Treubindungen von Minderheitsaktionären: Eine vergleichende Analyse im deutschen und US-amerikanischen Recht, dargestellt am Phänomen der treuwidrigen Aktionärsklage [1 ed.] 9783428487677, 9783428087679

In der Arbeit werden zunächst die Voraussetzungen für eine Anwendung der - aus der Mitgliedschaft abgeleiteten - Treuepf

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Treubindungen von Minderheitsaktionären: Eine vergleichende Analyse im deutschen und US-amerikanischen Recht, dargestellt am Phänomen der treuwidrigen Aktionärsklage [1 ed.]
 9783428487677, 9783428087679

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PETER GUNTZ

Treubindungen von Minderheitsaktionären

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 10]

Treubindungen von Minderheitsaktionären Eine vergleichende Analyse im deutschen und US-amerikanischen Recht, dargestellt am Phänomen der treuwidrigen Aktionärsklage

Von

Peter Guntz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Guntz, Peter: Treubindungen von Minderheitsaktionären : eine vergleichende Analyse im deutschen und US-amerikanischen Recht, dargestellt am Phänomen der treu widrigen Aktionärsklage I von Peter Guntz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 101) Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08767-4 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Beriin Fotoprint: Werner Hildebrand, Beriin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-08767-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

Herzlich gedankt sei der University of California in Berkeley für die Aufnahme als 'visiting scholar' und die hervorragenden Arbeitsbedinungen, Prof. Buxbaum für seine wertvollen Anregungen zum US-amerikanischen Recht, den zahlreichen weiteren Gesprächspartnern, unter ihnen vor allem Prof. Rimmelspacher und Dr. Schmid, für die befruchtenden Diskussionen, Prof. Leipold für die Aufnahme in das Graduiertenkolleg der Universität Freiburg, Prof. Hueck für die Zurverfügungstellung des Arbeitsplatzes im handelsrechtlichen Seminar der Universität München, dem DAAD und der DFG für die gewährten Stipendien, der Humboldt-Universität, Berlin, für die Annahme der Promotion, Prof. Flessner für die Erstattung des Zweitgutachtens und seine weiterführenden Vorschläge, dem Deutschen Aktieninstitut für die Verleihung des DAI-Hochschulpreises 1995, Prof. Lutter für die Bemühungen um die Veröffentlichung der Dissertation, meiner Frau und den Freunden in Freiburg, Berkeley und München für die zum fruchtbaren Arbeiten notwendigen Rahmenbedingungen, vor allem aber meinen Eltern, die mir mein sorgenfreies Leben und meine wissenschaftlichen Eskapaden erst ermöglichten; ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Mein ganz besonderer Dank gilt jedoch Frau Prof. Windbichler, die den Anstoß zu der vorliegenden Dissertation gab und über die Erstattung des Erstgutachtens hinaus viel Zeit in diese investierte. In Ihrer wunderbar unprofessoralen Art wurde sie bei allen Krisen und Höhenflügen meiner Arbeit nie müde, sich stets aufs Neue in die Diskussion einzulassen. München im Dezember 1996

Peter Guntz

Inhaltsübersicht Einführung

19

Erster Teil

Die Existenz von Treubindungen auch für Minderheitsaktionäre Erster Abschnitt: Recht der Vereinigten Staaten von Amerika ...................

22

Einführung: 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA .................

§ 4 Pflichtenbindung des Minderheitsaktionärs . . . . . . . .. . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Abschnitt: Recht der Bundesrepublik Deutschland ........................

84

§

§ 2 Bedeutung und Entstehung der 'Fiduciary Duty of Loyalty' .................... § 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law' ...........................................

§ 5 Einordnung des Begriffs Treuepflicht.................................................

84 90 § 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht................................................... 110 § 8 Rechtsfolgen von Treuepflichtverletzungen ......................................... 133 § 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär................................................. 154 § 6 Dogmatische Begründung der Treuepflicht des Aktionärs.......................

Dritter Abschnitt: Vergleich ................................................................. 199 § 10 Begriff und Funktion der Treuepflicht................................................ 199 § 11 Vergleichbarkeit aufgrund paralleler dogmatischer Grundlagen.. .... .......... 200 § 12 Inhalt der Treuepflicht und Folgen ihrer Verletzung ... ................. .......... 204 § 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre.......................... ... 209

Zweiter Teil

Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts Erster Abschnitt: Recht der Vereinigten Staaten von Amerika ................... 216 § 14 Das Klagerecht des Minderheitsaktionärs ..................................... , . . . . . . 217 § 15 Funktion des Klagerechts ................................................................ 219

8

Inhaltsübersicht

§ 16 Mißbrauch des Klagerechts ............................................................. 234 § 17 Anwendbarkeit von 'Piduciary Duties' zur Lösung ............................... 251

Zweiter Abschnitt: Recht der Bundesrepublik Deutschland .. .. .... .... .. .. .. .. .. . 269 § 18 Problemstellung ............................................................................ 269 § 19 Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den einzelnen Problemkreisen. 279 § 20 Praktische Tauglichkeit und dogmatische Klarheit der gefundenen

Lösungen ................................................................................... 296 § 21 Lösung über das Institut der aktienrechtlichen Treuepflicht..................... 317 § 22 Verfiigbarkeit einstweiligen Rechtsschutzes für die Gesellschaft .............. 333

§ 23 Praktische Tauglichkeit der kombinierten Lösung aus einstweiligem Rechtsschutz und Schadensersatzanspruch wegen Treuepflichtverletzung ... 347 Dritter Abschnitt: Vergleich ................................................................. 357 § 24 Mißbrauchserscheinungen ............................................................... 357 § 25 Die Reaktion der Rechtsordnung ...................................................... 364 § 26 Treuepflichten als Lösungsansatz ...................................................... 372

Zusammenfassung

378

Literaturverzeichnis

398

Sachwortverzeichnis

413

Inhaltsverzeichnis Einführung

19

Erster Teil

Die Existenz von Treubindungen auch für Minderheitsaktionäre Erster Abschnitt Recht der Vereinigten Staaten von Amerika § I Einführung: 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA ................. I. 'Corporate Law' ......................................................................

11. Die Struktur der 'Corporation' ............................... ..................... 1. Theorien über die Rechtspersönlichkeit der 'Corporation' .............. 2. Das Ziel der 'Business Corporation' ........................ .................. 3. Die Leitungsstrukturen innerhalb der 'Corporation' ...................... a) Die Organe der 'Corporation' .............................................. b) Die Kontrolle des Managements........................................... aa) 'Neoc1assical (Chicago) Schoo!' ...................................... bb) 'Managerialism' .......................................................... 4. 'Public Corporation' und 'Close Corporation'.............................. § 2 Bedeutung und Entstehung der 'Fiduciary Duty of Loyalty' .................... I. Begriffsbestimmung.................................................................. 11. Historische Entstehung.............................................................. 1. Gesellschaft und vorherrschende Sozialbeziehung... .................. .... 2. Entwicklung des Rechts der 'Fiduciary Relations' ........................ § 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law' ........................................... I. Allgemeines............................................................................ II. Die Treuepflicht der Direktoren.................................................. I. Dogmatische Grundlagen......... .................. ... ............. .... ......... 2. Ziel richtung der Treuepflicht................................................... 3. Inhalt der Treuepflicht........................................................... a) Einfluß auf den Abschluß von Geschäften durch die Gesellschaft im eigenen Interesse: 'Self Dealing' im weiteren Sinn................ b) Übervorteilung der Gesellschaft in anderer Weise .................... c) Veränderungen in der Struktur der 'Corporation' ................ ..... d) Abwehr von take-over Versuchen: 'Perpetuation of Contro!' ....... III. Die Treuepflicht der Aktionäre.................................................... 1. Dogmatische Herleitung ......................................................... a) Ableitung aus der Treuhandstellung der Direktoren..................

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Inhaltsverzeichnis

b) Ableitung aus der Machtposition in der Gesellschaft.................. c) Gemeinsamkeiten.............................................................. d) Die persönliche Verbundenheit der Gesellschafter in der 'Close Corporation' ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Präzisierung und Anwendungsfälle ................ ...... ....... a) Verhältnis Aktionär - Gesellschaft.. ....................................... aa) Geschäfte mit der Gesellschaft........................................ bb) Transaktionen ohne Beteiligung der Gesellschaft ................. b) Verhältnis zu den übrigen Aktionären.................................... 3. Inkongruenzen bei der Anwendung des Treuhandgedankens ........... § 4 Pflichtenbindung des Minderheitsaktionars .................................. ........ 1. Einleitung .............................................................................. 11. Der Treuhandgedanke als Grundlage............................................ ill. Besondere Einflußmöglichkeiten für Minderheitsaktionäre ................. 1. Stimmrecht.......................................................................... a) Satzungsmäßiges Vetorecht................................................. b) Gesetzliche Sperrminorität .................................................. c) Stimmbindungsverträge ........................ .............................. 2. Recht auf Einsichtnahme..................... ........ ........................... 3. Klagerecht .......................................................................... 4. Andere Aktionärsrechte.......................................................... 5. Verfügung über die eigenen Aktien........................................... 6. Machtposition aufgrund Vertragsgestaltung................................. 7. Zusammenfassung................................................................ IV. Machtstellung und Verantwortung: der Inhalt der Treuepflicht............ 1. Treuepflichten als Begrenzung von Rechtspositionen . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktive Handlungspflicht. ..................... ................................... 3. Zusammenfassung ................................................................ V. Rechtsfolgen von Treuepflichtverstößen ........................................ 1. Nichtigkeit und Anfechtung..................................................... 2. Umverteilung ungerechtfertigter Gewinne................................... 3. Schadensersatz..................................................................... 4. Besondere Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Abschnitt Recht der Bundesrepublik Deutschland § 5 Einordnung des Begriffs Treuepflicht................................................. 1. Begriffsverwirrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Versuchte Einteilungen.............................................................. ill. Begriffsbestimmung.................................................................. 1. Umfassende Sichtweise .......................................................... 2. Konkretisierung: Die drei Dimensionen der gesellschafts rechtlichen Treuepflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Treuepflicht positiv als Beitragspflicht ................................... b) Treuepflicht negativ als Unterlassenspflicht............................. c) Treuepflicht als Maßstab des Inhalts von Mitgliedschaftsrechten .. 3. Defmition ...........................................................................

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Inhaltsverzeichnis

11

§ 6 Dogmatische Begründung der Treuepflicht des Aktionärs....................... I. Historischer Abriß.................................................................... II. Die Treuepflicht aus heutiger Sicht............................................... 1. Anknüpfungspunkte .............................................................. 2. Rechtliche Einordnung ..... ................................. ...... ............... a) Zweckförderungspflicht. ......... ............................................ b) Machtbegrenzung ............................................................. c) Zusammenfassung beider Pflichten in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesellschafterrechte und Vorbehalt der gemeinverantwortlichen Ausübung ......................................................... bb) Verbot der Gefährdung des Gemeinschaftszwecks durch privates Handeln ...................................... ...................... cc) Gebot der positiven Zweckförderung ................................ d) Konsequenzen im Aktienrecht.. ............................................ 3. Schutzrichtung der Treuepflicht ............................................... 4. Minderheitsaktionäre als Subjekte der Treuepflicht.. ... ... ..............

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§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht................................................... I. Die Bedeutung des Aktienrechtssystems für die Ausformung der Treuepflicht. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftstypus und typische Treuepflicht............................... 2. Besonderheiten des Aktienrechts . ............... ...... ... ..................... a) Ausprägungen des Treuegedankens im Aktiengesetz ................. aa) § 53 a, Gleichbehandlungsgebot.. .................................... bb) Andere Normen, die die Gleichbehandlung betreffen............ cc) § 243 Abs. 2, Unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen... dd) § 254 Abs. 1, Mindestgewinnausschüttung ......................... ee) § 54 Abs. 1, Verpflichtung zur Einlagenleistung ................. ft) Folgerungen für die Anwendung der Treuepflicht................ b) Schutznormen in Konkurrenz zur Treuepflicht......................... aa) Sicherung von Kapitalautbringung und -erhaltung................ bb) Schadensersatz nach § 117 Abs. 1 ................................... cc) Übertragung von § 117 Abs. 7? ...................................... dd) Schutzvorschriften im Recht der verbundenen Unternehmen.. ee) Verschmelzung und Formwechsel.................................... c) Normen, die gegen eine Anwendung der Treuepflicht sprechen ... aa) § 23 Abs. 5, formelle Satzungsstrenge .................... .......... bb) §§ 68 Abs. 2, 76 Abs. 1, 119 Abs. 2 und 172 Satz 1.. .......... 3. Zusammenfassung ................................................................ a) Erste Ebene, Beschränkung verbands interner Macht................. b) Zweite Ebene, Unterlassung von Schädigungen ....................... c) Dritte Ebene, Förderung des Gemeinschaftszweckes . ....... ......... 11. Einflußfaktoren im Einzelfall ................. ..... ................................

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§ 8 Rechtsfolgen von Treuepflichtverletzungen ......................................... 1. Mögliche Rechtsfolgen .............................................................. II. Den Wertungen des Aktienrechts entsprechende Rechtsfolgen ............ 1. Vom Gesetz vorgesehene KIagerechte ....................................... 2. Bedeutung für die Ahndung von Treuepflichtverstößen ..................

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Inhaltsverzeichnis

a) Treuwidrigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen ................. aa) Bedeutung der Treuepflicht im Rahmen der Anfechtungsklage bb) Weitere Sanktionen treuwidrigen Stimmverhaltens ............... b) Treuwidrige Ausübung anderer Gesellschafterrechte ................. c) Treuwidriges Verhalten außerhalb des internen Gesellschaftsbereichs........ .................................................................. d) Verletzungen der Kompetenz der Aktionäre durch die Unternehmensleitung ................................................................ 3. Zusammenfassung ................................................................ m. Insbesondere die Schadensersatzpflicht.......................................... 1. Voraussetzungen .................................................................. 2. Rechtsgrund ........................................................................ 3. Anspruchsberechtigte ........................... ................................. 4. Konkurrenzfragen bei Doppelschäden........................................ 5. Berechtigung zur Anspruchserhebung........................................ § 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär................................................. I. Begriff des Minderheitsaktionärs ........................ ......................... 11. Die Rechtsprechung des BGH zur Treuepflicht des Minderheitsaktionärs ...................................................................................... 1. Bisherige Einschätzung .......................................................... 2. Die Girmes-Entscheidungen .................................................... m. Dogmatische Grundlagen ........................................................... IV. Inhalt und Umfang der Treuepflicht.............................................. 1. Relevanz der Beteiligungshöhe........ .. ....................................... 2. Aktienrechtstypische Treuepflicht ............................................. 3. Bestimmung der Treuepflicht im Einzelfall ................................. V. Anwendungsfälle ..................................................................... 1. Treuwidriger Einsatz von Aktionärsrechten ................................ a) Anfechtungsrecht.............................................................. b) Antragsrecht im SpruchsteIlenverfahren ................................. aa) Rechtsmacht des Antragstellers ....................................... bb) Treuwidriges Verhalten................................................. cc) Rechtsfolgen............................................ .... ............... c) Auskunftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrags- und Rederecht in der Hauptversammlung ................... e) Stimmrecht...................................................................... 2. Verwertung von Insider-Informationen....................................... 3. Schädigung durch gesellschaftsexternes Handeln.......................... a) Schädigende Äußerungen................................................... b) Ruinöser Wettbewerb ........................................................ c) Vorbereitung "feindlicher" Übernahmen ................................ 4. Strategische Beteiligungen ...................................................... a) Vorkommen und Bedeutung ................................................ b) Organisatorische Vorteile von strategischen Allianzen ............... c) Die Treubindungen des Minderheitsaktionärs als Vertrauensgrundlage in der Allianz .. .. .. .. .. ... ........ .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. 5. Positive Stimmpflichten bzw. Verbot der Ausübung eines Vetorechts a) Einordnung des Problems in das Treuepflichtsystem .................

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Inhaltsverzeichnis

13

b) Einzelne AnwendungsfaIle .................................................. aa) Heilung von Gründungsfehlern ....................................... bb) Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ............ . . . .. ... .. . . . . cc) Notwendige Anpassung einer ursprünglich gültigen Satzung an eine neue Rechtslage ................................................ dd) Notwendige Anpassung der Satzung bei Änderung der Sachlage .......................................................................... c) Fazit .............................................................................. VI. Rechtsfolgen ...........................................................................

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Dritter Abschnitt Vergleich § 10 Begriff und Funktion der Treuepflicht................................................ 199 I. Begrifflichkeit......................................................................... 199 II. Funktion der aktienrechtlichen Treuepflicht.................................... 200 § 11 Vergleichbarkeit aufgrund paraIleler dogmatischer Grundlagen................ I. Mitgliedschaft versus TreuhändersteIlung ...................................... II. Gemeinsamkeit: Das Grundprinzip von Einfluß und Verantwortung ..... ill. Abweichungen: ZweckfOrderungspflicht und andere ......................... 1. Tatsächliche Unterschiede ...... ............................................ .... 2. Erklärungsversuch ................................................................ § 12 Inhalt der Treuepflicht und Folgen ihrer Verletzung ..... .........................

I. Inhalt und Umfang der Treuepflicht................. ... ............. ............. 1. Identische Grundaussagen ...................................................... 2. Unterschiedlich ausgedehnter Anwendungsbereich ....................... 3. Maßstab für Ausmaß der Treuepflicht........................................ II. Rechtsfolgen von Treuepflichtverstößen ........................................ § 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre...... .... ................... I. Dogmatische Begründung.......................................................... II. AnwendungsfaIle ..................................................................... ill. Rechtsfolgen ........................................................................... IV. Zusammenfassung....................................................................

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Zweiter Teil

Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts Erster Abschnitt Recht der Vereinigten Staaten von Amerika § 14 Das Klagerecht des Minderheitsaktionärs............................................ I. Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . ... . . . . . . . . . . . 1. 'Direct Suit' (Unmittelbare Klage) ......... ................................... 2. 'Class Suit' (SteIlvertretende Aktionärsklage) .............................. 3. 'Derivative Suit' (Abgeleitete Klage) ......................................... II. Unterscheidung .......................................................................

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14

Inhaltsverzeichnis ill. Besonderheit Kostenerstattung ..................................................... 218

§ 15 Funktion des Klagerechts .................................... .... .... .................... 219

I. Erwartungen und Ziele.............................................................. 11. Widerstreit der Ziele................................................................. ill. Die 'Derivative Suit' in der Praxis............................................... 1. Die Kompensationsfunktion. .......... .......................................... 2. Abschreckung und Rechtswahrung ........................................... IV. Alternativen zur Aktionärsklage .................................................. V. Abwägung und Schlußfolgerung.................................................. 1. Wirtschaftlichkeitsanalyse ....................................................... a) Staatliche Aufsicht............................................................ b) Private Rechtsdurchsetzung................................................. c) Kontrolle durch den Markt.. ................................................ 2. Möglichkeit der Konzentration auf einen Regelungsmechanismus? ... 3. Notwendigkeit einer Kombination............................................. 4. Rechtswirklichkeit ........ ........... ...... .... ......................... ..... ..... § 16 Mißbrauch des Klagerechts ............................................................. I. Mißbrauchserscheinungen ......................................................... 1. Geschichtliche Entwicklung..................................................... 2. Heutige Situation.................................................................. 11. Relativität des Mißbrauchsbegriffs ............................................... ill. Reformversuche und ihre Auswirkungen....................................... 1. Einschränkungen des Klagerechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen...................................................................... a) 'Contemporanous Ownership Rule' ....................................... b) 'Court Approval' ................... .......................... ................. c) 'Security-for-Expenses Statutes' ........................... ................ d) 'Independent Litigation Committees' ..................................... § 17 Anwendbarkeit von 'Fiduciary Duties' zur Lösung ............................... I. Heranziehung der Treuepflicht in Gesetz und Rechtsprechung............ 1. Dogmatische Begründung....................................................... 2. Anwendungsfälle .................................................................. a) Sicherung der Vermögensvorteile aus privater Klagebeendigung für die Allgemeinheit ........................................................ b) Einschränkung des Klagerechts ......................... ................... c) Zusammenfassung ............................................................ 3. Tauglichkeit zur Problemlösung ............................................... 11. Mögliche weitere Anwendungsfelder ............................................ 1. Zahlungen für das NichteinIegen einer Klage............................... 2. Handhaben gegen unfundierte Klagen ........................................

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Zweiter Abschnitt Recht der Bundesrepublik Deutschland § 18 Problemstellung............................................................................ 269 I. Das Auftreten gewerblicher Opponenten........................................ 269

11. Ökonomisches Kräfteverhältnis .................................. ................. 272

Inhaltsverzeichnis 1. Aufwand und Risiko des Aktionärs........................................... 2. Wirtschaftliche Situation des betroffenen Unternehmens................. 3. Vergleich ............................................................................ ill. Die Herausforderung an Rechtsprechung und Lehre ......................... 1. Das Spannunsgsfeld zwischen institutionellen Aufgaben und Mißbrauchbarkeit des Anfechtungsrechts .. . . . . . . . . . . . . . . . ... . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . 2. Aufgaben des aktienrechtlichen Beschlußanfechtungsrechts ............ 3. Folgerungen ....................................................................... IV. Aufgeworfene juristische Probleme.............................................. § 19 Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den einzelnen Problemkreisen. I. Auskaufbefugnis des Vorstandes.................................................. 11. Rückzahlungs- bzw. Rückforderungspflicht.. .................................. ill. Einstweiliger Rechtsschutz und Registersperre ................................ 1. Beachtlichkeit einer Anfechtung bei der Entscheidung über die Aussetzung .............................................................................. 2. Pflicht zur Aussetzung bei eingelegter Anfechtungsklage? .............. 3. Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes ........................... IV. Schicksal einer erhobenen Anfechtungsklage .................................. V. Schadensersatzpflicht ................................................................ § 20 Praktische Tauglichkeit und dogmatische Klarheit der gefundenen Lösungen ........................................................................................... I. Erfüllung der an Rechtsprechung und Lehre gestellten Aufgaben? ...... 1. Auskaufbefugnis und Rückholungspflicht ................................... a) Rechtspolitische Untauglichkeit............................................ b) Umgehungsmöglichkeit der Rückzahlungspflicht.. .................... 2. Abweisung der Klagen als rechtsmißbräuchlich....... .... ................. a) Tauglichkeit zur Problemlösung ........................................... b) Negative Auswirkungen der Rechtsmißbrauchslösung ............... 3. Fehlen einstweiligen Rechtsschutzes für die Gesellschaft ............... 4. Zusammenfassende Würdigung................................................ 11. Dogmatische Fehler der Rechtsmißbrauchslösung ............................ 1. Nachrangigkeit von § 242 BGB gegenüber dem Institut der Treuepflicht................................................................................ a) Unterscheidung Rechtsmißbrauch - Treuepflicht. .................. ... b) Verhältnis der Institute zueinander........................................ 2. Notwendigkeit des Rückgriffs auf Wertungen der Treuepflicht zur Bestimmung der Mißbräuchlichkeit........................................... 3. Abgrenzungsprobleme und Fragen der Beweisbarkeit.. .................. 4. Fehlerhafte Einordnung als individueller Rechtsmißbrauch ............. 5. Systemwidrige Rechtsfolge ..................................................... a) Lokalisierung des mißbräuchlichen Verhaltens ......................... b) Rechtsfolge des mißbräuchlichen Verhaltens ...........................

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§ 21 Lösung über das Institut der aktienrechtlichen Treuepflicht..................... 317 I. Tatbestand der Treuepflichtverletzung ........................................... 317 1. Beschränkungen des Anfechtungsrechts durch Treuepflichten ......... 317

2. Überprüfung des Aktionärsverhaltens im einzelnen....................... 319 a) Erhebung der Klage.......................................................... 319 b) Führung des Prozesses ....................................................... 322

16

Inhaltsverzeichnis

c) Klageverzicht gegen Geld ........ .... ....... ... ... ... ..... .................. d) Verzicht auf die Erhebung einer Klage ................................... 3. Objektive Manifestation der Treuepflichtverletzung ...................... a) Klageverzicht ................................... ............................... b) Sonderzahlungen der Gesellschaft oder eines interessierten Mitaktionärs........................................ ... ..................... ... ...... c) Kausalität zwischen Sonderzahlung und K1ageverzicht.. ............. 11. Rechtsfolge. ........................................ ...... ... .............. ...... ....... 1. Materiellrechtliche Einschränkung des Klagerechts ....................... 2. Schadensersatz ................. .................................................... a) Pflicht zur Rückzahlung des für den Klageverzicht Erhaltenen .... b) Ersatz des Verzögerungsschadens ......... .......... ... ................... c) Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs ....... .... .... ....... .. § 22 Verfügbarkeit einstweiligen Rechtsschutzes für die Gesellschaft .............. I. Rechtsschutz im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit................ 11. Einstweiliger Rechtsschutz beim Prozeßgericht ............................... 1. Form und Inhalt der begehrten Rechtsschutzmaßnahme ................ 2. Rechtliche Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung .......... a) Streitiges Rechtsverhältnis und Verfügungsanspruch ................. b) Verfügungsgrund .................................................... .. ........ 3. Die Neuregelung des Umwandlungsrechts .................................. 4. Ergebnis ...................... ..................... ...................... .... ....... § 23 Praktische Tauglichkeit der kombinierten Lösung aus einstweiligem Rechtsschutz und Schadensersatzanspruch wegen Treuepflichtverletzung ... I. Konkrete Konfliktlösung ............................................................ 1. Befreiung aus der Zwangssituation .......... ...... ............................ 2. Praktikabilität ............................................................. .. ....... 3. Bewahrung der Streitkultur .......................................... ...... ..... 11. Auswirkung auf das Verhalten gewerblicher Opponenten .................. 1. Attraktivitätsverlust von Klagen, deren Ziel nicht die Beschlußaufhebung ist .... .... .......... ......................................................... 2. Anreiz zur Erhebung begründeter Klagen.. .. .... ................ .. .. ....... m. Sicherung des Funktionierens der aktienrechtlichen Legalitätskontrolle . 1. Die Bedeutung professioneller Kläger ....................................... 2. Keine Abschreckung anderer Kläger.... .... ................................. 3. Förderung der Legalitätskontrolle auch bei Verzicht auf Fortführung des "Hauptsacheverfahrens " ........................................ ..... .......

323 325 326 326 327 328 329 329 329 330 331 333 333 334 334 335 340 340 343 345 346 347 347 347 348 349 349 349 350 351 351 353 354

Dritter Abschnitt Vergleich § 24 Mißbrauchserscheinungen ....... ..... .... ............................................... I. Auftreten von Klagemißbrauch .................................................... 1. Bekanntheit der Erscheinung................................................... 2. Typen mißbrauchter Klagerechte .............................................. 3. Vergleichbarkeit der Mißbrauchserscheinungen ........................... 11. Mißbrauchbarkeit des Klagerechts.. ............ ...... .............. .. .. .. .... .... 1. Grundlagen des Klagerechts ...................................... ...... ........

357 357 357 358 358 359 359

Inhaltsverzeichnis 2. Funktion des Klagerechts................................ ........................ 3. Anreize zur Klageerhebung ..................................................... 4. Lästigkeitswert der Klagen......................... ............................. 5. Die Rolle der Anwälte........................................................... ill. Kriterien für die Bestimmung mißbräuchlichen Verhaltens .. .......... ..... § 25 Die Reaktion der Rechtsordnung ...................................................... I. Bisher beschrittene Lösungwege ............................................ ...... 1. Einschränkungen des Klagerechts ............................................. 2. Bekämpfung von Mißbrauchssymptomen. ................................... 3. Bekämpfung der Ursachen der Mißbrauchbarkeit.. .................. ..... 11. Ursachen der Unterschiede......................................................... 1. Unterschiedliche Problemstruktur ............................................. 2. Pragmatik versus Dogmatik .................................................... ill. Auswirkungen der verschiedenen Lösungsansätze ............................ 1. Einschränkungen des Klagerechts .................................... .. ....... 2. Lösungen, die bestimmte Symptome bekämpfen ........................... 3. Lösungen, die an den Ursachen ansetzen .................................... § 26 Treuepflichten als Lösungsansatz ...................................................... I. Begründung der Treueverpflichtung ............................................. 11. Anwendungsfälle ............... ...................................................... 1. Klagebeendigung .... ............ .... .............................................. 2. Erhebung und Durchführung der Klage ...................................... 3. Geldleistungen für die Nichterhebung einer Klage ........................ ill. Folgen der Treupflichtverletzung ................................................. 1. Verlust der Aktivlegitimation ................................................... 2. Herausgabe des treuwidrig Erlangten ........................................ 3. Ersatz weiterer Schäden .........................................................

2 Guntz

17 359 360 361 362 363 364 364 364 365 365 366 367 367 369 369 370 371 372 372 373 373 374 375 375 375 376 377

Zusammenfassung

378

Literaturverzeichnis

398

Sachwortverzeichnis

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Einführung Seit acht Jahren ist die aktienrechtliche Treuepflicht höchstrichterlich anerkannt. Vor einem Jahr wendete der BGH sie erstmals auch auf Minderheitsaktionäre an. Seit sieben Jahren besteht die Praxis des BGH, Klagen gewerblicher Opponenten als rechtsmißbräuchlich im Sinne von § 242 BGB abzuweisen. Betrachtet man die Anzahl der seither zu diesen Themen erschienenen Veröffentlichungen, so dürfte beiden bis heute ein Platz unter den "Top Ten" der aktienrechtlichen Literatur sicher sein. Trotz dieser intensiven Beschäftigung vermißt man in vielen Punkten eine echte Weiterentwicklung des vom BGH Vorgegebenen. So resultieren etwa viele Mißverständnisse daraus, daß nach wie vor meist von einer einheitlichen "Treuepflicht des Aktionärs" ausgegangen und nicht gesehen wird, daß sich unter diesem Etikett sowohl ein Korrektiv zur Beschränkung von Gesellschafterrechten als auch ein Mittel zur Begründung darüber hinausgehender positiver bzw. negativer Handlungspflichten versteckt. Im Bereich der gewerblichen Anfechtungsklagen wird von allen Autoren gänzlich unkritisch die vom BGH vorgenommene, dogmatisch unrichtige Klassifzierung als individueller Rechtsmißbrauch nachgebetet und zudem von fast allen hieraus die falsche Rechtsfolge abgeleitet. Auch die durchaus anfechtbare Entscheidung des BGH, die Kontrolle der funktionsgerechten Ausübung des Klagerechts im Kontext des § 242 BGB anzusiedeln, wird kaum kritisch überprüft. Dies muß verwundern, da der BGH, als er vor sechs Jahren die aktienrechtliche Treuepflicht als Maßstab für das Verhalten von Kleinaktionären ablehnte, offensichtlich noch unter dem Eindruck der alten Ansicht stand, die die Treuepflicht im Aktienrecht als Fremdkörper empfand und allenfalls als Mittel zur Begrenzung der Mehrheitsmacht akzeptierte. Diese Arbeit soll die Unhaltbarkeit einer derart begrenzten Auffassung der Treuepflicht aufzeigen. Sie leitet daher im ersten Teil aus den - der Mitgliedschaft immanenten - Gedanken der Zweckförderung und der Begrenzung übertragenener Rechtsrnacht einen dreifach abgestuften Begriff der Treuepflicht ab, konkretisiert diesen anband der vorgegebenen Regelungen des Aktiengesetzes und zeigt schließlich die spezielle Anwendungsrelevanz von Treubindungen für Minderheitsaktionäre auf.

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Einfiihrung

Im zweiten Teil wird exemplarisch die treuwidrige Ausübung des Klagerechtes herausgegriffen und aus diesem Anlaß der gesamte Komplex des gewerblichen Opponententums neu aufgearbeitet. Im Konflikt zwischen Mißbrauchseindämmung und Funktionssicherung des aktienrechtlichen Beschlußanfechtungssystems erweist sich die Treuepflicht als Lösungsansatz der herrschenden Rechtsmißbrauchslösung, deren dogmatische Schwächen nachgewiesen werden, überlegen. Da das von gewerblichen Opponenten ausgenutzte Lästigkeitspotential nicht in der Begründetheit des Klagevorwurfs, sondern in dessen genereller Eignung zur Blockade des Gesellschaftshandelns liegt, muß eine rundum befriedigende Lösung an diesem Punkt ansetzen. Flankierend zu den aus der Treuepflicht hergeleiteten Ergebnissen wird daher nachgewiesen, daß die Gesellschaft die Möglichkeit hat, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Eintragung des angefochtenen Beschlusses zu erreichen, wenn sich die Anfechtungsklage bei summarischer Prüfung als wahrscheinlich unbegründet darstellt. Die Untersuchungen schließen mit der Überprüfung der erarbeiteten Ergebnisse auf ihre rechtspolitische Tauglichkeit hin. Daß dieser Aspekt in der Arbeit besonderen Stellenwert erhält, wird nicht zuletzt betont durch die jedem Teil vorangestellte Untersuchung der rechtlichen Situation und der Erfahrungen mit parallelen Problemen in den USA. Insbesondere die gewerbliche Ausnutzung von Aktionärsklagerechten hat in den USA bereits eine einhundertjährige Geschichte. Die Wissenschaft verfügt dort daher über ausführliche Erfahrungen mit den praktischen Auswirkungen der verschiedensten Lösungsansätze. Ungleich größere Tradition - verglichen mit Deutschland - hat in den USA auch das Institut der Treuepflicht, aus dem heraus weite Bereiche des amerikanischen corporation law entwickelt wurden. So ist es in den USA schon seit längerer Zeit anerkannt, daß auch Kleinaktionäre Treubindungen unterliegen können. Im Anschluß an die geschilderten Darstellung der Situation in beiden Ländern, die sich in Aufbau und Schwerpunktsetzung an der national-spezifischen Gewichtung der Einzelprobleme orientiert, werden beide Teile durch eine rechtsvergleichende Betrachtung abgerundet. In deren Mittelpunkt steht weniger eine exakte Gegenüberstellung aller Einzelergebnisse, als der Versuch, große Bögen zu schlagen und Entsprechungen wie Differennzen zwischen den Erscheinungen in beiden Ländern nachvollziehbar werden zu lassen. Im Kontrast zu den in den USA grundlegenden Gedankenmodellen relativiert sich die Absolutheit unserer Vorstellung von Mitgliedschaft, wohinge-

Einführung

21

gen der noch elementarere Grundsatz des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung Bestärkung erfährt. Besonders deutlich wird, daß es sich bei der in beiden Ländern mit dem Aktionärsklagerecht verbundenen privaten Legalitätskontrolle um Anreizsysteme handelt, in deren Rahmen auch die Klagen professioneller Kläger eine wichtige Rolle spielen können. Aufgabe der Rechtsordnung ist es, durch Setzen der richtigen Anreize die Entwicklung in die erwünschte Richtung zu steuern. Eine Lösung, die sich darin beschränkt, diejenigen zu verteufeln, die gegebene Anreize bewußt aufgreifen, wird immer unzureichend bleiben.

Erster Teil

Die Existenz von Treubindungen auch für Minderheitsaktionäre Erster Abschnitt

Recht der Vereinigten Staaten von Amerika § 1 Einführung: 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA I. 'Corporate Law'

Ein Vergleich gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen in Deutschland mit der Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika steht zunächst vor dem Problem, daß ein einheitliches amerikanisches Gesellschaftsrecht nicht existiert. Mangels besonderer Zuweisung der Materie an den Bund in der Bundesverfassung fallt das Gesellschaftsrecht in den USA in die Kompetenz der einzelnen Staaten, die ohne Ausnahme diesbezügliche statutes erlassen haben l . Der Betrachter sieht sich damit einer Fülle von fünfzig verschiedenen Gesellschaftsrechtsordnungen gegenüber. Obwohl keine Zuständigkeit des Bundes für die klassischen Gebiete des Gesellschaftsrechts besteht, konnte sich doch aus der Kompetenz zur Regelung des interstaatlichen Handels 2 ein stetig wachsendes eigenes Rechtsgebiet herausbilden, das oft als "federal corporation law" bezeichnet wird3. Hierunter werden insbesondere die strengen Regelungen betreffend den Handel mit Wertpapieren4 gerechnet5 , mit denen der Bundesgesetzgeber auf indirek1 Renn / Afexander, Law of Corporations, S. 43; zu den inhaltlichen Unterschieden zwischen den statutes einzelner Staaten siehe S. 176 ff. 2 Wiethöfter, Interessen, S. 161 ff. 3 Cary / Eisenberg, Cases and Materials on Corporations, Mineola, N.Y., 5. Aufl. 1980, S. 13. 4 Vgl. Securities Act 0/ 1933 und Securities Exchange Act 0/ 1934, sowie die jeweiligen hierzu von der Securities Exchange Commission (SEC) erlassenen rufes. 5 Zu weiteren Regelungen in diesem Zusammenhang vgl. Cary / Eisenberg , Cases and Materials on Corporations, Mineola, N.Y., 5. Aufl. 1980, S. 13 f.

§ 1 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA

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tem Wege einen Schutz der Kleinaktionäre zu gewährleisten sucht, wie ihn die teilweise sehr liberalen einzelstaatlichen Rechtsordnungen oft nicht bieten. Auf dem Gebiet des einzelstaatlichen Rechts bildet neben den erwähnten gesetzlichen Regelungen die Rechtsprechung der state courts die wichtigste Rechtsquelle. Selbst in den von den Gesetzen umfassend geregelten Bereichen kommt ihr entscheidende Bedeutung bei der Bestimmung der Anwendbarkeit und Auslegung des Gesetzesrechts zu. Andere wichtige Bereiche des Gesellschaftsrechts, wie etwa das weite Feld der jiduciary duties, blieben weitgehend gesetzlich ungeregelt und damit allein der Entwicklung durch die Gerichte vorbehalten6 . Die statutes der verschiedenen Staaten unterscheiden sich inhaltlich z. T. erheblich. Ein Grund hierfür liegt in der interstaatlichen Kollisionsregel, die bei der Bestimmung des für die Gesellschaft gültigen Rechts nicht an deren Sitz, sondern an den Ort der Inkorporation anknüpft7 . Die Möglichkeit, mit liberalen Regelungen Gesellschaften und damit Steuerzahler zur Inkorporation im eigenen Staat bewegen zu können, war für viele Staaten ein Anreiz zur Lockerung der vormals äußerst strengen Regelungen8 . Sieger in diesem sich gegenseitig anspornenden "race ... 0/ laxity "9 war unzweifelhaft Delaware, in dem heute 30 der 50 größten an der New Yorker Börse gehandelten Industriegesellschaften ihren Sitz haben lO . Daß Delaware seine Spitzenposition bis heute halten konnte, obwohl viele Staaten seit langem eine ähnlich managementfreundliche Gesetzgebung haben, liegt offenbar auch an der Verläßlichkeit des durch viele Entscheidungen weit entwickelten Gesellschaftsrechts von Delaware sowie der großen Erfahrung sowohl der Richter von Delaware als auch der Beamten im dortigen state secretaryll. Unbestritten ist daher das Recht von Delaware das wichtigste und bei amerikanischen Anwälten am besten bekannte.

6 Renn I Alexander, Law of Corporations, S. 13. 7 Das zunächst in Sachen Liberalität führende New Jersey erlaubte in seinem Aktiengesetz von 1896 die Inkorporation, auch wenn die Gesellschaft nicht im Inland tätig war, und konnte auf diese Weise New York weitere Gesellschaftsneugründungen abwerben; andere Staaten folgten, vgl. Wiethölter, Interessen, S. 148. 8 Cary, Federalism and Corporate Law: Retlections upon DeIaware, 83 Yale L.J. 663 (1974), S. 663 ff. 9 Mr. Justice Brandeis in seiner dissenting opinion in Ligett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, S. 559: "The race was one not of diligence but of laxity." 10 Und mehr als 40 % aller dort gehandelten Gesellschaften; Zahlen nach Renn I Alexander, Law of Corporations, S. 8; damit ergibt sich noch einmal eine deutliche Steigerung gegenüber 1946, als es bereits 29 % waren, vgl. Wiethölter, Interessen, S. 149.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Nicht alle Staaten haben sich von dem "race to the bottom" mitreißen lassen. Am deutlichsten dem Trend entgegen geht Kaliforniens Revised Corporation Code, der auf einen stärkeren Schutz von Aktionären und Gläubigem der Gesellschaft abzielt. Er durchbricht in § 2115 sogar das Prinzip der Gründungstheorie, indem er sich für alle Gesellschaften anwendbar erklärt, deren Aktien im wesentlichen im Besitz von kalifornischen Aktionären stehen und die mehr als die Hälfte ihres Geschäftsvolumens in Kalifornien abwickeln 12 . Zwischen den Extremen von Delaware und Kalifornien nimmt das Business Corporation Law von New York in etwa eine Mittelstellung ein 13 . Einen wichtigen Schritt hin zur Vereinheitlichung der verschiedenen amerikanischen Gesellschaftsrechtsordnungen stellt die Erarbeitung des Model Business Corporation Act (MBCA) von 1950 und seines Nachfolgers, des Revised Model Business Corporation Act (RMBCA) aus dem Jahre 1984, durch die American Bar Association dar. Diese eher liberal gehaltenen Mustergesetze wurden im Laufe der Zeit von einer großen Anzahl von Staaten, wenn auch oft nur in Auszügen, übernommen. Vorbildcharakter haben auch die beiden oben erwähnten Gesetze der wirtschaftlich wichtigsten Staaten, New York und Kalifornien. Die 51 verschiedenen Rechtsordnungen erscheinen somit keineswegs isoliert voneinander. Gerade in den durch die statutes nicht geregelten Bereichen ist die gegenseitige Beeinflussung besonders stark. So beziehen sich Gerichte bei der Weiterentwicklung von Rechtsinstituten häufig auf frühere Entscheidungen in anderen Staaten, obwohl diese keine Bindungswirkung im technischen Sinn entfalten können. Speziell im Bereich der duties o/loyalty läßt sich eine weitere Tendenz feststellen, die zu einer Annäherung der verschiedenen Rechtsordnungen führt: Die Gerichte in den traditionell liberalen Staaten kompensieren zunehmend die durch allzu freizügige statutes bedingten Ungerechtigkeiten mit Hilfe einer verstärkten Anerkennung vonfiduciary duties 14 • 11 Hamilton, Law of Corporations, S. 7. 12 Gen.Corp.Law, TitIe 1, Dir. 1, Chapter 21, § 2115, in Annotated Califomia Codes, Vol. 23 E, St. Paul, Minn., 1990. 13 Es ist anzumerken, daß New York und Kalifomien die wirtschaftlich stärksten Staaten sind, mit jeweils etwas über 10 % aller Neuinkorporationen in den Vereinigten Staaten von Amerika (Zahlen von 1981, vgl. Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 8). Diese Staaten können sich damit eine strengere Gesetzgebung "leisten". Auch hier sind bestimmte Regelungen auf foreign corporations, die in N.Y. Geschäfte abwickeln, anwendbar. 14 Siehe etwa Smith v. Van Gorkom, 488 A.2d 858 (DeI. 1985) und allgemein Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 35.

§ 1 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA

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Es erscheint daher gerechtfertigt, in der vorliegenden Arbeit die Existenz von Treubindungen der Minderheitsaktionäre unter einem generellen Blickwinkellosgelöst vom Recht der jeweiligen Einzelstaaten zu betrachten l5 . 11. Die Struktur der 'Corporation'

1. Theorien über die Rechtspersönlichkeit der 'Corporation '

Zur Erklärung dessen, was sich hinter dem Begriff der corporation verbirgt, gibt es die verschiedensten Ansätze l6 . Die traditionelle, auf das römische Recht und die Lex mercatoria des Mittelalters zurückgehende Theorie, die auch heute noch am meisten benutzt wird, beschreibt die corporation als eine fiktive juristische Person (persona jicta), die als solche selbständiger Rechtsträger ist (entity theory)17. Besonders im letzten Jahrhundert wurde die corporation vielfach als Privileg gesehen, das vom Staat an die Eigentümer vergeben wird und ihnen erlaubt, ihr Unternehmen in der Fonn der corporation zu betreiben

(concession theory)18.

Die Gründung wird auch oft als Abschluß dreier Verträge angesehen, einerseits zwischen den Aktionären untereinander, andererseits zwischen den Aktionären und der Gesellschaft und schließlich zwischen Gesellschaft und Staat (contract theory) 19. Neben diesen fonnaljuristischen Betrachtungen existieren auch erheblich pragmatischere Ansätze. So wird die corporation z.T. nur als Instrument

15 Gravierende Abweichungen in einem der wichtigeren Gesellschaftsrechte werden in den Anmerkungen berücksichtigt. 16 Einen knappen Überblick gibt Ramilton, Law of Corporations, S. 1 ff. 17 Siehe Renn / Alexander, Law ofCorporations, S. 16 ff. 18 Ein wenn auch routinemäßig gehandhabtes Relikt stellt die, an bestimmte Voraussetzungen gebundene, konstitutiv wirkende Registrierung der Gründungsdokumente dar, vgl. etwa § 2.03 und §§ 1.20 bis 1.26 RMBCA. 19 Trustees 0/ Dartmouth College v. Woodward, 17 U.S. (4 Wheaton) 517 (1819). Diese Konstruktion bewirkt, daß einmal inkorporierte Gesellschaften einer späteren Gesetzesänderung nicht unterliegen, da diese eine, verfassungsrechtlich verbotene, einseitige Einwirkung des Staates auf den zwischen Gesellschaft und Staat bestehenden Vertrag darstellt. Um diese Konsequenz zu vermeiden, haben alle Staaten Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen erlassen, die von vornherein eine spätere Änderung der jeweiligen statutes vorbehalten. vgl. als Beispiel § 1.02 RMBCA.

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I. Teil, I. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

angesehen, mit Hilfe dessen natürliche Personen Geschäfte führen und dieselben oder andere Personen Gewinne oder Verluste teilen (realist theory)20. Nach rein ökonomischer Betrachtungsweise ist die corporation ein Konglomerat von vertraglichen Beziehungen zwischen Einzelpersonen, die auf der Inputseite als Kapital-, Arbeits-, Managementservice- oder Materiallieferanten und auf der Outputseite als Gehaltsempfänger oder Konsumenten auftreten. Die Aktionäre erscheinen hierbei nicht als Eigentümer der corporation, sondern viel mehr als eine Gattung von Kapitallieferanten neben anderen, wie Darlehensgebern und Anleiheinhabern (nexus oJcontracts theory)21. Für ein Verständnis der inneren Beziehungen zwischen den am Betrieb einer corporation Beteiligten ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß das amerikanische Recht nicht auf ein bestimmtes Vorstellungsbild von der Natur der Gesellschaft festgelegt ist. Alle genannten Theorien22 haben und hatten, wenn auch in unterschiedlichem Maße, Einfluß auf die Entwicklung des Gesellschaftsrechts23 . Insgesamt erscheint die corporation gerade mit einem Seitenblick auf die deutschen Vorstellungen vom Wesen der Gesellschaft deutlich stärker als Methode und weniger als Ding24 . 2. Das Ziel der 'Business Corporation '25

Nach klassischer Auffassung liegt das alleinige Ziel einer corporation in der Erwirtschaftung von Gewinnen für die Aktionäre26. Praktische Bedeutung

20 Hamilton, Law of Corporations, S. 2 ff; Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 146. 21 Hamilton, Law of Corporations, S. 3. 22 Und etliche weitere, vgl. Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 144 ff. 23 Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 147 ff. 24 HA corporation is more nearly a method than a thing", Bijur, J., in Farmers Loan & Trust Co. v. Pierson, 130 Misc. 110, 119; 222 N.Y.S. 532, 543 (N.Y. Sup. Ct. 1927). 25 Die Rechtsverhältnisse in non-projit-corporations sollen nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. 26 Sie hat ihren Niederschlag gefunden in § 2.01 der Untersuchung des A.L.I. zur Leitungsstruktur der Gesellschaft; dort werden neben diesem Ziel aber auch ethische Überlegungen und das öffentliche Wohl als mögliche Beweggründe für das Handeln der Gesellschaft genannt; siehe ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 69.

§ 1 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA

27

hat diese Zielbestimmung, da die directors der corporation an sie gebunden sind27. In den letzten Jahren tendierte die Gesetzgebung der Staaten verstärkt dazu28 , es den directors zu ennöglichen, bei ihren Entscheidungen auch die Interessen anderer Gruppen wie etwa der Arbeitnehmer, Gläubiger oder Konsumenten in Betracht zu ziehen (alternative constituency statutes). Diese Entwicklung erscheint weniger sozialrevolutionär, wenn man den Hintergrund der Gesetzesänderungen in Betracht zieht. Dem Management von Gesellschaften, die durch einen take-over- Versuch bedroht waren, sollte eine Handhabe gegeben werden, entsprechende Abwehnnaßnahmen auch dann zu ergreifen, wenn ein gelungenes take-over den Aktionären mehr Profit gebracht hätte29.

3. Die Leitungsstrukturen innerhalb der 'Corporation ' a) Die Organe der 'Corporation Das amerikanische Gesellschaftsrecht kennt nur zwei Organe der corporation: die shareholders (Aktionäre) und den board 0/ directors (Vorstand). Die Leitung der corporation obliegt allein dem board30 , der nicht nur Vertreter der Aktionäre ist, sondern als eigenständiges Organ im Rahmen des in der Satzung festgelegten Gesellschaftsziels frei handeln kann31. Ab einer gewissen Größe der corporation wird die Führung der Tagesgeschäfte dabei in aller Regel an die executive officers (leitenden Angestellten) delegiert. Dem board kommt dann faktisch nur mehr die Funktion einer Kontrollinstanz zu, nicht unähnlich der des Aufsichtsrats in der deutschen Aktiengesellschaft. 27 Eindeutig etwa die Sprache des Michigan Supreme Court in Dodge v. Ford Motor Co.;, 204 mich. 459, 507, 170 N.W. 668, 684 (1919): A business corporation is organized and carried on primarily for the profit of the stockholders. The powers of the directors are to be employed for that end. The discretion of the directors is to be exercised in the choice of means to attend that end, and does not extend to a change in the end itself, to the reduction of profits, or to the nondistribution of profits among stockholders to devote them to other purposes. 28 Mehr als die Hälfte der Staaten haben entsprechende statutes erlassen. 29 Hamilton, Law of Corporations, S. 11 f. 30 Siehe im einzelnen etwa Folk I Ward I Welch, Folk on the Delaware General Corporation Law. A Commentary and Analysis, 3rd ed., Boston 1992, Stand 1994, § 141.1 m.w.N. 31 Buxbaum, The Internal Division of Powers in Corporate Governance, 73 Cal.L.Rev. 1671 (1985).

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Die Aktionäre haben nur mittelbaren Einfluß auf die Unternehmensleitung, indem sie die Mitglieder des board 0/ directors bestellen und abberufen können. Daneben steht ihnen das Recht zu, die articles 0/ incorporation und die bylaws zu ändern, über die Ausführung außergewöhnlicher Geschäfte zu entscheiden32 und bestimmte sonst anfechtbare oder nichtige Beschlüsse des board zu ratifizieren33 . Ein wichtiges Kontrollrecht der Aktionäre stellt die shareholders ' derivative suit dar34 . Mit ihrer Hilfe soll sowohl die Rechtmäßigkeit des Verwal-

tungshandelns überprüft als auch dem einzelnen eine Möglichkeit zur Bewahrung der indirekt betroffenen eigenen Vermögenspositionen gegeben werden. b) Die Kontrolle des Managements

Seit etwa 60 Jahren beschäftigt sich die corporate theory in den USA mit der Frage, ob im Verhältnis zu den Aktionären eine ausreichende Kontrolle des Managements gewährleistet ist oder ob mit Hilfe zwingender gesetzlicher Regelungen korrigierend eingegriffen werden sollte35 . Ist diese Diskussion für die hier untersuchten Treuepflichten der Aktionäre auch nicht von unmittelbarer Bedeutung, so ist ihre Kenntnis doch unerläßlich, um die Hintergründe der Forderung nach einer Reform des gesamten Gesellschaftsrechts, die immer wieder erhoben und verfemt wird 36 , verstehen zu können. Ausgangspunkt für die bis heute andauernde Debatte war die epochale Untersuchung von Adolf A. Berle und Gardiner C. Means "The Modern Corporation and Private Property" aus dem Jahre 193237. Sie wies auf eine wesentliche Entwicklung bei der modemen public corporation hin: die Trennung von ownership und control, wie sie durch die weitgehende Einflußlosig32 Renn / Alexander, Law ofCorporations, § 195, S. 517. 33 Renn / Alexander, Law of Corporations, § 188, S. 490 f; Merkt, Hanno, USamerikanisches Gesellschaftsrecht, Heidelberg 1991, Rn. 486. 34 Es handelt sich dabei um eine Aktionärsklage vergleichbar der actio pro socio, mit der ein einzelner Aktionär in Prozeßstandschaft ein Recht der Gesellschaft gegenüber dem Management oder dritten Personen geltend machen kann. vgl. Renn / Ale.xander, Law of Corporations, § 358 ff, S. 1035 ff. 35 Ein guter Überblick über die Grundzüge dieser Debatte fmdet sich bei Merkt, Gesellschaftsrecht, S. 67 ff. 36 Den bedeutendsten Vorstoß zu einer Reform stellt das großangelegte Projekt des American Law Institute, Principles of Corporate Govemance: Analysis and Recommendations dar, das jetzt mit der Vorlage des Proposed Final Draft (philadelphia 1992) kurz vor dem Abschluß steht. 37 Berte / Means, The Modem Corporation and Private Property, New York 1932.

§ 1 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA

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keit der anonymen Masse von Kleinaktionären gegenüber dem Management der Publikumsaktiengesellschaft gegeben ist38 . Die Verlagerung der Herrschaft über die Gesellschaft weg von deren nominellen Eigentümern, den einzelnen Aktionären, auf das Management führe nach Berle und Means dazu, daß vermehrt Entscheidungen im Interesse des Managements selbst getroffen würden. Das eigentliche Ziel der Gesellschaftsführung, die Maximierung des Anlagevermögens der Aktionäre durch Steigerung des Marktwerts der Gesellschaftsanteile trete demgegenüber in den Hintergrund. Ob das Management einer typischen public corporation tatsächlich einer effektiven Kontrolle nicht ausgesetzt ist und auf welche Weise es den damit gegebenen Spielraum ausnutzt, ist bis heute Gegenstand eingehender Diskussion39 . Ein Blick auf die unterschiedlichen Standpunkte lohnt deshalb, weil diese den Hintergrund für das Verständnis der Rollen der an der corporation beteiligten Personen bilden. aa) 'Neoc1assical (Chicago) School' Auf der Basis der nexus 0/ contracts theory40 wird die Gesellschaft von der neoklassischen Schule als ein von einer Kontrollinstanz (board 0/ directors) koordiniertes Vertragsgeflecht beschrieben41 . Bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, eine gerechte, d.h. leistungsbezogene Abgeltung der verschiedenen Beiträge zum Gelingen des Gesellschaftshandelns sicherzustellen, sind die directors selbst zweifach den Auswirkungen des Marktes ausgesetzt: der Marktwert eines Managers auf dem managerial labor market sinkt, wenn seine Leistungen dem Interesse der Kapitaleigner an der Maximierung des Kurswerts nicht gerecht werden. Auch der Kapitalmarkt reagiert auf das Fehlverhalten von Managern: fällt der Aktienkurs unter das 38 Berle und Means teilten die existierenden corporations in flinf Kategorien ein, von privately owned (mindestens 80 % der Anteile in einer Hand) bis management controlled (höchstens 5 % der Anteile in einer Hand). Der Punkt, ab dem das Management auch nicht mehr der Kontrolle durch eine Aktionärsminderheit unterliegt, wurde dabei bei etwa 20 % festgestellt. Immerhin 44 % aller untersuchten Gesellschaften lagen unter dieser Schwelle. 39 Neben den hier aufgeflihrten Theorien existieren noch weitere, wie die Transaktionskostentheorie (Klein I Cojfee, Business Organizations S. 174 f.) und das Shareholder Democracy Movement (Merkt, Gesellschaftsrecht S.91 ff.), deren Darstellung aber den hier gesteckten Rahmen sprengen würde. 40 Siehe oben § 2 I. 41 Siehe die Darstellung bei Merkt, Gesellschaftsrecht, S. 73 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Niveau, das er bei optimalem Management hätte, wird die corporation zum potentiellen Ziel für Übernahmeversuche, die, so sie gelingen, die Ersetzung des alten Managements nach sich ziehen. Die notwendige Kontrolle korporativer Macht wird somit nach der Position der Chicago School wirkungsvoll durch den Markt selbst ausgeübt. Regulatorische Maßnahmen des Gesetzgebers sind daher nicht nur unnötig, sondern sogar nachteilhaft, da sie mangels Marktorientierung Kontrollen einrichten, deren Kosten die zu verhindernden Verluste übersteigen können42 . bb) 'Managerialism' An dieser Selbstregulierungskraft des Marktes zweifeln die Vertreter des

managerialism. Nicht zuletzt die Tatsache, daß Managergehälter sich nicht an

der Höhe des Aktienkurses, sondern vornehmlich an der Unternehmensgröße orientieren, habe dazu geführt, daß Manager weniger auf die Maximierung des Anteilsvermögens als vielmehr auf ein Wachstum des Unternehmens hinarbeiten43 . Demnach würden auch dort Gewinne reinvestiert, wo die Anteilseigner sie bei Ausschüttung mit wesentlich höherem Ertrag anderweitig investieren könnten44 . Das Funktionieren des managerial labor market scheitere schon allein daran, daß Manager nicht von den Aktionären ausgesucht würden, sondern von der Unternehmensleitung selbst45. Auch mag die takeover Welle der letzten Jahre zwar auf die Existenz von ineffizienten, weil mangelhaft kontrollierten Managern hinweisen; daß sie gleichzeitig eine

42 Nach der agency cost theory sorgt ansonsten der Markt selbst dafür, daß die agency costs, d.h. die Kosten, die daher rühren, daß sich der Geschäftsherr eines Vertreters bedient, statt selbst zu handeln, etwa die Kosten der Überwachung des Vertreterhandeins, so gering gehalten werden wie nötig. Von den Beteiligten werden demnach nur die KontrolIen eingerichtet, deren Kosten geringer sind als die zu verhindernden Verluste. vgl. Jensen / Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behaviour, Agency Cost and Ownership Structure, 3 J .Fin.Econ. 305 (1976); Klein / Coffee, Business Organizations, S. 172 f. 43 Empirische Studien haben statt dem Streben nach Profitmaximierung verbreitet eine Strategie der Profitbefriedigung festgestelIt, d.h. es wird nur soviel Ertrag für die einzelnen Aktionäre erwirtschaftet, daß keine Kritik an der Unternehmensleitung hervorgerufen wird. vgl. Cyert / March, A Behavioral Theory of the Firm, Eaglewood Cliffs, N.J. 1963; Baumol, Business Behavior, Value and Growth, New York 1959; Klein / Coffee, Business Organizations, S. 173. 44 Vgl. die Untersuchung der Rentabilität verschiedener Formen der Kapitalbedarfsdeckung von Baumol / Heim / Malkiel / Quandt, Earnings, Retention, New Capital and the Growth of the Firm, 52 Rev. Econ.Stat. 345 (1970). 45 Vgl. Salomon, Restructuring the Corporate Board of Directors: Fond Hope Faint Pro mise? 76 Mich.L.Rev. 581 (1978).

§ 1 'Corporate Law' und 'Corporations' in den USA

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Lösung des Problems mangelnder Managementüberwachung biete, sei damit aber nicht gesagt46 . Die Lösung sieht der Tfumagerialism in einer stärkeren gesetzlichen Kontrolle des Managements. Vorgeschlagen werden einerseits institutionelle Sicherungen der Machtkontrolle, etwa durch das Erfordernis der Wahl von independent directors oder der Einrichtung von independent board committees für bestimmte Entscheidungen (monitoring model)47. Andere Bestrebungen gehen in die Richtung einer stärkeren materiellen Entscheidungskontrolle. Diese soll zum einen aus der Betonung von Sorgfalts- und Treuepflichten des Managements und zum zweiten aus der shareholder's derivative suit48 als Mittel zur Durchsetzung dieser Pflichten resultieren. Diese Rechtsinstitute wurden bereits durch Richterrecht herausgearbeitet. Dmen wird aber besonderes Gewicht verschafft durch die im Sinne managerialistischer Positionen klarstellende Zusammenfassung des geltenden Richterrechts im Rahmen des derzeitigen Projekts des American Law Institute (ALl): Principles 0/ corporate Governance: Analysis and

Recommendations49 .

Letztlich spiegelt sich in den Auseinandersetzungen zwischen neoklassischer Schule und managerialism auf theoretischer Ebene das praktische Gegenüber von Liberalismus in der Gesetzgebung der Einzelstaaten und korregierendem Eingreifen der Staatengerichte und des Bundesgesetzgebers identisch wider50 . 4. 'Public Corporation' und 'Close Corporation' Im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika fehlt ein Äquivalent zur deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Dennoch wird oft unterschieden zwischen publicly und closely held corporations; letztere sind auch in verschiedenen Rechtsordnungen Gegenstand von Sonderregelungen gewor46 Brudney, Corporate Governance, Agency Costs, and the Rhetoric of Contract, 85 Colum. L. Rev. 1403 (1985), S. 1426. 47 Die verschiedenen Vorschläge sind im einzelnen aufgeführt bei Merkt, Gesellschaftsrecht, S. 80 ff. 48 Siehe oben 3 a. 49 Tentative Drafts Nr. 1-11, Philadelphia 1982 - 1991 und Proposed Final Draft Philadelphia 1992. 50 Vgl. Merkt, Gesellschaftsrecht, S. 87, der von einem "Stellvertreterkrieg" spricht.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

den51 . Eine klare Grenzziehung zwischen beiden Typen der business corporation fehlt. Als typische Indizien für das Vorliegen einer dose corporation werden das Fehlen eines externen Marktes für die Veräußerung der Anteile, die Beteiligung der meisten Aktionäre in der Geschäftsführung und die beschränkte Übertragbarkeit der Anteile angegeben52 . § 2 Bedeutung und Entstehung der 'Fiduciary Duty of Loyalty' I. Begriffsbestimmung

Auf der Suche nach einem Äquivalent zur deutschen "Treuepflicht" stößt man auf eine ähnliche Begriffsverwirrung wie im deutschen Recht53. Am häufigsten verwendet werden die Termini duty of loyalty (Loyalitätspflicht) und jiduciary duty (treuhänderische Verpflichtung). Daneben finden sich die Ausdrücke duty of utmost good faith 54 , intrinsic fairness standard55 oder duty of honesty56. Zum Teil werden Fälle, in denen das Recht zur Begrenzung von Machtpositionen regulierend eingreift, nur unter der Art des Mißbrauchs diskutiert, obwohl es sich der Sache nach ebenfalls um die Anwendung von Treuepflichten handelt57. Das ALl hat im Jahr 198958 im Rahmen seines corporate government Projekts die Überschrift von Teil V "duty ofloyalty" durch "duty offairdealing" ersetzt59. Wenn die verschiedenen Begriffe auch oft synonym verwendet werden, so läßt sich doch eine vorsichtige Kategorisierung vornehmen: "Fiduciary duty" ist der allgemeinere, funktionale Begriff und stellt auf die besondere Pflichtenbindung desjenigen ab, dem von einem anderen Macht

51 So wurde z.B. 1983 als Vervollständigung des RMBCA ein "close corporation supplement" herausgegeben, dessen Regelungen unabhängig vom RMBCA übernommen werden können. 52 Hamitton, Law of Corporations, S. 13. 53 Siehe unten § 5 I. 54 Smith v. Attantic Properties, 422 N.E.2d 798,801 (Mass. App. 1981). 55 Keating / Perkowitz-Solheim, Fletcher Cyclopedia, § 5811.20, § 5835. 56 Baumgärtner, Rechtsformübergreifende Aspekte der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im deutschen und anglo-amerikanischen Recht, 1990, S. 88. 57 Vgl. etwa die Kategorien fraud, breach of trust, oppressive conduct, unfair treatment und self-dealing, Keating / Perkowitz-Solheim, Fletcher Cyclopedia, § 5829, § 5820.11, § 5811.20, § 5835. 58 Einem Vorschlag der Reporter aus dem Jahr 1987 folgend, vgl. ALl, Corporate Govemance, Tentative Draft No., 7 (1987). 59 Vgl. ALl, Corporate Govemance, Final Draft, S. 263 ff.

§ 2 Bedeutung und Entstehung der 'Fiduciary Duty ofLoyalty'

33

übertragen wurde und der daher in einem träuhänderischen Verhältnis zu diesem steht.

"Duty of loyalty" ist demgegenüber eher institutionell geprägt und stellt im Kontext der corporation etwas enger auf die Verpflichtung des einzelnen (sei er director oder shareholder) gegenüber dem Ganzen, d.h. der Gesellschaft oder der Gesamtheit der Gesellschafter, ab. Dabei ist die Grundlage dieser Verpflichtung wiederum die treuhänderische Stellung des einzelnen, also eine

fiduciary duty60.

Mit der Verwendung des Begriffs "duty offair dealing" soll möglicherweise der Akzent von der eher moralisch generellen Orientierung des Begriffs "duty of loyalty "61 hin zu einer nüchtern handlungsbezogenen Betrachtungsweise verschoben werden62 . Je nachdem, ob die Blickweise eher funktions-, institutions- oder aktionsbezogen ist, lassen sich mit allen drei Ausdrücken diejenigen Verhaltensanforderungen beschreiben, die im deutschen Recht als Treuepflicht bezeichnet werden. II.Historische Entstehung

1. Gesellschaft und vorherrschende Sozialbeziehung Fiduciary relations (Treuhandverhältnisse63 ) können aus amerikanischer Sicht als das charakteristische Rechtsverhältnis unserer nachindustriellen

60 Z. T. wird daher auch die Kombination ''fiduciary duty of loyalty" gebraucht, siehe z.B. Clark, Corporate Law, S. 141. 61 Vgl. die Aussage von Chief Justice Cardozo in Meinhard v. Salmon, 249 N.Y. 458, 164 N.E. 545 (1928), zitiert in Fn. 100. 62 Eine Begründung für die Umbenennung wird in den Skizzen des ALl nicht gegeben. 63 Die Übersetzung Treuhandbeziehungen sollte nicht zu eng im Sinne der deutschen Treuhand verstanden werden. Umfaßt sind vielmehr alle rechtlichen Beziehungen, in denen eine Person von einer anderen die Macht übertragen bekommt, über einen Teil von deren persönlichen Angelegenheiten zu verfügen. Dies kann von der Übertragung von Eigentum (trust/Treuhand) über die Übertragung von Handlungsvollmacht (agency/Stellvertretung) und die Betrauung mit der OrgansteIlung in einer juristische Person (board of directors in der corporation) bis hin etwa zum Anvertrauen des eigenen Körpers an einen Arzt reichen (das Verhältnis Arzt - Patient ist laut Hammonds v. Aetna Casuality & Sur. Co.; 237 F.Supp. 96, 102 [N.D. Ohio 1965] ebenfalls einejiduciary relation). 3 Guntz

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Gesellschaft und damit als dritte Stufe auf der Entwicklung unserer Rechtsordnung verstanden werden64 . Die Feudalgesellschaft des Mittelalters war wie die vorher bestehende Sippenhierarchie maßgeblich von Statusverhältnissen geprägt. Deren charakteristische Merkmale bilden die Abhängigkeit des einen Teils und die Verpflichtung des anderen zur Fürsorge65 . Die Neuzeit ersetzte die Statusverhältnisse durch den Vertrag als wichtigste Sozialbeziehung. Auch hier findet sich eine gegenseitige Angewiesenheit bei der Bedürfnisbefriedigung. Die Wahl des Vertragspartners und der Vertragsbedingungen beruhen aber auf der freien Entscheidung sowie dem Verhandlungsgeschick des Individuums. Der Preis für die Befreiung von der Fremdbestimmung ist allerdings der Verlust der Sicherheit der Statusbeziehung66 . Die Entwicklung der modemen Gesellschaft in Richtung Spezialisierung auf der einen und Kombinierung von Resourcen67 auf der anderen Seite bringt es mit sich, daß immer mehr Personen anderen zur Regelung ihrer Angelegenheiten Macht übertragen. Die Verpflichtung, diese Macht zum Besten des Ermächtigenden auszuüben, stellt das Charakteristikum der jiduciary relations (Treuhandbeziehungen) dar, die mehr und mehr zur kennzeichnenden Rechtsbeziehung unserer nachindustriellen Gesellschaft zu werden scheinen68 . In der Treuhandbeziehung verbindet sich die Verhandlungsfreiheit des Vertrags (etwa bei der Wahl des jiduciary und der Festlegung einzelner Bedin64 Z.B. FrankeL, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S.797 ff. ("The Rise of the Fiduciary Society ") der Gedanke baut auf der Idee der linearen Entwicklung von der Familienabhängigkeit zur individuellen Verantwortlichkeit des einzelnen in der Gesellschaft auf, d.h. von status zu contract, die von Henry Maine in seinem Buch "Ancient Law" 8th. ed., London 1880, auf Seiten 168-170 postuliert wird; zur Tendenz der Gerichte, immer neue Treuhandbeziehungen anzuerkennen, auch O'Connor, Nexus of Contracts, 69 N.C.L. Rev. 1189 (1991), S. 1248, die von mud ruLes statt crystaL ruLes spricht. 65 Ein Beispiel für eine Statusbeziehung, die sich noch in unserer Gesellschaft findet, ist die von Eltern und Kind. 66 Vgl. FrankeL, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 799 f. Das Beispiel, das Frankel für eine vertragsbasierte Gesellschaft anführt (S. 802), die Marktgesellschaft der Vereinigten Staaten von Amerika während der industriellen Revolution, gibt zugleich einen eindrucksvollen Eindruck von den Folgen des Fehlens dieser Sicherheit. 67 "Specialization" und "pooling "; zu weiteren Gründen für die Ausweitung der Treuhandbeziehungen vgl. die Darstellung bei FrankeL, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 802 ff. 68 FrankeL, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 802; O'Connor, Nexus ofContracts, 69 N.C.L. Rev. 1189 (1991), S. 1248.

§ 2 Bedeutung und Entstehung der 'Fiduciary Duty of Loyalty'

35

gungen für das Verhältnis zu diesem) mit dem festgelegten Abhängigkeitsund Fürsorgeverhältnis der Statusbeziehung69 .

2. Entwicklung des Rechts der 'Fiduciary Relations' Das Recht hat die Änderung der Sozialbeziehungen hauptsächlich dadurch nachvollzogen, daß Gerichte bei der Beurteilung neuer jiduciary relations Analogien zu den bereits als solche anerkannten Beziehungen gezogen haben. Ihren Ursprung hat diese Entwicklung in der Herausbildung der equity, die im Gegensatz zum common law in Fällen von Machtmißbrauch durch eine Person gerichtliche Hilfe zur Verfügung stellen konnte. Dabei bildeten sich zur Regelung des Ermessens, das dem chancellor zur Verfügung stand, Grundprinzipien für bestimmte damals auftretende Fallgruppen heraus. Eine der ersten war der trust70 , d.h. die Verwaltung eines bestimmten Gutes allein zum Nutzen eines Begünstigten, des benejiciary, durch einen Treuhänder, den trustee, der der rechtliche Eigentümer des Gutes ist und die alleinige Verfügungs gewalt darüber hat. Personen, die zwar nicht trustee waren, aber eine vergleichbare Position innehatten, wurden als jiduciary bezeichnet. Für sie bildeten sich im Laufe der Jahrhunderte dem trust ähnliche Regeln heraus71 . So traten an die Stelle vieler nun gelockerter ehemaliger Statusbeziehungen Stellvertretungsverhältnisse, die von den Gerichten alsbald ebenfalls als ''jiduciary relations" eingestuft wurden72 , etwa das Verhältnis principal agent73 . Als die Zahl neuer Verhältnisse wuchs, die den anerkannten jiduciary relations ähnelten, begannen die Gerichte, Analogien zu letzteren zu ziehen und die für die Prototypen entwickelten Regeln auf die neuen Rechtsbeziehungen anzuwenden74 . Auf diese Weise wurdenjiduciary duties auch eine wichtige Quelle bei der Entwicklung des corporate law: Gerichtsentscheidungen zogen bezüglich des Verhältnisses der directors zur corporation oft Analogien zu der Beziehung

69 Frankei, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 801. 70 Noch früher, während des 12. und 13. Jhdts., entstand das Institut des "use" (Nießbrauch), bei dem ebenfalls ein Gut, nämlich Land, für einen Begünstigten durch den rechtlichen Eigentümer gehalten wird. 71 DeMott, Beyond Metaphor, Duke Law Journal 1988, 879, S. 880. 72 Frankel, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 803. 73 Geschäftsherr - Stellvertrter. 74 Frankel, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 805.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

zwischen agent und principaf75 oder derjenigen zwischen trustee und benejiciary76. Zur Beschreibung des Verhältnisses der Aktionäre untereinander wurde teilweise auf das Recht der partnership zurückgegriffen77 . Die beschriebene Art der Rechtsentwicklung ist freilich auch der Grund für die Verwirrung und Rechtsunsicherheit, die in diesem Bereich der Rechtsprechung häufig zu finden ist. Zum einen ist equity law von Natur aus auf Flexibilität und Situationsbezogenheit angelegt und schon von daher präzisen Definitionen nicht leicht zugänglich78 . Zum anderen ist die Rechtsentwicklung durch Analogien unbefriedigend, da die Gerichte meist nicht erklären, warum gewisse Ähnlichkeiten zwischen den verglichenen Rechtsverhältnissen von Bedeutung sind, andere aber nicht79 . Oft sind die Probleme, die mit Hilfe der Analogie gelöst werden sollen, auch mit denen, für die die anerkannte Lösung gefunden wurde, gar nicht gleichgelagert80 . Eine einheitliche Lösung der Fälle im Bereich des jiduciary law aufgrund juristischer Analyse des zugrunde liegenden Konfliktes von übertragener Rechtsrnacht und Mißbrauchsmöglichkeit wird zwar in der Literatur verschiedentlich gefordert81 . Ein Einfluß auf das an den verschiedenen Erscheinungstypen von Treuhandverhältnissen orientierte Fallrecht der Einzelstaaten läßt sich aber nicht erkennen. Auch das corporate govemment Projekt des ALl, das in Teil V. die duty of fair dealing 82 in der Gesellschaft behandelt, zielt lediglich auf die Zusammenfassung des geltenden Fallrechtes ab. Es ist daher nicht zu erwarten, daß die

75 Vgl. den englischen Fall Automatie Selj-Cleansing Filter Syndieate Co. v. Cunninghame, 75 L.J. Ch. (n.s.) 437, 440 (1906) (Collins M.R.). 76 Z.B. Tenison v. Patten, 95 Tex. 284, 67 S.W. 92 (1902). 77 Zu der Begründung von Treuepflichten im Verhältnis der shareholder untereinander noch ausführlich unter § 3 ill. 2. b). 78 DeMott, Beyond Metaphor, Duke Law Journal 1988, 879, S. 881. 79 Viele Analogien lassen sich nicht konsequent durchhalten. So paßt etwa innerhalb der trust-eorporation Analogie die Regel, daß ein beneficiary nicht von sich aus den trustee ersetzen kann, nicht auf die Situation zwischen shareholders und direetors. Letztere wurden nämlich von den Gesellschaftern selbst gewählt, während der trustee vom trustor und nicht vom beneficiary ausgesucht wurde. Beispiel nach Frankel, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 806. 80 Frankel, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 805. 81 Frankel, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), DeMott, Beyond Metaphor, Duke Law Journal 1988, 879, Shepherd, Fiduciary Relationship, 97 L.Q.Rev. 51 (1981), Shepherd, The Law of Fiduciaries, 1981. 82 ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 263 ff.

§ 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law'

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endgültige Fassung die Dogmatik der jiduciary relations grundsätzlich vom Kopf auf die Füße stellen wird. § 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law' I. Allgemeines

Fiduciary duties spielen eine wichtige Rolle auf der zweiten Stufe der Verfassung 83 einer corporation. Während auf der ersten Stufe die einzelnen statutes den Rahmen der Verteilung von Macht und Aufgaben innerhalb der Gesellschaft vorgeben, bestimmen die dem common law entstammenden Treuepflichten, wie die gegebene Macht im Einzelfall gehandhabt werden darf84. Sie sorgen somit für die Einpassung des fixen Rahmens in die fließende Umwelt. Diese Aufgabe kann nur von "offenen" Rechtssätzen erfüllt werden, die nicht alle erdenklichen Fälle im voraus regeln wollen, sondern Freiheit lassen für die Berücksichtigung der spezifischen Einzelumstände. Die gesellschaftsrechtliche duty o/loyalty bietet nicht zuletzt wegen ihrer auf Analogien beruhenden Herleitung aus der equity85 diese Flexibilität86. Auf der anderen Seite führt diese Offenheit aber dazu, daß die duty 0/ loyalty als Rechtsinstitut schwer faßbar ist87. Es besteht zum einen die Gefahr, daß die verschiedenen Einzelentscheidungen den Blick auf das übergreifende Prinzip verstellen, zum anderen, daß unter Gebrauch des Begriffs "duty o/loyalty" die verschiedensten Hypothesen gestützt werden können 88 .

83 "Corporate law is constitutional law; that is, its dominant function is to regulate the manner in which the corporate institution is constituted, to define the relative rights and duties of those participating in the institution, and to delimit the powers of the institution vis cl vis the external world." Einleitung zu Eisenberg, Melvin A., The Structure of the Corporation. A Legal Analysis, Boston 1976. 84 Berle spricht von einem doppelten Test für das Gesellschaftshandeln: einem Test anhand der technischen Regeln über die Machtverteilung und einem nach Billigkeit anhand der Verpflichtungen analog denen eines Treuhänders, S. 1049 und 1074. 85 Siehe oben § 2 ll. 2. 86 Vgl. Clark, Corporate Law. 87 O'Connor, Nexus of Contracts, 69 N.C.L. Rev. 1189 (1991), S. 1248 spricht im Zusammenhang mit der zunehmenden Tendenz der Gerichte, Treuhandbeziehungen anzuerkennen von 'mud rules' statt 'crystal rules '. 88 Siehe etwa die Entscheidung Jordan v. Duff and Phelps, Inc.;, 815 F.2d 429, in der das Gericht den Inhalt der jiduciary obligation einer Gesellschaft gegenüber ihrem

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA 11. Die Treuepflicht der Direktoren

Breite Übereinstimmung herrscht in Literatur und Rechtsprechung, daß die Direktoren89 einer corporation der Gesellschaft - und in gewissem Umfang auch deren Aktionären - gegenüber zur Loyalität verpflichtet sind. Schwieriger ist es, eine Antwort auf die Fragen zu erhalten, worauf sich diese duty 0/ loyalty gründet 90 und welche allgemeinen Anforderungen sie an die Direktoren stellt91 . Die meisten Darstellungen der Rechtsmaterie begnügen sich mit einer Schilderung der gängigen Fallgruppen92 .

1. Dogmatische Grundlagen Am häufigsten findet sich die Erklärung, daß Direktoren aufgrund der ihnen übertragenen Gewalt über die Leitung der corporation eine Stellung einnehmen, die der eines trustee vergleichbar ist93 , wobei in der Regel sofort darauf hingewiesen wird, daß diese Analogie sich nicht strikt durchhalten läßt94.

Belegschaftsaktionär anhand der Frage bestimmen will, was die Beteiligten bei expliziten Verhandlungen über den fraglichen Punkt vereinbart hätten. Eine derarige Fragestellung ist aber dem Treuhandrecht völlig fremd; sie ist vielmehr typisch im Vertragsrecht. Zur Kritik siehe DeMott, Beyond Metaphor, Duke Law Journal 1988, 879, S. 883 ff. 89 Die gleichen Pflichten treffen auch die leitenden Angestellten, die oft die eigentliche Unternehmensleitung besorgen. 90 Die Gerichte betrachten die Existenz der duty 0/ loyalty der directors als allgemein gültigen Rechtssatz, so daß eine Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen meist als überflüssig angesehen wird. Anstatt sich auf eine oder mehrere Leitentscheidung zu beziehen, wird in der Regel nur der allgemeine Rechtsgedanke als Autorität angeführt. Vgl. auch die Kommentierung ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 271 ff. comment zu Part V, Chapter 1: General Principle, § 5.01: Duty of Loyalty of Directors, Senior Executives and Dominating Shareholders. Auch in den Hauptwerken der Literatur finden sich keine diesbezüglichen Zitate. 91 Cooter / Freedman, The Fiduciary Relationship: Its Economic Character and Legal Consequences, 66 N.Y. Univ. L. Rev. 1045 (1991), S. 1045 f., stellen fest, daß die genaue Natur der jiduciary relations, obwohl diese seit 250 Jahren einen wichtigen Teil des anglo-amerikanischen Rechts ausmachten, eine Quelle der Verwirrung und des Streits geblieben seien. 92 Clark, Corporate Law, S. 141; Klein / Coffee, Business Organizations, S. 163 ff.; Ballentine, Corporations, S. 167 ff. 93 Z.B. Tenison v. Patten, 95 Tex. 284, 67 S.W. 92 (1902). 94 Hamilton, Law of Corporations, S. 303; Henn / Alexander, Law of Corporati-

§ 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law'

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Die oft unbefriedigenden Inkongruenzen in der Rechtsprechung der Gerichte rühren z.T. von dieser Entwicklung der duty olloyalty aus dem Recht des trust her. Das law 01 trusts ist zwar auch offen in dem Sinne, daß nicht alle Situationen kasuistisch voraus geregelt sind. Es stellt aber sehr rigide Verhaltensanforderungen an den trustee, die sich auf das Handeln eines Managers im Geschäftsalltag nicht übertragen ließen95 . Der erkannten Notwendigkeit, von diesen strengen Normen im Verhältnis director - shareholder abzuweichen, sind die Gerichte nun in ganz unterschiedlicher Art nachgekommen, ohne daß die Grunde für die Abweichung im Einzelfall immer klar geworden wären96 . In ähnlicher Weise müssen auch bei der Heranziehung des treuhänderischen Modells principal - agent, auf das die duty olloyalty der directors ebenfalls gestützt wird, Angleichungen an die speziellen Verhältnisse in der corporation gemacht werden97 Letztlich stellt sich die duty 01 loyalty der Direktoren als ein auf Treuhandgedanken, insbesondere aus dem Recht von trust und agency, gegründetes, eigenständiges Rechtsinstitut dar. Seine Aufgabe ist es, die Ausübung der den Direktoren gegebenen Verfügungsmacht über die Geschicke der Gesellschaft im Sinne der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu kontrollieren.

ons, S. 625; Ruder, Duty of Loyalty,40 Bus.Law. 1383 (1985), S. 1385; Ballentine, Corporations, S. 168. 95 Bei einem analytischen Vergleich der beiden Situationen ergeben sich folgende grundlegende Unterschiede: Trustees sind zum einen von ihren benejiciaries völlig unabhängig, während Direktoren von den Aktionären abgewählt werden können. Anders gewendet sind benejiciaries der Macht des trustee viel stärker ausgeliefert. Zum anderen liegt es im Ziel einer Gesellschaft, daß die Direktoren für die Aktionäre auf dem Markt Gewinne erzielen. Hierfür ist eine gewisse Freiheit, zu handeln und vor allem auch Risiken einzugehen, notwendige Voraussetzung, vgl. Frankei, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 805 f. 96 So werden in ein und derselben Entscheidung Direktoren im Zusammenhang mit Insichgeschäften als trustees angesehen, im Zusammenhang mit der Haftung für nichtvorsätzliche Überschreitung ihrer Handlungsbefugnis dagegen nicht. vgl. Litwin v. Allen, 25 N.Y.S.2d 667 (Sup. Ct. 1940). 97 Vgl. Ballentine, Corporations, S. 168; So müssen als ein Beispiel die Direktoren, um ihr Geschäft vernünftig führen zu können, frei von der Einmischung der Aktionäre in die Alltagsgeschäfte der Gesellschaft sein. Der agent ist dagegen der Weisung des principals jederzeit unterworfen.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

2. Zielrichtung der Treuepflicht Mit der Herleitung der Treuepflicht ist noch nichts über ihren Inhalt und die Frage, wem sie geschuldet ist, ausgesagt98 . Die Direktoren verwalten die Güter der eigenständigen juristischen Person

corporation. Ihr gegenüber und erst mittelbar den Gesellschaftern gegenüber

sind sie zur Loyalität verpflichtet. Die Gerichte haben in besonderen Fällen aber auch Treuepflichten der Direktoren im Verhältnis zu einzelnen Aktionären angenommen99 .

3. Inhalt der Treuepflicht Die Rechtsentwicklung hat weniger zu einer allgemeinen Definition der Verhaltensanforderungen an die Direktoren einer Gesellschaft geführt 100 als zur Herausarbeitung der verschiedenen Fallgruppen, in denenfiduciary duties eine Rolle spielen 101 . Wenn die Klassifizierungen auch zum Teil von einander abweichen, so werden doch im wesentlichen folgende Bereiche diskutiert:

98 Berühmt insofern das Zitat von Iustice Frankfurter in SEC v. Chenery Corp. (318 U.S. 80, 85 [1943]): "But to say a man is a fiduciary only beg ins analysis; it gives direction to further inquiry. To whom is he a fiduciary? What obligations does he owe as a fiduciary? In what respect has he failed to discharge this obligations? And what are the consequences of his deviation from duty?" . 99 ALl, Corporate Governance, Tentative Draft No., 5 (1985), S. 16; ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 274 f.; vgl. unten 3 c. 100 Eine oft zitierte Beschreibung des Inhalts der duty 0/ loyalty findet sich in den Ausführungen von Chief Iustice Cardozo in dem Klassiker Meinhard v. Salmon 249 N.Y. 458, 164 N.E. 544 (N.Y. Ct. App. 1928). Sie hat nach allgemeiner Meinung auch Gültigkeit für die Beziehungen in einer corporation, obwohl sie sich im genannten Fall auf das Verhältnis von Kaufleuten in einem joint adventure (Gemeinschaftsunternehmung) bezog. Cardozo schreibt (164 N.E. 546): "Many forms of conduct permissible in a workaday world for those working at arm's length are forbidden to those bound by fiduciary ties. A trustee is held to something stricter than the morals of the market place. Not honesty alone, but the punctilio of an honor the most sensitive, is then the standard of behavior. " 101 Das General Principle in § 5.01 des ALl-Vorschlages, ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 271 bestimmt nur, daß Direktoren zur Loyalität verpflichtet sind, was von ihnen verlangt, fair mit der Gesellschaft zu verhandeln, wenn sie in einer Angelegenheit persönlich interessiert sind, die die Gesellschaft betrifft. Eine gute Zusammenstellung der Rechtsprechung bezüglich der verschiedenen Fallgruppen findet sich in American Bar Association, Model Business Corporation Act Annotated, 3d ed., vol. 3, 1985 ff., Stand 1994, S. 1142.44 ff. und außerdem in

§ 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law'

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a) Einfluß auf den Abschluß von Geschäften durch die Gesellschaft im eigenen Interesse: 'Self Dealing' im weiteren Sinn Die wohl wichtigste Gruppe sind die Fälle des self dealing 102 . Die Ratio der unter diesem Titel zusammengefaßten Entscheidungen ist es zu verhindern, daß Direktoren die ihnen gegebene Position dazu nutzen, aus Geschäften, die sie für die Gesellschaft abschließen, eigene Vorteile zu ziehen 103 . Dieses Ziel wurde noch 1880 durch die generelle Anfechtbarkeit von Geschäften zwischen directors und corporation (self dealing im engeren Sinn) zu erreichen gesucht 104 . Zu Beginn unseres Jahrhunderts galt die Regel nur noch in den Fällen, in denen eine Mehrheit des board of directors interessiert war; anderenfalls konnte die Anfechtbarkeit des Vertrages durch die Genehmigung der Mehrheit der unbeteiligten Direktoren geheilt werden 105 , sofern dieser vom Gericht nicht als unfair befunden wurde. In den sechziger Jahren hatte sich die Grundregel dann endgültig umgekehrt: Verträge zwischen der Gesellschaft und ihren Direktoren sind grundsätzlich gültig, können aber vom Gericht überprüft und - im Falle unfairer Benachteiligung der Gesellschaft - aufgehoben werden 106 .

den Reporter's Notes zu den sections 5.02 bis 5.09 des ALl-Projekts ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 312 ff. 102 Die Übersetzung In-Sieh-Geschäfte greift oft zu kurz. Erfaßt werden meist alle Transaktionen der Gesellschaft mit natürlichen oder juristischen Personen, an denen ein Direktor ein spezielles persönliches Interesse hat; vgl. etwa die Fallkonstellationen, die Clark, Corporate Law, S. 159 aufführt. 103 "Directors owe a duty of highest good faith to the corporation and its stockholders. It is a cardinal principle of corporate law that a director cannot, at the expense of the corporatioil, make an unfair profit from his position" lustice Peters in Remillard Briek Co. v. Remillard-Dandini Co.; 241 P.2d. 66 (Cal. App. 1952) auf Seite 74. 104 Siehe den historischen Abriß der dreiteiligen Entwicklung bei Marsh, Trustees, 22 Bus. Law. 35 (1966), S. 36 ff. 105 Marsh, Trustees, 22 Bus. Law. 35 (1966), S. 39-40. 106 Marsh, Trustees, 22 Bus. Law. 35 (1966), S. 43; Diese Entwicklung des common law hat auch ihren Niederschlag in verschiedenen statutes gefunden: z.B. § 144(a) des Delaware General Corporation Law; das 1988 neu eingefügte Subchapter F in Chapter 8 des Revised Model Business Corporation Act versucht in § 8.61 genauere Richtlinien für die Einschätzung der Fairness des Handeins der direetors zu geben, vgl. American Bar Association, Model Business Corporation Act Annotated, 3d ed., vol. 3, 1985 ff., Stand 1994 S. 1142.3 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Nach dem derzeitigen kalifornischen General Corporation Law soll auch dies nicht mehr möglich sein, sofern das Geschäft von den Aktionären ratifiziert wurde 107 .

In dieselbe Richtung 108 geht der vorgeschlagene endgültige Entwurf des ALl 109 , der allerdings das strikte Erfordernis der Offenlegung des Interessenkonflikts zur Vorbedingung macht: Nach § 5.02 liegt dann keine Treupflichtverletzung vor, wenn bei Verträgen mit der Gesellschaft (1) der Direktor seinen Interessenkonflikt offenlegt und (2) das abgeschlossene Geschäft (A) fair ist oder (B) von unbeteiligten Direktoren bekräftigt wurde und vernünftigerweise als fair angesehen werden konnte 110 oder (C) von einer unbeteiligten Mehrheit der Aktionäre bekräftigt wurde und keine Verschwendung von Gesellschaftsgütern darstellt 111 . Der Vorschlag geht nicht mehr von einer Anfechtbarkeit der Transaktion aus, sondern stellt nur Verhaltensanforderungen auf, deren Verletzung gemäß § 7.18 eine Schadensersatzpflicht des Direktors nach sich zieht 112 . Eine meist eigens behandelte Fallgruppe ist die Gewährung übermäßiger Managergehälter (excessive compensation)113. Beschließen die Direktoren selbst hierüber, liegt der Sache nach aber nichts anderes vor als eine self dealing Situation. Doch auch bei der häufig praktizierten Einschaltung von unabhängigen board-Ausschüssen sind conflict 0/ interest Fälle denkbar, so

107 Dies läßt sich zumindest dem Wortlaut entnehmen, der im Falle der Bestätigung durch die Aktionäre das Erfordernis der fairness nicht mehr erwähnt, vgl. Clark, Corporate Law S. 160, der diese Erscheinung als viertes Stadium der Entwicklung bezeichnet. 108 Auch § 5.01(a)(I)(C) verlangt nicht die Fairness des von den shareholders genehmigten Geschäftes; siehe aber Fn. 111. 109 ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 277. 110 Diese Bestimung erlaubt es dem Kläger, darzulegen, daß ein von unbeteiligten Direktoren bestätigtes Geschäft von diesen vernünftigerweise nicht für fair gehalten werden konnte. (Verlangt wird, daß die unbeteiligten Direktoren "could reasonably have conc1uded that the transaction was fair".) Es handelt sich um einen neuartigen Ansatz (vgl. ALl, Corporate Governance, Final Draft, comment zu § 5.02 S. 280), der die Nachprüfung der fairness der Transaktion unter Berücksichtigung des subjektiven Eindrucks auf die genehmigenden Direktoren erlaubt. 111 Durch diesen letzten Halbsatz wird allerdings doch die Möglichkeit für eine Nachprüfung des von den Aktionären ratifIZierten Geschäftes eröffnet. 112 Dies übersieht Merkt, Gesellschaftsrecht, Rn. 710, S. 415. 113 Siehe hierzu: Rogers v. Hill 289 U.S. 582 (1933); Heller v. Boylan 29 N.Y.S.2d 653 (N.Y. Sup. Ct. 1941); Ruetz v. Topping 453 S.W.2d 624 (Mo.App. 1970).

§ 3 'Duties ofLoyalty' im 'Corporation Law'

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daß die Lösung jeweils entsprechend den hierfür geltenden allgemeinen Regeln gesucht werden kann 114 • Die einschlägige Regelung § 5.03 des ALl-Vorschlags ist daher auch parallel zu § 5.02 (transactions with the corporation, also self dealing i.e.S.) aufgebaut, gibt aber durch ihren Bezug auf die business judgement rule (§ 4.01) ein größeres Ermessen für die genehmigenden unbeteiligten Direktoren. b) Übervorteilung der Gesellschaft in anderer Weise Bei einer Reihe weiterer Fallgruppen liegen Treupflichtverletzungen jeweils unabhängig vom Abschluß eines Geschäftes durch die Gesellschaft vor. Es liegt der Gedanke zugrunde, daß die Direktoren als jiduciaries verpflichtet sind, die Interessen der Gesellschaft ohne Einschränkung zu fördern. Sie dürfen insbesondere nicht auf deren Kosten nach eigenen Vorteilen streben. Eine derartige Verletzung ohne vertragliche Beteiligung der corporation kann darin liegen, daß ein Direktor der Gesellschaft Konkurrenz macht (competition with the corporation). Dabei ist nicht grundSätzlich jede eigene wirtschaftliche Betätigung eines Direktors in derselben Branche verboten. Wenn dadurch aber eine Beeinträchtigung der Gesellschaft verursacht wird, liegt ein Verstoß gegen die duty of loyalty vor l15 . Letzteres gilt umso mehr, wenn der betreffende Direktor bei seinem privaten wirtschaftlichen Handeln die Vorteile seiner Stellung in der corporation ausnutzt, indem er etwa Kunden oder Angestellte abwirbt, Einrichtungen der Gesellschaft benutzt oder interne Informationen ausbeutet (use of corporate

position, information or property)116.

Die genannten Handlungen können für sich genommen schon Treuepflichtverstöße darstellen, wenn sie entweder vernünftigerweise vorhersehbar Schaden für die Gesellschaft verursachen oder dem Direktor als Aktionär einen finanziellen Vorteil sichern, der anderen Aktionären nicht offensteht117. Ein spezieller Unterfall hiervon ist die Ausnutzung der internen Informationen beim Kauf von Wertpapieren (insider trading). Eine Treupflichtverletzung stellt insbesondere der Aufkauf von Aktien von Minderheitsaktionären

114 Ruder, Duty ofLoyalty, 40 Bus.Law. 1383 (1985), S. 1392. Lincoln Stores v. Grant, 34 N.E.2d 704 (Mass. 1941).

115

116 Für Fallnachweise siehe reporter's note, ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 374. 117 Diese Fallgruppe wurde im Projekt des ALl unter seetion 5.04 zusammenge-

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dar, denen die Informationen nicht offengelegt wurden l18 . Diese Fälle haben ihre praktische Relevanz heute verloren, da ein Schutz der Aktionäre inzwischen auch über die bundesgesetzlichen Wertpapierhandelsvorschriften, insbesondere rule lOb-5 119 , sichergestellt wird. Die Wurzeln der insider trading doctrine liegen jedoch in denjiduciary duties des common law l20 • Nach der corporate opportunity doctrine schließlich ist es Direktoren verboten, Geschäftschancen für sich auszunutzen, die gerechterweise der corporation gebühren l21 . Es ist offensichtlich, daß sich diese Fälle von denen des Wettbewerbs mit der Gesellschaft nicht klar trennen lassen l22 . Gelingt es nachzuweisen, daß die Geschäftschance tatsächlich der corporation zustand 123 , so kann die Gesellschaft Schadensersatzansprüche geltend machen oder mittels Auferlegung eines constructive trust den Erlös des Geschäfts zugewiesen bekommen l24 .

faßt; ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 338 ff., siehe dort bzgl. Rechtsprechungshinweisen im einzelnen. 118 Rotchkiss v. Fischer 136 Kan. 530, 16 P.2d 531 (1932); Strong v. Repide 213 U.S. 419 (1909). 119 Fifth rule adopted by the security exchange commission (SEC) under section 1O(b) of the Securities Exchange Act of 1934. 120 Ruder, Duty of Loyalty, 40 Bus.Law. 1383 (1985), S. 1398, vgl. etwa die Entscheidung des Court of Appeals of New York Diamond v. Oreamuno, 24 N.Y.2d 494,498,248 N.E.2d 911,912,301 N.Y.S.2d 78,81 (1969), die die Verpflichtung, insider Informationen nicht zum eigenen Vorteil auszunutzen, auf die jiduciary duties der Manager stützt. 121 "[I]f there is presented to a corporate officer or director a business opportunity which the corporation is financially able to undertake, is, from its nature, in the line of the corporation' s business and is of practical advantage to it, is one in wh ich the corporation has an interest or a reasonable expectancy, and, by embracing the opportunity , the self-interset of the officer or director will be brought into conflict with that of his corporation, the law will not permit him to seize the opportunity for himself." Guth v. Loft, lne.; 23 Del.Ch. 255, 5 A.2d 503 (DeI. 1939); siehe auch section 5.05 des ALl-Vorschlages, S. 378 ff. und die in der Kommentierung genannte Rechtsprechung; aus der deutschen Literatur ausführlich Weisser, Corporate Opportunities, Zum Schutz der Geschäftschancen des Unternehmens im deutschen und im amerikanischen Recht, Köln 1991. 122 Z.T. wird die eorporate opportunity doetrine auch als Obergruppe angesehen. 123 Die verschiedenen hierfür entwickelten Tests sind bei Merkt, Gesellschaftsrecht Rn. 729 und Renn / Alexander, Law of Corporations, Rn. 237 S. 632 aufgeführt. 124 Für eine knappe Erklärung dieser Rechtsmittel siehe Merkt, Gesellschaftsrecht, S. 432, Fn. 232.

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c) Veränderungen in der Struktur der 'Corporation' Immer dann, wenn durch Handlungen der Direktoren einzelne Aktionäre in unterschiedlichem Maße betroffen sind, ihre Interessen also divergieren, findet sich eine duty 0/ loyalty der Direktoren auch gegenüber den einzelnen Aktionären. Bedeutung erlangt diese Pflicht speziell in den Fällen, in denen grundlegende Strukturentscheidungen ohne Abstimmung in der Hauptversammlung getroffen werden können l25 . Die Direktoren dürfen dann nicht einseitig im Interesse einzelner, speziell der majority shareholders , handeln, sondern haben auch die Interessen der außenstehenden zu berucksichtigen l26 . d) Abwehr von take-over Versuchen: 'Perpetuation of Control' Nachdem sogenannte "feindliche", d.h. nicht mit dem Management abgesprochene Übernahmeversuche in der Regel die Ablösung des bisherigen Managements nach sich ziehen 127 , ist dieses oft bemüht, die Übernahme zu verhindern. Eine Treupflichtverletzung kann hier bereits in der bloßen Tatsache der versuchten Verhinderung liegen. Es läßt sich argumentieren, daß schon allein das Übernahmeangebot den Kurswert der Aktien ansteigen läßt und somit im Interesse der Aktionäre liegt. Dieses wiederum sollte die oberste Richtschnur des Managementhandelns sein, so daß die Unternehmensleitung pflichtwidrig handelt, wenn sie die Übernahme zu verhindern sucht. Diese Argumentation ist damit nur eine konsequente Anwendung der Verpflichtung des jiduciary, das Wohl des benejiciary (Steigerung des Anteilswertes) über das eigene (Behalten des Arbeitsplatzes) zu stellen l28 .

125 So ist es nach dem Recht einzelner Staaten dem numagement möglich, selbst Fusionen (merger) unter bestimmten Umständen ohne einen Beschluß des general meeting durchzuführen, sog. shortform merger. 126 Siehe z.B. Zahn v. Transamerica 162 F.2d 36 (U.S. Cl. App. 1947), hierzu unten Fn. 138 und Speed v. Transamerica 235 F.2d 369, (U.S. Ct. App. 1956); auch Weinberger v. UOP /Ne.; 457 A.2d 701 (DeI.Supr. 1983) betont die Verpflichtung der Direktoren einer Tochtergesellschaft, die mit der Muttergesellschaft verschmolzen werden soll, zur Unparteilichkeit, formuliert dies aber nur als Konflikt der Interessen der beiden Gesellschaften; siehe auch Henn I Alexander, Law of Corporations, § 240, S. 651. 127 Klein I Coffee, Business Organizations, S. 167, S. 182 f.; siehe auch die gute, knappe Übersicht verschiedener Abwehrstrategien auf S. 168 und 186 Cf. 128 Da ein Übernahmeangebot auch die Entwicklungsmöglichkeiten einer corpora-

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Noch deutlicher stellt sich die Frage nach einer Pflichtverletzung aber 129 , wenn das Management bei der Abwehr Gesellschaftsvermögen einsetzt (use o[ corporatefunds), etwa um zu erhöhten Preisen eigene Aktien aufzukaufen 130 , um den Bieter auszukaufen (greenmail), oder wenn es wertvolle Unternehmensteile ("Kronjuwelen") unter Wert veräußert. Die Rechtsprechung betrachtet diese Handlungen dann als breach o[ duty, wenn sie allein oder hauptsächlich zu dem Zwecke vorgenommen werden, die Herrschaft über die Gesellschaft zu behalten l3l . Da sich unter Heranziehung der business judgement rule aber fast immer ein "wahrer" Grund für die unternommene Aktion anführen läßt, ist es in der Praxis nahezu unmöglich, die Treuverletzung nachzuweisen 132 . Auch der Vorschlag des ALl, der sich in § 6.02 mit Abwehrmaßnahmen der Direktoren gegen Übernahmeangebote beschäftigt, bürdet demjenigen, der eine Entscheidung des board o[ directors angreift, die Beweislast dafür auf, daß eine von den Direktoren getroffene Maßnahme keine vernünftige Reaktion auf das Angebot darstellte 133 .

tion reflektiert, läßt sich, auch ohne überzeugter Anhänger der neo-klassischen Schule sein zu müssen, leicht begreifen, daß ein solches den wahren Wert eines Gesellschaftsanteils eher widerspiegelt als der Aktienwert, der maßgeblich vom Handeln und v.a. der Dividendenpolitik des derzeitigen Managements beeinflußt wird. Diese Politik ist aber, wie empirische Studien ergeben haben, meist auf Profitbefriedigung, nicht aber Profitmaximierung gerichtet. Siehe hierzu oben Fn. 43. Take overs durch staatliche oder gerichtliche Maßnahmen zu verhindern, ist damit, sofern die Fairness des Angebots gegenüber allen shareholders gewährleistet ist, nicht sinnvoll. 129 Und nur diese Fälle tauchen in Rechtsprechung und wissenschaftlicher Diskussion auf; Klein I Coffee, Business Organizations, S. 168 f., 182. 130 Dies ist nach den meisten Rechtsordnungen nicht verboten, so erlaubt beispielsweise § 6.31 RMBCA den Erwerb eigener Aktien ausdrücklich, und § 172 Delaware General Corporation Code setzt dessen Möglichkeit voraus. 131 "If the actions of the board were motivated by a sincere belief that the buying out of the dissident stockholder was necessary to maintain what the board believed to be proper business practices, the board will not be held Iiable for such decision, even though hindsight indicates the decision was not the wisest course .... On the other hand, if the board has acted solely or primarily because of the desire to perpetuate themselves in office, the use of corporate funds for such purpose is improper. " Cheff v. Mathes 41 DeI. Ch. 494, 199 A.2d 548, 554 (DeI. Supr. Ct. 1964, Hervorhebungen vom Verfasser); vgl. auch Herald Co. v. Seawell 472 F.2d 1081 (10th Cir. 1972). 132 Klein / Coffee, Business Organizations, S. 191 ff. mit einer Übersicht über Entscheidungen in diesem Bereich. 133 § 6.02(c), ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 547.

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III. Die Treuepflicht der Aktionäre

Es ist wohl einhellige Meinung, daß auch Aktionäre einer Treuepflicht unterliegen können 134 . Dabei handelt es sich aber nicht um eine Pflicht, die schon allein an die Gesellschaftereigenschaft anknüpft und damit allen Aktionären obliegt 135 . Die Treuepflicht ist den Gesellschaftern nicht "angeboren", sie fließt vielmehr erst aus der Position, die der jeweilige Aktionär innehat 136 . In der Regel werden Treuepflichten daher für Mehrheitsaktionäre diskutiert. Wenn dieses Kapitel hier keine Ausnahme macht, so um damit der überragenden Bedeutung dieses Anwendungsbereichs gerecht zu werden. Daß aber keineswegs nur Mehrheitsaktionäre Treuepflichten unterliegen, wird im nächsten Paragraphen zu zeigen sein. Um aber im Verhältnis shareholder - corporation oder shareholder shareholder überhaupt zur Anwendung von duties 0/ loyalty zu gelangen,

bedarf es erst eines Transferschrittes.

134 Jennings / Buxbaum, Corporations. Cases and Materials, 5th. edition, St. Paul, Minn. 1979, Chapter VI, S. 441 ff.; Clark, Corporate Law, S. 141; Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 625; Klein / Coffee, Business Organizations, S. 169 f. In der Regel wird nur von der Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs gesprochen. Sicherlich handelt es sich damit auch um den größten Anwendungsbereich. Zu der Tatsache, daß die Treuepflicht aber keineswegs auf den Mehrheitsaktionär beschränkt ist, siehe unten § 4. 135 Siehe Keating / Perkowitz-Solheim, Fletcher Cyclopedia, § 5811 mit Rechtsprechungshinweisen in Fn. 1. 136 "Undoubtedly no trust relation ordinarily exists between the stockholders themselves or between the stockholders and the corporation, beeause the stoekholders ordinarily are strangers to the management and eontrol of the corporation business and affairs .... The section 221 [of the General Corporation Law] imposes upon the stockholders the ultimate determination of the important question whether or not the corporation sha11 be dissolved forthwith. The stockholders are bound to determine and control this particular part of the corporate affairs, in regard to which they occupy a relation of trust as between themselves and the corporation, and are burdenened and restricted by fiduciary obligations. When a number of stockholders eonstitute themselves or are by the law constituted, the managers of eorporate affairs or interests, they stand in much the same attitude towards the other or minority stockholders that the directors sustain genera11y towards a11 the stockholders, and the law requires of them the utmost goodfaith." Kavanaugh v. Kavanaugh Knitting Co. [ne.;, 226 N.Y. 185, 123 N.E. 148,151 (Ct. App. ofN.Y. 1919, Hervorhebungen vom Verfasser) Weitere Nachweise in Keating / Perkowitz-Solheim, Fletcher Cyclopedia, Fn. 2 zu § 5811.

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1. Dogmatische Herleitung Es werden im wesentlichen drei verschiedene dogmatische Wege beschritten, die zu einer Auferlegung von Treuepflichten für Aktionäre führen. a) Ableitung aus der Treuhandstellung der Direktoren Der erste Weg besteht in einem Transfer derjenigen Pflichten, die für die Direktoren einer Gesellschaft entwickelt wurden, auf deren Aktionäre. Insbesondere zu Beginn der Rechtsentwicklung suchten die Gerichte oft Anlehnung an die Regeln, die für corporate directors gelten, um die duty 0/ loyalty des Mehrheitsgesellschafters zu begründen 137 . Immer dann, wenn ein oder mehrere Gesellschafter soviel Einfluß auf die Untemehmensleitung haben, daß letztlich sie die für die Gesellschaft wichtigen Entscheidungen treffen, ist es auch sinnvoll, diese den gleichen Treuepflichten zu unterwerfen, wie sie für die beeinflußten Direktoren gelten l38 .

137 So führte der Court of Chancery of Delaware in einer frühen Entscheidung von 1923, Allied Chemical & Die Corporation v. Steel & Tube Co. 0/ America, 14 DeI. Ch. 1, 120 A. 486 auf Seite 491 aus: "No one, of course questions the fiduciary character of the relationship which the directors bear to the corporation. The same considerations of fundamental justice which impose a fiduciary character upon the relationship of the directors to the stockholders will also impose, in a proper case, a like character upon the relationship which the majority of the stockholders bear to the minority. When in the conduct of corporate business, a majority of the voting power in the corporation join hands in imposing its policy upon all, .. , they are to be regarded as having placed upon themselves the same sort of fiduiary character which the law impresses upon the directors in their relation to all the stockholders. " siehe auch die Argumentation von lustice Martin in Farmers' Loan & Trust Co. v. New York & Northern Railway Co.; 150 N.Y. 410,430; 44 N.E. 1043, 1046. 138 Eine oft zitierte Leitentscheidung ist Zahn v. Transamerica Corporation, 62 F.2d 36 (3d Cir. 1947) In diesem Fall hat der board 0/ directors von Axton-Fisher das satzungsgmäß ihm zustehende Recht ausgeübt, alle Aktien der Aktiengattung A zurückzukaufen. Kurz danach wurde die Gesellschaft aufgelöst und der Liquidationserlös an die Inhaber der verbliebenen Aktiengattung B, die im wesentlichen im Besitz des Mehrheitsaktionärs Transamerica Corp. stand, verteilt. Auf diese Weise floß der Liquidationserlös an den A-Aktionären vorbei, denen bei einer Beteiligung an der Liquidation eine erheblich höhere Summe zugestanden hätte als die durch den Abkauf erzielte. Das Gericht führte aus: "The Act of the board of directors in calling the Class A stock, an act which could have been legally consummated by a disinterested board of directors, was here effected at the direction of the principal Class B stockholder in order to profit it. ... [I]t follows that the directors ofAxton-Fisher , the

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Von der Konstruktion her handelt es sich mithin um eine zweimalige Übertragung: Zunächst wurden die für trustees oder agents geltenden Regeln auf die in ähnlicher Position stehenden Direktoren angewandt; die auf diese Weise neu entstandenen Pflichten gelten dann auch für shareholder , wenn diese eine den Direktoren vergleichbare Stellung einnehmen. b) Ableitung aus der Machtposition in der Gesellschaft Auf diesen zweiten Schritt verzichten andere Entscheidungen oft. Sie argumentieren unmittelbar von der Machtposition, die Mehrheitsgesellschafter gegenüber der Minderheit haben, auf ihre treuhänderische Verpflichtung diesen und der corporation gegenüber. Ein oder mehrere shareholder stehen dann, und nur dann, in einer treuhänderischen Verpflichtung zu ihren Mitgesellschaftern und der corporation, wenn sie eine Position innehaben, vermöge derer sie Einfluß nehmen können auf die Geschicke der Gesellschaft 139 . Sie befinden sich für diesen Bereich in derselben Situation wie die Direktoren, deren treuhänderische Stellung sich ja ebenfalls aus der ihnen übertragenen Fähigkeit ergibt, über die Werte der shareholder zu verfügen l40 . c) Gemeinsamkeiten Die beiden Argumentationslinien laufen somit ineinander. Angesichts der flexiblen Fortentwicklung der jiduciary duties ist es auch nicht mehr notweninstruments of Transamerica, have been derelict in that duty. Liability which flows from the dereliction must be imposed upon Transamerica which, under the allegations of the complaint, constituted the board ofAxton-Fisher and controlled it." In Perlman v. Feldmann, 219 F.2d 173 (2d Cir. 1955), schreibt Chief Judge Clark (S. 176): "[T]he same rule should apply to his fiduciary duties as majority shareholder, for in that capacity he chooses and controls the directors, and thus is held to have assumed their Iiability"; siehe auch die weiteren Nachweise in Keating / Perkowitz-Solheim, Fleteher CycIopedia, Fn. 16 zu § 5811. 139 "The Owners of a majority of the capital stock of a corporation may legally control the company's business, prescribe its general policy, make themselves its agents, and take reasonable compensation for their services. But, in thus assuming the control, they also take upon themselves the correlative duty of diligence and good faith." Meeker v. Winthrop Iron Co.; 17 F 48,50 (Cire. Ct. W.D. Mich., N.D. 1883, Hervorhebungen vom Verfasser). 140 Siehe zum Beispiel die Argumentation von Justice Collin in der oben zitierten Passage aus Kavanaugh v. Kavanaugh Knitting Co.;, Fn. 136. Weitere Rechtsprechungshinweise fmden sich in Keating / Perkowitz-Solheim, Fleteher CycIopedia § 5810. 4 Guntz

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I. Teil, I. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

dig, sich direkt auf die für Direktoren geltenden Regeln zu stützen, sobald einmal der treuhänderische Charakter der Beziehung der Mehrheitsaktionärs zur Gesellschaft und zu den Mitaktionären festgestellt ist: Die Verhaltensanforderungen an den derart als jiduciary eingestuften Aktionär ergeben sich dann, wie die eines director aus seiner treuhänderischen Verpflichtung gegenüber den anderen Aktionären. Als maßgebendes Kriterium erscheint hier in allen Entscheidungen die Möglichkeit, Macht und Einfluß auszuüben. Die duty of loyalty des majority shareholder (Mehrheitsaktionärs) bildet damit das direkte Korrelat zur Macht, die ihm seine Stellung verschafft. Dabei ist es für die Anwendung der Treuepflicht völlig unerheblich, ob sich diese Macht auf die normale Ausübung des Stimmrechts oder auf die tatsächliche Einflußnahme auf die Unternehmensleitung gründet l41 . Bei genauer Betrachtung liegt die Grundlage für das Eingreifen der Treuepflicht nicht schon in der Innehabung der gegebenen Macht, sondern erst in deren Ausübung. Die Treuepflicht der Aktionäre erscheint damit im amerikanischen Recht als dasjenige soziale Korrektiv, das notwendig jeglicher Machtausübung durch einen der Aktionäre auferlegt ist. Es handelt sich somit um einen funktionalen, nicht um einen institutionalen Ansatz: Entscheidender Anknüpfungspunkt ist nicht die Stellung als Aktionär, sondern die Ausübung von Macht. In ihr finden sich die zwei wesentlichen Punkte einer jeden treuhänderischen Beziehung: die Übertragung von Macht auf den jiduciary142 und die Ausübung dieser Macht in Vertretung des Treugebers l43 , den hier die Gesamtheit der Aktionäre bildet. d) Die persönliche Verbundenheit der Gesellschafter in der 'Close Corporation' Einen auf den ersten Blick davon unterschiedlichen Ansatzpunkt findet man oft in Entscheidungen, die die persönliche Verbundenheit der Gesellschafter 141 "[T]he doctrine by which the holders of a majority of the stock of a corporation who dominates its affairs are held to act as trustees for the minority, does not rest upon such technical destinctions. It is the fact of control of the common property held and exercised not the particular means by wh ich or manner in which the control is exercised, that creates the fiduciary obligation." Southern Pacific Co. v. Bogert, 250 U.S. 483, 492. 142 Shepherd, Fiduciary Relationship, 97 L.Q.Rev. 51 (1981), S. 74; Frankei, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 809. 143 Frankei, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 808.

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als die Basis einer Treuepflicht der Aktionäre heranziehen. Dieser Gedanke beruht auf einer Analogie zum Recht der partnership. Insbesondere die close corporation wird häufig mit dieser verglichen und daher auch teilweise als "incorporated partnership" bezeichnet l44 . Die bekannteste und grundlegende Entscheidung in diesem Zusammenhang ist Donahue v. Rodd Electrotype Company 0/ New England, Inc. 145 : Wegen der großen Ähnlichkeit mit dem Verhältnis unter Partnern, das auf gegenseitigem Vertrauen aufbaue, schuldeten sich auch die Gesellschafter einer close corporation gegenseitig dieselbe Treuepflicht wie Partner untereinander l46 .

Im Bereich der close corporation scheint daher bereits die Eigenschaft als shareholder in der corporation eine Treuepflicht zu begründen, somit ein institutionaler Ansatz vorzuliegen.

Betrachtet man die Gründe, die zur Aufstellung dieser Regel geführt haben, zeigt sich, daß dies nur bedingt richtig ist. Hauptgrund für die Auferlegung der strikten Treuepflicht 147 ist nämlich die besondere Verletzbarkeit der Minderheit in der close corporation l48 . Diese ist benachteiligenden Entscheidungen der Mehrheit insofern ausgeliefert, als sie einerseits nicht genügend Stimmkraft zur Änderung der Entscheidung hat, andererseits aber die Gesellschaft auch nicht einfach verlassen kann. Im Gegensatz zu den Aktionären in public corporations, die bei Unzufriedenheit ihre Anteile verkaufen können, steht der Minderheit in der close corporation meist ein Markt für ihre Anteile nicht offen l49 . Die einzige Möglichkeit stellt der Verkauf der Anteile an

144 Dickson, Partners in a Corporate Cloak: The Emergence and Legitimacity of the Incorporated Partnership, 33 Am. U.L. Rev. 559; Easterbrook I Fischet, Close Corporations and Agency Costs, 38 Stanford Law Review 271 (1986). 145 367 Mass. 578, 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975). 146 Die zentrale Stelle auf Seite 515 lautet: "Because of the fundamental resemblace of the elose corporation to the partnership, the trust and confidence wh ich are essential to this scale and manner of enterprise, and the inherent danger to minority interests in the elose corporation, we hold that stockholders in the elose corporation owe one another substantially the same fiduciary duty in the operation of the enterprise that partners owe to one another." Geschuldet wird damit "the utmost good faith and loyalty". 147 Es wird allgemein von einem "strict good jaith standard" gesprochen, der durch Donahue v. Rodd den Aktionären in der close corporation auferlegt wird; vgl. Comment, The Strict Good Faith Standard - Fiduciary duties to Minority Shareholders in Close Corporations, 33 Mercer L. Rev. 596 (1982). 148 "The minority is vulnerable to a variety of oppressive devices, termed "freezeouts", which the majority may employ." 367 Mass. 578, 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975), S. 513. 149 "At this point the true plight of the minority stockholder in a elose corporation

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andere Gesellschafter dar. Die hieraus resultierende Abhängigkeit der "eingeschlossenen" Minderheit kann durch die Mehrheit bei Verhandlungen über den Abkauf des Anteils bewußt zum eigenen Vorteil ausgenützt werden und gibt ihr auch im übrigen eine enorme Machtfülle 150 . Diese besondere Machtstellung und nur zum Teil auch das persönliche Vertrauen 151 sind damit die tieferen Gründe, warum der Supreme Judicial Court 0/ Massachusetts das Erfordernis besonderer Rücksicht und Loyalität errichtet hat 152 . Die Auferlegung besonders hoher Verhaltensstandards im Kontext der dose corporation erscheint damit nur als folgerichtige Fortentwicklung des Gedankens der Begrenzung von Machtausübung durch die duty o/loyalty. Je größer die potentielle Machtposition ist, desto intensiver muß auch die ihr innewohnende Treuepflicht sein. Es besteht damit ein proportionales Verhältnis zwischen potentieller Macht und sozialer Verantwortung.

2. Inhaltliche Präzisierung und Anwendungs/älle Aus dem oben Gesagten läßt sich der Inhalt der Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs bereits entnehmen 153 . Die Verhaltens anforderungen an einen Aktionär, der die Gesellschaft mittels Stimmacht und tatsächlicher Einflußnahme becomes manifest. He cannot easily reelaim his capital. In a large public corporation, the oppressed or dissident minority stockholder could seil his stock in order to extricate some of his invested capital. By defmition this market is not available in the e10se corporation." 367 Mass. 578, 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975), S. 514. 150 367 Mass. 578, 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975), S. 515. 151 Interessant ist, daß sich auch der Gedanke fmdet, daß gegenseitiges Vertrauen unter den Gesellschaftern die notwendige Grundlage für das gemeinsame Unternehmen darstellt, vgl. das Zitat oben Fn. 146. Dies erinnert an die mitgliedschaftIichen Treuepflichten im deutschen Recht. 152 Sehr aufschlußreich auch Fn. 17 auf Seite 515: Der strikte Treuestandard soll deswegen nicht auf den Mehrheitsgesellschafter beschränkt sein, da auch die Minderheit z.T. großen Schaden durch "sharp dealings" anrichten kann; Helms v. Duckworth (Ct. App. D.C. 1957) 249 F.2d 482. 153 Hier soll im wesentlichen auf die allgemein diskutierten Treuepflichten der Mehrheitsaktionäre eingegangen werden. Die ALl-Zusammenfassung des geltenden Rechts beschäftigt sich z.B. nur mit der Treuepflicht des dominating shareholder. Nach § 1.10, ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 14 ist ein Aktionär dann beherrschend, wenn er allein oder als Gruppe 50 % der Anteile hält oder einen tatsächlich beherrschenden Einfluß ausübt. Letzteres wird ab einem Anteil von 25 % vermutet. Zu den speziellen Anwendungsfällen der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre siehe unten § 4 ID.

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dirigieren kann, entsprechen im wesentlichen denen an einen Direktor l54 . Die oben 155 genannten Fallgruppen sind daher weitgehend auch für das Verhältnis Aktionär - Gesellschaft gültig.

a) Verhältnis Aktionär - Gesellschaft156 aa) Geschäfte mit der Gesellschaft Entsprechend den für das self dealing entwickelten Grundsätzen sind Verträge zwischen herrschendem Aktionär und Gesellschaft einer besonderen Fairnesskontrolle durch die Gerichte unterworfen, sofern sie nicht von einer Mehrheit von uninteressierten Aktionären genehmigt wurden l57 . In diesem Fall kann nach § 5.10 des ALl Vorschlages der Vertrag nur angegriffen werden, wenn nachgewiesen wird, daß es sich um eine Verschwendung von Gesellschaftsgütern handelt. Fehlt dagegen die Genehmigung, trifft den beteiligten Mehrheitsaktionär die Beweislast dafür, daß das Geschäft fair war 158 . Diese Genehmigungsmöglichkeit durch die Minderheit deutet schon darauf hin, daß es nicht um den Schutz der juristischen Hülle "Gesellschaft" an sich, sondern um den Schutz der mittelbar betroffenen außenstehenden Aktionäre geht l59 . Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Geschäfte zwischen einer Muttergesellschaft und den von ihr nicht zu hundert Prozent gehaltenen Tochtergesellschaften (transactions with subsidiaries)16O. Die 154 Je nach dogmatischem Weg werden entweder dessen Pflichten auf den Mehrheitsaktionär übertragen oder, da die Situation vergleichbar ist, die selben Verhaltensanforderungen, die für Direktoren gelten, auch für Mehrheitsaktionäre abgeleitet. 155 Siehe oben n. 3. 156 Dieser Bereich ist im Gegensatz zu den Fällen des self-dealing der directors so gut wie gar nicht durch statutes erfaßt und beruht daher allein auf common law. Ausnahmen stellen die statutes von Maine und South Carolina, speziell Me. Rev. Stat. Ann. tit. 13-14, § 717-3; S.C. Code § 33-13-160(c) dar. 157 Mehrheitsaktionäre vertreten die Gesellschaft nicht, so daß es sich nicht um In sich Geschäfte i.S. § 181 BGB handelt. Im amerikanischen Recht liegt der Schwerpunkt aber nicht auf der formalen Beteiligung am Geschäft, sondern auf dem Interessenkonflikt der Beteiligten, der unzweifelhaft bei Transaktionen zwischen Gesellschaft und Mehrheitsaktionär gegeben ist. 158 Die Vorschrift entspricht somit in ihrem Aufbau § 5.02, die für Direktoren gilt. 159 Ein gewisser Schutz der ebenfalls betroffenen Gläubiger wird über das Erfordernis erreicht, daß auch genehmigte Verträge keine Verschwendung von Gesellschaftsgütern darstellen dürfen. 160 Diese Konstellation wird teilweise als eigene Fallgruppe behandelt, obwohl es

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common law Regel, daß Mehrheitsaktionäre bei Transaktionen mit der von

ihnen beherrschten Gesellschaft fair handeln müssen, erfüllt damit (zusammen mit dem Institut des Durchgriffs auf den wirtschaftlichen Eigentümer 161 ) die Aufgaben, die im deutschen Recht dem Konzernrecht zugewiesen sind162.

Die entscheidende Frage ist die nach dem anzuwendenden fairness test: Wann kann ein Geschäft als für beide Seiten gerecht angesehen werden? Eine generelle Antwort hierauf läßt sich nicht geben. Bei der Beurteilung sind verschiedene Aspekte einzubeziehen: zunächst die Vorfragen, ob das spezielle Geschäft überhaupt im Interesse der Gesellschaft gelegen hat und von wem die Initiative dafür ausgegangen ist; ferner die Hauptfrage, ob die einzelnen Bedingungen des Geschäfts, insbesondere die Gegenleistung des Mehrheitsaktionärs, fair waren. Einen Anhaltspunkt hierfür bietet, wo vorhanden, der Marktpreis. Andernfalls ist das Geschäft mit einem zu vergleichen, das mit einem unbeteiligten Dritten abgeschlossen worden wäre l63 . bb) Transaktionen ohne Beteiligung der Gesellschaft Ein Aktionär ist, auch wenn er die Mehrheitsherrschaft innehat, grundsätzlich nicht daran gehindert, in Wettbewerb mit der Gesellschaft zu treten

(competing with the corporation)I64.

Steht er allerdings in einem Wettbewerbsverhältnis, so darf er seine beherrschende Stellung nicht dazu ausnützen, sich einen Wettbewerbsvorteil gegen-

sich um eine typische Form des self dealing handelt (die Muttergesellschaft kann in der Regel den board o[ directors der Tochter beeinflußen, womit sie effektiv auf beiden Seiten des Vertrages steht). Sie wird auch entsprechend behandelt, vgl. Sinclair Oil Corp. v. Levien 280 A.2d 717 (Sup. DeI. 1971). 161 "Piercing o[ the corporate vail" oder "disregard o[ legalt entity ", siehe hierzu Hacke, Die Durchgriffshaftung in der us-amerikanischen corporation, München 1988, S. 75 ff. 162 Ein eigenes Rechtsgebiet, das sich mit verbundenen Unternehmen beschäftigt, gibt es in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht, Buxbaum I Schneider, Die Fortentwicklung der Aktionärsklage im amerikanischen Recht, ZGR 1982, S. 199, S. 202; vgl. aber neben demjenigen von Buxbaum/Schneider den wissenschaftlichen Ansatz von Blumberg, The Law of Corporate Groups, 5 vol., Boston 1983, 1985, 1987, 1989, 1992, Stand jeweils 1994; siehe jetzt auch den Überblick über das "amerikanische Konzernrecht im Entstehen" für den deutschsprachigen Leserkreis: Blumberg, Arnerikanisches Konzernrecht, in: Lutter, Markus (Hrsg.), Konzernrecht im Ausland, ZGR Sonderheft 11, Berlin 1994. 163 ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 290 f. 164 ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 471 (Comment zu § 5.12).

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über der corporation zu verschaffen (use 0/ dominating position) 165. Auch ist ihm die Ausnutzung von Geschäftschancen der corporation, sogenannten corporate opportunities verboten l66 . Insgesamt betrachtet ergibt sich damit doch ein eingeschränktes Wettbewerbsverbot. Die Anwendung der corporate opportunity doctrine gegenüber Aktionären bringt speziell im Verhältnis Mutter- Tochtergesellschaft Schwierigkeiten. Die Muttergesellschaft wird zwar als jiduciary behandelt, steht aber nicht im Dienst der Tochtergesellschaft, wie etwa das Management. Insbesondere fehlt es an einer Vergütung, welche es im Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Managern rechtfertigt, einen strikten Verzicht auf Geschäftschancen der corporation zu fordern. Agiert die Mutter in derselben Branche wie die Tochter, so ist sie auf dieselben Marktchancen angewiesen. Es wird daher vorgeschlagen, die Muttergesellschaft eine bestimmte Geschäftschance dann ergreifen zu lassen, wenn sie nachweisbar für diese von höherem Wert ist als für die Tochtergesellschaft l67 . Eine letzte Fallgruppe betrifft die Veräußerung einer herrschaftsgewährenden Mehrheit (sale 0/ control). Treuwidrig ist zum einen der Verkauf der Herrschaftsmacht als solcher, wenn diese nicht an den Besitz einer soliden Anteilsmehrheit geknüpft ist l68 .

165 ALl, Corporate Governance, Final Draft, § 5.11, S. 447. 166 ALl, Corporate Governance, Final Draft, § 5.12, S. 469 ff.; da ein Mehrheitsaktionär nicht wie ein director oder officer direkten Einblick in die Geschäfte der corporation hat, kommt die Ausbeutung von Chancen der Gesellschaft durch Aktionäre nicht so häufig vor; liegt eine solche aber vor, wendet die Rechtsprechung dieselben Treuepflichten an, die für Manager gelten, vgl. Schreiber v. Bryan 396 A.2d 512 (DeI.Ch. 1978), Sinclair Oil Corp. v. Levien, 280 A.2d 717 (DeI. 1971), weitere Nachweise bei Clark, Corporate Law, Fn. 3 zu § 7.8 auf Seite 256; aus der deutschen Literatur Weisser, Corporate üpportunities, Zum Schutz der Geschäftschancen des Unternehmens im deutschen und im amerikanischen Recht, Köln 1991, S. 93 ff. 167 Clark, Corporate Law, Seite 258 ff. 168 In der Entscheidung des N.Y. Supreme Court In Re Caplans Petition, 246 N.Y.S.2d 913 sollte der beherrschende Einfluß auf den board of directors, die ein Aktionär mit einem Anteil von nur 3 % innehatte, beim Verkauf dieses Anteils mitübertragen werden. "The board of directors of Lionel consistet of ten directors, of whom Cohn was one. Six of the other directors were his nominees. lust how his holdings amounting to 3 % enabled hirn to have this representation does not appear." Das Gericht entschied: "Corporate management is not the subject of trade and cannot be bought apart from actual stock control" Dagegen hielt es der U.S. Court of Appeals 2d Circuit in Essex Universal Corporation v. Yates, 305 F.2d 572 (1962) für möglich, zusammen mit dem Verkauf eines Anteils von 28,3 % auch gleich die "dazugehörigen" Direktoren auszutauschen,

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Zum anderen verletzt der Mehrheitsaktionär seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft, wenn er beim Verkauf der Aktienmehrheit erkennen kann, daß der Erwerber diese zum Schaden der Gesellschaft ausnutzen will 169 .

b) Verhältnis zu den übrigen Aktionären Neben der Treuepflicht gegenüber der corporation kommt dem Mehrheitsaktionär in bestimmten Fällen auch eine solche gegenüber seinen Mitaktionären zu 170 . Relativ einfach nachvollziehbar ist dies in den Fällen, in denen der Mehrheitsaktionär Geschäftsführungs- und andere Rechte der Untemehmensleitung an sich zieht oder mittels eines zum Werkzeug degradierten board 0/ directors ausübt. Trifft er dann Entscheidungen, so muß für ihn die gleiche Verpflichtung zur Unparteilichkeit und Berücksichtigung auch der Minderheitsinteressen gelten wie für die Direktoren. l7l Aber auch in der Ausübung eigener Rechte, wie etwa des Stimmrechts, sind die Aktionäre nicht völlig frei. Zwar besteht grundsätzlich die Befugnis, das Stimmrecht im eigenen Interesse auszuüben. Eine Grenze findet dieses Recht aber in der Unterdrückung der Mitaktionäre l72 . Auch die Ausübung durch Gesetz begründeter, eindeutiger Rechtspositionen ist einer Billigkeitskontrolle zugunsten der Minderheit unterworfen l73 . Die Aktionäre müssen somit die

da eine Neuwahl der Direktoren dem neuen Großaktionär bei der nächsten Hauptversammlung sowieso gelungen wäre. 169 Gerdes v. Reynolds, 28 N.Y.S.2d 622 (N.Y. Sup. Ct. 1941); In Swenney v. Keebler Co.;, 480 F.2d 573, 578 wird sogar eine Nachforschungsptlicht des verkaufenden Mehrheitsaktionärs konstatiert: "Thus, while the majority is not an absolute insurer against any wrongs which may be done ... if the seilers of control are in a position to foresee the likelihood of fraud on the corporation ... or on the remaining stockholders ... their fiduciary duty imposes a positive duty to investigate the motives and reputation of the would-be purchaser". Für den Fall, daß Zweifel bestehenbleiben, bestimmt das Gericht: "the seilers must refrain from the transfer of contro!. " 170 Zum Überblick siehe Carter, The Fiduciary Rights of Shareholders, 29 Will. & Mary L. Rev. 822 (1988), S. 831 ff. 171 Vg!. o. § 3 II. 3. c), ein typischer Fall ist Zahn v. Transamerica, 162 F.2d 36 (U.S. Ct. App. 1947), siehe hierzu Fn. 138 oben; weitere Rechtsprechungshinweise bei Keating / Perkowitz-Solheim, Fletcher Cyclopedia, § 5811 Fn. 7 und Fn. 16. 172 "Fraud on" oder "opression ofthe minority". 173 So darf ein gesetzlich - im nachfolgenden Fall durch sec. 4600 des alten Corporations Code von Kalifornien - gegebenes Auflösungsrecht nicht willkürlich ausgeübt werden: "There is nothing sacred in the life of a corporation that transcends

§ 3 'Duties of Loyalty' im 'Corporation Law'

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berechtigten Belange der durch eine Mehrheitsentscheidung beeinträchtigten Minderheit mitberücksichtigen l74 . Am weitesten reichen die Entscheidungen, die auch Handlungen, die weder eine Ausübung von Managementfunktionen noch von Gesellschafterrechten darstellen, einer treuhänderischen Verpflichtung den Mitaktionären gegenüber unterstellen. Dabei geht es insbesondere um die Verfügung über den Anteil des Mehrheitsaktionärs an der corporation, d.h. über dessen eigenes Mitgliedschaftsrecht. Drei Problemkreise lassen sich hier aufführen: Zunächst ist der Mehrheitsaktionär beim Verkauf seines Anteils auch und gerade den Aktionären gegenüber verpflichtet, nicht an jemanden zu verkaufen, von dem vermutet werden kann, daß er die Gesellschaft ausplündern wird175. Ebenfalls mit dem Verkauf seines Anteils verbunden ist die Frage, ob der Mehrheitsaktionär treuwidrig gegenüber den anderen Aktionären handelt, wenn er von dem Erwerber einen sogenannten Paketzuschlag bekommt. Nach der bekannten Entscheidung Perlman v. Feldmann 176 steht ein derartiger Überschuß über den Marktpreis eines Aktienpakets, der nur gezahlt wird, weil dieses die Herrschaft über die corporation gewährt, in Wirklichkeit allen Aktionären zul77. Diese Entscheidung ist vielfach kritisiert worden, da der verkaufende Mehrheitsaktionär einerseits nicht als Vertreter der Gesellschaft, sondern als privater Aktieninhaber aufgetreten ist und andererseits die verbleibenden Aktionäre auch keinerlei Schaden durch den Verkauf erlitten haben l78 . the interests of its shareholders, but because dissolution falls with such fmality on those interests, above all corporate powers it is subject to equitable limitations. " lustice Traynor in In Re Security Finance, 49 Cal.2d 370, 377, 317 P.2d 1,5. 174 Vgl. Henn / Alexander, Law ofCorporations, § 240 S. 654 m.w.N. 175 Siehe hierzu die oben in Fn. 169 genannten Entscheidungen. 176 219 F.2d 173 (2d Cir. 1955): Ein Mehrheitsaktionär verkauft seinen Anteil an einem stahlerzeugenden Unternehmen in Zeiten kriegsbedingter Stahlknappheit an einen potentiellen Abnehmer und erzielt einen besonders hohen Paketzuschlag, da mit dem Erwerb der Herrschaftsmacht über die Gesellschaft auch die Entscheidung, an wen geliefert werden soll, getroffen werden kann. 177 Andere Entscheidungen lehnen eine solche Verantwortlichkeit ab. Für Nachweise siehe Keating / Perkowitz-Solheim, Fletcher Cyc1opedia, § 5805.10 Fn. 1, 6 und 10. 178 So argumentiert schon Justice Swan in seiner dissenting opinion, 219 F.2d 178, 179; viele Entscheidungen erlauben die Erzielung eines Paketzuschlags, so auch der Vorschlag des ALl, ALl, Corporate Governance, Final Draft, § 5.16, S. 502, Nachweis entsprechender Entscheidungen auf S. 503.

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Entscheidender Punkt ist aber nach überwiegender Meinung, daß sich in diesem Fall im Mehrerlös der Wert eines Gutes der Gesellschaft realisiert hat, nämlich des Ermessens, an wen ein knappes Produkt der Gesellschaft geliefert werden so1l179. Diese Sichtweise ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Nur läßt sie sich auch auf alle anderen Fälle von gewährten Paketzuschlägen übertragen. Der gezahlte Zuschlag auf den Börsenwert der Aktien reflektiert ja immer ein Gut der Gesamtheit, nämlich die schon mit einem Teil des Kapitals verbundene Möglichkeit, zu entscheiden, wie das ganze eingesetzt werden soll. Dieses Mißverhältnis von finanziellem Aufwand und erlangtem Einfluß ist die notwendige Kehrseite des Mehrheitsprinzips im Kapitalgesellschaftsrecht. Eine Lösung des Konfliktes ließe sich nur durch eine künstliche Verteuerung des Machterwerbs erreichen, etwa mittels Einführung einer Pflicht zur Rücklagenbildung für beherrschungsbedingte Verluste der abhängigen Gesellschaft 180. Eine dritte Fallgestaltung stellt das Einmauern der Minderheit in einer Gesellschaft dar, die zu einer abhängigen Tochtergesellschaft gemacht wurde. Berühmtestes Beispiel ist der Fall Iones v. H. F. Ahmanson & Co.181.

179 "We do not mean to suggest that a majority stockholder cannot dispose of his controlling block of stock to outside~s without having to account to his corporation for profits .... But when the sale necessarily results in a sacrifice of this element of corporate good will and consequent unusual profit to the fiduciary who has caused the sacrifice, he should account for his gains. So in a time of great market shortage, where a call on a corporation's product commands an unusuallarge premium, in one form or another, we think it sound law that a fiduciary may not approproate to himself the value of this premium." 219 F.2d 178. 180 Die Pflicht zur Bildung eines derartigen Sicherungsstocks schlägt Sura, Fremdeinfluß und Abhängigkeit im Aktienrecht, Konstanz 1980, S. 175 ff., vor, um damit den Schutz der fremdbeeinflußten Gesellschaft insbesondere für die Zeit nach der Entlassung aus dem Unternehmensverbund zu gewährleisten und zugleich die in konzentrationspolitischer Hinsicht unerwünschten Anreize für eine Konzernbildung zu vermindern. 181 81 Cal.Rptr. 592, 460, P.2d 464: Eine Anzahl von Aktionären einer bislang nicht öffentlich gehandelten Gesellschaft bringt ihre zusammen ca. 85 % Anteile in eine Holding ein, die mit großem Erfolg an der Börse eingeführt wird. Die Anteile der außenstehenden Aktionäre werden dadurch so gut wie wertlos, da für diese kein Markt besteht und den Inhabern auch nicht ein akzeptables Angebot zum Tausch gegen Anteile an der Holding gemacht wird. Sie sind in der Untergesellschaft, die auch keine Dividenden mehr ausgibt, "eingesperrt". Siehe hierzu Note: Jones v. Ahmanson: The Fiduciary Obligations of Majority Shareholders, 70 Columbia L. Rev. 1078 (1970); der Fall wird auch in der deutschen

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Chief lustice Traynor führte in dieser Entscheidung aus, daß es Mehrheitsaktionären grundsätzlich nicht gestattet sei, ihre Herrschaft über die Gesellschaft in einer Weise auszunützen, die ihnen einen einseitigen Vorteil gewährt, der anderen Aktionären nicht offensteht l82 . Wenn ohne besonderen ökonomischen Grund in einer die Minderheitsaktionäre schädigenden Art vorgegangen wird, so liegt eine Treupflichtverletzung vor; dies erst recht, wenn das Ziel der Aktion auch ohne Ausschluß der Minderheit erreichbar gewesen wäre l83 . Die Ratio der zuletzt vorgestellten Fälle läßt sich insgesamt etwa folgendermaßen zusammenfassen: Beruht der besondere Erfolg einer Handlung darauf, daß bestimmte Aktionäre die Herrschaft über die Gesellschaft innehatten und auf Grund dessen die außenstehenden Aktionäre von dem Erfolg ausschließen konnten, so ist es unerheblich, daß diese Handlung weder die Ausübung von Unternehmensleitungsfunktionen noch von Gesellschafterrechten darstellt. Die handelnden Aktionäre haben auf Grund ihrer auch hier geltenden Treuepflicht gegenüber der Minderheit die Verpflichtung, diese ebenfalls an dem Erfolg teilhaben zu lassen.

Literatur diskutiert, siehe Lutter, Zur Treuepflicht des Großaktionärs, JZ 1976, S. 225, Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 459, und Martens, Treupflicht, 263. 182 460, P.2d 464,471: "The Courts of Appeal have often recognized that majority shareholders, either singly or acting in concert to accomplish a joint purpose, have a fiduciary respsonsibility to the minority and to the corporation to use their ability to control the corporation in a fair, just, and equitable manner. Majority shareholders may not use their power to control corporate activities to benefit themselves alone or in a manner detrimental to the minority. Any use to which they put the corporation or their power to control the corporation must benefit all shareholders proportional and must not conflict with the proper conduct of the corporation' s business. " 183 S. 476: "Thus defendants chose a course of action in which they used their control of the Association to obtain an advantage not made available to all stockholders. They did so without regard to the resulting detriment to the minority stockholders and in the absence of any compelling business purpose. Such conduct is not consistent with their duty of good faith and inherent fairness to the minority stockholders. Had defendants afforded the minority an opportunity to exchange their stock on the same basis or offered to purchase them at a price arrived by independant appraisal, their burden of establishing good faith and inherent fairness would have been much less. "

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3. Inkongruenzen bei der Anwendung des Treuhandgedankens Während für Direktoren das Bild des jiduciary noch paßt, ergeben sich Zweifel, ob bestimmte Ausprägungen der Treuepflicht der Gesellschafter mit dem Gedanken der Treuhänderstellung noch erklärt werden können. Denkbar wäre daher, daß hinter der jiduciary duty der Aktionäre noch ein anders gelagertes oder grundlegenderes Prinzip steht, wie etwa der Gedanke des Zusammenschlusses der Gesellschafter zur gemeinsamen Zweckerreichung l84 . Der Gedanke des gegenseitigen Vertrauens, auf der die Zusammenarbeit der Gesellschafter in der dose corporation beruht, als Grundlage der Treuepflicht 185 erinnert mehr an die mitgliedschaftliehe Verbundenheit der Gesellschafter im deutschen Recht l86 . Betrachtet man aber die gefährdete Position der Minderheitsaktionäre in einer dose corporation, so wird deutlich, daß auch im Zusammenhang der dose corporation die treuhänderisch durch die Mehrheit gehaltenen Macht in der Gesellschaft Basis für die Treuepflicht der Aktionäre ist l87 . Die stärksten Zweifel ergeben sich aber bei den zuletzt genannten Fälle von Treuepflichten bei der Verfügung über den eigenen Aktienanteil. Die Treuepflicht korrespondiert hier nicht mehr mit formalen Rechten innerhalb der Gesellschaft, sondern mit dem tatsächlichen Einflußpotential, das die Innehabung einer Aktienmehrheit mit sich bringt. Bei genauer Analyse scheint der treuhänderische Ansatz damit gesprengt: Zentraler Punkt in jeder treuhänderischen Beziehung ist einerseits, daß der

jiduciary in Vertretung des entrustors (Treugebers) handelt 188 und andererseits, daß ihm für diese Aufgabe Macht übertragen wirdl89.

Beide Kriterien scheinen aber in den Fällen der Verfügung über den eigenen Anteil zu fehlen: Der Verkauf des Mehrheitsanteils ist weder ein Geschäft, das im Normalfall die Gesellschaft ausüben würde, noch eines der Minderheitsaktionäre. Auch wurde dem Aktionär von der Gesellschaft oder den Mitaktionären keinerlei Macht zur Verfügung über seinen Anteil übertragen; die

184 Siehe hierzu unten § 6 11. 2. a) zum deutschen Recht. 185 Siehe oben § 3 ID. 1. bei Fn. 146. 186 Vgl. unten § 6 11. 2. 187 Siehe oben bei Fn. 137 bis 143. 188 Frankei, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 808. 189 Shepherd, Fiduciary Relationship, 97 L.Q.Rev. 51 (1981), S. 74; Frankei, Fiduciary Law, 71 Cal.L.Rev. 795 (1983), S. 809.

§ 4 Pflichtenbindung des Minderheitsaktionärs

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Veräußerungsbefugnis ergibt sich vielmehr aus seinem persönlichen Eigentumsrecht. Der Blick auf die EigentümersteIlung an jeder der einzelnen Aktien trifft aber nicht den Kern des Problems in den fraglichen Entscheidungen. Worüber in den Fällen verfügt wurde, ist nicht (allein) die Summe der in den Aktien verkörperten Mitgliedschaftsrechte, sondern vor allem der Einfluß auf die Entscheidungen der corporation. Betrachtet man die Herrschaftsmacht als das Gut, über das der Mehrheitsaktionär verfügt hat, so zeigt sich seine treuhänderische Stellung: Die Entscheidung über die Geschicke der corporation steht prinzipiell den shareholders in ihrer Gesamtheit zu. Aus Gründen der Praktikabilität bildete

sich aber das Mehrheitsprinzip heraus; die einzelnen Entscheidungen wurden den jeweils wechselnden Mehrheiten anvertraut. Hält ein Aktionär nun einen so großen Anteil der Aktien, daß er regelmäßig die Mehrheit der Stimmen abgibt, so ist ihm auf Dauer ein Gut aller Gesellschafter, nämlich die Möglichkeit, für die Gesamtheit Entscheidungen zu treffen, anvertraut. Beide Kriterien für eine Treuhandstellung, Handeln in Vertretung und Übertragung der Macht hierzu, sind damit gegeben. Der Mehrheitsaktionär ist folgerichtig durch jiduciary duties gebunden, wenn er über das Gemeingut "Herrschaftsmacht " verfügt. § 4 Pflichtenbindung des Minderheitsaktionärs I. Einleitung

Der Gedanke, daß auch Minderheitsaktionäre einer Treuepflicht unterliegen können, ist relativ jung. Dies verwundert nicht, bedenkt man, daß es in traditioneller Sichtweise im Verhältnis der Aktionäre untereinander gar keine Treuepflichten gab und die Verpflichtung des Mehrheitsaktionärs gegenüber der Gesellschaft als Ausnahme galt 19O • Auch heute noch wird in den einschlägigen Abhandlungen zum Gesellschaftsrecht meist allein auf die Treuepflicht der Aktionäre mit Mehr-

190 Mairs v. MalJden, 307 Mass. 378, 380; 30 N.E.2d 242, 244 (1940): "The averrnent that the parties were stockholders in the same company was not equivalent of setting forth a relation of trust between them. Mere ownwership of stock does not create a fiduciary relationship between the stockholders. " Dickson, Partners in a Corporate Cloak: The Emergence and Legitimacity of the Incorporated Partnership, 33 Am. U.L. Rev. 559, S. 582.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

heitsmacht über die Gesellschaft eingegangen und dies oft nur im Kontext der Pflichten von Direktoren und leitenden Angestellten l91 . Das ALl beschränkte die Anwendbarkeit der Vorschriften über ''fair dealing" ebenfalls auf "dominating shareholders ". Dies sind nach der Defini-

tion in § 1.06a Aktionäre, die entweder 50 % der Aktien halten oder auf andere Weise einen bestimmenden Einfluß auf die Untemehmensleitung haben l92 . Es wird jedoch auf die Möglichkeit einer Verantwortlichkeit auch des Minderheitsaktionärs nach dem common law hingewiesen l93 .

Die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre hat in diesem Bereich eine gewisse Änderung des Blickwinkels gebracht. Eine Treuepflicht für Minderheitsaktionäre wird nicht mehr als grundsätzlich ausgeschlossen angesehen. Ihre Anwendbarkeit beschränkt sich aber auf diejenigen Situationen, in denen auch ein Minderheitsaktionär eine gewisse Machtposition innehat, die ihm eine treuhänderische Verantwortung auferlegt. Grundlage für diese Veränderung war zum einen ein Artikel von J.A.C. Hetherington aus dem Jahre 1972 194 , zum anderen eine inzwischen vielzitierte Entscheidung des Appeals Court 0/ Massachusetts, Suffolk, aus dem Jahre 1981195. Beide machen deutlich, daß auch das Handeln von Minderheitsaktionären in bestimmten Situationen am selben Treuemaßstab gemessen werden muß, wie er für Mehrheitsaktionäre gilt. Diese Ausführungen sind im wesentlichen unwidersprochen geblieben. Bevor auf die einzelnen Anwendungsfälle näher eingegangen wird, soll ein Blick auf die dogmatischen Voraussetzungen einer Pflichtenbindung von Minderheitsaktionären geworfen werden. Diese lassen sich direkt aus dem im letzten Paragraphen Erarbeiteten herleiten.

191 Henn I Alexander, Law of Corporations, § 235, S. 625; Hamilton, Law of Corporations, § 14.19 S. 362; Clark, Corporate Law, § 4.1 S. 141; Klein I Coffee, Business Organizations, S. 169 f., die allerdings im Gegensatz zu vorherigen Auflagen in Fn. 66 nun auch auf die mögliche Verantwortlichkeit von Minderheitsaktionären hinweisen. 192 Hält ein Aktionär einen Anteil von über 25 %, wird ein beherrschender Einfluß vermutet, sofern kein anderer Gesellschafter einen größeren Anteil innehat. 193 Reporter's Note 7 zu § 5.10 ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 447. 194 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972). 195 Smith v. Atlantic Properties, 422 N.E.2d 798 (Mass. App. 1981).

§ 4 Pflichtenbindung des Minderheitsaktionärs

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11. Der Treuhandgedanke als Grundlage

Wie oben dargestellt, gibt es im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika keine institutionale Begründung von Treupflichten für Aktionäre; es zieht also nicht schon die bloße Aktionärseigenschaft die Existenz von Treubindungen nach sich. Die duty 0/ loyalty ist vielmehr funktional an die Innehabung und den Gebrauch einer bestimmten Machtstellung geknüpft, die dem Aktionär übertragen worden ist und Handlungen für die Gesellschaft oder die Gesamtheit der Aktionäre ermöglicht. Für Mehrheitsaktionäre ergibt sich eine solche Stellung dann, wenn sie ihren Einfluß benutzen, um Funktionen der Unternehmens leitung auszuüben, wenn sie spezielle durch Gesetz oder Satzung gegebene Rechte wahrnehmen oder wenn sie die ihnen durch das Mehrheitsprinzip ermöglichte Beeinflußung der Gesellschaftsentscheidungen als privates Verfügungsobjekt gebrauchen. Minderheitsaktionäre haben in der Regel angesichts ihres geringen Stimmgewichts keine vergleichbare Machtstellung inne; nur aus diesem Grunde sind sie meist nicht Subjekt von Treuepflichten. Stehen sie einmal doch in einer solchen Position, so gibt es keinen Grund, warum sie nicht dieselben Treuepflichten treffen sollten wie Mehrheitsaktionäre oder Direktoren. Auch bezüglich der Intensität ihrer Verpflichtung kann sich aus der Bezeichnung "Minderheitsaktionär" keine Abweichung vom oben Erarbeiteten ergeben; sie korrespondiert in beiden Fällen mit der Stärke des potentiellen Einflusses. Hetherington führt noch unterstützend an, daß selbst in normalen Vertragverhältnissen, in denen die Partner nicht durch eine Interessengemeinsamkeit wie in einer Gesellschaft zusammengehalten werden l96 , Eigentumspositionen oft nicht unbeschränkt ausgeübt werden dürfen l97 . Darüberhinaus argumentiert er noch stärker mit der Vergleichbarkeit des Minderheitsaktionärs, der in einer speziellen Situation bestimmenden Einfluß hat, mit einem Mehrheitsaktionär. Auch diesem ist aufgrund seiner Treuepflicht ein opportunistisches Verhalten zum Schaden seiner Mitaktionäre verboten.

196 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972), S. 945. 197 Er bringt als Beispiel die gerichtliche Nachprüfung von Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen, die als Reaktion auf rechtmäßiges, aber lästiges Verhalten des Vertragspartners ausgesprochen wurden, S. 925 ff, 940.

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1. Teil, 1. Absehn.: Treubindung aueh für Minderheitsaktionäre - USA

Eine dreimalige Analogie, vom Trustee über den Direktor und den Mehrheitsaktionär, führt somit letztlich zur Anwendung von Treubindungen auch für das Handeln des Minderheitsaktionärs. Dabei sieht auch Hetherington in all diesen Verhältnissen den bestimmenden Grundgedanken des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung: "Loyality is therefore the surrogate for control, and the courts have been alert to protect the minority in its unavoidable dependance on the majority. The reason that the idea of minority loyalty seems novel is that the minority affords less opportunity for abuse. However, such opportunities do arise, and in such cases the policies underlying the fiduciary responsabilities imposed on those who have control should be applicated to any shareholder whose vote or other conduct as a shareholder is in fact controlling the particular situation. "198

Dabei geht Hetherington zwar von Beispielen im Zusammenhang mit der elose corporation aus, beschränkt die Anwendbarkeit seiner These aber nicht darauf. Demgegenüber stellt die bereits erwähnte, grundlegende Entscheidung Smith v. Atlantic Properties 199 in Fortführung des Gedankens aus Donahue v. Rodd Electrotype Company 0/ New England, Inc. 2oo explizit auf die besondere Situation in der elose corporation ab. Daß diese Situation aber nur indirekt - wegen der in ihr erwachsenden besonders starken Machtpositionen - für die Frage der Treuepflicht von Bedeutung ist, wurde oben bereits dargelegt 201 . Sie hat daher eher Auswirkung auf die Intensität der Treueverpflichtung, ist aber, auch wenn dies oft so dargestellt wird, nicht wirklich Voraussetzung für deren Existenz202. 198 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972), S. 946. 199 422 N.E.2d 798 (Mass. App. 1981), siehe im einzelnen unten m. 1. 200 367 Mass. 578, 328 N.E.2d 505 (1975); siehe oben § 3 m. 2.; schon allein diese Entscheidung würde als Grundlage für die Annahme von Treuepflichten für Minderheitsaktionäre ausreichen, vgl. dort Fn. 17 und Dickson, Partners in a Corporate Cloak: The Emergence and Legitimacity of the Incorporated Partnership, 33 Am. U.L. Rev. 559, Fn. 150. 201 Siehe oben § 3 m. 1. und 3. 202 Donahue v. Rodd Company 0/ New England, Inc.; führt nicht jiduciary duties an sich für Aktionäre ein, sondern nur einen besonders hohen Treuestandard, vgl. Bulloch, Heightened Fiduciary Duties in Closely Held Corporations: Donahue Revisted, in: 16 Pacific Law Journal 935 (1985); Teilweise wird die Bedeutung der Entscheidung auch in der Anerkennung der Eigenständigkeit der dose corporation gesehen, vgl. Note: Close Corporations -- Rights and Duties of Shareholders -Fiduciary Relationship among Shareholders etc., 61 Cornell L. Rev. 986, 1017 (1976); zur Weiterverbreitung der Regel aus Donahue v. Rodd: Casenote, Derivative v. Individual Actions in a Close Corporation Context: Crosby v. Beam, 47 Ohio St. 3d 105; 548 N.E2d 217 (1989), in: 59 U. Cin. L. Rev. 643 (1990).

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Daneben wird sich bei einem Blick auf die möglichen Anwendungsfälle zeigen, daß in elose corporations eher Konstellationen entstehen, die eine Anwendung von Treuepflichten auch für Minderheitsaktionäre erfordern. Es stellt sich damit heraus, daß bezüglich der Treuepflichten von Minderheitsaktionären nichts anderes gilt, als das oben für die jiduciary duties der Mehrheit Erarbeitete. Auch Minderheitsaktionäre werden bei ihren Handlungen dann von Treubindungen erfaßt, wenn ihnen eine Position gegeben ist, in der sie beherrschenden Einfluß auf die Interessen der Gesellschaft und ihrer Mitaktionäre ausüben können. In diesem Fall stehen auch sie in einer treuhänderischen Stellung. Der nächste Schritt muß es daher sein, die Fälle zu untersuchen, in denen die Geschicke der Gesellschaft einem Minderheitsaktionär anvertraut sind. III. Besondere Einflußmöglichkeiten für Minderheitsaktionäre

Ein Anvertrauen von Gütern der Gesellschaft und der Mitaktionäre zeigt sich vor allem in den Rechten, die einem Minderheitsaktionär übertragen sind. 1. Stimmrecht

Als deren wichtigstes ist das Stimmrecht zu nennen. Dieses ist untrennbar mit der Innehabung der Aktie verbunden. a) Satzungsmäßiges Vetorecht Angesichts des Mehrheitsprinzips, das in den meisten Staaten auch für Stimmrecht eines Minderheitsaktionärs diesen in der Regel nicht in die Lage Grundsatzentscheidungen wie Satzungsänderungen gilt, wird das versetzen, Einfluß auszuüben. Oft sieht aber die Satzung der Gesellschaft für bestimmte Entscheidungen besondere Abstimmungserfordernisse vor, die dem Inhaber einer entsprechend qualifizierten Minderheit des Stammkapitals ein Vetorecht bei diesen Beschlüssen verschafft. Eine derartige Konstellation war in Smith v. Atlantic Properties203 gegeben:

203 422 N.E.2d 798 (Mass. App. 1981). 5 Guntz

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA Die Satzung einer close corporation mit vier Aktionären bestimmte, daß Gesellschaftsentscheidungen eine Mehrheit von 80 % des stimmberechtigten Kapitals voraussetzten204 . Auf diese Weise wollte sich der Initiator der Gesellschaft, Dr. Wolfson gegen eine mögliche Verbündung der aufgenommenen drei Gesellschafter gegen seinen Willen schützen205 . In der Folge kam es zu Unstimmigkeiten über die Frage, ob der erwirtschaftete Gewinn in Form von Dividenden ausgeschüttet oder in der Gesellschaft zurückgehalten werden sollte. Dr. Wolfson weigerte sich, für eine Dividende zu stimmen, obwohl er auf die Gefahr hingewiesen wurde, von den Finanzbehörden Strafsteuern wegen Anhäufung von Gesellschaftsgewinnen auferlegt zu bekommen206 . Diese Folge trat dann auch in den sieben kommenden Jahren jeweils ein, ohne daß Dr. Wolfson seine Opposition gegen die Erklärung von Dividenden aufgegeben oder einen die Finanzbehörden zufriedenstelIenden Plan für die Verwendung der zurückgehaltenen Gewinne vorgelegt hätte.

Das Gericht stellte fest, daß durch das Stimmerfordernis die Minderheit in der Gesellschaft einen bestimmenden Einfluß auf die betreffenden Beschlüsse gewinnt207 . So kann das satzungsmäßige Vetorecht zwar einerseits ein wichtiges Mittel des Minderheitsschutzes sein, der mit ihm verbundene Einfluß verlangt aber bei seiner Ausübung eine Berücksichtigung der Interessen der Gesellschaft und der Mitaktionäre. Der Minderheitsaktionär wird so zum Subjekt von Treuepflichten, wie sie sonst gegenüber Mehrheitsaktionären eingreifen208 . b) Gesetzliche Sperrminorität Eine dem satzungsmäßigen Vetorecht ähnliche Position ergibt sich für den Inhaber eines Aktienpakets, das eine Sperrminorität nach den statutes eines bestimmten Staates gewährt. 204 Die betreffende Klausel lautete wörtlich: "No election, appointment or resolution of the stockholders and no election, appointment, resolution, purchase, lease, contract, contribution, compensation, proceeding or act by the Board of Directors or by any officer or officers shall be valid or binding upon the corporation until effected, passed, approved or ratified by an affirmative vote of eighty (80 %) per cent of the capital stock issued outstanding and entitled to vote." (S. 799). 205 422 N.E.2d 798 (Mass. App. 1981), S. 802. 206 Nach § 531 ff. Internal Revenue Code kann der Internal Revenue Service einer Gesellschaft eine Strafe auferlegen, wenn diese ohne vernünftigen wirtschaftlichen Grund Einkünfte und Gewinne anhäuft. 207 "The 80 % provision may have substantially the effect of reversing the usual roles of the majority and the minority shareholders. The minority, under that provision, becomes an ad hoc controlling interest." (S. 802). 208 422 N.E.2d 798 (Mass. App. 1981), S. 801, 802, das Gericht bezieht sich insbesondere auf die oben bereits erwähnte Fn. 17 in Donahue v. Rodd Eleetrotype Company oj New England, Ine., siehe oben § 3 m. 1.

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Da es keinen Unterschied machen kann, ob sich die Stellung des Minderheitsaktionärs aus der Satzung der Gesellschaft oder dem Gesetz des Gründungsstaates ergibt209 , sind die obigen Überlegungen hier ebenfalls anwendbar. Der Inhaber der Sperrminorität ist bei Entscheidungen, die er beeinflussen kann, ebenfalls treuhänderisch gebunden. c) Stimmbindungsverträge Als dritte Konstellation, in der Minderheitsaktionären aus ihrem Stimmrecht Einfluß auf die Gesellschaft erwachsen kann, seien noch die Stimmbindungsverträge (voting agreements) angeführt. Ergibt die Poolung mehrerer Minderheitsanteile einen beherrschenden Einfluß auf der Hauptversammlung, so ergibt sich aus der Möglichkeit, über die Entscheidungen der Gesellschaft zu bestimmen, auch eine Verantwortlichkeit gegenüber dieser und den außenstehenden Aktionären. Nach allgemeiner Meinung unterliegen daher Aktionäre in beherrschenden Stimmpools den gleichen Pflichten wie Aktionäre, die allein die Mehrheit der Stimmen repräsentieren210 .

2. Recht auf Einsichtnahme Das Stimmrecht ist nicht das einzige Recht, das mit der Mitgliedschaft in der corporation verbunden ist. Eine weitere Einflußposition kann Minderheitsaktionären aus ihrem Recht auf Einsichtnahme in die Bücher der Gesellschaft erwachsen. Dieses Recht steht nach common law jedem in den Listen geführten Aktionär (shareholder of record) zu211. Da grundsätzlich sämtliche mit der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft verbundenen Unterlagen, Urkunden und Vertragsdokumente eingesehen werden können, ist dem einzelnen Aktionär durch das Einsichtsrecht eine große

209 Auch die beherrschende Stellung des Mehrheitsaktionärs ergibt sich aus dem Gesetz, nämlich aus dem Mehrheitsprinzip. Es kommt im Rahmen des jiduciary law nur darauf an, daß dem jiduciary ein Gut anvertraut ist, über das sonst ein anderer verfügen könnte. Ob der Akt des Anvertrauens direkt auf Vertrag beruht oder sich aus dem Gesetz ergibt, ist unerheblich. 210 Keating / Perkowitz-Solheim, F1etcher Cyclopedia, § 5765, zu Poolverträgen siehe auch § 5768.

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potentielle Machtposition gegeben. Es wurde daher allmählich zur gängigen Praxis der Unternehmen, jeden Gesellschafter, der Einsicht begehrte, abzuweisen. Die dabei gehegte Hoffnung, diesem werde eine gerichtliche Durchsetzung seines Rechtes zu aufwendig sein, war meist berechtigt212 . Um diesen Mißständen abzuhelfen, wurde per statute in vielen Bundesstaaten ein gesetzliches Einsichtsrecht eingeführt, das in einigen Staaten sogar Zwangsgelder für Manager vorsieht, die willkürlich eine Einsichtnahme verweigern213 . Interessant ist nun, daß dieses äußerst weitgehende Aktionärsrecht weder nach common law noch nach den einschlägigen statutes unbeschränkt ausgeübt werden darf. Der Einsicht begehrende Aktionär muß vielmehr einen hinreichenden Grund (proper purpose) anführen können. Dieses Erfordernis beruht auf der Erkenntnis, daß das Einsichtsrecht den Aktionär in eine Position versetzt, in der er die Interessen der Gesellschaft und seiner Mitaktionäre beeinträchtigen kann. Als Gesellschafterrecht darf das Einsichtsrecht aber nicht zum Werkzeug eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft werden: "In issuing the writ of mandamus214 the court will exercise asound discretion and grant the right under proper safeguards to protect the interests of all concemed. The writ should not be granted for a blackmailer, but it may not be denied to the stockholder who seeks the information for legitimate purposes215 ."

Zwar hat sich das Erfordernis eines proper purpose im common law unabhängig von dem Institut der duty of loyalty, die ja zuerst nur für Direktoren, dann nur für Mehrheitsaktionäre galt, herausgebildet. Betrachtet man aber die zugrundeliegenden Motive, so erweist es sich lediglich als eine weitere Ausprägung des selben Treuegedankens: Jede einem Aktionär übertragene Machtposititon darf nur in Verantwortung gegenüber dem Ganzen ausgeübt werden.

211 Ballentine, Corporations, § 162 S. 380, zu den Grundlagen dieses Rechts siehe § 159, S. 376. 212 Merkt, Gesellschaftsrecht, Rn. 586. 213 Merkt, Gesellschaftsrecht, Rn. 587. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß sich eine weitere Verpflichtung zur Gewährung von Informationen aus den bundesgesetz lichen Wertpapierhandelsvorschriften ergibt, vgl. Renn I Alexander, Law of Corporations, S. 545, Merkt, Gesellschaftsrecht, Rn. 594 ff. 214 D.h. die gerichtliche Anordnung, Einsichtnahme zu gewähren. 215 Gunthrie v. Rarkness 199 U.S. 148,26 Sup. Ct. 4, 50 L. Ed. 130 (1905).

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3. Klagerecht Ein weiteres Recht, das auch Minderheitsaktionäre mit einer besonderen Machtfülle ausstattet, ist das jedem Gesellschafter gegebene Recht, gegen die Gesellschaft und ihre Manager im Klageweg vorzugehen. Unterschieden werden hier zwei Arten von Klagen: Die direkte Klage (direct suit) für Pflichtverletzungen, die den Aktionär selbst betreffen, und die abgeleitete Klage (derivative suit) , mit der ein Aktionär stellvertretend für die Gesellschaft Pflichtverstöße gegen diese geltend machen kann. Innerhalb der direct suit gibt es die Möglichkeit auch im Namen aller anderen Aktionäre, die in derselben Position sind, tätig zu werden (class action). Indem das Recht jedem Gesellschafter erlaubt, im Rahmen von dass oder derivative actions gewissermaßen als Polizist für die anderen Aktionäre und die Gesellschaft zur Kontrolle des Managements tätig zu werden216 , betraut es den einzelnen mit einer besonderen Machtstellung.

Daß hierin ein großes Mißbrauchspotential liegt, von dem auch oft genug eigennützig Gebrauch gemacht wird, wird im nächsten Abschnitt genauer ausgeführt werden217 . Aus den bisherigen Ausführungen wird bereits deutlich, in welchem dogmatischen Kontext eine Antwort auf das Problem des Mißbrauchs zu suchen ist: Die anvertraute Machtstellung darf nicht allein zum eigenen Nutzen, sondern muß in treuhänderischer Verantwortlichkeit den Mitaktionären gegenüber ausgeübt werden.

4. Andere Aktionärsrechte Im Grundsatz muß diese Schranke auch für alle anderen Rechte gelten, die einem Minderheitsaktionär gegeben sind. Allerdings geben die meisten davon, - exemplarisch erwähnt sei das Recht, die eigenen Aktien registrieren zu lassen218 , oder das Recht, unter bestimmten Umständen die Wahl der officers anzufechten219 - dem einzelnen

216 Clark, Corporate Law, S. 96. 217 Siehe unten §§ 14 ff. 218 Henn I Alexander, Law ofCorporations, § 201, S. 546. 219 Siehe die Aufstellung der Minderheitsrechte in Keating / Perkowitz-Solheim, Fleteher Cyclopedia, § 5813.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Aktionär nicht so viel Einfluß, als daß seine Position der eines Treuhänders vergleichbar wäre. Dies kann aber beispielsweise dann der Fall sein, wenn ihm kraft Satzung220 oder Gesetz221 das Recht gegeben ist, die Auflösung der Gesellschaft zu betreiben222 . Obwohl es sich hierbei meist um einen Abwehrrechtsbehelf gegen Pflichtverletzungen der Mitaktionäre handelt, wird vertreten, daß das Auflösungsrecht in seiner Ausübung seinerseits gewissen materiellen Schranken unterworfen ist223.

5. Verfügung über die eigenen Aktien Die bisherigen Fallgruppen hatten die Ausübung von Gesellschafterrechten zum Inhalt. Eine treuhänderische Verantwortung des Minderheitsaktionärs 220 Siehe Comment, Opression as a Statutory Ground for Corporate Dissolution, 1965 Duke Law Journal 128. 221 Die Gerichte erkennen ein Auflösungsrecht nicht nur an, wenn in einer dose corporation eine Pattsituation (deadlock) gegeben ist, sondern bereits im Fall von mismanagement, wrongdoing und opressive conduct der Mehrheit; letzterer wird von den Gerichten gleichgesetzt mit impropriety and wrongful conduct der Mehrheit, vgl. Meiseiman v. Meiseiman 295 S.E.2d 249,253 (N.C. App. 1982) In etlichen Staaten wurde das Auflösungsrecht auch gesetzlich verankert, vgl. G.S. 55-125.1 und G.S. 55-125(a)(4) North Carolina Business Corporations Act, mit dem eine Regelung aus dem Recht von South Carolina übernommen wurde, siehe Meiseiman v. Meiseiman 295 S.E.2d 249, (N.C. App. 1982), S. 254. 222 Die hiermit gegebene Rechtsrnacht kann auch als Handelsobjekt eingesetzt werden, vgl. Drapekin, Alternative Remedies to Dissolution under the 1983 IIIinois Business Corporation Act, 1985 U. III. L. Rev. 709, bei Fn. 41; ähnliche Erwägungen bei Murdock, The Evolution of Effective Remedies for Minority Shareholder and its hnpact Upon Valuation of Minority Shares, 65 Notre Dame Law Review 425 (1990). 223 So etwa Justice HilI in seiner Minderheitsmeinung im Fall Meiseiman v. Meiseiman 295 S.E.2d 249, 260 f. (N.C. App. 1982), Brown / Hastings i Houser / Spiltman, Survey of Developments in North Carolina Law, 1982: ill. Commercial Law, 61 N.C.L. Rev. 1018, weisen aber darauf hin, daß diese materiellen Anforderungen bereits in die von Fall zu Fall vom Gericht zu treffenden Entscheidung einbezogen werden können, ob das Auflösungsrecht gewährt werden soll. Ähnliche Überlegungen hat bereits 1973 der Supreme Court of Oregon in Baker v. Commercial Body Builders, 264 Or. 614, 630; 507 P.2d 387,394 angestellt: "We also reject the concept that a 'c1osed corporation' is like a partnership to the extent that a minority stockholder should have the same right as a partner to demand a dissolution of a business upon substantially the same showing as may be sufficient for the dissolution of a partnership. After alt, the remedy 0/ a /orced dissolution 0/ a corporation may equalty be "opressive" to the majority stockholders ".

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erscheint hier angebracht, da es um Rechtspositionen geht, die der einzelne von der Gemeinschaft ableitet. Erheblich interessanter ist aber die Frage, ob den Minderheitsaktionär auch bezüglich des Besitzes oder der Verfügung über seinen eigenen Aktienanteil Treuepflichten treffen. Hetherington bezeichnet die Möglichkeit des Minderheitsaktionärs, eigene Aktien in einer Situation zurückzuhalten, in der seine Verkaufsbereitschaft für die Ausführung einer größeren Transaktion notwendig wäre, als eine der beiden Waffen224 , die ihm gegenüber der Mehrheit gegeben sind225. Er bezieht sich hierbei auf eine Konstellation, wie sie in der Entscheidung Matteson v. Ziebarth226 gegeben ist: Mehrheitsaktionär R einer dauerhaft unter Verlust arbeitenden Gesellschaft Z fand eine amerikaweit arbeitende Gesellschaft G, die bereit war, Z zu einem adäquaten Preis zu übernehmen und R auf eine bestimmte Zeit anzustellen. Zur Bedingung wurde allerdings gemacht, daß G alle außenstehenden Aktien von Z aufkaufen kann. Minderheitsaktionär M erklärte sich nicht bereit, seinen Anteil zu verkaufen, es sei denn, R würde ihm 25 % seines Gehalts als Angestellter von Gabtreten. R gründete daraufhin eine neue Gesellschaft S, mit der er Z verschmolz. R hielt alle Stammaktien von S. Die Minderheitsaktionäre erhielten nach dem Verschmelzungsplan zu einem fairen Umrechnungsverhältnis rückkautbare Vorzugsaktien, die R für alle Aktionäre mit Ausnahme von M später in Stammaktien eintauschte. M, der als einziger Aktionär seine Zustimmung zur Verschmelzung verweigert hatte, ging gegen deren Durchführung gerichtlich vor. Das Gericht hatte in diesem Fall die Frage, ob die Weigerung des M zu verkaufen bzw. der Versuch, auf diese Weise einen Anteil am Gehalt des R zu erreichen, einen Treuepflichtverstoß darstellte, nicht explizit zu entscheiden. Sie beeinflußte aber inzident die Entscheidung, ob dem M "equitable relief"227 gewährt werden sollte228. Die durch die Fusion erreichte Rückkaufsmöglichkeit der Aktien des M war nötig, um den Verkauf an G zu vollziehen, der als einzige Rettung für die bedrängte Z angesehen wurde. Mit dieser Notwendigkeit des Verkaufes für 224 Die andere sei die Verweigerung seiner Zustimmung zu einem Geschäft, wo diese erforderlich ist. 225 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972), S. 943. 226242 F.2d 1025 (Wash. Sup. Ct. 1952). 227 Ein vom Gericht aufgrund von Billigkeitserwägungen gewährter Rechtsbehelf, in diesem Fall die Aufhebung der Fusion durch das Gericht. 228 242 F.2d 1025 (Wash. Sup. Ct. 1952), S. 1035.

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die Mehrheit rechtfertigte das Gericht die Nichtanwendung der Regel, daß eine Fusion die das alleinige Ziel verfolgt, einen mißliebigen Gesellschafter auszuschließen229 , betrügerisch230 und daher authebbar ist231 . Ohne es auszusprechen, ging das Gericht damit von einer Pflicht des M aus, den Verkauf nicht zu blockieren. Die Entscheidung stellt so das grundlegendste Gesellschafterrecht überhaupt, nämlich das Recht, Mitglied der Gesellschaft zu sein, in Frage. Fraglich ist, ob sich diese Einschränkung noch auf die duty o/loyalty stützen läßt. Hetherington schließt hier von der Einflußposition des Minderheitsaktionärs auf seine Verantwortlichkeit. Er beschreibt zunächst die Stärke der Verhandlungsposition, die dem Kleinaktionär durch dessen Recht, seine Investition in der Gesellschaft zu belassen, entsteht, wenn die Ausübung dieses Rechts andere Gesellschafter einer vorteilhaften Verkaufschance beraubt232 . Sie ermöglicht ihm, einen Vorteil zu fordern, der ihm unter normalen Umständen nicht zusteht. Dann vergleicht Hetherington die Situation mit der eines Mehrheitsaktionärs. Diesem wäre der Einsatz von Herrschaftsmacht zum Erreichen eines Sondervorteils verboten233 . Er vertritt die Meinung, daß zwischen beiden kein Unterschied gemacht werden sollte: "Efforts to obtain a disproportionate share of the value of a corporate enterprise should be accorded the same treatment whether the attempts are made by the majority or the minority. Conduct by any shareholder wh ich is intended to be detrimental to the welfare of the enterprise ... is a breach of a duty of loyalty which all shareholders owe to the common venture. "234

Die Herleitung dieses Ergebnisses wirkt auf den ersten Blick überzeugend. Fraglich ist aber, ob sie einer genauen Analyse unter Heranziehung der für die Treuepflicht der Aktionäre allgemein entwickelten Grundsätze standhält.

229 Zu den gängigen Praktiken siehe Seiler, Freezeout von Minderheitsaktionären. Eine Untersuchung zum Beteiligungsschutz im US-amerikanischen Recht, Diss., Köln 1990. 230 Der Begriff "fraudulent" ist nicht im Sinne unseres strafrechtlichen Verständnisses zu verstehen, sondern bezeichnet einen besonders hohen Grad unfairen Verhaltens. 231 242 F.2d 1025 (Wash. Sup. Cl. 1952), S. 1034. 232 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972), S. 940. 233 Vgl. oben § 3 ill. 2. b). 234 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972), S. 945.

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Danach ist ein Aktionär dann treuhänderisch gebunden, wenn er (1) in Ausübung von übertragener Macht (2) anstelle der Gesellschafter in ihrer Gesamtheit tätig wird235. Bei der Ausübung von Rechten, die ihm in seiner Stellung als Gesellschafter übertragen sind, ist dies leicht nachvollziehbar236 . Dagegen erscheint die Lage schwieriger, wenn der Aktionär nicht Gesellschafterrechte ausübt, sondern nur eine Entscheidung über die Verwendung von Gegenständen des eigenen Vermögens trifft. Fraglich ist zunächst schon, ob M bei der Entscheidung, nicht zu verkaufen, in irgendeiner Weise in Vertretung der übrigen Gesellschafter handelte. Hier ließe sich allenfalls argumentieren, daß seine Verweigerung das Geschäft insgesamt platzen ließ. Sein Nein nahm damit seinen Mitaktionären die Entscheidung ab, ob sie verkaufen wollten oder nicht; es bedeutete gleichzeitig das Ende für die Verkaufschancen der anderen. Noch klarer fehlt es aber an dem zweiten Erfordernis, der Übertragung von Macht. Sicherlich hatte M im Verhältnis zu den anderen Aktionären eine starke Machtposition. Diese wurde ihm aber weder von diesen, noch von einem Gesellschaftsstatut oder einer anderen Regelung übertragen. Sie beruhte vielmehr auf einer eher zufälligen Geschäftschance. Die tatsächliche Abhängigkeit der anderen Aktionäre von M war nicht eine Folge der diesem anvertrauten Stellung, sondern der Besonderheit des Angebots der G. Diese war nur unter der Bedingung eines vollständigen Aktienerwerbs zum Kauf bereit. Mag man das Verhalten des M gegenüber seinen Mitgesellschaftern auch instinktiv als treuwidrig einschätzen, so läßt sich doch seine Verpflichtung diesen gegenüber nicht auf eine treuhänderische Stellung seinerseits stützen. Hier liegt auch der Unterschied zur Stellung des Mehrheitsaktionärs, die Hetherington zum Vergleich heranzieht. Diesem ist durch das Mehrheitsprinzip nämlich die Macht gegeben, für die Gesellschaft Entscheidungen zu treffen. Verfügt er über seinen Mehrheitsanteil, so bedeutet dies gleichzeitig eine Verfügung über die Herrschaftsmacht in der Gesellschaft. Diese läßt sich, wie oben näher ausgeführt wurde237 , als Gut der Gesellschafter insgesamt betrachten. Der Mehrheitsaktionär handelt dann bei Verfügungen hierüber (1) 235 Siehe oben § 3 m. 1., bei Fn. 142 f. 236 Hat ein Minderheitsaktionär aufgrund eines qualifIZierten Abstimmungserfordemisses die Macht, über eine Angelegenheit der Gesellschaft zu entscheiden und macht er von dieser ihm gegebenen Gewalt Gebrauch, so sind beide obigen Kriterien erfüllt. Das gleiche gilt bzgl. der Fähigkeit eines einzelnen Aktionärs, stellvertretend für die Gesamtheit zu klagen. 237 Siehe oben § 3 m. 2. b) und 3.

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anstelle seiner Mitaktionäre (2) kraft der ihm durch das Mehrheitsprinzip übertragenen Macht. Während der Mehrheitsaktionär somit jiduciary ist und keine Sondervorteile erstreben darf, steht der Minderheitsaktionär nicht in einer solchen Position. Wollte man auch für ihn eine besondere Verpflichtung gegenüber seinen Mitaktionären bejahen, so müßte man dafür eine andere dogmatische Grundlage finden. Eine solche könnte man in der von Hetherington zusätzlich angeführten allgemeinen Beschränkung der Ausübung von Rechtspositionen sehen, die seiner Meinung nach erst recht innerhalb der engen Interessengemeinschaft der Aktionäre in closely held corporations gelten muß238.

6. Machtposition aufgrund Venragsgestaltung Als weitere Einflußquelle für Minderheitsaktionäre seien zuletzt noch Vertrags-, speziell Satzungsbestimmungen, die einen einzelnen Aktionär bevorteilen, angesprochen. Es ist einleuchtend, daß es nicht darauf ankommen kann, ob die Machtposition eines Aktionärs bei Verhandlungen mit seinen Mitaktionär auf der Stärke seines Stimmrechtes oder auf seiner vertraglich abgesicherten Verhandlungsposition beruht. Interessant ist der Fall Helms v. Duckwonh239: Der siebzigjährige E brachte sein Einzelhandelsgeschäft in eine Gesellschaft ein, die er zusammen mit dem siebenunddreißigjährigen D gegründet hatte, und erhielt dafür 51 % der Aktien. Für die Anteile beider Aktionäre wurde ein trust errichtet, mit der Vereinbarung, daß beim Tode des einen dessen Anteil an den anderen zum Ausgabepreis, $ 10 pro Aktie, verkauft werden soll, sofern der Preis nicht durch spätere Vereinbarung der Aktionäre geändert worden ist. Genaue Regelungen für den Ablauf der einmal jährlich vorgesehenen Angleichungsprozedur wurden ebenfalls getroffen. Im Hauptvertrag fand sich die Vorschrift, daß der Mehrheitsaktionär nicht ohne

Zustimmung der Minderheit die Auflösung oder den Verkauf aller Güter der Gesellschaft beschließen kann. Als E acht Jahre später starb, ohne daß zuvor je von einer Erhöhung des Kaufpreises gesprochen worden wäre, betrug der Wert jeder Aktie etwa $ 80.

238 Hetherington, Minority's Duty, 92 Duke Law Journal 921 (1972), S. 945. 239 249 F.2d, (U.S. Ct. App. D.C. Cir., 1957).

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D verlangte daraufhin von der Nachlaßverwalterin die Übereignung der Aktien gegen Bezahlung von $ 10 pro Stück. Diese begehrte vom Gericht Aufhebung der Übernahmeklausel, sofern D nicht bereit sei, den wahren Wert der Aktien zu bezahlen. Das Gericht sah den Sinn der Regelung über die Angleichung des Kaufpreises darin, die beiden Parteien zu einem periodischen Verhandlungsprozeß in gutem Glauben zu verpflichten24O . Jede Partei hatte die Macht, durch fehlende Verhandlungsbereitschaft die Vereinbarung leerlaufen zu lassen. Dies mußte sich besonders auf E auswirken, der durch die Vertragsklausel seiner Mehrheitsmacht enthoben ist. Der Möglichkeit beraubt, den Wert seines Anteils in anderer Weise etwa durch Auflösung oder Verkauf der Gesellschaft zu realisieren, war er völlig vom guten Willen des D bei den Verhandlungen abhängig 241 . Dieser hatte aber nach den Tatsachenermittlungen des Gerichtes von Anfang an und schon bei der Erstellung des Vertrages nicht die Absicht, irgendeiner Änderung des Kaufpreises zuzustimmen242 . Das Gericht entschied, daß das Versäumnis, E über diesen fehlenden Willen aufzuklären, einen klaren Verstoß gegen die ihm gegenüber seinem "Gesellschaftspartner" obliegende Treuepflicht darstellte243. Diese mußte für D besonders gelten, da er, sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich erheblich besser ausgebildet als E, maßgebenden Einfluß auf die Formulierung der kritischen Bestimmungen hatte. Gegenüber E, der sich hier auf ihn verließ, hatte er die Verpflichtung, in bestem Glauben zu handeln. Auf das Versäumnis des E, eine Preisanpassung zu verlangen, kam es daher gar nicht mehr an. Die maßgebliche Treuepflichtverletzung lag schon im Vorfeld etwaiger Verhandlungen, die angesichts der erklärten Absicht des D ohnehin vergeblich gewesen wären244 . Auch hier geht es nicht um die Ausübung gewöhnlicher Gesellschafterrechte. Dennoch erscheint eine Anwendung von Treuepflichten für D gerechtfertigt. D handelte sowohl bei der Formulierung des Gesellschaftsvertrags, als auch bei der Vermeidung späterer Anpassungen für beide Gesellschafter. Die

240 Die Klausel wäre ansonsten überflüssig, da Vertragsparteien immer die Möglichkeit haben, sich später über die Änderung der Vereinbarungen zu einigen. 249 F.2d, (D.S. Ct. App. D.C. Cir., 1957), S. 485. 241 S. 485. 242 S. 486. 243 S. 487. 244 S. 488.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

Macht, letztendlich allein über den Preis der Aktien des E entscheiden zu können, war ihm durch den Gesellschaftsvertrag übertragen worden. Das Gericht hat D daher zurecht besonderen Treueanforderungen unterworfen.

7. Zusammenfassung Wenn Minderheitsaktionäre auch unter nonnalen Umständen keine besondere Macht über die Gesellschaft ausüben können, so zeigt die obige Zusammenstellung, daß durchaus Situationen existieren, in denen ihnen großer Einfluß gegeben ist. Dieser kann auf ihrem Stimmrecht, so dies in Einzelf,illen ausschlaggebend ist, auf einzelnen Aktionärsrechten, z.B. dem Klagerecht oder dem Recht auf Einsichtnahme in die Bücher der Gesellschaft, sowie auf vertraglichen Vereinbarungen beruhen. In allen Situationen, in denen ein Minderheitsaktionär Gewalt über die Gesellschaft ausüben kann, trifft ihn aber auch die Verantwortung, dabei die Belange der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Welche Verhaltenspflichten sich hieraus im einzelnen ergeben, sei im Folgenden betrachtet.

IV. Machtstellung und Verantwortung: der Inhalt der Treuepflicht

Es würde naheliegen, in Anerkennung der analogen Ableitung der jiduciary duties aus den Regeln des trust, dieselben Verhaltensanforderungen aufzustellen, wie sie für einen trustee gelten. Dies hieße zu allererst, daß der treupflichtige Minderheitsaktionär seine eigenen Interessen hinter denen der benejiciaries, d.h. der anderen Aktionäre, zurückstellen müßte. Die Treuepflicht des Minderheitsaktionärs zeigt besonders deutlich, daß dieses strenge Prinzip im Gesellschaftsrecht nicht angewendet werden kann. Als Beispiel kann die Situation in Smith v. At/antie Properties245 dienen. Da jeder der vier Gesellschafter aufgrund der Satzungsbestimmung ein Vetorecht hat, müßte jeder als trustee bei Abstimmungen die Interessen der anderen berücksichtigen, seine eigenen aber hintanstellen, ein offensichtlich absurdes Ergebnis.

245 422 N.E.2d 798 (Mass. App. 1981); siehe oben § 4 11., ill. 1.

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1. Treuepflichten als Begrenzung von Rechtspositionen Auch dort, wo nur ein einzelner Aktionär Träger der Treuepflicht ist, kann der Standard nicht so hoch angesetzt werden. Die Ursache der Treueverpflichtung eines Minderheitsaktionärs ist nämlich, wie gezeigt, meist die Innehabung eines besonderen Rechts. Ein zu hoher - absoluter - Verhaltensstandard würde dieses Recht aber oft wieder wertlos machen. Hängt die Entstehung der Verhaltenspflicht somit am Besitz einer Rechtsposition, so muß auch der Inhalt der Pflicht mit der Stärke des Rechts korrespondieren. Statt eines absoluten Verhaltensstandards, wie er etwa für einen trustee gilt, muß daher ein relativer errichtet werden, der sich an der Stärke der Rechtsposition des einzelnen Aktionärs orientiert. Es ist die Aufgabe der Treuepflicht, einen Ausgleich zwischen dem Recht des einzelnen und den Interessen der Allgemeinheit zu gewährleisten. An dieser Interessenkollision hat sich die Bestimmung des Inhalts der Treuepflicht zu orientieren. Vor dem Problem, eine Grenze zu ziehen zwischen der Verantwortung gegenüber den Mitaktionären und der Erlaubnis, das bewußt gegebene Vetorecht zum eigenen Vorteil auszuüben, stand auch das Gericht in dem zuletzt genannten Fall Smith v. Atlantic Properties. Es bezog sich schließlich auf Wilkes v. Springside Nursing Home, 1nc. 246 , eine Folgeentscheidung zu Donahue v. Rodd Electrotype Company 0/ New England, 1nc. 247 • In ihr wird mit folgendem Test bei belastenden Entscheidungen der Mehrheit ein Ausgleich der Interessen der beherrschenden Gruppe mit denen der beeinträchtigten außenstehenden Aktionäre zu erreichen gesucht248 : Wenn mittels prima facie Beweises ein Verstoß der beherrschenden Gruppe gegen die ihr obliegende Treuepflicht glaubhaft gemacht wird, so hat diese die Last zu beweisen, daß für ihr Handeln ein wirtschaftlich vernünftiger Grund bestand249.

246 370 Mass. 842,849-52,353 N.E.2d 657. 247 367 Mass. 578, 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975), siehe oben § 3 m. 1. 248 Diese Abwägung ist dort notwendig, da eine konsequente Anwendung der treuhänderischen Verpflichtung ein effizientes Management unmöglich machen würde. 249 [The majority must] "demonstrate a legitimate business purpose for its action" 370 Mass. 842, 851, 353 N.E.2d 657,663.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA Gelingt dies, kann die beeinträchtigte Gruppe nachweisen, daß doch ein Treubruch vorliegt, indem sie zeigt, daß dasselbe Ziel ebensogut durch eine sie weniger stark beeinträchtigende Handlung hätte erreicht werden können250 .

Letztlich wird also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt, mit den Stufen: (1) Geeignetheit (legitimate business purpose) und (2) Erforderlichkeit (no action less harmful to the minority's interest). Auf eine Überprüfung auch der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verzichtet das Gericht in Wilkes. Der beherrschende Aktionär hat insoweit die Freiheit, sein Recht auszuüben, wenn sich sein Handeln im Rahmen von Geeignetheit und Erforderlichkeit hält. In Fällen, in denen die Minderheit bestimmenden Einfluß auf Gesellschaftsentscheidungen hat, läßt sich dieser Test sicherlich ebenfalls anwenden. Wer gegen einen Beschluß sein Vetorecht durchsetzt, muß dafür einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund vorweisen können. Gleichzeitig durfte ihm kein anderes milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben. Der Test läßt sich aber ebenso auf die Ausübung anderer Gesellschafterrechte übertragen. Entsprechend findet sich der Gedanke der Erforderlichkeit auch in den Regeln über die Ausübung des Einsichtsrechts, für dessen Geltendmachung ein ''proper purpose" nachzuweisen ist251. Daß das Klagerecht ebenfalls nicht willkürlich ausgeübt werden darf und inwieweit auch hier das Erfordernis von Geeignetheit und Erforderlichkeit eine Rolle spielt, wird unten noch zu zeigen sein252 . 2. Aktive Handlungspflicht Bei den oben angeführten Fällen diente die Treuepflicht jeweils der Begrenzung von Rechtspositionen; sie hatte dementsprechend die Einschränkung der durch ein Recht gegebenen Handlungsmöglichkeiten auf diejenigen Optionen zum Inhalt, die die Interessen der anderen Aktionäre gebührend berücksichtigen. Fraglich ist nun, ob neben dieser negativen, handlungsbeschränkenden Seite der Treuepflicht auch eine positive, handlungsfordernde existiert.

250 "That the same legitimate objective could have been achieved through an alternative course of action less harmful to the minority's interest." 370 Mass. 842, 85152,353 N.E.2d 657,663. 251 Siehe oben III. 2. 252 § 14 ff.

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Hier dürfte die allgemeine Regel sein, daß Aktionäre, auch wenn sie der Treuepflicht unterliegen, nicht verpflichtet sind, mehr zu leisten als ihre regulär geschuldete Einlage253 . Sie müssen insbesondere die Gesellschaft nicht durch Finanzhilfen oder ähnliche Leistungen am Leben erhalten254 . Auch besteht gegenüber den Mitaktionären keine Pflicht, diese besonders zu unterstützen. Dies ist insofern einsichtig, als die Treuepflicht nicht auf mitgliedschaftlichen Bindungen beruht, sondern auf der mit der Übertragung von Macht verbundenen Verantwortung. Da die Ausübung dieser Macht den anderen Aktionären gegenüber verantwortet werden muß, geht mit ihr die Verpflichtung einher, letztere mit den notwendigen Informationen über das eigene Handeln zu versorgen und gewisse innere Absichten offenzulegen255 . Insofern besteht also tatsächlich eine aktive Handlungsplicht. So hat etwa das Gericht in Helms v. Duckworth256 die Treupflichtverletzung des Minderheitsaktionärs nicht erst in der Ausübung seiner selbst verschafften Machtposition gesehen, sondern schon in der unterlassenen Offenbarung seiner festen Absicht, die Vertragsbestimmungen in eigensüchtiger Weise auszunützen. Die Pflicht zur Offenlegung von Informationen ist insofern nur eine vorgezogene Anwendung des Gedankens, daß die von der Gesellschaft empfangene Macht nicht allein im eigenen Interesse ausgeübt werden darf. 3. Zusammenfassung

Der Inhalt der Treuepflicht des Minderheitsaktionärs läßt sich nicht absolut bestimmen. Er korreliert vielmehr mit der Stärke der eigenen Rechtsposition und ist in Abwägung zu den betroffenen Interessen der anderen Aktionäre und der Gesellschaft insgesamt zu bestimmen. Daraus ergibt sich negativ eine Beschränkung der aufgrund der Machtposition eröffneten Handlungsmöglichkeiten auf diejenigen Optionen, die die Interessen der Allgemeinheit gebührend berücksichtigen. Daneben besteht positiv die Pflicht, die anderen Aktionäre mit den für die Beurteilung des eigenen Handeins notwendigen Informationen zu versorgen.

253 Vgl. Keating / Perkowitz-Solheim, F1etcher Cyclopedia, § 5810. 254 Siehe insbesondere die dort, Fn. 11, genannten Entscheidungen. 255 Strong v. Repide (U.S. Sup. Ct. 1909),213 U.S. 419, 430, 29 S.Ct. 521, 525. 256 249 F.2d, (U.S. Ct. App. D.C. Cir., 1957), siehe oben ill. 6.

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA V. Rechtsfolgen von Treuepflichtverstößen

Da die Treuepflicht die Wahl gewisser Handlungsoptionen nur theoretisch verbietet, nicht aber praktisch ausschließt, ist es dem betreffenden Aktionär möglich, der Verpflichtung zuwider die Option dennoch zu verwirklichen. Zu untersuchen sind deswegen die Folgen solchen Handeins. Das Recht hat hier vor allem drei Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen: Es kann bestimmen, (1) daß die gewählte Handlung, da treuwidrig, keine Rechtsfolgen nach sich zieht bzw. daß diese nachträglich beseitigt werden können, oder daß (2) die Handlung selbst aufrechterhalten wird, der Aktionär aber den Schaden, der durch sein Fehlverhalten verursacht wird, ersetzen bzw. (3) den Gewinn, der ihm ungerechtfertigterweise zugefallen ist, abgeben muß. Alle drei Lösungen finden sich im amerikanischen Recht, das - hier in der

Equity wurzelnd - bei der Gewährung von Rechtsmitteln für Treuepflichtverletzungen sehr flexibel ist.

I. Nichtigkeit und Anfechtung Ein Beispiel für die erste Möglichkeit ist das self dealing: Ursprünglich galt die Regelung, daß Verträge zwischen Direktoren und der Gesellschaft nichtig, somit ohne rechtliche Folgen waren. Später wurden sie nur noch unter Umständen als anfechtbar angesehen257 . In beiden Fällen zielt die Lösung darauf, der als treuwidrig eingestuften Handlung der Direktoren ihre rechtliche Gültigkeit zu entziehen258 . Auch treuwidrige "squeeze out merger"259 können anfechtbar sein260 . Was Treupflichtverletzungen von Minderheitsaktionären betrifft, wird sich für die Nichtigkeit einer ihrer Handlungen selten ein Anwendungsfall finden. 257 Siehe oben § 3 11. 3. a) und ill. 2. a) aa). 258 Der Vorschlag des ALl befaßt sich lediglich mit Schadensersatzpflichten als

der "normalen" Rechtsfolge von Pflichtverletzungen, ALl, Corporate Govemance, Final Draft, § 7.18 S. 849 ff. 259 Dies sind Fusionen, durch die die Minderheit aus der corporation ausgeschlossen werden sollen, siehe hierzu Seiler, Freezeout von Minderheitsaktionären. Eine Untersuchung zum Beteiligungsschutz im US-amerikanischen Recht, Diss., Köln 1990. 260 Das oft in statutes vorgesehene appraisal remedy, d.h. Ausscheiden gegen Abfmdung verdrängt hier nicht andere Rechtsmittel, vgl. Weinberger v. UOP, 457 A.2d 709, 714.

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Minderheitsaktionäre können in der Regel nicht allein Entscheidungen für die Gesellschaft treffen. Sie haben eher die Möglichkeit, Beschlüsse zu verhindern. In diesem Fall wäre aber die Feststellung der Nichtigkeit als Rechtsfolge ohne Sinn. Denkbar wäre es dagegen, die Nichtigkeit der negativen Stimmabgabe festzustellen, was der Fiktion einer positiven Stimmabgabe gleichkäme. Eine solche Entscheidung ist aber ersichtlich von der Rechtsprechung bislang noch nicht getroffen worden.

2. Umverteilung ungerechtfertigter Gewinne Besonders dort, wo Aktionäre eine Geschäftschance der Gesellschaft für sich selbst genutzt haben, ist die Pflicht, die dabei erzielten Gewinne an die Gesellschaft abzuführen, sinnvoll. Dies kann einmal geschehen durch die Auferlegung eines constructive trust261 oder durch die Anerkennung einer Schadensersatzpflicht262 . Ähnlich gelagert ist auch die Pflicht zur Verteilung eines ungerechtfertigt erlangten Paketzuschlags, sofern eine solche anerkannt wird263. Minderheitsaktionäre sind in der Regel nicht verpflichtet, corporate opportunities der Gesellschaft zu überlassen, noch sind sie in der Lage, für ihre Aktien Paketzuschläge zu erzielen. Aus diesem Grund kommt hier eine Gewinnabführungspflicht für sie nicht in Frage.

Denkbar wäre eine solche Pflicht für den Fall, daß es einem Minderheitsaktionär gelingt, die Abhängigkeit eines anderen von der Verfügbarkeit aller außenstehenden Aktien zur Erzielung eines eigenen Sonderbonus auszunützen264 . Bejahte man in einem solchen Fall eine Treueverpflichtung des Aktionärs265 , bestünde eine Herausgabepflicht bezüglich des im Verhältnis zu anderen Aktionären zuviel Erlangten.

261 Eine Treuhandbeziehung, die nicht auf vertraglicher Abmachung, sondern auf Gerichtsentscheidung beruht. 262 Zu beidem siehe oben § 3 11. 3. b) und ill. 2. b). 263 Siehe oben § ill. 2. b), 3. 264 Vgl. den von Hetherington als Beispiel angeführten Fall Matteson v. Ziebart, 40 Wash.2d 286, 242 P.2d 1025 (1952). 265 Zu den Gründen hiergegen siehe oben ill. 5. 6 GUßtz

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1. Teil, 1. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - USA

3. Schadensersatz Der wohl häufigste Rechtsbehelf bei Pflichtverletzungen ist die Verpflichtung zum vollständigen Ersatz des entstandenen Schadens266 . Er läßt sich nicht nur auf treuwidrige Handlungen der Mehrheit anwenden267 . Auch Minderheitsaktionäre können - gerade durch die willkürliche Ausübung eines Vetorechts - beachtlichen Schaden anrichten. Fällt ihnen hierbei eine Treupflichtverletzung zur Last268 , so sind sie zu dessen Ersatz ebenso verpflichtet, wie es ein Mehrheitsaktionär wäre269. Desgleichen würde sich ein Minderheitsaktionär schadensersatzpflichtig machen, wenn er sein Recht auf Einsichtnahme zur Ausspionierung von Unternehmensinterna für die Konkurrenz mißbrauchen würde. Zum Mißbrauch des Klagerechts siehe im Anschluß unten270 .

4. Besondere Rechtsbehelfe Neben den genannten kommen noch weitere Rechtsbehelfe in Frage. Da das Recht der jiduciary relations auf Equity beruht, sind die Gerichte relativ frei, die im Einzelfall angemessene Abhilfe zu gewähren. Diese kann zum Beispiel in der gerichtlichen Anpassung einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung liegen, sofern ihre Entstehung auf einer Treuverletzung beruht271. Im Extremfall kann das Gericht sogar soweit gehen, eine Auflösung der Gesellschaft anzuordnen272 , etwa bei Fällen der Unterdrückung der Minderheit oder bei einer dauerhaften Pattsituation und Handlungsunfähigkeit innerhalb einer close corporation.

266 ALl, Corporate Governance, Final Draft, S. 852. 267 Nach ALl, Corporate Governance, Final Draft, § 7.18 ziehen alle Verstöße eines Aktionärs mit beherrschendem Einfluß gegen die duty of fair dealing die Verpflichtung zum Schadensersatz nach sich. 268 Wie etwa Dr. Wolfson in dem Fall Smith v. Atlantic Properties, Inc.; 422 N.E. 2d 798, (Mass. App. 1981). 269 422 N.E. 2d 798, (Mass. App. 1981), S. 801 ff. 270 §§ 14 ff. 271 Helm v. Duckworth, siehe oben m. 6. 272 Siehe etwa Breitermann v. Chemical Bank, 181 A2d 675, 580 NYS2d 463 (1992) und oben § 4 m. 4.; Alternativen zur Auflösung diskutiert Drapekin, Alternative Remedies to Dissolution under the 1983 IIIinois Business Corporation Act, 1985 U. III. L. Rev. 709.

§ 4 Pflichtenbindung des Minderheitsaktionärs

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Wie die oben genannten Beispiele zeigen, können durchaus auch Minderheitsaktionäre treuwidrig auf die Entstehung des Gesellschaftsvertrages Einfluß nehmen oder die Handlungsunfahigkeit der Gesellschaft verursachen. Sie müssen dann einer etwaigen gerichtlichen Änderung des Gesellschaftsvertrags oder gar der Auflösung der Gesellschaft gewahr sein.

Zweiter Abschnitt

Recht der Bundesrepublik Deutschland § 5 Einordnung des Begriffs Treuepflicht

Untersuchungen zur Bedeutung der Treuepflicht im deutschen Recht stehen schnell in der Gefahr, auf unsicheres Gelände zu geraten. Zu unterschiedlich sind zum einen die verschiedenen Begriffe, mit denen eine Beschreibung des Phänomens Treuepflicht versucht wurde, zum anderen die verschiedenen Inhalte, die dem Begriff Treuepflicht im Laufe der Zeit unterlegt wurden. Eine inhaltliche Beschäftigung mit der Treuepflicht setzt daher die genaue Bestimmung dessen voraus, was unter diesem Begriff verstanden werden soll. I. Begriffsverwirrung

Zur Beschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht wurden bereits die verschiedensten Bezeichnungen verwendet. So finden sich neben den beiden sprachlichen Varianten Treupflicht und Treuepflicht die Begriffe Loyalitätspflicht 1, Treubindung 2 , Förderpflicht3 , Zweckförderungspflicht4 , Rücksichtspflicht5 , aber auch die allgemeineren oder bereits in anderen Rechtsbereichen verwendeten Termini Inhaltskontrolle6 , Verbot von Rechtsmißbrauch7 , Treu und Glauben8 oder Schädigungsverbot. 1 Raiser, Thomas, Das Unternehmen als Organisation, Berlin 1969, S. 142 ff., Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 481; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 432; Benze, Treuepflicht, S. 145; Immenga, Bindung von Rechtsmacht durch Treuepflichten, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, Köln 1992 S. 189 ff., 197. 2 Fechner, Treubindungen, Winter, Treubindungen; Zöllner in Kötner Kommentar, Rn. 189 ff. zu § 243. 3 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 102 ff.; Befermehl in Geßler / Befermeht / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, 18 ff. vor § 53 a. 4 Reinisch, Der Ausschluß von Aktionären aus der Aktiengesellschaft, Köln 1992, S.58. 5 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 432; Benze, Treuepflicht, S. 145. 6 Immenga, Bindung von Rechtsmacht durch Treueptlichten, FS 100 Jahre GmbHGesetz, Köln 1992, S. 189 ff., 208.

§ 5 Einordnung des Begriffs Treuepflicht

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Teils soll mit diesen abweichenden Bezeichnungen eine bewußte Akzentverschiebung erreicht werden9 , teils nur der völkische Beiklang vermieden werden, der aufgrund der Euphorie des Dritten Reiches für den Gedanken der Treue im Recht to bei dem Wort Treuepflicht mitschwingt. Säkularisiert, von jeglicher ideologischen Unterlegung befreit, soll in dieser Untersuchung der Begriff Treuepflicht als der am weitesten verbreitete und akzeptierte beibehalten werden ll . Die Festlegung der Bezeichnung allein reicht aber zur Präzisierung noch nicht aus, will man nicht riskieren, mit einer Worthülse zu hantieren, die je nach Belieben mit den verschiedensten Inhalten gefüllt werden kann. Hier aber liegt das Hauptproblem. Nicht wenige Autoren benutzen den Terminus Treuepflicht, ohne deutlich zu machen, welche Bedeutung sie ihm dabei unterlegen 12 . Die so entstehende Verwirrung wird zusätzlich vermehrt durch die im Laufe der geschichtlichen Entwicklung gewandelten Vorstellungen 13 . So wurde Treuepflicht lange Zeit synonym verwendet für die Konkretisierung der Pflicht aus Treu und Glauben nach § 242 BGB in der 7 Immenga, Bindung von Rechtsmacht durch Treuepflichten, FS 100 Jahre GmbHGesetz, Köln 1992, S. 189 ff., 208. 8 Ritter, Gleichmäßige Behandlung der Aktionäre, JW 1934, S. 3025, etwa hält den Begriff einer eigenen Treuepflicht für überflüssig. 9 Siehe z.B. Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, S. 84 ff. S. 104 f. Der Wert derartiger Wortneuschöpfungen für die Wissenschaft erscheint bei einer Abwägung zwischen der erstrebten Präzisierung und der durch die Begriffsvielfalt bewirkten Verwirrung oft zweifelhaft. 10 So kommentiert etwa Siebert, Anmerkung, JW 1935, S. 1553, die Entscheidung RGZ 146, 385 ff.: "Sie liefert ein weiteres wichtiges Beispiel für die allmählich immer stärkere Durchdringung des Rechts der Kapitalgesellschaften mit den Nationalsozialistischen Rechtsgrundsätzen von Gemeinschaft und Treuepflicht." Siehe auch die Nachweise unten § 61., insbesondere Fn. 44 und 50. 11 Im Titel der Arbeit wurde der Begriff Treubindungen verwendet; hiermit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die Aktionärsstellung auch Bindungen begründen kann, die nicht den Charakter einklagbarer Pflichten haben, so etwa im Bereich der kapitalmäßig verflochtenen strategischen Allianzen, vgl. hierzu unten § 9 V.4. 12 Zu diesen Schwierigkeiten bereits Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, München 1947, S. 6; Fechner, Treubindungen, S. 6 stellt seinen Ausführungen daher eine etymologische Untersuchung des Wortes "Treue" voraus. 13 Ähnliche Begriffsverwirrungen scheinen auch im Schweizer Recht zu herrschen, vgl. Wahlmann, Die Treuepflicht des Aktionärs, Diss., Zürich 1968, S. 3, 9 ff.

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD

Gemeinschaft des Verbandes. Später wurde sie zum Begriff für eine diesen allgemeinen Maßstab gerade überschreitende besondere gesellschafts rechtliche Verpflichtung 14 . Dabei kann einmal allein die Pflichtenbindung aufgrund eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses gemeint sein, dann wieder die gegenseitige Verpflichtung der Beteiligten, wie sie einer jeden Mitgliedschaft in einem Verband zugrundeliegen solll5. Teils wird hier der Akzent positiv auf die gemeinsame Zweckförderungspflicht etwa im Sinne von § 705 BGB gesetzt. Teils wird die Treuepflicht aber auch nur negativ verstanden, entweder funktional als Pflicht, Schädigungen der Gesellschaft und der Mitgesellschafter zu unterlassen, oder institutionell als immanente Begrenzung von Gesellschafterrechten l6 . Noch etwas enger reduziert sie sich bei einigen Autoren auf ein Mittel zur Beschränkung der Mehrheitsmacht. Andere sehen sie dagegen nicht nur als reinen Minderheitenschutz, sondern als allgemeines Machtkorrelat l7 . Daß es angesichts der Fülle der ein und demselben Begriff unterlegten Bedeutungen zu Mißverständnissen und Spiegelfechtereien kommen muß, erscheint nahezu unvermeidbar. So erscheint etwa der lange geführte Disput, ob die Existenz einer Treuepflicht in der Aktiengesellschaft grundSätzlich ausgeschlossen ist, oder ob sie zwar theoretisch ex.istiert, aber für den einzelnen Aktionär ohne Auswirkungen bleibt, hinfällig, sobald man sich einigt, welchen Sinngehalt man jeweils dem Wort "Treuepflicht" beilegt. 11. Versuchte Einteilungen

In der Literatur wurde das Problem der Vielschichtigkeit des mit diesem Begriff Ausgesagten teilweise durchaus erkannt. Verschiedene Autoren haben daher den Versuch der Einteilung unternommen. Karsten Schmidt18 machte sich um die Versachlichung der Diskussion verdient, indem er die Frage nach der Existenz von Treuepflichten von derjenigen nach deren Umfang und zuletzt der Frage nach dem Schutzsubjekt trennte. Die Feststellung etwa, daß auch im Aktienrecht eine Treuepflicht 14 Siehe hierzu etwa die unten Fn. 50 Genannten. Auch nach dem Krieg dauerten die diesbezüglichen Unklarheiten an. 15 Siehe unten Fn. 54 ff. 16 Siehe unten Fn. 41. 17 Siehe unten Fn. 121 ff. 18 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 484.

§ 5 Einordnung des Begriffs Treuepflicht

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existiert, sagt damit noch nichts darüber aus, ob und welche konkreten Verhaltenspflichten aus dieser für den einzelnen Aktionär folgen und gegenüber wem diese geschuldet sind. Wiedemann 19 sieht gar drei völlig verschiedene Welten hinter dem Wort Treuepflicht verborgen. Die mitgliedschajtliche Treuepflicht verlange vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Gemeinschaft, einmal durch deren aktive Förderung, zum zweiten durch die Unterlassung von Schädigungen. Die organschajtliche Treuepflicht verpflichte die Geschäftsführungsorgane, ihre Aufgaben nach besten Kräften und allein am Gesellschaftszweck orientiert zu erfüllen20 . Die mehrheitsbezogene Treuepflicht schließlich verlange, Mehrheitsmacht nicht zu mißbrauchen, und wirke dabei nicht anspruchs begründend, sondern rein rechtsbeschränkend. Die Einteilung von Wiedemann kann nicht überzeugen. Insbesondere mangelt es an Klarheit über das Unterscheidungskriterium. Die organschaftliche Treuepflicht ist zwar durch das Handlungssubjekt von den beiden anderen Kategorien unterschieden21 . Letztere betreffen aber beide die Gesellschafter. Die Pflichtenbindung wurzelt nach Wiedemann jeweils im Rechtsverhältnis der Mitglieder untereinander. Einziges Unterscheidungsmerkmal ist die Innehabung einer Aktienmehrheit. Ohne bereits eine ausführliche sachliche Diskussion eröffnen zu wollen, seien hier schon Zweifel angemeldet, daß dieses Merkmal allein die Begründung einer eigenen Gruppe rechtfertigt, zumal die mitgliedschaftliche Treuepflicht auch auf der Rechtsfolgenseite eine Beschränkung der Rechtsausübung mitumfaßt. Die Gruppe der mehrheitsbezogenen Treuepflicht ist damit, weil in der mitgliedschaftlichen Treuepflicht schon enthalten, schlicht überflüssig 22 .

19 Wiedemann, Treuepflichten, S.950 "Die Treuepflicht: Ein Wort - drei Welten!". 20 Wiedemann unterscheidet hier nach amerikanischem Vorbild nochmals die Sorg

falts- von der Loyalitätspflicht (duty 0/ care und duty o/loyalty). 21 Im deutschen Recht ist allerdings die Verantwortung der Gesellschafter nicht derart eng mit derjenigen der Manager verbunden wie im amerikanischen (siehe oben § 3 Ill), daß hier die Notwendigkeit inhaltlicher Abgrenzung bestünde. Identisch ist nur die Bezeichnung Treuepflicht. 22 Der Grund für die Abgrenzung wird wohl in der unterschiedlichen historischen Entwicklung des Treuepflichtgedankens in der Personen- und der Kapitalgesellschaft

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD

Letztlich reduziert sich daher die Einteilung von Wiedemann auf die Unterscheidung zwischen den in unserem Zusammenhang nicht relevanten Treubindungen von Managern und denen der Gesellschafter. 111. Begriffsbestimmung

1. Umfassende Sichtweise Betrachtet man die oben unter I. aufgelisteten Umschreibungen dessen, was mit dem Begriff Treuepflicht ausgedrückt werden soll, so läßt sich keine der Umschreibungen von vornherein ablehnen. Vielmehr beleuchten sie wie Schlaglichter dasselbe Rechtsinstitut von verschiedenen Seiten. Sich mit Ausschließlichkeitsanspruch auf eine der Sichtweisen festzulegen, resultiert jedoch fast zwangsläufig in einem zu engen Blickwinkel. Gerade bei einer umfassenden Auffassung von Treuepflicht tut aber weitere Konkretisierung des Begriffes not. Auf die Gefahr hin, mit dieser begrifflichen Klarstellung teilweise schon der Diskussion in der Sache vorgreifen zu müssen, soll eine Gliederung der mit dem Wort Treuepflicht angesprochenen Verhaltenspflichten vorgenommen werden. Geht man mit K. Schmidt23 und der sich mittlerweile durchsetzenden Meinung 24 davon aus, daß die Bejahung der Existenz von Treuepflichten noch nichts über deren Intensität aussagt, und ist man sich einig, daß die Treuepflicht der Verbandsmitglieder über die Pflicht gegenüber jedermann (gute Sitten) und die Verpflichtung gegenüber dem anderen Teil einer Sonderrechtsbeziehung (Treu und Glauben) hinausgeht25 , so lassen sich bei rein abstrakter Betrachtung drei verschiedene Ausprägungsstufen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ausmachen. Sie unterscheiden sich in ihrer Intensität danach, ob ein Tun oder ein Unterlassen gefordert ist und ob nur zu sehen sein. Während in ersterer maßgeblich auf das persönliche Nähe- und Ver trauensverhältnis abgestellt wurde, konnte sich in der typischerweise anonymeren Kapitalgesellschaft zuerst der Gedanke der Verantwortlichkeit der Mehrheit auch für die mitbestimmte Minderheit durchsetzen, vgl. zur Einteilung und Terminologie auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 431 f. 23 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 484. 24 Statt vieler Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 452; Timm, Treue pflichten, WM 1991, S. 481, S.483; Werner, Treupflicht des Kleinaktionärs, 423; Brändei in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 86 zu § 1. 25 So die treffende Staffelung von Hueck, Der Treuegedanke im Recht der offenen Handelsgesellschaft, in FS für Rudolf Hübner, 1935, S. 72 ff,; insoweit ihm folgend Gierke, von, Besprechung von A. Hueck, Der Treuegedanke im modemen Privat recht, ZHR 11 (1948), 190, 194.

§ 5 Einordnung des Begriffs Treuepflicht

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der gesellschaftsinterne Bereich, oder auch das sonstige Handeln des Gesellschafters betroffen ist.

2. Konkretisierung: Die drei Dimensionen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht a) Treuepflicht positiv als Beitragspflicht Die intensivste Form der Treuepflicht ist sicherlich die Pflicht, die gemeinsamen Belange durch aktives Tun zu fördern. In derart positiver Ausprägung findet sie sich etwa als Tatbestandsmerkmal von § 705 BGB wieder, der eine Gesellschaft als Zusammenschluß zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks beschreibt. b) Treuepflicht negativ als Unterlassenspflicht Eine Stufe darunter steht als Spiegelbild dieser Förderpflicht das allgemeine Schädigungsverbot, d.h. die Pflicht jegliche auch private Handlung zu unterlassen, die der gemeinsamen Sache zum Schaden gereichen könnte. Konkretisieren kann sich diese Pflicht etwa in einem Wettbewerbsverbot der Gesellschafter oder in dem Verbot geschäftsschädigender Äußerungen über die Gesellschaft . c) Treuepflicht als Maßstab des Inhalts von Mitgliedschaftsrechten Die beiden erstgenannten Kategorien können somit weit über das eigentliche Handeln in Gesellschafterfunktion in die persönliche Sphäre des Gesellschafters hineinreichen. Sie stellen damit eine deutlich stärkere Belastung dar als die letzte Kategorie, die sozusagen den hausinternen Bereich der Ausübung von Gesellschafterrechten betrifft. Diese Rechte, die erst im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in der Gesellschaft gewährt werden, stehen, wie noch zu zeigen sein wird26 , nicht isoliert da, sondern sind im Kontext mit dem Gemeinschaftsverhältnis zu sehen. Erst vor dessen Hintergrund läßt sich ihr genauer Inhalt festlegen.

26 Siehe unten § 6 11. 2.

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD

Die Treuepflicht bildet auf dieser untersten Stufe daher den Maßstab der gemeinschaftskonformen Inhaltsbestimmung von Mitgliedschaftsrechten. Sie übt hier eine rechtsbeschränkende Funktion aus27 . Wirkt die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Ausrichtung der Treuepflicht, zwischen privatem Handeln und Ausübung von Mitgliedschaftsrechten auch fundamental, so können die Übergänge durchaus fließend sein. Dies zeigt sich etwa, wenn von einem Gesellschafter die Mitwirkung an einer für die Gesellschaft essentiellen Strukturreform28 verlangt wird. Ob man von ihm die positive Stimmabgabe für diesen Plan verlangt oder die Nichtausübung eines Vetos, stellt keinen Unterschied in der Sache

dar. 3. Definition Unter Treuepflicht wird im Zusammenhang mit dieser Arbeit somit jene Grundpflichtenbindung verstanden, die anläßlich der Eingehung eines jeden mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisses übernommen wird. Diese wirkt rechtsbeschränkend bezüglich der ebenfalls aus der Mitgliedschaft fließenden Gesellschafterrechte. Sie kann aber darüberhinaus von dem Gesellschafter auch das Unterlassen von Schädigungen oder die positive Förderung der Gesellschaft verlangen. § 6 Dogmatische Begründung der Treuepflicht des Aktionärs

Betrachtet man die zahlreichen in den letzten Jahren erschienen Beiträge zur Treuepflicht im Aktienrecht29 , so läßt die hier gezeigte breite Akzeptanz30

27 An dieser Stelle wäre auch die von Wiedemann so genannte "mehrheitliche" Treuepflicht einzuordnen, vgl. oben 11. 28 Vgl. die unten angeführten Beispiele der Mindestkapitalanhebung und der Kapitalherabsetzung im Rahmen eines Sanierungsplans (§ 9 V. 5). 29 Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332; Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, Hadding, Ergibt die Vereinsmitgliedschaft "quasivertragliche" Ansprüche, erhöhte "Treue- und Förderpflichten" sowie ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB? Besprechung der Entscheidung BGHZ 110, 323, FS Kellermann, Berlin 1991; Henze, Treuepflicht; Hüf!er, Generalklausel; Kort, Treuepflicht, ZIP 1990, S. 294; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446; MarschBarner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173; Martens, Treupflicht; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, Wiedemann, Treuepflichten; sowie die Dissertationen von Baus, Treuepflichten des Aktionärs im Gemeinschaftsunternehmen, Diss., Frankfurt, 1991, Baumgärtner, Rechtsformübergreifende Aspekte der ge-

§ 6 Dogmatische Begründung

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völlig vergessen, daß noch vor wenigen Jahren die Existenz von Treubindungen zumindest im Verhältnis der Aktionäre zueinander nahezu einhellig abgelehnt wurde. I. Historischer Abriß

Die Geschichte der Anerkennung von Treuepflichten im Aktienrecht ist durchaus ambivalent. Schon während des großen Theorienstreits im 19. Jahrhundert über das Wesen der juristischen Person war es einer der Streitpunkte, ob zwischen den in einer Körperschaft verbundenen Personen besondere Rechtsbeziehungen bestehen oder nur dieselben "wie zwischen beliebigen einander von Hause aus fremden Rechtssubjekten"31. Im letzteren Sinne wurde die mit dem Namen Savignys verbundene romanistische Theorie verstanden32 . Die deutschrechtliche Theorie wollte dagegen den organischen Zusammenhang der an einem Verband beteiligten Subjekte auch in Bezug auf deren Rechtsbeziehungen untereinander und zur Verbandsperson beachten. Im Gegensatz zu der von einer sozialen Bindung unangetasteten Sphäre reiner Individualrechte ist das rein interne "Socialrecht" gänzlich hiervon geprägt33 . Daneben gebe es noch einen dritten Typus von Rechtsverhältnissen, der durch die "Verflechtung von Individualrecht und Socialrecht" gekennzeichnet sei34. "Sie stehen ihren Subjekten weder ausschließlich um ihrer selbst willen noch ausschließlich um des Ganzen willen zu, vereinigen vielmehr in sich seIlschaftsrechtlichen Treuepflicht im deutschen und anglo-amerikanischen Recht, 1990, Ernstberger, Die Grenzen der Mehrheitsherrschaft in der Aktiengesellschaft, Diss., Regensburg, 1986, Fillmann, Treuepflichten, Friedewald, Die personalistische Aktiengesellschaft, Köln 1991, Nehls, Treuepflicht und Reut, Gleichbehandlung. 30 Von den Genannten steht nur Martens, Treupflicht, S. 258 f., 266, dem Einsatz der "Allzweckwaffe Treuepflicht" im Aktienrecht kritisch gegenüber. Vgl. auch die Warnung vor den Gefahren für die Rechtssicherheit durch eine weitere Auflösung der strikten Organisationsregeln des Aktienrechts durch wertende Rechtsprinzipien wie der Treuepflicht bei Martens, Mißbrauch, S. 64. 31 Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 175. 32 Zur Frage, ob Savigny hierbei nicht oft mißverstanden wurde, siehe Ftume, Allgemeiner Teil, S. 3 ff. Nach Flume habe Savigny nichts über die soziale Realität des Verbandes, dem die Eigenschaft "Juristische Person" zukommt, ausgesagt. Diese sei ein "künstlich angenommenes Subjekt" nur bezüglich der auf sie übertragenen Rechtsfähigkeit, wie sie von Natur aus allein dem Menschen zukommt. 33 Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 176 ff. und 181 ff. 34 Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 188 ff.

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD

eine zwiefache Zweckbestimmung"35. Gierke ordnet hierunter unter anderem die in der Mitgliedschaft verkörperten Individual- und Sonderrechte der Aktionäre ein. Je nach Gewicht der sozialen Komponente dieser Rechte unterwirft er die Aktionäre bei deren Ausübung einer unterschiedlich starken Bindung gegenüber der Gemeinschaft36. Hier zeigt sich, lange bevor der Begriff Treuepflicht eingeführt wurde, ein Verständnis der Beziehungen der Verbandsmitglieder, das den Treubindungen der ersten Dimension37 entspricht. War dieser Gemeinschaftsgedanke auch ursprünglich für die germanistische Theorie wesentlich, so wurde er doch in der Folge immer mehr vernachlässigt. Dies wurde z. T. mit einer falschen Interpretation der deutschrechtlichen Theorie zu erklären gesucht. Diese habe wegen ihrer starken Betonung des Körperschaftsgedankens, mit dem sie sich gegenüber der romanistischen Theorie abgrenzen wollte, die nur schuldrechtliche Bindungen der Mitglieder anerkannte, den Gemeinschaftsgedanken vernachlässigt 38 . Hat auch der genannte Theorienstreit39 in unserem Jahrhundert alsbald seine Bedeutung verloren40 , so muß doch gesehen werden, daß die Idee, der körperschaftliche Charakter der Aktiengesellschaft verbiete jedwede nähere Beziehung ihrer Mitglieder, noch lange durch die gesellschaftsrechtliche Literatur spukte4 1. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dies die ganz herrschende Meinung42 •

35 Gierke, Genossenschaftstheorie,

s.

189.

36 Vgl. etwa zur Ausübung des Stimmrechts Gierke, Genossenschaftstheorie, S.26l. 37 Treuepflicht als Begrenzung und Inhaltsbestimmung von Mitgliedschaftsrechten, siehe oben § 5 III. 2. 38 Siebert, Rechtsfähigkeit, DJZ 1935, S. 713, S. 716 ff. siehe hierzu Dorpalen, Treupflicht, ZHR 102, 1936, S. 20, S. 8 f. und Fn. 22. 39 Allgemein dazu Flume, Allgemeiner Teil, S. 15 ff.; Theis, Rechtsstellung, S. 34 ff. 40 Flume, Allgemeiner Teil, S. 21 m.w.N. 41 Teichmann I Koehler, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1950, Anm. 5 b zu § 48; von Godin I Wilhelmi, Aktiengesetz, 2. Aufl. Berlin 1950, Anm. 2 zu § 1; Meyer-Landrut in Großkommentar, 3. Auflage, Anm. 34 zu § 1 (anders jetzt Brändei in der 4. Auflage, 30, Rn. 84 ff. zu § 1); Bungeroth in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropjf, Aktiengesetz, 22 vor § 53 a und Würdinger, Aktienrecht, S.21; auch der BGH unterlag in BGHZ 18, 350, 365 und der AUDI/NSU - Entscheidung, JZ 1976, 561 einer derartigen "Überbewertung der körperschaftlichen Struktur der Aktiengesellschaft", wie er in BGHZ 103, 184, 194 f. selbst einräumt; mit dem Fehlen persönlicher Beziehungen unter den Aktionären argumentieren RGZ 158, 254, Baumbach I Hueck I Hueck, Aktiengesetz, 11 vor § 54. Hinter der hierauf gestützten Ablehnung

§ 6 Dogmatische Begründung

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Eine Wende zeichnete sich erst in den dreißiger Jahren ab. Zum einen hatten sich die negativen Auswirkungen einer zu liberalen Einstellung gegenüber dem Umgang mit gesellschaftsrechtlich begründeten Machtpositionen deutlich gezeigt43 . Zum anderen brachte die Machtergreifung der Nationalsozialisten auch in der juristischen Lehre einen Wertewandel. Als Schlagwort gebrauchte Begriffe wie Gemeinschaft, Ehre, Treue und eben auch Treupflicht, auf die sich die gewünschte Machtverlagerung vom Individuum auf die Volksgemeinschaft stützen ließ, hatten Hochkonjunktur44. Auch das Reichsgericht45 argumentierte alsbald mit "der das gesamte Aktienrecht beherrschenden ... Treuepflicht, die jedem Aktionär gegenüber der Gesellschaft obliegt" und "oberste Richtschnur" für sein Handeln sein solle46. Eine Treuepflicht der Aktionäre untereinander erkannte das Reichsgericht zwar bis zuletzt nicht ausdrücklich an47 , für die Ausübung von Mehrheitsmacht stellte es aber schon früh die immanente Schranke der Berücksichtigung der Minderheitsinteressen auf48 ; der Sache nach handelt es sich dabei um die Treuepflicht in der ersten Dimension: von Treuepflichten der Aktionäre steht aber oft die Vorstellung, diese habe man sich vornehmlich als positive Förderpflichten vorzustellen. 42 Siehe im einzelnen Nehls, Treuepflicht, 7 ff. 43 Sonntag, Die Aktiengesellschaften im Kampfe zwischen Macht und Recht, Berlin 1918, S. 13 ff.; Filblinger, Die Schranken der Mehrheitsherrschaft im Aktienrecht und Konzernrecht, Berlin 1942, S. 13 ff., 21 ff.; Müller-Erzbach, Die Entartung des deutschen Aktienwesens seit der Inflationszeit, Tübingen 1926; zu den Mißständen in der Kontrolle der Aktiengesellschaften Gottschalk, Die Lehren aus den Aktienskandalen der Nachkriegszeit, Frankfurt 1934, S. 27 ff. 44 Siehe etwa das Zitat von Siebert, Anmerkung, JW 1935, S. 1553, oben Fn. 10 oder die Arbeit von Theis, Rechtsstellung, die mit einem Zitat von Herbert Meyer eingeleitet wird: "... Nicht vom subjektiven Recht geht unser Volksgeist aus, nicht vom Anspruch des Einzelnen; sondern dieser ist nur ein Ausfluß einer allgemeinen Ordnung, wie das Individuum überhaupt, auch in seiner persönlichsten Interessen, stets als Glied höherer Gemeinschaften behandelt wird."; vgl. auch Siebert, Rechtsfähigkeit, DJZ 1935, S. 713, und bzgl. der Fülle von Beiträgen zum Thema Treuepflicht im Aktienrecht die unten Fn. 50 Genannten; in rückblickender Betrachtung Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, München 1947, S. 4 ff. 45 Die ersten Entscheidungen in diese Richtung waren RGZ 146, 71 ff. (4.12.1934) und RGZ 146, 385 (22.1.1935) Einen Gesamtüberblick über die Rechtsprechung bis 1967 bietet Baltzer, Treupflicht, S. 39 ff., zur Rechtsprechung im Dritten Reich S. 71 ff. 46 RGZ 146, 385, 395; zur früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts, die sich maßgeblich auf den Begriff der Sittenwidrigkeit stützte, Fechner, Treubindungen, S. 34 ff. 47 Vgl. RGZ 158, 248, Hubmann, Treuegedanke, S. 144 Fn. 24. 48 RGZ 132, 149, 163.

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD "Aus der Befugnis, im Wege des Mehrheitsbeschlusses zugleich auch für die Minderheit zu beschließen und damit mittelbar über deren in der Gesellschaft gebundene Vermögensinteressen zu verfügen, ergibt sich ohne weiteres die gesellschaftliche Pflicht der Mehrheit, im Rahmen des Gesamtinteresses auch den berechtigten Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen und deren Rechte nicht über Gebühr zu verkürzen. "49

Obwohl die aktienrechtliche Treuepflicht somit bald zum gesicherten Allgemeingut der Rechtswissenschaft zu gehören schien50 , spielte sie in der Nachkriegsliteratur schon bald so gut wie keine Rolle51 . Zwar setzte der BGH ihre Existenz offenbar auch im Verhältnis der Aktionäre untereinander 1954 obiter in einer GmbH-rechtlichen Entscheidung noch als selbstverständlich voraus 52 . In der Literatur breitete sich aber alsbald die Meinung aus, für besondere Treubindung sei in der typischerweise kapitalistisch geprägten Aktiengesellschaft kein Platz53.

49 RGZ 132, 149, 163.

50 Vgl. Bergmann, Machtstellungen, ZHR 105, 1938, S. I, 10 ff.; Brennich, Mangelhafte Hauptversammlungsbeschlüsse bei Aktiengesellschaften nach neuem Aktienrecht, Würzburg 1939, S. 103 f.; Dorpalen, Treupflicht, ZHR 102, 1936, S. 20, 19 ff.; Klausing, Treuepflicht des Aktionärs, in: Beiträge zum Recht des neuen Deutschland. FS für Franz Schlegelberger, Berlin 1936, S. 405; Fechner, Treubindungen, S. 33 ff.; Siebert, Anmerkung, JW 1935, S. 1553; Siebert, Rechtsfahigkeit, DJZ 1935, S. 713; Theis, Rechtsstellung, S. 121 ff.; zuvor schon Wieland, Handelsrecht, Zweiter Band: Die Kapitalgesellschaften, München 1931; einen Abriß über die Entwicklung gibt Filblinger, Die Schranken der Mehrheitsherrschaft im Aktienrecht und Konzernrecht, Berlin 1942, S. 100 ff.; kritisch ggü. einer eigenständigen Treuepflicht neben dem Prinzip von Treu und Glauben Ritter, Gleichmäßige Behandlung der Aktionäre, JW 1934, S. 3025, 3025, 3028 f.; siehe auch die in Fn. 44 Genannten und die Nachweise bei Bueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, München 1947, in Fn. 39; zum Schweizer Recht Schaffner, Die Grenzen der Vertragsfreiheit und Treu und Glauben in den Beschlüssen der Generalversammlung, Bern 1940, S. 101 ff. und Beer, Minderheitenschutz, S. 13 ff. 51 Beachte aber Bubmann, Treuegedanke; Löhlein, Treupflicht des Aktionärs?, JR, 1950, S. 497; und als Reaktion auf den unten erwähnten neuen Ansatz Huecks Gierke, von, Besprechung von A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, ZHR 11 (1948), 190; Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 311 ff. zeigt bereits eine deutlich kritische Haltung gegenüber der gefühlsjuristischen Annahme einer Treuepflicht insbesondere in der Aktiengesellschaft. 52 BGHZ 14, 25, 38; schon BGHZ 18, 350, 365 verneint aber im Verhältnis der Aktionäre zueinander jegliche Rechtsbeziehungen persönlicher Art, was als Ablehnung einer Treuepflicht in diesem Verhältnis gewertet wurde; zur Nachkriegsrechtsprechung insgesamt vgl. Baltzer, Treupflicht, S. 105 ff. 53 Vgl. die Nachweise bei Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 151, Fn. 4.

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Der Grund für diese Entwicklung lag vornehmlich darin, daß nach dem Krieg insbesondere Hueck54 und Fischer55 eine Begründung der Treuepflicht nicht in der Struktur der Mitgliedschaft selbst, sondern eine Ebene darüber in dem besonderen Vertrauensverhältnis der Gesellschafter suchten56 . Ein solch enges, "vom gegenseitigen Vertrauen getragenes Gemeinschaftsverhältnis"57 findet sich zunächst in den eher überschaubaren Personengesellschaften und den in ihrer Realstruktur oft vergleichbaren GmbH58. Auf diese wurde dann der Gedanke auch bald übertragen59 , während eine Anerkennung der Treuepflicht unter Aktionären mit Hinweis auf die typische Anonymität in der Aktiengesellschaft60 , auf die fehlende Notwendigkeit eines solchen Rechtsinstituts61 oder ganz ohne Begründung62 lange Zeit abgelehnt wurde.

54 Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, München 1947, (hierzu ablehnend Gierke, von, Besprechung von A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, ZHR 11 (1948), 190,) und bereits früher Hueck, Der Treuegedanke im Recht der offenen Handelsgesellschaft, in FS für RudolfHübner, 1935, S. 72. 55 Fischer in Staub - Groß kommentar zum HGB, 3. Autl. 1973; Anm. 31 a zu § 105. 56 In dieselbe Richtung geht der Ansatz von Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, Tübingen, 1950, der dementsprechend die Ausdehnung von Treuepflichten auf die Aktiengesellschaft strikt ablehnt, vgl. S. 63 f. 57 Fischer in Staub - Großkommentar zum HGB, 3. Autl. 1973; Anm. 31 a zu § 105. 58 Zur Bedeutung des personalistischen Ansatzes für die Anerkennung der Treuepflicht in der GmbH siehe die Literaturnachweise bei Ernstberger, Die Grenzen der Mehrheitsherrschaft in der Aktiengesellschaft, Diss., Regensburg, 1986, S. 154. 59 So betont BGHZ 9, 163, daß die Verhältnisse in der GmbH auch persönlicher Art und nicht rein kapitalistisch seien. Die endgültige Anerkennung erfolgte 1975 mit der ITT-Entscheidung, BGHZ 65,15; hierzu Wiedemann, Die Bedeutung der ITT-Entscheidung, JZ, 1976, S. 392; zum Ganzen erschöpfend Winter, Treubindungen. 60 Baumbach I Hueck I Hueck, Aktiengesetz, 11 vor § 54; von Godin I Wilhelmi, Aktiengesetz, 2. Autl. Berlin 1950, Anm. 2 zu § 1; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, Tübingen, 1950, S. 63 f.; Bungeroth in Geßler I Hefermehl I Eckardt I Kropf!, Aktiengesetz, 23 vor § 53 a, der in Ausnahmefällen eine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft aber anerkennen will, ablehnend auch der BGH in der AUDI/NSU - Entscheidung, JZ 1976, 561, 562; siehe auch die in Fn. 41 Genannten; Hueck selbst hat dabei zunächst die starke Betonung des Treuegedankens im Aktienrecht in den dreißiger Jahren begrüßt, Hueck, Der Treuegedanke im Recht der offenen Handelsgesellschaft, in FS für Rudolf Hübner, 1935, S. 72, S. 73; allerdings sei diese erheblich schwächer und nur auf das Verhältnis Aktionär - Körperschaft beschränkt. Auch später erkannte er Begrenzungen bei der Ausübung von Gesellschafterrechten durchaus an, faßte sie allerdings nicht als Ausprägung einer Treuepflicht auf, vgl. Hueck, Inwieweit besteht eine gesellschftsrechtliche Pflicht des

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Nach und nach zeigte sich aber, daß das persönliche Vertrauen der Gesellschafter keine genügend breite Basis für die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht darstellte 63 . Einen neuen Ansatzpunkt suchte einerseits Lutter in dem allen privatrechtlichen Verbänden zugrundeliegenden Zusammenschluß zur gemeinsamen Zweckförderung und der daraus resultierenden Pflicht zur gemeinsamen Zweckförderung64 . Zum anderen kam nicht zuletzt durch die Beiträge von Mestmäcker und Zöllner65 der Gedanke des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung zum Tragen, wie ihn schon das Reichsgericht formuliert hatte66.

Gesellschafters zur Zustimmung zu Gesellschafterbeschlüssen ? in ZGR 1972, S. 237, 250 f. 61 von Godin / Wilhelmi / Wilhelmi, Aktiengesetz, Rn. 5 zu § 1; Meyer-Landrut in Großkommentar, 3. Auflage, Anrn. 34 zu § 1 (anders jetzt Brändel in der 4. Auflage, 30, Rn. 84 ff. zu § 1); Hefermehl in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, 18 ff. vor § 53 a; Würdinger, Aktienrecht, 1. Aufl., Karlsruhe 1959, § 9 ill. 2., S. 45 sieht hinter dem Begriff Treuepflicht das Problem des Machtmißbrauchs verborgen, das er - nicht anders als in der übrigen Rechtsordnung - durch das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung gelöst sieht; der alten Lehre noch verhaftet Teichmann / Koehler, Aktiengesetz, 3. Aufl. 1950, Anrn. 5 b zu § 48. 62 Geßler, Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl., Frankfurt, Januar 1970, Rn. 1 zu § 54; Hueck, Inwieweit besteht eine gesellschftsrechtliche Pflicht des Gesellschafters zur Zustimmung zu Gesellschafterbeschlüssen ? in ZGR 1972, S. 237,250, allerdings mit Hinweis auf eine nähere Begründung an anderer Stelle. 63 Z.B. läßt sich die Treuepflicht des Kommanditisten oder des weder geschäftsführungs- noch vertretungsbefugten oHG-Geselischafters nicht auf sie gründen, vgl. Hubmann, Treuegedanke, S.130. 64 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 106 ff.; zu dem Problem, daß mit dieser auf das Verbandsinteresse gerichteten Verhaltenspflicht ein hiervon unabhängiger Schutz der Interessen der Mitgesellschafter noch nicht erklärbar ist, siehe Reul, Gleichbehandlung, S. 256; für eine in allen Verbänden einheitliche Anknüpfung der Inhaltsbestimmung bereits Küster, Inhalt und Grenzen, S. 89, dagegen Fischer, Die Grenzen bei der Ausübung gesellschaftlicher Mitgliedschaftsrechte, NJW 1954, S. 777. 65 Mestmäcker, Konzemgewalt, S. 342 ff.; Zöllner, Schranken, Gedanken zu einer inhaltlichen Schrankenbestimmung für die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten fmden sich in der Nachkriegsliteratur bereits bei Küster, Inhalt und Grenzen, der statt der Treuepflicht die objektive Eignung zur Förderung des Gesellschaftszwecks als Anknüpfungspunkt wählte (S. 89), und hierauf bezogen bei Fischer, Die Grenzen bei der Ausübung gesellschaftlicher Mitgliedschaftsrechte, NJW 1954, S. 777, der im Gegensatz hierzu einen einheitlichen Anknüpfungspunkt für alle Verbände ablehnt. 66 RGZ 132, 149, 163 "Victoria", vgl. oben im Wortlaut.

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Mit den derart formulierten Förder- und Rücksichtspflichten als Grundlage war der Weg frei für eine Anerkennung der Treuepflicht auch unter Aktionären 67 . 1988 folgte der BGH in der mittlerweile schon zu den Klassikern des Gesellschaftsrechts zählenden "Linotype" -Entscheidung68 dieser Strömung, ohne allerdings auf die persönliche Verbundenheit als Reservebegründung zu verzichten69 . Angesichts der nahezu einhelligen Zustimmung in der Literatur70 kann wohl mit Recht behauptet werden, daß die Treuepflicht als das die Binnenordnung aller Verbände beherrschende Grundprinzip heute anerkannt ist7 1.

67 Ausweichend noch Mestmäcker, Konzerngewalt,S. 350 und Zöllner, Schranken, S. 337, sowie betreffend die Abgrenzung zu Treu und Glauben, ders. in Kölner Kommentar, Rn. 195 zu § 243; eine Treuepflicht bejahend: Fehrensen, Die Treuepflicht des Großaktionärs, Diss., Göttingen, 1965, S. 119 ff.; Baltzer, Treupflicht; Wiedemann, Unternehmerische Verantwortlichkeit und formale Unternehmensziele in einer zukünftigen Unternehmensverfassung, in FS Barz, Berlin 1974, S. 561, 568 ff.; Lutter, Zur Treuepflicht des Großaktionärs, JZ 1976, S. 225,230 ff.; Lutter, Anmerkung zu BGH JZ 1976, S. 561 (Audi/NSU), JZ 1976, S. 562. 68 BGHZ 103, 184; der BGH gab damit seine noch in der AUDUNSU - Entscheidung, JZ 1976, 561 vertretene generell ablehnende Position ausdrücklich auf, BGHZ 103, 184, 194 f. 69 BGHZ 103, 184, 195. 70 Assmann in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 261, 458; Bommert, Anmerkung zu BGHZ 103, 184, (Linotype), JR 1988, S. 509; Brändei in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 30, 84 ff.; Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 153; Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, 334 ff.; unter Vorbehalt Hueck, Gesellschaftsrecht, S.262 ff.; Hüffer, Generalklausel, 62 ff.; Kort, Treuepflicht, ZIP 1990, S. 294; Kübler, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Heidelberg 1990, § 15 11.3. c), S. 172 f., der die Treuepflicht allerdings als Ausnahme versteht, die nur den Mehrheitsaktionär betrifft; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446; Lutter, Die Fortentwicklung des Aktienrechts durch die Rechtsprechung, in Lutter, Marcus (Hrsg.), 25 Jahre Aktiengesetz: ein Symposium der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. am 30.10.1990 in Bonn, Düsseldorf 1991; Nehls, Treuepflicht, S. 28 ff.; Paschke, Treupflichten; Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, § 12 Rn. 34 ff.; Reul, Gleichbehandlung; Säcker, Unternehmensgegenstand und Unternehmensinteresse, in FS für Rudolf Lukes, 1989 S. 547, 553; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S.449, 484 ff., 671 ff.; Timm, Anmerkung zu BGHZ 103, 184 (Linotype), NJW 1988, S. 1582; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 482 f.; Werner, Treupflicht des Kleinaktionärs, 423 ff.; Wiedemann, Anmerkung, JZ 1989, S. 447; Wiedemann, Treuepflichten, 960 ff. Ablehnend nur noch Martens, Treupflicht; Meyer-Landrut, Mehrheitsherrschaft und Treuepflicht im Aktienrecht, in FS für Josef Maria Häußling, Ot7 Guntz

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Auch der BGH hat in mehreren Entscheidungen seine neue Linie bestätigt, so durch ein obiter dictum in der Kochs-Adler-Entscheidung72 sowie im IBH/Scheikh Kamel - Fali73 , in dem er klarstellte, daß durch die Treuepflicht des Aktionärs nur der mitgliedschaftliche Bereich der Mitaktionäre geschützt sei, nicht deren außergesellschaftlichen Interessen74 . Die ausführlichste Auseinandersetzung mit dem Thema findet sich nunmehr in der unten75 im einzelnen dargestellten Girmes-Entscheidung76 , in der der BGH erstmals eine Treuepflicht des Minderheitsaktionärs gegenüber seinen Mitaktionären sowie eine Schadensersatzhaftung aufgrund treuwidriger Ausübung des Stimmrechts anerkannte. 11. Die Treuepflicht aus heutiger Sicht

1. Anknüpfungspunkte

Zwei Säulen sind es somit, die die Treuepflicht im Aktienrecht nach heutigem Verständnis tragen, die Idee der gemeinsamen Zweckförderung zum einen und die der Begrenzung von gesellschaftsintern vermittelten Machtpositionen zum anderen. Der dritte Ansatz, das auch in der Aktiengesellschaft denkbare persönliche Vertrauensverhältnis der Gesellschafter, wie es der BGH - wohl im Bestreben, terbach 1990, S. 249 ff.; Reuter in Münchener Kommentar, Rn. 18, 20 zu § 34, allerdings mit der falschen Vorstellung, daß die Treuepflicht der Aktionäre untereinander die "Förderung" der Mitaktionäre verlange. 71 Dies hatte schon 1980 Lutter so proklamiert, Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, S. 108. 72 BGHZ 107, 296, 311: der BGH bezieht sich zwar auf das Vorliegen einer Treuepflicht zwischen Aktionären, meint bei der Lösung des Falles aber auf diese verzichten zu können; siehe hierzu ausführlicher unten § 19 IV.; zur Kritik § 20 I. 2.,

11.

73 BGH AG 1993,28 = ZIP 1992, 1464, 1470 f.; 74 BGH AG 1993, 28, 31 ff. 75 Sachverhalt siehe unten § 9 11. 2.; zur Treuepflicht des Minderheitsaktionärs siehe unten § 9 m., IV., V.; zur Stimmrechtsbündelung siehe unten § 9 V. 1. e); zur Problematik der Stimmrechtsbegrenzung als positiver Förderpflicht siehe unten § 9 V. 1. e) und § 9 V. 5. b) dd); zur Schadensersatzhaftung bei Ausübung des Stimmrechts siehe unten § 7 I. 2. b) ce), § 811. 2. a) bb), § 8 m. 1.; zur Problematik der Geltendmachung von Reflexschäden siehe unten § 8 m. 4.; zur Ausübung des Auskunftsrechts und des Rederechts in der Hauptversammlung siehe unten § 9 V. 1. c) bzw. d); zur Haftung des Stimmrechtsvertreters siehe unten § 9 V. 1. c). 76 BGH, ZIP 1995, S. 819 ff.

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Kontinuität mit früheren Begründungen zu demonstrieren77 - zur zusätzlichen Begründung herangezogen hat, scheint dagegen überholt. Er wird, auch als Hilfsbegründung, seiner mehr irritierenden denn weiterhelfenden Wirkung wegen zu Recht überwiegend abgelehnt78 . Die reale Ausgestaltung des Verhältnisses der Gesellschafter spielt damit eine Rolle erst bei der Frage nach dem Umfang der Treuepflicht79 .

2. Rechtliche Einordnung Untersucht man die beiden oben genannten Anknüpfungspunkte näher, zeigt sich, daß beide in der Mitgliedschaft selbst wurzeln. a) Zweckförderungspflicht Es bedarf nicht erst einer ausdrücklichen Regelung wie § 705 BGB, um dem grundlegenden Gedanken der Zweckförderungspflicht zur Wirkung zu verhelfen. Diese stellt vielmehr die Basis aller Verbände dar80 : In solchen schließen sich Individuen nur deswegen zusammen, weil sie gemeinsam ein Ziel anstreben, dessen Erreichung ihnen allein unmöglich wäre, sei es aus Mangel an Kapital, Arbeitskraft oder Zeit oder wegen des Unvermögens, das Risiko des Fehlschlagens allein zu tragen81 . Sind die einzelnen Individuen aber zur Zweckerreichung aufeinander angewiesen, so muß sich für sie notwendig die Pflicht ergeben, im Rahmen Wiedemann, Anmerkung, IZ 1989, S. 447, S. 448. 78 Wiedemann, Anmerkung, JZ 1989, S. 447, S.448; Timm, Anmerkung zu BGHZ 103, 184 (Linotype), NJW 1988, S. 1582, S. 1583; Bommen, Anmerkung zu BGHZ 103, 184, (Linotype), IR 1988, S. 509, S.509; am ausführlichsten Reut, Gleichbehandlung, S. 258; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, S. 482 f.; Kort, Treuepflicht, ZIP 1990, S. 294, S.295 f. beruft sich mit Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 481 auch auf das mitgliedschaftliche Gemeinschaftsverhältnis; allein Friedewald, Die personalistische Aktiengesellschaft, Köln 1991, S. 131 sieht die Treuepflicht des Aktionärs als Ausnahmefall, der durch die im Einzelfall personalistische Struktur einer Aktiengesellschaft bedingt ist. 79 Siehe unten § 7 11. 80 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 102 f.; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 454; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 49 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 8 ff.; Nehls, Treuepflicht, S. 49 scheint von einer unmittelbaren Geltung des § 705 BGB auch im Aktienrecht auzuehen. 81 Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 30 ff.; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, weist darauf hin, daß das Recht die privaten Verbände auch nur um ihres Verbandszwecks willen anerkennt, S. 52, 54 ff. 77

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ihrer Leistungsfähigkeit und gemäß der Vereinbarung beim Zusammenschluß zur Förderung des gemeinsamen Zwecks beizutragen82 . Soll dessen Erreichung nicht von vornherein ausgeschlossen sein, muß als Mindestes gefordert werden, daß der einzelne die gemeinsame Sache nicht um eines abweichenden persönlichen Vorteils willen mißbraucht83 . Kehrseite der Förderpflicht ist damit das Schädigungsverbot84 . Beide müssen nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart werden, sondern sind einer jeglichen Mitgliedschaft in einem Verband immanent, ja sogar deren Wesensmerkmal, denn die Mitgliedschaft beruht gerade auf dem Miteinander der Mitglieder85 . Im Gegensatz hierzu steht das Gegeneinander im typischen gegenseitigen Vertrag. Die Vertragspartner können ihren Erfolg dadurch maximieren, daß sie in den Verhandlungen der anderen Seite möglichst viel abringen. Dieses hier somit sinnvolle Verhalten läßt sich angesichts der gegenseitigen Angewiesenheit im Verband nicht auf die Mitgliedschaft übertragen. Hier kann die Verwirklichung momentaner Vorteile durch den einzelnen den angestrebten gemeinsamen Zweck in Gefahr bringen. Hinzu kommt, daß der Zusammenschluß zur gemeinsamen Zweckförderung ein notwendig offenes Rechtsverhältnis ist, bei dem unmöglich alle auf dem Weg zur Zweckerreichung auftauchenden, zunächst oftmals noch nicht bekannten Fragen zu Beginn geregelt werden können86 . Deren rechtlich verbindliche Beantwortung kann nur im Rahmen einer auf dem Prinzip des "Miteinander" aufbauenden Organisation erfolgen87 . Zweckförderung und Unterlassen von Schädigung der Gemeinschaft erscheinen damit angesichts der Struktur des Verbandes sogar als ökonomisch vernünftige Verhaltensweise des einzelnen, so daß eine rechtliche Verpflichtung hierzu überflüssig erscheinen mag. Eine solche Sichtweise würde aber vernachlässigen, daß für den einzelnen sehr wohl ein Anreiz dafür bestehen kann, das persönliche Interesse statt des gemeinschaftlichen zur Handlungsmaxime zu machen. Dies ist der Fall, sobald seine hierdurch momentan erzielbaren Vorteile seinen Anteil am Verlust, der durch die langfristige Vereitelung oder Beeinträchtigung des gemeinsamen Zwecks eintritt, übersteigen.

82 Becker, Ausschluß, ZGR 1986, S. 383, S. 398. 83 Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 314. 84 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 109 ordnet diese Unterlassungspflichten unter den Begriff "passive Förderpflicht" ein. 85 Zöllner, Schranken, S. 318. 86 Vgl. das originelle Ballonfahrtbeispiel von Lutter Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84,92. 87 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 91 ff.

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Diese Gefahr macht eine rechtliche Pflicht zur Zweckförderung notwendig. Diese ist als Funktionsvoraussetzung jedes Gesellschaftsverhältnisses daher mit der Mitgliedschaft untrennbar verbunden88 . b) Machtbegrenzung Weniger klar scheint der Bezug zur Mitgliedschaft bei der als Korrelat zur Macht in der Gesellschaft bestehenden Rücksichtspflicht. Wieder hilft ein Blick auf die Funktionsweise gemeinschaftlicher Zweckerreichung. Während bei personell kleinen Gesellschaften der Konsens der Gesellschafter noch als Modus zur Entscheidungsfindung möglich erscheint, ist ab einer gewissen Mitgliederzahl die Gefahr zu groß, daß ein einzelner Gesellschafter sein Vetorecht zur Erpressung gemeinschaftswiriger Sondervorteile einsetzt. Zur Verhinderung einer solchen gemeinschaftsschädlichen Obstruktionspolitik sowie aus Gründen der Praktikabilität einer Entscheidungsfindung wurde insbesondere in der auf viele Mitglieder ausgelegten Aktiengesellschaft die Mehrheitsentscheidung als Modus zur Entscheidungsfindung vorgesehen89 . Folge hiervon ist allerdings, daß mit 50,1 % des Kapitals bzw. der entsprechend höheren Quote bei qualifizierten Stimmerfordemissen die Macht verbunden ist, für die Gemeinschaft verbindliche Entscheidungen zu treffen. Diese im Interesse der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft notwendige Regelung 90 impliziert, daß sich ein großer Teil der Mitglieder in die Abhängigkeit von der jeweiligen Stimmenmehrheit begibt, der dadurch die verantwortliche Aufgabe zukommt, für alle überstimmten Mitglieder mitzuentscheiden91 .

88 Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 102 f.; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 452; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 173; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481,482; Zur Bedeutung der Verpflichtung auf den Gesellschaftszweck für die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten Küster, Inhalt und Grenzen, S. 89, als zu weitgehend von Zöllner, Schranken, S. 320 abgelehnt. 89 Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 39 f. 90 Zur generellen Notwendigkeit einer Machtverteilung im für die zukünftigen Entwicklung offenen Verband Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 36 ff. 91 Auch Timm sieht in der Notwendigkeit einer Kontrolle der dem Mitaktionär eingeräumten Einwirkungsbefugnisse den tragenden Rechtsgrund für die Treuepflicht, vgl. Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, S. 482; derselbe Gedanke wird bereits vom Reichsgericht ausgedrückt: "Aus der Befugnis, im Wege des Mehrheitsbeschlusses zugleich auch für die Minderheit zu beschließen und damit mittelbar über deren in

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Dies ist selbst bei Verwirklichung des gesetzgeberischen Idealbildes, das von je nach Entscheidung wechselnden Mehrheiten in der Hauptversammlung ausgeht92 mit der Konsequenz, daß jeder der Aktionäre irgendwann einmal auch selbst Teil der entscheidenden Mehrheit wäre93 , der Fall. Gerade wenn aber, wie es meist die Praxis ist, dieselben Aktionäre immer wieder die Mehrheit bilden, ist deren Verpflichtung für das Gemeinschaftsinteresse besonders hoch. Die Notwendigkeit, auch große Gesellschaften funktionsfähig zu machen, führte neben der Verlagerung der Stimmacht in die Hände der Hauptversammlungsmehrheit auch zu anderen Machtübertragungen auf einzelne Aktionäre oder Aktionärsgruppen, die einen bestimmten Kapitalanteil repräsentieren. Zu denken ist etwa an die diesen gewährten Kontroll- und Klagerechte, mittels derer die notwendige Rechtmäßigkeitskontrolle des Gesellschaftshandelns sichergestellt werden soll. Während im Bereich der Zweckförderungspflicht in ökonomischer Sicht ein Streben nach dem Gemeininteresse oft noch sinnvoll ist, so ändert sich die Situation dann, wenn 50,1 % der Anteile zwar die volle Entscheidungsmacht, aber nur die Hälfte des für die Gemeinschaft erzielten Gewinns sichern. Eine eigennützige Entscheidung wird bei Innehabung der Leitungsmacht daher in den meisten Fällen wirtschaftlich sinnvoller sein als eine gemeinnützige. Dies gilt natürlich umso stärker, je kleiner der Kapitalanteil ist, an den das Aktienrecht oder die Satzung Entscheidungsmacht knüpft. Die Notwendigkeit der Begrenzung von Einfluß94 wird umso offensichtlicher, verdeutlicht man sich, daß dieser Einfluß erst durch die Stellung als Aktionär vermittelt wird95. Nur weil anders der Verband nicht funktionsder Gesellschaft gebundene Vermögens rechte zu verfügen, ergibt sich ohne weiteres die gesellschaftliche Pflicht der Mehrheit, im Rahmen des Gesamtinteresses auch den berechtigten Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen und deren Rechte nicht über Gebühr zu verkürzen." RGZ 132, 149, 163 (Victoria). 92 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 408; zur Stellung des Aktionärs in der Wirklichkeit der Aktiengesellschaft Deuss, Das Auskunftsrecht des Aktionärs, 1962, S. 149 ff. 93 Flume, Allgemeiner Teil, § 7 11. geht in diesem Fall von einer zweifelhaften automatischen Richtigkeitsgewähr der getroffenen Beschlüsse aus. 94 Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 155 weist unter Anführung von Beispielen darauf hin, daß das Aktiengesetz selbst in zahlreichen Vorschriften davon ausgeht, daß ein gesteigerter Einfluß eine gesteigerte Pflichtenbindung und Ausübungskontrolle begründet; zu den gesetzlich geregelten Erscheinungsformen der Treuepflicht noch unten § 7 I. 2. a). 95 Zur Notwendigkeit der Begrenzung von Einfluß in der GmbH siehe BGHZ 65, 15, 19.

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fähig ist, wird diesem, sei es als Inhaber der Kapitalmehrheit oder in anderer Funktion, eine Verfügungsbefugnis über die gesamte Gemeinschaft eingeräumt96 • Wenn aber schon das allgemeine Verhalten der Gesellschafter durch die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinschaftszweck bestimmt wird97 , so muß das erst recht für das Handeln in Ausübung von Gesellschafterrechten gelten. Diese Rechte, die erst aus dem Gesellschaftsverhältnis selbst entspringen, stehen damit von vornherein unter dem Vorbehalt ihrer gemeinschaftskonformen Ausübung 98 . Der Grundsatz der Gemeinverantwortung ist damit allen Rechten immanent, die aus der Mitgliedschaft folgen; denn nur im Interesse der Funktionsfähigkeit des Ganzen, nicht aber zur Befriedigung ihrer Partikularinteressen, gewährt das Aktienrecht einzelnen Mitgliedern die Befugnis, auch über die Interessen der anderen mitzuentscheiden99 . c) Zusammenfassung beider Pflichten in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Sowohl Zweckförderungspflicht als auch Rücksichtspflicht sind damit Beschränkungen, die mit der Begründung der Mitgliedschaft wesensnotwendig verbunden sind. Gemeinsam bilden sie die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die ihre Wirkung in drei Dimensionen entfaltet. aa) Gesellschafterrechte und Vorbehalt der gemeinverantwortlichen Ausübung Auf der ersten Ebene, oben als Rücksichtspflicht erörtert, geht es um die Ausübung von Gesellschafterrechten. Diese stehen, da selbst erst aus der Mitgliedschaft hergeleitet, unter dem Vorbehalt der Beachtung des Gesamtinteresses und der Rechte der betroffenen anderen Mitglieder. Die vom Verband übertragene Macht darf demnach nur im Sinne des Verbandszwecks ausgeübt werden.

96 Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 39 f. 97 Siehe oben a) Zweckförderungspflicht. 98 So auch Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 153. 99 Deswegen mißt bereits Küster, Inhalt und Grenzen, S. 89 Inhalt und Schranken von Mitgliedschaftsrechten an der objektiven Eignung ihrer jeweiligen Ausübung zur Erreichung des Gesellschaftszwecks.

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Dies gilt prinzipiell auch für die sogenannten eigennützigen (Vennögens-) Rechte HlO • Deren in Anlehnung an das Personengesellschaftsrecht teilweise vorgenommene Unterscheidung 10 I von den gemeinnützigen oder gesellschaftsbezogenen (Mitverwaltungs-) Rechten 102 besagt nicht, daß ihre Ausübung keinerlei Schranken unterliegt, sondern ist nur von Bedeutung für die Intensität dieser Schranken und den Maßstab, an dem das Verhalten zu messen ist l03 . bb) Verbot der Gefährdung des Gemeinschaftszwecks durch privates Handeln Auf der zweiten Ebene erstreckt die Treuepflicht ihren Anwendungsbereich über den mitgliedschaftlich vermittelten Einfluß hinaus auf das private Handeln der im Verband Zusammengeschlossenen. Hat eine private Handlung derart starke Auswirkungen auf die Gemeinschaft, daß es die Erreichung des gemeinsamen Zwecks in Gefahr setzt, erschwert oder beeinträchtigt, verlangt die Treuepflicht im Gemeinschaftsinteresse deren Unterlassung 104. Die Treuepflicht beinhaltet damit auf der zweiten Ebene ein Verbot der Zweckvereitelung oder allgemeiner ein Schädigungsverbot des Mitglieds gegenüber der gemeinsamen Sache. cc) Gebot der positiven Zweckförderung Die dritte Ebene schließlich stellt mit dem Gebot der Zweckförderung die positive Kehrseite der zweiten dar. Sie beinhaltet damit die Grundidee jeder Gesellschaft: den arbeitsteiligen Zusammenschluß zur Erreichung eines größeren Zieles 105 .

100 Bzgl. Beispielen siehe unten § 7 1. 2. a) bb). 101 Büffer, Aktiengesetz, Rn. 16 zu § 53 a; Büffer, Generalklausel, 69; MarschBarner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 175; gegen eine Differenzierung Nehls, Treuepflicht, S. 79 f. 102 Bzgl. Beispielen siehe unten § 7 1. 2. a) bb). 103 Siehe genauer unten § 7 1. 2. a) bb) und 11.

104 Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 314; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180,1980, S. 84,110. 105 Der im Sinne einer Arbeitsteilung vom einzelnen erwartete Beitrag muß nicht einen Beitrag zur Führung der Geschäfte beinhalten. In der Aktiengesellschaft erschöpft er sich im wesentlichen in der Kapitalhingabe, vgl. hierzu Lutter in Kölner Kommentar, Rn. 2 zu § 54.

§ 6 Dogmatische Begründung

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Dabei wird das Zweckförderungsgebot meist nur als Leitmaxime bei der Konkretisierung von gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Verhaltensanforderungen dienen. Bei der Entwicklung nicht geregelter Pflichten ist jedoch Vorsicht geboten. Die Treuepflicht darf nicht zur Black Box werden, aus der beliebig neue Verhaltenspflichten der Mitglieder gezaubert werden lO6 . d) Konsequenzen im Aktienrecht Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht leitet sich, wie gezeigt, direkt aus der Mitgliedschaft ab. Als wesentliche Funktionsvoraussetzung des Verbandes ist sie jedem mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnis immanent. Zu ihrer Begründung bedarf es folglich keiner weiteren Hilfskonstruktionen, auf welche in der Vergangenheit etwa in Form einer schuldrechtlichen 107 oder organisationsrechtlichen 108 Sonderverbindung der Aktionäre zur Gesellschaft, eines besonderen persönlichen Vertrauensverhältnisses 109 der Aktionär untereinander, eines eigenen TreuhandverhältnissesIlO, einer Verantwortungsstellung für die Personen im Unternehmen 111 oder gar für die gesamte Volksgemeinschaft 112 zurückgegriffen wurde. Die Besonderheiten des Aktienrechts sind zwar zu beachten, sie sind aber nicht für die Frage nach der Existenz, sondern nur für diejenige nach dem Umfang der Treuepflicht bedeutsam l13 und sollen daher in diesem Zusammenhang näher untersucht werden l14 .

106 Zur Auswirkung etwa der Begrenzung der Einlagepflicht durch den Nennbetrag der Aktien gemäß § 54 Abs. 1 siehe unten § 7 I. 2. c). 107 Fillmann, Treuepflichten, S. 70; Nehls, Treuepflicht, S. 50, 53 ff. 108 Zur Satzung als Organisationsvertrag Würdinger, Aktienrecht, S. 39 ff.; Winter, Treubindungen, S. 82 f.; für die GmbH Ulmer, Begründung von Rechten für Dritte in der Satzung einer GmbH, in FS Wemer, Berlin 1984, S. 912,913. 109 Hueck, Der Treuegedanke im Recht der offenen Handelsgesellschaft, in FS für Rudolf Hübner, 1935, S. 72, S.73, Klausing, Treuepflicht des Aktionärs, in: Beiträge zum Recht des neuen Deutschland. FS für Franz Schlegelberger, Berlin 1936, S. 405 und 133 ff., Siebert, Rechtsfähigkeit, DJZ 1935, S. 713, S. 720 ff. 110 Dorpalen, Treupflicht, ZHR 102, 1936, S. 20, S. 19 ff. 111 Fechner, Treubindungen, S. 75. 112 Bergmann, Machtstellungen, ZHR 105, 1938, S. 1, S. 10 f. 113 So auch die in Durchsetzung begriffene Meinung vgl. Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 452; Schmutt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 484; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, S. 483; Werner, Treupflicht des Kleinaktionärs, 423; noch nicht nach Existenz und Umfang unterscheidend Fillmann, Treuepflichten, S. 55 ff.; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 173 ff.

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Die Herleitung der Treuepflicht aus der Mitgliedschaft macht des weiteren eine unterschiedliche Begründung für das Verhältnis Aktionär - Gesellschaft einerseits und die Beziehung der Aktionäre untereinander andererseits überflüssig 115. Die Mitgliedschaft des einzelnen Individuums bewirkt ja zweierlei: einmal die Verbindung mit den anderen Mitgliedern in der gemeinsamen Zweckverfolgung, zum anderen die Konstitution des Verbandes selbst als Rechtsindividuum. Der Verband ist in diesem Sinne das institutionalisierte Gemeininteresse der Mitglieder 116 . Wurzelt die Treuepflicht aber in jener Mitgliedschaft, so muß auch sie gleichermaßen im Verhältnis zu den anderen Mitgliedern wie im Bezug auf das gemeinsame Ganze gelten.

3. Schutzrichtung der Treuepflicht Daß damit der Treuepflicht in beiden Verhältnissen eine einheitliche dogmatische Konstruktion zugrundeliegt, sagt noch nichts über ihre Schutzrichtung. Diese läßt sich wiederum aus dem Sinn des Zusammenschlusses ableiten. Wenn die Treuepflicht die gemeinsame Zweckerreichung gewährleisten soll und die Gesellschaft die Verkörperung dieses gemeinschaftlichen Interesses darstellt, so ist die Treuepflicht vornehmlich auf deren Florieren gerichtet. Die Interessen der einzelnen Mitglieder werden damit - zumindest in der zweiten und dritten Dimension - nur als Reflex insofern geschützt, als sie in der Regel mit dem der Gemeinschaft konform gehen. Diese allein und nicht seine Mitgesellschafter ist der einzelne zu fördern angehalten. 114 Siehe unten § 7 I. 115 Bezüglich der strikten Trennung dieser Gebiete in der Vergangenheit siehe die Auflistung der verschiedenen Lösungswege bei Fillmann, Treuepflichten, S. 59 ff. und Baus, Treuepflichten des Aktionärs im Gemeinschaftsunternehmen, Diss., Frankfurt, 1991, S. 30 ff; Nehls, Treuepflicht, S. 36 ff. hält praktiziert nach wie vor eine solche Trennung und bemüht sich eine zwischen den Gesellschaftern geschlossene schuldrechtliche Sonderrechtsbeziehung nachzuweisen. Flume, Allgemeiner Teil, S. 269 ff. lehnt wie hier die Unterscheidung zwischen eigenen Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft und solchen gegenüber den Mitgesellschaftern ab. Aus einer einheitlich der Mitgliedschaft entspringenden Treuepflicht leitet er auch den Schutz der Gesellschafter ab, ohne diesen gegenüber aber eine eigene Treueverpflichtung anzuerkennen. 116 Welchen Grad der Rechtsfähigkeit die Rechtsordnung diesem zugesteht, ist hier nicht von Belang, vgl. Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, S. 89 ff.

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Daß darin kein Freibrief für die Gemeinschaft liegen kann, das legitime Interesse des einzelnen im Namen der höheren gemeinsamen Sache zu verletzen, zeigt sich, betrachtet man die Treuepflicht in ihrer ersten Dimension. Auch die Ausübung von Gesellschafterrechten ist zunächst an die Interessen der Gemeinschaft gebunden, Schutzgut ist daher vornehmlich diese. Da aber die für die Erreichung des gemeinsamen Zweckes notwendige Machtverlagerung auf einzelne Mitglieder nur durch eine freiwillige Souveränitätsabgabe der anderen Mitglieder erreicht werden kann, besteht eine Pflicht, auch deren Interessen mitzuberucksichtigen l17 . Die Treuepflicht bezweckt auf dieser Ebene auch direkt den Schutz derjenigen, die sich in die Abhängigkeit der innerverbandlichen Entscheidungsträger begeben l18 . Die Gefahren lägen andernfalls auf der Hand: Die im Namen der Effizienz der Verwaltung von der Mitbestimmung Ausgeschlossenen könnten unter Hinweis auf den Gesamtnutzen auch noch von den Fruchten des Verbandshandelns ausgeschlossen werden 119 • Interessant ist, daß sich hier auch umgekehrt eine Reflexwirkung zugunsten des Verbandes ergibt. Denn nur wenn ein angemessener Schutz der Mitglieder gegenüber dem Einfluß insbesondere der Mehrheit gewährleistet ist, besteht für das Individuum ein Anreiz, in einem Verband mitzuwirken. Die Gewährleistung von Individualschutz durch die Treuepflicht sichert damit mittelbar die Versorgung der Gesellschaften mit Gesellschaftern l20 . Der Schutz durch die Treuepflicht richtet sich somit bei privaten Handlungen der Mitglieder auf den Verband als die Verkörperung des Gemeinschaftsinteresses. Soweit es um die Ausübung von verbands intern vermittelten Machtpositionen geht, sind auch die aufgrund ihrer Souveränitätsübertragung verletzlichen anderen Mitglieder unmittelbar geschützt.

117 Siehe oben § 61. 2. b), c). 118 Zu berücksichtigen sind aber nicht deren private, sondern allein deren mitgliedschaftliche Interessen, wie dasjenige an der Erhaltung des Mitgliedschaftsrechts, seines Wertes, seiner Liquidität und des mit ihm rechtlich vermittelten Einflusses, Zöllner in Kölner Kommentar, Rn. 195 zu § 243. 119 Dies wird auch teilweise in den sogenannten Freeze-Out-Fällen insbesondere des amerikanischen Rechts versucht, vgl. hierzu Seiler, Freezeout von Minderheitsaktionären. Eine Untersuchung zum Beteiligungsschutz im US-amerikanischen Recht, Diss., Köln 1990; Reinisch, Der Ausschluß von Aktionären aus der Aktiengesellschaft, Köln 1992, S. 8; auch im deutschen Recht können vergleichbare Fallgestaltungen auftauchen, siehe etwa die in der Linotype-Entscheidung, BGHZ 103, 184. 120 Reul, Gleichbehandlung, S. 258.

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4. Minderheitsaktionäre als Subjekte der Treuepflicht

Zuletzt soll noch auf den durch die Treuepflicht gebundenen Personenkreis eingegangen werden. Bis vor kurzem fanden sich Aussagen, daß eine Treuepflicht in der Aktiengesellschaft, mag man sie dort überhaupt anerkennen, allenfalls den Mehrheits- oder doch Großaktionär treffen könne l21 . Die herrschende Meinung entwickelt sich aber ähnlich wie bei der Anerkennung der Rechtsformunabhängigkeit auch in diesem Punkt inzwischen weiter l22 . Die Größe des Aktienanteils wird zu Recht nicht mehr als konstitutiv für die Begründung der Treuepflicht angesehen, sondern allenfalls als Indikator für deren Umfang l23 . Dies ist auch einleuchtend. Die Höhe der Beteiligung ist nicht ausschlaggebend für den Bestand der Mitgliedschaft; diese wird mit dem Erwerb einer einzigen Aktie erlangt. Wohl ist sie aber ausschlaggebend für die Größe des Einflusses, der in erster Linie von der Stimmacht in der Hauptversammlung abhängt. Da mit der Größe aber auch das Maß der Verantwortung wächst, trifft den Großaktionär somit meist eine intensivere Treuepflicht. Auf der zweiten und dritten Ebene wird dies ebenso deutlich. Mit der Größe der Beteiligung wird oft die Möglichkeit, die Erreichung des gemeinsamen Zwecks positiv oder negativ zu beeinflussen, wachsen. So können sich 121 Z.B. Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 35 zu § 12; Kübler, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Heidelberg 1990, § 15 H. 3. c), S. 172 f.; Hefermehl in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, 18 ff. vor § 53 a; Fehrensen, Die Treuepflicht des Großaktionärs, Diss., Göttingen, 1965, s. 80 ff.; Gerkan, Gesellschafterklage, ZGR 1988, S. 441,446 f.; Meyer-Landrut in Großkommentar, 3. Auflage, Anm. 34 zu § 1 (anders jetzt Brändel in der 4. Auflage, Rn. 86 zu § 1); vgl. auch BGHZ 103, 184, 195 (Linotype): "Es darf aber dabei nicht verkannt werden, daß die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs in der Regel nicht von der aktienrechtIichen Treuepflicht bestimmt werden (vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht aaO § 2 I 1 b)." 122 Vgl. Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, Schick, Anmerkung zu LG Düsseldorf ZIP 1991, S. 932 ff. in ZIP 1991, S. 938, Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, und Werner, Treupflicht des Kleinaktionärs, Hüf!er, Aktiengesetz, Rn. 17 zu § 53 a, Brändel in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 86 zu § 1; aus der Rechtsprechung insbesondere die Entscheidung LG Düsseldorf ZIP 1991, S. 932 ff. 123 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 486, Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, S. 157; hierzu unten § 7 H.

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etwaige negative Aussagen über die Gesellschaft, stammen sie von einem einflußreichen Großaktionär, äußerst schädlich auf die Entwicklung des Unternehmens auswirken und damit dem Schädigungsverbot unterfallen. Demselben Verhalten eines Kleinaktionärs würde dagegen nicht die gleiche Bedeutung beigemessen. Mangels Gefährdung des gemeinsamen Zwecks könnte man die Aussagen des Kleinaktionärs daher nicht als treuwidrig ansehen l24 . Da sein Stimmgewicht ebenfalls niedrig ist, besteht auch auf der ersten Ebene im Regelfall keine Notwendigkeit zur Kontrolle seines Handelns l25 . Mithin wird oft die Treuepflicht des Minderheitsaktionärs nicht jene Intensität erreichen, die eine konkrete Einschränkung seines Verhaltens bedingen würde. So verstanden läßt sich auch der Aussage des BGH zustimmen, "daß die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs in der Regel nicht von der aktienrechtlichen Treuepflicht bestimmt werden 126 " . Die Situation kann aber durchaus anders liegen. Aufgrund eines gesetzlichen oder satzungsmäßigen Minderheits- 127 oder Individualrechts 128 oder aufgrund der Bündelung von Stimmrechtsmacht 129 kann auch einem Minderheitsaktionär immenser Einfluß erwachsen. Es wäre widersinnig, wollte man hier von ihm nicht dieselbe Verantwortung verlangen wie von anderen einflußreichen Aktionären, nur weil die Höhe seiner Beteiligung gering ist l3 0. Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß grundSätzlich alle Aktionäre der Treuepflicht unterliegen, deren Umfang aber vom Maß des gesellschaftsinternen Einflusses abhängt. Für dessen Begründung bildet die Höhe der Beteiligung zwar einen wesentlichen, nicht aber den einzigen Faktor. Sie ist daher mittelbar von Einfluß auf den Umfang der Treueanforderungen im Einzel124 Vgl. Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, S. 111 f. und die ähnlichen Beispiele bei Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 485. 125 Anders aber evt. im Fall der Stimmachtsbündelung vgl. Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, und Marsch-Harner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173. 126 BGHZ 103, 185, 195. 127 Zu den mit Minderheitsbeteiligungen verbundenen Sperrmöglichkeiten siehe Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 157. 128 Siehe bzgl. des Anfechtungsrechts näher unten §§ 18 ff. 129 Siehe hierzu insbesondere Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, und Marsch-Harner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173. 130 Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, S. 156 fordert daher, die mehrheitsbezogene Treuepflicht des BGH durch eine "wirkungsbezogene" Treuepflicht zu ersetzen.

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fall 131 ; entscheidendes Kriterium für die Existenz oder Nichtexistenz der Treuepflicht selbst kann die Beteiligungsquote dagegen nicht sein. § 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

Auf dieses Ergebnis aufbauend ist weiter der Umfang der Treuepflicht des einzelnen Aktionärs zu bestimmen. Meist wird hier nur pauschal auf den Einzelfall oder die Realstruktur des Verbandes verwiesen. Der Rückzug auf dieses Schlagwort ist bequem, aber für sich allein noch nicht sachdienlich. Wer die Existenz der Treuepflicht dogmatisch begründet, ohne die sich daraus für den einzelnen ableitenden Handlungsanforderungen zu konkretisieren, gießt Wasser auf die Mühlen derer, die vor der Aufweichung des strengen aktienrechtlichen Organisationsrechts warnen 132. Bevor also die Umstände des Einzelfalles strapaziert werden, sollte erst versucht werden, anhand des gesetzten Rechts Leitlinien für den Umfang der Treuepflicht des einzelnen herauszuarbeiten. Denn die Existenz der Treuepflicht läßt sich - wie oben gezeigt - zwar rechtsformunabhängig begründen. Die spezifischen Regelungen des Aktienrechts beeinflussen dabei nur die generelle Bejahung der Existenz von Treuepflichten nicht; sie sind aber durchaus von Bedeutung für die konkrete Ausformung der Treuepflicht. Aus dem Kontext des Aktiengesetzes läßt sich gewissermaßen die für Aktionäre typische Erscheinungsform der Treuepflicht ableiten 133 . Erst auf dieser Grundlage kann dann gefragt werden, wie durch einzelfallspezifische Parameter Umfang und Ausgestaltung der Treuepflicht konkretisiert werden. I. DieBedeutung des Aktienrechtssystems für die Ausformung der Treuepflicht

1. Gesellschajtstypus und typische Treuepflicht Das Aktienrecht ist vor dem Hintergrund der großen wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Aktiengesellschaften und angesichts des gesetzlichen 131 Siehe unten § 7 11. 132 Vgl. etwa das von Martens, Treupflicht, 258 f. heraufbeschworene Szenario

und seine Warnungen vor der kaum noch beherrschbaren Suggestivkraft und rechtspolitischen Eigendynamik einer einmal etablierten Treuepflicht. 133 Kort, Treuepflicht, ZIP 1990, S. 294, 296 spricht vom Rahmen für den Umfang der Treuepflicht, der durch die Rechtsform bestimmt werde.

§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

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Leitbilds einer industriellen Publikumsgesellschaft mit wechselnden Abstimmungsmehrheiten 134 deutlich anders konzipiert als etwa das Recht der GmbH oder der Personengesellschaften. Die Meinung, daß diese Typik für die Anerkennung einer Treuepflicht im Aktienrecht keinen Raum lasse, muß wohl als überholt bezeichnet werden l35 . Die bestehenden Rechtsformunterschiede dürfen aber keinesfalls in ihrer Bedeutung für die spezifische Ausprägung der Treuepflicht in der Aktiengesellschaft unterschätzt werden. Hiervon zu trennen ist die Frage, inwieweit die Praxis dem Gesellschaftstypus entspricht, den der Gesetzgeber jeweils vor Augen hatte 136 . Abweichungen der Realstruktur vom gesetzgeberischen Modell Aktiengesellschaft, das allein hier untersucht wird, sind erst im nächsten Schritt zu beachten l37 . Dort geht es um die einzelfallspezifischen Modifikationen der für die Aktiengesellschaft typischen Treueanforderungen, wie sie hier herausgearbeitet werden sollen.

2. Besonderheiten des Aktienrechts Aufschlüsse über den spezifischen Inhalt der Treuepflicht im Aktienrecht lassen sich unter folgenden Gesichtspunkten erhalten: Wo finden sich im Aktiengesetz Normen, die auf denselben Prinzipien beruhen wie die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht? Durch welche Normen, die nicht selbst Ausdruck des Treuegedankens sind, wird einer der Schutzzwecke der Treuepflicht bereits sichergestellt, so daß ein Rückgriff auf diese Generalklausel als unnötig, wenn nicht gar unzulässig erscheint? Welche Normen verbieten aus anderen Gründen eine Anwendung der Treuepflicht?

134 Vgl. Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 646 ff. 135 A.A. nur Meyer-Landrut, Mehrheitsherrschaft und Treuepflicht im Aktienrecht, in FS für losef Maria Häußling, Otterbach 1990, S. 249 ff., S. 253 und Martens, Treupflicht, S. 258 f., siehe Fn. 132; vgl. auch Martens, Mißbrauch, S. 64 f. 136 Siehe hierzu Fillmann, Treueptlichten, S. 52 ff. 137 Siehe unten § 7 n.

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a) Ausprägungen des Treuegedankens im Aktiengesetz aa) § 53 a, Gleichbehandlungsgebot Das gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgebot, wie es nunmehr in § 53 a niedergelegt ist 138 , stellt für alle Träger gesellschaftlicher Macht die Grundregel auf, wie diese sich gegenüber den Aktionären, deren Interessen sie zu berücksichtigen haben, verhalten sollen. Als Willkürverbot 139 , gewissermaßen als Äquivalent zu Art. 3 GG für die Mikroverfassung der Aktiengesellschaft, entspringt es demselben Gedanken wie die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in ihrer ersten Dimension l40 . Es ist Ausdruck des Prinzips, daß die durch die Gesellschaft vermittelte Macht nicht zur Förderung von Partikularinteressen, sondern nur unter gleichmäßiger Berücksichtigung aller Aktionäre zum Wohl der Gemeinschaft ausgeübt werden darfl41. Der Imperativ des § 53 a richtet sich allerdings nicht an die einzelnen Aktionäre. Diese haben vielmehr in ihrem privaten Handeln das Recht zur Willkür. Die Grenze ihrer Freiheit ist bei der Beeinträchtigung der Gemeinschaftsbelange zu ziehen, dies folgt aus der Treuepflicht in ihrer zweiten Dimension. Etwas anderes gilt aber dort, wo Aktionären zur Sicherstellung des Funktionierens der Gemeinschaft Macht übertragen wurde. Von dieser dürfen sie nur gemeinverantwortlich Gebrauch machen. Aus der Treuepflicht in ihrer ersten Dimension folgt für Aktionäre, die Gesellschafterrechte ausüben, damit

138 Das grundlegende Rechtsprinzip war schon lange vor seiner durch EG-Richtlinie initierten Kodifizierung 1978 richterrechtlich anerkannt, vgl. RGZ 113, 152, 156; 118, 67, 70; 120, 177, 180; 120, 363, 373; BGHZ 20, 363, 369 (GmbH); 33, 175 ff. (AG). 139 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 381; "Verbot unsachlicher Differenzierung", Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 427. 140 Das Gleichbehandlungsgebot wurde entsprechend auch teilweise aus der Treuepflicht abgeleitet, vgl. von Godin I Wilhelmi I Wilhelmi, Aktiengesetz, Rn. 4 zu § I; zu weiteren Begründungsansätzen Guntz, Dieter, Fragen aus dem Aktien-Bezugsrecht, Diss., München 1957, S. 49 f. 141 So auch Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 330; bzgl. des Geltungsgrundes des Gleichbehandlungsgebots siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht S. 428 f.; die Fiktion einer Willenserklärung ist allerdings bei einer Erklärung als "immanente Grenze legitimer Mehrheitsherrschaft" (Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 379) in einem Verband nicht notwendig; wie hier Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 68 ff., Raiser, Ludwig, Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht, ZHR 111 (1948),75, 81 ff. und Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 379.

§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

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dasselbe Verbot einer willkürlichen Ungleichbehandlung ihrer Mitaktionäre 142 , wie es § 53 a für das Handeln der Gesellschaft niederlegt. bb) Andere Normen, die die Gleichbehandlung betreffen Gesetzlich eigens geregelte Anwendungsfälle des Gleichbehandlungsgebots 143 finden sich bezüglich der Verteilung der Dividende in § 60 und des Restvermögens in § 271, betreffend das Stimmrecht in § 134 Abs. 1, das Auskunftsrecht in § 131 Abs. 4 und das Bezugsrecht in § 186 Abs. 1. cc) § 243 Abs. 2, Unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen Paradebeispiel für eine legislatorische Berücksichtigung von Treuepflichtgedanken aber ist § 243 Abs.2 144 , nach dem ein Hauptversammlungsbeschluß anfechtbar ist, durch den ein Aktionär zum Schaden der Gesellschaft oder anderer Aktionäre sich oder Dritten Sondervorteile zu sichern suchte. Hier zeigen sich beide Grundprinzipien der Treuepflicht l45 , einerseits die Verpflichtung, auf die gemeinsame Sache und die Mitaktionäre Rücksicht zu nehmen und andererseits die Orientierung allen Gesellschaftshandelns an der Erreichung des gemeinsamen Zwecks. Nur zu dessen Förderung darf die dem einzelnen in Form seines Stimmrechts verbands intern gegebene Macht eingesetzt werden, nicht aber zur einseitigen Verwirklichung von Partikularinteressen. Der Mindermeinung, die § 243 Abs. 2 für "eine spezielle Ausprägung des Verbots der unrichtigen und unzulässigen Rechtsausübung (§§ 242, 826 BGB)" hält und angesichts dessen eine Heranziehung der Treuepflicht für ent142 Zu einer gesetzlichen Ausprägung dieses Prinzips, dem Verbot des Erstrebens von Sondervorteilen bei der Ausübung des Stimmrechts, § 243 Abs. 2 siehe im Folgenden. 143 Würdinger, Aktienrecht, S. 52. 144 So zu Recht Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 672; Zöllner Kölner Kommentar, § 243, Rn. 70, 206, weist zwar daraufhin, daß § 243 Abs. 2 historisch aus der Anwendung des Sittengebots auf Hauptversammlungsbeschlüsse hervorgegangen sei, der Sache nach behandelt aber auch er die Norm als eine Ausprägung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, vgl. Rn. 190, 230 ff.; Hüffer hält gar - unter Hinweis darauf, daß "Treubindungen und Gleichheitsgrundsatz als Basis rechtlicher Argumentation leistungsfähiger sind - ... die Norm [des § 243 Abs. 2] für das Aktienrecht als weithin entbehrlich." Geßler / Hejermehl / Eckardt / Kropff, Aktiengesetz, § 243 Rn. 67. 145 Siehe oben § 6 11. 2. a) und b). 8 Guntz

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behrlich erachtet l46 , kann nicht zugestimmt werden. Die §§ 242 und 826 BGB allein sagen noch nicht aus, welche Verhaltensweisen in einer Gesellschaft rechtsmißbräuchlich sind und warum das Streben nach besonderen eigenen Vorteilen im Gesellschaftsrecht im Gegensatz zum Vertragsrecht rechtsmißbräuchlich sein soll. Die Erklärung hierfür liefert die speziell den Besonderheiten des Gemeinschaftsrechtsverhältnisses entspringende147 gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. dd) § 254 Abs. I, Mindestgewinnausschüttung Das Gebot der Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der Mitaktionäre findet seinen Niederschlag weiter in § 254 Abs. 1 AktG. Die Vorschrift will ein "Aushungern" der außenstehenden Aktionäre durch die Hauptversammlungsmehrheit verhindern, indem es rechtlich und wirtschaftlich nicht notwendige Thesaurierungsbeschlüsse für anfechtbar erklärt, wenn diese bewirken, daß nicht wenigstens ein Mindestgewinn von 4 % des Grundkapitals ausgeschüttet wird. ee) § 54 Abs. 1, Verpflichtung zur Einlagenleistung Der Grundsatz, daß jeder Aktionär zur Förderung des gemeinsamen Zwecks verpflichtet ist, findet seine konkreteste Ausprägung in der Verpflichtung zur Einlagenleistung nach § 54 Abs. 1. Gleichzeitig stellt diese Vorschrift klar, daß in der Aktiengesellschaft der Aktionär grundsätzlich nur zur Kapitalautbringung, darüberhinaus aber zu keinen zusätzlichen Leistungen verpflichtet ist. ff) Folgerungen für die Anwendung der Treuepflicht Zu klären ist nun, in welcher Wechselbeziehung die untersuchten Normen zur allgemeinen Treuepflicht stehen. Da § 53 a nur ein paralleles Prinzip ausdrückt, sich aber bezüglich der Normadressaten von der Treuepflicht unterscheidet, kann es keine Konkurrenzkonflikte geben. Als Ausprägung des Prinzips der Allgemeinverantwortung von Trägern gesellschaftsrechtlicher Macht kann § 53 a im Rahmen 146 Hueck, Gesellschaftsrecht, S. 263. 147 Vgl. oben § 6 11.; zur Abgrenzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht

vom allgemeinen Rechtsmißbrauchsgedanken siehe auch unten § 20 11. 1.

§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

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einer Argumentation mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht unterstützend angeführt werden. Schwierigere Konkurrenzprobleme eröffnen sich dagegen bei § 243 Abs. 2 und § 254 Abs. 1, die als spezielle Ausprägung der allgemeinen Treuepflicht anzusehen sind. Da die Frage nach der parallelen Anwendbarkeit der Treuepflicht neben diesen Rechtssätzen jedoch nicht den Inhalt der Treuepflicht, sondern die Rechtsfolgen ihrer Verletzung betrifft, soll hierauf in jenem Zusammenhang näher eingegangen werden 148 . § 243 Abs. 2 läßt aber auch wertvolle Rückschlüsse auf den Umfang der Treueanforderungen zu. Zwar muß sich die Ausübung des Stimmrechts an dem gemeinsamen Ziel orientieren. Es aber dabei jedoch nicht jede Ausübung des Stimmrechts sachlich gerechtfertigt werden 149 .

Aus § 243 Abs. 2 ergibt sich vielmehr, daß den Aktionären unterhalb der Grenze des Sondervorteils ein gewisser Spielraum gegeben ist. Jeder Gesellschafter kann damit für sich selbst und auch eigennützig entscheiden, wie er den gemeinsamen Zweck am besten verwirklicht sieht, solange er nicht seine Mitaktionäre von einem ihm selbst zukommenden Vorteil auszuschließen sucht150. Fraglich ist, ob ein Unterschied gemacht werden muß zwischen der Ausübung von Mitverwaltungsrechten wie Informations-, Rede-, Antrags-, Stimm-, oder Anfechtungsrecht und der Geltendmachung von Vermögensrechten, wie dem Recht auf einen Anteil am ausgeschütteten Gewinn und am Liquidationserlös oder dem Bezugsrecht. Zwar ist im Vergleich bei letzteren das Eigennutzmoment größer. Der Gewinnanteil des einzelnen Aktionärs ist nur diesem und nicht der Gemeinschaft zu dienen bestimmt. Die Grenze des Sondervorteils ist aber auch hier zu akzeptieren. Der Aktionär darf nur das begehren, was ihm seinem Kapitalanteil gemäß zusteht. Aber auch bei der Geltendmachung des ihm zugewiesenen Anteils darf er nicht die Interessen der Gemeinschaft völlig vernachlässigen. So kann im Einzelfall etwa die Erhebung von Ansprüchen zur Unzeit treuwidrig sein, wenn sie eine Gefahr für die Liquidität der Gesellschaft nach sich zöge l51 . 148 Siehe unten § 8 11. 2. a). 149 Weitergehend hier Fillmann, Treuepflichten, S. 102 ff., der jede nicht zur Förderung des Verbandszweckes geeignete Maßnahme als treuwidrig ansieht, so z.B. auch erkennbar besonders risikoreiche Geschäfte. 150 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 505, Flume, Allgemeiner Teil, § 7 III. 151 Vgl. auch Hüffer, Aktiengesetz, Rn. 16 zu § 53 a, HüjJer, Generalklausel, S. 69 und unten § 7 11.

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Ein Unterschied besteht daher insofern, als bei Vermögensrechten das eigene Interesse des Aktionärs die Handlungsmaxime darstellt und die Belange der Gemeinschaft nur bei der Art und Weise der Ausübung mitzuberücksichtigen sind. Bei Mitverwaltungsrechten hat sich der Aktionär dagegen am gemeinschaftlichen Interesse zu orientieren, darf den ihm hierfür geeignet erscheinenden Weg aber auch im Hinblick auf seine eigenen Interessen auswählen. Sowohl bei Vermögens- als auch bei Mitverwaltungsrechten hat der Aktionär daher eigene und gemeinschaftliche Interessen zu berücksichtigen. Unterschiedlich ist dabei aber jeweils die Priorität der Interessen. Eine feste Grenze bildet in beiden Fällen das Erstreben von Sondervorteilen. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen beiden Typen von Rechten ist für die Praxis jedoch gering. Dies liegt daran, daß die Geltendmachung von Vermögens rechten von einem vorherigen Beschluß abhängig ist; dieser stellt aber die Ausübung eines Mitverwaltungsrechts, des Stimmrechts dar, so daß sich die Kontrolle durch die Treuepflicht vornehmlich hierauf richten wird. § 54 Abs. 1 schließlich setzt einer Entwicklung von positiven Handlungspflichten aus dem Treuegedanken engste Grenzen. Grundsätzlich soll in einer Aktiengesellschaft die Mitwirkungspflicht des einzelnen Mitglieds auf die Leistung der nach § 29 übernommenen Kapitaleinlageverpflichtungen beschränkt sein. Eine Nachschußpflicht ist ausgeschlossen. Die Aktionäre werden so vor einer weitergehenden, zunächst oft nicht erkennbaren Verpflichtung der Gesellschaft und Haftung deren Gläubigem gegenüber geschützt l52 .

Diese "Magna Charta" des Aktionärs 153 stellt zwingendes Recht dar, das auch durch die Argumentation mit Grundprinzipien grundsätzlich nicht durchbrochen werden darf. Ausnahme können nur in ganz engen Grenzen gelten, etwa wenn der der Gesellschaft ohne die Unterstützung durch den Aktionär drohende Schaden dessen Opfer unverhältnismäßig überwiegt oder wenn die von ihm erwartete Handlung ihn gegenüber seiner bisherigen Position nicht schlechter stelIt i54 . Die dritte Dimension der Treuepflicht verdichtet sich somit im Aktienrecht kaum jemals zu konkreten Handlungsanforderungen; sie ist jedoch als grundlegendes Prinzip des Gesellschaftsrechts bei der Auslegung von Gesetzes-

152 Zu weiteren Leistungen können die Aktionäre zwar schuldrechtlich, nicht aber verbandsrechtlich verpflichtet werden, vgl. Lutter in Kötner Kommentar, § 54 Rn. 14 ff. 153 Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Band 1, Berlin 1898, S. 290. 154 Siehe hierzu näher unten § 9 V. 5. b).

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oder Satzungsbestimmungen von Bedeutung. Es versteht sich aber, daß auch auf diesem Wege die Wertung des § 54 Abs. 1 nicht umgangen werden darf. b) Schutznormen in Konkurrenz zur Treuepflicht Das Aktiengesetz kennt verschiedene Regelungen, die teils das Erreichen des gemeinsamen Zwecks sicherstellen, teils einen Schutz der Gesellschaft und der Aktionäre gegenüber der Ausübung gesell schafts rechtlich vermittelter Macht bieten sollen. aa) Sicherung von Kapitalaufbringung und -erhaltung Gerade da die Zweckförderungspflicht der Aktionäre sich in der Regel auf die Leistung ihrer Kapitaleinlage beschränkt l55 , eine weitergehende Haftung aber nicht vorgesehen ist, kennt das Aktiengesetz strenge Regelungen, die die Erfüllung dieser Pflicht und damit die Versorgung der Aktiengesellschaft mit Kapital sichern sollen. Hierzu ist einmal dessen Aujbringung strengen Regeln unterworfen, vgl. §§ 27,29, 32 ff., 36 a, 63, 38 und die Haftung von Gründern und Vertretern der Vorgesellschaft nach §§ 46 und 41 Abs. 1. Zum anderen soll die Kapitalerhaltung durch §§ 26, 57, 62, 71 ff. und 89 gewährleistet werden. Die Existenz der Kapitalsicherungsregelungen macht die Heranziehung der Treuepflicht auf Fälle der Verletzung der Einlagepflicht weitgehend unnötig. Denkbar wäre ein ergänzendes Eingreifen allenfalls bezüglich der Modalitäten der Kapitalerbringung. So könnte man etwa die Ausnutzung formaler Rechtspositionen zur Umgehung oder Verzögerung der Einlagenleistung als treuwidrig ansehen. bb) Schadensersatz nach § 117 Abs. 1 Das Aktiengesetz hat auch Regelungen getroffen, die auf eine Beschränkung von Macht in der Gesellschaft abzielen. So wird das Ausnützen von Einfluß auf die Geschäftsführung zum Nachteil von Gesellschaft oder Aktionären nach § 117 Abs. 1 mit der Pflicht zum Ersatz des verursachten Schadens sanktioniert.

155 Siehe oben 2. a).

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Mit dieser Generalklausei schuf der Gesetzgeber 1937 bewußt einen Tatbestand der unerlaubten Handlung, der nicht vom Bestehen einer noch nicht allgemein anerkannten Treuepflicht unter Aktionären abhing 156. Der Adressatenkreis war daher weit gehalten und nicht auf Aktionäre beschränkt, wenn auch der Hauptanwendungsbereich bis zur Einführung der Vorschriften über Verbundene Unternehmen in der Novelle von 1965157 die Einflußnahme durch Großaktionäre war. Angesichts dessen ist es nicht möglich, § 117 als Anwendungsfall der verletzten Treuepflicht gegenüber der Aktiengesellschaft wie gegenüber dem Mitaktionär 158 aufzufassen. Auch die etwas vorsichtigere Formulierung, die der BGH in Anlehnung an Hüffer 159 wählt, "daß die Haftung der Aktionäre nach heutigem Verständnis als solche aus der Verletzung mitgliedschaftlicher Treubindungen konzipiert werden könnte" 160, kann nichts an der Tatsache ändern, daß § 117 Abs. 1 in seiner weiterbestehenden Form, die auch beliebige dritte Personen in die Haftung einbezieht, eine deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage darstellt. Als solche kann § 117 Abs. 1 die parallele Anwendung der körperschaftlichen Treuepflicht nicht ausschließen. Die beiden Institute stehen mit ihren unterschiedlich weiten Anwendungsbereichen nebeneinander: § 117 Abs. 1 erfaßt die Ausübung von Einfluß auch durch Nichtaktionäre. Die Einfluß nahme ist dabei aber stets nur mittelbar; sie erfordert immer ein Tätigwerden der Unternehmensleitung. Die Treuepflicht hingegen bindet nur Aktionäre, greift aber auch dort ein, wo diese selbst handeln. ce) Übertragung von § 117 Abs. 7? Fraglich ist aber, ob die Einschränkung des § 117 Abs. 7 Ziff. 1, die die Benutzung des Stimmrechts zur Einflußnahme von der Haftung nach Abs. I ausnimmt, nicht auch eine Schadensersatzpflicht wegen Verletzung der Treuepflicht ausschließen muß161. Diesen Standpunkt hat im wesentlichen nunmehr 156 Kropjfin Geßter / Hejermeht / Eckardt / Kropjf, Aktiengesetz, Rn. 5 zu § 117, Mertens in Kötner Kommentar, Rn. 8 zu § 117; a.A. Bergmann, Machtstellungen,

ZHR 105, 1938, S. I, S. 9. Für ihn liegt der Rechtsgrund allein in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht desjenigen der Einfluß auf die Gesellschaft hat. 157 Meyer-Landrut in Großkommentar, 3. Auflage, Einleitung zu § 117; Kropff, Mertens Kropjf in Geßter / Hejermeht / Eckardt / Kropjf, Aktiengesetz, Rn. 5 zu § 117, Mertens in Kötner Kommentar, Rn. 8 zu § 117. § 117 Abs. 1 verlor hierdurch seinen wesentlichen Anwendungsbereich. 158 So aber Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, S. 456. 159 Hüjfer, Aktiengesetz, Rn. 2 zu § 117. 160 BGH, ZIP 1995, S. 819, 827 ("Girmes"), Hervorhebung vom Verfasser. 161 So Martens, Treupflicht, S.260 ff., ebenso LG Düsseldorf ZIP 1993, 350,

§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

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der BGH162 mit Blick auf den Regierungsentwurf eingenommen, nach dessen Begründung es nicht angängig sei, über die Haftung des herrschenden Unternehmens hinaus "jeden Aktionär für die Ausübung seines Stimmrechts haften zu lassen" 163. Der Versuch, aus dieser Begründung einen allgemeinen Grundsatz abzuleiten, im Aktienrecht sei die Stimmrechtsausübung von jeglicher Verant-wortlichkeit befreit, ist nicht unbedenklich:

§ 117 regelt mit der Einflußnahme auf Geschäftsführungsmaßnahmen einen Bereich, in dem eine Kompetenz der Hauptversammlung im Regelfall ohnehin nicht gegeben ist. Es wäre somit ein doppelter Analogieschluß notwendig: Die Freistellung des Aktionärs von der Verantwortlichkeit für seine Stimmrechtsabgabe müßte nicht nur gegenüber deliktischen, sondern auch gegenüber mitgliedschaftlichen Ansprüchen eingreifen; sie müßte darüberhinaus nicht nur die Stimmrechtsausübung in Geschäftsführungsangelegenheiten, sondern in allen Bereichen erfassen. Angesichts der ganz allgemein gebotenen Zurückhaltung bei der Ausweitung von Ausnahmevorschriften 164 , wie sie § 117 Abs. 7 Ziff. 1 im Verhältnis zum Grundsatz des Abs. 1 darstellt, stehen einer solchen doppelten Analogie gewichtige systematische Bedenken entgegen 165 . Der BGH argumentiert insoweit in Anlehnung an Zöllner und Winter 166 mit einem Erst-recht-Schluß: Wenn schon bei den der Bindung an das Gesellschaftsinteresse besonders stark unterworfenen Geschäftsführungsangelegenheiten Schadensersatzansprüche aufgrund rechtsmißbräuchlicher Stimmrechtsausübung ausgeschlossen seien, müsse das umso mehr für Struktur-, Organisations- und sonstige Gesellschaftsrnaßnahmen gelten, die eine solch intensive Nähe zu den Gesellschaftsbelangen nicht aufwiesen 167 .

358 ff., das sich zu Unrecht auf Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 455 f. beruft, vergleiche das Zitat in Fn. 171; ohne Begründung verneint im Verhältnis der Aktionäre untereinander auch Zöllner in Kölner Kommentar, Rn. 195 zu § 243 eine Schadensersatzpflicht, obwohl er Treubindungen und daraus resultierende Rücksichtspflichten in diesem Verhältnis anerkennt. 162 BGH, ZIP 1995, S. 819, 827 ("Girmes"). 163 Siehe bei Kropjf, Textausgabe mit Begründung, S. 163 f. 164 Zur Frage, wann nur eine Gesetzeslücke angenommen werden und im Wege des Analogieschlusses ausgefüllt werden darf siehe Larenz, Methodenlehre, S. 370 ff. 165 Vgl. Wiedemnnn, Gesellschaftsrecht, S. 454 f. 166 Zöllner / Winter, Folgen der Nichtigerklärung durchgeführter Kapitalerhöhungsbeschlüsse. ZHR 158 (1994), S. 59, 73 f. 167 BGH, ZIP 1995, S. 819, 827 ("Girmes").

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Dieses Argument könnte jedoch allenfalls den zweiten der beiden Analogieschlüsse rechtfertigen. Es setzt gedanklich voraus, daß die Beschränkung der Deliktshaftung durch § 117 Abs. 7 auch die erst nach Erlaß der Vorschrift anerkannte Haftung aus Treuepflichtverletzung erfaßt, was gerade äußerst bestritten ist. Daneben ist die Nähe einer Maßnahme zum Gesellschaftszweck nicht der einzige Parameter für die Intensität der Treueanforderungen an die handelnden Aktionäre. Wie unten noch zu zeigen sein wird 168 , sind bedeutsame Faktoren daneben das Maß des eigenen Einflusses auf eine Maßnahme, aber auch der Grad der Beeinflußbarkeit der Mitaktionäre durch diese. Da aber Struktur- und Organisationsentscheidungen die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitaktionäre gerade besonders intensiv beeinträchtigen können, stimmt schon die Ausgangsthese für den Erst-recht-Schluß des BGH nicht: Geschäftsführungsmaßnahmen unterliegen nicht regelmäßig stärkeren Treubindungen als Strukturentscheidungen. Die Bedenken gegen eine Ausweitung einer Ausnahmevorschrift zum allgemeinen Rechtsgrundsatz können somit nicht ausgeräumt werden. Auch die historische Auslegung rechtfertigt das Ergebnis des BGH im Endeffekt nicht. Zunächst tritt ihre Bedeutung mit zunehmender Fort-entwicklung eines Rechtsgebietes durch Rechtsprechung und Lehre immer stärker zurück169. So wird im Aktienrecht mittlerweile der Grundsatz des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung und der generellen Verantwortlichkeit für die Ausübung mitgliedschaftlieh vermittelter Macht allgemein anerkannt 170. Eine Vorschrift, die diametral hierzu in bestimmten Bereichen absolute Haftungsfreiräume eröffnet, muß daher zunehmend als Fremdkörper erscheinen 171 . Angesichts dessen kann bei ihrer Auslegung nicht mehr allein auf den ursprünglichen gesetzgeberischen Willen zurückgegriffen werden 172 . Hinzu kommt zum einen, daß in der Literatur die Einschränkung des § 117 Abs. 7 Ziff. 1 schon zum Zeitpunkt ihrer Übernahme ins derzeit geltende

168 Siehe unten ll. 169 Zur allgemeinen Nachrangigkeit der historischen Regelungsabsicht gegenüber

der Systematik des geltenden Gesetzes siehe Larenz, Methodenlehre, S. 328, 344. 170 Siehe oben § 6 ll. 171 Vgl. Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, § 12 Rn. 33; Flume, Allgemeiner Teil, S. 296; Immenga, personalistische Kapitalgesellschaft, S. 280; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S.454 f.; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 456 formuliert, es sei anerkannt, daß mit der Übernahme von § 117 Abs. 7 "Eierschalen eines überwundenen Rechtsdenkens wohl eher versehentlich in das AktG 1965 transportiert wurden" .

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Aktienrecht keineswegs unumstritten war 173 . Zum anderen erschien dem Gesetzgeber die Einschränkung des § 117 Abs. 1 durch Abs. 7 Ziff. 1 nur deswegen gerechtfertigt, da er mit Erlaß der konzernrechtlichen Schutzvorschriften eine ausreichende Kontrolle der Einflußnahme durch Stimmrechtsausübung gewährleistet zu haben glaubte l74 . Daß dies nicht vollständig gelungen ist, ist heute anerkannt l75 . Angesichts all dieser Einwände kann § 117 Abs. 7 Ziff. 1 eine generelle Einschränkung der gesellschafisrechtlichen Treuepflicht nicht begründen l76 . Die hier vertretene Lösung weicht im Ergebnis von der des BGH allerdings nicht wesentlich ab; denn auch der BGH läßt bei treuwidrigem Stimmverhalten einen Schadensersatzanspruch dann ausnahmsweise zu, wenn der hierdurch beeinträchtigte Mitaktionär mit der primär gegebenen Anfechtungsklage den Eintritt des Schadens nicht verhindern kann, weil aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Umstände, die innerhalb der Anfechtungsfrist eingetreten sind, eine Beschlußanfechtung ins Leere liefe l77 . Auf der anderen Seite führt auch bei Ablehnung einer Ausweitung von § 117 Abs. 7 die Anwendung der allgemeinen Vorschriften - wie noch zu zeigen sein wird178 - regelmäßig nur dann zu einem Anspruch, wenn der betroffene Mitaktionär keine Möglichkeit hatte, gegen die treuwidrige Stimmabgabe im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens vorzugehen. dd) Schutzvorschriften im Recht der verbundenen Unternehmen Im Recht der verbundenen Unternehmen finden sich eine Reihe von Vorschriften, die dem Schutz gegenüber dem Einfluß des Mehrheitsaktionärs die172 Siehe auch Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, S. 335 f. 173 Noch zum alten § 101 Abs. 7: Fischer, Die Reform des Aktienrechts, AcP 154 (1954), S. 181,238 f.; Mestmäcker, Konzerngewalt, 270 f.; Zöllner, Schranken, 428 ff, ; aus späterer Zeit vgl. Groß/eid, Unternehmenskonzentration, S. 219; Immenga, personalistische Kapitalgesellschaft, S. 280; Mertens in Kölner Kommentar, Rn. 20 ff. zu § 117; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 454 lehnt § 117 Abs. 7 als sachlich durch nichts gerechtfertigte Ausnahmevorschrift gänzlich ab. 174 Siehe bei Kropf!, Textausgabe mit Begründung, S. 163 f. 175 Hueck, Gesellschaftsrecht, S. 264. 176 So auch Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, S. 456, der die Norm als "Zuweisung des Problems an die leges speciales des § 243 11 AktG und der §§ 311 ff. AktG, nicht aber etwa als Freistellung der Stimmrechtsausübung von Verantwortung überhaupt" verstehen will. 177 BGH, ZIP 1995, S. 819, 828 ("Girmes"). 178 Siehe unten § 8 11. 2. a) bb).

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nen: Zugunsten der durch Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag gebundenen Gesellschaft besteht nach § 302 eine Pflicht der Obergesellschaft zur Verlustübernahme. Die Aktionäre der Untergesellschaft sind durch den Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach § 304 und das Abfindungsrecht nach § 305 geschützt. Beim Beherrschungsvertrag konstatieren §§ 309 Abs. 2 und 310 Abs. 1 ergänzend die persönliche Haftung der beiden Unternehmensführungen. Eine entsprechende Haftung von Obergesellschaft und Management beider Gesellschaften findet sich beim faktischen Konzern in den §§ 317 Abs. 1 und 3 und 318 Abs. 1 und 2, sofern eine abhängige Gesellschaft zu für sie schädlichen Maßnahmen veranlaßt wurde. Im Falle der Eingliederung steht den außenstehenden Aktionären ein Abfindungsrecht nach § 320 Abs. 5 zu. Angesichts dieser Regelungsdichte ist bei der Anwendung allgemeiner Treuepflichtgedanken äußerste Vorsicht geboten 179 . Auch verändert die gesetzgeberische Erlaubnis der Fremdbestimmung bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages die Situation in einer Gesellschaft grundlegend. Die in anderen Gesellschaftsbeziehungen nötigen Schutzmechanismen, die unter anderem auf der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht basieren, hat der Gesetzgeber durch gänzlich andere Institute, wie die Ausgleichsansprüche nach §§ 203 ff. ersetzt 180, so daß in dem vom Unternehmensvertrag bestimmten Verhältnis der Gesellschaften zueinander und zu den Aktionären der Untergesellschaft die Anwendung der Treuepflicht systemwidrig erscheint. Auch die Füllung gesetzlich nicht gewollter Lücken, etwa bezüglich existenzgefährdender Weisungen im Rahmen eines Beherrschungsvertrages nach § 308 Abs. 1 Satz 2, muß daher nicht ausgehend vom Prinzip der Treuepflicht, sondern aus dem Kontext der Regeln über die vertragliche Einräumung von Leitungsmacht heraus erfolgen 181 . Die Heranziehung der Treuepflicht auf das genannte Problem, wie sie von Fillmann vorgeschlagen wird 182 , ist auch gar nicht erforderlich. Daß es nicht möglich ist, per Vertrag der Obergesellschaft die Kompetenz zur Entscheidung über die Existenz der Gesellschaft einzuräumen, und daß diesbezügliche Weisungen damit nicht 179 Auch Marsch-Barner, Stirnmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 177 hält die Anwendung allgemeiner Treuepflichtgedanken in der Regel nicht für erforderlich. 180 Zu den unterschiedlichen Ansätzen in der GmbH (Schutz durch Treuepflichtgedanken) und der AG (Konzemrechtliche Schutzvorschriften) auch BGH ZIP 1985,1263, 1266 f. 181 Ebenso Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 177. 182 Fillmann, Treuepflichten, S. 201 ff.

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vom Weisungsrecht umfaßt sein können, ergibt sich schon aus dem allgemeinen Verbot der Selbstentmündigung 183 im Privatrecht, das besagt, daß niemand sich durch Rechtsgeschäft seiner eigenen Handlungsfähigkeit völlig entäußern kann 184 . Die Kompetenz zur Gefährdung der eigenen Existenz kann - als stärkste Form der Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit - daher sicher nicht nach § 308 auf die Konzernmutter übertragen werden. Auch der BGH geht unterschiedliche Wege beim Minderheitenschutz im Aktienkonzern auf der einen und im GmbH-Konzern auf der anderen Seite. Nur im zweiten Fall sucht er die Lösung über eine Anwendung der Treuepflicht 185 . Bei der Aktiengesellschaft dagegen darf das System der konzernrechtlichen Schutzvorschriften nicht durch das allgemeinere Prinzip der Treuepflicht ausgehebelt werden. Ein vom Schutz des Konzernrechts allerdings nicht erfaßtes Gebiet ist das Verhalten des Mehrheitsaktionärs außerhalb des engeren innergesellschaftlichen Bereichs wie etwa auf dem Markt der Aktien. Eine Anwendung von Treuepflicht auf Anteilskäufe oder -verkäufe durch das herrschende Unternehmen ist daher nicht durch die Existenz der Regeln über die verbundenen Unternehmen ausgeschlossen. Zu bedenken ist aber, daß hier allenfalls die zweite Dimension der Treuepflicht angesprochen ist 186 , die keine direkten Rücksichtspflichten gegenüber den Mitgesellschaftern beinhaltet. Anwendungsfälle wären daher nur Schädigungen der Gesellschaft selbst durch den Verkauf, etwa wenn dieser an eine Person erfolgt, die erkennbar nicht an deren Zweckerreichung, sondern nur an deren Zerschlagung und der Erlangung einzelner ihrer Vermögenswerte interessiert ist 187 . Diese Fälle haben aber anders als in den Vereinigten Staaten von Amerika 188 bei uns bislang keine Bedeutung erlangt.

183 Raible, Vertragliche Beschränkung der Übertragung von Rechten, Tübingen 1969, S. 83 ff. 184 Dieses Verbot findet seine Ausprägung auch in § 137 BGB, hierzu Raible, Vertragliche Beschränkung der Übertragung von Rechten, Tübingen 1969, S. 73 ff. 185 Vgl. die ITT-Entscheidung, BGHZ 65, 15, die gerade nicht auf eine analoge Anwendung der Vorschriften über den Aktienkonzem abstellt, S 17. 186 Es sei denn, man wollte in dem Verkauf die Ausübung gesellschaftlich vermittelter Machtpositionen sehen, etwa bei einem besonderen Bezug zu der im verkauften Mehrheitspaket verkörperten Kontrolle über die Gesellschaft, vgl. zu dem ähnlichen Gedanken im amerikanischen Recht oben § 3 m. 3. 187 Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 461. 188 Siehe oben § 3 m. 2.

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ee) Verschmelzung und Formwechsel Auch Formwechsel und Verschmelzung bergen Gefahren. Insbesondere letztere wird meist vom Hauptaktionär initiiert und kann dabei auch als Mittel eingesetzt werden, Mitaktionäre zum geeigne-ten Zeitpunkt aus der Gesellschaft zu verdrängen l89 . Das Aktiengesetz kannte daher verschiedene Schutzbestimmungen, die in abgeschwächter Form auch in das Umwandlungsgesetz übernommen wurden. Die Umwandlung in eine GmbH beispielsweise konnte nach § 369 Abs. 2 Satz 1 AktG a.F. nur bei Zustimmung aller Aktionäre erfolgen, was einem Vetorecht jedes einzelnen gleichkam l90 . Diese extrem strengen Anforderungen ersetzt § 240 UmwG für den Formwechsel einer Aktiengesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft durch das Erfordernis einer Dreiviertelmehrheit des auf der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals. Bei der Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften fand und findet ein Schutz der Aktionäre und der Gesellschaften vor allem durch das strenge Verfahren, insbesondere die Verschmelzungsprüfung nach § 340 a AktG a.F. bzw. §§ 9 ff., 60 UmwG und die Haftung der Organmitglieder nach § 349 AktG a.F. bzw. §§ 25 und 27 UmwG statt l91 . Ähnlich wie im Konzernrecht macht der im Bereich von Strukturänderungen somit stark ausgeprägte Minderheitenschutz einen Rückgriff auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht meist unnötig. Er provoziert aber auf der anderen Seite Umgehungsversuche von Seiten des Mehrheitslagers, die, will man den Minderheitenschutz nicht zu leicht preisgeben, eine flexible Reaktion der Rechtsordnung erfordern. Hier eröffnet sich der Anwendungsbereich für die Treuepflicht. Ein Beispiel mag die Linotype-Entscheidung l92 bilden. Da die ursprünglich geplante verschmelzende Umwandlung nach § 33 KapErhG, § 369 AktG a.F. am Widerstand einzelner Aktionäre zu scheitern drohte, verlegte sich die Mehrheitsaktionärin auf den Plan einer Liquidation der Tochtergesellschaft 189 Vgl. zu den amerikanischen Freeze-Out-Taktiken Seiler, Freezeout von Minderheitsaktionären. Eine Untersuchung zum Beteiligungsschutz im US-amerikanisehen Recht, Diss., Köln 1990. 190 Ausnahmsweise genügte bei überschaubareren Aktiengesellschaften eine Kapitalmehrheit von 90 %, § 369 Abs. 3 Satz 1. Gleiches galt über § 33 Abs. 3 KapErhG auch bei der Verschmelzung einer Aktiengesellschaft in eine GmbH. Zusätzlich hafteten Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft nach § 33 Abs. 4 für etwaige Schäden der Gesellschaft oder der Aktionäre. 191 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 771. 192 BGHZ 103, 185.

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mit anschließendem Erwerb von deren Gesellschaftsvermögen. Der hierbei von vornherein vorgesehene Ausschluß der Minderheitsaktionäre war Anlaß für den BGH, mit Hilfe des Instituts der Treuepflicht regulierend einzugreifen l93 . Eine ähnliche Lösung hat das LG Stuttgart im Fall der Motometer AG194 abgelehnt. Deren Hauptaktionärin hatte die direkte Umwandlung in eine GmbH umgangen, indem sie die Auflösung der Tochter-AG und die Übertragung von deren Vermögen auf eine neugegründete Tochter-GmbH beschloß. Dieses Vorgehen allein begründe dem Gericht zufolge noch keinen Authebungsgrund, solange keine Schädigungsabsicht der Mehrheitsaktionärin gegenüber den außenstehenden Aktionären nachgewiesen sei 195. Unter der Geltung des neuen, moderateren Umwandlungsgesetzes wird Umgehungskonstruktionen ohnehin eine geringere Bedeutung zukommen. Wesentlichen Anteil am Schutz der Gesellschaft und der einzelnen Aktionäre haben auch die diesen eingeräumten Klagerechte nach §§ 147 und 243 ff. und die richterrechtlich entwickelte Abwehrklage gegen Kompetenzüberschreitungen des Vorstandes 196. Die Bedeutung dieser prozessualen Schutzrechte im Bezug auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht betrifft aber weniger Fragen des Umfangs der Treuepflicht als vielmehr der Rechtsfolgen ihrer Verletzung. Die prozessualen Schutzrechte sollen daher erst in diesem Zusammenhang erörtert werden l97 . c) Normen, die gegen eine Anwendung der Treuepflicht sprechen Nach den gesetzlich geregelten Anwendungsfällen der Treuepflicht und den alternativen Vorschriften mit gleichgelagerter Schutzrichtung sind zuletzt diejenigen Normen des Aktienrechts zu betrachten, aus denen sich direkt eine Einschränkung der Treuepflicht ableiten läßt.

193 BGHZ 103, 185, 193 ff. 194 LG Stuttgart Az. 2 KtH 0 113/92. 195 Die AG 1993, R 64; vgl. zum Fall auch Die AG 1992, R 343. 196 Vgl. BGHZ 83, 122 "Holzmüller"; dazu näher unten § 8 11. 1. 197 Siehe unten § 8 11. 1., 2.

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aa) § 23 Abs. 5, formelle Satzungsstrenge Allen voran wird hier § 23 Abs. 5, das Prinzip der formellen Satzungsstrenge, angeführt, das Abweichungen der Satzung vom Gesetz nur dort zuläßt, wo sie von diesem ausdrücklich vorgesehen werden 198 . Dem wird die Aussage entnommen, daß die Organisation der Aktiengesellschaft weitgehend festgelegt ist, so daß auch für die Flexibilität der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht hier kein Platz sei. Das Argument ist so nicht richtig. § 23 Abs. 5 will die Organisation der Aktiengesellschaft nur der willkürlichen Disposition der Gesellschafter entziehen 199 und damit ein gesetzliches Modell mehr oder weniger fest vorschreiben. Das Rechtsinstitut der Treuepflicht greift aber ebenfalls unabhängig vom Willen der Aktionäre ein. Es betrifft alle Aktiengesellschaften gleichermaßen und ändert somit nichts an deren einheitlicher Struktur. Ein Ausschluß von Wertungsprinzipien und eine Reduzierung des Aktienrechts auf den nackten Buchstaben des Gesetzes läßt sich § 23 Abs. 5 daher nicht entnehmen. So ist schließlich auch im Aktienrecht seit jeher die Geltung der "offenen" Rechtssätze der §§ 134, 138, 226, 242, 826 BGB anerkannt. § 23 Abs. 5 wird aber insofern relevant, als die Anwendung der Treuepflicht nicht zu einer faktischen Dispositionsfähigkeit der Aktionäre über die Organisation der Gesellschaft führen darf. Art und Umfang der aus der Treuepflicht abgeleiteten Handlungsanforderungen müssen klar bestimmbar sein; andernfalls könnte das Instrument der Treuepflicht als Werkzeug zur willkürlichen Änderungen der innergesellschaftlichen Struktur mißbraucht werden. Auch von daher verbietet sich also die Herleitung allzu phantasievoller und nicht objektiv am Aktienrechtssystem ausgerichteter Rechtskonstruktionen aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht.

bb) §§ 68 Abs. 2, 76 Abs. 1, 119 Abs. 2 und 172 Satz 1 Der neuen Tendenz, Treuepflichten rechtsformübergreifend anzuerkennen, wird Gleichmacherei und die Vernachlässigung der spezifischen Position des Aktionärs im Vergleich zu der des Personen- und GmbH-Gesellschafters vorgeworfen2oo .

198 Meyer-Landrut, Mehrheitsherrschaft und Treuepflicht im Aktienrecht, in FS für losefMaria Häußling, Otterbach 1990, S. 249 ff., S. 249. 199 Kraft in Kötner Kommentar, Rn. 84 zu § 307. 200 Martens, Treupflicht, 256.

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Wesentliche Unterschiede bestehen zum einen in der jederzeitigen Austrittsmöglichkeit des Aktionärs, argumentum e contrario § 68 Abs. 2, zum anderen im denkbar geringen Einfluß der Hauptversammlung auf die Geschäfte der Aktiengesellschaft. Deren Führung ist nach § 76 Abs. 1 dem Vorstand zur eigenen Verantwortung übergeben; dieser kann zwar die Hauptversammlung konsultieren, muß und wird es daher regelmäßig aber nicht, § 119 Abs.2201. Auch auf eine Beteiligung bei der Feststellung des Jahresabschlusses hat die Hauptversammlung keinen Anspruch, § 172 Satz 1. Die derart manifestierte Autonomie der gemeinsamen Gesellschaft gegenüber ihren Trägem bewirkt somit im Hinblick auf die gegenseitige Rücksichtspflicht zweierlei: eine geringere Empfindlichkeit des einzelnen Aktionärs auf der einen Seite, denn dauerhaften Pressionen kann er durch Verkauf der Aktien, d.h. Aufgabe der Mitgliedschaft entgehen; eine geringere Möglichkeit zur Ausübung von Druck auf der anderen Seite, denn viele wichtige Entscheidungen treffen nicht die Mitaktionäre sondern der Vorstand. Beide Phänomene verringern so zwar teilweise den Bedarf nach Kontrolle des Aktionärshandeins; sie können aber nicht, wie gelegentlich versucht wird 202 , zum Beweis dafür herangezogen werden, daß das Institut der Treuepflicht im Aktienrecht unnötig ist: So bietet die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verlassen, nur Schutz vor zukünftigen, nicht aber vor schon eingetretenen Schädigungen. Und die Tatsache, daß die Aktionäre in vielen Bereichen keinen Einfluß haben, ist kein Argument für den Verzicht auf eine Verhaltenskontrolle in den Bereichen, in denen ihnen solcher zukommt. Richtigerweise sind die beschriebenen Machtverhältnisse in der Aktiengesellschaft daher bei der Bestimmung des Umfanges der Treuepflicht zu berücksichtigen. Ausgangspunkt ist dabei, wie immer auf der ersten Ebene der Treuepflicht, das Maß des Einflusses eines Aktionärs. Dieser hängt nicht zuletzt von der Situation der Mitaktionäre ab. Diese aber kommen nicht so häufig in eine Zwangslage, wie sie sich für Personen- oder GmbH-Gesellschafter daraus ergeben kann, daß es für ihre Anteile regelmäßig keinen Markt gibt, auf dem sie ihre Finanzanlage wieder liquide machen können. Aus ihrer in der Regel geringeren Abhängigkeit folgt damit auch eine geringere Verantwortung der handelnden Aktionäre. Die Treubindung der Kontrollmehrheit ist damit meist lockerer als in anderen Gesellschaftstypen. Dabei stellt dies keinen Freispruch 201 Zum Streit über eine Befragungspflicht des Vorsandes und die Bedeutung der "Holzmüllerentscheidung" (BGHZ 23, 122) in diesem Zusammenhang: siehe Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 730. 202 Meyer-Landrut, Mehrheitsherrschaft und Treuepflicht im Aktienrecht, in FS für losefMaria Häußling, Otterbach 1990, S. 249 ff., S. 253 f.

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von jeglicher Verantwortung dar. Die Verantwortung der Entscheidungsträger muß aber angepaßt sein an die Fürsorgebedürftigkeit der Mitbetroffenen. Der geringe Einfluß, den die Hauptversammlung auf die Geschäftsführung hat, bewirkt dagegen keine Einschränkung der Intensität der Treuepflicht. Wenn das Aufgabengebiet der Hauptversammlung insgesamt auch relativ klein ist, ändert dies dennoch nichts an der Verantwortung, die mit jeder einzelnen Entscheidung verbunden ist; es wirkt sich nur auf die Häufigkeit solcher Entscheidungen aus. Mit anderen Worten, die Treuepflichten werden nur seltener, nicht aber schwächer.

3. Zusammenfassung Die Betrachtung der aktienrechtlichen Regelungen unter Treuepflichtaspekten läßt damit folgendes Bild erkennen: Der Gedanke der Treuepflicht der Aktionäre zieht sich auch durch das Aktienrecht und hat dort in verschiedenen Normen seine explizite Ausprägung gefunden. Als allgemeines Prinzip beschränkt er sich aber nicht hierauf.

a) Erste Ebene, Beschränkung verbandsintemer Macht Im Rahmen der Aktiengesellschaft hat die größte Bedeutung die Treuepflicht der ersten Stufe. Das im Aktienrecht geltende Mehrheitsprinzip, aber auch die verschiedenen Minderheits- und Individualrechte führen häufig zu Abhängigkeiten einzelner Aktionäre oder der gesamten Gesellschaft von anderen Aktionären; diesen ist als Ausgleich für ihren Einfluß die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen von Gesellschaft und Mitaktionären auferlegt. Allerdings kommt es zumindest bei börsengehandelten Aktiengesellschaften wegen der Möglichkeit, durch Aktienverkauf aus der Gesellschaft auszuscheiden, nicht zu denselben Zwangslagen, wie sie in der geschlossenen GmbH möglich sind. Die dort dann besonders intensive Treuepflicht bildet damit nicht den Regelfall im Aktienrecht. Die Aktionäre müssen bei der Ausübung gesellschaftsrechtlich vermittelter Macht nicht rein altruistisch handeln. Sie dürfen aber als Leitmaßstab den gemeinsamen Zweck, den alle Aktionäre in der Gesellschaft verfolgen, nicht außer acht lassen. Die Grenze des erlaubten Eigennutzes liegt daher bei der Erstrebung von Vorteilen, von denen die Mitaktionäre ausgeschlossen sind. Auch und gerade das Stimmrecht unterliegt Treubindungen dieses Inhalts, wobei es unerheblich ist, ob diese Vorteile direkt durch Beschluß der

§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

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Hauptversammlung oder indirekt über eine Beeinflussung der Untemehmensleitung erreicht werden sollen. Zu beachten sind daneben die zahlreichen gesetzlich vorgesehenen Regelungen zum Schutz von Gesellschaft und Aktionären gegen die Machtausübung durch einzelne. Sie schließen zwar eine parallele Anwendung der Treuepflicht nicht durchweg aus; dort, wo das Gesetz spezifische Sanktionen für bestimmte Fälle treuwidrigen Verhaltens vorsieht, dürfen diese aber nicht durch die Anwendung der allgemeinen Treuepflicht umgangen werden. Im Bereich der Strukturänderungen etwa liegt ihr Anwendungsschwerpunkt damit auf der Füllung von Lücken und vor allem dem Schutz gegen Umgehungen der gesetzlichen Schutzvorschriften. b) Zweite Ebene, Unterlassung von Schädigungen Stellt § 54 Abs. 1 auch eine Begrenzung positiver Förderpflichten auf, so wird doch deren negatives Pendant, das Schädigungsverbot, nicht von dieser Beschränkung erfaßt. Aktionäre unterliegen damit grundsätzlich wie andere Verbandsmitglieder der Pflicht, Handlungen zu unterlassen, die die Erreichung des Gesellschaftsziels beeinträchtigen oder gar vereiteln könnten. c) Dritte Ebene, Förderung des Gemeinschaftszweckes Der Herleitung positiver Förderpflichten aus der Treuepflicht sind durch § 54 Abs. 1 enge Grenzen gesetzt. Die Pflicht zur Förderung beschränkt sich danach auf die Erbringung der Kapitaleinlage. Der Treuegedanke kann damit nur unterstützend bei den Regelungen über die Erfüllung der Einlagepflicht herangezogen werden. Mitwirkungspflichten des Aktionärs können aber auch da bestehen, wo es um die Verfügung über die geleistete Einlage geht, solange damit nur keine neue Leistungsverpflichtung entsteht203. 11. Einflußfaktoren im Einzelfall

Während bislang nur die im Aktienrecht typische Ausprägung der Treuepflicht herausgearbeitet wurde, ist zuletzt noch auf die Faktoren einzugehen, die den Umfang der Treuepflicht im Einzelfall bestimmen. 203 Ein Beispiel für eine derartige Verfügung über die geleistete Einlage ist die nominelle Kapitalherabsetzung, zu der die Aktionäre u.U. angehalten sein können, vgl. etwa den Girmes-Fall unten § 9 V. 5. b) dd). 9 Guntz

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In der Literatur wird hier allen voran die Realstruktur der Gesellschaft204 genannt, ferner die Einordnung des ausgeübten Rechts als eigennützig oder gesellschaftsbezogen205 , die Nähe der fraglichen Maßnahme zur Zweckverfolgung 206 , das Ausmaß der hervorgerufenen Interessenverletzung, und schließlich der Charakter der eigenen Beteiligung als unternehmerische Beteiligung oder als reine Kapitalanlage207 . Betrachtet sei zunächst die Unterscheidung nach der Art des geltend gemachten Rechts. Es ist offensichtlich, daß die Ausübung von Mitverwaltungsrechten einen stärkeren Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft gewährt als die Geltendmachung von reinen Vermögensrechten208 . Derartige eigennützige Rechte bilden meist das gesetzlich oder satzungsmäßig bestimmte Korrelat zur Zweckförderungspflicht und geben dem Aktionär nur soviel Einfluß, wie ihm zur persönlichen Verwendung zustehen soll. Dies rechtfertigt auch die oben hergeleitete primäre Orientierung am eigenen Interesse209 . Da aber auch diese Rechte vom Verband abgeleitet sind, bleibt es insbesondere für die Art ihrer Ausübung bei der Pflicht, dessen Interessen und die der anderen Mitglieder mitzuberücksichtigen210 . Das Schlagwort vom "Ausschlaggeben der Realstruktur" ist in Bezug auf die Aktiengesellschaft insofern mit Vorsicht anzuwenden, als aufgrund von § 23 Abs. 5 bedeutende Strukturänderungen des gesetzlichen Modells der 204 Becker, Ausschluß, ZGR 1986, S. 383, S.403; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 105; Kort, Treuepflicht, ZIP 1990, S. 294, 296; Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 31 zu § 12; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 449, 485. 205 Büffer, Aktiengesetz, Rn. 16 zu § 53 a, Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 175; siehe dazu oben § 6 11. 2.; gegen eine Differenzierung Nehls, Treuepflicht, S. 79 f. 206 Nehls. Treuepflicht, S. 76 ff. 207 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 485. 208 Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 175, der noch feiner nach der Nähe der Rechtsausübung zur Verfolgung des Gesellschaftszwecks differenziert. 209 Siehe oben § 7 I. 2. a) bb). 210 Siehe oben § 7 I. 2. a) bb); so auch Büffer, Aktiengesetz, Rn. 16 zu § 53 a und Büffer, Generalklausel, 69, demzufolge die Schranken für die Ausübung eigennütziger Rechte im Verbot einer willkürlichen oder unverhältnismäßigen Rechtsausübung liegen. Gemeint ist damit eine über die Schranke des § 242 BGB hinausgehende Bindung, wie sich aus dem Zusatz, hierbei sei auf die mitgliedschaftlichen Interessen anderer Aktionäre angemessen Rücksicht zu nehmen, ergibt. Dies ist gerade das Kennzeichen einer Treubindung und mehr als das am Institutszweck ansetzende Verbot unzulässiger Rechtsausübung; zu deren Abgrenzung im einzelnen unten § 20 11.1. und 4.

§ 7 Inhalt und Umfang der Treuepflicht

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Treuepflicht gar nicht zugelassen werden. Daß "auch eine Aktiengesellschaft ähnlich einer GmbH organisatorisch ausgestaltet sein und daher einer Personengesellschaft nahekommen " könne211 , erscheint etwa angesichts des rechtlich nicht möglichen Einflusses auf die Geschäftsführung zweifelhaft2 12. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich in tatsächlicher Hinsicht der Typus einer kleine Familien-AG oder eines Gemeinschaftsunternehmens in Rechtsform der Aktiengesellschaft von dem einer typischen Publikumsgesellschaft oder einer konzernabhängigen Gesellschaft bezüglich des Verhältnisses der Aktionäre zueinander und zur Gesellschaft unterscheidet. Derartige Typologien helfen aber ebensowenig weiter wie Vergleiche mit anderen Gesellschaftsformen, solange nicht die Ursachen des besonderen Verhältnisses geklärt sind. Das meist als Grund suggerierte größere Vertrauen der Mitglieder einer kleinen Aktiengesellschaft zueinander ist dabei nur eine Seite der Medaille. Es allein kann, wie oben gezeigt213 , auch nicht die Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bilden. Da sich aber die Verantwortung für den gemeinsamen Zweck erhöhen kann, wenn die Gesellschafter auch aufgrund persönlichen Vertrauens und nicht nur durch die anonyme Einlagenverpflichtung voneinander die Förderung des Gesellschaftsziels erwarten können, ergibt sich ein mittelbarer Einfluß auch auf den Umfang der Treuepflicht insbesondere in ihrer zweiten und dritten Dimension. So kann ein Wettbewerbsverbot gegenüber einer Gesellschaft, die zusammen mit anderen ihre Aktivitäten in einer bestimmten Sparte auf ein gemeinsames Tochteruntemehmen übertragen hat, eher begründet werden als gegenüber einem Gesellschafter, der Aktien nur als Kapitalanlage hält. An der grundsätzlichen Geltung des § 54 Abs. 1 auf der dritten Ebene ändert sich aber auch hierdurch nichts. In den meisten der oben genannten Fällen wird aber schon die Höhe der Beteiligung die Gesellschafter von typischen Kapitalaniegern unterscheiden. Ist diese einmal nicht bedeutend, änderen sich aber auch die Treueanforderungen. Einen einflußlosen Gesellschafter einer Familiengesellschaft wird man an einem geringeren Treuemaßstab messen als den Großaktionär einer Publikumsgesellschaft. Der Grund hierfür liegt in der größeren Stimmacht des letzteren. Diese gibt ihm größeren Einfluß einmal auf die Erreichung des gemeinsamen Zwecks und zum zweiten auf die in der Gemeinschaft gebundenen Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre.

211 BGHZ 103, 185, 195. 212 So richtig Martens, Treupflicht, 257 f. 213 § 6 1., II.

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Mit diesem Einfluß einher geht folglich auch eine gesteigerte Verantwortung für die Geschicke der Gemeinschaft und die Interessen der Mitaktionäre oder anders gesagt eine intensivere Treuepflicht. Hauptgrund für die erhöhten Treueanforderungen in kleineren Gesellschaften ist damit der regelmäßig höhere Einfluß des einzelnen214 . Einfluß muß aber nicht immer nur aus der Höhe des Stimmrechts resultieren. Er ergibt sich in unterschiedlichem Maße aus allen Gesellschafterrechten, seien es die an gewisse Beteiligungsquoten gebundenen Kontrollrechte215 , die allen Aktionären zustehenden Auskunfts- und Klagerechte2 16 oder etwaige durch Satzung einzelnen Aktionären gewährte Sonderrechte217. Daneben stehen tatsächliche Faktoren wie wirtschaftlicher Einfluß auf die Gesellschaft, Innehabung von Insiderwissen oder auch anderen Informationen, besondere Beziehungen zur Unternehmensleitung oder zu anderen wichtigen Unternehmen. Die Möglichkeit zur Beeinflussung, als aktives Element, genügt aber noch nicht zur Bestimmung der Treueanforderungen an den einzelnen. Mindestens ebenso wichtig ist im Einzelfall die passive Seite, d.h. die Beeinflußbarkeit von Gesellschaft und Mitaktionären durch die Ausübung des Rechts des einzelnen. Je größer deren Abhängigkeit oder Verletzbarkeit aufgrund des Handelns des einzelnen ist, desto intensivere Treuepflichten treffen diesen. Faktoren für die Verletzbarkeit sind etwa in positiver Richtung die Notwendigkeit der Handlung des einzelnen für die Erreichung des gemeinsamen Zwecks, in negativer Blickrichtung die Auswirkungen der Rechtsausübung auf die Betroffenen, insbesondere die Schwere des dadurch bewirkten Eingriffs, die Größe des eventuell drohenden Schadens, die Verfügbarkeit von Schutz- und Abwehrmechanismen bis hin zur Möglichkeit, die Gesellschaft zu verlassen. Eine Fesselung des Vermögens in der Gesellschaft218 ist, wie oben 214 Brändel in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 86 zu § 1 stellt daher zu Recht auch bei der Intensität der Treuepflicht des einzelnen Aktionärs nicht mehr auf Rechtsform und Realstruktur ab, sondern allein auf das in dessen Händen vereinigte Machtpotential; zur Bedeutung der Realstruktur im Rahmen der passiven Beeinflußbarkeit siehe aber im Folgenden. 215 Für eine Übersicht aller mit unterschiedlichen Minderheitsbeteiligungen verbundenen Kontroll- und Sperrechte siehe HojJmann-Becking, Münchener Handbuch,

S. 484 ff.

216 Zu letzteren näher unten §§ 18 bis 23. 217 Für deren Errichtung besteht allerdings in der Aktiengesellschaft kein allzu großer Spielraum; ein Beispiel ist das Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat gemäß § 101 Abs. 2; allgemein zu Sonderrechten Kraft in Kölner Kommentar, § 11, Rn. 13 ff; Nehls, Treuepflicht, S. 69 f. 218 Daß diese in der Aktiengesellschaft in der Regel nicht gegeben ist, wurde oben

§ 8 Rechtsfolgen von Treuepflichtverletzungen

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gezeigt, bei der Aktiengesellschaft zwar die Ausnahme, deswegen aber nicht unmöglich, vgl. § 68 Abs. 3; eine faktische Fesselung liegt vor, wenn kein Markt für die Aktien der jeweiligen Gesellschaft besteht, oder wenn die Aktien am Markt unter ihrem wahren Wert gehandelt werden. Aus der Kombination von aktiver Ausübung von Einfluß und passiver Beeinflußbarkeit ergibt sich im Einzelfall das Maß der erforderlichen Verantwortung. Hieraus sind dann vor dem Hintergrund der oben allgemein entwickelten Leitlinien die konkreten Treueanforderungen an das Handeln des einzelnen zu bestimmen. § 8 Rechtsfolgen von Treuepflichtverletzungen

Praktische Bedeutung erlangen die so bestimmten Treueanforderungen aber regelmäßig erst im Falle ihrer Nichteinhaltung. Zu untersuchen sind daher noch die Rechtsfolgen eines Treuepflichtverstoßes. I. Mögliche Rechtsfolgen

Denkbar ist hier einerseits ein primärer, unmittelbar materiell-rechtlich wirkender Schutz von Gesellschaft und Mitaktionären durch Anerkennung einer direkt rechtsgestaltenden Wirkung der Treuepflicht, andererseits ein sekundärer Schutz durch Eröffnung von Abwehransprüchen, flankiert von prozessualen Durchsetzungsmöglichkeiten. Erfolgreiche Klagen können dann ebenfalls rechtsgestaltende oder restituierende Wirkung haben. Auf der einen Seite käme somit die unmittelbare, absolut geltende Beschränkung von Gesellschafterrechten durch den Vorbehalt ihrer treugemäßen Ausübung in Betracht - mit der Folge daß diese Rechte für eine treuwidrige Ausnützung gar nicht zur Verfügung stünden; ferner die von Anfang an beachtliche Unwirksamkeit einer treuwidrigen Stimmabgabe oder, noch weitergehend, die Fiktion einer treugemäßen. Auf der anderen Seite stünde die Einräumung von Rechtspositionen an andere Beteiligte, die diese durch Klage geltend machen können219 . Zum

dargelegt; im Einzelfall kann aber nach § 68 Abs. 2 eine Bindung des einzelnen an die Gesellschaft bewirkt werden. 219 Daneben wird teilweise auch vertreten, daß Treuepflichtverletzungen einen wichtigen Grund darstellen können, der den Ausschluß des Aktionärs aus der Aktiengesellschaft rechtfertigt, vgl. Becker, Ausschluß, ZGR 1986, S. 383, 398 ff.; Nehls, Treuepflicht, S. 109 ff.; für Reinisch, Der Ausschluß von Aktionären aus der Akti-

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einen kann dies durch Gestaltungsklage, insbesondere die Anfechtungsklage, geschehen, zum anderen durch Leistungsklagen wie die (vorbeugende) Unterlassungsklage, die Klage auf Beseitigung der eingetretenen Schädigung 220 , vor allem aber die Klage auf Schadensersatz. Letztere kann als Naturalrestitution natürlich auch auf die Beseitigung des Eingriffs abzielen, im Sinne der Herstellung eines Zustandes, wie er ohne die Treuepflichtverletzung bestehen würde. Eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit würde die Anerkennung eines materiellrechtlichen Ausschlusses von Gesellschafterrechten voraussetzen221 . 11. Den Wertungen des Aktienrechts entsprechende Rechtsfolgen

Um die Gefahr willkürlicher Eingriffe in das Aktienrechtssystem auszuschließen, muß sich die Bestimmung der jeweils adäquaten Rechtsfolge wiederum streng an den Wertungen des Aktiengesetzes orientieren.

1. Vom Gesetz vorgesehene Klagerechte Als stärkstes Rechtsmittel stellt das Aktiengesetz den Aktionären zur Kontrolle des Hauptversammlungshandelns die Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. zur Verfügung, mit der gesetz- und satzungswidrige Beschlüsse angegriffen und aufgehoben werden können. Es geht hierbei um eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle, so daß der klagende Aktionär faktisch auch die Rechte der Gesellschaft und der anderen Aktionäre wahrt222 . Daneben wird bezogen auf das Handeln des Managements vom BGH mittlerweile auch die sogenannte "Aktionärsklage" anerkannt223, mittels derer Aktionäre gegen faktische Satzungsänderungen vorgehen können. Hierunter engesellschaft, Köln 1992, S.40 erübrigt sich bei der Feststellung eines wichtigen Grundes allerdings der Rückgriff auf die Treuepflicht. 220 Fillmann, Treuepflichten, S. 210 bezeichnet sie auch als "wiederherstellende Unterlassungsklage" . 221 Siehe unten § 8 ll. 2. a) bb); zu den unterschiedlichen denkbaren Rechtsfolgen auch Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, § 12 Rn. 35 und Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 487. 222 Hierzu näher unten § 18 lli. 2. 223 Bahnbrechend in diesem Bereich war die "Holzmüllerentscheidung ", BGHZ 83, 122; vgl. zuvor Keuk-Knobbe, Das Klagerecht des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft wegen gesetz- und satzungswidrigen Maßnahmen der Geschäftsführung, in FS für Kurt Ballersredt, 1975, S. 239, aus der jüngeren Literatur hierzu Gerkan, Gesellschafterklage, ZGR 1988, S. 441, Pjlugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung

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sind solche kompetenzüberschreitenden Strukturmaßnahmen der Unternehmensleitung zu verstehen, die eigentlich der Zustimmung der Hauptversammlung bedurft hätten. Die richterrechtlich geschaffene "Aktionärsklage" stellt damit ein negatorisches Schutzrecht des Mitglieds gegen Eingriffe in die Mitgliedschaft224 dar. Neben diesen Klagen, die auf eine Umgestaltung der rechtswidrig geschaffenen Situation abzielen, kennt das Aktiengesetz aber auch die Klage auf Ersatz des durch sie verursachten Schadens. Ein Anwendungsfall ist etwa § 317 Abs. 1. Schadensersatzansprüche ergeben sich auch aus § 117; daß diese Vorschrift zwar auch treuwidrige Handlungsweisen erfaßt, aber als Tatbestand der unerlaubten Handlung keine Auswirkungen auf den Bestand und die Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen wegen Treuepflichtverstößen hat, wurde oben bereits dargestellt225 .

2. Bedeutung für die Ahndung von Treuepflichtverstößen a) Treuwidrigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen Die im Aktienrecht bestehende Anfechtungsmöglichkeit kann zwar einen Rückgriff auf die Treuepflicht nicht entbehrlich machen, wie dies zum Teil angedeutet wird226. Denn die Treuepflicht der Aktionäre beschränkt sich nicht auf deren Abstimmungsverhalten. Bei einem Großteil möglicher Treuepflichtverletzungen würde eine Anfechtung daher gar nicht Abhilfe schaffen. Entsprechend kann dort die Existenz der §§ 243 ff. die Anwendbarkeit der Treuepflicht auch nicht einschränken. aa) Bedeutung der Treuepflicht im Rahmen der Anfechtungsklage Fraglich ist aber zum einen, ob nicht zumindest eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Hauptversammlungsbeschlüsse selbst ohne Rückgriff auf rechtmäßigen Vorstandsverhaltens in der Aktiengesellschaft, München 1990 und ausführlich Brondics, Die Aktionärsklage, Berlin 1988; kritisch Zöllner, Gesellschafterklagen, ZGR 1988, S. 392,420 ff.; Schulz-Gardyan, Die sogenannte Aktionärsklage, Diss., Berlin 1991. 224 BGHZ 83, 122, 135; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 517 f. 225 Siehe oben § 7 I. 2. b). 226 Meyer-Landrut, Mehrheitsherrschaft und Treuepflicht im Aktienrecht, in FS für IosefMaria Häußling, Otterbach 1990, S. 249 ff., S. 257.

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Wertungen wie der des Treuepflichtgedankens möglich ist. So wird verschiedentlich angeführt, das Aktienrecht sei in erster Linie "gesetzliches Organisationsrecht" und wolle "richtiges und erfolgreiches unternehmerisches Handeln durch Verfahren" gewährleisten227 . Eine materielle Kontrolle des Handeins der Organe sei von daher systemwidrig oder doch nur im eingeschränkten Maße angebracht228 . Diese These läßt sich aber angesichts der Existenz von Normen wie § 243 Abs. 2 oder § 254 Abs. 1 nicht aufrechterhalten, die klar auf den Inhalt und Sinn von Hauptversammlungsbeschlüssen abstellen und damit zeigen, daß diese nicht nur wegen eines Fehlers im Verfahren, sondern auch wegen des Verstosses gegen materielle Prinzipien des Gesellschaftsrechts angegriffen werden können. In dieselbe Richtung geht auch die vom BGH seit geraumer Zeit praktizierte inhaltliche Beschlußkontrolle etwa beim Bezugsrechtsausschluß nach § 186 Abs. 3229. Diese zunächst rechtlich nicht einordenbare Kontrolle einer Mehrheitsentscheidung der Hauptversammlung wird heute zu Recht vielfach als eine Anwendung der Treuepflicht in ihrer ersten Dimension angesehen230 . Eine Reduzierung der Kontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen auf formelle Fehler unter Ausklammerung der Treuepflicht ist daher abzulehnen. bb) Weitere Sanktionen treuwidrigen Stimmverhaltens Die zweite Frage ist, ob die Anfechtungsklage, gerichtet gegen die Gesellschaft, die einzig mögliche Sanktion einer treuwidrigen Stimmabgabe ist. Denkbar wäre daneben, ebenfalls gegenüber der Gesellschaft die Unbeachtlichkeit der Stimmabgabe oder gar die Fiktion einer treugernäßen Stimmab-

227 Martens, Treupflicht, S. 251. 228 Martens, Treupflicht, S. 252. 229 BGHZ 21,354; 71,40 "Kali + Salz"; 83, 319; OLG München AG 1989,212; vgl. bereits Guntz, Dieter, Fragen aus dem Aktien-Bezugsrecht, Diss., München 1957, S. 69 f. unter Zugrundelegung des Gleichbehandlungsgedankens. 230 Wiedemann, Treuepflichten, 960 ff.; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, Köln 1986, S,. 139, 194; Nehls, Treuepflicht, S. 82; Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, § 16 Rn. 127; Werner, Treupflicht des Kleinaktionärs, S. 427 mit Bezug auf Hüjfer, Generalklausel, 75 f.; zuletzt Zöllner / Winter, Folgen der Nichtigerklärung durchgeführter Kapitalerhöhungsbeschlüsse. ZHR 158 (1994), S. 59, 75; nur teilweise zustimmend Paschke, Treuptlichten, S. 323.

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gabe geltend zu machen231 oder gegen den Handelnden mittels Schadensersatzklage vorzugehen. Die Beschränkung des Stimmrechts auf eine treugemäße Ausübung ließe sich zwar aus dem Gedanken der Verantwortung bei Wahrnehmung von Gesellschafterrechten herleiten. Bei einem Symposion zum Thema "Treuepflichten zwischen Aktionären und Verhaltenspflichten bei der Stimmrechtsbündelung" wurde in der Diskussion sogar überwiegend die Meinung vertreten, daß treuwidrig abgegebene Stimmen - nicht nur in Fällen evidenter Treuepflichtverstöße232 - vom Verhandlungsleiter schlicht unberücksichtigt gelassen werden könnten233 . Derartige Sanktionsmechanismen würden aber das vom Gesetz vorgegebene System verletzen: Wollte man die Unwirksamkeit treuwidrig abgegebner Stimmen anerkenn, so könnte es - würden diese in der Abstimmung dennoch miteingerechnet, etwa weil ihre "Unbeachtlichkeit" nicht augenscheinlich war - dazu kommen, daß entgegen dem formellen Wortlaut materiell ein Beschluß solchen Inhalts nicht zustande gekommen ist. Das vom Gesetz vorgesehene Anfechtungsverfahren will aber eine derartige Rechtsunsicherheit gerade vermeiden, indem es eine allgemeine Berufung auf die Gesetzwidrigkeit von Beschlüssen nur in den Ausnahmefällen des § 241 zuläßt, sonst aber von einer gerichtlichen Nichtigerklärung nach § 248 abhängig macht234. Nach Verstreichen der einmonatigen Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 ist eine Berufung auf die Rechtswidrigkeit gar gänzlich ausgeschlossen. Dem Versammlungsleiter ein Beurteilungsermessen bezüglich der materiellen Wirksamkeit abgegebener Stimmen einzuräumen, würde zudem evident gegen die klare Kompetenzverteilung des Aktiengesetzes verstoßen, das eine 231 Timm weist zu Recht darauf hin, daß positive Stimmpflichen im Aktienrecht nicht erforderlich sind, da auch Stimmenthaltungen bei der Berechnung der Kapitalmehrheit nicht mitzählen, vgl. Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 485 f. m.w.N. 232 So der einschränkende Vorschlag des Referenten Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 189. 233 Siehe bei Schäfer, Diskussionsbericht zu den Referaten Dreher und MarschBarner, ZHR 157 (1993), S. 192, 195. 234 Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481,486 weist zudem auf die praktische Undurchführbarkeit hin, wollte der Versammlungsleiter bei der Feststellung des Stimmverhältnisses auch darüber urteilen, ob Stimmen treuwidrig abgegeben wurden; der BGH (Z 76, 191) hat zwar die Möglichkeit einer positiven Beschlußfeststellungsklage anerkannt, dies allerdings nur bei aufgrund formeller Fehler falsch verkündeter Beschlußergebnisse, nicht bei materiell rechtswidrigen Beschlüssen, vgl. hierzu Zöllner, Beschlußfeststellungsklage,ZGR 1982, S. 623, Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 357 f., 723 f.

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Verwerfungsbefugnis allein den Gerichten im förmlichen Anfechtungsverfahren einräumt. Eine materielle Korrektur treuwidriger Beschlüsse ist daher im bestehenden Aktienrecht unmöglich235 . Dagegen werden Schadensersatzklagen gegen einen Aktionär wegen treuwidriger Ausübung des Stimmrechts durch die Möglichkeit der Anfechtung im Prinzip nicht ausgeschlossen236 . Grund hierfür ist der unterschiedliche Schutzzweck der beiden Institute, einmal die nachträgliche Umgestaltung der Rechtslage, das andere Mal die wirtschaftliche Wiedergutmachung des verursachten Schadens. Letztere ist auch durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage nicht immer völlig gewährleistet, insbesondere dann nicht, wenn die Treuwidrigkeit des Stimmverhaltens erst nach Ablauf der Monatsfrist offenbar wird, oder wenn eine treuwidrige Stimmabgabe ihre schädigenden Wirkungen sofort entfaltet und somit auch ein späterer Erfolg in der Anfechtungsklage den Schaden nicht beseitigen kann237 . Daß auch § 117 Abs. 7 Ziff. 1 keine generelle Haftungsfreistellung bei treuwidriger Stimmrechtsausübung bewirkt, wurde oben schon im einzelnen ausgeführt238 . Auch hier ist aber das Streben des Gesetzes nach Rechtssicherheit zu respektieren. So dürfte nicht über den Umweg einer Schadensersatzklage die einmonatige Anfechtungsfrist umgangen werden. Die Gefahr ist aber eher theoretsicher Natur, da eine etwa im Wege der Naturalrestitution geforderte Aufhebung oder Nichtdurchführung eines Beschlusses nicht in der Kompetenz des beklagten Aktionärs stünde. Hingegen wäre eine Verpflichtung, in der nächsten Hauptversammlung für die Rückgängigmachung eines treuwidrigen Beschlusses zu stimmen, denkbar, da hierdurch keine Rechtsunsicherheit bezüglich der Gültigkeit des ursprünglichen Beschlusses hervorgerufen würde. Zu beachten ist allerdings eine weitere Einschränkung: Obwohl die Schadensersatzklage auch bei anfechtbaren Beschlüssen grundsätzlich verfügbar ist, verhindern die allgemeinen Vorschriften die Einstellung des "dulde und liquidiere". Wer sich gegen einen Treueverstoß zur Wehr setzen kann, darf ihn nicht hinnehmen und auf Schadensersatz hoffen. Die Nichterhebung einer möglichen Anfechtungsklage würde nämlich 235 Ebenso Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 189. 236 A.A. bzgl. Ansprüchen von Mitaktionären Zöllner in Kölner Kommentar, Rn. 195 zu § 243; LG Düsseldorf, 7. Zivilkammer, ZIP 1993, 350, 358; zu der vorzugswürdigen Lösung über § 254 BGB siehe im Folgenden. 237 Zu der Konstellation im Girmes-Fall siehe unten § 9 V. 5. b) dd). 238 Siehe oben § 7 I. 2. b).

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bezüglich des Schadens ein mitwirkendes Verschulden darstellen und nach § 254 Abs. 2 BGB anspruchsmindemd oder -ausschließend wirken239 . Auf diese Weise bleibt der auch vom BGH postulierte Vorrang der Anfechtungsklage als primärer Rechtsbehelf gegen treuwidriges Stimmverhalten erhalten240 . b) Treuwidrige Ausübung anderer Gesellschafterrechte Fraglich ist, ob sich aus der Existenz des Anfechtungssystems nach §§ 243 ff. auch Rückschlüsse für die Ausübung anderer Gesellschafterrechte ziehen lassen. Eine direkte Anwendung kommt zwar nicht in Frage; mithin läßt sich auch die Möglichkeit einer materiellen Beschränkung dieser Rechte auf ihre treugemäße Ausübung nicht wie bezüglich des Stimmrechts von vornherein ausschließen. Zu berücksichtigen ist aber der in den §§ 243 ff. zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, Rechtssicherheit in der Aktiengesellschaft zu gewährleisten. Bei der Beurteilung des Handeins ist aber für jedes Aktionärsrecht nach der Bedeutung der Rechtssicherheit zu differenzieren. Diese hängt vor allem von den Folgen der Rechtsausübung durch den Gesellschafter ab. Hat diese, ähnlich der Beschlußfassung in der Hauptversammlung, unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung, so ist der Bedarf nach Rechtssicherheit erheblich größer als bei einer nur mittelbaren Änderung der Rechtslage, etwa infolge der Geltendmachung eines Anspruchs oder der in ihrer Wirkung vom Spruch des Gerichts abhängigen Erhebung einer Klage. Eine Einschränkung aufgrund von Treuepflichtaspekten ist entsprechend zwar bei der Geltendmachung des Auskunfts- sowie der meisten Minderheitsrechte möglich, nicht aber bei der Einberufung einer Hauptversammlung durch die Aktionäre selbst nach § 122 Abs. 3 Satz 1241 , oder bei der Aus239 Ebenso Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 191; dagegen lehnt das LG Düsseldorf, 7. Zivilkammer, ZIP 1993, 350, 358 im Widerspruch zur 10. Zivilkammer desselben Gerichts, ZIP 1991, 932, 935 f. eine Schadensersatzpflicht parallel zu einer bestehenden Anfechtungsmöglichkeit generell ab; zum GmbH- Recht vgl. Winter, Treubindungen, S. 320 ff. 240 Vgl. BGH, ZIP 1995, S. 819, 827 f. ("Girmes") und oben § 7 I. 2. b). 241 Da die Aktionäre allerdings nur aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung selbst handeln dürfen, geht der Handlung der Aktionäre eine Kontrolle unter Treueaspekten schon voraus, dies zumindest, wenn man mit der hM ein materielles Prüfungsrecht des Gerichtes bejaht, vgl. Zöllner in Kötner Kommentar, § 122 Rn. 3 ff.,28.

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übung des Bezugsrechts nach § 186 Abs. 1, ferner des Entsendungsrechts in den Aufsichtsrat nach § 101 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1242 oder anderer Sonderrechte, die dem Aktionär rechtsgestaltende Optionen einräumen. Die Ausübung des Klagerechts bewirkt zwar die Rechtshängigkeit der Klage; rechtsgestaltende Wirkung hat aber erst ein etwaiges Urteil. Auch hier verlangt also nicht die Rechtssicherheit sofortige Klarheit über das Bestehen des Anfechtungsrechts. Eine materiell wirkende Beschränkung dieses Rechts auf seine treugemäße Ausübung erscheint daher möglich. Für die Rechtsfolgen eines Treueverstoßes im innergesellschaftlichen Bereich bedeutet dies: Einem Aktionär, der ein nicht rechtsgestaltendes Gesellschafterrecht treuwidrig ausnützen will, fehlt die Rechtszuständigkeit. Individual- oder Minderheitsrechte begründen für einen treuwidrig handelnden Aktionär daher keine Ansprüche. Einem Aktionär, der treuwidrig Anfechtungsklage erhebt, fehlt die Sachlegitimation; seine Klage ist unbegründet243 . In allen Fällen steht daneben der Gesellschaft und den anderen Aktionären244 gegen den seine Treuepflicht verletzenden Aktionär auch die Klage auf Unterlassung bzw. Beseitigung der Störung und bei schuldhafter Pflichtverletzung auf Schadensersatz245 offen. c) Treuwidriges Verhalten außerhalb des internen Gesellschaftsbereichs Die im Aktienrecht vorgesehenen Klagemöglichkeiten beziehen sich nur auf die Ausübung gesell schafts interner Macht, nicht aber auf das externe Handeln der Aktionäre, etwa ihre sonstige unternehmerische Betätigung oder den Verkauf ihrer Anteile. In diesem Bereich sind Schadensersatzklagen daher ebenso unbedenklich möglich wie Klagen auf Unterlassung der Störung. Deren Begründetheit ist allerdings eine Frage des Umfangs der Treuepflicht für den einzelnen Aktionär246. Auch kann sich eine Schadensersatzpflicht nur gegenüber der Gesell-

242 Hierzu Mertens in Kötner Kommentar, § 101 Rn. 33 ff. 243 Anders wenn die Treuepflichtverletzung erst in der späteren Verfügung über

die erhobene Klage liegt; siehe hierzu genauer unten § 21 I. 1. und 2. 244 Zur Anspruchsberechtigung siehe näher unten ill. 3. 245 Siehe hierzu im einzelnen unter ill. 246 Hierzu siehe oben § 7 I. und 11.

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schaft ergeben, da die Treuepflicht in ihrer zweiten und dritten Dimension nicht den Mitaktionären gegenüber besteht247 . Da es nicht um die Ausübung gesellschaftsvertraglieh vermittelter Macht geht, kommt eine materielle Einschränkung bestimmter Rechtspositionen nicht in Betracht. d) Verletzungen der Kompetenz der Aktionäre durch die Unternehmensleitung Der Schutz, der durch die sogenannte "Aktionärsklage"248 gewährleistet wird, geht vordergründig in eine andere Richtung als der, den die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bieten soll. Während jene die Aktionäre gegen das Handeln der Unternehmensleitung schützen soll, will diese sie vor Übergriffen ihrer Mitaktionäre bewahren. Überschneidungen scheinen sich damit nicht zu ergeben. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß eine Kompetenzüberschreitung des Managements häufig vom Großaktionär gedeckt ist oder gar bewußt zur Umgehung einer ansonsten vorgesehenen qualifizierten Mehrheitsentscheidung eingesetzt wird249. Selbst wenn die Minderheit kraft ihres Stimmgewichtes eine Strukturänderung nicht hätte verhindern können, so wird sie doch durch das gewählte Vorgehen um die nicht unbedeutende Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle durch Anfechtung nach §§ 243 ff. gebracht. Auch hier stellt sich also die Konkurrenzfrage. Eine Einschränkung der Schadensersatzklage gegen den derart handelnden Großaktionär wird sich aus der Möglichkeit, klageweise unmittelbar gegen die Rechtswidrigkeit des Managementhandelns vorzugehen, aber nicht ableiten lassen. Andernfalls würde das Handeln des Großaktionärs privilegiert, nur weil dieser nicht direkt auftritt, sondern im Hintergrund agiert. Hinzu kommt, daß auch eine später erfolgreiche Aktionärsklage unter Umständen nicht alle Schäden des einmal erfolgten rechtswidrigen Handeins wiedergutmachen kann. Diese Möglichkeit gibt aber der Schadensersatzanspruch gegen den beteiligten Großaktionär wegen schuldhafter Verletzung seiner Treuepflicht. Die Existenz der Aktionärsklage ist jedoch insofern bedeutsam, als sie den betroffenen Aktionären einen direkten Rechtsbehelf gegen die schädigende 247 Siehe oben § 6 ll. 3. 248 Siehe oben ll. 1. 249 So wurde im Holzmüllerfall vom Kläger vorgetragen, "die Ausgliederung habe die Möglichkeit schaffen sollen, für den aufstrebenden Hafenbetrieb eine Kapitalerhöhung ohne Beteiligung der Minderheitsaktionäre durchzuführen und so deren Bezugsrecht zu beseitigen." BGHZ 83, 122, 124.

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Handlung in die Hand gibt. Einer Schadensersatzklage wegen Verletzung der Treuepflicht kann damit entgegengehalten werden, daß von der Möglichkeit einer Aktionärsklage kein Gebrauch gemacht wurde, was zumindest ein Mitverschulden bezüglich der Schadensentstehung darstellen kann.

3. Zusammenfassung Das Aktienrecht legt besonderen Wert auf die Gewährleistung von Rechtsklarheit bezüglich rechtsgestaltender Handlungen der Aktionäre. Für den Hauptanwendungsfall, die Beschlußfassung in der Hauptversammlung durch Ausübung des Stimmrechts, folgt hieraus die Beschränkung auf eine prozessuale Nachkontrolle im gesetzlich geregelten Anfechtungsverfahren. Dessen Wertungen, insbesondere der Vorrang der Rechtssicherheit, sichergestellt durch die nach einem Monat eingetretene Bestandskraft der Beschlüsse, dürfen auch nicht durch die daneben zulässige Schadensersatzklage umgangen werden. Auch in anderen Fällen, in denen Aktionären die Macht zur unmittelbaren Rechtsgestaltung eingeräumt ist, verlangt die Rechtssicherheit die Beschränkung auf eine prozessuale Überprüfung des Gesellschafterhandelns . Hierzu zählen die wichtigsten Individual- und Minderheitenrechte aber nicht. Sie stehen somit unter dem Vorbehalt einer treugemäßen Ausübung, so daß sie als Mittel für ein treuwidriges Vorgehen gegen Gesellschaft oder Mitaktionäre nicht zur Verfügung stehen. Einem Aktionär, der Gesellschafterrechte in solcher Art einsetzen will, fehlt die Legitimation zur Ausübung dieser Rechte. Neben der Unterlassungsklage und der Klage auf Beseitigung der Störung steht gegen sein schuldhaftes Handeln auch die Schadensersatzklage zur Verfügung. Die Betroffenen müssen aber zunächst jede Gelegenheit wahrnehmen, unmittelbar gegen die treuwidrige Beeinträchtigung vorzugehen, sei es durch Anfechtungs-, Unterlassungs- oder Aktionärsklage. Sonst kann sie der Vorwurf eines Mitverschuldens bei der Schadensentstehung treffen, der nach § 254 BGB zu berücksichtigen ist. Verletzungen der zweiten oder dritten Dimension der Treuepflicht können ebenfalls Unterlassungs- oder Schadensersatzklagen nach sich ziehen. Verdichten sich die Treuepflichten der Aktionäre einmal zu konkreten Handlungsanforderungen250 , so entspricht auf der dritten Stufe der Unterlassungs-

250 Dieser Fall wird wegen der Sperrwirkung des § 54 Abs. 1, siehe hierzu oben

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klage die Leistungsklage, gerichtet auf die Bewirkung einer bestimmten Zweckförderung. Den Vorschriften des Aktiengesetzes lassen sich keine direkten Anhaltspunkte entnehmen, die gegen die Ausschließung von Aktionären als Rechtsfolge einer Treuepflichtverletzung sprächen. Eine derartige Ausschließungsbefugnis wird etwa in der GmbH anerkannt und aus dem allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz der Treuepflicht hergeleitet251 . Sie ist daher in der Theorie wohl denkbar. Regelmäßig wird jedoch das praktische Bedürfnis für die Ausschließung fehlen, da die gegenseitige Abhängigkeit der Aktionäre und die Notwendigkeit zu vertrauensvollem Zusammenwirken in der Aktiengesellschaft wesentlich geringer ist als in anderen Verbänden252 . Läge andererseits einmal eine Konstellation vor, in der die Aktionäre wegen ihrer geringen Zahl und der durch Satzung oder Gesetz begründeten Notwendigkeit qualifizierter Abstimmungsmehrheiten auf gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen sind, bestünde kein Grund, die vom BGH festgestellten Grundsätze253 auch auf eine derartige Aktiengesellschaft anzuwenden. 111. Insbesondere die Schadensersatzpflicht

Autoren und Gerichte erkennen zunehmend an, daß eine Verletzung der Treuepflicht Schadensersatzpflichten nach sich ziehen kann254. Eine Erörterung der Fragen, unter welchen genauen Voraussetzungen dies der Fall ist, § 7 I. 2. a), aber allenfalls in Ausnahmefallen eintreten, siehe etwa unten § 9 V. 5. b) cc), dd).

251 H. Winter in Scholz, Kommentar zum GmbH-Recht, 8. Auflage, Köln 1993, Rn. 130 f. zu § 15; BGHZ 8,157,163. 252 So mit Recht der BGH in BGHZ 8, 157, 162 f. 253 BGHZ 8, 157, 162. 254 Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, 334 ff.; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 455 f.; Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 35 zu § 12; SchmUtt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 448 f., 487; Schöne, Haftung, WM 1992, S. 209, 212; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 485 ff. und Fillmann, Treuepflichten, S. 209 ff. beschäftigen sich eingehender mit den Rechtsfolgen einer Treuepflichtverletzung und deren Durchsetzbarkeit. Der BGH (WM 1992, 1812) mußte sich bezüglich der Schadensersatzfolge nicht letztendlich festlegen; indirekt bejaht er jedoch deren Möglichkeit, wenn er feststellt, daß der im Fall geltend gemachte Schaden nicht vom Schutzzweck der Treuepflicht erfaßt wird (S. 1818); ablehnend LG Düsseldorf ZIP 1993, 350, 358 ff.; zu der zweifelhaften Argumentation des Gerichts vgl. Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332,335.

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was der eigentliche Rechtsgrund für den Anspruch ist und wem ein solcher zukommt, erfolgt dabei meist nur in kursorischer Form255 .

1. Voraussetzungen Allgemein wird angenommen, daß ein Schadensersatzanspruch neben der objektiven Verletzung der Treuepflicht ein Verschulden des handelnden Aktionärs voraussetzt256. Dies entspricht dem im deutschen Privatrecht geltenden Grundsatz, daß im Regelfall nur derjenige für die Beseitigung eines Schadens einstehen muß, den die Schuld für dessen Entstehung trifft257. Eine Ausnahme hiervon wird nur dann gemacht, wenn jemanden eine besondere Verantwortung für den Nichteintritt eines Schadens trifft. Diese Verantwortung kann positiv - etwa in Form von Garantieversprechen - übernommen werden, sie kann aber auch aus der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens oder der Inbetriebnahme einer besonders gefährlichen Sache herrühren. Eine derart gesteigerte - verschuldensunabhängige - Verantwortung für den Nichteintritt von Schäden der Gesellschaft oder der Mitaktionäre kommt dem Aktionär aber aus keinem ersichtlichen Grunde zu. Zur Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen wird regelmäßig auch der allgemeine Verschuldensmaßstab des § 276 BGB herangezo-gen258 . Die im GmbH-Recht diskutierte Frage259 , ob die erhöhten Anforderungen, die an die Organe einer Gesellschaft gestellt werden260 auf denjenigen Gesellschafter zu übertragen sind, der in treuwidriger Weise Geschäftsführungsentscheidungen

255 Vgl. jetzt aber die Ansätze bei Nehls, Treuepflicht, S. 99 ff. und die Ausführungen des BGH in der Girmes-Entscheidung ZIP 1995, 819, 827 f. 256 Hiervon wird allgemein und regelmäßig ohne Begründung ausgegangen, vgl. Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, 337; Büffer, Aktiengesetz, Rn. 21 zu § 53 a; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 191; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, § 19 ID. 1. a), S. 448 und § 20 IV. 4., S. 487; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, § 8 IV. 1. a); S. 455, Winter, Treubindungen, S. 91 ff.; einen rein objektiven Ansatz, der allerdings auf die objektiv feststellbare subjektive Zumutbarkeit treugemäßen Verhaltens abstellt, versucht Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 487. 257 Vgl. für das Vertragsrecht § 276 Abs. 1 Satz 1, für das Deliktsrecht § 823 Abs.l. 258 Vgl. Büffer, Aktiengesetz, Rn. 21 zu § 53 a; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 191; Nehls, Treuepflicht, S. 104 ff. 259 Vgl. i.E. ablehnend Winter, Treubindungen, S. 107 ff., 110 ff. 260 Vgl. § 93 Abs. 1 Satz I AktG, § 43 GmbHG.

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der Unternehmensleitung beeinflußt, stellt sich im Aktienrecht angesichts der dort fehlenden Weisungsmöglichkeit regelmäßig nicht261 . Der BGH wirft in seiner jüngsten Entscheidung262 die Frage auf, ob im Aktienrecht der Verschuldensmaßstab nicht generell auf Vorsatz zu beschränken ist, wie der Gesetzgeber dies für den deliktsrechtlichen Anspruch des § 117 Abs. 1 vorgesehen hat. Für den zu entscheidenden Fall der Schadensersatzpflicht wegen treuwidriger Ausübung des Stimmrechts bejaht er dies mit dem Argument, daß eine solche nur ausnahmsweise dann eingreift, wenn die an sich gemäß § 243 Abs. 2 eröffnete Anfechtungsklage ins Leere liefe. Der Versuch, durch eine Abstimmung einen Sondervorteil zu erreichen, setze aber begriffsnotwendig Vorsatz voraus. Diese auf den ersten Blick zwingend erscheinende Argumenatation läßt sich jedoch nicht verallgemeinern. § 243 Abs. 2 ist nur ein Fall der Treuepflichtverletzung. So wurde als ein weiterer - ebenfalls gesetzlich geregelter Anwendungsfall § 254 Abs. 1 angesehen. Diese Vorschrift sieht eine Anfechtbarkeit von Gewinnrückstellungsbeschlüssen vor, die objektiv die Ausschüttung der Mindestdividende verhindern und die "bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht notwendig" sind, setzt also gerade nicht den Nachweis voraus, daß durch einer derartigen Beschluß außenstehende Aktionäre vorsätzlich "ausgehungert" werden sollen. Es sind daher sogar bei der Stimmrechtsausübung, erst recht im Bereich der Ausübung anderer Aktionärsrechte, für den der BGH die Frage nach dem Verschuldensmaßstab bewußt offen gelassen hat, durchaus Fälle denkbar, in denen fahrlässiges Verhalten als Treuepflichtverletzung relevant und von der Rechtsordnung geahndet wird. Es besteht somit kein Anlaß von vornherein die Möglichkeit einer Schadensersatzpflicht in diesen Fällen auszuschließen, wenn im Einzelfall das Maß der Pflichtwidrigkeit sicher auch vom Grad des Verschuldens abhängt. Wegen der Vergleichbarkeit mit den Fällen der positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahendo - betreffend sowohl die Rechtsgrundlage263 als auch die Beweissituation - kann die für den Verschuldensnachweis richterrechtlich herausgebildete Beweislastverteilung nach Verantwortungsbereichen264 auch auf den Schadensersatzanspruch wegen Treue261 Besondere Kenntnisse können aber bei der Frage nach den jeweils aufzustellenden Sorgfaltsanforderungen von Belang sein, so richtig Nehls, Treuepflicht, S. 105 f. 262 BGH ZIP 1995, 819, 827. 263 Siehe hierzu den folgenden Punkt 2. 264 BGHZ 8,241; 48, 312; 64, 51; 66, 53; BGH NJW 78,2198; 80, 2187; 87, 1939; Larenz, Schuldrecht, § 20 1.; § 24 I. b). 10 Guntz

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pflichtverletzung übertragen werden265 . Dies bedeutet, daß der Nachweis einer objektiven Treuepflichtverletzung die Vermutung des Vertretenmüssens durch den betreffenden Aktionär nach sich zieht. Die Behauptung, die objektive Pflichtverletzung sei schuldlos erfolgt, müßte daher von diesem bewiesen werden266 . 2. Rechtsgrund

Die Feststellung, daß fahrlässige und vorsätzliche Verletzungen der Treuepflicht Schadensersatzpflichten nach sich ziehen, erklärt noch nicht, warum dies der Fall ist. Wie oben267 gezeigt, verbindet die Mitgliedschaft die Gesellschafter in ihrem gemeinsamen Streben nach dem Verbandszweck. Sie stehen daher sowohl untereinander als auch gegenüber der Gesellschaft als dem institutionalisierte Gemeininteresse ihrer Mitglieder in einer Sonderverbindung, aus der sich Rücksichtspflichten und andere Verhaltensanforderungen herleiten. Es liegt daher eine Situation vor, die der des Anwendungsbereichs der culpa in contrahendo beziehungsweise der positiven Forderungsverletzung entspricht. Parallel zu diesen Instituten führt auch die schuldhafte Verletzung der im Rahmen der Sonderverbindung Mitgliedschaft geschuldeten Pflichten zu einem Schadensersatzanspruch der Geschädigten268 . 3. Anspruchsberechtigte

Auch die Frage, wem ein Schadensersatzanspruch zusteht, läßt sich auf Grund des oben Erarbeiteten beantworten. Die Treuepflicht ist sowohl der

265 So auch Ulmer, Der Gläubigerschutz im faktischen GmbH- Konzern beim Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, ZHR 148 (1984), S. 391, 421; Wiedemann, Die Bedeutung der ITT-Entscheidung, JZ, 1976, S. 392, 393, leitet die Beweislastumkehr dagegen aus einer entsprechenden Anwendung von § 93 Abs. 2 AktG her. 266 Heinrichs in Palandt, Rn. 11 zu § 282. 267 Siehe oben § 6 11. 2. a). 268 So auch Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 128; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 448; Zöllner, Kölner Kommentar, Rn. 195 zu § 243 hält dagegen die zwischen den Aktionären bestehende Sonderverbindung nicht fiir genügend tragfähig zur Begründung von Schadensersatzptlichten; als de lege ferenda wünschenswert bezeichnet er diese in Zöllner, Schranken, S. 424 ff., 432.

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Gesellschaft als auch den Mitgesellschaftern gegenüber geschuldet269 ; sie schützt in ihrer ersten Dimension auch deren beider Interessen270 . Wird diese Pflicht verletzt, so haben folgerichtig sowohl die Gesellschaft als auch die Mitaktionäre einen Anspruch darauf, den ihnen hierdurch entstandenen Schaden ersetzt zu bekommen: Führt die treuwidrige Ausübung von Gesellschafterrechten zu einer Vermögensbeschädigung der Gesellschaft, so hat diese ebenso einen Anspruch auf Ersatz, wie ihn die Gesellschafter haben, wenn dadurch eine Beeinträchtigung ihrer Mitgliederstellung bewirkt wird271. Anders verhält es sich bei Verletzungen der Treuepflicht auf ihrer zweiten oder dritten Ebene, wenn etwa gegen das allgemeine Schädigungsverbot oder die Zweckförderungspflicht verstoßen wird. Durch diese Pflichten soll lediglich die gemeinsame Sache, nicht aber die individuellen Interessen der Mitaktionäre geschützt wer-den. Entsprechend kann zwar die Aktiengesellschaft, die durch unbegründete kreditgefährdende Äußerungen eines einflußreichen Aktionärs am Abschluß eines lukrativen Geschäftes mit dessen Wettbewerber gehindert wurde, ihren Schaden von dem Aktionär ersetzt verlangen, nicht aber der Mitaktionär , der in seinem eigenen Geschäft nun Schwierigkeiten mit dem Absatz von Produkten der Gesellschaft bekommt.

4. Konku"enz,fragen bei Doppe/schäden Da die Unterlassung von Schädigungen der gemeinsamen Sache zwar auch jedem Mitaktionär gegenüber geschuldet ist, diese Pflicht aber nicht dessen Privatvermögen schützen S01l272 , ist klar, daß selbst bei Schädigungen der Gemeinschaft, die mittelbar das Beteiligungsvermögen des Aktionärs mindern, dieser keinen Anspruch auf Ersatz seines privaten Schadens haben kann. Inwieweit er einen Anspruch auf Ersatz des Schadens der Gesellschaft geltend machen kann, wird noch zu prüfen sein273 . Auf der ersten Ebene, auf der auch das private Interesse der Mitaktionäre geschützt ist, stellt sich dagegen die zusätzliche Frage nach der Konkurrenz 269 Siehe oben § 6 11. 2. d). 270 Siehe oben § 6 11. 3. 271 An den Schutz privater Interessen denkt der BGH nur bei Störungen in der privaten Sphäre, die auf den mitgliedschaftlichen Bereich durchschlagen, BGH WM 1992, 1812, 1818 = AG 1993,28,32. 272 Siehe oben § 611.2. d) und 3. 273 Siehe unten II1. 5.; zu dem gesamten Themenzusammenhang ausführlich Kowalski, Der Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, Köln 1990.

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zwischen den Anspruchsberechtigten, wenn eine Handlung sowohl zu einem Schaden der Gesellschaft als auch zu einem solchen der Aktionäre führt: Da sich der Umfang des ersatzpflichtigen Schadens nach den allgemeinen Vorschriften bestimmt274 , wäre prinzipiell jede Beeinträchtigung im Vermögen des Aktionärs zu ersetzen, daher auch solche, die in einen Wertverlust des Aktienbestandes nur die Schädigung des gesamten Gesellschaftsvermögens widerspiegeln. Das skizzierte Konkurrenzproblem stellt sich allerdings nicht nur in unserem Zusammenhang. Es ergibt sich vergleichbar etwa bei Pflichtverletzungen der Unternehmensleitung zwischen deren organschaftlicher Haftung gegenüber der Gesellschaft und deliktsrechtlich oder anders begründeten Ansprüchen der Aktionäre275 . In beiden Fällen ergeben sich dieselben Konsequenzen: Würden einzelne geschädigte Aktionäre ihren persönlichen mittelbaren Schaden geltend machen, so würde die Gesellschaft bei Anrechnung dieser Zahlungen Probleme haben, ihren vollen Schaden ersetzt zu verlangen. Die bereits entschädigten Gesellschafter würden bei einer späteren Schadensersatzzahlung an die Gesellschaft zu Unrecht ein zweites Mal bedacht276 . Hinzu kommt, daß der zu ersetzende Vermögenswert auch materiell dem Gesellschaftsvermögen zuzurechnen ist. Würde er auf dem Umweg einer Schadensersatzleistung in das Vermögen einzelner Aktionäre verschoben, so würde dies der Zweckbindung des zur Erreichung des gemeinsamen Ziels Aufgewendeten widersprechen und käme daneben einer unzulässigen Einlagenrückzahlung gleich. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt im Bereich des deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs aus § 117 Abs. 1 gesehen und in Satz 2 dahingehend entschieden, daß Aktionäre, die durch eine verbotene Einflußnahme auf die Organe der Gesellschaft geschädigt wurden, nur denjenigen Schaden ersetzt verlangen könnnen, der ihnen nicht allein mittelbar - durch eine Schädigung der Gesellschaft - zugefügt worden ist.

274 Insbesondere §§ 249 ff. BGB. 275 Siehe hierzu Hefermehl in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, Rn. 96 f. zu § 93; Martens, Die Anzeigepflicht des Verlustes des Garantiekapitals nach dem AktG und dem GmbHG, ZGR 1972, S. 254, 276; Mertens in Kölner Kommentar, Rn. 26, 170, 175 f. zu § 93; zur vergleichbaren Konstellation in der GmbH etwa Mertens, Die Geschäftsführungshaftung in der GmbH und das ITT-Urteil in FS für Robert Fischer, Berlin 1979, S. 461, 474 f.; Winter, Gewinnausschüttungen, ZHR 148 (1984), S. 579, S. 595. 276 Mertens, Die Geschäftsführungshaftung in der GmbH und das ITT-Urteil in FS für Robert Fischer, Berlin 1979, S. 461,474; Kölner Kommentar, Rn. 170 zu § 93.

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Auch der BGH277 ließ sich von den oben ausgeführten Erwägungen leiten278 , als er in einem Fall, in dem eine Aktionärin wegen der Wertminderung ihres Anteils direkte Ansprüche gegen ein Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft geltend machte279 , entschied, daß die Aktionärin Schadensersatzleistung nur in das Vermögen der Gesellschaft verlangen kann. Nur auf diese Weise wird eine Güterrückführung im Einklang mit der gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Vermögenszuweisung gewährleistet280 . Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Vorstellung, daß der Ausgleich mittelbarer Schäden in das Vermögen des Gesellschafters nicht in Betracht kommt, wie sie sich in § § 117 Abs. 1 Satz 2281 , 317 Abs. 1 Satz 2 niedergeschlagen hat282. Die in diesem Fall vom BGH entwickelte Lösung kann - auch im Hinblick auf die parallele Wertung in § 117 Abs. 1 Satz 2 - uneingeschränkt auf das identisch gelagerte Konkurrenzproblem zwischen Ansprüchen aus Treuepflichtverletzung übertragen werden283 . Dies läßt sich auch mit allgemeinen schadensersatzrechtlichen Erwägungen stützen284 : Im Wege der Naturalrestitution ist nach § 249 Satz 1 BGB dem Aktionär die Wiederherstellung des ohne die schädigende Treuepflichtverletzung bestehenden Zustandes geschuldet. Dieser würde sich aber durch ein intaktes Gesellschaftsvermögen und einem daraus resultierenden hohen Aktienwert auszeichnen, nicht dadurch, daß im Privatvermögen der niedrigere Wert der gehaltenen Aktien mit einer entsprechenden Geldsumme ausgeglichen wäre. 277 BGH JZ 1987,781 = WM 1987, 13 = ZIP 1987, 29 = AG 1987, 126; hierzu Baums, Ersatz von Reflexschäden in der Kapitalgesellschaft - Besprechung der Entscheidung BGH WM 1987, 13 ff. - in ZGR 1987, S. 554; Wiedemann, Anmerkung zu BGH JZ 1987,781, JZ 1987, S. 784. 278 BGH JZ 1987,781,783. 279 Der Beklagte war in seiner Funktion als Geschäftsführer der Klägerin in den Vorstand der fraglichen Tochtergesellschaft entsandt worden und daher als Organ der Muttergesellschaft dieser nach § 43 GmbHG schadens ersatzpflichtig , vgl. BGH JZ 1987,781 f. 280 BGH BGH JZ 1987,781,783. 281 Kropf! in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, Rn. 38 zu § 117 nennt als Grund für diese Regelung genau die oben beschriebenen Konflikte bei der Abwicklung der beiden Schadensersatzansprüche. 282 Winter, Gewinnausschüttungen, ZHR 148 (1984), S. 579, 596 und ihm folgend der BGH sehen in diesen Vorschriften einen verallgemeinerungsfaltigen Rechtsgedanken. 283 So auch Nehls, Treuepflicht, S. 106 f. 284 Baums, Ersatz von Reflexschäden in der Kapitalgesellschaft - Besprechung der Entscheidung BGH WM 1987, 13 ff. - in ZGR 1987, S. 554, 560 f.; Gerkan, Gesellschafterklage, ZGR 1988, S. 441, 446.

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Hieraus folgt auch die Tatsache, daß jeder Aktionär den Ausgleich des vollen Schadens der Gesellschaft fordern kann. Nur so wird der ursprüngliche Zustand, nur so der volle Wert seiner Anteile wieder hergestellt. Daß die Verpflichtung zur Naturalrestitution bezüglich des Anspruchs Inhaberschaft und BegünstigtensteIlung auseinanderklaffen läßt, ist nicht ungewöhnlich. Zu diesem Ergebnis kommt der BGH auch in der ITTEntscheidung, die sich mit der Treuepflicht zwischen Gesellschaftern einer GmbH befaßt285: Der BGH gestand hier dem Mitgesellschafter einen eigenen Schadensersatzanspruch zu286, der inhaltlich aber auf Leistung an die Gesellschaft gerichtet war287 . Besteht die Vermögensschädigung des Aktionärs daher allein in der Wertminderung seines Aktienbesitzes (sogenannter Reflexschaden), so kann er als Schadensersatz von seinem treuwidrig handelnden Mitaktionär nur den Ausgleich der primären Vermögenseinbuße der Gesellschaft verlangen288 . Dieses Ergebnis hat der BGH nunmehr in seiner jüngsten Entscheidung ausdrücklich bestätigt289 .

5. Berechtigung zur Anspruchserhebung Zuletzt soll noch der Frage nachgegangen werden, wer zur Erhebung der Ansprüche berechtigt ist290. Unproblematisch ist dies der jeweilige Inhaber. Nichts anderes gilt bei der zuletzt geschilderten Fallgestaltung, bei der der Aktionär zwar Leistung an die Gesellschaft verlangt, dies aber aus seinem eigenen Recht heraus291 . 285 BGHZ 65, 15. 286 BGHZ 65, 15, 18; hierzu auch Stimpel, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Innenhaftung des herrschenden Unternehmens im GmbH-Konzern, AG 1986, S. 117, 118. 287 Bzw. aufgrund deren Stellung als Holding sogar direkt an ihre am Geschäftsleben teilnehmenden Tochtergesellschaften, BGHZ 65, 15, 21; eine Klage aus eigenem Recht, die auf Leistung an die Gesellschaft gerichtet ist, erkennt in bestimmten Situationen auch Zöllner, Gesellschafterklagen, ZGR 1988, S. 392, 405 f. an. 288 Dies entspricht der Position, die der BGH im GmbH-Recht gemäß seiner eigenen Zusammenfassung der vorzitierten Entscheidungen in BGH NJW 1992, 368, 369 bezüglich des Ersatzes mittelbarer Schädigungen durch Treuepflichtverletzungen einnimmt. 289 BGH ZIP 1995, 819, 827. 290 Siehe hierzu ausführlich Kowalski, Der Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, Köln 1990. 291 Es handelt sich damit nicht um einen Fall der actio pro societate, versteht man

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Fraglich ist aber, ob der Aktionär darüber hinaus in bestimmten Fällen, in denen er selbst keinen Anspruch hat292 , einen Anspruch der Gesellschaft, den diese nicht von sich aus geltend macht293 , als Prozeßstandschafter für die Gesellschaft einklagen kann294 . Die Anerkennung einer solchen actio pro socio bzw. actio pro societate295 ist inzwischen längst nicht mehr auf das Personengesellschaftsrecht beschränkt2 96. Sie wird teilweise bereits als ein Institut des allgemeinen sie mit Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S.458 f.; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 525 ff. (soweit nicht Fälle der rein schuldrechtlichen actio pro socio betroffen sind); Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 132 ff. als Geltendmachung eines Rechts der Gesellschaft. Anders (eigenes Recht des klagenden Gesellschafters): Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 21 zu § 27 und Raiser, Thomas, Gesellschafterklagen, ZHR 153, 1989, S. 1. 292 Siehe insbesondere die Fälle von Verletzungen der Treuepflicht auf der zweiten und dritten Ebene, oben § 7 I. 3. b) und c); § 8 11. 2. c) und ill. 3. 293 Gerade gegenüber einem Großaktionär, der maßgeblichen Einfluß auf die Bestellung der Unternehmensleitung hat, ist es denkbar, daß der Vorstand entgegen seiner Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 Satz 1 auf eine Durchsetzung verzichtet, vgl. hierzu schon Krückmann, Ersatzklage des Aktionärs wegen Schädigung der Aktiengesellschaft, ZHR 102 (1936), S. 208, 209 f., 211 f. 294 Genau diese Fallgestaltung in einer GmbH betrifft BGH AG 1990,458 f. 295 Dieser Ausdruck soll trotz der Bedenken von Flume, Allgemeiner Teil, S. 301 f. im Folgenden verwendet werden, um Klagen des Gesellschafters, die auf Leistung an die Gesellschaft gerichtet sind, von anderen Klagen in der Eigenschaft als Gesellschafter deutlich abzugrenzen. Dieselbe Terminologie benutzen in Anschluß an Nitschke, Die Geltendmachung von Gesellschaftsforderungen durch den einzelnen Gesellschafter einer Personengesellschaft (Gesamthänderklage), ZHR 128 (1966), S. 48, 50: u. a. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S.458, Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 135 und Rehbinder, Treuepflichten, ZGR 1976, S. 386, S. 393. 296 So wird die actio pro societate mittlerweile etwa bei der GmbH allgemein anerkannt, vgl. Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 21 zu § 27; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 530 ff. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 461 ff.; Winter, Gewinnausschüttungen, ZHR 148 (1984), S. 579, 595; BGH AG 1990, 458 f., betrefffend die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus Treuepflichtverletzung . BGHZ 65, 15 wird hier gemeinhin als Wendepunkt angesehen (Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 135 ff., Rehbinder, Treuepflichten, ZGR 1976, S. 386; 393 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 461), obwohl es bei dieser Entscheidung um die Geltendmachung eines eigenen Rechts, also gerade nicht um einen Fall der actio pro socio handelte, so zu Recht Flume, Allgemeiner Teil, S. 303; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 531. Einen ersten Anstoß hatte bereits 1949 Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttungen bei Kapitalggesellschaften, Tübingen 1949, S. 181 ff. gegeben; später Immenga, personalistische Kapitalgesellschaft, S.283 ff.; Überlegungen auch schon

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Verbandsrechts angesehen297 . Mit dieser Entwicklung geht es konform, daß die actio pro societate zunehmend nicht mehr als vertraglich vereinbarte Notgeschäftsführungsmaßnahme, sondern als ein aus der Mitgliedschaft fließendes notwendiges Kontrollrecht des einzelnen zur Durchsetzung des Gesamtinteresses gesehen wird298. Mit einer Anerkennung auch in der Aktiengesellschaft haben sich Rechtsprechung und Lehre nicht zuletzt wegen der dort herrschenden starren Zuständigkeitsordnung bislang jedoch zuTÜckgehalten299 .

bei Nitschke, Die Geltendmachung von Gesellschaftsforderungen durch den einzelnen Gesellschafter einer Personengesellschaft (Gesamthänderklage), ZHR 128 (1966), S. 48, 95 f. 297 Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 530. 298 Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 21 zu § 27; Raiser, Thomas, GeseIlschafterklagen, ZHR 153, 1989, S. 1; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 458 f.; für die organisationsrechtliche actio pro socio Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 525 ff.; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 132 ff. m.w.N. nimmt als Rechtsgrundlage ebenfalls die Mitgliedschaft an, sieht in der actio pro socio aber qualitaitv eine Form der Notgeschäftsführung für den Verband (S. 136); Streit besteht unter den Genannten darüber, ob es sich bei der organisationsrechtlichen actio pro societate nur um ein Recht des Gesellschafters, als Prozeßstandschafter für die Gesellschaft zu klagen, handelt (so: Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 525 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 458 f.; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 132 ff.) oder ob ein eigenes materielles Recht des Gesellschafters gegenüber dem Beklagten angenommen wird, von diesem Leistung an die Gesellschaft zu verlangen (so: Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 21 zu § 27 und Raiser, Thomas, Gesellschafterklagen, ZHR 153, 1989, S. 1). 299 Eine actio pro societate anerkennen wollen Wieland, Handelsrecht, Zweiter Band: Die Kapitalgesellschaften, München 1931, S. 133 ff., 137 ff. Fillmann, Treuepflichten, S.212 ff. Gerkan, Gesellschafterklage, ZGR 1988, S. 441, 446 f. und Großfeld, Unternehmenskonzentration, S. 224 ff. mit ausführlichem Vergleich der usamerikanischen Rechtssituation; Sympathien für diese Meinung äußert auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 463; in der Sache nichts anderes verlangen Krückmann, Ersatzklage des Aktionärs wegen Schädigung der Aktiengesellschaft, ZHR 102 (1936), S. 208 und neuerdings Pjlugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung rechtmäßigen Vorstandsverhaltens in der Aktiengesellschaft, München 1990, S. 136 ff.; in Beschränkung auf Fälle einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Zöllner, Gesellschafterklagen, ZGR 1988, S. 392, 405 f.; generell zurückhaltend von Godin, Ersatzklage des Aktionärs wegen Schädigung der Aktiengesellschaft, ZHR 103 (1936), S. 218; bzgl. einer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung siehe Großfeld, Unternehmenskonzentration, S. 226 ff. Die herrschende Meinung ist dagegen nach wie vor ablehnend, vgl. nur Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 16 ff. zu § 12; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S. 530; Zöllner, Gesellschafterklagen, ZGR 1988, S. 392, 408, jeweils m. w.N.

§ 8 Rechtsfolgen von Treuepflichtverletzungen

153

Eine Entscheidung unserer Frage muß sich wiederum an den vom Aktienrecht bereits getroffenen Wertungen orientieren. Dieses gibt an zwei verschiedenen Stellen einzelnen Aktionären eine Möglichkeit, die Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft zu erzwingen. Nach § 147 kann eine Aktionärsminderheit von mindestens 10 Prozent die Gesellschaft veranlassen, Schadensersatzansprüche gegen die Gründer, die Verwaltung und gegen Personen, die Einfluß auf diese ausgeübt haben, gerichtlich durchzusetzen. Effizienter als dieses Recht, "unwillige Hunde zum Jagen zu tragen3OO ", ist die Regelung, die sich im Konzernrecht in den §§ 309 Abs. 4 Satz 1 und 2,310 Abs. 4, 317 Abs. 4 und 318 Abs. 4 AktG findet und als gesetzlich angeordneter Fall der actio pro societate angesehen wird301: Jeder Aktionär der Untergesellschaft eines Vertrags- oder faktischen Konzerns hat das Recht, Schadensersatzansprüche, die seiner Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen302 und gegen die Organmitglieder beider Gesellschaften zustehen, selbst geltend zu machen. Mit dieser deutlich weitergehenden Regelung wird der innerhalb eines dauerhaften Beherrschungsverhältnisses erheblich erhöhten Gefahr Rechnung getragen, daß die auch persönlich abhängigen Organmitglieder des beherrschten Unternehmens dessen an sich bestehende Schadensersatzansprüche nicht geltend machen303 . Auch sah der Gesetzgeber hier eine besondere Gefahr, daß die nach § 147 erforderliche Minderheit nicht zustandekommen könnte 304 . Vermittelnd Flume, Allgemeiner Teil, S. 302 ff. (actio pro societate nur bei Ansprüchen gegen die Verwaltung wegen des Rechtsgedankens aus § 147 AktG ausgeschlossen). 300 Zur fehlenden praktischen Tauglichkeit dieser Vorschrift etwa Immenga, personalistische Kapitalgesellschaft, S. 285; Großfeld, Unternehmenskonzentration, S. 301 ff., zu den Möglichkeiten für die zur Klage gezwungene Gesellschaft, die Klage "einschlafen" zu lassen: Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 463. 301 Flume, Allgemeiner Teil, S. 304; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 136; Schmidt, Karsten, Gesellschaftsrecht, S.530; auch Rehbinder, Treuepflichten, ZGR 1976, S. 386, 393 f. spricht trotz anderer Benennung der Sache nach von actiones pro societate. 302 Im faktischen Konzern erfaßt § 317 Ansprüche gegen das herrschenden Unternehmen direkt; im Vertragskonzern wird bei solchen § 309 IV nach allgemeiner Ansicht analog angewandt, Koppensteiner in Kölner Kommentar, Rn. 30 zu § 309; Geßler in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropjf, Aktiengesetz, Rn. 53 zu § 309 m.w.N. 303 Koppensteiner in Kölner Kommentar, Rn. 29, 33 zu § 309; es liegt damit einer der Fälle vor, bei denen davon ausgegangen wird, daß die reguläre Organisation des Verbandes typischerweise versagt, vgl. Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 136 f. 304 Bei Kropjf, Textausgabe mit Begründung, S. 405.

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD

Diese Wertungen sind auch bei der Frage nach der Durchsetzbarkeit der gesetzlich nicht geregelten Ansprüche aus Treuepflichtverletzung zu beachten. Eine actio pro societate ist also nur in Situationen zuzulassen, die derjenigen der §§ 309, 310, 317, 318 vergleichbar sind305. Die Verletzung muß demnach von einem Aktionär begangen worden sein, der dauerhaft einen maßgeblichen Einfluß auf die Gesellschaft und ihren Vorstand ausübt306. Das mitgliedschaftliehe Kontrollrecht der actio pro societate wird aber in analoger Anwendung von § 147 verdrängt und durch das hier vorgesehene Klageerzwingungsrecht ersetzt, sofern die Treuepflichtverletzung von einem weniger einflußreichen Aktionär begangen wurde. § 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär I. Begriff des Minderheitsaktionärs

Unter dem Begriff Minderheitsaktionär sollen im Folgenden alle Gesellschafter einer Aktiengesellschaft gefaßt werden, deren Stimmacht nicht ausreicht, um regelmäßig die Abstimmungsmehrheit auf der Hauptversammlung zu stellen und so deren Entscheidungen zu bestimmen. Die Grenze des Kapitalanteils von 50 % hat hierbei nur Indizcharakter . Einerseits kann sich angesichts der auf Hauptversammlungen von Publikumsaktiengesellschaften regelmäßig gegebenen Anteilspräsenz von unter 100 % auch für Aktionäre mit einem Kapitalanteil von 40 % oder weniger eine stabile Stimmehrheit ergeben307 . Eine solche hat andererseits in

305 Die Anerkennung eines Klagerechts der Gesellschafter ist mit zunehmender Wahrscheinlichkeit der Nichtgeltendmachung berechtigter Ansprüche aber auch notwendig; so formuliert Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 137, in diesem Zusammenhang: "Darüberhinaus sind actio pro socio und actio pro societate auch Rechtsfiguren, die das rechtsethische Prinzip des Zivilrechts im Verbandskonflikt gewährleisten: es ist auch für die Rechtsidee unerträglich und korrumpiert die Autorität des Zivilrechts, wenn materielle Rechtspositionen in geradezu zynischer Weise nur an den Organisationsnormen verbands interner Zuständigkeitsordnungen scheitern sollten" . 306 Die Mißbrauchsgefahr ist angesichts des Kostenrisikos und des bislang zurückhaltenden Gebrauchs der Möglichkeit nach § 309 Abs. 4 gering zu veranschlagen, so schon der Regierungsentwurf, bei Kropjf, Textausgabe mit Begründung, S. 405; siehe auch Koppensteiner in Kötner Kommentar, Rn. 32 ff. zu § 309, der mit einer analogen Anwendung von § 247 AktG zusätzliche Anreize zur Klageerhebung zu schaffen sucht. 307 Die durchschnittliche Präsenz auf Hauptversammlungen ist seit Jahren rückläufig und soll 1989 bereits unter 50 % gelegen haben: Than, Verhaltenspflichten, ZHR

§ 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär

155

Gesellschaften mit Höchststimmrechtsregelungen selbst der Eigner von über 50 % des Kapitals nicht. 11. Die Rechtsprechung des BGH zur Treuepflicht des Minderheitsaktionärs

1. Bisherige Einschätzung Als der BGH 1988 erstmals eine Treuepflicht der Aktionäre untereinander anerkannte, beschränkte er sie noch auf die Pflicht des Mehrheitsaktionärs, auf die gesellschaftsbezogenen Interessen der Minderheit Rücksicht zu nehmen308. Noch unter dem Eindruck der alten Lehre von der besonderen persönlichen Verbundenheit als Grundlage der Treuepflicht309 erschien es wichtig zu versichern, "daß die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs dagegen in der Regel nicht von der aktienrechtlichen Treuepflicht bestimmt werden"31O. Konsequenterweise stützte der BGH, als er im Jahre 1989 erstmals danach das möglicherweise treuwidrige Verhalten eines Kleinaktionärs zu beurteilen hatte, seine Entscheidung auf das allgemeinere Rechtsinstitut311 des § 242 BGB: Erhebe ein Aktionär eine Anfechtungsklage, "mit dem Ziel, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann", so könne dieser Klage der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegengehalten werden312. Die Frage, ob die rechtsbegrenzende Funktion der Treuepflicht313 in einem derartigen Fall das Anfechtungsrecht nicht ohnehin inhaltlich beschränkt, so daß eine Ausübungskontrolle nach § 242 ins Leere greift, wurde unberücksichtigt gelassen314 . Der BGH bemerkte nur lapidar: "Eines Rückgriffs auf die gesellschafterliehe Treupflicht, aufgrund deren das Reichsgericht zu seiner von strengeren Voraussetzungen ausgehenden Ansicht gelangt ist, bedarf es zur Begründung des Einwandes des Rechtsmißbrauchs nicht. "315 1993, S. 125, unter Berufung auf eine von Christians in AG 1990, 47 veröffentlichte Untersuchung. 308 BGHZ 103, 184, 194 f. 309 Siehe oben § 6 I. 310 BGH Z 103, 184, 195. 311 Siehe im einzelnen § 20 11. 1. a), b). 312 BGHZ 107,296,297. 313 Siehe hierzu oben § 81., 11. 2. b). 314 Zur Kritik siehe unten § 20 11. 1.,2. und § 21 I. 1.,2. a). 315 BGHZ 107,296,311.

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In einer Entscheidung aus dem Jahr 1992, die den Schutzbereich der aktienrechtlichen Treuepflicht näher konkretisierte, leitete der BGH die Trendwende ein: Ohne letztlich eine Entscheidung in der Sache zu treffen, wies er darauf hin, daß bislang nur über die Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs entschieden worden sei. Ob die Treupflicht - wie in der Literatur vertreten werde - über die Begrenzung der Mehrheitsherrschaft hinaus dem Aktionär allgemein Schranken bei der Ausübung seiner Mitgliedschafts-, insbesondere seiner Mitverwaltungs- und Kontrollrechte setzt, sei dagegen noch offen. 316

2. Die Girmes-Entscheidungen 317 Die endgültige Wende brachten nunmehr die Entscheidungen des BGH im sogenannten "Girmes-Fall "318: Nachdem die Überschuldung der Girmes AG zu befürchten war, erarbeitete deren Verwaltung mit den Arbeitnehmern, dem Pensionssicherungsverein, den Lieferanten und den Gläubigerbanken ein Sanierungskonzept, das Forderungsverzichte aller Beteiligten vorsah, von diesen aber abhängig gemacht wurde von einer nominellen Kapitalherabsetzung durch die Aktionäre im Verhältnis 5:2. Der Beklagte H., der die Ursache der aktuellen Krise von Girmes im Mißmanagement des von der D-Bank eingesetzten Vorstandes zu erkennen glaubte, kritisierte in mehreren Ausgaben des von ihm herausgegebenen Aktionärsjournals "Effektenspiegel " insbesondere den Beitrag der Banken an der Sanierung als zu gering und hielt eine Kapitalherabsetzung von 10:9 für angemessen und ausreichend. Er warb daraufhin in seiner Zeitschrift unter den Kleinaktionären dafür, ihm Vollmacht zur Stimmrechtsausübung zu 316 BGH ZIP 1992, 1464, 1470. 317 Der BGH entschied über 25 Parallelverfahren mit weitgehend gleichlautenden Urteilen. Eines davon ist in ZIP 1995, S. 819 ff. abgedruckt; dessen Sachverhalt wird hier wiedergegeben. Die Musterklage einer Aktionärsvereinigung hatte der BGH bereits 1993 wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz als unzulässig zurückgewiesen. 318 Weitere Aspekte dieser Entscheidung werden an folgenden Stellen der Arbeit behandelt: zur Treuepflicht des Minderheitsaktionärs siehe unten § 9 ill., IV., V.; zur Stimmrechtsbündelung siehe unten § 9 V. 1. e); zur Problematik der Stimmrechtsbegrenzung als positiver Förderpflicht siehe unten § 9 V. 1. e) und § 9 V. 5. b) dd); zur Schadensersatzhaftung bei Ausübung des Stimmrechts siehe oben § 7 I. 2. b) cc), § 8 11. 2. a) bb), § 8 ill. 1.; zur Problematik der Geltendmachung von Reflexschäden siehe oben § 8 ill. 4.; zur Ausübung des Auskunftsrechts und des Rederechts in der Hauptversammlung siehe unten § 9 V. 1. c) bzw. d); zur Haftung des Stimmrechtsvertreters siehe unten § 9 V. 1. c).

§ 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär

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erteilen, um gegen den Vorschlag der Unternehmensleitung zu stimmen. Auf diese Weise konnte er eine Anzahl Stimmen sammeln, die ihm in der Hauptversammlung eine Sperrminorität sicherten. Vorverhandlungen führten zwar zur Übernahme einer Garantie durch die Banken, das geplante genehmigte Kapital in Höhe von 10 Millionen DM zu plazieren, und zur Bereitschaft H.s, im Gegenzug einer Kapitalherabsetzung im Verhältnis 5:3 zuzustimmen. Die an der Sanierung Beteiligten hielten dies jedoch nach wie vor für ungenügend. Entsprechend scheiterten in der folgenden Hauptversammlung sowohl der Vorschlag der Verwaltung zur Herabsetzung 5:2, als auch anschließend der auf Herabsetzung im Verhältnis 5:3 gerichtete Gegenvorschlag H.s, dessen Ablehnung der Vorstand empfohlen hatte. Im Anschluß hieran beantragte dieser die Eröffnung des Vergleichsverfahrens, das in den Anschlußkonkurs mündete. Hierdurch wurden die am Tag der Hauptversammlung noch mit 87 DM gehandelten Aktien der Gesellschaft, von denen der Kläger 350 Stück besaß, wertlos. Der BGH lehnte zwar die Annahme einer dem H selbst als Stimmrechtsvertreter obliegenden Treuepflicht ab, bejahte aber eine Schadensersatzpflicht der vertretenen Kleinaktionäre aus Treuepflichtverletzung, für die H aus dem Gedanken des § 179 Abs. 1 BGB einstehen müsse, da er als Vertreter "für den, den es angeht" aufgetreten sei und bislang weder freiwillig die Namen der von ihm Vertretenen preisgegeben habe, noch hierzu verpflichtet sei. Daneben komme auch eine Haftung aus § 826 BGB in Betracht. Zur dogmatischen Begründung für die Anwendung der Treuepflicht auch auf Minderheitsaktionäre führt er dabei aus: "Besteht der Kern des Treupflichtgedankens, soweit er im Kapitalgesellschaftsrecht allgemein Geltung beanspruchen kann, darin, daß dem Maß des Einflusses des Gesellschafters das Maß seiner Verantwortung mit der sich daraus ergebenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter entspricht ... oder, wie es in der Rechtsprechung heißt, daß die Möglichkeit, durch Einflußnahme die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht verlangt, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen ... , so trifft dieser Gedanke nicht nur auf das Verhalten des Mehrheitsgesellschafters, sondern auch auf das des Minderheitsgesellschafters zu .... Soweit ein Aktionär in eine derartige, mit einem Minderheitenrecht verbundene Einflußposition gelangt, deren Ausübung im Hinblick auf die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter einer Kontrolle bedarf, kann der Minderheitsaktionär die aus dieser Position folgenden Rechte nur in den Grenzen der ihm obliegenden Treuepflicht geltend machen. "319

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Bezüglich des Inhalts und des Umfangs der Treuepflicht diskutiert der BGH die Frage, ob die Verpflichtung gegenüber den Mitaktionären wirkungsbezogen nach dem Maß des bewußt ausgeübten Einflusses oder inhaltsbezogen nach dem Zusammenhang, in dem das jeweilige Recht ausgeübt wird, etwa nach dem Inhalt eines zu fassenden Beschlusses, bestimmt werden müsse. Für den zu entscheidenden Fall könne diese Frage aber offenbleiben, da die einzelnen - für sich allein relativ einfluß losen - Kleinaktionäre ihre Macht gezielt zur Abstimmung über den für die Fortführung der Gesellschaft essentiellen Beschluß gebündelt hätten und somit auch den Voraussetzungen einer wirkungsbezogen verstandenen Treuepflicht genüge getan sei. Eine Verpflichtung der Aktionäre an der Sanierung der Gesellschaft mitzuwirken, sei allerdings nicht dieser gegenüber geschuldet, da es grundsätzlich im Ermessen der Aktionäre stehe, ob sie die Gesellschaft fortführen wollten. Den Mitaktionären gegenüber bestehe aber die Verpflichtung, bei dieser Entscheidung den gesetzlich vorgesehenen Weg zu beschreiten (qualifizierter Mehrheitsbeschluß nach § 262 Abs. 1 Nr. 2.): "Solange ein solcher Beschluß nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefaßt ist, bestehen Gesellschaft und Gesellschaftszweck fort. Eine Minderheit kann die Auflösung der Gesellschaft nicht erzwingen .... Sie hat auf die gesellschaftsbezogenen Belange der Mehrheit der Gesellschafter angemessen Rücksicht zu nehmen, wobei diese Rücksichtnahme unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht.320" Der BGH leitet für den konkreten Fall hieraus ein Verbot ab, die Sanierung der Gesellschaft zu verhindern. Hierfür müsse keine Zustimmungspflicht aufgestellt werden, da auch bei einer Enthaltung - die Stimmen werden dann wie nicht abgegebene behandelt - die notwendige qualifizierte Mehrheit erreicht werde 321 . Außer dem ausführlich diskutierten Anwendungsfall der treuwidrigen Ausübung des Stimmrechts spricht der BGH weitere Bereiche an, in denen Mitgliedschaftsrechte des Minderheitsaktionärs einer Begrenzung nach Treuepflichtgesichtspunkten unterliegen könnten, darunter das Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung, das Rederecht, das Auskunftsrecht (§ 131) und das Recht zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 243)322. Aufgrund des Inhalts des Anfechtungsrechts und der gesetzlichen Ausgestal-

319 BGH ZIP 320 BGH ZIP 321 BGH ZIP 322 BGH ZIP

1995, 1995, 1995, 1995,

S. S. S. S.

819, 819, 819, 819,

821 f. 824. 824. 821, siehe hierzu unten V. 1.

§ 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär

159

tung des Auskunftsrechts bedürfe es in der Praxis jedoch kaum eines Rückgriffs auf die der Ausübung dieser beiden Rechte durch die Treuepflicht gezogenen Grenzen323 . III. Dogmatische Grundlagen Die Aufgabe der Unterscheidung zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionär durch den BGH verdient volle Zustimmung. Wenn der BGH zur Begründung aber allein auf das Prinzip des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung abstellt, so entsteht der Eindruck, daß dieses als eigenständiges Rechtsinstitut isoliert existierte. In Wirklichkeit stellt es aber nur eine notwendige Folge des Gedankens der Mitgliedschaft dar und ist mit dessem zentralen Zweckförderungsgedanken untrennbar verbunden324 : Ausgangspunkt ist die einer jeglichen Verbandsmitgliedschaft immanente Verpflichtung der Mitglieder gegenüber dem gemeinsamen Zweck. Diese greift in besonderem Maße dort ein, wo Aktionäre eine Macht ausüben, die ihnen von der Gemeinschaft erst aus der Notwendigkeit heraus übertragen wurde, deren Funktionsfähigkeit zu sichern. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Entscheidungs- oder um Kontrollrechte handelt. Der Grundsatz der Gemeinverantwortung ist allen Mitverwaltungsrechten325 immanent, die aus der Mitgliedschaft folgen; denn nur im Interesse der Funktionsfähigkeit des Ganzen, nicht aber zur Befriedigung ihrer Partikularinteressen, gewährt das Aktienrecht einzelnen Mitgliedern die Befugnis, auch über die Interessen der anderen mitzuentscheiden. Die Eigenschaft als Minderheitsaktionär impliziert zwar, daß der Betreffende keinen regelmäßig bestimmenden Einfluß auf die Entscheidungen der Hauptversammlung hat, insbesondere also nicht auf die Wahl der anderen Organe, denen die Geschicke der Gesellschaft in weiten Teilen zur eigenverantwortlichen Leitung und Überwachung anvertraut sind, vgl. § 76 Abs. 1, 111 Abs. 1, 2, und 4 Satz 2. Dies bedeutet aber nicht, daß einem Minderheitsgesellschafter keinerlei Einfluß zukommt. Seine Kapitalbeteiligung kann ihm je nach Höhe entweder eine Mitentscheidungsbefugnis bei wichtigen, insbesondere strukturändernden, Beschlüssen

323 Siehe hierzu unten V. 1. a) bzw. c) und zur Kritik an der Auffassung des BGH insbesondere § 20 11. 1.,2. 324 Siehe § 6 11. 325 Zu der wenigstens im Grundsatz ebenso bestehenden Gemeinverantwortung bei der Ausübung von Vermögensrechten siehe oben § 7 I. 2. a) bb).

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sichern326 oder aber das Recht verschaffen, aktiv in den Entscheidungsfmdungsprozeß innerhalb der Gesellschaft einzugreifen327 . Im Zusammenwirken mit anderen Minderheitsaktionären, etwa mittels Stimmbindungsverträgen, hat er die Möglichkeit, seine Einflußmöglichkeiten zu steigern, bis in den Bereich einer regelmäßigen Mitentscheidungsbefugnis328 . Selbst wenn seine Beteiligung keines der für Minderheitsrechte und Sperrminoritäten erforderlichen Quoren erreicht, bleiben dem Aktionär doch die Individualrechte wie Auskunfts- und Klagerecht. Diese verschaffen selbst dem Inhaber einer einzigen Aktie einen oft nicht unbedeutenden Einfluß329. Machen Minderheitsaktionäre von ihrem so gegebenen Einfluß Gebrauch, besteht dieselbe Notwendigkeit für eine Berücksichtigung der gemeinsamen Sache und der in der Gesellschaft gebundenen Interessen der Mitaktionäre wie beim Handeln des Großaktionärs. Einen sachlichen Grund für eine Differenzierung in der dogmatischen Begründung der Treuepflicht zwischen der Eigenschaft als Mehrheitsaktionär und der als Minderheitsaktionär gibt es daher, wie nunmehr auch der BGH anerkennt, nicht. Beide unterliegen bei der Ausübung gesellschaftlicher Macht der Treuepflicht330 . Der Bedarf nach einer rechtlichen Kontrolle ist beim Kleinaktionär sogar eher noch größer als beim Mehrheitsaktionär. Letzterem kommen finanzielle Vorteile der Gesellschaft mittelbar immerhin mindestens zu 50 % zu Gute. Je kleiner dagegen die Beteiligung des Handelnden ist, desto kleiner ist auch der 326 Die erforderliche Sperrminorität gegen Strukturentscheidungen beträgt meist 25 % des bei Beschlußfassung vertretenen Kapitals, kann aber auch darunter liegen (z. B. 5 % des gesamten Grundkapitals bei der Eingliederung, § 320 Abs. 1; 10 % desselben bei Umwandlung in oder Übertragung auf Personengesellschaft (§§ 9 Abs. 1, 15 Abs. 1, bzw. 19 Abs. 2, 20 UmwG); im einzelnen siehe die Zusammenstellung in Hojfmann-Becking, Münchener Handbuch, S.484 ff.; ferner Lehmann, Die gesetzlichen Minderheitenrechte in Aktiengesellschaften, AG 83, S. 113. 327 Z.B. das Recht, die Einberufung einer Hauptversammlung zu verlangen (§ 122 Abs. 1), Tagesordnungspunkte in einer solchen zu bestimmen (§ 122 Abs. 2), die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft zu erzwingen (§ 147 Abs. 1), Sonderprüfungen bei Gericht zu beantragen (§ 142 Abs. 2 und 4, 258 Abs. 2); zu weiteren siehe Hojfmann-Becking, Münchener Handbuch und Lehmann, Die gesetzlichen Minderheitenrechte in Aktiengesellschaften, AG 83, S. 113. 328 Zur gemeinsamen Rechtsausübung durch Minderheitsaktionäre siehe Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, 334 ff.; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481,487 ff. 329 Siehe ausruhrlicher unten § 1811., § 22. 330 So auch Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, 334 ff.; Kort, Treuepflicht, ZIP 1990, S. 294, 297; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 483; Windbichler, Mißbräuchliche Aktionärsklage, 39, 44.

§ 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär

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auf ihn entfallende Teil eines etwaigen Gewinns der Gesellschaft. Die Versuchung zu opportunistischem Verhalten wird also mit abnehmender Beteiligungshöhe immer größer. Entgegen der Ansicht des BGH, der offenbar nur die rechtsbegrenzende Funktion der Treuepflicht anerkennen will 331 , gilt aber auch bezüglich des speziellen Gebots der Zweckförderung und des Verbots der Schädigung für den Minderheitsaktionär keine Ausnahme. Für das Erreichen des gemeinsamen Zweckes sind alle Aktionäre gemeinsam verantwortlich, nicht allein der Mehrheitsaktionär. Hat es ein Minderheitsaktionär in der Hand, das gemeinsame Ziel zu gefährden, so darf seine geringe Beteiligung hierfür kein Freibrief sein. Das Bilanzrecht berücksichtigt diese besonderen Beziehungen und Einflußmöglichkeiten, die Unternehmen durch die Innehabung von Minderheitsbeteiligungen erreichen können: So gilt nach § 271 Abs. 1 S. 1 und 3 HGB im Zweifel bereits ein Anteil von 20 % als Beteiligung, die bestimmt ist, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu dem anderen Unternehmen zu dienen; § 311 Abs. 1 S. 1 und 2 sprechen ab dieser Schwelle von einem maßgeblichen Einfluß auf die Geschäfts- und Finanzpolitik des Beteiligungsunternehmens332 . IV. Inhalt und Umfang der Treuepflicht

Die Aussage, daß die Treuepflicht mit ihren drei Dimensionen unabhängig von der Höhe der Beteiligung Bestandteil jeder Verbandsmitgliedschaft ist, besagt wiederum noch nichts darüber, ob sich im Einzelfall konkrete Verhaltensanforderungen hieraus ableiten.

1. Relevanz der Beteiligungshöhe Wie bereits oben erörtert, ist die Höhe der Beteiligung, wenn auch keine Bedingung für die Existenz der Treuepflicht, so doch ein Parameter für deren 331 BGH ZIP 1995, S. 819, 821: "Besteht der Kern des Treupflichtgedankens,

so-

weit er im Kapitalgesellschaftsrecht allgemein Geltung beanspruchen kann,

darin, daß dem Maß des Einflusses des Gesellschafters das Maß seiner Verantwortung mit der sich daraus ergebenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter entspricht ... " 332 Siehe zur Auswirkung auf Inhalt und Umfang der Treuepflicht unten IV. 3., zur Absicherung strategischer Allianzen durch Minderheitsbeteiligungen unten V. 4. 11 Guntz

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Intensität bezogen auf das Handeln des jeweiligen Aktionärs. Da jedem einzelnen Aktionär angesichts der verschiedenen Stimmgewichte auch unterschiedlich viel Einfluß zukommen kann, ist es entgegen der Diskussionsmeinung 333 , auf die auch der BGH Bezug nimmt 334 , ohne weiteres denkbar, daß bei ein und demselben Beschluß für verschiedene Aktionäre unterschiedliche Verhaltensanforderungen gelten. Die Mit der generellen Anerkennung der Treuepflicht für alle Aktionäre ist die Frage noch nicht beantwortet, wann sich für einen ganz bestimmten Aktionär konkrete Verhaltensanforderungen hieraus ergeben. Bei Aktionären, deren Stimmgewicht unbedeutend gering ist, und die auch nicht zur Erhöhung ihres Einflusses mit anderen Aktionären koalieren, wird dies regelmäßig nicht der Fall sein335 . Die Höhe der Beteiligung eines Aktionärs bestimmt somit zum einen, welche Mitentscheidungs- und Kontrollrechte einem Aktionär offenstehen und ist damit wichtigster Faktor für den konkreten Einfluß, der einem Aktionär zukommt. Zum anderen zeigt sie, wie groß die Verantwortung ist, die der einzelne für die Erreichung des gemeinsamen Zwecks übernommen hat. Dessen Förderung wird ja im Aktienrecht im wesentlichen durch das Bereitstellen von Kapital betrieben. Je größer der versprochene oder tatsächlich erbrachte Kapitalanteil ist, desto größer ist auch die Verantwortung für die Erreichung des gemeinsamen Ziels.

2. Aktienrechtstypische Treuepflicht Bevor aber bei der Bestimmung des Inhalts der Treuepflicht auf die Höhe der Beteiligung abgestellt werden kann, sind die Besonderheiten des Aktienrechts zu berücksichtigen, wie sie oben herausgearbeitet wurden336 . Erinnert sei in diesem Zusammenhang für die erste Ebene nochmals an die grundSätzlich bestehende Ermessensfreiheit bei der Ausübung von Gesellschafterrechten und an die hierbei insbesondere bei Mitverwaltungsrechten gegebene Erlaubnis, eigene Interessen zu verfolgen. Eine Grenze ergibt sich dabei aber, wenn die Gesellschafterrechte zur Verfolgung von

333 Schäfer, Diskussionsbericht zu den Referaten Dreher und Marsch-Barner, ZHR 157 (1993), S. 192, 195. 334 BGH ZIP 1995, S. 819, 822. 335 Siehe auch unten V. 1. e). 336 Siehe oben § 7 I. 2.

§ 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär

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Sondervorteilen eingesetzt werden sollen, von denen die Gemeinschaft der Mitaktionäre ausgeschlossen ist337 . Eine Kollision von Treuepflichten mit den im Aktiengesetz vorgesehenen Schutzrechten ist dagegen beim Handeln von Minderheitsgesellschaftern kaum denkbar, da die genannten Schutzrechte sich vornehmlich gegen die Aktienmehrheit richten. Aus § 54 Abs. I ergibt sich für die dritte Dimension der Treuepflicht ein äußerst enger Anwendungskreis, der aktive Förderpflichten, die über die Erbringung des geschuldeten Kapitals hinausgehen, im wesentlichen ausschließt.

3. Bestimmung der Treuepflicht im Einzelfall Nach Beachtung dieser allgemeinen Prämissen hängt der Umfang der Treuepflicht im Einzelfall vom Handeln des Minderheitsaktionärs ab. Verhält er sich passiv und betrachtet seinen Kapitalanteil als reine Geldanlage, so treffen ihn keinerlei Verhaltensanforderungen. Greift er jedoch aktiv in das Geschehen ein, so bestimmt sich der Inhalt der ihn treffenden Treuepflicht auf der ersten Ebene nach dem Einfluß, der sich mit seinem Handeln verbindet. Dieser wiederum hängt zum einen von der Bedeutung des geltend gemachten Gesellschafterrechts, zum anderen von den Auswirkungen, die dessen Ausübung auf die Gesellschaft und die Mitaktionäre hat, ab338. Zu beachten sind daher neben einer objektiven auch eine subjektive Komponente. Besonderer Einfluß kommt einem an sich harmlosen Aktionärsrecht nämlich oft erst durch die gesteigerte Verwundbarkeit der Gesellschaft zu, etwa aufgrund der Geheimhaltung fordernden Brisanz einer begehrten Information oder der Eilbedürftigkeit eines angefochtenen Beschlusses. Auf der zweiten Ebene der Treuepflicht kommt es einerseits auf die Möglichkeit des Aktionärs an, den gemeinsamen Zweck zu gefährden, andererseits auf das Maß der Verantwortung, die der einzelne für die Zweckverfolgung übernommen hat. Für den durchschnittlichen Kapitalanleger werden sich hier keine besonderen Anforderungen an sein Verhalten ergeben, da dieses in der Regel nicht in Beziehung gesetzt wird zum Florieren der Gesellschaft; letzteres kann ein Kleinanieger im übrigen auch kaum je wesentlich beeinflussen. 337 Siehe oben § 7 I. 2. a) bb). 338 Siehe oben § 7 11.

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Steht einem Minderheitsaktionär diese Möglichkeit im Einzelfall doch einmal offen, etwa weil er mit seinem Unternehmen als Konkurrent der Gesellschaft tätig ist, kommt es auf die Höhe seiner Beteiligung und deren Aufgabe an. Ist die Beteiligung gering oder dient sie nur zur (vorübergehenden) Geldanlage, läßt sie keine so große Verantwortung für den Gemeinschaftszweck erkennen, daß der Aktionär hierauf bei seinem eigenen unternehmerischen Handeln Rücksicht nehmen müßte. Ist ihr Umfang dagegen größer oder soll die Beteiligung gerade als Grundlage für eine unternehmerische Einflußnahme dienen - dies ist, wie sich den Parallelwertungen in § 271 Abs. 1 Satz 1 und 3, sowie § 311 Abs. 1, Satz 2 HGB entnehmen läßt, ab einer gewissen Beteiligungshöhe zu vermuten339 -, so erhöht sich die Verantwortung für den Gemeinschaftszweck. Der Aktionär, der eine solche "unternehmerische Minderheitsbeteiligung" hält, muß bei seinem eigenen Handeln als Unternehmer dann darauf achten, daß er Schädigungen der Gesellschaft vermeidet. Entsprechendes gilt auch für die Pflicht zur aktiven Förderung, sofern innerhalb der Schranken des § 54 Abs. 1 - eine solche einmal entstehen sollte. Auch hier kommt es darauf an, ob die Höhe der Beteiligung und die Fähigkeit, auf die Geschicke der Gemeinschaft Einfluß zu nehmen, eine besondere Verantwortung für den gemeinsamen Zweck erkennen lassen. V. AnwendungsfäUe

Es finden sich somit die verschiedensten Fallgestaltungen, in denen Minderheitsaktionäre Treubindungen unterliegen.

1. Treuwidriger Einsatz von Aktionärsrechten Sobald Aktionäre versuchen, Gesellschafterrechte nicht im Interesse der Gemeinschaft, sondern zur Verfolgung von Partikularinteressen einzusetzen und dabei andere Aktionäre von dem erstrebten Vorteil auszuschließen, liegt ein Treueverstoß vor340 .

339 Siehe hierzu oben ffi. und unten V. 4. 340 Siehe oben § 7 I.

§ 9 Treuepflicht und Minderheitsaktionär

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a) Anfechtungsrecht Besonders häufig finden sich Versuche, das Klagerecht, das nach §§ 245 Nr. 1 bis 3 dem einzelnen Aktionär zusteht, in der genannten Art zu instrumentalisieren. Hierauf wird im zweiten Teil noch in Ausführlichkeit einzugehen sein, so daß an dieser Stelle auf eine eigene Darstellung verzichtet werden kann 341 . b) Antragsrecht im SpruchsteIlenverfahren Ein weiteres Individualrecht stellt das Recht jedes außenstehenden Aktionärs dar, eine gerichtliche Überprüfung der bei der Eingliederung 342 , beim Abschluß von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen343 und bei Umwandlungen344 vom Gesetz geforderten Ausgleichs- oder Abfindungsleistungen auf ihre Angemessenheit hin zu beantragen345 . Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß der Mehrheitsaktionär bei strukturändernden Maßnahmen die Vermögensinteressen der außenstehenden Aktionäre angemessen berücksichtigt, beziehungsweise daß ein diesbezügliches Unterlassen durch richterlichen Gestaltungsakt ersetzt werden kann. Dabei gilt das durch Richterspruch als angemessen bestimmte Angebot stets gegenüber allen anderen Aktionären, nicht nur gegenüber den Antragstellern (§§ 306 Abs. 2, 99 Abs. 5 Satz 2).

aal Rechtsrnacht des Antragstellers Diese inter-ornnes Wirkung ist der wichtigste Faktor, der es dem Antragsteller erlaubt, ähnlich wie bei der treuwidrigen Ausnützung des Anfechtungsrechts 346 für die Rücknahme des Antrags ungerechtfertigte Sonderleistungen des ausgleichspflichtigen Mehrheitsaktionärs zu erzielen. Mit Erhebung des Antrags droht diesem die Gefahr, zusätzlich zum bereits angebotenen einen weiteren Ausgleich an alle Mitaktionäre zahlen zu müssen. Verglichen mit dieser Belastung kann aus seiner Sicht daher die Zahlung 341 Siehe unten §§ 18 - 23. 342 § 320 Abs. 5 bis 7. 343 § 304 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4, sowie § 305 Abs. 5. 344 §§ 15,34, 176 - 181, 196 und 212 UmwG. 345 Das anzuwendende Verfahren ("SpruchsteIlenverfahren") ist in § 306 AktG und §§ 305 ff. UmwG geregelt. 346 Zu diesen Erscheinungen im einzelnen unten § 18 1., II.

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selbst fünf- oder sechsstelliger Summen, wie sie von einzelnen gewerblichen Antragstellern für die Rücknahme des Antrags gefordert werden347 , das vorzugswürdige kleinere Übel darstellen. Aus ökonomischer Sicht besteht daher selbst bei erkannter Unangemessenheit der bisherigen Abfindungs- und Ausgleichsregelung - ein genereller Anreiz des Mehrheitsaktionärs, lediglich den oder die Antragsteller angemessen auszukaufen, anstatt ein solches Angebot allen Aktionären zu unterbreiten. Wegen dieser im Gesetz angelegten Tendenz, die nicht am Verfahren beteiligten Aktionäre im Wege des außergerichtlichen Vergleichs 348 zu übergehen, wird zwar vom Gericht nach § 306 Abs. 4 Satz 2 AktG und § 308 UmwG zu deren Schutz ein gemeinsamer Vertreter bestellt. Dieser war allerdings nach ständiger Rechtsprechung trotz der Kritik in Teilen der Literatur unter der Geltung von § 33 UmwG a.F. weder berechtigt, der Rücknahme des Antrags zu widersprechen noch das Verfahren allein weiterzuführen, so daß ein Schutz gegen unlautere Vergleiche praktisch nicht gewährleistet wurde349 . Diesen Mißstand hat der Gesetzgeber nunmehr durch Schaffung einer Befugnis zur selbständigen Fortführung des Verfahrens in § 308 Abs. 3 UmwG n.F. auf den § 306 Abs. 3 S. 10 AktG n.F. verweist, beseitigt. Weitere Faktoren, die den Auskauf von Antragstellern begünstigen, sind aus dem Blickwinkel des Mehrheitsaktionärs die enormen Kosten des SpruchsteIlenverfahrens mit seinen regelmäßig erforderlichen aufwendigen Gutachten zur Unternehmensbewertung, die Scheu vor der oft negativ wirkenden Publizität, und aus Sicht der Antragsteller die Möglichkeit, eine angemessene Abfindung sofort und nicht erst nach Durchführung eines oft mehrjährigen Verfahrens zu erhalten350 . bb) Treuwidriges Verhalten Es läge nahe, aufgrund von Treuepflichtgedanken eine Beschränkung des vom Verband abgeleiteten Rechts zur AntragsteIlung anzunehmen. So ließe sich argumentieren, allein zur Verschaffung einer Vergleichsposition, deren 347 Siehe die Beispiele bei Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 278, 271 f. 348 Gerichtliche Vergleiche mit bindender Gestaltungswirkung hinsichtlich der angemessenen Höhe von Abfindung und Ausgleich sind nach herrschender Meinung nicht möglich, Koppensteiner in Kölner Kommentar, Rn. 18 zu § 306 m.w.N.; Geßler in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, Rn. 129 zu § 304, Rn. 39 zu § 306; Diekgräf, Sonderzahlungen, S.273 ff.; Martens, Abfindungsbefugnis, AG 1988, S. 118, 123. 349 Vgl. zum Ganzen mit Nachweisen Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 280 ff. 350 Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 282.

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Stärke die Übervorteilung der anderen außenstehenden Aktionäre voraussetzt, sei das Antragsrecht dem einzelnen Aktionär nicht gegeben. Für Anträge, die von vornherein nicht auf eine Verbesserung des Angebots zugunsten aller Aktionäre, sondern allein auf die vergleichsweise Erzielung persönlicher Vorteile gerichtet sind, fehle daher die Aktivlegitimation351 . Die Anträge müßten dann als unbegründet abgewiesen werden352 . Eine derartige Sichtweise würde aber zum einen den zunächst eigennützigen Charakter des Antragsrechts übergehen. Dieses will nur mittelbar - indem es dem einzelnen einen finanziellen Anreiz gibt, einen Antrag zu erheben, der im Ergebnis allen dient - auch die übrigen Aktionäre mitschützen. Noch deutlicher als bei der Erhebung von Anfechtungsklagen353 muß daher gelten, daß es dem Aktionär erlaubt sein muß, sein eigenes finanzielles Interesse an einer angemessenen Abfindung seiner Aktien auch im Vergleichswege zu verfolgen. Zum anderen würde diese Ansicht eine exakte Lokalisierung der Treuepflichtverletzung vermissen lassen. Der Verstoß gegen das gemeinsame Interesse aller außenstehenden Aktionäre an einer angemessenen Abfindung liegt schließlich nicht in der Erhebung des Antrages; denn dieser ermöglicht erst eine gerichtliche Überprüfung und damit die Beseitigung etwaiger Benachteiligungen der Minderheit. Die selbstsüchtigen Absichten des Antragstellers können den objektiven Wert dieser Chance für alle Minderheitsaktionäre nicht beseitigen. Zunichte gemacht wird diese Chance erst, wenn das Verfahren durch Rücknahme des Antrages tatsächlich beendet wird. Aus demselben Grunde wäre es rechtspolitisch unsinnig, wenn das Gericht einen berechtigten Antrag, der bis zuletzt nicht zurückgenommen wurde, als unbegründet abweisen würde, weil er seine Erhebung der - offensichtlich verfehlten - Hoffnung auf ungerechtfertigte Sondervorteile verdankt 354 . Auf diese Weise würde auch allen anderen Aktionären die Chance auf eine angemessene Anpassung der Abfindung genommen.

351 Vgl. oben § 8 1., 11. 2. b), 3. 352 Für diese Rechtsfolge entgegen der herrschenden Meinung (Abweisung als unzulässig) auch Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 303 f. (mit Nachweisen auch zur herrschenden Meinung), der sich allerdings auf das allgemeine Institut des Rechtsmißbrauchs nach § 242 BGB stützt; zu dessen Nachrangigkeit bei der Begrenzung von Gesellschafterrechten gegenüber der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht vgl. unten § 20 11. l. 353 Zum vergleichbaren Problem in diesem Zusammenhang, unten § 21 I. 2. c) und 11. l. 354 Dies wäre aber die Konsequenz der Rechtsmißbrauchslösung, wie sie etwa von

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Bei der Verfahrensbeendigung, nicht aber bei dessen Einleitung, ist somit nach Verstößen gegen die Treuepflicht zu suchen. Daß das - wenn auch vom Verband abgeleitete - Antragsrecht zur Verfolgung der eigenen finanziellen Interessen eingesetzt und folglich der geschuldete angemessene Ausgleich auch im Zuge eines Vergleichs unter Rücknahme des Antrags erreicht werden darf, wurde bereits gesagt. Die Treuepflicht kann einen einzelnen Aktionär nicht zwingen, ein Verfahren bis zum Ende durchzuführen, das auch allen anderen Kleinaktionären offengestanden hätte 355 . Unbedenklich ist es auch, wenn in einem Vergleich der Mehrheitsaktionär die Kosten der Rechtsverfolgung übernimmt, von denen der Antragsteller auch bei gerichtlicher Entscheidung nach § 306 Abs. 7 Satz 8 und § 13 a I FGG meist frei würde 356 . Die Grenze ist aber dort überschritten, wo der Antragsteller das vom Verband abgeleitete Antragsrecht zum Tauschobjekt verwendet für Leistungen, die ihm in dieser Höhe nicht zustehen, die er entsprechend auch bei Aufrechterhaltung seines Antrags nicht hätte erzielen können und von denen die anderen außenstehenden Aktionäre ausgeschlossen sind. Entscheidend ist dieser Aspekt des Sondervorteils, da der Verzicht auf das Antragsrecht zurecht dann als unbedenklich angesehen wird, wenn sich der Mehrheitsaktionär zu Leistungen gegenüber allen anderen Aktionären verpflichtet357 . Überlegt wird auch, ob der Mehrheitsaktionär358 seinerseits aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gehindert ist, mittels überhöhter Zahlungen allein an die Antragsteller das Spruchstellenverfahren zu beenden359 . Diekgräf kommt dabei zu dem Ergebnis, daß ein Treuepflichtverstoß zwar nicht vorliegt 36O , aus der Treuepflicht aber in bestimmten Fällen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung abzuleiten ist361.

Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 303 f. unter Berufung auf weitere Stimmen vertreten wird. 355 So im Ergebnis auch Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 301 f., der diesen Gedanken erörtert. 356 Koppensteiner in Kötner Kommentar, Rn. 27 ff. zu § 306. 357 Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 291; dies muß selbst bei Leistungen gelten, die über die Grenze des Angemessenen hinausgehen, da der Mehrheitsaktionär nicht gehindert ist, freiwillig mehr anzubieten, als er schuldet. 358 Zahlungen, die statt vom Mehrheitsaktionär von der Gesellschaft selbst getätigt werden, verstoßen gegen die Kapitalschutzvorschriften nach §§ 57, 62, Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 286 ff. 359 Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 288 ff. und 295 ff. 360 Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 300 f. 361 Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 312 ff., 330 ff.

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cc) Rechtsfolgen War die bisher gewährte Abfindung nicht angemessen und kauft sich der Mehrheitsaktionär von einem SpruchsteIlenverfahren durch Zahlungen allein an den Antragsteller los, so soll sich hieraus ein Anspruch auch aller anderen Aktionäre auf eine entsprechende Abfindung ergeben. Diese sei aber in der Höhe begrenzt auf die tatsächlich geschuldete, angemessene Abfindung362 . Mit diesem Anspruch wird keine ungerechtfertigte positive Förderpflicht des Mehrheitsaktionärs eingeführt. Es handelt sich nur um die Konkretisierung seiner im Rahmen seines Rechts zur Durchführung strukturändernder Maßnahmen geschuldeten Ausgleichspflicht gegenüber den außenstehenden Aktionären. Letztlich liegt also ein Anwendungsfall der Treuepflicht in ihrer ersten Dimension vor363 : Das Recht zur Durchführung der fraglichen Maßnahme steht unter dem Vorbehalt angemessener Berücksichtigung aller Außenstehenden. Bei der Erfüllung seiner Schuld diesen gegenüber darf er nicht einzelne Aktionäre bevorzugen. Die von Diekgräf festgestellte Pflicht zur aktiven Gleichbehandlung schafft damit keine neuen Ansprüche, sondern besagt nur, daß alle bestehenden Ansprüche erfüllt werden müssen, wenn selektiv einzelne von ihnen befriedigt wurden. Es stellt sich aber weiter die Frage, ob der Antragsteller das treuwidrig über seinen bestehenden Anspruch hinaus Erhaltene behalten darf, oder allgemeiner die Frage nach der Konsequenz des treuwidrigen Antragsrechtsverkaufs. Ausgangspunkt ist die oben getroffene Feststellung, daß Treuepflichtverletzungen, die wie hier schuldhaft begangen wurden, zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft oder der Mitaktionäre führen 364 . Zu klären bleibt aber die Person des oder der Anspruchs-berechtigten. Die Gesellschaft, so sie überhaupt noch als eigenes Rechtssubjekt besteht, scheidet dabei aus, da sie weder durch die Abfindungsregelungen geschützt werde soll noch ihr durch den Antragsverkauf ein Schaden entstanden ist. Ein Schaden ist dagegen bei den übrigen Aktionären dann eingetreten, wenn die bisherige Abfindung zu niedrig bemessen war und sie bei Fortführung des SpruchsteIlenverfahrens daher eine gerichtliche Anpassung zu ihren Gunsten erwarten konnten, die nun ausgeschlossen ist. Daß ihnen daher ein direkter Anspruch auf Ersatz dieses Schadens gegen den Antragsteller zusteht, rechtfertigt sich auch daraus, daß es diesem nur durch den Einsatz der berechtigten 362 Diekgräj, Sonderzahlungen, S. 318 ff. 363 Zu der Unterscheidung siehe oben § 5 m. 2., § 7 1. 3. 364 Siehe oben § 8 m.; so jetzt auch BGH ZIP 1995, S. 819, 827 ff. ("Girmes").

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Ansprüche der anderen Aktionäre als Druckmittel gegen den zahlungspflichtigen Mehrheitsaktionär gelungen ist, derartige übermäßige Sonderzahlungen zu erreichen. Die indirekte Konsequenz seines Versuchs, mit der Beendigung des SpruchsteIlenverfahrens auch über die berechtigten Ansprüche der Mitaktionäre zu verfügen, ist daher seine Schadensersatzverpflichtung diesen gegenüber. Wird ein berechtigtes SpruchsteIlenverfahren mittels Auskauf beendet, so haften sowohl der kaufende Mehrheitsaktionär365 als auch der verkaufende Antragsteller den außenstehenden Aktio-nären auf Aufstockung der bislang zu niedrigen Abfindung. Im Innenverhältnis der zwischen ihnen bestehenden Gesamtschuld haftet der Antragsteller bis zur Höhe des Erhaltenen. War die Abfindung in Wahrheit angemessen, so hat allein der zahlende Mehrheitsaktionär durch seine Zahlung einen Schaden erlitten; die übrigen Aktionäre hätten selbst bei Fortführung des Verfahrens keine weiteren Zahlungen erwarten können. Ein Schadensersatzanspruch steht daher allein dem Mehrheitsaktionär zu, der über seine Verpflichtung hinaus geleistet hat. Der Antragsteller muß daher das unberechtigt Erhaltene als Folge des Anspruchs auf Naturalrestitution zurückgewähren. Eine Vorteilsanrechnung der wegen der Abkürzung des Verfahrens ersparten Kosten findet nicht statt366 . Es ist allerdings zu erwarten, daß die Fälle treuwidriger Antragsverkäufe im SpruchsteIlenverfahren aufgrund der neuen §§ 306 Abs. 3 S. 10 AktG und 308 Abs. 3 UmwG zurückgehen werden. c) Auskunftsrecht Immer wieder wird aber auch das Auskunftsrecht nach § 131 Abs. 1 Satz 2 als Mittel zur Verfolgung sachfremder Ziele eingesetzt. Wahrer Zweck dieses Rechtes ist es, den Aktionären diejenigen konkreten Informationen zu verschaffen, derer sie zur sachgerechten Ausübung ihres Rechts auf Teilnahme an der Hauptversammlung bedürfen367 . Findige Aktionäre versuchen hingegen, mit unbequemen Fragen den Vorstand unter Druck zu setzen, um ihn bezüglich eigener anderweitiger 365 Aufgrund seiner aus der Treuepflicht hergeleiteten Pflicht zur Gleichbehandlung, Diekgräf, Sonderzahlungen, S. 318 ff, siehe oben. 366 Der mit einem Antrag verbundene "Lästigkeitswert" ist dem einzelnen Aktionär nicht zur freien Verfügung überlassen; insoweit sei auf die Ausführungen im Rahmen des Klageverkaufs, unten § 21 11. 2. a) und I. 2. c) verwiesen. 367 Zöllner in Kölner Kommentar, § 131 Rn. 2.

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Wünsche gefügig zu machen oder um die Lästigkeit der eigenen Existenz bei einem Abkauf der Aktien über Kurswert durch den Vorstand zu Kapital zu machen368 . Teilweise wird auch die Verweigerung der Beantwortung von Fragen gezielt provoziert, um einen Grund für eine spätere Beschlußanfechtung zu erhalten. Der BGH hat in solchen Fällen die Rechtsmißbräuchlichkeit des Vorgehens des Aktionärs für möglich gehalten369 , ohne näher darauf einzugehen, wo im System des Aktienrechts dieser Rechtsmißbrauch seine dogmatische Basis findet. Nach heutiger Ansicht wäre diese in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu sehen, die den Einsatz von Gesellschafterrechten in gemeinschaftswidriger Weise verbietet. Die allgemeine Vorschrift des § 242 BGB, auf Grund derer der BGH die individuelle, richtiger: institutionelle370 Rechtsmißbräuchlichkeit einer treuwidrig ausgeübten Anfechtungsklage konstatiert hat 371 , müßte gegenüber der Treuepflicht zurücktreten372 , da diese im Bereich des Aktienrechts die speziellere Rechtsgrundlage bildet. § 242 BGB allein, der das Verhältnis der Partner eines beliebigen Vertragsverhältnisses beschreibt, kann auch nicht erklären, warum der egoistische Einsatz eines formell dem Aktionär frei verfügbaren Rechts wie des Fragerechts mißbräuchlich ist. Hier bedarf es eines Rückgriffs auf die speziellen Wertungen des mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnisses, wie es zwischen den Gesellschaftern einer Aktiengesellschaft besteht und die Grundlage für deren Treuepflichten bildet37 3.

Die genannten Praktiken können somit zu Recht mißbräuchlich genannt werde; dies aber im Sinne eines Verstoßes gegen den Vorbehalt treugemäßer Ausübung, unter dem die Aktionärsrechte stehen, nicht im technischen Sinne einer Rechtsmißbräuchlichkeit nach § 242 BGB. Nach dem 1965 neu formulierten § 131 läßt sich für treuwidrige Fragen oft schon die Tatbestandsmäßigkeit nach Abs. 1 verneinen oder einer der Aus-

368 Vgl. den Sachverhalt und insbesondere den Vortrag der Beklagten in BGHZ 36, 121 und RGZ 167, 151, 155. 369 BGHZ 36, 121, 135 ff. und Leitsatz 6; der BGH hat in diesem Fall einen Rechtsmißbrauch allerdings abgelehnt, da es sich an die Tatsachenfeststellungen der Berufungsinstanz gebunden sah (S. 136) und da er den Einsatz des Auskunftsrechts durch den Aktionär zur Begründung von dessen Wunsch nach einer höheren Dividende (für alle Aktionäre) als legitim ansah; siehe auch OLG Frankfurt, ZIP 1983, 1204. 370 Hierzu unten § 20 11. 4. 371 BGHZ 107, 296, 308 ff. "Kochs Adler". 372 Hierzu allgemein unten § 20 11. 1.

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schließungsgründe des § 131 Abs. 3 anwenden. Wenn auch durch die Neufassung der Einwand des Mißbrauchs nach überwiegender Meinung nicht ausgeschlossen wurde374 , so ließ sie doch, worauf auch der BGH hinweist 375 , den praktischen Bedarf für die Heranziehung der Treuepflicht deutlich geringer werden376 . d) Antrags- und Rederecht in der Hauptversammlung Eine andere Art der Zweckentfremdung läßt sich in jüngerer Zeit feststellen bezüglich des Rechts jedes Aktionärs, Gegenanträge zu stellen, diese dann durch den Vorstand allen Aktionären mitteilen zu lassen und zuletzt in Redebeiträgen auf der Hauptversammlung zu begründen. Diese Elemente der Aktionärsdemokratie wurden von verschiedener Seite als billiges Vehikel für die Verbreitung politischer Propaganda entdeckt377. Allein die Verpflichtung des Vorstandes nach §§ 126, 125, die Begründung von Gegenanträgen den Aktionären zukommen zu lassen, bietet Minderheitsaktionären die Möglichkeit, die Verteilung ihrer Ideen an oft mehrere Hunderttausend Aktionäre378 373 Diese Diskussion wird noch ausführlich im zweiten Teil zu führen sein und soll daher hier nicht vertieft werden; siehe dort § 20 ll. 2. 374 Barz in Großkommentar, 3. Auflage, Anm. 12 zu § 131 m.w.N.; Baumbach / Hueck / Hueck, Aktiengesetz, Anm. 21 zu § 131; von Godin / Wilhelmi / Wilhelmi, Aktiengesetz, Anm. 9 zu § 131; Zöllner in Kölner Kommentar, Rn. 44 zu § 131; a.A. Eckardt in Geßler / Hefermehl / Eckardt / Kropf!, Aktiengesetz, Rn. 7 und 9 zu § 131; auch das OLG Frankfurt ZIP 1983, 1204 f. hält ein Entfallen des Auskunftsrechts bei seiner mißbräuchlichen Ausübung weiterhin für möglich, insbesondere bei der "Verfolgung ausschließlich oder überwiegend sachfremder Ziele", verweigerte im Fall den Auskunftsanspruch aber, weil der Umfang der Fragen des Aktionärs - dieser verlangte Auskunft über ca. 5000 Einzelvorgänge - den Ablauf der Hauptversammlung blockiert hätte. 375 BGH ZIP 1995, S. 819, 821 ("Girmes"). 376 Zöllner in Kölner Kommentar, Rn. 44 zu § 131 bezweifelt sogar, ob überhaupt noch Anwendungsfälle denkbar sind; von Godin / Wilhelmi / Wilhelmi, Aktiengesetz, Rn. 9 zu § 131 nennt als Beispiel: Fragen, deren Beantwortung einer umfangreichen Nachforschung und einer nicht unerheblichen Vorbereitung bedürfen und Fragen, die sich auf die Bildung und Auflösung stiller Reserven bei Kreditinstituten beziehen, da diese in derem vernünftigen Ermessen lägen. 377 Siehe hierzu den Praxisbericht von Lehmann, Mißbrauch des Auskunfts-, Frage- und Rederechts sowie im SpruchsteIlenverfahren. Praktische Fälle und Erfahrungen, in: Timm, Wolfram (Hrsg.), Mißbräuchliches Aktionärsverhalten, Köln 1990, ferner die Arbeit von Siepelt, Das Rederecht des Aktionärs in der Hauptversammlung, Diss., Frankfurt 1992, S. 158 f.; instruktiv auch der Sachverhalt von LG Frankfurt, ZIP 1984, 321. 378 325 000 etwa im Fall des LG Frankfurt.

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unter Aufwendung der Portokosten eines einzigen Briefes an den Vorstand zu erreichen. Das Rederecht, das jedem Aktionär auf der Versammlung zu den einzelnen Tagesordnungspunkten zusteht, läßt sich - oft kombiniert mit der Ausübung des Fragerechts - angesichts der Pressepräsenz in den Hauptversammlungen großer Gesellschaften zum selben Zwecke benutzen. Das Rederecht kann auch dazu mißbraucht werden, durch Dauerreden

("Filibustering ") den Ablauf einer Hauptversammlung zu sprengen und die

Fassung bestimmter Beschlüsse zu verhindem379 . Auch hier verbietet die Treuepflicht des Aktionärs eine Ausübung der genannten Rechte zu Zwecken, die sich nicht an der Förderung des Gemeinschaftsinteresses orientieren. Dabei darf letzteres aber nicht mit den Vorstellungen des Vorstandes oder der Mehrheit der anderen Aktionäre gleichgesetzt werden. Die Hauptversammlung muß der Entfaltung eines Interessenpluralismus offenstehen. Hier gilt wie bei allen Aktionärsrechten380 , daß der einzelne Aktionär ein weites Ennessen bezüglich der Frage hat, wie das gemeinsame Ziel am besten zu verwirklichen ist. Diese Vorstellungen muß er auch darlegen können. Orientieren sich seine Darstellungen aber überhaupt nicht oder nur zum Schein an diesem Ziel, handelt es sich bei ihnen vielmehr um (politische) Selbstdarstellung ohne direkten Bezug zur Arbeit der Hauptversammlung, so sind sie, da treuwidrig, vom Rede- bzw. Antragsrecht nicht umfaßt. Wenn sich der Beitrag nicht gerade in Beschimpfungen erschöpft, wird die Beurteilung der Frage, ob die Ausführungen noch vom Rederecht gedeckt sind, nicht immer leicht sein. Hier ist der Versammlungsleitung ein gewisses Ennessen zuzugestehen. Ihr steht - je nach Notwendigkeit für die Durchführbarkeit der Hauptversammlung - das ganze Repertoire ordnungsrechtlicher Maßnahmen zur Verfügung, von der Einführung einer zeitlichen Begrenzung der Redezeit über den Entzug des Wortes bis hin zum Verweis aus dem Saal. Schwere Eingriffe müssen dabei vorher angedroht werden381 . e) Stimmrecht Da entsprechend der oben gewählten Begriffsabgrenzung382 Minderheitsaktionäre regelmäßig nicht in der Lage sind, allein bestimmte Beschlüsse

379 380 381 382

Vgl. BGH ZIP 1995, S. 819, 821. Siehe oben § 7 I. 2. a) bb). Siehe ime einzelnen Martens, Mißbrauch, S. 66 ff. § 9 I.

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durchzusetzen, stellt sich die Frage nach der Einschränkung ihrer Stimmausübung im Nonnalfall nicht383 . Sie stellt sich allerdings dann, wenn so viele Kleinaktionäre ihren für sich alleine betrachtet jeweils unbedeutenden Stimmeinfluß bündeln, daß sie in Anbetracht der zu erwartenden Hauptversammlungspräsenz eine potentielle Beschlußmehrheit erreichen. Für die Frage nach dem Eingreifen von Treubindungen ist es dabei - wie der BGH nunmehr zurecht feststellt 384 - unerheblich, auf welche Weise die mehrheitsgewährende Bündelung des Stimmeinflusses bewerkstelligt wird, ob durch eine aufgrund Stimmbindungsvereinbarungen beruhende konfonne Abstimmung der Einzelaktionäre, ob durch Betrauung eines gemeinsamen Vertreters mit der Stimmabgabe oder auf sonstige Weise. Auf die Problematik der Haftung des gemeinsamen Vertreters gegenüber den von ihm nicht repräsentierten Aktionären für eine treuwidrige Stimmabgabe soll hier nicht näher eingegangen werden385 . Entscheidend ist allein, daß einer bestimmten Aktionärsgruppe die potentielle Macht zur Entscheidung über die Belange der Gesamtgesellschaft gegeben ist und daß diese Tatsache den sich zusammenschließenden Aktionären auch bewußt ist, da auch hier - wie beim Handeln eines einzelnen Mehrheitsaktionärs - die Gefahr des opportunistischen Verhaltens gegenüber den überstimmten Aktionären gegeben ist. Die Treuepflicht verlangt nach dem oben Herausgearbeiteten386 zwar kein rein altruistisches Handeln, wohl aber eine Berücksichtigung des gemeinsamen Zwecks, den alle Aktionäre in der Gesellschaft verfolgen, als Leitmaßstab. Die Grenze des erlaubten Eigennutzes liegt daher bei der Erstrebung von Vorteilen, von denen die Mitaktionäre ausgeschlossen sind. Da das Bewußtsein, eine mißbrauchbare Machtstellung innezuhaben, beim gewöhnlichen unorganisierten Kleinaktionär fehlt, unterliegt die nicht abgesprochene Stimmabgabe eines Minderheitsaktionärs, die nur zufällig im Rah383 Im Ausnahmefall der Stimmrechtspoolung gelten allerdings für die Mitglieder

mehrheitsgewährender Stimmkartelle dieselben - hier nicht näher zu erörternden Regeln wie für andere Mehrheitsaktionäre, vgl hierzu allgemein oben §§ 7 und 8, zu Stimmbindungsverträgen zur Erreichung. 384 BGH ZIP 1995, S. 819, 822 f. ("Girmes"). 385 Der BGH stellte klar, daß der verbandsfremde Vertreter nicht in eigener Person der gesellschaftsrechtIichen Treuepflicht unterliegt, daß er jedoch nach § 179 Abs. 1 BGB für Verletzungen der Treuepflicht haftet, die den von ihm vertretenen Verbandsmitglieder obliegt, wenn er das Stimmrecht "für den, den es angeht" ausübt und die Namen seiner Auftraggeber nicht aufdeckt (S. 820 ff., 823 ft). 386 Siehe oben § 7 I. 3. a).

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men des Gesamtabstimmungsverhaltens zum Zustandekommen oder Scheitern eines Beschlusses beiträgt, dagegen nach bislang herrschender Auffassung keinen Treubindungen387 . In seiner jüngsten Entscheidung läßt der BGH diese Frage allerdings bewußt offen388 . Ein Verstoß gegen die Treuepflicht kann aber im Vorfeld der eigentlichen Stimmabgabe dann gegeben sein, wenn Stimmrechtsbeschränkungen, wie etwa satzungsmäßige Höchststimmtrechte, durch dauerhafte Stimmbindungsverträge 389 oder die Verteilung der Anteile auf mehrere Depotbanken390 umgangen werden sollen. Im Vergleich zu der eher selten gegebenen Möglichkeit, im Zusammenwirken mit anderen bestimmte Entscheidungen durchzusetzen, ist es die für Minderheitsaktionäre typischere Machtposition, bestimmte Arten von Beschlüssen verhindern zu können391 . Fraglos kann auch diese Rechtsmacht nicht schrankenlos sein, wobei es entsprechend dem oben Ausgeführten keinen Unterschied macht, ob sie auf dem Stimmenanteil eines einzelnen Aktionärs oder auf der Bündelung der Stimmen vieler kleiner Aktionäre beruht392 .

387 Raiser, Thomas, Kapitalgesellschaften, Rn. 35 zu § 12; Schmutt, Karsten, GeseIlschaftsrecht, s. 485; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 95, 433; vgl. auch BGHZ 103, 185, 195 (Linotype): "Es darf aber dabei nicht verkannt werden, daß die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs in der Regel nicht von der aktienrechtlichen Treuepflicht bestimmt werden (vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht aaO § 2 I 1 b)." anderer Ansicht aber Nehls, Treuepflicht, S. 85 ff, allerdings mit dem Hinweis, daß treuwidrige Beschlüsse überaus selten das Ergebnis von Zufallsmehrheiten sein dürften. 388 BGH ZIP 1995, S. 819, 822 ("Girmes"), siehe hierzu auch oben IV. 1. 389 Schneider, Gesetzliches Verbot für Stimmrechtsbeschränkungen bei der Aktiengesellschaft? in AG 1990, S. 56, 60. 390 Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481,492. 391 Siehe oben § 9 II.; für eine Übersicht aller mit unterschiedlichen Minderheitsbeteiligungen verbundenen Kontroll- und Sperrechte siehe HojJmann-Becking, Münchener Handbuch, S. 484 ff. 392 Zur diesbezüglichen Diskussion, die durch den Girmes-Fall, vgl. unten IV. 5., ausgelöst wurde siehe Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150; Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173; Wegner, Tollhaus, ZIP 1993, S. 321; zu den Pflichten des Stimmrechtsvertreters der so zustande gekommenen Sperrminorität Than, Verhaltenspflichten, ZHR 1993, S. 125; Henssler, Verhaltenspflichten, ZHR 1993, S. 91; zum Girmes-Fall aus der Sicht eines Wirtschaftswissenschaftlers Wegner, Tollhaus, ZIP 1993, S. 321.

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Das Verbot, von einer Sperrminorität Gebrauch zu machen, kommt allerdings in der Sache einer positiven Stimmpflicht gleich. Obwohl der BGH zurecht größte Vorbehalte gegenüber positiven Förderpflichten im Aktienrecht äußert, läßt er erstaunlicherweise derartige Bedenken in keiner Weise erkennen, wenn es darum geht, von einem Aktionär die - zwar nur passive Unterstützung eines Beschlusses zu fordern, dessen Durchführung ihm ein materielles Opfer abverlangt. Er zieht sich hierbei auf den Standpunkt zurück, einer positiven Zustimmung habe es gar nicht bedurft, da auch Stimmenthaltungen - wie nicht abgegebene Stimmen - das Erreichen einer qualifizierten Mehrheit durch die Befürworter des Beschlusses nicht verhindert hätten393 . Eine derart formal verkürzte Betrachtungsweise wird jedoch dem Charakter der Treuepflicht nicht gerecht. Als materiell-rechtliches Korrektiv kann sie gerade nicht vom Bestehen formaler Positionen abhängen, sondern muß sich an den dahinter stehenden Inhalten orientieren. Insofern erscheint es fast zynisch, einerseits eine Pflicht zum Geben kategorisch zu verneinen, den Betreffenden andererseits aber zu verpflichten, einer Wegnahme tätigkeitslos zuzusehen. Die Frage nach der inhaltlichen Beschränkung der Stimmrechtsausübung kann letztlich nicht losgelöst vom Problem einer positiven Förderpflicht gesehen werden. Sie soll daher erst in diesem Zusammenhang im einzelnen untersucht werden 394 .

2. Verwertung von Insider-Informationen Vereinzelt wurde angeregt, mit Hilfe der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht eine Lösung für das Problem der Verwertung interner Informationen auf dem Kapitalmarkt zu suchen395 . Gerade bezüglich von Minderheitsaktionären, deren Beteiligung unter 25 % lag, die aber doch Einblick in Unternehmensinterna erhieten, war dieser Ansatz interessant, da die bislang angewandten freiwilligen Kapitalmarktregeln nur höher beteiligte Aktionäre, sowie Organmitglieder erfaßten396 . Ein von Lutter gebildetes Beispiel soll dies verdeutlichen397 :

393 BGH ZIP 1995, S. 819, 824 ("Girmes"). 394 Siehe unten IV. 5. 395 Vgl. Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, S. 458; Brändei in Croßkommentar, 4. Auflage, Rn. 87 zu § 1.

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Ein regelmäßig vom Vorstand unterrichteter Minderheitsaktionär, der 20 % des Kapitals der Gesellschaft X hält, erfahrt von der bevorstehenden Übernahme eines Unternehmens Y durch X und kauft vor Bekanntgabe der geplanten Aktion Aktien beider Unternehmen und macht beim späteren Verkauf in Folge des wegen der Transaktion gestiegenen Kurs erhebliche finanzielle Gewinne. Es stellt sich die Frage, inwieweit dieses Verhalten mit der Treuepflicht gegenüber seinen Mitaktionären in beiden Gesellschaften zu vereinbaren ist.

Auch wenn hier ein Schutz des ob seines Informationsdefizits schwächeren Verkäufers wünschenswert erscheint398 , läßt sich mit diesem Wunsch allein die Anwendbarkeit der Treuepflicht auf diesen Fall nicht begründen. Problematisch ist zum einen, wie Lutter selbst erkennt, daß M vor dem Aufkauf der Aktien noch gar nicht Aktionär der Y und daher deren Aktionären gegenüber auch in keiner Weise durch Treuepflichten gebunden ist. Zum anderen ist aber vor allem zu bedenken, daß die Treuepflicht nur eine Förderung der Gesellschaft, nicht aber auch der Mitaktionäre verlangt. Auch wenn man den Fall nicht unter dem Aspekt einer Pflicht zur Förderung, sondern eines Verbots der Schädigung betrachtet, ist ungewiß, ob ein derartiges Schädigungsverbot auch bei einem Handeln am Aktienmarkt, d.h. außerhalb des internen Gesellschaftsbereichs gelten kann. Es ist genau zu differenzieren. Die Treuepflicht in ihrer ersten Dimension, die allein gegenüber den Mitaktionären in Frage kommt, hat ihren Grund im Bedürfnis nach Kompensation gesellschaftsrechtlich vermittelter Machtpositionen. Hierunter fallen in erster Linie - aber nicht ausschließlich - die im Aktienrecht begründeten Aktionärsrechte. Starke Macht kann auch dem Wissensvorsprung eines Aktionärs vor anderen Aktionären entspringen. Voraussetzung für eine Anwendung der Treuepflicht ist aber, daß diese Machtposition gesellschaftsrechtlich vermittelt ist. Nur wenn M die Information wegen seiner Eigenschaft als (einflußreicher) Aktionär erhalten hat, was in Lutters Beispiel anzunehmen ist, trifft ihn die Treueanforderung, gegenüber den Schwächeren Mitaktionären kein Kapital aus seinem Mehrwissen zu schlagen, nicht aber, wenn er als quivis ex populo zufällig von den Absichten "seiner" Gesellschaft erfällrt399 .

396 Vgl. § 2 Nr. 1 IHR (lnsider-HandelsrichtIinien) siehe hierzu Assmann / Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, München 1990, § 14, Insidergeschäfte (S. 386 ff.); der Entwurf eines 2. Finanzmarktförderungsgesetzes, das eine gesetzliche Regelung betreffend Insidergeschäfte beinhaltet, wurde Anfang November im Kabinett verabschiedet, vgl. Handelsblatt vom 4.11.1993, S. 1, 2. 397 Vgl. Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, S. 458. 398 So zu Recht Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 458. 12 Guntz

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Lutters Lösung ist daher dahingehend zu relativieren, daß M nur gegenüber seinen bisherigen Mitaktionären treupflichtig ist, und dies auch nur dann, wenn er sein Wissen aufgrund seiner Aktionärsstellung erworben hat. Es bleibt abzuwarten, ob unter der Geltung des neuen Wertpapierhandelsgesetzes noch Bedarf für einen Rückgriff auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht besteht. 3. Schädigung durch gesellschaftsextemes Handeln

Besteht gegenüber den Mitaktionären eine Verantwortung auch nur, wenn Macht ausgeübt wird, die von der Gesellschaft vermittelt wurde, so konstituiert gegenüber der Gesellschaft die Treuepflicht in ihrer zweiten Dimension ein allgemeines Schädigungsverbot. Dieses kann aber nicht so weit gehen, daß es jedes Verhalten verbietet, das für die Gesellschaft in irgendeiner Form negativ ist. Der dogmatischen Herleitung aus der Zweckförderungspflicht aller Mitglieder entsprechend muß das Verhalten geeignet sein, die Erreichung des gemeinsamen Ziels zu beeinträchtigen. Auch ist nach dem Maß der Verantwortung zu differenzieren, das der einzelne Aktionär für dieses übernommen hat4OO. Für die einzelnen Formen gemeinschaftswidrigen Verhaltens folgt daraus: a) Schädigende Äußerungen Ein Aktionär, der ungerechtfertigterweise abqualifizierende Äußerungen über seine Gesellschaft macht, kann treuwidrig handeln40l . Eine Differenzierung ergibt sich hier schon aus der geforderten Eignung seiner Worte zur Gefährdung des gemeinsamen Ziels der Kapitalmehrung. Da die Öffentlichkeit den Äußerungen eines Kleinaniegers regelmäßig keine

399 A.A., aber unrealistisch bezüglich des Selbstverständnisses von Anlageaktionären Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, S. 459: selbst der Aktionär, der die Information nachts in einer Bar aufgefangen hat, sei nicht quivis es populo, sondern bleibe "als Aktionär angesprochen"; die exakt gegensätzliche Position hat Lutter noch in AcP 180, 1980, S. 84, 111 (Theorie der Mitgliedschaft) vertreten. 400 Siehe oben § 7 11. 401 Vgl. die differenzierenden Beispiele bei Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 1980, S. 84, 111.

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große Bedeutung beimessen wird, können diese auch keinen Treuepflichtverstoß darstellen402 . Äußerst sensibel kann der Kapitalmarkt aber auf Spekulationen eines Aktionärs mit einflußgewährender Beteiligung403 etwa über bevorstehende Verluste des Unternehmens reagieren. Dies belastet dann nicht nur wegen des fallenden Kurswertes der Aktien die Aktionäre der Gesellschaft, sondern auch diese selbst, etwa bei ihren Bemühungen, im Wege der Kreditaufnahme oder der Emission junger Aktien neue Kapitalgeber zu finden. Unbegründete gesellschaftsschädigende Äußerungen eines einflußreichen Aktionärs - wie sie etwa mit dem Ziel abgegeben werden können, den Aufkauf weiterer Anteile zu erleichtern - stellen daher eine Treuepflichtverletzung dar404 . b) Ruinöser Wettbewerb Auch durch den Wettbewerb eines Aktionärs mit der Gesellschaft kann deren geschäftlicher Erfolg beeinträchtigt werden. Hieraus darf aber nicht ohne weiteres ein allgemeines Wettbewerbsverbot der Aktionäre abgeleitet werden. Ein solches ist anders als im Personengesellschaftsrecht, § 112 HGB, im Aktienrecht gerade nicht vorgesehen. Dies hat nicht zuletzt praktische Gründe. Wegen der Fungibilität der Aktien würde sich der betroffene Personenkreis ständig ändern. Auch müßte sonst schon der Besitz einer einzigen Aktie das Verbot, mit der Gesellschaft zu konkurrieren, begründen. Andererseits darf das Schädigungsverbot Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Art nicht ausnehmen. Das Verhalten eines Konkurrenzunternehmens am Markt birgt nämlich ein viel größeres Schädigungspotential als das Verhalten eines nicht unternehmerischen Aktionärs. In diesem Spannungsverhältnis verschiedener aktienrechtlicher Wertungen muß die Abgrenzung etwa folgendermaßen gezogen werden:

402 So auch Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180,1980, S. 84, Ill. 403 Dabei muß es sich nicht gleich um eine Mehrheitsbeteiligung handeln. Auch größere Minderheitsaktionäre sind in der Regel über Gesellschaftsinterna informiert und werden vom Vorstand bei wichtigen Entscheidungen berücksichtigt. Diese Rückkoppelung wird oft durch die einem Paketbesitzer "zustehende" Vertretung im Aufsichtsrat gewährleistet, vgl. Huppert, Recht und Wirklichkeit der Aktiengesellschaft, 1978, S. 42. 404 Siehe hierzu auch noch unten 3 c.

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Die Treuepflicht verbietet es einem Aktionär nicht, mit seinem Unternehmen auf denselben Märkten präsent zu sein wie die Gesellschaft. Er darf dort auch in einen allgemeinen Wettbewerb zu dieser wie zu allen anderen Konkurrenzunternehmen treten. Die Grenze zum treuwidrigen Verhalten ist dort überschritten, wo er wettbewerbliche Maßnahmen ergreift, die gezielt gegen die Gesellschaft gerichtet sind und die geeignet sind, ihr einen nicht unerheblichen Schaden zuzufügen. Dies gilt besonders dann, wenn er mit diesen Maßnahmen den Bereich des Leistungswettbewerbs verläßt405. Aber auch Preisunterbietungen, die speziell auf die Vernichtung der Gesellschaft oder ihre Verdrängung von einem bestimmten Markt abzielen, und andere vergleichbare Vorgehensweisen wären treuwidrig. Größer als die Gefahr derartigen Vorgehens gegen ein Unternehmen, an dem der Wettbewerber selbst beteiligt ist, ist die Gefahr, daß dieser im Rahmen einer Zusammenarbeit oder in Folge informellen Informationsaustausches versucht, die Gesellschaft zu-gunsten seines eigenen Unternehmens zu übervorteilen. Ein Treuepflichtverstoß liegt daher auch vor, wenn der Wettbewerber sein gesellschafts intern erlangtes Wissen dazu ausnutzt, Geschäfte mit seinem eigenen Unternehmen zu realisieren, die sich sonst der Gesellschaft geboten hätten406 . Die genannten Handlungen würden damit einen Anspruch der Gesellschaft auf Unterlassung bzw. Schadensersatz begründen, der neben eventuelle Ansprüche aus dem UWG träte. Auch ein derart beschränktes Wettbewerbsverbot kann nicht für jeden Inhaber einer Aktie geIten407 . Voraussetzung ist der Besitz zumindest eines kleineren Pakets, da dessen Besitz die Übernahme einer größeren Verantwortung für das Gesellschaftsziel erkennen läßt. Die Grenze liegt etwa bei einem Anteil von 5 %. Ab dieser Beteiligungshöhe kann meist auch schon informeller Einfluß auf die Unternehmens leitung geltend gemacht werden408 , so

405 Zur Unterscheidung Leistungs- und Nichtleistungs- bzw. Behinderungswettbewerb siehe Baumbach / HefermehL, Wettbewerbsrecht, 16.Aufl., München 1990, Einl UWG Rn. 96 ff.; Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 3. Aufl., München 1990, S. 54 ff., 72. 406 Vgl. die Fallgruppe der Ausnutzung von "corporate opportunities" im amerikanischen Recht, oben § 3 II. 3. b); ausführlich hierzu Weisser, Corporate Opportunities, Zum Schutz der Geschäftschancen des Unternehmens im deutschen und im amerikanischen Recht, Köln 1991, zum deutschen Recht S. 125 ff.; ebenso Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 465 f. 407 Ebenso Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 465, der auf eine "der Geschäftsführung nahe Position als Abgrenzungsmerkmal " abstellen will. 408 Vgl. oben Fn. 403 und unten IV. 4.

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daß eine Kontrolle des Konkurrentenhandelns über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht doppelt geboten erscheint.

c) Vorbereitung "feindlicher" Übernahmen Nach einer Ansicht in der Literatur sollen Treuepflichten unter Umständen bereits beim Erwerb von Aktien einer Gesellschaft eine Rolle spielen409 : Plant ein Erwerber eine sogenannte feindliche, d.h. der Unternehmensleitung nicht bekanntgegebene4 10 , Übernahme der Gesellschaft durch sukzessiven Aufkauf ihrer Aktien, so ist er nach altem Recht411, § 20 AktG, erst dann verpflichtet, der Gesellschaft Mitteilung zu machen, wenn er bereits 25 % der Aktien erworben hat. Burgard will darüberhinaus unter Heranziehung der Treuepflicht den Rechtssatz ableiten, daß ein Aktionär zur Offenlegung des von ihm kontrollierten Kapitalanteils bereits dann verpflichtet sei, wenn sich die Nichtoffenlegung als Mißbrauch der Anonymität der Aktie darstellen würde, weil die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens bei der Gesellschaft oder den Mitgesellschaftern besteht. Der Schadensbegriff sei dabei untechnisch weit zu verstehen und habe sich am Inhalt der Treuepflicht, d.h. an der Förderpflicht und dem Rücksichtnahmegebot auszurichten. Letztlich verlangt Burgard damit eine generelle Pflicht, die bloße Absicht eines einflußgewährenden Beteiligungserwerbs offenzulegen, da im Falle einer "feindlichen" Übernahme stets die Gefahr der Schädigung insbesondere der Mitaktionäre besteht412 ; so versäumen diese unter Umständen, sich den bei öffentlichen Übernahmeangeboten üblichen Paketzuschlag bezahlen zu lassen413 .

409 Burgard, Offenlegung, AG 1992, S. 41. 410 "Feindlich" stellt sich die Übernahme daher nur aus den Augen der um seinen

Arbeitsplatz bangenden alten Unternehmensleitung dar, die aber kraft Gesetzes auf die Förderung der Gesellschaft-, nicht auf die ihrer eigenen Beschäftigungsinteressen verpflichtet ist. Zu den in betriebs- und volkswirtschaftlicher sowie sozialer Sicht durchaus positiven Aspekten von Unternehmensübernahmen und zur insofern berechtigten Kritik am Begriff "feindlich": Joussen, Übernahmen, BB 1992, 1075, 1076 f. 411 Eine Änderung bringt insoweit die Offenlegungsrichtlinie der EG, die bereits zum 1.1.1991 in nationales Recht hätte umgesetzt sein sollen, zum Inhalt vergleiche Burgard, Offenlegung, AG 1992, S. 41, 51 ff. 412 So richtig Joussen, Übernahmen, BB 1992, 1075, 1076. 413 Burgard, Offenlegung, AG 1992, S. 41, 48 f.

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Die Herleitung einer solchen Pflicht aus der aktienrechtlichen Treuepflicht ist nicht nur wegen der Existenz der unzweideutigen Regelung des § 20 AktG414 abzulehnen. Zunächst versagt eine auf Treuepflichtgedanken beruhende Offenbarungspflicht in all den Fällen, in denen ein potentieller Über-nehmer erstmals Aktien der Zielgesellschaft erwirbt. Wer (bislang noch) nicht Aktionär ist, kann auch nicht von Treuepflichten erfaßt werden. Vor allem aber vermengt Burgard bei seiner Herleitung in unzulässiger Weise Rücksichtnahme- und Förderpflicht, hier eingeordnet als erste bzw. zweite und dritte Dimension der Treuepflicht. Er übersieht, daß der Aktionär nur zur Förderung der Gesellschaft, nicht aber seiner Mitgesellschafter verpflichtet ist. Rücksichtnahme schuldet er diesen nur dort, wo er Macht ausübt, die sich von der Gesellschaft ableitet. Da dies beim Ankauf einzelner Aktienpakete aber unter keinem Aspekt der Fall ist, ist es für den Erwerber schlicht unbeachtlich, daß seine Mitaktionäre ein besseres Geschäft hätten machen können, wenn ihnen seine Absicht bekannt gewesen wäre, Stück für Stück eine einflußgewährende Beteiligung aufzubauen. Auf dem Aktienmarkt stehen sie sich als gleichberechtigte Teilnehmer gegenüber. Schädigungen der Gesellschaft sind dagegen auch im Rahmen der Treuepflicht in ihrer zweiten Dimension von Belang. Die Tatsache allein, daß die Gesellschaft allmählich unter den Einfluß eines neuen Mehrheitsaktionärs gerät, stellt aber für sie noch keinen Schaden dar. Selbst wenn aufgrund von Gerüchten über den Erwerb der Kurs der Aktie sinken sollte4 15 , ist dies nicht der Fall, es sein denn der verursachte Kurseinbruch wäre so gewaltig, daß er negative Ausstrahlung auf die wirtschaftliche Betätigung der Gesellschaft haben könnte. Verfolgt der Erwerber dagegen zur Erleichterung der Übernahme bewußt eine Politik der Destabilisierung, indem er etwa gezielt falsche Informationen in Umlauf setzt416 , so kann darin durchaus eine Treuepflichtverletzung liegen. Aus dieser Feststellung ist aber nur zu folgern, daß die Treuepflicht

414 Kritisch zum Mißbrauch der "Treuepflicht als Lückenbüßer für unzureichend empfundene, aber abschließende gesetzliche Regelungen" Joussen, Übernahmen, BB 1992, 1075, 1078 ff, 1081. 415 Die übliche Reaktion ist dagegen ein Anstieg des Kurses, da einerseits durch den sukzessiven Aufkauf das Angebot die Nachfrage nicht mehr deckt und andererseits viele Aktionäre auf höhere Abfindungsangebote spekulieren, siehe hierzu Joussen, Übernahmen, BB 1992, 1075, 1077 bei Fn. 33. 416 Dies scheint etwa in dem von Burgard. Offenlegung, AG 1992, S. 41 eingangs angeführten Beispiel der Feldmühle Nobel AG der Fall gewesen zu sein.

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gebietet, derartige schädigende Äußerungen zu unterlassen417 bzw. einen Schaden, der der Gesellschaft infolge dieser Fehlinfonnationen entsteht, zu ersetzen. Eine generelle Offenlegungspflicht für alle potentiellen Erwerber läßt sich hieraus aber nicht ableiten. Das Ergebnis kann auch nicht anders ausfallen, sofern in der Gesellschaftssatzung ein Höchststimmrecht vereinbart wurde. Die Tatsache, daß dann der Versuch, etwa mittels Stimmbindungen die Beschränkung zu umgehen, eine Treuepflichtverletzung darstellen kann418 , bedingt nicht notwendig, daß alle Anteile, die von der Stimmrechtsbegrenzung betroffen sind, offengelegt werden müssen419 .

4. Strategische Beteiligungen a) Vorkommen und Bedeutung Daß ein Konkurrent sich - wie oben 3 buntersucht - an einer Gesellschaft beteiligt, um sie dann zu vernichten oder sonst ernsthaft zu schädigen, ist nicht gerade häufig. Viel öfter finden sich Fälle, in denen Konkurrenten, die durch Minderheitsbeteiligungen verbunden sind, auch wirtschaftlich zusammenarbeiten. Unter dem Schlagwort "Strategische Allianzen", teilweise gefeiert als geniale neue Organisationsidee, teilweise abgekanzelt als Wiederauflage des alten Konzepts der "Unternehmenskooperation"420, erleben die neunziger Jahre einen regelrechten Boom derartiger oft internationaler Zusammenarbeit nicht abhängiger Unternehmen421 .

417 Diese Fallgruppe wurde oben 3 a besprochen. 418 Siehe oben 1 e und Schneider, Gesetzliches Verbot für Stimmrechtsbeschränkungen bei der Aktiengesellschaft? in AG 1990, S. 56, 60; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 492. 419 Für eine Pflicht zur Offenlegung der Namen aller Vertretenen bei Personen, die als Stimmrechts vertreter auftreten Timm, Treuepflichten, WM 1991, 481, 492 ff. 420 Vgl. Backhaus / PUtz, Strategische Allianzen, ZfbF, Sonderheft 27, 1990, S. I, auch zu den Erwartungen, die mit dem Begriff "Strategische Allianzen" verbunden sind, dort S. 2; Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, ZfB-Ergänzungsheft 1/91, S. I, verzichtet gänzlich auf den Begriff Allianzen zugunsten des betriebswirtschaftlieh eingeführten Begriffs Kooperation. 421 Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, ZfB-Ergänzungsheft 1/91, S. 1; Vgl. die Beispiele bei Backhaus / PUtz, Strategische Allianzen, ZfbF, Sonderheft 27, 1990,

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Auffällig ist bei dieser Organisationsform, auf die die Praxis große Hoffnungen insbesondere im globalen Wettbewerb setzt422, daß neben die S. 1, S. 2, Backhaus / Plinke, Allianzen als Antwort, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 21,22 f. Vgl. auch die Fülle neuerer Literaturbeiträge hierzu: aus dem deutschen Bereich etwa: Albaeh, Strategische Allianzen, Zffi 62 (1992), S. 663, Backhaus / Plinke, Allianzen als Antwort, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 21, Backhaus / Piltz, Strategische Allianzen, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 1, Badaracco, Strategische Allianzen, Wien 1991, Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, Zffi-Ergänzungsheft 1/91, S. 1, Gahl, Konzeption, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 35, Hilbert, Neue Kooperationsformen in der Wirtschaft, Opladen 1991, Lutz, Horizontale strategische Allianzen, Hamburg 1993, Ohmae, Strategie Alliances in the Borderless World, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 11, Rumpf, Strategische Allianzen im Mittelstand, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 101, Sattler, Joint Ventures und Kooperationen Chance für die 90er Jahre, Ehningen 1992, Servatius, Koordination internationaler strategischer Allianzen, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 49, Viljak, Wachstumspotentiale durch strategische Partnerschaften, München 1990; Aus dem amerikanischen Bereich: Acheson, The Maine Lobster Market: Between Market and Hierarchy, 1 Journal of Law, Economics and Organization 385 (1985), Borys / Jemison, Hybrid Arrangements as Strategie Alliances: Theoretical Issues in Organizational Combinations, 14 Academy of Management Review (1989) 234, Bowersox, The Strategie Benefits of Logistic Alliances, Harvard Business Review, July-August 1990, 37, Forry / Joelson, Joint Ventures in the United States, London 1988, Ghemawat / Porter / Rawlinson, Patterns of International Coalition Activity, in: Porter, Michael E. (Hrsg.), Competition in Global Industries, Boston 1986, S. 345, Greer / Allen / Glover/ Harris / Hili, Transnational Strategie Business Alliances, Chapter 2 in: Holgren, Carol J. (Hrsg.), Private Investments Abroad Problems and Solutions in International Business in 1991, USA 1991, Harrigan, Joint Ventures and Competitiv Strategy, 9 Strategie Management Journal (1988) 141, Harrigan, Strategie Alliances: Their New Role in Global Competition, Columbia Journal of World Business, Summer 1987, 67, Jarillo, Networks, 9 Strategie Management Journal (1988) 31, Jones / Hili, Transation Cost Analysis of Strategy Structure Choice, 9 Strategie Management Journal (1988) 159, Kogut, Joint Ventures: Theoretieal and Empirical Perspecitves, 9 Strategie Management Journal (1988) 319, Kogut, The Stability of Joint Ventures: Reciprocity and Competitive Rivalry 38 Journal of Industrial Economics (1989) 183, Lee / Wyatt, The Effects of International Joint Ventures on Sharehoder Wealth, 25 Financial Review (1990) 641, Mariti / Smiley, Co-operative Agreements and the Organization of Industry, 31 Journal of Industrial Economics (1983) 437, Miles / Snow, Organizations: New Concepts for New Forms, 28 California Management Review (1986) 62, Ohmae, The Global Logic of Strategie Alliances, Harvard Business Review, March-April 1989, 137, Ohmae, Managing in a Borderless World, Harvard Business Review, May-June 1989, 153, Ohmae, Planting for aGlobaI Harvest, Harvard Business Review, July-August 1989, 137, Porter / Fuller, Coalitions and Global Strategy, in: Porter, Miehael E. (Hrsg.), Competition in Global Industries, Boston 1986, S. 315, Silver, Strategie Partnering, New York 1993. 422 Neben den großen ökonomischen Erwartungen, die sich in der rasanten Aus-

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vertragliche Bindung, auf die allein die tatsächliche Zusammenarbeit der Partner jederzeit gestützt werden könnte, oft eine strukturelle Verflechtung durch den gezielten gegenseitigen Austausch von Minderheitsbeteiligungen tritt423 . Diese haben offensichtlich nicht die Funktion einer Geldanlage, sondern eine spezifische strategische Bedeutung für die gegenseitige Zusammenarbeit. b) Organisatorische Vorteile von strategischen Allianzen Betrachtet man den Grund für die Existenz strategischer Allianzen, nämlich deren spezifische Vorteile gegenüber den herkömmlichen Organisationsformen Markt und Hierarchie, so scheint eine zusätzliche freiwillige Kapitalverflechtung auf den ersten Blick eher hinderlich denn vorteilhaft. breitung strategischer Allianzen äußern, erwarten einzelne Manager von der Vernetzung der internationalen Wirtschaft gar eine die Weltordnung stabilisierende und die Möglichkeit von Kriegen verhindernde Wirkung, vgl. etwa die Äußerungen von Edzard Reuter im Rahmen der (letztlich gescheiterten) Vorbereitungen für eine strategische Allianz zwischen den jeweils größten Konzernen Deutschlands und Japans Daimler-Benz und Mitsubishi, z.B. in Die Zeit Nr. 42 ff. 1991, hierzu auch Handelsblatt Nr. 227, 26.11.1991, S. 18. 423 Ein instruktives Beispiel stellt hier etwa die seit langem vorbereitete Überkreuz-Beteiligung von Pratt & Whittney und MTU dar: P & W soll knapp 25 % an MTU erwerben, die im Gegenzug 5 - 6 % an P & W halten will. Konzentriert werden soll der Turbinensektor des Daimler-Konzerns bei der AEG, die dann auch von Mercedes die 10 prozentige Beteiligung an Detroit Diesel übernehmen soll, einer Firma, mit der MTU ebenfalls eine Kooperation plant. Eine weitere internationale Zusammenarbeit besteht zwischen MTU, P & W, General Electric (USA) und Snecma (Frankreich), zum Ganzen: Handelsblatt Nr. 212 vom 2.11.1993, S. 22; Auch im Fluggeschäft scheint man ohne Allianzen zwischen den einzelnen Fluglinien nicht mehr auszukommen, wobei die gegenseitigen Verbindungen oft schon zum Hindernis für neue Allianzen werden: So scheiterte unlängst die Fusion von Swissair, Austrian Airlines, SAS und KLM an der Beteiligung letzterer in Höhe von 20 % an North West Airlines, da Voraussetzung der Fusion die anschließende Zusammenarbeit mit dem Partner von Swissair, Delta Airlines, war. In der Folge wird nun laut über eine Kooperation von Swissair und Austrian Airlines, an der Swissair neben All Nippon Air in Höhe von je ca. 10 % beteiligt ist, mit Lufthansa nachgedacht, vgl. Handelsblatt Nr. 225 vom 22.11.1993, S. 1, Süddeutsche Zeitung Nr. 287 vom 13.12.1993, S. 22. Aus dem Bereich der Telekommunikation als Beispiel etwa der Einstieg von Britisch Telecommunications Pie mit 4,3 Milliarden $ beim amerikanischen Branchenzweiten MCI Communications Inc., der sofort mit Überlegungen bzgl. einer Allianz des Marktführers AT & T mit der deutschen Telekom und der französischen Telecom beantwortet wurde, vgl. Handelsblatt Nr. 217 vom 9.11.1993, S. 19.

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Zunächst muß verstanden werden, warum überhaupt Unternehmen bestehen, d.h. warum wirtschaftliche Transaktionen in einer hierarchischen Koordination internalisiert werden, statt sie über den Markt durchzuführen. Die Transaktionskostentheorie liefert die folgende Erklärung: Bei Produkten, die hohe transaktionsspezifische Investitionen erfordern, entsteht nach dem Vertragsabschluß am Markt und der eigentlichen Investition eine Monopolsituation zugunsten des zunächst unter verschiedenen Wettbewerbern ausgesuchten Vertragspartners. Dieser kann sich, da mit einem Wechsel des Vertragspartners jetzt hohe Kosten verbunden sind, opportunistisch verhalten424 . Die Abhängigkeit und die dadurch entstehenden Kosten vermehren sich, je spezifischer ein Produkt ist, so daß ab einer gewissen Stufe die Internalisierung effizienter ist425 . Dasselbe gilt für Produkte, bei denen der Bedarf an Wissen besonders hoch ist, wegen der Probleme bei der Suche, der Bewertung und dem Austausch von Informationen auf dem Markt426 . Versagt also in diesen Situationen der Markt, so unterliegt auch die als Alternative in Frage kommende Hierarchie, d.h. die Integration der Produktion im Unternehmen, gravierenden Nachteilen. Zunächst ist der enorme Investitionsbedarf für den Aufbau oder Aufkauf eigener Kapazitäten zu nennen. Durch die Einbindung der eigenen Resourcen tritt auch ein Verlust an Flexibilität ein. Der hierarchische Aufbau unterliegt zudem nicht dem Anpassungsdruck des Marktes, so daß Produktionskostennachteile entstehen können, wenn die Reaktion auf sich ändernde Marktbedingungen unterlassen wird. Hier liegt der Grund für die große Attraktivität strategischer Allianzen. Als Organisationsform, die nicht Markt und doch noch nicht Hierarchie ist, befreit die Unternehmenskooperation einerseits von dem hohen Investitions-

424 Williamson, Transaction Cost Economics, in: Schmalensee, R., Willis, R. (Hrsg.), Handbook ofIndustrial Organization, Band I, North-Holland, N.Y. 1989, S. 135, S. 144, Teece I Monteverde, Supplier Switching Costs and Vertical Integration in the Automobile Industry, in: 13 Bell Journal ofEconomics (1982) 206, S. 206 ff. 425 Williamson, Transaction Cost Economics, in: Schmalen see , R., Willis, R. (Hrsg.), Handbook ofIndustrial Organization, Band 1, North-Holland, N.Y. 1989, S. 135, S. 150 ff. 426 Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, ZtB-Ergänzungsheft l/91, S. 1, S. 12 ff.; Die genannte Studie von Teece I Monteverde, Supplier Switching Costs and Vertical Integration in the Automobile Industry, in: 13 Bell Journal of Economics (1982) 206, bestätigt auf S. 207 ff. diese Theorie, indem sie zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit der Produktion eines Autoteils im eigenen Unternehmen umso größer ist, je höher der für ihn benötigte Forschungs- und daher Wissensaufwand ist.

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aufwand und gewährleistet andererseits wegen der größeren Marktnähe und der geringeren Kosten einer Auflösung die notwendige Flexibilität. Angesichts dieser Vorteile erscheint es nicht nachvollziehbar, warum in vielen Allianzen eine kapitalmäßige Verflechtung mit gegenseitigen Beteiligungen im Bereich von etwa 5 bis 10 %, in Einzelfällen auch bis zu 25 % gesucht wird; bedeutet eine solche doch einerseits einen erhöhten Kapitalaufwand und andererseits einen Verlust an Flexibilität, da die Disziplinierungswirkung des Marktes umso geringer ist, je mehr in eine Allianz investiert wurde. Dem steht aber nicht etwa ein dem Weisungsrecht in der Hierarchie vergleichbarer Entscheidungseinfluß entgegen, ist doch der über das Stimmrecht vermittelte Einfluß bei den meist weit unter der Sperrminorität liegenden Beteiligungen vernachlässigbar. c) Die Treubindungen des Minderheitsaktionärs als Vertrauensgrundlage in der Allianz Die Lösung dieses nur scheinbaren Widerspruchs liegt in den besonderen Bindungen, die durch den Austausch der Kapitalbeteiligung zwischen den Partnern der Allianz erzeugt werden können. Die Verpflichtungswirkung dieser strukturellen Verflechtung ergibt sich unmittelbar aus der gewählten gesellschaftsrechtlichen Konstruktion. Aus der Tatsache, daß beide Partner jeweils Aktionär der anderen Gesellschaft sind, folgt auch ihre Pflicht zur gegenseitigen Förderung. Das dem Vertragsrecht wesenseigene "Gegeneinander" der Vertragspartner wird so überlagert von dem für das Gesellschaftsrecht grundlegenden "Miteinander "427. Ein Bedarf nach derartigen gemeinschaftlichen Treubindungen ergibt sich, da die größere Nähe der Kooperation zum Markt sich nicht allein in der Vermeidung der Nachteile der Hierarchie äußert. Vielmehr kann diese Nähe auch genau jene Nachteile des Marktes mit sich bringen, die für die Internalisierung der Transaktionen erst die Ursache bildeten428 , d.h. vor allem die Befahigung des Partners zu Opportunismus und Mißbrauch ihm preisgegebener Informationen, sowie die eventuelle Überbezahlung selbst erhaltener Informationen429 .

427 Hierzu oben § 6 11. 2. a). 428 Siehe oben 4. b). 429 Siehe etwa die Beschwerden amerikanischer Unternehmen über eine einseitige Ausbeutung ihres Wissensvorsprungs durch ihre japanischen Partner, Backhaus / Piltz, Strategische Allianzen, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. I, 9; Albaeh, Strategische Allianzen, ZtB 62 (1992), S. 663, 668.

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Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Kooperation ist daher das gegenseitige Vertrauen der Partner, daß keiner die Abhängigkeit des anderen zum einseitigen Vorteil ausnutzt430 . Nur in einem vertrauensvollen Klima können auch die für die Kooperation notwendigen Informationen ausgetauscht werden, da es auf deren exakte Wertbemessung im Einzelfall nicht ankommt, wenn langfristig beide Partner von den gepoolten Informationen profitieren. Dieses Vertrauen kann aber durch den Austausch von Minderheitsbeteiligungen maßgeblich vertieft werden. Dabei kommt es verständlicherweise nicht auf die Einklagbarkeit eventueller Treuepflichten an. Wichtig ist vielmehr der einer etwaigen gerichtlichen Konfliktlösung weit vorausgreifende Grundcharakter einer Rechtsbeziehung. Und diese ist im Gesellschaftsrecht geprägt durch die Idee des Zusammenschlusses zur gemeinsamen Zweckerreichung431 . Vertrauen ist bei einer derart offenen Rechtsbeziehung wie unter den Mitgliedern einer Gesellschaft, bei der niemals im voraus vertraglich hieb- und stichfest niedergelegt werden kann, wie der gemeinsame Zweck zu erreichen ist, bei der es vielmehr auf die Möglichkeit zur flexiblen Reaktion auf aktuelle Entwicklungen ankommt, sozusagen die elementarste Voraussetzung des Gelingens. Auch die freiwillige Abhängigkeit, in die sich die die Partner einer strategischen Allianz begeben, findet sich parallel in der Gesellschaft und hat dort ihr Korrelat in der Treuepflicht432 . Indem die Partner eine strukturelle Verflechtung der Unternehmen durch Minderheitsbeteiligungen suchen, nehmen sie Anleihe an das Vertrauensverhältnis des Gesellschaftsrechts. Anders als bei konzernartigen Unternehmensverbindungen vermeiden sie aber aufgrund der meist geringen Höhe der Beteiligungen eine zu starke Bindung und dadurch den Verlust der Selbständigkeit auf der einen und der Flexiblilität des Handeins auf der anderen Seite433 .

430 "Joint Ventures are first and foremost a device of mitigating the worst consequences of mistrust." Buckley P. I Casson, M., Theory of Cooperation in international Business, zitiert nach Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, ZfB-Ergänzungsheft 1191, S. I, 22; ein Verhältnis des Mißtrauens ist nicht nur kontraproduktiv, sondern wegen der notwendigen Kontroll- und Sicherungsaufwendungen auch teuer, vgl. Jarillo, Networks, 9 Strategie Management Journal (1988) 31, S. 36: "Being able to generate trust is the fundamental entrepreneurial skill to lower ... costs and make the existence of the network economically feasible." Zur Bedeutung des Vertrauens für Investitionen in Allianzen Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, ZfB-Ergänzungsheft 1191, S. I, 11,22 f. 431 Vgl. oben § 6 11. 2. a). 432 Vgl. oben § 6 11. 2. b). 433 Gahl, Konzeption, ZfbF, Sonderheft 27, 1990, S. 35,40 ff.

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Gesellschaftsrechtliche Verbindungen müssen und können bei der Begründung von Vertrauen keine MonopolsteIlung einnehmen. Vertrauen kann sich vielmehr auch auf die Reputation eines Partners aufgrund früheren Verhaltens gründen oder aus den Erfahrungen einer längeren Zusammenarbeit wachsen434 . Alle diese Faktoren hängen jedoch, anders als das gewissermaßen institutionalisierte Vertrauen durch Treubindungen, vom Wirken der Zeit ab, so daß sich die Effizienz einer Kooperation oft erst nach einer längeren Anlaufphase realisieren kann435 . Nun sind stra-tegische Allianzen nicht zuletzt wegen ihrer Flexibilität aber gerade in hoch innovativen Branchen von besonderer Bedeutung, wo allein die Geschwindigkeit einer Neuentwicklung über die Marktführerschaft und damit über Erfolg oder Mißerfolg von Investitionen in Milliardenhöhe entscheiden kann436 . Es leuchtet ein, daß hier für den Prozeß eines langsamen Vertrauensautbaus aus gemeinsamer Erfahrung keine Zeit bleibt437. Der gegenüber einer Unternehmensübernahme relativ leicht zu bewerkstelligende Erwerb von gegenseitigen Minderheitsbeteiligungen ist hier ein konkurrenzloses Mittel, um ohne große Anlaufzeitverluste eine Vertrauensbasis für effiziente Kooperation zu schaffen438 . 434 Bezüglich der Wechselbeziehung zwischen dem Wert guter Reputation und dem dadurch bedingten ökonomischen Anreiz, diese nicht für kurzfristige Gewinnchancen auf das Spiel zu setzen, siehe Büchs, Zwischen Markt und Hierarchie, ZtBErgänzungsheft 1/91, S. I, S. 23. 435 Vgl. Jarillo, Networks, 9 Strategie Management Journal (1988) 31, 36; und Backhaus / Plinke, Allianzen als Antwort, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 21, 32: "Der Faktor Zeit im weitesten Sinne scheint damit der erste Schlüssel zum Phänomen der strategischen Allianzen zu sein. " 436 Gahl, Konzeption, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 35, 37 f.; Backhaus / Plinke, Allianzen als Antwort, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 21, 25 ff. 437 Übereilung bei der Eingehung einer Kooperation mag daher auch ein Hauptfaktor für die hohe Zahl gescheiterter Allianzen sein, wie sie etwa in einer empirischen Untersuchung festgestellt werden von: Baumgartner, K., Nach fünf Jahren ist nur die Hälfte übrig, in: Blick durch die Wirtschaft vom 12.3.1975, zitiert nach Gahl, Konzeption, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 35,39. Zum Scheitern von strategischen Allianzen auch Albaeh, Strategische Allianzen, ZtB 62 (1992), S. 663, 668. Die Tatsache der Trennung der Partner allein darf dabei aber noch nicht negativ bewertet werden, wie dies vielfach anklingt, vgl. Gahl, Konzeption, ZtbF, Sonderheft 27, 1990, S. 35, 39, Albaeh, Strategische Allianzen, ZtB 62 (1992), S. 663, 668. Die Möglichkeit einer einfachen Trennung ist ja gerade einer der Vorteile strategischer Allianzen. 438 Zur Bedeutung der Zeit im ökonomischen Handeln siehe Simon, Die Zeit als strategischer Erfolgsfaktor, in: ZtB, 1/1989, S. 70, insbesondere S. 89 ff.; zur Bedeutung von Treuepflichten bei Beteiligungen im Bereich von etwa 5 % und mehr, Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 174.

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5. Positive Stimmpflichten bzw. Verbot der Ausübung eines Vetorechts Fraglich ist, ob es Situationen geben kann, in denen auch von einem Minderheitsaktionär die positive Mitwirkung an einem Beschluß oder zumindest der Verzicht auf die Ausübung eines Vetorechts verlangt werden kann. a) Einordnung des Problems in das Treuepflichtsystem Zwischen beiden Varianten, der Pflicht zur positiven Stimmabgabe und der Pflicht zur Stimmenthaltung besteht angesichts des identischen Ergebnisses Enthaltungen werden wie nicht abgegebene Stimmen behandelt und können daher das Erreichen einer bestimmten Mehrheit nicht verhindern - kein inhaltlicher Unter-schied. Die nur der jeweiligen Betrachtungsweise entsprechende Unterschiedlichkeit der Formulierung kann damit nicht Grundlage für eine unterschiedliche dogmatische Einordnung sein439 . Ob für die Beurteilung einer Stimmpflicht die Treuepflicht in ihrer ersten oder in ihrer dritten Dimension einschlägig ist, richtet sich genausowenig allein nach der Qualifizierung des Stimmrechts als Gesellschafterrecht, sondern ebenso nach dem Inhalt des zu fassenden Beschlusses. Die Besonderheit des Stimmrechts liegt nämlich darin, daß es zwar Gesellschafterrecht ist, aber je nach Inhalt des Beschlusses auch über den gesellschaftsinternen Bereich hinausgehende Wirkungen entfalten kann. Ausgangspunkt bildet die Tatsache, daß sich auch das Stimmrecht, wie alle anderen Gesellschafterrechte, am gemeinsamen Ziel der Gesellschaft orientieren muß. Allein die Innehabung einer Sperrminorität kann somit die materielle Legitimation für die Ausübung des Vetos noch nicht in sich tragen. Es kann in diesem Zusammen-hang nichts anderes gelten als umgekehrt bei der Innehabung einer (möglicherweise sogar qualifizierten) Mehrheit440.

439 So auch Nehls, Treuepflicht, S. 88, der positive Stimmpflichten allerdings materiell stets als bloße Rechtsbeschränkung ansehen will und hieraus folgert, daß positive Stimmpflichten bei entsprechender Beschlußvorlage nicht nur ausnahmsweise, sondern grundsätzlich bestünden. Über diese Brücke leitet Nehls in Konsequenz eine Pflicht ab, auch nichtbelastenden Beschlüssen zuzustimmen, die zwar nicht im Interesse der Gesellschaft, aber in dem einzelner Mitaktionäre stehen (S. 89 f.). Dies kann aber nicht generell gelten, da ansonsten eine Förderungspflicht auch diesen gegenüber bestünde. Allenfalls kann eine grundlose und damit willkürliche Verweigerung der Zustimmung als treuwidriger Einsatz des Gesellschafterrechts "Stimmrecht" und damit als Verstoß gegen die Treuepflicht in ihrer ersten Dimension angesehen werden. 440 Vgl. hierzu oben § 7 11.

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Eine Stimmpflicht kann hieraus aber noch nicht ohne weiteres gefolgert werden. Zumindest in den Fällen, in denen durch den Beschluß das externe Verhältnis von Aktionär und Gesellschaft modifiziert werden soll, kommt eine Stimmpflicht einer direkten Verpflichtung zur Förderung der Gesellschaft gleich, so daß die besonderen Beschränkungen für die dritte Dimension der Treuepflicht zu beachten sind. Geht es dagegen in dem Beschluß nur um gesellschaftsinterne Angelegenheiten wie die innere Organisation der Gesellschaft oder - im Fall des § 119 Abs. 2 - einzelne Fragen der Geschäftsführung, so unterliegt die Annahme von Stimmpflichten nur den geringeren Maßstäben der ersten Treuepflichtdimension. Die Macht, auch reine Organisationsentscheidungen zu verhindern, die das Gesellschaftsrecht dem Sperrminoritätsinhaber aufgrund des Erfordernisses qualifizierter Mehrheiten etwa für Satzungsänderungen einräumt, darf nicht zum persönlichen Vorteil ausgenutzt werden. Erfordert das Wohl der Gesellschaft daher eine Satzungsänderung und betrifft diese nur den gesellschaftsinternen Bereich, ohne die Rechtsstellung der Aktionäre zu berühren, so trifft den Gesellschafter eine entsprechende Pflicht zur Zustimmung oder Enthaltung. Andernfalls bestünde die Versuchung, sich die erforderliche Zustimmung mit anderen Vorteilen abkaufen zu lassen. Das gleiche gilt im Falle einer dringend gebotenen Zustimmung zu Vorlagen nach § 119 Abs. 2. b) Einzelne Anwendungsfälle aa) Heilung von Gründungsfehlern Der klassische Fall einer Satzungsänderung, die nicht auf das Außenverhältnis zwischen Gesellschaft und Aktionär einwirkt, ist die Behebung von erst später erkannten Formfehlern bei der Gründung der Aktiengesellschaft. Hier soll nur die Rechtmäßigkeit des bestehenden Zustands hergestellt werden. Dabei ändert sich nichts am Status des einzelnen, der ja von Anfang an von der Rechtswirksamkeit der Gesellschaftsgründung ausgegangen ist. Sprechen gegen die Behebung des Mangels keine materiellen Gründe, so gebietet die Treuepflicht eine Zustimmung des Aktionärs441.

441 So auch Brände[ in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 88 zu § 1.

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bb) Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern Allein den internen Gesellschaftsbereich betrifft die Bestellung und Abberufung der Organe. Liegt daher ein wichtiger Grund für die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds vor und sind durch sein Verbleiben im Aufsichtsrat Schäden für die Gesellschaft zu gewärtigen, so gebietet die Treuepflicht demjenigen, der aufgrund seiner Minderheitsbeteiligung die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds verhindern kann, die Zustimmung zur Abberufung442 . cc) Notwendige Anpassung einer ursprünglich gültigen Satzung an eine neue Rechtslage Ähnlich wie bei der Behebung formeller Gründungsmängel liegt die Situation, wenn eine ursprünglich rechtswirksame Satzung an eine geänderte Rechtslage angepaßt werden muß. Eine solche Anpassungsobliegenheit ergab sich für GmbH-Gesellschafter infolge der Heraufsetzung des Mindeststammkapitals von DM 20.000 auf DM 50.000 aus § 5 Abs. I i. V.m. Art. 12 § 1 der GmbH Novelle von 1980443 , wollten sie nicht die gesetzlich vorgesehene Auflösung der Gesellschaft nach Verstreichen der Übergangszeit riskieren. Bei der Frage, ob den Gesellschafter in einem derartigen Fall eine Pflicht zur Zustimmung treffen kann444 , ist aber zu berücksichtigen, daß bei der Heraufsetzung des Kapitals - anders als bei der Beseitigung formeller Gründungsfehler - das externe Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter mitbetroffen ist, weil der einzelne sich entweder mit Kapital an der Erhöhung beteiligen oder aber in Folge seiner relativ zum Gesamtkapital nun geringeren Anteilsquote einen Einflußverlust hinnehmen muß. Es sind daher die strengeren Maßstäbe für die dritte Dimension der Treuepflicht zu berücksichtigen. Diese schließen eine Verpflichtung zur aktiven Teilnahme an der Kapitalerhöhung grundSätzlich aus, wie aus § 54 Abs. 1 folgt. Aber auch eine Pflicht zur lediglich passiven Zustimmung kann sich

442 Für eine Abberufungspflicht des Entsendungsberechtigten nach § 103 Abs. 2:

Hojfrtulnn-Becking, Münchener Handbuch, Rn. 51 zu § 30, Mertens in Kölner Kommentar, Rn. 21, 24 zu § 103. 443 Gesetz zur Änderung des GmbH-Gesetzes und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4. Juli 1980. 444 Auch für den hypothetischen Fall einer Erhöhung des Mindestgrundkapitals der Aktiengesellschaft bejahend: Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 468, Fn. 134; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 179.

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allein dann ergeben, wenn damit keine materiellen Nachteile für den sich weigernden Gesellschafter verbunden sind445. Als Voraussetzung einer Zustimmungspflicht wäre daher zumindest zu fordern, daß die jungen Aktien zum Nennwert ausgegeben werden und das Bezugsrecht der Altaktionäre erhalten bliebe. Diese können den Wert ihrer bisherigen Beteiligung am geringeren Aktienbestand nämlich dann außer durch den eigenen Erwerb des ihnen zustehenden Teils der jungen Aktien auch dadurch wahren, daß sie ihr Bezugsrecht an einen Erwerbswilligen veräußern. In dem sich für das Bezugsrecht bildenden Marktpreis realisiert sich der materielle Mehrwert der alten gegenüber der neuen Position des Aktionärs. Das Interesse der übrigen Aktionäre am Fortbestand der Gesellschaft rechtfertigt es, den einzelnen auf diesen zumindest finanziellen Schutz seiner MitgliedsteIlung zu verweisen. Mehr als einen finanziellen Anteil am Liquidationserlös hätte er auch nicht zu erwarten, könnt er sich mit seiner Blockade der Kapitalanpassung durchsetzen. Voraussetzung einer Zustimmungspflicht zu Satzungsänderungen ist damit nicht nur objektive Gebotenheit im Unternehmensinteresse und subjektive Zumutbarkeit, wie teilweise in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Personengesellschaft als ausreichend angesehen wird446. Sichergestellt sein muß zusätzlich, daß die bisherigen Position des betroffenen Aktionärs zumindest in materieller Hinsicht gewahrt bleibt447 . dd) Notwendige Anpassung der Satzung bei Änderung der Sachlage Nach denselben Grundsätzen kann sich eine Pflicht der Aktionäre ergeben, die Satzung statt an eine geänderte Rechtslage auch an tatsächliche Umstände

445 Zuzustimmen ist daher der Entscheidung BGHZ 98, S. 276 ff., die eine Zustimmungspflicht eines Gesellschafters unter der Voraussetzung bejaht, daß sich für ihn insbesondere der Anteil an Gewinn- und Liquidationserlös nicht vermindert (siehe S.280). 446 Säcker, Unternehmensgegenstand und Unternehmensinteresse, in FS für RudolfLukes, 1989 S. 547, S. 553, Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, S. 484 f. 447 Auch an anderer Stelle erlaubt das Aktiengesetz eine Veränderung des status quo bestimmter Aktionäre, sofern ein materieller Ausgleich gewährleistet ist, vgl. die oben IV. 1. b) besprochenen Fälle. In seiner Entscheidung zur Stammkapitalerhöhung bei der GmbH fordert der BGH ebenfalls, daß dem zustimmungspflichtigen Gesellschafter keine Nachteile gegenüber dem früheren Zustand erwachsen, BGHZ 98, 276,

280. 13 Guntz

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1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch rur Minderheitsaktionäre - BRD

anzupassen, wenn durch diese andernfalls die Existenz der Gesellschaft in Frage gestellt würde. Diskutiert wird diese Fallgruppe vor allem anband des "Girmes-Falls"448. Dessen oben geschilderter Sachverhalt449 macht aber zugleich die praktischen Schwierigkeiten bei der Anerkennung einer derartigen Pflicht deutlich: Anders als bei der notwendigen Anpassung der Satzung an neue rechtliche Rahmenbedingungen ist bei einer Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keineswegs nur ein einziger Weg vorgezeichnet, den es für die Aktionäre einzuschlagen gilt, wollen sie den Fortbestand der Gesellschaft sichern. Im Einklang mit den meisten Literaturbeiträgen sei hier die Frage vernachlässigt, ob insbesondere die Großaktionärin D-Bank ihre Mitwirkung an der Sanierung unwiderruflich an die Quote 5:2 binden durfte4 50 , obwohl die Plazierung der jungen Aktien und damit die Sanierung insgesamt wohl auch bei einem Kapitalschnitt 5:3 möglich gewesen wäre451 , und ob diese nach dem Scheitern des Vorschlags der Verwaltung nicht zumindest die von H beantragte Herabsetzung 5:3 hätte ermöglichen müssen452 . Auch der BGH beschränkt sich auf die Feststellung, daß aufgrund der starren Position der Gläubiger in der konkreten Situation kein Verhandlungsspielraum mehr bestanden habe453.

448 BGH ZIP 1995, S. 819 ff. Der BGH entschied durch weitgehend gleichlautende Urteile über ca. 25 der ursprünglich mehr als 1000 Einzelklagen vgl. AG 1992, R 455; rur einen Überblick über die veröffentlichten Entscheidungen der Instanzgerichte siehe Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332, Fn. 1. 449 Siehe oben § 9 11. 2. 450 Kritisch zu dieser Handlungsweise und zur einseitigen Sicht der meisten Stellungnahemn in Literatur und Rechtsprechung Wegner, Tollhaus, ZIP 1993, S. 321. 451 Zu den Folgen der Höhe des Kapitalschnittes bezüglich Ausschüttungssperre und Plazierbarkeit der Aktien siehe im einzelnen Wegner, Tollhaus, ZIP 1993, S. 321,322 ff. 452 Die Treuepflicht des Großaktionärs würde die "Trotzreaktion" verbieten, wegen des Scheiterns des eigenen Konzepts die Mitwirkung an der bilanzverbessernden Kapitalherabsetzung zur Abwehr der Überschuldungs- und damit Konkursgefahr zu verweigern und die Gesellschaft bewußt in den Konkurs gehen zu lassen. Inwieweit auch bei Kooperationsbereitschaft der D-Bank tatsächlich keine Möglichkeit mehr bestanden hätte, auf der Basis eines im Verhältnis 5:3 reduzierten Kapitals die Bereitschaft der anderen Beteiligten zur - nach wie vor möglichen - Sanierung zu erreichen, kann nicht beurteilt werden. 453 BGH ZIP 1995, 819, 825.

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Es stellt sich dann die vieldiskutierte Frage454 , ob der Sperrminoritätsinhaber H. trotz der erkannten Gefahr, daß die anderen Beteiligten in Konsequenz die Sanierung insgesamt scheitern lassen würden, die Kapitalherabsetzung 5:2 verhindern durfte. Die kleineren Aktionäre standen angesichts der harten Haltung der anderen Beteiligten - unabhängig von deren Berechtigung hierzu - faktisch vor der Alternative, das Angebot zu akzeptieren oder den Konkurs der Gesellschaft zu riskieren. Eine Verweigerung der in diesem Sinne zur Sanierung notwendigen Zustimmung wird von verschiedener Seite als treuepflichtwidrig angesehen455 . Dabei wird zu Recht die Anwendbarkeit der Treuepflicht aus der Bündelung des dem einzelnen zukommenden Einflusses hergeleitet und nachgewiesen, daß das Stimmrecht auch dann in seiner Ausübung Treuepflichtschranken unterliegt, wenn es von einem Vertreter ausgeübt wird456. Ob tatsächlich eine Enthaltung oder Zustimmung457 gefordert werden kann, ist nach den oben herausgearbeiteten Grundsätzen zu beurteilen. Da auch die Herabsetzung des Kapitals keine innere Gesellschaftsangelegenheit mehr ist, sondern das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern, insbesondere den Umfang von deren Anteilen mitmodifiziert, gelten auch hier die strengeren Regeln für die dritte Treuepflichtebene458 . Insbesondere das

454 Literaturbeiträge, die sich mit der Verantwortung H.s befassen: Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150; Dreher, Schadensersatzhaftung, ZIP 1993, S. 332; HenssLer, Verhaltenspflichten, ZHR 1993, S. 91; Lutter, Treupflicht, ZHR 153, 1989, S. 446, 467 ff.; Martens, Treupflicht; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173; Schöne, Haftung, WM 1992, S. 209; Than, Verhaltenspflichten, ZHR 1993, S. 125; Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481; Wegner, Tollhaus, ZIP 1993, S. 321, (allerdings mit differenzierter Fragestellung, insbesondere auch nach der Verantwortung der anderen Beteiligten). 455 Schöne, Haftung, WM 1992, S. 209,212 f.; Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 180 f.; NehLs, Treuepflicht, S. 154 ff.; offengehalten, aber mit dieser Tendenz auch Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 169 f.; a.A. BrändeL in Großkommentar, 4. Auflage, Rn. 88 zu § I, sofern über die Erfolgsaussichten der Sanierung unterschiedliche Auffassungen bestehen. 456 Str. ist dabei lediglich, ob der Vertreter selbst Adressat der Treuepflicht ist, so: Timm, Treuepflichten, WM 1991, S. 481, 488f., Marsch-Barner, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 173, 184 und wohl auch Schöne, Haftung, WM 1992, S. i!f)9, 212 oder ob er nur die immanenten Ausübungsschranken beachten muß, wenn vertretungsweise das Stimmrecht ausübt, so Dreher, Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), S. 150, 165 ff.; zum Innenverhältnis zwischen Aktionär und Stimmrechtsvertreter und zu dessen Haftung gegenüber den anderen Aktionären HenssLer, Verhaltenspflichten, ZHR 1993, S. 91 und Than, Verhaltenspflichten, ZHR 1993, S. 125. 457 Zwischen beidem besteht in der Sache kein Unterschied, siehe oben ce.

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aus § 54 Abs. 1 abgeleitete Verbot einer Nachschußpflicht steht auf den ersten Blick einer Pflicht zur Aufgabe von Vermögenswerten entgegen. Bei genauer Betrachtung scheitert bei der nominellen Kapitalherabsetzung die positive Zustimmungspflicht nicht an diesen Regeln, da abgesehen vom Akt der Zustimmung keine aktive Förderung durch den Aktionär erforderlich ist und zugleich keine Verschlechterung seiner materiellen Position bewirkt wird. Denn die nominelle Kapitalherabsetzung stellt lediglich eine deklaratorische Neufestlegung des Werts der den einzelnen Aktionären zustehenden Anteile dar, die das relative Verhältnis der Anteile zueinander nicht verändert. Betroffen ist lediglich die als Risikokapital eingebrachte Einlage, es wird keine hierüber hinaus gehendes Förderung verlangt. Wenn das Risiko sich realisiert hat und das Eigenkapital der Gesellschaft entwertet ist, wird durch die "buchhalterische Maßnahme" der Kapitalherabsetzung dem einzelnen Aktionär nicht mehr genommen, als er ohnehin bereits verloren hat. Den tatsächlichen Wert seines Anteils am Gesellschaftsvermögen bestimmt unabhängig vom nominellen Wert der Börsenkurs, der eine Verringerung der Zahl der umlaufenden Aktien in einem Wertanstieg der einzelnen Aktie reflektiert459 . Eine materielle Beeinträchtigung durch Verschiebung der realen Anteile der Altaktionäre an der Gesellschaft kann sich nur bei einer gleichzeitigen Kapitalerhöhung ergeben, wenn deren Bezugsrecht hierbei ausgeschlossen wird. Dies war allerdings im vorliegenden Fall nicht geplant. Unter Zurückstellung der besonderen Verhältnisse des vorliegenden Falles, insbesondere des schwer begründbaren Beharrens der anderen Beteiligten auf dem bestimmten Herabsetzungsverhältnis460 , läßt sich damit die allgemeine Feststellung treffen, daß die Weigerung, einer nominellen Kapitalherabsetzung zuzustimmen, einen Treuepflichtverstoß darstellt, wenn der Kapitalschnitt zwingende Voraussetzung einer notwendigen Sanierung ist. Die Minderheit darf ihre Sperrminorität nicht dazu einsetzen, gegen den Willen und das Interesse der anderen Aktionäre das faktische Ende der Gesellschaft her458 Siehe hierzu und zu der abzulehnenden Ansicht des BGH bereits oben § 9 V.

1. e).

459 Richtig insoweit H.s eigene Ausführungen im Effektenspiegel vom 8.12.88: "Die Kapitalmaßnahmen, ohnehin offensichtlich nach Ansicht des Vorstandes nicht nötig, stellen nur einen rein buchhalterischen Vorgang dar, d.h. der Kurs dürfte nach vollzogenem Schritt im entsprechenden Verhältnis steigen", zitiert nach dem Sachverhalt der Entscheidung des LG Düsseldorf ZIP 1991, S. 932, 933. 460 Die Tatsache, daß der Wert der Sanierung letztlich den Aktionären zugute kommt, tritt unabhängig von der Frage, weIche Höhe deren Anteile nominell haben, stets ein. Zu den relevanten oder nicht relevanten Auswirkungen einer zu niedrigen Kapitalherabsetzung siehe oben und Wegner, Tollhaus, ZIP 1993, S. 321, 322.

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beizuführen, wenn für einen Auflösungsbeschluß im übrigen eine qualifizierte Mehrheit erforderlich wäre461. In seiner jüngsten Entscheidung greift der BGH diese in der Literatur vorgezeichnete Argumentationslinie auf und bejaht einen Treuepflichtverstoß des Aktionärs, der eine mögliche Sanierung zum Scheitern bringt. Im Verhältnis zu der Gesellschaft liege zwar keine Pflichtverletzung vor, da diese den Aktionären gegenüber keinen Bestandsschutz genieße. Anderes gelte aber in Bezug auf die Mitaktionäre, denn: "Das Recht zur Auflösung der Aktiengesellschaft durch Beschluß ist ... einer qualifizierten, durch Gesetz oder Satzung bestimmten Mehrheit der Gesellschafter vorbehalten (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Solange ein solcher Beschluß nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefaßt ist, bestehen Gesellschaft und Gesellschaftszweck fort. Eine Minderheit kann die Auflösung der Aktiengesellschaft nicht erzwingen... . Sie hat unter Berücksichtigung des Gesellschaftszwecks auf die gesellschaftsbezogenen Belange der Mehrheit der Gesellschafter angemessen Rücksicht zu nehmen, wobei diese Rücksichtnahme unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit steht .... "462 Das so erreichte Ergebnis sieht der Senat als folgerichtige Fortsetzung seiner früheren Entscheidungen zum Personengesellschafts- und GmbH-Recht, in denen er aus der Treuepflicht die Verpflichtung des Gesellschafters ableitete, in besonders gelagerten Ausnahmefällen der Anpassung des Gesellschaftsvertrags an veränderte Umstände zuzustimmen463 . c} Fazit In bestimmten Situationen kann die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht von Aktionären eine positive Stimmabgabe oder gleichbedeutend den Verzicht auf eine negative Stimmabgabe verlangen.

461 Schöne, Haftung, WM 1992, S. 209, 211; zu den inhaltlichen Anforderungen an einen mehrheitlich gefaßten Auflösungsbeschluß Lutter, Zur inhaltlichen Begründung von Mehrheitsentscheidungen - Besprechung der Entscheidung BGH WM 1980, S. 378, ZGR 1981, S. 171 und Timm, Der Mißbrauch des Auflösungsbeschlusses durch den Mehrheitsgesellschafter, JZ 1980, S. 665. 462 BGH ZIP 1995, 819, 824. 463 BGH ZIP 1995, 819, 824 unter Bezugnahme aufBGHZ 44,40,41; BGHZ 64, 253, 257; BGHZ 98, 276, 279 f.; BGH ZIP 1987, 166 BGH ZIP 1987, 914; BGH ZIP 1994, 1942 und insbesondere BGH ZIP 1985, 407.

198

1. Teil, 2. Abschn.: Treubindung auch für Minderheitsaktionäre - BRD

Die Voraussetzungen variieren je nachdem, ob der Beschluß nur die interne Organisation der Gesellschaft betrifft oder ob er darüber hinaus das externe Verhältnis zu den Aktionären beeinflußt. Im ersten Fall genügt es, daß der Beschluß objektiv im Interesse der Gesellschaft geboten erscheint und sich subjektiv das Ermessen des einzelnen bezüglich des richtigen Wegs zur Verfolgung des gemeinsamen Interesses auf genau diesen Beschluß reduziert. Im zweiten Fall muß neben der objektiven Notwendigkeit des Beschlusses für die Erhaltung des Geschaffenen die Bedingung erfüllt sein, daß der Beschluß weder über die Leistung der Einlage hinausgehende Pflichten begründet noch die Stellung des Aktionärs negativ verändert. VI. Rechtsfolgen

Bezüglich der Rechtsfolgen ergeben sich keine Besonderheiten, wenn die Treuepflicht nicht von einem Mehrheitsaktionär, sondern von einem Minderheitsaktionär verletzt worden ist. Bei Rechten, denen keine unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung zukommt, kommt die Unwirksamkeit ihrer treuwidrigen Ausübung in Betracht. Im übrigen stehen als prozessuale Rechtsbehelfe die Unterlassungs- und die Schadensersatzklage zur Verfügung. Zu beachten ist einzig, daß es bei Treuepflichtverletzungen durch Minderheitsaktionäre regelmäßig am dauerhaften Einfluß als Voraussetzung für die Anerkennung einer actio pro societate fehlen wird464 . Auch wird die Anfechtung treuwidrig gefaßter Beschlüsse selten in Frage kommen, da entsprechend der eingangs gewählten Definition Minderheitsaktionäre nicht die Stimmacht haben, gegen den Willen der anderen Aktionäre Beschlüsse durchzusetzen. Wo positive Stimmpflichten anerkannt werden, ist die adäquate Rechtsfolge die Leistungsklage auf entsprechende Stimmabgabe, die nach § 894 ZPO durch ein stattgebendes Urteil ersetzt werden kann. Gerade wenn der Treueverstoß in der Verhinderung eines später nicht oder nicht sinnvoll wiederholbaren Beschlusses liegt, wie etwa im Fall der termingebundenen Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken, kommen daneben aber auch Schadensersatzansprüche in Betracht.

464 Siehe oben § 8 m. 5.

Dritter Abschnitt

Vergleich § 10 Begriff und Funktion der Treuepflicht

I. Begritnichkeit

Die Treuepflicht der Aktionäre ist weder im deutschen noch im amerikanischen Recht gesetzlich geregelt. Aus diesem Grund haben sich hier wie dort verschiedene Ausdrücke zu ihrer Bezeichnung eingebürgert. Diese werden teils als Synonyme gebraucht, teils soll mit ihnen eine inhaltliche Differenzierung ausgedrückt werden. Insbesondere im deutschen Recht, wo dogmatische Einordnung, Umfang und Inhalt der aktienrechtlichen Treuepflicht häufigen Schwankungen unterworfen waren und eine allgemeine Auffassung sich gerade erst wieder herauszubilden beginnt, ergibt sich die zusätzliche Schwierigkeit, daß die Benutzung ein und desselben Ausdrucks zur Bezeichnung ganz unterschiedlicher Inhalte verwendet wirdl. Im amerikanischen Recht ergibt sich eine ähnliche Gefahr daraus, daß hier generell weniger Gewicht auf exakte dogmatische Kategorisierung gelegt wird2. Unabhängig davon, ob identische oder abweichende Begriffe verwendet werden, ist es daher unerläßlich, Inhalt, Anwendungsbereich und Rechtsfolgen des Instituts zu bestimmen, das mit dem jeweiligen Begriff bezeichnet werden soll. Umso mehr kann der Vergleich zweier Rechtsinstitute aus verschiedenen Legalordnungen nicht an der bloßen begrifflichen Entsprechung anknüpfen. Voraussetzung der Vergleichbarkeit ist vielmehr, daß beide Institute in ihrem jeweiligen Rechtssystem dieselbe Funktion erfüllen3 .

1 Siehe oben § 5 I. 2 Siehe oben § 2 I. 3 Funktionalität wird allgemein als das methodische Grundprinzip der Rechtsvergleichung angesehen, vgl. Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Band I: Grundlagen, Tübingen 1971, S. 29 ff.

200

1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich 11. Funktion der aktienrechtIichen Treuepflicht

Sowohl das deutsche Aktiengesetz als auch die entsprechenden amerikanischen statutes regeln detailliert die Organisation einer Aktiengesellschaft und die grundsätzliche Verteilung der Kompetenzen zwischen den verschiedenen an der Entscheidungsfmdung beteiligten Personen und Organen. Diese jeweils relativ strengen Vorschriften gewährleisten durch formale Zuständigkeitszuteilungen die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Außer dem Streben nach Praktikabilität liegt dem gesetzlichen Organisationsplan zwar der Gedanke größtmöglicher Gerechtigkeit zugrunde. Er kann aber nicht letztlich sicherstellen, daß die durch ihn ermöglichten Handlungen im Einzelfall auch tatsächlich gerecht sind. Um dies zu gewährleisten, bedarf es eines materiellrechtlichen Korrektivs, das die formale Machtordnung ausfüllt und, wo dies im Extremfall nötig ist, durchbricht. Das gesuchte Instrument muß hierbei so flexibel sein, daß es die im jeweiligen Einzelfall gebotene Einpassung des strengen Organisationsrahmens in die stets unterschiedliche und veränderliche Gesellschaftswirklichkeit ermöglicht4 . Soweit man den Blickwinkel auf die Kompetenzverteilung zwischen den Aktionären beschränkt, wird diese Funktion sowohl im deutschen als auch im amerikanischen Recht von der jeweils als Generalklausei ausgestalteten "Treuepflicht der Aktionäre" erfüllt. Sie ermöglicht die gerechte Schlichtung der in Folge der unterschiedlichen Einflußverteilung unter den Aktionären entstehenden Macht- und Interessenkonflikte. Zwar divergieren, wie sich noch zeigen wird, Umfang und Anwendungsbereich der beiden Rechtsinstitute ebenso wie ihre dogmatische Begründung; dessen ungeachtet bildet die soeben beschriebene grundSätzlich gleichgelagerte Funktion von Treuepflicht im deutschen Recht und duty 0/ loyalty im amerikanischen die Grundlage für ihre Vergleichbarkeit. § 11 Vergleichbarkeit aufgrund paralleler dogmatischer Grundlagen I. Mitgliedschaft versus TreuhändersteUung

Der dogmatische Weg, der zur Herleitung von Treuepflichten für Aktionäre jeweils beschritten wird, könnte auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. 4 Siehe oben § 3 1., § 5 I.

§ 11 Dogmatische Grundlagen

201

Auf der einen Seite steht der Gedanke der Mitgliedschaft. Einzelpersonen schließen sich zusammen, um durch Poolung ihrer Resourcen ein Ziel zu erreichen, das jedem einzelnen von ihnen verschlossen wäre. Durch diesen Zusammenschluß erwachsen ihnen unmittelbar Rechte, aber auch Pflichten, insbesondere die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die gemeinsame Sache und auf die Interessen der anderen Mitglieder: die Treuepflicht5. Ganz anders dagegen die Begründung im amerikanischen Recht: Allein die Stellung als Aktionär bringt keinerlei Verpflichtung mit sicb6. Nur wenn in einer bestimmten Situation der Gesellschafter eine Position einnimmt, die der eines Direktors gleichkommt, dessen Stellung wiederum mit der eines Treuhänders vergleichbar ist, trifft auch ihn die Verpflichtung, wie ein solcher zu handeln7 . Die Vorstellung, daß die einzelnen shareholder einander durch das unsichtbare Band der gemeinsamen Verbandsmitgliedschaft verpflichtet sein sollen, erscheint in amerikanischer Sicht ebenso absurd, wie in deutschen Augen der Gedanke, die Verpflichtung der Aktionäre leite sich von derjenigen von Vorstand und Aufsichtsrat ab. 11. Gemeinsamkeit: Das Grundprinzip von Einfluß und Verantwortung

Überraschenderweise wandelt sich das Bild bei einem Blick auf die Grundgedanken, aus denen heraus sich einmal die treuhänderische und zum anderen die mitgliedschaftliche Bindung der Aktionäre entwickelt hat. Das amerikanische Modell verlangt von demjenigen Aktionär verantwortliche Rücksichtnahme, dem die Macht gegeben ist, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Denn dieser steht nicht anders als ein Direktor, dem die Leitung der Gesellschaft anvertraut ist. Aus dieser Betrauung mit einem fremden Gut folgt die Pflicht, dieses unter Hintanstellung persönlicher Interessen zum Besten des wirtschaftlich Berechtigten zu verwalten8 . Keinen qualitativen Unterschied stellt es dabei dar, ob der Betraute die Verfügungsgewalt durch übertragendes Rechtsgeschäft - wie die Bestellung zum Direktor - oder als direkte Konsequenz einer gesetzlichen Regelung - wie des Mehrheitsprizips bei Gesellschaftsbeschlüssen - erlangt hat. Jede Innehabung eines bestimmen-

5 Siehe 6 Siehe 7 Siehe 8 Siehe

oben oben oben oben

§ 6 ll. 1., 2. § 3 ill. § 3 ill. 1. § 3 ll. 1., 2., ill. 1.

202

1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

den Einflusses führt zur treuhänderischen Verantwortung für das wirtschaftlich fremde Gut9 . Hinter der mitgliedschaftlichen Bindung des deutschen Rechts stehen zwei Gedanken: Zum einen begründet der Zusammenschluß zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels die Pflicht zu dessen Förderung 10 . Zum anderen darf die Macht, die um der praktischen Effizienz der Resourcenpoolung willen auf den einzelnen übertragen wurde, von diesem nicht selbstsüchtig und ohne Rücksicht auf das gemeinsame Ziel ausgeübt werden. Vielmehr ist auf die Interessen derer Rücksicht zu nehmen, die für die gemeinsame Sache freiwillig ein Stück Souveränität abgegeben haben 11 . In diesem zweiten Grundsatz, der insbesondere die Treuepflicht in ihrer ersten Dimension trägt 12 , kommen damit ganz ähnliche Gedanken zum Ausdruck, wie sie dem Treuhandansatz des amerikanischen Rechts zugrundeliegen. Hier wie dort geht es darum, daß abgeleitete Rechtsrnacht nicht schrankenlos ausgeübt werden darf. In beiden Rechtsordnungen kommt damit der Grundsatz zum Tragen, daß der Einfluß des einzelnen auf Entscheidungen der Gesellschaft mit der Verantwortung für diese und die dem Einfluß ausgelieferten anderen Gesellschafter korrespondieren muß. Unterschiedlich ist nur der gedankliche Weg, über den dieses Prinzip des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung zum Tragen kommt. Das amerikanische Recht wendet es mehr oder weniger unmittelbar an, muß aber zur Begründung im Analogiewege bei den Regeln Anleihe nehmen, die es in direkter Ausgestal-tung dieses Prinzips im Recht des trust entwickelt hat. Das deutsche Recht berücksichtigt den Gedanken der Gemeinverantwortung dagegen unmittelbar bei der Ausgestaltung des zur Debatte stehenden Rechtsverhältnisses Mitgliedschaft; es tritt dabei aber nicht offen zu Tage, sondern beeinflußt nur die mit diesem einhergehende Pflichtenbindung. III. Abweichungen: Zweckf"örderungspflicht und andere

1. Tatsächliche Unterschiede

Aus dem zuletzt Gesagten folgt unmittelbar die erste dogmatische Unterscheidung: Da das deutsche Recht nicht erst an den unmittelbaren Akt der Ausübung von Einfluß anknüpft, sondern allgemein an das Rechtsverhältnis 9 Vgl. die Anwendungsfalle oben § 3 11. 3., 10 Siehe oben § 6 11. 2. a). 11 Siehe oben § 6 11. 2. b). 12 Siehe oben § 5 m. 2., § 71. 3. a).

m. 2.

§ 11 Dogmatische Grundlagen

203

Mitgliedschaft, gelangt es zu einer generellen Geltung der Treuepflicht für alle Aktionäre 13 , wohingegen das amerikanische Recht Treuepflichten nur für die Aktionäre annimmt, die in der konkreten Situation tatsächlich bestimmenden Einfluß ausüben l4 . Die praktische Relevanz dieser Unterscheidung ist allerdings vernachlässigbar. Denn auch in Deutschland verdichtet sich die grundsätzlich bestehende Treuepflicht des Aktionärs nur dann zu konkreten Verhaltensanforderungen, wenn dieser im Einzelfall tatsächlich Macht ausüben kann l5 . Hauptunterschied ist aber zum einen, daß dem amerikanischen Recht die zweite Komponente der deutschen Treuepflicht, die mitgliedschaftliche Zweckförderungspflicht völlig fremd ist. Zur deutschen Idee der Mitgliedschaft findet sich überhaupt keine Entsprechung. Zum anderen kennt das amerikanische Recht nicht die deutsche Beschränkung des Rechtsinstituts Treuepflicht auf die materiellrechtlichen Überprüfung nur der Kompetenzverteilung zwischen den Aktionären der Gesellschaft. Es verwendet dieses Instrument vielmehr konsequent auch zur Lösung von Kompetenzkonflikten zwischen Aktionären und Direktoren l6 , den wichtigsten Entscheidungsträgern in der Gesellschaft. Daß die Interessen von Aktionären durch Handlungen der Direktoren beeinträchtigt werden, ist daher viel wahrscheinlicher als eine Beeinträchtigung durch Mitaktionäre.

2. Erklärungsversuch Der Grund für diese Differenzen könnte in der divergierenden Auffassung von der Stellung des Aktionärs liegen. In amerikanischer Sicht ist diese noch viel stärker auf die Rolle des Kapitallieferanten beschränkt als in deutscher, wo der Gedanke der gemein-samen Zweckverfolgung als durchgängiges Element aller Verbände anerkannt istl7. Generell erscheint die Gesellschaft in den USA viel weniger als körperschaftlicher Zusammenschluß von Aktionären und mehr als Mittel zur Abwicklung von Geschäften und zur Erzielung von Gewinnenl8 . Die Beteiligung als Aktionär wird daher teilweise nur als eine unter mehreren gleichberechtigten Fonnen der Zuführung von Produktionsfaktoren angesehen. 13 Siehe oben § 6 11. 4.

14 15 16 17 18

Siehe oben Siehe oben Siehe oben Siehe oben Siehe oben

§ 3 ill. 2. § 611.4., § 7 11. § 3 11. § 6 1.,11.2. a). § 1 11. 1.

204

1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die Idee, die Aktionäre könnten auf den Erfolg des gemeinsamen Unternehmens hin verpflichtet sein, mit jeder Aktie also ein Stück Mitunternehmerstellung erwerben, völlig fern liegt l9 . Zum anderen ist es nachvollziehbar, daß die starke begriffliche Verbindung der Treuepflicht mit dem Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander, wie sie das deutsche Verbandsrecht vornimmt, den Blick darauf verstellt, daß die Gesellschaftsverfassung auch im Verhältnis zu anderen Entscheidungsträgern Konfliktfelder eröffnet, die eine materiellrechtliche Korrekturmöglichkeit nötig erscheinen lassen. Teilweise wurden hier bereits richterrechtlich entsprechende kompetenzbegrenzenden Instrumentarien, wie etwa die "Aktionärsklage"20, geschaffen, ohne daß diese unter dem Begriff Treuepflicht firmierten. Zum anderen muß aber auch gesehen werden, daß angesichts der Existenz gesetzlicher Haftungsnormen für Organmitglieder das Bedürfnis nach einer generalklauselartigen Regelung des Verhältnisses zwischen Unternehmensleitung und Aktionären in Deutschland deutlich geringer ist. § 12 Inhalt der Treuepflicht und Folgen ihrer Verletzung I. Inhalt und Umfang der Treuepflicht

1. Identische Grundaussagen

Inhaltlich bestehen große Ähnlichkeiten zwischen der mitgliedschaftlichen Treuepflicht des deutschen und der treuhänderischen duty 0/ loyalty des amerikanischen Rechts. Hier wie dort stellt die Treuepflicht vergleichbare Verhaltensanforderungen für den Aktionär auf, der kraft seiner Stellung Einfluß über die Gesellschaft und seine Mitaktionäre ausüben kann. Im Verhältnis zur Gesellschaft hat der Aktionär es grundSätzlich zu unterlassen, seinen Einfluß zur Erlangung eigener Vorteile auf Kosten der Gesellschaft auszunutzen21 .

19 Nur ganz vereinzelt finden sich Passagen, in denen die Verantwortung für das gemeinsame Unternehmen angesprochen wird, vgl. oben 1. Abschnitt, § 3 m. 1., Fn. 146 und 151. 20 Siehe oben § 8 11. 1. 21 Siehe oben § 3 m. 2. a); § 6 11.3., § 7 I. 2., 3.

§ 12 Inhalt der Treuepflicht und Folgen ihrer Verletzung

205

Im Verhältnis zu seinen Mitaktionären ist er gehalten, deren Interessen bei der Ausübung seiner von der Gesamtheit der Gesellschafter abgeleiteten Macht mitzuberücksichtigen22 . Die Grenze des erlaubten Eigennutzes liegt im deutschen Recht bei der Erstrebung von Vorteilen, von denen die Mitgesellschafter ausgeschlossen sind23 , im amerikanischen etwas enger bei Handlungen, die zu einer Unterdrückung der Mitaktionäre führen24 .

2. Unterschiedlich ausgedehnter Anwendungsbereich Im Vergleich zur deutschen Treuepflicht ist der praktische Anwendungsbereich der duty o/loyalty erheblich größer. So nehmen im amerikanischen Recht etwa Fälle, in denen der Mehrheitsaktionär Funktionen der Unternehmensleitung ausübt, breiten Raum ein25 . Ein anderes weites Feld betrifft Geschäftsab-schlüsse mit der Gesellschaft, die den Aktionär über Gebühr bevorteilen26 . Daneben tritt die selbstverständlich auch gegebene Kontrolle der Ausübung klassischer Gesellschafterrechte, die in Deutschland den Hauptanwendungsfall der Treuepflicht darstellt27. Grund für diese Unterschiede sind aus deutscher Sicht die noch relativ junge Anerkennung der Treuepflicht im Aktienrecht28, die bislang noch in viel geringerem Maße eine Fallgruppenbildung erlaubt hat. Vor allem aber liegt die Erklärung in der verglichen mit dem gesetzlich niedergelegten deutschen Aktienrecht weit geringeren Regelungsdichte und strenge des corporation law. Durch die exakte Kompetenzverteilung im deutschen Aktienrecht sind etwa die Möglichkeiten eines Aktionärs, auf die Geschäftsführung einzuwirken, deutlich kleiner29 . Daneben werden typische Mehrheits- / Minderheitskonflikte, die sich etwa in den oben genannten Anwendungsgebieten der Treuepflicht auswirken, in Deutschland vom Konzernrecht erfaßt. Einer Heranziehung von Treuepflicht-

22 Siehe oben § 3 ID. 2. b); § 6 ll. 2. b), 3., § 7 I. 3. a).

23 Siehe oben § 7 I. 2. a) bb). 24 Siehe oben § 3 ID. 2. b). 25 Siehe oben § 3 ID. 2. a) und b). 26 Siehe oben § 3 ID. 2. a) aa).

27 Siehe oben § 7 ll. 2. a), 3. a). 28 Siehe oben § 6 I.

29 Siehe zur Einbettung ins übrige Rechtssystem oben § 7 I.

206

1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

gedanken bedarf es hierfür in der deutschen Aktiengesellschaft - anders schon als im Recht der GmbH30 - nicht. Ein übriges tun hierzu die strengen deutschen Kapitalschutzvorschriften, die eine Bereicherung aus dem Vermögen der Gesellschaft in Deutschland erheblich erschweren. Obwohl Grundlage der Treuepflicht in den USA nur der Gedanke des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung ist, werden dort auch Handlungen erfaßt, die nicht in der Ausübung abgeleiteter Rechtsmacht zu bestehen scheinen und in Deutschland allenfalls mit dem Zweckförderungsgedanken erfaßbar wären. Hierunter zählt vor allem die Verfügung über den eigenen Aktienanteil31. Hierhinter steht aber nicht - wie vermutet werden könnte - ein noch fundamentaleres Prinzip, das sowohl dem deutschen als auch dem amerikanischen Recht zugrundeliegen könnte. Vielmehr muß die Kontrolle über die Gesellschaft als ein Gut angesehen werden, das grundsätzlich allen Gesellschaftern gemeinsam zusteht. Führt nun das Mehrheitsprinzip dazu, daß die Kontrolle durch Innehabung eines bestimmten Aktienpakets ausgeübt werden kann, so wird mit der Verfügung über das Aktieneigentum zugleich über das Gemeingut "Kontrolle" verfügt, was eine treuhänderische Verantwortung eröffnet32 . Insgesamt betrachtet führt die weite Ausdehnung treuhänderischer Pflichten im amerikanischen Recht dazu, daß trotz des Fehlens des Zweckförderungsgedankens kaum Unterschiede in der praktischen Anwendung, verglichen mit der Situation in Deutschland, auftreten. Hier reduziert sich die positive Zweckförderungspflicht wegen der strengen gesetzlichen Vorgaben, insbesondere § 54 Abs. 1 AktG weitgehend auf eine Kooperationspflicht 33 . Auch das negative Äquivalent, das Schädigungsverbot, führt nur in eingeschränktem Maß zu konkreten Unterlassungspflichten34 . Diese sind etwa im Wettbewerbsbereich nicht gravierender als das beschränkte Wettbewerbsverbot, das sich in den USA für den Mehrheitsaktionär aus dem Verbot ergibt, Geschäftschancen der Gesellschaft auszunutzen35 .

§ 6 I. § 3 ill. 2. b). § 3 ill. 3. § 7 I. 2. c), 3. c). 34 Siehe oben § 7 I. 3. b). 35 Siehe oben § 3 ill. 2. a) bb).

30 Siehe oben 31 Siehe oben 32 Siehe oben 33 Siehe oben

§ 12 Inhalt der Treuepflicht und Folgen ihrer Verletzung

207

3. Maßstab für Ausmaß der Treuepflicht

Nahezu identisch sind die Überlegungen zum Ausmaß der im Einzelfall geschuldeten Treuepflicht. In beiden Rechtsordnungen gibt es kein festes Maß für die einem Aktionär abverlangte Rücksichtnahme. Diese orientiert sich vielmehr an der Stärke seiner Position. Dabei wird jeweils nicht allein auf den formalen Einfluß abgestellt, der sich aus der Innehabung eines bestimmten Anteils und der daraus erwachsenden Rechte ergibt. Maßgeblich ist der tatsächliche Einfluß36. Dieser ergibt sich nach beiden Systemen aus der ausübbaren Macht einerseits und der Beeinflußbarkeit und Abhängigkeit der übrigen Beteiligten andererseits37. 11. Rechtsfolgen von Treuepflichtverstößen

Weiterhin entsprechen sich die deutsche Treuepflicht und die amerikanische duty o/loyalty insofern, als beide nicht auf eine einzige Rechtsfolge festgelegt sind. Prinzipiell können beide Institute sowohl unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung entfalten, als auch bei ihrer Verletzung den Klageweg eröffnen, der zu einer richterlichen Rechtsgestaltung oder zum Ersatz des verursachten Schadens führen kann. Die erstgenannten Fälle, daß ein formales Recht unter dem direkten Vorbehalt seiner treugemäßen Ausübung steht38 , sind im amerikanischen Recht heute aber selten39. Viel häufiger taucht der für das amerikanische Recht typische Rechtsbehelf, die Verpflichtung zum Schadensersatz, auf40 , die im deutschen Recht einen ebenfalls hohen, wenn auch lange nicht so dominierenden Stellenwert besitzt41 . Die Schadensersatzpflicht kann in beiden Rechtsordnungen sowohl der Gesellschaft als auch den Mitaktionären gegenüber bestehen. Voraussetzung dafür ist aber, daß die Treuepflicht im Einzelfall auch diesen gegen36 Siehe oben § 3 m. 1.; § 7, vor I. 37 Siehe oben § 3 m. 1.; § 7 11. 38 Im deutschen Recht ist dies bei Rechten möglich, die selbst keine rechtsgestal-

lende Wirkung haben, siehe oben § 8 11. 2. b). 39 Siehe oben § 4 V. 1. 40 Siehe oben § 4 V. 3. 41 Siehe oben ausfiihrIich § 8 m.

208

1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

über geschuldet war. Dies ist im deutschen Recht bei gesellschaftsextemen Handlungen, wie dem Verkauf des eigenen Aktienanteils, nicht der Fall42 , so daß - anders als im amerikanischen Recht43 - hierbei stattfindende Treuepflichtverstöße nur zu einem Anspruch der Gesellschaft führen können. Ansprüche der Gesellschaft können im deutschen Recht nur in Ausnahmefällen von Mitaktionären erhoben werden44 , während dies im amerikanischen Recht über das Institut der derivative suit45 möglich ist, solange keine der hierfür geltenden Einschränkungen46 eingreift. Die Fälle der Rechtsgestaltung durch Richterspruch betreffen jeweils meist die Nichtigerklärung von Beschlüssen oder Rechtsakten, gegen die Anfechtungsklage erhoben wurde47. Im amerikanischen Recht, das diesbezüglich aus der Equity entwickelt wurde, kommt über diesen Rahmen hinaus dem Richter eine große Freiheit zu, gestaltend in die Rechtsbeziehung der Aktionäre untereinander einzugreifen und etwa eine der Billigkeit entsprechende Anpassung des Gesellschaftsvertrags oder gar die Auflösung einer Gesellschaft zu bestimmen48 . Die strengen Regeln des deutschen Aktienrechts lassen hier einmal bereits den Aktionären weniger Freiheit bei der Gestaltung ihrer Beziehung zueinander und ebenso den Gerichten bei deren Korrektur. Die amerikanischen Fälle betreffen auch meist Sachverhalte von dose corporations, in denen gegenseitige Angewiesenheit und Flexibilität der Gestaltung größer sind, entsprechend etwa der deutschen GmbH, in der besonders nachhaltige Treuepflichtverletzungen auch zu Ausschluß49 oder Auflösung50 führen können.

42 Siehe oben § 7 I. 2. c). 43 Siehe oben § 3 ill. 2. b), 3. 44 Siehe oben § 8 ill. 5.

45 Siehe hierzu im einzelnen unten § 14 I. und § 15.

46 Siehe unten § 16 ill. 1. 47 Siehe oben § 4 V. 1.; § 8 ll. 1.,2. a). 48 Siehe oben § 4 V. 4. 49 Lutter I Hommelhojf, GmbH-Gesetz, Kommentar, 13. Aufl. Köln, 1991 Rn. 23

ff. zu § 34; Scholz, Kommentar zum GmbH-Recht, 8. Auflage, Köln 1993 Rn. 130 ff. zu § 15; Balz, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der GmbH, Berlin 1984, S. 36 ff.; Soujleros, Ausschließung und Abfmdung eines GmbH-Gesellschafters, Köln 1983, S. 33 ff.; zu diesbezüglichen Vorschlägen im Aktienrecht, siehe oben 2. Abschnitt, § 8 1., Fn. 219. 50 Die Auflösung als Folge von Treuepflichtverletzungen kommt allerdings stets nur als ultima ratio in Betracht, Scholz, Kommentar zum GmbH-Recht, 8. Auflage, Köln 1993 Rn. 22 zu § 61, etwa wenn in einer Zweimanngesellschaft beiden Gesell-

§ 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre

209

Die Gerichte in den USA haben darüber hinaus noch eine weitere, dem deutschen Recht völlig unbekannte Gestaltungsmöglichkeit: Mittels Auferlegung eines "constructive trust" können sie treuwidrig erlangte Vermögenswerte wirtschaftlich der Gesellschaft oder der Gesamtheit der Aktionäre zuweisen, mit der Folge, daß der Aktionär in der Verfügung darüber wie ein Treuhänder beschränkt ist und die Werte an die wirklich Berechtigten heraus geben muß51. Zusammenfassend kann festgestellt werden: Obwohl mit der letztgenannten Ausnahme die gleichen Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen und auch nebeneinander zur Anwendung kommen, zeigt sich auf der Rechtsfolgenseite doch deutlicher, daß aufgrund der verschiedenen Rechtstraditionen unterschiedliche Akzente beim Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel gesetzt werden. § 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre I. Dogmatische Begründung

Der Gedanke, daß auch Minderheitsaktionäre Treubindungen unterliegen können, ist im amerikanischen Recht fast ebenso neu wie im deutschen. Traditionelles Anwendungsgebiet der Treuepflicht war hier wie dort die Beschränkung von Mehrheitsmacht52. In beiden Rechtssystemen reift aber die Erkenntnis, daß es weder dogmatisch korrekt noch für die praktische Anwendung ausreichend ist, die Treuepflicht nur als Instrument des Schutzes der Minderheit gegen die Mehrheit anzusehen 53. Anlaß für diese Einsicht war das Auftreten von Fallkonstellationen, die von einer umgekehrten Abhängigkeit der Mehrheit von der Minderheit gekennzeichnet sind oder zumindest von einem im Einzelfall bedeutenden Einfluß eines Minderheitsaktionärs auf die Geschicke der Gesellschaft oder seiner Mitaktionäre. Hier erhob sich das Bedürfnis nach Rückbindung des gegebenen Einflusses in Orientierung auf das gemeinsame Interesse in gleicher Weise wie bei der Ausübung von Mehrheitsmacht.

schaftern Pflichtverletzungen zur Last fallen, die jeweils den anderen zu einer Ausschließungsklage berechtigen würden, vgl. Soujleros, Ausschließung und Abfindung eines GmbH-Gesellschafters, Köln 1983, S. 71. 51 Siehe oben § 4 V. 2. 52 Siehe oben § 3 m. 1.; § 6 I. 53 Siehe oben § 4 1.; § 6 11. 4. 14 Guntz

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1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

Da beiden Rechtsinstituten das Grundprinzip des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung immanent ist, lag das Ergebnis jeweils nahe: auch ein Minderheitsaktionär ist dann an die Treuepflicht gebunden, wenn er in einer spezifischen Situation besonderen Einfluß ausüben kann54 . Im deutschen Recht fiel die Begründung leichter, da hier die Treuepflicht aus der Mitgliedschaft fließt und somit von vornherein jedes Verbandsmitglied trifft, unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung. Dies erscheint akzeptabel mit Blick auf die Einschränkung, daß hieraus konkrete Verhaltenspflichten nur dort entstehen, wo tatsächlich maßgeblicher Einfluß ausgeübt wird55. Im amerikanischen Recht bedurfte es zur Herleitung eines weiteren Transferschritts: Es besteht kein Grund, einen Minderheitsaktionär anders zu behandeln als den Inhaber einer Mehrheit, wenn ihm in einer konkreten Situation ein vergleichbarer Einfluß auf das Allgemeingeschick zukommt. Äußerlich durch dreimalige Analogie - vom trustee über den Direktor und den Mehrheitsaktionär - kommt der Sache nach das nämliche Prinzip von Einfluß und Verantwortung auch im amerikanischen Recht für das Handeln des Minderheitsaktionärs zum Tragen56 . Der konstruktive Unterschied, daß in Deutschland grundSätzlich alle Aktionäre von der Treuepflicht erfaßt werden, in Amerika dagegen nur die, denen bestimmender Einfluß zukommt, führt zu keinem Abweichen im Ergebnis; denn auch in Deutschland erwachsen nur für solche Aktionäre konkrete Verhaltensanforderungen aus ihrer Treuepflicht. Das Recht zur Passivität ist Kleinaktionären daher in beiden Ländern gegeben. 11. AnwendungsfäUe

Die Anwendungsfelder ähneln einander in weiten Teilen57 . Grund hierfür ist zum einen die Vergleichbarkeit der Konstellationen, aus denen heraus auch Minderheitsaktionären Einfluß auf die Gesellschaft erwächst. Dies sind allen voran jeweils deren Gesellschafterrechte, wie Stimm-, Informations- und Klagerecht, aber auch tatsächliche Einflußmöglichkeiten, etwa aufgrund der Erlangung interner Informationen. Zum anderen kennt das deutsche Aktienrecht keine speziellen Schutzinstrumente gegen die Ausübung von Macht durch Minderheitsgesellschafter, so daß anders als bei der Ausübung von 54 Siehe oben § 4 11.; § 9 11. 55 Siehe oben § 6 11. 4. 56 Siehe oben § 4 11., m. 57 Siehe oben § 4 m.; § 9 V.

§ 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre

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Mehrheitsmacht58 , in beiden Rechtsordnungen nur die Schranke der Treuepflicht eingreift. Eine Kontrolle der Stimmrechtsmacht kann dann erforderlich werden, wenn ein Minderheitsaktionär allein oder aufgrund einer Stimmbindungsvereinbarung zusammen mit anderen über einen Stimmenanteil verfügt, der ihm die Macht gibt, Beschlüsse, die nach Gesetz oder Satzung mit einer bestimmten qualifizierten Mehrheit gefaßt werden müssen, zu Fall zu bringen59 . Eine Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Minderheitsaktionärs erscheint insofern problematisch, als das Verlangen, auf sein Veto zu verzichten, für ihn gleichbedeutend ist mit der Pflicht, für den Beschluß zu stimmen60 . Im deutschen Recht kann hierin je nach Inhalt des Beschlusses ein Konflikt mit dem Verbot positiver Förderpflichten liegen61 . Deswegen kann eine positive Stimmpflicht nur dann angenommen werden, wenn entweder einzig eine gesell schafts interne Organisationsentscheidung, wie die Heilung von Gründungsfehlern, zu treffen ist oder (soweit auch das Verhältnis zu den Aktionären berührt ist) wenn weder eine neue Leistungsverpflichtung begründet noch die Stellung des Aktionärs verschlechtert wird. In jedem Fall ist Voraussetzung, daß der Beschluß objektiv im gemeinsamen Interesse liegt und sich das prinzipiell subjektiv gegebene weite Entscheidungsermessen, wie das gemeinsame Ziel am besten verfolgt werden kann, auf den Beschluß als einzig vertretbare Möglichkeit reduziert 62 . Im amerikanischen Recht ist bei einer Beschlußblockade eine ähnliche Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Gemeinschaft und des verweigernden Aktionärs zu treffen. Dieser hat, erscheint ein Treuepflichtverstoß seinerseits möglich, zu beweisen, daß für sein Handeln ein wirtschaftlich vernünftiger Grund bestand. Hiergegen ist wiederum der Gegenbeweis zulässig, daß ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte63 . Eine Pflicht zu weiteren Leistungen darf sich auch im amerikanischen Recht nicht ergeben64 .

58 Hier sind zum Beispiel die Regeln des Konzernrechts vorrangig, siehe oben § 7 I. 2. b). 59 § 4 m. 1.; § 9 V. 1. e). 60 Siehe oben § 4 m. 1.; § 9 V. 5. 61 Siehe oben § 9 V. 5. a). 62 Siehe oben § 9 V. 5. b), c). 63 Siehe oben § 4 N. 1. 64 Siehe oben § 4 N. 2.

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1. Teil, 3. Abschn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

Letztlich handelt es sich bei dieser Prüfung von Geeignetheit und Erforderlichkeit, bei der nicht auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn abgestellt wird, um einen ähnlichen Ansatz wie bei der deutschen Methode, die dem Einzelaktionär weitgehende Freiheit bei der Wahl des seiner Ansicht nach besten Wegs zur Erreichung des gemeinsamen Ziels läßt. Die Schranke besteht erst dort, wo das gemeinsame Interesse in keiner Weise mehr berücksichtigt wird. Auch das Informationsrecht des Aktionärs, das in den USA als Recht auf Einsichtnahme, in Deutschland als Auskunftsrecht in der Hauptversammlung ausgestaltet ist, darf nicht schrankenlos, sondern nur in Verantwortung gegenüber dem Ganzen ausgeübt werden. Beide Rechtsordnungen kennen daher Regelungen, daß und wann Auskunft bzw. Einsichtnahme abgelehnt werden dürfen65 . In Deutschland befindet sich daneben auch die treuwidrige Ausnutzung von Antrags- und Rederecht auf der Hauptversammlung in der Diskussion66 . Beschränkungen unter Treuepflichtgesichtspunkten betreffen auch jeweils das Klagerecht. Sie sind ausführlicher Gegenstand der Betrachtung im zweiten Teil. Interessant ist, daß auch in Deutschland neuerdings eine Lösung des insider trading Problems über die aktienrechtliche Treuepflicht gesucht wird, aus der heraus in den USA die insider trading doctrine entwickelt wurde. Während

dort mittlerweile sehr strenge gesetzliche Regelungen den Wertpapierhandel kontrollieren und den Rückgriff auf die Konstruktion der Treuepflicht damit weitgehend erübrigen67 , liegt hierin für die Situation in Deutschland, das bislang noch keine gesetzliche Regelung kennt, ein vielversprechender Ansatz. Eine umfassende Lösung kann allerdings auch von der Anwendung der Treuepflicht nicht erwartet werden, da von ihr nur der Handel mit Aktien der eigenen Gesellschaft erfaßt wird und dies auch nur, wenn die Information aufgrund der Aktionärsstellung erlangt worden ist68 .

Die Situation in den Vereinigten Staaten weicht von der deutschen in einem Punkt auffällig ab. Strategische Unternehmenszusammenschlüsse, die mit wechselseitigen Minderheitsbeteiligungen abgestützt werden, fehlen dort weitestgehend und tauchen allenfalls im Umfeld japanischer69 und euro65 Siehe oben § 4 ill. 2.; § 9 V. 1. c). 66 Siehe oben § 9 V. 1. d). 67 Siehe oben § 1 1., § 3 11. 3. b). 68 Siehe oben § 9 V. 2. 69 Zur Figur des "Keiretsu", der typisch japanischen "Untemehmensfamilie", gebildet aus mehreren, durch kleinere wechselseitige Beteiligungen verbundenen Gesell-

§ 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre

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päischer Unternehmen und deren Tochtergesellschaften sowie in transnationalen Allianzen auf7o. Die Idee, daß der Austausch von Minderheitsbeteiligungen weit unter der Schwelle des beherrschenden Einflusses die Kooperation zweier Unternehmen fördern und festigen könnte, ist dem amerikanischen Denken vollkommen fremd. Die Erklärung hierfür könnte in der unterschiedlichen Auffassung vom Verhältnis der Gesellschafter zueinander liegen. Die Vorstellung mitgliedschaftlicher Bindungen fehlt in den USA gänzlich7 !. Die Treuepflicht schaften vgl. "Japanese take care not to step on US toes", Financial Times, 18.1.1990, S. 37. 70 Eine Recherche im Lexis-Datenbanksystem unter den Stichworten Strategische Allianz und Kapitalbeteiligung, bei der die aus Sicht der Wirtschaft interessantesten US-amerikanischen Tageszeitungen und Magazine durchsucht wurden, ergab nur einen vergleichsweise geringen Anteil von Berichten, die sich mit rein amerikanischen Allianzen beschäftigten. Im einzelnen betrafen im Bereich der Autoindustrie 3 Berichte innereuropäische Allianzen (Financial Times, 22.4.1991, S.38; Automotive News, 29.4.1991, S. 4; Daily Telegraph, 27.1.1992, S. 21), 2 Berichte europäischjapanische Allianzen (Economist, 20.4.1991, S. 69; Financial Times, 3.10.1991) und nur 1 Bericht eine amerikanisch-japanische Allianz (Business Week, 23.3.1992, S. 14). Im Bereich der Elektronikindustrie betrafen 2 Berichte europäisch-amerikanische Allianzen (Financial Times, 29.1.1992, S. 24 und 7.4.1992, S. 11), 2 Berichte amerikanisch-japanische Allianzen (V.S. News and World Report, 17.2.1992, S. 42; Business Week, 18.11.1991, S. 126) und 2 Berichte inneramerikanische Allianzen (Business Week, 18.11.1991, S. 126; InformationWeek, 20.5. 1991, S. 72). Im Bereich der Unterhaltungsindustrie betrafen 2 Berichte amerikanischjapanische Allianzen (Business Week, 14.10.1991, S. 54 und 22.7.1991, S. 70) und 1 Bericht eine inneramerikanische Allianz (Investment Dealer's Digest, 14.10.1991, S. 20). Im Bereich der Luftfahrt betrafen 6 Berichte eine amerikanisch-kanadische Allianz (Reuters, 20.8.1991; Financial Post, 10.2.1992, S. 3 und 20.3.1992, S. 1; Xinhua General Overseas News Service, 20.3.1992; Chicago Tribune, 20.3.1992, S. 1; News America, 23.3.1992), 2 Berichte eine europäisch-amerikanisch-asiatische Allianz (Xinhua General Overseas News Service, 22.7.1991; Reuters, 13.8.1991),2 Berichte eine europäisch-amerikanische Allianz (Financial Times, 15.10.1991, S. 22; Daily Telegraph, 15.10.1991, S. 24) und 2 Berichte eine amerikanisch-japanische Allianz (Flight International, 30.10.1991; Reuters, 18.10.1991). Im Bereich Medizin- und Pharmatechnik betraf 1 Bericht eine europäischamerikanische Allianz (pR Newswire, 9.10.1991) und 1 Bericht eine inneramerikanische Allianz (Business Wire, 10.2.1992). 7! Siehe oben § 11 I.

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1. Teil, 3. Absehn.: Treubindung für Minderheitsaktionäre - Vergleich

stellt ein reines Mittel zur Kontrolle übertragener Macht dar, unbeeinflußt von der Idee, daß die Gesellschafter sich zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zusammengeschlossen haben, auf das hin sie verpflichtet sind. Wenn man sich vor Augen führt, daß in der amerikanischen Rechtskultur die Vorstellung vom vertrauensvollen und verbindenden Charakter des Gesellschaftsverhältnisses fehlt, wird verständlich, daß in amerikanischer Sicht das Bewußtsein gegenseitiger Kapitalbeteiligungen das für das Gelingen einer Kooperation elementare Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern gar nicht fördern kann. Auf die Investition eigenen Kapitals in die Partnergesellschaft kann damit auch verzichtet werden. 111. Rechtsfolgen

Betreffend die Rechtsfolgen von Treuepflichtverletzungen ergeben sich in beiden Rechtsordnungen keine wesentlichen Unterschiede aus der Tatsache, daß die Handelnden Minderheitsaktionäre sind. IV. Zusammenfassung

Bei einem Vergleich zwischen der deutschen Treuepflicht und der amerikanischen duty o/loyalty fallen als erstes die fundamenta-Ien Unterschiede der dogmatischen Begründung ins Auge. Bei genauer Betrachtung der Begründungswege zeigt sich, daß sowohl hinter dem treuhänderischen Ansatz des amerikanischen als auch teilweise hinter dem mitgliedschaftlichen des deutschen Rechts das gemeinsame Rechtsprinzip des Korrespondierens von Einfluß und Verantwortung steht. Der zweite Begründungsansatz des deutschen Rechts, der Zusammenschluß zur gemeinsamen Zweckförderung, ist dem amerikanischen corporation law völlig fremd. Dennoch sind die Unterschiede in der praktischen Anwendung, die das Fehlen der Zweckförderungspflicht im amerikanischen Recht bedingt, denkbar gering, da diese Pflicht im deutschen Aktienrecht gravierenden Einschränkungen unterliegt und das amerikanische Recht - etwa durch Anerkennung des Gemeinschaftsguts Kontrolle - einen weiteren Anwendungsbereich für das Prinzip von Einfluß und Verantwortung eröffnet. Unterschiede zwischen deutschem und amerikanischem Recht ergeben sich somit weniger aus dogmatischen Verschiedenheiten, sondern zum einen aus den unterschiedlichen praktischen Bedürfnissen: bestimmte Konfliktsituationen entstehen bei einer abweichenden Kompetenzverteilung gar nicht oder sind bereits durch andere Rechtsinstitute gelöst. Zum anderen sind sie durch

§ 13 Bedeutung der Treuepflicht für Minderheitsaktionäre

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unterschiedliche Rechtstraditionen bedingt, so etwa bei der Frage, welche Rechtsfolgen eine festgestellte Pflichtverletzung nach sich zieht. Im Anwendungsbereich der Treuepflicht von Minderheitsaktionären, die sich dogmatisch von der des Mehrheitsaktionärs nicht unterscheidet, aber seltener in Erscheinung tritt, sind diese Unterschiede besonders gering, da einerseits ähnliche Konfliktkonstellationen vorliegen, andererseits konkurrierende Schutzinstrumente in beiden Rechtsordnungen nicht existieren. Wegen des im amerikanischen Recht nicht bekannten verbindenden Charakters der Mitgliedschaft wird dort der Austausch von Minderheitsbeteiligungen nicht als geeignetes Mittel zur Festigung strategischer Allianzen angesehen.

Zweiter Teil

Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts Erster Abschnitt

Recht der Vereinigten Staaten von Amerika § 14 Das Klagerecbt des Minderbeitsaktionärs I. Klagearten

Im amerikanischen Recht stehen Aktionären mehrere Klagemöglichkeiten offen. Dabei läßt sich eine grundlegende Unterscheidung danach treffen, ob der Aktionär ein eigenes Recht oder ein solches der Gesellschaft geltend macht. 1. 'Direct Suit' (Unmittelbare Klage)

Mit der direct suit kann ein Aktionär Anspruche durchsetzen, die ihm selbst in seiner Eigenschaft als Anteilseigner zustehen l . Hierunter fallen etwa der Anspruch auf Auszahlung einer erklärten Dividende, das Recht auf Einsichtnahme in die Bücher, Schadensersatzanspruche gegen einen Insider wegen Verletzung der Aufklärungspflicht beim Verkauf oder Kauf der Aktien des Aktionärs2 , kurzum alle Anspruche, die auf einem eigenen Recht des Aktionärs beruhen. Die direct suit kann sich gegen die Gesellschaft oder gegen einen Insider, d.h. Manager oder Aktionär, richten. 2. 'elass Suit' (Stellvertretende Aktionärsklage)

Ein besonderer Fall der direct suit ist die dass action 3 • Mit ihr wird von einem Aktionär ebenfalls ein eigenes Recht geltend gemacht, dies zugleich 1 Hamilton, Law of Corporations, S. 410. 2 Eine Ausführlichere Aufzählung fmdet sich bei Henn / Alexander, Law of Corporations, § 369 S. 1049. 3 Vgl. hierzu Henn / Alexander, Law of Corporations, S. 1044 ff.; und grundle-

§ 14 Das Klagerecht des Minderheitsaktionärs

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aber auch im Namen aller anderen Aktionäre derselben Aktienklasse, denen ein entsprechendes Recht zusteht. Besonders häufig finden sich dass actions demnach im Bereich der Wertpapierhandelsvorschriften. So können sich etwa aus Rule lOb-54 Schadensersatzansprüche für alle Käufer einer bestimmten Aktiengattung ergeben. Jedes Mitglied der betroffenen Gruppe kann diesen Anspruch ohne die Notwendigkeit vorheriger Absprache oder Organisation im Wege einer dass action stellvertretend auch für alle anderen geltend machen5 . Ist seine Klage erfolgreich, sind alle Mitglieder der Gruppe zum Schadensersatz berechtigt.

3. 'Derivative Suit' (Abgeleitete Klage) Am meisten Aufmerksamkeit in der Literatur wird aber der derivative suit geschenkt, jener dem Gesellschaftsrecht eigenen Dreiecksklage, durch die ein Aktionär ein Recht der Gesellschaft gegen einen Dritten, meist einen Manager der Gesellschaft, geltend machen kann. Diese Konstruktion, in der die Gesellschaft sowohl auf der Beklagten- als auch auf der Klägerseite erscheint, beruht historisch auf der Kombination zweier ehemals eigenständiger Klagen. Durch eine Klage des Aktionärs in equity auf Vornahme einer Handlung mußte die Gesellschaft verpflichtet werden, eine zweite Klage at law auf Schadensersatz gegen einen Dritten zu erheben6 . Da es sich hierbei meist um einen oder mehrere der Direktoren der Gesellschaft handelte, ergab sich nachvollziehbarerweise die Notwendigkeit dieser Verpflichtungsklage. Denn dieselben Direktoren, die eine Pflichtverletzung begangen hatten, hätten nicht einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen sich selbst verfolgt. Später wurden beide Klagen aus Gründen der Prozeßökonomie zusammengefaßt. Der Aktionär kann nun direkt gegen den Dritten vorgehen, allerdings nicht aus eigenem, sondern aus (von der Gesellschaft) abgeleitetem gend Kalven I Rosenjield, The Contemporary Function of the Class Suit, 8 U. Chi. L. R., 685 (1941); aus dem deutschen Schrifttum: Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse, 1983, S. 22; Kästle, Die Haftung für toxische Massenschäden im USamerikanischen Produkt-und Umwelthaftungsrecht, 1993, S. 241 ff. 4 Fifth rule adopted by the security exchange commission (SEC) under section 1O(b) of the Securities Exchange Act of 1934. 5 Kalven I Rosenjield, The Contemporary Function of the Class Suit, 8 U. Chi. L. R., 685 (1941), S. 691. 6 Diese etwas umständlich anmutende Konstruktion hat ihren Grund im historischen Prozeßrecht, das eine Klage auf Vornahme einer Handlung nur in eqity zur Verfügung stellt, während in law nur auf Schadensersatz geklagt werden kann,vgl. DeMott, Derivative Actions, § 1.03; Bühring-Uhle I NeUe, Aktionärsklage,AG 1989, S. 41,42.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts - USA

Recht. Nominell ist die Gesellschaft aber selbst in dieser vereinfachten Klage noch Beklagte und kann als solche auch Einreden geltend machen7 . 11. Unterscheidung

Der Unterschied zwischen direct und derivative suit erscheint in der Theorie durch die Differenzierung zwischen eigenem Recht und Recht der Gesellschaft klar. In der Praxis erweist sich die Abgrenzung insbesondere zwischen class action und derivative action - in beiden Fällen wird ein Aktionär stellvertretend für die Gemeinschaft tätig - als erheblich schwieriger. Sie ist gleichwohl von besonderer Bedeutung, da die derivative suit wesentlich stärkeren Beschränkungen unterliegt als die direct suit. Einfach zu begründen ist die Anwendbarkeit der direct suit dort, wo ein ausdrückliches Individualrecht verletzt wurde8 , schwierig dagegen, wenn es um Schadensersatz aufgrund einer Vermögensschädigung des Aktionärs geht. Da eine Vermögensschädigung der Gesellschaft sich anteilsmäßig auch auf den Wert der Aktien niederschlägt, kann nicht schon jede Beeinträchtigung des Beteiligungswertes eines Aktionärs eine direct suit gegen den Schädiger rechtfertigen. Voraussetzung ist vielmehr eine direkt gegen den Aktionär persönlich oder den Wert seiner Aktien gerichtete Handlung9 . Hier läßt sich eventuell durch geschickte Formulierung des Klagebegehrens eine Verschiebung des Schwerpunktes der Klage und damit ihrer Einordnung erreichen lO • 111. Besonderheit Kostenerstattung

Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Klagen kennt sowohl die derivative als auch die class action. Ist der Aktionär mit seiner Klage erfolgreich, hat er einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Rechtsverfolgung, allen voran die Anwaltskosten. Dieser richtet sich bei ersterer gegen die Gesellschaft. Er beruht aber nicht auf der Tatsache, daß diese in ihrer Eigenschaft als Beklagte den Prozeß ver-

7 Clark, Corporate Law, § 15.1 S. 639 f. 8 Dann kann direkt geklagt werden siehe oben § 14 I. 9 Hamilton, Law of Corporations, § 17.2 S. 411 f. Zur Unterscheidung im einzelnen S. Henn / Alexander, Law of Corporations, § 360 S. 1045 ff-. 10 Merkt, Gesellschaftsrecht, Rn. 830, S.476; Hamilton, Law of Corporations, § 17.2 S. 412.

§ 15 Funktion des Klagerechts

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loren hatli. Vielmehr stellt er eine Art Ersatz für die Aufwendungen im Rahmen der "Geschäftsführung ohne Auftrag" dar, durch die der Aktionär der Gesellschaft als Klägerin gegenüber dem Dritten zum Erfolg verholfen hat l2 . Bei der dass action kann der erfolgreiche Anwalt eine Erstattung seiner Gebühren aus dem an alle Mitglieder der Aktionärsklasse gezahlten Betrag verlangen. Müßte allein der ihn beauftragende Aktionär für die Gebühren aufkommen, wären die übrigen Aktionäre ungerechtfertigt bereichert 13 . Die Höhe der Gebühr, die dem Anwalt zusteht, bestimmt das Gericht nach Angemessenheit 14 . Auf diese Weise besteht ein wirtschaftlicher Anreiz, auch gegen solche Übertretungen vorzugehen, durch die zwar der Rechtsverletzer insgesamt einen großen Gewinn erzielt, die Aktionäre einzeln genommen aber keinen derart großen Schaden erleiden, als daß sich für sie die Kosten einer selbständigen Rechtsverfolgung lohnen würden 15 . Das Recht, Ersatz der Rechtsverfolgungskosten zu verlangen, besteht bei derivative actions sogar dann, wenn keine Geldleistung an die Gesellschaft, sondern nur die Vornahme struktureller oder anderer Veränderungen erreicht worden ist16. § 15 Funktion des Klagerechts

Bevor eine Aussage über treuwidrige Ausübung des Klagerechts getroffen werden kann, muß die ihr in der Rechtsordnung zukommende Funktion untersucht werden. Eine schon lange geführte rechtspolitische Debatte dreht sich hier um die Frage, ob die Aktionärsklage als Rechtsinstitut überhaupt sinnvoll

11 Im amerikanischen Prozeßrecht gilt der Grundsatz, daß jede Partei ihre Kosten selbst trägt, egal ob sie den Prozeß gewonnen oder verloren hat. Daher argumentiert der U.S. Supreme Court in Mills v. Electric Auto-Lite Co., 396 U.S. 375 (1970): "To award attomeys' fees in such a suit to a plaintiff who has succeeded in establishing a cause of action is not to saddle the unsuccessful party with the expenses but to impose them on the class that has benefited from them and that would have to pay them had it brought the suit". 12 Hamilton, Law of Corporations, § 17.10 S. 425 f. 13 Kalven I Rosenfield, The Contemporary Function ofthe Class Suit, 8 U. Chi. L. R., 685 (1941), S. 716. 14 Kalven I Rosenfield, The Contemporary Function of the Class Suit, 8 U. Chi. L. R., 685 (1941), S. 715. 15 Vgl. hierzu eingehend Rosenfield, An Empirical Test of Class-Action Settlement, 5 J. L. Stud. 113 (1976), S. 113 f.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts - USA

ist 17 . Um dies beurteilen zu können, seien zunächst die Ziele und Erwartungen, die mit ihr verbunden werden, dargestellt, bevor ein Blick auf die Praxis zeigen kann, ob diese erfüllt werden. Im Anschluß soll die derzeitige Rechtslage in ökonomischer Untersuchung mit verschiedenen Alternativvorschlägen verglichen werden. I. Erwartungen und Ziele

In Form der direct suit wird den Aktionären eine Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Rechte gerichtlich zu verteidigen. Da dies eine Elementaraufgabe der Rechtsordnung ist, besteht in diesem Bereich wenig Zweifel an dem Sinn des Klagerechts. Umstrittener ist im Rahmen der direct suit die Existenz der Klagemöglichkeit auch im Namen aller anderen betroffenen Aktionäre (dass suit bzw. action). Der dass action kommt neben der Verteidigung des eigenen Rechts auch eine präventive, abschreckende Funktion zu: sie soll durch die Poolung der Interessen vieler Aktionäre auch bei solchen Rechtsverletzungen die Verfolgung ermöglichen, bei denen diese jedem einzelnen Aktionär zu teuer käme. Auf diese Weise werden treupflichtige Personen bereits vor solchen Pflichtverletzungen abgeschreckt, die andernfalls keine Verfolgung nach sich

16 Hamilton, Law of Corporations, § 17.10 S. 425 f., Henn / Alexander, Law of Corporations, § 377, S. 1107 ff. 17 Ausgelöst wurde diese Debatte durch den im Jahre 1944 vorgelegten sogenannten "Wood Report", eine Studie, die 1400 derivative actions im Staate New York untersuchte. Sie stellte fest, daß (1) viele Klagen erfolglos und unbegründet waren, (2) auch erflogreiche Klagen selten schwerwiegende Pflichtverletzungen des Managements aufzeitgen, vielmehr meist an technischen Haftungsbestimmungen anknüpften, (3) die Kosten der Rechtsverfolgung für die Öffentlichkeit beträchtlich waren, (4) die von den Klägern in public corporations gehaltenen Anteile meist so unbedeutend waren, daß ein eigenes Interesse des Klägers an der Rechtsverletzung nicht glaubhaft, der Anwalt hingegen als die eigentlich interessierte Person erschien, und daß (5) die Rechtsverfolgung in vielen Fällen von einer derart beschränkten Anzahl von Anwälten ausgeübt wurde, daß eine Inititative auf Seiten dieser und nicht der Kläger vermutet werden konnte. (Wood, Report, S. 6 ff. und 112 f.) Die Studie kam insgesamt zu dem Schluß, daß nach damaligem Stand der offensichtliche Mißbrauch der derivative suit nicht durch ihre Vorteile aufgewogen wurde und schlug eine Einschränkung des Klagerechts durch das Erfordernis andauernder Anteilseignerschaft seit dem Zeitpunkt der angegriffenen Transaktion und der Verpflichtung von Kleinaktionären zur Leistung einer Sicherheit für die Klagekosten vor (S. 21).

§ 15 Funktion des Klagerechts

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zögen, weil der Schaden für den einzelnen den damit verbundenen Aufwand nicht lohnte l8 . Gleichzeitig soll somit durch private Initiative die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung gewährleistet werden, eine Aufgabe, für deren Erfüllung andernfalls administrative Überwachung notwendig wäre l9 . Die Hauptdebatte wird aber im Bereich der derivative suit geführt. Hier geht es nicht direkt um die Verfolgung eines eigenen Rechts. Mittelbar sollen aber durch die Durchsetzung der Ansprüche der Gesellschaft die Verluste der Aktionäre, die auf dem schädigungsbedingten Minderwert des Gesellschaftsvermögens beruhen, kompensiert werden. Daneben erfüllt aber auch die derivative action eine Abschrekkungsfunktion. Ihre Existenz soll eine potentielle Bedrohung für denjenigen darstellen, der die ihm obliegende Sorgfaltspflicht (duty 0/ care) oder Treuepflicht (duty 0/ loyalty) bricht. Die Klage soll damit der Rechtswahrung insgesamt dienen. Als Drittes verbindet sich mit ihr - wie mit jeder Klagemöglichkeit generell und besonders in einem common law System - noch die Aufgabe der Fortentwicklung des Rechts und der Klärung der Pflichten der Betroffenen20 .

Derivative und dass action sollen damit die Funktionen der Kompensation, der Abschreckung und Rechtswahrung sowie der Rechtsentwicklung erfüllen. 11. Widerstreit der Ziele

Umstritten ist aber die Gewichtung dieser Ziele21. Insbesondere in Fällen, in denen keine Kompensation der Schädigung erstrebt wird, ist es fraglich, ob die Abschreckungswirkung allein als ausreichende Grundlage für die Klage angesehen werden kann. 18 Vgl. hierzu eingehend Rosenjield, An Empirical Test of Class-Action Settlement, 5 J. L. Stud. 113 (1976), S. 113 f. 19 Kalven / Rosenjield, The Contemporary Function ofthe Class Suit, 8 U. Chi. L. R., 685 (1941), S. 686 f. 20 ALl, Corporate Governance, Final Draft, Reporter's Note zu Intro zu Part VII - Remedies, S. 596 f. 21 Die Debatte wird fast ausschließlich bezüglich der derivative suit geführt. Die widerstreitenden Argumente lassen sich aber ebensogut auf die class suit übertragen. Dort fmdet sich, wie noch zu zeigen ist, derselbe Widerspruch zwischen dem Anspruch, begangene Schädigungen zu kompensieren und der Realität, die diesen Aspekt meist vernachlässigt.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts - USA

In der Rechtsprechung finden sich widersprechende Aussagen. Zum Teil wird die Präventivwirkung als Hauptziel der derivative suit dargestellt22 , z.T. wird die Notwendigkeit eines Bezuges zu einer konkreten Schädigung des Klägers in den Vordergrund gerückt23 . Auch die Literatur ist gespalten. Da mit derivative suits meist Pflichtverletzungen der Unternehmensleitung verfolgt werden, halten die Befürworter einer stärkeren Managementkontrolle24 auch die Abschreckung der betroffenen Gruppe vor weiteren Pflichtverstößen für die hauptsächliche und allein ausreichende Begründung der derivative suit25 • Die Gegenposition hält dagegen an der Dominanz der Kompensationsfunktion der Klage fest und lehnt

22 Vgl. etwa die Entscheidung des Court of Appeals of New York Diamond v. Oreamuno, 24 N.Y.2d 494,498,248 N.E.2d 911,912,301 N.Y.S.2d 78,81 (1969): "It is true that the complaint before us does not contain any allegation of damages to the corporation but this has never been considered to be an essential requirement for a cause of action founded on a breach of fiduciafy duty .... This is because the function of such an action, unlike an ordinary tort or contract case, is not merely to compensate the plaintiffs for wrongs committed by the defendant but, as this court decIared many years ago ... , 'to prevent them, by removing from agents and trustees all inducement to attempt dealing for their own benefit in matters wh ich they have undertaken for others, or to which their agency or trust relates. '" Ähnlich der U.S. Supreme Court in Mills v. Eleetrie Auto-Lite Co., 396 U.S. 375 (1970), keiner typischen derivative suit, sondern einer Petition auf Aufhebung einer Fusionsvereinbarung: "In many suits under § 14 (a) [of the Securities Exchange Act of 1934], particularly where the violation does not relate to the terms of the transaction for which proxies are solicited, it may be impossible to assign monetary value to the benefit. Nevertheless, the stress placed by Congress on the importance of fair and informed corporate suffrage leads to the concIusion that, in vindicating the statutory policy, petitioners have rendered a substantial service to the corporation and its shareholders. ... [R]egardless the relief granted, private stockholders ' actions of this sort 'involve corporate therapeutics' and furnish a benefit to all shareholders by providing an important means of enforcement of the proxy statute. " 23 Vgl. Bangor Punta Operations, Ine. v. Bangor & Aroostook Railroad Co., 417 U.S. 703, 717 (1974): "If deterrence were the only objective, then in logic any plaintiff willing to file a complaint would suffice. No injury or violation of a legal duty to the particular plaintiff would have to be alleged. The only prerequisite would be that the plaintiff agree to accept the recovery, lest the supposed wrongdoer be allowed to escape a reckoning." 24 Vgl. die oben § 1 11. 3. b) bereits dargelegten verschiedenen Positionen von neoelassieal sehool und managerialism. 25 Diese Sichtweise spiegelt sich nicht zuletzt in der Position des ALl wider, S. ALl, Corporate Governance, Final Draft, Reporter's Note 2, Intro zu Part VII Remedies, S. 596 ff.

§ 15 Funktion des Klagerechts

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diese daher in Fällen ab, in denen es nicht um den Ausgleich erlittener Schäden geht26 . 111. Die 'Derivative Suit' in der Praxis

Die fundamentale Bedeutung dieses Streits wird erst mit einem Blick auf die Praxis der derivative suit deutlich. Wenn nämlich bei der praktischen Anwendung der Klage die Kompensation von Schäden nur als zweitrangig erscheint, stellt dies das ganze Rechtsinstitut in Frage, wenn zur dogmatischen Absicherung nicht noch die Abschreckungsund Rechtswahrungsfunktion herangezogen werden kann. Genau dieses Bild ergibt sich aber aus den empirischen Untersuchungen, die sich seit Mitte des Jahrhunderts mit der derivative und der dass suit beschäftigen:

1. Die Kompensationsjunktion Schon aus der Untersuchung von Wood wird deutlich, daß in vielen Fällen der Anwalt der Klageseite die einzige Person ist, die einen deutlichen Profit erzielt. Die Anwaltsgebühren in Wood's Bericht liegen zwar in den durch Urteil oder gerichtlich bestätigten Vergleich beendeten Fällen "nur" zwischen 20 und 45 % der erzielten Summe. Dieser Prozentsatz berechnet sich allerdings aus der gesamten Zahlung an die Gesellschaft. Ein Teil dieser Stumme kann aber wirtschaftlich gesehen aus reinen Geldverschiebungen auf dem Papier bestehen, wenn nämlich der Beklagte selbst Aktionär der Gesellschaft ist. Vergleicht man daher bei Pflichtverletzungen durch eine Muttergesellschaft das letztlich den Minderheitsaktionären zufließende Kapital mit den erzielten Anwaltsgebühren, so wird deutlich, daß die Kompensation des Schadens nicht mehr die Hauptrolle spielt27 .

26 Cox, Compensation, Deterrence, and the Market as Boundaries of Derivative Suit Procedures, 52 Geo. Wash. L. R. 745 (1984), S. 763 ff. mit Erörterung weiterer Entscheidungen aus der Rechtsprechung. 27 Wood, Report, S. 78 ff. Wood bringt als extremstes Beispiel den Fall Donovan v. Atlas Corp., bei der die Klage eines außenstehenden Aktionärs in einer zu 97 % von einer anderen Gesellschaft gehaltenen Tochter im Vergleich einen Bruttogewinn von $ 1.500.000,- erzielte. Die hieran berechnete Anwaltsgebühr betrug $ 342.000,-, während sich der rechnerische Anteil an der Gesamtzahlung, der auf die außenstehenden Aktionäre entfiel, mit Netto $ 30.000,- äußerst bescheiden ausnahm.

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2. Teil, 1. Abschn.: Die Treuwidrige Ausübung des Klagerechts - USA

Eine Studie von Thomas Jones aus dem Jahre 1980 untersuchte die Entwicklung der class und derivative litigation in den Jahren 1971 bis 197828. Es ging hierin allerdings nur um Auftreten und ansteigende Häufigkeit der Klagen29 . Eine spätere Untersuchung derselben Daten kam jedoch zu dem Ergebnis. daß etwa 30 % der Vergleiche über derivative suits. deren Inhalt bekannt war. keinerlei Abfmdung der Gesellschaft in Geld. vorsahen. Vielmehr wurden nur ''procedural changes" und - natürlich - die Begleichung der klägerisehen Anwaltsgebühren vereinbart30. Eine weitere Studie aus dem Jahr 199131 ermittelte bei zwei Dritteln der 128 untersuchten beendeten Klagen den Abschluß von Vergleichen (83 Fälle). von denen nur mehr gut die Hälfte (46) eine Geldleistung. fast alle (75) aber die Bezahlung der Anwaltsgebühren beinhalteten32 . Die auf die einzelne Aktie entfallende Entschädigung war dabei meist gering. bei derivative actions noch niedriger als bei class actions33 . In den anderen Fällen wurden - oft nur kosmetische - Strukturänderungen vereinbart34. Interessant ist auch. daß die Tatsache. daß ein Gericht eine derivative suit zugelassen hat. gar nicht in einem signifikanten Kursanstieg reflektiert wird35. Dieser wäre dann zu erwarten. wenn der Markt mit der Durchführung

28 Iones, Empirical Examination, 60 B.U.L.R. 306 (1980). 29 Die Studie widerlegte die verbreitete Befürchtung eines explosionsartigen Anstieg dieser Klagearten. 30 Garth / Nagel / Plager, Empirical Research and the Shareholder Derivative Suit: Toward a Better-Informed Debate. 48 Law and Contemp. Prob. 137 (1985), 145 ff. 31 Romano, Litigation without Foundation?, 7 J.Law.,Econ., & Org. 55 (1991). 32 Romano, Litigation without Foundation?, 7 J.Law.,Econ., & Org. 55 (1991), S.60. 33 Romano, Litigation without Foundation?, 7 J.Law.,Econ., & Org. 55 (1991), S. 62 f. 34 Romano, Litigation without Foundation?, 7 J.Law.,Econ., & Org. 55 (1991), S. 63 f. 35 Fischel / Bradley, Liability Rules, 71 Corno L. R. 261 (1986), haben den Einfluß von Gerichtsentscheidungen, die eine derivative suit aus bestimmten Gründen abgelehnt oder aber zugelassen haben, auf die Entwicklung des Aktienkurses der betreffenden Gesellschaft gemessen. Dabei ergaben sich statistisch gesehen nur unwesentliche positive Reaktionen auf die Zulassung vgl. Fischel / Bradley, Liability Rules, 71 Corno L. R. 261 (1986), S. 277 ff. Diese Studie ist aber sicher mit Vorsicht zu betrachten, da zum einen. wie auch die Verfasser einräumen, die Anzahl der untersuchten Klagen für eine fundierte statistische Aussage zu gering sein dürfte. Zum anderen sind die ihr zugrundeliegenden Kategorisierungen nicht unwidersprochen geblieben, vgl. die Kritik und Wiederholung der Untersuchung durch Scott, The Role

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einer derivative suit die Aussicht auf eine Besserstellung der Gesellschaft und damit der einzelnen Anleger verbinden würde. Die derivative suit, aber auch die dass action entwickeln sich damit immer deutlicher weg von einem Mittel zur Entschädigung der betroffenen Aktionäre. Im Mittelpunkt steht heute vielmehr die Aufspürung von Pflichtverletzungen, die eine Klage rechtfertigen könnten und die Verfolgung dieser durch einen Anwalt gegen entsprechende Vergütung. Dies ist der eigentliche Grund, warum Befürworter der derivative suit sich so vehement auf die Abschreckungs- und Rechtswahrungsfunktion der Klage stützen.

2. Abschreckung und Rechtswahrung Wenn Aktionärsklagen schon oft nicht zu einer befriedigenden Entschädigung der Betroffenen führen, so soll das Risiko ihrer Erhebung doch die Akteure in der Gesellschaft davor abschrecken, ihre Pflichten gegenüber der Gesamtheit zu verletzen. In Anbetracht der bislang durchgeführten empirischen Untersuchungen erscheint aber fraglich, ob derivative und dass suit in ihrer heutigen Form wenigstens diese Aufgabe erfüllen. Zunächst haben die Untersuchungen ergeben, daß für ein bestimmtes einzelnes Unternehmen die Wahrscheinlichkeit, von Klagen betroffen zu werden, denkbar gering ist. Nach der Untersuchung von Jones kommt es in jedem Unternehmen statistisch gesehen nur einmal in 17,5 Jahren zu einer durch Pflichtverletzungen veranlaßten Klageerhebung 36 . Mag die Häufigkeit von Klagen gegenüber sehr großen Unternehmen zwar etwas höher liegen37 , so fragt sich doch, ob derart seltene und damit für den einzelnen unwahrscheinliche Ereignisse eine große Abschreckungswirkung entfalten können. Auch wird durch diese Statistik die Tauglichkeit der Aktionärsklage zur Rechtswahrung in Frage gestellt. Denn daß sich in einem Unternehmen nur alle 12 oder 18 Jahre eine Pflichtverletzung ereignet, die die Erhebung einer

of Preconceptions in Policy Analysis in Law: A Response to Fischel and Bradley, 71 Comell L. Rev. 299 (1986), S. 299 und 310. 36 Iones, Empirical Examination, 60 B.U.L.R. 306 (1980), S. 313; dabei werden aufgrund eines bestimmten Anlasses oft mehrere Klagen erhoben. 37 Eine Klage in 2,5 Jahren, unter Herausrechnung der mehrfachen Klagen über denselben Gegenstand eine in 11,9 Jahren, vgl. Iones, Empirical Examination, 60 B.U.L.R. 306 (1980), Table V., S. 318. 15 Gun