Die rechtliche Betreuung zwischen Daseinsvorsorge und Stellvertretung: Eine historisch-kritische Analyse [1 ed.] 9783428589845, 9783428189847

Seit dem 1. Januar 2023 gilt ein neues deutsches Betreuungsrecht. Bereits mit dem Betreuungsgesetz von 1992 gingen tiefg

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Die rechtliche Betreuung zwischen Daseinsvorsorge und Stellvertretung: Eine historisch-kritische Analyse [1 ed.]
 9783428589845, 9783428189847

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Schriften zum Betreuungsrecht Band 6

Die rechtliche Betreuung zwischen Daseinsvorsorge und Stellvertretung Eine historisch-kritische Analyse

Von Felix Recke-Friedrich

Duncker & Humblot · Berlin

FELIX RECKE-FRIEDRICH

Die rechtliche Betreuung zwischen Daseinsvorsorge und Stellvertretung

Schriften zum Betreuungsrecht Herausgegeben von Adrian Schmidt-Recla und Bernd-Rüdiger Kern

Band 6

Die rechtliche Betreuung zwischen Daseinsvorsorge und Stellvertretung Eine historisch-kritische Analyse

Von Felix Recke-Friedrich

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakültät der Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 2197-1447 ISBN 978-3-428-18984-7 (Print) ISBN 978-3-428-58984-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung An dieser Stelle möchte ich allen meinen großen Dank aussprechen, die mich bei der Anfertigung meiner Dissertation unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. iur. Adrian Schmidt-Recla für die hervorragende Betreuung, seine ständige Diskussions- und Hilfsbereitschaft und die daraus erwachsene kollegiale und freundschaftliche Verbundenheit, was wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrug. Auch danke ich Frau Prof. Dr. iur. Wiebke Brose, LL.M. für ihr Zweitgutachten und die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens. Nicht zuletzt gilt mein großer Dank meinem Ehemann, meinen Eltern, meiner Familie und meinen Freunden, die mich bereits während der gesamten Ausbildung liebevoll unterstützten und mir zu jeder Zeit mit Rat und Tat zur Seite standen. Sie gaben mir die notwendige Ruhe und das Selbstvertrauen für die Erstellung dieser Arbeit und waren dabei stets selbstlos bereit, auf viel gemeinsame Zeit zugunsten der Vollendung dieses Werkes zu verzichten. Berlin, im Juni 2023

F. Recke-Friedrich

Ergänzende Hinweise Bei der Bearbeitung sind die gesetzlichen Grundlagen in der geltenden Fassung bis zum 15. Oktober 2022 sowie die bereits beschlossenen und verkündeten, jedoch erst am 1. Januar 2023 in Kraft tretenden Vorschriften berücksichtigt worden. Insofern behandelt die Bearbeitung rechtliche Änderungen de lege ferenda, bevor die tatsächliche Umsetzbarkeit überprüft werden konnte. Aufgrund der Tatsache, dass Literatur zum novellierten Recht nur beschränkt zur Verfügung stand, wurde insbesondere das Schrifttum zum geltenden Recht daraufhin überprüft, ob es auch für das kommende Recht aussagekräftig ist. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text überwiegend die männliche Form der Schreibweise gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Die Entwicklung der Obervormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Die Vormundschaft als staatlicher Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Die „Irrenfrage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Die Gesetzes-Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Die Preußische Vormundschafsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Der Vormund als Träger der Vormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Die Obervormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Der Waisenrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 bb) Der Familienrath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Die Justizzentriertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Das Bürgerliche Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Die Vereinheitlichung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Die Obervormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Die Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Die ersetzende Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Die Gebrechlichkeitspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Die Notwendigkeit der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 d) Die UN-Behindertenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4. Der Begriff der Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Die Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Die Fürsorgepflicht des Staates in der Erwachsenenfürsorge . . . . . . . . . . 48 5. Die Berufsvormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Die Berufsvormundschaft über Minderjährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Das „Leipziger-System“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 bb) Der Beginn der Jugendfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Die Berufsvormundschaft über Volljährige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

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Inhaltsverzeichnis 6. Der Grundsatz der Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 7. Die Manifestation des Systembruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 IV. Das Betreuungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Erstes Betreuungsrechtsänderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Zweites und Drittes Betreuungsrechtsänderungsänderungsgesetz . . . . . . . . . 68 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Leitgedanken der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Betreuerbestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Eingangsmerkmale – Wunsch nach Ende von Stigmatisierung, § 1814 BGB 77 b) Rechtliche Angelegenheiten und andere (soziale) Hilfen, § 1814 BGB . . . 81 c) Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 d) Information und Beratung durch die Betreuungsbehörde, § 8 BtOG . . . . 89 e) Umfang der Betreuung, § 1815 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Betreuerauswahl, § 1816 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Wegfall der Wohlschranke, § 1816 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Auswahlkriterien, § 1816 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Vorrang des Ehrenamts, § 1816 Abs. 3, 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Attraktivität des Ehrenamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Qualität der ehrenamtlichen Betreuung, § 1816 Abs. 4 BGB . . . . . . . 105 cc) Grundsatz der Unentgeltlichkeit, § 1878 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 d) Rolle der Betreuungsvereine, § 1818 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 aa) Nachrang der Vereinsbetreuung, § 1818 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Öffentliche Aufgabenwahrnehmung, §§ 14, 15 BtOG . . . . . . . . . . . . 112 cc) Finanzierung, § 1819 BGB, § 7 Abs. 2 VBVG, § 17 BtOG . . . . . . . . . 114 dd) Vereinbarung über Betreuung und Unterstützung, § 1816 Abs. 4 BGB 118 ee) Grundsatz der Vereinsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 e) Professionalisierung der Berufsbetreuung, § 1816 Abs. 5 BGB . . . . . . . . 123 aa) Eignung und Sachkundenachweis, § 23 BtOG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Wunsch nach Berufsbetreuung, § 1816 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . 128 cc) Berufsbetreuung als ökonomischer Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Berufsbetreuung als Gewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Finanzierung der rechtlichen Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Inhaltsverzeichnis

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3. Betreuungsführung, § 1821 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Wünsche des Betreuten, § 1821 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Vertretungsmacht, § 1823 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Unbeschränkte Vertretungsmacht nach außen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Beibehaltung des Einwilligungsvorbehalts, § 1825 BGB . . . . . . . . . . 144 cc) Primat der unterstützenden Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Prozessfähigkeit des Betreuten, § 53 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4. Beratung und Aufsicht durch das Gericht, §§ 1861 BGB ff. . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Obervormundschaftliche Kontrolle und Aufsicht, § 1862 BGB . . . . . . . . 151 b) Berichtspflichten, § 1863 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Beratungsfunktion, § 1861 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 IV. Zusammenfassung / Defizite des neuen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen – Betreuung im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Neue Rolle der Betreuungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Staatliche Fürsorgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Rückgang der Familienbande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Subsidiarität der Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Verhältnis zum Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 III. Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 E. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

A. Einleitung Wer auf die Entwicklungen des deutschen Betreuungsrechts der letzten Jahrzehnte zurückblickt, kommt um Superlative bei der Beschreibung nicht herum. Zumeist wird insbesondere bei den Reformprozessen um das Jahr 1992 von einer „Jahrhundertreform“1 gesprochen. Auch jetzt, zum Inkrafttreten der Novellierung des Betreuungsrechts zum 1. Januar 2023 heißt es erneut, dass es sich um „die größte Reform des Kindschafts-, Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrechts seit Inkrafttreten des BGB am 1. 1. 1900“ handeln würde.2 Rein deskriptiv mögen diese Beschreibungen auch stimmen. So wurden allein in der jüngsten Reform fast alle Paragrafen im BGB einmal vollständig ausgetauscht und ein gänzlich neues Gesetz zur Organisation der Betreuung (BtOG) geschaffen. Auch im Jahr 1992 wurden mit der Abschaffung der Entmündigung vermeintlich weitreichende Änderungen vollzogen. Fraglich ist jedoch, welcher Maßstab bei all diesen Beschreibungen angesetzt wird und ob diese Aphorismen nicht den Blick auf das Wesentliche verschleiern. So mag es zwar stimmen, dass mit den Reformen an sich betrachtet, jeweils ein Wandel in der praktischen Handhabung für Juristen und Betroffene einherging. Die grundsätzliche Systemfrage bleibt jedoch seit fast 150 Jahren unangetastet. Auch die jüngste Reform drückt sich um die Auseinandersetzung, ob die rechtliche Betreuung weiterhin noch ein Instrumentarium der rechtlichen Stellvertretung im Rahmen des privatrechtlichen BGB sein sollte oder ob es nicht vielmehr – auch aufgrund tatsächlicher gesellschaftlicher Gegebenheiten – weiterentwickelt werden müsste, hin zu einem (echten) Baustein im System der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge. Der Verfasser vertritt die These, dass sich diese Daseinsvorsorge und der Stellvertretungsgedanke im System des heutigen deutschen Betreuungsrechts ein Stück weit gegenseitig ausschließen  – jedenfalls aber aufgrund der gesellschaftlichen Realität überholt haben. Der Gesetzgeber hat vor allem in den letzten Jahren die Trennlinie zwischen Aufsicht und Eingriff nicht mehr konsequent durchgehalten. Es ist ein System entstanden, in dem die Selbstbestimmung und vornehmlich das Prinzip der Familienund Angehörigenbetreuung zwar weiterhin als Maßstab gelten sollen. In der Rea-

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Diekmann, FPR 2004, 678, S. 683. Horn, ZEV 2020, 748, S. 748.

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A. Einleitung

lität ist dieses System aber allzu oft anderen Kräften, beispielsweise des Marktes ausgesetzt und kann dadurch dem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht werden. Zum Ende des 19. Jahrhunderts schuf der Gesetzgeber im Familienrecht des BGB einen Rahmen für die Erwachsenfürsorge und manifestierte damit das Betreuungsrecht als Auswuchs des selbstbestimmten Stellvertretungsgedankens. Gleichzeitig verknüpfte er es jedoch unter dem Deckmantel der Aufsicht über ein Jahrhundert lang immer weiter mit Elementen der Daseinsvorsorge, die dem erstgenannten Prinzip zuwiderlaufen und die Frage aufwerfen, was eigentlich der Kern dieses Rechtsgebiets ist. Bei diesem inneren Konflikt ist vor allem das Institut der Berufsbetreuung beispielgebend. Das Betreuungsrecht, vielmehr der Gesetzgeber, scheint sich in seinen Grundfesten weiterhin gegen die Kommerzialisierung zu wehren, hält er doch weiter am Pathos der Ehrenamtlichkeit fest und versucht zumeist nur beiläufig, die berufsmäßige Betreuung zu regeln. Die Frage, die sich jedoch unmittelbar daraus ergeben muss und die es hier zu untersuchen gilt, ist das Verhältnis von ehrenamtlicher Betreuung und Berufsbetreuung. Die schleichende Entwicklung hin zu dem Berufsbild des Betreuers, bei dem zumindest auf den ersten Blick die staatliche Reglementierung zwar seit Jahren zunimmt, jedoch weiter unvollkommen wirkt, ist zu hinterfragen. Der Rückzug der Verwandten- und Angehörigenbetreuung als staatsbürgerliches Ehrenamt und im gleichen Zuge die Zunahme der Berufsbetreuung deckt ein Spannungsfeld zwischen selbstbestimmter Stellvertretung und notwendiger Daseinsvorsorge auf, welche gerade im Hinblick auf die geltende Gesetzeslage zu untersuchen ist. Das erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im Jahr 2017 in Auftrag gegebenen Studie zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes im Betreuungsrecht für angebracht. Dreißig Jahre nach der sog. Jahrhundertreform im Betreuungsrecht sind im Ergebnis der Studie bis zu 15 % der Betreuungen vermeidbar.3 Bisher begnügte sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit, Strukturen im bestehenden System nachzuschärfen und vor allem „andere“ niedrigschwellige „soziale Hilfen“ zu fordern.4 Die Frage, ob das System als solches überhaupt dafür geeignet ist, diesen Anforderungen gerecht zu werden, blieb außen vor. Die vorliegende Arbeit untersucht insofern in einer historisch-kritischen Analyse, ob nicht durch eine verstärkte staatliche Fürsorge ein Mehr an Selbstbestim-

3 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrecht­ lichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 9, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/ Zusammenfassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publication File&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 4 Schulte, FPR 2012, 24.

A. Einleitung

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mung für die von Betreuung Betroffenen erreicht werden kann. Die permanente Scheu des Gesetzgebers, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen, unterstreicht nur die Notwendigkeit, diese grundsätzliche und systemimmanente Frage endgültig zu klären. Maßstab dieser Bearbeitung ist der historische Wandel im System der Betreuung seit gut zwei Jahrhunderten. Im Rahmen einer historisch-vergleichenden Analyse sollen die Ursachen und Wirkungen der verschiedenen gesetzgeberischen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Erwachsenenfürsorge untersucht und ein Bezug zur Gegenwart hergestellt werden. Ausgangspunkt hierfür ist der im späten 18. Jahrhundert einsetzende Paradigmenwechsel im Recht der Erwachsenenfürsorge in den Gebieten des heutigen Deutschlands. Waren in der Antike vor allem die Familien, seit dem frühen Mittelalter vor allem die Klöster und kirchlichen Einrichtungen mit der fürsorgerischen Zuwendung an Sozialbenachteiligte und psychisch Kranke betraut, gab es seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eine politische und gesellschaftliche Entwicklung, die landesherrliche und kommunale Maßnahmen stärker propagierte. Es vollzog sich ein Wandel von der noch im Mittelalter charakteristischen unregulierten Armen- und Krankenfürsorge hin zu einer obrigkeitlich reglementierten Armenpolitik.5 Hintergrund waren nicht nur ein verändertes Staatsverständnis, sondern auch ökonomische Faktoren, wie die Landflucht, die zunehmende Urbanisierung in Folge der Industrialisierung und zeitgleich eine Verschlechterung der sozialen Verhältnisse, die ein staatliches Handeln erforderlich machten. Diese Auffassung drückte sich normativ vor allem zunächst in den Regelungen zur Vormundschaft im Allgemeinen Preußischen Landrecht aus, in dem das Institut zweifelsfrei öffentlich-rechtlichen Charakter besaß. Später veränderte sich dieses Verständnis noch einmal und eine Rezession des römischen Rechts führte mit der Preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 zu dem was wir heute kennen: einem Mittelweg zwischen privatrechtlichem Vertretungsinstitut und obrigkeitsstaatlicher Aufsicht. Ob dieses System, von einigen als zu stark „justizzentriert“6 bezeichnet, weiter alle sozialen Fragen unserer Zeit angemessen beantworten kann, soll Gegenstand der hiesigen vergleichenden Untersuchung sein. Nach einer umfassenden historischen Einordnung (B. auf S. 17 ff. ) unter Herleitung der hier verwendeten zentralen Begrifflichkeiten der Stellvertretung (B. III. 3. auf S. 39 ff.) und der Daseinsvorsorge (B. III. 4. auf S. 46 ff.) soll das geltende Recht seit dem 01. Januar 2023, insbesondere in Bezug auf die oben aufgeworfenen geschichtlichen Aspekte hin betrachtet (C. auf S. 73 ff.) und trotz erst kürzlich

5

Schaffer, Rezension über: Rüdiger Nolte, Pietas und Pauperes, Klösterliche Armen-, Kranken- und Irrenpflege im 18. und frühen 19. Jahrhundert, S. 309. 6 Probst, ZRP 2001, 426, S. 431; Pitschas, FPR 2012, 61, S. 63 ff.

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A. Einleitung

erfolgter Revision, versucht werden, Problem- und Lösungsansätze aufzuzeigen (D. auf S. 163 ff.). Die Bearbeitung erfolgte dabei in der Zeit nach der Veröffentlichung des ersten Referentenentwurfs zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts im Mai 2020, der Verabschiedung des Gesetzes im Mai 2021 und vor Inkrafttreten der Novellierung zum 01. Januar 2023. Im Zentrum der Arbeit steht daher eine kritische Analyse des bislang geltenden Betreuungsrechts unter Vorgriff auf das neue Gesetz sowie unter Rückgriff auf die historischen Vorbilder.

B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit Wer das heute geltende Betreuungsrecht begreifen und auch beurteilen möchte, muss sich über dessen Ursprung Gedanken machen. Dafür ist vor allem der beschriebene Wandel zum Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts von besonderer Bedeutung. Wegen der preußischen Dominanz auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands, insbesondere ab Ende des 18. Jahrhunderts, bildet die Entwicklung in dieser Epoche auch einen Schwerpunkt dieser Arbeit. Diese Herangehensweise ist auch der Versuch, eine überbordende – niemals vollständige – historische Abhandlung seit der römischen Antike mit wenigen Ausnahmen zu vermeiden und damit deutlicher dem Untersuchungsgegenstand in Anlehnung an die geltende Gesetzeslage gerecht zu werden. Die Diskussionen und der Wandel zur Zeit des jungen geeinten Deutschen Reichs im Übergang zur Moderne beschreiben nämlich gut den Widerspruch im Recht der Erwachsenenfürsorge, der seit jeher unserem Recht innewohnt und der bis dato nicht aufgelöst scheint.

I. Das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) 1. Die Entwicklung der Obervormundschaft In der römischen Rechtstradition waren das Vormundschaftsrecht und das Recht der Familienpflege im Grundsatz noch ein sog. munus privatum, also ein privatrechtliches Instrument, das zwar später auch eine staatliche Kontrolle über die Einsetzung von Vormündern, den sog. tutela dativa, kannte, jedoch nicht die Aufsicht über die Vormünder im Sinne einer Obervormundschaft – jedenfalls solange nicht, wie die Familie in der Lage war, für das Mündel Sorge zu tragen.1 Insbesondere in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen sollte eine mitberatende und beaufsichtigende Tätigkeit der Familie im Vordergrund stehen (sog. tutela legitima), teilweise auch institutionalisiert durch das sog. Consilium necessariorum, ein Rat der Verwandten, der später vor allem im französischen Recht im sog. Conseil de famille eine Entsprechung fand.2

1

v. Glück, Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, 1829, S. 288; Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 177 f.; Suarez, Jahrbuch für die preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Bd. 41, 1833, S. 184. 2 Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 177.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Auch im altdeutschen bzw. germanischen Recht war die Vormundschaft in der Frühzeit zunächst stark familiär und vor allem lange subsidiär zur Obrigkeit geregelt. Es herrschte eine deutlich stärkere Mitbestimmung durch die Familie, welche die Vormünder auch zunächst stellte und diese primär verwaltete.3 Die „Sippe“ war hier wesentlicher Ansatzpunkt und Aufsichtsorgan über ihre Mitglieder.4 Dabei war vor allem maßgebend, dass, anders als im römischen Recht, zunächst keine Unterscheidung gemacht wurde zwischen den unterschiedlichen Formen der Vormundschaft. Mit dem Ausdruck des „Mundium“ war vielmehr die gesamte „Hausherrschaft“, in der Regel des Vaters, über die ihm unterstellten Familienangehörigen gemeint.5 Später entwickelte sich jedoch insbesondere aus der deutschen Idee heraus, dass der „König der oberste Hort und Vormund aller Waisen und Schutzbedürftigen sei“ der Gedanke, dass hierzu auch die Verantwortlichkeit über die Unmündigen bzw. Hilfsbedürftigen (die sog. „Pupillen“) zählen müsse.6 Vielfach entwickelte sich vor allem in den Städten ein entsprechendes Verständnis dafür, dass familienlose Personen und Bedürftige einer Fürsorge bedürften.7 Ein starkes Staatsverständnis prägte sich aus, was vor allem einen ordnungsrechtlichen und weniger einen sozialen Hintergrund hatte. Besonders deutlich trat diese Auffassung beispielsweise schon in der Reichspolizeiordnung aus dem Jahr 1548 hervor, in der es in Titel 31 heißt: „Wiewol inn gemeynen geschribnen Rechten / ernstlich disponirt und versehen ist / das den pupillen und minderjärigen kindern / von iren vormundern / mit allem fleiß und ernst fürgestanden / und derselben nutz und wolfart gesucht / und gefürdert werden solle. So befindt sich doch vilmals / das inn solchen sachen / von den vormundern betrüglich / versaumlich / unnd nit mit dem fleiß / wie sie zuthun schuldig / gehandelt würdet / den Pupillen unnd minderjärigen / zu mercklichem nachtheyl und schaden. Wann aber nun den Oberkeyten zustehet / inn dem gebürlich unnd billich einsehens zuhaben / damit die Pupillen und minderjärigen Kinder / unbetrogen und unvernachtheylt bleiben. So wöllen wir allen und jeden Churfürsten / Fürsten / Prelaten / Graven / Herrn / vom Adel unnd Communen / hiemit ernstlich aufferlegt unnd befolhen haben / inn iren Fürsten­ thumben / Herrschafften / Oberkeyten unnd gebieten / dermassen versehung zuthun / und zuverordnen / das den pupillen und minderjärigen kindern jederzeit / biß sie zu iren vogtbarn unnd mannbarn Jaren kommen / vormunder und vorsteher / so die inen von iren Eltern inn Testamenten / oder letsten Willen nit verordent / oder ire angeborne freündt und verwandten / sich der vormundtschafft / auß rechtmessigen ursachen / nit underziehen wolten / oder darzu tuglich und geschickt weren / gegeben werden.“

3

Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 8; Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 178. 4 Nussbaum, Die freiwillige Gerichtsbarkeit im Reiche und in Preußen, 1900, S. 87, spricht insoweit sogar von der „Obervormundschaft der Sippe“. 5 Maurenbrecher, Lehrbuch des heutigen gemeinen deutschen Rechts, 1834, S. 578. 6 Maurenbrecher, Lehrbuch des heutigen gemeinen deutschen Rechts, 1834, S. 685. 7 Nussbaum, Die freiwillige Gerichtsbarkeit im Reiche und in Preußen, 1900, S. 89.

I. Das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) 

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Sogleich wurde angeordnet, dass die Vormundschaftsbestellung folglich von der Obrigkeit „decerniert“, also beschlossen und befohlen werden sollte:8 „Das auch eyn jegklicher vormunder / er sey gleich inn Testaments weiß verordnet / oder durch das recht oder Richter gegeben / sich der vormundtschafft nit underziehen soll / die verwaltung sey ime dann zuvor / durch die Oberkeyt decerniert und befolhen.“

Auch vor Inkraftsetzung des Allgemeinen Landrechts in Preußen wurde dort im Jahr 1748 schon ein sog. „Pupillen-Collegium“ eingerichtet, welches die Obervormundschaft über jene Betroffene in allen Landesteilen ausüben sollte.9 Dasselbe wurde dann auch im Zusammenhang mit der preußischen Territorialerweiterung im Jahr 1823 für das Königreich Hannover errichtet. Hier trat vor allem der Aspekt der Vermögenssorge in den Mittelpunkt, welcher die Rechts- und Wirtschaftspraxis beschäftigte und auch später weiter maßgeblichen Einfluss auf das Vormundschaftswesen haben sollte. Verträge mit Betroffenen sollten für das Gegenüber keine Nachteile haben, was als fürsorgerischer Auftrag verstanden wurde: „Nachdem unserer landesväterlichen Aufmerksamkeit nicht entgangen ist, dass die bisher statt gefundene Verwaltung des den Pupillen, Minderjährigen und andern unter Curatel stehenden Personen zugehörenden Vermögens, so wie die Verwaltung des Concurs befangenen oder unter gerichtliche Administration gestellten Gütermassen, mancherlei wesentliche Mängel erleiden, die hauptsächlich in der Vernachlässigung des den Pupillen und Curanden gehörenden oder die Concurs-Masse constituierenden Vermögens ihren Grund haben und daher einer wesentlichen Verbesserung bedürfen; nachdem Wir ferner erwogen haben, daß die Unsern Justiz-Behörden bisher überlassene obervormundschaftliche und richterliche Ober-Aufsicht kaum geeignet ist, diesen weniger auf Entscheidung von Rechts-Fragen oder auf Beobachtung gesetzlicher Normen als auf gründlichen öconomischen und adminis­ trativen Kenntnissen beruhenden Theil der Verwaltung zu leiten: so haben Wir, um unsere allgemeine landesväterliche Fürsorge besonders auf das Beste der Pupillen, Minderjährigen und unter Curatel befindlichen Personen in jeder Beziehung auszudehnen und zugleich, soweit es möglich ist, den Creditoren ihre Befriedigung aus den Concurs befindlichen Gütermassen zu sichern, die Errichtung eigener Pupillen-Collegien beschlossen, welchen außer der Sorge für die Person der Pupillen, Minderjährigen und sonst unter Curatel befindlichen Personen, vorzüglich auch die Aufsicht und zweckmäßige öconomische Leitung ihres Vermögens, so wie der in Concurs befindlichen Güter, und die schnellere Beendigung des Concurs-Verfahrens obliegt.“10

Der Staat verstand seine primäre Aufgabe darin, ordnend einzugreifen, was sich dann auch im gesamten Recht widerspiegelte.

8 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 26; Nussbaum, Die freiwillige Gerichtsbarkeit im Reiche und in Preußen, 1900, S. 88. 9 Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, 3. Band, S. 1249 f. 10 Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das Königreich Hannover: aus dem Zeitraume von 1813 bis 1839, S. 254 f.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

2. Die Vormundschaft als staatlicher Auftrag In Preußen galt um die Jahrhundertwende vom 18. auf das 19. Jahrhundert das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794, welches eine Kodifikation der deutschen Gesetzgebung darstellte und inhaltlich geprägt vom römisch-rechtlichen Ansatz, naturrechtlich beeinflusst, zunächst subsidiäres Recht für die damals 21 Millionen Bewohner der von Preußen beherrschten Provinzen darstellte.11 Das Vormundschaftsrecht war dabei im Bereich des Staats- und Verwaltungsrechts angesiedelt und eng mit den polizeilichen Kompetenzen des Staates über seine Bürger verbunden.12 Die Vormundschaft war so konstruiert, dass das Mündel „Pflegebefohlener des Staates“ war, der Vormund „Bevollmächtigter des Staates“ und das Gericht als Organ des Staates die Vormundschaft ausführte.13 Das Vormundschaftsrecht des ALR umfasste 1007 Paragraphen und regelte in allen Einzelheiten die unterschiedlichen Formen der gesetzlich überwachten Pflegebefohlenen, namentlich Vormündern, Curatoren und Beyständen und die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Kranken, namentlich Wahn- und Blödsinnigen, Verschwendern, taub- und stumm Geborenen und später gewordenen, Blinden, Analphabeten und Frauen ohne Ehemänner.14 Das ALR verstand im Gegensatz zum römischen Recht die Vormundschaft als staatlichen Auftrag und regelte dieselbe im 18. Titel des Zweiten Teils, namentlich im Abschnitt über die „Befugnisse und Verbindlichkeiten des Staates gegen die Landeinwohner“, wodurch das Vormundschaftsrecht zweifelsfrei öffentlich-rechtlichen Charakter erhielt.15 Die Obervormundschaft des Staates wurde insbesondere auch beim Bestellungsakt deutlich, wenn es in II 18 § 109 ALR heißt: „Kein Bürger des Staats kann sich einer von der Obrigkeit ihm aufgetragenen Vormundschaft ohne besondre und erhebliche Ursachen entziehn.“

Das ALR sah auch ein ausdrückliches Direktionsrecht des Gerichts gegenüber den Vormündern vor. So konnte das Gericht Anweisungen erteilen, II 18 § 236 ALR, und der Vormund musste alle erheblichen Handlungen dem Gericht gegenüber anzeigen.16

11

Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 63. Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 63. 13 Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 63. 14 Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 65. 15 Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 180; Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 63. 16 Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich, Abschnitt 2, 3, Vorlage des Redaktors, 1880, § 2, S. 1935. 12

I. Das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) 

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Nichtsdestotrotz hatte die Familie nach II 18 § 111 ALR die Möglichkeit, Vorschläge für die Person des Vormunds gegenüber dem Richter zu machen.17 Das preußische Vormundschaftsrecht kannte auch schon einen Vorrang der Bestellung eines Verwandten als Vormund.18 So besagte II 18 § 192 ALR: „In Ermangelung der Mutter, muß der Richter die Vormundschaft den Blutsverwandten der Pflegebefohlnen vorzüglich übertragen.“

In der Beurteilung, welchen Verwandten der Richter im Ergebnis auswählte oder ob der Richter die Verwandten wegen fehlender Eignung gänzlich überging, war er jedoch frei. In der Rangfolge der Übernahmepflicht der Vormundschaft des ALR kamen nach der Einsetzung der Verwandten die Mitglieder der Zünfte und Innungen in Betracht, dessen Mitglied das Mündel war, II 18 § 199 ALR. Das ALR sah in II 18 § 200 und § 201 auch bereits einen Rechtsschutz für Angehörige vor, die vom Richter bei der Bestellung übergangen worden waren. Die Wahrnehmung der familiären Rechte war jedoch stets als subsidiär zu begreifen und so konnte lediglich „die nahe Verwandtschaft eine gegründete Vermuthung geben, daß dasjenige Subjectum, welches mit den Pupillen so nahe verbunden ist, daß taugliche sei, dem die Sorge für die Person und das Vermögen des Pflegebefohlenen anvertraut werden könne.“19

Die Regel war es nicht. Im Ergebnis blieb das ALR von der gesetzlichen Anerkennung der Obervormundschaft des Staates geprägt. Die Vormünder wurden nicht als „Privatadministratoren eines fremden Vermögens, sondern als ein Bevollmächtigter und Beamter des Staates (gesehen), welcher der Obrigkeit in Ansehung seiner ganzen Verwaltung subordiniert und ihr davor die genauste Rechenschaft zu geben schuldig war“20.

Die Verfasser gingen weiter maßgeblich von dem Gedanken aus, dass es Sache des Staates sei, für seine Bürger, die sich selbst nicht vorstehen könnten, für ihre Erziehung und ihren Unterhalt zu sorgen, I 1 § 32 ALR.21 Die Rechte der Familien wurden im Gegensatz zum römischen, aber auch zum gemeinen deutschen Recht somit deutlich eingeschränkt.22

17

Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 82. Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 82. 19 Suarez, Jahrbuch für die preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Bd. 41, 1833, S. 185. 20 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 11. 21 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 11; Suarez, Jahrbuch für die preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Bd. 41, 1833, S. 184. 22 Suarez, Jahrbuch für die preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung, Bd. 41, 1833, S. 184. 18

22

B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Auch in anderen Teilen Deutschlands gab es Regelungen zum Umgang mit Geisteskranken. Diese waren jedoch meist ebenfalls auf die polizeirechtlichen Befugnisse beim Umgang mit Betroffenen bezogen. In Bayern fiel beispielsweise die Fürsorge Betroffener entweder unter das Gesetz über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt oder unter das Polizeistrafgesetzbuch für das Königreich Bayern.23 Letzteres ordnete in Art. 80 (Art. 137 a. F.) an: „Wer mit Gefahr für Personen oder Eigenthum oder für öffentliche Sittlichkeit Blödsinnige oder Geisteskranke, deren Aufsicht ihm obliegt, frei auf Straßen oder an öffentlichen Orten herumgehen lässt, wird an Geld bis zu fünfzehn Thalern bestraft.“ 24

Art. 81 (Art. 138 a. F.) besagte weiter: „Wer ihm angehörige oder anvertraute Kinder, Kranke, Gebrechliche, Blödsinnige oder andere dergleichen hilflose Personen in Bezug auf Schutz, Aufsicht, Verpflegung oder ärztlichen Beistand verwahrlost, wird an Geld bis zu dreißig Thalern oder mit Haft bis zu vier Wochen bestraft. Hat eine solche Person einen Angriff gegen Personen oder fremdes Eigenthum verübt oder die öffentliche Sittlichkeit verletzt und ist wegen Unzurechnungs­ fähigkeit des Beschuldigten entweder ein Strafverfahren gar nicht eingeleitet worden oder ein das Strafverfahren einstellendes Erkenntnis erfolgt, oder ist die Gemeingefährlichkeit einer solchen Person in sonstiger Weise festgestellt, so ist die Polizeibehörde berechtigt, auf den Grund bezirksärztlichen Gutachtens deren Unterbringung in einer Irrenanstalt oder deren sonstige genügende Verwahrung anzuordnen.“25

Wegen dieser vorherrschenden Auffassung zum Umgang mit Betroffenen und dem Wunsch nach Erhaltung sittlicher Ordnung wird dieses System auch als „Omnipotenz des absoluten Polizeistaats“ bezeichnet, zu dem auch das Vormundschaftsrecht zugeordnet war.26 In weiten Teilen der deutschen Rechtspraxis führte diese Entwicklung zur stetigen Steigerung der Obervormundschaft des Staates und zur Tendenz: „[…] die Selbstständigkeit des Vormundes herabzudrücken.“27

23

Specht, Über die familiale Verpflegung der Geisteskranken in Bayern, 1911, S. 308. Art. 80 Königliches Bayrisches Polizeistrafgesetz, 1872 (Art. 137 a. F. v. 1862). 25 Art. 81 Königliches Bayrisches Polizeistrafgesetz, 1872 (Art. 138 a. F. v. 1862). 26 Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 75. 27 Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich, Abschnitt 2, 3, Vorlage des Redaktors, 1880, § 2, S. 1935. 24

II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung

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II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung Mit der sog. „Preußischen Irrenreform“ Anfang des 19. Jahrhunderts sollte insbesondere dem Gedanken der militärisch-autoritären-Administration folgend, die sittliche Ordnung mittels polizeirechtlicher Maßnahmen weiter aufrechterhalten werden.28 Die preußische Reformbewegung war dabei vor allem von den Gedanken der Aufklärung geprägt, die im Zuge der Französischen Revolution nach Deutschland kamen. Es war der Versuch, politischen Aufständen, zu denen es in den Nachbarländern kam, durch politische Reformen im Innenland vorauszukommen und die soziale Frage „von oben“ statt „von unten“ zu klären.29 1. Die „Irrenfrage“ Auch die sog. „Irrenfrage“ war Teil dieses Reformprozesses, da sich an ihr die Reichweite der neu erstrittenen Menschenrechte besonders deutlich kundtat und das Bürgertum seine Ideale beweisen konnte.30 In Preußen wurden erstmals ab dem Jahr 1805 die sog. „Tollhäuser“ ärztlich organisiert und in „psychische Heilanstalten für Geisteskranke“ umgewandelt.31 Früh erkannte der Preußische Staat, dass die „Irren-Heil-Anstalten Kranken-Heil-Anstalten sind“, die „mithin die höchste Stufe der Kranken-Anstalten bilden“ und daher die „Anstalt Mittel zum Zweck der Heilung ist, oft allein auch ausreichendes Heilmittel für Seelenkranke.“32 Rechtliche Grundlage war unter anderem II 18, § 344 ALR: „Finden der Vormund oder die Verwandten keine andere Gelegenheit, dergleichen Personen unterzubringen: so liegt dem Staate ob, dieselben in eine öffentliche Anstalt zur Verwahrung aufzunehmen.“

Auch in der Justiz musste sich erst ein verändertes Verständnis durchsetzen. Die Einweisung in eine Anstalt sollte nicht leichtfertig erfolgen, beispielsweise nicht zur „bloßen Privatrequisition“ von Angehörigen und von den entsprechenden Anstalten wurde eingefordert, dass sie regelmäßig den Gerichten von Neueinweisungen Bericht erstatteten und das entsprechende gerichtliche „Blödsinnigkeitsverfahren“ einleiteten:

28 Höll / Schmidt-Michel, Irrenpflege im 19. Jahrhundert – Die Wärterfrage in der Diskussion der deutschen Psychiater, S. 13. 29 Blasius, „Einfache Seelenstörung“, S. 21. 30 Kretzschmar, Die Irrenfrage am Ausgange des 19. Jahrhunderts, S. XIII; Blasius, „Einfache Seelenstörung“, S. 19. 31 Blasius, „Einfache Seelenstörung“, S. 22. 32 Schreiben des Preußischen Ministeriums des Innern und der Polizei an den preußischen König vom 31. Januar 1845, Auszüge abgedruckt in Blasius, „Einfache Seelenstörung“, S. 23.

24

B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Abb. 1: Hinweis der Regierung zum Umgang mit „Wahn- und Blödsinnigen“ in Preußen im Jahr 185933

Gleichzeitig entwickelte sich auch in der Medizin ein neues Selbstverständnis der klinischen Psychiatrie. Vor allem deutsche Psychiater stritten um die Anerkennung der Psychiatrie als eigenständige medizinische Wissenschaft.34 Es entwickelte sich die Auffassung, dass ein Teil der sog. „Geisteskranken“ einer Heilung zugänglich sei. Selbst das ALR aus dem Jahr 1794 sprach schon davon, dass die Chance auf Heilung stets überprüft und berücksichtigt werden müsse, II 18 § 347 ALR: „So lange noch eine gegründete Hoffnung zur Wiederherstellung solcher Personen vorhanden ist, müssen sie mit den nöthigen Heilungsmitteln nach Möglichkeit versehen werden.“

Diese Heilungsaussicht mache es erforderlich, dass es unterschiedliche Einrichtungen für die verschiedenen Krankheitstypen brauche.35 Folglich wurden die

33

Justiz-Ministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, 1839, S. 102. Höll / Schmidt-Michel, Irrenpflege im 19. Jahrhundert – Die Wärterfrage in der Diskussion der deutschen Psychiater, S. 97. 35 Griesinger, Ueber Irrenanstalten und deren Weiterentwickelung in Deutschland, Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, 1868, S. 9; Laehr, Ueber die gegenwärtige Umgestaltung der hiesigen Irrenpflege: offenes Sendschreiben an den Magistrat und Gemeinderath von Berlin, 1853, S. 4. 34

II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung

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neu zu errichtenden Irrenanstalten meist zum einen in die unter ärztlicher Leitung stehenden Heilanstalten gegliedert und zum anderen in die Pflegeanstalten, die der dauerhaften sicheren Verwahrung der Unheilbaren dienten.36 Diese rein tatsächlichen, meist nur punktuellen Veränderungen in der Pflege von Betroffenen änderte jedoch zunächst nichts an den aufgezeigten Grundprinzipien der Erwachsenen- und Mündelfürsorge allgemein. Es wurde nichtsdestotrotz auch schon zu jener Zeit kritisch diskutiert, inwiefern die Rolle des Vormunds als eigenverantwortlicher Stellvertreter im Sinne des römischen Rechts wieder stärker Berücksichtigung finden sollte und ob die Familie hier nicht einen größeren Einfluss auf die Betreuung und Pflege eines Angehörigen erhalten müsste. Der Vormund sollte nach Ansicht einiger nicht „lediglich als unselbstständiger Vollstrecker“ des Gerichts dienen.37 Gleichzeitig umgingen immer mehr Familien die Kontrolle der staatlichen Obrigkeit, indem sie in den Territorien des ALR die Möglichkeit des II 18 § 679 ff. ALR nutzten und mittels testamentarischer Anordnung den ernannten Vormund von den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten gegenüber den Gerichten befreiten, sodass diese nur noch die allgemeine Aufsicht ausübten und nicht mehr die absolute Kontrolle innehatten.38 Der Reformbedarf wurde somit immer deutlicher spürbar. 2. Die Gesetzes-Revision So wurde bereits im Jahr 1825 das Vormundschaftsrecht in den sog. Bereich der beabsichtigten allgemeinen Gesetzesrevision gezogen, welcher im Jahr 1831 mit der „Gesetzes-Revision Pensum VII – Motive zu dem Entwurfe: Allgemeines Landrecht Theil II, Titel 18“ endete.39 Der Entwurf sah vor, dass bis zu 400 Paragrafen im Vormundschaftsrecht des ALR gestrichen und die Familie stärker bei der Mitwirkung der Obervormundschaft eingebunden werden sollte.40 In Gesetzeskraft trat der Entwurf nie.41

36

Thurnburg, Institutionelle Fürsorge für Kölner Geisteskranke von 1815 bis 1872, S. 58. Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 180; Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 11. 38 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 13; Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 183. 39 Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Kultur, Band 36, 1858, S. 180; Gesetzes-Revision  – Pensum VII. Motive zu dem Entwurfe: Allgemeines Landrecht Theil II, Tit. 18, 1831, S. 3. 40 Justiz-Ministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, 1851, S. 178 ff.; Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 16. 41 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 16. 37

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Ebenso nicht der im nicht-amtlichen Teil des Justizministerialblattes aus dem Jahr 1851 veröffentlichte Entwurf für ein gänzlich neues Vormundschaftsrecht, welcher bereits einen „Vormundschaftsrath“ in Anlehnung an den „Familienrath“ in Frankreich einführen wollte und eine größere Selbständigkeit für Vormünder vorsah.42 Diese Reformbewegungen, welche in eine Zeit fielen, die ohnehin von den Reformen rund um Hardenberg und Freiherr vom Stein in Preußen beeinflusst waren, hatten alle gemein, dass sie die Verortung des Vormundschaftsrechts und das Verhältnis des Staates zu „seinen“ Vormündern in Frage stellten. Eine gewisse Abkehr von der Staatsgläubigkeit der Anfangsjahre des ALR war zu vernehmen, weshalb es jedoch nicht weiter überrascht, dass die Reformentwürfe zunächst jeweils an konservativen Kräften scheiterten. Insbesondere die Systematik des ALR und die Einordnung des Vormundschaftsrechts im Abschnitt über das öffentliche Recht waren der Debatte ausgesetzt. So beschäftigte sich schon der offizielle Revisor des Vormundschaftsrechts im Kontext des ALR, Dr. Friedrich Ernst Scheller, mit der Anordnung des Titels im ALR, obgleich er betonte, dass es für die praktische Brauchbarkeit des Rechts keine Bedeutung habe.43 Er berief sich in seinen Ausführungen dann auf die Beweggründe eines der Verfasser des ALR, Carl Gottlieb Suarez, der zur Einführung des ALR schrieb: „Diese Abtheilung soll, nach dem entworfenen Plane, die Rechte und Pflichten des Staats gegen seine Bürger enthalten. Hier entsteht die präjudizial-Frage: obdergleichen Abhandlung in ein Privatgesetzbuch gehöre? Welche bei Gelegenheit verschiedener dahin einschlagender Stellen der allgemeinen Grundsätze, sehr bezweifelt werden; weil solche eigentlich das innere Staatsrecht der preußischen Monarchie ausmachen und der Staat in einem bürgerlichen Codex für seine Unterthanen sich nicht selbst Gesetze vorschreiben könne. […] Bisher ist der Mensch in dem Verhältnisse betrachtet worden, wie er ein Mitglied, theils der kleineren häuslichen Gesellschaft, theils der größeren bürgerlichen Gesellschaften oder der verschiedenen Stände im Staate ist. Nun mehr bleibt doch übrig, ihn als Mitglied der allgemeinen großen Gesellschaft anzusehen, welche man Staat nennt. […] Die dritte Hauptpflicht des Staats besteht in der ihm obliegenden unmittelbaren Vorsorge für diejenigen seiner Mitbürger, die sich selbst zu helfen, nicht im Stande sind. […] Genau genommen würde die Tutela legitima in den ersten Theil zu den Familienrechten gehört haben. Weil sich aber die Materie nicht wohl trennen läßt, Tutela legitima im Sinne des römischen Rechts eigentlich gar nicht mehr in usu ist, sondern alle unsere Vormünder

42

Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 16. Gesetzes-Revision  – Pensum VII. Motive zu dem Entwurfe: Allgemeines Landrecht Theil II, Tit. 18, 1831, S. 4. 43

II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung

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im Grunde dativi sind; so lässt es sich ganz wohl vertheidigen, daß man diese Lehre hier vorträgt.“44

Wie später noch zu belegen sein wird, bestimmt sich die rechtliche Verortung des Vormundschaftsrechts im Grunde bis heute nach dieser von Suarez geprägten Lehre, obgleich mittlerweile die tutela legitima, also die Vormundschaft durch den nächsten gesetzlichen Erben bzw. Verwandten des Mündels mit der nun folgenden Rezession des römischen Rechts wieder vorrangig ist und die tutela dativa, also die obrigkeitsstaatliche Vormundschaft, nachrangig sein soll. 3. Die Preußische Vormundschafsordnung Die Diskussion zur Verortung des Rechts der Vormundschaft, aber auch der Stellung des Vormunds in diesem System, mündete schließlich doch noch in einer weitreichenden Reform im System der Erwachsenenfürsorge. Am 5. Juli 1875 wurde nach langer Debatte die Preußische Vormundschaftsordnung (V. O.) verabschiedet, welche zum einen dem Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtsordnung genüge tat, aber zeitgleich vor allem auch die Mitwirkungsrechte der Familie des Mündels stärkte, dem Vormund eine selbständigere Stellung einräumte und die Obrigkeit im System der Vormundschaft zumindest ansatzweise reduzierte und damit versuchte, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Rechtstraditionen im Reich zu etablieren.45 Ausgangspunkt war unter anderem, dass es wegen der stetigen territorialen Erweiterung bzw. Besetzung weiterer Territorien des Königreichs Preußen inzwischen zahllose unterschiedliche Regelungen auf dem Gebiet des Vormundschaftsrechts gab, die kaum noch überschaubar waren. Mit der Reichsgründung 1870/1871 wurde es nicht besser. Es galt unter anderem französisches Recht in den Gebieten um den Nordrhein, das gemeine Recht in den ostrheinischen Teilen, in Hessen und in Greifswald. Im Süden und im Norden und in einzelnen Städten galten vielfach noch individuelle Waisen- und Vormundschaftsordnungen.46

44 Zitiert nach: Gesetzes-Revision  – Pensum VII. Motive zu dem Entwurfe: Allgemeines Landrecht Theil II, Tit. 18, 1831, S. 4 ff. 45 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 1; Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 86. 46 Krueger, Der Waisenrath im Königreich Preußen, S. 1 ff.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

a) Der Vormund als Träger der Vormundschaft Neu in der Vormundschaftsordnung war, dass die richterliche Tätigkeit künftig auf das Maß beschränkt werden sollte, das der Kontrolle der Vormundschaft oblag und zugleich der Vormund eine vom Gesetz übertragene Verantwortlichkeit erhielt, die nur in gewissen Fällen an die Einwilligung des Vormundschaftsgerichts gebunden war.47 Im Besonderen verstärkte die Vormundschaftsordnung auch die Rolle und Beteiligung der Familie.48 Der Grundsatz lautete, dass der Vormund Träger der Vormundschaft ist und ihm, soweit nicht durch die Ordnung bestimmt, das Vertrauen entgegenkommt, die Vormundschaft selbständig zu führen, § 27 V. O.49 Gewisse Personen, insbesondere die Familie, waren gesetzliche Vormünder, die nicht (mehr) der Bestellung durch das Gericht bedurften. Gleichwohl blieb die Übernahme der Vormundschaft staatsbürgerliche Pflicht, § 20 V. O.50 Anders als noch das ALR verzichtete die V. O. jedoch darauf, genauste Vorschriften zur Führung der Vormundschaft aufzustellen und der Standpunkt des ALR wurde aufgegeben, dass das Gericht Einfluss auf Wohl und Wehe des Mündels nimmt.51 b) Die Obervormundschaft Wie schon zuvor stellte sich auch bei der Vormundschaftsordnung die Frage, wie weitgehend die Obervormundschaft des Staates ausgestaltet werden sollte. Obgleich, wie oben bereits dargelegt, die Vormünder eine neue Rolle erhielten, sollte die staatliche Aufsicht nicht gänzlich verloren gehen. Die Gerichte sollten jedoch künftig „für Vermeidung unfähiger Vormünder“ sorgen und beaufsichtigen, dass der Vormund „mit der Sorgfalt eines guten Hausvaters für die Person und die Vermögensangelegenheiten des ihm anvertrauten Mündels sorgt“ und im Zweifel bei Vernachlässigung einschreiten  – dies jedoch ausdrücklich nur bei Pflichtverletzung durch den Vormund und zunächst durch Beratung des Vormunds und erst zuletzt durch Ordnungsstrafen und Abberufung.52 „Übergriffe“ durch das Gericht wurden auch dadurch unterbunden, dass die Vormünder mit der V. O. ein weitreichendes Beschwerderecht gegen Entscheidungen des Gerichts erhielten, § 10 V. O.

47 Förster, Preußisches Privatrecht, Viertes Buch, 1893, S. 182; Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 16. 48 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 60. 49 König, Die Preußische Vormundschaftsordnung zum praktischen Gebrauch, S. 1. 50 König, Die Preußische Vormundschaftsordnung zum praktischen Gebrauch, S. 17. 51 Otte, Preußische Vormundschaftsordnung, 1876, S. 45 f. 52 Anton, Vormundschaftsordnung, S. 131 f.

II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung

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Neben die Vormundschaftsgerichte traten zudem neue Institute der Obervormundschaft, die gleichberechtigt mit den Vormundschaftsgerichten auftraten. Zum einen die sog. Waisenräthe (aa)) und zum anderen die sog. Familienräthe (bb)). aa) Der Waisenrath Waisenräthe waren bei der politischen Gemeinde als Hilfsorgane des Gerichts angesiedelt und hatten im Wesentlichen drei Funktionen, nämlich die Überwachung der ordnungsgemäßen Verpflegung und Erziehung der Mündel bei den Vormündern, die Unterstützung des Richters bei der Auswahl der Vormünder und die Ausübung der Aufsicht über die in ihren Bezirken lebenden Mündel, §§ 52 ff. V. O.53 Idee dessen war nicht nur, den Vormundschaftsrichter entsprechend zu entlasten, sondern vor allem auch der Gemeinde als kleinster Einheit im staatlichen Organismus zu ermöglichen, „die Mündel, welche ihnen angehören, zu tüchtigen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft“ zu erziehen.54 Die Waisenräthe wurden in Städten und Kommunen gewählt und in Gutsbezirken ernannt.55 Ihre Aufgabe bestand auch darin, die Lebensverhältnisse der Mündel zu überwachen und durch persönliche Anschauung schneller eingreifen zu können, als dies zuvor den Gerichten möglich war. Durch ihre örtliche Nähe zu den Vormündern war die Überzeugung groß, dass das leibliche und geistige Wohl besser überwacht werden könne. „Jenes Institut [sollte auch] nicht etwa ein selbstständiges Zwischenglied zwischen Staat und Vormund“ sein oder eine „Zweitheilung der obervormundschaftlichen Aufsicht“ herbeiführen, sondern der Waisenrath übernahm dort, wo er eingerichtet wurde, die Oberaufsicht des Gerichts.56 Dabei musste der Waisenrath nicht zwingend ein Kollegialorgan sein, sondern es war durchaus beabsichtigt, dass dies in Form einer einzigen Person, beispielsweise des Gemeindevorstehers, ausgeübt wurde.57 Auch der Familienrath entsprach bis dahin nicht der preußischen Rechtstradition, sondern war Ausfluss der Vereinheitlichung des Rechts und hier vor allem der Übernahme eines französischen Instituts.58

53

Otte, Preußische Vormundschaftsordnung, 1876, S. 63. Christiani, Das Amt des Vormundes, Gegenvormundes, Pflegers, Waisenrath’s in Preußen, S. 73. 55 Anton, Vormundschaftsordnung, S. 136. 56 Loewenstein, Vormundschaftsordnung, S. 71. 57 Loewenstein, Vormundschaftsordnung, S. 72. 58 Otte, Die Preußische Vormundschaftsordnung, 1876, S. 84. 54

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

bb) Der Familienrath Der Familienrath wurde zuvor von deutschen Gelehrten unterschiedlich bewertet und insbesondere von den Juristen aus dem Rheinbund stark befürwortet.59 Kritiker, vor allem aus Preußen, befürchteten hingegen, dass Angehörige befangen und nicht in der Lage seien, die Notwendigkeit für eine Vormundschaft zu begreifen und die Kontrolle über die Vormünder zwingend obrigkeitsstaatlich ausgeübt werden müsse.60 Die Debatte über den Familienrath ging einher mit der politisch geführten Diskussion um die Rechte des Bürgertums und den Kampf um die Selbstbestimmung des Individuums. Insbesondere im Institut des Familien­ raths zeigten sich dabei die konträren Auffassungen zwischen Code Civil und preußischem Vormundschaftsrecht. In den Rheinprovinzen kam es aufgrund der französischen Rechtstradition zur Spaltung über die Frage des Familienraths, als auch hier das preußische Recht eingeführt werden sollte.61 Einer der bekanntesten Befürworter des Familienraths war Dr. Carl Friedrich von Savigny, der schon 1828 auf eine Kritik von Dr. Burchard Wilhelm Pfeiffer erwiderte: „Der Familienrath des Code war bekanntlich das Stück desselben, worüber sich viele Deutsche Juristen vor Bewunderung gar nicht fassen konnten. Es ist daher sehr merkwürdig, daß hier […] aus Erfahrung die gänzliche Unbrauchbarkeit des Institutes bezeugt wird. Der eigene Vorschlag des Vfs. aber, ist so künstlich und zusammengesetzt, daß ich ihn für noch unausführbarer halte. Schwerlich wird dem Vormundschaftswesen anders gründlich geholfen werden können, als in Verbindung mit Entwicklungen unserer Communalverfassungen, die auch in jeder andern Rücksicht höchst wünschenwerth und nichts weniger als Luftschlösser sind.“62

Anders als in den rheinisch-französischen Provinzen und in Frankreich selbst sollte in der Vormundschaftsordnung von 1875 der Familienrath nicht zwingend Teil der Anordnung einer Vormundschaft sein und auch nicht durch einen sog. Friedensrichter abgehalten werden, sondern durch den Vormundschaftsrichter selbst, der auf Antrag des Vaters oder des Vormunds tätig wurde. §§ 71, 72 V. O.63 Angewendet wurde das Instrument insbesondere bei Fällen, in denen größerer Grundbesitz oder größeres Vermögen zu verwalten war. Insgesamt bestand der Familienrath neben dem Vormundschaftsrichter aus maximal sechs, mindestens zwei stimmberechtigten Mitgliedern der Familie, die mit Ausnahme der Mutter männ-

59

Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 120. Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 60. 61 Schubert, Rezension über Christoph Rachel, Die Diskussion um den französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 594. 62 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 176 f. 63 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 60. 60

II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung

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lich sein mussten.64 Der Familienrath hatte weitgehende Befugnisse. So bestimmte die Vormundschaftsordnung, dass der Rat die Rechte und Pflichten des Vormundschaftsrichters ausübt, namentlich die Berufung des Vormunds, die Bestellung, die Entlassung und die Einsetzung von Mitvormündern und die Verhängung von Ordnungsstrafen gegen Vormünder.65 4. Die Justizzentriertheit Was die neue Vormundschaftsordnung vollkommen offen ließ, war die Frage, in welchen Fällen überhaupt rechtlich Vormundschaft anzuordnen war, also wann beispielsweise jemand als geisteskrank oder als Verschwender galt.66 In einer Zeit, in der viel hinsichtlich der Übertragung der Kranken- und Armenfürsorge auf staatliche Institutionen debattiert wurde, war dies ein Problem. Gleichzeitig sollte immer mehr Verantwortung auf die Vormünder selbst übertragen werden, um die Justiz zu entlasten und die individuellen Freiheitsrechte zu stärken. In diesem Spannungsfeld stellte sich jedoch auch die Frage, auf welche Bereiche sich die Oberaufsicht der Gerichte beziehen sollte und wie flächendeckend eine Kontrolle über betroffene Personen gewährleistet werden könnte. Für die Einweisung in eine Heil- und Irrenanstalt war beispielsweise zunächst keine Voraussetzung, dass jemand unter gerichtlich angeordneter Vormundschaft stand. Aufgrund einer fehlenden Irrengesetzgebung im gesamten Deutschen Reich war die Einweisung in eine Anstalt zunächst meist abhängig von den unterschiedlichen Regelungen der Provinzial- und Länderverwaltungen.67 Für Preußen galten die königlichen Rescripte vom 29. September 1803 betreffend das polizeiliche und gerichtliche Verfahren in Beziehung auf Wahn- und Blödsinnige, vom 5. April 1804 betreffend der Aufnahme Gemütskranker in Heilanstalten, ergänzt am 25. November 1825, 16. Februar 1839 und 3. Februar 1840 und durch die Königlich Amtliche Verfügung vom 30. September 1864 betreffend der Aufnahme von Irren in Heil-, Pflege- und Bewahr-Anstalten. Bereits im ersten Erlass aus dem Jahr 1803 wurde dabei festgelegt, dass für die dauerhafte Aufnahme von Geisteskranken in den öffentlichen Anstalten Voraussetzung ist, dass der Betroffene für wahn- oder blödsinnig erklärt wird.68 Mit Erlass im Jahr 1839 wurde noch einmal konkretisiert, dass jedenfalls bei „bloß zur Heilung in eine Irrenanstalt aufgenommene Personen“ nicht notwendigerweise sofort das

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Otte, Die Preußische Vormundschaftsordnung, 1876, S. 85. Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 100 f.; Otte, Die Preußische Vormundschaftsordnung, 1876, S. 86. 66 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1886, S. 386. 67 Weber, Ueber die Frage eines Reichsirrengesetzes, S. 538. 68 Gräff, Ergänzungen und Erläuterungen der Preußischen Rechtsbücher, 1848, S. 106. 65

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

„Blödsinnigkeits-Verfahren“ durchlaufen müssen, jedoch die Aufnahme in eine Anstalt zwingend der Ortspolizei-Behörde oder dem zuständigen Gericht mitgeteilt werden muss.69 Der zuständige Richter hatte folglich „auf jede bei ihm eingehende Anzeige von der Aufnahme eines Geisteskranken in eine Irrenanstalt das Verfahren zu beaufsichtigen, die nöthige ärztliche Bescheinigung zu erfordern […], selbst wenn der Geisteskranke unter der Aufsicht des Vaters oder Ehemannes steht.“70

Selbiges galt auch für Personen, bei denen bereits eine Vormundschaft angeordnet war.71 Mit Inkrafttreten des Preußischen Strafgesetzbuches (StGB) im Jahr 1851 wurde in § 211 StGB a. F. geregelt, dass jedenfalls „eine widerrechtliche Freiheitsberaubung nicht vorhanden [ist], wenn die Fürsorge für einen Geisteskranken die Beschränkung seiner Freiheit nothwendig macht.“ Das Strafgesetzbuch regelte weiter, dass derjenige, der es versäumt, die Anzeige der Unterbringung eines Geistes­ kranken  der Polizeibehörde zu melden, mit Gefängnis oder Geldbuße zu be­ strafen sei. Erst mit Einführung der Zivilprozessordnung (ZPO) vom 30. 01. 1877 wurde dann die Frage, wann jemand geisteskrank ist, erstmalig einheitlich geklärt und dem Amtsgericht übertragen, § 593 ZPO a. F. Die Feststellung, dass jemand „geisteskrank, wahnsinnig, blödsinnig“ ist, führte zur Entmündigung, welche dann wiederum für viele Irrenanstalten zur Voraussetzung für eine Einweisung wurde.72 Der Antrag auf Entmündigung konnte wiederum „von dem Ehegatten, einem Verwandten oder dem Vormunde des zu Entmündigenden gestellt werden“, § 595 ZPO a. F. Der Weg über die ZPO war indes nicht unstreitig, da auch hier das Problem deutlich wurde, wo die Frage der Entmündigung, also ein wichtiger Aspekt der Vormundschaft, geregelt werden sollte. Das gemeine Rechte hatte die Entmündigung noch den Vormundschaftsbehörden und damit der freiwilligen Gerichtsbarkeit selbst übertragen, was sich jedoch schon vom preußischen und französischen Recht unterschied, wo es dem Zivilprozess zugewiesen wurde.73 Die neue ZPO übertrug nun zwar die Entmündigung dem Amtsrichter, § 593 f. ZPO a. F., der schon damals zugleich Vormundschaftsrichter war, gestaltete das Verfahren jedoch als sog. Offizialverfahren ohne Anwaltszwang aus, das durch Beschluss erledigt wurde, § 593 ZPO a. F. Dagegen konnte dann wiederum mit der Klage vorgegangen werden, § 605 ZPO a. F., was einen Unterschied zum gemeinen Recht (Beschwerde) darstellte. Die Klage wurde dann nach erfolgter mündlicher

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Gräff, Ergänzungen und Erläuterungen der Preußischen Rechtsbücher, 1848, S. 107. Gräff, Ergänzungen und Erläuterungen der Preußischen Rechtsbücher, 1848, S. 107. 71 Gräff, Ergänzungen und Erläuterungen der Preußischen Rechtsbücher, 1848, S. 108. 72 Vgl. bspw. Bekanntmachung der Königl. Regierung zu Düsseldorf vom 15. November 1870, betreff. die Unterbringung Geisteskranker (Amtsbl. Nr. 52, Nr. 1552, 1870). 73 Struckmann / Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, S. 659. 70

II. Die Irrenreform und Preußische Vormundschaftsordnung

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Verhandlung mit Anwaltszwang vor dem Landgericht verhandelt und endete mit einem Urteil, §§ 606, 613 ZPO a. F.74 Die Klage war sogleich gegen den Staatsanwalt zu richten, § 606 ZPO a. F., welcher auch bereits im Antrags- und Anfechtungsverfahren beteiligt war, was noch einmal deutlich macht, wie der Gedanke der obrigkeitsstaatlichen Kontrolle weiter bestehen blieb. Die ZPO betrat damit einen Mittelweg zwischen freiwilliger Gerichtsbarkeit (Antragsverfahren; Entmündigung / Aufhebung im Beschlusswege; Amtsermittlung) und zivilprozessualem Verfahren (Anfechtung der Entmündigung im Wege der Klage mit Anwaltszwang; Beibringungsgrundsatz der Parteien).75 Wichtigster Unterschied zwischen der ordentlichen zivilprozessualen Gerichtsbarkeit und der freiwilligen Gerichtsbarkeit war und ist, dass bei Letzterer von Amts wegen über die Sachverhalte zu befinden ist und nicht lediglich der Beibringungsgrundsatz der (streitigen) Parteien gilt, vgl. schon § 12 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898 und heute noch § 26 FamFG. Es offenbarte sich daher auch hier der bereits oben beschriebene innere Konflikt des neuen Rechts, da beim Verfahren über die Vormundschaft nun sowohl als auch galt. Denn wie Lehmann im Jahr 1948 treffend für das später geltende BGB beschreibt, vollzieht sich die „Fürsorgetätigkeit des Vormundschaftsgerichts in den Formen der freiwilligen Gerichtsbarkeit – also grundsätzlich nicht durch autoritative Entscheidung dessen, was Recht ist [wie im Zivilprozess], sondern durch Überwachung der vormundschaftlichen Verwaltung und Mitwirkung bei der Rechtsgestaltung, sei es durch Genehmigung von Rechtsgeschäften […], sei es durch Anordnung dessen, was geschehen soll […]“.76

Insofern war der Weg über die ZPO, wie zurecht von einigen beschrieben, ein Widerspruch.77 Das Verfahrensrecht begründete schwerpunktmäßig einen kontradiktorischen Prozess, der vor allem dem Schutz von Dritten diente. Zeitgleich versuchte das materielle Recht immer stärker auch den Fürsorgegedanken in den Mittelpunkt zu rücken.78 Aufgelöst wurde dieser Widerspruch erst mit der Abschaffung der Ent-

74

Struckmann / Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, S. 659. Struckmann / Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, S. 659. 76 Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 261; vgl. ebenso ­Habscheid, Zum Streitverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, JZ 1954, 689, S. 689. 77 Weinriefer spricht daher auch von „Mißtrauen und Vorsicht“, die den Gesetzgeber bewogen hätten, die Entmündigung der streitigen und nicht der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuweisen: „Die ‚schützenden Formen des Civilprozesses‘ sollten die Rechte des zu Entmündigenden ‚gegen Chikane und Eigennutz‘ sichern“ und „für den Gesetzgeber war die Entmündigung in erster Linie Verlust der bürgerlichen Selbständigkeit und nicht Fürsorge für Kranke. Der Charakter des Eingriffs und das Bestreben, vor ihm zu schützen, hätten deshalb das Verfahren geprägt“. Weinriefer, Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche, S. 18. 78 Weinriefer, Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche, S. 18. 75

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

mündigung und der Bereinigung der ZPO im Jahr 1992, deren Ziel es unter anderem war, das Nebeneinander von ZPO- und FGG-Verfahren zu beenden.79 Der Reformgesetzgeber beschrieb dann auch selbstkritisch, dass das ZPO-Verfahren über Jahrzehnte hinweg „auf streitige Verfahren und nicht auf Verfahren der Rechtsfürsorge zugeschnitten“ war, „demgegenüber [sei] das FGG-Verfahrensrecht einfacher, elastischer und flexibler. Es [gebe] dem Gericht eine größere Gestaltungsmöglichkeit, um auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls einzugehen“.80

III. Das Bürgerliche Gesetzbuch Auch das materielle Recht in Gestalt des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) litt und leidet in diesem Sinne unter einem Geburtsfehler. Der eigene Anspruch zur Zeit der Entstehung, die Materien des Bürgerlichen Gesetzbuches auch sämtlich dem bürgerlichen Recht zuzuschreiben und dann auch konsequenterweise den Zivilgerichten zuzuordnen, passte nicht zur teilweisen öffentlich-rechtlich geprägten Ausgestaltung, insbesondere des Familienrechts.81 Vernichtend kommt daher beispielsweise der Jurist und spätere Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt, Dr. Wilhelm Glässing, im Jahr 1901 zu der Erkenntnis: „So herrscht auch heute die Centralisation der Staatsgewalt in einem Gebiete, in dem naturgemäss der Familie das Vorrecht gebührt. Diese Ausmerzung der familienrechtlichen Elemente kennzeichnet sich in der Anlehnung an das preuss. Landrecht, in der Beseitigung des nach § 71 der preuss. V.-O. obligatorischen Familienrates, in der Entfernung der gesetzlichen Vormundschaft der Eltern und des Vaters der unehelichen Mutter und nicht zum geringsten Teil in einer auffallenden Abschwächung des Elternrechtes insbesondere im Gebiete der väterlichen Gewalt […]“82

Auch Dr. Otto von Gierke bescheinigte dem neuen Recht dahingehend einen Widerspruch, dass das BGB zwar stärker familienrechtliche Elemente berücksichtige als dies zuvor der Fall gewesen sei, jedoch durch zahlreiche obrigkeitsstaatliche Elemente der Vormund doch zu einem öffentlichen Amt werde und damit die Selbständigkeit der Vormünder beschränke.83

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BT-Drs.: 11/4528, S. 168. BT-Drs.: 11/4528, S. 88 f. 81 Glässing, Die öffentlich-rechtliche Natur des neuen deutschen Vormundschaftsrechtes, AdÖR 1901, S. 426 unter Verweis auf Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 1, Einleitung, Allgemeiner Theil, § 7, S. 30. 82 Glässing, Die öffentlich-rechtliche Natur des neuen deutschen Vormundschaftsrechtes, AdÖR 1901, S. 430. 83 v. Gierke, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 491. 80

III. Das Bürgerliche Gesetzbuch 

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1. Die Vereinheitlichung des Rechts Gleichermaßen war die Intention der Verfasser des BGB im Zusammenhang mit den vormundschaftsrechtlichen Vorschriften eine andere. Man versuchte, einen Spagat zwischen unterschiedlichen Rechtssystemen zu schaffen und kam dabei vor allem bei der Verortung der Obervormundschaft in einen Konflikt. Die Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871 vereinte nicht nur die zuvor zersplitterten Länder und Provinzen des heutigen Deutschlands, sondern setzte auch im Recht eine Dynamik in Gang, die eine Vereinheitlichung bewirkte. Maßgebliches Beispiel für diese Entwicklung ist das im Jahr 1896 beschlossene und verkündete Bürgerliche Gesetzbuch des Deutschen Reichs (BGB), welches am 1. Januar 1900 in Kraft trat. Insbesondere das ALR war zuvor in Verruf geraten und entsprach nicht mehr dem Zeitgeist. Die Verfasser des BGB waren der Auffassung, dass dieses im Zusammenhang mit dem Vormundschaftsrecht „zu einer drückenden, die Energie und Zweckmäßigkeit der Verwaltung hemmenden Fessel geworden sei“.84 2. Die Obervormundschaft Die Erfahrung mit der Obervormundschaft im Sinne des ALR hätte gezeigt, dass sich die Ausdehnung der Befugnisse der zuständigen Gerichte nachteilig ausgewirkt hätten. Die „Bevormundung der Vormünder durch die Gerichte und die dadurch verursachte Schwerfälligkeit der Verwaltung, auf welche letztere namentlich die vermögensrechtliche Verantwortlichkeit des Richters hinwirkte, sowie die Überlastung der Gerichte und die damit für die Staatskasse verbundenen Kosten“

wurden als schwere Mängel empfunden.85 Das von der liberal-individualistischen und zugleich Werte-konservativen Mehrheit des Reichstags ausgearbeitete und beschlossene BGB bekannte sich daher stärker als noch das ALR zum Vorrang der Familienpflege und formulierte bereits in seinen Motiven, dass „[…] der organisierten Familie als solcher einen maßgebenden Einfluss auf das Vormundschaftswesen zu geben, ist an sich ein so natürlicher und auf den ersten Blick bestechender […]“.86 84 Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich, Abschnitt 2, 3, Vorlage des Redaktors, 1880, § 3, S. 1941. 85 Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich, Abschnitt 2, 3, Vorlage des Redaktors, 1880, § 2, S. 1939. 86 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1018; Gestrich, Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert, S. 34 f., 47.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Das Recht der Erwachsenenfürsorge wurde dabei maßgeblich von der Preußischen Vormundschaftsordnung aus dem Jahr 1875 geprägt.87 Es bestand die Übereinkunft, dass sich diese bewährt habe und der maßgebliche Verdienst der Ordnung, die Angleichung der unterschiedlichen Rechtssysteme der preußischen Provinzen, zeitgemäß der Rechtsfortbildung Rechnung trug.88 Gleichzeitig musste man jedoch auch hier feststellen, dass eine zu starke selbständige Stellung des Vormunds die Gefahr verstärkte, dass insbesondere das Mündelvermögen nicht lediglich zugunsten des Betroffenen eingesetzt wurde, sodass das BGB durchaus an der Aufsicht und Überwachungsfunktion der (Amts-) Gerichte festhielt und stärker als die V. O. von Genehmigungserfordernissen und Möglichkeiten der amtlichen Hinterlegung Gebrauch machte, § 1822 BGB a. F.89 Strittig blieb, ob die Gerichte hier – alleinig – richtiger Ansprechpartner für die Belange rund um die Vormundschaft sein sollten. Vor allem der Einfluss der Gemeinden wurde diskutiert. So sprach sich beispielsweise schon der 12. Deutsche Juristentag im Jahr 1875 dafür aus, dass bei allen Vormundschaften eine Unterstützung des Vormundschaftsrichters wünschenswert sei und die bisher schon existierenden Gemeindewaisenräthe die unmittelbare Aufsicht über die persönlichen Verhältnisse der Mündel führen sollten.90 Gänzlich wollten die Verfasser des BGB jedoch nicht auf die Gerichte verzichten bzw. den Gemeinden die Obervormundschaft übertragen. Zu groß waren die Bedenken und das Misstrauen hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten der Gemeindeverwaltungen, insbesondere auch wegen der unterschiedlichen Größen und Strukturen in einem erst zusammenwachsenden Deutschen Reich.91 Ein Volljähriger erhielt nach dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich einen Vormund, wenn er entmündigt wurde, § 6 BGB a. F.92 Die Entmündigung war Aufgabe des zuständigen Amtsgerichts in Form des Vormundschaftsgerichts und zivilprozessual geregelt, §§ 645 ff. ZPO a. F. Der Familie des Betroffenen kam jedoch gem. § 1899 BGB a. F. ein besonderer Vorrang bei der Ernennung zum Vormund zu, sodass zunächst der Ehegatte, der eheliche Vater des Mündels, die eheliche Mutter des Mündels, der Großvater väterlicherseits oder der Großvater mütterlicherseits zu bestellen waren.93 87

Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1008. 528. Sitzung der BGB-Kommission vom 08. 03. 1886 in Jakobs / Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, S. 851; Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 128. 89 Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, IV. Band, S. 534. 90 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1017. 91 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1016. 92 Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1901, S. 635. 93 Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1901, S. 637. 88

III. Das Bürgerliche Gesetzbuch 

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Bei Minderjährigen, § 1776 BGB a. F., wurden als Vormünder in nachstehender Reihenfolge berufen: „1. wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist; 2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist; 3. der Großvater des Mündels von väterlicher Seite; 4. der Großvater des Mündels von mütterlicher Seite […]“.

Gemäß § 1901 Abs. 1 BGB a. F. musste der Vormund jetzt auch einem bestimmten Zweck dienen, einem Bestellungsgrund, der sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren hatte.94 In der Regel war der Zweck die gesetzliche Vertretung in den persönlichen Angelegenheiten des Mündels.95 Anknüpfungspunkt für die Personensorge war der Entmündigungsgrund, welcher vom Amtsgericht zuvor festzulegen und durch ein ärztliches Gutachten zu verifizieren war. Unterschieden wurde in aller Regel zwischen dem Schutz vor Selbstschädigung des Betroffenen, Schutz von wirtschaftlichen Interessen des Mündels, aber auch der Familie, und Schutz der Allgemeinheit.96 Für die Frage der Unterbringung in eine Heilanstalt sollte der Vormund die Befugnis haben, im Rahmen der ihm übertragenen Vertretung in Fragen der Pflege, Heilung, Beaufsichtigung sowie Sicherheits- und Integrationsmaßnahmen den Aufenthaltsort des Betroffenen zu bestimmen und mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts den Betroffenen in eine Heilanstalt einzuweisen.97 In der Frage der Einbeziehung der Familie behielt das BGB im Wesentlichen die im Vergleich zum französischen Vorbild begrenzte Ausgestaltung der Preußischen Vormundschaftsordnung bei. Im Ergebnis zeigte sich jedoch, dass beispielsweise der Familienrath in Preußen nicht angenommen wurde. Mit Außerkrafttreten der Preußischen Vormundschaftsordnung im Jahr 1900 gab es nur noch gut 107 Vormundschaften, bei denen ein Familienrath eingerichtet war, sodass die Verfasser des BGB davon ausgingen, dass es sich ohnehin nur um ein auslaufendes Modell handeln würde.98 Man entschied sich nichtsdestotrotz zur Übernahme eines – angepassten – Rats der Familie. Nach § 1905 BGB a. F. i. V. m. § 1859 Abs. 1 BGB a. F. konnte der Rat von einem Verwandten, Verschwägerten, dem Vormund oder dem Gegenvormund beantragt werden. Eine Pflicht zur Einsetzung auf Verlangen der Angehörigen wie

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Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 131. Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1901, S. 638. 96 Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 134, 153. 97 Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 132; Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1901, S. 638. 98 Schubert, Rezension über Christoph Rachel, Die Diskussion um den französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert, S. 595. 95

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

noch in der V. O. gab es nicht mehr. Eingesetzt wurde er nur, wenn das Vormundschaftsgericht dies nach eigenem Ermessen im Interesse des Mündels als angemessen erachtete.99 Auch wurde die im preußischen Recht noch bestehende formale Pflicht des Vormundschaftsgerichts abgeschafft, der Familie unter gewissen Umständen die Möglichkeit einer gutachterlichen Stellungnahme in Fragen der Vormundschaft einzuräumen, § 55 V. O.100 Für die Verfasser des BGB war der Familienrath nicht unumstritten, sodass man sich ausführlich damit beschäftigte. Man kam jedoch im Ergebnis zu dem Schluss, dass die „Lichtseiten des französischen Systems von dessen Schattenseiten überwogen werden.“101 Weiter heißt es aber zur verpflichtenden Einführung eines solchen Gremiums in das BGB, dass der „an sich gesunde Gedanke eines Familienorganes […] nicht durchzuführen [sei]“.102 Begründet wird dies zum einen mit den Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung, die dazu führten, dass das Mündel oftmals gar keine Verwandten an seinem Wohnort habe.103 Weiter bestehe bei einem solchen Familienorgan vielfach nicht die Gewähr dafür, dass die Verwaltung des Mündels sachgemäß und lediglich in seinem Interesse geführt werde. Die besondere Sachkenntnis der Familie über die Wünsche und Verhältnisse des Betroffenen rechtfertigten nicht solch ein formales, aufwendiges und kostenintensives Gremium, welches vor allem unter den Gesichtspunkten der Befangenheit zweifelhaft schien.104 Man entschied sich deshalb vor allem nur aus dem Anspruch der Universalität des neuen Rechts, den Familienrath als fakultatives Gremium zu erhalten. Im Ergebnis ging damit der wesentliche Teil der Obervormundschaft zu den Gerichten. Die Obervormundschaft wurde dahingehend noch verstetigt, dass künftig sämtliche Vormünder von den Gerichten zu bestellen waren. Das sog. Bestellungsprinzip war insbesondere bei Familienangehörigen eine Abkehr von der bisherigen Rechtspraxis der V. O., bei der teilweise ipso iure die Vormundschaft errichtet wurde und sogleich eine Bezugnahme auf die Vorschriften des ALR.105

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Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1022. Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1022. 101 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1018. 102 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1018. 103 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1018. 104 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1019. 105 528. Sitzung der BGB-Kommission vom 08. 03. 1886 in Jakobs / Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, S. 850. 100

III. Das Bürgerliche Gesetzbuch 

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3. Die Stellvertretung a) Die ersetzende Entscheidung Wie angedeutet, enthält Vormundschaft seit jeher gleichermaßen Elemente der Fürsorge (4.) als auch der Vertretung schutzbedürftiger Personen. Das Instrument soll bei Minderjährigen die fehlende elterliche Sorge und bei Erwachsenen die fehlende (rechtliche) Selbständigkeit ersetzen.106 Sowohl der Gedanke der Stellvertretung als auch die damit einhergehende Vertretungsmacht über die Rechtsgeschäfte eines Dritten sind für den Gesetzgeber des BGB „Wesensmerkmal[e] der Betreuung“107 und seit der frühen Neuzeit und teilweise bis in das Mittelalter zurückreichende Tradition der Vormundschaft.108 Die Anordnung der Vormundschaft für Volljährige im BGB stellte bereits seit dem ersten Entwurf nicht lediglich darauf ab, ob die betroffenen Personen durch ihr Gebrechen an der Besorgung ihrer Rechtsangelegenheiten gehindert sind, sondern allein, ob sie überhaupt die Besorgung ihrer Angelegenheiten leisten können. Nach der dort vertretenen Auffassung sei „der Ausdruck ‚Rechtsangelegenheiten‘ […] zu eng, da auch die tathsächliche Fürsorge für die Person des Gebrechlichen in Betracht kommt.“109 Nach der Überzeugung der Verfasser des BGB sollte der Vormund selbständig die Pflicht, aber auch das Recht haben, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen, insbesondere sollte ihm die „unbeschränkte Vertretungsmacht in Ansehung des Mündels zustehen“.110 Da mit den Regelungen zur Vormundschaft spätestens seit Inkrafttreten des BGB bis zur Reform im Jahr 1992 die Entmündigung nach § 6 BGB a. F. i. V. m. § 645 ff. ZPO a. F. einherging, wurde mit der Anordnung entweder die vollkommene Geschäftsunfähigkeit gem. § 104 Abs. 1 Nr. 3 BGB a. F. oder die beschränkte Geschäftsfähigkeit gem. § 114 BGB a. F. bewirkt. Dem Mündel wurden dann im schlimmsten Fall das Wahlrecht, die Testierfähigkeit sowie das Recht zur Ehe aberkannt und versagt, Geschäfte des täglichen Lebens rechtswirksam zu vollziehen.111 Die Geschäftsunfähigkeit erstreckte sich in der Regel auf alle Lebensbereiche. Selbst wenn ein Geschäftsunfähiger lediglich wegen Geistesschwäche,

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Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 233. Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 233. 108 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1902, Rn. 4, mit Verw. a.: v. Sachsen ­Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, S. 136. 109 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1233. 110 528. Sitzung der BGB-Kommission vom 08. 03. 1886 in Jakobs / Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, S. 850. 111 Taupitz, JuS 1992, 9, S. 9. 107

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Verschwendung, Trunksucht oder Rauschgiftsucht entmündigt wurde, blieb die allumfassende „natürliche Geschäftsunfähigkeit“ bestehen. Wie der Gesetzgeber bei Abschaffung der Entmündigung konstatierte, stärkte die Entmündigung „also nicht die Rechte des Betroffenen, selbst am Rechtsverkehr teilzunehmen.“,112 weshalb vielfach in diesem Zusammenhang von einer bloßen „Entrechtung“ gesprochen wird.113 Mit der Kopplung der Vormundschaft an die Entmündigung griff das BGB maßgeblich eine Intention der alten preußischen Legislatur auf, die, wie oben gezeigt, ebenfalls schon früh voraussetzte, dass ein „Wahn- oder Blödsinnigkeitsverfahren“ eingeleitet werden musste, um beispielsweise in eine Heil- oder Pflegeanstalt vermittelt zu werden, jedenfalls aber ein administratives Entmündigungsverfahren zu (absoluter) Rechtssicherheit führen sollte.114 In Anlehnung an die Grundprinzipien der Stellvertretung des BGB war die Vertretungsmacht des Vormunds seit jeher grundsätzlich nach außen hin unbeschränkt, § 164 BGB, und orientierte sich auch sonst maßgeblich an den Regelungen des Vertretungsrechts.115 Ausnahmen hiervon waren im BGB jeweils vereinzelt, vor allem für höchstpersönliche Rechtsgeschäfte, geregelt oder vor allem bei Vermögens­ interessen mit einem Genehmigungserfordernis des Gerichts unterlegt.116 Dies bringt auch den rechtlichen Charakter der deutschen Vormundschaft des BGB zum Ausdruck: Es war und ist als ein Instrumentarium des Privatrechts angelegt, in dem die Entscheidung durch einen anderen als die vertretene Person getroffen, ja ersetzt wird, um so im Idealfall den Betroffenen vor (rechtlichen) Nachteilen für sich selbst oder andere zu schützen. Hintergrund ist zumeist das Interesse des Rechtsverkehrs an einem geordneten, ohne die Sorge einer späteren Anfechtung wegen Unwirksamkeit vonstatten gehenden Geschäftsverkehrs. Wie auch schon zu Beginn dieser Bearbeitung aufgezeigt, war die Vermögenssorge seit jeher ein Grundbedürfnis, welches das Vormundschaftsrecht lösen sollte.117 Hierfür lag die Verknüpfung mit dem privatrechtlichen Stellvertretungsrecht nahe, obgleich insbesondere das Verhältnis zur öffentlichen Fürsorge dadurch unklar bleibt. Denn wenn ein Bürger die Vormundschaft über einen anderen Bürger zum Zwecke der (Wieder-)Herstellung der Geschäftsfähigkeit ausübt, um im Zweifel sogar seine eigenen Rechtsgeschäfte mit ihm zu ermöglichen, kann der Gedanke der (öffentlichen) Fürsorge unter Umständen nur 112

BT-Drs.: 11/4528, S. 39. BT-Drs.: 11/4528, S. 119. 114 Gräff, Ergänzungen und Erläuterungen der Preußischen Rechtsbücher, 1848, S. 106. 115 Jatzow, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, § 1694, S. 1084; Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1901, S. 534. 116 Jatzow, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, § 1694, S. 1084; Planck, Bürgerliches Gesetzbuch, 1901, S. 534. 117 Vgl. schon B. I. 1., vgl. S. 19. 113

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zur Makulatur werden. Seit langem ist daher der Umfang der (Rechts-)Macht des Vertreters gegenüber dem Vertretenen streitig. Aufgrund eines schleichenden Paradigmenwechsels im Umgang mit Betroffenen wurde deshalb auch schon frühzeitig die Entmündigung im deutschen Zivilrecht als ein zu großer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht verstanden und auf ein anderes im BGB begründetes Instrument zurückgegriffen.118 b) Die Gebrechlichkeitspflege Neben der Vormundschaft wurde im Jahr 1900 noch ein weiteres Rechtsinstitut in das neue BGB eingefügt, die sog. Gebrechlichkeitspflege, welche ebenfalls auf das Preußische Recht zurückging.119 Im Unterschied zur Vormundschaft blieb die Geschäftsfähigkeit erhalten und es gab Aufgabenkreise des Pflegers, die angeordnet wurden.120 Die Gebrechlichkeitspflegschaft war im Unterschied zur Vormundschaft grundsätzlich ein freiwilliges Instrument, welches ein Erwachsener in Anspruch nehmen konnte, wenn er Hilfe brauchte, § 1910 BGB a. F. Bei Geschäftsunfähigkeit hingegen konnte auch die Pflegschaft zwangsweise angeordnet werden, was jedoch in der Regel nicht zur Entmündigung führte und daher in der Rechtspraxis des BGB a. F. vermehrt Anwendung fand.121 Das auch deshalb, weil das Verhältnis beider nebeneinanderstehender Institute seit Bestehen des BGB nicht eindeutig war.122 Eine Vormundschaft über Volljährige konnte unter anderem wegen einer Geisteskrankheit, aber auch wegen einer Geistesschwäche angeordnet werden, vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB a. F. Die Gebrechlichkeitspflege war gem. § 1910 Abs. 2 BGB a. F. bei geistigen Gebrechen möglich. Die Abgrenzung von „Geistesschwäche“ und „geistigen Gebrechen“ bereitete große Schwierigkeiten.123 Dies verschärfte sich noch einmal und öffnete Tür und Tor für die Gebrechlichkeitspflege als Ersatzinstrumentarium für die ungeliebte Vormundschaft über Volljährige als das Bundesverfassungsgericht die bereits praktizierte Auffassung bestätigte, dass auch die Gebrechlichkeitspflege gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden könne, wenn sich der Betroffene zwar eigentlich noch verständigen könne, aber die Voraussetzungen der Entmündigung vorlägen, sog. Zwangspflegschaft.124 118

Zimmermann, NJW 1991, 538, S. 539. Sorg, Geschichtliche Entwicklung des Betreuungsrechts, S. 1; BeckOGK BGB / SchmidtRecla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 33. 120 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 35. 121 Damrau / Zimmermann, Betreuungsrecht, 4. Aufl., Vor. §§ 1896–1908k, Rn. 2. 122 Holzhauer, FuR 1990, 249, S. 249. 123 Holzhauer, FuR 1990, 249, S. 250. 124 BVerfG, NJW 1965, S. 2051; vgl. auch BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 36.2. 119

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Eigentlich setzte die Gebrechlichkeitspflege nämlich gem. § 1910 Abs. 3 BGB a. F. voraus, dass die Anordnung gegen den Willen eines Betroffenen nur möglich sei, wenn eine Verständigung mit dem Betroffenen gänzlich unmöglich geworden ist. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte hier jedoch die sehr weite Auslegung der „Verständigung“ in der Zwangspflegschaft und stärkte damit zugleich die Gebrechlichkeitspflege als milderes Mittel zur Vormundschaft. Anders als die Vormundschaft über Volljährige führte die Gebrechlichkeitspflegschaft schließlich nicht zur Totalentmündigung nach § 104 BGB a. F. und hatte den Vorteil, dass auch nur einzelne Kreise bestimmt werden konnten, für die der Betroffene einen Pfleger erhielt, § 1910 Abs. 2 BGB a. F.125 Nichtdestotrotz war es eine gänzlich unbefriedigende Lage, da mit der Erweiterung des Instruments der Gebrechlichkeitspflegschaft auch eine sog. Totalpflegschaft einhergehen konnte, die aber nicht die prozessualen Schutzinstrumente der Entmündigung, vor allem auch nicht gegenüber dem Betreuer bzw. dem Pfleger, kannte.126 Wesentliche Teile der ehemaligen Gebrechlichkeitspflege dienten dann als Vorbild für das neue Betreuungsrecht ab dem Jahr 1992. c) Die Notwendigkeit der Vertretungsmacht Mit der Einführung des Betreuungsrechts im Jahr 1992 schuf der Gesetzgeber eine neue Regelung, welche die rechtliche Vertretung noch einmal stärker in den Mittelpunkt stellen sollte, § 1902 BGB a. F. Dies unter anderem auch um die Figur des „staatlich bestellten Bevollmächtigten“ abzulösen, welcher bis dato für die Gebrechlichkeitspflege galt.127 § 1902 BGB a. F. regelte nun, dass der Betreuer in seinem jeweiligen Aufgabenkreis, den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Bei der Reform zu diesem Punkt wurde besonders kontrovers darüber diskutiert, ob es nicht eigentlich auch eine Vormundschaft unterhalb der Schwelle der gesetzlichen Vertretung geben müsste, wie sie jedenfalls mit der Gebrechlichkeitspflege für geschäftsfähige Betroffene bis zur Reform des Jahres 1992 möglich war. Der Gesetzgeber verneinte dies in aller Deutlichkeit, als er in seiner Gesetzes­ begründung zur Frage von sog. „leichten Fälle[n]“ ausführte, dass es sich nicht empfehle, einen „Betreuer ohne Rechtsmacht […] oder lediglich die vormundschaftsgerichtliche Bestätigung eines Betreuungsvertrages und der darauf beruhenden Bevollmächtigung vorzusehen“.128

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BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 34 ff. BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 34 ff. 127 BT-Drs.: 11/4528, S. 135. 128 BT-Drs.: 11/4528, S. 59. 126

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Er erkennt damit auch unverhohlen an, dass „die Bestellung eines Betreuers […] deshalb trotz ihres Charakters als staatliche Hilfe stets mit einer Einschränkung für den Betreuten verbunden [ist]“129 und offensichtlich auch sein soll. Die damit einhergehende „Einheitsbetreuung“, unterschiedslos für alle Betroffenen, blieb nicht widerspruchslos. So wurden schon im Rahmen des 57. Deutschen Juristentags im Jahr 1988 Zweifel daran laut, ob die Figur der einheitlichen gesetzlichen Vertretung zielführend sei, da damit die Gefahr einhergehe, dass unterhalb der Schwelle der Betreuung kein hinreichendes Instrument zur Verfügung stehe, welches solchen „leichten“ Fällen – ohne die ersetzende oder auch nur konkurrierende Vertretungsmacht – Hilfe zugutekommen ließ.130 Wenn hier von „leichten Fällen“ die Rede ist, wurde vor allem auf Personen in Grenzsituationen abgestellt, beispielsweise zwischen Lern- und geistiger Behinderung.131 Es wurde argumentiert, dass der Gesetzgeber keinen Anlass haben sollte, dieser Gruppe von Betroffenen eine Möglichkeit der vertretungslosen Betreuung zu verwehren, zumal mit der Vertretung nach außen immer auch eine Vertretung nach innen einhergehe, was nicht in allen Fällen dem Betroffenen gerecht werde und wogegen diese sich oftmals gar nicht zur Wehr setzen könnten.132 Bei diesen Betroffenen erschien das gewählte Konstrukt auch deshalb schwierig, da nach dem System des BGB trotz Bestellung eines Betreuers die Handlungsfähigkeit des Betreuten erhalten blieb (sog. „Doppelkompetenz“) und daher dem Rechtsverkehr insofern sowieso nicht zu mehr Rechtssicherheit verholfen wurde. Ein hausgemachter Konflikt des Rechts zwischen vermeintlicher Selbstbestimmung des Betroffenen und dem Wunsch nach einem verlässlichen Geschäftsverkehr wurde deutlich. Der Gesetzgeber wähnte sich wegen § 1896 Abs. 2 BGB a. F. in Sicherheit. Die Stärkung des Grundsatzes der Erforderlichkeit sollte Missbrauch verhindern.133 Ein geduldiger Papiertiger, wie sich später noch herausstellen sollte. Wie vollkommen zurecht vereinzelt kokettiert, ist dieses Verabsolutieren von Vertretungsmacht und die Idee der Doppelkompetenz bei geschäftsfähigen betreuten Personen im BGB rechtlich schwer bis gar nicht begründbar.134 Es gäbe keinen rechtlich überzeugenden Grund, eine geschäftsfähige Person an den Willen eines gerichtlich bestellten, gesetzlichen Vertreters zu binden. Außer eben man macht nicht die Fürsorge zum ersten Gebot des Vormundschaftsrechts, sondern die Interessen des Rechts- und Geschäftsverkehrs, was dann ggf. auch der Verortung des Rechtsgebiets im BGB entspricht. 129

BT-Drs.: 11/4528, S. 59. Dieckmann, JZ 1988, 789, S. 797. 131 Holzhauer, Gutachten Neuordnung Entmündigungsrecht, B 72, Ziff. 11.3. 132 Holzhauer, Gutachten Neuordnung Entmündigungsrecht, B 72, Ziff. 11.3. 133 BT-Drs.: 11/4528, S. 59. 134 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1902, Rn. 28. 130

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Richtigerweise wurde dann auch schon im Vorfeld der „Jahrhundertreform“ des Jahres 1992 gefragt, warum zum Beispiel bei körperlich Behinderten, die zwar geschäftsfähig sind, aber der rechtlichen Unterstützung bedürfen, ein gesetzlicher Vertreter notwendig sein soll. Auch erschließe sich nicht, warum ein Geschäftsfähiger dann nicht jeden anderen, aber auch den Betreuer selbst vollumfänglich bevollmächtigen kann.135 Das ist, wie überzeugend dargelegt wurde, insbesondere für diese Grenzfälle ein klarer Verstoß gegen den vom Gesetzgeber so hochgehaltenen Erforderlichkeitsgrundsatz.136 Damit einherging die Frage, inwieweit bei Ausübung der Vormundschaft der Wille der Betroffenen oder des Vormundes Vorzug genießen sollte. Vor Einführung des Betreuungsrechts war jedenfalls die Auffassung herrschend, dass bei der Vormundschaft grundsätzlich der Wille des Vormunds Vorrang haben soll, obgleich das Wohl des Betroffenen leitend war.137 Für die Gebrechlichkeitspflegschaft hingegen galt dies nur, wenn der Pflegling geschäftsunfähig ist; andernfalls kam dem Willen des Pfleglings der Vorrang zu.138 d) Die UN-Behindertenrechtskonvention Wie oben dargestellt, hatte die Anordnung einer Betreuung seit jeher zur Folge, dass neben dem Betreuten auch der Betreuer als Vertreter für ihn zum rechtlichen Handeln ermächtigt war, § 1902 BGB a. F., nunmehr § 1823 BGB – in dem es lediglich heißt, dass der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich „vertreten kann“ und nicht mehr „vertritt“. Im Jahr 2009 hat die Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert und zum Anlass genommen, zumindest Ansätze im Betreuungsrecht durch das dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2010 anzupassen. Größte Errungenschaft war damals die Patientenverfügung. Ein Jahrzehnt nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention sind jedoch immer noch einige Aspekte des deutschen Betreuungsrechts nicht gänzlich an die Konvention angeglichen worden. So hieß es beim Diskussionsauftakt zum neuen Reformvorhaben des Betreuungsrechts am 20. Juni 2018 von der zuständigen Staatssekretärin im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz Christine Wirtz immer noch: „Ein übergeordnetes Ziel des vor uns liegenden Reformprozesses muss nun die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie der Betroffenen sein, so wie es auch die

135

Schwab, Referat Neuordnung Entmündigungsrecht, K 13. Schwab, Referat Neuordnung Entmündigungsrecht, K 13. 137 BT-Drs.: 11/4528, S. 40. 138 BT-Drs.: 11/4528, S. 40. 136

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UN-Behindertenrechtskommission vorsieht. Das gilt für das Vorfeld und innerhalb der rechtlichen Betreuung.“139

Art. 12 der Konvention formuliert nämlich in seinem Abs. 3, dass „[die] Vertragsstaaten […] geeignete Maßnahmen [treffen], um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen.“

Bei Betrachtung des deutschen Rechts wird dabei angeführt, dass die gesetzliche Vertretung gem. § 1902 BGB a. F. bzw. nunmehr § 1823 BGB keine bloße Unterstützung für den Betroffenen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention darstelle, sondern weiterhin eine tatsächliche Entrechtung sei.140 Das dem deutschen Betreuungsrecht zugrundeliegende Stellvertretungsrecht bedeute nun mal das abschließende Tätigwerden für einen anderen in dessen Wirkungskreis.141 Dies konsequent weiter gedacht, führt dann auch dazu, dass der gesetzliche Betreuer in Deutschland eine sehr starke Stellung einnimmt, die den Prinzipien des Stellvertretungsrechts geschuldet ist. Nach § 164 Abs. 1 BGB wirkt die Willenserklärung des Vertreters im Außenverhältnis unmittelbar für den Vertretenen, d. h. die Rechtsfolge tritt unmittelbar für den Vertretenen ein. Auch wenn bei der Stellvertretung im Innenverhältnis sowohl nach den allgemeinen Grundsätzen des § 164 Abs. 1 BGB, aber auch im Betreuungsrecht nach § 1821 Abs. 1 und 2 BGB und zuvor § 1901 Abs. 2 und 3 BGB a. F. der Vertreter bzw. der Betreuer jeweils nur im Rahmen seiner Vertretungsmacht bzw. nach den Wünschen, bisher Wohl, des Betroffenen tätig werden soll, bleibt die Willenserklärung zulasten des Vertretenen bestehen. Lediglich im Innenverhältnis kann dann eine Haftung gem. § 179 BGB und bei einem Betreuer die Entlassung gem. § 1868 Abs. 1 BGB bzw. § 1908b Abs. 1 BGB a. F. stehen. Dies scheint jedoch sehr unwahrscheinlich. Das deutsche Betreuungsrecht wurde daher in diesem Aspekt als nicht vereinbar mit der Konvention erachtet.142 Ob es die neuen Regelungen seit dem 1. Januar 2023 sind, ist fraglich. Das Deutsche Institut für Menschenrechte bezweifelt es bereits, da der Betreuer auch weiterhin rechtswirksam Entscheidungen für den Betroffenen treffen könne, gegebenenfalls mit Genehmigung des Gerichts. Im Sinne der UN­BRK solle jedoch ihrer Auffassung nach kein Dritter Entscheidungen für jemanden treffen können, es sei denn, die betroffene Person bevollmächtigt jemanden.143 139 Pressemitteilung BMJV: Diskussionsprozess „Selbstbestimmung und Qualität im Betreuungsrecht“ hat begonnen, Stand: 20. 06. 2018, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Archiv/DE/Pressemitteilungen/2018/062018_Betreuungsrecht.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 140 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1902, Rn. 3.1. 141 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1902, Rn. 3.1. 142 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1902, Rn. 3.1.; Menschen und Rechte – Behindertenrechtskonvention und Betreuung / Aichele, Zur Auslegung von Artikel 12 UN-BRK, S. 54; siehe mit weiteren Nennungen auch: Deinert / Welti / Beetz, SWK Behindertenrecht, Betreuungsrecht, Rn. 2. 143 BT-Drs.: 20/280, S. 99.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Das Institut merkt vor allem an, dass die Bestimmungen zum Aufenthaltsrecht, beispielsweise bei Verbleib in der eigenen Wohnung, in besonderen Wohnformen oder in einer psychiatrischen Einrichtung oder auch die Frage der medizinischen Zwangsmaßnahmen nicht UN-konform seien.144 Der deutsche Gesetzgeber hält nichtsdestotrotz weiter an seiner Auffassung fest, dass aus Art. 12 UN-BRK kein absolutes Verbot jeglicher stellvertretender Entscheidung sowie Maßnahmen gegen den natürlichen Willen von Betroffenen hergeleitet werden könne.145 Er ist der Auffassung, dass seine rechtliche Betreuung nicht bloß Stellvertretung bedeute, sondern dass das rechtsgeschäftliche Tätigwerden für und gegen den Betroffenen sogar subsidiär sei und im Betreuungsrecht viel stärkere Begrenzung als im allgemeinen Teil des Zivilrechts erfahre.146 Durch die Grundsätze der Erforderlichkeit und dem Vorrang der Selbstbestimmung werde deutlich, dass der Betreuer stets den Wünschen des Betroffenen verpflichtet sei und dies nur umgangen werden könne, wenn es zu seinem Schutz notwendig werde.147 Im Vordergrund stünden daher stets die Beratung und Unterstützung des Betroffenen bei seinen Entscheidungen.148 Die Maßstäbe der UN-Behindertenrechtskonvention seien somit gewahrt und würden auch durch die Kontrollinstrumente des deutschen Betreuungsrechts geschützt.149 Zu den Auswirkungen dieser Ansicht auf das nunmehr geltende Recht ist später noch auszuführen.150 4. Der Begriff der Daseinsvorsorge a) Die Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff Worauf die UN-Behindertenrechtskonvention im Kern abzielt, ist der Gedanke der stärkeren Teilhabe Betroffener an der Gesellschaft ohne segregierende Regelungen. Ein eher neuzeitliches Phänomen. Damit nicht zu verwechseln, ist der hier schon mehrmals angesprochene Gedanke der (staatlichen) Fürsorge, welcher ebenso Kern der Erwachsenenhilfe ist. Dahinter steht der bereits im Titel dieser Bearbeitung verwendete Begriff der Daseinsvorsorge, welcher in der Rechtstheorie insbesondere wegen seiner Herkunft 144

BT-Drs.: 20/280, S. 99. BT-Drs.: 19/24445, S. 120. 146 Lipp, UN-Behindertenrechtskonvention, FamRZ 2012, 669, S. 676; Menschen und Rechte  – Behindertenrechtskonvention und Betreuung / Lipp, UN-Behindertenrechtskonvention und Betreuungsrecht, S. 30; Deinert / Welti / Beetz, SWK Behindertenrecht, Betreuungsrecht, Rn. 2. 147 Lipp, UN-Behindertenrechtskonvention, FamRZ 2012, 669, S. 676; Menschen und Rechte  – Behindertenrechtskonvention und Betreuung / Lipp, UN-Behindertenrechtskonvention und Betreuungsrecht, S. 31. 148 Deinert / Welti / Beetz, SWK Behindertenrecht, Betreuungsrecht, Rn. 2. 149 Deinert / Welti / Beetz, SWK Behindertenrecht, Betreuungsrecht, Rn. 2. 150 Vgl. C. III. 3. b), vgl. S. 146 ff. 145

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und mangels einer einheitlichen Definition nicht unumstritten ist.151 Ursprünglich geht der Begriff auf die Lehre von Ernst Forsthoff aus dem Jahr 1938 zurück, der die Verwaltung mit dem Zeitgeist als Leistungsträger beschreibt und die Auffassung vertrat, dass der Staat vor allem durch die Teilhabe an Strukturen der Daseinsvorsorge seine Legitimation begründe und nicht wie heute vielfach angenommen durch die Gewährung von Freiheitsrechten.152 Seit jeher ringen Rechtsprechung sowie Politik- und Rechtswissenschaft um eine geordnete Auseinandersetzung mit dem Begriff der Daseinsvorsorge. In der Rechtsprechung finden sich vor allem Versuche, bestimmte durch den Staat zu gewährleistende Aufgaben der Daseinsvorsorge zuzuordnen, „die zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich sind“, so beispielsweise die Energie- und Wasserversorgung, aber auch sonstige Aufgaben der „örtlichen Infrastruktur im weiteren Sinne“.153 Insofern weisen die Bereiche in dem sich der Staat eine Kompetenz für die Aufgaben der Daseinsvorsorge einräumt, auch eine verfassungsrechtliche Komponente auf, die beispielsweise die Enteignung bzw. die Rekommunalisierung begründen könne.154 In der Literatur gab es lange Zeit eine Auseinandersetzung darum, ob es allein um sogenannte „nützliche“ Leistungen im Zusammenhang mit der öffentlichen Verwaltung gehen solle oder ob darunter auch sozio-kulturelle Einrichtungen gemeint sein können.155 Auch die Frage, wie Daseinsvorsorge und Privatisierungsbestrebungen bzw. marktwirtschaftlicher Wettbewerb zusammengehen, ist seit jeher umstritten, insbesondere auch in der Auseinandersetzung mit dem Recht der Europäischen Union und der Vermeidung nationalen Protektionismus unter dem Deckmantel gemeinwohlorientierter Staatstätigkeit.156 Verfassungsrechtlich wird Daseinsvorsorge im System des Grundgesetzes aus dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet.157 Begründet wird dies unter anderem mit der Idee der Sozialpflichtigkeit des Staates und konkreter der Sicherung sozialer Infrastruktur, um Ungleichheiten zu verringern bzw. auszugleichen.158 In diesem Kontext ist der Begriff der Daseinsvorsorge auch im Rahmen dieser Bearbeitung zu verstehen, anknüpfend an die These von Pitschas der „Ein 151

Staatslexikon / Kersten, Band 1, 8. Aufl., 2017, Daseinsvorsorge. Staatslexikon / Kersten, Band 1, 8. Aufl., 2017, Daseinsvorsorge. 153 BVerfG, Beschluss v. 20. 03. 1984, NJW 1984, 1872, S. 1872; BVerfG, Beschluss v. 07. 06. 1977, NJW 1977, 1960, S. 1961; BVerfG, Urteil v. 10. 12. 1974, BeckRS 1974, 104427. 154 Isensee / Kirchhoff / Rüfner, Handbuch des Staatrechts, § 96, Rn. 21. 155 Willenberg, Daseinsvorsorge und politisches Vertrauen, S.  24; Dürig / Herzog / Scholz /  Grzeszick, GG, 97. EL, Art. 20, Rn. 15. 156 Rinken, Demokratie als Organisationsform der Bürgergesellschaft, S. 114; Grabitz / Hilf /  Nettesheim / Wernicke, EUV / AEUV, Art.  106, Rn.  3. 157 Fachlexikon der Sozialen Arbeit / Hagedorn, Daseinsvorsorge. 158 Rinken, Demokratie als Organisationsform der Bürgergesellschaft, S. 114. 152

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

heitlichkeit der Betreuung als rechtlicher und sozialer Dienstleistung im Zusammenhang sozialstaatlicher [öffentlich-rechtlicher] Daseinsvorsorge“.159 Die hier verwendete Begrifflichkeit dient insofern als Hyperonym für die Entwicklung des Betreuungsrechts als gesamtstaatliche Aufgabe und den damit verbundenen Strukturherausforderungen. b) Die Fürsorgepflicht des Staates in der Erwachsenenfürsorge Bereits in den Motiven und in der Kommission zur Beratung des Entwurfs des BGB wurde davon gesprochen, dass „der Entwurf unter Vormundschaft die Fälle [begreift], in welchen es sich um die allgemeine Fürsorge für die Personen und das Vermögen des Mündels handelt, während er eine Pflegschaft da eintreten läßt, wo das Bedürfnis eines Schutzes nur für besondere Angelegenheiten angezeigt ist“.160

Der Vormundschaft liegt dabei grundsätzlich zugrunde, dass sie in der Regel unabhängig vom Willen des Betroffenen eintritt und damit einer irgendwie gearteten Fürsorgeobliegenheit eines Dritten Ausdruck verleiht.161 Ursprünglich war diese Fürsorgepflicht jedoch nicht, wie oben bereits beschrieben, eine zuvörderst staatliche, sondern eine familiäre.162 Erst später entwickelte sich aus der aufkeimenden Schutzgewalt der Obrigkeit eine eigene staatliche Fürsorgepflicht.163 Das Verhältnis beider Fürsorgeinstanzen blieb jedoch oftmals unklar. Das Reichsgericht führte aus, dass der Vormund grundsätzlich, auch wenn im BGB von einem „Amt“ gesprochen werde, auf privatrechtlicher Grundlage mit privatrechtlichen Pflichten tätig werde, er somit zuvörderst Fürsorger sei. Dahingehend sei der damals verbreitete Berufsvormund für Minderjährige164 als Beamter im Rahmen einer staatlichen, also hoheitsrechtlichen Fürsorgepflicht tätig. Dieser agiere dann auch jedenfalls im öffentlichen Interesse und kraft öffentlicher Gewalt.165 Im Zusammenhang mit der Frage des richterlichen Vorbehalts hinsichtlich der Einweisung eines Mündels in eine geschlossene Anstalt durch den Vormund bestätigte der Bundesgerichtshof dies später zunächst und führte aus, dass der Vormund grundsätzlich keine öffentliche Gewalt ausübe und insofern auch nicht für 159

Pitschas, ZRP 2013, 137, S. 139. 528. Sitzung der BGB-Kommission vom 08. 03. 1886 in Jakobs / Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, S. 851. 161 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1875, S. 24. 162 Vgl. schon B. I. 1., vgl. S. 18. 163 Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 235. 164 Siehe hierzu näher B. III. 5 a), vgl. S. 51 ff. 165 RGZ 132, 257, 259. 160

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den Staat fürsorgerisch tätig würde – er allein also über den Aufenthaltsort des Betroffenen entscheiden könne.166 Die Vormundschaft gehöre zwar ihrem Wesen nach zur staatlichen Wohlfahrtspflege und enthalte nicht nur Vorschriften des Privatrechts, sondern auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen; diese seien jedoch von untergeordneter Rolle und in Parallelität zum Eltern-Kind-Verhältnis überwiege die Gewalt der Eltern bzw. des selbständigen Vormunds gegenüber der staatlichen Eingriffsmöglichkeit.167 Das Bundesverfassungsgericht teilte diese Auffassung nicht und urteilte im Jahr 1960, dass auch die zivilrechtliche Unterbringung eines Volljährigen der Entscheidung eines Gerichts unterworfen sei.168 Die Unterbringung sei sehr wohl ein Akt öffentlicher Gewalt, da sich in diesem Fall eben nicht primär zwei Staatsbürger gegenüberstünden, sondern der Staat seine Fürsorgepflicht auf einen Privaten übertrage, der die Freiheitsentziehung für den Staat vollziehe.169 „Alle diese Ungereimtheiten fallen fort, wenn man nicht die Einordnung der jeweiligen Unterbringung in die herkömmlichen Kategorien des zivilen oder des öffentlichen Rechts als maßgeblich ansieht, sondern den Gedanken der öffentlichen Fürsorge, der das gesamte Vormundschaftsrecht bestimmt. Es ist seit je anerkannt worden, daß der Komplex des Ehe-, Familien- und Vormundschaftsrechts trotz seiner grundsätzlichen Zugehörigkeit zum Privatrecht starke öffentlich-rechtliche Elemente enthält. Die Doppelgleisigkeit der Vormundschaft liegt von vornherein in der gegenseitigen Zuordnung der öffentlich-rechtlichen Tätigkeit der Obervormundschaft und der privatrechtlichen Tätigkeit des Vormundes begründet, dem Hineinwirken in die Führung der Vormundschaft durch die verschiedenen Formen vormundschaftsgerichtlicher Überwachung. Am deutlichsten tritt die Verschränkung öffentlichen und privaten Rechts bei der Vormundschaft über Volljährige zutage, da der Staat hier aus fürsorgerischen Gründen den Status der vollen Geschäftsfähigkeit durch die Entmündigung aufhebt und den Vormund einsetzt, d. h. seine Gewalt begründet und begrenzt.“170

Die so anerkannte öffentliche Fürsorgepflicht war der Bundesrepublik nach 1945 bereits in die Wiege gelegt worden, namentlich mit der erstmalig vereinten Kompetenzzuschreibung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, der Gesetzgebung über die öffentliche Fürsorge.171 Definiert wird diese Kompetenz als die Gewährung von Unterstützung Hilfsbedürftiger in Notlagen durch die öffentliche Hand oder von ihr Beliehener.172 Unter diesen Kompetenztitel fallen jedoch ausdrücklich nicht die Grundnormen des Vormundschafts- bzw. des Betreuungsrechts. Ansatzpunkt hierfür ist Art. 74 166

BGH, NJW 1955, S. 867 ff. BGH, NJW 1955, S. 868. 168 BVerfG, NJW 1960, 811, S. 811. 169 BVerfG, NJW 1960, 811, S. 811; BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1906, Rn. 8.3. 170 BVerfG, NJW 1960, 811, S. 813. 171 Dürig / Herzog / Scholz / Uhle, GG, 97. EL, Art. 74, Rn. 169. 172 Dürig / Herzog / Scholz / Uhle, GG, 97. EL, Art. 74, Rn. 171. 167

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Abs. 1 Nr. 1 GG, die Gesetzgebung über das bürgerliche Recht und das gerichtliche Verfahren.173 Zutiefst widersprüchlich wirkt es dann jedoch, wenn der Bundesgesetzgeber selbst seine Ermächtigung hinsichtlich des neuen Betreuungsrechtsorganisationsgesetzes (BtOG) bzw. seines Vorgängers, dem Betreuungsbehördengesetz (BtBG), auf die oben genannte Kompetenznorm zur öffentlichen Fürsorge stützt, weil hier „nämlich nicht die Regelung der Rechtsverhältnisse Privater untereinander im Vordergrund [stünden], vielmehr geht es vorrangig um die Belange der öffentlichen Fürsorge. […] Der Begriff der öffentlichen Fürsorge umfasst auch präventive Maßnahmen zum Ausgleich von Notlagen und besonderen Belastungen sowie Vorkehrungen gegen die Gefahr der Hilfsbedürftigkeit. Ausreichend ist, dass die Leistung nur in ihren wesentlichen Strukturelementen durch einen echten Fürsorgecharakter des Staates geprägt ist […] Auch ist die Kompetenz nicht auf Hilfeleistungen durch öffentliche Träger beschränkt, vielmehr kann auch die Regelung der Tätigkeit Privater, soweit diese öffentliche Aufgaben erfüllen – wie hier die anerkannten Betreuungsvereine und die rechtlichen Betreuer –, von diesem Kompetenztitel erfasst werden. Dies gilt auch für das für berufliche Betreuer eingeführte behördliche Regis­ trierungsverfahren, das strukturell dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.“174

In der Konsequenz würde diese Rechtsauffassung bedeuten, dass die Grundnormen des Vormundschafts- bzw. Betreuungsrechts zivilrechtlich sein sollen, da sich hier offenbar in der Vorstellung des Gesetzgebers zwei (ebenbürtige) Privatpersonen gegenüberstehen und auseinandersetzen, beispielsweise bei den Rechten und Pflichten des Betreuten gegenüber seinem Betreuer oder auch der Bestellung eines Berufsbetreuers. Bei den Annex-Vorschriften, insbesondere des BtOG, dann jedoch der fürsorgerische Gedanke überwiegt, weshalb hier öffentliches Recht maßgeblich sein soll, beispielsweise bei der Vergütung der Berufsbetreuer oder den Rechten und Pflichten der Betreuungsvereine bzw. Berufsbetreuer. Das scheint schon deshalb nicht überzeugend, weil sowohl das BtOG als auch die Vorgängervorschriften keine eigenständigen Regelungsbereiche aufmachen, sondern lediglich die Aufgaben der an der Betreuung beteiligten Akteure konkretisieren – was der Gesetzgeber wiederum selbst zugibt.175 Ein gutes Beispiel, woran sich zeigt, dass die historisch bedingte Verortung des Vormundschaftsrechts jedenfalls klärungsbedürftig erscheint, was später noch zu vertiefen sein wird. 5. Die Berufsvormundschaft Wenn Planck schon in der Kommission zur Ausarbeitung seines Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1877 schreibt, dass sich „Familie, Staat und Gemeinde […] hier den Beruf zur Ausübung eines bestimmten Einflusses auf das Vor 173

Dürig / Herzog / Scholz / Uhle, GG, 97. EL, Art. 74, Rn. 94. BT-Drs.: 19/24445, S. 158 f. 175 BT-Drs.: 19/24445, S. 159. 174

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mundschaftswesen mit Erfolg streitig gemacht“ hätten,176 müsste man wohl für die Zeit nach Implementierung des BGB ergänzen, dass hier neben den drei genannten Akteuren, noch die beruflich bestellten Vormünder bzw. später Betreuer und die Vereine hinzugekommen sind, welche ihren Platz im System suchen. Dabei ist diese Entwicklung nicht gänzlich ein Phänomen der Neuzeit. Bereits im Jahr 1859 konnte man lesen, dass der preußische Justizminister Ludwig Simons davor warnte, dass in Verfahren betreffend Anträge auf Wahnsinnigkeits- oder Blödsinnigkeits-Erklärungen keine Rechtsanwälte mehr bestellt werden sollten, um das Antragsverfahren in Vormundschaftssachen als sog. „fiskalische Bediente“ zu betreiben, da hier zu hohe Kosten entstünden:

Abb. 2: Allgemeine Verfügung zum Umgang mit „Wahn- und Blödsinnigen“ in Preußen im Jahr 1859177

Die dabei beschriebene „Berufsvormundschaft“ kann als Vorläuferin der Berufsbetreuung verstanden werden, ist jedoch vor allem zunächst eng mit der Übernahme von Vormundschaften durch Beamte verknüpft. Um die oben genannte Quelle nämlich historisch einzuordnen, ist zunächst festzuhalten, dass bis zur Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 auch Rechtsanwälte Beamte waren.178 a) Die Berufsvormundschaft über Minderjährige Formal durften während des Geltungszeitraums des ALR gem. II 18 § 158 ALR „königliche und prinzliche Domainen-Pächter und Beamte, Verwalter und Empfänger Königlicher, prinzlicher, oder andrer öffentlicher, in gleichen der den privilegierten Corporationen 176

Planck, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Teil 3, S. 1072. 177 Justiz-Ministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, 1859, S. 290. 178 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1886, S. 237.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit  und milden Stiftungen zugehörigen Güter, Gelder und Einkünfte, […] ohne ausdrückliche Einwilligung der Behörde, welcher sie wegen solcher Pacht oder Verwaltung untergeben sind, [nicht] zu Vormündern […] bestellt werden.“179

Obgleich also im System des Preußischen Königreichs die Obervormundschaft beim Staat lag, galt nichtdestotrotz in erster Linie, dass die (Einzel-)Vormünder als Beauftragte des Staates die Fürsorge (für den Staat) übernahmen und nicht zuvörderst Beamte des Staates. Dies änderte sich zwar ansatzweise bereits mit Einführung der V. O. Hier bedurften die Beamten zwar weiterhin der Genehmigung „zur Führung der Vormundschaft“, § 22 V. O., jedoch entfiel das generelle Verbot der Bestellung solcher Personen und das Recht zur Ablehnung der Vormundschaft durch die Betroffenen selbst, sollten sie vom Gericht bestellt werden, § 23 V. O. Auch sah § 13 V. O. ausdrücklich vor, dass die Pflege- und Irrenanstalten über ihre minderjährigen Mündel eine gesetzliche Vormundschaft erhielten, soweit die Einrichtungen staatlich waren. Diese Rechte bezogen sich ipso iure nur auf die Minderjährigen und nicht auf die volljährigen Geisteskranken. Hintergrund war, dass es hier nach damaliger Auffassung an der erforderlichen „Gleichheit der Verhältnisse“ fehle, „denn bei in Anstalten untergebrachten Minderjährigen ist in der Regel das Vermögen unbedeutend und die Sorge für die Person die Hauptsache, welche Sorge die Anstalt am besten übernimmt, beim Großjährigen dagegen wird es sich nicht selten um erhebliche, den Geschäften der Anstalt fremde, oft verwickelte Vermögensverhältnisse handeln“.180

Das neue Recht ab dem Jahr 1900 orientierte sich an dieser Beschränkung und ordnete in Art. 136 EGBGB a. F. an: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen 1. der Vorstand einer unter staatlicher Verwaltung oder Aufsicht stehenden Erziehungs- oder Verpflegungsanstalt oder ein Beamter alle oder einzelne Rechte und Pflichten eines Vormundes für diejenigen Minderjährigen hat, welche in der Anstalt oder unter der Aufsicht des Vorstandes oder des Beamten in einer von ihm ausgewählten Familie oder Anstalt erzogen oder verpflegt werden, und der Vorstand der Anstalt oder der Beamte auch nach der Beendigung der Erziehung oder der Verpflegung bis zur Volljährigkeit des Mündels diese Rechte und Pflichten behält, unbeschadet der Befugniß des Vormundschaftsgerichts, einen anderen Vormund zu bestellen; […].“

Eine unmittelbare Übernahme der Bestimmung in das BGB selbst, wie noch im ursprünglichen Entwurf von Planck vorgesehen, wurde im Rahmen der Beratungen der Kommission mit der Begründung gestrichen, dass hierfür kein Bedürfnis

179 180

Anton, Vormundschaftsordnung, S. 83. Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1886, S. 209 f.

III. Das Bürgerliche Gesetzbuch 

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bestehe. Es sei gar „anormal“ davon auszugehen, dass eine Behörde die Stellung eines Vormunds erlange.181 Die Übernahme der Vorschrift in das EGBGB war dann vor allem auf die Rechtsangleichung im Reich zurückzuführen. Hier ging es jedoch lediglich weiterhin um minderjährige Mündel, vor allem uneheliche Kinder, die keine nahen Verwandten hatten, welchen man die Vormundschaft hätte übertragen können. Die Länder wurden folglich ermächtigt, entsprechend ihrer zumeist schon zuvor bestehenden Regelungen Vormundschaften für solche Personen den Anstalten (Anstaltsvormundschaften) oder ihren Beamten (sog. Armen-, Amts- bzw. Sammelvormundschaften) zu übertragen, wo es nötig wurde und damit vom Prinzip des BGB abzuweichen, dass die Vormünder durch das Gericht nach der vorgeschriebenen Rangfolge zu bestellen waren.182 aa) Das „Leipziger-System“ Dabei wurde unterschiedlich stark in den einzelnen Ländern des Reichs von diesen Instrumenten Gebrauch gemacht. Zumeist konzentrierte es sich beispielsweise in Bayern, Preußen, Sachsen, Hessen, Elsass-Lothringen und Württemberg auf die gesetzliche Vormundschaft der Anstalten für ihre Insassen, in Baden konnten Beamte der Gemeinde- oder Kreisarmenverwaltung unmittelbar die Rechte eines Vormunds übernehmen.183 Das BGB ging im Grundsatz vom sog. Einzelvormund und der (unentgeltlichen) Vormundschaft durch Angehörige, § 1836 BGB a. F., aus. Insbesondere für Kinder, welche verwaist, verwahrlost oder hilflos waren, gab es zwar oftmals weitreichende armen- und polizeirechtliche Regelungen, welche durch die Gemeinde oder Anstalten vollzogen werden mussten, jedoch blieb die rechtliche Vormundschaft dem Grundsatz nach bei dem im Gesetz bestimmten Personenkreis.184 Insbesondere in Sachsen war jedoch das Institut der „Generalvormundschaft“ bereits in Ansätzen praktiziert. So beschreibt der Arzt Dr. Max Taube im Jahr 1893 seine Erfahrungen mit dem Institut mit der von ihm gegründeten „Ziehkinder-­ Anstalt“. Anders als in den bisher vorherrschenden Armen- und Waisenhäusern verstand er unter dem „Leipziger-System“ die Beaufsichtigung aller gegen Entgelt bei Fremden untergebrachten Kinder.185 Aufgrund von Spenden wurden zunächst Pflegerinnen und Ärzte beschäftigt, die regelmäßig nach den – zuvörderst unehe 181 528. Sitzung der BGB-Kommission vom 08. 03. 1886 in Jakobs / Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, S. 853. 182 Göppinger / Bökelmann, Das Recht des unehelichen Kindes, S. 18. 183 Barthelmeß, Gesetz, betr. die Berufsvormundschaft, 1908, S. 7 f. 184 Barthelmeß, Gesetz, betr. die Berufsvormundschaft, 1908, S. 11. 185 Taube, Der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig, S. 6.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

lichen  – Kindern schauten, diese untersuchten und Schulungen anboten.186 Die Generalvormundschaft über die Kinder lag bei der Anstalt, die im Zweifel auch die Alimente der Väter eintrieb.187 Dr. Taube wies bereits während der Entstehung des BGB darauf hin, dass insbesondere in Bezug auf die (unehelichen) benachteiligten Kinder das Prinzip der Einzelvormundschaft nicht allein zuträglich wäre, sondern dringend auch die Möglichkeit der Generalvormundschaft, wie in Sachsen, bestehen bleiben müsse, es jedenfalls aber eine Öffnungsklausel für die Länder geben solle, wonach auch die Mündel außerhalb einer Anstalt unter Vormundschaft der Anstaltsleitung gestellt werden könnten.188 Mit Erfolg. So wurde bereits in der zweiten Lesung des BGB im Jahr 1894 angeführt, dass Art. 79 EGBGB a. F. eine so lautende Ergänzung erhalten sollte, welche später dann in Art. 136 EGBGB a. F. aufging.189 Insbesondere in den großen Städten wurde bemängelt, dass die Fürsorge eines womöglich fernen Verwandten, der oftmals selbst um das wirtschaftliche Überleben kämpfte, für die Mündel nachteilig gewesen sei.190 Die Vorschriften des BGB würden nur auf Verhältnisse auf dem Land und in der Kleinstadt passen, in denen Verwandte oder befreundete Personen, die mit den Verhältnissen des Mündels vertraut waren, für ein solches Amt zur Verfügung stünden.191 bb) Der Beginn der Jugendfürsorge Besonders im Fokus standen hier die unehelichen Kinder und Mündel. Nach §§ 1776, 1900 BGB a. F. durften nun auch Mütter unehelicher Kinder vor den Großeltern zu Vormündern bestellt werden. So schrieb der Gründer des Archivs deutscher Berufsvormünder, Dr. Klumker, im Jahr 1904 noch: „Sollte sich das Ergebnis Dr. Spanns bestätigen, daß jene unehelichen Kinder am schlechtesten stehen, deren Mütter ohne zu heiraten am Leben bleiben, daß diese sogar schlechter dastehen, als wenn ihre Mütter stürbe, so wäre es ein wichtiger Beweis dafür, wie unser Vormundschaftsrecht bei den unehelichen Kindern in eine Sackgasse geraten ist.“192

Seine Idee, aus dieser „Sackgasse“ herauszukommen: es werde „kein anderes Hilfsmittel geben als die Einzelvormundschaft durch die berufliche Vormundschaft“ zu ersetzen.193 186

Taube, Der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig, S. 6. Taube, Der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig, S. 31. 188 Taube, Der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig, S. 57. 189 Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Zweite Lesung, § 1657, S. 519. 190 Barthelmeß, Gesetz, betr. die Berufsvormundschaft, 1908, S. 12.; Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 235. 191 Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 235. 192 Klumker, in: Spann, Die Stiefvaterfamilie unehelichen Ursprungs, Nachwort, S. 40. 193 Klumker, in: Spann, Die Stiefvaterfamilie unehelichen Ursprungs, Nachwort, S. 41. 187

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Zu jener Zeit berichteten dann auch zahlreiche Tageszeitungen über die neuzeitliche Einrichtung der Berufsvormundschaft und priesen deren Vorteile an  – sicher auch um die Betroffenen entsprechend zu sensibilisieren. Insbesondere dem Umstand, dass es zu wenig geeignete Einzelvormünder gab, sollte so Rechnung getragen werden. Aber auch der Aspekt der Rechtsvertretung der (geschulten) Berufsvormünder im Sinne des Mündels war ein entscheidender. So wurde berichtet, dass die Berufsvormünder deutlich erfolgreicher waren, ausstehende Alimentationsbeiträge von säumigen Vätern einzutreiben.194 Auch damals kam es bereits in diesem Zusammenhang zu Auseinandersetzungen darum, in welchem Verhältnis die neue Art der Vormundschaft zur Familie und vor allem zur Mutter steht. Bei den Beratungen hierzu im Verein Mutterschutz München im Jahre 1909 hieß es unter anderem, dass „von einer unterschiedslosen Einführung der Berufsvormundschaft nicht die Rede sein könne. Die Bande der Familie seien in erster Linie zu respektieren, und erst wenn innerhalb des Verwandtenkreises eine geeignete Persönlichkeit nicht gefunden werden kann, soll der Berufsvormund herangezogen werden.“195

Weiter wird betont, dass eine gänzliche Ersetzung der Einzelvormundschaft für uneheliche Kinder nicht begrüßenswert wäre, „denn ein tüchtiger und opferfreudiger Einzelvormund vermag im Allgemeinen dem Mündel mehr zu sein als der gewissenhafteste Berufsvormund. […] Die Einrichtung einer Berufsvormundschaft darf unter keinen Umständen zu einer Benachteiligung der unter Einzelvormundschaft stehenden Mündel führen.“196

Dahinter stand der, insbesondere mit der Einführung des BGB aufkeimende Gedanke, des stärkeren Schutzes des Individuums, insbesondere für diejenigen, deren Schutz durch andere nicht gewährleistet werden konnte. Im Hinblick auf die Minderjährigen setzte dann vor allem nach dem 1. Weltkrieg eine Dynamik ein, die schlussendlich die zuvor stark zersplitterte Jugendfürsorge einheitlich den nun zu errichtenden Jugendämtern übertrug.197 Hintergrund war ein verändertes Staatsverständnis, was auch mit der Revolution des Jahres 1918 zusammenhing und im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung (WRV) durch einige sozialrechtliche Prinzipien abgesichert wurde und auch die Gesetzgebungskompe 194

Rosenheimer Anzeiger v. 27. 08. 1910, S. 6. General Anzeiger München v. 16. 01. 1909, S. 1. 196 General Anzeiger München v. 16. 01. 1909, S. 1. 197 Göppinger / Bökelmann, Das Recht des unehelichen Kindes, S. 18. Dies hatte auch zum Hintergrund, dass die Auffassung, dass Behörden- und Massenvormundschaften, „die das Kind zum Objekt staatlicher Sozialverwaltung werden lasse“, zu vermeiden seien, wie Göppinger /  Bökelmann zurecht schreiben, nicht mehr in die Rechtsentwicklung passte und die tatsächlichen Gegebenheiten angesichts des Mangels an geeigneten Einzelvormündern und der Notwendigkeit, die vormundschaftlichen Obliegenheiten im Interesse des Kindes, sachkundigen Personen zu übertragen, verkannte. So weisen die Autoren auch darauf hin, dass die Betreuung von Entmündigten, vor allem in Großstädten in weitem Umfange nur noch durch beamtete Vormünder aus der Sozialverwaltung möglich war. 195

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

tenz für die Mutterschafts-, Säuglings-, Kinder- und Jugendfürsorge auf das Reich verlagerte, Art. 7 Nr. 7 WRV.198 Das sog. Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) vom 09. 07. 1922 schuf gem. § 32 ff. RJWG die Amtsvormundschaft der Jugendämter und hob gem. § 48 RJWG den Art. 136 EGBGB a. F. auf.199 Sogleich wurde in § 35 RJWG festgelegt, dass durch Geburt eines unehelichen Kindes das Jugendamt des Geburtsorts die Vormundschaft de iure übertragen bekam. Die Jugendhilfe wurde aus dem öffent­ lichen Armenwesen herausgelöst und mit der Berufsvormundschaft verbunden.200 Ein Novum und eine Abkehr zum Bestellungsprinzip des BGB, was die besondere Fürsorge des Staates über die Minderjährigen unterstrich. Diese Fürsorge, welche ursprünglich ureigene Aufgabe der Familie und damit Privatrecht darstellte, wurde final zum Teil der öffentlichen Verwaltung und damit schlussendlich zu öffent­ lichem Recht, was in Teilen natürlich die Gefahr beinhaltete, die Verantwortung der Familie zurückzudrängen.201 In diesem Zusammenhang wird später noch zu erörtern sein, ob diese Prinzipien nicht auch für hilfsbedürftige Volljährige gelten müssten und zu übertragen wären. Die Berufsvormünder waren anders als die sonstigen Vormünder kein Amt auf privatrechtlicher Grundlage mit privatrechtlichen Pflichten, sondern handelten als Ausfluss staatlicher und hoheitsrechtlicher Fürsorge im öffentlichen Interesse, weshalb beispielsweise auch ein Amtshaftungsanspruch angenommen wurde.202 Das RJWG definierte dann auch sehr deutlich eine Schutzpflicht des Staates in den §§ 56–60 RJWG, wonach die Überwachung des Minderjährigen und seiner Erziehung zur Grundaufgabe des Staates wurden, wenn seine körperliche, geistige oder sittliche Verwahrlosung zu befürchten war.203 Zuständig waren die neu gegründeten Jugendämter, § 60 RJWG, welche maßgeblich auf die Arbeit der „Kommission für reichsgesetzliche Regelung der öffentlichen Jugendfürsorge“ zwischen den Jahren 1916 bis 1918 zurückging und vom Deutschen Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit und dem Archiv Deutscher Berufsvormünder eingesetzt wurde.204 b) Die Berufsvormundschaft über Volljährige Zur selben Zeit begann eine Diskussion darüber, inwieweit die staatliche Fürsorgepflicht nicht auch für Volljährige gelte, die nicht in der Lage sind, ihre Geschäfte selbständig zu regeln. Auch hier traf man verstärkt auf unwillige oder auch schlicht 198

Hamberger, Die Entwicklung der Jugendhilfe, Sozialer Fortschritt 1997, 94, S. 98. Hamberger, Die Entwicklung der Jugendhilfe, Sozialer Fortschritt 1997, 94, S. 98. 200 Hamberger, Die Entwicklung der Jugendhilfe, Sozialer Fortschritt 1997, 94, S. 98. 201 Gschnitzer, Familienrecht, S. 119. 202 RGZ 132, 257, 259. 203 Schiedermair, Jugendwohlfahrtsgesetz, Teil I, S. 124. 204 Drewes, Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt, S. 14. 199

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ungeeignete Vormünder in der Bevölkerung. Da nicht nur körperlich oder geistig behinderte Menschen, sog. Geisteskranke, unter Vormundschaft gestellt wurden, sondern grundsätzlich alle Personen, die gem. §§ 1896, 6 BGB a. F. entmündigt werden konnten, zählten hierzu auch sog. Verschwender und Trinksüchtige. Eine Bereitschaft der nahen Angehörigen, für diesen Personenkreis die Vormundschaft zu übernehmen, war vor allem in den Städten nur gering ausgeprägt. Besonders in den Fokus rückte die Debatte im Zusammenhang mit der Revision des deutschen Strafrechts und hier der Frage, ob das Strafrecht und insbesondere die Polizei zuständig dafür sein sollten, die Gesellschaft vor gefährlichen Geisteskranken zu schützen – wie es zu jener Zeit noch überwiegende Ansicht war.205 Nach der Abkehr des bloßen Verwahrungsgedankens und der Einsicht, dass zumindest ein Teil der Betroffenen der Heilung zugeführt werden konnte, stand der Konflikt im Raum, wie zu verfahren sei mit denjenigen Betroffenen die zwar – nach damaliger Auffassung – potenziell gefährlich sein könnten, jedoch nicht geeignet waren für die dauernde Unterbringung in einer Anstalt, zumal das Anstaltswesen auch deutliche Kapazitätsengpässe zu beklagen hatte.206 Diskutiert wurde ebenso, wie mit Betroffenen zu verfahren war, die nach der Begehung einer Straftat wieder aus dem Gefängnis oder einer Anstalt entlassen wurden und nun unter Umständen einer „staatlich organisierter Gesundheitsaufsicht“ bedurften, soweit Rückfälle erwartet wurden.207 Während die einen es als „Schutzaufsicht“ des Staates für beispielsweise Trinker verstanden,208 wollten andere die Prinzipien der Berufsvormundschaft über Minderjährige auf die Volljährigen ausdehnen, mit dem Ziel: „allgemeine staatliche, d. h. auf öffentlicher Grundlage organisierte, überall gegenwärtige Berufsvormundschaft behördlichen Charakters über alle diejenigen Personen [einzuführen], welche, weil, geistig minderwertig, sich im Leben nicht behaupten können, welche um ihrer eigenen Person willen oder im Interesse der menschlichen Gesellschaft einer besonderen ordnungs- und sachgemäßen, zugleich aber wirksamen Aufsicht bedürfen.“209

Vordenker dieser Idee war Dr. Edgar Crasemann, der erstmals anlässlich der Tagung Deutscher Berufsvormünder in Dresden am 19. 09. 1911 die Forderung aufstellte, im gesamten Deutschen Reich ein System der öffentlichen Berufsvormundschaft zu etablieren. 205 v. Hessert, Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Geisteskranken, MSchrKrimPsych 1913, 65, S. 65. 206 v. Hessert, Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Geisteskranken, MSchrKrimPsych 1913, 65, S. 66 f. 207 Dreyer, Der Schutz der Gesellschaft vor den gemeingefährlichen Irren, MSchrKrimPsych 1910/1911, 71, S. 71 f. 208 Polligkeit, Die Schutzaufsicht über Gewohnheitstrinker und verbrecherische Trinker, MSchrKrimPsych 1913, 135, S. 135 ff. 209 Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465 f.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Er war der Auffassung, dass die Einzelvormünder wegen der fehlenden Sachkunde den Aufgaben der Vormundschaft nicht gewachsen seien und auch nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügten, insbesondere, die von ihm als gemeingefährliche Personen bezeichneten Betroffenen, hinreichend zu überwachen.210 Es sollte seiner Vorstellung nach dann auch keinen Unterschied machen, ob nun ein psychopathischer Verbrecher oder Trinker betroffen sei und eine Berufsvormundschaft erhalte – wie es nur für letztere noch sein Kollege Dr. Polligkeit angeregt hatte.211 Bedingung sei lediglich, dass die rechtlichen Voraussetzungen der Entmündigung vorlägen, § 6 BGB a. F. – was er jedoch im Regelfall als erfüllt ansah, wenn der Betroffene schon dazu neigte, in Konflikte mit der Rechtsordnung zu geraten.212 Zu diesem Zweck ließ Dr. Crasemann auch vom Professor für Psychiatrie und Nervenheilkunde an der Universität Göttingen, Dr. Cramer, im Jahr 1912 ein Gutachten anfertigen, welche Gruppe von Betroffenen sich für seinen vorgeschlagenen Weg eignen würden.213 Der Mediziner kommt dabei zum Schluss, dass es vor allem bei den sog. Grenzzuständen bei Betroffenen ein Problem darstelle, wenn dem nur mit den Mitteln des Strafrechts abgeholfen werde, beispielsweise über die Anwendung der geminderten Zurechnungsfähigkeit nach einer Straftat.214 Hierbei würden einige Betroffene dann entsprechend unberücksichtigt bleiben, die entweder gar nicht erst straffällig würden oder bereits ihre Strafe verbüßt hätten.215 Auch hier sei jedoch eine gewisse Fürsorgetätigkeit vonnöten: „Eine derartige Aufsicht läßt sich nur durch eine staatliche Berufsvormundschaft erzielen, welche so lange anzudauern hat, bis der Betreffende im Leben außerhalb einer Anstalt gezeigt hat, dass er sich selbstständig und ohne kriminelle Handlungen behaupten kann.“216

Für Crasemann war vor allem entscheidend, dass die Entmündigung nicht mehr als Nachteil für die Betroffenen begriffen werden sollte, sondern als eine Hilfestellung, die in erster Linie bestimmt sei, dem Entmündigten „Schutz zu gewähren, […] vor den Folgen seiner unverantwortlichen Handlungen“ und daneben noch Dritte

210

Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 469. 211 Polligkeit, Die Schutzaufsicht über Gewohnheitstrinker und verbrecherische Trinker, MSchrKrimPsych 1913, 135, S. 135 ff. 212 Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 471 f. 213 Cramer, Gutachten über die volljährigen geistig Minderwertigen und ihre Behandlung, MSchrKrimPsych 1913, S. 239 ff. 214 Cramer, Gutachten über die volljährigen geistig Minderwertigen und ihre Behandlung, MSchrKrimPsych 1913, S. 239 ff. 215 Cramer, Gutachten über die volljährigen geistig Minderwertigen und ihre Behandlung, MSchrKrimPsych 1913, S. 239 ff. 216 Cramer, Gutachten über die volljährigen geistig Minderwertigen und ihre Behandlung, MSchrKrimPsych 1913, S. 240.

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vor Eingriffen zu schützen.217 Insgesamt kommt er deshalb zu dem Ergebnis: „Die Entmündigung ist eine Wohltat.“218 Konkret wollte er, dass die Staatsanwaltschaften stärker von ihrem Recht Gebrauch machten, die Entmündigung gem. §§ 646 Abs. 2 ZPO a. F. i. V. m. § 6 BGB a. F. zu beantragen  – auch ohne Vorliegen eines strafrechtlichen Tatbestands.219 Wie Crasemann selbst erkennt, ist die Bestellung staatlicher Berufsvormünder für Volljährige zu jener Zeit nicht gesetzlich geregelt, sondern lediglich, wie zuvor dargestellt, für Minderjährige über die Öffnungsklausel des Art. 136 EGBGB a. F. möglich. Er schlägt daher vor, dass die Bestellung staatlicher Berufsvormünder von Gerichten im Rahmen ihres Ermessens im Sinne eines Gewohnheitsrechts angeordnet werden sollte. Es sei schlicht angebracht, dass die Vormundschaftsgerichte in oben skizierten Fällen vorrangig die staatlichen Vormünder wählten.220 Offen blieb bei seiner Darstellung jedoch der Umstand, dass er damit vorschlug, entgegen den Grundsätzen des BGB zu handeln, welches auch damals schon vorschrieb, dass zuvörderst die engsten Angehörigen gem. §§ 1899, 1900 BGB a. F. zu Vormündern zu bestellen waren. Zur Organisation der neu einzuführenden Berufsvormundschaften für die „volljährigen entmündigten geistig Minderwertigen“ stellte sich Crasemann eine eigene Behörde vor, die bei den Medizinalbehörden angegliedert, in allen Gemeinden und Städten die dauernde Schutzaufsicht durch Psychiater und Juristen gleichermaßen ausüben sollten.221 Weitere Unterstützung erhielt Crasemann ärztlicherseits, unter anderem vom Leiter der Klinik für Psychiatrie der Universität Hamburg, Prof. Dr. Weygandt, welcher später unter anderem durch die Befürwortung der „Rassenhygiene“ der Nationalsozialisten auffiel,222 was auch schon im hiesigen Text Einzug fand.223 Weygandt betonte ausdrücklich, dass die Berufsvormundschaft gegenüber Volljährigen noch dringlicher und überzeugender sei als diejenige für Minderjährige. 217

Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 471. 218 Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 471. 219 Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 472 f. 220 Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 474. 221 Crasemann, Berufsvormundschaft und die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, S. 465, 475 f. 222 Vgl. exemplarisch die Abhandlung v. Weber-Jasper, Wilhelm Weygandt (1870–1939): Psychiatrie zw. Erkenntnistheoretischem Idealismus und Rassenhygiene. 223 So heißt es in Weygandt, Berufsvormundschaft über die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, 693, S. 694, 702, u. a.: „Die Ausdehnung der Berufsvormundschaft auf die große Gruppe der psychisch Minderwertigen verwirklicht somit ein ungemein wichtiges Stück sozialer Hygiene.“

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Die Laienvormünder seien mangels fehlender Sachkunde nicht in der Lage, den Betroffenen gerecht zu werden. Zumal es anders als bei Minderjährigen nicht mehr bloß um das Ersetzen bzw. die Fortführung einer irgendwie gearteten Kindesliebe ginge, sondern den gewissenhaften Umgang mit einer Abnormität, was gewisse Fachkenntnisse voraussetze.224 Durchsetzen konnte sich die sog. Schutzaufsicht gegenüber Volljährigen nicht. Wie man selbst den Motiven des BGB entnehmen kann, wurde das Prinzip der Berufsvormundschaft eng mit den mittlerweile als überholt angesehenen Gedanken des ALR und den Beschränkungen des eigenverantwortlichen Vormunds gesehen, welches nicht mehr dem Zeitgeist entsprach.225 Vielfach war dies auch mit fiskalischen Gründen verbunden, unter anderem wegen des Grundsatzes der Unentgeltlichkeit der Vormünder. Auch bei Crasemann blieb offen, wie sein skizziertes System zu finanzieren ist. 6. Der Grundsatz der Unentgeltlichkeit Das BGB begründete erstmals einheitlich für das Deutsche Reich die Maßgabe, dass die Vormundschaft grundsätzlich unentgeltlich geführt werden sollte, § 1836 BGB a. F. Bezugnehmend auf die Preußische Vormundschaftsordnung, in der es bereits in § 33 V. O. hieß, dass die Vormundschaft in der Regel unentgeltlich geführt wird, nahm man damit unmittelbar Bezug auf den dort vorherrschenden Gedanken, dass die Vormundschaft ein „Ehrenamt in Erfüllung einer allgemeinen Staatsbürgerpflicht“ ist.226 Dies war nicht unbedingt selbstverständlich, da beispielsweise die Vormundschaftsordnung für die freie und Hansestadt Hamburg aus dem Jahr 1831 in Art. 75 vorsah, dass die Vormünder eine Vergütung nach Beendigung erhielten: „Die Vormünder erhalten nach gänzlich beendigter Vormundschaft für ihre Bemühungen, falls sie es verlangen, eine nach Maßgabe der Größe des Vermögens und der Dauer ihrer Verwaltung von der Deputation zu bestimmende Vergütung, die jedoch für beide zusammen 2 Prozent von dem Kapital der Pupillen nicht übersteigen kann. Geht ein Vormund früher ab, so wird die Vergütung nach Verhältnis festgesetzt. Wird ein Vormund entlassen ober abgesetzt, und trifft ihn auch im ersteren Falle ein gegründeter Vorwurf, so hat er keine Ansprüche auf Belohnung.“

Auch das Bayrische Landrecht sah in I., 7 § 15 Bayr. L. R. vor, dass neben einem Verwendungsersatz und Zinsen auch die 224

Weygandt, Berufsvormundschaft über die volljährigen geistig Minderwertigen, MSchrKrimPsych 1911/1912, 693, S. 694 f. 225 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1023. 226 Anton, Vormundschaftsordnung, S. 100.

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„[…] 4. überhaupt um allen der Vormundschaft halber erlittenen Kosten, Schaden und Entgang satisfacirt werden muss, also auch 5. von den Pupillen nach Beschaffenheit seines Standes und Vermögens, dann gehabter Mühe, Verrichtung und Sorge eine proportionirliche Verehrung und Ergötzung zu fordern [hat], wenn anders die Vormundschaft redlich, ehrbar und getreulich verwaltet worden […]“

Die Vergütung konnte auf Wunsch des Vormundes dort sogar schon am Ende eines jeden Jahres beantragt werden. Anders als das französische Recht wollte das BGB jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht generell auf einen Vergütungsanspruch verzichten, insbesondere nicht, wenn es sich um Mündel handelte, die über ein gewisses Vermögen verfügten.227 Auch wurde angeführt, dass „die unbedingte Versagung eines Honorares zum Nachtheile des Vormundschaftswesens dazu beiträgt, die Abneigung gegen den Vormundschaftsdienst nur zu steigern“.228 Das BGB griff deshalb vor allem eine Bestimmung auf, die es den Vormündern ermöglichen sollte, solche Aufwendungen ersetzt zu verlangen, „die zu seinem Gewerbe oder seinem Berufe gehören“, § 1835 BGB a. F. Sowohl die V. O. in § 33 als auch das Bayrische Landrecht beschrieben schon den Fall, dass der Vormund beispielsweise ein Rechtsanwalt ist und für die Prozessvertretung oder die Vertretung vor Behörden seinen üblichen Soll ersetzt verlangen kann – I., 7 § 15 Nr. 3 Bayr. L. R., lautete: „Mag ein Advokat, welcher zugleich Vormund ist, für die in des Pupillen Streitigkeit verfertigten Schriften und andere Arbeiten den gebührenden Advokaten-Verdienst aufrechnen, […]“.

Insofern lässt sich bereits ein Bruch vom Grundsatz der Unentgeltlichkeit erkennen, der dann auch entsprechend begründet wurde, nämlich mit der Billigkeit und dem Eigeninteresse des Mündels daran, „für solche Fälle eine Ausnahme zu machen, in welchen der Vormund eine Vergütung für geleistete Dienste auch von einer anderen Person zu fordern berechtigt sein würde“.229

Das BGB wird in diesem Zusammenhang oftmals als zu sehr von Vermögensinteressen geleitet kritisiert, auch wenn es offiziell noch keine berufsmäßige Betreuung bis zur Reform im Jahr 1992 bzw. einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1980 gab und Ansätze der Berufsvormundschaft, jedenfalls über Volljährige nicht weiterverfolgt wurden.230 Für die Verfasser des BGB war es so selbstverständlich, dass „der Vormund kraft Rechtens niemals Honorar fordern könne“, dass sogar zunächst während der Beratung in der Kommission beantragt wurde, die Bestimmung des § 1836 Abs. 1 BGB 227

Jatzow, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, § 1699, S. 1182. Jatzow, Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, § 1699, S. 1182. 229 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1181. 230 Vgl. u. a. Taupitz, JuS 1992, 9, S. 9. 228

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

a. F. zu streichen.231 Man entschied sich aus Klarstellungsgründen für die Aufnahme der Norm und konnte noch nicht ahnen, dass diese Selbstverständlichkeit später ins Wanken geraten sollte. In den Folgejahren wurde immer stärker von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Aufwendungsersatz, auch für Dienste aus dem Gewerbe bzw. Beruf des Betreuers, geltend zu machen. So entstand dann auch schon in den 1980er Jahren, insbesondere nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anspruch auf Vergütung bei Unvermögen des Mündels aus der Staatskasse, die Situation, dass Betreuer mehrere hunderte Betreuungen übernahmen und ihre Kosten als Aufwendungen ersetzt verlangten.232 Das Bundesverfassungsgericht meinte, dass die im alten Vormundschaftsrecht angelegte Differenzierung der Vergütung nach Vermögen und Unvermögen des Mündels und des besonderen Schwierigkeitsgrads einer Betreuung nicht alleinig für die Vergütungsfrage ausschlaggebend sein dürfe.233 Es sei einem Vormund oder Betreuer nicht zuzumuten, dass er zwar im öffentlichen Interesse tätig werde, aber in seiner freien Berufsausübung derart belastet werde, dass ihm eine angemessene Entschädigung vorenthalten werde.234 Dies müsse man vor allem dann annehmen, wenn ihm die Vormundschaft wegen ihres zeitlichen Umfangs besonders belaste.235 Das Bundesverfassungsgericht machte zudem wegweisende Ausführungen zum Verhältnis der Berufs- und Ehrenamtsbetreuung. Der schon im Jahr 1980 bestehende Mangel an ehrenamtlichen Betreuern würde es insbesondere rechtfertigen, dass gerade wegen der Anerkennung einer staatsbürgerlichen Pflicht, der Schutz der Betroffenen vor Nichtbetreuung und Verwahrlosung, eine gewisse Vergütung von (Berufs-)Vormündern notwendig mache.236 Der Gesetzgeber tat sich besonders schwer damit und führt noch in seiner Gesetzesbegründung zum Betreuungsgesetz des Jahres 1992, in dem er dann auch schlussendlich mit der Vorschrift des § 1836a BGB a. F. den Berufsvormund für Volljährige final einführte, aus, dass der Grundsatz der Unentgeltlichkeit weiter oberstes Gebot bleibe und mit dem Gesetz auch kein allgemeingütiger Vergütungsanspruch für alle Betreuertypen beabsichtigt werde.237 Überraschenderweise wäre dies zwar selbst nach Auffassung des Gesetzgebers die „gerechteste Lösung“, würde aber zur Unfinanzierbarkeit des Systems führen.238 Die von einigen in diesem Zusammenhang im Vorfeld angesprochene befürchtete Sogwirkung zugunsten 231

533. Sitzung der BGB-Kommission vom 23. 03. 1886 in Jakobs / Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Familienrecht, S. 912. 232 Taupitz, JuS 1992, 9, S. 9. 233 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2179; Jürgens / v. Crailsheim, Betreuungsrecht, 6. Aufl., VBVG, § 1, Rn. 2. 234 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2180. 235 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2180. 236 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2180. 237 BT-DS.11/4528, S. 88. 238 BT-DS.11/4528, S. 88.

III. Das Bürgerliche Gesetzbuch 

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gesetzlicher Betreuungsverhältnisse und zulasten des Subsidiaritätsprinzips, trat dann nichtsdestotrotz ein.239 Diese aus fiskalischen Erwägungen heraus nachvollziehbare Begründung konterkariert in Ansätzen bis heute das proklamierte Ziel, genügend qualifizierte, ehrenamtliche Betreuer (Vormünder) zu generieren. So werden dem ehrenamtlichen Betreuer bis heute kaum Anreize für die Übernahme von Betreuungen gesetzt. Zugleich stellt sich seit Jahren im System der Erwachsenenfürsorge, welches wohlgemerkt auf den Grundsätzen der Stellvertretung beruht, ein vermeintlich fürsorgerisches professionelles Handeln von Berufsbetreuern für Mündel ein  – finanziert in den meisten Fällen durch die Staatskasse. Zu einer echten Übernahme der Fürsorgepflicht durch den Staat, beispielsweise durch die Behörden- und Amtsbetreuung, kommt es dabei kaum – dem steht anscheinend wiederrum der Gedanke der Stellvertretung entgegen. Ein wahrer Zirkelschluss, der noch näher zu untersuchen sein wird. 7. Die Manifestation des Systembruchs Insgesamt konnte das BGB von 1900 einen Zugewinn an Selbständigkeit für die Vormünder erreichen. Der Einfluss der Familie auf die Lebensumstände betroffener Angehöriger konnte zum Beispiel dann, wenn ein Familienmitglied als Vormund bestellt wurde, gestärkt werden. Die Vormünder erhielten die Möglichkeit, deutlich mehr Entscheidungen selbständig zu treffen. Die Obervormundschaft der Gerichte sollte nur der Bestellung und Kontrolle der Vormünder zum Schutz des Mündels dienen. Das BGB begriff weiterhin die Fürsorgepflicht des Staates über seine Bürger als Maßgabe des neuen Vormundschaftsrechts, die jedoch familienrechtlich ausgestaltet sein sollte. Die Entscheidung des Gesetzgebers, das Vormundschaftsrecht dem vierten Buch des BGB, dem Familienrecht, zuzuordnen, entsprach der Überzeugung, dass die Vormundschaft eine Ergänzung bzw. ein Ersatz für die elterliche Gewalt darstelle, was zeitnahe zurecht als „eigenartig öffentlich-rechtliche Natur des neuen deutschen Vormundschaftsrechts“ bezeichnet wurde240 – sich jedoch bis heute erhielt. Festzuhalten bleibt daher auch, dass das System der familienrechtlich geprägten Vormundschaft eigentlich schon von jeher einen Systembruch darstellte, wie selbst Planck später zugab und lediglich dem Umstand geschuldet ist, dass

239

Schwab, Referat Neuordnung Entmündigungsrecht, K 14. Glässing, Die öffentlich-rechtliche Natur des neuen deutschen Vormundschaftsrechtes, AdÖR 1901, S. 426; Bulling, Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge des 19. Jahrhunderts, S. 136. 240

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit  „das Familienrecht und das Vormundschaftsrecht denselben geschichtlichen Ursprung im Mundium des alten deutschen Rechtes haben und weil nach dem BGB die Vormundschaft über Minderjährige, welche den wichtigsten Teil des Vormundschaftsrechts bildet, sich als Ergänzung der elterlichen Gewalt darstellt, indem dadurch für diejenigen Minderjährigen gesorgt wird, welchen der regelmäßige Schutz durch die Eltern fehlt. Diesem im Vordergründe stehenden Gesichtspunkte gegenüber erscheint es nur von untergeordneter Bedeutung, daß das Vormundschaftsrecht […] auch vermögensrechtliche Wirkungen erzeugt und […] mit dem Personenrecht überhaupt nicht im Zusammenhänge stehende Vorschrift getroffen ist.“241

Selbst wenn man diese Einschätzung unter Berücksichtigung des Zeitgeists für die Phase der Implementierung des BGB teilt, muss man doch konstatieren, dass das Vormundschaftsrecht des BGB aus dem Jahr 1900 unzweifelhaft von der überholten Anschauung geprägt war, dass Personen, die nicht gänzlich eigenständig über ihr Leben entscheiden konnten, nicht bloß Hilfe zur Selbsthilfe erhielten, sondern im Zuge der Vormundschaft entrechtet wurden.242 Planck und die anderen Verfasser des BGB setzten, aus ihrer historischen Erfahrung heraus, den Vertrauensschutz des Rechtsverkehrs über den Fürsorgegedanken.

IV. Das Betreuungsrecht Stärkster Ausdruck dessen war bis zur Reform des Jahres 1992 die beschriebene Entmündigung, § 6 BGB a. F. Diese war starr und allumfassend und erstreckte sich auf alle Bereiche des Lebens. Sie führte zur kompletten Aufgabe der Rechtspersönlichkeit des Mündels und wird retrospektiv sogar als menschenunwürdig angesehen.243 Die Reform der 1990er-Jahre wird unter anderem auch wegen der Abkehr von dieser alten Rechtstradition als wichtigste Reform unseres modernen Rechtssystems bezeichnet.244 Mit der Reform war die Geschäftsunfähigkeit nicht mehr Erforderlichkeitsvoraussetzung für die Übernahme der Pflegschaft eines anderen Menschen. Dies war auch dem Wandel im Recht und in der Gesellschaft geschuldet, dass nicht mehr jede Beschränkung einer Person und insbesondere nicht mehr jeder Verlust geistiger Fähigkeiten im Alter zu einem Rückgriff auf die Instrumentarien des Minderjährigenrechts führen sollte.245 Auch auf der Seite des ehemaligen Vormundes, nun in der Person des Betreuers, änderte sich einiges. Aus der Entmündigung erwuchs zuvor eine starke Stellung des Vormunds, der, zwar der gerichtlichen Kontrolle unterlegen, aber nichtdestotrotz, weite Teile des Lebens des Mündels nach der Entmündigung frei bestimmen konnte. Diese Fremdbestimmung ergab sich allein schon daraus, dass anerkann 241

Planck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1901, S. 3. Taupitz, JuS 1992, 9, S. 9. 243 Hufen, BtPrax 1996, 56, S. 56. 244 Schwab, FamRZ 1990, 681, S. 681; MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., Vor. § 1896, Rn. 1. 245 Holzhauer, FuR 1990, 249, S. 251; vgl. auch Taupitz, JuS 1992, 9, S. 9. 242

IV. Das Betreuungsrecht 

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termaßen dem Vormund bei Willensäußerungen Vorrang gegenüber dem Mündel eingeräumt wurde.246 Das neue Betreuungsrecht sollte das unterbinden und war nun geprägt vom Grundsatz der persönlichen Betreuung und dem Vorrang der Einzelbetreuung als helfenden, beratenden und unterstützenden Begleiter, der nicht bloß verwaltet, vgl. § 1897 Abs. 1 BGB.247 Der unterstützende Ansatz war dabei auch eine Reaktion auf die Zustände der Vergangenheit, in der Vormünder überlastet und Mündel zum reinen Objekt verkamen.248 Das neue Betreuungsrecht sollte künftig die Autonomie des Betreuten wahren und die gesetzliche Vertretung vor die bloße Entmachtung des Einzelnen stellen.249 Die beschriebenen Mängel nahm der Gesetzgeber im Jahr 1992 im Betreuungsgesetz zum Anlass, die Institute der Vormundschaft über Volljährige und die Gebrechlichkeitspflegschaft zu vereinen.250 Was aus der Fusion entstand, war das neue Instrument der Betreuung, §§ 1896 ff. BGB a. F., das auf den oftmals als diskriminierend empfundenen Begriff der Entmündigung verzichtete.251 Elemente der vorherigen Entmündigung sind nur insofern geblieben, als dass nun die Möglichkeit besteht, zusätzlich zur Betreuung einen sog. Einwilligungsvorbehalt gem. § 1903 BGB a. F., jetzt § 1825 BGB, anzuordnen. Dieser soll jedoch ausdrücklich nicht die Geschäftsfähigkeit gänzlich in Frage stellen, sondern diese nur beschränken und den Betreuten damit quasi einem beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen gleichstellen.252 Insbesondere soll die Fähigkeit bestehen bleiben, auch nach Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte, vor allem im Alltag zu bewirken, vgl. § 1903 Abs. 3 BGB a. F., jetzt § 1825 Abs. 3 BGB, aber auch das Recht auf Ehe und das politische Wahlrecht zu erhalten.253 Mit der Abschaffung der Entmündigung wurde den Betroffenen zunächst ein deutlicher Zuwachs an Autonomie gewährt, der sie auch insgesamt unabhängiger von der Person des Vormunds bzw. Betreuers machte. 1. Erstes Betreuungsrechtsänderungsgesetz Das neue Bereuungsrecht musste sich bewähren, war es doch tatsächlich ein großer Umbruch im System der Erwachsenenfürsorge. Trotz oder gerade wegen der hohen Erwartungen an das Gesetz kam es schnell zu den ersten Problemen. 246

BT-Drs.: 11/4528, S. 40. BT-Drs.: 11/4528, S. 68; Jürgens, BtPrax 1998, 129, S. 130. 248 BT-Drs.: 11/4528, S. 68; Dieckmann, ZRP 2002, 425, S. 429; Taupitz, JuS 1992, 9, S. 9. 249 Holzhauer, FuR 1990, 249, S. 252. 250 BT-Drs.: 11/4528, S. 49. 251 Damrau / Zimmermann, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 1896, Rn. 2; Spickhoff / Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 1896, Rn. 2. 252 Spickhoff / Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 1903, Rn. 1. 253 Holzhauer, FuR 1990, 249, S. 252. 247

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

Der erste Streit entbrannte sich bereits um den Namen „Betreuung“, welchen viele als missverständlich und sogar schädlich erachteten.254 Der Begriff habe im Kern das Problem, dass er mehrfach belegt sei und dabei einen falschen Eindruck über den Umfang und die Konsequenzen des Rechtsinstituts erwecke und vor allem den Eingriffscharakter in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen nicht deutlich genug erkennen lasse.255 So gäbe es unter Umständen einen Betreuer für tatsächliche Hilfen (Sozialhilfen oder Behinderteneinrichtungen), eine ärztliche Betreuung im Sinne des Sozialrechts und eben die Betreuung als gesetzliche Vertretung.256 Der Konflikt, den es nun zu lösen gab, bestand darin, dass sich das neue Betreuungsrecht ausdrücklich der sog. persönlichen Einzelbetreuung verschrieben hatte und dies auch weiterhin deutlich werden musste.257 Gleichzeitig sollte jedoch der Eindruck vermieden werden, das Betreuungsrecht könnte Einrichtungen der tatsächlichen Hilfe ersetzen.258 Der Gesetzgeber behalf sich schließlich mit dem einfachen Zusatz „rechtliche“ Betreuung und hoffte damit auf Besserung. Bereits in der Bundestagsdebatte hierzu gab es jedoch Kritik an dieser erneuten Justizzentriertheit, insbesondere vonseiten der Opposition: „[…] Übrig bleibt die ‚rechtliche Betreuung‘, was immer das ist. Das heißt, wenn der Betreuer als halber Anwalt fungiert, dann wollen Sie ihn ernst nehmen. Aber wenn er mit den Menschen redet, auch Kaffee trinkt und zum Geburtstag einen Blumenstrauß bringt, dann ist das alles nicht viel wert. […] Überflüssig, zu teuer erscheint Ihnen das Betreuungswesen, wo es darum geht, die Zuwendung zu Leisten. Das kann so nicht bleiben“.259

Das neue Betreuungsrecht führte, ggf. auch wegen der irreführenden Begrifflichkeit, zu einem sprunghaften Anstieg der Betreuungszahlen: so stieg die Zahl von Erwachsenen, die erstmalig unter eine Betreuung gestellt wurden von zunächst 75.170 im Jahr 1992 auf 177.252 im Jahr 1999.260 Dies wiederrum führte zu einer Belastung der Justizapparate der Länder als Anordnungsbehörden und der Landeshaushalte, die für die Vergütung und Aufwendung von Betreuern zuständig sind.261 Das Betreuungsgesetz von 1992 hatte weiterhin grundsätzlich am Prinzip der Unentgeltlichkeit der Betreuung festgehalten und lediglich versucht, die Abgrenzung zwischen einem Aufwendungsersatz und einem Vergütungsanspruch für Be 254

Coeppicus, Rpfleger 1996, 425, S. 425; Jürgens, BtPrax 1998, 129, S. 130. Coeppicus, Rpfleger 1996, 425, S. 425. 256 Coeppicus, Rpfleger 1996, 425, S. 426. 257 Taupitz, JuS 1992, 9, S. 10. 258 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., Vor. § 1896, Rn. 22. 259 Auszug Rede Margot v. Renesse (SPD), MdB, 03. 04. 1998, BT-Plenarprotokoll 13/228, 20960. 260 Bundesamt für Justiz, Referat III 3, Betreuungsverfahren, Zusammenstellung der Bundesergebnisse für die Jahre 1992 bis 2001, Stand: 30. November 2018, abrufbar unter: https:// www.bundesjustizamt.de/SharedDocs/Downloads/DE/Justizstatistik/Betreuungsverfahren.pdf? __blob=publicationFile&v=1, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 261 MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., Vor. § 1896, Rn. 22. 255

IV. Das Betreuungsrecht 

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treuer deutlicher herauszuarbeiten.262 Das Gesetz unterschied für die Vergütung von (Berufs-)Betreuern zum einen nach dem Schwierigkeitsgrad der Betreuung und zum anderen nach dem Berufsabschluss.263 Das Ermessen dabei übte das jeweils zuständige Betreuungsgericht aus, was in der Konsequenz zu verschiedenen Leistungsbewertungen in unterschiedlichen Gerichtsbezirken führte.264 Die Überprüfung der Vergütungspositionen kostete sowohl bei den Gerichten als auch bei den Betreuern enorm viel Zeit, welche wiederum beim Einsatz für die Betroffenen fehlte.265 Das Betreuungsgesetz hatte einem Bundesverfassungsgerichtsurteil folgend,266 die entscheidende Referenznorm zur Vergütung der Betreuung aus dem Vormundschaftsrecht, § 1836 BGB a. F., um einen Abs. 2 ergänzt. Dieser regelte nun, dass auch dem berufsmäßig tätigen Betreuer zwingend eine Vergütung zu gewähren sei und er nicht mehr bloß seine Aufwendungen geltend machen konnte, § 1835 BGB a. F.267 Der Berufsbetreuer war offiziell geboren.268 Das erste Betreuungsrechtsänderungsgesetz versuchte den Umstand der nun aufkommenden Kostenexplosion und komplizierter Verfahrensfragen einzudämmen.269 Kernelemente der Reform waren dabei die stärkere Hervorhebung des ehrenamtlichen Charakters des Betreuungsrechts in § 1836 Abs. 1 BGB a. F. sowie die Einfügung der Abs. 6 und 7 in § 1897 BGB a. F. und der Versuch, weniger nach dem Schwierigkeitsgrad der Betreuung und stärker nach der Qualifikation des Betreuers zu vergüten.270 Während der Debatte um das erste Betreuungsrechtsänderungsgesetz sprach sich die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag dafür aus, die ihrer Meinung nach „justizförmige“ Betreuung zu einer „sozialen Betreuung“ umzubauen. Mit einem Antrag wollte sie erreichen, dass der Deutsche Bundestag zwar die rechtspolitischen Ziele des Betreuungsrechts bekräftigt, jedoch die Betreuung an sich nicht mehr nur als ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis versteht, sondern die soziale Unterstützung für den Betroffenen in den Mittelpunkt rückt.271 Als „Staatsaufgabe“ setze die Sicherstellung der Betreuung mehr voraus, als das Zivilrecht leisten könne. Dabei wiesen die Initiatoren vor allem auch darauf hin, dass sog. „primäre Sorgesysteme wie Familie und Nachbarschaft, die solche Aufgaben in der Vergangenheit in vielen Fällen ganzheitlich und ohne staatliche Intervention übernommen“ hätten, sich unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen als überfordert erwiesen oder 262

Dieckmann, JZ 1988, 789, S. 791. Meinhardt, Rpfleger 1996, 433, S. 433. 264 Meinhardt, Rpfleger 1996, 433, S. 433; BT-Drs.: 13/7158, S. 12 f. 265 Meinhardt, Rpfleger 1996, 433, S. 434; Coeppicus, Rpfleger 1996, 425, S. 426, 429; BTDrs.: 13/7158, S. 14. 266 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2179. 267 Schwab, FamRZ 1990, 681, S. 691. 268 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 41.1. 269 BT-Drs.: 13/10331, S. 2. 270 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 8. 271 BT-Drs.: 13/10301, S. 1 f. 263

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

nicht zur Verfügung stünden.272 Ein Argument, was bereits in der Vergangenheit mehrfach genannt wurde und selbst schon zur Implementierung des BGB, jedenfalls für Großstädte, statthaft war.273 Die Verfasserinnen und Verfasser strebten nun sechs Jahre nach dem neuen Gesetz eine echte „Reform der Reform“ an und benannten hierbei vor allem den Bezug zum Kindschaftsrecht als „vorbildlich“. Dieses sei ebenfalls, wie oben beschrieben, seit den 1920er-Jahren zum Teil im Zivilrecht, aber vor allem im Sozialrecht verankert. Sie schlugen mithin ein sog. Betreuungshilferecht vor, in dem das Zivilrecht die Aufgabe erfüllen sollte, Rechtsverlust und Rechtsgewinn, Vertretungsmacht, Haftungsfragen und richterliche Gestaltungsmöglichkeiten zu regeln und das neue Sozialrecht die regionale Struktur der Qualität und Kontrolle des Rechts im Zusammenspiel von Betreuungsbehörde, Betreuungsvereinen, ehrenamtlichen und beruflichen Betreuern zu manifestieren.274 Dabei sollten vor allem die Betreuungsbehörden eine übergeordnete Rolle spielen und stärker Betreuung initiieren und organisieren und das Vormundschaftsgericht nur noch den Bestellungsakt selbst vollziehen.275 Trotz Regierungsbeteiligung der SPD in den Folgejahren wurde das Vorhaben nicht unmittelbar realisiert.276 Rückblickend ist festzuhalten, dass die ersten Versuche der Kostendämpfung und Refokussierung auf den vermeintlichen Kern des deutschen Betreuungsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Ehrenamtlichkeit, nicht erfolgreich waren.277 2. Zweites und Drittes Betreuungsrechtsänderungsänderungsgesetz Zum 01. Juli 2005 kam es daher bereits wenige Jahre nach dem ersten Betreuungsrechtsänderungsgesetz zur zweiten Reform der Reform. Auch hier standen wieder vor allem Finanzierungsfragen im Vordergrund.278 Es enthielt neben Regelungen zur Verbesserung der Vorsorgevollmacht und der Vereinfachung des Verfahrensrechts insbesondere eine maßgebliche Änderung: die Umstellung der Vergütung des Berufsbetreuers auf Fallpauschalen.279 Dies ging einher mit dem neuen Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG), welches viele Fragen der Berufsbetreuung aus dem BGB löste und dort versuchte, neu zu regeln. Bei der Evaluation zum Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz zeichnete sich dann jedoch ein noch verheerenderes Bild ab und belegte, dass das Gesetz teilweise sogar noch zur Verschärfung der Probleme beitrug. Nun gaben immerhin 29 % der befragten Betreuer an, dass sie schlicht weniger Zeit für die Betroffenen 272

BT-Drs.: 13/10301, S. 2. Vgl. schon B. III. 5. a) aa), vgl. S. 53 f. 274 BT-Drs.: 13/10301, S. 3. 275 Probst, ZRP 2001, 426, S. 428. 276 Schulte, FPR 2012, 24, S. 26. 277 Sorg, BWNotZ 2005, 73, S. 73. 278 Sorg, BWNotZ 2005, 73, S. 74. 279 Pardey / Kieß, Betreuungsrecht, 6. Aufl., § 1, Rn. 18. 273

IV. Das Betreuungsrecht 

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aufwendeten, da ihre Arbeit über Pauschalsätze hinweg nicht hinreichend vergütet wurde280 und die Rate der Beanstandungen gegen Betreuer wegen Zeitmangels nahm um 15 % zu.281 Die Ausgaben der Landeshaushalte für die Vergütung der Betreuer stiegen aber weiter an.282 Im Ergebnis kam der Bericht zwar dann zu einer durchaus positiven Bewertung des zweiten Änderungsgesetzes in Bezug auf die Verfahrenserleichterungen und die Entbürokratisierung nach Einführung der Fallpauschalen, jedoch konnte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass gleichzeitig die Kontrollmöglichkeiten der Behörden über die rechtlichen Betreuer sanken und der Zuwachs von Berufsbetreuungen gegenüber ehrenamtlichen Betreuungen nicht aufgehalten werden konnte.283 Immerhin wurde mit dem zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2005 erstmalig die Eignungsprüfung bei berufsmäßigen Betreuern zumindest in Ansätzen gesetzlich ausgestaltet. So war es nun gem. § 1897 Abs. 7, S. 2 BGB a. F. zwingend notwendig, dass ein Führungszeugnis und ein Auszug aus dem Schuldnerverzeichnis bei Bestellung eines Betreuers vorliegen mussten. Neben der nun geltenden Pflicht für Berufsbetreuer, ein Führungszeugnis und einen Auszug aus dem Schuldnerverzeichnis vorzulegen, entschied sich der Gesetzgeber auch, „in geeigneten Fällen auf Anordnung“ einen sog. Betreuungsplan bei berufsmäßigen Betreuern einzufordern, § 1901 Abs. 4, S. 2, 3 BGB a. F. Inhalt dieses Betreuungsplans sollen die Ziele der Betreuung und die zu ergreifenden Maßnahmen sein. Dieses begrüßenswerte Instrumentarium wurde vor allem wegen der Umstellung des Vergütungssystems auf Fallpauschalen eingeführt und sollte hier Missbrauch unterbinden.284 Bei der Evaluation zum Gesetz ergab sich dann gerade einmal eine Anordnung von Betreuungsplänen durch die Gerichte in 0,2 % der Fälle.285 Weiter war dann auch keine Professionalisierung des Betreuerberufs, wie sie die Literatur seit längerem schon forderte, zu erwarten.286 Das neue VBVG manifestierte einen pauschalen Vergütungsanspruch für eine Berufsgruppe, die es weiterhin nur qua

280 ISG-Abschlussbericht zur Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (2. BtÄndG), Stand: 21. 04. 2009, S. 14, abrufbar unter: https://www.isg-institut.de/evaluationdes-zweiten-betreuungsrechtsaenderungsgesetzes-2-btaendg/, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 281 ISG-Abschlussbericht zur Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (2. BtÄndG), Stand: 21. 04. 2009, S. 18, abrufbar unter: https://www.isg-institut.de/evaluationdes-zweiten-betreuungsrechtsaenderungsgesetzes-2-btaendg/, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 282 ISG-Abschlussbericht zur Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (2. BtÄndG), Stand: 21. 04. 2009, S. 15, abrufbar unter: https://www.isg-institut.de/evaluationdes-zweiten-betreuungsrechtsaenderungsgesetzes-2-btaendg/, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 283 ISG-Abschlussbericht zur Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (2. BtÄndG), Stand: 21. 04. 2009, S. 30, abrufbar unter: https://www.isg-institut.de/evaluationdes-zweiten-betreuungsrechtsaenderungsgesetzes-2-btaendg/, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 284 Jurgeleit / Kieß, 4. Aufl., BGB, § 1901, Rn. 74. 285 ISG-Abschlussbericht zur Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (2. BtÄndG), Stand: 21. 04. 2009, S. 18, abrufbar unter: https://www.isg-institut.de/evaluationdes-zweiten-betreuungsrechtsaenderungsgesetzes-2-btaendg/, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 286 Fesel, BtPrax 1996, 57, S. 58; Meinhardt, Rpfleger 1996, 433, S. 435.

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit 

faktischer Tätigkeitsübernahme und nicht wegen einer staatlich verordneten Ausbildung gab. Auch das dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz, welches dann am 01. 09. 2009 in Kraft trat, änderte daran nichts. Hier wurden lediglich Regelungen zur Patientenverfügung und zur Neuordnung des Prozessrechts mit Einführung des FamFG getroffen.287 Eine den Berufsbetreuer betreffende Fragestellung wurde dann jedoch nachträglich im Jahr 2011 geregelt, als der fehlende persönliche Kontakt zum Betreuten als wichtiger Grund für die Entlassung des Betreuers in § 1908b Abs. 1, S. 2 BGB a. F. angefügt wurde.288 Dies sollte vor allem bei Berufsbetreuern die Abnahme der persönlichen Kontakte eindämmen und den Betreuungsgerichten ein konkretes Instrument zur Kontrolle an die Hand geben.289

V. Zusammenfassung Die Geschichte zeigt, dass sich aufgrund unterschiedlicher Rechtstraditionen und fundamentalen Umbrüchen in der Betrachtung von Menschen, die einer besonderen Hilfe bedürfen, teilweise Widersprüche im System des deutschen Rechts der Erwachsenenfürsorge ergeben haben. Sahen das römische Recht und das gemeine Recht vor allem die Familie bzw. die Sippe im Vordergrund fürsorgerischer Tätigkeit, entstand spätestens mit dem ALR und der preußischen Rechtsauffassung ein umfassender staatlicher Auftrag für das Vormundschaftswesen, welcher ordnungsrechtlich veranlasst, den Vormund zum „Vollstrecker“ machte. Wenn sich dann zwar mit den Gedanken der Aufklärung und der Erkenntnis, dass bestimmte Betroffene auch der Heilung, jedenfalls aber der selbstbestimmten, mitunter angeleiteten, Lebensbewältigung zugänglich seien, ein Rückgang dieser Staatsgläubigkeit beobachten ließ, kam man von diesem Gedanken nie wieder gänzlich weg. Die Preußische Vormundschaftsordnung setzte dann in einer Revision des römischen Rechts wieder stärker auf die Selbstbestimmung der Familie und die Rolle des Vormunds als eigenverantwortlicher Stellvertreter. Nie geklärt blieb dabei das Verhältnis zu den Überresten der obrigkeitsstaatlichen Elemente, sodass selbst schon mit Suarez und Savigny die Verortung des Vormundschaftsrechts im Familienrecht jedenfalls nichts war, das sich von vorneherein selbst erklärt hätte. Wie dann vielfach festgestellt, sind sowohl der frühere Weg über die ZPO und das Entmündigungsverfahren als auch im materiellen Recht über das BGB, vom Gedanken der Wiederherstellung der Fähigkeit des Betroffenen am Geschäftsverkehr mitzuwirken, geprägt gewesen. Die Aspekte der Vermögenssorge und Verwaltung waren maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Rechtsgestaltung. Mit dem jungen BGB verband sich dann der Anspruch der Generalität des Rechts, was jedoch 287

BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 43 f. BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 44.1; Jurgeleit / Kieß, 4. Aufl., BGB, § 1908b, Rn. 67. 289 BR-Drs.: 537/10, S. 1. 288

V. Zusammenfassung 

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insbesondere durch das starre Konstrukt der Entmündigung zu einer sozialen Belastung führte. Auch kooperative Elemente wie der Familien- und Waisenrath, wurden mit der Zeit aufgegeben, was den privatrechtlichen, vermeintlich selbstbestimmten Charakter des gesamten Rechtsgebiets betonte. Dem BGB gelang es seit seinem Bestehen nur aufgrund der Verpflichtung und Bereitschaft der Angehörigen, eine konstante Erwachsenfürsorge zu gewährleisten. Man entschied sich bewusst für einen Mittelweg, der die Betreuer unter die obervormundschaftliche Aufsicht der Gerichte und nicht einer staatlichen Behörde stellte. Zurecht halten einige gerade dieses „justizzentrierte“ System für eines der Probleme im Betreuungsrecht, da es zum einen die sozialen Fragestellungen bis heute nicht beantworten kann, aber vor allem auch keine Vernetzungsarbeit zwischen den im Betreuungsrecht betroffenen Personen zu leisten vermag.290 Historisch zeigt sich, dass das Recht der Vormundschaft bis zur Reform im Jahr 1992 zu einem der langlebigsten Rechtsbereiche zählte, welches mittelbar seit der Preußischen Vormundschaftsordnung aus dem Jahr 1875 unangetastet blieb. Die Grundprinzipien sind seitdem unverändert geblieben, insbesondere im Hinblick auf die Prinzipien der Obervormundschaft, der Aufsicht des Staates und der Rolle des Betreuers als selbstbestimmtem Vertreter des Betroffenen. Auch das Betreuungsrecht änderte hieran zugegebenermaßen nicht viel. Mit der Symbiose aus Vormundschaft über Volljährige und Gebrechlichkeitspflege entstand zwar ein neues Institut namens rechtlicher Betreuung und die entrechtende „Entmündigung“ fiel weg. Zu einer aufrichtigen retrospektiven Betrachtung gehört aber auch, dass, mit der Einführung des Betreuungsrechts die Entmündigungspraxis schon längst durch Nichtanwendung der Praxis nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwunden war. So gab es im Jahr 1987 noch 2667 neue Entmündigungsbeschlüsse bei insgesamt 63.026 bestehenden Vormundschaften über Volljährige im Vergleich zu 182.248 angeordneten Gebrechlichkeitspflegschaften.291 Das Ziel des Betreuungsrechts, das Nebeneinander von Vormundschaft und Pflegschaft zu beenden, war daher zunächst denklogisch. Auch der damit verbundene Wegfall der obligatorischen Geschäftsunfähigkeit sowie der totalen Entmündigung waren wichtige zivilisatorisch und evolutionstechnisch notwendige Schritte hin zu einer humaneren Fürsorgepraxis über Erwachsene. Mit Blick auf die seit dem Jahr 1992 nun jedoch vollzogenen Revisionen des Betreuungsrechts muss doch konstatiert werden, dass die Halbwertzeit der Gesetzgebung auch Ausdruck für eine Fülle an ungelösten Problemen ist. In der Bundesrepublik Deutschland sind heute für rund 1,3 Mio. Menschen Betreuungen angeordnet.292 Die Zahl der Betreuungen ist seit der Reform von 1992 um fast 100 % angestiegen. Eindrucksvoll wird darauf hingewiesen, dass

290

Probst, ZRP 2001, 426, S. 431; Pitschas, FPR 2012, 61, 63 ff. BT-Drs.: 11/4538, S. 43. 292 Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 15. 291

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B. Rechtliche Betreuung im Wandel der Zeit  „in nur sieben Jahren nach dem Inkrafttreten des BtG […] die Zahl bestehender gesetzlicher Vertretungen um so viel zugenommen [hat], wie es sie im letzten Jahr vor dem Inkrafttreten des BtG überhaupt erst gegeben hat!“.293

Mit dieser Entwicklung gingen verschiedenste Probleme einher, die bis heute fortwirken. Die vermeintliche „Jahrhundertreform“ war so gesehen zunächst keine. Der Gesetzgeber hat mit dem Betreuungsgesetz maßgebliche Prinzipien fortgeführt, die vor allem mit der Praxis nicht mehr übereinstimmen, sei es im Bereich der persönlichen Betreuung statt der anonymen Verwaltung sei es bei der Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung, insbesondere bei der Betreuerauswahl und deren Kontrollmöglichkeiten. Ursache hierfür könnte das apodiktische Festhalten an Grundsätzen wie dem Vorrang der Ehrenamtlichkeit, der Unentgeltlichkeit, der Obervormundschaft durch die Gerichte, dem Primat der Kostensenkung und der unbeschränkten Vertretungsmacht sein.

293

Coeppicus, NJW 2014, 3703, S. 3704.

C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen Diese Leitgedanken setzte der Gesetzgeber nun jedoch erneut an, als er sich in Folge der zwei Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz in den Jahren 2015 und 2017 zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ und zur „Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte andere Hilfen“ mit Rücksicht auf den Koalitionsvertag von CDU / CSU und SPD im Jahr 2018 auf den Weg machte, eine weitere Reform anzustoßen. Diese wurde mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt am 12. Mai 2021 abgeschlossen und ist nun seit dem 01. Januar 2023 in Kraft. Fraglich ist, ob diese unter den angeführten Prämissen geeignet ist, bestehende Widersprüche und Probleme im System zu entschärfen.

I. Die Ausgangslage Der Gesetzgeber hatte mit den Evaluationen zum Betreuungsrecht aus den Jahren 2015 und 2017 gutachterlich bestätigt bekommen, dass insbesondere der Erforderlichkeitsgrundsatz bei Bestellung von Betreuungen mittlerweile nur noch unzureichend beachtet wurde. Mindestens 5–15 % der Betreuungsanordnungen sei nach Ansicht der Gutachter vermeidbar.1 Als maßgeblicher Aspekt in der Vermeidung von rechtlichen Betreuungen wird zuvörderst das Fehlen bzw. die fehlende Kenntnis sog. anderer Hilfen, also Sozialdiensten, Sozialpsychiatrischen Diensten, ambulant betreutem Wohnen oder auch Schuldnerberatungen genannt.2 Eine nicht geringe Anzahl von Betreuungen wäre nach Auswertung der Studienergebnissen auch ohne die beschränkendenden Rechtsinstrumente der §§ 1896 ff. BGB a. F., heute §§ 1814 ff. BGB, möglich, wenn stärker auf Alternativen zur rechtlichen Betreuung verwiesen würde. So gaben 13 % der befragten Richterinnen und Richter an, dass sie in den Fällen, in denen sie keine Betreuung anordneten, Hinweise von den Betreuungsbehörden zu anderen, zumeist sozialen, Hilfen erhielten und daher eine 1

IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 9, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammenfassung_ Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 2 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 9, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammenfassung_ Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Betreuungsanordnung vermeidbar wäre.3 Bei den für die Forschungsstudien notwendigen Befragungen tritt zu dem zu Tage, dass mittlerweile 25 % der befragten Berufsbetreuer angeben, dass der überwiegende Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf der Beantragung, Durchsetzung und Prüfung von Leistungen von Sozialleistungsträgern liegt, obwohl nicht sie, sondern die Sozialbehörden selbst, für die Beratung in diesem Bereich zuständig wären.4 Auch bei der Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten kamen in den Studien Zweifel auf. 80 % der befragten Richterinnen und Richter gaben an, dass sie bei Unklarheit über den Aussagegehalt des Willens des Betreuten, den Betroffenen noch einmal persönlich anhörten, beispielsweise wenn es um den Wunsch oder die Ablehnung eines bestimmten Betreuers ginge.5 Auch wenn dies zunächst nach einer hohen Anzahl klingt, musste auch unter Bezugnahme auf die weiteren Erkenntnisse der Evaluation, so zum Beispiel, dass zwischen 11–14 % der befragten Richterinnen und Richter auf den Sozialbericht der Betreuungsbehörden zur Eignung der Betreuer verzichten,6 ein Fragezeichen bei der selbstbestimmten Betreuerauswahl verbleiben. Die Forschungsvorhaben aus dem Jahr 2017 weisen ebenso darauf hin, dass das gegenwärtige System der Betreuung finanzielle Fehlanreize setze, die besonders die Arbeit der Berufsbetreuer begünstige.7 Es wird aber auch ausgeführt, dass derzeit kein finanzieller Anreiz für die Kommunen bestehe, ihr Beratungs- und Leistungsangebot auszubauen und zugunsten der Landeskasse betreuungsvermeidend zu agieren.8

3 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Abschlussbericht: Band I  – Band  II, S. 148, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/ Zusammenfassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publication File&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 4 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Abschlussbericht: Band I  – Band II, S. 71, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/ Zusammenfassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publication File&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 5 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 570, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=3304A6DA3956C11E4BAF2B055EA 05C49.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 6 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 570, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=3304A6DA3956C11E4BAF2B055EA 05C49.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 7 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 9, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammenfassung_ Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 8 Fröschle, NJOZ 2018, 801, S. 804.

II. Leitgedanken der Reform 

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Alles in allem eine unbefriedigende Situation, die offenkundig machte, dass das bisherige Betreuungsrecht weite Komplexe der Erwachsenenfürsorge außer Acht ließ. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz setzte daher in den Jahren 2018 und 2019 vier interdisziplinäre Arbeitsgruppen ein, welche konkret Gesetzgebungsvorschläge beraten sollten. Die Arbeitsgruppen beschäftigten sich unter anderem mit dem Selbstbestimmungsrecht von Betroffenen, auch im Zusammenspiel mit den Betreuungsgerichten (Fach-Arbeitsgruppe 1), mit der beruflichen Betreuung (Fach-Arbeitsgruppe 2), mit der ehrenamtlichen Betreuung, inklusive den Betreuungsvereinen (Fach-Arbeitsgruppe 3) und mit der Schnittstelle zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung und dem Erforderlichkeitsgrundsatz (Fach-Arbeitsgruppe 4). Zwei Unterarbeitsgruppen ergänzten die Arbeit in den Bereichen Datenschutz und Entlastung der Rechtspflege. Auch ein sog. „Selbstvertreterworkshop“ mit Betroffenen wurde durchgeführt.9

II. Leitgedanken der Reform Ziel der Reform war es unter anderem, den Vorrang sozialrechtlicher Hilfen vor rechtlicher Betreuung, die Qualität der Betreuung sowie Auswahl und Kontrolle von Betreuerinnen und Betreuern, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen sowie die Finanzierung der „unverzichtbaren Arbeit der Betreuungsvereine“ zu stärken.10 Die Normen zum Betreuungsrecht seien „grundlegend überarbeitet“ worden, um die Vorgaben von Art. 12 UN-BRK deutlicher hervorzuheben.11 Die Betreuung soll stärker als Unterstützungsinstrument begriffen werden und selbstbestimmtes Handeln der Betroffenen ermöglichen. Stärker hervorzuheben sei, dass „das Mittel der Stellvertretung“ von Betreuern nur eingesetzt werden dürfe, soweit es erforderlich sei. Künftig sollte es auch nicht mehr primär um das „Wohl“ des Betroffenen gehen, sondern vorrangig um die „Wünsche“ des Betreuten. Die faktische Wunscherforschung soll verstärkt durch die gerichtliche Aufsicht und dort der Rechtspflege sichergestellt werden. Das neue Recht geht weiter von der bisherigen Praxis aus, dass die ehrenamtlichen Betreuer im Zentrum der Bemühungen des Gesetzgebers stehen, eine angemessene Betreuung für Betroffene zu gewährleisten. Die ehrenamtlichen Betreuer sollen vermehrt über Betreuungsvereine unterstützt werden, welche im Gegenzug eine Finanzierungverpflichtung durch die Länder erhalten.12 Der Berufsbetreuung, weiterhin formal subsidiär, werden weitere Auflagen gemacht, beispielsweise ein Registrierungsverfahren eingeführt. Für die Organisation der Betreuung und ihrer Beteiligten meint der Gesetzgeber

9

BT-Drs.: 19/24445, S. 121 f. BT-Drs.: 19/24445, S. 1. 11 BT-Drs.: 19/24445, S. 3. 12 BT-Drs.: 19/24445, S. 3. 10

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

nun das neue Betreuungsorganisationsgesetz einführen zu müssen, was das bisherige Betreuungsbehördengesetz ablöst und vor allem „öffentlich-rechtlich geprägte Vorschriften“ aus dem BGB herauslösen soll.13 Neu, aber seit Jahrzehnten zuvor kontrovers diskutiert, ist die Einführung eines Notvertretungsrechts für Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge, auf welches hier nicht näher eingegangen werden soll. Zwar hat das befristete Ehegattenvertretungsrecht auch zum Ziel, einstweilige Anordnungen zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers in akuten Krankheitssituationen zu verhindern,14 jedoch ist es bei der hier maßgeblichen Frage, der über eine gewisse Dauer angelegten Betreuerbestellung und den Herausforderungen zwischen Stellvertretung und Daseinsversorge, eben nur ein „Notrecht“, welches die übrigen Vorschriften des Betreuungsrechts nur mittelbar tangiert.

III. Regelungsinhalte Wesentlicher Bestandteil der Reform ist eine komplette Neustrukturierung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts innerhalb des BGB. Dabei war das Ziel des Gesetzgebers, die Regelungen zur Vermögenssorge mit den Regelungen zur Aufsicht durch das Gericht und zum Aufwendungsersatz und Vergütung aus dem Vormundschaftsrecht herauszulösen. Systematisch wurden diese Abschnitte dann hinter das Betreuungsrecht verschoben.15 Die Idee war wohl, dass damit die Fokussierung auf die Vermögens- bzw. die administrativen Fragen verringert werden und stärker der Fürsorge- bzw. Selbstbestimmungsgedanke auch regelungstechnisch in den Mittelpunkt rückt.16 Dass die bisherige Unart der stetigen Verweisungsketten zwischen dem Recht des Minderjährigen und des Volljährigen in diesem Rechtsgebiet durchbrochen werden mussten, war unlängst bekannt, da es zu Ungereimtheiten führte, bei dem selbst dem Gesetzgeber Redaktionsversehen unterliefen.17 Ob sogleich jedoch der große Clou einer Reform die Neustrukturierung sein sollte, wo doch mit dem Betreuungsrechtsgesetz im Jahr 1992 erst die Systematik verändert wurde und ob hierdurch nicht dem praktischen Anwender sogar noch Steine in den Weg gelegt werden, soll zunächst wegen des Fokus auf die inhaltlichen Veränderungen dahinstehen. Anzumerken bleibt jedoch, dass nun vielfach das Vormundschaftsrecht auf das Betreuungsrecht verweist, beispielsweise über §§ 1798, 1799, 1800 BGB.18 Auch in

13

BT-Drs.: 19/24445, S. 4. BT-Drs.: 19/24445, S. 166. 15 BT-Drs.: 19/24445, S. 123; Müller-Engels, DNotZ 2021, 84, S. 84. 16 BT-Drs.: 19/24445, S. 126. 17 BeckOGK BGB / Uhl, 01. 09. 2022, § 1908i, Rn. 6 f. 18 Zur gesamten Problematik der Verweisungsketten, vgl. Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1322. 14

III. Regelungsinhalte

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den über 80 Stellungnahmen zum Regierungsentwurf findet man daher kritische Stimmen, ob durch die angedachte „Totalrevision“ insbesondere hinsichtlich der Systematik ein Mehrwert für die Praxis erzielt werden kann. Im Hinblick auf die Neuordnung des Vormundschaftsrechts formuliert beispielsweise der Amtsrichterverband treffend: „Im Gegenteil bringt jede Totalrevision eines Rechtsbereichs gerade die zahlreichen Probleme für den Gesetzesanwender mit sich, die zu beseitigen der Entwurf sich als Ziel gesetzt hat“.19

1. Betreuerbestellung Die rechtliche Betreuung ist künftig in den §§ 1814–1881 BGB geregelt. Ein Volljähriger erhält gem. § 1814 Abs. 1 BGB einen Betreuer, wenn er seine Angelegenheiten ganz oder teilweise rechtlich nicht besorgen kann und dies auf einer Krankheit oder Behinderung beruht. Bisher konnte gem. § 1896 Abs. 1 BGB a. F. für einen Volljährigen ein Betreuer bestellt werden, wenn er aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten nicht besorgen konnte. Die neue Formulierung war laut Gesetzgeber notwendig geworden, um auf die Kritik zu reagieren, dass die alte Gesetzesfassung zu stark auf die medizinische Feststellung von Defiziten fokussierte. Künftig soll also nicht mehr das „Warum“ der Betreuung im Vordergrund stehen, sondern vielmehr das „Ob“ und das „Wie“ dieser. a) Eingangsmerkmale – Wunsch nach Ende von Stigmatisierung, § 1814 BGB Unter Berücksichtigung der UN-BRK soll auf die klassifizierenden Umschreibungen von psychischer Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung verzichtet werden und nun schlicht von „Krankheit oder Behinderung“ gesprochen werden. Ein zunächst einleuchtender Ansatz, zumal zurecht darauf hingewiesen wurde, dass diese seit jeher rein juristischen Begrifflichkeiten nicht gleichbedeutend mit medizinischen Indikationen sind.20

19 Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 30. 07. 2020, S. 3, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/073020_Stellungnahme_ARV_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289? __blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 20 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 69.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Auch deren Entbehrlichkeit wurde seit Jahren proklamiert, da durch den Gleichklang aller bisherigen Merkmale keine unterschiedlichen Formen von Betreuungsanordnungen ausgelöst würden, weshalb sie vor allem noch einem praktischen Bedürfnis der Gerichte und Gutachter entsprochen hätten und historisch bedingt und belegt waren.21 Andererseits wird hier zu bedenken gegeben, dass mit der Aufgabe dieser Begrifflichkeiten und der bloßen Begrenzung auf die Merkmale „Krankheit“ oder „Behinderung“ Tür und Tor geöffnet wird für eine zunächst grenzenlose Betreuungsanordnung.22 Welcher Grad der Behinderung oder Krankheit überschritten werden muss, um eine Anordnung auszulösen, bleibt unklar. Auch wenn der Gesetzgeber hervorgehoben wissen will, dass mit der Neufassung explizit keine Veränderung des Personenkreises für die von Betreuung Betroffenen einhergehen soll,23 scheint diese bloß „sprachliche Neufassung“ doch nicht ungefährlich. Dem Gesetzgeber schien es bei der hiesigen Novellierung stark um linguistische Gesichtspunkte zu gehen. Niemand solle ausgegrenzt oder stigmatisiert werden, was nachvollziehbar auch Fachgesellschaften begrüßen.24 Ein sicher löblicher Ansatz in Zeiten, in denen Sprache immer mehr im Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen steht. Gut gemeint ist aber noch nicht immer gleich gut gemacht, und so besteht hier das Risiko von Unbestimmtheit und Beliebigkeit des neuen Rechts.25 Nach hiesiger Auffassung wird bei der Neuformulierung nicht mehr der Grundsatz der Betreuung als Ultima Ratio deutlich. Ein Gesetz soll nicht in erster Linie den Betroffenen vor sprachlicher Stigmatisierung schützen, sondern den Rechtsanwendern einen verlässlichen Leitfaden geben, wann das Institut Anwendung findet. Natürlich wird durch den in derselben Vorschrift genannten Erforderlichkeitsgrundsatz, § 1814 Abs. 3 BGB, weiterhin deutlich, dass ein Betreuer nur bestellt werden darf, wenn dies erforderlich ist. Der neue Abs. 3 des § 1814 BGB ist insoweit jedoch fast deckungsgleich mit dem bisherigen Abs. 2 des § 1896 BGB a. F. und konkretisiert lediglich den Umfang der „anderen Hilfen“ in Nr. 2 des Abs. 3, in dem nun zu lesen ist, dass insbesondere solche Hilfen gemeint sind, die auf „sozia-

21

BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 69. Schneider, BtPrax 2020, 9, S. 11. 23 BT-Drs.: 19/24445, S. 134. 24 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e. V. (DGSP) zum Referentenentwurf „Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“, Stand: 24. 08. 2020, S.1, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/082420_Stellungnahme_DGSP_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289 F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 25 Schneider, BtPrax 2020, 9, S. 11. 22

III. Regelungsinhalte

79

len Rechten oder anderen Vorschriften“ beruhen.26 Gleichzeitig scheint es jedoch überraschend, dass insbesondere vor dem Hintergrund der Vermeidung nicht notwendiger Betreuungen die Eingangsmerkmale so ausgedehnt werden. Der Gesetzgeber hofft die Bedenken durch das hinzutretende subjektive Tatbestandsmerkmal, nämlich der Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen, und dem Kausalitätserfordernis im Zusammenhang mit dem objektiven Unterstützungsbedarf aufgrund von Krankheit oder Behinderung abmildern zu können.27 Das kann man durchaus nur hoffen, und insofern sind Forderungen, auf dieses subjektive Element komplett zu verzichten,28 nicht zu unterstützen. Jedoch sind, wie der Gesetzgeber selbst konstatiert, bei vielen Krankheiten, bspw. einer Demenz oder auch einigen psychischen Erkrankungen nicht selten der objektive Betreuungsbedarf sowie die subjektive Betreuungsbedürftigkeit bereits durch die Erkrankung indiziert, sodass schon fraglich ist, wie künftig Sachverständigengutachter und Richter ohne die spezifische Eingrenzung auf die Merkmale „psychische“ Krankheit und „körperliche, geistige oder seelische“ Behinderung bewerten wollen, ob die Hürde für ein Betreuungsbedürfnis konkret besteht. Die weiten Begrifflichkeiten dürfen jedenfalls nicht zum Einfallstor für mehr Betreuungsanordnungen werden. Insofern wird auch zurecht angemerkt, dass es widersprüchlich ist, wenn dann in § 280 Abs. 1, S. 2 FamFG weiter normiert wird, dass der Sachverständige ein Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein soll, trotz dass psychische Erkrankungen nicht ausdrücklich genannt werden im Rahmen des BGB.29 Auch sind die Beachtung der Betreuungsbedürftigkeit, also der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen, einzelne Angelegenheiten selbst zu regeln und der konkrete Bedarf für die Bestellung eines Betreuers nicht neu, sondern ständige Rechtsprechung,30 sodass schon fraglich ist, was der Gesetzgeber damit ausdrücken möchte, wenn er dies als Rettungsanker für eine überbordende Betreuungsanordnung mit Einführung der neuen Begrifflichkeiten beschreibt. Ein Blick in die juristische Literatur zeigt, dass es sehr wohl bereits Auseinandersetzungen mit und Differenzierungen zwischen den Begriffspaaren der Eingangsmerkmale gab und sich auch in der gerichtlichen Praxis Anknüpfungspunkte

26

Vgl. hierzu C. III. 1. b), vgl. S. 81 f. BT-Drs.: 19/24445, S. 230. 28 Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 3, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F 50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 29 Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1326. 30 Vgl. schon BGH, NJW 2016, S. 387. 27

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

zur Bestimmung der Defizite in Anlehnung an die ICD-Klassifizierung entwickelt haben.31 Hier waren die gesetzlichen Merkmale zumindest jeweils eine nützliche Richtschnur.32 Es konnte durchaus diskutiert werden, ob die bisher vor allem ärztliche Deutungshoheit im Zusammenhang mit der Betreuerbestellung reduziert werden muss, um weitere Protagonisten in die Bewertung der rechtlichen [sic!] Betreuung einzubeziehen. Wenn der Gesetzgeber dann jedoch meint, dass künftig auch der „Vielfalt der Erkrankungsformen, die im herkömmlichen System nicht richtig erfasst werden können, wie zum Beispiel organische Erkrankungen mit psychischen Symptomen, besser Rechnung getragen werden“33 solle, ist doch noch einmal darauf hinzuweisen, dass potenziell eher zu viele als zu wenige Betreuungsanordnungen erfolgten und jedenfalls nicht lautstark der Vorwurf gemacht wurde, dass Gruppen von Betroffenen bisher unberücksichtigt blieben – ganz im Gegenteil, zumal die Gerichte hier bei der Auslegung der Begrifflichkeiten von jeher Ermessen hatten. Natürlich wird zurecht angeführt, dass die bisherigen Eingangsmerkmale vor allem historisch bedingt waren und weiter an längst überholte Terminologie, beispielsweise des ALR, welches noch von Wahn-, Blödsinnigen und Geisteskranken sprach, anknüpften.34 Nichtdestotrotz ist gerade die in diesem Zusammenhang angesprochene Appellfunktion für diejenigen, die über die Betreuungsmaßnahme zu entscheiden haben,35 essenzielle Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Instituts – gerade in einer Zeit, in der Gerichte überlastet und Personalengpässe voreilige Entscheidungen mitunter befördern könnten.36 Es spricht nichts gegen eine Anpassung der Begrifflichkeiten an medizinische Fachterminologie, soweit hier denn Oberbegriffe gefunden werden können. Jedoch scheint die (vermeintlich) zeitgemäße sprachliche Adaption von „Krankheit oder Behinderung“ ungeeignet. Zumal damit zwar der Wortlaut der UN-BRK übernommen wird, in dem nur von Menschen mit Behinderung gesprochen wird, jedoch sonst im Vergleich zum deutschsprachigen Raum überobligatorisch vorgegangen

31

MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1896, Rn. 9 ff.; BeckOGK BGB  /  Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 75 ff. 32 Schneider, BtPrax 2020, 9, S. 11. 33 BT-Drs.: 19/24445, S. 231. 34 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 69.3; vgl. schon B. I. 2. 35 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 69.3. 36 Mazur kritisiert zurecht in BtPrax 2021, 168, S. 173, dass der zusätzliche zeitliche Aufwand für Richter, aber auch der Justiz allgemein, kaum bis gar keine Berücksichtigung im Gesetzesvorhaben fand, die neuen Aufgaben jedoch selbstverständlich zu mehr Belastungen führen werden, somit der Erfolg der Reform maßgeblich davon abhängen wird, ob die personelle Ausstattung angepasst wird.

III. Regelungsinhalte

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wird. So spricht man in Österreich gem. § 268 Abs. 1 ABGB von Personen, die an einer psychischen Krankheit leiden oder geistig behindert sind und in der Schweiz gem. Art. 390 S. 1 Nr. 1 ZGB von Personen die wegen ihrer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen können. Dies wäre deshalb auch im deutschen Zivilrecht wichtig, da ansonsten die Abgrenzung zu den sozialrechtlichen Bestimmungen immer weiter verwässert wird. So spricht auch das Sozialrecht in der Regel von „Menschen mit Behinderungen“ und definiert diese legal in § 2 SGB IX: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.“

Niemand würde wohl behaupten wollen, dass diese Definition nun auch für den Komplex um §§ 1814 ff. BGB gelte, jedoch wird sich insofern in der Praxis zeigen müssen, ob hier nicht unter dem gesellschaftlichen Eindruck der sprachlichen Entstigmatisierung das faktische Ziel der Reduktion von nicht erforderlichen Betreuungsanordnungen konterkariert oder sogar ins Gegenteilt verkehrt wird. b) Rechtliche Angelegenheiten und andere (soziale) Hilfen, § 1814 BGB Eine weitere Auffälligkeit im Rahmen des § 1814 Abs. 1 BGB ist künftig der Zusatz, dass die zu besorgenden Angelegenheiten „rechtlicher“ Natur sein müssen. Der Gesetzgeber beabsichtigt hiermit klarzustellen, dass „nur solcher Unterstützungsbedarf als betreuungsrelevant zu kennzeichnen sei, der durch einen Betreuer wahrgenommen werden könnte und müsste“.37 Die Klarstellung ist zu begrüßen, obgleich es bereits zuvor anerkannt war, dass es sich wegen des Charakters der Betreuung als zivilrechtliches Instrument nur um solche Angelegenheiten handeln kann, die einen rechtlichen Charakter haben.38 Gleichzeitig zeigt diese zunächst minimale Anpassung doch gut das Dilemma des Gesetzgebers. Wie bereits oben dargestellt, will er insbesondere noch einmal in § 1814 Abs. 3, S. 2 Nr. 2 BGB betont wissen, dass dann kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, wenn die Angelegenheiten durch andere (soziale) Hilfen erledigt werden können. Hierzu zählen vor allem diejenigen Unterstützungsleistungen, die dem Betroffenen ermöglichen, seinen Tagesablauf und Alltag zu bewältigen, also 37 38

BT-Drs.: 19/24445, S. 230. BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 104 f.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

auch klassische pflegerische und fürsorgerische Tätigkeiten.39 Schon die Gesetzesbegründung zur Einführung des Betreuungsrechts führte aus: „Die Notwendigkeit eines gesetzlichen Vertreters ist entscheidendes Abgrenzungskriterium. Wer nur einen „tatsächlichen“ Pfleger für Waschen, Kochen, Einkaufen, Körperpflege, ärztliche Hilfe usw. braucht, benötigt keinen zivilrechtlichen Betreuer. Die Bestellung eines Betreuers setzt allerdings nicht voraus, daß der Betreute für jede einzelne Besorgung eines gesetzlichen Vertreters bedarf. Auch der Betreuer nach bürgerlichem Recht wird sich bei einzelnen Besorgungen vielfach auf einen bloßen Rat oder auf eine tatsächliche Hilfe beschränken können. Lediglich dort, wo die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen generell keine gesetzliche Vertretung erforderlich macht, sind andere Hilfen vorrangig.“40

Der Hintergrund ist der Grundsatz der Subsidiarität rechtlicher Betreuung im Zusammenspiel mit dem Grundsatz der Erforderlichkeit. Mit dem Bundesverfassungsgericht ist jede Anordnung der rechtlichen Betreuung ein Eingriff in das Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit.41 Nach der bereits oben dargelegten Diskussion im Rahmen des ersten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes erfuhr die weite Auffassung des Gesetzgebers zum Umfang der Betreuung deshalb eine Einschränkung.42 Hier wurde noch einmal klargestellt, dass es lediglich um die Organisation der tatsächlichen Hilfe geht, jedoch nicht um die Ausübung dieser Hilfen durch den jeweiligen rechtlichen Betreuer selbst.43 Eine in Kommunikation und Machart nicht gelungene gesetzgeberische Korrektur eines jungen Gesetzes, wo doch vor allem diese Frage, zwischen tatsächlicher Unterstützung und rechtlicher Stellvertretung, seit jeher problembestimmend war. Wenn dann mit einigen in der Literatur unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung argumentiert wird, dass demnach eigentlich jede Anordnung rechtlicher Betreuung entbehrlich wird, sobald ein (ehrenamtlicher) Dritter, beispielsweise die Mutter, nachweislich und gesichert Unterstützungsleistungen erbringt,44 ist die Frage nach der Praxistauglichkeit solch eines Instruments angebracht. Wie zwar teilweise vollkommen richtig geschlussfolgert, ist dieser Anknüpfungspunkt eigentlich derjenige Hebel, über den viele Probleme im Zusammenhang mit steigenden Kosten und der Übertragung von Aufgaben der (staatlichen) Daseinsvorsorge auf die Betreuung gelöst werden könnten.45 Vor allem wenn es um die Beantragung von Sozialleistungen und die Kommunikation mit Sozialhilfeträgern geht, hätte nämlich schon heute vielfach auf die Anordnung von Betreuungen verzichtet

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Jürgens / Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl., BGB, § 1896, Rn. 21. BT-Drs.: 11/4528, S. 122. 41 BVerfG, NJW 2016, S. 2559. 42 Vgl. schon B. IV. 1., vgl. S. 65. 43 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1896, Rn. 49. 44 Jürgens / Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl., BGB, § 1896, Rn. 21; OLG Köln, NJWE-FER 1998, S. 250. 45 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 106. 40

III. Regelungsinhalte

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werden können und entsprach oftmals mehr einem praktischen Nutzen statt der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Jedoch scheint gerade hier ein praktisches Bedürfnis zu bestehen, wo die Grenze zwischen Sozial- und Betreuungsrecht verschwimmt und der Anspruch einer Daseinsvorsorge Raum gewinnt. Wie die Studie zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“ dramatisch aufzeigte, sei ein bedeutsamer Anteil der Betreuungsbehörden nicht vollumfänglich mit den gesetzlichen Aufgaben, Möglichkeiten und Strukturen wichtiger „anderer Hilfen“ vertraut, was die Vermittlungsarbeit beeinträchtige. So hätten je nach „anderer Hilfe“ zwischen 7 %, und sogar 39 % der Betreuungsbehörden angegeben, dass sie weiteren Informationsbedarf bezüglich der „anderen Hilfe“ hätten.46 c) Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes Am 23. 12. 2016 hat der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) einen Prozess gestartet, der viele Aspekte der UN-BRK aufgreift und vor allem umsetzen soll. Das Betreuungsrecht war hierbei in seinem Kernbereich nicht betroffen, da weder das BGB a. F. oder BtBG a. F. noch andere für das Betreuungsrecht maßgebliche Gesetze geändert wurden. Es hatte jedoch Auswirkungen auf die Praxis von Betreuern, da das Bundesteilhabegesetz vor allem Leistungsansprüche, wie die Eingliederungshilfe für Betroffene regelt, die ein Betreuer künftig bei seiner Tätigkeit beachten muss, um dem Betreuten eine möglichst umfassende Teilhabe zu ermöglichen und berechtigte Sozialleistungen zu beantragen. Dies wird insbesondere aus § 33 SGB IX und dem neugefassten § 108 SGB IX deutlich, wonach der Betreuer mit dem Betroffenen bei der Fachstelle Teilberatung vorstellig werden soll und die Eingliederungshilfe künftig nur auf Antrag gewährt wird.47 Dass insgesamt viele sozialrechtliche Verfahren an die Geschäftsfähigkeit des Antragsstellers gekoppelt sind, § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X, kommt als belastende Hürde für Betroffene hinzu.48 Die gesetzlichen Betreuer sind hier gefordert, mit und für die Betroffenen die richtigen Entscheidungen zu treffen.49 Im Rahmen der UN-BRK wird von Betreuern stärker als je zuvor erwartet, dass sie die Verfahrensschritte bei der Leis 46

IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 14, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammen fassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 47 Dau / Düwell / Joussen / Zinsmeister, SGB IX, § 99v–108, Rn. 1; Jürgens / Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl., BGB, § 1896, Rn. 21a. 48 Jürgens / Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl., BGB, § 1896, Rn. 21a. 49 Ditschler, Arbeitshilfe zur Umsetzung des BTHG, 2018, Einleitung.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

tungsfeststellung nur mit Zustimmung des Leistungsberechtigten, also des Betroffenen, durchführen. Dass die neue Fachstelle Teilberatung nicht obligatorisch zur Beratung von Leistungsansprüchen herangezogen werden soll, schwächt die neuen Instrumente der Hilfe. Die mit einer möglichen Pflicht zur Beratung verbundene Angst, nicht genügend Personen für die Personensorge zu finden,50 lässt schlicht außer Betracht, dass dieser eh schon fortschreitende Umstand nicht mit dem Sozialrecht zu lösen ist, sondern, wie oben bereits angeführt, tiefergehende Probleme, zum Beispiel im Betreuungsrecht zur Ursache hat. Es verlagert eine große Verantwortung in die Hände der Betreuer, da Betroffene selbst wohl kaum die komplexe Bürokratie des Sozialstaats verstehen können. Es fordert daher insbesondere bei der Qualifikation erhebliches von den Betreuern ab. Ob dies ehrenamtliche Betreuer aber auch nicht hinreichend qualifizierte Berufsbetreuer leisten können, ist sehr fraglich. Der Gesetzgeber sieht für viele „Alltagsdefizite“ eigentlich seit dem 1. Januar 2018 eine eigene sog. (soziale) Assistenzleistung gem. § 78 SGB IX vor, wenn Betroffene Eingliederungshilfe erhalten. Dies trifft wohl für die Vielzahl von Betreuten zu.51 Die Assistenz soll eine selbstbestimmte Alltags- und Tagesstrukturierung ermöglichen und insbesondere in den Bereichen einer eigenständigen Lebensführung im eigenen Wohnraum bis hin zu den Bereichen Freizeitgestaltung wie beispielsweise Sport, kulturelles Leben und Gestaltung von Beziehungen zu Mitmenschen, aber ausdrücklich auch der Sicherung der Wirksamkeit ärztlicher Verordnungen und der Befähigung zu Arbeitsleistungen der Betroffenen dienen.52 Der Gesetzgeber hatte dabei auch das Verhältnis zur rechtlichen Betreuung im Blick, wenn er formuliert: „Der Begriff der Assistenz bringt in Abgrenzung zu förderzentrierten Ansätzen der Betreuung, die ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Leistungserbringern und Leistungsberechtigten bergen, auch ein verändertes Verständnis von professioneller Hilfe zum Ausdruck. Die Leistungsberechtigten sollen dabei unterstützt werden, ihren Alltag selbstbestimmt zu gestalten. Vor diesem Hintergrund wird konsequenterweise auch die Beziehungsgestaltung zwischen Leistungsberechtigten und Leistungserbringern neu bestimmt.“53

Die Abgrenzung zur rechtlichen Betreuung erfolgt daher streng an den oben skizzierten Grundsätzen, dass diese nur notwendig wird, sobald ein Handeln im Rahmen der Stellvertretung erforderlich ist. 50

BeckOK Sozialrecht / Jabben, 01. 09. 2022, SGB IX, § 33, Rn. 1. Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 4, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F 50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 52 BT-Drs.: 18/9522, S. 261. 53 BT-Drs.: 18/9522, S. 261. 51

III. Regelungsinhalte

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Die Differenzierung ist im Zweifel schwierig. Das Amtsgericht München hatte in einem Fall zur vorher geltenden – zumindest ähnlich gelagerten – sog. Budgetassistenz zu entscheiden, ob ein rechtlicher Betreuer neben seiner Betreuervergütung für bestimmte von ihm zu übernehmende Aufgaben im Rahmen der Assistenz ein pauschaliertes Budget gem. § 17 Abs. 3, S. 3 SGB IX a. F. beantragen könne. Das Gericht wies das in aller Deutlichkeit zurück und führt grundsätzlich zum Verhältnis zwischen sozialer Hilfe und rechtlicher Betreuung aus, dass das Sozialhilferecht von nur subsidiärer Hilfestellung gekennzeichnet ist. Auch beim Assistenzmodell und persönlichem Budget gem. § 17 SGB IX sei nach dem in § 2 Abs. 1 SGB XII verankerten Nachranggrundsatz der Sozialhilfe auf andere Möglichkeiten zu verweisen, wenn Bedarfsdeckungsmöglichkeiten außerhalb der Sozialhilfe zur Verfügung stünden.54 Eine solche außerhalb der Sozialhilfe zur Verfügung stehende Bedarfsdeckungsmöglichkeit sei die mit einer Betreuung gegebene Hilfestellung. Für die Bereiche, für die mit der Betreuungsanordnung Verantwortung übertragen wurde, gäbe es keine Nachrangigkeit; selbst wenn ein Betreuer nicht tätig würde, sondern auf das Tätigwerden anderer, etwa der Familie oder Nachbarn vertraue, trage er auch in diesen Betreuungsbereichen die Verantwortung.55 Im vorliegenden Fall trat die Besonderheit hinzu, dass sich der Betreuer eigenmächtig von seinem Betreuten für die Budgetassistenz bevollmächtigen lassen wollte und das Gericht annahm, dass der Betreuer den Weg über die Assistenz nur ging, um eine höhere Vergütung zu erhalten und eine genaue Grenzziehung in welchen Aufgabenbereichen der Betreuer nun vertretend und wo assistierend tätig wurde, kaum zu umreißen war.56 Das Gericht betonte hierbei vor allem, dass es zwar ein Nachrangigkeitsprinzip (Erforderlichkeitsprinzip) im Betreuungsrecht gäbe, dieses sei aber gem. § 1896 Abs. 2, S. 2 BGB a. F. auf die Zuordnung der Aufgabenkreise und nicht auf das Tätigwerden des Betreuers allgemein bezogen.57 Dieses Urteil berücksichtigend, versteht man dann auch deutlich besser, warum der Gesetzgeber sich mit der jüngsten Reform in § 1814 Abs. 3, S. 1 BGB dafür entschieden hat, die grundsätzliche Erforderlichkeit der Betreuerbestellung nicht nur über die einzelnen Aufgabekreise zu definieren, so bisher gem. § 1896 Abs. 2, S. 1 BGB a. F., sondern zum Ausdruck zu bringen, dass die Betreuung generell entbehrlich ist, soweit entweder eine zulässige Bevollmächtigung oder andere Hilfen möglich sind, unabhängig vom Aufgabenkreis.58 Ad absurdum wird der Konflikt zwischen Sozial- und Betreuungsrecht dann jedoch geführt, wenn der (zivilrechtliche) Gesetzgeber sich schon fast in einem

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AG München, Beschluss vom 25. 02. 2010, 705 XVII 01055/00, Rn. 8, zit. n. juris. AG München, Beschluss vom 25. 02. 2010, 705 XVII 01055/00, Rn. 7, zit. n. juris. 56 Heitmann, jurisPR-FamR 14/2011, Anm. 6. 57 AG München, Beschluss vom 25. 02. 2010, 705 XVII 01055/00, Rn. 8, zit. n. juris. 58 BT-Drs.: 19/24445, S. 232. 55

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Kunstgriff verbiegen muss, um das sozialrechtliche Nachrangprinzip gem. § 2 SGB XII mit der neuen Formulierung des § 1814 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu umschiffen. § 2 SGB XII statuiert nämlich eigentlich, dass derjenige keine Sozialhilfe erhält, der sich durch Einsatz seiner eigenen Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hier steht seit jeher also das Problem im Raum, dass wiederum die rechtliche Betreuung nach den sozialrechtlichen Vorschriften gegenüber dem Sozialrecht vorrangig ist, da hier unter Umständen Angehörige oder Dritte dem Betroffenen „helfen“. Die Abgrenzung der Hilfestellung vollzieht die Rechtsprechung über die unterschiedlichen Handlungsansätze. Ziele die Hilfe auf die rein tatsächliche Bewältigung des Alltags ab, komme eine Leistung der Eingliederungshilfe in Betracht; ziele sie indes auf das Ersetzen einer Rechtshandlung ab, sei der Aufgabenbereich des rechtlichen Betreuers betroffen.59 Zwar könnten beide Bereiche im Einzelfall ggf. Berührungspunkte aufweisen. So habe der rechtliche Betreuer auch darauf hinzuwirken, dass durch geeignete Leistungen Dritter unter anderem eine Behinderung des Betreuten beseitigt oder ihre Auswirkungen verbessert werden, so dass die rechtliche Betreuung erst die Grundlage dafür schaffen kann, dass Leistungen der sozialen Betreuung überhaupt beansprucht werden.60 Sollte aber nicht bereits anhand von Zweck und Ziel der Leistung eine Abgrenzung erfolgen können, sei bei der Beurteilung, durch welche Maßnahme ein Bedarf zu decken ist, zu beachten, dass nicht nur die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung selbst, sondern auch die ersetzenden Handlungen des Betreuers einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen darstellen.61 Daraus schlussfolgert dann das BSG jedoch nicht etwa, dass gerade wegen dieses Grundrechtseingriffs das Sozialrecht im Zweifel immer Vorrang haben müsse, sondern vielmehr, dass, wenn die ersetzenden Handlungen den geltend gemachten Bedarf deckten, Leistungen der Eingliederungshilfe, die auf das gleiche Ziel gerichtet sind, nicht mehr erbracht werden dürften in Anwendung des § 2 Abs. 1 SGB XII.62 Der Gesetzgeber meint nun, dass er mit dem Zusatz von „soziale[n] Rechten“ bei den anderen Hilfen in Anknüpfung an den Wortlaut von § 2 SGB I die aufgestellten Grundsätze des BSG abschwächen könne: „Die Klarstellung erfolgt, um zu vermeiden, dass hieraus der Schluss gezogen wird, die Bestellung eines rechtlichen Betreuers sei bereits angezeigt, sobald eine Unterstützung des Betroffenen bei der Beratung zu etwaigen sozialrechtlichen Leistungsansprüchen notwendig erscheint. Insbesondere im Bereich der Eingliederungshilfe sind die zuständigen Sozialleistungsträger nach der Neuregelung in § 106 SGB IX zu umfassender Beratung und Unterstützung der antragstellenden Personen verpflichtet, was unter anderem auch die Unterstützung 59

BSG Urteil v. 30. 6. 2016, B 8 SO 7/15 R, BeckRS 2016, S. 73091, Rn. 21. BSG Urteil v. 30. 6. 2016, B 8 SO 7/15 R, BeckRS 2016, S. 73091, Rn. 22. 61 BSG Urteil v. 30. 6. 2016, B 8 SO 7/15 R, BeckRS 2016, S. 73091, Rn. 22. 62 Plagemann, FD-SozVR 2016, 381911. 60

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bei der Antragstellung umfasst. Ist der Volljährige allerdings auch nach umfassender Sicherstellung der den Sozialleistungsträger obliegenden Beratungs- und Unterstützungspflichten nicht in der Lage, die zur Realisierung seiner Leistungsansprüche notwendigen Rechtshandlungen vorzunehmen, insbesondere, weil ihm insoweit die erforderliche Fähigkeit zur Mitwirkung fehlt, kann die Bestellung eines rechtlichen Betreuers erforderlich sein.“63

Ehrlicherweise ist genau das die Pointe in der hiesigen Thematik. Die Abgrenzung zwischen tatsächlicher Hilfestellung durch einen Assistenten und dem vertretungsbedingten Tätigwerden des rechtlichen Betreuers ist damit alles andere als geklärt. Wenn der Gesetzgeber in seiner Begründung zur neuen Betreuungsrechtsreform argumentiert, dass auf eine konkrete Benennung anderer Hilfen in Form eines sozialrechtlichen Normenbezugs, beispielsweise der Eingliederungshilfe, aus Sorge vor Unvollständigkeit verzichtet werde,64 mag das zwar im Sinne der Gesetzesökonomie nachvollziehbar sein, hilft jedoch dem Gesetzesanwender nur wenig und wirft die Frage auf, ob die Legislative eigentlich selbst noch den Überblick hat, welche anderen Hilfen im Zweifel in Betracht kommen. Erschwerend hinzukommt, dass auch das Deutsche Institut für Menschenrechte darauf hinweist, dass beteiligte Akteure, unter anderem auch Sachbearbeiter und Betreuer, teilweise keine Kenntnisse über alle zur Verfügung stehenden (sozial-)rechtlichen Möglichkeiten hätten und es daher dringend erforderlich sei, dass Leistungen „aus einer Hand“ angeboten würden.65 Das Erforderlichkeitsprinzip konsequent durchgehalten, müsste doch eigentlich bedeuten, dass insbesondere wenn es um die Geltendmachung von wohl gemerkt staatlichen sozialen Hilfestellungen wie der Eingliederungshilfe geht, gerade keine rechtliche Betreuung im Sinne der Stellvertretung notwendig und zulässig sein sollte. Anders gesagt: warum sollte – mit Suarez66 – gerade das Zivilrecht eine sozialrechtliche Thematik zwischen Staat und Bürgern regeln, wo sich doch gerade nicht zwei Privatpersonen gegenüberstehen, sondern der Staat den Einzelnen vor einer nicht erforderlichen Geltendmachung seiner Rechte durch einen Dritten schützen will. Glücklicherweise folgte mit der hiesigen Reform auch eine Ergänzung der sozialrechtlichen Vorschriften. Künftig formuliert § 17 Abs. 4 SGB I: „Die Leistungsträger arbeiten mit den Betreuungsbehörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zur Vermittlung geeigneter Hilfen zur Betreuungsvermeidung zusammen. Soziale Rechte dürfen nicht deshalb abgelehnt, versagt oder eingeschränkt werden, weil ein rechtlicher Betreuer nach § 1814 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestellt worden ist oder bestellt werden könnte.“ 63

BT-Drs.: 19/24445, S. 233. BT-Drs.: 19/24445, S. 233. 65 BT-Drs.: 20/280, S. 101 f. 66 Vgl. insofern schon Suarez, dass die Verortung des Vormundschaftsrechts in einem Privatgesetzbuch „sehr bezweifelt werden [könne]; weil solche eigentlich das innere Staatsrecht der preußischen Monarchie ausmache[n] und der Staat in einem bürgerlichen Codex für seine Unterthanen sich nicht selbst Gesetze vorschreiben könne. […]“ in Gesetzes-Revision – Pensum VII. Motive zu dem Entwurfe: Allgemeines Landrecht Theil II, Tit. 18, 1831, S. 4. 64

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Dies ist wohl einer der wichtigsten Schritte hin zu einer Klarstellung beider Hilfesysteme und verdient daher Anerkennung. Damit darf die Verzahnung jedoch noch nicht enden, da die weiterhin stark ausgeprägte Parallelität der Systeme zu omnipräsenten Hemmnissen führt. Interessant ist hierbei auch die persönliche Stellungnahme des Leiters der Betreuungsbehörde der Stadt Kassel und Mitglieds einer Arbeitsgemeinschaft zum Reformvorhaben beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Er beschreibt dabei ein Modellvorhaben, welches die Stadt Kassel im Zusammenhang mit der Betreuungsvermeidung im Jahr 2019 durchgeführt habe.67 Durch ein sog. Fall-Management griff die Betreuungsbehörde verstärkt aktiv in die Betreuungsvermeidung ein und konzentrierte sich auf Vermittlung, Unterstützung von Sozialanträgen und die Begleitung zu anderen Leistungsträgern. Sie führten Hausbesuche durch, begleiteten die Betroffenen zum Jobcenter, der Schuldnerberatung, der Sozialberatung, zu Arbeitgebern und sprachen mit anderen Behörden. Das Projekt musste bereits im Jahr 2020 wieder wegen zu hoher Arbeitsbelastung eingestellt werden. Auch der Nutzen war insgesamt, jedenfalls im Verhältnis zum Aufwand gering. Von den 33 ausgewählten Betroffenen konnte bei vier Personen die Betreuungsanordnung abschließend vermieden werden. Als Gründe, warum in den übrigen Fällen keine „anderen Hilfen“ möglich waren, nennt der Behördenleiter nachfolgende und beschreibt damit gut das systemische Problem: „– mangelnde Mitwirkung, – kein Interesse zur Zusammenarbeit, – auf Betreuerbestellung wurde bestanden, – Erkrankungen waren zu vielfältig, – der Aufwand zu umfangreich, als dass wir das im kleinen Rahmen hätten leisten können. Letztlich wurden auch – Vorsorgevollmachten vermittelt, obwohl dies keine ‚andere Hilfe‘ darstellt, aber im Verfahren zu klären ist.“68

67

Stellungnahme Roger Müller zum Referentenentwurf vom 23. Juni 2020 zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 06. 08. 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.bmj. de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080620_Stellung nahme_Roger-Mueller_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F9 98840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 68 Stellungnahme Roger Müller zum Referentenentwurf vom 23. Juni 2020 zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 06. 08. 2020, S. 4, abrufbar unter: https://www.bmj. de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080620_Stellung nahme_Roger-Mueller_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F9 98840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

III. Regelungsinhalte

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d) Information und Beratung durch die Betreuungsbehörde, § 8 BtOG Der Gesetzgeber erkennt durchaus, dass er sich hier in einer Grauzone zwischen öffentlich-rechtlicher Daseinsvorsorge und zivilrechtlicher Erwachsenfürsorge bewegt. So führt er selbst aus, dass künftig all die Normen, welche die Rechtsstellung und Aufgaben der Betreuungsbehörden, der Betreuungsvereine und der rechtlichen Betreuer als wesentliche Akteure betreffen, in das neue BtOG ausgelagert werden, da diese „strukturell nicht dem Zivilrecht zugehörig sind, weil sie nicht die Regelung der Rechtsverhältnisse Privater untereinander, insbesondere das Rechtsverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem, zum Gegenstand haben. Diese strukturelle Einordnung ist für das Betreuungsbehördengesetz seit seiner Entstehung charakteristisch“.69

Mit der Reform gibt es nun die Pflicht der Betreuungsbehörde gem. § 8 BtOG zur „erweiterten Unterstützung“. Ziel sei es, die bereits bestehende Beratungsobliegenheit der Betreuungsbehörde, § 4 Abs. 2 BtBG a. F., auszubauen und vor allem zu einem Vermittlungsauftrag der Behörde zu präziseren.70 Neben einer bloßen Beratung soll die Behörde aktiv nach einer betreuungsvermeidenden Unterstützung suchen. Dabei verweist der neue § 8 Abs. 1 BtOG auf die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BtOG, in dem normiert ist, dass die Behörde über betreuungsrechtliche Fragen informiert und über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen, über Vorsorgevollmachten und andere Hilfen, bei denen ausdrücklich kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, berät. Insbesondere ist dann auch ein Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Beratungs- und Unterstützungsangebot des sozialen Hilfesystems herzustellen. Bei antragsabhängigen Leistungen ist der Betroffene dabei zu unterstützen, die notwendigen Anträge selbst zu stellen. Die Behörde soll zur Vermittlung geeigneter Hilfen zur Betreuungsvermeidung mit den zuständigen Sozialleistungsträgern zusammenarbeiten. Offen bleibt dann, was genau mit der „erweiterten Unterstützung“ im Sinne des § 8 Abs. 3, S. 1 BtOG gemeint ist. Hier führt dann zwar der Abs. 3, S. 2 aus, dass dies über Abs. 1 hinausgehende Maßnahmen seien, die geeignet sind, die Bestellung eines Betreuers zu vermeiden und die keine rechtliche Vertretung des Betroffenen durch die Behörde erfordern. Die Behörde könne wiederrum gem. Abs. 4 mit der Wahrnehmung der erweiterten Unterstützung nach Abs. 2 auch einen anerkannten Betreuungsverein oder einen selbständigen beruflichen Betreuer beauftragen. Jedoch muss hier zwangsläufig erneut die Frage im Raum stehen, wie dies vor allem zu den sozialen Hilfen, beispielsweise der oben skizzierten Eingliederungshilfe, abzugrenzen ist.

69 70

BT-Drs.: 19/24445, S. 341. BT-Drs.: 19/24445, S. 351.

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Nach der Gesetzesbegründung würde hiermit die zentrale Handlungsempfehlung aus dem Forschungsvorhaben zur „Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte ‚andere Hilfen‘“ umgesetzt, wonach eine zeitlich begrenzte Fallverantwortung und erweiterte Assistenz im Vorfeld einer Betreuerbestellung eingeführt werden sollte.71 Die Betreuungsbehörde leiste weiterhin keine allgemeine Erwachsenenhilfe, um jedermann etwaige Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch zu vermitteln. Hierfür seien weiterhin andere, insbesondere sozialrechtliche Stellen zuständig. Nach § 11 Abs. 1 BtOG unterstützt die Betreuungsbehörde das Betreuungsgericht vor allem durch die Erstellung eines Sozialberichts (Nr. 1), welcher dann auch Punkte der betreuungsvermeidenden „erweiterten Unterstützung“ enthalten muss, § 11 Abs. 3, S. 1 BtOG und im Zweifel auch vor der Bestellung eines Betreuers von der Behörde durchzuführen sind, § 11 Abs. 3, S. 2 BtOG. Das Betreuungsgericht kann auch unabhängig vom Sozialbericht die Durchführung einer erweiterten Unterstützung durch die Behörde anordnen, § 11 Abs. 4 BtOG. Eine Einschränkung und damit eine de facto Marginalisierung erfährt das Ganze durch § 11 Abs. 5 BtOG, in dem den Ländern durch Gesetz ermöglicht wird, die erweiterte Unterstützung als Modellprojekte auf einzelne Behörden innerhalb des Landes zu beschränken. Ein sehr ernüchterndes Zeugnis klammer Kassen und einem fragwürdigen Föderalismus, der an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens zweifeln lässt. Die Gesetzesbegründung lässt insofern tief blicken, wenn es dort heißt, dass im vorgeschalteten Diskussionsprozess keiner der betroffenen staatlichen Akteure die Bereitschaft signalisiert habe, ein solches Modellvorhaben in einzelnen Ländern oder Gemeinden oder gar bundesweit durchzuführen.72 Aus ersten Stellungnahmen einzelner Körperschaften kann man auch bereits ableiten, dass derzeit ein ambivalentes Verhältnis zu den neuen Möglichkeiten besteht. So lehnt die Bayrische Landeshauptstadt ein solches Modellprojekt für sich mit der Begründung ab, dass die Finanzierung unklar sei und die „Schnittstelle und Aufgabenverteilung zwischen der Betreuungsstelle und der Bezirkssozialarbeit“ vor allem in kleineren, ländlich geprägten Gebieten nur schwer vorstellbar sei.73 Das Land Nordrhein-Westfalen hingegen hat in § 3a Landesbetreuungsgesetz (LBtG) nunmehr geregelt, dass die erweiterte Unterstützung nach § 8 Abs. 2 BtOG seitens der Betreuungsbehörden in Modellprojekten nach § 11 Abs. 5 BtOG erprobt werden soll. Das Land plant insoweit ab dem Jahr 2023 bei voraussichtlich acht Betreuungsbehörden mit entsprechenden Vorhaben zu beginnen.74

71

BT-Drs.: 19/24445, S. 351. BT-Drs.: 19/24445, S. 358 f. 73 Sozialreferat, Amt für Soziale Sicherung der Landeshauptstadt München, Sitzungsvorlage Nr. 20–26/V 05896, Stand: 12. 05. 2022, S. 10, abrufbar unter: https://www.muenchentransparent.de/dokumente/7125812/datei, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 74 Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs.: 17/16317, S. 2. 72

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Der Deutsche Städtetag weist jedoch darauf hin, dass der Mehraufwand bei den kommunalen Betreuungsbehörden kaum zu stemmen sein wird und hier unter Umständen sogar neue Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Aufgaben der Sozialleistungsträger geschaffen werden.75 Insofern wird sich zeigen müssen, ob es hier nur bei schöner Makulatur bleibt oder ob die Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen Sozial- und Betreuungsrecht tatsächlich verbessert werden kann. e) Umfang der Betreuung, § 1815 BGB Nach § 1815 Abs. 1 BGB bestimmt sich der Umfang der Betreuung – wie bisher bereits  – nach den durch das Gericht angeordneten Aufgabenkreisen, vgl. schon § 1896 Abs. 2 und 3 BGB a. F. Damit muss das Gericht proaktiv feststellen (lassen), in welchen Bereichen der Betroffene Defizite hat, um dann konkret den Betreuer für diese Aufgabenbesorgung auszuwählen.76 Deutlicher hervorgehoben wird künftig jedoch, dass die Aufgabenkreise einzeln durch das Betreuungsgericht angeordnet werden müssen, sog. Aufgabenbereiche, § 1815 Abs. 1, S. 1 BGB. Den Begriff des Aufgabenbereichs gab es bisher nicht im Gesetz, sodass sich nunmehr eine Legaldefinition in § 1815 Abs. 1, S. 1 BGB findet, „Der Aufgabenkreis eines Betreuers besteht aus einem oder mehreren Aufgabenbereichen. Diese sind vom Betreuungsgericht im Einzelnen anzuordnen. Ein Aufgabenbereich darf nur angeordnet werden, wenn und soweit dessen rechtliche Wahrnehmung durch einen Betreuer erforderlich ist,“

wonach also der Aufgabenkreis die Gesamtheit der Aufgaben des Betreuers regelt und der Aufgabenbereich einen einzelnen, konkret bezeichneten Sachverhalt oder auch nur eine Maßnahme darstellt, welche dem Betreuer übertragen wird.77 Hiermit untersagt der Gesetzgeber auch die bisher verbreitete Anordnung der Betreuung „in allen Angelegenheiten“.78 Wie zurecht für das alte Recht angemerkt, war diese Form der „Totalbetreuung“ de facto kein Unterschied zur Entmündigung – trotz Erhalt der Geschäftsfähigkeit und Doppelkompetenz – und sollte daher formal die Ausnahme sein.79 Der Ge 75

Stellungnahme Deutscher Städtetag zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 14. 08. 2020, S. 8, abrufbar unter: https://www.bmj.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081420_Stellung nahme_DST_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E 0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 76 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 145. 77 Schneider, FamRZ 2022, 1, S. 3; Schnellenbach / Normann-Scheerer / Loer, BtPrax 2020, 119, S. 132; BT-Drs.: 19/24445, S. 233. 78 BT-Drs.: 19/24445, S. 234. 79 Vgl. schon B. III. 3. c); BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 156.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

setzgeber musste unter anderem auch wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Unrechtmäßigkeit des Ausschlusses des aktiven und passiven Wahlrechts Betreuter nach Anordnung der „Totalbetreuung“, vgl. § 13 Nr. 2 BWG a. F., stärker zwischen den Aufgabenkreisen differenzieren80 und schuf konsequenterweise direkt die Möglichkeit der Betreuung „in allen Angelegenheiten“ mit der jüngsten Reform ab. Das ist eine beachtenswerte Veränderung der geltenden Rechtslage, zumal noch die Studie zur Qualität im Betreuungsrecht zum Ergebnis kam, dass Berufsbetreuern bei durchschnittlich 14 % ihrer Betreuungen ausdrücklich alle Angelegenheiten übertragen wurden.81 Hochgerechnet auf den damaligen Bestand von rund 1,28 Mio. Betreuungen habe dies einer Zahl von rund 174.000 Betreuten entsprochen.82 Die Studie kam dann deshalb auch zu dem Schluss, dass die Häufigkeit von sehr umfangreichen Berufsbetreuungen den Eindruck erwecke, dass Richter stärker für den Erforderlichkeitsgrundsatz sensibilisiert werden sollten.83 Wie der Betreuungsgerichtstag e. V. richtigerweise feststellt, wird die Abschaffung der Anordnungskompetenz für „alle Angelegenheiten“ einer der Schritte sein, den Erforderlichkeitsgrundsatz in der gerichtlichen Praxis zu stärken.84 Ehrlicherweise wird selbstverständlich auch weiterhin die gerichtliche Anordnung sämtlicher Aufgabenbereiche, dann jedoch einzeln, und einem umfassenden Aufgabenkreis möglich sein, sodass in der gerichtlichen Praxis schon fraglich ist, ob die Streichung tatsächlich einen großen Unterschied machen wird. Zumindest ist jedoch ein zusätzlicher Schritt in der Anordnungspraxis der Gerichte vonnöten, nämlich das zumindest kurze Durchdenken, welche Aufgabenbe-

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BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 157 mit Verweis auf BVerfG, NJW 2019, S. 1201. 81 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 86, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=3304A6DA3956C11E4BAF2B055EA 05C49.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 82 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 86, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=3304A6DA3956C11E4BAF2B055EA 05C49.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 83 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 571, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=3304A6DA3956C11E4BAF2B055EA 05C49.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 84 Stellungnahme des BGT Betreuungsgerichtstag e. V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 23. Juni 2020, Stand: 10. 08. 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BGT_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=B5EEF54063 ED2DA2EBB83F1D398CA3D9.1_cid324?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

III. Regelungsinhalte

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reiche zum Nutzen des Betroffenen erforderlich sind – so zumindest die begründete Hoffnung des Gesetzgebers.85 Der Gesetzgeber entschied sich dagegen, die anzuordnenden Aufgabenkreise und -bereiche im Gesetz enumerativ aufzulisten, da eine strenge „Typisierung“ unter Umständen der Anordnung im Einzelfall, insbesondere nur einzelner Aufgaben statt ganzer Komplexe, zuwiderlaufen würde.86 Besser gelungen als bisher scheint jedoch der Umstand, dass § 1815 Abs. 2 BGB nun ausdrücklich diejenigen Aufgabenbereiche benennt, die dem Betreuer nur nach ausdrücklicher Anordnung durch das Gericht übertragen werden dürfen. Hierzu zählen namentlich freiheitsentziehende Unterbringungen und Maßnahmen, die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Betreuten im Ausland, die Bestimmung des Umgangs des Betreuten, die Entscheidung über Telekommunikation und die Entscheidung über die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post des Betreuten. Den genannten Aufgaben ist gemein, dass sie nach Auffassung des Gesetzgebers besonders eingriffsintensiv seien und das Selbstbestimmungsrecht besonders stark einschränkten.87 Die überwiegende Anzahl der genannten Aufgaben war auch zuvor schon mit einem gerichtlichen Genehmigungs- oder Anordnungserfordernis verbunden, vgl. §§ 1896 Abs. 3, 4, 1906 ff. BGB a. F. Neu ist deshalb vor allem der Umstand, dass bei freiheitsentziehender Unterbringung und anderen Maßnahmen der Freiheitsentziehung nach § 1815 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB künftig auch schon im Vorfeld der Genehmigung solcher Maßnahmen gem. § 1831 BGB das Gericht eine Aufgabenübertragung durch den Betreuer anordnen kann, § 1815 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sowie freiheitsentziehende Maßnahmen außerhalb von Krankenhäusern, Heimen oder anderen Einrichtungen einem Anordnungserfordernis des Gerichts unterliegen, § 1815 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Dies wird künftig also ausdrücklich nicht mehr möglich sein, wenn lediglich der Aufgabenbereich „Aufenthaltsbestimmung“ angeordnet ist, sodass die Gefahr einer Kompetenz-Kompetenz verringert wird.88 2. Betreuerauswahl, § 1816 BGB Wie historisch dargelegt, besteht seit langem im Recht der deutschen Erwachsenenfürsorge das Primat der Einzelbetreuung durch eine in der Regel natürliche Person, die im besten Fall ehrenamtlich tätig wird und aufgrund familiärer bzw. verwandtschaftlicher Bande mit dem Betroffenen und seinem Zustand vertraut ist. Es überrascht daher nicht, wenn § 1816 BGB nun anknüpfend an § 1897 BGB

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BT-Drs.: 20/280, S. 98. BT-Drs.: 19/24445, S. 233. 87 BT-Drs.: 19/24445, S. 235; Schneider, FamRZ 2022, 1, S. 3. 88 Schneider, FamRZ 2022, 1, S. 3. 86

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

a. F. weiterhin diese Maßstäbe ansetzt, wenn es die Eignung und Auswahl des Betreuers regelt. Neu ist jedoch, dass bereits im Grundsatz auf die Wünsche der Betroffenen verwiesen wird, wenn § 1816 Abs. 1 BGB direkt auf § 1821 BGB Bezug nimmt, welcher nunmehr § 1901 BGB a. F. ersetzt. Insofern wird die Formel, dass Wille und Wohl bei der Auswahl des Betreuers maßgeblich sind,89 aufgegeben. Künftig sind vor allem Wille und Wunsch des Betroffenen entscheidend und die sog. „Wohlschranke“ wird zwar nicht gänzlich aufgegeben, jedoch dahingehend in ihrer Anwendung reduziert, dass die konsequente Fokussierung auf die subjektive Sichtweise des Betreuten auch bedeute, dass im Zweifel der mutmaßliche Wille stärker als bisher Berücksichtigung finden müsse.90 Diese sog. Wunschbefolgungspflicht schlägt sich nicht nur bei der Auswahl des Betreuers nieder, sondern durchzieht künftig das gesamte Betreuungsrecht, weshalb der Gesetzgeber hier auch selbstbewusst von der „Magna Charta für das gesamte rechtliche Betreuungswesen“ spricht und sich damit erhofft, der UN-BRK (endlich) zu entsprechen.91 Wie dann jedoch auch in der Gesetzesbegründung zutreffend erkannt, ist das alles nicht so innovativ wie zunächst angepriesen. Auch die Bestimmung des Wohls war bisher ohne jeden Zweifel zuvörderst an den (mutmaßlichen) Wünschen des Betreuten festzustellen, sofern, wie der Bundesgerichtshof ausführt, dessen Erfüllung nicht höherrangige Rechtsgüter des Betreuten gefährdet oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtert.92 Die Frage, die sich dabei jedoch unmittelbar stellt, ist, wie weit dieser Wunsch des Betroffenen trägt. Der Vorrang des Willens des Betreuten gelte nach dem Bundesgerichtshof nur für solche Wünsche, die Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten seien und sich nicht nur als bloße Zweckmäßigkeitserwägungen darstellten.93 Beachtlich seien nur solche Wünsche, die nicht Ausdruck der Erkrankung des Betreuten sind und auf der Grundlage ausreichender Tatsachenkenntnis gefasst wurden. Dies berücksichtigt § 1821 Abs. 3 BGB, wenn er formuliert, dass der Betreuer den Wünschen nicht entsprechen muss, wenn die Person des Betreuten oder sein Vermögen hierdurch erheblich gefährdet würde und der Betreute dies nicht selbst erkennt. Wenn hieraus nun teilweise abgeleitet wird, dass sich dieser Ansatz unter anderem mit der „sozial-psychiatrischen Grundhaltung“ decke und dies Ausdruck einer irgendwie gearteten „Suchhaltung“ sei, bei der der Betreuer mit dem Betroffenen zusammen versuchen müsse, die Situation zu verstehen und gemeinsam

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MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1897, Rn. 23. BT-Drs.: 19/24445, S. 136. 91 BT-Drs.: 19/24445, S. 249. 92 BGH, NJW 2009, S. 2814. 93 BGH, NJW 2009, S. 2814. 90

III. Regelungsinhalte

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Lösungen zu finden,94 überreizt man den Auftrag des rechtlichen [sic!] Betreuers dann aber doch ein wenig. Insgesamt darf insofern der Gedanke der „unterstützenden Entscheidungsfindung“, wie zurecht vereinzelt angeführt, nicht überdehnt werden, sondern es muss stets abgewogen werden, wie dem Ziel der rechtlichen [sic!] Betreuung, den Betroffenen gleichberechtigt am Rechtsverkehr teilhaben zu lassen, angemessen entsprochen werden kann.95 Alles weitere würde die Grenze zu anderen tatsächlichen Hilfen überschreiten. Auch weiterhin wird, wie treffend festgestellt wird, „die Ermittlung des Subjektiven durch Elemente des Objektiven unterstützt“ werden.96 Wenn das Gesetz nun wohlmeinend in § 1816 Abs. 1 BGB formuliert, dass die Betreuung nicht mehr nur „persönlich“ zu erfolgen hat, sondern der Betreuer künftig auch ausdrücklich aufgefordert wird „persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten“, ist das ebenfalls keine Neuerung. Bereits § 1908b Abs. 1, S. 2 Fall 2 BGB a. F. sah einen wichtigen Grund für die Entlassung eines Betreuers darin, wenn dieser den „erforderlichen Kontakt nicht gehalten hat“. Der § 1901 Abs. 3, S. 3 BGB a. F. forderte auch bereits eine Besprechungspflicht. Richtig ist, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang keine konkrete Anzahl von Besuchen bzw. Kontakten in das Gesetz aufgenommen hat, wie teils gefordert.97 Keine Betreuung gleicht der anderen und im Kern ist die rechtliche Betreuung nach ihrer derzeitigen Ausgestaltung auch (nur) für die Organisation der Hilfeleistungen verantwortlich – im Gegensatz zum tatsächlichen Hilfesystem.98 Dies gilt auch unabhängig vom immer mal wieder erhobenen berechtigten Hinweis, dass eine maximale Anzahl von zu betreuenden Fällen, insbesondere bei Berufsbetreuern, sinnvoll sein könnte, jedoch nicht in das Gesetz Einzug fand. Die oben genannte Wunschbefolgungspflicht wird dann auch bei der Auswahl des Betreuers gem. § 1816 Abs. 2 BGB deutlich. Hier steht künftig anders als noch in § 1897 Abs. 4 BGB a. F. der „Wunsch“ der Betroffenen direkt am Anfang des

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Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e. V. (DGSP) zu dem aktuellen Referentenentwurf „Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“, Stand: 24. 08. 2020, S. 3, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/082420_Stellungnahme_DGSP_RefE_Vormundschaft.pdf; jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 95 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1901, Rn. 20. 96 Schneider, FamRZ 2020, 1796, S. 1800. 97 Stellungnahme des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychia­ trie e. V. (CBP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 20. 09. 2020, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/ 2020/Downloads/092020_Stellungnahme_Angehoerigenbeirat_im_CBP_RefE_Vormundschaft. pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile &v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 98 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1901, Rn. 6.

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Satzes und soll damit „prominent“ verdeutlichen, dass dieser sowohl aktiv geäußerte, aber auch passiv zum Ausdruck gebrachte Wunsch grundsätzlich bindend ist.99 Schon bisher war allerdings höchstrichterlich anerkannt, dass als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen das bestellende Gericht hinsichtlich einer ernsthaft begehrten Person als Betreuer kein Ermessen hat.100 Dabei erfordert der Betreuervorschlag weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen, sondern es genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden.101 a) Wegfall der Wohlschranke, § 1816 Abs. 2 BGB Entfallen wird künftig der bisherige zweite Halbsatz in § 1897 Abs. 4, S. 1 BGB a. F., wonach der Wunsch übergangen werden kann, wenn es dem Wohl des Volljährigen zuwiderläuft. Die nun gewählte Formulierung beschränkt sich als Ausschlussgrund der Anordnung lediglich auf die „Eignung“ des Betreuers, § 1816 Abs. 2, S. 3 BGB und verweist damit auf § 1816 Abs. 1 BGB. Man muss davon ausgehen, dass Wohl und Eignung nicht synonym verwendet werden können, sondern die bisherige Linie der Rechtsprechung zur Grenze des Betreuerwunsches aufgegeben werden muss. Wie Schwab zurecht anmerkt, macht die Gesetzes­ begründung aus der bisherigen Wohlschranke das glorifizierte „Feindbild“ des novellierten Betreuungsrechts.102 Bisher war anerkannt, dass der Wille des Betroffenen nur dann unberücksichtigt bleiben kann, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft, was voraussetzte, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben mussten, die gegen eine Bestellung sprachen. Es musste eine konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will, was aufgrund einer Prognoseentscheidung des Gerichts zu entscheiden war.103 Die Eignung des Betreuers spielte zwar bisher auch schon eine Rolle, jedoch nur insofern als diese oben gewonnenen Erkenntnisse geeignet sein mussten, einen das Wohl des Betroffenen gefährdenden Eignungsmangel auch für die Zukunft und bezogen auf den von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis zu begründen.104 Wenn künftig nur noch vom „geeignet“ sein des Betreuers gesprochen wird, ist hierbei höchst fraglich, ob dem Sinn und Zweck der Schranke noch entsprochen werden kann und der Schutz der Betroffenen noch hinreichend gewährleistet ist.

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BT-Drs.: 19/24445, S. 237. BGH, NJW 2017, S. 3301; MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1901, Rn. 6. 101 BGH, NJW 2017, S. 3301; MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1901, Rn. 6. 102 Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1324. 103 BGH, NJW 2018, 705, S. 706. 104 BGH, NJW 2017, 3301, S. 3302. 100

III. Regelungsinhalte

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Die Norm verfolgt seit ihrer Implementierung im Jahr 1992 das Ziel, den Betroffenen davor zu schützen, dass er unter Umständen durch einen zwar potenziell geeigneten, aber nicht zum Wohle des Betroffenen agierenden Betreuers negativ beeinflusst wird.105 Dabei ist hervorzuheben, dass erst der Bundesrat in seiner Beratung bei Einführung des Betreuungsrechts die damalige Ursprungsfassung der Bundesregierung dahingehend konkretisierte, dass sein 6. Ausschuss beschloss, in § 1897 Abs. 4 BGB a. F. den hier nun aufgegebenen Halbsatz zu ergänzen: „[…], wenn es dem Wohl des Volljährigen nicht zuwiderläuft.“106 Hintergrund war, dass bei der Betreuerauswahl die gleiche Schutzschranke gelten sollte wie bei sonstigen Angelegenheiten im Sinne von § 1901 Abs. 2, S. 1 BGB a. F. Dabei wurden vor allem die Fälle in Betracht gezogen, „in denen ein geistig Behinderter einen Dritten als Betreuer vorschlägt, der zwar nicht ungeeignet, aber auch nicht vergleichbar gut geeignet ist wie die Eltern des Behinderten“.107

Der Gesetzgeber meint nun anscheinend, dass all jenes künftig allein unter dem Begriff der Eignung zu fassen sei und verweist dabei auf die oben beschriebenen Maßstäbe des § 1816 Abs. 1 BGB. Bisher war unter dem Begriff der Eignung des Betreuers aber vor allem zu verstehen, dass er die Eigenschaften, Fähigkeiten und Einstellungen mitbringt, welche für die Aufgabenbewältigung vonnöten sind, so etwa die intellektuelle, soziale, psychische und physische Verfasstheit des potenziellen Betreuers.108 Dies bezog sich dann konkret auch auf die subjektive Eignung im Sinne des Betroffenen, war jedoch stets zu unterscheiden vom ebenso bedeutsamen objektiv zu bewertenden Wohl des Betreuten. Bei einem Eignungsmangel war im Zweifel auch das Wohl gefährdet, bedurfte aber genauerer Prüfung.109 Unter Eignung versteht man wissenschaftlich betrachtet alle Merkmale und Eigenschaften, die einen Menschen befähigen, eine bestimmte Tätigkeit erfolgreich auszuüben, wobei diese Merkmale oder Eigenschaften immer in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit stehen.110 Auch der Gesetzgeber knüpft in seiner jüngsten Begründung sehr stark an fachliche Eignungskriterien an, wenn er schreibt, dass unabhängig vom konkreten Verfahren nur solche Personen als Betreuer geeignet seien, die die psychischen und physischen Eigenschaften besitzen, das Amt eines Betreuers generell auszuüben und dabei insbesondere §§ 21 und 23 BtOG zu berücksichtigen sei (Registrierung, Führungszeugnis, Schuldnerverzeichnis, etc.).111 105

BT-Drs.: 11/4528, S. 127. BT-Drs.: 11/6949, S. 11. 107 BT-Drs.: 11/6949, S. 71. 108 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1897, Rn. 34. 109 BGH, NJOZ, 391, S. 392. 110 Definition „Eignung“ in Springer Gabler, Wirtschaftslexikon, abrufbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/eignung-34394/version-257897, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 111 BT-Drs.: 19/24445, S. 238. 106

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Die Wohlschranke hingegen gibt er in § 1816 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit der Betreuerbestellung ohne Not auf, obgleich er sie bei der Ausübung der Betreuung durch den Betreuer mittelbar gem. § 1821 Abs. 3 BGB aufrechterhält. Denn wenn auch apodiktisch auf das noch in der Vorgängernorm, § 1901 Abs. 3, S. 1 BGB a. F., verwendete Wort „Wohl“ verzichtet wird, ist die Regelung dort als nichts anderes zu verstehen. Denn wenn „die Person des Betreuten oder dessen Vermögen erheblich gefährdet“ wird, ist selbstredend auch das Wohl beeinträchtigt.112 Wenn der Bundesgerichtshof noch im Jahr 2018 ausführt, dass er etwaigen Missbräuchen und Gefahren bei der Betreuerbestellung dahingehend vorgebeugt wissen will, dass die Bindungswirkung des Betreuervorschlags durch den Betreuten selbst letztlich immer durch das Wohl des Betroffenen begrenzt wird,113 bleibt abzuwarten, ob diese Erwägungen dann künftig alle von der Eignungsprüfung des Betreuers umfasst sind. Eine Notwendigkeit hier auch objektiv gefährdende Anhaltspunkte zu berücksichtigen, ist nach hiesiger Auffassung bereits wegen der Fürsorgepflicht des Staates geboten.114 Dies wird insbesondere auch in den Fällen von Relevanz, in denen der Betreute beispielsweise einer freiheitsentziehenden Unterbringung bzw. Maßnahmen ausgesetzt ist. Insofern wird zurecht angemerkt, dass eine Aufgabe der Wohlschranke in diesem Bereich, vgl. nunmehr nämlich auch die §§ 1831 Abs. 1, 1832 Abs. 1, S. 1 BGB im Gegensatz zu §§ 1906 Abs. 1, § 1906a Abs. 1, S. 1 BGB a. F., sogar im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien steht.115 In diesen Bereichen wird es selten um den Wunsch des Betroffenen gehen – jedenfalls wird der Betreute in den seltensten Fällen diesen intensiven Grundrechtseingriff befürworten. Wie teilweise angemerkt wird, bleibt auch unklar, warum der Gesetzgeber im Vormundschaftsrecht weiter auf den Begriff des Wohls setzt, obgleich er es im Betreuungsrecht ablegt, vgl. insofern beispielsweise § 1798 Abs. 1, S. 1 BGB,116 und wie Schwab dann zurecht meint, offenbar mit Erreichen des 18. Lebensjahrs plötzlich der Wunsch statt des Wohls entscheidend wird.117 Eine Begründung hierfür kann letztlich nur sein, dass der Gesetzgeber für die Vormundschaft weiter einen anderen Maßstab sieht, nämlich bei den Minderjährigen eine stärkere objektive 112

Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1325. BGH, NJW 2018, 705, S. 706. 114 So richtigerweise auch Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 9, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;jse ssionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 115 Schneider, FamRZ 2020, 1796, S. 1800. 116 Schneider, FamRZ 2020, 1796, S. 1800. 117 Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1325. 113

III. Regelungsinhalte

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Fürsorgeobliegenheit als bei den Volljährigen. In der Gesetzesbegründung heißt es dann auch: „Hierbei ist er im Gegensatz zum Betreuungsrecht, bei dem es in erster Linie auf Wunsch bzw. mutmaßlichen Willen des Betreuten ankommt, zum Schutz und Erhalt des Mündelvermögens verpflichtet. Der Mündel soll bei Erreichen der Volljährigkeit ein ungeschmälertes Vermögen erhalten. Je älter der Mündel ist, umso mehr wird der Vormund auf dessen Wünsche und Vorstellung über die Verwaltung seines Vermögens eingehen und Rücksicht nehmen müssen.“118

Nach hiesiger Auffassung wirkt dies jedoch nicht stringent und nicht mehr zeitgemäß. Es stellt die Fortsetzung einer historisch überkommenen Vorstellung dar, bei der unter anderem noch Planck meinte, dass Vormundschaft über Minderjährige die Ergänzung bzw. Fortsetzung der elterlichen Gewalt ist.119 Dies scheint jedoch ebenso verkürzt wie bei Volljährigen davon auszugehen, dass Betreuung allein die fehlende rechtliche Selbständigkeit ersetzt, insbesondere mittlerweile vor dem Hintergrund des Völkerrechts, in dem auch für Kinder klar formuliert ist, dass diese schon eine Meinung haben können und insofern auch hier nicht bloß Wohl über Wunsch steht, vgl. Art. 12 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention. b) Auswahlkriterien, § 1816 Abs. 3 BGB Die rechtliche Betreuung ist in Deutschland grundsätzlich als Ehrenamt ausgestaltet, die durch Einzelbetreuer erbracht wird, § 1816 BGB. Diese grundlegende Strukturbestimmung des Betreuungsrechts folgt aus der bereits umfangreich dargelegten historischen Entwicklung des Rechtsgebiets, in dem ausdrücklich zunächst anders als im Recht der Minderjährigen bei der Erwachsenfürsorge auf institutionalisierte Vormünder bzw. Betreuer verzichtet wurde. Das Betreuungsrecht geht von der Idee aus, dass eine andere natürliche Person für eine natürliche Person als dessen gesetzlicher Vertreter auftritt.120 Es ist damit, wie oben bereits ausgeführt, Ausfluss des zivilrechtlichen Stellvertretungsrechts.121 Der Betreuer gibt für die zuvor festgelegten Aufgabenkreise Willenserklärungen für und gegen den Betreuten ab und versucht damit, das oberste Ziel des Betreuungsrechts, krankheitsbedingte Defizite in der Lebensführung auszugleichen und den Betreuten weiter als Teil der Gesellschaft zu begreifen, zu erreichen.122 Es handelt sich dabei grundsätzlich um Drei-Personen-Verhältnisse, in denen der Betreuer für den Betreuten tätig wird.123 Der Duktus der persönlichen Betreuung durch den Betreuer ist demnach explizit nicht als sonstige soziale Hilfe für Betroffene zu ver 118

BT-Drs.: 19/24445, S. 211. Vgl. schon B. III. 7., vgl. S. 63. 120 Jürgens, BtPrax 1998, 129, S. 130. 121 Vgl. schon B. III. 3., vgl. S. 39 ff. 122 Jurgeleit / Jurgeleit, Einleitung, 4. Aufl., Rn. 10. 123 Jürgens, BtPrax 1998, 129, S. 130. 119

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

stehen, sondern ausschließlich als gesetzliche Vertretung im rechtlichen Kontext.124 Dieses sich auch im Erforderlichkeitsgrundsatz widerspiegelnde Strukturelement des deutschen Betreuungsrechts, § 1814 Abs. 3 BGB, ist auch verfassungsrechtlich verbrieft.125 Insbesondere da durch die Anordnung einer Betreuung immer auch die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird, muss die Anordnung stets re­striktiv sein und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG beachtet werden und eine Abwägung zum Nutzen für den Betroffenen stattfinden.126 Eine Betreuung ist daher zwingend ausgeschlossen, wenn die Hilfeleistung gegenüber dem Betroffenen auch ohne gesetzliche Vertretung möglich wäre. Dies vorwegnehmend ergibt sich dann auch denklogisch, dass insbesondere das staatlich gelenkte und geregelte Betreuungsverfahren, selbst wenn am Ende des Verfahrens ein Familienangehöriger als ehrenamtlicher Betreuer bestellt wird, nachrangig zur selbst verfassten Vorsorgevollmacht sein muss, vgl. § 1814 Abs. 3, S. 2 Nr. 1 BGB.127 Dies erhält das verfassungsrechtlich verbriefte Selbstbestimmungsrecht am ehesten, da hier bereits der persönliche Wille zur Bestellung eines rechtlichen Betreuers manifestiert, die Auswahl des Betreuers personengenau bestimmt und der Aufgabenkreis des Betreuers eigenständig festgelegt wird, § 1820 BGB. Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers zur Einzelbetreuung im Recht der deutschen Erwachsenfürsorge geht einher mit der Maxime, den institutionalisierten Betreuungen einen geringeren Stellenwert im System der gesetz­ lichen Betreuung einzuräumen und diese für nachrangig zu erklären, §§ 1818, 1819 Abs. 3, BGB. Ziel ist es, das persönliche Verhältnis zwischen Betreuer und Betreuten zu stärken, weshalb § 1816 Abs. 3–6 BGB auch bei den unterschiedlichen Einzelbetreuern noch einmal ein Rangverhältnis festsetzt. Zu den Einzelbetreuungen zählen vor allem ehrenamtliche Betreuer, Berufsbetreuer, bei einem Betreuungsverein angestellte Vereinsbetreuer und die Mitarbeiter der Betreuungsbehörden als Behördenbetreuer.128 Dieses Rangverhältnis soll von den Betreuungsgerichten bei Bestellung eines Betreuers von Amtswegen beachtet werden und jeweils der Betreuer bestellt werden, der nach dieser Hierarchie am besten geeignet und bereit ist, die Betreuung zu übernehmen, § 26 FamFG.129 So romantisch das Prinzip der Einzelbetreuung auch klingen mag, bringt es doch auch Probleme mit sich. So will der Gesetzgeber, dass die Einzelbetreuung zum einen das persönliche Näheverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem stärkt, muss aber zum anderen feststellen, dass insbesondere durch die Zunahme der Be 124 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 101; MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., § 1896, Rn. 48. 125 Hufen, BtPrax 1996, 56, S. 56. 126 MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., § 1896, Rn. 39. 127 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 123. 128 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1897, Rn. 4. 129 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 89.

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rufsbetreuung und der Fallzahlen pro Betreuer eine persönliche Betreuung nur noch schwer möglich sein kann, was noch darzustellen sein wird.130 c) Vorrang des Ehrenamts, § 1816 Abs. 3, 5 BGB Im Betreuungsrecht besteht grundsätzlich der Vorrang des Ehrenamts vor der berufsmäßigen bzw. gewerblichen Ausübung einer rechtlichen Betreuung.131 Ausdrücklich wird dies auch weiterhin in § 1816 Abs. 5 BGB bestimmt, wenn es heißt, dass ein beruflicher Betreuer, nur dann zum Betreuer des Betroffenen bestellt werden soll, wenn keine geeignete Person für die ehrenamtliche Führung der Betreuung zur Verfügung steht. Bei der Auswahl des Betreuers soll zunächst auf die familiären Beziehungen des Betreuten, insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, oder seinen sonstigen persönlichen Bindungen Rücksicht genommen werden, § 1816 Abs. 3 BGB. Damit sind Angehörige bei der Bestellung zum Betreuer eines Betroffenen privilegiert, aber auch zuvörderst verpflichtet, Betreuungen zu übernehmen, wenn sie ihnen zuzumuten sind. Dies sei eine Werteentscheidung des Gesetzgebers, die in besonderer Art und Weise bei der Amtsermittlung zu berücksichtigen ist.132 Schlägt ein Betroffener solch eine privilegierte Person für seine rechtliche Betreuung vor oder bestimmt das Gericht die Bestellung einer solchen Person, dürfen nur gewichtige Gründe dazu führen, dass diese Person vom Betreuungsgericht abgelehnt wird oder die Person die Übernahme der Betreuung ablehnt.133 Diese Privilegierung findet sich dann unter anderem auch in weiteren gesetzlichen Vorschriften. So sind die nahen Angehörigen des Betreuten sog. „Befreite Betreuer“. Dies bedeutet, dass sie von Genehmigungspflichten bei der Vermögensverwaltung oder der Rechnungslegung befreit sind, wenn das Gericht nichts Abweichendes anordnet, § 1859 BGB. Hieran änderte sich auch mit der jüngsten Reform inhaltlich kaum etwas. Der Gesetzgeber betont den Grundsatz der Ehrenamtlichkeit jedoch noch einmal ausdrücklich, wenn er in seiner Gesetzesbegründung formuliert, dass die Ehrenamtlichkeit der rechtlichen Betreuung „das gesetzgeberische Leitbild“ darstellt und die Ausübung der Betreuung durch Familie, nahestehende Personen oder ehrenamtliche Bürger „als optimale Unterstützungsform der Betreuungsführung durch beruflich tätige Personen vorzuziehen ist“.134 Die ehrenamtliche Betreuung sei daher ein „unverzichtbares Element des Erwachsenschutzes“.135 130

Vgl. so auch schon Dieckmann, JZ 1988, 789, S. 791. MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1897, Rn. 6. 132 BGH, FGPrax 2011, S. 77. 133 BGH, FGPrax 2011, S. 77. 134 BT-Drs.: 19/24445, S. 238. 135 BT-Drs.: 19/24445, S. 144. 131

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Die Aufrechterhaltung dieser Doktrin stößt bei den im Reformprozess Beteiligten auf breite Unterstützung. Fast einhellig betont man, dass die rechtliche Betreuung weiterhin zuvörderst durch ehrenamtliche Betreuer erfolgen solle, insbesondere um die Qualität zu erhalten.136 aa) Attraktivität des Ehrenamts Einzig der Deutsche Städtetag führt überzeugend aus, dass „ein realistischer Blick auf das Ehrenamt in der rechtlichen Betreuung“ angebracht ist und „dieses Ehrenamt seine Attraktivität gegenüber anderen Ehrenämtern verloren hat und vermutlich auch nicht wiedergewinnen wird“.137

Die Zahlen sprächen hier für sich. Betrachtet man genau diese Zahlen stellt man tatsächlich fest, dass zum einen mittlerweile für rund 1,3 Mio. Menschen Betreuungen angeordnet sind und damit die Zahl der Betreuungen seit der Reform von 1992 um fast 100 % angestiegen ist.138 Zum anderen ist auch das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Betreuer­typen ins Wanken geraten. So ergibt sich bundesweit eine Verteilung von noch überwiegend 52,8 % ehrenamtlichen Betreuern und immerhin schon 47,2 % Berufsbetreuern. In allen Bundesländern ist dabei die klare Tendenz zu erkennen, dass die Anzahl von berufsmäßigen Betreuern stark zunimmt.139 Die größten Unterschiede liegen dabei zwischen städtischen und ländlichen Regionen. In der Bundeshauptstadt Berlin wurden im Jahr 2017 bei Erstbestellungen nur noch ca. 28 % ehrenamtliche und schon ca. 66 % berufsmäßig geführte Betreuungen angeordnet,140 wohingegen im selben Zeitraum im Freistaat Bayern noch für ca. 57,3 % der Betroffenen Ehrenamtliche bereit waren, eine Betreuung zu übernehmen und nur ca. 37,9 % der Betreuer berufsmäßig bestellt wurden.141 In der Freien und Hansestadt 136

Gemeinsame Empfehlung des Kasseler Forums der Verbände des Betreuungswesens zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 06. 08. 2020, S. 5, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080620_ Stellungnahme_BGT-Kasseler-Forum_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A 7649DCED63F998840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 137 Stellungnahme Deutscher Städtetag zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 14. 08. 2020, S. 5, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081420_ Stellungnahme_DST_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1 EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 138 Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 15. 139 Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 15. 140 Abgeordnetenhaus v. Berlin, Schr. Anfrage, Thomas Seerig MdA (FDP), Drs.: 18/18 688, S. 2. 141 Bayrischer Landtag, Schr. Anfrage, Markus Rinderspacher MdL (SPD), Drs.: 17/19206, S. 2.

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Hamburg sind ca. 50,25 % der Betroffenen berufsmäßig betreut und nur noch ca. 25 % ehrenamtlich.142 In Baden-Württemberg stellt sich dies noch ausgeglichener dar, sodass sich eine Verteilungspraxis bei der Bestellung von ca. 55,63 % auf ehren­ amtliche Betreuer und ca. 44,37 % auf Berufsbetreuer ergibt.143 Durch diese Zahlen wird deutlich, dass ein Festhalten am Vorrang der Ehrenamtlichkeit zwar erstrebenswert sein mag, jedoch kaum noch die Versorgungsrealität abbildet. Der Gesetzgeber versucht nun nichtsdestotrotz, ggf. auch im Sinne eines vermeintlich letzten Aufgebehrens, die Ehrenamtlichkeit mit der Neuregelung in den §§ 1814 BGB ff. in ihrer Struktur zu stärken. Glaubt man den Statistiken ist der Rückgang des Ehrenamts auch kein allgemein gesellschaftliches Phänomen, sondern offenbar ein im Betreuungsrecht strukturell angelegtes Defizit. Nach den Ergebnissen des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys aus dem Jahr 2019 im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist Anteil der freiwillig Engagierten in Deutschland seit 2014 stabil und gleichbleibend hoch. 2019 engagierten sich 39,7 % der Personen ab 14 Jahren ehrenamtlich, im Jahr 2014 waren es 40,0 %.144 Zeitgleich erheben Bundesländer das Ehrenamt zu einem Staatsziel in ihren Landesverfassungen und stellen die Förderung dessen unter besonderen Schutz.145 In anderen Bundesländern wird aktuell noch darüber diskutiert, ob solch eine Änderung der Verfassungen die Stellung des Ehrenamts steigern könnte.146 Im Betreuungsrecht ergebe sich die Notwendigkeit der Privilegierung des Ehrenamts sich seit jeher grundsätzlich auch aus dem Schutz und dem Vorrang der Familie aus Art. 6 GG und verpflichte den Staat insbesondere gegenüber ehrenamtlichen Angehörigenbetreuern zu einem gewissen „Vertrauensvorschuss“.147

142

Hamburgische Bürgerschaft, Schr. Kl. Anfrage, Richard Seelmaecker MdHB (CDU), Drs.: 21/12114, S. 1 f. 143 KVJS – Statistik der Örtlichen Betreuungsbehörden in Baden-Württemberg 2017, Stand: 31.  12.  2017, abrufbar unter: https://www.kvjs.de/fileadmin/dateien/soziales/btr/KVJSBetreuungsstatistik-BW-2017_BtB-korr.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 144 Freiwilliges Engagement in Deutschland, Zentrale Ergebnisse des Fünften Deutschen Freiwilligensurveys (FWS 2019), Stand: 03.2021, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/ blob/176836/7dffa0b4816c6c652fec8b9eff5450b6/frewilliges-engagement-in-deutschlandfuenfter-freiwilligensurvey-data.pdf, (zuletzt abgerufen am 23. 06. 2023). 145 Vgl. Art. 26f Verfassung des Landes Hessen, Stand: 12. 12. 2018. 146 Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte zuletzt in Thüringen die Einfügung des Ehren­amts als Staatsziel in die Landesverfassung, Stand 04. 12. 2023, abrufbar unter: https:// www.zeit.de/news/2022-12/04/sozialverband-ehrenamt-per-landesverfassung-staerken?utm_ referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F. In Berlin gab es bereits zuvor die Debatte um die Ergänzung, Stand: 16. 10. 2019, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/berlin/ diskussion-uber-ehrenamt-als-staatsziel-4110616.html. 147 Fröschle, ZRP 2018, 110, S. 112.

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Andererseits müsse schon die Verortung des Rechtsgebiets im Familienrecht in Frage gestellt werden.148 Zurecht wurde dann aber die Frage aufgeworfen, warum ehrenamtliche Betreuer außerhalb des Angehörigenkreises in ihrer Anforderung und der Kontrolle der Betreuung gleichermaßen gegenüber berufsmäßig tätigen Betreuern privilegiert werden sollten.149 So betont auch das Bundesverfassungsgericht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass der Schutz des Familiengrundrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern bestehen können, abzielt und deshalb auch bei der Betreuerbestellung Berücksichtigung finden muss.150 Art. 6 Abs. 1 GG gebiete insoweit eine bevorzugte Berücksichtigung der (nahen) Familienangehörigen, wenn tatsächlich eine familiäre Verbundenheit besteht.151 Eine grundsätzliche Bevorzugung von Ehrenamtlichen – auch ohne familiäre Bande – kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Insofern müsste auch für den Vorrang der Ehrenamtlichkeit gelten, dass hier mit dem Bundesverfassungsgericht vor allem ein Vorrang geeigneter Familienangehöriger besteht – was jedoch auch im hiesigen Reformprozess unberücksichtigt blieb.152 Das bisherige System machte jedenfalls keine oder nur kaum Abstufungen in Anforderung, Qualität oder Kontrolle der unterschiedlichen Betreuertypen. Es versuchte lediglich unter dem Deckmantel des Rangverhältnisses, die Kosten des Betreuungssystems niedrig zu halten. Dies gelang jedoch nicht ansatzweise und degradierte den Gedanken der Ehrenamtlichkeit sogar noch zu einer bloßen Einsparmaßnahme. Dies wurde besonders deutlich in der stark kritisierten Gesetzesbegründung zum ersten Betreuungsrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 1997, in der es zur Privilegierung des Angehörigenbetreuers gem. § 1897 Abs. 5 BGB a. F. hieß, dass der Hintergrund hierfür nicht etwa sozial- oder familienpolitische Beweggründe seien, sondern rein fiskalische Interessen im Vordergrund standen: der Staatskasse sei eine flächendeckende Berufsbetreuung nicht zuzumuten.153 Auch solle: „[…] die Bestellung von überqualifizierten Betreuern […] nach Möglichkeit vermieden werden“.154

Wer nun im Sinne des Gesetzgebers „überqualifiziert“ war, wurde offengelassen. Wie schon dargestellt, musste die betreuende Person auch damals schon bloß geeignet sein, in dem gerichtlich bestellten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang 148

Fröschle, ZRP 2018, 110, S. 112. Fröschle, ZRP 2018, 110, S. 112. 150 Statt vieler, zuletzt: BVerfG, FamRZ 2022, S. 722. 151 BVerfG, FamRZ 2022, S. 722. 152 Schwab, FamRZ 2022, 725, S. 752. 153 BT-Drs.: 13/7158, S. 50; MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., § 1897, Rn. 41; BeckOK BGB /  Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 84. 154 BT-Drs.: 13/7158, S. 50. 149

III. Regelungsinhalte

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persönlich zu betreuen.155 Insbesondere im Hinblick auf die Ehrenamtlichkeit war dies durchaus nachvollziehbar, da die Anforderungen niedrig zu halten sind, um ausreichend ehrenamtliche Betreuer zu gewinnen. Es wurde jedoch zurecht bezweifelt, dass dies a priori auch für Berufsbetreuer gelten sollte. Ohne eine hinreichende Definition, was für Qualifikationen Betreuer eigentlich vorweisen müssen, war eine Überqualifikation nur schwerlich feststellbar und auch kein greifbares Kriterium, wenn es darum ging, interessengerechte Betreuung sicherzustellen. Es legte zudem die Frage nahe, ob ehrenamtliche Betreuer dann per se unqualifizierter als berufsmäßige Betreuer sind bzw. sein sollen – trotz desselben Tätigkeitsfeldes. Im Betreuungsrecht wurde bisher die Berufsmäßigkeit gemäß § 1836 Abs. 1 BGB a. F. i. V. m. § 1 Abs. 1, S. 2 Nr. 1 VBVG a. F. bei mehr als zehn Betreuungen vermutet. Grundsätzlich waren also alldiejenigen Betreuer, die unterhalb dieses Schwellenwertes Betreuungen übernahmen, ehrenamtlich tätig. Weitere Anforderungen an die Berufsmäßigkeit gab es erst einmal nicht. Vom Grundsatz her konnte also der Personenkreis der ehrenamtlichen und der der beruflich tätigen Betreuer personenidentisch sein. bb) Qualität der ehrenamtlichen Betreuung, § 1816 Abs. 4 BGB All dies im Blick habend, entschied sich der Gesetzgeber durch verschiedene Instrumente, die Qualität der ehrenamtlichen Betreuung mit der Reform zum 1. Januar 2023 zu erhöhen. Hierfür sollen sich künftig alle ehrenamtlichen Betreuer gem. § 21 Abs.1 BtOG einer Eignungs- und Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen müssen, was konkret bedeutet, dass der ehrenamtliche Betreuer wie zuvor schon die beruflichen Betreuer sowohl ein Führungszeugnis als auch einen Auszug aus dem zentralen Schuldnerverzeichnis einmalig bei Übernahme der Betreuung vorlegen muss. Dies sei trotz des erhöhten Aufwands wegen der weitreichenden Pflichten und Befugnisse von Betreuern gerechtfertigt.156 Unbenommen sollten auch Ehrenamtliche über ein gewisses Mindestmaß an Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit verfügen. Nichtsdestotrotz ist den Meinungen einiger zu folgen, dass dies auch schnell zu einer weiteren Unattraktivität der Aufgabe als ehrenamtlicher Betreuer führen kann, zumal hiermit auch Kosten verbunden sind.157 155

Vgl. schon unter C. I. 1. b). BT-Drs.: 19/24445, S. 144 f. 157 Stellungnahme Jens Wittich, Leiter der Betreuungsbehörde Landkreis Schaumburg, zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: Juli 2020, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/071520_Stellungnahme_Witich_RefE_Vormundschaft.pdf; jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 156

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Hinzutritt der Umstand, dass künftig gem. § 1816 Abs. 4 BGB und § 22 BtOG ehrenamtliche Betreuer stärker an die Betreuungsvereine angebunden werden sollen, um vor allem Kenntnisgewinn und Austausch zu ermöglichen und hierdurch die Qualität der Betreuung in Gänze zu steigern. Hierfür wird ehrenamtlichen Betreuern, die „keine familiäre Beziehung oder persönliche Bindung zu dem Volljährigen haben“ aufgegeben, dass sie eine Vereinbarung über die Begleitung und Unterstützung gem. BtOG abschließen müssen, bevor sie zu Betreuern bestellt werden. Diese gesicherte institutionalisierte Anbindung der ehrenamtlichen Betreuer an die Vereine sei vor allem bei den Evaluationsvorhaben zum Betreuungsrecht als wichtiger Baustein zur Verbesserung der Sicherstellung der Qualität hervorgegangen und habe zudem in Österreich bereits ein positives Vorbild gefunden.158 Die Unterscheidung zwischen Angehörigen- und Fremdbetreuern werde notwendig, weil beide unterschiedliche Motivationen für die Übernahme der Betreuung hätten.159 Eine sehr umstrittene Differenzierung. Mehrere Verbände weisen zurecht darauf hin, dass die zitierte Studie zur Evaluation der Betreuung auch zu der Erkenntnis kam, dass gerade das besondere Näheverhältnis der Angehörigen zu einem Konflikt mit dem Selbstbestimmungsrecht führen kann und hier unter Umständen sogar noch stärker Beratungsbedarf über den Umfang von Betreuung besteht.160 Die Studie hatte deshalb explizit die stärkere Anbindung an Initiativen des bürgerschaftlichen Engagements, wie Seniorenbüros oder die Nachbarschaftshilfe vorgeschlagen.161 Hiervon liest man nun jedoch nichts. Deshalb wurde überwiegend gefordert, dass auch die sog. Angehörigenbetreuer verpflichtet werden sollten, in einem Verein Mitglied zu werden,162 jedenfalls aber eine Pflicht zur Fortbildung für diese ein 158

BT-Drs.: 19/24445, S. 239. BT-Drs.: 19/24445, S. 238. 160 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 14, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammen fassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 161 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 14, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammen fassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 162 Gemeinsame Empfehlung des Kasseler Forums der Verbände des Betreuungswesens zum Referentenentwurf des BMJV zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 06. 08. 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungs verfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080620_Stellungnahme_BGT-Kasseler-Forum_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F998840F1CD.2_cid289? __blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); Stellungnahme der Bundes­ arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zum Referentenentwurf des 159

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geführt werden müsste.163 So sehr der Wunsch nach gesteigerter Qualität nachvollziehbar ist, berührt die Frage der gesteigerten Anforderungen an die Betreuer doch auch das Grundverständnis des Instituts der Betreuung. Blickt man nämlich der Tatsache ins Auge, dass eine Professionalisierung von Betreuung erwünscht und bei der heutigen Bürokratie vielleicht auch notwendig erscheint, muss man ernsthaft in Frage stellen, ob dies in vielen Bereichen überhaupt noch ehrenamtliche Betreuer leisten können. Diese Diskrepanz zwischen Qualifikation und altruistischer Tätigkeitsübernahme wird vor allem im Verhältnis zu Berufsbetreuern immer schwieriger durchzuhalten sein. Für ein und dieselbe Aufgabe im Rahmen der Betreuung braucht der ehrenamtliche Angehörigenbetreuer (nur) einige Dokumente, die seine Zuverlässigkeit belegen sollen, wohingegen der Berufsbetreuer mittlerweile zusätzlich ein Registrierungserfordernis hat, eine Berufshaftpflichtversicherung braucht und einen zeitlich sehr aufwendigen Sachkundenachweis erbringen muss, der vertiefte Kenntnisse des Betreuungs- und Unterbringungsrechts, des dazugehörigen Verfahrensrechts sowie auf den Gebieten der Personen- und Vermögenssorge, des sozialrechtlichen Unterstützungssystems und Kenntnisse der Kommunikation mit Personen mit Erkrankungen und Behinderungen und von Methoden zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung voraussetzt, §§ 23 ff. BtOG. Ein Zweiklassensystem scheint sich abzuzeichnen. Diese Anforderungskriterien, insbesondere für Berufsbetreuer, sind nicht gänzlich neu, da bereits einige Bundesländer eigenständig in diese Richtung gegangen sind. So führte Berlin im Jahr 2018 ein sog. Eignungsfeststellungsverfahren für Berufsbetreuer ein, um einheitliche Anforderungen an Berufsbetreuer in allen Gerichtsbezirken zu stellen.164 Der Deutsche Städtetag, der deutsche Landkreistag und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe veröffentlichten seit Jahren gemeinsam sog. Empfehlungen für Betreuungsbehörden bei der Betreuerauswahl. Hier fanden sich konkrete Vorgaben an die Bestellung von Berufsbetreuern, so zum Beispiel eine abgeschlossene einschlägige Berufsausbildung oder ein einschlägiges BMJV – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 06. 08. 2020, S. 12, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/080620_Stellungnahme_BAGFW_RefE_Vormundschaft.pdf; jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F998840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 163 Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 19, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289 F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 164 Abgeordnetenhaus v. Berlin, Schr. Anfrage, Thomas Seerig (FDP), MdA, Drs.: 18/18 688, S. 3.

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abgeschlossenes Hochschulstudium, mindestens drei Jahre Berufserfahrung, einen Überblick über die soziale Infrastruktur in der Region, Fachkenntnisse aus den Wirkungskreisen Vermögenssorge, Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung.165 Gleichzeitig muss anlehnend an den Titel dieser Arbeit festgestellt werden, dass sich durch diese unter Umständen notwendigen Maßnahmen der Qualitätsverbesserung das deutsche Betreuungsrecht immer weiter vom ursprünglichen selbstbestimmten Stellvertretungsgedanken in der Erwachsenenfürsorge entfernt. Wie bereits historisch belegt, hatte das Institut der Vormundschaft seit jeher sowohl Elemente der (staatlichen) Fürsorge als auch der Stellvertretung inne. Das Instrument sollte bei Minderjährigen die fehlende elterliche Sorge und bei Erwachsenen die fehlende (rechtliche) Selbständigkeit ersetzen.166 Dies unterstrich bisher auch das Primat der ehrenamtlichen (Angehörigen-)Betreuung. Es herrschte die Auffassung vor, dass diese gemeinsam mit dem Institut der Vorsorgevollmacht die Position des Betroffenen mutmaßlich am besten schütze. Wenn wir nun maßgeblich gut qualifizierte Berufsbetreuer erhalten, die nach Auffassung des Gesetzgebers in bestimmten Bereichen ganz besonders ausgebildet sein müssen, kann dieses Primat offenkundig nicht mehr aufrechterhalten werden, und die ehrenamtliche Betreuung wird zunehmend zur Betreuung zweiter Klasse degradiert. Teilweise agiert der Gesetzgeber dabei trotz deutlicher Hinweise auch sehr ungeschickt und befeuert noch eine gewisse Tendenz zur Professionalisierung. Beispielsweise wenn er beim Vorrang der Vorsorgevollmacht, welche wie dargelegt verfassungsrechtlich stets vorrangig sein muss, formuliert, dass „die Bestellung eines Betreuers […] insbesondere dann nicht erforderlich [sei], soweit die Angelegenheiten des Volljährigen […] durch einen Bevollmächtigten […] gleichermaßen besorgt werden können.“

Wie teils zurecht angemerkt, ist das Wort „gleichermaßen“ in diesem Zusammenhang unangebracht, da insbesondere nach der jüngsten Reform und den neuen Qualitätsanforderungen an Berufsbetreuer wohl häufiger als je zuvor der mittels einer Vorsorgevollmacht ausgestattete Laie kaum besser geeignet sein kann als der ausgebildete Berufsbetreuer.167 Darauf darf es aber nicht ankommen, insbesondere nicht vor dem Hintergrund der Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. 165 Überarbeitete Empfehlungen für Betreuungsbehörden bei der Betreuerauswahl, Stand: Januar 2017, S. 9, abrufbar unter: https://www.lwl.org/spur-download/bag/auswahl_rechtlicher_ betreuer.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 166 Vgl. schon B. III. 3., vgl. S. 39 ff. 167 Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Recht zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Betreuungsrechts, Stand: 25. 07. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/072520_Stellungnahme_BAG_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=A9F237001B855C5753AA97A9596C2B56.2_cid324? __blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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Diese These verstärkt sich noch bei Aussagen großer karitativer Verbände im jüngsten Gesetzgebungsprozess. Die zusätzlichen Anforderungen an Angehörigenbetreuer seien trotz der Sorge, dass womöglich viele Angehörige angesichts eines solchen Aufwands vor der Übernahme der Betreuung zurückschrecken könnten, gerechtfertigt, da diese Sorge „nicht zulasten der Betreuten und ihres Rechts auf eine bestmögliche, am Grundsatz der Erforderlichkeit orientierte Betreuungsführung gehen“ dürfe.168

Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass anscheinend die altruis­tische, auf persönlicher Bindung ausgerichtete Angehörigenbetreuung, zwar weiter hoch gelobt ist, jedoch den Anforderungen nur selten wird gerecht werden können. cc) Grundsatz der Unentgeltlichkeit, § 1878 BGB Sogleich versucht der Gesetzgeber aber auch mühevoll, das Ehrenamt in seiner Attraktivität zu stärken. So hob er mit der Reform die jährliche Ehrenamtspauschale auf das 17-fache dessen an, was einem Zeugen als Höchstbetrag für eine Stunde versäumter Arbeitszeit zusteht, § 1878 Abs. 1 BGB i. V. m. § 22 JVEG, derzeit 425,00 EUR – eine Erhöhung um 26,00 EUR pro Jahr. Ehrlicherweise ist dies aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Insbesondere mit Blick auf die beruflichen Betreuer nimmt die finanzielle Diskrepanz immer weiter zu. Diese werden seit dem Jahr 2019 mit monatlichen Fallpauschalen vergütet und stiegen im Gegensatz zur Ehrenamtsvergütung zuletzt um durchschnittlich 17 % an.169 Ein Berufsbetreuer kann nach den Vergütungssätzen des VBVG pro Betreuten pro Monat je nach Qualifikation des Betreuers, der Dauer der Unterbringung, dem Aufenthaltsort und Vermögensstatus in der geringsten Vergütungstabelle zwischen 194,00 EUR bis 298,00 EUR monatlich in den ersten drei Monaten der Betreuung und zwischen 317,00 EUR bis 486,00 EUR monatlich in der höchsten Vergütungstabelle in den ersten drei Monaten der Betreuung erzielen, Anlage zu § 8 Abs. 1 VBVG. Das sind selbst bei bloßer Tätigkeitsübernahme einer einzigen berufsmäßigen Betreuung allein in den ersten drei Monaten der Betreuungsübernahme mindestens 582,00 EUR und maximal 1458,00 EUR und damit deutlich mehr als ein ehrenamtlicher Betreuer an Entschädigung für ein gesamtes Jahr erhält. Weiter be 168 Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 19, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F 50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 169 BT-Drs.: 19/8694, S. 1.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

stimmt § 10 VBVG noch Sonderzahlungen, beispielsweise wenn der Berufsbetreuer höheres Geldvermögen, Wohnraum oder Erwerbsgeschäfte des Betreuten verwaltet, Abs. 1, oder der berufliche Betreuer die Betreuung von einem Ehrenamtlichen übernimmt, in Höhe von einmalig 200,00 EUR gemäß Abs. 2. Sowohl die Ehrenamtsvergütung als auch die der beruflichen Betreuer wird bei Mittellosigkeit des Betreuten aus der Staatskasse finanziert, § 1879 BGB bzw. § 2 VBVG. Entsprechend zeigt sich an den unterschiedlichen Vergütungssituationen des ehrenamtlichen und des berufsmäßigen Betreuers, dass unser geltendes Betreuungsrecht immer stärker die Professionalisierung sucht und auch bewusst fördert.170 Wenn der Gesetzgeber betont, dass im BGB künftig nur noch die Ansprüche des nicht berufsmäßig tätigen Vormunds und des ehrenamtlichen Betreuers geregelt werden und die Ansprüche der beruflich tätigen Vormünder und Betreuer künftig allein im VBVG zu finden sind,171 wirkt das nicht überzeugend. Es erscheint etwas künstlich, wenn der Gesetzgeber meint, die Vergütung der beiden Komplexe in unterschiedlichen Normtexten regeln zu wollen, denn im Ergebnis beruhen sie auf demselben rechtlichen Grund, nämlich der Betreuungsanordnung gem. §§ 1814 ff. BGB. Wie bereits oben angedeutet, stellt sich erneut die Frage, inwieweit hier überhaupt eine unterschiedliche Vergütung der beiden Betreuertypen gerechtfertigt ist. Es erschließt sich dem Verfasser nicht, was für unterschiedliche Aufgaben von dem einen oder anderen Betreuer wahrgenommen werden, dass hier eine Differenzierung gerechtfertigt wäre. Natürlich ist der Verfasser nicht so naiv zu meinen, dass eine einheitliche Behandlung aller Betreuertypen in finanzieller Hinsicht durch die Staatskasse ernsthaft zu finanzieren wäre. Warum der ehrenamtlich als Betreuer tätige Sohn des mittellosen Betreuten, welcher zufällig Rechtsanwalt ist und in den im BtOG genannten Qualifikationsbereichen besonders geschult ist, jedoch keinen Anspruch auf Vergütung haben soll, § 1876 BGB, ist genauso wenig nachvollziehbar, wirkt antiquiert und ist lediglich unter fiskalischen Gesichtspunkten 170 Vgl. insofern auch den Ruf nach stärkerer Professionalisierung: Stellungnahme des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 20. 09. 2020, S. 18, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/092020_ Stellungnahme_Angehoerigenbeirat_im_CBP_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537 289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); aber auch die Kritik daran: Stellungnahme Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e. V. (BPE) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 16. 07. 2020, S. 5, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/071620_Stellungnahme_BPE_RefE_Vormundschaft.pdf;j sessionid=EC1246687FF358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); Schwab, FamRZ 2022, 725, S. 725. 171 BT-Drs.: 19/24445, S. 151.

III. Regelungsinhalte

111

nachvollziehbar. Dies stellt jedenfalls sicherlich keinen Anreiz für die Übernahme ehrenamtlicher Betreuung durch Angehörige dar. Der Gesetzgeber erkennt dabei selbst mit der Streichung des bisher geltenden Grundprinzips, „Die Vormundschaft wird unentgeltlich geführt“, § 1836 Abs. 1, S. 1 BGB a. F. an, dass dies nicht mehr der Realität entspricht.172 Er meint dann in seiner Gesetzesbegründung, dass nicht mehr die Unentgeltlichkeit entscheidend sei, sondern der Vorrang der Ehrenamtlichkeit, was sich weiterhin aus § 1816 Abs. 5 BGB ergebe.173 Wie in der historischen Abhandlung dargelegt, war der Grundsatz der Unentgeltlichkeit vor allem der preußischen Rechtstradition geschuldet und fand sich entsprechend dann auch in § 33 V. O. wieder.174 Bereits bei der Erarbeitung des BGB gab es Bestrebungen, den Satz nicht zu übernehmen, da er als „zu selbstverständlich“ galt. Er fand nichtsdestotrotz Einzug und wurde seit jeher immer weiter ausgehöhlt und seine Realitätsnähe jedenfalls in Zweifel gezogen.175 Insofern könnte man meinen, dass die Streichung jetzt nur konsequent war. Andererseits erscheint sie nur halbherzig. Der Gesetzgeber ist sich scheinbar bewusst, dass rechtliche Betreuung nur noch durch eine attraktive Vergütung zu organisieren ist, speist jedoch weiter Ehrenamtliche mit einer mageren Aufwandspauschale ab – ein Widerspruch. Hiergegen wird vermutlich auch der vermeintliche Papiertiger, der Vorrang der Ehrenamtlichkeit, nicht sonderlich helfen. d) Rolle der Betreuungsvereine, § 1818 BGB Bereits der Koalitionsvertrag von CDU / CSU und SPD für die 19. Legislatur­ periode aus dem Jahr 2018 spricht davon, dass „die Finanzierung der unverzichtbaren Arbeit der Betreuungsvereine in Zusammenarbeit mit den Ländern“ zu stärken sei.176 Entsprechend stand dies dann auch im Reformprozess sehr weit oben auf der Agenda. Der Bundesgesetzgeber versuchte vor allem, die Aufgabenbeschreibung der Betreuungsvereine zu konkretisieren, um, wie er schreibt klarzustellen: „dass die Betreuungsvereine Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen“.177

Hierdurch will er vor allem auch das ewige Finanzierungsdilemma zwischen Bund und Ländern in den Griff bekommen. 172

BT-Drs.: 19/24445, S. 312. BT-Drs.: 19/24445, S. 312. 174 Vgl. schon B. III. 6., vgl. S. 60 ff. 175 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1836, Rn. 2. 176 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Stand: 12. 03. 2018, Z. 6264, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/847984/5b8b c23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 177 BT-Drs.: 19/24445, S. 146. 173

112

C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

aa) Nachrang der Vereinsbetreuung, § 1818 Abs. 1 BGB Im Betreuungsrecht besteht seit dem Jahr 1992 ein starres Rangverhältnis, wenn es um den Vorrang der Einzelbetreuung vor der Vereins- bzw. Behördenbetreuung geht, § 1818 Abs. 1 BGB, zuvor § 1900 Abs. 1 BGB a. F.178 Als sich der Gesetzgeber im Jahr 1992 hierfür entschied, war dies eine klare Abkehr von der zuvor praktizierten Übung, dass Vereine als juristische Personen zuvörderst selbst Betreuungen übernahmen. So waren zum Zeitpunkt der großen Reform des Jahres 1992 gut 19 % der Betreuungen in der Hand von Betreuungsvereinen.179 Vereine sollten nun jedoch nicht mehr primär als Betreuer, sondern in einer Art Querschnittsfunktion organisatorisch tätig werden. Das Betreuungsrecht ordnete daher auch bereits vor der Reform des Jahres 2023 an, den Betreuungsvereinen für die notwendige staatliche Anerkennung aufzuerlegen, dass sie für die planmäßige Gewinnung von neuen ehrenamtlichen Betreuern zuständig sind, § 1908f Abs. 1 Nr. 2 BGB a. F. Die Vereine sollten: „den Gerichten gut motivierte und informierte Betreuer in möglichst großer Zahl zur Verfügung stellen, damit persönliche und möglichst sachgerechte Betreuungen gewährleistet werden können“.180

bb) Öffentliche Aufgabenwahrnehmung, §§ 14, 15 BtOG Die Vorschriften zu den Betreuungsvereinen sind seit dem 1. Januar 2023 nun fast gänzlich in das neue BtOG überführt worden, dort v. a. in §§ 14, 15 BtOG, da diese Bestimmungen nach Auffassung des Gesetzgebers Regelungen mit „öffentlich-rechtlichem Charakter“ seien, die entsprechend nicht zivilrechtlich (!) zu regeln wären.181 Eine Abkehr von der bisherigen Überzeugung, bei der stets behauptet wurde, dass es sich bei den Regelungen zwar um „Ergänzungsnorm[en] öffentlichen Charakters“ handele, „die aber wegen des engen Zusammenhangs mit den privatrechtlichen Vorschriften […] in das BGB“ gehörten.182 In der Literatur wurde dieser innere Widerspruch bereits zuvor kritisiert.183 Die Auslagerung der genannten Vorschriften in ein gesondertes Gesetz scheint in diesem Zusammenhang auch zunächst denklogisch, führt es doch die bereits oben genannte neue Systematik fort, bei der auch die Vorschriften zur Berufsbetreuung künftig fast ausschließlich Teil des BtOG sein werden. Andererseits verstärkt es nach hiesiger Auffassung eine im System liegende Inkonsistenz. Wie schon zuvor ausgeführt, konkretisieren die Vorschriften des BtOG im Grunde nur was weiterhin 178

BT-Drs.: 11/4528, S. 100. Adler, FPR 2012, 36, S. 37. 180 BT-Drs.: 11/4528, S. 101. 181 BT-Drs.: 19/24445, S. 341. 182 BT-Drs.: 11/4528, S. 157. 183 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1908f, Rn. 2. 179

III. Regelungsinhalte

113

im BGB verankert sein wird – die Betreuungsanordnung an sich bleibt zivilrechtlich geregelt, die genaue Ausgestaltung wird, mitunter zurecht, öffentlich-rechtlich. Ob diese Differenzierung gelungen ist, wird sich zeigen müssen. Es erscheint jedoch beispielsweise bei einem Betreuungsverein weiter widersprüchlich, dass dieser selbst gem. § 1818 BGB bzw. seine Mitarbeiter als Vereinsbetreuer gem. §§ 1818 Abs. 2, 1819 Abs. 3, S. 1 BGB zivilrechtlich von einem Gericht im Rahmen eines Beschlusses zum rechtlichen Betreuer bestellt werden kann. Die Bestimmungen zur Anerkennung, Finanzierung und Fortbildung des Vereins dann jedoch öffentlich-rechtlich im Rahmen des BtOG organisiert werden. Hier drängt sich die Frage auf, ob dann nicht die gesamte Vereinsbestellung öffentlich-rechtlich geregelt sein müsste, insbesondere wenn der Gesetzgeber, wie oben angeführt, in der Gesetzesbegründung davon spricht, dass die „Betreuungsvereine Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen“. Wenn eine Institution, beispielsweise ein Betreuungsverein über seine Mitarbeiter die Betreuung eines Betroffenen übernimmt, §§ 1818 Abs. 2, 1819 Abs. 3 BGB, ist a priori nach hiesiger Auffassung nur schwerlich von einer in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Stellvertretung liegenden Einzelbetreuung zu sprechen, so sehr sich Gesetzgeber und Rechtsprechung seit Jahren bemühen, dies zu konstruieren.184 § 15 Abs. 1 Nr. 1 BtOG ordnet an, dass ein anerkannter Betreuungsverein „sich planmäßig um die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer zu bemühen“ hat. Dadurch soll das im Betreuungsgesetz angelegte Rangverhältnis erst mit Leben gefüllt werden und insbesondere auch ehrenamtliche Betreuer außerhalb der Familie ermutigt werden, eine Betreuung zu übernehmen.185 Die Betreuungsvereine sollen die ehrenamtlich gewonnenen Betreuer mit der Tätigkeit vertraut machen, beraten und Fortbildungen anbieten, § 15 Abs. 1 Nr. 3 BtOG. Dieses Modell der sog. „organisierten Einzelbetreuung“ soll die staatlich anerkannten Betreuungsvereine zu einem strukturellen Bindeglied zwischen ehrenamtlich tätigen Betreuern einerseits und Betreuungsbehörden und -gerichten andererseits machen.186 Betreuungsvereine dürfen gem. § 1818 Abs. 1 BGB auch weiterhin selbst Betreuungen übernehmen, jedoch nur, wenn der Betroffene durch eine oder mehrere natürliche Personen nicht hinreichend betreut werden kann. Dies ist neben der Behördenbetreuung der absolute und vom Gesetzgeber beabsichtigte Ausnahmefall.187 Ein wenig häufiger werden Mitarbeiter von Betreuungsvereinen, die sog. Vereinsbetreuer, bestellt, die dann als natürliche Personen für den Betroffenen durch das Gericht bestellt werden, § 1819 Abs. 3, S. 1 BGB bzw. § 1897 Abs. 2, S. 1 BGB a. F.

184

BT-Drs.: 11/4528, S. 131.; Jürgens / Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl., BGB, § 1900, Rn. 2. Jurgeleit / Jurgeleit, 4. Aufl., BGB, § 1897, Rn. 69. 186 BeckOK BGB / Müller-Engels, § 1908f, Rn. 3. 187 Jurgeleit / Jurgeleit, 4. Aufl., BGB, § 1900, Rn. 3. 185

114

C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

cc) Finanzierung, § 1819 BGB, § 7 Abs. 2 VBVG, § 17 BtOG Über dieses Konstrukt müssen sich die meisten Betreuungsvereine auch finanzieren, da gem. § 7 Abs. 2 VBVG der Betreuungsverein als Organisationseinheit des Vereinsbetreuers die Vergütung und den Aufwendungsersatz für den Fremdbetreuer erhält.188 Im Ergebnis sprechen wir aber auch hier nur noch über ca. 7,2 % der Betreuungen, die durch Vereinsbetreuer geleistet werden.189 In Zahlen bedeutet das beispielsweise, dass von den 12.997 neu angeordneten Betreuungen im Land Berlin im Jahr 2017 nur 261 von Vereinsbetreuern übernommen wurden.190 Da hierbei finanziell kein großer Abfluss für die umfangreichen, vom Gesetzgeber an die Betreuungsvereine übertragenen Aufgaben möglich ist, gewähren die Bundesländer Fördermittel. Diese sind sehr unterschiedlich in ihrer Höhe, hier beispielsweise für das Jahr 2016 aufgelistet:191 Bundesland

BadenWürttemberg

Einwohner 30. 6. 2016

Betreu­ Ge­ ungsver­ förderte eine (BtV) BtV 2016 31. 12. 2016

Landes­ zuschüsse an BtV 2016

Zuschüsse je BtV im Durch­ schnitt

Landes­ zuschüsse je 1.000 Einwohner 2016

10. 925. 081

77

71

Bayern

2. 884. 983

134

88

675.000 €

7.670,45 €

52,39 €

Berlin

3. 550. 948

13

12

735.410 € 61.284,17 €

207,10 €

Brandenburg

2. 487. 511

44

41

475.174 € 11.589,61 €

191,02 €

Bremen

1. 733. 195  € 24.411,20 €

158,64 €

676.256

5

4

127.200 € 31.800,00 €

188,09 €

Hamburg

1. 798. 654

8

7

630.000 € 90.000,00 €

350,26 €

Hessen

6. 177. 383

53

51

655.108 € 12.845,25 €

106,05 €

MecklenburgVorpommern

1. 608. 838

24

20

157.207 €

7.860,35 €

97,71 €

Nieder­ sachsen

7. 948. 507

59

56

999.996 € 17.857,07 €

125,81 €

17. 875. 813

173

171

2. 199. 670  € 12.863,57 €

123,05 €

NordrheinWestfalen

188

Jurgeleit / Maier, 4. Aufl., VBVG, § 7 Rn. 5. Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 15. 190 Abgeordnetenhaus v. Berlin, Schr. Anfrage Thomas Seerig MdA (FDP), Drs.: 18/18 688, S. 2. 191 Eigene Darstellung nach Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 15. 189

115

III. Regelungsinhalte Bundesland

RheinlandPfalz

Einwohner 30. 6. 2016

Betreu­ Ge­ ungsver­ förderte eine (BtV) BtV 2016 31. 12. 2016

4. 062. 075

109

105

Saarland

997.754

12

Sachsen

4. 078. 397

SachsenAnhalt SchleswigHolstein

Landes­ zuschüsse an BtV 2016

Zuschüsse je BtV im Durch­ schnitt

Landes­ zuschüsse je 1.000 Einwohner 2016

2. 905. 245  € 27.669,00 €

715,21 €

11

279.818 €

25.438,00 €

280,45 €

32

10

88.550 €

8.855,00 €

21,71 €

2. 239. 428

26

12

166.686 €

13.890,50 €

74,43 €

2. 876. 873

19

19

896.150 €

47.165,79 €

311,50 €

Vergleicht man beispielsweise die von der Einwohnerzahl ähnlich großen Bundesländer Berlin und Rheinland-Pfalz wird deutlich, dass Berlin im Jahr 2016 gerade einmal zwölf Betreuungsvereine förderte und nur rund 207,10 EUR pro 1000 Einwohner in die Arbeit von Betreuungsvereinen investierte.192 Im gleichen Zeitraum stellte das Land Rheinland-Pfalz seinen 105 geförderten Betreuungsvereinen pro 1000 Einwohner immerhin 715,21 EUR zur Verfügung.193 In der Folge ist dann auch sehr anschaulich zu beobachten, dass in den Ländern, in denen die Förderung von Betreuungsvereinen besonders hoch ist, mehr ehrenamtliche Betreuer bereit sind, eine rechtliche Betreuung zu übernehmen als in den Ländern, in denen die Förderung geringer ausfällt. Auch wenn der Vergleich des Betreuungsschlüssels zwischen der Metropole Berlin und dem eher ländlich geprägten RheinlandPfalz einer näheren Untersuchung bedürfte, ist doch beachtlich, dass auch die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Jahr 2017 in Auftrag gegebene Studie zur Qualität in der rechtlichen Betreuung in ihrem Abschlussbericht zum Ergebnis kommt, dass die Unterfinanzierung der durch die Betreuungsvereine geleisteten Querschnittsarbeit Hauptursache für den starken Rückgang an ehrenamtlichen Betreuern ist.194 Die Forschungsgruppe rät daher dringend dazu, eine Mindestfinanzierung durch die Bundesländer gesetzlich zu verankern und den Fokus der Förderfähigkeit zu verlagern.195 Die Betreuungsvereine sollten nicht nur gefördert werden, wenn sie neue ehrenamtliche Betreuer gewinnen, sondern auch

192

Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 16. Deinert, BtPrax 2018, 14, S. 16. 194 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 578, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/ Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 195 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 578, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/ Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 193

116

C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

wenn sie bestehende ehrenamtliche Betreuer begleiten und beraten.196 Die Studie stellt nämlich auch erschreckend deutlich fest, dass die gesetzgeberische Intention, die ehrenamtlichen Betreuer durch die Betreuungsvereine zu schulen, nur bei 16 % der Angehörigenbetreuern tatsächlich erfolgt ist197 und sich zweidrittel der ehrenamtlichen Betreuer schlicht für nicht hinreichend informiert halten.198 Die Betreuungsgerichte und Betreuungsbehörden verlassen sich aber weitest­ gehend auf die Betreuungsvereine und bieten nur selten eigene Vorbereitungs- oder Unterstützungsleistungen an bzw. werben um ehrenamtliche Betreuer. So verweist beispielsweise der Senat von Berlin darauf, dass die Fortbildung maßgeblich Aufgabe der Betreuungsvereine sei und sieht bei seinen eigenen bezirklichen Betreuungsbehörden keine Notwendigkeit nachzusteuern.199 Auf den einschlägigen Internetseiten unterschiedlichster Betreuungsbehörden der Bundesländer zur Übernahme einer Betreuung vermisst man gänzlich Hinweise auf die Tätigkeit der Betreuungsvereine.200 Besonders dramatisch zeigt sich die Fehlentwicklung auch im Land Brandenburg. Das Land hatte 2003 die finanzielle Förderung von Betreuungsvereinen gänzlich abgeschafft, da man diese bloß als Anschubfinanzierung begriff.201 Erst der Landesrechnungshof (LRH) musste in seinem Beratungsbericht aus dem Jahr 2013 auf die Folgen hinweisen: „Nach Auffassung des LRH gibt es für die Betreuungsvereine im Land Brandenburg keine finanziellen Anreize, sich um die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer zu bemühen. Dies gilt umso mehr, als sie nicht nur in Konkurrenz zu den Berufsbetreuern stehen, sondern auch zu Vereinen aus anderen Ländern, welchen keine Werbe- und Informationspflicht

196 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 578, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 197 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 573, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 198 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 565, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 199 Abgeordnetenhaus v. Berlin, Schr. Anfrage Thomas Seerig MdA (FDP), Drs.: 18/18 688, S. 5. 200 Keine Informationen bspw.: Berlin: https://service.berlin.de/dienstleistung/326840/; Sachsen: https://amt24.sachsen.de/leistung/-/sbw/Rechtliche+Betreuung+einrichten-6000872leistung-0; Bayern: http://www.freistaat.bayern/dokumente/leistung/92664618441; Gute Informationen bspw.: Schleswig-Holstein: https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ themen/soziales/betreuungsrecht/betreuungsrecht.html; Brandenburg: https://mdj.brandenburg. de/mdj/de/themen/vorsorge-und-rechtliche-betreuung/, (jeweils zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 201 Landtag Brandenburg, Kleine Anfrage Danny Eichelbaum MdL (CDU), Roswitha Schier MdL (CDU), Drs.: 6/5888, S. 1.

III. Regelungsinhalte

117

in Brandenburg zukommt. Der LRH befürwortet daher grundsätzlich eine Förderung der Betreuungsvereine.“202

Brandenburg hat daraufhin im Jahr 2015 wieder mit der finanziellen Förderung von Betreuungsvereinen begonnen.203 Zwischenzeitlich wurden im Land Brandenburg nur noch gut 40 % der Betreuungen ehrenamtlich geführt.204 Eine große Diskrepanz zu anderen vergleichbaren Flächenländern.205 Es stellte sich hier durchaus auch die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Praxis, wenn der Gesetzgeber den Betreuungsvereinen viele, eigentlich hoheitliche, Aufgaben überträgt, ohne dafür eine Grundfinanzierung bereitzustellen. Der Reformgesetzgeber des Jahres 2023 hat sich im Ergebnis mit § 17 BtOG dafür entschieden, erstmals eine allgemeine Finanzierungsverpflichtung der Bundesländer zugunsten der Betreuungsvereine in das Gesetz aufzunehmen: „§ 17 BtOG Finanzielle Ausstattung Anerkannte Betreuungsvereine haben Anspruch auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln zur Wahrnehmung der ihnen nach § 15 Absatz 1 obliegenden Aufgaben. Das Nähere regelt das Landesrecht.“

Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Betreuungsvereine stärker als je zuvor in die Organisation von Betreuung eingebunden werden. Was genau „bedarfsgerecht“ bedeutet, obliegt wie bisher den Bundesländern. Der Bundesgesetzgeber rechnet über alle Bundesländer gesamt mit einem finanziellen Mehraufwand von rund 2,5 Mio. EUR.206 Hierbei kalkuliert er jedoch äußerst zurückhaltend und meint insofern, dass die meisten den Betreuungsvereinen im Rahmen des § 15 BtOG übertragenen Aufgaben schon heute Bestandteil ihres Leistungsspektrums sein müssten.207 Auch der nunmehr nach § 15 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BtOG vom Betreuungsverein verpflichtend zu benennende feste Ansprechpartner pro ehrenamtlichen Betreuer sei eine rein „organisatorische Frage“ [sic!].208 Mit dem jüngsten Reformgesetz fiel zumindest das sog. Vergütungsverbot von Betreuungsvereinen gem. §§ 1908i, 1836 Abs. 3 BGB a. F. weg, sodass, wenn Betreuungsvereine künftig (ausnahmsweise) selbst als Betreuer bestellt werden, sie auch einen Anspruch auf Vergütung haben, § 1818 Abs. 1 BGB i. V. m. § 13 Abs. 1, 202

LRH Brandenburg, Bericht gemäß § 88 Abs. 2 LHO über rechtliche Betreuung in Brandenburg, Stand: 02. 07. 2013, S. 18, abrufbar unter: http://www.lrh-brandenburg.de/media_fast/6096/ Beratungsbericht%20rechtliche%20Betreuung.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 203 Landtag Brandenburg, Kleine Anfrage Danny Eichelbaum MdL (CDU), Roswitha Schier MdL (CDU), Drs.: 6/5888, S. 2. 204 Landtag Brandenburg, Kleine Anfrage Danny Eichelbaum MdL (CDU), Roswitha Schier MdL (CDU), Drs.: 6/5888, S. 5. 205 Siehe Fn. 191. 206 BT-Drs.: 19/24445, S. 172. 207 BT-Drs.: 19/24445, S. 172. 208 BT-Drs.: 19/24445, S. 172.

118

C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

S. 1 VBVG.209 Voraussetzung ist jedoch, dass der Mitarbeiter des Vereins, welchem die Betreuung dem Prinzip der organisierten Einzelbetreuung folgend zu übertragen ist, § 1818 Abs. 2 BGB, als beruflicher Betreuer nach den Vorschriften des BtOG registriert ist. Hat der Verein hingegen, was ja ursprünglich seine Grundaufgabe war, einen Ehrenamtlichen für die Übernahme der Betreuung angeworben und überträgt er diesem eben jene, erhält der Verein nach der Intention des Gesetzgebers „weder eine Vergütung noch eine Aufwandsentschädigung oder Aufwandspauschale“.210 Am Ende sind die Betreuungsvereine dann also wieder auf die finanzielle Förderung durch die Bundesländer angewiesen, trotz bundesgesetzlich veranlasstem Aufgabenzuwachs. Diese ist jedoch sehr ungewiss, sodass darauf hingewiesen wird, dass ohne Mindestvorgabe des Bundes ein Flickenteppich drohe, der die gesetzlich vorgeschriebenen neuen Aufgaben der Betreuungsvereine konterkariert.211 dd) Vereinbarung über Betreuung und Unterstützung, § 1816 Abs. 4 BGB Wie bereits angedeutet, haben Betreuungsvereine nunmehr Vereinbarungen mit ehrenamtlichen Betreuern über eine Begleitung und Unterstützung von ebenen jenen Betreuern abzuschließen, §§ 15 Abs. 1, S. 1 Nr. 4, 22 BtOG i. V. m. § 1816 Abs. 4 BGB. Unterschieden wird hierbei lediglich in sog. ehrenamtliche Betreuer mit einer familiären Beziehung und „ehrenamtliche Fremdbetreuer“.212 Für letztere Gruppe von Betreuern wird die Ankopplung an einen Verein zur Pflicht gemacht, § 1816 Abs. 4 BGB. Für die Familien- und Angehörigenbetreuer bleibt es bei einer bloßen Soll-Bestimmung. So sei zwar „grundsätzlich wünschenswert“, dass eine Verpflichtung für alle Ehrenamtlichen ratsam wäre.213 Dies sei jedoch – ohne Nennung von Gründen – nicht möglich und insofern könne man nur Anreize setzen.214 Eine in mindestens zweierlei Hinsicht schwierige Differenzierung. Zum einen wird von einigen im System Beteiligten zurecht eingewendet, dass insbesondere auch bei Familienangehörigen und nahestehenden Personen aufgrund einer starken emotionalen Bindung Versäumnisse in der Betreuungsführung nicht selten sind 209

BT-Drs.: 19/24445, S. 154. BT-Drs.: 19/24445, S. 154. 211 Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zum Referentenentwurf des BMJV  – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 06. 08. 2020, S. 13, abrufbar unter: https://www.bmj.de/ SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080620_Stellungnahme_ BAGFW_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F998840F1CD .2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 212 BT-Drs.: 19/24445, S. 145. 213 BT-Drs.: 19/24445, S. 145. 214 BT-Drs.: 19/24445, S. 145. 210

III. Regelungsinhalte

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und insbesondere diese Gruppe von Betreuern spezielle Förder- und Ausbildungsbedarfe hätten.215 Ein anderer Aspekt in diesem Zusammenhang stellt der Umstand dar, dass mit der nun verpflichtenden Vereinbarung für ehrenamtliche „Fremdbetreuer“, § 1816 Abs. 4 BtOG, das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten massiv eingeschränkt wird216 und von einer Vereinbarung abhängig gemacht wird, die nicht nur potenzielle Betreuer abschrecken könnte, sondern unter Umständen auch schlicht manche, wohl gemerkt ehrenamtliche [sic!], Betreuer, nicht bereit sein könnten, sich den Zwängen der Bürokratie mit regelmäßigen Kursen, Beratungsterminen, etc. auszusetzen.217 Wenn doch der Vorrang der Ehrenamtlichkeit weiter durch den Gesetzgeber in seinen Prinzipien hochgehalten wird, stimmt es nachdenklich, ob es mit der Grundidee des Ehrenamts überhaupt vereinbar ist, Kontrahierungszwänge und Fortbildungsverpflichtungen vorzuschreiben. Immerhin ist § 1816 Abs. 4 BtOG nur als eine reine Soll-Bestimmung ausgestaltet, sodass Gerichte in begründeten Ausnahmen auch ohne den Abschluss einer solchen Vereinbarung Betreuer bestellen können. Die Praxis wird zeigen, ob der Abschluss solcher Vereinbarungen bei der teils erschreckend geringen Anzahl von Betreuungsvereinen in einigen Bundesländern überhaupt realitätsnahe ist. Ansonsten droht unter dem Deckmantel der Qualitätssteigerung eine weitere Attraktivitätsabwertung im Bereich der ehrenamtlichen Fremdbetreuung.218

215 Stellungnahme des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 20. 09. 2020, S. 5, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/092020_Stellungnahme_Angehoerigenbeirat_im_CBP_RefE_Vormundschaft.pdf; jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 216 Stellungnahme der BAG Selbsthilfe zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 03. 08. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080320_ Stellungnahme_BAG_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F9 98840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 217 Stellungnahme Deutscher Städtetag zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 14. 08. 2020, S. 5 f., abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081420_ Stellungnahme_DST_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1 EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 218 Zweifelnd, ob sich nicht doch aus der Formulierung des § 1816 Abs. 4 BGB: „Eine Person […] soll nur […] vorgeschlagen werden, wenn sie sich zum Abschluss einer Vereinbarung […] bereit erklärt.“ Eine zumindest mittelbare Verpflichtung ergibt: Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), Stand: 10. 08. 2022, S. 22, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_DV_ RefE_Vormundschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Inhalt der Vereinbarung soll immer mindestens die Verpflichtung des ehrenamtlichen Betreuers zur Teilnahme an einer Einführung über die Grundlagen der Betreuungsführung, die Verpflichtung des ehrenamtlichen Betreuers zur regelmäßigen Teilnahme an Fortbildungen, die Benennung eines Mitarbeiters des Betreuungsvereins als festen Ansprechpartner und die Erklärung der Bereitschaft des Betreuungsvereins zur Übernahme einer Verhinderungsbetreuung nach § 1817 Abs. 4 BGB sein, § 15 Abs. 2 BtOG. Damit die Betreuungsvereine dieser Aufgabe gerecht werden können, erhalten sie neben der o.g. verpflichtenden Finanzierung, § 17 BtOG, auch künftig direkt die Information über einen bei der Betreuungsbehörde über das Betreuungsgericht hinterlegten ehrenamtlichen Familien- und Angehörigenbetreuer (Name und Anschrift), § 10 BtOG.219 Der ehrenamtliche Fremdbetreuer hingegen muss sich ja bereits im Vorfeld seiner Bestellung mit einem Betreuungsverein in Verbindung setzen und eine entsprechende Vereinbarung abschließen, sodass eine Kontaktdatenweitergabe überflüssig ist, § 1816 Abs. 4 BGB. ee) Grundsatz der Vereinsautonomie Einen interessanten Einwand erheben diejenigen, die dem neuen Reformgesetz hinsichtlich der Regelungen zum Umfang und den Aufgaben der Betreuungsvereine eine bewusste Umgehung des Grundsatzes der Vereinsautonomie bescheinigen.220 Indem die §§ 15, 22 BtOG den Betreuungsvereinen künftig vorschreiben, dass sie verpflichtet sind, mit ehrenamtlichen Betreuern eine Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung abzuschließen, um die staatliche Anerkennung im Sinne von § 14 BtOG zu erhalten, würde unmittelbar „in das Autonomierecht eines Vereins“ eingegriffen, „sofern dieser nicht im Vorfeld bei der Gewinnung und Vermittlung an das Gericht – spätestens jedoch bei der Betreuerauswahl durch das Gericht – beteiligt war“. Es ist insofern nicht von der Hand zu weisen, dass sich aus der kollektiven Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 1 GG zunächst auch für Betreuungsvereine das Recht ergibt, Rechtsetzung und Selbstverwaltung innerhalb des Vereins ohne äußeren Einfluss zu bestimmen.221 Indem man den Vereinen nun vorschreibt, mit welchen Personen sie zu kontrahieren haben, umgeht man diese selbstbestimmten 219

Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Brosey, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 785. Vgl. hier v. a. Analyse, Evaluierung und kritische Würdigung durch den Betreuungsverein der AWO, Kreis Kusel e. V. zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, S. 5 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetz gebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081320_Stellungnahme_AWO-Kusel_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_ cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 221 BeckOGK BGB / Segna, 01. 08. 2022, § 21, Rn. 47. 220

III. Regelungsinhalte

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Regelungen. Anders als angeführt, sollen die Betroffenen wohl strenggenommen keine Mitglieder der Betreuungsvereine werden, sondern lediglich Beratungs- und Unterstützungsvereinbarungen abschließen, sodass die Frage ist, ob hier bereits so sehr in die Vereinsautonomie eingegriffen wird, dass eine verfassungsmäßige Unzulässigkeit in Betracht kommt. Die in Folge dieser Diskussion aufgeworfenen Fragestellungen, beispielsweise ob den Vereinen ein „Vetorecht“ zur Anbindung einzelner Betreuer eingeräumt wird oder wie der Verein die Vereinbarungen zu dokumentieren bzw. aufzubewahren hat, sind tatsächlich weitestgehend ungeklärt und lösen bei den Vereinen zurecht Verunsicherung aus.222 Mit der Vereinbarung ergeben sich zudem rechtlich relevante Verhältnisse zwischen den Betreuern und den Betreuungsvereinen, bei denen sich Fragen der Haftung und dem Versicherungsrecht stellen könnten. Die Betreuer haben nunmehr mit § 15 Abs. 1, S. 2 BtOG auch einen Anspruch auf Erteilung einer Teilnahmebescheinigung, in der der Gesetzgeber dann auch deutlich formuliert, dass diese zur Vorlage beim Betreuungsgericht oder der Betreuungsbehörde geeignet sein solle.223 Hier zeigt sich die bei diesem Komplex insgesamt immanente Problematik, dass solch eine Urkundenerteilung, wie aber auch das gesamte Handeln in diesem Zusammenhang, wohl hoheitliches Handeln darstellt, was der Gesetzgeber ja vermeintlich auch durch die Einordnung in das öffentlich-rechtlich geprägte BtOG anerkennt. Wenn dies jedoch anerkanntermaßen der Fall sein sollte, erschließt sich aus hiesiger Sicht nicht, warum nicht die Betreuungsbehörden als staatliche Institution stärker in jene Aufgaben eingebunden werden und man sich eines privatrechtlichen Vereins bedient. § 5 Abs. 1 BtOG ordnet in diesem Zusammenhang durchaus an, dass auch die Betreuungsbehörden über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen, insbesondere über Vorsorgevollmachten und über andere Hilfen beraten und informieren sollen. Die Betreuungsbehörde ist hier aber offenbar nach der Intention des Gesetzgebers grundsätzlich nachrangig in ihrer Informations- und Beratungsverpflichtung gegenüber den Betroffenen angesiedelt, wenn es dann in § 5 Abs. 2, S. 2 BtOG heißt, dass sie ehrenamtliche Betreuer lediglich beim Abschluss einer Vereinbarung zur Begleitung und Unterstützung durch einen Betreuungsverein unterstützen und nach Satz 3 nur dann eine eigene Vereinbarung mit den Betreuern schließen, wenn kein entsprechender Verein in ihrem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung steht. Im Verhältnis zu den Betreuerinnen und Betreuern bieten die Behörden Beratung und Unterstützung bei der Wahrnehmung der Betreuungsaufgaben und wirken bei 222

Stellungnahme AWO, Kreis Kusel e. V. zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, S. 6, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081320_Stellungnahme_AWOKusel_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_ cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 223 BT-Drs.: 19/24445, S. 363.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

der Aus- und Fortbildung mit, § 6 Abs. 1 BtOG. Ihnen soll auch die Aufgabe zukommen, neue geeignete Betreuer zu gewinnen, § 6 Abs. 2 BtOG, aber gleichzeitig auch auf die Betreuungsvermeidung hinzuwirken, § 8 BtOG. In der Praxis blieb dies bisher die Ausnahme, wie das Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz aus dem Jahr 2017 und eine beispielhafte Anfrage gegenüber dem Senat von Berlin belegen.224 Die Bundesländer betonen auf der einen Seite einmütig, dass sie das „gesetzliche Leitbild“ der ehrenamtlichen Betreuung weiter fördern und dabei insbesondere die Betreuungsvereine stärken wollen.225 Auf der anderen Seite sprechen sie jedoch im gleichen Atemzug davon, dass beachtet werden müsse, dass „jede Maßnahme auch in einem angemessenen Verhältnis zu den hierdurch anfallenden Kosten­ steigerungen für die öffentlichen und insbesondere auch für die privaten Haushalte steh[e]“.226

Insbesondere für die Länder geht mit der Zunahme der Anzahl von Betreuungen, aber auch der schleichenden Professionalisierung der rechtlichen Betreuung ein hoher Kostenfaktor einher. Nun mehr sollen sie, wie oben dargestellt, gem. § 17 BtOG auch noch für die auskömmliche Finanzierung der Betreuungsvereine sorgen. So ist es wenig überraschend, dass die Justizminister der Länder in ihrer Analyse zur jüngsten Reform des Betreuungsrechts zu der Einschätzung gelangen: „dass die stetige Formalisierung und Akademisierung im Bereich der Betreuer die Gefahr berge, dass aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten bestens geeignete Personen vom Berufsbetreueramt abgehalten oder potenzielle Betreuer von der Wahl des Berufs abgeschreckt werden, wodurch auch das bereits heute in vielen Regionen angespannte Angebot an Berufsbetreuern weiter verknappt würde“.227

Weiter appellieren die Justizminister dann an den Bundesgesetzgeber, das Leitbild der ehrenamtlichen Betreuung unbedingt weiter aufrechtzuerhalten.228 224 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 182, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); Abgeordnetenhaus v. Berlin, Schr. Anfrage Thomas Seerig MdA (FDP), Drs.: 18/18 688, S. 2. 225 Beschluss der 89. Justizministerkonferenz, Frühjahrskonferenz, TOP I.6, Stand: 07. 06. 2018, S. 4, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2018/ Fruehjahrskonferenz_2018/I_-6.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 226 Beschluss der 89. Justizministerkonferenz, Frühjahrskonferenz, TOP I.6, Stand: 07. 06. 2018, S. 5, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2018/ Fruehjahrskonferenz_2018/I_-6.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 227 Beschluss der 92. Justizministerkonferenz, Herbstkonferenz, TOP I.16, Stand: 12. 11. 2021, S. 2, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2021/ Herbstkonferenz_2021/TOP-I_-16---Augenmass-im-Betreuungsrecht.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 228 Beschluss der 92. Justizministerkonferenz, Herbstkonferenz, TOP I.16, Stand: 12. 11. 2021, S. 2, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2021/ Herbstkonferenz_2021/TOP-I_-16---Augenmass-im-Betreuungsrecht.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

III. Regelungsinhalte

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Es liegt der Verdacht nahe, dass die länderseitige Forderung nach einer Stärkung der ehrenamtlichen Betreuung vor allem aus monetären Erwägungen erfolgt. Sowohl die Stärkung der Betreuungsbehörden, aber auch die eigentlich vom Gesetzgeber intendierte Querschnittsaufgabe der Betreuungsvereine zur Förderung der ehrenamtlichen Betreuer, bleibt ohne den nötigen Rückhalt der Länder wahrscheinlich weiter eine bloße politische Wunschvorstellung. e) Professionalisierung der Berufsbetreuung, § 1816 Abs. 5 BGB Wie historisch dargelegt, ist die Berufsbetreuung in ihrer heutigen Form ein vergleichbar junges und vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht favorisiertes Phänomen, sondern beruhte vielfach auf einer realpolitischen Notwendigkeit, dem sich der Gesetzgeber nicht entziehen konnte.229 Der Umgang mit ihr ist bis heute alles andere als unumstritten. aa) Eignung und Sachkundenachweis, § 23 BtOG Grundsätzlich ist es zunächst einmal unerheblich, ob ein Betreuer ehrenamtlich oder beruflich tätig wird, wenn er insofern nach § 1816 Abs. 1 BGB „geeignet“ ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen. Insofern gibt es auch zur bisherigen Rechtslage keine Abweichung, da auch hier gem. § 1897 Abs. 1 BGB a. F. die Eignung der potenziellen Betreuer im Vordergrund stand.230 Im Mittelpunkt der Betreuerauswahl stehen zuvörderst der Wunsch, § 1816 Abs. 2 BGB und bis zur jüngsten Reform, das Wohl des Betroffenen, § 1897 Abs. 4 BGB a. F.231 Dies knüpfte bisher nicht an feste messbare Qualifikationen an, sondern sollte ermöglichen, immer individuell auf jeden Fall und vor allem den Betroffenen einzugehen und damit nach Ermessen zu entscheiden.232 Schon länger wurde diskutiert, ob die fehlende Definition von konkreten Anforderungen an einen Betreuer noch zeitgemäß ist, den Betroffenen gerecht wird und vor allem in die professionalisierte Welt der Berufsbetreuung passt.233 Für die berufsmäßige Betreuung gab es bis zur hiesigen Reform kaum gesonderte Regelungen für die Eignung. Der Umstand beispielsweise, dass es keine staatlich anerkannte Ausbildung zum Berufsbetreuer gab und auch weiterhin nicht gibt, ist wohl damit zu erklären, dass die hier schon dargelegte Grundüberzeugung des deutschen Be 229

Vgl. schon B. III. 6., vgl. v. a. wegen BVerfG-Urteil = Geburt Berufsbetreuung S. 62 f. Vgl. schon C. III. 2. a) aa), vgl. S. 93 f. 231 MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., § 1897, Rn. 22. 232 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 28 ff. 233 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 28 ff. 230

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

treuungsrechts von den Prinzipien der Selbstbestimmung und vor allem der Stellvertretung ausgeht, bei denen konkrete Anforderungsprofile systemfremd wären.234 Bei der Einrichtung einer Betreuung im Rahmen einer Vorsorgevollmacht, die wie oben schon dargelegt die Selbstbestimmung des Betroffenen am ehesten wahrt und daher als die eigentliche „Magna Charta“ des deutschen Betreuungsrechts bezeichnet werden müsste, werden schließlich auch keine speziellen Eignungsanforderungen an den auserwählten Betreuer gestellt.235 Dass die Berufsbetreuung jedoch unter Umständen einen anderen Ansatzpunkt für die Betreuung hat, nämlich nicht die rein altruistische auf das Wohl des Betroffenen gerichtete Hilfe zur Selbsthilfe, sondern die Gewinnerzielungsabsicht, blieb bei dieser Argumentation bisher vollkommen unberücksichtigt. Dies hat wohl nun auch den Gesetzgeber dazu bewegt, erstmals mit §§ 19 Abs. 2, 23, 24 BtOG ein Registrierungsverfahren einzuführen, welches dann auch konkrete Sachkundenachweise von den Berufsbetreuern fordert, § 23 Abs. 3, 4 BtOG i. V. m. § 3 BtRegV. Dazu zählen nunmehr: – vertiefte Kenntnisse des Betreuungs- und Unterbringungsrechts, des dazugehörigen Verfahrensrechts sowie auf den Gebieten der Personen- und Vermögenssorge, § 23 Abs. 3 Nr. 1 BtOG, und konkreter den Kenntnissen über die gesetzlichen Voraussetzungen der Betreuerbestellung und der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, die rechtlichen Grundlagen der Betreuungs-führung, insbesondere die Pflichten des Betreuers gegenüber dem Betreuten und dem Betreuungsgericht, sowie über die gesetzlichen Voraussetzungen für Freiheitsentziehungen und ärztliche Zwangsmaßnahmen, jeweils einschließlich des dazugehörigen Verfahrensrechts, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtRegV, sowie im Bereich der Personensorge gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BtRegV Kenntnisse über typische betreuungsrelevante Erkrankungen und Behinderungen und im Bereich der Vermögenssorge Grundlagenkenntnisse der Rechtsgeschäftslehre, des Miet- und Kaufvertragsrechts, der Haftung, der Vermögensverwaltung und der Schuldenregulierung, § 3 Abs. 1 Nr. 3 BtRegV – Kenntnisse des sozialrechtlichen Unterstützungssystems, § 23 Abs. 3 Nr. 2 BtOG, und hier vor allem Kenntnisse des Sozialrechts und zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des SGB XII, des SGB V und zur Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche, § 3 Abs. 2 Nr. 1 a) bis c) BtRegV sowie Kenntnisse zu Sozial- und Hilfestrukturen in der Praxis im Sinne des SGB IX, § 3 Abs. 2 Nr. 2 BtRegV, – Kenntnisse der Kommunikation mit Personen mit Erkrankungen und Behinderungen und von Methoden zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung, § 23 Abs. 3 Nr. 3 BtOG, was konkret meint, dass die Sachkunde Grundlagen der Kommunikation und Umsetzung in der Praxis und betreuungsspezifische 234 235

Vgl. schon C. III. 2. c) bb). Jurgeleit / Jurgeleit, 4. Aufl., BGB, § 1896, Rn. 15.

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Kommunikation und Methoden zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung voraussetzt, § 3 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BtRegV. Erstmals regelt der Gesetzgeber im Rahmen eines konkreten Modulhandbuchs, Anlage zu § 3 Abs. 4 BtRegG, die spezifischen Unterrichtsinhalte sowie Umfang und Dauer der Unterrichtseinheiten. Einen staatlich geregelten Ausbildungsstudiengang soll es jedoch nicht geben. Vielmehr wird hier auf bestehende private Einrichtungen vertraut. Wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, soll es auch nicht mehr möglich sein als Generalist, beispielsweise Volljurist, ohne weitere konkrete Fortbildung, beispielsweise im Bereich der Personensorge und Kenntnissen über typische betreuungsrelevante Erkrankungen und Behinderungen, zum beruflichen Betreuer bestellt zu werden.236 Die Anforderungen an die Sachkunde gelten zunächst für alle Berufsbetreuer, die sich neu, also nach dem 1. Januar 2023 registrieren lassen oder für all diejenigen, die noch nicht seit mindestens drei Jahren berufsmäßig Betreuungen führten, § 32 Abs. 2 BtOG. Für Personen, die länger als drei Jahre tätig sind, greift eine gesetzliche Vermutung, dass sie über die erforderliche Sachkunde verfügen. Eine zeitliche Einschränkung, die auf Kritik stößt. So wird nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass vor allem diejenigen Betreuer nun benachteiligt werden, die unter Umständen schon seit Jahren ehrenamtlich tätig waren und daher bereits über viel Erfahrung im Bereich der Betreuung verfügen, jedoch erst kurz vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes erstmals zu Berufsbetreuern bestellt wurden, einen Sachkundenachweis erbringen müssten.237 Ebenso sei denkbar, dass einige Betreuer bisher nur deshalb ehrenamtlich tätig waren, weil sie die Voraussetzungen der Berufsmäßigkeit noch nicht gänzlich erfüllten, beispielsweise nur zehn statt elf Betreuungen im Sinne des § 1 Abs. 1 VBVG a. F. führten.238 Sollten diese Betreuer nun die Schwelle zur Berufsmäßigkeit überschreiten, müssten sie 236

Vgl. Entwurf der Betreuerregistrierungsverordnung – BtRegV. BMJ, Stand: 03. 03. 2022, S. 24, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ BtREgV.pdf;jsessionid=AB2CB713F47F158417B8707ECAB69F44.2_cid505?__blob= publicationFile&v=1, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 237 Stellungnahme des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 09. 08. 2020, S. 12, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/080920_Stellungnahme_BVfW_RefE_Vormundschaft.pdf; jsessionid=EC1246687FF358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 238 Stellungnahme des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 09. 08. 2020, S. 12, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/080920_Stellungnahme_BVfW_RefE_Vormundschaft.pdf; jsessionid=EC1246687FF358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

trotz langjähriger Erfahrung einen umfangreichen Sachkundenachweis anführen. Wie stets bei Gesetzesvorhaben ist der Zeitpunkt der Geltungs- und insbesondere der Rückwirkung schwierig. Ein wirklicher Grund für die zeitliche Befristung ist jedoch nicht ersichtlich. Denkbar wäre beispielsweise im Sinne der einheitlichen Qualitätssicherung auch gewesen, allen tätigen Betreuern aufzutragen, innerhalb der kommenden fünf Jahre einen Fortbildungsnachweis entsprechend der Module im Gesetz zu erbringen. Solch ein Fortbildungsnachweis fehlt jedoch gänzlich in den Gesetzesmaterialien und wird auch bei den „Neubetreuern“, nicht wie beispielsweise bei Fachärzten, Fachanwälten, Lehrern oder auch in einigen Pflegeberufen gängig, vorgeschrieben. Stattdessen heißt es in § 29 BtOG nur, dass der berufliche Betreuer in eigener Verantwortung seine regelmäßige berufsbezogene Fortbildung sicherstellt und Nachweise über die erfolgte Fortbildung der Stammbehörde vorzulegen sind. Ehrenamtliche Fremdbetreuer sind hingegen durch die nun neu mit einem Betreuungsverein abzuschließende Vereinbarung über Betreuung und Unterstützung, § 15 Abs. 2 Nr. 2 BtOG, sehr wohl zur regelmäßigen Teilnahme an Fortbildungen verpflichtet. Eine Diskrepanz, die nur schwer nachzuvollziehen ist. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass der Fortbildungsbedarf bei den einzelnen beruflichen Betreuern sehr unterschiedlich sein könne, weshalb davon abgesehen werde, den Inhalt der Fortbildungen vorzuschreiben.239 Eine nach hiesiger Auffassung nicht sehr stringente Argumentation, da andererseits im Rahmen des Sachkundenachweises sehr wohl konkrete Anforderungen gestellt werden. Es erschließt sich daher nicht, warum hier nicht entsprechend der umfangreichen Anlage zu § 3 Abs. 4 BtRegG regelmäßig, beispielsweise modulweise, Fortbildungen gefordert werden.240 Der wahre Grund dürfte in der Kontrolle und dem damit verbundenen Aufwand für die Stammbehörden in den Bundesländern liegen. Wenn man dann jedoch den (privaten) Betreuungsvereinen diese umfangreiche Aufgabe für ehrenamtliche Betreuer zumutet, scheint man mit zweierlei Maß zu messen. Ob damit die dauerhaft gewünschten Qualitätsziele sicherzustellen sind, ist höchst fraglich. Wie dargestellt, gab es bisher keine besonderen Eignungsvoraussetzungen, die Berufsbetreuer maßgeblich von ehrenamtlichen Betreuern unterschieden. Der Gesetzgeber knüpfte bisher die Bestimmung der Berufsmäßigkeit von Betreuern lediglich an die Anzahl der geführten Betreuungen, § 1 Abs. 1 VBVG a. F., was nach 239

BT-Drs.: 19/24445, S. 385. Vgl. so auch Thar, BtPrax 2022, 8, S. 18; so auch: Stellungnahme des Sozialverband Deutschland (SoVD) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 11, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_SOVD_ RefE_Vormundschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 240

III. Regelungsinhalte

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Abs. 2, S. 1 a. F. vom Familiengericht festzustellen war.241 Hiernach lag berufsmäßige Betreuung in der Regel vor, wenn ein Betreuer mehr als zehn Vormundschaften oder Betreuungen übernahm. Hintergrund für diese quantitative Vorgabe war die schon zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1980, die klarstellte, dass die im alten Vormundschaftsrecht angelegte Differenzierung der Vergütung nach Vermögen und Unvermögen des Mündels und des besonderen Schwierigkeitsgrads einer Betreuung nicht alleinig für die Vergütungsfrage ausschlaggebend sein dürfe.242 Es sei einem Vormund oder Betreuer nicht zuzumuten, dass er zwar im öffentlichen Interesse tätig werde, aber in seiner freien Berufsausübung derart belastet werde, dass ihm eine angemessene Entschädigung vorenthalten werde.243 Dies müsse man v. a. dann annehmen, wenn die Vormundschaft wegen ihres zeitlichen Umfangs besonders belaste.244 Die höchst fragwürdige, lediglich willkürlich gesetzte Anzahl von zehn Mindestbetreuungen wurde durch die Gerichte seit jeher weit ausgelegt. Eine Berufsmäßigkeit wurde schon dann angenommen, wenn beispielsweise die Übernahme der Betreuung gerade wegen der besonderen Qualifikation des Betreuers notwendig wurde, hier seien Rechtsanwälten oder Steuerberater genannt.245 Ähnliches sollte gelten, wenn die Zahl von übernommenen Betreuungen während der Tätigkeit des Betreuers wieder unter die magische Grenze von mehr als zehn Betreuungen fiel.246 Nach hiesiger Ansicht beförderte die gewählte Mindestzahl aber sogar noch die Kommerzialisierungsentwicklungen im Betreuungsrecht bzw. ließ die ehrenamtliche Betreuung schon rein aus monetären Gründen unattraktiv erscheinen. Insbesondere ehrenamtliche Betreuer, die also noch keine zehn Betreuungen übertragen bekommen hatten und keinem privilegierten Berufsstand angehörten mussten, um wirtschaftlich tätig zu sein versuchen, möglichst zügig mindestens zehn Betreuungen zu führen.247 Dies scheint schon vor dem Hintergrund der Idee der persönlichen Einzelbetreuung mehr als fraglich.248 241

Vgl. schon C. III. 2. c) aa), vgl. S. 105. BVerfG, NJW 1980, S. 2179; Jürgens / v. Crailsheim, Betreuungsrecht, 6. Aufl., VBVG, § 1, Rn. 2. 243 BVerfG, NJW 1980, Rn. 2180. 244 BVerfG, NJW 1980, Rn. 2180. 245 Jürgens / Maier, Betreungsrecht, 6. Aufl., VBVG, § 1, Rn. 5 ff. 246 MüKo BGB / Fröschle, 8. Aufl., VBVG, § 1, Rn. 7. 247 Vgl. insofern die Ausführungen des BVfB, dass „ehrenamtlich tätigen Betreuern teilweise über mehrere Jahre hinweg die Feststellung der Berufsmäßigkeit mit dem Hinweis verweigert [werde], sie würden noch nicht mehr als 10 Betreuungen führen.“, Stellungnahme des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 09. 08. 2020, S. 12, abrufbar unter: https:// www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080920 _Stellungnahme_BVfW_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=EC1246687FF358E2BD080C 1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2020). 248 BeckOGK BGB / Bohnert, VBVG, 01. 10. 2022, § 1, Rn. 23 f. 242

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Zukünftig wird die Feststellung der Berufsmäßigkeit nicht mehr allein von der Feststellung durch das Betreuungsgericht abhängen, sondern vielmehr an die Registrierung bei der zuständigen Betreuungsbehörde, § 7 Abs. 1 VBVG, gekoppelt. Berufsbetreuer haben demnach nunmehr bereits ab der ersten Betreuung einen Anspruch auf Vergütung, wenn sie die Registrierungsvoraussetzungen gem. § 23 ff. BtOG erfüllen. Dies wird – wenig überraschend – von Berufsbetreuern „außerordentlich begrüßt“, weil damit die „Anerkennung des Berufes“ einhergehe.249 Ob dies auch gesamtgesellschaftlich und rechtlich vorteilhaft ist, wird noch zu debattieren sein, könnte jedoch eine erneute Steigerung der Kosten bewirken. bb) Wunsch nach Berufsbetreuung, § 1816 Abs. 2 BGB Eine im Zusammenhang mit dem Nachrang der Berufsbetreuung zu diskutierende Fragestellung lautet, ob dieser Nachrang eigentlich auch gelten müsste, wenn der Betroffene selbst im Rahmen seines Vorschlagsrechts aus § 1816 Abs. 2, S. 1 BGB bzw. bisher § 1897 Abs. 4 BGB a. F. einen Berufsbetreuer vorschlägt, obwohl ein ehrenamtlicher Betreuer, zum Beispiel ein Angehöriger, geeignet und bereit wäre, die Betreuung zu übernehmen. Das Problem tritt zumeist bei der Verlängerung von Betreuungen auf, wenn der Betroffene bereits zu einem Berufsbetreuer ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Es kann aber durchaus auch bei der erstmaligen Bestellung vorkommen, dass ein Betroffener den Wunsch äußert, einen Berufsbetreuer, zum Beispiel einen ihm bekannten Rechtsanwalt, bestellt zu bekommen. In dem hierüber ausgetragenen Konflikt wird nicht nur das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und Rangverhältnis der Betreuer insgesamt deutlich, sondern auch das Verhältnis der vom Rang betroffenen Betreuertypen, also ehrenamtlicher und berufsmäßiger Betreuer. Nimmt man nämlich wie der Bundesgerichtshof an, dass sich der Gesetzgeber bewusst für den Vorrang des Ehrenamts entschieden hat und dies dann auch für das Vorschlagsrecht des Betroffenen aus § 1816 Abs. 1 BGB bzw. zuvor § 1897 Abs. 4 BGB a. F. gelten müsse,250 ist durchaus spannend zu klären, ob dies nicht einen möglichen Wertungswiderspruch zur Wunschbefolgung des Betroffenen darstellt. Grundsätzlich bekennt sich der Gesetzgeber auch über die Anerkennung der UN-Behindertenrechtskonvention und hier insbesondere Art. 12 zum Grundsatz 249

Stellungnahme des Bundesverbands der Berufsbetreuer / innen (BdB) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 18, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BDB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=EC1246687F F358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 250 BGH, NJW 2018, S. 3385.

III. Regelungsinhalte

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der Selbstbestimmung in der Betreuung und betont sowohl in § 1816 Abs. 1 BGB, aber auch noch einmal in § 1821 Abs. 2, 3 und 4 BGB, dass die Wünsche des Betreuten sowohl bei der Auswahl des Betreuers, aber auch in der Betreuung selbst oberstes Gebot sind. Auch der bisher geltende Wortlaut des § 1897 Abs. 4 BGB a. F. war dahingehend eindeutig und wurde dem Grunde nach nicht bezweifelt, sondern überall gebetsmühlenartig wiederholt.251 Dem Vorschlag des Betroffenen ist zu entsprechen. Von ihm darf nur abgewichen werden, wenn es dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft. Ein Ermessen hat das Gericht hierbei nicht.252 Auf eine natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen kommt es gerade nicht an, sondern es reicht ein irgendwie geartetes Kundtun des Vorschlags.253 Diese Gewichtung des Willens des Betreuten stellte bei Einführung des Betreuungsgesetzes eine Neuerung dar und wurde vom Gesetzgeber bewusst so deutlich in den Gesetzestext aufgenommen.254 Begründet wurde dies damit, dass auch Geschäftsunfähige in der Lage sein können, sinnvolle Entscheidungen über ihr Verhältnis zu Vertrauenspersonen zu treffen.255 Ausdrücklich nennt die Gesetzbegründung den Fall, dass ein Betroffener besonders im fortschreitenden Alter gewisse Bindungen zu bestimmten Personen, v. a. auch außerhalb der Familie aufbaut, die es zu würdigen gilt.256 Nichtsdestotrotz kam der Bundesgerichtshof erst im Jahr 2018 zu dem Schluss, dass der Wille des Betroffenen dann zu vernachlässigen sei, wenn der Betreute einen Berufsbetreuer vorschlage und ein ehrenamtlicher Betreuer geeignet und bereit sei, die Betreuung zu führen.257 Das Gericht argumentiert hier fast ausschließlich mit systematischen Erwägungen. So führt es beispielsweise aus, dass sich der Gesetzgeber bei Einführung des § 1897 Abs. 6 BGB a. F. durch das erste Betreuungsrechtsänderungsgesetz im Jahr 1998 ganz bewusst dafür entschieden hätte, den Vorrang des Ehrenamts als einen Grundsatz zu benennen, der nicht etwa nur gelte, wenn der Betroffene keinen eigenen Vorschlag mache, § 1897 Abs. 5 BGB a. F., sondern generell für den gesamten Bestellungsakt beachtlich sein müsse.258 Dies leuchtet jedoch nicht ein. Das Gericht verkennt, dass der Vorrang des Ehrenamts auch schon vor Einfügung des § 1897 Abs. 6 BGB a. F. galt und die Anpassung lediglich klarstellende Funktion hatte.259 Weiter hat sich der Gesetzgeber explizit dafür entschieden, das Rangverhältnis in § 1897 Abs. 6 BGB a. F. und nun 251

BGH, NJW 2018, S. 3386. MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., § 1897, Rn. 23. 253 Jurgeleit / Jurgeleit, 4. Aufl., BGB, § 1897, Rn. 32; BGH, FGPrax 2011, S. 77. 254 BT-Drs.: 11/4528, S. 127. 255 BT-Drs.: 11/4528, S. 127. 256 BT-Drs.: 11/4528, S. 127. 257 BGH, NJW 2018, S. 3385. 258 BGH, NJW 2018, S. 3386. 259 BT-Drs.: 13/7158, S. 50; BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 8. 252

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

mehr auch in § 1816 Abs. 4 BGB nur als eine „soll“- [sic!] Vorschrift zu konstruieren und damit dem Gericht, anders als beim Vorschlagsrecht des Betroffenen in § 1816 Abs. 2 BGB bzw. zuvor § 1897 Abs. 4 BGB a. F. („so ist diesem Wunsch zu entsprechen“), ein Ermessen einzuräumen.260 Das im Ermessen des Gerichts stehende Rangverhältnis muss daher systematisch als nachrangig zum verbindlichen Vorschlagsrecht des Betreuten angesehen werden. Die gesetzgeberische Intention, das Ehrenamt zu stärken, lässt auch nicht a priori eine Konnexität zum Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen erkennen. Die subsidiäre Bestellung von Berufsbetreuern soll, wie historisch dargelegt und von der Rechtsprechung selbst angeführt, v. a. aus fiskalischen Interessen erfolgen und sogleich überqualifizierte Betreuer vermeiden.261 Richtigerweise müsste man daher zumindest bei bemittelten Betreuten, die also gem. § 1880 Abs. 2 BGB bzw. § 1836c BGB a. F. für ihre Betreuung selbst aufkommen, ein Vorschlagsrecht auch in Bezug auf Berufsbetreuer annehmen, welches das gesetzliche Rangverhältnis verdrängt.262 Die Zweifel des Bundesgerichtshofs an der Zulässigkeit solch einer Ungleichbehandlung von bemittelten und mittellosen Betreuten werden hier zwar auch unter Bezugnahme auf andere Autoren geteilt,263 folgt man aber den im Beschluss des Bundesgerichtshofs angeführten Anmerkungen zur Beachtung der berechtigten fiskalischen Interessen des Staates, ergibt sich ein Widerspruch in der Argumentation des Bundesgerichtshofs.264 Dies wird umso deutlicher, wenn der Bundesgerichtshof in anderen Verfahren urteilt, dass beispielsweise ein negativer Betreuerwunsch, der sich auf eine bestimmte Person aus dem persönlichen Umfeld des Betroffenen bezieht, hier beispielsweise die Söhne der Betroffenen, zwingend zu berücksichtigen sei und „in der Regel auch die gesetzliche Favorisierung der Angehörigen zurücktreten“ lasse.265 Insbesondere soll das der Fall sein, wenn kein regelmäßiges familiäres Vertrauensverhältnis zu einem Angehörigen bestünde, sondern die familiäre Bindung gestört und damit ein Dritter besser für die Betreuung geeignet sei.266 Dass diese begrüßenswerte Entscheidung nun für einen positiven Vorschlag auf Bestellung eines Berufsbetreuers gerade nicht gelten soll, ist nicht nachvollziehbar. 260

BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 62; Jlussi, NZFam 2016, 814, S. 814. 261 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2180. 262 OLG Jena, NJW-RR 2001, 796, S. 797; a. A.: Palandt / Götz, 79. Aufl., § 1897, Rn. 20. 263 Fröschle, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung, Stellungnahme zur Expertenanhörung am 6. Mai 2019, Stand: 30. 04. 2019, S. 3, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/639892/b750f891a8aa794a7675a161c57abf2a/ froeschle-data.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 264 BGH, NJW 2018, 3385, S. 3386. 265 BGH, FamRZ 2018, S. 1602; BGH, FamRZ 2019, 639, S. 640. 266 BGH, FamRZ 2019, 639, S. 641.

III. Regelungsinhalte

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So hatte sich zwar auch der Gesetzgeber in seiner Begründung zum § 1897 Abs. 4 BGB a. F. dafür entschieden, den Negativvorschlag eines Betroffenen anders zu gewichten als den Positivvorschlag, jedoch war dies maßgeblich von der Angst getragen, dass der Betroffene wiederholt missbräuchlich einen bestimmten Betreuer ablehnt und damit die Betreuung in Gänze verhindern will.267 Hiervon kann jedoch nicht die Rede sein, wenn der Betroffene konkret einen Berufsbetreuer vorschlägt und damit mit der Betreuung an sich einverstanden ist. Mittlerweile hat der Gesetzgeber den Wunsch für und den ausdrücklichen Wunsch gegen eine bestimmte Person als Betreuer für gleichwertig erklärt und die bisherige Differenzierung nicht wieder in den Gesetzeswortlaut des neuen § 1816 Abs. 2 BGB aufgenommen.268 Umso mehr verwundert es hingegen, dass der Gesetzgeber nichtsdestotrotz weiter dem Wunsch nach einem Berufsbetreuer nicht generell entsprechen möchte, sondern es im Zweifel dem gerichtlichen Ermessen überlässt.269 Ursprünglich ging der Referentenentwurf des neuen Gesetzes sogar noch weiter und formulierte in § 1816 Abs. 5, S. 2 BGB-E hinsichtlich des Nachrangs der Berufsbetreuung im Verhältnis zur ehrenamtlichen Betreuung und zur Wunschbefolgung: „Dies gilt auch dann, wenn der Volljährige die Bestellung eines beruflichen Betreuers ausdrücklich wünscht.“270 Dieser klar formulierte Systembruch stieß bereits früh auf Ablehnung, sodass der Satz bereits im Regierungsentwurf nicht mehr enthalten war.271 Weiter erschließt sich nicht, wie in diesem Zusammenhang künftig mit Vorsorgevollmachten i. S. d. § 1814 Abs. 3, S. 2 Nr. 1 BGB umgegangen werden soll, wenn beispielsweise ein Betroffener ausdrücklich einen Berufsbetreuer zu seinem Bevollmächtigten ernennt oder dem bereits bestellten Berufsbetreuer für Aufgabenbereiche, die ihm nicht per richterlichem Beschluss übertragen wurden, eine Bevollmächtigung erteilt. Fraglich ist, ob nicht auch hier ein Interessenkonflikt mit dem Vorrang des Ehrenamts vorliegen könnte, der die eigentlich vorrangige Bevollmächtigung im Fall eines Berufsbetreuers plötzlich subsidiär werden lässt. Gemäß der Formulierung des § 1814 Abs. 3, S. 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 1816 Abs. 6 267

BT-Drs.: 11/4528, S. 127. BT-Drs.: 19/24445, S. 237. 269 BT-Drs.: 19/24445, S. 239. 270 RefE: Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 25. 06. 2020, S. 32, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Dokumente/RefE_Vormundschaft_Betreuungsrecht.pdf;jsessionid=A9F237001B855C5753A A97A9596C2B56.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 271 Schnellenbach / Normann-Scheerer / Loer, BtPrax 2021, 83, S. 85; Stellungnahme des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 20. 09. 2020, S. 8, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/092020_ Stellungnahme_Angehoerigenbeirat_im_CBP_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537 289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 268

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

BGB zählt der Berufsbetreuer jedoch gerade nicht zu einem vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgeschlossenen Kreis von Bevollmächtigten. Dies sind nur Personen, die zu einem Träger von Einrichtungen oder Diensten, der in der Versorgung des Volljährigen tätig ist, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung stehen. Als anerkannt gilt zudem, dass das Betreuungsgericht nur von der Bevollmächtigung abweichen darf, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist.272 Dies ist jedoch in der Regel erst der Fall, wenn eine konkrete Gefahr besteht, dass der Bevollmächtigte die Interessen des Betroffenen nicht hinreichend wahrt.273 Auch das wird bei einem Berufsbetreuer üblicherweise nicht der Fall sein. Es wird daher überwiegend angenommen, dass der Betroffene wirksam seinem Betreuer eine Vollmacht erteilen kann. Es ist mithin im Lichte des Selbstbestimmungsrechts zumindest fraglich, warum ein Betroffener mit einer Vorsorgevollmacht einen Berufsbetreuer bevollmächtigen darf,274 aber ein Betroffener ohne Vorsorgevollmacht diesen Vorschlag nicht wirksam unterbreiten kann. Sowohl das Instrument der Vorsorgevollmacht, aber auch die rechtliche Betreuung sind Ausdruck des selbstbestimmten Handelns des Betroffenen, geschützt über Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG und dem mittels des Zivilrechts inkorporierten Stellvertretungsgedanken.275 Aus welchem Grund diese Leitprinzipien der deutschen Erwachsenenfürsorge nun nicht gelten sollen, wenn ein Berufsbetreuer vorgeschlagen wird, erschließt sich im Ergebnis nicht. Es wird insofern zurecht darauf hingewiesen, dass es bei der Beurteilung, ob ein Vorschlag des Betroffenen gem. § 1816 Abs. 1 BGB bzw. bisher § 1897 Abs. 4 BGB a. F. berücksichtigt wird, nur auf die Eignung des Betreuers im Einzelfall ankommen kann und somit eine Gesamtbeurteilung zu erfolgen hat.276 Nicht sonderlich hilfreich erscheint es hingegen, wenn der Bundesgerichtshof eine Abkehr vom Rangverhältnis nur für zulässig erachtet, wenn eine persönliche Bindung des Betroffenen zum Berufsbetreuer besteht, er aber offenlässt, wie diese persönliche Bindung konkret auszusehen hat.277 Der vom Bundesgerichtshof dargelegten Grundauffassung, dass die Berufsbetreuung die ehrenamtliche Betreuung nicht verdrängen dürfe und letztere daher schutzwürdig sei, ist nichtsdestotrotz zuzustimmen.278

272

MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., § 1896, Rn. 67; BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 244. 273 BGH, FGPrax 2017, 261, S. 262. 274 Vgl. Gietl, NZFam 2018, 1107, S. 1107. 275 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 9 ff.; MüKo BGB / Schwab, 7. Aufl., BGB, § 1902, Rn. 1. 276 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 63. 277 BGH, NJW 2018, S. 3385. 278 BGH, NJW 2018, S. 3385.

III. Regelungsinhalte

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Einzig und allein die Argumentation überzeugt nicht. Den Nachrang der Berufsbetreuung rein mit systematischen und fiskalischen Argumenten zu untermauern, mag zwar aus Sicht von Kämmerern ehrlich sein, degradiert die ehrenamtliche Betreuung im Umkehrschluss aber zu einem Auffangbecken für diejenigen Betroffenen, die sich Berufsbetreuung nicht leisten können. Dies könnte durch die Einführung des Sachkundenachweises noch verstärkt werden. Wie zurecht angemerkt wird, erwecken diese Eignungskriterien den Anschein von gesetzlichen Mindestanforderungen, die ein Betreuer erfüllen müsste, um de jure eine Betreuung sachgerecht zu führen.279 Auch wenn klar ist, dass dies de jure nur für den Berufsbetreuer gilt, muss sich ein ehrenamtlicher Betreuer bzw. der von einem Ehrenamtlichen Betreute de facto fragen, warum an seine Betreuung geringere Anforderungen gestellt werden. Mit der Feststellung der Rechtsprechung, dass es ein legitimes Ziel sei, „Betreuer mit besonderer Qualifikation dem Einsatz für diejenigen Betroffenen vorzubehalten, welche die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten des Betreuers wirklich benötigen“,

stellt diese mittelbar das gesamte Betreuungssystem in Frage, da es aktuell ausdrücklich zuvörderst nicht auf die Qualifikation der Betreuer, sondern auf die Eignung ankommt.280 Ob die Gerichte nach der nunmehr erfolgten Revision des Betreuungsrechts und den neuen Sachkundenachweisen die Situation anders beurteilen, wird abzuwarten sein. Es sollte jedoch noch einmal im historischen Kontext betrachtet werden, worum es dem Gesetzgeber bei Begründung des Betreuungsrechts eigentlich ging. Der Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung war ihm sicher wichtig, jedoch zeigt sich an der einführenden Gesetzesbegründung und der erst später eingefügten Klarstellung des § 1897 Abs. 6 BGB a. F., dass der Gesetzgeber a priori das Ziel verfolgte, die persönlichen Beziehungen zwischen Betroffenen und Betreuern zu verbessern.281 Der Vorrang der Einzelbetreuung im Verhältnis zur Vereins- und Behördenbetreuung muss als eigentliches Rangverhältnis aus den Regelungen des § 1897 BGB a. F. entnommen werden. Dieses Rangverhältnis kann der Betroffene nicht beeinflussen. Innerhalb der Einzelbetreuung muss es dem Betroffenen jedoch möglich sein, die Angehörigenbetreuung durch seinen Vorschlag zu verdrängen.282

279

Stellungnahme der BAG Selbsthilfe zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 03. 08. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080320_ Stellungnahme_BAG_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F9 98840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 280 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1897, Rn. 62. 281 BT-Drs.: 11/4528, S. 124. 282 Vgl. schon Holzhauer / Reinicke, § 1897, Rn. 9 ff.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

cc) Berufsbetreuung als ökonomischer Faktor Rechtliche Betreuung ist mittlerweile zu einem ökonomischen Faktor geworden. Sowohl für die Landeshaushalte, aber auch für die (Berufs-)Betreuer. Eine der größten Positionen im Rahmen der staatlichen Ausgaben im Zusammenhang mit der rechtlichen Betreuung ist stets die Finanzierung der Berufsbetreuung mit rund 767 Mio. EUR im Jahr 2015 und bereits rund 983 Mio. EUR im Jahr 2017.283 Trotz fehlender aktueller Zahlen dürfte damit zu rechnen sein, dass die rechtliche Betreuung mittlerweile ein Milliardenunterfangen geworden ist. Der Gesetzgeber ging bei der aktuellen Reform davon aus, dass der durchschnittliche Stundensatz eines beruflichen Betreuers entsprechend §§ 7, 8 VBVG bzw. § 4 VBVG a. F. ca. 47,39 EUR beträgt.284 Als Referenzwert nahm man zudem mangels aktueller Zahlen an, dass es im Jahr 2017 ca. 16.100 Berufsbetreuer in der Bundesrepublik gab.285 Durchschnittlich wenden Berufsbetreuer nach dem Forschungsvorhaben des Bundes aus dem Jahr 2017 gut 4,1 Stunden pro Betreuung pro Kalendermonat auf.286 Bei der jüngsten Reform, die zwar keine Anpassung der Vergütungssätze vorsah, sondern lediglich zusätzlichen Erfüllungsaufwand bei der Organisation und Aufsicht der Betreuer schuf, rechnet der Gesetzgeber mit jährlichen Mehrausgaben bei den Ländern in Höhe von rund 10,1 Mio. EUR, wovon ein Großteil auf die verstärkte Aufsicht durch die Betreuungsbehörde, die finanzielle Ausstattung der Betreuungsvereine und die Durchführung des Registrierungsverfahrens fallen.287 Nimmt man, wie durch die Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundes ermittelt worden, an, dass viele der heute angeordneten Betreuungen schlicht vermeidbar wären, würde es ausreichend „andere Hilfen“ geben, muss man sich auch langfristig die ökonomische Frage des Betreuungsrechts stellen. Auch die Forschungsvorhaben aus dem Jahr 2017 weisen darauf hin, dass das gegenwärtige System der Betreuung finanzielle Fehlanreize setze, die besonders die Arbeit der Berufsbetreuer begünstige.288 Es wird aber auch ausgeführt, dass derzeit kein finanzieller Anreiz für die Kommunen bestehe, ihr Beratungs- und Leistungsangebot auszubauen und zugunsten der Landeskasse betreuungsvermeidend zu agieren.289 283

BT-Drs.: 19/8694, S. 21. BT-Drs.: 19/24445, S. 164. 285 BT-Drs.: 19/24445, S. 164. 286 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 475, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 287 BT-Drs.: 19/24445, S. 6 f. 288 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Ergebnisse, Stand: 25. 10. 2017, S. 9, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/Zusammenfassung_ Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 289 Fröschle, NJOZ 2018, 801, S. 804. 284

III. Regelungsinhalte

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Der Gesetzgeber hatte sich zuletzt mit der Reform des VBVG aus dem Jahr 2019 der seit langer Zeit geforderten Erhöhung der Betreuervergütung hingegeben und festgeschrieben, dass die Vergütungssätze um durchschnittlich 17 % stiegen.290 Bei einem ersten Anlauf hatte sich der Bundesrat noch gegen die Erhöhung der pauschalierten Vergütung ausgesprochen und dem Antrag die Zustimmung verweigert.291 Mit der Erhöhung der Vergütung wurde ab dem 27. Juli 2019 auch das Vergütungssystem geändert. Statt der Pauschalierung über festgelegte Stundensätze gibt es nun monatliche Fallpauschalen, die mittels drei unterschiedlicher Vergütungstabellen (namentlich A, B und C) ermittelt werden, § 4 VBVG a. F., nun § 8 VBVG. Weiterhin erhalten blieb die Unterscheidung in der Vergütungshöhe je nach Dauer der Betreuung, dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betreuten und dem Vermögensstatus des Betreuten, § 5 VBVG a. F., jetzt § 9 VBVG. Hinzukamen gesonderte Pauschalen für besonders vermögende Betreute, § 5a VBVG a. F., jetzt § 10 VBVG. Finanziert werden musste die Erhöhung über die Landesjustizkassen. Der Bundesgesetzgeber rechnete hier mit Mehrkosten in Höhe von 143,8 Mio. Euro, die auf die Bundesländer zukamen.292 Fraktionsübergreifend und auch im gesellschaftspolitischen Raum wurde die Erhöhung begrüßt. Insbesondere die Berufsbetreuer bezeichneten den Schritt als lange überfällig, auch wenn die Erhöhung immer noch nicht ausreichend sei, um den tatsächlichen Arbeitsaufwand zu entlohnen.293 Einzig einige Landesrechnungshöfe warnen seit langem vor der weiteren Erhöhung der Vergütungssätze, so beispielsweise der Rechnungshof des Landes Brandenburg.294 Dieser arbeitete im Jahr 2013 heraus, dass es zwar seit dem Jahr 2005 keine Erhöhung der Vergütungssätze gab, aber die Abschaffung der Umsatzsteuerpflicht für Berufsbetreuer im Jahr 2013 eine tatsächliche Erhöhung der Stundensätze von 4,00 bis 7,00 EUR brachte.295

290

BT-Drs.: 19/8694, S. 1. BR-Drs.: 460/1/17. 292 BT-Drs.: 19/8694, S. 2. 293 BdB-Pressemitteilung v. 17. 05. 2019, abrufbar unter: https://www.berufsbetreuung.de/ presse/jetzt-sind-die-bundeslaender-am-zug-bundestag-beschliesst-verguetungserhoehung-fuerberufsbetreuer-bundesverband-der-berufsbetreuer/innen-ev-appelliert-an-bundesrat/, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 294 LRH Brandenburg, Bericht gemäß § 88 Abs. 2 LHO über rechtliche Betreuung in Brandenburg, Stand: 02. 07. 2013, S. 15, abrufbar unter: http://www.lrh-brandenburg.de/media_fast/6096/ Beratungsbericht%20rechtliche%20Betreuung.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 295 LRH Brandenburg, Bericht gemäß § 88 Abs. 2 LHO über rechtliche Betreuung in Brandenburg, Stand: 02. 07. 2013, S. 13, abrufbar unter: http://www.lrh-brandenburg.de/media_fast/6096/ Beratungsbericht%20rechtliche%20Betreuung.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 291

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Betreuer sind weiterhin zwar einkommenssteuerpflichtig, jedoch nach einer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2010 nicht umsatz- und gewerbesteuerpflichtig.296 (1) Berufsbetreuung als Gewerbe Hintergrund für die Entscheidung war ein seit Jahren andauernder Streit, ob Berufsbetreuer als Freiberufler oder Gewerbetreibende zu klassifizieren sind. Die Auseinandersetzung darüber war nicht nur für die steuer- oder ordnungsrecht­liche Bewertung von Relevanz, sondern half auch, den rechtlichen Rahmen und die rechtlichen Anforderungen an Berufsbetreuer zu definieren bzw. das Verhältnis zur Ehrenamtlichkeit besser herauszuarbeiten. Bei der Frage musste nämlich mittelbar geklärt werden, was für (Qualifikations-) Anforderungen an Berufsbetreuung gestellt wird. Der Gesetzgeber hatte dies bis zur jüngsten Reform de lege lata unterlassen. Der Bundesfinanzhof entschied in Abkehr von seiner ständigen Rechtsprechung im Jahr 2010, dass Berufsbetreuer zumindest keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sondern aus sonstiger selbständiger Tätigkeit erzielen und damit nicht gewerbesteuerpflichtig seien.297 Das Bundesverwaltungsgericht urteilte hingegen im Jahr 2008 erstmals, dass Berufsbetreuer jedenfalls keinen freien Beruf ausüben, sondern ein Gewerbe und damit auch eine Gewerbeanmeldung gem. § 14 Abs. 1 GewO erforderlich sei.298 Im Ergebnis steht nun also, dass Berufsbetreuer zwar steuerrechtlich kein Gewerbe ausüben, sondern eine sonstige selbständige Tätigkeit, jedoch verwaltungsrechtlich ein Gewerbe anmelden müssen und daher zumindest kein freier Beruf sind. Beide Entscheidungen bedingen sich wohl nicht zwangsläufig, da sie unterschiedliche Regelungszwecke haben.299 Das Bundesverwaltungsgericht hält daher an seiner Einschätzung der Gewerbsmäßigkeit auch nach Urteil durch den Bundesfinanzhof fest.300 Die Verwaltungsrichter führen dabei insbesondere aus, dass auch der Bundesfinanzhof bei seiner steuerrechtlichen Einschätzung nicht per se von einer Freiberuflichkeit ausgeht, sondern lediglich den § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG für einschlägig erachtet, in dem von „sonstiger selbständiger Tätigkeit“ die Rede ist und den Berufsbetreuer daher lediglich mit Testamentsvollstreckern oder Vermögensverwaltern gleichsetzt.301 296 Pardey / Kieß, Betreuungsrecht, 6. Aufl., § 18, Rn. 24, unter Verweis auf: BFH, Urteil v. 15. 06. 2010, DStR 2010, S. 1669. 297 BFH, Urteil v. 15. 06. 2010, DStR 2010, S. 1669. 298 BVerwG, Beschluss v. 11. 03. 2008, NJW 2008, S. 1974. 299 BVerwG, Beschluss v. 27. 02. 2013, NJW 2013, 2214, S. 2216. 300 BVerwG, Beschluss v. 27. 02. 2013, NJW 2013, 2214, S. 2216. 301 BVerwG, Beschluss v. 27. 02. 2013, NJW 2013, 2214, S. 2216.

III. Regelungsinhalte

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Die Gewerbsmäßigkeit setzt üblicherweise eine selbständige und auf Dauer angelegte Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht voraus. Berufsbetreuer werden in der Regel auf eigene Rechnung tätig und stehen auch dem Prinzip der Einzelbetreuung folgend in keinem Anstellungsverhältnis, was sie in eine irgendwie geartete Abhängigkeit bringt.302 Berufsbetreuer sind gewinnorientiert, können sie doch vielfach ihren Lebensunterhalt durch die Vergütung bestreiten und sind eben nicht bloß altruistisch motiviert.303 Berufsbetreuer sollen ihre Tätigkeit zudem dauerhaft, jedenfalls aber auf gewisse Dauer ausüben. So wird die Betreuung spätestens erst nach sieben Jahren erstmalig überprüft, § 295 Abs. 2 FamFG. Die Berufsbetreuung erfüllt daher zunächst die positiven Voraussetzungen der Gewerbsmäßigkeit. Dem könnte lediglich noch entgegenstehen, dass eine Freiberuflichkeit als negatives Abgrenzungskriterium vorliegt. Die Freiberuflichkeit zeichnet sich gem. § 1 Abs. 2 PartGG (analog) insbesondere dadurch aus, dass sie eine Tätigkeit höherer Art darstellen soll, die grundsätzlich eine höhere Bildung in Form eines abgeschlossenen Hochschul- oder Fachhochschulstudiums erfordert.304 Schon dies ist beim Berufsbetreuer äußerst fraglich. Wie dargelegt, kam es jedenfalls bisher nicht zuvörderst auf eine bestimmte Qualifikation als Voraussetzung zur Bestellung zum Betreuer an, sondern maßgeblich auf die Eignung, § 1897 Abs. 1 BGB a. F. Trotz des nunmehr zu erbringenden Sachkundenachweises gem. § 23 BtOG wird sich hieran wohl wegen § 1816 Abs. 1 BGB nichts ändern. Auch die näheren Ausführungsvorschriften zum Sachkundenachweis gem. der Anlage zu § 3 Abs. 4 BtRegG sind so weit gefasst und vielfältig, dass jedenfalls von einer reinen Tätigkeit höherer Art nicht ausgegangen werden kann. Die bisherige Argumentation jedenfalls, dass es wegen des Umstands, dass es auch Berufsbetreuer ganz ohne besondere fachliche Kenntnisse geben konnte und schon deshalb Berufsbetreuung keine Tätigkeit höherer Art darstellt, wird indes nicht mehr zu halten sein.305 Weiter wurde diskutiert, ob gegen die Freiberuflichkeit von Berufsbetreuern anzuführen sein könnte, dass freie Berufe nicht nur im Interesse des Auftraggebers, sondern zugleich im Interesse der Allgemeinheit verrichtet werden sollen. Dies ergibt sich meist auch aus den Berufsordnungen der klassischen Freiberufe.306 Vor allem dieser Aspekt bringt einen auch zurück zur hier gestellten Ausgangsfrage, wie man rechtliche Betreuung zwischen Daseinsvorsorge und Stellvertretung begreift. 302

Mann, NJW 2008, 121, S. 122. Mann, NJW 2008, 121, S. 122. 304 Mann, NJW 2008, 121, S. 123. 305 So noch: Mann, NJW 2008, 121, S. 124. 306 Mann, NJW 2008, 121, S. 124; OVG Münster, GewA 2012, S. 209. 303

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Geht man davon aus, dass Betreuung als Teil des Stellvertretungsrechts lediglich die Übertragung von Rechtsmacht auf eine andere natürliche Person bedeutet, um einen Betroffenen für den Rechtsverkehr zu befähigen, ließe sich argumentieren, dass nicht die Allgemeinheit im Mittelpunkt der Aufgabe eines Betreuers steht, sondern der Betreute selbst.307 Mithin wäre auch deshalb eine Freiberuflichkeit abzulehnen. Es könnte aber ebenso argumentiert werden, dass die Übernahme von Betreuungen im Allgemeinen, und im speziellen Fall der Berufsmäßigkeit, auch einem höheren Ansinnen entspricht. So könnte man durchaus darlegen, dass gerade weil es in Deutschland kein staatliches Netz von Betreuern gibt, dem Prinzip der persönlichen Einzelbetreuung folgend, jede Übernahme von Betreuung auch der Allgemeinheit in Gänze dient. So argumentiert im Ergebnis auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es von einer Notwendigkeit der Berufsbetreuung in Zeiten von schwindenden ehrenamtlichen Betreuern spricht.308 Dies könnte sich im Übrigen auch aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergeben. Da die Berufsbetreuung im Gesetz dann auch nur im Nachrang zur Ehrenamtlichkeit konstruiert ist, könnte man sie zudem nur als Ergänzung begreifen, die den Staat bzw. die Allgemeinheit entlastet. Ebenso unter Bezugnahme auf die historische Entwicklung könnte man argumentieren, dass eine noch irgendwie geartete Obervormundschaft des Staates über seine Bürger auf die gerichtlich bestellten (Berufs-)Betreuer übergeht und daher durchaus ein allgemeingültiger Charakter der Tätigkeit anzunehmen wäre. Dies wird hier im Ergebnis jedoch verneint, da das deutsche Betreuungsrecht in seinen Grundsätzen bisher eben gerade kein sozialrechtliches Institut der allgemeinen staatlichen Fürsorge, sondern in das Familienrecht inkorporiertes Stellvertretungsrecht ist. Solange dieser Umstand gepaart mit den fehlenden traditionellen Qualifikationsanforderungen an freie Berufe besteht, ist eine rein gewerbliche Tätigkeit anzunehmen.309 Dies gilt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung auch für Rechtsanwälte, die im Rahmen ihrer Tätigkeit betreuungsrechtlich tätig werden.310 (2) Finanzierung der rechtlichen Betreuung Grundsätzlich sind in der Bundesrepublik mangels ausschließlicher oder konkurrierender Kompetenz die Bundesländer für die Finanzierung des Betreuungswesens verantwortlich. Alle Änderungen in der Vergütungsstruktur müssen daher stets von den Landeshaushalten getragen werden. Der Bundesrat wies daher trotz 307

Mann, NJW 2008, 121, S. 124; OVG Münster, GewA 2012, S. 209. BVerfG, NJW 1980, S. 2179. 309 A. A. offenbar: Rosenow, BtPrax 2021, 163, S. 166. 310 BVerwG, NJW 2013, S. 2214. 308

III. Regelungsinhalte

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Zustimmung zur Reform des VBVG im Jahr 2019 noch einmal deutlich darauf hin, dass „eine umfassende Neuordnung der sozialen und rechtlichen Betreuung […] gegebenenfalls über Strukturreformen und nicht über Veränderungen der Vergütungen für die rechtliche Betreuung angestrebt werden [sollte].“311

Dies wird jedenfalls im derzeitigen rechtlichen Rahmen nur schwer möglich sein. Wie bereits aufgezeigt, sind die Bundesländer mit unterschiedlichen Herausforderungen im Betreuungsrecht konfrontiert und investieren daher unterschiedlich hohe Summen in das Betreuungswesen. Die Finanzierung setzt sich dabei in den jeweiligen Einzelplänen der Landeshaushalte zumeist für den Bereich Justiz aus der Vergütung für die ehrenamtlichen Betreuer, die Berufsbetreuer, die Übernahme der Haftpflichtversicherung für Betreuer und die Verfahrenspfleger in Betreuungssachen zusammen.312 Die Kosten für das gerichtliche Betreuungsverfahren werden in allen Ländern auf die Gerichtsbezirke, finanziert durch den Landeshaushalt, umgelegt. Die Kosten, für die meist bei der Kommune angesiedelten Betreuungsbehörden mit ihren betreuungsvermeidenden Aufgaben, müssen die Gemeinden selbst tragen oder über einen Finanzausgleich von den Bundesländern zurückfordern. Hier gibt es auch nach der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Auftrag gegebenen Forschungsstudie aus dem Jahr 2017 große Unterschiede in der finanziellen Unterstützung der Kommunen durch die Bundesländer.313 Im Durchschnitt übernahmen die Länder demnach wohl nur gut 61 % der Kosten. Dies führte nach Auffassung einiger zwangsläufig dazu, dass auch in Kommunen lieber der für den Gemeindehaushalt günstigere Weg über die gerichtliche Bestellung eines Betreuers gewählt wird, als andere (lokale) Hilfen zu organisieren.314 Der Bundesgesetzgeber hat bei der letzten Vergütungsreform im Jahr 2019 keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Finanzierung von Betreuung nicht zuvörderst als seine Aufgabe begreift.315 Dabei muss man sich die Frage stellen, ob nicht gerade die Betreuungsvermeidung eher eine sozialrechtliche Aufgabe ist, die 311

BT-Drs.: 19/9765, S. 1. Vgl. bspw.: Mecklenburg-Vorpommern, Entwurf Haushaltsplan 2022/2023  – EPL 09, S. 42 f., abrufbar unter: https://www.regierung-mv.de/serviceassistent/download?id=1652807, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); Freistaat Bayern, Haushaltsplan 2022, Einzelplan 04, S. 34 ff. abrufbar unter: https://www.stmfh.bayern.de/haushalt/2022/haushaltsplan/Epl04.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2022 und 2023, Epl. 06, bspw. S. 119 für das AG Charlottenburg, abrufbar unter: https://pardok.parlamentberlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/DruckSachen/d19-0200-Anlage.pdf, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 313 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 578, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 314 Fröschle, NJOZ 2018, 801, S. 804; Probst, ZRP 2001, 426, S. 430. 315 BT-Drs.: 19/9765, S. 5. 312

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

dann ggf. über Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 oder Nr. 12 GG durchaus dem Bund zukommen könnte. Insbesondere in Anbetracht der bereits oben dargelegten nicht geringen Anzahl an vermeidbaren Betreuungen wegen fehlender oder fehlgesteuerter anderer (sozialer) Hilfen steht die Frage im Raum, ob der Bund hier nicht stärker über die Mittel der Sozialversicherung in das Betreuungswesen eingreifen müsste, insbesondere auch zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse bundesweit. Zumindest eine teilweise Querfinanzierung sollte nach hiesiger Auffassung angedacht werden, um die Kommunen stärker zu entlasten. 3. Betreuungsführung, § 1821 BGB a) Wünsche des Betreuten, § 1821 BGB In der Vorstellung des Gesetzgebers steht künftig primär die Wunschbefolgung im Mittelpunkt der Betreuungsführung, §§ 1816 Abs. 1, 1821 BGB. Wie schon dargelegt, wird hierin die „Magna Charta“ des neuen Betreuungsrechts gesehen.316 Ein wie zurecht angeführt wird fragwürdiger Vergleich mit einem der wichtigsten historischen Quellen verbriefter Menschenrechte aus dem Jahr 1215317 – was jedoch zu den schon früher verwendeten Termini, wie „Jahrhundertreform“, passt. Auch der vielbeschriebene „Paradigmenwechsel“318 wirft zumindest Fragen auf und lässt jedenfalls tatsächlich wie vereinzelt angemerkt, befürchten, dass hier ein hehres Ziel mit einem womöglich durch die Reform erst angestoßenen Prozess der Veränderung verwechselt wird.319 Bisher hieß es vor allem im Rahmen des § 1901 Abs. 2 und 3 BGB a. F., dass der Betreuer die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen hat, wie es dessen Wohl entspricht, Abs. 2, S. 1 a. F., und dass zum Wohl des Betreuten auch gehöre, dass der Betreute sein Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen gestalte, Abs. 2, S. 2 a. F. In Abs. 3 a. F. wurde dann konkretisiert, dass der Betreuer den Wünschen des Betreuten zu entsprechen hat, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist, Abs. 3, S. 1 a. F. und in Abs. 3, S. 2 a. F., dass dies auch für Wünsche gilt, die der Betroffene vor der Bestellung der Betreuung geäußert hat. Es ist insofern mitnichten so, dass nicht auch schon bisher der Wunsch des Betreuten der entscheidende Ansatzpunkt bei der Ausübung der Betreuung dar­ stellte.320

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BT-Drs.: 19/24445, S. 249. Kersting, BtPrax 2021, 203, S. 203; BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1896, Rn. 50. 318 Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 176 mit Verweis auf weitere Fundstellen. 319 Pelkmann, BtPrax 2021, 88, S. 88. 320 Schneider, FamRZ 2020, 1796, S. 1800. 317

III. Regelungsinhalte

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Wie der Gesetzgeber selbst erkennt, hatte auch der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2009 äußerst deutlich hervorgehoben, was für ein Gewicht der Wunsch des Betreuten gegenüber dem Tätigwerden des Betreuers hat: „Ein Wunsch des Betreuten läuft nicht bereits dann im Sinne des § 1901 III 1 BGB dessen Wohl zuwider, wenn er dem objektiven Interesse des Betreuten widerspricht. Vielmehr ist ein Wunsch des Betreuten im Grundsatz beachtlich, sofern dessen Erfüllung nicht höherrangige Rechtsgüter des Betreuten gefährden oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich verschlechtern würde. Allerdings gilt der Vorrang des Willens des Betreuten nur für solche Wünsche, die Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten sind und sich nicht nur als bloße Zweckmäßigkeitserwägungen darstellen. Beachtlich sind weiter nur solche Wünsche, die nicht Ausdruck der Erkrankung des Betreuten sind und auf der Grundlage ausreichender Tatsachenkenntnis gefasst wurden.“321

Insofern ist noch fraglicher, was genau den „Paradigmenwechsel“ darstellen soll. Der Gesetzgeber meint, dass vor allem aus der bereits dargestellten Abkehr von der Wohlschranke in Verbindung mit der hervorgehobenen Wunschbefolgungspflicht eine Verdeutlichung des „Vorrang[s] vor einer gut gemeinten, aber fremdbestimmten Fürsorge“ hervorgehen soll.322 Der Betreuer soll nunmehr stufenweise zur konkreten Ermittlung des Wunsches des Betreuten vorgehen, § 1821 Abs. 2, 3 und 4 BGB. Am Anfang muss sich der Betreuer vergegenwärtigen, ob es überhaupt einen aktiv feststellbaren Wunsch des Betreuten gibt.323 Gibt es diesen, muss er sich fragen, ob dieser Wunsch umsetzbar und auch tatsächlich Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten ist, also von ihm selbst gebildet.324 Gibt es keinen aktuellen Wunsch muss er prüfen, ob es einen früheren Wunsch gibt, der realisierbar ist, § 1821 Abs. 2, S. 3 BGB. Wenn kein Wunsch des Betreuten festgestellt werden kann, muss der Betreuer nach Vorstellung des Gesetzgebers alles in seiner Macht Stehende tun, um dem mutmaßlichen Willen des Betreuten zu entsprechen, § 1821 Abs. 4 BGB.325 In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu: „Der Betreuer hat zu fragen, wie sich der Betreute selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte. Wenn der Betreuer kaum auf Anhaltspunkte zurückgreifen kann, hat er eine ‚beste Interpretation‘ von Willen und Präferenzen vorzunehmen. […] Je weniger Informationen der Betreuer hat, umso mehr muss er auf allgemeingültige Vermutungen zurückgreifen. Maßstab für diese Bestimmung bleibt aber der individuelle subjektive mutmaßliche Wille des Betreuten und kein objektives Wohl.“326

Wie zurecht vereinzelt in der Literatur angeführt, ist es doch äußerst bedenklich, zunächst den subjektiven Willen des Betreuten hervorzuheben, um dann unter an 321

BGH, NJW 2009, S. 2814. BT-Drs.: 19/24445, S. 249. 323 Dodegge, FamRZ 2022, 844, S. 846 f. 324 Dodegge, FamRZ 2022, 844, S. 846 f. 325 BT-Drs.: 19/24445, S. 250. 326 BT-Drs.: 19/24445, S. 250. 322

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

derem wieder auf „allgemeingültige Vermutungen“ und „Lebenserfahrungen“ zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens abzustellen.327 Dies sind Maßstäbe, die bisher auch zur Bestimmung des Wohls genutzt wurden.328 Daher scheint hier vieles Wortklauberei, die im Zweifel gut gemeint, aber nicht unbedingt wissenschaftlich nachvollziehbar ist. Die Rechtsprechung hat, wie schon dargelegt, mehrfach deutlich gemacht, dass es bei der Grenze von Wunsch und Wille des Betroffenen stets darauf ankommt, ob der Erfüllung nicht höherrangige Rechtsgüter des Betreuten entgegenstehen, obgleich hierfür ausdrücklich nicht nur objektive Maßstäbe angesetzt werden dürfen und es keine Vernunfthoheit staatlicher Organe über einen Grundrechtsträger gibt.329 b) Vertretungsmacht, § 1823 BGB Auch im Rahmen des novellierten Betreuungsrechts gibt es weiterhin eine umfassende Vertretungsmacht des Betreuers gegenüber den Rechtsgeschäften des Betreuten. § 1823 BGB ordnet hierfür in nur einem Satz an, dass der Betreuer den Betreuten in seinem Aufgabenkreis gerichtlich und außergerichtlich vertreten „kann“. Der Gesetzgeber versucht nunmehr mit einer Stellvertretung, die offenbar nur fakultativen Charakter haben soll, den Anforderungen an die UN-BRK zu entsprechen. Ob ihm dies gelingen mag, ist fraglich. Hinzutritt der Umstand, dass im Rahmen des § 1821 Abs. 1, S. 2, Hs. 2 BGB der Betreuer von der Vertretungsmacht nur Gebrauch machen darf, soweit dies erforderlich ist und zum anderen die Ausübung der Vertretungsmacht weiterhin ausgeschlossen ist soweit höchstpersönliche Rechtsgüter betroffen sind, § 1824 BGB, oder gerichtliche Genehmigungserfordernisse bestehen. aa) Unbeschränkte Vertretungsmacht nach außen Im Außenverhältnis bleibt der Betreuer daher zuvorderst unbeschränkter Vertreter kraft Gesetzes und richterlicher Entscheidung.330 Nach innen ist seine Vertretungsmacht begrenzt, insbesondere durch § 1821 Abs. 1, S. 2 BGB. Die neue fakultative Vertretung will der Gesetzgeber als „Appell an den Betreuer“ im Sinne von „Unterstützung vor Vertretung“ verstanden wissen.331 Als Folge eines Verstoßes 327

Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1325. Dodegge, FamRZ 2022, 844, S. 845. 329 Dodegge, FamRZ 2022, S. 844, mit Verweis auf: ständige Rspr. BVerfG, u. a. FamRZ 2020, S. 135 u. NStZ-RR 2021, S. 356. 330 Kieß, Betreuungsrecht, 7.  Aufl., § 10, Rn.  6; Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 174; BT-Drs.: 19/24445, S. 258. 331 BT-Drs.: 19/24445, S. 258. 328

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des Betreuers gegen diese im Innenverhältnis zum Betreuer bestehende Beschränkung der Vertretungsmacht kommt den Regeln der Stellvertretung entsprechend jedenfalls keine Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts in Betracht, §§ 164 ff. BGB, wenn der Betreuer nicht gegen die Offenkundigkeitspflicht aus § 164 Abs. 2 BGB verstoßen hat.332 Eine Haftung des Betreuers kommt dann lediglich im Innenverhältnis gem. § 1826 Abs. 1 BGB, zuvor § 1908i Abs. 1 BGB a. F. i. V. m. § 1833 BGB a. F., in Betracht. Hier hat der Gesetzgeber zumindest insofern mit der jüngsten Reform Abhilfe geschaffen, dass er mit der neuen Regelung zur Beweislastumkehr in § 1826 Abs. 1, S. 2 BGB, die der Vorschrift des § 280 Abs. 1, S. 2 BGB nachempfunden ist, den Betreuten interessengerecht vom Verschuldensvorwurf entlastet.333 Der Gesetzgeber stellt sogleich fest, dass in Folge dessen weiterhin „das rechtliche Können über das rechtliche Dürfen hinausgeht“, verweist jedoch insofern auf eine im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses erfolgte kontroverse Debatte der beteiligten Fachleute.334 Hier habe man sich mehrheitlich im Interesse des Rechtsverkehrs dafür ausgesprochen, dass die Vertretungsmacht des Betreuers gegenüber Dritten nicht eingeschränkt werden solle.335 Die Begrenzung der Vertretungsmacht auf das erforderliche Maß würde hinreichend durch § 1821 Abs. 1, S. 2 BGB und damit dem nunmehr legal normierten Unterstützungsgebot gewährleistet. Dass das Festhalten an der Vertretungsmacht trotz der bereits umfassend dargelegten historischen Verortung des Betreuungsrechts alles andere als selbstverständlich ist,336 zeigen die vielfältigen Reaktionen auf die Entscheidung des Gesetzgebers. Stärkster Kritikpunkt ist weiterhin eine Unvereinbarkeit des Vertretungsrechts mit der UN-BRK und hier v. a. Art. 12 Abs. 3 UN-BRK. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber nunmehr zwar das „Unterstützungsprimat“ durch die neuen Formulierungen im Gesetz formal fördere, jedoch rechtssystematisch und rechtspraktisch auch durch die Verortung im BGB keine Veränderung im Alltag der Betroffenen zu erwarten sei.337 Auch seien die Instrumente zur Kontrolle der Stellvertretung zu bemängeln und nicht im Sinne der UN-BRK. Vorschläge, wie die Einführung einer nachgelagerten Rechtfertigung für das Ausüben der 332 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01.  02. 2022, § 1902, Rn.  7 f.; Brosey / Lesting / Loer /  Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 195; BT-Drs.: 19/24445, S. 258. 333 BT-Drs.: 19/24445, S. 260. 334 BT-Drs.: 19/24445, S. 258. 335 BT-Drs.: 19/24445, S. 258. 336 Vgl. zur historischen Verortung schon B. III. 3., vgl. S. 39 ff. 337 Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F 50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

solchen durch den Betreuer, beispielsweise in Form einer Darlegungspflicht im Jahresbericht des Betreuers gegenüber dem Betreuungsgericht, wurden nicht aufgegriffen.338 Analogien, beispielsweise zur Dokumentationspflicht im Rahmen der Vorschriften über den ärztlichen Behandlungsvertrag, § 630f BGB, wären durchaus vorstellbar gewesen. Am Ende verbleibt es bei der schon näher skizzierten Auffassung des Gesetzgebers, dass die UN-BRK eben nicht jegliche Form der Stellvertretung ausschließe.339 Insofern ist jedoch festzustellen, dass die neue Kann-Regelung im Rahmen des § 1823 BGB einen enormen Einsatz des Betreuers hinsichtlich der Wunscherforschung und schlussendlich auch im Rahmen einer Transferleistung bei der Umsetzung erfordert. Die Fakultativvertretung setzt voraus, dass sich der Betreuer künftig vorher entscheidet, ob er von seiner Vertretungsmacht Gebrauch macht oder nicht.340 Insofern wird hier sehr bezweifelt, ob das mit der Lebenswirklichkeit der Betreuer, insbesondere der ehrenamtlichen Betreuer als dem Wunschkind des Gesetzgebers entspricht. bb) Beibehaltung des Einwilligungsvorbehalts, § 1825 BGB Vor allem dabei im Fokus steht der Umgang mit dem Einwilligungsvorbehalt, § 1825 BGB, bisher § 1903 BGB a. F. Wie bereits dargestellt, gilt grundsätzlich im Betreuungsrecht die sog. materiell-rechtliche Doppelkompetenz bzw. Doppelzuständigkeit. Das bedeutet, dass Betreuter und Betreuer jeweils Willenserklärungen abgeben können, solange der Betreute nicht geschäftsunfähig ist, § 104 Nr. 2 BGB.341 Dem Prioritätsprinzip folgend gilt dann, dass diejenige Erklärung gelten soll, die zeitlich zuerst erfolgt ist.342 Diese bleibt auch nach der jüngsten Reform erhalten. Soweit erhebliche Gefahren für die Person oder das Vermögen des Betreuten drohen, kann das Betreuungsgericht jedoch in Abweichung dessen anordnen, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die einen Aufgabenbereich des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf, sog. Einwilligungsvorbehalt, § 1825 Abs. 1, S. 1 BGB. Seit Jahren betrifft dies nur eine einstellige Prozentzahl von Betroffenen und nichtdestotrotz wird gerade hierin eine faktische Fortsetzung der Entmündigungspraktik gesehen.343 Die Studien zur Evaluation des deutschen 338

Stellungnahme der BAG Selbsthilfe zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 03. 08. 2020, S. 3, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080320_ Stellungnahme_BAG_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F9 98840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 339 Vgl. schon B. III. 3. d), vgl. S. 44 ff.; BT-Drs.: 19/24445, S. 120; Schnellenbach, BtPrax 2017, 3, S. 5. 340 BT-Drs.: 19/24445, S. 258. 341 Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 196. 342 Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 196. 343 Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 118.

III. Regelungsinhalte

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Betreuungsrechts brachten zudem hervor, dass die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts teils als Erziehungsmaßnahme bzw. wie es in der Studie heißt als „Sicherheitsanker“ für überforderte Betreuer eingesetzt wurde.344 Dabei soll der Einwilligungsvorbehalt ausdrücklich nicht die Geschäftsfähigkeit gänzlich in Frage stellen, sondern diese nur beschränken und den Betreuten damit quasi einem beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen gleichstellen.345 Dies umfasst insbesondere die Fähigkeit, auch nach Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte v. a. im Alltag zu bewirken, vgl. insofern bisher schon § 1903 Abs. 3 BGB a. F., jetzt § 1825 Abs. 3 BGB, aber auch das Recht zur Eheschließung und erbrechtliche Verfügungen zu erlassen.346 Neu eingefügt wurde zumindest der Hinweis, dass auch ein Einwilligungsvorbehalt nicht gegen den freien Willen des Betreuten angeordnet werden darf, § 1825 Abs. 2, S. 1 BGB, und wenn dies doch einmal notwendig wird, verfahrensrechtlicher Schutz in Form der verpflichtenden Bestellung eines Verfahrenspflegers gem. § 276 Abs. 1, S. 2 Nr. 2 FamFG notwendig wird und das Gericht spätestens nach drei Jahren die Anordnung überprüfen muss, § 295 Abs. 2 FamFG.347 Der ursprüngliche Referentenentwurf hatte sogar nicht einmal diese Änderungen vorgesehen, sondern die Regelung des Einwilligungsvorbehalts unverändert gelassen, was zurecht einige überraschte.348 cc) Primat der unterstützenden Entscheidungsfindung Der ganze Stolz der jüngsten Reform war wie bereits aufgezeigt, die Stärkung des Primats der unterstützenden vor ersetzenden Entscheidungsfindung. An der Debatte darum, ob das erneut reformierte Betreuungsrecht in diesem Sinne nunmehr völkerrechtskonform ist, zeigt sich der weiterhin nicht aufgelöste Widerspruch im deutschen Betreuungsrecht. Wie mehrfach dargelegt, ist Betreuungsrecht zuvörderst Stellvertretungsrecht und gerade kein Erwachsenenhilferecht, auch wenn es gleichwohl deshalb nicht mit Vertretung gleichzusetzen ist.349 Insofern wird zurecht angeführt, dass stets bedacht werden muss, dass ein Betreuungsrecht, welches immer stärker darauf bedacht ist, die Vertretungsmacht „zu zähmen“350 nicht erforderlich ist, weil sowohl nach der Systematik des Gesetzes, 344 Brosey, BtPrax 2020, 161, S. 163 mit Verweis auf: ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 458, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_ Betreuung.pdf;jsessionid=F55BCCDFB3EFF8A957C7936ECE0D2595.2_cid289?__ blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 345 Jurgeleit / Kieß, 4. Aufl., BGB, § 1903, Rn. 4. 346 Holzhauer, FuR 1990, 249, S. 252. 347 Schnellenbach / Normann-Scheerer / Loer, BtPrax 2020, 119, S. 123. 348 Schneider, FamRZ 2022, 1797, S. 1800. 349 Brosey, BtPrax 2020, 161, S. 165. 350 Schwab, FamRZ 2020, 1321, S. 1325.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

aber auch nach dem Grundsatz der vorrangigen Unterstützung, „andere Hilfen“ zuvörderst greifen müssten und Beratung und Unterstützung allein keine Aufgaben des Betreuers sind.351 Der Betreuer soll lediglich, wenn es um die Ermittlung von Wünschen und Willen des Betreuten im Zusammenhang mit rechtlichen Entscheidungsvorgängen geht, unterstützend tätig werden, vgl. den Wortlaut in § 1821 Abs. 1, S. 2 BGB, in dem es heißt, dass der Betreuer den Betreuten dabei unterstützt, seine Angelegenheiten „rechtlich selbst zu besorgen“ und in § 1821 Abs. 2, S. 3 BGB, wo geschrieben steht: „rechtlich zu unterstützen“.352 Im Sinne einer Pyramide muss sich daher nach Rosenow folgende Kaskade für die Handlungen eines Betreuers gegenüber seinem Betreuten ergeben: Auf der obersten Stufe steht der Zwang nach §§ 1903, 1906,1906 BGB a. F. bzw. §§ 1825, 1831, 1832 BGB, auf der mittleren Stufe steht die Rechtsgeschäftliche Vertretung nach § 1902 BGB a. F. bzw. § 1823 BGB und auf der untersten Stufe steht die Beratung und Unterstützung des Betroffenen nach§ 1902 BGB a. F. bzw. § 1821 BGB wobei jeweils nach oben hin die Eingriffsintensität zunimmt und die Legitimität abnimmt bzw. ein höheres Begründungsbedürfnis auslöst.353 Den Aspekt aufgreifend ist jedoch schon fraglich, ob der staatliche Unterstützungsgedanke, wie er hier aber nun auch allumfassend im Betreuungsrecht zur Geltung kommen soll, nicht im Privatrecht systemfremd ist und mit dem reformierten Betreuungsrecht nicht nur der Versuch unternommen wird, die Vertretungsmacht „zu zähmen“, sondern die gesamte Grundintention des BGB in Frage zu stellen. Zur Erinnerung: die Regelungen zur Vormundschaft sind nur deshalb historisch in das BGB aufgenommen worden, weil es im ursprünglichen Sinne auch hier um eine Thematik ging, die frei von staatlichem Einfluss zur bürgerlichen Selbstentfaltung beitragen sollte, was traditionell innerhalb der Familie stattfand.354 Nur insofern ist auch der Anknüpfungspunkt an das Stellvertretungsrecht zu verstehen. Nunmehr stellt es sich jedoch so dar, dass der Staat vermehrt fürsorgerische Motive berücksichtigt wissen will, die de facto auch immer häufiger durch ein staatlich finanziertes Netz von Berufsbetreuern vollzogen werden, sodass sich noch deutlicher als zuvor die Systemfrage stellt.355 Zurecht wird zudem darauf hingewiesen, dass die romantische Vorstellung, dass der zivilrechtliche Betreuer zunächst zu milderen Formen der Fürsorge greifen 351

Kersting, BtPrax 2021, 203, S. 206. Dodegge, FamRZ 2022, 844, S. 845. 353 Rosenow, BtPrax 2021, 163, S. 165. 354 MüKo BGB / Koch, 9. Aufl., Einl. FamR, Rn. 40, 47. 355 So schon zum alten Recht Pitschas, FPR 2012, 61, S. 62; Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289? __blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 352

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muss, bevor er stellvertretend tätig wird, die oben skizzierte sog. Fakultativvertretung auch nach der jüngsten BGB-Reform kein verbindlicher Bestandteil des deutschen Rechts geworden ist und somit auch keine Sicherung vor ersetzender Entscheidung im Sinne von Art. 12 Abs. 4 UN-BRK darstellt.356 Der Gesetzgeber formuliert insofern selbst, dass es sich nach wie vor um „eine umfassende und bedingungslose Vertretungsmacht“ handelt,357 die eben nur mühsam im Innenverhältnis begrenzt wird. Hierbei fehlt es jedoch insbesondere an effektiven Überwachungs- und auch Dokumentationsmechanismen, sodass es nicht allein bei der Möglichkeit der Nichtvertretung bleibt. Für die niedrigschwelligen „anderen Hilfen“ ist, wie hier schon zuvor dargestellt, zuvorderst auf das Sozialrecht abzustellen.358 c) Prozessfähigkeit des Betreuten, § 53 ZPO Eine bisher wenig beachtete fehlende Kongruenz mit dem bestehenden Betreuungsrecht stellte bis zuletzt § 53 ZPO a. F. dar. Dieser regelte, dass die in einem Rechtsstreit prozessfähige Person, welche durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten wird, für den Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleichgestellt wird. Insofern bestand ein Automatismus, der bei geschäftsfähigen Betreuten dazu führte, dass ihre Rechtshandlungsfähigkeit ipso iure auf den Betreuer übertragen wurde, wenn dieser vertretend im jeweiligen Verfahren tätig wurde.359 Wie der Gesetzgeber zurecht erkannt hat, entsprach dies nicht mehr den Vorstellungen zum Selbstbestimmungsrecht Betroffener.360 Die Norm wurde daher noch als Relikt des alten Entmündigungsrechts bezeichnet.361 Die neue Regelung ist nun komplexer geworden und ordnet in einem ersten Schritt an, dass sich bei Personen, für die ein Betreuer bestellt ist, die Prozessfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften richtet, § 53 Abs. 1 ZPO. In einem zweiten Schritt kann der Betreuer jedoch in jeder Lage des Verfahrens gegenüber dem Prozessgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären, dass der Rechtsstreit fortan ausschließlich durch ihn geführt wird (Ausschließlichkeitserklärung) und sogleich der Betreute, wie schon in der alten Rechtslage für den weiteren Rechtsstreit einer nicht prozessfähigen Person gleichsteht. Der Betreuer kann die Ausschließlichkeitserklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen, § 53 Abs. 2 ZPO. Bei der Entscheidung des Betreuers, ob er die prozessuale Handlungsfähigkeit auf sich überträgt, ist er, jedenfalls nach der Gesetzesbegründung, an die Vorschriften über die Wunschbefolgungspflicht gebunden, § 1821 BGB.362 Dem Wortlaut des Gesetzes ist dies, 356

Rosenow, BtPrax 2021, 163, S. 172. BT-Drs.: 19/27287, S. 28. 358 Rosenow, BtPrax 2021, 163, S. 172; vgl. schon C. III. 1. c), vgl. S. 83 ff. 359 BT-Drs.: 19/27287, S. 27. 360 BT-Drs.: 19/27287, S. 27. 361 Kersting, BtPrax 2022, 115, S. 116. 362 BT-Drs.: 19/27287, S. 27. 357

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

bedauerlicherweise, nicht zu entnehmen, da es sich hierbei um eine materiell-rechtliche Frage handeln würde, die prozessual nicht zu regeln sei.363 Insofern drohen jedoch de lege ferenda Problemstellungen bei Abgabe der Ausschließlichkeitserklärung, vor allem bei der Bestimmung von Wunsch bzw. Wohl des Betreuten, die wir auch aus dem alten materiellen Recht kennen. Wenn der Gesetzgeber in seiner Begründung zur hiesigen Änderung der Zivilprozessordnung meint, dass eine Ausschließlichkeitserklärung vor allem dann in Betracht kommt, wenn die Gefahr bestehe, dass die jeweilige Prozesshandlung den Interessen des Betreuten zuwiderlaufe und ein erheblicher Schaden für den Betreuten drohe, ist das nichts anderes als die bisherige Definition der Wohlschranke. Die Änderung des § 53 ZPO war zunächst nicht Gegenstand des Referenten- oder Regierungsentwurfs, sondern wurde erst durch die Beratungen im Bundesrat und im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags eingefügt. Vorausgegangen waren Stellungnahmen unter anderem des Betreuungsgerichtstags, der darauf hinwies, dass auch in sozial- und verwaltungsrechtlichen Verfahrensvorschriften auf § 53 ZPO verwiesen werde und daher das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten auch im Rahmen der Leistungsverwaltung eingeschränkt werde, wenn diese von Gesetzes wegen verfahrensunfähig sind.364 In dieser Anpassung kann eine große Chance für die hier diskutierte Frage nach der Stärkung der Unabhängigkeit des Betreuten, aber auch einem veränderten Verständnis im Zusammenhang mit der Beantragung von Sozialleistungen bei den Sozialbehörden liegen. Der Betreute wird nun ermächtigt, zumindest teilweise eigenständig Anträge gegenüber den Behörden zu stellen.365 Zugleich besteht bei den Sozialbehörden aber auch die Notwendigkeit, sich individueller mit den Betroffenen selbst auseinanderzusetzen und nicht automatisch auf die Betreuer zu hoffen bzw. auf die rechtliche Betreuung zu verweisen. Die Sozialbehörden sind somit zuvorderst selbst in der Pflicht, Assistenz bei der Beantragung von Leistungen bereitzustellen und Beratung und Unterstützung aus einer Hand zu gewährleisten.366 Insofern findet dann auch prozessual der Grundsatz „Unterstützen vor Vertreten“ Einzug in das Recht.367 Die Konstruktion erinnert an das Verhältnis der Vertretungsmacht vor und nach Erlass eines Einwilligungsvorbehalts, § 1825 BGB, im Rahmen des materiellen 363

BT-Drs.: 19/27287, S. 29. Stellungnahme des BGT Betreuungsgerichtstag e. V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 23. Juni 2020, Stand: 10. 08. 2020, S. 11 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BGT_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=B5EEF54063 ED2DA2EBB83F1D398CA3D9.1_cid324?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 365 Kersting, BtPrax 2021, 203, S. 208. 366 Thar, BtPrax 2022, 8, S. 15. 367 Schnellenbach / Normann-Scheerer / Loer, BtPrax 2021, 83, S. 90. 364

III. Regelungsinhalte

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Rechts. Es besteht insofern bis zur Abgabe der Ausschließlichkeitserklärung eine prozessuale Doppelkompetenz, die wie die materiell-rechtliche Doppelkompetenz rechtsgültige Handlungen sowohl des Betreuten als auch des Betreuers ermöglicht.368 Denn auch wenn der Betreuer die Ausschließlichkeitserklärung im Sinne des § 53 Abs. 2 ZPO nicht gegenüber dem Gericht abgibt, kann und muss er selbstverständlich im Rahmen seiner Vertretungsmacht gem. § 1823 BGB prozessbegleitend tätig werden.369 Es ist höchst fraglich, ob die nunmehr bereits durch die wachsenden Aufgaben der Betreuungsbehörden, der verpflichtenden finanziellen Ausstattung der Betreuungsvereine und dem Wunsch nach einer stärkeren Bereitstellung von „anderen Hilfen“ noch genügend (finanzieller) Spielraum und der politische Wille bei Ländern und Kommunen besteht, die Fachbehörden mit den notwendigen Ressourcen auszustatten, dass sie dieser Beratungsaufgabe gerecht werden können.370 4. Beratung und Aufsicht durch das Gericht, §§ 1861 BGB ff. Auch wenn der Begriff heute nicht mehr verbreitet ist, übt das Betreuungsgericht weiter die „Obervormundschaft“ aus, also nicht nur die oberste Aufsicht und Kontrolle über die Aktivitäten der Betreuer und aller Beteiligten, sondern ihm obliegt auch die abschließende Entscheidungskompetenz, beispielsweise über Bestellung und Abberufung von Betreuern.371 Wie aufgezeigt, entwickelte sich diese Obervormundschaft in Deutschland von der Sippe über die Vormundschaft des Königs im Mittelalter und der frühen Neuzeit hin zur Vormundschaft als gesamtstaat­ lichem Auftrag in den deutschen Ländern, allen voran im ALR und später dann mit der V. O. und dem BGB zu einer primär den Gerichten zugewiesenen Aufgabe.372 Insofern spricht die Gesetzesbegründung zur jüngsten Reform des Rechtsgebiets auch heute noch von der Garantenstellung der Gerichte.373 Weil es sich mit der Rechtsprechung stets um einen erheblichen Grundrechtseingriff handelt, ist die gerichtliche Entscheidung über die Betreuungsbedürftigkeit notwendig.374 Insofern hat das Gericht auch im Rahmen einer Amtsermittlung, § 26 FamFG, die Pflicht zu einer umfassenden Untersuchung, ob die Voraussetzungen einer Betreuung vorliegen – auch wenn sie im Wege der einstweiligen Anordnung verfügt wird.375 Das Gericht ist auch grundsätzlich verpflichtet, den Betroffenen 368

Schnellenbach / Normann-Scheerer / Loer, BtPrax 2021, 83, S. 90. BT-Drs.: 19/27287, S. 28. 370 Thar, BtPrax 2022, 8, S. 15. 371 BT-Drs.: 19/24445, S. 141. 372 Vgl. schon B. I. 1. und 2. 373 BT-Drs.: 19/24445, S. 141. 374 Ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler: BGH, NJW 2015, S. 1666 sowie BVerfG, NJW 2010, S. 3360. 375 BVerfG, NJW 2010, S. 3360. 369

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

selbst anzuhören, wenn es nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1  GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1  GG verstoßen möchte.376 Das Gericht ist Dreh- und Angelpunkt im deutschen Betreuungsrecht und erfüllt vor allem durch die Gewährung dieses rechtlichen Gehörs den Schutzzweck zugunsten der Betroffenen.377 Hinzutreten die Berichtspflichten des Betreuers gegenüber dem Gericht, die Genehmigungserfordernisse für einige Rechtsgeschäfte und die Sanktionsmöglichkeit bei Pflichtverletzung. Wie der Gesetzgeber nun zurecht in seiner Gesetzesbegründung zur jüngsten Reform anmahnt, wurde in den von ihm angestoßenen Forschungsvorhaben zur Evaluation des Betreuungsrechts jedoch festgestellt, dass bei den Gerichten teils gravierende Mängel in der Sensibilität im Umgang mit Betroffenen, aber auch bei der Kenntnis des Betreuungsrechts vorliegen.378 Insbesondere fiel dabei auf, dass die Gerichte nur selten die verpflichtenden Jahresberichte der Betreuer, bisher § 1908i Abs. 1, S. 1 BGB a. F. i. V. m. § 1840 Abs. 1 BGB a. F., durch zusätzliche Auskünfte oder inhaltliche (stichprobenartige) Kontrollen prüften379 und bei Feststellung von möglichen Pflichtverletzungen selten den Betroffenen selbst anhörten, sondern v. a. den Betreuer befragten.380 Brisant wird der Umstand vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass die bei den Gerichten zuständigen Rechtspfleger381 bei der Befragung im Rahmen des Forschungsvorhabens angaben, dass in einer nicht geringen Anzahl von Fällen – zusammengerechnet bei immerhin 64 % der den Berufsbetreuern übertragenen Fälle und bei ehrenamtlichen Betreuern zu 40 % – Pflichtverletzungen bzw. der Verdacht auf solche wegen des Fehlens des persönlichen Kontakts festgestellt wurden.382 Insofern müssen sich auch die Gerichte den Vorwurf gefallen lassen, hier nicht hinreichend das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten geachtet zu haben und dem bisher schon geltenden Grundsatz der persönlichen Betreuung folgend, Missstände in Kauf genommen zu haben.

376

BVerfG, NJW 2016, S. 2559. MüKo FamFG / Schmidt-Recla, 3. Aufl., 2019, § 278, Rn. 1. 378 BT-Drs.: 19/24445, S. 141. 379 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 225, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 380 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 616 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungs bericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 381 In Betreuungssachen sind für die Verfahren grds. gem. § 3 Nr. 2b RPflG Rechtspfleger zuständig, Richter hingegen nur in den Fällen des § 15 RPflG. 382 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 227, Abb. 165 („Feststellung von oder Verdacht auf Pflichtverletzungen bei der Häufigkeit des persönlichen Kontakts durch Prüfung des Berichts“), abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Service/Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf?__ blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 377

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a) Obervormundschaftliche Kontrolle und Aufsicht, § 1862 BGB Dies berücksichtigend hat der Gesetzgeber nunmehr auch im materiellen Recht deutlicher hervorgehoben, dass auch das Betreuungsgericht, den Maßstäben des § 1821 Abs. 2 bis 4 BGB entsprechend, die Wünsche des Betreuten bei seiner Kontroll- und Aufsichtsfunktion beachten muss, § 1862 Abs. 1, S. 2 BGB, und hierfür den Betroffenen grundsätzlich persönlich anzuhören hat, § 1862 Abs. 2 BGB wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betreuer den Wünschen des Betreuten nicht oder nicht in geeigneter Weise nachkommt.383 Diese Anhörungspflicht ist neu im Gesetz. In der bisherigen Referenznorm aus dem Vormundschaftsrecht, § 1837 BGB a. F., der über § 1908i BGB a. F. auf das Betreuungsrecht Anwendung fand, war die Aufsichts- und Kontrollfunktion des Gerichts vor allem auf den Erlass von Ge- und Verboten gegenüber dem Betreuer ausgerichtet und sollte gem. § 1837 Abs. 2, S. 2 BGB a. F. die Einhaltung der erforderlichen persönlichen Kontakte des Vormunds bzw. Betreuers gegenüber dem Mündel bzw. Betreuten sicherstellen. Sehr anschaulich demonstriert diese nunmehr auch materiell-rechtlich normierte Verpflichtung zu persönlichem Kontakt des Gerichts zu den Betreuten ein evolvierendes Verständnis der Obervormundschaft. Es scheint so, als sei eine stärkere aktive Beteiligung des Gerichts an der Führung der Vormundschaft statt bloß passiver Überwachung gewünscht. Die Gesetzesbegründung spricht hier mithin sogar davon, dass „der Betreute ‚seinen‘ Rechtspfleger“ kennen“soll und damit das Betreuungsgericht nicht mehr nur als „gesichtslose Institution“ wahrgenommen wird.384 Dabei stand schon die bisherige gerichtliche Kompetenznorm des § 1837 BGB a. F. und nun auch die neuen §§ 1861, 1862 BGB in der Rechtstradition der Preußischen Vormundschaftsordnung und hier § 51 V. O. Bei dieser galt noch, dass „eine unmittelbare Einmischung in die Verwaltung und Erziehung als Privatangelegenheit liegt der Oberaufsicht an sich fern. Der Richter, welcher selbst die Vormundschaft verwaltet, steigt von der ihm zugewiesenen Stufe herunter und vereitelt den eigentlichen Zweck der Obervormundschaft die Oberaufsicht. Alle gerügten Übelstände fallen weg, wenn man die richterliche Tätigkeit in Vormundschaftssachen auf das richtige und in der Sache liegende

383

Ausnahmsweise kann diese unterbleiben gem. § 1862 Abs. 2, 2. Hs. BGB, wenn sie nach der Gesetzesbegründung für einen Erkenntnisgewinn nicht geeignet oder nicht erforderlich ist, oder wenn eine der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 FamFG vorliegt, BT-Drs.: 19/24445, S. 142. 384 BT-Drs.: 19/24445, S. 301; der Bund Deutscher Rechtspfleger weist jedoch zurecht darauf hin, dass eine nicht geringe Gefahr besteht, dass bei (nicht seltenen) Wechsel der Geschäftsverteilung, die Regelung ausgehöhlt werden könnte, weil das angestrebte persönliche Verhältnis nicht erreicht werden kann, Stellungnahme des Bund Deutscher Rechtspfleger zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für den Verbraucherschutz zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_ Stellungnahme_BDR_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=438E879905B84D594E3630E1C E8CA891.2_cid324?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Maß auf die Wahrnehmung der Obervormundschaft beschränkt. Dann verwaltet der Vormund kraft des Gesetzes die ihm übertragene Vormundschaft selbstständig und mit eigener Verantwortlichkeit. […] Die Tätigkeit des Vormundes, wie des Gegenvormundes findet übrigens in der Rechnungslegung die beste Kontrolle.“385

Das BGB hielt hieran fest und versuchte sich in einem Interessenausgleich, nämlich die „Selbstständigkeit des Vormunds“ nicht zu sehr einzuschränken und der obervormundschaftlichen Verantwortung „durch geeignete Gebote und Verbote“ gerecht zu werden.386 Es herrschte die Auffassung vor, dass „der Schwerpunkt in der Fürsorge“ beim Vormund liege, „der bei seiner Amtsführung möglichst selbstständig gestellt wird und die Verwaltung grundsätzlich selbstverantwortlich zu führen hat“ und das Vormundschaftsgericht auf die Aufsicht beschränkt ist.387 Erst mit der Reform des Jahres 1992 fand sich erstmals eine stärkere Betonung des Fürsorgecharakters der Gerichte, was sich vor allem in einer Beratungspflicht offenbarte, § 1837 Abs. 1, S. 1 BGB a. F.388 Formal heißt es nun auch in der jüngsten Gesetzesbegründung weiter, dass der Betreuer grundsätzlich selbständig und eigenverantwortlich über jede einzelne Maßnahme im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises entscheidet und das Gericht hierbei nur die allgemeinen Grundsätze der Betreuungsführung überwacht.389 Nichtsdestotrotz kann die nunmehr mit dem neuen § 1862 Abs. 2 BGB eingefügte weitreichende Anhörungspflicht als eine Art vorsichtiger Vorstoß für eine stärkere Kompetenzübertragung gegenüber den Gerichten in Fragen der Fürsorge verstanden werden und damit als eine behutsame Abkehr von den althergebrachten Prinzipien der gerichtlichen Zurückhaltung gegenüber den Betreuern.390 Natürlich geht dies noch nicht so weit, wie das Allgemeine Preußische Landrecht einst das Verhältnis zwischen Vormund und Obrigkeit verstand: „II 18 § 235 ALR: In allen diesen Beziehungen sind die Vormünder als Bevollmächtigte des Staats anzusehn.

385

BeckOGK BGB nF VormR / BetR 2023/Gietl, § 1862, Rn. 7; Otte, Preußische Vormundschaftsordnung, 1876, S. 62. 386 Motive BGB, 1888, Band IV, S. 1026. 387 Lehmann, Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft, S. 235. 388 BeckOGK BGB nF VormR / BetR 2023/Gietl, § 1862, Rn. 13. 389 BT-Drs.: 19/24445, S. 298. 390 Insoweit kritisiert bspw. auch die BAG Selbsthilfe, dass u. a. durch die vorgesehene Prüfung der Eignung der Betreuer u. U. zu mehr staatlicher bzw. gerichtlicher Einflussnahme führt und damit auch die Entscheidungskompetenz des Betreuten selbst beschränkt: Stellungnahme der BAG Selbsthilfe zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 03. 08. 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/080320_ Stellungnahme_BAG_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=633DEB6227A7649DCED63F99 8840F1CD.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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II 18 § 236 ALR: Sie sind also schuldig, sich bey Führung ihres Amts nach den Vorschriften der Gesetze, und den besondern Anweisungen des vormundschaftlichen Gerichts, sorgfältig zu achten. II 18 § 237 ALR: Das Gericht ist, sie dabey zu dirigiren, und unter beständiger Aufsicht zu halten, befugt und verpflichtet.“

Nichtsdestotrotz sorgte allein die Einfügung der erweiterten Anhörungspflicht im Rahmen des § 1862 Abs. 2 BGB während der Erarbeitung des neuen Gesetzes für Streit. Die zunächst im Referentenentwurf angedachte uneingeschränkte Obliegenheit zur Anhörung stieß auf Widerstand.391 Insbesondere nach Kritik der Länder und der Sorge vor Überlastung der Gerichte wurde das Anhörungsrecht zeitnahe wieder eingeschränkt, sodass § 1862 Abs. 2, 2. Hs. BGB nunmehr eine Ausnahme formuliert: „es sei denn, die persönliche Anhörung ist nicht geeignet oder nicht erforderlich, um die Pflichtwidrigkeit aufzuklären.“392

Vor allem der Bundesrat betonte, dass der im Entwurf noch vorgesehene zwingende Charakter der Anhörung „zu starr und daher nicht angemessen“ sei und „schließlich […] niemandem geholfen [sei], rein formalen Anhörungen – egal, ob es im konkreten Fall Sinn mach[e] oder nicht – durchzuführen, nur weil das Gesetz dies zwingend vorschreib[e].“393

Ein sehr fragwürdiges Verständnis, zumal es hier nicht um Anhörungen im Rahmen von Erstbestellungen ging, vgl. insofern § 278 Abs. 1, S. 1 FamFG, bei denen man noch weitere Beweismittel zur Verfügung hat, sondern um Verdachtsmomente einer Pflichtverletzung, bei denen nach hiesiger Auffassung keine Anhörung zu viel sein kann. Die neue Regelung räumt den Gerichten viel Ermessen ein und lässt am Ende befürchten, dass sich an dem vom Forschungsvorhaben skizzierten Zustand insbesondere bei zunehmender Personalknappheit und zusätzlichen Aufgaben der Gerichte wenig ändert. Insofern ist auch im Interesse des Betroffenen Zurückhaltung geboten.394 Gleichzeitig weisen die Rechtspfleger schon fast hilferufend mit Recht darauf hin, dass die ohnehin gestiegenen Anforderungen an sie kaum zu bewältigen seien und ihrer Auffassung nach: „[d]ie Mehrbelastung im Zusammenhang mit allen künftig erforderlichen persönlichen Anhörungen und Kontaktaufnahmen, sei es im Einzelfall auch nur, um festzustellen, dass eine Willensäußerung nicht mehr möglich ist […] einen erheblichen personellen Mehrbedarf erfordern [werde]“ 391 RefE: Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 25. 06. 2020, S. 53, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Dokumente/RefE_Vormundschaft_Betreuungsrecht.pdf;jsessionid=A9F237001B855C5753A A97A9596C2B56.2_cid324?__blob=publicationFile&v=3, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 392 Schnellenbach / Normann-Scheerer / Loer, BtPrax 2021, 83, S. 87. 393 BT-Drs.: 19/24445, S. 429. 394 BeckOGK BGB n. F. VormR / BetR 2023/Gietl, § 1862, Rn. 42.

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

und bisher nicht ausreichend kompensiert wird.395 Ein Grundproblem, das sich durch alle hier angesprochenen Bereiche zieht. Wie bereits dargelegt, hat das Gericht künftig stärker auf die Wünsche des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Dies gilt vor allem auch bei der Auswahl des Betreuers, bei der ebenfalls die Wunschbefolgungspflicht für das Gericht im Vordergrund steht, § 1816 Abs. 2 BGB. Das Gericht soll hierbei auch kein Ermessen haben, sondern nur einen Beurteilungsspielraum, bei dem es unter anderem zu prüfen hat, ob dem Wunsch des Betroffenen unter Umständen die Gründe des §§ 21 und 23 BtOG entgegenstehen, also die Eignung des Betreuers ernsthaft in Frage steht.396 Im Rahmen der auch bisher schon notwendigen Anhörung bei Bestellung des Betreuten muss das Betreuungsgericht die Plausibilität bzw. den Ursprung der Wünsche aktiv prüfen, um eine Fremdbeeinflussung auszuschließen.397 Dafür heißt es nunmehr in § 278 Abs. 1, S. 1 FamFG, dass das Gericht den Betroffenen nicht mehr nur persönlich anhören muss, sondern sogar aktiv „dessen Wünsche zu erfragen“ hat. Auch hier wird dem Gericht eine deutlich proaktivere Rolle als bisher zugeschrieben. In § 278 Abs. 2 FamFG ist näher genannt, was konkret das Gericht bei der Anhörung im Rahmen des Bestellaktes zu erörtern hat: das Ergebnis des übermittelten (psychologischen) Gutachtens, die Person oder Stelle, die als Betreuer in Betracht kommt, den Umfang des Aufgabenkreises und den Zeitpunkt, bis zu dem das Gericht über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts zu entscheiden hat. Bei der Bestellung des Betreuers selbst muss das Gericht dann im Beschluss den Aufgabenkreis des Betreuers unter Benennung der einzelnen Aufgabenbereiche festlegen, § 286 Abs. 1 Nr.1 FamFG.398 Zur Bestimmung des Aufgabenkreises findet im Vorfeld eine umfassende Beweisaufnahme statt, im Rahmen derer unter anderem ein medizinisches Gutachten einzuholen ist, § 280 FamFG, sowie der Betroffene und die Beteiligten angehört werden müssen. 395 Stellungnahme des Bund Deutscher Rechtspfleger zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für den Verbraucherschutz zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 13, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_BDR_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=438E879905B84D594E3630E1CE8CA891.2_cid324?__ blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 396 Stellungnahme des Bund Deutscher Rechtspfleger zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für den Verbraucherschutz zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 13, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_BDR_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=438E879905B84D594E3630E1CE8CA891.2_cid324?__ blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); BT-Drs.: 19/24445, S. 238. 397 Reh, FamRZ 2022, 673, S. 675; Mazur, BtPrax 2021, 128, S. 132; BGH, FGPrax 2011, S. 77. 398 Zu den neuen Begrifflichkeiten, vgl. schon C. III. 1. e), vgl. S. 91.

III. Regelungsinhalte

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b) Berichtspflichten, § 1863 BGB Neben dem bereits oben erwähnten Jahresbericht des Betreuers, welcher künftig in seinem Umfang noch ausgeweitet wird, § 1863 Abs. 3 BGB, unter anderem hinsichtlich der Umsetzung der bisherigen Betreuungsziele und Darstellung der bereits durchgeführten und beabsichtigten Maßnahmen, insbesondere solcher gegen den Willen des Betreuten, Abs. 3 Nr. 2, den Gründen für die weitere Erforderlichkeit der Betreuung und ggf. des Einwilligungsvorbehalts, insbesondere auch hinsichtlich des Umfangs, Abs. 3 Nr. 3, bei einer beruflich geführten Betreuung die Mitteilung, ob die Betreuung zukünftig ehrenamtlich geführt werden kann, Abs. 3 Nr. 4 sowie die Sichtweise des Betreuten zu den Sachverhalten nach den Nummern 1 bis 4, Abs. 3 Nr. 5,399 soll es künftig auch einen verpflichtenden Anfangsbericht geben, § 1863 Abs. 1 BGB. Der Gesetzgeber meint, dass dieses bisher nur in Form des ausnahmsweise angeordneten Betreuungsplans für Berufsbetreuer existierende Instrument, § 1901 Abs. 4, S. 2 BGB a. F., nunmehr verpflichtend zu Beginn der Betreuung eingeführt werden sollte.400 Der Anfangsbericht hat gem. § 1863 Abs. 1, S. 2 BGB insbesondere Angaben zur persönlichen Situation des Betreuten, den Zielen der Betreuung, bereits durchgeführte und beabsichtigte Maßnahmen hinsichtlich der Wiederherstellung bzw. Verbesserung der Fähigkeiten des Betreuten und den Wünschen des Betreuten hinsichtlich der Betreuung zu enthalten. Der Bericht soll bereits innerhalb der ersten drei Monate beim Gericht eingereicht werden, § 1863 Abs. 1, S. 4 BGB, was teilweise als verführt angesehen wird, insbesondere wenn es darum ginge, aus einem Vertrauensverhältnis heraus, Wünsche abzuleiten.401 Die seit Jahrhunderten stets bekräftigte Selbständigkeit der Vormünder wird im Rahmen ihrer Eigenverantwortlichkeit immer stärker einer Kontrolle ausgesetzt, – zum (vermeintlichen) Wohle, jetzt Wunschbefolgung des Betreuten. Sogleich werden daraus neue Herausforderungen erwachsen. So weisen bereits einige Berufsbetreuer darauf hin, dass die Aufsicht des § 1862 Abs. 1 BGB nur als „Rechtsaufsicht“ verstanden werden kann, weil sie anzweifeln, dass diejenigen, welche die Aufsicht bei den Gerichten regelmäßig führen, die Rechtspfleger,402 geeignet sind, eine qualifizierte Fachaufsicht auszuüben.403 Man meint, dass mit 399

Dodegge, FamRZ 2022, 844, S. 850. BT-Drs.: 19/24445, S. 300. 401 Stellungnahme des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 20. 09. 2020, S. 13, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/ 2020/Downloads/092020_Stellungnahme_Angehoerigenbeirat_im_CBP_RefE_Vormundschaft. pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile &v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 402 BeckOGK BGB nF VormR / BetR 2023/Gietl, § 1862, Rn. 64. 403 Stellungnahme des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 400

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

den zusätzlichen Qualifikationsanforderungen an Berufsbetreuer gem. §§ 23, 24 BtOG, dem Gericht schlicht die „Kompetenz fehlen“ würde.404 Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Jedenfalls wird es für die Gerichte künftig immer schwieriger, eine probate Aufsicht zu gewährleisten, ohne aktiv einzugreifen, wenn Anforderungen und Qualifikation in der Justiz nicht im selben Maße mitwachsen, wie wir es unterdessen von den Betreuern fordern.405 Die Berufsbetreuer verlangen deshalb bereits seit mehreren Jahren eine eigenständige Betreuerkammer, ähnlich den Rechtsanwalts- und Ärztekammern, welche die „Berufspflichten“ der Betreuer überwacht.406 Inzwischen dürfte die Einrichtung solch einer berufsständischen Kammer zumindest vorstellbarer geworden sein, als dies bisher der Fall war. So waren sich die Berufsbetreuer zunächst selbst nicht einig, welche Qualitätsanforderungen und Voraussetzungen für ihre, zunächst qua faktischer Tätigkeitsübernahme, anfallenden Aufgaben gelten sollten.407 Dies stellte sie genau wie die Gerichte stetig vor die Frage, was einen rechtlichen [sic!] Betreuer im Kern ausmacht.408 Relevant wurde dies nicht nur bei der Bestellung und dem Tätigsein an sich, sondern beispielsweise auch bei der Auslegung der unbestimmten Entlassungsgründe, etwa der Nichteignung und der Pflichtverletzung gem. § 1908b Abs. 1 BGB a. F., jetzt § 1868 Abs. 1 BGB.409 Mit den nun vorgeschriebenen Qualitätsanforderungen in §§ 23, 24 BtOG und der BtRegV dürften zumindest diese Fragen – trotz Aufrecht09. 08. 2020, S. 18, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/080920_Stellungnahme_BVfW_RefE_Vormundschaft.pdf;j sessionid=EC1246687FF358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 404 Stellungnahme des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts, Stand: 09. 08. 2020, S. 18, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/080920_Stellungnahme_BVfW_RefE_Vormundschaft.pdf;j sessionid=EC1246687FF358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 405 Stellungnahme des Bundesverbands der Berufsbetreuer / innen (BdB) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 12, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BDB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=EC1246687 FF358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 406 Stellungnahme des Bundesverbands der Berufsbetreuer / innen (BdB) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 12, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/081020_Stellungnahme_BDB_RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=EC1246687F F358E2BD080C1895431956.2_cid505?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022) sowie vgl. v. a. Kluth, in kompass, 2/2016, 8, S. 8 ff. 407 Merchel, BtPrax 2007, 12, S. 13. 408 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1908b, Rn. 11. 409 BeckOGK BGB / Schmidt-Recla, 01. 02. 2022, § 1908b, Rn. 11.

III. Regelungsinhalte

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erhaltung der hiesigen Skepsis am Anforderungskatalog in Bezug auf die stetige Professionalisierung410 – einer besseren Klärung zugeführt sein. Was im Ergebnis besonders deutlich hervortritt, ist eine nach hiesiger Auffassung getroffene Fehlentscheidung im Rahmen des gesetzgeberischen Prozesses. Wie die Gesetzesbegründung darlegt, hatte man durchaus erkannt und offenbar auch debattiert, dass die Gerichte nicht (mehr) der richtige Ort für die Verortung der Aufsicht und Kontrolle sind  – jedenfalls nicht in diesem zusätzlichen Ausmaß.411 Als Alternative wurde die Betreuungsbehörde vorgeschlagen. Strukturell und organisatorisch hätte dies einen Gewinn dargestellt. Auch wenn argumentiert wurde, dass man Bestellung und Kontrolle in einer Hand halten wollte, bedeutet dies keinen Widerspruch, wozu später noch ausgeführt werden soll. c) Beratungsfunktion, § 1861 BGB Besonders deutlich wird diese strukturelle Frage auch bei der Beratungsfunktion der Betreuungsgerichte, welche nunmehr prominent zu Beginn des entsprechenden Untertitels genannt ist, § 1861 Abs. 1 BGB. Durch das maßgeblich durch die UN-BRK verankerte Prinzip der „Unterstützung vor Vertretung“ soll nach der gesetzgeberischen Intention auch das Betreuungsgericht künftig stärker als bisher eine beratende Rolle gegenüber den im Betreuungsrecht Beteiligten einnehmen. Auch zuvor schon kam dem Gericht im Rahmen des § 1837 Abs. 1 BGB a. F., der über § 1908i Abs. 1, S. 1 BGB a. F. auf das Betreuungsrecht Anwendung fand, eine ähnliche Rolle zu: „Das Familiengericht berät die Vormünder. Es wirkt dabei mit, sie in ihre Aufgaben einzuführen.“ Im Unterschied zur bisherigen Regelung soll das Betreuungsgericht sämtliche Betreuer nun ausdrücklich über deren Rechte und Pflichten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beraten, § 1861 Abs. 1 BGB, sowie nach § 1861 Abs. 2 BGB ehrenamtliche Betreuer im Rahmen einer neuen materiell-rechtlichen Regelung mündlich verpflichten, bisher § 289 Abs. 1 FamFG a. F. Der Gesetzgeber betont, dass die Gerichte weiterhin nicht die Aufgabe hätten, vertieft über allgemeine Rechtsfragen zu beraten, etwa sozialrechtlicher Art, sondern lediglich zu betreuungsrechtlichen Fragen im Rahmen der Amtsführung.412 Der Betreuer führe sein Amt selbständig aus, sodass das Gericht dem Betreuer auch keine konkreten Vorgaben machen dürfe, wenn diesem mehrere rechtmäßige Optionen offenständen.413 Wie konkret dann jedoch insbesondere auch im Unterschied zu den Betreuungsbehörden und Betreuungsvereinen die Betreuungsgerichte beratend tätig sein sollen, bleibt weitestgehend offen.

410

Vgl. insofern schon C. III. 2. e) aa), vgl. S. 123 f. BT-Drs.: 19/24445, S. 296. 412 BT-Drs.: 19/24445, S. 296. 413 BT-Drs.: 19/24445, S. 296. 411

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Im Unterschied zu den Betreuungsbehörden und hier vor allem § 8 BtOG i. V. m. § 5 Abs. 1 BtOG berät das Gericht zuvörderst den Betreuer und nicht den Betroffenen selbst.414 Dies entspricht der Auffassung, dass das Gericht nicht aktiv in die Betreuungsführung eingreifen soll, sondern lediglich auf Bitten des Betreuers beratend hinsichtlich von Verfahrensfragen tätig wird.415 Auch die Betreuungsvereine beraten insofern zuvörderst gemäß § 15 Abs. 1, S. 1 Nr. 3 BtOG die (ehrenamt­lichen) Betreuer und nicht die Betreuten selbst. Auch dies ist Ausdruck der obrigkeitlichen Zurückhaltung gegenüber dem Tätigwerden des Betreuers im Rahmen seiner selbständigen, dem Stellvertretungsrecht folgenden Amtsführung.416 Es ist fraglich, inwieweit diese Zurückhaltung vor allem gegenüber Berufsbetreuern noch trägt. Insbesondere im Rahmen der Forschungsstudie zur Qualität in der rechtlichen Betreuung in Deutschland würde überraschend deutlich, dass eine große Anzahl von Betreuern regelmäßig in irgendeiner Form Beratung in Anspruch nimmt, insgesamt 70 % aller Betreuer im Jahr 2016.417 Auch wenn diese Beratung nicht immer nur gegenüber den Betreuungsgerichten oder Behörden erbeten wurde, stellte auch diese Art von Unterstützung immerhin 60 % der Anfragen dar.418 Leider ist in der Evaluation nicht erkennbar, um welche Art von Unterstützungsbegehren es sich handelte. Zufrieden mit den Beratungsangeboten waren zwar 80 % der Fremdbetreuer, aber nur 65 % der Angehörigenbetreuer.419 Auch hier ist bedauerlicherweise nicht erkenntlich, warum insbesondere bei den ehrenamtlichen Angehörigen nur eine teilweise Zufriedenheit bekundet wird und wo genau die Probleme liegen. In diesem Zusammenhang hat die jüngste Reform auch nur bedingt Veränderungen gebracht. Die Beratungspflicht des Gerichts gegenüber den Betreuern soll zumindest in der Intention des Gesetzgebers nicht mehr nur für den Bestellungsakt allein, sondern über die gesamte Dauer der Betreuung bestehen.420

414 Vgl. zum Umfang der Beratungspflicht der Betreuungsbehörde schon C. III. 1. d), vgl. S. 89 f. 415 BeckOGK BGB nF VormR / BetR 2023/Gietl, § 1861, Rn. 7 u. 12. 416 MüKo BGB / Schneider, 8. Aufl., § 1908i, Rn. 31. 417 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 151, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 418 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 152, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 419 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 164 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 420 BT-Drs.: 19/24445, S. 297.

III. Regelungsinhalte

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Verbindlich festgelegt ist nunmehr zudem, dass die Betreuungsvereine für die Beratung der ehrenamtlichen Betreuer zuständig sind, § 15 Abs. 1, S. 1 Nr. 3 BtOG. Wie oben dargelegt, gibt es jedoch keine Pflicht für ehrenamtliche Betreuer, sich im Rahmen einer dauerhaften Vereinbarung an einen Betreuungsverein zu binden, § 22 Abs. 2 BtOG,421 sodass schon fraglich ist, ob insbesondere die ehrenamtlichen Angehörigenbetreuer nun vermehrt auf die Betreuungsvereine zugehen werden oder ob wie bisher eine nicht geringe Anzahl dieses Betreuertypus, immerhin 8 %, weiterhin nicht wissen, an wen sie sich bei Beratungsbedarf wenden sollen.422 Auch für den Betreuten selbst fehlt es an einer überzeugenden, niedrigschwelligen Beratungsstelle, zumal er, wie dargelegt, jedenfalls gemäß § 1861 Abs. 1 BGB keinen Anspruch auf Beratung durch das Betreuungsgericht hat. Wie Lipp zurecht anmerkt, bleibt dem Betreuten insofern lediglich ein förmlicher Rechtsbehelf gegenüber dem Gericht, was unzweifelhaft nicht praktikabel ist.423 Lipp schlug daher während der öffentlichen Anhörung zum Gesetz vor, den § 1861 Abs. 1 BGB insoweit zu ergänzen, dass es heißen sollte: „(1) Das Betreuungsgericht unterstützt den Betreuer und berät den Betreuer und den Betreuten über ihre Rechte und Pflichten […].“

421

Vgl. zur Problematik schon: C. III. 2. d) dd), vgl. S. 118. ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Stand: 05. 04. 2018, S. 165, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/ Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.html, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); weshalb u. a. die CBP gerne aus der „Soll-Vorschrift“ eine „Muss-Vorschrift“ gemacht hätte, vgl. insofern: Stellungnahme des Beirats der Angehörigen im Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschaft- und Betreuungsrechts, Stand: 20. 09. 2020, S. 5, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/092020_Stellungnahme_Angehoerigenbeirat_im_CBP_ RefE_Vormundschaft.pdf;jsessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289? __blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 423 Volker Lipp, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts vom 23. Juni 2020, Stand: 24. 08. 2020, S. 6, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/ Downloads/082320_Stellungnahme_Volker-Lipp_RefE_Vormundschaft.pdf?__blob=publication File&v=4, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022); ähnlich in Bezug auf eine einheitliche niedrigschwellige Beschwerdestelle für Betroffene: Stellungnahme des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand: 10. 08. 2020, S. 25 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_Stellungnahme_BeB_RefE_Vormundschaft.pdf;j sessionid=5DB537289F50ECD62C48EA1EC6D3E0F8.1_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022) und Stellungnahme des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, Stand:10. 08. 2022, S. 15, abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/081020_ Stellungnahme_BVKM_RefE_Vormundschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 422

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

Der Gesetzgeber griff dies nicht auf. Insbesondere in Anbetracht des so oft zitierten Grundsatzes aus Art. 12 Abs. 3 UN-BRK, Maßnahmen zur Unterstützung zu schaffen, die Menschen mit Behinderungen bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit ggf. benötigen, das sog. „supported decision making“, stellt dies einen Widerspruch dar. Im deutschen Betreuungsrecht herrscht offenbar weiter die Auffassung vor, dass zuvörderst der Betreuer die notwendige Unterstützung und Beratung des Betreuten leistet. Dies widerspricht jedoch sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der Konvention. Es werden hier zuallererst die Vertragsstaaten verpflichtet, probate Möglichkeiten im Recht zu schaffen, die eine gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen ermöglicht und sie dabei vor allem in ihrer eigenen Willensbildung unterstützt. Dies wird auch in anderen von der UN-BRK geregelten Bereichen deutlich, in denen beispielsweise klar formuliert ist, dass die Vertragsstaaten Rechtsvorschriften zu erlassen haben, die „Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungsprogrammen“ ermöglicht, Art. 27 Abs. 1 Nr. 4 UN-BRK oder auch, dass in Armut lebenden Menschen mit Behinderungen und ihren Familien ausreichende Schulungsmaßnahmen und Beratung im Umgang mit staatlichen Hilfen zur Verfügung stehen, Art. 28 Abs. 2 Nr. 3 UN-BRK. Wie zurecht festgestellt wird, ist das deutsche Betreuungsrecht insofern nur mit der UN-BRK vereinbar, wenn man die Stellvertretung als ein Akt der unterstützten Entscheidungsfindung begreift, die vor der Ausübung der nach außen gerichteten Vertretungsmacht intern mit dem Betreuten erörtert hat, was der Betreute wünscht und nur entlang dieses Maßstabs handelt.424 Dieses Konstrukt stößt jedoch an seine Grenzen, wenn der Betreute nicht umfassend beraten ist, um eine eigene Willensbildung herbeizuführen und unter Umständen der Betreuer nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die notwendige Beratung zu leisten. Die Frage, an wen sich der Betreute dann wenden soll, blieb auch in der jüngsten Reform vollständig unberücksichtigt. Wie dargelegt, gibt es jedenfalls für die Gerichte keine Pflicht, den Betreuten zu beraten, sondern sogar ein Gebot der Zurückhaltung, wenn es um Fragen der Betreuungsführung geht, § 1861 Abs. 1 BGB. Die Betreuungsbehörden wiederum sollen vor allem im Vorfeld der Betreuungsanordnung den Betroffenen zur Vermeidung einer Betreuungsbestellung beraten und ggf. im Rahmen einer erweiterten Unterstützung Alternativen aufzeigen, § 8 Abs. 1 und 2 BtOG. Eine Pflicht zur Beratung während einer bereits angeordneten Betreuung ergibt sich auch nicht aus ihrer allgemeinen Informations- und Beratungspflicht i. S. d. § 5 BtOG. Auch hier heißt es in Abs. 2 nur, dass die Behörde „Betreuer und Bevollmächtigte auf deren Wunsch bei der Wahrnehmung von deren Aufgaben“ unterstützt. Das gilt ebenso für die Betreuungsvereine, die nach ihrer Kompetenzzuweisung nur zur Beratung der (ehrenamtlichen) Betreuer verpflichtet sind, aber nicht der Betreuten selbst, § 15 Abs. 1, S. 1 Nr. 3 BtOG. Zusammenfassend gibt es somit mindestens drei parallele Stellen, bei denen sich Betreuer 424

Brosey / Lesting / Loer / Marschner / Loer, Betreuungsrecht kompakt, 9. Aufl., Rn. 177.

IV. Zusammenfassung / Defizite des neuen Gesetzes

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beraten lassen können, Betreute selbst finden jedoch im zivilrechtlich geregelten Bereich keine Form der Unterstützung. Hierfür ist zuvörderst gem. § 1821 Abs. 1 BGB der Betreuer verantwortlich, der sich im besten Fall Beratung eingeholt hat. Auch hier gibt die Forschungsstudie im Auftrag des Bundes aus dem Jahr 2016 Aufschluss über die Praxistauglichkeit. Auf die Frage gegenüber Vereins- und Berufsbetreuern, inwieweit sie die Betreuten in konkreten Angelegenheiten vor einer möglichen Entscheidung über Folgen und Alternativen dieser informieren, zeigte sich, dass dies regelmäßig nur in knapp über 50 % der Fälle „sehr oft“ oder „immer“ erfolgt.425 Zudem gaben 53 % der Berufsbetreuer an, dass die Kommunikation mit den Betreuten im Einzelfall, auch nur zeitweise, nicht möglich war, weshalb sowohl eine Willenserforschung, aber auch eine Unterstützung der Willensbildung des Betreuten kaum möglich gewesen sei.426 Dies stellt sowohl das „supported decision making“ in Frage, aber auch den Wunsch des Gesetzgebers, dass der Betreuer hier fast allein die Beratung des Betreuten übernehmen soll.

IV. Zusammenfassung / Defizite des neuen Gesetzes Wie schon als Fazit zur Reform des Jahres 1992 festgehalten, handelte es sich auch bei der jüngsten Revision des Betreuungsrechts weder um eine „Jahrhundertreform“ noch um einen wirklichen „Paradigmenwechsel“. Hierfür fehlte der Mut. Auch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob das Gesetzesvorhaben Wertungswidersprüche reduziert, die insbesondere im Konflikt mit dem Sozialrecht bestehen, fällt eher nüchtern aus. Das Spannungsverhältnis zwischen Stellvertretung und Daseinsvorsorge scheint vielfach weiter ungelöst. Dies auch deshalb, weil es erneut eine größtenteils eindimensionale Betrachtungsweise im Rahmen des zivilrechtlichen Normenkomplexes gab und Konnexitäten zum Sozialrecht fehlen. Nach den Forschungsvorhaben im Zusammenhang mit der Evaluation des Betreuungsrechts musste die Kernaufgabe der Revisoren darin bestehen, die hohe Anzahl von vermeidbaren Betreuungen zu reduzieren und bestenfalls dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen andere Hilfen erhalten. Hierfür wäre eine grundsätzliche Neuausrichtung des unterstützenden Hilfesystems vonnöten gewesen. Ebenso wäre eine stärkere Debatte um die Verortung der Aufsicht und Kontrolle 425 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Abb. 213 („Information des Betreuten über anstehende Entscheidungen mit Folgen und Alternativen in konkreten Angelegenheiten“), S. 273, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Service/Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;j sessionid=F55BCCDFB3EFF8A957C7936ECE0D2595.2_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 426 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Abb. 213 („Information des Betreuten über anstehende Entscheidungen mit Folgen und Alternativen in konkreten Angelegenheiten“), S. 273, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/ DE/Service/Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;j sessionid=F55BCCDFB3EFF8A957C7936ECE0D2595.2_cid289?__blob=publicationFile& v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022).

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C. Das geltende Recht und seine Herausforderungen 

über die Betreuer und die Rolle der Betreuungsbehörde angezeigt gewesen. Im Kern bewegt sich das Reformvorhaben jedoch in den bereits bekannten Sphären zwischen Betreuten, Betreuern, Betreuungsgerichten, Betreuungsbehörden und Betreuungsvereinen. Wie dargelegt, scheint der Wunsch des Gesetzgebers, der UN-BRK zumindest endlich sprachlich zu entsprechen und damit ggf. einige inhaltliche Ungereimtheiten wegbügeln zu können, so groß gewesen zu sein, dass der Streit um Begrifflichkeiten, Wegfall der Eingangsmerkmale oder Wunsch statt Wohl, entscheidender als eine Strukturreform war. Bedauerlicherweise sind das weiterhin ungeklärte Verhältnis zwischen Bund und Ländern, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung des Betreuungswesens und der zusätzlichen Aufgaben, die es nunmehr von den Kommunen zu bewältigen gibt, aber auch die Frage, wie man künftig stärker das Sozialrecht nutzen möchte, um aktiv Betreuungsvermeidung zu betreiben, auf der Strecke geblieben. Es gibt jedoch auch begrüßenswerte Ansätze im neuen Recht, so insbesondere die stärkere Fokussierung und vor allem Sensibilisierung des Betreuten als Subjekt mit eigenen Wünschen und Vorstellungen für sein Leben. Ob dies bereits als „Paradigmenwechsel“ bezeichnet werden kann oder ob das nicht viel mehr erst die Praxis zeigen muss, ob sich aus den neuen Formulierungen ein solcher ergibt,427 ist am Ende reine Kasuistik. Zu begrüßen ist, dass es künftig nicht mehr möglich ist, dem Betreuer pauschal für alle Aufgabenbereiche die Personensorge zu übertragen, an Berufsbetreuer künftig klare Qualitätsanforderungen gestellt werden, die Anerkennung der Verdienste der Betreuungsvereine sowie eine engere verbindliche Anbindung an diese, obgleich die Finanzierung trotz § 17 BtOG mehr als fraglich ist. Im Ergebnis vermögen diese richtigen Punkte jedoch die Grundproblematik im Betreuungsrecht nicht zu lösen. Aus hiesiger Sicht fehlt weiterhin entscheidend ein realistischer Umgang mit dem Ehrenamt und den nunmehr gestiegenen Anforderungen an Betreuer, die eine laienhafte, womöglich rein auf persönliche Fürsorge gerichtete Betreuung fast unmöglich machen und die Konkurrenz zwischen den Betreuertypen noch verschärft. Die Professionalisierung der Betreuung wird vorangetrieben, ohne die Frage zu stellen, was damit im Ziel erreicht werden soll. Es fehlt die langfristige Perspektive, was in Zeiten einer alternden und stärker auf das individuelle Wohl gerichteten Gesellschaft noch vom Einzelnen geleistet, aber vor allem auch vom Staat im Rahmen der rechtlichen [sic!] Betreuung als Daseinsfürsorge erwartet werden kann.

427

Pelkmann, BtPrax 2021, 88, S. 88.

D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen – Betreuung im 21. Jahrhundert Es ist nicht das erklärte Ziel dieser Bearbeitung, und könnte auch nicht ansatzweise gelingen, im hiesigen Kontext eine vollständige Alternative zum bestehenden System der rechtlichen Betreuung aufzuzeigen. Ziel ist es vielmehr durch eine historische Rückschau, Positiv- und Negativbeispiele zu benennen, die in einem künftigen Transformationsprozess des Betreuungsrechts Berücksichtigung finden könnten. Hierbei steht alleinig die Motivation im Vordergrund, dass mit der Veränderung gesellschaftlicher Realitäten, beispielsweise dem Wegfall der Familienbande und der schleichenden Erosion des Ehrenamts, womöglich andere Wege gegangen werden müssen, die ein stärkeres staatliches Handeln erforderlich machen. Als im Jahr 1875 das Allgemeine Preußische Landrecht (ALR) abgelöst und die Preußische Vormundschaftsordnung (V.O), als Vorläuferin der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eingeführt wurde, bestand breiter Konsens darin, dass es einer Rezession des positivistischen Gedankens im Vormundschaftsrecht, bekannt aus dem römischen Recht, brauchte.1 Die Vormünder fühlten sich unterdrückt2 von einem überbordenden Staat, der in Gestalt des Richters aktiv in die Vormundschaften und die Mündelführung eingreifen konnte, siehe das Weisungsrecht des Richters in II 18 § 236 ALR. In einer Phase, in der Bürgerrechte in ganz Europa begannen zu erstarken, passte es nicht mehr in den Zeitgeist, dass die Obrigkeit über das Schicksal des Einzelnen entschied. Hinzutrat ein enormer Verwaltungsaufwand, der auch zu einem Kostenfaktor wurde. Insofern war es nur konsequent, der Familie zum einen durch eine stärkere Stellung des Einzelvormunds, § 27 V. O., aber auch dem Familienrath, §§ 71, 72 V. O., das maßgebliche Bestimmungsrecht über das Mündel zuzusprechen. Der Familie als kleinster Keimzelle organisierter Verantwortung kam somit eine besondere Stellung zu, die im Grunde auch der alten „Sippen“-Lehre in der germanischen Rechtstradition folgte.3 Wie dargelegt, blieb es nichtsdestotrotz auch im nachfolgenden BGB bei einer starken Stellung der Gerichte, die sich jedoch anders als bisher rein auf die Überwachung und Aufsicht der Vormünder zu beschränken hatten, § 1837 BGB a. F. Die Vormünder wurden durch das Gericht „bestallt“, § 1791 BGB a. F. und bedurften für zahlreiche Rechtsgeschäfte der Genehmigung des Gerichts, § 1821 BGB a. F. Die Obervormundschaft verblieb seit jeher bei den Gerichten. Der Familienrath, 1

Vgl. insofern B. II. 2., vgl. S. 26. Vgl. schon Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts für das Deutsche Reich, Abschnitt 2, 3, Vorlage des Redaktors, 1880, § 2, S. 1935. 3 Genzmer, Die germanische Sippe als Rechtsgebilde, S. 35. 2

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D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen 

§§ 1858 ff. BGB a. F., wurde im Jahr 1979 aus dem BGB gestrichen und somit auch der letzte Anknüpfungspunkt für eine rein familiäre Obervormundschaft, der die Rechte und Pflichten des Gerichts übernahm, § 1872 BGB a. F.4 Der bereits zuvor bestehende Waisenrath als Einbindung der Kommunen in die Führung der Vormundschaft wurde im BGB nur in Ansätzen übernommen, §§ 1849 ff. BGB a. F., und war bis zu seiner Streichung im Jahr 1967 vor allem dafür zuständig, dem Vormundschaftsgericht, geeignete Personen als Vormünder vorzuschlagen und darüber zu wachen, dass die Vormünder „insbesondere für […] Erziehung und […] körperliche Pflege [der Mündel], pflichtmäßig Sorge tragen“.5 Für den Waisen­rath wurde später bei Minderjährigen das Jugendamt tätig und bei Volljährigen zunächst gem. § 1900a BGB a. F. und später gem. § 1897 S. 2 BGB a. F. bestimmt, dass die Länder festlegen sollten, welche Behörde an die Stelle des Waisenraths trat, im Zweifel die untere Verwaltungsbehörde. Hieraus erwuchs mit dem Betreuungsrecht die Betreuungsbehörde.

I. Neue Rolle der Betreuungsbehörden Seit Einführung des Betreuungsrechts im Jahr 1992 wurde gemäß des Betreuungsbehördengesetzes (BtBG) auch festgelegt, dass die Betreuungsbehörden in den Bundesländern künftig einheitlich „die Betreuer auf ihren Wunsch bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben“ beraten, § 4 BtBG a. F., sowie dafür zu sorgen haben, dass in ihren Bezirken ein ausreichendes Angebot zur Einführung der Betreuer in ihre Aufgabe und zur Fortbildung vorhanden ist, § 5 BtBG a. F. Zunächst sollten die Betreuungsbehörden nur bei einer „erheblichen Gefahr für das Wohl des Betroffenen“ dem Gericht mitteilen, dass unter Umständen eine rechtliche Betreuung in Betracht kommen kann, § 7 BtBG a. F. Das Gericht konnte sich zudem, wenn es denn wollte, der Betreuungsbehörden zur Aufklärung der Sachverhalte oder eines Vorschlags zur Bestellung eines Betreuers bedienen, § 8 BtBG a. F. Die ursprüngliche gesetzgeberische Zurückhaltung bei Ausgestaltung der Tätigkeit der Betreuungsbehörde nahm seitdem stetig ab, und der Behörde wurden immer weitere Aufgaben übertragen. Offenbar auch aus der Erkenntnis heraus, dass die Gerichte allein, vor allem im Hinblick auf die Betreuungsvermeidung, nicht in der Lage waren, die notwendigen Aufgaben zu bewältigen. Insbesondere seit dem Jahr 2013 und dem Gesetz zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde sollte diese im Vorfeld der Betreuungsanordnung tätig werden, sodass ihre primäre Aufgabe nunmehr darin bestand, über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen und insbesondere zu Fragen der Vorsorgevollmacht und über andere Hilfen, bei denen kein Betreuer bestellt werden muss, zu beraten, § 4 Abs. 1 BtBG a. F. Die Behörde sollte nun auch selbst nach den Maßstäben des § 1896 Abs. 1 BGB a. F. beurteilen, 4 5

BT-Drs.: 8/2788, S. 70. BT-Drs.: 5/2370, S. 12.

I. Neue Rolle der Betreuungsbehörden

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ob konkreter Betreuungsbedarf besteht und dann auch eine Pflicht haben, diesen Fällen nachzugehen und vor allem mit den zuständigen Sozialleistungsträgern betreuungsvermeidend zusammenzuwirken, § 4 Abs. 2 BtBG. Der Gesetzgeber verpflichtete nun auch die Gerichte, die Betreuungsbehörden vor der Anordnung der Betreuung anzuhören, §§ 279 Abs. 2, 294, 295 FamFG a. F., wenn es der Sachverhaltsaufklärung dienlich ist. Auch mit der jüngsten Gesetzesrevision wachsen die Aufgaben der Betreuungsbehörden.6 Sie hat nun zusätzlich die ehrenamtlichen Betreuer beim Abschluss einer Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung mit einem Betreuungsverein zu unterstützen, § 5 Abs. 2, S. 2 BtOG und hat im Zweifel nach Satz 3 sogar selbst diese Vereinbarung abzuschließen, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich kein anerkannter Betreuungsverein zur Verfügung steht. Neu ist insbesondere auch, dass sie aktiv ein sog. Angebot erweiterter Unterstützung leisten kann, § 8 Abs. 2 BtOG.7 Zum Betreuer selbst kann die Behörde auch im neuen Recht nur ernannt werden, wenn der Volljährige weder durch eine oder mehrere natürliche Personen noch durch einen Betreuungsverein hinreichend betreut werden kann, § 1818 Abs. 4 BGB. Ein eigener Vergütungsanspruch hierfür entsteht der Behörde nicht, § 14 Abs. 2 VBVG. An dieser Stelle soll dafür geworben werden, den eingeschlagenen Weg der Stärkung der Betreuungsbehörden weiterzudenken und unter Umständen dahingehend unter Umständen modifiziert auf das ALR und das Recht der Minderjährigen zurückzugreifen. Die Überlegung hierzu fußt auch darauf, dass die oben praktizierte starke Stellung des Einzelvormunds nur noch bedingt gerechtfertigt ist, wenn diese Aufgaben nicht mehr ehrenamtliche Familienangehörige oder ehrenamtliche Fremdbetreuer übernehmen, sondern Berufsbetreuer, die für ihre Tätigkeit vergütet werden und daher a priori nicht altruistisch tätig sind. Ihre Fürsorge beschränkt sich mit dem Bundesverfassungsgericht auf eine Tätigkeit, die ihnen der Staat überträgt, weil deren ordentliche Wahrnehmung zugleich im öffentlichen Interesse liegt und der Staat nicht in der Lage ist, ausreichend unentgeltliche Einzelvormünder zu akquirieren.8 Deshalb verbiete sich auch eine berufliche Inanspruchnahme solcher Vormünder, heute Betreuer, ohne eine angemessene Entschädigung bereitzustellen. Die Entwicklung hin zu einem Berufsbild Betreuer und die nunmehr entstandene und immer weiter ausgedehnte Vergütungspraxis scheint größtenteils widerspruchslos. Nach hiesiger Auffassung ist sie jedoch nicht zwingend. Wenn in dieser Bearbeitung dargelegt wurde, dass vor allem im Bereich des Minderjährigenrechts seit dem Jugendwohlfahrtsgesetz etabliert,9 und Anfang des 19. Jahrhunderts im 6

Vgl. C. III. 1. d), vgl. S. 89 f. Vgl. C. III. 1. d), vgl. S. 89 f. 8 BVerfG, NJW 1980, 2179, S. 2180. 9 Vgl. B. III. 5. a) bb), vgl. S. 54 ff. 7

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D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen 

Rahmen der Berufsvormundschaft über Volljährige zumindest durchdacht,10 stellt sich die Frage, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht auch in der Weise hätte gedeutet werden können, dass ein System staatlicher Bediensteter vorrangig für die Betreuung Vollmachts-, Familien- und Angehörigenloser bereitgestellt werden müsste. Der, soweit ersichtlich, zunächst von Crasemann aufgeworfene Vorschlag, im gesamten Deutschen Reich ein System der öffentlichen Berufsvormundschaft zu etablieren und dafür die Medizinalbehörden der Länder einzusetzen, fand damals keinen Widerhall.11 Die heute glücklicherweise überholte Vorstellung, dass die Entmündigung eine Wohltat sei und bei Crasemann und den Befürwortern seines Systems vor allem ein ordnungsrechtlicher Ansatz maßgeblich war, darf insofern nicht verschwiegen werden. Nichtsdestotrotz sind einige Grundmaxime, die auch bei der neuen Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts angeführt werden, nach hiesiger Auffassung anachronistisch. Wenn Lipp davon spricht, dass „die Minderjährigenvormundschaft […] Ausdruck der Verpflichtung des Staates zum Schutz und zur Erziehung des Kindes […] [ist] und […] den grundrechtlichen Bindungen für staatliches Handeln in privatrechtlichen Formen [unterliegt]. Die rechtliche Betreuung […] demgegenüber keinen staatlichen Erziehungsauftrag [kennt], sondern […] allein der staatlichen Verpflichtung zur Unterstützung und zum Schutz vulnerabler Erwachsener geschuldet [ist], die ihre Rechte nicht selbst wahrnehmen können […]“,12

ist das erst einmal unbestritten, lässt jedoch Aspekte der Neuzeit unberücksichtigt. Seit Jahrhunderten taucht im Recht der Vormundschaft und der Betreuung die Differenzierung zwischen Volljährigen und Minderjährigen auf, aber nicht etwa wegen eines irgendwie gearteten Erziehungsauftrags, sondern vor allem wegen Fragen der Vermögenssorge, die bei Volljährigen stärker im Vordergrund stünden.13 Der Schutz des Vermögens allein, aber auch der Erziehungsauftrag dürfen jedoch nicht dazu führen, dass wir bei der Erwachsenenfürsorge im Unterschied zum Schutz der Minderjährigen meinen, dass bei erstgenannten der Staat nur an der Seitenlinie steht und im Übrigen der (Betreuungs-)Markt die Sache regelt.

10

Vgl. B. III. 5. b), vgl. S. 56 f. Vgl. B. III. 5. b), vgl. S. 56 f. 12 Volker Lipp, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts vom 23. Juni 2020, Stand: 24. 08. 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2020/Downloads/ 082320_Stellungnahme_Volker-Lipp_RefE_Vormundschaft.pdf?__blob=publicationFile& v=4, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 13 Dernburg, Vormundschaftsrecht, 1886, S. 209 f.; BT-Drs.: 19/24446, S. 107, 108 u. insbes. S. 126, wo es hinsichtlich der Vermögenssorge heißt: „vergleichsweise höhere Bedeutung“ bei Volljährigen. 11

II. Staatliche Fürsorgepflicht

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II. Staatliche Fürsorgepflicht Spätestens mit der Rechtsprechung besteht die Übereinkunft, dass es eine staatliche Fürsorgepflicht gegenüber denjenigen gibt, die ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen können.14 Die Gerichte haben den Begriff der sog. Doppelgleisigkeit der Vormundschaft bzw. der Betreuung etabliert, mit der die öffentlich-rechtliche Betätigung der gerichtlichen Obervormundschaft auf der einen Seite sowie die privatrechtliche Tätigkeit des Vormundes bzw. Betreuers auf der anderen Seite gemeint ist.15 Bei Volljährigen setzt der Staat aus fürsorgerischen Gründen einen Betreuer ein und begründet sowie begrenzt zugleich dessen Gewalt. Das System selbst baut darauf, dass vorrangig Familienangehörige, jedenfalls aber zuvörderst Ehrenamtliche zu Betreuern bestellt werden. Bei Minderjährigen beträgt der Anteil sog. Amtsvormundschaften mittlerweile 80 % und besteht nicht, wie der Gesetzgeber auch hier vorgaukelt, aus ehrenamtlichen Vormündern außerhalb der Berufsausübung.16 Dieses Schicksal wird künftig auch das Betreuungsrecht ereilen. Im Unterschied zur „Minderjährigenbetreuung“, sprich Vormundschaft, meint der Gesetzgeber im Rahmen der Erwachsenbetreuung, dass die vulnerable Gruppe der Betreuten Volljährigen nicht von Amtsvormündern, sprich Behördenbetreuern, unterstützt werden sollen, sondern bald mehrheitlich von privatrechtlich organisierten Berufsbetreuern, die eine staatliche Fürsorgepflicht lediglich unter (oftmals unzureichender) Aufsicht des Betreuungsgerichts ausüben. Dieser Ansatz ist nicht länger überzeugend. Der Gesetzgeber sollte daher die vorzugswürdige Behördenbetreuung verstärkt im Rahmen einer staatlichen Fürsorgepflicht regeln. 1. Rückgang der Familienbande Wenn Lipp darauf abstellt, dass die Unterscheidung im Erziehungsauftrag der Minderjährigen begründet ist, kann das nicht allein überzeugen. Selbstverständlich geht es bei der Betreuung nicht um eine Erziehung der Betreuten, sondern um eine Ermöglichung rechtlicher Selbständigkeit und eine Reduzierung externer Abhängigkeit mit dem Ziel des eigenverantwortlichen Lebens und vor allem rechtlichen Handelns trotz körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung. Hierfür war jahrhundertelang zuvörderst die Familie Garant. Ohne dass dies näherer Belege bedarf, dürfte offenkundig sein, dass die Bedeutung der Familie als zentraler Mittelpunkt gegenseitiger Verantwortungsübernahme abnimmt. Gleichzeitig scheitern seit 14

Vgl. schon B. III. 4., vgl. S. 46 ff. BVerfG, NJW 1960, 811, S. 813. 16 BT-Drs.: 19/24445, S. 108. 15

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D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen 

Jahrzehnten Initiativen des Gesetzgebers, andere Ehrenamtliche für diese Tätigkeitsübernahme anzusprechen und der Anteil dieser Betreuer nimmt immer weiter ab.17 Die Lücke wird gefüllt durch Berufsbetreuer, die bis zuletzt unter dem Eindruck des Vorrangs der Ehrenamtlichkeit, kaum Qualitätsanforderungen an ihre Arbeit erfüllen mussten. Nun hat sich der Gesetzgeber mit der jüngsten Reform entschieden, einen umfassenden Anforderungskatalog in §§ 23, 24 BtOG bzw. der Anlage zu § 3 Abs. 4 BtRegV zu erarbeiten, der die Qualität der Berufsbetreuung sicherstellen soll.18 Damit ist die Ausübung der ehrenamtlichen Betreuung enorm gefährdet. Die Diskrepanz in der Qualität der Betreuung zwischen Volunteer und fachlich versiertem Routinier werden nur schwerlich zu rechtfertigen sein. Besser „geeignet“ zur Übernahme einer Betreuung im Sinne des § 1816 Abs. 1, S. 1 BGB sind deshalb nunmehr fast ausschließlich Berufsbetreuer. Wo Familie und Angehörige hingegen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG fehlen, keine Vorsorgevollmachten im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG bestehen, gibt es für diese Art der Bevorzugung der Berufsbetreuung keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung, sondern allein eine gesetzgeberische Entscheidung, die auch anders getroffen werden könnte. Der Rückgang der Familienbande wird auch in Zukunft kaum aufzuhalten sein. Im Rahmen eines erneuten Reformprozesses sollte jedoch auch noch einmal darüber nachgedacht werden, inwieweit der Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten ernsthaft versucht hat, die Familie als Mitbestimmungsorgan zu fördern. Indem er den Angehörigenbetreuern nun offenkundig die nötige Fachkunde im Vergleich zu Berufsbetreuern abspricht, droht eine weitere Abwertung. Als im Jahr 1979 der zuvor vor allem aus dem germanischen und französischen Recht übernommene Familienrat endgültig abgeschafft wurde, hieß es in der Gesetzesbegründung: „Die überholte Rechtsfigur des Familienrates, ein Recht der Sippenvormundschaft des alten deutschen Rechts soll damit beseitigt werden. Ein Bedürfnis für ihr Fortbestehen ist nicht ersichtlich. Das BGB wird durch sie unnötig belastet. Die Beseitigung des Familienrates steht zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Reform des elterlichen Sorgerechts. Es wäre aber ein unangebrachter Aufwand, hierfür einen besonderen Gesetzentwurf einzubringen.“19

Eine ausführliche inhaltliche Auseinandersetzung blieb aus, nachdem, wie oben dargelegt, der Familienrat im Deutschen Reich nie wirklich Fuß fassen konnte.20 Tatsächlich gab es jedoch auch kaum Unterstützung für die Abhaltung von Familienräten, da sie den Richtern und Gerichten mehr Arbeit verursachten, als einfach selbst die Entscheidung zu treffen.

17

Vgl. schon C. III. 2. c) aa), vgl. S. 102. Vgl. schon C. III. 2. e) aa), vgl. S. 102. 19 BT-Drs.: 8/2788, S. 70. 20 Vgl. B. II. 3. b) bb) und B. III. 2. 18

II. Staatliche Fürsorgepflicht

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2. Subsidiarität der Stellvertretung Auch die Inkorporation des Stellvertretungsrechts im Recht der Betreuung macht es nicht zwingend notwendig, die Berufsbetreuung und nicht die Behördenbetreuung zu befördern. Wie dargestellt, kommt mit dem Gesetzgeber, insbesondere nach der jüngsten Reform, der Stellvertretung nur eine subsidiäre Bedeutung im Rahmen der Betreuung zu, weshalb die nur nach innen beschränkte Vertretungsmacht seiner Meinung nach auch mit der UN-BRK vereinbar sei.21 Für den Gesetzgeber stehen Beratung und Unterstützung des Instituts im Vordergrund, weshalb er nun auch noch deutlicher in § 1823 BGB betont wissen will, dass der Betreuer den Betreuten in seinem Aufgabenkreis gerichtlich und außergerichtlich lediglich vertreten „kann“.22 Umso fraglicher ist, wie bereits angeführt, eine Verortung des Instruments im BGB, bei dem es maßgeblich um die Bestimmung regelungsbedürftiger Sachverhalte im Zusammenhang mit sich gleichberechtigt gegenüberstehenden Privatrechtssubjekten geht und eben nicht um eine Form der (sozialen) Lebenshilfe für die eigenverantwortlich Handelnden.23 Der Gesetzgeber erkennt diesen systematischen Missstand mittlerweile für immer größere Teile des Betreuungsrechts an und ordnete zuletzt viele Materien dem eindeutig öffentlich-rechtlich geprägten BtOG und der BtRegV zu, beispielsweise die Registrierung und Organisation der Berufsbetreuung, der Betreuungsvereine und der Betreuungsbehörden.24 Insbesondere hat der Gesetzgeber bereits jetzt mit seinem umfangreichen Anforderungskatalog an Berufsbetreuer in § 3 BtRegV und der Anlage hierzu manifestiert, dass er die Betreuung eben nicht nur als Akt der Stellvertretung begreift, sondern vor allem als einen Akt der sozialen Fürsorge versteht. Das in das Betreuungsrecht inkorporierte Stellvertretungsrecht ist in seinen Grundfesten noch Ausfluss des überholten Gedankens der ersetzenden Entscheidungsfindung des Vormunds über das Mündel, um Rechtsgeschäfte nicht zu gefährden. Dass hier im jüngsten Reformprozess nicht noch einmal stärker auf die Überlegungen aus der Entstehungszeit des Betreuungsrechts zurückgegriffen wurde, verwundert. Wie in dieser Arbeit dargelegt, gab es bereits im Vorfeld Stimmen, die eine Erwachsenen-Vormundschaft bzw. Betreuung unterhalb der Schwelle der Vertretungsmacht für notwendig erachteten, die sog. „leichten Fälle“.25 Auch der damalige 57. Juristentag sprach sich für eine vertretungslose Betreuung aus und war damit schon sehr auf der Linie der Vorstellung der heutigen UN-BRK. Es dauerte 30 Jahre bis auch der Gesetzgeber einsah, dass das Verabsolutieren von Vertretungsmacht zu schwierigen Konstellationen führen kann. 21

Vgl. B. III. 3. d), vgl. S. 44. Zur Kritik und der bloßen Appelfunktion dessen, siehe schon: C. III. 3. b) aa), vgl. S. 142. 23 Ähnlich auch: Pitschas, FPR 2012, 61, S. 62. 24 Vgl. insofern schon: C. III. 1. d) in Bezug auf die Betreuungsbehörden sowie C. III. 2. d) bb) und ee) für die Betreuungsvereine. 25 Vgl. B. III. 3. c). 22

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D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen 

3. Verhältnis zum Sozialrecht Fürsorge darf hier nicht romantisch verklärt oder gar im Rahmen von Pflege missverstanden werden, sondern als unterstützende Tätigkeit, vor allem im Verhältnis zum leistungsgewährenden Sozialstaat. Dieser Sozialstaat muss niedrigschwellig für die Betroffenen zugänglich sein – bestenfalls ohne die Inanspruchnahme rechtlicher Betreuung. Im Abschlussbericht des Forschungsvorhabens zur Evaluation des Betreuungsrechts wird bezogen auf die Tätigkeit von Berufsbetreuern jedoch festgestellt: „Es wirft ein kritisches Schlaglicht auf die bürokratische Organisation unseres Sozialsystems, wenn in einer akademisch geprägten Berufsgruppe, die sich alltäglich mit Antragsformularen beschäftigt, nur die Hälfte sagt, dass sie es ‚leicht‘ findet, zu verstehen, was die Antragsformulare verlangen.“26

Den überwiegenden Anteil der wöchentlichen Arbeitszeit verbringen Berufsbetreuer jedoch insbesondere mit Behörden bzw. staatlichen Einrichtungen. So gaben befragte Betreuerinnen und Betreuer an unter anderem zu 62 % mindestens einmal wöchentlich mit Trägern der Sozialhilfe, zu 53 % mit den Krankenkassen, zu 48 % mit den Jobcentern und zu 39 % mit den Pflegekassen Kontakt zu haben.27 Ein Viertel der Berufsbetreuer geben sogar an, dass die Beantragung, Durchsetzung und Prüfung von Leistungen von Sozialleistungsträgern „ganz im Vordergrund der Betreuungstätigkeit“ stehen.28 In der Konsequenz ist die Frage angebracht, ob für die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen privatrechtlich organisierte Berufsbetreuer vonnöten sein sollten und unter erneuter Referenz auf Suarez „obdergleichen Abhandlung in ein Privatgesetzbuch gehöre? Welche bei Gelegenheit verschiedener dahin einschlagender Stellen der allgemeinen Grundsätze, sehr bezweifelt werden [kann]; weil solche eigentlich das innere Staatsrecht [der preußischen Monarchie] ausmachen und der Staat in einem bürgerlichen Codex für seine Unterthanen sich nicht selbst Gesetze vorschreiben könne. […]“29 26

ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, S. 148 f., abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/ Forschungsbericht_Qualitaet_rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=F55BCCDFB3EFF8A957 C7936ECE0D2595.2_cid289?__blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 27 ISG-Abschlussbericht zur Studie Qualität in der rechtlichen Betreuung, Abb. 64 („Häufigkeit der Kontakte zu Behörden und Organisationen“), S. 119., abrufbar unter: https://www. bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Forschungsbericht_Qualitaet_ rechtliche_Betreuung.pdf;jsessionid=F55BCCDFB3EFF8A957C7936ECE0D2595.2_cid289? __blob=publicationFile&v=2, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 28 IGES-Studie, Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte „andere Hilfen“, Abschlussbericht: Band I  – Band II, S. 148, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Fachinformationen/ Zusammenfassung_Forschungsvorhaben_Erforderlichkeitsgrundsatz.pdf?__blob=publication File&v=3, S. 71, (zuletzt abgerufen am 12. 10. 2022). 29 Zitiert nach: Gesetzes-Revision  – Pensum VII. Motive zu dem Entwurfe: Allgemeines Landrecht Theil II, Tit. 18, 1831, S. 4 ff.

II. Staatliche Fürsorgepflicht

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Die jetzige Gesetzesreform ändert daran nur marginal etwas, wenn zumindest der Vorrang der sozialrechtlichen Leistungen in § 1814 Abs. 3 Nr. 2 BGB betont wird und § 17 Abs. 4 SGB I nunmehr festlegt, dass „die Leistungsträger mit den Betreuungsbehörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zur Vermittlung geeigneter Hilfen zur Betreuungsvermeidung zusammen[arbeiten].“

Betreuer und Betreuter werden weiterhin einer starken Interdisziplinarität sozial- und zivilrechtlicher Vorschriften ausgesetzt, deren Verhältnis oft unklar ist.30 Wie in dieser Arbeit in Ansätzen dargelegt, werden in weiten Teilen die Instrumente der Sozialhilfe von Betreuern entweder nicht beherrscht, von Betreuungsgerichten nicht hinreichend gekannt und von den Betroffenen zu selten genutzt. So wirkt es beispielsweise inkonsequent, wenn ein und derselbe Gesetzgeber bei den Betreuungsbehörden neuerdings von „erweiterter Assistenz“ im Vorfeld der Betreuung spricht,31 zeitgleich jedoch mit der „Sozialassistenz“ im Sinne des § 78 SGB IX und der Eingliederungshilfe weniger grundrechtsintensive Alternativen zur Verfügung stehen. Die Obervormundschaft verbliebe auch bei einer stärkeren Stellung der Betreuungsbehörden bei den Gerichten, da die Grundrechtseinschränkungen mit der Betreuungsbestellung richterlicher Prüfung bedürfen.32 Mit Pitschas ist jedoch „die Sicherung der sozialen Teilhabe von Betroffenen durch die soziale Diagnose zu den Auswirkungen von Krankheit und Behinderung sowie die Ermittlung des damit verbundenen Betreuungsbedarfs im Einzelfall keine spezifisch gerichtliche Angelegenheit“,

sondern mit den Mitteln des Sozialrechts auszugestaltende Verwaltungsaufgabe.33 Als solche versteht sich auch die Erwachsenenschutzbehörde in der Schweiz.34 Wenn Pitschas zurecht eine Umwandlung der Betreuungsbehörden zu „Betreuungsagenturen“ fordert, die „in den Brennpunkt des Geschehens [gehören], nämlich in die soziale Situation der Bevölkerung eingebettet – und d. h. als dezentralisierte Betreuungsformen bzw. -einheiten neu gefasst werden: eben als ‚Betreuungsagenturen‘ mit gebündeltem Sachverstand an der Schnittstelle zwischen Sozialem, Rehabilitation, Pflegebedarf und Rechtskontrolle“,35

soll dieser Gedanke hier sogar noch erweitert werden. Auch bei der bloßen Übernahme der Betreuung stellt sich mittlerweile die Frage nach der Rolle der Betreuungsbehörde und vor allem dem Rangverhältnis zwischen Berufsbetreuung und Betreuungsbehörde. Dort wo Familie und Angehörige die Betreuung übernehmen 30

Ähnlich auch Pitschas, FPR 2012, 61, S. 63. BT-Drs.: 19/24445, S. 149. 32 Pitschas, FPR 2012, 61, S. 64. 33 Pitschas, FPR 2012, 61, S. 64. 34 Boente, BtPrax 2013, 175, S. 176. 35 Pitschas, FPR 2012, 61, S. 65. 31

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D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen 

wollen, gebietet es schon die Verfassung, dass diese zuvörderst als Betreuer eingesetzt werden, vgl. insofern § 1816 Abs. 2, 3 BGB. Dasselbe gilt im Fall des Bestehens von Vorsorgevollmachten, §§ 1816 Abs. 3 Nr. 1, 1820 BGB. Wenn jedoch Berufsbetreuer tatsächlich mit der Rechtsprechung einen Dienst an der Gemeinschaft leisten, könnten sie auch im Dienst des Staates stehen, ähnlich wie im Bereich der Minderjährigenfürsorge auch. Insofern wäre im Zuge der Stärkung der Betreuungsbehörden auch an ein neues Verständnis der Behördenbetreuung zu denken. Bisher dürfen die Behörden nach dem Wortlaut des Gesetzes nur zu Betreuern bestellt werden, wenn der Volljährige weder durch eine oder mehrere natürliche Personen noch durch einen Betreuungsverein hinreichend betreut werden kann, § 1818 Abs. 4, S. 1 BGB. Alternativ kann gem. § 1819 Abs. 3, S. 2 BGB unmittelbar ein Behördenbetreuer bestellt werden. An dieser Stelle wirkt es inkonsequent, dass letztere Norm aus der Vorschrift über die Bestellung von Betreuern herausgetrennt wurde, vgl. zuvor § 1897 Abs. 2, S. 2 BGB a. F., und somit die Behördenbetreuung in § 1816 BGB keine Berücksichtigung findet. Zumal es sich bei der Behördenbetreuung im Grunde auch um eine Betreuung durch eine natürliche Person handelt. Wenn ein Behördenbetreuer unmittelbar gem. § 1819 Abs. 3, S. 2 BGB zum Betreuer bestellt wird, ergibt sich das denklogisch. Aber auch die Übertragung der Betreuung an die Behörde selbst folgt dem Prinzip der Einzelbetreuung. Die Betreuungsbehörde überträgt nämlich „einzelnen Personen“, also ihren Mitarbeitern, die „Wahrnehmung der Betreuung“, § 1818 Abs. 4, S. 2, Abs. 2 BGB. In der Gesetzesbegründung zu § 1818 Abs. 2 BGB, auf den § 1818 Abs. 4 BGB verweist, heißt es uneingeschränkt, dass „die Verpflichtung [bestehe], die Wahrnehmung der Betreuung einzelnen natürlichen Personen zu übertragen“.36 Insofern ergebe der Wortlaut des § 1818 Abs. 4 BGB jedoch keinen Sinn mehr, da hier davon gesprochen wird, dass die Betreuungsbehörden erst dann zu Betreuern zu bestellen sind, wenn gerade keine natürliche Person oder der Betreuungsverein in der Lage sind, den Betroffenen hinreichend zu betreuen. Dies rührt, wie schon zuvor ausgeführt aus der Idee heraus, dass das persönliche Näheverhältnis bei der (organisierten) Einzelbetreuung dem Wohle des Betroffenen entspreche und ihn am besten anhalte, seine Fähigkeiten zu entwickeln.37 Diese personifizierte Betreuung ist jedoch mittlerweile größtenteils jedenfalls für die professionalisierte Betreuung Illusion, vor allem im Hinblick auf die Zahlen. So wird angeführt, dass üblicherweise Berufsbetreuer mittlerweile auf 10 bis 117, Vereinsbetreuer auf 1 bis 264 und Behördenbetreuer auf 5 bis 90 übliche Betreuungen pro beruflichen / professionellen Betreuer kämen.38 Die Abgrenzung zwischen Sozial- und Zivilrecht wird mitunter auch einem anderen System nicht immer trennscharf zu vollziehen sein. Es gäbe auch weiter Rechtsbereiche, die dem Sozialrecht fremd sind. So scheidet zwingend wegen der 36

BT-Drs.: 19/24445, S. 243. Vgl. schon C. III. 2. b), vgl. S. 99 u. Fn. 130 mit Verweis auf Dieckmann, JZ 1988, 789, S. 791. 38 Kieß, Betreuungsrecht, 7. Aufl., § 6, Rn. 42. 37

III. Vergangenheitsbewältigung 

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Rechtsweggarantie und des Richtervorbehalts aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 104 Abs. 4 GG ein bloßes sozialbehördliches Verfahren bei der Anordnung der Betreuung aus. Gleichzeitig zeigt dies aber auch wo noch eine gerichtliche, womöglich zivilgerichtliche Tätigkeit notwendig wäre, beispielsweise beim Einwilligungsvorbehalt und weiterer Maßnahmen, bei denen die Erheblichkeitsschwelle überschritten wird und die Freiheit des Betroffenen in Abrede gestellt ist.39

III. Vergangenheitsbewältigung Wenn noch im frühen preußischen Recht, aber auch in der frühen Neuzeit noch von der „Omnipotenz des absoluten Polizeistaats“ ausgegangen wurde, steht heute ein anderer Gedanke im Vordergrund, wenn zu überlegen ist, wie man Erwachsenenfürsorge organisiert. Es geht nicht mehr darum, die sittliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die „Blöd- und Wahnsinnigen“ wegzusperren bzw. der staatlichen Obrigkeit zu unterwerfen. Insofern darf der Vorstoß, die staatlichen Betreuungsbehörden zu befähigen, stärker in die aktive Betreuung einzusteigen, nicht missverstanden werden in der Weise, dass die Betreuer wieder bloße „Privatrequisiteure“ bzw. „unselbstständige Vollstrecker“ des Gerichts werden. Gefühlt verarbeitet das deutsche Betreuungsrecht jedoch bis heute dieses Trauma der preußischen Zeit des ALR. So hält sich bis in die Gegenwart die hartnäckige Überzeugung, dass die Revision des römisch-rechtlichen Ansatzes mit dem eigenverantwortlichen Vormund sowie der Stellvertretung nicht zu ersetzende Bestandteile des deutschen Rechts seien. Wie schon Suarez anmerkte, besteht eine Hauptpflicht des Staates, „in der ihm obliegenden unmittelbaren Vorsorge für diejenigen seiner Mitbürger, die sich selbst zu helfen, nicht im Stande sind. […]“. Der Gesetzgeber zeigt eindrücklich in den vergangenen Jahrzehnten, dass er unter anderem mit der Abkehr von der Entmündigung, der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung über das FamFG und nunmehr auch der Neufassung des § 53 ZPO, stärker die Mitwirkung statt der Ersetzung von Entscheidungen des Betroffenen im Mittelpunkt seines Tätigwerdens begreift. Zeitgleich besteht oftmals aus fiskalischen Gründen und aufgrund der Erfahrung die Auffassung, dass eine zu starke staatliche Rolle im Komplex der Betreuung zu einer, wie Planck schon meinte, Schwerfälligkeit der Verwaltung führe, die ein Hemmnis für das ganze System bedeutet. Insofern fällt das richtige Maß an staatlicher Fürsorge nicht leicht. Es bedeutet jedoch auch eine logische Weiterentwicklung bestehender Ansätze, die nicht mit Staatsgläubigkeit gleichzusetzen sind, jedoch den kooperativen Staat voraussetzen, der Lücken der privaten Vorsorge, sei es mangels Angehörigenbetreuung und mangels Vorsorgebevollmächtigung, ersetzt. 39

Pitschas, FPR 2012, 61, S. 64 f.

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D. Aus der Geschichte lernen und Realitäten anerkennen 

Wenn der Bundesgerichtshof im Jahr 1955 noch davon sprach, dass die „staatliche Wohlfahrtspflege“ von untergeordneter Rolle im System der Erwachsenenvormundschaft sei,40 ist sie mittlerweile Schwerpunkt des Tätigwerdens. Dass die staatliche Fürsorge mittlerweile im Vordergrund des gesetzgeberischen Handelns steht, wird vor allem auch an der jüngsten Gesetzesreform deutlich, wenn der Gesetzgeber hier weitere Teile des Betreuungsrechts in das Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) auslagert und meint: „Hinsichtlich der im Betreuungsorganisationsgesetz enthaltenen Regelungen zu Betreuungsbehörden, anerkannten Betreuungsvereinen und rechtlichen Betreuern steht nämlich nicht die Regelung der Rechtsverhältnisse Privater untereinander im Vordergrund, vielmehr geht es vorrangig um die Belange der öffentlichen Fürsorge.“41

Neben dem bereits in dieser Bearbeitung angeführten inneren Widerspruch dieser Behauptung, vor allem wegen der fehlenden Kongruenz und der halbherzigen Umsetzung,42 offenbart es zumindest die eingeschlagene Richtung, in die sich das Betreuungsrecht fast zwangsläufig entwickeln muss. Nach der hiesigen Auffassung wird es schwer zu behaupten, dass jenseits der Angehörigenbetreuung und den Vorsorgevollmachten im System der Berufsbetreuung „die Regelung der Rechtsverhältnisse Privater untereinander im Vordergrund“ steht, wenn sich der Betreute den Berufsbetreuer eben nicht selbstbestimmt gewählt hat, sondern die Allgemeinheit in Form des Gerichts bestimmt, dass ein Berufsbetreuer am besten für die Betreuung geeignet ist. Es sollte darüber diskutiert werden, ob nicht 100 Jahre nach der Implementierung der staatlichen Jugendfürsorge auch im Bereich der Erwachsenenfürsorge der Zirkelschluss im Betreuungsrecht zwischen Stellvertretung und Daseinsvorsorge behutsam durch sozialrechtliche Instrumente aufgelöst werden kann. Das soziale Hilfesystem könnte heute schon in weiten Teilen die rechtliche Betreuung überflüssig machen und insofern „Leistungen aus einer Hand“ anbieten.43 Die Parallelität der unterschiedlichen Rechtssysteme ist nicht förderlich im Sinne der bestmöglichen Befähigung der Betroffenen. Eine echte „Jahrhundertreform“ würde versuchen, dieses Verhältnis aufzulösen.

40

BGH, NJW 1955, S. 867 ff. BT-Drs.: 19/24445, S. 159. 42 Vgl. schon C. III. 4. 43 BT-Drs.: 20/280, S. 102. 41

E. Resümee Die Arbeit hat aufgezeigt, dass ein Veränderungsdruck im System der rechtlichen Betreuung besteht. Dem Gesetzgeber ist es bisher nicht gelungen, die nötigen Reformen auf den Weg zu bringen. Dazu zählen unter anderem: Anhand der historischen Entwicklung ist festzustellen, dass der gesetzgeberische Mythos vom Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung nur noch eingeschränkt der Lebens- und Rechtswirklichkeit entspricht. Durch die Aufrechterhaltung dieses Wunschbildes konterkariert man seit Jahrzehnten eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Professionalisierung im Bereich der rechtlichen Betreuung. Die ehrenamtliche Angehörigenbetreuung ist, dort wo sie möglich ist zu stärken. Hierfür braucht es jedoch einen deutlich höheren Anreiz zur Übernahme, welcher sich auch monetär ausdrücken sollte. Den ehrenamtlichen Angehörigenbetreuern könnte eine Aufwandsentschädigung in Höhe der Vergütung eines Berufsbetreuers in der geringsten Stufe gewährt werden. Zur Stärkung der kann darüber nachgedacht werden, Instrumente wie den Familienrat in veränderter Form wieder einzuführen. Es wird in den kommenden Jahren kaum noch möglich sein, ehrenamtliche Fremdbetreuer außerhalb der Familie für eine Übernahme der Betreuung zu gewinnen. Hiergegen spricht vor allem, dass die bessere Eignung im Sinne des § 1816 Abs. 1 BGB a priori der berufliche Betreuer mitbringen wird, der gem. §§ 23, 24 BtOG und der Anlage zu § 3 Abs. 4 BtRegG umfangreiche Fähigkeiten für die Registrierung erfüllen muss. Sofern ein Konsens besteht, dass diese Professionalisierung notwendig ist, muss das Verhältnis von ehrenamtlichen Betreuern und Berufsbetreuern neu justiert werden und unter Umständen mittels der Zuweisung unterschiedlicher Aufgabenbereiche klargestellt werden, dass unterschiedliche Fähigkeiten auch unterschiedliche Funktionen erfordern. Es ist anzuerkennen, dass rechtliche Betreuung heute nicht mehr zuvorderst ein Instrument des Familienrechts in der Vorstellung des deutschen Privatrechts ist, da sich mit dem Rückgang der ehrenamtlichen Betreuung nicht mehr überwiegend zwei Privatrechtssubjekte gegenüberstehen, die altruistisch aufgrund familiärer oder sozialer Verbundenheit Verantwortung füreinander in Form der rechtlichen Betreuung und ausgeübt durch die Stellvertretung übernehmen. Im System der modernen rechtlichen Betreuung stehen sich nunmehr überwiegend hilfsbedürftige Betreute und gewerbliche Berufsbetreuer gegenüber, die hochprofessionalisiert für und durch den Staat eingesetzt werden, um (rechtliche) Defizite auszugleichen und staatliche Fürsorge leisten, die innerfamiliär nicht mehr möglich ist. Sie übernehmen somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

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E. Resümee

Aufgrund der gemeinschaftlichen Bedeutung der Betreuungstätigkeit ist an eine Überführung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Betreuungsrechts in ein neues oder bestehendes Sozialgesetzbuch zu denken, insbesondere dort, wo der Gesetzgeber auch mit der jüngsten Reform meint, dass der Betreuer zuvorderst ohne Stellvertretung tätig werden soll. Hierdurch ließe sich auch die Parallelität der Systeme und die offenen Fragen hinsichtlich des Verhältnisses von Sozialrecht und Zivilrecht zugunsten des Sozialrechts lösen. Die Obervormundschaft verbliebe beim anordnenden Betreuungsgericht, welches jedoch primär bei der Bestellung und Abberufung von Betreuern tätig wird. Um die hier avisierte „Hilfe aus einer Hand“ zu gewährleisten, sind die übrigen Aufgaben der Betreuungsbehörde zu übertragen, welche zu stärken ist. Hierzu zählt auch, dass der Nachrang der Behördenbetreuung aufgegeben wird. Bevor das privatrechtlich organisierte Netz an Berufsbetreuern weiter gestärkt wird und Vergütungsfragen weiter die Debatten der rechtlichen Betreuung bestimmen, sollte wegen des fürsorgerischen Charakters der Betreuung, ein staatliches Netz an Behördenbetreuern aufgebaut werden, die beispielsweise aus den bisherigen Berufsbetreuern zu rekrutieren wären.

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Sachwortverzeichnis Allgemeines Preußisches Landrecht, abk. ALR  17 ff., 35 ff., 51 f., 149 ff., 163 ff. Anstalt (Heil- und Irren-)  23 ff., 31 f., 37, 40, 48 f., 52 ff. Betreuungsrecht  64 ff. – Aufgabenkreis, auch Aufgabenbereich  41 f., 85, 91 ff., 154 f. – Berufsbetreuung  51, 68 f., 75 f., S: 92, 104, 112, 123 ff., 168 f. – Betreuungsbehörde  89 ff., 116, 120 ff., 157 ff., 160 ff., 164 ff., 169 ff. – Betreuungsbehördengesetz  50, 76, 89, 164 ff. – Betreuerbestellung  77 ff., 98 – Betreuungsgericht  67, 70, 90 f., 116, 121 ff., 149 ff., 176 – Betreuungsorganisationsgesetz  76, 174 – Betreuungsverein  50, 75 f., 89, 106, 111 ff. – Ehrenamtlichkeit  68, 72, 101 ff., 136 ff., 168 – Eingangsmerkmale  77 ff., 162 – Einwilligungsvorbehalt  65, 124, 144 ff. 173 – Erforderlichkeitsprinzip, auch Erforderlichkeitsgrundsatz  85 ff, 78 f., 44, 73 ff., 90 ff., 100 – Sachkundenachweis  107, 123 ff., 137 – Totalbetreuung  91 f. – Vorsorgevollmacht  68, 88 f., 108, 121 ff., 131 f. – Wohlschranke  94, 96 ff., 141, 148 Blödsinnigkeitsverfahren  19 f., 32 f., 40 Bundesteilhabegesetz  83 ff. Daseinsvorsorge  46 ff., 82 f., 89 f., 137 f., 161 – Fürsorgepflicht (des Staates)  48 ff., 63, 167 ff., Entmündigung  32 f., 36 f., 39 ff., 58 f., 64 f., 70 f., 144, 147

Erwachsenenfürsorge  27, 36, 48 f., 68 ff., 93 f., 108, 132, 166, 174 f. Familienbande  167 ff., Familienrat(h)  26, 29 ff., 37 f., 163 f. Gebrechlichkeitspflege  41 ff., 71 Irrenfrage, auch Irrenreform  23 ff. Jugendfürsorge  54 ff., 174 Leipziger-System  53 ff. Polizeistaat  20, 22 f., 32, 53, 57, 173 f. – Reichspolizeiordnung 18 Preußische Vormundschaftsordnung, abk. VO  27 ff. Prozessfähigkeit  147 ff. Sozialrecht  66 f., 75, 81, 83 ff., 124, 139 f., 147, 161 f., 170 ff. – soziale Hilfen   73, 81 ff., 140 Stellvertretung 39 ff., 82 ff., 132, 137 ff., 169 ff. – Ehegattenvertretungsrecht 76 – Vertretungsmacht  39 f., 42, 142 ff., 169 UN-Behindertenrechtskonvention, abk. UN-BRK  44 ff., 75, 77, 80, 128 f. Unentgeltlichkeit  60 ff., 66 f., 109 ff., Vormundschaft  17 ff. – Amtsvormundschaft   56, S.167 – Berufsvormunschaft  56 ff., – Einzelvormundschaft  54 f. – Obervormundschaft, auch Oberaufsicht ​ 17 ff., 28 ff., 31, 151 f., – Vormunschaftsgericht  28 f., 33, 36 ff., 42, 59, 68, 152, 164 Waisenrat(h)  29 ff., 70, 164