sind zum einen die Politiken der frühen Nachkriegszeit bedeutsam, als eine Art Hausfrauengehalt das traditionelle Ernährermodell stützte und den Übergang vom impliziten zum expliziten Familialismus markierte. Zum anderen wird die Einführung und Weiterentwicklung des französischen Erziehungsgelds analysiert, welches gemeinsam mit dem weiteren Ausbau der Betreuungsstrukturen für unter Dreijährige zur Entwicklung eines optional familialistischen Profils der französichen Kinderbetreuungspolitik seit Mitte der 1980er Jahre führte. a) Früher struktureller De-Familialismus 1862 entstanden mit der Fabriksarbeit der Frauen die ersten durch Wohltätigkeit inspirierten „salles d’asiles“ für Kinder zwischen drei und sechs Jahren, deren Aufgabe zwischen Betreuung und Erziehung lag (Eme/Fraisse o. J., S. 5). Ähnlich wie in Belgien war die Entwicklung der „salles d’asiles“ durch den Staat-KircheKonflikt geprägt: Die Republikaner wollten die Kontrolle über das Bildungssystem erlangen und die Sozialisation durch die katholische Kirche einschränken. Die Kinder sollten in den Betreuungseinrichtungen, die 1881/1882 als „écoles maternelles“ in das nationale Bildungssystem integriert wurden, zu loyalen republikanischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern erzogen werden. „Die Kindheit als staatliche Verantwortung ist in der Ideologie der dritten Republik verwurzelt, als der Staat Ende des 19. Jahrhunderts seine Macht über die Kirche stellte und die Ansicht vorherrschte, die Kinder verdienen ebenso wie die Mütter den Schutz des Staates.“ (Letablier 2002, S. 169)

Die „écoles maternelles“ waren zunächst für die Arbeiterklasse konzipiert, und weil viele Mütter der Arbeiterklasse erwerbstätig waren, waren die Vorschu-

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1. Kinderbetreuungspolitik

len ganztags geöffnet. So konnten Bildungsziele und Betreuungsnotwendigkeiten in einem gelöst werden (Morgan 2003, S. 272). Eine französische – wie auch belgische – Besonderheit ist dabei bis heute der schulfreie Mittwoch. Dieser geht auf den Staat-Kirche Konflikt zurück: An diesem Tag können die Kinder in den privaten Religionsunterricht gehen (Reuter 2003a, S. 42 f.). Nach dem zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der „écoles maternelles“ rasch an, in den 1970ern waren sie flächendeckend vorhanden. 1975 besuchten 80 % der Dreijährigen, 97 % der Vierjährigen und 100 % der Fünfjährigen die Vorschule (Morgan 2002, S. 150). Aber ähnlich wie im belgischen Fall war diese frühe DeFamilisierung in der Betreuung von Kindern zwischen drei und sechs Jahren zunächst nicht mit dem Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen worden. Die Verankerung der Vorschulen im Bildungssystem machte sie in erster Linie zu Bildungs- und nicht zu Betreuungseinrichtungen. Ihr Ausbau in den 1950er und 1960er Jahren war bezeichnender Weise auch nicht mit einer steigenden Müttererwerbstätigkeit verbunden. Die „écoles maternelles“ wurden also kaum zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt. Erst gegen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre begannen französische Mütter, vermehrt in den Arbeitsmarkt einzutreten (vgl. Tabelle 14). Tabelle 14 Müttererwerbsquote nach Anzahl der Kinder, 1954–1982 1954

1962

1968

1975

1982

1 Kind

36

39

44

56

66

2 Kinder

25

26

29

41

58

3 und mehr Kinder

19

16

17

23

31

Quelle: Martin 1998, S. 1142.

Das Vorherrschen der traditionellen Mutterrolle zeigte sich auch daran, dass die Betreuung der unter Dreijährigen bis Anfang der 1970er Jahre nur selektiv politische Aufmerksamkeit erfuhr. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Krippen aus karitativen Beweggründen und mit einer gesundheitspolitischen Zielsetzung. Das Problem der Findelkinder führte 1874 zur Regulation des Ammenwesens. „Durch die Beaufsichtigung des Ammenwesen anerkannte der Staat somit erstmals eine öffentliche Verantwortung für das Wohlergehen der bis zu zweijährigen Kinder, auf die sich das Gesetz bezieht.“ (Becker 2000, S. 156)

Die Verringerung der Säuglings- und Kindersterblichkeit motivierte den französischen Staat auch 1945 zur Reglementierung des Krippenwesens, und so wurde die Kleinkinderbetreuung als staatliche Aufgabe verankert.

136

V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 

„… given the demographic imperative of protecting the health of young babies, government officials believed that the crèches were too important to be left to private charities.“ (­Morgan 2002, S. 147)

Die Zahl der Krippenplätze blieb indessen gering: 1947 waren es 12.000, 1961 18.000 (Lenoir 1991; Fagnani 2004). Die Gründe dafür lagen darin, dass (1) die Nachkriegs-Familienpolitik die Nicht-Erwerbstätigkeit von Frauen aktiv durch finanzielle Transfers unterstützte (siehe unten), (2) die Erziehung von Kleinkindern als Familienangelegenheit betrachtet wurde, und der Staat (3) nicht so viel Geld für die Kleinkinderbetreuung ausgeben wollte (Norvez 1998).

b) Expliziter Familialismus: Geschlechtsspezifisch diskriminierend Das noch bis in die 1970er Jahre vorherrschende familienpolitische Leitbild der nicht erwerbstätigen Hausfrau und Mutter zeigte sich am deutlichsten an der Einführung eines Einkommenszuschusses für nicht erwerbstätige Mütter. Dieser ging auf eine Hausfrauen-Kampagne der katholischen Frauenorganisation „union féminine civique et sociale“ (UFCS) zurück. Ihr Erfolg beruhte darauf, „dass die UFCS sich weniger als feministische denn als katholische Organisation und als Teil der einflussreichen sozialkatholischen Bewegung verstand, sowie vor allem darauf, dass ihre Argumentation von der natalistischen Strömung (…) aufgegriffen wurde, die in der Hausfrauenzulage ein geeignetes Instrument zur Geburtenförderung zu entdecken meinte“ (Becker 2000, S. 161)

Bereits 1938 zahlten die Familienkassen einen Zuschlag für Familien, in denen die Mutter nicht erwerbstätig war. Die so genannte „allocation de mère au foyer“ (AMF) betrug 5 % des Durchschnittseinkommens des jeweiligen Départements. 1939 wurde die AMF im Rahmen des „Code de la famille“ als Regelleistung eingeführt. Nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit sollten Frauen die Möglichkeit haben, aus der Erwerbsarbeit auszusteigen: „Il semble anormal, dans un contexte de crise, que les femmes travaillent, car elles prennent les places des hommes.“ (Cova 1997, S. 258)

Die AMF betrug 1939 10 % des Durchschnittseinkommens des jeweiligen Départements und stellte gewissermaßen eine Kompensation für den Einkommens­ verzicht der Mütter dar. 1941 wurde die AMF in die so genannte „allocation de salaire unique“ (ASU) umgewandelt. Diese wurde einkommensunabhängig an Familien mit nur einem Einkommen gewährt. Ihre Höhe war nach der Kinderzahl gestaffelt: Bei einem Kind im Alter von bis zu fünf Jahren betrug sie 20 %, bei einem Kind, das älter als fünf Jahre war, 10 % des Durchschnittseinkommens. Bei zwei Kindern waren es 25 % und bei drei oder mehr Kindern sogar 30 % des Durchschnittseinkommens. Außerdem wurde in den ersten beiden Ehejahren auch für Kinderlose eine ASU in

1. Kinderbetreuungspolitik

137

Höhe von 10 % des Durchschnittseinkommens gewährt. 1943 erhielten 76 % der Mütter mit zwei Kindern, 88 % der Mütter mit drei Kindern und 92–98 % der Mütter mit mehr als drei Kindern die ASU. „The dominant model was still the legitimate family, of French nationality, with at least three children and in which the mother remains at home and the father is legally the ‚head‘.“ (Lenoir 1991, S. 158)

1946 wurde die ASU aufgrund massiver Preissteigerungen für Familien mit zwei Kindern auf 40 % und ab drei Kindern auf 50 % des Durchschnittseinkommens angehoben. Zusammen mit den allgemeinen Familienzulagen konnte eine nicht erwerbstätige Mutter bei einem Kind 20 % des Durchschnittseinkommens beziehen, bei zwei Kindern waren es 60 % und bei drei Kindern sogar 80 %! Ab dem zweiten Kind bestand somit ein massiver Anreiz zur Nicht-Erwerbstätigkeit. Konkret war es bis 1962 wirtschaftlich akzeptabel, die traditionelle Mutterrolle zu übernehmen. Erst durch das sukzessive „Aushungern“ der ASU kam es vor allem bei Müttern mit zwei Kindern zu einem massiven Anstieg der Erwerbstätigkeit (Martin 1998). Der schleichende Bedeutungsverlust der ASU setzte bereits 1949 ein, als die ASU für Einzelkinder, die älter als zehn Jahre waren, abgeschafft wurde. Ab 1955 wurde die ASU nicht mehr regelmäßig an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst (zwei Anpassungen erfolgten noch: 1958 und 1962). Seit 1959 wurde die ASU auch für Einzelkinder, die älter als fünf Jahre waren, gestrichen, und seit 1967 wurde die ASU für Kinderlose abgeschafft. 1969 kam es entgegen der Trend­ entwicklung zu einer Erhöhung der ASU für Kinder unter zwei Jahren, 1972 zu einer Erhöhung für Kinder unter drei Jahren. Um letztere zu finanzieren wurde die ASU ab 1972 nur noch einkommensabhängig gewährt. 1978 schließlich wurde die ASU komplett abgeschafft (Martin 1998). Das Beispiel der AMF bzw. der ASU verweist auf das klassische Wollstonecraft-Dilemma, welches allen „payments for care“ anhaftet: „… by assigning a monetary value to motherhood and attributing social recognition to ­women’s reproductive function, policy-makers lent support to the traditional conception of the woman as homemaker …“ (Hantrais 1993, S. 120)

Gleichzeitig gibt der Zuschuss für Einverdiener-Haushalte aber auch einen wichtigen Hinweis auf die implizite Grundannahme der französischen Familienpolitik, dass der „Normalhaushalt“ zwei Einkommen benötige. Ist nur ein Einkommen vorhanden, bedarf die Familie sozialpolitischer Unterstützung; ganz anders übrigens als in Deutschland, wo der Familienlohn des Ernährers bereits entsprechend hoch angesetzt wurde (Becker 2000, S. 195 f.). In beiden Fällen jedoch bildet die Norm des männlichen Ernährermodells den Hintergrund für die Sozial­ politik dieser Zeit. Dies lässt sich ähnlich wie in Deutschland auch in Frankreich an der Gewährung von abgeleiteten sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen für Ehefrauen ablesen. So sind nicht erwerbstätige Ehefrauen seit der Einführung

138

V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 

der verpflichtenden Krankenversicherung im Jahr 1930 beitragsfrei mitversichert, und seit Einführung der verpflichtenden Rentenversicherung im Jahr 1945 gibt es eine Witwenrente.1 Das ursprüngliche Leitbild für die Hinterbliebenenversorgung bildete die bedürftige Mutter einer kinderreichen Familie ohne eigenes Einkommen: Nur nicht erwerbstätige verheiratete Frauen konnten zunächst eine Witwenrente beziehen (Veil 2002a, S. 81).2 Zudem wurde 1945 die seit 1917 geltende Haushaltsbesteuerung durch den so genannten „quotient familial“ abgelöst (Grillet-Ponton 1998). Im Unterschied zum deutschen Ehegattensplitting werden beim „quotient familial“ neben der Ehefrau auch die Kinder der Familie mitberücksichtigt, sie gehen in die Berechnung des Splittingfaktors mit ein: Das zu versteuernde Familieneinkommen wird durch den Splittingfaktor dividiert. Auf den sich ergebenden Betrag wird der entsprechende Steuersatz angewendet. Die so errechnete Steuerschuld wird wiederum mit dem Splittingfaktor multipliziert und ergibt in Summe die gesamte Steuerschuld des Haushalts. Die Progressivität des Steuertarifs wird somit stark gemildert. Die steuerliche Entlastung beim Familiensplitting ist umso größer, je höher das Familieneinkommen ist und je mehr Kinder eine Familie hat (­Ehmann 1999, S. 19 f.). In einer Ehegemeinschaft ohne Kinder wirkt der „quotient familial“ als „quotient conjugal“3 wie das Ehegattensplitting als Anreiz zur Nicht-Erwerbstätigkeit der Ehefrau. Wenn allerdings Kinder im Haushalt leben, schwächt sich dieser Anreiz zur Nicht-Erwerbstätigkeit oder auch zur Teilzeit-Erwerbstätigkeit eines Partners erheblich ab (Dingeldey 2000, S. 23). Das Erwerbsmuster von Müttern wird durch das französische Einkommenssteuersystem somit nicht wesentlich beeinflusst. Diese indirekten und direkten familisierenden Maßnahmen veränderten das familialistische Profil Frankreichs im Bereich der Kinderbetreuung: Seit den 1930er Jahren bis in die 1960er Jahre hinein kann von einem expliziten Familialismus ausgegangen werden, der eindeutig geschlechtersegregierend wirkte. Zwar bestanden während dieser Zeit für Vorschulkinder de-familisierende Betreuungsstrukturen, so dass strukturell ein optionaler Familialismus vorliegt, aber – wie gezeigt – wurde die „école maternelle“ erst ab den 1970er Jahren als Betreuungsdienstleistung genutzt. Mit den 1970er Jahren begann eine Periode der relativen Neutralität des Staates gegenüber der Frauenerwerbstätigkeit. Gründe dafür waren der zunehmende Arbeitskräftemangel, insbesondere im wachsenden Dienstleistungssektor, das stei 1

Seit 1982 gibt es auch eine Witwerrente, allerdings nicht in allen Rentenkassen. So haben z. B. die Kassen der Bergleute und Seeleute, aber auch die Kassen für Beamte auch heute noch keine Witwerrente (Veil 2002a, S. 85). 2 Heute können auch Witwen (und Witwer) mit eigenständigen Rentenansprüchen eine Hinterbliebenenrente beziehen, es gelten allerdings strenge Einkommensanrechnungsregeln und Kumulierungsvorschriften, so dass der Kreis der Anspruchsberechtigten und die Höhe der Leistungen eingeschränkt bleiben (Veil 2002a, S. 81). 3 Seit 1996 kann der „quotient conjugal“ auch von unverheirateten Paaren genutzt werden (Grillet-Ponton 1998).

1. Kinderbetreuungspolitik

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gende Bildungsniveau von Frauen und ihr Streben nach finanzieller Unabhängigkeit, die soziale Abwertung des Hausfrauenstatus, die emanzipatorischen Ziele der Frauenbewegung und veränderte gesellschaftliche Normen (Fagnani 1995, S. 288). Ablesbar ist diese neue Neutralität beispielsweise an den Regelungen zur rentenrechtlichen Anerkennung von Erziehungsarbeit4: Zum einen wurde 1971 für erwerbstätige Mütter die Anerkennung von einem Rentenjahr für das zweite und alle weiteren Kinder eingeführt. Seit 1975 werden zwei Jahre pro Kind ab dem ersten Kind auf die Rente angerechnet. Die Regelung gilt allerdings nur für Frauen und nur im „régime général“, nicht in den berufsgruppenbezogenen Zusatzkassen. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme zum Nachteilsausgleich für Frauen, die sich auf diskontinuierliche Erwerbsbiographien bezieht. In diesem Sinne werden Kindererziehungszeiten als zusätzliche Jahre, nicht jedoch als zusätzliche Entgeltpunkte in den Renten angerechnet. So können Mütter, auch wenn sie weniger als die normalerweise geforderten 40 Beitragsjahre aufweisen, schon mit 60 statt mit 65 Jahren eine abschlagsfreie Rente beziehen. Die Rentenhöhe ist bei weniger Beitragsjahren dann allerdings auch geringer. Mütter, die nur kurze oder keine Unterbrechungen aufweisen, sind von den Leistungen ausgeschlossen. „Die größten Vorteile haben die Frauen mit hohen Rentenanwartschaften, mehreren Kindern und geringen Versicherungsjahren, wenn sie durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die notwendigen 39,5 [ab 2003: 40, SL] Versicherungsjahre kommen.“ (Veil 2002b, S. 291)

Alternativ zu dieser rentenrechtlichen Begünstigung von erwerbstätigen Müttern wurde 1972 eine Rentenversicherung für nicht erwerbstätige Mütter geschaffen: die „assurance vieillesse de la mère au foyer“.5 Unter bestimmten Bedingungen – insbesondere bei geringem Einkommen, wenn ein unter drei Jahre altes Kind oder mindestens drei Kinder gleichzeitig betreut werden – kann ein Elternteil beitragsfrei rentenversichert werden (Join-Lambert et al. 1997, S. 561). Die Rentenpolitik bedient(e) somit sowohl erwerbstätige als auch nicht erwerbstätige Mütter, sie verhielt sich damit „neutral“ bezüglich des zugrunde liegenden Familienleitbilds bzw. förderte zwei gegensätzliche Leitbilder parallel: die männliche Ernährerehe und das Zwei-Verdiener-Modell. In diesem Sinne wurde 1972 auch ein Kinderbetreuungszuschuss („allocation de frais de garde“) als Pendant zur ASU eingeführt.6 4 Die Erhöhung der Rente um 10 % bei denjenigen RentenbezieherInnen mit mindestens drei Kindern wird hier nicht berücksichtigt, weil es sich dabei nicht um eine Anerkennung von Erziehungsarbeit handelt (vgl. Veil 2002b). 5 Seit 1979 können auch nicht erwerbstätige Väter eine „assurance vieillesse parents au foyer“ erhalten. 6 Wie die ASU wurde auch der Kinderbetreuungszuschuss 1978 abgeschafft bzw. durch eine neue Leistung, das „complément familial“ (CF) ersetzt. Das CF betrug 40 % des Durchschnittseinkommens und war für Familien mit mindestens drei Kindern vorgesehen, von denen mindestens ein Kind unter drei Jahre alt sein musste. Interessant ist, dass das CF nicht von der Nicht-Erwerbstätigkeit der Mutter abhängig war, sondern vom Haushaltseinkommen (Martin 1998). Die Leistung wandte sich somit nicht mehr gegen die Müttererwerbstätigkeit an sich.

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Am deutlichsten aber zeigte sich die Abwendung von dem hegemonialen Anspruch des traditionellen Familienbildes an dem beginnenden Ausbau der Kinderbetreuung unter dem Aspekt der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. c) Der Ausbau der (Klein-)Kinderbetreuung Die grundlegende Spaltung der französischen Familienpolitik zwischen Familialisten und Natalisten (Lenoir 1991, S. 146 f.) spiegelt sich in der mit Beginn der 1970er Jahren einsetzenden Hinwendung zur Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Familienleitbildern. Während der Einfluss der Familialisten in der fünften Republik zurückging und die christdemokratische Partei (MRP) an Macht verlor, gewannen die Modernisten an politischem Boden und mit ihnen das Thema der Frauenerwerbstätigkeit und der Gleichberechtigung in der Familie wie auf dem Arbeitsplatz (Jenson/Sineau 1995). So konnte eine Trendwende in der französischen Familienpolitik stattfinden: „Die Familienpolitik hat sich zunehmend von ihren ursprünglichen sozialkatholischen Wurzeln und deren moralischen Vorgaben abgewandt – sie wurde laizistisch überformt und avanciert zu einem Steuerungsinstrument mit Anspruch auf normative Neutralität.“ (­Becker/Bode 1998, S. 785)

Dies betraf nicht nur die oben bereits erwähnte Abkehr vom traditionellen Familienleitbild, sondern zielte vor allem auch auf die aktive Ermöglichung der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Insbesondere der Ausbau der „écoles maternelles“ folgte schon in den 1960er Jahren der steigenden Nachfrage ohne Zögern: „…, the expansion occurred as central state planners realized that the demand for preschool far exceeded supply, and they scrambled to respond, showing little concern for the potential consequences for mother’s employment and the mother-child bond.“ (Morgan 2003, S. 280)

Durch die Zuordnung der „écoles maternelles“ zum Bildungssystem ging es bei deren Ausbau jedoch weniger um die Vereinbarkeitsfrage, sondern vielmehr um die Erfüllung des Rechts auf Bildung und Erziehung für alle Kinder. Die Betreuungsfunktion der „écoles maternelles“ war gewissermaßen nur ein Nebeneffekt, der die Frauenerwerbstätigkeit begünstigte. Aber die Gaullisten waren auch gegenüber dem Ausbau der Kleinkinderbetreuung pragmatisch eingestellt: Erwerbstätige Mütter halfen, den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen. „Against the backdrop of an acute labour shortage, the French government began to set up community-funded day-care centres in an attempt to attract women into the work force. […] At the same time, as a result of an interactive process, the increase in the participation of married women in the labour force stimulated demand by couples for the expansion of public day-care facilities and other social services.“ (Fagnani/Letablier 2005, S. 137)

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Hinzu kam das zunehmende und durch Pädagogen vermittelte gesellschaftliche Interesse an der frühen Förderung der kindlichen Entwicklung. So wurde in den 1970er Jahren das Krippenwesen grundlegend reformiert. Gut ausgebildetes Betreuungspersonal und entsprechende erzieherische Ziele der Krippenarbeit führten zur breiten Anerkennung der Krippen und zu einem hohen Zufriedenheitsgrad der Nutzer, die sich insbesondere auch aus der gebildeten Mittelklasse zusammensetzten (Fagnani 2006; Morgan 2003). Wie groß der Bedarf an Krippenplätzen war, zeigt sich daran, dass 1971 nur 31.750 Plätze zur Verfügung standen, aber 500.000 Mütter mit einem Kind unter drei Jahren erwerbstätig waren (Lenoir 1991, S. 164). 1971 wurden von der Sozial­ versicherung 100 Millionen F für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt. Die Zahl der Plätze wuchs daraufhin bis 1975 auf 47.000. Zu diesem Zeitpunkt waren auch 22.000 Plätze bei Tagesmüttergruppen („crèches familiales“) vorhanden (Fagnani 2000, S. 41), und auch in den Vorschulen wurden immer mehr Kinder bereits ab zweieinhalb Jahren aufgenommen; 1980 besuchten bereits 36 % der Zweijährigen eine „école maternelle“ (Morgan 2002). Trotz dieser Anstrengungen wurden Anfang der 1980er Jahre gerade einmal 4 % der unter Dreijährigen in Krippen betreut (Martin 2000). Mit der Regierungsübernahme durch die Sozialisten 1981 wurde die Vereinbarkeitsproblematik zum politischen Programm. François Mitterand versprach 300.000 neue Krippenplätze und stellte den Ausbau der Kinderbetreuung unter eine demographische Zielsetzung: Ein Mangel an Kinderbetreuung wirke sich negativ auf die Geburtenrate aus (Jenson/Sineau 1995, S. 251). Aber bereits Ende 1982/Anfang 1983 setzte eine wirtschaftliche Rezession die französische Währung unter Druck, was insbesondere angesichts der EU-Stabilitätskriterien problematisch war (Bergeron/SaintPierre 1998, S. 78 f.). Der Ausbau der Kinderkrippen ging in den 1980er Jahren deshalb nicht so voran, wie ursprünglich angekündigt: „Bref, à partir du tournant de la rigueur un nouveau consensus rallie les principaux acteurs politiques: savoir que les restrictions budgétaires sont bien peu compatibles avec l’accès généralisé à une crèche.“ (Jenson/Sineau 1998, S. 152)

1982 kam es zur Dezentralisierung der Kinderbetreuungspolitik. Seither entscheiden die Kommunen über den Krippenausbau, die nationale Familienkasse (CNAF) treibt die Entwicklung insofern voran, indem sie mit den Kommunen Verträge zur Ko-Finanzierung schließt (Morgan 2002). Diese „contrats crèches“ sollten ab 1983 die Anzahl der Plätze erhöhen helfen. Es handelte sich um eine Subventionierung, teilweise sogar die vollständige Übernahme der Kosten, für fünf Jahre, wenn eine Kommune neue Krippenplätze schuf. Das Ziel von 100.000 neuen Plätzen wurde jedoch nicht erreicht; 1988 waren nur 20.000 Plätze geschaffen worden (Martin 2000, S. 12). Aufgrund der anhaltenden Finanzkrise des Wohlfahrtsstaats ging der Ausbau der Krippenplätze in den 1990er Jahren weiterhin nur schleppend voran. Von 1991

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bis 2001 stieg die Anzahl der Krippenplätze von 112.000 auf 203.000, wobei sich 40 % der Plätze in und um Paris befinden. 2001 wurden 10,6 % der unter Dreijährigen in Krippen („crèches collectives“ und „crèches familiales“) und 11,5 % in „écoles maternelles“ betreut (Fagnani 2004, S. 192). Als Alternative zum (teuren) Ausbau der Krippenplätze und auch als Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird hingegen seit Mitte der 1980er Jahre eine Politik der Diversifizierung der Betreuungsformen betrieben, mit der die Betreuung durch die Eltern selbst sowie die Betreuung durch Tagesmütter und Kinderfrauen gefördert wird. d) Die Wieder-Einführung von familisierenden Maßnahmen Seit 1977 gibt es in Frankreich die Möglichkeit, eine Beurlaubung wegen Kindererziehung in Anspruch zu nehmen („congé parental d’éducation“ – CPE). Die Motive für die Einführung der Beurlaubung hingen dabei eng mit arbeitsmarkt­ politischen Intentionen zusammen: „Aux yeux de ses initiateurs, le principal objectif du CPE est d’abord de libérer un certain nombre d’emplois pour les chômeurs.“ (Jenson/Sineau 1998, S. 148)

Beim CPE handelte es sich zunächst um eine unbezahlte Beurlaubung von dreimal sechs Monaten. Der Rechtsanspruch bestand allerdings nur in Betrieben mit mindestens 200 Beschäftigten, ab 1981 auch in Betrieben mit mindestens 100 Beschäftigten (Becker 2000, S. 169). Waren anfangs nur Mütter anspruchsberechtigt, so können seit 1984 auch Väter eine Erziehungsauszeit nehmen. 1986 wurde schließlich die maximale Beurlaubungsdauer auf drei Jahre erhöht, und seit 1995 gilt der Rechtsanspruch auch bei Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten (Fagnani 2000, S. 42; Jenson/Sineau 1998, S. 153 f.; Hantrais 1993, S. 131). Aufgrund der relativ restriktiven Anspruchsvoraussetzungen und vor allem aus ökonomischen Gründen wurde der „congé parental d’éducation“ zunächst nur wenig genutzt: „Dans un contexte de crise économique, peu de femmes peuvent prendre le risque d’interrompre leur activité professionnelle ou de priver la famille d’un revenu souvent indispensable au maintien de son pouvoir d’achat.“ (Fagnani 1995, S. 288)

Dies sollte sich nach der Vorstellung der Sozialisten mit der Einführung eines Erziehungsgelds, der „allocation parental d’éducation“ (APE), 1985 ändern. Wenn Eltern während der letzten 30 Monate vor der Geburt des dritten Kindes zwei Jahre lang erwerbstätig gewesen waren, hatten sie Anspruch auf ein einkommensunabhängig gewährtes Erziehungsgeld in Höhe von 1.518 F pro Monat für maximal 24 Monate. Bei einer Teilzeit Erwerbstätigkeit des erziehenden Elternteils konnte ein Teilzeit-Erziehungsgeld in Höhe von 759 F monatlich bezogen werden. 1986 haben allerdings nur 27.000 Mütter – anstatt der erwarteten 80.000 – die APE beansprucht.

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Mit dem Regierungswechsel 1986 und der darauf folgenden Cohabitation des sozialistischen Präsidenten Mitterand mit dem konservativen Regierungschef ­Chirac kam es zu einer natalistisch motivierten Reform der APE. Insbesondere die RPR zeigte sich angesichts eines anhaltenden Geburtenrückgangs „sensible aux arguments natalistes des associations familiales – l’UNAF en particulier – et de certains démographes“ (Fagnani 1996, S. 113). Die APE sollte deshalb einen stärkeren Anreiz als bislang setzen, um zum dritten Kind anzuregen. In der Folge wurden die Anspruchsvoraussetzungen liberalisiert: Eltern mussten nunmehr nur noch zwei Jahre Erwerbstätigkeit während der letzten 10 Jahre vor der Geburt des dritten Kindes nachweisen. „In other words, mothers who were already out of the labor force could claim the APE; with this shift it really became a mother’s salary.“ (Jenson/Sineau 1995, S. 260; auch Jenson/ Sineau 1998, S. 156 f.)

Außerdem erfolgte die Ausweitung der Bezugsdauer bis zum dritten Geburtstag des Kindes. Während des zweiten und dritten Geburtstags des Kindes wurde die Möglichkeit der Teilzeit-APE weitergeführt. Aus finanziellen Gründen – und im Einklang mit der Mehrkindpolitik – wurde die APE jedoch nach wie vor erst ab dem dritten Kind gewährt. Ende 1993 bezogen 156.000 Personen – 95 % davon Mütter – die APE. Die geringe Höhe der Leistung führte in Kombination mit den geschlechts­ spezifischen Einkommensungleichheiten zur geschlechtsspezifischen Inanspruchnahme der APE. „In fast allen Fällen stützen sich die Empfängerinnen der APE auf einen Lebenspartner, dessen Erwerbssituation stabil ist. Sie folgen damit dem Modell des männlichen Ernährers.“ (Reuter 2003a, S. 44)

Dies ist auch kulturell begründet, da die meisten Väter nicht bereit sind, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderbetreuung aufzugeben oder zu reduzieren. Die durchschnittliche Bezugsdauer der APE betrug 33 Monate, 85 % der Beziehe­ rinnen haben mindestens zwei Jahre lang Erziehungsgeld in Anspruch genommen. Insgesamt konnten 46 % der höher Qualifizierten und 41 % der Angestellten und Arbeiterinnen nach dem Ende ihrer Erziehungszeit die gleiche Arbeit unter den gleichen Bedingungen wie zuvor wieder aufnehmen. 16 % bzw. 13 % haben sich hinsichtlich der Bezahlung und/oder der Art der Tätigkeit verbessert, meist weil sie während der Erziehungszeit eine Weiterbildung gemacht haben. Somit hatte sich für 38 % der höher Qualifizierten und für 46 % der Angestellten und Arbeiterinnen eine Verschlechterung ihrer Erwerbssituation nach der Erziehungszeit ergeben. Das Risiko arbeitslos zu sein stieg nach einer Erziehungszeit: von 9,2 % vor auf 13,8 % nach der Erziehungszeit (Fagnani 1995, S. 289 ff.). Abermals unter einer konservativen Regierung erfolgte 1994 eine weitere Reform der APE: Sie kann seither bereits ab dem zweiten Kind beansprucht werden:

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„Au nom de la lutte contre le chômage et en camouflant son véritable objectif sous la rhétorique de la ‚diversification des modes de garde‘, le pouvoir politique a étendu, en 1994, l’APE aux familles qui ont un deuxième enfant.“ (Fagnani 2000, S. 80)

Die Geldleistung wurde beinahe verdoppelt, war wie bisher einkommens­ unabhängig und wurde bis zum dritten Lebensjahr des jüngsten Kindes gewährt. Sie betrug bei einer kompletten Erwerbsunterbrechung 2.990 F (1998) pro Monat. Eltern hatten nunmehr aber auch die Möglichkeit, während der gesamten Erziehungszeit eine Teilzeit-APE zu beanspruchen. Wenn die Arbeitszeit um mindestens 20 % reduziert wurde, waren es 1.960 F pro Monat (weniger als 20 Stunden Erwerbsarbeit pro Woche) bzw. 1.482 F pro Monat (zwischen 20 und 32 Stunden Erwerbsarbeit pro Woche). Voraussetzung für den Anspruch auf APE waren zwei Jahre Erwerbstätigkeit während der letzen fünf Jahre vor der Geburt des zweiten Kindes bzw. zwei Jahre Erwerbstätigkeit während der letzen zehn Jahre vor der Geburt des dritten Kindes. Des Weiteren wurde die Möglichkeit geschaffen, dass beide Eltern gleichzeitig eine Teilzeit-APE (maximal aber insgesamt 2.990 F pro Monat) beziehen konnten, vorausgesetzt beide Eltern waren Teilzeit erwerbstätig (Fagnani 1998, S. 602). Ende 1995 bezogen 21 % der Frauen mit zwei Kindern (123.700) und 40 % der Frauen mit drei und mehr Kindern (151.600) die APE. 11,4 % der APE-Bezieherinnen bezogen eine Teilzeit-APE (Fagnani 1996, S. 117). Die Reform 1994 hatte offiziell zum Ziel, die Wahlfreiheit zu erhöhen. Impli­ zit jedoch wurden Frauen ermutigt, sich vom Arbeitsmarkt (ganz oder teilweise) zurückzuziehen, um die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren. Die Erwerbsquote von Müttern mit zwei Kindern, von denen das jüngere unter drei ist, ging von 69 % 1994 auf 53 % 1997 zurück. Man schätzt, dass ca. 60 % der APE-Bezieherinnen, die sich nach dem zweiten Kind vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, dies nicht getan hätten, wenn es die APE nicht gegeben hätte. Etwa ein Drittel der APE-Bezieherinnen hat im Jahr zuvor Arbeitslosengeld erhalten (Fagnani 1998). Es sind vor allem junge und/oder gering qualifizierte Frauen, die die APE in Anspruch nehmen, die Transferleistung ist für sie „interessanter“ als die Aufrechterhaltung der Erwerbsarbeit. Während die APE für die qualifizierten jungen Frauen ein Instrument der Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellt, scheiden die gering qualifizierten Frauen häufig dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt aus (Reuter 2002, S. 18). „Dans un contexte de chômage et de précarité croissante de l’emploi féminin, on peut craindre que les bénéficiaires qui avaient des statuts précaires ou étaient inscrites au chômage, aient des difficultés, à l’issue de cette période, à retrouver un emploi (ou de moins un emploi qui leur convienne) après une si longue interruption (trois ans).“ (Fagnani 1998, S. 600)

Die APE setzt zudem einen starken Anreiz zur Teilzeit Erwerbstätigkeit, ins­ besondere für gering qualifizierte Frauen:

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„Des femmes pourraient être incitées à travailler à temps partiel (…): pour les moins bien rémunérées, l’APE à taux partiel (non imposable) peut avantageusement compenser la perte salariale correspondante.“ (Fagnani 1995, S. 294)

Ende 1998 bezogen 540.000 Mütter die APE, 80 % davon waren nicht erwerbs­ tätig, 20 % arbeiteten in Teilzeit (Fagnani 2000, S. 82). Insgesamt betrachtet besteht ein Widerspruch zwischen dem offiziellen Ziel der Wahlfreiheit und den strukturellen Zwängen, denen sich Mütter gegenüber sehen: Die Voraussetzung der vorangegangenen Erwerbstätigkeit, die aus finanziellen und weniger aus ideologischen Gründen eingeführt wurde7, schließt all die­jenigen aus, die schon zu lange nicht mehr arbeiten oder zu wenig gearbeitet haben. Dies betrifft vor allem Frauen aus sozial benachteiligten Milieus, die häufigere und längere Erwerbsunterbrechungen aufgrund der Geburt von Kindern aufweisen als besser qualifizierte oder besser gestellte Frauen. Somit werden soziale Ungleichheiten verstärkt: Denen, die es finanziell gut gebrauchen könnten, wird die APE vorenthalten, während „dans les familles plus aisées, les femmes, même si elles ont depuis longtemps cessé ­d’occuper un emploi, ont plus fréquemment exercé une activité professionnelle et peuvent donc bénéficier de l’APE, versée sans condition de ressources.“ (Fagnani 1996, S. 115)

Es gibt aber auch Frauen, die Anspruch auf die APE hätten, aber diesen nicht nutzen: Zum einen jene am unteren Ende des beruflichen Spektrums, die sich die APE aus finanziellen Gründen nicht leisten können, und zum anderen hoch qua­lifizierte Frauen, die aus Karrieregründen auf eine Erziehungszeit verzichten (Fagnani 1996, S. 117). Insbesondere für erstere kann von Wahlfreiheit keine Rede sein. Der Ausbau der familisierenden Maßnahmen erfolgte in Frankreich seit Mitte der 1980er Jahre vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit. Er zielte auf die erwerbstätigen Mütter und deren (partiellen) Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt zugunsten der familialen Kinderbetreuung. Französische Feministinnen – wie z. B. Jeanne Fagnani (1995, S. 287) – sprechen deshalb einmütig von einer „Traditio­ nalisierung“ in der Kinderbetreuungspolitik: Mütter wurden „zurück an den Herd“ gebracht. Für diejenigen Mütter allerdings, die sich den Ausstieg leisten können und denen der Wiedereinstieg nach der Erziehungszeit gut gelingt, wurden tatsächlich neue Optionen geschaffen. Mit der Wieder-Einführung familisierender Maßnahmen, der steigenden Müttererwerbstätigkeit und dem Ausbau der Kleinkinderbetreuung bewegt sich Frankreich im Bereich der Kinderbetreuungspolitik somit eindeutig in Richtung optionaler Familialismus, der allerdings schicht­ spezifisch unterschiedlich stark ausgeprägt ist und nach wie vor nach Geschlecht segregiert.

7 „The strict work requirement is revealing of the APE’s underlying motive as an antiunemployment mechanism.“ (Morgan 2002, S. 156)

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Die jüngste Reform des Erziehungsgelds trat 2004 in Kraft. Nunmehr kann bereits beim ersten Kind ein so genanntes „complément de libre choix d’activité“ für sechs Monate gewährt werden. Voraussetzung ist, dass der erziehende Elternteil in den zwei Jahren vor der Geburt des Kindes erwerbstätig war. Im Gegenzug wurden die Anspruchsvoraussetzungen für zweite und dritte Kinder verschärft: Beim zweiten Kind sind nunmehr zwei Jahre Erwerbstätigkeit während der letzten vier Jahre vor der Geburt erforderlich und beim dritten Kind zwei Jahre während der letzten fünf Jahre vor der Geburt. Das Erziehungsgeld beträgt 2012 jeweils 560 € monatlich (bzw. 426 € bei einer Teilzeit Erwerbstätigkeit von höchstens 50 % der regulären Arbeitszeit und 322 € bei einer Teilzeit Erwerbstätigkeit zwischen 50 und 80 % der regulären Arbeitszeit). Es ist zu erwarten, dass nun auch mehr Frauen beim ersten Kind bereits eine Erziehungsauszeit nehmen werden, allerdings dürfte durch die strengeren Anspruchsvoraussetzungen die Gesamtzahl der Mütter, die ein Erziehungsgeld beziehen, nicht wesentlich ansteigen. „In Wirklichkeit haben die Haushaltszwänge den Handlungsspielraum der Regierung stark eingeengt. Ihr Hauptanliegen war es, den Forderungen der Familienverbände nach Unterstützung von Familien mit Einzelkindern entgegenzukommen …“ (Fagnani 2004, S. 195)

Durch die nach wie vor nicht existenzsichernde Höhe des Erziehungsgelds bleibt die geschlechtsspezifische Analyse unverändert: Vorwiegend Mütter nehmen die Leistung in Anspruch und sind dabei auf einen Ernährer angewiesen. Allerdings wurde zum 1.7.2006 die Möglichkeit geschaffen, ab dem dritten Kind ein höheres Erziehungsgeld von aktuell 801 € monatlich (2012) für einen verkürzten Zeitraum von maximal 12 Monaten in Anspruch zu nehmen („complément ­optionnel de libre choix d’activité“). In diesem Fall ist keine Teilzeit-Variante möglich (www.msa.fr). Dieses erhöhte Erziehungsgeld zielt auf eine rasche Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit von Müttern mit drei (und mehr) Kindern, da sich gezeigt hat, dass die Müttererwerbsquote ab dem dritten Kind erheblich zurückgeht. Insofern steht diese neueste Politikentwicklung durchaus im Gegensatz zu der seit Einführung der APE kontinuierlich vorhandenen Intention, Frauen „zurück an den Herd“ zu schicken. Wie die Mütter diese neuen Optionen annehmen werden, bleibt abzuwarten. Väter beanspruchen den Erziehungsurlaub bzw. das Erziehungsgeld nach wie vor nur zu 1 %. Seit 2002 können Väter jedoch einen Vaterschaftsurlaub im Umfang von elf Kalendertagen innerhalb der ersten 4 Monate nach der Geburt des Kindes in Anspruch nehmen. Sie bekommen in dieser Zeit ihr Nettogehalt weitergezahlt. Zusätzlich können Väter drei Tage Freistellung von der Arbeit wegen der Geburt eines Kindes in Anspruch nehmen. Etwa 65 % der Väter nehmen den Vaterschaftsurlaub in Anspruch (Rüling/Kassner 2007, S. 97, 70).

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e) Ausbau der (Klein-)Kinderbetreuung durch Kinderfrauen und Tagesmütter Der Regierungswechsel 1986 brachte nicht nur das Erziehungsgeld, sondern auch eine neue sozialpolitische Förderung für die Beschäftigung von Kinderfrauen, die so genannte „allocation de garde d’enfant à domicile“ (AGED). Erwerbstätige Eltern, deren jüngstes Kind unter drei Jahre alt war, konnten jemanden einstellen, der/die ihr Kind im elterlichen Haushalt betreut, ohne dass sie die vorgeschriebenen Sozialabgaben bezahlen mussten. War ihr jüngstes Kind zwischen drei und sechs Jahre alt, wurde (seit 1995) die Hälfte der Sozialabgaben erlassen. Zusätzlich konnten seit 1992 die Hälfte der Lohnkosten für eine Kinderfrau von der Steuer abgesetzt werden („réduction d’impôt au titre des emplois familiaux“), wobei die Obergrenze des absetzbaren Betrags von ursprünglich 13.000 F pro Jahr seit 1995 auf 45.000 F pro Jahr erweitert wurde. Von der AGED profitierten vorwiegend besser gestellte Familien, die sich eine Kinderfrau leisten können. Je reicher die Familien, desto höher fiel der Stundenumfang für die Kinderfrauen aus, d. h. es kam zu einer anti-redistributiven Ver­ teilungswirkung. Meist handelte es sich um hoch qualifizierte erwerbstätige Eltern mit langen, oftmals unregelmäßigen Arbeitszeiten, die die AGED in Anspruch nahmen. „… cette prestation renforce les inégalités d’accès aux divers modes de garde, subventionnés par la collectivité, en fonction du milieu social.“ (Fagnani 1997, S. 948)

Nicht zuletzt deshalb kam es 1998 zu einer Modifizierung der AGED: Für alle Kinder unter sechs Jahre wurden seither nur noch 50 % der Sozialabgaben erlassen, wenn das Haushaltseinkommen über 216.000 F netto pro Jahr beträgt, und die Obergrenze des Steuerabsetzbetrages wurde halbiert: auf 22.500 F pro Jahr (Fagnani 1998, S. 602). 2005 haben 51.000 Familien die AGED bezogen (Fagnani 2006). Die AGED-Kinderfrauen stellten vor allem eine Alternative zur Betreuung in den „crèches“ dar8: Sie sind zeitlich flexibler, kosten nicht wesentlich mehr (vor allem bei mehreren Kindern im Haushalt) und sind zudem auch für Haushalts­ tätigkeiten einsetzbar. Den Vorteil der flexiblen Kinderbetreuung bieten außerdem noch Tagesmütter, die im Unterschied zu Kinderfrauen nicht in den elterlichen Haushalt kommen, sondern die Kinderbetreuung in ihrem eigenen Haushalt bzw. 8 Bis zum Jahr 2000 konnte man sogar von einer die Existenz der Krippen bedrohenden Konkurrenz sprechen, da die Krippen durch die AGED – und auch durch die AFEAMA – ihre zahlungskräftige Klientel verloren und zunehmend in Finanzierungsschwierigkeiten kamen. Seit 2000 traten jedoch neue Finanzierungsmodalitäten in Kraft: Die Familienkasse trägt 30 % der Kosten der Krippenplätze, die Kommune 36 %, die Familien 28 %. Wenn die Familien aufgrund der Einkommensstaffelung ihren Anteil nicht erfüllen können, muss nun nicht mehr die Kommune einspringen, sondern die Familienkasse trägt den Ausfall (Fagnani 2004, S. 193).

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in angemieteten Räumen durchführen. Die Inanspruchnahme ihrer Dienste wurde seit 1990 besonders gefördert. Die unter sozialistischer Regierung eingeführte „aide à la famille pour l’emploi d’une assistente maternelle agréée“ (AFEAMA) löste eine weniger attraktive Vorgängerregelung9 ab. Nunmehr bekamen Eltern, die ihr unter-sechsjähriges Kind von einer anerkannten Tagesmutter betreuen ließen, die verpflichtenden Sozialabgaben ersetzt. Es entstand ein reguläres Arbeitsverhältnis zwischen den Eltern als Arbeitgeber und der Tages­mutter. Zusätzlich erhielten die Eltern eine Geldleistung („majoration d’AFEAMA“) in Höhe von 807 F pro Monat für ein unter dreijähriges Kind, das von einer an­erkannten Tagesmutter betreut wurde, bzw. 404 F pro Monat für ein Kind zwischen drei und sechs Jahren.10 Diese Geldleistung wurde bis 2001 einkommensunabhängig gewährt. Zudem konnte ein Betrag von maximal 3.750 F pro Jahr für Betreuungskosten von der Steuer abgesetzt werden („réduction d’impôt pour frais de garde“); dies galt übrigens auch für Kosten, die Eltern für einen Krippenplatz entstehen (Fagnani 1998, S. 602). 1991 nahmen 110.000 Familien die AFEAMA in Anspruch, 2005 waren es schon 620.000. Die AFEAMA ist somit die wichtigste Betreuungsart für Kinder unter drei Jahren geworden (Fagnani 2006). In den Krippen befinden sich zunehmend weniger Kinder der Mittel- und Oberschicht, so dass es zu einer sozialen Segregation durch die Diversifizierung des Betreuungsangebots gekommen ist: „Ainsi, le nouveau paradigme qui inspire les modes d’accueil des jeunes enfants, la ‚liberté de choix des parents‘, n’est guère compatible avec le principe de l’égalité républicaine: il ne débouche que sur une liberté ‚étriquée‘, contrainte par les barrières de classes et les rapports de pouvoir entre sexes.“ (Jenson/Sineau 1998, S. 172)

Niedrigeinkommensbezieherinnen greifen mangels nicht ausreichender Krippenplätze oft auf nicht angemeldete Kinderfrauen zurück und – wenn vorhanden – auf Familienmitglieder. Alternativ unterbrechen sie ihre Erwerbstätigkeit, um ihre Kinder mit Hilfe des Erziehungsgelds selbst zu betreuen (Fagnani 1998, S. 598). Gemeinsam mit der Reform des Erziehungsgelds wurden auch die Zuschüsse für Tagesmütter und Kinderfrauen 2004 neu geregelt. Eltern können sich nun entweder für das neue „complément de libre choix d’activité“ entscheiden oder für das „complément de libre choix du mode de garde“. Letzteres unterstützt die Fremdbetreuung von Kindern unter sechs Jahren durch eine Tagesmutter oder eine Kinderfrau. Wie bislang unter AFEAMA und AGED werden den Eltern als Arbeitgeber im Fall der Tagesmutter die gesamten, im Fall der Kinderfrau die Hälfte der Sozialabgaben erlassen. Zusätzlich wird nunmehr – ähnlich der „majoration d’AFEAMA“ – ein Teil der Lohnkosten für die Tagesmutter oder die Kinderfrau erstattet. Die Höhe der Erstattung variiert nach dem Haushaltseinkommen, der 9

1980 wurde die „prestation spéciale assistante maternelle“ eingeführt, in deren Rahmen den Eltern ein Teil der Sozialabgaben für Tagesmütter erlassen wurde. 10 Die Geldleistungen wurden 1995 entscheidend angehoben, davor betrugen sie 530 bzw. 318 F pro Monat (Steck 1996, S. 406).

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Zahl der Kinder und dem Alter der Kinder. Für Unter-Dreijährige liegt sie 2012 zwischen 170 € und 448 €, für Drei- bis Sechsjährige zwischen 85 € und 224 € (www.msa.fr). An der oben stehenden Analyse hat sich durch die Neuregelung nichts geändert: „… cette nouvelle réforme prolonge une politique de diversification favorable à l’accueil familiale et individuel qui au nom du libre choix risque de renforcer la dynamique de fragmentation de l’offre et de segmentation sociale des modes de garde.“ (Eme/Fraisse o. J., S. 13)

Die Trends der späten 1980er sowie der 1990er Jahre schreiben sich somit bis heute fort: Frankreich stellt sich im Bereich der Kinderbetreuungspolitik als ­optional familialistisch dar. Die Betreuungsquoten im Kleinkinderbereich sind stark angestiegen, zusammen mit der Entwicklung des Erziehungsgelds – insbesondere durch die Einführung der Budgetoption beim dritten Kind – ist zumindest für einen Teil der französischen Eltern Wahlfreiheit geschaffen worden.

f) Fazit: Vom impliziten zum optionalen Familialismus Die Entwicklung der französischen Kinderbetreuungspolitik kann in vier Phasen unterteilt werden. Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre handelte es sich auf der Strukturebene um eine Form des De-Familialismus, der mit der „école maternelle“ ein Betreuungsangebot für Vorschulkinder bereitstellte, welches jedoch nicht im Sinne eines Betreuungsangebots genutzt wurde. Das heißt, die Müttererwerbsquote blieb während dieser Zeit gering und korrespondierte mit einem traditionellen Familienbild, so dass de facto in dieser ersten Phase von einem geschlechtsspezifisch segregierten impliziten Familialismus ausgegangen werden muss. Der Ausbau der „école maternelle“ war Resultat der demonstrativen Bildungshoheit des Staates gegenüber der Kirche und insofern nicht Betreuungs- sondern Bildungspolitik. Mit der Einführung familisierender Maßnahmen seit den 1930er Jahren ver­ änderte sich der Charakter der französischen Kinderbetreuungspolitik in Richtung expliziter Familialismus: Die AMF bzw. die ASU ermöglichten – gemeinsam mit den abgeleiteten sozialrechtlichen Ansprüchen in der Kranken- und Rentenversicherung sowie mit dem „quotient familial“ – die Nicht-Erwerbs­ tätigkeit von Müttern. Als treibende Kraft dieser Richtungsänderung ist die katholische Frauenorganisation UFCS zu nennen, die als Teil des Sozialkatholizismus mit der natalistischen Bewegung kooperierte. Die Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern diente dabei mehreren Zielen: Frauen konnten ihrer „natürlichen“ Rolle als Mutter besser gerecht werden, sie hatten einen Anreiz, gleich mehrere Kinder zur Welt zu bringen, und ihr Rückzug von der Erwerbsarbeit entlastete zudem den Arbeitsmarkt. Durch die Kürzung und schließlich die Abschaffung der ASU bewegte sich die französische Kinderbetreuungspolitik in einer dritten Phase ab Ende der 1960er

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V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 

Jahre zurück in Richtung eines indirekten expliziten Familialismus, der auf der Strukturebene zunehmend de-familisierende Maßnahmen setzte. In dieser Phase kippte das traditionelle Familienbild, und die bestehenden bzw. im Ausbau begriffenen Kinderbetreuungseinrichtungen wurden verstärkt zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von familialer Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit genutzt. Der gesellschaftliche Wandel spiegelte sich auf der politischen Ebene im Einfluss­ verlust der christdemokratischen Partei. In der vierten Phase schließlich leiteten seit Mitte der 1980er Jahre neu eingeführte direkte familisierende sowie neue de-familisierende Maßnahmen einen Wandel in Richtung optionalen Familialismus ein. Während auf der einen Seite sowohl natalistische als auch zunehmend arbeitsmarktpolitische Intentionen die Erziehungsgeld-Politik bestimmten, waren es auf der anderen Seite die Reaktion auf den steigenden Betreuungsbedarf für die unter Dreijährigen in Kombination mit finanzpolitischen Restriktionen und arbeitsmarktpolitischen Zielen, die den Ausbau der Kinderbetreuung vorantrieben. Das Erziehungsgeld ermöglicht seither vormals erwerbstätigen Müttern den zeitweisen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit, und der Ausbau der Kleinkinderbetreuung durch Tagesmütter und Kinderfrauen prägt den Charakter des französischen optionalen Familialismus bis heute. Er weist starke schichtspezifische Differenzierungen auf und ist nach wie vor geschlechtersegregierend angelegt. 2. Altenpflegepolitik: Vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus Im Unterschied zur Kinderbetreuungspolitik weist Frankreich im Bereich der Angehörigenpflege bis weit in die 1990er Jahre hinein eine nur schwach entwickelte de-familisierende Politik auf: Die meisten der pflegebedürftigen älteren Menschen wurden (und werden) zu Hause betreut. So berichtet etwa die OECD, dass Anfang der 1990er Jahre 1 % der älteren Menschen zur Langzeitpflege in Krankenhäusern untergebracht waren, 4 % waren in Alten- bzw. Pflegeheimen, 2 % in betreuten Wohnformen (OECD 1996, S. 136 f.). Somit befand sich etwa ein Drittel aller pflegebedürftigen älteren Menschen in stationären Einrichtungen. Insgesamt waren von den 700.000 schwer pflegebedürftigen (bettlägerigen) Personen über 65 Jahren 1995 knapp 39 % (270.000) in stationären Einrichtungen untergebracht (Joint-Lambert et al. 1997, S. 485). Von den zu Hause gepflegten älteren Menschen werden nur ganz wenige ausschließlich von professionellen Hilfsdiensten versorgt. Ende der 1980er Jahre ergab eine Umfrage: „About 90 per cent of elderly people at higher levels of dependence who lived in private households received informal care, often in combination with professional care. Only about 1 in 10 of this high dependency group were being sustained at home by professional care only.“ (OECD 1996, S. 133)

2. Altenpflegepolitik

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Insgesamt erhielten Anfang der 1990er Jahre weniger als 1 % der älteren Menschen Hauskrankenpflege. Andere ambulante häusliche Hilfsdienste wurden von 7 % beansprucht, wobei hier in den 1980er Jahren eine massive Steigerung der Versorgungsquote von 3 % auf 7 % zu verzeichnen war. Oft jedoch handelte es sich nur um wenige Stunden pro Woche (OECD 1996, S. 136 f.). Das heißt, der Großteil der zu Hause gepflegten älteren Menschen wird von nicht professionellen Pflegepersonen versorgt: „Over 60 per cent of the main informal carers were the children (or children-in-law) of the people in need of care, the great majority being daughters or daughters-in-law. Almost 1 in 5 of the main carers were the elderly spouse of the person needing care.“ (OECD 1996, S. 133)

Die Pflege durch weibliche Familienangehörige ist dabei der Regelfall, so dass von einer geschlechtersegregierten Variante des Familialismus gesprochen werden kann. Ähnlich wie im Fall der Kinderbetreuung wird die Angehörigenpflege durch abgeleitete sozialrechtliche Ansprüche für nicht erwerbstätige Ehefrauen indirekt unterstützt. Insofern liegt im Bereich der Altenpflegepolitik seit den 1930er Jahren eine indirekte Form des expliziten Familialismus vor. a) Die Entwicklung der de-familisierenden Strukturen In der unmittelbaren Nachkriegszeit folgte sowohl die stationäre als auch die ambulante Versorgung der Sozialhilfelogik (Joint-Lambert et al. 1997) und war auf ältere Menschen mit geringem eigenen Einkommen bzw. geringen familialen Ressourcen ausgerichtet. „It was assumed that most elderly people needing care would receive it from their families.“ (OECD 1996, S. 131)

Im stationären Bereich ist zwar ein kontinuierlicher Anstieg der Anzahl der Plätze zu verzeichnen: von 102.000 Plätzen im Jahr 1950 auf 675.000 Plätze im Jahr 2002. Somit betrug die Versorgungsquote der Bevölkerung über 75 Jahre im Jahr 2002 15,2 %. Gegenüber dem Jahr 1996 ist sie jedoch um 1,4 Prozentpunkte geringer, was darauf hinweist, dass der Anstieg der Plätze in stationären Ein­ richtungen nicht mit dem Wachstum der Altenpopulation Schritt halten konnte (Bahle 2007, S. 174–177). Gleichzeitig ist seit den 1960er Jahren eine zunehmende Umorientierung der Altenpflegepolitik in Richtung auf flexiblere Pflegedienstleistungen und das Ziel, ältere Menschen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung wohnen zu lassen, erkennbar (OECD 1996). Für haushälterische Dienste konnte ganz in diesem Sinne seit Mitte der 1970er Jahre eine Kostenerstattung im Umfang von 90 % durch die Rentenversicherung oder die Sozialhilfe geltend gemacht werden, sofern bestimmte Einkommensgrenzen und Stunden­ kontingente nicht überschritten wurden (Bode 2004, S. 177). Die Hauskrankenpflege entwickelte sich jedoch erst in den 1980er Jahren. Sie wird zu 100 % von der Krankenversicherung finanziert und dient einer doppelten

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V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 

Zielsetzung: Zum einen sollen die Ausgaben für Pflege eingedämmt und zum anderen die Lebensbedingungen der älteren Menschen verbessert werden. Die ambulante medizinische Betreuung von Pflegebedürftigen erfolgt durch (examinierte) KrankenpflegerInnen „im Rahmen eines durch die Krankenversicherung relativ eng gefassten (rationierten) Versorgungsauftrags“ (Bode 2004, S. 176) und weist regional unterschiedliche Kapazitäten auf. Letzteres gilt für den gesamten Bereich der ambulanten Dienstleistungserbringung, der insgesamt betrachtet – angesichts der Wartelisten für Dienstleistungen – zu geringe Kapazitäten bereitstellt (OECD 1996). Symptomatisch für diese Unterversorgungssituation ist auch die geringe durchschnittliche Intensität der sozialen Dienste: „So hatte sich die Zahl der Klienten der Haushaltshilfedienste von 1981 bis 1991 um rund 50 % erhöht, die Zahl der geleisteten Stunden erhöhte sich aber nur um rund 25 %.“ (Bahle 2007, S. 178)

In den 1990er Jahren setzte eine weitere Etappe des Ausbaus der ambulanten Versorgung ein: Seit 1987 können Personen über 70 Jahre eine Person in ihrem Privathaushalt beschäftigen, ohne dass für diese Beschäftigten Sozialabgaben bezahlt werden müssen. 1992 wurde zudem der „crédit d’impôt emplois familiaux“ eingeführt, eine Steuererleichterung für die Kosten einer/s Hausangestellten, die wie in der Kinderbetreuung auch für die Altenpflege in Anspruch genommen werden kann. Ursprünglich konnte diese Steuererleichterung maximal 13.000 F betragen, 1995 wurde sie auf 45.000 F erhöht, 1997 auf 22.500 F halbiert (Barrère-Maurisson et al. 2001, S. 58 f.). Die Versorgung mit ambulanten Diensten wird somit nicht mehr nur für die ärmsten der pflegebedürftigen Alten subventioniert, sondern auch für diejenigen unter den älteren Menschen, die sich eine/n Hausangestellte/n leisten können. „Die Neuregelungen ließen die Zahl der – meist unqualifizierten – privaten Haushalts­ hilfen sprunghaft anwachsen. Zudem entstanden – teilweise mit öffentlicher Anschub­ finanzierung – gewerbliche Unternehmen, die haushälterische Dienstleistungen für wohlhabendere Klienten anboten.“ (Bode 2004, S. 177)

Dieser Ausbau der ambulanten Versorgung durch private Pflegekräfte war – ähnlich wie in der Kinderbetreuungspolitik – eindeutig beschäftigungspolitisch ­motiviert: „Cette évolution traduit la place croissante accordée aux préoccupations d’emploi, les services d’aide aux personnes âgées étant envisagés comme un secteur potentiellement créateur de nouveaux emplois.“ (Joint-Lambert et al. 1997, S. 493)

Damit wurde ein de-familisierender Effekt für diejenigen Familien erreicht, deren pflegebedürftige Angehörige sich den Zukauf von privater Hilfeleistung nun leisten können. Geht man von der relativ geringen Nutzung der Subventionierung von Hausangestellten im Bereich der Kinderbetreuung aus, so lässt sich vermuten, dass auch im Bereich der Altenpflege – trotz der gestiegenen Einkommen von RentnerInnen (vgl. Joint-Lambert et al. 1997) – der Gesamteffekt relativ gering bleibt.

2. Altenpflegepolitik

153

b) Die Entwicklung familisierender Strukturen Weitreichendere Effekte auf die Arrangements der Altenpflege sind jedoch von der Entwicklung der familisierenden Maßnahmen im Pflegebereich zu erwarten. Bereits 1975 wurde – im Rahmen der Behindertenpolitik – die so genannte „allocation compensatrice pour tierce personne“ (ACTP) eingeführt. Es handelte sich dabei um eine Sozialhilfeleistung, die auch für Pflegebedürftige über 65 Jahre verfügbar war, die die Bedürftigkeits- und Bedarfskriterien erfüllten. Das heißt, die pflegebedürftigen älteren Menschen mussten zum einen einkommensarm sein und zum anderen zu mindestens 80 % behindert sein und nachweisen, dass sie bei den grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens die Hilfe einer „dritten Person“ benötigten. Mit Hilfe der ACTP sollte sodann die Hilfeleistung durch eben diese „dritte Person“ bezahlt werden (OECD 1996, S. 134 f.), wobei es sich dabei auch um pflegende Angehörige handeln konnte. 2012 beträgt die ACTP, die seit Einführung des Pflegegelds 1997 (siehe unten) nur noch an jüngere behinderte Personen ausbezahlt wird, in Abhängigkeit des Ausmaßes der Hilfs- und Pflegebedürftigkeit zwischen 424 € und 848 € pro Monat. Der Höchstbetrag kommt im Fall der Pflege durch Angehörige jedoch nur dann zur Auszahlung, wenn die familiale Pflegeperson durch die Ausübung der Pflege an einer eigenen Erwerbstätigkeit gehindert wird (vosdroits.service-public.fr). Anfang der 1990er Jahre begann in Frankreich schließlich die Debatte um die Einführung eines separaten Pflegegeldes für ältere pflegebedürftige Menschen. Angestoßen wurde diese zunächst 1991 durch zwei Expertisen: den Boulard-Bericht und den Schopflin-Bericht. Beide empfahlen die Einführung eines einkommensgeprüften Pflegegelds, das die ACTP ausweiten bzw. ersetzen sollte. Dies geschah natürlich vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und ihrer Folgekosten für die öffentliche Hand: „… the steadily increasing costs to social assistance budgets of the compensatory allowance also became an issue of concern to local governments.“ (OECD 1996, S. 138)

Ein Gesetzesentwurf zur Einführung eines Pflegegelds wurde bereits 1992 von der ersten Kammer beschlossen, aber von der zweiten Kammer „on the grounds of the additional costs to general taxes at a time of budgetary difficulties“ (ebd., S. 139) abgelehnt. Der „schwarze Peter“ der Finanzierung eines zunehmenden Bedarfs an Pflegedienstleistungen konnte somit auch in Frankreich zunächst nicht von der lokalen auf die nationale Ebene abgegeben werden. Während des Präsidentschaftswahlkampfs 1995 schließlich versprach Jacques Chirac eine „prestation autonomie“ für pflegebedürftige ältere Menschen. Diese wurde nach dem Wahlkampf jedoch aus finanziellen Erwägungen auf unbestimmte Zeit verschoben und stattdessen wurde eine begrenztere Variante des Pflegegelds eingeführt (Holdenrieder 2003, S. 109). Zunächst kam es 1995 in zwölf Départements zur versuchsweisen Einführung eines Pflegegeldes, der „prestation expérimentale dépendence“ (PED); versuchsweise aus dem Grund,

154

V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 

weil die möglichen Folgen und Kosten eines Pflegegelds nicht abschätzbar waren und zunächst in kleinerem Rahmen als Experiment eruiert werden sollten. 1997 schließlich kam es zur Einführung der „prestation spécifique dépendance“ (PSD), die die PED ablöste und im Wesentlichen auf die nationale Ebene übertrug. Es fällt auf, dass auch die Einführung der PED/PSD – wie schon die Subventionierung von privaten Hausangestellten – als eine Möglichkeit zur Schaffung von Beschäftigung verstanden wurde: 1995 ging die Regierung davon aus, dass das Pflegegeld 50.000 bis 60.000 neue Jobs schaffen könnte (OECD 1996, S. 140). Anspruch auf die PSD hatten Personen über 60 Jahre, die als pflegebedürftig im Sinne der Stufen I-III eingestuft wurden. Der Grad der Pflegebedürftigkeit wurde durch eine medizinisch-soziale Expertengruppe festgestellt, die sich an einem sechsstufigen Schema (AGGIR-Schema) orientierte. Im Wesentlichen wurden dabei die Aktivitäten des täglichen Lebens abgefragt: Tabelle 15 Überblick über die sechs Pflegestufen Stufe VI

keine Hilfebedürftigkeit

Stufe V

selektive Hilfebedürftigkeit bei bestimmten Aktivitäten wie Waschen, Kochen und Haushaltstätigkeiten

Stufe IV

keine Mobilitätseinschränkung aber Hilfebedürftigkeit beim Waschen, Anziehen, Essen

Stufe III

leichte Pflegebedürftigkeit durch Mobilitätseinschränkungen und Inkontinenz

Stufe II

schwere Pflegebedürftigkeit durch Bettlägerigkeit oder mentale Einschrän­ kungen

Stufe I

Rund-um-die-Uhr Pflege

Quelle: Eigene Darstellung.

Die PSD wurde hauptsächlich durch Steuern und auch durch Sozialabgaben finanziert. Aus diesem Grund handelte es sich wie bei der ACTP um eine ein­ kommensgeprüfte Leistung. Die Einkommensgrenzen betrugen 1.597 € netto für Alleinstehende (inklusive der PSD) und 2.207 € für Paare (bzw. 2.890 € für Paare, in denen beide Partner eine PSD bezogen). Das Nettoeinkommen konnte sodann durch die PSD auf den angegebenen Maximalbetrag aufgestockt werden. Wer von vorne herein ein höheres Nettoeinkommen hatte, bekam keine PSD (Holdenrieder 2003). Die Höhe der PSD war nicht genau festgelegt, sie variierte nach Einkommen, Pflegestufe und Kosten der Pflegedienstleistung. Es gab lediglich einen maximalen Richtwert von 717 € pro Monat.

2. Altenpflegepolitik

155

„However, there neither exist nationwide recommendations regarding the amount of payments for the individual degrees of disability nor are there guidelines for tariffs (per hour) to be paid for the provision of care as well as no national regulations for the maximum number of hours to be granted.“ (Holdenrieder 2003, S. 119 f.)

Dies führte zu starken regionalen Unterschieden in der Leistungshöhe. Im Durchschnitt betrug die PSD im ersten Quartal 2001 518 € pro Monat. Vergleichsweise stark reguliert war jedoch die Verwendung der PSD durch die Pflegebedürftigen: 90 % der PSD musste als Gehalt an eine Pflegeperson gezahlt werden, die entweder direkt von der pflegebedürftigen Person beschäftigt werden konnte oder über eine Dienstleistungsorganisation von der pflegebedürftigen Person bezahlt wurde. Der Restbetrag konnte für andere pflegebezogene Ausgaben verwendet werden. Interessant ist dabei, dass die PSD auch zur Bezahlung von pflegenden Angehörigen verwendet werden konnte, ausgenommen davon waren allerdings Ehe- bzw. Lebenspartner: „… the complete exclusion of the spouse or partner from ‚PSD‘ provision is based on the notion of the family’s moral maintenance obligation, …, namely, that the spouse or partner is considered obliged to provide maintenance without any payment.“ (Holdenrieder 2003, S. 136 f.)

Die PSD unterstützte somit Angehörige nur selektiv in ihrem Recht zu pflegen: zum einen konnten – wie schon bei der ACTP – nur Angehörige von einkommensschwachen Pflegebedürftigen von der staatlichen Transferleistung profitieren, zum anderen war nun ein beträchtlicher Teil der pflegenden Angehörigen, nämlich die pflegenden PartnerInnen, von vorne herein ausgeschlossen. An dieser Regelung änderte sich auch mit der Reform der PSD nichts. 2002 kam es zur Einführung der „allocation personnalisée d’autonomie“ (APA), die im Wesentlichen eine Vereinheitlichung der öffentlichen Finanzierung von haushälterischen Dienstleistungen und die Grundpflege ergänzenden Hilfestellungen darstellt (Bode 2004). Konkret wurden die (Stunden-)Tarife für Pflegedienstleistungen national vereinheitlicht und die Maximalbeträge nach Pflegestufen differenziert. So gibt es nunmehr vier Maximalbeträge (2012): –– Pflegestufe I: 1.262 €; –– Pflegestufe II: 1.081 €; –– Pflegestufe III: 811 €; –– Pflegestufe IV: 541 €. Pflegebedürftige der Stufe IV sind jetzt auch anspruchsberechtigt, so dass die Anzahl der PflegegeldempfängerInnen wesentlich ausgeweitet wurde. Dies auch deshalb, weil die Einkommensgrenzen angehoben wurden: Wer ein Einkommen unter 710 € pro Monat hat, bekommt die APA zu 100 %. Bei einem höheren monatlichen Einkommen haben die Pflegebedürftigen einen Selbstbehalt zu tragen, der linear von 0 % auf 90 % ansteigt (vosdroits.service-public.fr).

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V. Frankreich: Optionaler Familialismus als Politikerbe 

Ende Juni 2006 wurden 59 % der Pflegebedürftigen, die einen Anspruch auf APA hatten, zu Hause gepflegt. 56 % von ihnen waren in der Pflegestufe IV und erhielten ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 341 €, 22 % erhielten 544 € in der Stufe III, 19 % 724 € in der Stufe II und 3 % 912 € in der Stufe I (Perben 2006). Das tatsächlich ausbezahlte Pflegegeld entspricht damit zwischen 68 % und 78 % der national einheitlichen Maximalbeträge und reicht in den meisten Fällen nicht aus, um den Pflegebedarf durch professionelle Pflegedienste zu decken: 25 % der zu Hause gepflegten APA-BezieherInnen erhalten ausschließlich professionelle Pflege, 68 % werden sowohl von Professionellen als auch von Familienmitgliedern gepflegt, und 7 % sind ausschließlich auf ihre Angehörigen angewiesen (Petite/Weber 2006). Insofern spiegelt sich die Ausweitung des Pflegegelds auch in einer Zunahme der Arbeitszeiten der professionellen HelferInnen, nicht aber in einem umfangreicheren Zuwachs an Arbeitsplätzen (Rivard 2006). Von einer tatsächlichen Wahlfreiheit zwischen familialer und professioneller Pflege kann somit auch nach Einführung der APA nicht die Rede sein. Die französische Diskussion zur Pflegebedürftigkeit und ihrer Absicherung hat sich hauptsächlich auf Leistungen für die pflegebedürftigen Personen kon­zentriert und die Perspektive der pflegenden Angehörigen weitgehend aus­ geschlossen (Holdenrieder 2003, S. 137). Das von der ACTP und der PSD zur Verfügung gestellte maximale Leistungsniveau konnte die eigenständige Existenz von pflegenden Angehörigen nicht gewährleisten, so dass diese in jedem Fall von zusätzlichem Erwerbseinkommen oder bei erheblicher Pflegebedürftigkeit der zu pflegenden Person von einem Partnereinkommen oder Sozialhilfe abhängig waren. Die APA kann nur bei Pflegestufe I und II einen Betrag erreichen, der als existenzsichernd für pflegende Angehörige bezeichnet werden kann. Es bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass zum einen nur wenige Pflegebedürftige den Maximalbetrag erhalten (s. o.) und zum anderen insgesamt nur 8 % der pflegenden Angehörigen das Pflegegeld als Anerkennung ihrer Pflegeleistung ausbezahlt bekommen. 41 % der pflegenden Angehörigen sind demnach auch erwerbstätig, während nur 16 % zwar im erwerbsfähigen Alter aber nicht erwerbstätig sind (Petite/ Weber 2006). Seit 2007 besteht für erwerbstätige pflegende Angehörige, die mindestens zwei Jahre bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren, die Möglichkeit, eine un­ bezahlte Freistellung von drei bis maximal zwölf Monaten im Sinne einer Sterbebegleitung in Anspruch zu nehmen („congé de soutien familial“). Während dieser Zeit kann eine beitragsfreie Rentenversicherung gewährt werden, wenn das Haushaltseinkommen niedrig ist. Nach Ende der Beurlaubung hat der/die ArbeitnehmerIn das Recht, auf den alten oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz zurückzukehren (vosdroits.service-public.fr). Dies ist die erste Maßnahme in der Altenpflegepolitik, die direkt auf pflegende Angehörige ausgerichtet ist. Sie wurde auf Vorschlag der nationalen Familienkonferenz gegen den Widerstand der Arbeit­ geberverbände durchgesetzt.

2. Altenpflegepolitik

157

Frankreich hat sich mit der Einführung von familisierenden Maßnahmen im Bereich der Altenpflege seit Mitte der 1970er Jahre vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus entwickelt. Bemerkenswert ist dabei die schichtspezifische Differenzierung der de-familisierenden wie der familisierenden Maßnahmen, wobei insbesondere die Tradition der Unterstützung von Niedrigeinkommensgruppen hervorzuheben ist. Insofern ist die französische Altenpflegepolitik bis heute eine Armutspolitik geblieben, was einen entscheidenden Unterschied zur Kinderbetreuungspolitik markiert. Als zentrale Triebkräfte der Entwicklung können zum einen die Alterung der Gesellschaft und ihre finanzpolitischen Folgen und zum anderen die arbeitsmarktpolitische Absicht der Schaffung von Arbeitsplätzen im Pflegebereich herausgestellt werden.

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt1 1. Kinderbetreuungspolitik: Vom De-Familialismus zum optionalen Familialismus Belgien hat sich im Bereich der Kinderbetreuungspolitik seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunächst vom impliziten zu einer frühen Form des optionalen Familialismus entwickelt, dessen de-familisierende Strukturen nicht mit einem Anstieg der Müttererwerbstätigkeit verknüpft waren und der nur indirekte familisierende Strukturen aufwies. Der frühe optionale Familialismus wirkte damit analog zu einem indirekten expliziten Familialismus. Erst in den 1970er Jahren kann man von einem gelebten optionalen Familialismus sprechen: Die de-familisierenden Strukturen wurden zunehmend für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt und auch für die unter Dreijährigen ausgebaut. Seit Mitte der 1980er Jahre entstanden schließlich im Kontext der Arbeitsmarktpolitik direkte fami­ lialistische Strukturen, die dem heutigen optionalen Familialismus seinen letzten Schliff gaben. a) Vom impliziten zum frühen optionalen Familialismus Bereits im 19. Jahrhundert wurden in Belgien Betreuungseinrichtungen für Kinder zwischen drei und sechs Jahren geschaffen. Diese „berceaux publics“ – oder „écoles gardiennes“, wie sie ab 1880 hießen, – wurden seit 1842 öffentlich subventioniert. Sie galten als Notlösung für die Betreuung von Kindern, deren Mutter arbeiten musste, und zielten darauf, den Kindern eine moralische und religiöse Erziehung angedeihen zu lassen und ihnen Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln: „Für Arbeiterkinder war dies vor der gesetzlichen Beschränkung der Kinderarbeit im Jahre 1889 und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Jahre 1914 häufig die einzige Gelegenheit, eine gewisse Elementarbildung zu erlangen.“ (Fix 2001, S. 59)

Insofern handelte es sich von Anfang an nicht nur um Betreuungs- sondern vor allem um Bildungseinrichtungen. Der frühe Auf- und Ausbau der „écoles gardiennes“ war durch einen permanenten Kampf zwischen dem Staat und der katholischen Kirche charakterisiert. Von 1878 bis 1884 kam es zum so genannten 1 Eine gekürzte Fassung dieses Kapitels wurde als Aufsatz in der Zeitschrift „Acta Politica“ (Leitner 2005a) publiziert.

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1. Kinderbetreuungspolitik

„Schulstreit“: Der Staat weigerte sich, katholische Vorschulen weiterhin zu subventionieren, ohne Einfluss auf deren inhaltliche Arbeit nehmen zu können. Erst als 1884 die Katholiken die Mehrheit im Parlament stellten, kam es zur Institutionalisierung eines Dualismus von öffentlich und privat angebotener Kinderbetreuung.2 Daraus entwickelte sich ein Wettbewerb zwischen der Kirche und den Liberalen bzw. später den Sozialisten, der zum raschen Ausbau der Vorschulen führte: „Preschool education was the very first point in the individual’s life-cycle at which both the Church and anti-clerical forces could directly intervene to attach those individuals to the movement.“ (Willekens 2008, i. E.)

1954 flammte der Vorschul-Konflikt unter der liberal-sozialistischen Regierung erneut auf und wurde 1958 von der katholisch-sozialistischen Minderheitsregierung dadurch gelöst, dass die Subventionierung sowohl von öffentlichen wie auch von privaten Vorschulen institutionalisiert wurde (vgl. Fix 2001). Im 20. Jahrhundert wurden die „écoles gardiennes“ in „écoles maternelles“ umbenannt und verbreiterten ihre erzieherische Ausrichtung in Richtung Persönlichkeitsbildung (Fix 2000, S. 308). Um die Jahrhundertwende besuchte die Hälfte aller Kinder zwischen zweieinhalb und fünf Jahren diese Vorschulen. Während des Zweiten Weltkriegs erhöhte sich die Zahl auf zwei Drittel aller Kinder in dieser Altersgruppe (vgl. Bahle et al. 2002), und in der Nachkriegszeit folgte ein kontinuierlicher Anstieg bis zur 100 %-Marke im Jahr 1970 (vgl. Tabelle 16). Somit kann festgehalten werden: Belgien hat im beschriebenen Zeitraum das Stadium eines impliziten Familialismus, in dem weder familialistische noch de-familialisierende Strukturen vorzufinden sind, in Richtung De-Familialismus verlassen. Tabelle 16 Die Entwicklung institutioneller Kinderbetreuung für Kinder im Vorschulalter Kinder in Betreuungseinrichtungen

1961

1970

1981

1990

Absolut (in 1.000)

414

459

385

372

102,6

106,7

106,4

% aller 3–5-Jährigen*

91,8

* Die Zahlen können über 100 % liegen, da einige Kinder unter drei Jahren Vorschulen besuchen. Quelle: Bahle et al. 2002, S. 40.

Aber der Ausbau der subventionierten Kinderbetreuung führte nicht – wie vielleicht aus heutiger Sicht geschlossen werden könnte – zu einem Anstieg der Frauenerwerbsquote; im Gegenteil. Die weibliche Erwerbsquote ging zwischen 1850 und 1960 kontinuierlich zurück: 2 Im Unterschied zu Frankreich ging in Belgien die Kirche also als Siegerin aus dem „Schulstreit“ hervor.

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VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

„In the middle of the 19th century, one out of every three women between 15 and 64 years old is part of the ‚housewife labour reservoir‘. One century later, a majority of women belong to this category.“ (Vanhaute 2002, S. 64; vgl. auch Tabelle 3)

Dies lässt auf einen „Rückzug“ der Frauen in die Familie schließen. Sogar noch im Jahr 1970, als in Deutschland, Frankreich und Österreich bereits das Drei-PhasenModell der weiblichen Erwerbskarriere dominierte, verließen belgische Frauen den Arbeitsmarkt nach der Geburt ihres ersten Kindes, ohne danach in den Beruf zurück zu kehren: „Les taux d’activité féminine sont au maximum autour de 25–29 ans, pour retomber ­au-delà.“ (Degimbe/Simon 1991, S. 15)

Diese Zahlen zeigen, dass die potentiellen strukturellen Möglichkeiten, die durch die institutionelle Kinderbetreuungsinfrastruktur gegeben waren, von den bel­ gischen Frauen nicht genutzt wurden. Die belgische Entwicklung zum De-Fami­ lialismus führte somit nicht zu mehr Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt, d. h. wir haben es mit einer geschlechtsspezifischen Variante von De-Familialismus zu tun, die durch eine Divergenz von strukturellen Optionen und sozialer Praxis gekennzeichnet ist. Letztere weist Belgien auf der kulturellen Ebene als im­ plizit familialistisch aus. Drei Faktoren können diese Entwicklung von einem impliziten Familialismus zu einem geschlechtsspezifischen De-Familialismus (bzw. kulturell impliziten Familialismus) erklären: (1) Der Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur wurde durch den Konflikt zwischen katholischer Kirche und antiklerikaler Bewegung und mit der Zielsetzung, die Kontrolle über das Erziehungs- bzw. Bildungssystem auszuüben, vorangetrieben, (2) der kulturelle Kontext begünstigte ein traditionelles Familienmodell, und (3) die Sozialpolitik unterstützte und ermöglichte das männliche Ernährer- bzw. weibliche Hausfrauenmodell: (1) Das Motiv für den Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung bestand nicht darin, die Arbeitsmarktpartizipation von Müttern durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, sondern die Kontrolle über die (Charakter-)Bildung belgischer Kinder zu erlangen. Die Spaltung zwischen der katholischen Kirche und den antiklerikalen Kräften, die auf einen starken Staat-Kirche-Konflikt während des Nationsbildungsprozesses zurückgeht3, führte zur Ausbildung einer katholischen Subkultur von intermediären Organisationen im Bereich der Familienpolitik und insbesondere der Bildungspoli 3 Unter der Herrschaft der Habsburger wurde der Katholizismus im heutigen Staats­gebiet Belgiens zur Staatsreligion erklärt. Die Säkularisierungspolitik Joseph II jedoch brachte im 18. Jahrhundert katholische Gruppen in Opposition. Als Frankreich 1795 Belgien annektierte, kam es sogar noch zu einer Verstärkung der Säkularisierungsbemühungen. Gleichzeitig führte die Industrialisierung von Wallonien zunehmend zu einer antiklerikalen Stimmung in der Bevölkerung. Als Belgien 1830 seine Unabhängigkeit erlangte, war dieser Konflikt zwischen Katholiken und Antiklerikalen Teil seines historischen Erbes geworden (Fix 2000, S.  313 f.).

1. Kinderbetreuungspolitik

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tik. Die Kirche hatte großes Interesse daran, dass nicht nur staatliche Kinderbetreuung gefördert wurde, und wehrte sich vehement gegen die Vorstellung eines „neutralen“ Bildungssystems, das von den Liberalen und den Sozialisten propagiert wurde. Es ging der Kirche beim Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung darum, dass Kinder schon in frühen Jahren die „richtige“ Bildung erhielten und somit der Fortbestand des Katholizismus gesichert werde. Die reale Bedeutung der katholischen Kirche in der Kinderbetreuung zeigt sich an dem hohen Anteil katholischer Träger von Vorschulen: Im Jahr 1857 waren 57,4 % aller Einrichtungen katholisch, und heute noch liegt der Anteil bei 50 % (vgl. Fix 2001). (2) Abgesehen davon, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen zum Teil eine ökonomische Notwendigkeit für Familien darstellt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die von de-familialisierenden Maßnahmen eröffneten Optionen hinsichtlich der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen nur genutzt werden, wenn Frauenerwerbstätigkeit – und insbesondere: die Erwerbstätigkeit von Müttern – kulturell erwünscht ist. Es scheint jedoch, dass der kulturelle Kontext in Belgien während des beschriebenen Zeitraums stark auf ein traditionelles Familienmodell mit männlichem Ernährer und nicht erwerbstätiger Hausfrau zugeschnitten war. So wurde z. B. im Gefolge der Arbeiteraufstände von 1886 auf die Einschränkung der Frauenerwerbstätigkeit gedrängt, um den Arbeitern ihre Vormachtstellung in der Familie zu sichern: „Le discours dominant de l’époque nourrit ainsi de différentes façons la fibre patriarcale, ouvrant la voie à l’idéologie de la femme au foyer et encourageant les ouvriers à exercer leur autorité paternelle.“ (Degavre et al. 2002, S. 9)

Die kulturelle Norm der nicht erwerbstätigen Hausfrau und Mutter zeigte sich beispielsweise auch im Nicht-Vorhandensein von institutioneller Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Deren Betreuung galt bis zu Beginn der 1970er Jahre vorwiegend als private Angelegenheit der Familie. Zwar leisteten philantrophe und wohltätige Organisationen institutionelle Betreuung für Kinder unter drei Jahren, aber nur in sozialen Notfällen. So sollte die Kindersterblichkeit verringert (Dubois et al. 1994, S. 6) und die moralische wie intellektuelle Erziehung von Kleinkindern der Arbeiterklasse gewährleistet werden, deren Mütter aus ökonomischen Gründen gezwungen waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (Fix 2001, S. 61). Die erste „crèche“ wurde 1845 eingerichtet; 1883 gab es bereits 24 Kinderkrippen in ganz Belgien. Ihre Anzahl stieg auf 50 im Jahr 1910 und weiter auf 63 im Jahr 1939. Danach stagnierte die Entwicklung bei 62 im Jahr 1944. „Au cours de cette période, les crèches sont considérées comme un mal rendu nécessaire pour des raisons sociales, mais destinées à disparaître en même temps que le travail des mères.“ (Dubois et al. 1994, S. 8)

Es zeigt sich ganz klar, dass die Erwerbstätigkeit von Müttern unerwünscht war. Mehr noch: Erwerbstätige Mütter wurden als „Sozialfälle“ eingestuft und über-

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VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

wiegend als allein Erziehende und Mütter mit außerehelichen Kindern wahrgenommen, die nicht auf einen männlichen Ernährer zurückgreifen können. Bestenfalls wurde die Erwerbstätigkeit von Müttern als notwendiges Übel zur Vermeidung von Armut toleriert. Die Bereitstellung von Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen galt aus dieser Perspektive als Hilfe zur Selbsthilfe für von Armut bedrohte Familien. Ein weiteres Beispiel für die historische Realität der kulturellen Norm der Hausfrau und Mutter stellte die so genannte „allocation de la mère au foyer“ dar, ein niedriger Pauschaltransfer, der 1949 eingeführt wurde. Bis zu seiner Abschaffung im Jahr 1957 konnten alle nicht erwerbstätigen Mütter eine Geldleistung erhalten, deren Höhe nach Anzahl der Kinder im Haushalt pauschaliert war (Marques-Pereira/Paye 1998, S. 110 f.). (3) Diese kulturelle Präferenz für die „Mutter am heimischen Herd“ konnte nur deshalb zur dominanten sozialen Praxis werden, weil aufgrund sozialpolitischer Maßnahmen die finanzielle Notwendigkeit für die Erwerbstätigkeit von Müttern immer stärker zurückging. Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einem enormen Anstieg der nicht lohnbezogenen Einkommensanteile: „Before the interwar period, extra income via the earnings of wife and children was necessary. The retreat of young and female workers from the formal labour market was only possible after a massive public subsidising of the family budget (or the male wage) through a range of allowances (…) and tax benefits.“ (Vanhaute 2002, S. 67)

Das männliche Ernährermodell wurde vor allem durch folgende Sozialleis­ tungen ermöglicht: durch Witwenrenten (eingeführt 1903 in der Unfallversicherung, 1924/25 in der Rentenversicherung und 1927 in der Versicherung gegen Berufskrankheiten), die Mitversicherung von Familienangehörigen in der Krankenversicherung (auf breiter Basis 1920 eingeführt4), Familienzuschläge für den Ernährer in der Invaliditäts-, der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung (eingeführt 1903, 1944 und 1924/25) sowie durch das System der Familienbeihilfen (eingeführt 19305). Diese „versteckten“ familialistischen Maßnah-

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Ursprünglich war das freiwillige Krankenversicherungssystem der Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit („mutualités“) auf individueller Basis organisiert, während die von Arbeitgebern organisierten Krankenversicherungen schon immer dazu tendierten, Familienmitglieder mitzuversichern. Erst im Jahr 1920 wurde die Familienversicherung für verheiratete Paare gesetzlich eingeführt. „Cette transformation accompagne un puissant courant nataliste qui se manifeste depuis la guerre. Celui-ci fait appel à une valorisation de la famille nombreuse et du modèle familial le plus traditionnel, voire le plus bourgeois.“ (PeemansPoullet 1994, S. 38; siehe auch Peemans-Poullet 1995 und 1997, S. 114–119) Diese natalistische und geschlechtertraditionale Intention fand ihre Fortsetzung mit der Einführung der Pflichtversicherung gegen Krankheit im Jahr 1944. 5 Die eigentliche Motivation der Arbeitgeber für die Einführung von Familienbeihilfen war, generelle Lohnerhöhungen zu umgehen. Es war für sie günstiger, die Familienernährer zu unterstützen als den Forderungen nach einer allgemeinen Lohnerhöhung nachzugeben (Peemans-Poullet 1994, S. 49).

1. Kinderbetreuungspolitik

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men, die – zwar nur indirekt, aber doch – auf die Unterstützung der familialen Pflege- und Betreuungsfunktion zielen, zeigen auch eine neue Entwicklungsstufe des belgischen Familialismus an. Seit den 1920er Jahren kann Belgien somit nicht mehr als strukturell de-familialistisch klassifiziert werden, sondern repräsentiert eine Variante des optionalen Familialismus, da sowohl Kinderbetreuungseinrichtungen als auch wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen für familiale Kinderbetreuung vorhanden waren. Genauer gesagt, handelte es sich auf der strukturellen Ebene um eine geschlechtsspezifische Variante des optionalen Familialismus und auf der Ebene der sozialen Praxis um eine geschlechtsspezifische Variante des indirekten expliziten Familialismus: Zum einen war das männliche Ernährermodell kulturelle Realität, da die Frauenerwerbstätigkeit gering ausgeprägt war. Zum anderen kam es durch die explizit geschlechtsspezifisch diskriminierende Formulierung der frühen fami­ lialistischen Sozialleistungen zu einer Fortschreibung der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: –– Bis 1984 waren nur Witwen berechtigt, eine Hinterbliebenenrente nach dem Tod ihres Partners zu beziehen, und nur verheiratete Männer konnten einen Rentenzuschlag für ihre Ehefrau beantragen (Vielle 2001, S. 255, 232). –– In der Invaliditätsversicherung war die Höhe der Leistungen bis 1951 pauschaliert und differierte nach Geschlecht, Familienstand und Anzahl der Kinder. Danach wurden die Leistungen prozentual zum vorangegangenen Einkommen berechnet. Bis 1986 war die Lohnersatzrate für Haushaltsvorstände, die zumeist männlich waren, höher als für Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen (­Wattier 1988, S. 179 f.). –– Nach demselben Prinzip war die Leistungshöhe in der Arbeitslosenversicherung bis 1971 pauschaliert und unterschied sich nach Alter, Geschlecht und teilweise nach familienbezogenen Gesichtspunkten. Danach wurden die Leistungen als Lohnersatzraten berechnet. Diese wurden bis 1986 für Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen – in der Regel handelte es sich dabei um verheiratete Frauen – nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gekürzt (Bahle et al. 2002, S. 70). Diese frühe Variante des belgischen optionalen Familialismus entwickelte sich seit den 1970er Jahren in zweierlei Hinsicht: Einerseits kam es im Bereich der de-familialisierenden Strukturen zunehmend zu einem Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung für unter Dreijährige, und die Betreuungsinfrastruktur wurde zunehmend im Sinne einer Vereinbarkeitspolitik genutzt. Der andere Zweig des optionalen Familialismus, die familialistischen Strukturen, erlebte andererseits eine geschlechtsneutrale Reformulierung im Bereich der abgeleiteten sozialen Rechte sowie die Einführung einer Beurlaubungspolitik, die die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kinderbetreuung ermöglicht.

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VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

b) Der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung für unter Dreijährige Während die Betreuungsinfrastruktur für Kinder im Vorschulalter bereits in den 1970er Jahren als flächendeckend bezeichnet werden konnte (vgl. Tabelle 16) und heute als „easily available, convenient, open during the whole working day, and free of charge except for meals and extra services“ (Bahle et al. 2002, S. 39) beschrieben wird, begann der Ausbau der subventionierten institutionellen Betreuung von jüngeren Kindern erst Anfang der 1970er Jahre. Noch gegen Ende der 1960er Jahre waren Plätze in Kinderkrippen – zumindest implizit – für Eltern mit geringem Einkommen reserviert: „Child care was subsidized because women had to work to keep the family from poverty; for this reason, the state subsidized the necessary evil of child care, and to a certain extent the stigma remains.“ (Kremer 2002, S. 123)

Aber nachdem der Staat sich einmal in der institutionellen Betreuung der unter Dreijährigen engagiert hatte, konnte er sich aus diesem Verantwortungs­bereich nicht mehr so ohne weiteres zurückziehen. Umso mehr, als seit den frühen 1970er Jahren die Arbeitsmarktpartizipation Teil des Emanzipationsprozesses wie der Emanzipationsforderungen von Frauen wurde und nicht mehr länger als „notwendiges Übel“ in armutsgefährdeten Familien abgetan werden konnte. Um den Ausbau der institutionellen Betreuung für die unter Dreijährigen voranzubringen, wurden mehrere Reformen vorgenommen: Der professionelle Status von Kinderbetreuer/inne/n wurde gesetzlich geregelt, die staatliche Subventionierung wurde ausgedehnt, und einkommensbezogene Elternbeiträge wurden eingeführt. Als Folge davon nahm die Sozialstruktur der Eltern, die Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige nutzten, an Heterogenität zu, und die Zahl der „crèches“ verzehnfachte sich zwischen 1960 und 1985 auf rund 600 (Dubois et al. 1994, S. 12, Abbildung 1). Von Anfang an jedoch konkurrierten die Kinderkrippen mit Tages­ müttern, die Kinderbetreuung bei sich zu Hause anboten, und der Großteil des Zuwachses an subventionierter institutioneller Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen stellt – vor allem seit 1985 – ein Wachstum an Plätzen bei Tagesmüttern dar. Während im Jahr 1985 18.152 Krippenplätze und 13.833 Plätze bei Tagesmüttern zur Verfügung standen, waren es im Jahr 1992 21.244 Krippenplätze und 27.855 Plätze bei Tagesmüttern (Dubois et al. 1994, S. 18, Graphik 3). Dieser Trend hat sich bis heute, insbesondere in Flandern, weiter fortgeschrieben (vgl. Kremer 2002; 2007). Die Gesamtzahl der angebotenen subventionierten Kinderbetreuungsplätze erhöhte sich von 93 pro 1.000 Kinder unter drei Jahren (9,3 %) im Jahr 1985 auf 131 Plätze pro 1.000 Kinder unter drei Jahren (13,1 %) im Jahr 1992. Das ergibt eine relative Zunahme von 40 % in sieben Jahren. Die Deckungsrate von Kindern erwerbstätiger Mütter erhöhte sich von 18,3 % im Jahr 1985 auf 19,2 % im Jahr 1990. Das entspricht einer relativen Zunahme von 5 % (Dubois et al. 1994, S. 17 f., Gra-

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1. Kinderbetreuungspolitik

phik 2). Heute sind für etwa 30 % aller unter 3-Jährigen Betreuungsplätze vorhanden (Bahle et al. 2002, S. 41), die in der Regel ganzjährig und mindestens acht Stunden am Tag geöffnet sind (Vielle 2001, S. 380 f.). In Wallonien waren im Jahr 2000 22,8 % der Kinder von null bis zweieinhalb Jahre in Betreuung, in Flandern lag der entsprechende Wert im Jahr 1998 bei 36 % (Degavre et al. 2002, S. 27). Dieser Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur für unter Dreijährige stärkte die bereits vorhandenen de-familisierenden Strukturen. Anders als zuvor jedoch war das zunehmende Betreuungsangebot mit einem starken Anstieg der Frauen­ erwerbstätigkeit seit den 1960er Jahren verbunden (vgl. Tabelle 17). Tabelle 17 Frauenerwerbsquote* 1960–2000 Jahr

1960

1974

1988

1995

2000

Erwerbsquote

36,4

42,4

51,2

56,1

59,2

* Anteil der weiblichen Arbeitskräfte an der weiblichen Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren. Quelle: OECD 1999: 41, Tabelle 2.8.

Auch die Mütter-Erwerbsquote stieg an: 1985 waren 51 % der Frauen mit einem Kind unter elf Jahren erwerbstätig, 1993 bereits 62 %. In den letzten Jahren hat sich der Anstieg der Mütter-Erwerbsquote abgeflacht: 2003 waren 68 % der Frauen mit einem Kind unter zwölf Jahren erwerbstätig. Meist handelt es sich bei der Mütter-Erwerbstätigkeit um Vollzeit Erwerbsarbeit, wenn auch ein Trend in Richtung Teilzeit feststellbar ist: Waren 1985 nur 14 % der Mütter (mit einem Kind unter elf Jahren) Teilzeit erwerbstätig, so stieg der Anteil bis 2003 auf 27 % (Kremer 2007, S. 99). Die steigende Arbeitsmarktpartizipation von Frauen bzw. Müttern deutet auf eine Übereinstimmung zwischen strukturell vorhandenen Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Kinderbetreuungseinrichtungen und der kulturellen Präferenz für die Erwerbstätigkeit von Frauen hin. Da die Frauenerwerbstätigkeit schneller angestiegen ist als das Angebot an Betreuungsplätzen6, kann sogar ein umgekehrtes temporäres Auseinanderklaffen von Strukturen und kulturellen Präferenzen konstatiert werden. Eine im Auftrag des Ministeriums für Arbeit durchgeführte Studie kam 1988 zu dem Schluss, dass rund 36 % der Kinder von null bis zwei Jahren aufgrund der Erwerbstätigkeit ihrer Eltern auf eine Tagesbetreuung angewiesen waren, aber nur 38 % dieser Kinder professionell betreut wurden (Crombe 1988, S. 79, 91). Aufgrund der unzureichenden Anzahl an Betreuungsplätzen entwickelten sich alternative Arrangements der Kinderbetreuung, 6 Die Unterversorgung im Bereich der institutionellen Kinderbetreuung für unter Drei­ jährige führte 1969 sogar zur Herabsetzung der Altersgrenze für den Besuch von Vorschulen von drei auf zweieinhalb Jahre (vgl. Ernst-Henrion 1971, S. 1141).

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VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

die in erster Linie auf die Betreuung durch Großeltern, aber auch auf die Schwarzarbeit von Tagesmüttern setzten. Die Ausweitung der subventionierten Kinderbetreuung für unter Dreijährige stellt daher seit Mitte der 1980er Jahre eher eine Formalisierung informeller Betreuungsarrangements dar als einen Anstieg der Anzahl außer Haus betreuter Kinder: „… supervised child minders have displaced the caregiving of grandparents and unregulated child minders.“ (Kremer 2002, S. 119)

Auch heute noch sind in Belgien Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren knapp (États Généraux des Familles 2004a, S. 6), wenn auch der Deckungsgrad von rund 30 % im internationalen Vergleich als relativ hoch zu bewerten ist. Mit der Ausweitung der weiblichen Erwerbstätigkeit griff auch ein neuer politischer Akteur in die Kinderbetreuungspolitik ein: Die ONAFTS (Office National des Allocations Familiales pour Travailleurs Salariés) betrieb die Gründung eines Fonds (FESC – Fonds d’équipements et de services collectifs) zur Finanzierung der Kinderbetreuung ihrer (meist weiblichen) Klientel7, was schließlich zur öffentlichen Subventionierung von Tagesmüttern ab 1974 führte.8 Die Einrichtung des FESC drückt auch eine neue Wahrnehmung weiblicher Erwerbstätigkeit aus. Die Subventionierung von Kinderbetreuungseinrichtungen galt nunmehr als „verdiente“ Tauschleistung für die von erwerbstätigen Frauen entrichteten Beiträge zur Sozialversicherung und als ein Instrument zur Erhöhung der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern am Arbeitsmarkt (Dubois et al. 1994, S. 39). Widersprüchlicherweise war aber das Ideal der nicht erwerbstätigen Mutter gesellschaftlich noch immer weit verbreitet. Der 1976 ausgetragene politische Konflikt um die Einführung der so genannten „allocation socio-pédagogique“, eine Art Erziehungsgeld für zu Hause erbrachte Kinderbetreuung, kreiste beispielhaft rund um die konfligierenden Idealvorstellungen über die „richtige“ Rolle für Mütter. Die Sozialisten stimmten gegen das Erziehungsgeld, während die Christlich-Sozialen dafür waren. In der Debatte trafen eine egalitäre und eine modernisierte familialistische Position aufeinander.9 Die Vertreter der egalitären Position wollten, dass der Staat die institutionelle Kinderbetreuung stärkt, um das Ziel der Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Die modernen Familialisten machten sich für das Recht auf Wahlfreiheit stark: Wenn der Staat institutionelle Kinderbetreuung unterstützt – wofür sogar eigens ein neuer Fonds (FESC, s. o.) gegründet worden war –, dann sollte er genauso zu Hause erbrachte Kinderbetreuung subventionieren. Für Marques-Pereira und Paye repräsentiert diese Argumentation ein „modernisiertes familialistisches Modell“: 7

„The expansion of its activities to child care can only be explained by their strong re­lation to the female labour market.“ (Bahle et al. 2002, S. 41) 8 Zu der komplizierten Entstehungsgeschichte dieses Fonds zwischen 1968 und 1974 siehe Marques-Pereira/Paye (1998), S. 115–118 und Dubois et al. (1994), S. 38–39. 9 Für eine detaillierte Analyse der Debatte siehe Marques-Pereira/Paye (1998), S. ­119–124.

1. Kinderbetreuungspolitik

167

„… d’un côté, il admet le droit des femmes de mener une vie (notamment professionnelle) à l’égal des hommes, mais de l’autre, il considère que les femmes désireuses d’endosser certains rôles traditionnels (l’éducation des jeunes enfants, par exemple) ne doivent pas en être dissuadées.“ (Marques-Pereira/Paye 1998, S. 123)

In der Familialismus-Terminologie gesprochen, handelt es sich bei dem modernisierten familialistischen Modell um den optionalen Familialismus. Die Ideologie der Wahlfreiheit, die vom optionalen Familialismus bedient wird, ist nicht nur ein liberales Konzept, sondern auch ein sehr wichtiges politisches Instrument in Verhandlungsdemokratien: „In such an institutional setting, ‚free choice‘ becomes a vital concept. (…) Freedom of choice would be an empty concept if the state did not guarantee choice. Pillarized societies are, therefore, characterized by ‚subsidized freedom‘; the state must have respect for ­people’s choices and enforce pluralism and diversity.“ (Kremer 2002, S. 127 f.)

Im Fall der „allocation socio-pédagogique“ jedoch konnte sich das Konzept der Wahlfreiheit in der zunächst anvisierten Form nicht durchsetzen. Da ein optionaler Familialismus – wegen seiner doppelten Subventionserfordernisse – teurer ist als ein (egalitärer) De-Familialismus – der nur Betreuungseinrichtungen subventioniert – oder ein (traditioneller) expliziter Familialismus – der nur Kinder­betreuung zu Hause subventioniert – hängt die Realisierung eines optionalen Familialismus stark von unterstützenden ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Die beginnende Wirtschaftskrise der frühen 1970er Jahre verhinderte somit die Einführung der „allocation socio-pédagogique“. Damit hat auch in gewisser Weise die im Jahr 1974 getroffene Entscheidung für die Ausweitung der Subventionierung von institutioneller Kinderbetreuung für unter Dreijährige die Einführung der „allocation socio-pédagogique“ im Jahr 1976 verhindert. Der politische Kompromiss zur Gewährung von Wahlfreiheit im Bereich der Kinderbetreuung wurde in der Folge über einen anderen Weg erreicht. Das Ziel der Förderung der nicht erwerbstätigen Mutter erfuhr eine Transformation bzw. Umdeutung und kann in der seit 1974 überproportional gestiegenen Subventionierung von Tagesmüttern wieder entdeckt werden. Zum einen war es kostengünstiger, den Ausbau der Kinderbetreuung über Tagesmütter und nicht über neue Betreuungseinrichtungen voranzutreiben. Zum anderen transportierte die Tagesmutter das politisch propagierte Ideal der „Ersatzmutter“: „According to this model, good care is still best given by a mother, even if it is not the mother of the children. Care is done by a child minder, baby-sitter, or family provider, usually for little pay, and because it is offered in the provider’s home, it most closely resembles home-based care. (…) surrogate mothers, however, are considered to have the same kind of qualities as mothers have – motherly warmth, attention, patience – yet they remain ­surrogate, because it is still better if motherly warmth and attention is given by the real mother.“ (Kremer 2002, S. 130)

Die „Ersatzmutter“ passt gut in die christdemokratische Ideologie, die Selbsthilfe und Betreuungsarrangements im privaten Haushalt der institutionalisierten Hilfe

168

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

vorzieht. Als Normvorstellung übt sie ebenso einen negativen Einfluss auf die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen aus, weil sie das Ideal der nicht erwerbstätigen Mutter stärkt: „The strength of this ideal helps explain why – though the level of state-subsidized child care in Flanders is as high as Sweden’s – the female employment rate falls short. It also explains how it is that a Christian Democratic regime came to invest so heavily in child care.“ (Kremer 2002, S. 137)

Neben dem Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur und dem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit kann also eine anhaltende kulturelle Präferenz für die weibliche Rolle der nicht erwerbstätigen Hausfrau und Mutter konstatiert werden. In gewisser Weise verlangen diese widersprüchlichen Philosophien nach einer alternativen Politik, um Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit besser vereinbaren zu können, wie z. B. Beurlaubungsregelungen, die erwerbstätigen Eltern ermög­ lichen, ihre Erwerbstätigkeit für eine bestimmte Zeitspanne zum Zweck der Kinderbetreuung zu unterbrechen. In Belgien entstanden derartige familialistische Strukturen Mitte der 1980er Jahre.

c) Die Entwicklung der indirekten familialistischen Strukturen Betrachtet man zunächst die indirekten familialistischen Maßnahmen, die den frühen optionalen Familialismus Belgiens prägten, kann eine Entwicklung in Richtung strukturelle Geschlechtsneutralität festgestellt werden: „… the demand for equal rights and the obligation to conform to EC law have led to the reformulation of various provisions in gender-neutral terms …“ (Bahle et al. 2002, S. 72)

Im Jahr 1984 wurden Hinterbliebenenrenten auch für Witwer und Renten­ zuschüsse für Ehepartner auch verheirateten Frauen zugänglich gemacht. 1986 kam es zur geschlechtsneutralen Reformulierung der Berechnung der Lohnersatz­raten in der Invaliditäts- und in der Arbeitslosenversicherung (Vielle 2001, S. 231 f.). Aus einer institutionellen Perspektive betrachtet trugen diese Reformen zur Entwicklung einer geschlechtsneutralen Variante von optionalem Familialismus bei. Berücksichtigt man allerdings die sozialen Effekte der nunmehr geschlechtsneutral ausgestalteten Strukturen, wird deutlich, dass die geschlechtsspezifische Diskriminierung andauert: –– Empirisch betrachtet ist die Hinterbliebenenrente von marginaler Bedeutung für Witwer (Pichault 1988, S. 90), da im Falle eines Anspruchs auf eine eigene und eine Hinterbliebenenrente nur die höhere der beiden Renten – die bei Männern in der Regel die Eigenrente ist – zur Auszahlung kommt bzw. die Kumulation von Rentenansprüchen auf ein Minimum begrenzt ist (Scheiwe 1999, S. 169). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Großteil der Witwen sich dafür entscheidet, von der Eigenrente zugunsten der Witwenrente zurückzutreten:

1. Kinderbetreuungspolitik

169

„Le montant moyen de la pension de survie ‚pure‘ (droit purement dérivé), est plus élevé que le montant moyen de la pension de retraite d’une femme ayant exercé une activité professionnelle et ayant donc acquis, par son travail, des droits directs.“ (Peemans-Poullet 1994, S. 54)

–– In ähnlicher Weise hat der Anspruch auf einen Rentenzuschuss für Ehepartner kaum Bedeutung für verheiratete Frauen: „[O]n vise ici principalement le travailleur dont l’épouse est ou a été au foyer; depuis la Loi de 1984 la mesure est réversible, mais les conditions d’octroi sont telles que peu de travailleuses en bénéficieront, car les hommes au foyer restent l’exception.“ (Pichault 1988, S. 89)

Nur 0,2 % derjenigen, die einen Rentenzuschuss für Ehepartner beziehen, sind Frauen (Vielle 2001, S. 260). Weit davon entfernt, Geschlechtergleichheit herzustellen, bietet der Rentenzuschuss für Ehepartner sogar einen Anreiz für Ehefrauen mit sehr geringen eigenen Rentenansprüchen, auf ihre Eigenrente zugunsten des Rentenzuschusses ihres Ehemannes zu verzichten: „Da nicht nur die Ehe, sondern auch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Partnerin Anspruchsvoraussetzung für den höheren Rentensatz der ‚Ehepaarrente‘ ist, verzichten (…) viele Ehefrauen auf ihre eigenen Rentenansprüche, wenn sie niedriger sind als der 15 %-ige Zuschlag auf die Rente des Ehemannes.“ (Scheiwe 1999, S. 168)

–– In der Invaliditätsversicherung gibt es seit der Reform 1986 drei unterschiedlich hohe Lohnersatzraten: 65 % des vorangegangenen Einkommens erhalten Personen mit Unterhaltsverpflichtungen, 45 % allein lebende Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen und 40 % Personen, die mit mindestens einer anderen Person in einem Haushalt leben, aber keine Unterhaltsverpflichtungen haben. Frauen sind de facto in der letztgenannten Kategorie überrepräsentiert, während Männer am häufigsten in der höchsten Leistungskategorie zu finden sind (vgl. Wattier 1988). –– Der gleichen „geschlechtsneutralen“10 Kategorisierungslogik folgend gibt es auch in der Arbeitslosenversicherung seit 1986 drei unterschiedlich hohe Lohnersatzraten. Während Personen mit Unterhaltsverspflichtungen 60 % ihres vorangegangenen Einkommens erhalten, wird die Lohnersatzrate für allein lebende Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen nach dem ersten Jahr der Arbeits­ losigkeit auf 42 % reduziert. Personen, die mit mindestens einer anderen Person in einem Haushalt leben, aber keine Unterhaltsverpflichtungen haben, erhalten im ersten Jahr des Leistungsbezugs 55 % ihres vorangegangenen Einkommens, für die darauf folgenden drei Monate 35 % und danach nur noch eine 10

Die Europäische Kommission hat in diesem Zusammenhang sogar den Europäischen Gerichtshof angerufen und die belgische Arbeitslosen- und Invaliditätsversicherung als Fälle von indirekter Geschlechterdiskriminierung zur Disposition gestellt. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings im Sinne der belgischen Regierung entschieden, die argumentiert hatte, dass die Kategorisierung der Leistungsempfänger/innen die Berücksichtigung von Mehrkosten aufgrund von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Lebenspartnern ermögliche (Vielle 2001, S. 240): „estimant que le gouvernement belge avait démontré que les réglementations en cause répondaient à un objectif légitime de politique sociale et étaient justifiées par des raisons étrangères à une discrimination fondée sur le sexe“ (Coeurnelle/Ottevaere 1994, S. 881).

170

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

geringe Pauschalleistung. Wieder sind Frauen in der niedrigsten Leistungskategorie überrepräsentiert (Devos 1988, S. 61). „La division en catégories […] a pour effet que les cohabitants, qui sont chômeurs de longue durée, sont suspendus de l’assurance-chômage. Suite à cette mesure, ce sont essentiellement les femmes qui perdent leurs droits individuels dans les autres secteurs de la sécurité sociale, les rendant ainsi financièrement dépendants de leur conjoint.“ (Moestermans 1997, S. 872)

So waren beispielsweise im Jahr 1994 21.000 Langzeitarbeitslose, die ohne Unter­ haltsverpflichtung mit einer anderen Person in einem Haushalt lebten, vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Der Frauenanteil betrug 89 % (Vielle 2001, S. 239). Die formale Gleichstellung der Geschlechter hat somit nicht zu einer Änderung der traditionellen Geschlechtsspezifik des belgischen optionalen Familialismus geführt. Die einzige Gruppe von Frauen, die von den Reformen profitiert hat, sind allein erziehende Mütter, die nun als Personen mit Unterhaltsverpflichtungen klassifiziert werden; zuvor war diese Kategorie der Leistungsempfänger so gut wie ausschließlich für männliche Ernährer reserviert gewesen (Scheiwe 1999, S. 370). d) Die Einführung von direkten familialistischen Strukturen Diese indirekten familialistischen Strukturen wurden schließlich seit Mitte der 1980er Jahre durch direkte familialistische Maßnahmen ergänzt. 1985 wurde eine Beurlaubungsregelung, die sogenannte „interruption de carrière“, eingeführt. Diese ermöglichte Erwerbstätigen, für einen genau definierten Zeitraum ihren Job zu unterbrechen oder ihre Wochenarbeitszeit zu reduzieren (zu den Details der Regelung siehe Tabelle 18). Voraussetzung für den Anspruch auf Beurlaubung bzw. Reduktion der Arbeitszeit war, dass anstelle der beurlaubten Person ein/e Arbeitslosengeldempfänger/ in eingestellt werden musste. Als Anreiz und Kompensation für die Arbeitgeber wurde die eingestellte arbeitslose Person partiell von den Sozialversicherungsbeiträgen befreit. Die beurlaubten Erwerbstätigen hatten Anspruch auf eine Transferleistung, deren Höhe von ihrer vorherigen Wochenarbeitszeit sowie dem Ausmaß der Reduzierung derselben abhing, und sie hatten Anspruch auf eine Fortschreibung ihrer Sozialversicherungsansprüche (mit Ausnahme von Krankengeldansprüchen). Außerdem standen die Beurlaubten während der ersten drei Monate ihrer Rückkehr in den Job unter Kündigungsschutz. Finanziert wurde die Beurlaubung von der Arbeitslosenversicherung. Für öffentlich Bedienstete stellte die Beurlaubungsregelung einen individuell verbürgten sozialen Rechtsanspruch dar. Für Beschäftigte im Privatsektor jedoch war die Zustimmung des Arbeitgebers notwendig, um ihren Anspruch geltend machen zu können. Diese Erfordernis der Zustimmung des Arbeitgebers war ein politisches Zugeständnis an den liberalen Regierungspartner.11 11 Interview mit Michel Hansenne (01/10/2003), dem ehemaligen Minister für Arbeit und Initiator der „interruption de carrière“.

1. Kinderbetreuungspolitik

171

Tabelle 18 Interruption de carrière – Übersicht über die Regelungen Jahr der Einführung

1985

Voraussetzung

Beurlaubte Beschäftigte müssen durch Arbeitslosengeldempfänger/innen ersetzt werden; Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten sind von dieser Regelung ausgenommen; bei Beurlaubungen im Privatsektor muss der Arbeitgeber der Be­ urlaubung zustimmen (nur öffentlich Bedienstete haben einen individuellen Rechtsanspruch auf Beurlaubung).

Kündigungsschutz

Beurlaubte Beschäftigte haben einen dreimonatigen Kündigungsschutz während der ersten drei Monate nach Beendigung ihrer Beurlaubung.

Sozialversicherungsschutz

Der Sozialversicherungsschutz von beurlaubten Beschäftigten bleibt generell aufrecht. In der Rentenversicherung werden die ersten 12 Monate der Beurlaubung angerechnet (die Anrechnung kann auf bis zu 36 Monate ausgedehnt werden, wenn der/ die Beurlaubte ein Kind unter sechs Jahren betreut).

a) „Interruption totale“

Vollzeit-Beurlaubung.

Dauer

Mindestens drei Monate, maximal 12 Monate am Stück; ins­ gesamt 60 Monate im gesamten Erwerbsleben.

Leistung

Für Vollzeit-Beschäftigte: 324 € pro Monat (2002); 355 € pro Monat, wenn die Beurlaubung in den ersten drei Jahren nach der Geburt eines zweiten Kindes genommen wird; 385 € pro Monat, wenn die Beurlaubung in den ersten drei Jahren nach der Geburt eines dritten (oder folgenden) Kindes genommen wird. Für Teilzeit-Beschäftigte: relational reduzierter Betrag in Abhängigkeit ihrer Wochenarbeitszeit (in Relation zu einer Vollzeit-Beschäftigung).

b) „Interruption partielle“

Arbeitszeitreduzierung um 1⁄5, 1⁄4, 1⁄3 oder 1⁄2.

Dauer

Mindestens drei Monate, höchstens 60 Monate (für über 50-Jährige kann die Dauer bis zum Erreichen des Rentenalters ausgedehnt werden).

Leistung

Bei einer Reduktion von Vollzeit auf 50 %: 162 € pro Monat (2002); die Leistung ist höher, wenn die Arbeitszeitreduzierung in Zusammenhang mit einem zweiten (177 €) oder dritten Kind (193 €) genommen wird; die Leistungshöhe variiert nach Ausmaß der Reduzierung der Arbeitszeit und ist höher für über 50-Jährige (diese erhalten 324 € pro Monat für eine Reduktion auf 50 %).

Quelle: Verbrugge 2002c, S. 86–90.

172

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

Seit 1985 ist die Beurlaubungsregelung mehrmals reformiert worden. Ihre Entwicklung kann im Großen und Ganzen als Versuch interpretiert werden, die sozialen Rechtsansprüche der privatwirtschaftlich Beschäftigten zu stärken und eine Erweiterung der Beurlaubungsregelung durch die Fokussierung auf spezielle Pflege- und Betreuungsaufgaben zu erreichen: „Peu à peu cependant et dans le cadre de négociations collectives, les partenaires sociaux vont, par le biais d’accords sectoriels, ériger un droit individuel à l’interruption de carrière dans certains situations spécifiques et notamment pour des raisons familiales.“ (Verbrugge 2002a, S. 2)

Obwohl es sich nicht um eine zielgerichtete, strategisch geplante Weiter­ entwicklung, sondern eher um einen kontinuierlichen sozialen Aushandlungsprozess basierend auf den Erfahrungen mit der und dem Vertrauen in die Be­ urlaubungsregelung gehandelt hat,12 kann man von einer sukzessiven Entwicklung ausgehend von kollektiven Vereinbarungen in einigen Branchen über allgemeine Kollektivverträge und schließlich hin zu nationalen Gesetzen sprechen. Die wichtigsten Reformschritte waren die folgenden: –– 1989: Einführung einer höheren Leistung für Beurlaubungen nach der Geburt eines zweiten Kindes. –– 1990: Einführung einer Kurzbeurlaubung, der so genannten „interruption de carrière reduite“. Es handelt sich dabei um eine Vollzeit-Beurlaubung für drei Monate zum Zweck der Kinderbetreuung im Anschluss an die Mutterschutzfrist. –– 1991: Einführung einer höheren Leistung für Beurlaubungen nach der Geburt eines dritten Kindes. –– 1993: Allgemeiner Kollektivvertrag über das individuell garantierte Recht auf Beurlaubung für mindestens 1 % aller Beschäftigten eines Unternehmens. –– 1990er Jahre: Einführung eines individuell garantierten Rechtsanspruchs auf Sonderbeurlaubungen, die so genannten „congés thématiques“, durch einige sektorale Kollektivvereinbarungen. –– 1994: Gesetz zur Einführung einer Beurlaubung zum Zweck der Sterbebegleitung („congé palliatif“). –– 1997: Gesetz zur Einführung eines individuell garantierten Rechts auf Be­ urlaubung für mindestens 1 % aller Beschäftigten eines Unternehmens. –– 1997: Gesetz zur Einführung eines Elternurlaubs („congé parental“). –– 1998: Gesetz zur Einführung eines Pflegeurlaubs („congé pour l’assistance ou l’octroi de soins à un membre du ménage ou de la famille gravement malade“). 12

Interview mit Michel Hansenne (01/10/2003).

1. Kinderbetreuungspolitik

173

–– 1999: Gesetz zur Einführung eines individuell garantierten Rechts auf Be­ urlaubung für mindestens 3 % aller Beschäftigten eines Unternehmens. –– 2001: Allgemeiner Kollektivvertrag über „crédit-temps“, die Neuregelung der Beurlaubungspolitik, die einen individuell garantierten Rechtsanspruch auf Beurlaubung für alle privatwirtschaftlich Beschäftigten einführt. Obwohl die Beurlaubungsregelung nicht speziell als familialistische Politik konzipiert wurde, sondern eher als Arbeitsmarktpolitik,13 sind ihre Auswirkungen auf die familiale Pflege- und Betreuungsarbeit für die hier vorgenommene Analyse von Interesse, da die Beurlaubungsregelung auch zum Zweck der familialen Pflege- und Betreuungsarbeit genutzt werden kann. Von Anfang an wurde außerdem erwartet, dass Frauen, die sich wegen Kinderbetreuungsaufgaben beurlauben lassen möchten, eine der Hauptzielgruppen der Regelung sein würden (Hansenne 1985, S. 68). Dies lässt sich auch daran ablesen, dass die vorgesehenen Leistungen für Beurlaubungen nach der Geburt eines zweiten und dritten Kindes (seit 1989 bzw. 1991) höher ausfallen als die Regelleistung. In gewisser Weise fungierte die „interruption de carrière“ sogar als Ersatz für die Einführung einer „richtigen“ Elternurlaubsregelung, die aufgrund der angespannten Wirtschaftslage keine Chance auf Verwirklichung gehabt hätte.14 Die Einführung des „congé parental“ im Jahr 1997 institutionalisierte schließlich eine Elternurlaubsregelung innerhalb des Rahmens der „interruption de carrière“. Die Einführung der „interruption de carrière“ markiert somit den Beginn einer neuen Phase des belgischen optionalen Familialismus im Bereich der Kinder­ betreuung, der nunmehr nicht nur Betreuungseinrichtungen und indirekte Leistungen über das Ernährermodell bietet, sondern auch direkte Leistungen für Kinderbetreuung. Aber es handelt sich nach wie vor um eine geschlechtsspezifisch diskriminierende Variante des optionalen Familialismus. Wenn man die Strukturen der Beurlaubungsregelung näher betrachtet, kann zunächst festgehalten werden, dass die ausbezahlten Pauschalleistungen gering sind (maximal 385 € pro Monat) und Erziehende zum Zwecke der Existenzsicherung damit implizit auf das Einkommen eines Partners verweisen. Für (Eltern-)Paare ist es zudem ökonomisch rational, dass eine Beurlaubung nur für die Person mit dem geringeren Einkommen in Frage kommt, um das Familieneinkommen nicht stärker als nötig zu schmälern. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktstrukturen kann davon ausgegangen werden, dass hauptsächlich Frauen von der Beurlaubungsregelung Gebrauch machen. Deswegen stärkt die Beurlaubungsregelung die Mutterrolle von Frauen, obwohl prinzipiell sowohl Frauen als auch Männer von der Regelung Gebrauch machen können. 13 „Ce sont les nécessités de la lutte contre le chômage et pour la compétitivité des entreprises, et non un positionnement idéologique, qui amènent l’État à instaurer des incitants financiers favorisant le retrait temporaire ou partiel du marché de l’emploi, notamment du ‚parent qui choisit‘ de garder lui-même ses enfants.“ (Marques-Pereira/Paye 1998, S. 136) 14 Interview mit Michel Hansenne (01/10/2003).

174

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

„Le caractère forfaitaire et peu élevé de l’indemnisation […] et sa liaison à la situation familiale, découragent la personne qui a le salaire le plus élevé dans le ménage et adressent prima facie l’interruption de carrière aux travailleuses mères de famille qui désirent séjourner au foyer pour s’occuper de leurs enfants.“ (Vielle 2001, S. 446 f., Hervorhebung im Original)

Die relativ lange maximal mögliche Dauer der Beurlaubung (fünf Jahre) hat zudem sehr wahrscheinlich einen negativen Effekt auf die Arbeitsmarktpartizipation von Personen, die eine lange Vollzeit-Beurlaubung in Anspruch nehmen. Bis 1997 hatten nur öffentlich Bedienstete einen individuell garantierten Rechtsanspruch auf Beurlaubung (unabhängig von dem Grund der Beurlaubung); privatwirtschaftlich Beschäftigte waren von der Zustimmung ihres Arbeitgebers abhängig. Dies änderte sich für Beurlaubungen aufgrund von Kinderbetreuung mit der Einführung des „congé parental“ (siehe Tabelle 19), der die familialistische Seite des optionalen Familialismus verstärkte. Tabelle 19 Congé parental – Übersicht über die Regelungen Jahr der Einführung

1997

Voraussetzungen

Die Beurlaubung muss während der ersten 4 Jahre nach der Geburt oder Adoption eines Kindes erfolgen; wenn der/die Beschäftigte mindestens 12 Monate vor der Beurlaubung beim selben Arbeitgeber beschäftigt gewesen ist, handelt es sich um einen individuell garantierten Rechtsanspruch, ansonsten ist die Zustimmung des Arbeitgebers notwendig; bis 2002 mussten beurlaubte Beschäftigte durch Arbeitslosengeldempfänger/innen ersetzt werden (siehe „interruption de carrière“).

Kündigungsschutz

Beurlaubte Beschäftigte haben einen dreimonatigen Kündigungsschutz während der ersten drei Monate nach Beendigung ihrer Beurlaubung.

Dauer

3 Monate bei Vollzeit-Beurlaubung; 6 Monate bei einer Arbeitszeitreduzierung um die Hälfte (in Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten ist dies kein individuell garantierter Rechtsanspruch); 15 Monate bei einer Arbeitszeitreduzierung um 1⁄5.

Leistung

693 € pro Monat (2012) bei Vollzeit-Beurlaubung.

Quelle: Verbrugge 2002c, S. 98–100.

Der neue Elternurlaub war als Reaktion auf die Elternurlaubsrichtlinie der EU verabschiedet worden; es gab allerdings schon davor sektorale kollektivvertraglich ausverhandelte Elternurlaubsprogramme in Belgien.15 Wie alle „congés thé 15 Für öffentlich Bedienstete war schon im Jahr 1990 ein Recht auf Elternurlaub innerhalb des Rahmens der „interruption de carrière“ verwirklicht worden: „l’interruption de carrière reduite“.

175

1. Kinderbetreuungspolitik

matiques“ bietet auch der „congé parental“ eine höhere Leistung als die „interruption de carrière“ (maximal 693 € pro Monat), worin sich auch der politische Wille wiederspiegelt, Beurlaubungen aufgrund von Pflege- und Betreuungsarbeit höher zu bewerten bzw. stärker anzuerkennen.16 Dennoch ist die Leistungshöhe noch immer bescheiden und kann für Männer kaum einen Anreiz setzen, Elternurlaub in Anspruch zu nehmen: Obwohl für Männer (wie für Mütter) ein individueller Anspruch auf Elternurlaub besteht, der nicht von der Mutter übernommen werden kann, bleibt ihr Anteil an den Beurlaubten gering (vgl. Tabelle 21). D.h, dass Frauen weiterhin für die Kinderbetreuungsarbeit zuständig sind. Allerdings ist die Dauer des „congé parental“ sehr kurz: Sie beträgt im Fall einer VollzeitBeurlaubung nur drei Monate und wirkt sich wahrscheinlich nicht negativ auf die Arbeitsmarktpartizipation der Beurlaubten aus. Da jedoch der „congé parental“ durch eine „interruption de carrière“ verlängert werden kann, bleiben die negativen Arbeitsmarkteffekte für Personen, die längerfristig Vollzeit beurlaubt sind, bestehen. Im Jahr 2001 wurde für die Privatwirtschaft die „interruption de carrière“ durch eine neue kollektivvertraglich festgeschriebene Beurlaubungsregelung, die so genannte „crédit temps“ (vgl. Tabelle 20), ersetzt. Tabelle 20 Crédit-temps – Übersicht über die Regelungen (Privatwirtschaft) Jahr der Einführung

2001

Voraussetzungen

Individueller Rechtsanspruch (außer in Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten oder wenn bereits 5 % der Beschäftigten eines Unternehmens beurlaubt sind); keine Verpflichtung des Arbeitgebers, beurlaubte Beschäftigte durch Arbeitslosengeldempfänger/innen zu ersetzen.

Kündigungsschutz

Beurlaubte Beschäftigte haben einen dreimonatigen Kündigungsschutz während der ersten drei Monate nach Beendigung ihrer Beurlaubung.

Sozialversicherungsschutz

Der Sozialversicherungsschutz von beurlaubten Beschäftigten bleibt generell aufrecht. In der Rentenversicherung werden die ersten 12 Monate der Beurlaubung angerechnet (die Anrechnung kann auf bis zu 36 Monate ausgedehnt werden, wenn kollektivvertraglich vereinbart). (Fortsetzung nächste Seite)

16 Interview mit Bea Cantillon (30/09/2003), Direktorin des Centre for Social Policy Research an der Universität Antwerpen.

176

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

(Fortsetzung Tabelle 20) Jahr der Einführung

2001

a) „crédit temps“

Vollzeit- oder Halbzeit-Beurlaubung.

Dauer

Mindestens 3, höchstens 12 Monate (Verlängerungen auf bis zu 5 Jahre während der gesamten Erwerbsphase sind möglich, wenn kollektivvertraglich vereinbart).

Leistung

Für Beschäftigte, die mindestens 2 und weniger als 5 Jahre in demselben Unternehmen tätig waren: 423 € pro Monat bei Vollzeit-Beurlaubung, 165 € (für Verheiratete) bzw. 195 € (für Alleinstehende/Alleinerziehende) pro Monat bei Halbzeit-Beurlaubung; für Beschäftigte, die mindestens 5 Jahre in demselben Unternehmen tätig waren: 565 € pro Monat bei Vollzeit-Beurlaubung, 220 € (für Verheiratet) bzw. 260 € (für Alleinstehende/Alleinerziehende) pro Monat bei Halbzeit-Beurlaubung.

b) Arbeitszeitreduzierung um 1/5

Nur für Vollzeit-Beschäftigte, die mindestens 5 Jahre bei demselben Unternehmen tätig waren; die Arbeitszeitreduzierung ersteckt sich auf einen Tag oder zwei Halbtage pro Woche; die Dauer beträgt mindestens 6 Monate und höchstens 5 Jahre (während des gesamten Erwerbslebens); die Leistung beträgt 101 € pro Monat für Verheiratete, 130 € pro Monat für Alleinstehende und 166 € pro Monat für Alleinerziehende.

c) Arbeitszeitreduzierung für über 50-jährige Beschäftigte um 1/5 oder auf Halbzeit

Nur für Vollzeit-Beschäftigte, die mindestens 5 Jahre bei demselben Unternehmen tätig waren und insgesamt mindestens 25 Jahre lang gearbeitet haben; die Dauer beträgt mindestens 3 Monate bei einer Arbeitszeitreduzierung auf Halbzeit und mindestens 6 Monate bei einer Arbeitszeitreduzierung um 1⁄5 und kann sich maximal bis zum Rentenantritt erstrecken; die Leistung beträgt 305 € (Verheiratete) bzw. 389 € (Alleinstehende/Alleinerziehende) pro Monat bei einer Arbeitszeitreduzierung auf Halbzeit und 142 € pro Monat für Verheiratete, 171 € pro Monat für Alleinstehende und 218 € pro Monat für Alleinerziehdne für eine Arbeitszeitreduzierung um 1⁄5.

Anmerkung: Die angegebenen Leistungshöhen beziehen sich auf das Jahr 2012. Quelle: Verbrugge 2002b; 2002d sowie www.onem.be.

Die neue Regelung garantiert einen individuellen Rechtsanspruch auf Be­ urlaubung in der Privatwirtschaft. Gleichzeitig wurde die Verpflichtung des Arbeitgebers, beurlaubte Beschäftigte durch Arbeitslosengeldempfänger/innen zu ersetzen abgeschafft – und zwar sowohl für die neue Regelung als auch für die „congés thématiques“ und die „interruption de carrière“, die immer noch die maßgebliche Beurlaubungsregelung für den öffentlichen Dienst darstellt. Somit hat sich die Gesamtausrichtung der Beurlaubungspolitik dramatisch verändert:

1. Kinderbetreuungspolitik

177

„…, le crédit-temps n’apparaît plus comme un réel instrument d’une politique de l’emploi, mais comme un moyen de satisfaire les aspirations des individus dans l’organisation de leur temps de vie et de travail. Un glissement s’est donc opéré de l’intérêt collectif (partager le travail disponible entre les citoyens) vers l’intérêt individuel (mieux concilier vie professionnelle et vie familiale ou sociale).“ (Verbrugge 2002a, S. 3)

Das Hauptaugenmerk der Reform lag aber auch diesmal nicht auf der Ermög­ lichung von familialer Pflege- und Betreuungsarbeit. „Crédit temps“ soll vor allem die Flexibilität von Erwerbsverläufen erhöhen, indem ein individuell garantierter Rechtsanspruch auf Erwerbsunterbrechung geschaffen wurde.17 Und obwohl die beurlaubten Beschäftigten zukünftig nicht mehr durch Arbeitslosengeldempfänger/innen ersetzt werden müssen, stellt auch das neue Beurlaubungsrecht für die belgische Regierung ein Instrument der Arbeitsmarktpolitik dar, das mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie im Einklang steht.18 Für unseren Kontext interessiert, dass auch „crédit temps“ dem Zweck der Erwerbsunterbrechung aufgrund von Kinderbetreuung dienen kann und die in diesem Zusammenhang bereits geschaffenen geschlechtsspezifisch diskriminierenden Strukturen weitergeführt werden: Das Leistungsniveau ist unter „crédittemps“ im Allgemeinen zwar höher als unter „interruption de carrière“ (außer für das dritte Kind), aber niedriger als unter „congé parental“, wenn der/die beurlaubte Beschäftigte kürzer als 5 Jahre bei demselben Unternehmen tätig war. Der geschlechtsspezifische Bias der Leistung bleibt aufgrund der insgesamt geringen Höhe somit bestehen. Die Dauer der Beurlaubung ist unter „crédit-temps“ zwar auf ein Jahr begrenzt, sie kann mit Zustimmung des Arbeitgebers jedoch auf bis zu 5 Jahre ausgeweitet werden und gefährdet in diesen Fällen genauso wie die „interruption de carrière“ die Arbeitsmarktpartizipation der längerfristig Beurlaubten. Diese geschlechtsspezifischen familialistischen Strukturen spiegeln sich in den gesellschaftlichen Arrangements der Kinderbetreuung.19 Seit der Einführung der Beurlaubungsregelung im Jahr 1985 waren kontinuierlich mehr als 80 % aller beurlaubten Beschäftigten unter „interruption de carrière“ Frauen (vgl.

17

Interview mit Bea Cantillon (39/09/2003). Interview mit Pascale Vielle (01/10/2003), wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Université Catholique Louvain. 19 Die Arbeitsteilung im privaten Haushalt ist generell – „despite some tendency towards more equal sharing since the mid-1970s“ (Bahle et al. 2002, S. 33) – immer noch traditionell geschlechtsspezifisch. Im Jahr 1986 erbrachte ein belgisches Paar 52 Wochenstunden an unbezahlter Hausarbeit: die Frau 40 Stunden (76 %), der Mann 12 Stunden (24 %). War die Frau erwerbstätig, verringerte sich der Gesamtumfang der unbezahlten Hausarbeit auf 48 Wochenstunden: 34 Stunden und 27 Minuten davon wurden von der Frau erbracht (72 %), 13 Stunden und 27 Minuten vom Mann (28 %). Diese ungleiche Aufteilung der unbezahlten Hausarbeit findet sich unabhängig von der Anzahl der Kinder, die im Haushalt leben. (Vos 1991, S. 32). 18

178

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

Tabelle 21). Es zeigt sich also der aufgrund des niedrigen Leistungsniveaus erwartete geschlechtsspezifische Effekt der Regelung. Da die von ONEM (Office National de l’Emploi) dokumentierten Daten nicht zwischen unterschiedlichen Gründen für die Inanspruchnahme einer Beurlaubung differenzieren, ist der genaue Anteil der Beurlaubungen wegen Kinderbetreuung nicht bekannt. Betrachtet man die Daten jedoch nach Altersgruppen differenziert, wird klar, dass „l’éducation des enfants constitue une motivation très importante pour solliciter l’interruption de carrière chez les femmes“ (ONEM 1995, 15), da die meisten der beurlaubten Frauen zwischen 25 und 40 Jahre alt sind. Diese Argumentation erscheint zumindest bis in die frühen 1990er Jahre plausibel. Seither ist eine Verschiebung hin zu höheren Altersgruppen festzustellen, was darauf hindeutet, dass Kinderbetreuung20 nicht mehr länger den hauptsächlichen Grund für eine Beurlaubung darstellt. Die steigende Anzahl der Beurlaubten unter „crédit temps“ ist vor allem einem Wachstum der Arbeitszeitverkürzungen um 1/5 der regulären Arbeitszeit zu­ zuschreiben (ONEM 2007). Dies trifft auch auf die Inanspruchnahme des Eltern­ urlaubs zu und könnte den steigenden Anteil an Vätern in Elternurlaub erklären: Während bis 2002 über 90 % der Beurlaubten Frauen waren, ist ihr Anteil bis 2007 auf knapp 80 % zurückgegangen (vgl. Tabelle 21). Angesichts der geschlechtsspezifisch diskriminierenden Struktur der Regelung überrascht die geschlechtsspezifische Inanspruchnahme nicht. Leider stehen keine entsprechenden Daten über die vermuteten negativen Arbeitsmarkteffekte bei einer längerfristigen Dauer der Beurlaubung zur Verfügung. Eine Studie des ONEM aus dem Jahr 2000 kam zu dem Ergebnis, dass 42 % der Beurlaubten unter „interruption de carrière“ spätestens nach einem Jahr die Beurlaubung beendeten. Weitere 19,5 % waren bis zu zwei Jahre beurlaubt, 12 % bis zu drei Jahre. 26,5 % waren sogar länger als drei Jahre beurlaubt. Im Jahr 2000 konnten 75 % der Beurlaubten ihre Arbeit beim selben Arbeitgeber wieder aufnehmen, 12 % fanden Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber. Über einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Beurlaubung und der Wiederaufnahme einer Beschäftigung konnte keine Aussage getroffen werden (ONEM 2000).

20 Zumindest nicht die Betreuung der eigenen Kinder, aber eventuell werden Enkelkinder während einer „interruption de carrière“ betreut [vgl. Kap. 1.b)].

179

1. Kinderbetreuungspolitik Tabelle 21 Anzahl der beurlaubten Beschäftigten („interruption de carrière“ oder „congé parental“) nach Geschlecht, 1985–2007 Interruption de carrière

Congé parental

Jahr

Gesamt (absolute Zahlen)

Frauen (anteilsmäßig)

Gesamt (absolute Zahlen)

Frauen (anteilsmäßig)

1985

2.019

Keine Angabe

0



1986

6.895

86,05

0



1987

15.905

85,53

0



1988

27.447

85,14

0



1989

37.610

84,52

0



1990

45.654

84,63

0



1991

49.354

85,55

0



1992

57.994

86,27

0



1993

55.961

87,02

0



1994

51.654

87,47

0



1995

50.124

87,35

0



1996

49.892

86,40

0



1997

55.451

85,87

0



1998

66.362

85,95

547

94,12

1999

74.882

85,20

4.662

95,09

2000

86.978

83,65

7.145

94,30

2001

99.988

82,38

8.045

93,11

2002

93.476

82,89

11.605

91,22

2002*

23.165

61,72





2003

54.455

60,71

19.119

87,45

2004

73.088

61,10

23.819

84,91

2005

89.016

61,77

27.352

82,84

2006

102.164

63,0

31.507

81,14

2007

101.551

69,92

34.111

79,58

* Beurlaubte unter „crédit-temps“. Quelle: www.onem.fgov.be; teilweise eigene Berechnungen.

180

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

Laut Einschätzung der sozialistischen Frauenorganisation (Femmes Prevo­ yantes Socialistes) kann diesbezüglich für die „interruption de carrière“ jedoch festgehalten werden: „(…) on ne peut isoler l’interruption de carrière de son contexte social et culturel qui fait qu’actuellement elle est un frein à la poursuite – ou au moins handicape sérieusement – de la carrière et la promotion professionnelle de ceux qui y recourent, en l’occurrence, les femmes.“ (Hennin 1994, S. 77)

So erweist sich die interruption de carrière zum einen als erste direkte familialistische Maßnahme im Bereich der Kinderbetreuung, die strukturell und gesellschafltich einen Geschlechterbias aufweist, und zum anderen als ein Instrument der Arbeitsmarktpolitik auf Kosten von Müttern, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Reservearmee des Arbeitsmarktes gemacht werden (vgl. Vielle 2001, S. 448). e) Fazit Die Entwicklung des belgischen Familialismus im Bereich der Kinderbetreuung kann in vier Zeitspannen unterteilt werden. Die erste erstreckte sich vom beginnenden 19. Jahrhundert bis in das frühe 20. Jahrhundert und wurde als Periode eines geschlechterdiskriminierenden De-Familialismus bzw. eines kulturellen impliziten Familialismus identifiziert. Sie zeichnete sich durch einen bemerkenswerten Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder im Vorschulalter sowie durch einen Rückgang der Frauenerwerbsquote aus. Diese auf den ersten Blick gegenläufigen Entwicklungen lassen sich mit drei Faktoren erklären: Der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung wurde entscheidend durch den „Schulstreit“ zwischen der katholischen Kirche und antiklerikalen Kräften vorangetrieben und war nicht durch den Wunsch der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf motiviert. Zudem galt das männliche Ernährermodell als kulturelle Norm, die schließlich durch den Aufbau des Wohlfahrtsstaats, der die Nicht-Erwerbstätigkeit von Frauen erst ermöglichte, zunehmend zur gesellschaftlichen Realität werden konnte. In den 1920er Jahren markiert die Einführung von abgeleiteten sozialen Rechten den Beginn der zweiten Periode des belgischen Familialismus, in der der geschlechterdiskriminierende De-Familialismus um indirekte familialistische Strukturen ergänzt wurde – und zwar zu einem frühen optionalen Familialismus bzw. auf der kulturellen Ebene zu einem indirekten expliziten Familialismus. Weil es sich bei den indirekten familialistischen Maßnahmen um explizit geschlechterdiskriminierende Strukturen handelte, die nur einen geschlechtsspezifischen Gebrauch ermöglichten, wird diese zweite Entwicklungsstufe als geschlechterdiskriminierende Variante eines optionalen (bzw. indirekten expliziten) Familialismus klassifiziert. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Entwicklungsperiode stellte das Ideal der nicht erwerbstätigen Vollzeit-Mutter das kulturell dominante Rollenmodell für Frauen dar.

1. Kinderbetreuungspolitik

181

Die weitere Entwicklung des belgischen Familialismus in der Kinderbetreuung erfolgte zeitlich versetzt auf zwei verschiedenen Ebenen, die den beiden „Zweigen“ des optionalen Familialismus entsprechen. Zunächst kam es seit den 1970er Jahren zu einem Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur für unter Dreijährige, der mit einem Anstieg der Frauenerwerbsquote einherging. Im Gegensatz zur ersten Entwicklungsperiode werden nun die durch institutionelle Kinderbetreuung eröffneten Möglichkeiten zur Partizipation am Arbeitsmarkt auch genutzt. Dies ist eine Folge des Emanzipationsprozesses von Frauen. Gleichzeitig wird das Nachwirken der kulturellen Präferenz für die Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern z. B. in der Diskussion um die „allocation socio-pédagogique“ deutlich. Es gab das politische Bemühen, Müttern beides zu ermöglichen: die Erwerbstätigkeit und die Nicht-Erwerbstätigkeit. Diese Wahlfreiheit konnte aus finanziellen Gründen jedoch nicht institutionalisiert werden. Schließlich kam es seit Mitte der 1980er Jahre doch noch zu einem Ausbau der direkten familialistischen Strukturen. Mit der „interruption de carrière“, die eigentlich im Kontext der Arbeitsmarktpolitik angesiedelt ist, und dem „congé parental“ wurde ein neues Leitbild von Elternschaft unterstützt: die erwerbstätige Mutter, die ihren Job zum Zweck der Kinderbetreuung unterbricht. Diese Vereinbarkeitspolitik ist sowohl auf der strukturellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene geschlechterdiskriminierend. Gleichzeitig aber wurden die abgeleiteten sozialen Rechte geschlechtsneutral reformuliert, was hauptsächlich aus der EU-Gesetzgebung zur Geschlechtergleichbehandlung resultierte. Auf der strukturellen Ebene wurde damit ein Schritt in Richtung einer nicht geschlechtsspezifisch diskriminierenden Variante des optionalen Familialismus vollzogen, in der eine Umkehrung der traditionellen Geschlechterrollen möglich ist. Auf der gesellschaftlichen Ebene jedoch wurde dieser Schritt nicht nachvollzogen. Im Jahr 2001 hat Belgien einen Vaterschaftsurlaub eingeführt. Dieser erstreckt sich auf maximal 10 Tage innerhalb der ersten 30 Tage nach der Geburt (oder der Adoption) eines Kindes. Die Leistung entspricht während der ersten drei Tage zu 100 % dem vorangegangenen Einkommen und wird für die folgenden sieben Tage auf 82 % reduziert (mit einem Maximum von 99,23 € pro Tag). (Canazza/Vielle 2003, S. 49 f.) Ob dieser erste Versuch der Inklusion von Vätern in die Kinderbetreuung einem geschlechtsspezifisch nicht diskriminierenden optionalen Familialismus den Weg weisen wird, bleibt abzuwarten. Erste Einschätzungen zeigen, dass der Vaterschaftsurlaub von den Vätern prinzipiell zwar positiv aufgenommen wurde, bislang jedoch kaum ein Vater die volle Dauer von 10 Tagen beansprucht hat (États Généraux des Familles 2004b, S. 14).

182

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

2. Altenpflegepolitik: Vom impliziten zum expliziten Familialismus Vergleicht man die Entwicklung des belgischen Familialismus in der Kinder­ betreuung mit demjenigen in der Altenpflege, fällt vor allem auf, dass die Institutionalisierung der Pflegearbeit weitaus geringer ausgeprägt ist als die Kinderbetreuungsinfrastruktur. Etwa 15 % aller älteren Menschen sind auf Pflege angewiesen. Zwei Drittel von ihnen werden von Familienmitgliedern zu Hause gepflegt, und nur ein kleiner Teil der Älteren erhält (subventionierte) professionelle Pflege21 (Buggenhout et al. 1994, S. 127). Die Pflegebedürftigkeit steigt – wie in allen Ländern – mit dem Alter: Eine Umfrage aus dem Jahr 2001 zeigte, dass von den 65–74-Jährigen 27,1 % leicht und 14,9 % schwer pflegebedürftig sind, von den 75–84-Jährigen sind 38,8 % leicht und 23,8 % schwer pflegebedürftig, und bei den über 85-Jährigen liegen die entsprechenden Werte bei 25 % und 59,1 % (Breda 2004, S. 21). Stationäre Pflege in Alten- und/oder Pflegeheimen ist für die 60–75-Jährigen dabei von vergleichsweise geringer Bedeutung. Anfang 1999 waren (in Flandern)22 nur 0,8 % von ihnen stationär untergebracht. Die Prozentzahl erhöht sich jedoch mit zunehmendem Alter: Schon für die 75–79-Jährigen betrug sie 4,1 % und lag bei 50,5 % für die über 95-Jährigen (Breda/Geerts 2001). Seit 1985 wurden (teure) Krankenhausbetten für Langzeit-Pflegepatienten zunehmend durch Betten in Pflegeheimen ersetzt. Dies stellte für den Sozialstaat eine finanziell günstigere Lösung dar, da zum einen die Personalstruktur in Pflegeheimen weniger Kosten verursacht und zum anderen von den Pflegebedürftigen die Kosten für die Unterbringung (nicht für die Pflege) selbst getragen werden (im Krankenhaus war dafür die Sozialversicherung zuständig). Gleichzeitig stellt diese relativ hohe Kostenbeteiligung der Pflegebedürftigen (Pacolet et al. 1999, S. 71) einen starken Anreiz für die familiale Pflege dar. Von den über 75-jährigen Pflegebedürftigen, die nicht stationär untergebracht waren, waren 1999 28,4 % ausschließlich auf informelle Pflege durch Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn angewiesen. 64,1 % kombinierten informelle Pflege und professionelle Pflegedienste (Breda/Geerts 2001). Neben mobilen Krankenpflegediensten werden vor allem Hilfsdienste im Haushalt und „Essen auf Rädern“ genutzt. „Often, old people are only allowed to remain at home on condition that some relative is available to provide them with care. Even when professional help is available, relatives have 21 Einen echten Markt für Pflegedienstleistungen gibt es kaum. Die angegebenen Schätzungen beziehen sich auf Flandern; die Situation in Wallonien stellt sich jedoch ähnlich, wenn nicht sogar noch schlechter im Hinblick auf die Versorgung mit professioneller Pflege dar (Inter­view mit Jef Breda 06/10/2003, Professor an der Universität Antwerpen; vgl. auch Pacolet et al. 1999). 22 Für Wallonien stellt sich die Situation ähnlich dar (vgl. Pacolet et al. 1999, S. 31).

2. Altenpflegepolitik

183

to devote an impressive number of hours to the task of looking after an aged person.“ (Pacolet et al. 1999, S. 76)

Schätzungen gehen davon aus, dass in Belgien eine von zehn Familien auf die eine oder andere Art eine/n pflegebedürftige/n Angehörige/n betreut (Pacolet et al. 1999, S. 77). Die Rolle der Familie in der Altenpflege ist in Belgien somit nach wie vor sehr bedeutsam. Da es sich bei den pflegenden Familienmitgliedern in erster Linie um Frauen handelt, scheint es sich im Bereich der Altenpflege um eine geschlechterdiskriminierende Variante des impliziten Familialismus zu handeln: „De la pratique il apparaît que ce sont surtout les femmes (66 % en 2002) qui apportent une aide aux personnes âgés.“ (États Généraux des Familles 2004b, S. 15)23

Berücksichtigt man, dass die Bedeutung von abgeleiteten sozialen Rechten für familiale Altenpflege genauso gegeben ist wie für familiale Kinderbetreuung, dann kann – aufgrund der weiter oben vorgenommenen Analyse der abgeleiteten Rechte – einerseits in den 1920er Jahren eine Entwicklung vom impliziten zum expliziten Familialismus konstatiert werden und andererseits Mitte der 1980er Jahre eine Veränderung auf der strukturellen Ebene von einer geschlechterdiskriminierenden zu einer geschlechtsneutralen Variante von Familialismus. a) Pflegezeit im Rahmen der Beurlaubungspolitik Nimmt man die weitere Entwicklung der familialistischen Strukturen im Bereich der Altenpflege in den Blick, so bieten sowohl die „interruption de carrière“ als auch „crédit-temps“ die Möglichkeit der Beurlaubung aufgrund von Altenpflegeaufgaben in der Familie. Zudem ist die damit verbundene Transferleistung für über 50-Jährige höher, und die Dauer der Beurlaubung kann bis zum Rentenantritt ausgedehnt werden (vgl. Tabelle 18 und 20). Insofern sind auf der strukturellen Ebene seit Mitte der 1980er Jahre für Beschäftigte durchaus Möglichkeiten der bezahlten Angehörigenpflege vorhanden. Es wurde schon erwähnt, dass die Altersstruktur der beurlaubten Beschäftigten sich seit den 1990er Jahren in Richtung der höheren Altersgruppen verschoben hat. Während im Jahr 1990 21 % aller weiblichen Beurlaubten und 34 % aller männlichen Beurlaubten älter als 45 Jahre waren, stieg der entsprechende Prozentsatz bis zum Jahr 1998 auf 35 % bei den beurlaubten Frauen und 59 % bei den beurlaubten Männern. Tabelle 22 zeigt, dass dieser Trend sich fortgesetzt hat.24

23 Auch Männer übernehmen Pflegeaufgaben, wenn ihre Partnerinnen pflegebedürftig werden. Sie erbringen allerdings weniger Pflegeleistung als Frauen, vor allem was die Körperpflege betrifft (Interview mit Jef Breda 06/10/2003). 24 Die Datenaufbereitung durch ONEM differenziert nach Einführung von „crédit temps“ seit 2003 nicht mehr nach dem Alter der Beurlaubten.

184

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt  Tabelle 22 Anteil der beurlaubten Personen über 50 Jahre nach Geschlecht 1999

2000

2001

2002

Männer

56

58

60

65

Frauen

28

30

31

35

Quelle: www.onem.fgov.be; eigene Berechnungen.

Leider lassen die von ONEM dokumentierten Daten keine Rückschlüsse darauf zu, zu welchem Zweck die einzelnen Beurlaubungen in Anspruch genommen wurden. Für die über 50-jährigen Männer wird vermutet, dass die meisten von ihnen die Beurlaubung als sanften Übergang in die Rente nutzen (vgl. Thomas 199825). Für die Gruppe der über 50-jährigen Frauen bleibt unbekannt, ob sie ihre Beurlaubung als vorzeitigen (Teil-)Ruhestand oder als Pflegeurlaub nutzen. Die Tatsache, dass in Zukunft familiale Pflege von der Verfügbarkeit jüngerer, noch erwerbstä­ tiger Angehöriger abhängen wird (OECD 1996, S. 19), lässt vermuten, dass die Beurlaubungsregelung in den nächsten Jahren wahrscheinlich zunehmend häufiger als Pflegeurlaub genutzt werden wird. Unter dem Dach der „interruption de carrière“ gibt es auch noch den „congé pour soins palliatifs“ (vgl. Tabelle 23), der 1995 als individuell garantierter Rechtsanspruch eingeführt wurde, um die Sterbebegleitung von Angehörigen zu ermöglichen.26 Obwohl sich dieser „congé thématique“ nicht ausschließlich auf ältere Angehörige bezieht, kann er doch für diese genutzt werden. Aufgrund seiner – in der Natur der Sache liegenden – kurzen Dauer und seiner sehr spezifischen Fokussierung kann er wohl nicht als tragende Politik im Bereich der Altenpflege bezeichnet werden. Die geschlechtsspezifischen Daten zur Nutzung des Sonderurlaubs wegen Sterbebegleitung unterstreichen jedoch das Argument, dass familiale Pflege für ältere Angehörige vorwiegend von Frauen geleistet wird: So waren beispielsweise im Jahr 2007 150 von 205 beurlaubten Personen (= 73 %) weiblich.27

25 Auch: Interview mit Thérèse Jacobs 26/02/2003, Generaldirektorin des Centre for Population and Family Studies in Brüssel. 26 Soins palliatifs: „… toute forme d’assistance, notamment médicale, sociale, administrative et psychologique, ainsi que les soins donnés à une personne souffrant d’une maladie incurable et se trouvant en phase terminale.“ (Verbrugge 2002c, S. 94) 27 www.onem.fgov.be.

2. Altenpflegepolitik

185

Tabelle 23 Congé pour soins palliatifs – Überblick über die Regelungen Jahr der Einführung

1995

Voraussetzungen

Es handelt sich um einen individuell garantierten Rechtsanspruch; der/die Beschäftigte muss nicht durch eine arbeitslose Person ersetzt werden.

Kündigungsschutz

Beurlaubte Beschäftigte haben einen dreimonatigen Kündigungsschutz während der ersten drei Monate nach Beendigung ihrer Beurlaubung.

Dauer

Mindestens ein Monat, höchstens zwei Monate; die Beurlaubung kann Vollzeit oder als Reduzierung der Arbeitszeit um 1⁄5 oder auf Halbzeit genommen werden.

Leistung

693 € pro Monat (2012) bei Vollzeit-Beurlaubung.

Quelle: Verbrugge 2002c, S. 94–96.

Insgesamt stärken die Beurlaubungsregelungen das geschlechtsspezifisch diskriminierende explizit familialistische Profil Belgiens in der Altenpflegepolitik. b) Die flämische Pflegeversicherung Die erste direkte familialistische Maßnahme im Bereich der Angehörigenpflege, die explizit auf die Unterstützung älterer Menschen und ihrer Familien zielte, wurde 1999 eingeführt: die flämische Pflegeversicherung.28 Ein Motiv für die Einführung einer Pflegeversicherung resultierte aus der Armutsbekämpfungspolitik, da Pflegebedürftigkeit zunehmend zu einem Einkommensrisiko für ältere Menschen – und somit zu einer bedrohlichen Belastung für die Sozialausgaben – geworden war (vgl. Jacobs 2003; Breda 2004; Cantillon 2004). Zum anderen waren Versuche zur Einführung einer Pflegeversicherung auf der Bundesebene aus finanziellen Gründen fehlgeschlagen (Pacolet et al. 1999, S. 151–185). Da das flämische regionale Budget noch Reserven für eine Pflegeversicherung hatte, aber 28 Davor gab es bereits lokale Modelle der bezahlten Familienpflege, die allerdings sehr geringe Leistungen boten: „On average, the allowances cover about 16.2 % of home care’s additional costs. Therefore, such payments should be seen as an appreciation paid in arrears, rather than as a financial stimulus for informal home care.“ (Buggenhout et al. 1994, S. 140) Diese lokalen Modelle werden in Flandern zunehmend von der Pflegeversicherung verdrängt (­Jacobs 2003, S. 401). Zu erwähnen ist hier auch ein seit 1990 gewährter bedürfnisgeprüfter Zuschuss für über 65-jährige Behinderte, der zur Finanzierung der von ihnen benötigten Leistungen durch Dritte dienen soll (Pacolet et al. 1999, S. 19 f.). Aufgrund der Selektivität der Leistung und weil es sich nicht explizit um die Anerkennung familialer Pflege handelt, wird im Weiteren nicht näher darauf eingegangen.

186

VI. Belgien: Optionaler Familialismus als (ungeplanter) Nebeneffekt 

auch weil es ein grundsätzliches fiskalisches Interesse der Dezentralisierung von Sozialpolitik gab, wurde die flämische Pflegeversicherung – gewissermaßen als erster Pfeiler eines dezentralisierten flämischen Sozialversicherungssystems – ins Leben gerufen.29 Pacolet et al. sprechen von „regionalisation by default“: „Various federal bodies and organisations are calling for an initiative on a federal level, but they have to admit that there are no resources, and ultimately they accept the reality that initiatives are being taken elsewhere.“ (1999, S. 206)

Hinzu kam die parteiübergreifende Einigkeit auf der regionalen Ebene, die aus dem Wahlkampf 1998 resultierte. Sowohl die Regierung als auch die Opposition hatten einen Gesetzesvorschlag zur Einführung einer flämischen Pflege­ versicherung parat, was die Umsetzung dieses Vorhabens entscheidend erleichterte (Vansteenkiste 2004). Da die flämische Regierung keine Kompetenz hat, Einkommen zu besteuern, sind die Beiträge zur Pflegeversicherung pauschaliert. Jeder Flame und jede Flämin über 25 Jahre ist verpflichtet, 25 € pro Jahr einzuzahlen, woraus etwa die Hälfte der Ausgaben bestritten werden kann. Die verbleibende Hälfte der Ausgaben wird aus dem regionalen Budget finanziert. Die Auszahlung von Leistungen erfolgt, nachdem die Pflegebedürftigkeit auf Basis der Einschätzung nach der ADL-Skala (ADL = activity of daily living) festgestellt wurde. Voraussetzung für die Anerkennung familialer Pflegearbeit ist, dass die pflegebedürftige Person mindestens an drei Tagen in der Woche betreut wird. Bis Ende März 2002 sind 76 % aller Anträge (= 60.741) angenommen worden, was eine beinahe vollständige Abdeckung aller pflegebedürftigen Personen bedeutet (Jacobs 2003, S. 407). Die ausbezahlte Leistung ist allerdings gering und wird nicht an die familiale Pflegeperson, sondern an die pflegebedürftige Person ausgezahlt: Sie beträgt für Pfegebedürftige in stationärer Pflege 125 € monatlich und für zu Hause betreute Pflegebedürftige ab 2009 ebenfalls 125 €.30 Zudem gibt es keine Kontrolle darüber, ob das Pflegegeld von der pflegebedürftigen Person an die Pflegeperson weitergegeben wird. Folglich findet die „Bezahlung“ der familialen Pflegeperson oftmals gar nicht statt. Unabhängig davon muss die Leistung eher als symbolische Anerkennung denn als finanzieller Anreiz für familiale Pflege klassifiziert werden: „From the point of view of the caretaker, especially if she is still in the active population and if the care giving consumes most of her time, these symbolic payments are completely insufficient to overcome the opportunity costs.“ (Jacobs 2003, S. 412)

Die flämische Pflegeversicherung stellt somit zwar eine ergänzende Finanzierungsstruktur in der Altenpflege dar (vgl. Cantillon 2004), sie stellt die normativen Ausgangspunkte der Organisation von Altenpflege als (weitgehend) unbezahlte Aufgabe der Familie jedoch nicht in Frage und kann die daraus resultierenden Probleme nur in begrenztem Umfang lösen helfen (vgl. Breda 2004). 29

Interview mit Bea Cantillon 30/9/2003 und Jef Breda 06/10/2003. Zwischen 2006 und 2009 wurde der Betrag von 95 € sukzessive auf 125 € angehoben.

30

2. Altenpflegepolitik

187

Verglichen mit dem Bereich der Kinderbetreuung ist der belgische Familialismus in der Altenpflege durch einen gravierenden Mangel an de-familisierenden Strukturen gekennzeichnet. Dies erklärt sich aus dem normativen Ideal der familiären Angehörigenpflege, auf die bis heute implizit zurückgegriffen wird. Auf der Seite der familialistischen Strukturen sind sowohl indirekte wie auch direkte Maßnahmen vorhanden und verleihen der Altenpflegepolitik seit den 1920er Jahren und vor allem seit Mitte der 1980er Jahre ein explizit familialisitsches Profil. Bemerkenswert ist, dass auch in der Altenpflege die arbeitsmarktpolitisch motivierte Beurlaubungspolitik quasi als „Nebeneffekt“ Freiräume für die Angehö­ rigenpflege schafft.

VII. Entwicklungspfade des Familialismus Nachdem die Entwicklung des Familialismus in konservativen Wohlfahrts­ staaten in vier Fallstudien en detail betrachtet wurde, sollen nun die einzelnen länderspezifischen Entwicklungspfade vergleichend analysiert werden. Es stellt sich die Frage, ob es einen typisch „konservativen“ Pfad der Entwicklung des Fami­ lialismus gibt.

1. Familialismus und Wohlfahrtsstaatstypologie Als eines der zentralen Merkmale der konservativen Wohlfahrtsstaaten gilt der Rekurs auf die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Form der sozialpolitischen Institutionalisierung eines „starken“ männlichen Ernährermodells (Ostner 1995). Dieses garantiert, dass „… eine Person relativ kontinuierlich für die familiale Betreuungsarbeit freigesetzt ist, die andere dann für diese und die anderen Familienangehörigen relativ kontinuierlich das Erwerbseinkommen erzielt und entsprechend sozial abgesichert ist.“ (Langan/Ostner 1991, S. 310; Hervorhebungen im Original)

In Kombination mit dem Subsidiaritätsprinzip, das die Erbringung sozialer Dienstleistungen vorrangig als Angelegenheit der Familie definiert, kommt es zu einer „Arbeitsteilung zwischen Frauen und Staat“ (Kulawik 1989, S. 246). Frauen werden zum einen in die Lage versetzt, sich in einem pre-kommodifizierten Status einzurichten: Der männliche Ernährer und die von seiner Erwerbstätigkeit abgeleitete soziale Sicherung der Ehefrau ermöglichen dieser, familiale Betreuungs- und Pflegearbeit zu leisten. Zum anderen aber ist die unbezahlte Dienstleistungsarbeit der Ehefrau in der Familie substanziell für das Funktionieren des als „service-lean“ charakterisierten konservativen Wohlfahrtsregimes. Kulawik (1989, S. 248) spricht sogar von einer „Dienstverpflichtung der Frau“. In denjenigen konservativen Wohlfahrtsstaaten, die indirekte oder direkte Transfers für Familienarbeit bereitstellen – wie z. B. Erziehungsgeld oder Pflegegeld – kann von einer explizit familialistischen Ausrichtung der Sozialpolitik gesprochen werden, während transferarme konservative Wohlfahrtsstaaten implizit familialistisch ausgerichtet sind: Die einen schreiben sich den Rückgriff auf familiale Pflege und Betreuung auf die Fahnen, indem sie positive Anreize zur Übernahme von Familienarbeit setzen, während die anderen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Familie ihrer Pflege- und Betreuungsfunktion von sich aus nachkommt.

1. Familialismus und Wohlfahrtsstaatstypologie

189

Im Unterschied dazu würde das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime idealtypisch dem optionalen Familialismus zugeordnet werden. Aufgrund seiner egalitären Ausrichtung wären vor allem direkte Transferleistungen für Betreuungsund Pflegearbeit auf höchst möglichem Niveau zu unterstellen sowie vom Staat angebotene de-familisierende Strukturen in einem bedarfsdeckenden Ausmaß. Das liberale Wohlfahrtsregime hingegen wäre – ähnlich den konservativen Wohlfahrtsstaaten – im impliziten Familialismus zu verorten und würde höchstens armutspolitisch ausgerichtete Transfers für Betreuungs- und Pflegearbeit anbieten. Alternativ wäre das liberale Wohlfahrtsregime im De-Familialismus zu verorten, der allerdings von marktförmigen Strukturen mit den entsprechenden Folgen für die soziale Ungleichheit geprägt wäre. Schaubild 1 Die familialistische Verortung der Wohlfahrtsstaatstypen Optionaler Familialismus

Expliziter Familialismus

Skandinavisches Wohlfahrtsregime Konservatives Wohlfahrtsregime Liberales Wohlfahrtsregime De-Familialismus

Impliziter Familialismus

Quelle: Eigene Darstellung.

Die historische Entwicklung der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitik in Österreich, Deutschland, Frankreich und Belgien zeigt zunächst, dass sich das familialistische Profil der vier Untersuchungsländer für die beiden Politikbereiche je unterschiedlich darstellt. Die für konservative Wohlfahrtsstaaten theoretisch zu erwartende Verortung als implizit oder explizit familialistisch trifft nur im Bereich der Altenpflegepolitik für alle vier Länder zu. In der Kinderbetreuungspolitik entspricht nur Österreich dem konservativen Idealtypus, während Deutschland in seiner jüngeren Entwicklungsgeschichte eine Abkehr von seinen konservativen Traditionen in Richtung optionalen Familialismus vollzogen hat. Frankreich und Belgien wiederum weisen eine gebrochene Entwicklung auf, die letztendlich zu einem optional familialistischen Profil führte. Damit wird deutlich, dass zum einen nicht alle als „konservativ“ klassifizierten Wohlfahrtsstaaten der ideal­ typischen familialistischen Verortung des konservativen Wohlfahrtsregimes ent­ sprechen und zum anderen die familialistische Verortung der vier Untersuchungsländer historisch kontingent ist und über die Zeit variieren kann. Im Folgenden sollen diese Wandlungsprozesse für die beiden Politikbereiche getrennt dar­gestellt werden.

190

VII. Entwicklungspfade des Familialismus

2. Entwicklungspfade in der Kinderbetreuungspolitik Im Bereich der Kinderbetreuungspolitik können für die konservativen Wohlfahrtsstaaten zwei Entwicklungspfade des Familialismus unterschieden werden. Zum einen ähneln sich die österreichische und die deutsche Politikentwicklung: In beiden Ländern folgte auf den „Urzustand“ des impliziten Familialismus eine Phase des indirekten expliziten Familialismus, in Österreich allerdings sehr viel früher als in Deutschland. Danach wurde der explizite Familialismus um direkte Strukturen ergänzt, auch dies in Österreich wieder um einiges früher als in Deutschland (vgl. Schaubilder 2 und 3). Dieses unterschiedliche Timing der Übergänge vom impliziten zum indirekten expliziten und schließlich zum direkten expliziten Familialismus ist erklärungsbedürftig, ebenso die sich abzeichnende Abkehr Deutschlands vom konservativen Weg in Richtung optionalen Familialismus seit Beginn des 21. Jahrhunderts (siehe dazu Kapitel VIII.). Schaubild 2 Familialistische Entwicklung der österreichischen Kinderbetreuungspolitik 1900

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Impliziter Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

Schaubild 3 Familialistische Entwicklung der deutschen Kinderbetreuungspolitik 1900

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Impliziter Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus D-Ost | Ost + West Optionaler Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

191

2. Entwicklungspfade in der Kinderbetreuungspolitik

Zum anderen gleichen sich der französische und der belgische Verlauf der Familialismus-entwicklung: In beiden Ländern setzte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein struktureller De-Familialismus ein, der vor allem auf die Bildung von Kindern im Vorschulalter abzielte und – wie die niedrige Erwerbsquote von Müttern bis Mitte der 1970er Jahre zeigt – nicht als Betreuungsinfrastruktur im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt wurde. Insofern könnte man diese Entwicklungsphase auch als kulturellen impliziten Familialismus bezeichnen. In Belgien wurde dieser relativ früh durch einen indirekten expliziten Familialismus abgelöst, während Frankreich sich erst später vom kulturellen impliziten Familialismus abwandte, dafür aber neben den indirekten familisierenden Strukturen über einen längeren Zeitraum auch direkte familisierende Maßnahmen einführte.1 In den 1980er Jahren schließlich kam es in beiden Ländern zum Übergang in den optionalen Familialismus, wobei jeweils sowohl indirekte als auch direkte familisierende Maßnahmen zum Einsatz kamen und an die Bestände des strukturellen De-Familialismus angeknüpft werden konnte. Schaubild 4 Familialistische Entwicklung der französischen Kinderbetreuungspolitik 1900

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Struktureller De-Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus Optionaler Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

Schaubild 5 Familialistische Entwicklung der belgischen Kinderbetreuungspolitik 1900

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Struktureller De-Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Optionaler Familialismus Quelle: Eigene Darstellung. 1 Auch Belgien hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit der „allocation de la mère au foyer“ eine direkte familialistische Maßnahme eingeführt, allerdings für einen viel kürzeren Zeitraum und in viel geringerer Höhe als Frankreich.

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VII. Entwicklungspfade des Familialismus

Erklärungsbedürftig ist an dieser zweiten Variante der Entwicklung des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten zunächst das Auseinander­klaffen zwischen Strukturen und kulturellen Geschlechterleitbildern in der Phase des strukturellen De-Familialismus. Aber auch das Fehlen einer Phase des direkten expliziten Familialismus in Belgien einerseits und das Aussetzen der direkten familisierenden Strukturen im Frankreich der 1970er Jahre andererseits verlangen nach einer Erklärung, genauso die Einführung von familisierenden Strukturen in beiden Ländern Mitte der 1980er Jahre (siehe dazu Kapitel VIII.). Aus der Geschlechterperspektive betrachtet überwog zunächst in allen vier Ländern der geschlechtsspezifisch diskriminierende Charakter des Familialismus: Im impliziten Familialismus und im strukturellen De-Familialismus herrschte ein traditionelles Geschlechterbild vor, und auch die ersten familisierenden Maß­ nahmen hatten zunächst eine explizit geschlechtsspezifisch diskriminierende Ausrichtung. Dies traf in allen Ländern auf die indirekten familisierenden Strukturen zu: Abgeleitete Ansprüche waren nur für (Ehe-)Frauen verfügbar und steuerliche Transferleistungen zielten auf die Förderung des männlichen Ernährermodells. In Österreich und Frankreich waren zudem die frühen direkten familisierenden Maßnahmen nur für Mütter vorgesehen. Erst die 1980er Jahre brachten geschlechtsneutrale Regelungen im Bereich der abgeleiteten sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche. Diese neuen Strukturen führten aber nicht zu einem geschlechtsneutralen Nutzungsverhalten: Nach wie vor wirken auch die geschlechtsneutralen Strukturen geschlechtsspezifisch diskriminierend. Die Gründe dafür sind vor allem in der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes zu suchen, die den Rollentausch in Partnerschaften meist mit erheblichen Einkommenseinbußen „bestraft“. Die Strukturen des Arbeitsmarktes wirken somit gegen die politisch intendierte Geschlechtsneutralität der indirekten familisierenden Strukturen. Dies gilt in ähnlicher Weise für die direkten familisierenden Maßnahmen: Sofern die Erziehungsgeldregelungen in den 1980er Jahren neu eingeführt wurden, waren sie von Beginn an geschlechts­neutral ausge-staltet. Dies gilt für Deutschland, Frankreich und Belgien. In Österreich, das die längste Tradition einer bezahlten Erziehungszeit aufweist, wurde dieser Schritt erst 1990 vollzogen. In allen vier Ländern besteht jedoch trotz formaler Geschlechtsneutralität der direkten familisierenden Maßnahmen ein geschlechtsspezifisches Nutzungsverhalten, welches durch die im Vergleich zum durchschnitt­ lichen Erwerbseinkommen niedrige Höhe der Transferleistungen (vgl. Tabelle 24) und die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen begründet ist. Die indirekten wie die direkten familisierenden Strukturen der konservativen Wohlfahrtsstaaten fördern somit nach wie vor in erster Linie die Kinderbetreuungsarbeit von Müttern. Aber auch nach wie vor vorhandene traditionelle kulturelle Leitbilder von Mutterschaft, Vaterschaft und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung führen zu einem geschlechtsspezifischen Nutzungsverhalten.

193

3. Entwicklungspfade in der Altenpflegepolitik Tabelle 24 Erziehungsgeld-Leistungen im Vergleich, in € pro Monat, Stand 2008 Österreich

Deutschland

Frankreich

Belgien

436 € (Kinder­ betreuungsgeld)

67 % Lohnersatz (Elterngeld)

560 € (complément de libre choix)

693 €/423−565 € (congé parental/ crédit temps)

Quelle: Eigene Darstellung.

Nur in Deutschland wurde mit dem Elterngeld 2007 eine Lohnersatzrate ein­ geführt, die zusammen mit den so genannten „Partnermonaten“ zu einer Erhöhung der Väterbeteiligung geführt hat und eine Tendenz in Richtung einer geschlechteregalitären Aufteilung der Kinderbetreuungsarbeit erkennen lässt. Der auf wenige Tage begrenzte Vaterschaftsurlaub in Frankreich und Belgien kann vergleichsweise bestenfalls als erster Schritt zur Anerkennung der Betreuungsverantwortung von Vätern interpretiert werden. Die Höhe der Leistungen ist – mit Ausnahme der deutschen Regelung – generell als nicht existenzsichernd einzustufen, so dass die direkten familisierenden Maßnahmen implizit auf das zusätzliche Einkommen eines männlichen Ernährers verweisen. Für Frauen mit mittlerem und hohem Einkommen ist alternativ auch eine Kombination aus Teilzeit Erwerbstätigkeit und Teilzeit Erziehungszeit als existenzsichernde Variante denkbar, sofern entsprechende Kinderbetreuungsmöglichkeiten verfügbar sind. Übergänge von Kinderbetreuungsarbeit zu Erwerbsarbeit würden durch die Teilzeit-Variante gefördert. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den relativ langen Unterbrechungszeiträumen, die in allen vier untersuchten Ländern ermöglicht werden. Die geschlechtsspezifischen Effekte stellen sich somit für unterschiedliche Gruppen von Frauen unterschiedlich dar: Frauen mit mittlerem und hohem Einkommen können zwischen der Abhängigkeit vom Ernährer und der Teilzeit-Variante wählen. Frauen mit geringem Einkommen sind, wenn sie eine Erziehungszeit in Anspruch nehmen, auf das Ernährereinkommen auch bei der Teilzeit-Variante angewiesen. Frauen mit einem gering verdienenden Ernährer können sich nur kurze Unterbrechungszeiträume leisten, während sich Mittel- und Oberschichtmütter für lange Erwerbsausstiege entscheiden können. 3. Entwicklungspfade in der Altenpflegepolitik In der Altenpflegepolitik gleichen sich die Entwicklungspfade aller vier Untersuchungsländer: Wie in der Kinderbetreuungspolitik erfolgte zunächst der Schritt vom impliziten zum indirekten expliziten Familialismus, wobei Österreich und Belgien vergleichsweise früh indirekte familisierende Maßnahmen eingeführt haben. In Österreich und Deutschland kam es sodann in den 1990er Jahren zur Einführung von direkten familisierenden Maßnahmen, während Belgien schon in den

194

VII. Entwicklungspfade des Familialismus

1980er Jahren familisierende Strukturen im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik geschaffen hatte und Frankreich sogar schon seit den 1970er Jahren im Rahmen der Behindertenpolitik Geldleistungen für die Pflege durch Angehörige gewährt. Genauso wie für den Bereich der Kinderbetreuungspolitik ist auch für den Bereich der Altenpflegepolitik die Einführung der indirekten familisierenden Strukturen bzw. das unterschiedliche Timing dieser Einführung in den vier Untersuchungsländern als erklärungsbedürftig anzusehen. Darüber hinaus interessiert im Bereich der Altenpflegepolitik vor allem der Übergang vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus (siehe dazu Kapitel VIII.). Schaubild 6 Familialistische Entwicklung der österreichischen Altenpflegepolitik 1900

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Impliziter Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

Schaubild 7 Familialistische Entwicklung der deutschen Altenpflegepolitik 1900

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Impliziter Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

Schaubild 8 Familialistische Entwicklung der französischen Altenpflegepolitik 1900

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Impliziter Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

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3. Entwicklungspfade in der Altenpflegepolitik Schaubild 9 Familialistische Entwicklung der belgischen Altenpflegepolitik 1900

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Impliziter Familialismus Indirekter expliziter Familialismus Direkter expliziter Familialismus Quelle: Eigene Darstellung.

Die Geschlechteranalyse zeigt, dass auch die Altenpflegepolitik von Anfang an geschlechtsspezifisch diskriminierend ausgerichtet war: Im impliziten Familialismus kann von einem traditionellen Geschlechterbild ausgegangen werden, und die indirekten familisierenden Strukturen waren zunächst in allen Ländern nur für (Ehe-)Frauen verfügbar bzw. zielten auf die Förderung des männlichen Ernährermodells. Die formale Geschlechtsneutralität der in den 1980er Jahren reformierten abgeleiteten Ansprüche hat sich – wie bereits oben deutlich gemacht – im tatsächlichen Nutzungsverhalten nicht dingfest gemacht. Dieser Geschlechterbias in der Nutzung von familisierenden Maßnahmen zeigt sich auch für die direkten familisierenden Strukturen: In Belgien wird die Beurlaubungsregelung von Frauen weitaus stärker in Anspruch genommen, und in Frankreich sind pflegende Angehörige, die Pflegegeld erhalten, vorwiegend weiblich. In Österreich und Deutschland sind die familisierenden Geldleistungen zunächst dadurch charakterisiert, dass sie den pflegenden Angehörigen nur mittelbar zur Verfügung stehen. Der Großteil der pflegenden Angehörigen ist jedoch weiblich, so dass auch dort das Pflegegeld – sofern es weitergereicht wird – hauptsächlich Frauen zu Gute kommt. Wie in der Kinderbetreuungspolitik sind die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten des Arbeitsmarktes und die kulturellen Geschlechterleitbilder für den Geschlechterbias in der Angehörigenpflege verantwortlich zu machen. Die Höhe der Transferleistungen für Angehörigenpflege variiert – mit Ausnahme von Belgien – je nach Grad der Pflegebedürftigkeit der gepflegten Person und kann in Österreich und Frankreich in den höheren Pflegestufen die finanzielle Unabhängigkeit der Pflegeperson gewährleisten (vgl. Tabelle 25). Davon abgesehen können die Leistungen für pflegende Angehörige als nicht existenzsichernd bezeichnet werden. Die Alternative der Teilzeit Erwerbstätigkeit neben der Angehörigenpflege ist nur bei der Pflege von leicht pflegebedürftigen Angehörigen eine Option zur eigenständigen Existenzsicherung der Pflegeperson. Je stärker die Pflegebedüftigkeit der gepflegten Person ansteigt, desto weniger Erwerbsarbeit kann von der Pflegeperson geleistet werden. Es ergibt sich somit eine „Existenz­ sicherungs-Schere“ im mittleren Bereich der Pflegebedürftigkeit, wenn das Pfle-

196

VII. Entwicklungspfade des Familialismus

gegeld nicht existenzsichernd ist und die zusätzliche Teilzeit Erwerbstätigkeit dieses Defizit nicht ausgleichen kann. Tabelle 25 Familisierende Leistungen im Vergleich, in € pro Monat, Stand 2008 Österreich

Deutschland

Frankreich

Belgien

154 € – 1.656 € (Pflegegeld)

235 € – 700 € (Pflegegeld)

541 € – 1.262 € (APA)

423 € – 565 € (crédit temps)

Quelle: Eigene Darstellung.

Bei einer längeren Erwerbsunterbrechung aufgrund von Angehörigenpflege wird die spätere Rückkehr auf den Arbeitsmarkt schwierig, so dass die Entscheidung für die Angehörigenpflege oftmals den Komplettausstieg aus dem Arbeitsmarkt zur Folge hat. So können diese familialen Pflegepersonen langfristig betrachtet zwar für die Zeit der Angehörigenpflege teilweise finanzielle Unabhängigkeit erlangen, nach der Beendigung der Pflege ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf einen Ernährer oder allenfalls bedürfnisgeprüfte Sozialleistungen angewiesen sein werden, jedoch relativ hoch. Somit kann von einer geschlechts­ spezifisch diskriminierenden Wirkung der direkten familisierenden Strukturen ausgegangen werden. Als Ausnahme sind hier familiale Pflegepersonen anzusehen, die sich selbst bereits im Rentenalter befinden und über eine existenz­ sichernde monatliche Rentenzahlung verfügen. 4. Entwicklungspfade des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten Es kann somit festgehalten werden, dass die hier untersuchten vier konservativen Wohlfahrtsstaaten im Bereich der Kinderbetreuungspolitik zwei unterschiedliche Entwicklungspfade des Familialismus aufweisen: Während Österreich und Deutschland vom impliziten zum indirekten expliziten und zum direkten expliziten Familialismus wanderten, und Deutschland jüngst in den optionalen Familialismus übergetreten ist, starteten Frankreich und Belgien strukturell beim De-Familialismus bzw. kulturell beim impliziten Familialismus. Beide Länder wandelten sich dann zum indirekten expliziten Familialismus, wobei Frankreich kurzzeitig parallel dazu einen direkten expliziten Familialismus aufwies. Schließlich traten beide zum optionalen Familialismus über.

4. Entwicklungspfade des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten 

197

Schaubild 10 Entwicklungspfade des Familialismus in der Kinderbetreuungspolitik Optionaler Familialismus

Deutschland

Expliziter Familialismus Direkter      Indirekter Österreich Deutschland

Österreich Deutschland Frankreich

Frankreich Belgien

Frankreich Belgien (strukturell)

De-Familialismus

Belgien Frankreich

Frankreich Belgien (kulturell)

Österreich Deutschland

Impliziter Familialismus

Quelle: Eigene Darstellung.

Im Unterschied zum optionalen Familialismus, wie er idealtypisch im sozialdemokratischen Wohlfahrtsregime konzipiert ist, weist der optionale Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten eine schichtspezifische Differenzierung auf, die mit dem statusreproduzierenden Charakter des konservativen Wohlfahrtsregimes korrespondiert: Während der optionale Familialismus sozialdemokratischer Prägung egalitäre Leistungen von höchster Qualität bietet, besteht im optionalen Familialismus konservativer Prägung Wahlfreiheit – zwischen Eigen- und Fremdbetreuung der Kinder – nur für diejenigen, die zusätzlich zu den familisierenden Transferleistungen über weitere Finanzierungsquellen zur Existenzsicherung verfügen. Dies gilt insbesondere für Frankreich und Belgien, aber auch in Deutschland kann die Lohnersatzleistung des Elterngelds nur dann individuelle Wahlfreiheit gewährleisten, wenn das vorangegangene Erwerbseinkommen des erziehenden Elternteils entsprechend hoch war. Zudem weist Frankreich auch bei der Wahl zwischen unterschiedlichen Frembetreuungsformen eine schichtspezifische Begünstigungsstruktur auf, die in Ansätzen auch in Belgien und Deutschland vorhanden ist: Die steuerliche Förderung von Tagesmüttern und Kinderfrauen schafft nur für mittlere und obere Einkommensschichten zusätzliche Optionen. In-

198

VII. Entwicklungspfade des Familialismus

sofern ist der Übergang konservativer Wohlfahrtsstaaten zum optionalen Familialismus nicht als Regime-Wechsel hin zum sozialdemokratischen Modell zu interpretieren, sondern als Variante des konservativen Wohlfahrtsregimes: Es gibt eine konservative Spielart des optionalen Familialismus. Der spezifische Charakter des konservativen optionalen Familialismus zeigt sich auch in der geschlechtsspezifisch diskriminierenden Ausrichtung seiner familisierenden Strukturen. So führt in Frankreich und Belgien die nicht existenz­ sichernde Höhe des Erziehungsgelds zu einem Geschlechterbias in der Nutzung desselben. In Deutschland wiederum ist der geschlechtsspezifisch diskriminierende Struktureffekt mit der schichtspezifischen „Staffelung“ der Höhe des Elterngelds verbunden: In den unteren Einkommensbereichen ist der Anreiz zur partnerschaftlichen Teilung der Erziehungsarbeit geringer als bei Eltern mit zwei hohen Einkommen. Im Unterschied dazu wäre im sozialdemokratischen Modell der optionale Familialismus idealtypisch mit existenzsichernden familisierenden Transferleistungen für alle Einkommensschichten ausgestattet. Zieht man die anderen als „konservativ“ klassifizierten Wohlfahrtsstaaten in die Analyse mit ein, können Italien und die Niederlande dem österreichisch-deutschen Entwicklungsmuster des Familialismus zugeordnet werden. So hat Italien Ende der 1960er Jahre die – bis dahin fast ausschließlich privaten – Vorschulen für Kinder von drei bis sechs Jahren in das staatliche Bildungssystem eingegliedert und damit einen flächendeckenden Ausbau de-familisierender Strukturen in Gang gesetzt. Allerdings werden diese nur sehr begrenzt als Mittel zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt, da die Frauenerwerbsquote mit 50 % (2004) extrem niedrig ist. Im Bereich der Betreuung der unter Dreijährigen ist die Versorgungsquote hingegen bis heute mit ca. 10 % nicht bedarfsdeckend. Anfang der 1970er Jahre wurde schließlich eine bezahlte Erziehungszeit eingeführt: Vormals erwerbstätige Mütter konnten sechs Monate Erziehungszeit in Anspruch nehmen und erhielten während dieser Zeit 30 % ihres vorherigen Lohns als Transfer­leistung. Seit 1999 beträgt die Erziehungszeit elf Monate, und es wird ein zusätzlicher Monat gewährt, wenn der Vater einen Teil der Erziehungszeit in Anspruch nimmt (vgl. Bimbi 1993; Saraceno 1994; Bimbi/Della Sala 2001; Della Sala 2002). In den Niederlanden setzte der Ausbau der de-familisierenden Strukturen erst in den 1990er Jahren ein und befindet sich immer noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau: Der Anteil der Kinder, die irgendeine Form der Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, stieg von 5 % 1987 auf 15 % 1999 an (vgl. Morel 2007). Allerdings beginnt in den Niederlanden die Schulpflicht bereits mit vier Jahren, so dass ab diesem Zeitpunkt zumindest halbtägige Betreuungsstrukturen flächendeckend vorhanden sind (vgl. Kremer 2002). Anfang der 1990er Jahre wurde schließlich eine unbezahlte Erziehungszeit eingeführt: Eltern können über einen maximalen Zeitraum von sechs Monaten ihre Arbeitszeit um die Hälfte re­ duzieren. Über kollektivvertragliche Vereinbarungen können die Konditionen der

4. Entwicklungspfade des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten 

199

Erziehungszeit (Dauer und/oder Transferleistung) günstiger gestaltet sein (vgl. Knijn 1998). Griechenland, Spanien und Portugal hingegen sind bis heute nicht über den indirekten expliziten Familialismus hinausgekommen. Sie bieten weder direkte familisierende Maßnahmen noch bedarfsdeckende de-familisierende Strukturen und bezeichnen somit für den Bereich der Kinderbetreuungspolitik einen dritten Entwicklungspfad des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten: vom impliziten zum indirekten expliziten Familialismus. Für den Bereich der Altenpflegepolitik konnte in allen vier untersuchten konservativen Wohlfahrtsstaaten ein ähnlicher Entwicklungsverlauf festgestellt werden: vom impliziten über den indirekten expliziten zum direkten expliziten Familialismus. Die Niederlande ordnen sich in dieses Entwicklungsmuster ein: Das Angebot an professionellen Pflegedienstleistungen ist nicht bedarfsdeckend; es gibt lange Wartelisten. Seit 1995 können Pflegebedürftige ein individuelles Budget erhalten, das sie auch für die Bezahlung von pflegenden Angehörigen verwenden können (vgl. Knijn 1998, 2000). Pflegende Angehörige haben zudem seit 2001 die Möglichkeit, drei Monate im Jahr eine unbezahlte Reduktion ihrer Arbeitszeit um die Hälfte zu verlangen. Die übrigen konservativen Wohlfahrtsstaaten haben bislang keine direkten familisierenden Strukturen entwickelt2, und bei den de-familisierenden Strukturen weisen sie ähnlich geringe Werte auf wie alle konservativen Wohlfahrtsstaaten (vgl. Schölkopf 1999). Es zeichnet sich somit ein zweiter konservativer Entwicklungspfad des Familialismus in der Altenpflege ab: vom impliziten zum indirekten expliziten Familialismus. Insgesamt betrachtet konnten über die beiden Politikbereiche hinweg drei Entwicklungspfade des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten identi­ fiziert werden (vgl. Tabelle 26): (1) Vom impliziten zum indirekten expliziten Familialismus. (2) Vom impliziten über den indirekten expliziten zum direkten expliziten Familialismus. (3) Vom strukturellen De-Familialismus über den expliziten zum optionalen Familialismus.

2

In Italien haben vier Regionen eine Unterstützungsleistung für Personen eingeführt, die eine pflegebedürftige ältere Person, die ansonsten stationäre Pflege benötigen würde, in ihren Haushalt aufnehmen. Die Leistung liegt über der Armutsschwelle, ist aber einkommens­ abhängig (Trifiletti 1998, S. 187).

200

VII. Entwicklungspfade des Familialismus Tabelle 26 Drei Entwicklungspfade des konservativen Familialismus

Pfad 1: impliziter Familialismus → indirekter expliziter Familialismus

Kinderbetreuung: Griechenland, Portugal, Spanien Altenpflege: Griechenland, Italien, Portugal, Spanien

Pfad 2: impliziter Familialismus → indirekter expliziter Familialismus → direkter expliziter Familialismus

Kinderbetreuung: Deutschland, Italien, Niederlande, Österreich Altenpflege: Belgien, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich

Pfad 3: Struktureller De-Familialismus → expliziter Familialismus → optionaler Familialismus

Kinderbetreuung: Belgien, Frankreich

Quelle: Eigene Darstellung.

Damit bestätigt sich mit drei Ausnahmen die idealtypische Verortung konservativer Wohlfahrtsstaaten im impliziten und expliziten Familialismus in der historisch-empirischen Entwicklung der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken dieser Wohlfahrtsstaaten. Abweichend von den theoretischen Ausgangsüberlegungen findet sich empirisch gesehen in der Kinderbetreuungspolitik Belgiens, Frankreichs und Deutschlands eine konservative Spielart des optionalen Familialismus. Dies erfordert eine analytische Differenzierung der Ausgangsüberlegungen: Der optionale Familialismus kann sowohl in sozialdemokratischen als auch in konservativen Wohlfahrtsstaaten auftreten, unterscheidet sich jedoch in seiner inhaltlichen Ausrichtung nach den unterschiedlichen Stratifizierungsprinzipien. Während das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime die egalitäre Orientierung familisierender wie de-familisierender Strukturen auf höchst möglichem Niveau betont, reproduziert das konservative Wohlfahrtsregime Geschlechter- und Einkommensungleichheiten, wenn es um die Wahlfreiheit zwischen Eigenbetreuung und unterschiedlichen Formen der Fremdbetreuung von Kindern geht.

VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus In Kapitel VII. wurden bereits diejenigen prägenden Entwicklungszeitpunkte für die vier untersuchten Länder identifiziert, die als „critical junctures“ (Collier/ Collier 1991) des Wandels im jeweiligen familialistischen Profil angesehen werden können. Es soll nun versucht werden, die theoretischen Überlegungen zur Entwicklung von Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken (siehe Kapitel II.) auf die empirischen Erkenntnisse der Länderstudien anzuwenden, um so den Wandel von Familialismus systematisierend zu erklären. 1. Übergang zum indirekten expliziten Familialismus In allen vier Ländern findet zunächst der Übergang vom impliziten zum in­ direkten expliziten Familialismus statt. Da die indirekten familisierenden Maßnahmen Familienarbeit nicht per se fördern, sondern eine bestimmte Form der Arbeitsteilung innerhalb von (ehelichen) Paargemeinschaften, sind sie analytisch betrachtet sowohl dem Bereich der Kinderbetreuungspolitik als auch dem Bereich der Altenpflegepolitik zuzurechnen. Ihre Ausrichtung auf die Förderung des männlichen Ernährermodells wird am Beispiel der Witwenrente besonders deutlich: Bis in die 1980er Jahre hinein konnte sie in allen Ländern ausschließlich von Frauen beansprucht werden. Hier spiegelt sich eindeutig die gesellschaftliche Hege­monie eines traditionellen Geschlechter- und Familienleitbilds, welches über unterschiedliche Regierungskonstellationen hinweg sowohl von konserva­ tiven als auch von sozialdemokratischen Parteien sozialpolitisch institutionalisiert wurde. Der Übergang in den indirekten expliziten Familialismus fand in den vier Untersuchungsländern allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt. In Österreich und Belgien erfolgte dieser Schritt bereits in den 1920er Jahren, in Deutschland und Frankreich jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Betrachtet man die indirekten familisierenden Strukturen in den einzelnen Ländern genauer, so fällt auf, dass diese in Österreich bis nach dem Zweiten Weltkrieg nur schichtspezifisch selektiv verfügbar waren, d. h. nur für Ehefrauen und Lebenspartnerinnen von Angestellten. In Belgien wiederum waren abgeleitete Ansprüche bis nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in allen Versicherungszweigen institutionalisiert, und in Deutschland gab es zwar auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg abgeleitete Ansprüche, allerdings auf einem sehr geringen Leistungsniveau. Es zeigt sich somit, dass eigentlich in allen vier Ländern erst nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich

202

VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus 

von einem die gesamte Bevölkerung umfassenden indirekten expliziten Familialismus gesprochen werden kann. Dies hängt entscheidend mit den günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit zusammen, die eine der­ artige Expansion der Sozialpolitik ermöglichten. In den 1980er Jahren löste die 1976 von der EU beschlossene Gleichbehandlungsrichtlinie bzw. deren Umsetzung in nationales Recht eine Reformwelle im Sozialrecht aus: Die bislang nur für Frauen vorgehaltenen abgeleiteten Ansprüche wurden nunmehr auch für Männer zugänglich gemacht. Diese neue Geschlechtsneutralität der Regelungen ermöglicht seither den sozial abgesicherten Geschlechtsrollentausch in Partnerschaften, der aber nur selten vorkommt. Die geschlechtsspezifischen Einkommensungleichheiten bzw. die Geschlechtersegregation des Arbeitsmarktes wirken gegen die erweiterten Möglichkeiten, die die neuen sozialpolitischen Strukturen bieten. Die Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie bleibt aber auch deshalb reine Formsache, weil das vorherrschende Geschlechter- und Familienleitbild sich nach wie vor eher am (modernisierten) männlichen Ernährermodell und weniger am Zwei-Verdiener-Modell orientiert. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, warum alle konservativen Wohlfahrts­ staaten die indirekten familisierenden Maßnahmen bis heute im Prinzip aufrecht erhalten. 2. Kinderbetreuung: Übergang zum direkten expliziten Familialismus a) Der französische Zick-Zack-Kurs Frankreich war das erste der vier Untersuchungsländer, das eine direkte familisierende Maßnahme einführte. Die „allocation de salaire unique“ bot zwischen 1946 und 1962 von ihrer Höhe her einen respektablen Ersatz für das weibliche Erwerbseinkommen, wenn mindestens zwei Kinder vorhanden waren. Sie richtete sich ausschließlich an nicht erwerbstätige Mütter und stellte damit einen großen Anreiz zur Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern dar. Den Hintergrund für diese Maßnahme bildete ein traditionelles Frauenbild, welches Erwerbstätigkeit und Mutterschaft für nicht vereinbar hält. Dieses wurde von der katholischen Frauenorganisation UFCS in einer Hausfrauen-Kampagne politisch transportiert und in Kooperation mit der natalistischen Bewegung sozialpolitisch institutionalisiert. Man kann in diesem Fall von einer „advocacy coalition“ zur Förderung der Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern sprechen. In den 1970er Jahren jedoch verabschiedete sich Frankreich von diesen sozialkatholischen Wurzeln seiner Familienpolitik und damit auch von dem traditionellen Frauenleitbild. Mit dem politischen Aufstieg der Modernisten gewannen die Themen Frauenerwerbstätigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter an familienpolitischer Bedeutung (siehe unten).

2. Kinderbetreuung: Übergang zum direkten expliziten Familialismus

203

b) Österreich und Deutschland Anders als in Frankreich war in Österreich und in Deutschland die Einführung von direkten familisierenden Maßnahmen nicht mit dem Leitbild der generellen Nicht-Erwerbstätigkeit von Müttern verbunden. Im Vordergrund stand vielmehr das Vereinbarkeitsproblem, dem sich erwerbstätige Frauen gegenüber sahen, wenn sie Mütter wurden. Insofern kann für beide Länder die steigende Erwerbstätigkeit von (jungen) Frauen als Problem generierende Entwicklung identifiziert werden. Allerdings wurde – trotz vergleichbar geringer Frauenerwerbsquote – in Österreich die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbsarbeit viel früher als soziales Problem wahrgenommen und politisch bearbeitet als in Deutschland. In Österreich waren sich die beiden Sozialstaatsparteien bereits Ende der 1950er Jahre darüber einig, dass Mütter in der ersten Zeit nach der Geburt nicht erwerbstätig sein sollten. Während die Sozialdemokraten im „Karenzurlaub“ jedoch einen Anreiz zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt im Sinne eines Drei-Phasen-Modells der weiblichen Erwerbstätigkeit sahen, stellte die Regelung für die Christdemokraten einen Anreiz zum langfristigen Ausstieg von Müttern aus dem Arbeitsmarkt im Sinne des traditionellen Ernährermodells dar. Diese ideologischen Differenzen zwischen den beiden Sozialstaatsparteien mündeten aufgrund der verhandlungsdemokratischen Strukturen des politischen Systems immer wieder in politischen Kompromissgesetzgebungen hinsichtlich der familisierenden Strukturen, während die de-familisierenden Strukturen als nicht kompromissfähiges Politikfeld weitgehend „unbearbeitet“ blieben. Sozialpolitisch institutionalisiert wurde letztendlich ein modernisiertes Ernährermodell: Bis 1990 wurde der einjährige Ausstieg von Müttern aus der Erwerbsarbeit gefördert, der allerdings aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten meist bis zum dritten Lebensjahr des Kindes dauerte, da dieses frühestens dann einen (Halbtags-)Kindergartenplatz bekommen konnte. Die Rückkehr der Mütter in den Beruf gestaltete sich in der Folge oft als Teilzeit Erwerbstätigkeit. Die Ausdehnung des „Karenzurlaubs“ auf zwei Jahre sowie die Öffnung desselben für Väter änderten wenig an diesem Drei-PhasenModell der Frauenerwerbstätigkeit. Die Neuregelung 2002 durch die Einführung des „Kinderbetreuungsgelds“ verlängerte den bezahlten Ausstieg nochmals, wobei nun gleichzeitig die geringfügige Beschäftigung von Müttern während dieses Ausstiegs gefördert wird. Nach wie vor setzt (für vormals erwerbstätige Mütter) bei der Geburt eines Kindes die Abhängigkeit vom Ernährer ein, und die Rolle von Müttern auf dem Arbeitsmarkt reduziert sich auf die der geringfügig oder Teilzeit beschäftigten Zuverdienerin. Zudem sind nunmehr auch vormals nicht erwerbstätige Eltern anspruchsberechtigt, wodurch die familiale Kinderbetreuung per se gefördert wird. Dies ist auf den Machtverlust der Sozialdemokraten zurückzuführen. In Deutschland haben 1979 zunächst die Sozialdemokraten und 1985 dann die Christdemokraten auf das Vereinbarkeitsproblem reagiert. Ähnlich wie in Österreich zeigten sich grundlegende ideologische Differenzen zwischen den beiden Sozialstaatsparteien: Während es den Sozialdemokraten um die Ermöglichung der

204

VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus 

Erwerbstätigkeit von Müttern und um die Entscheidungsfreiheit der Eltern zwischen Eigen- und Fremdbetreuung ihrer Kinder ging, war für die Christdemokraten Mutterschaft und Erwerbsarbeit nicht vereinbar. Mit dem Regierungswechsel 1982 wurde der sozialdemokratische Mutterschaftsurlaub, der eine kurze Auszeit für vormals erwerbstätige Mütter gewährte, durch das christdemokratische Erziehungsgeld ersetzt. Dieses ermöglichte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Rahmen eines Drei-Phasen-Modells und förderte gleichzeitig generell die familiale Betreuung von Kleinkindern. Anders als in Österreich wurde damit ein nur teilweise modernisiertes Ernährermodell sozialpolitisch institutionalisiert: Unter dem Diktum der Wahlfreiheit wurden auch Mütter unterstützt, die vor der Geburt ihres Kindes nicht erwerbstätig waren. Diese doppelte Zielgruppenorientierung konnte sich in Österreich aufgrund des sozialdemokratischen Einflusses bis 2002 nicht durchsetzen. Es zeigt sich, dass in beiden Ländern der Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Kinderbetreuungspolitik durch die steigende Frauenerwerbstätigkeit und das daraus resultierende Vereinbarkeitsproblem ausgelöst wurde. In beiden Ländern bestanden ideologische Differenzen zwischen Sozial- und Christdemokratie, die in Österreich aufgrund von Koalitions- und Verhandlungszwängen zu einem modernisierten Ernährermodell geführt haben, während in Deutschland die Christdemokraten aufgrund ihrer Regierungsmacht ein nur teilweise modernisiertes Ernährermodell institutionalisieren konnten. In beiden Fällen ist bemerkenswert, dass nicht nur die Sozialdemokratie, sondern auch die Christ­ demokratie die Erwerbstätigkeit von Müttern im Rahmen eines Drei-Phasen-Modells akzeptierte. Dies deutet auf ein geändertes Frauenbild hin, welches in der Phase des indirekten expliziten Familialismus noch nicht feststellbar war. 3. Altenpflege: Übergang zum direkten expliziten Familialismus In drei der Untersuchungsländer ist der Übergang vom indirekten zum direkten expliziten Familialismus in der Altenpflegepolitik aufgrund von sozial-strukturellen Wandlungsprozessen – konkret: wegen der zunehmenden Alterung der Gesellschaft und der steigenden Frauenerwerbsquote – und deren Folgekosten für die Sozialpolitik erfolgt. Nur in Belgien spielte das prognostizierte Defizit in der zukünftigen Erbringung von Angehörigenpflege keine Rolle bei der Einführung direkter familisierender Maßnahmen. In Österreich und in Deutschland waren jeweils themenspezifische „advocacy coalitions“ als Motoren der Politikentwicklung von Bedeutung: In Österreich übte der Österreichische Zivilinvalidenverband gemeinsam mit der Parlamentsfraktion der Grünen politischen Druck aus. In Deutschland waren es die Kommunen und Länder, die gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden auf eine Lösung der wachsenden Ausgabenlast im Pflegebereich drängten. In beiden Ländern ging es bei der Einführung des „Pflegegelds“ auch darum, einen positiven Anreiz für die Pflege

4. Kinderbetreuung: Übergang zum optionalen Familialismus

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durch Angehörige zu setzen. Das Leitbild der familialen Pflege wurde sowohl aus finanziellen aber auch aus kulturell-moralischen Überlegungen heraus bestimmend für die Ausgestaltung der Leistungen. In Frankreich wurde die erste direkte familisierende Maßnahme bereits sehr früh, Mitte der 1970er Jahre, im Rahmen der Behindertenpolitik eingeführt. Insofern stand hier immer schon die Autonomie der Pflegebedürftigen über die Verwendung der Transferleistung im Mittelpunkt. Mit der Zeit wurde diese Maßnahme zunehmend von älteren Pfegebedürftigen genutzt, so dass eine Überlastung der Kommunen, die diese Maßnahme über ihr Sozialhilfebudget finanzierten, entstand. Die steigende Anzahl an älteren Pflegebedürftigen wurde somit zum finanziellen Problem für die öffentliche Hand und löste dementsprechend politischen Handlungsdruck aus. Die Einführung der „allocation personnalisée d’autonomie“ im Jahr 2002 war schließlich die Antwort auf dieses Problem und führte im Wesentlichen die alte Politik mit neuen Mitteln weiter: Die Leistung bleibt einkommensabhängig und muss nachweislich für die Bezahlung von Pflegedienstleistungen verwendet werden. In diesem Sinne kann hier eine pfadabhängige Entwicklung festgestellt werden. Im Unterschied zu den anderen Untersuchungsländern spielte dabei die Frage der Angehörigenpflege eine nur marginale Rolle. Von den engsten Angehörigen, den LebenspartnerInnen, wird implizit vorausgesetzt, dass sie die notwendige Pflege ohnehin aus moralischen Gründen erbringen. Die APA sollte deshalb weniger den pflegenden Angehörigen zugute kommen, sondern zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich beitragen. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Maßnahme war deshalb eine weitere wichtige politische Legitimation für diese Politik. In Belgien wiederum wurde der Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Altenpflegepolitik über den Umweg der Arbeitsmarktpolitik erreicht. Die Einführung einer bezahlten Erwerbsunterbrechung war vorwiegend arbeitsmarktpolitisch motiviert: Erwerbstätige pflegende Angehörige, die diese „Auszeit“ in Anspruch nehmen, entlasten den Arbeitsmarkt. 4. Kinderbetreuung: Übergang zum optionalen Familialismus a) Frankreich und Belgien Auch in Frankreich und Belgien waren der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit und das daraus resultierende Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Auslöser für den Ausbau der Kinderbetreuungspolitik. Anders als in Österreich und Deutschland stand dabei aber zunächst nicht die Einführung von direkten familisierenden Maßnahmen auf dem Programm, sondern der Ausbau der de-familisierenden Betreuungsstrukturen. Für die Vorschulkinder im Alter von zweieinhalb bis sechs Jahren konnte in beiden Ländern an die Tradition der „écoles maternelles“ angeknüpft werden. Hier zeigte sich die Bedeutung des Politik-Erbes, wel-

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VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus 

ches aus dem Streit um die „Erziehungshoheit“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist: In Frankreich wurden die Vorschulen als Teil des staatlichen Bildungssystems etabliert, welches allen Kindern offen stehen soll. Die aufgrund des Vereinbarkeitsproblems wachsende Nachfrage nach Plätzen musste dementsprechend schon aus Gründen der Chancengleichheit befriedigt werden. In Belgien wiederum hat der Wettstreit um die Vorherrschaft über das Erziehungswesen zur flächendeckenden Versorgung mit Vorschulen geführt, die mit der Zeit immer stärker zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf genutzt wurden. Durch diese Tradition der außerfamilialen Kindererziehung hatten Frankreich und Belgien einen „Vorsprung“ bei den de-familisierenden Maßnahmen gegenüber den anderen konservativen Wohlfahrtsstaaten, der sich auch beim Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen bemerkbar machte. Die Tatsache, dass Kinder seit Ende des 19. Jahrhunderts einen großen Teil ihrer Zeit nicht bei den Eltern, sondern in der Vorschule verbrachten, erleichterte die kulturelle Akzeptanz der außerfamilialen Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Die säkularisierte Christdemokratie leitete in Frankreich bereits in den 1970er Jahren den Ausbau der Krippenplätze ein, um den Arbeitskräftemangel durch den Anstieg der Frauenerwerbsquote zu bekämpfen. Die Sozialisten wollten die Gleichstellungsforderungen der Frauenbewegung in den 1980er Jahren durch die Fortführung des Krippenausbaus aufnehmen. Vorwiegend aus finanzpolitischen Gründen ging der Ausbau der Krippenplätze jedoch nur schleppend voran. Alternativ dazu wird seit Mitte der 1980er Jahre eine Politik der Diversifizierung der Betreuungsformen betrieben. Diese ist vorwiegend arbeitsmarktpolitisch motiviert und soll zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosenrate beitragen. Sie umfasst die Förderung von Kinderfrauen und Tagesmüttern, um die Betreuungssituation für die unter Dreijährigen zu verbessern, und die Einführung von direkten familisierenden Maßnahmen zur Förderung der familialen Kinderbetreuung durch vormals erwerbstätige Mütter. Insofern bietet Frankreich die schichtspezifisch differenzierte und geschlechtsspezifisch diskriminierende Wahlfreiheit der konservativen Spielart des optionalen Familialismus. In Belgien wurde bereits in den 1970er Jahren aus finanzpolitischen Gründen auf den Ausbau der Kinderbetreuung durch Tagesmütter gesetzt. Die nationale Familienkasse der Angestellten, die wiederum auf die Vereinbarkeitsprobleme ihrer relativ großen weiblichen Klientel reagierte, kann hier als wichtige politische Interessensgruppe und wesentlicher Motor dieser Entwicklung benannt werden. Direkte familisierende Maßnahmen wurden in Belgien auch erst Mitte der 1980er Jahre eingeführt, und sie waren wie in Frankreich vorwiegend arbeitsmarkt­ politisch motiviert. Der Übergang zur konservativen Spielart des optionalen Familialismus stellte in beiden Ländern eine Reaktion politischer Akteure auf das zunehmende Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dar. Die politische Lösung des Problems lässt sich für beide Länder mit ähnlichen Faktoren erklären: Das politische Erbe

4. Kinderbetreuung: Übergang zum optionalen Familialismus

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der Vorschulen, der enge finanzielle Handlungsspielraum sowie die Funktiona­ lisierung der Kinderbetreuungspolitik für arbeitsmarktpolitische Ziele bestimmten die Entwicklung des Familialismus. Die öffentliche Subventionierung von Tagesmüttern scheint dabei nicht nur eine finanzgünstige Lösung des Betreuungsproblems für die unter Dreijährigen zu sein, sondern auch dem konservativen Leitbild der familialen Kinderbetreuung nahe zu kommen: Als „Ersatzmutter“ kann die Tagesmutter eine familienähnliche Betreuungssituation bieten und stellt damit die bessere Alternative zur Krippenbetreuung dar. Ähnliches gilt für die arbeitsmarktpolitisch motivierte Einführung von direkten familisierenden Maßnahmen: Sie stellen einen Anreiz zum zeitweisen Erwerbsausstieg von Müttern dar und fördern das Modell der sukzessiven, nicht der simultanen Vereinbarkeit. b) Deutschland In Deutschland steckt der Übergang zum optionalen Familialismus noch in den Kinderschuhen. Er ist besonders erklärungsbedürftig, weil Deutschland (1) nicht wie Frankreich oder Belgien auf ein politisches Erbe an Kinderbetreuungsinfrastruktur anknüpfen konnte und (2) mit der Einführung des „Elterngelds“ erstmalig in konservativen Wohlfahrtsstaaten die Unabhängigkeit von einem Ernährereinkommen für vormals gut verdienende Eltern gewährleistet wird. Die deutsche Reformpolitik ist eine Reaktion auf die sinkende Geburtenrate und den prognostizierten zukünftigen Arbeitskräftemangel. Durch den Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden, um mittelfristig die Frauenerwerbsquote zu erhöhen. Langfristig soll dies in Kombination mit dem „Elterngeld“ vor allem auch bei besser Verdienenden (und besser Gebildeten) zu einer höheren Geburtenrate und damit zur Sicherung des Arbeitskraftvolumens führen. Die frühe außer­familiale Betreuung der Kinder hat bei entsprechender entwicklungsfördernder Ausrichtung zudem das Potential, auch die Qualität der zukünftigen Arbeitskräfte sicherzustellen. Dieses produktivistische Paradigma der Familienpolitik wird von beiden Sozialstaatsparteien geteilt und überschattet das traditionelle Frauen- und Familienleitbild, welches in der Christdemokratie durchaus noch vorhanden ist.

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VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus 

5. Erklärungsmuster für den Wandel des Familialismus in konservativen Wohlfahrtsstaaten Tabelle 27 Erklärungsfaktoren im Vergleich Übergang zum indirekten expliziten Familialismus

(1) Traditionelles Geschlechter- und Familienleitbild (2) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen (3) EU

Ö, D, F, B Ö, D, F, B Ö, D, F, B

Übergang zum direkten expliziten Familialismus

Kinderbetreuung (1) Traditionelles Frauenbild (2) Advocacy Coalition (3) Frauenerwerbsquote/Vereinbarkeitsproblem (4) Parteien/ideologische Differenzen (5) Verhandlungszwang (6) Modernisiertes Frauenbild

F F Ö, D Ö, D Ö Ö, D

Altenpflege (1) Alterung/Frauenerwerbsquote (2) Advocacy Coalition (3) Leitbild familiale Pflege (4) Pfadabhängigkeit (5) Arbeitsmarktpolitischer Nutzen

Ö, D, F Ö, D Ö, D F F, B

(1) Politik-Erbe (2) Leitbild außerfamiliale Betreuung (3) Ökonomische Rahmenbedingungen (4) Arbeitsmarktpolitischer Nutzen (5) Interessensgruppe als politischer Akteur (6) Leitbild familialer Betreuung (7) Produktivistisches Paradigma

F, B F, B F, B F, B B F, B D

Übergang zum optionalen Familialismus

Quelle: Eigene Darstellung.

Analog zu den länderspezifischen Gemeinsamkeiten bei den familialistischen Entwicklungspfaden zeichnen sich länderspezifische Erklärungsmuster für die Übergänge zwischen unterschiedlichen Familialismus-Typen ab. Zunächst muss historisch zwischen den Entwicklungen bis Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre und den nachfolgenden Politiken unterschieden werden. Die erste Phase umfasst in allen vier Ländern die Entwicklung zum indirekten expliziten Familialismus sowie in Frankreich auch die Entwicklung zum frühen direkten expliziten Familialismus. Sie ist geprägt durch ein traditionelles Geschlechter- und Familien­ leitbild einerseits und günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg andererseits. Das Zusammenwirken von kulturellen und ökonomischen Faktoren erklärt hier die Familialismus-Entwicklung (Erklärungsmuster I). Dies gilt auch für alle anderen konservativen Wohlfahrtsstaaten, die alle den Schritt zum indirekten expliziten Familialismus vollzogen haben.

5. Erklärungsmuster für den Wandel in konservativen Wohlfahrtsstaaten

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In der nachfolgenden Entwicklung des Familialismus zeichnen sich zwei unterschiedliche Erklärungsmuster ab. Zum einen ähneln sich Österreich und Deutschland in ihrer Entwicklung zum direkten expliziten Familialismus: Im Bereich der Kinderbetreuung treiben die steigende Frauenerwerbsquote und das daraus resultierende Vereinbarkeitsproblem sowie ein modernisiertes Frauenbild die Politik voran, während die parteiideologischen Differenzen die konkrete Ausgestaltung der Politik bestimmen. Im Bereich der Altenpflege setzen sozialstrukturelle Entwicklungen (Alterung, Frauenerwerbstätigkeit) die Politik in Gang, es bedarf jedoch spezifischer Advocacy-Koalitionen, um das Leitbild der familialen Pflege in Form von direkten familisierenden Maßnahmen umzusetzen. In beiden Politikbereichen wirkt der sozialstrukturelle Problemdruck als Auslöser für die Politikentwicklung, wobei im Fall der Kinderbetreuung die politischen Parteien um die Implementierung spezifischer kultureller Leitbilder konkurrieren und im Fall der Altenpflege ein kulturelles Leitbild von einer spezifischen Akteurskoaltion in Politik umgesetzt wird (Erklärungsmuster II). Zum andern ähneln sich Frankreich und Belgien in ihrer Entwicklung zum direkten expliziten Familialismus in der Altenpflege wie auch in ihrer Entwicklung zum optionalen Familialismus in der Kinderbetreuung: Als Politikfeld übergreifender und starker Erkärungsfaktor kann zunächst der arbeitsmarktpolitische Nutzen der Einführung von direkten familisierenden Maßnahmen im Bereich der Altenpflege und des Ausbaus der de-familisierenden Strukturen im Bereich der Kinderbetreuung hervorgehoben werden. Daneben treten im Bereich der Kinderbetreuung das Politik-Erbe in Kombination mit dem Leitbild außerfamilialer Betreuung als wichtiger Erklärungsfaktor sowie das Leitbild der familialen Betreuung in Kombination mit restriktiven ökonomischen Rahmenbedingungen. Das Zusammenspiel von ökonomischen und kulturellen Faktoren in Kombination mit pfadabhängigen Entwicklungen prägen somit das Erklärungsmuster III. Die jüngste deutsche Entwicklung in der Kinderbetreuungspolitik hin zum optionalen Familialismus stellt einen bemerkenswerten Sonderweg dar, der durch die Vorherrschaft eines produktivistischen Paradigmas erklärt werden kann. Dieses geht weit über die arbeitsmarktpolitischen Intentionen des französischen und des belgischen Familialismus hinaus und führt in seiner Umsetzung zu einer produktivistisch orientierten Kinderbetreuungspolitik, die eine weitere konservative Spielart des optionalen Familialismus darstellt (vgl. Kapitel VII.). Die theoretischen Vorüberlegungen aus Kapitel II. über die möglichen Erklärungsfaktoren für den Wandel der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken können vor dem Hintergrund der Ergebnisse der empirischen Analyse folgendermaßen konkretisiert werden: –– Sozialstrukturelle Faktoren spielten beim Übergang zum direkten expliziten Familialismus für beide Politikfelder eine Rolle, indem sie den politischen Problemdruck generierten, der schließlich zu politischem Handeln führte.

210

VIII. Erklärungsfaktoren des Wandels von Familialismus 

–– Ökonomische Rahmenbedingungen waren zweifach von Bedeutung: Zum einen ermöglichten sie den Übergang zum indirekten expliziten Familialismus, zum anderen waren sie – unter negativem Vorzeichen – in Frankreich und Belgien zentrale Motivation beim Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Altenpflege wie beim Übergangz zum optionalen Familialismus in der Kinderbetreuung. –– Unterschiedliche kulturelle Leitbilder prägten die Entwicklung des Familialismus. Zunächst gab ein konservatives Geschlechter- und Familienleitbild dem Übergang zum indirekten expliziten Familialismus seinen spezifisch konservativen Charakter, während der Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Kinderbetreuung durch ein modernisiertes Frauenbild mit ausgelöst wurde. Der Übergang zum optionalen Familialismus in der Kinderbetreuung spiegelte schließlich zwei konkurrierende Leitbilder: das der außerfamilialen und das der familialen Betreuung. Zudem spielte in Österreich und Deutschland das Leitbild der familialen Pflege eine Rolle beim Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Altenpflege. –– Parteien und ihre ideologischen Differenzen spielten in Österreich und Deutschland im Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Kinderbetreuung eine Rolle, während ebenfalls in Österreich und Deutschland themenspezifische Advocacy-Koalitionen den Übergang zum direkten expliziten Familialismus in der Altenpflege prägten. –– Das Politik-Erbe aus dem 19. Jahrhundert zeigte sich erklärungsrelevant für den französischen und den belgischen Übergang zum optionalen Familialismus in der Kinderbetreuung. Ein spezifisch „konservatives“ Erklärungsmuster für den Wandel von Fami­ lialismus lässt sich aus den empirischen Ergebnissen nicht ableiten. Es zeigt sich vielmehr eine historische Bruchlinie, die mit dem so genannten „goldenen Zeitalter“ des Wohlfahrtsstaats nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der 1970er Jahre korrespondiert. In diese Zeit fällt der Übergang zum indirekten expliziten Familialismus, der für alle konservativen Wohlfahrtsstaaten durch günstige ökonomische Rahmenbedingungen und ein konservatives Geschlechter- und Familienleitbild charakterisiert ist. Des Weiteren lassen sich für die spätere Entwicklung des Familialismus zwei Ländergruppen ausmachen, die ähnliche Entwicklungspfade und Erklärungsmuster aufweisen: Österreich und Deutschland auf der einen Seite, Frankreich und Belgien auf der anderen Seite. Inwiefern die Entwicklungen in den Niederlanden und in Italien mit dem österreichisch-deutschen Erklärungsmuster korrespondieren und warum die südeuropäischen Länder in ihrer Entwicklung beim indirekten expliziten Familialismus stehen geblieben sind, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden und bedarf weiterer Forschung.

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