Urbanes Räumen: Pädagogische Perspektiven auf die Raumaneignung Jugendlicher [1. Aufl.] 9783839430118

How do young people form their image of a city? How do they get their bearings, how do they reflect their position? An i

200 120 5MB

German Pages 468 Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Urbanes Räumen: Pädagogische Perspektiven auf die Raumaneignung Jugendlicher [1. Aufl.]
 9783839430118

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. FORSCHUNGSANLASS UND PROBLEMSTELLUNG
1.1 Anlass der Untersuchung
1.1.1 Vom »Raum« zu »Räumen«. Fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Räumen
1.1.2 Schule und Geographieunterricht. Bildungspolitische Diskussionen um »Raum«
1.2 Problemstellung und Aufbau der Arbeit
2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN
2.1 Raum
2.1.1 Zum Raumverständnis in der geographischen Fachwissenschaft
2.1.2 Raumbegriffe in der Geographiedidaktik
2.2 Raumakteure
2.2.1 Auf dem Weg zu einer »Geographie der Subjekte«
2.2.2 Subjekt- und Handlungszentrierung aus geographiedidaktischer Perspektive
2.3 Raumaneignung
2.3.1 Raumwahrnehmung – Raumvorstellung – Raumaneignung
2.3.2 Raumbezogene Handlungskompetenz
2.3.3 Zusammenfassung empirischer Erkenntnisse zur Raumaneignung
2.4 Kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen
2.4.1 Ausgangspunkt 1
2.4.2 Ausgangspunkt 2
3. FRAGESTELLUNG UND UNTERRICHTSKONZEPTION
3.1 Fragestellung
3.2 Unterrichtskonzeption
3.2.1 Konstruktivistische Lernumgebungen schaffen
3.2.2 Übersicht der Unterrichtseinheit
4. AUFBAU UND GANG DER UNTERSUCHUNG
4.1 Samplingprozess
4.2 Vorarbeiten
4.3 Hauptstudie
5. FORSCHUNGSMETHODIK
5.1 Zur Einordnung. Qualitative Sozialforschung
5.2 Erhebung. Gruppendiskussionsverfahren
5.3 Auswertung. Dokumentarische Methode
5.3.1 Methodologische Einordnung und zentrale Begrifflichkeiten
5.3.2 Vorgehen und Analyseschritte
5.3.3 Exemplarische Textinterpretation
5.4 Potenziale der methodischen Wahl
5.4.1 Allgemeine Kriterien
5.4.2 Begründung aus unterrichtspraktischer Sicht
5.4.3 Begründung aus spezifisch raumbezogener Sicht
6. ERGEBNISSE
6.1 Fallbeschreibungen
6.2 Rekonstruktion der Schülerorientierungen: Komparative Analyse und theoretische Verdichtung
6.2.1 Veränderndes Eingreifen in Strukturen als Raumproduktion
6.2.2 Der Umgang mit Heterogenität
6.2.3 Die Bedeutung der eigenen Lebenswelt als Umgang mit konkret-räumlichen Alltagserfahrungen
6.2.4 Die Rolle schulischer Strukturen als Auseinandersetzung mit dem Unterricht
6.2.5 (Neues) Verständnis von Geographie
6.2.6 Die Rolle der Kunst bzw. ästhetischer Zugänge zu Raum
6.3 Typenbildung
6.3.1 Sinngenetische Typenbildung der vorliegenden Studie
6.3.2 Typenspezifische Bearbeitung der Themen
6.3.3 Theoretische Verdichtung und Diskussion der Typenbildung
7. ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE
7.1 Konsequenzen und Ausblick
7.1.1 Allgemeine Konsequenzen
7.1.2 Typenspezifische Formulierung erster Annahmen und Hilfestellungen für den Geographieunterricht
7.2 Kritische Würdigung, Forschungsdesiderata und Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung
LITERATUR

Citation preview

Romy Hofmann Urbanes Räumen

Sozial- und Kulturgeographie

Band 6

Romy Hofmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der Geographie an der FAU Erlangen-Nürnberg. Sie forscht zu Jugendgeographien, stadtgeographischen Fragestellungen und Raumwahrnehmungen von Kindern und Jugendlichen.

Romy Hofmann

Urbanes Räumen Pädagogische Perspektiven auf die Raumaneignung Jugendlicher

Inaugural-Dissertation in der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Titel: »urbanes räumen. Eine empirisch-rekonstruktive Untersuchung zur Entfaltung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen bei Jugendlichen«. Erstgutachter: Prof. Dr. Rainer Mehren Zweitgutachter: Prof. Dr. Georg Glasze

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Romy Hofmann, Halle (Saale), 2013 Korrektorat & Satz: Romy Hofmann Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3011-4 PDF-ISBN 978-3-8394-3011-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 9

1. FORSCHUNGSANLASS UND PROBLEMSTELLUNG 1.1 Anlass der Untersuchung | 11

1.1.1 Vom »Raum« zu »Räumen«. Fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Räumen | 11 1.1.2 Schule und Geographieunterricht. Bildungspolitische Diskussionen um »Raum« | 13 1.2 Problemstellung und Aufbau der Arbeit | 14

2. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 2.1 Raum | 19

2.1.1 Zum Raumverständnis in der geographischen Fachwissenschaft | 21 2.1.2 Raumbegriffe in der Geographiedidaktik | 47 2.2 Raumakteure | 65

2.2.1 Auf dem Weg zu einer »Geographie der Subjekte« | 66 2.2.2 Subjekt- und Handlungszentrierung aus geographiedidaktischer Perspektive | 80 2.3 Raumaneignung | 98

2.3.1 Raumwahrnehmung – Raumvorstellung – Raumaneignung | 98 2.3.2 Raumbezogene Handlungskompetenz | 130 2.3.3 Zusammenfassung empirischer Erkenntnisse zur Raumaneignung | 157 2.4 Kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen | 162 2.4.1 Ausgangspunkt 1 | Kompetenzbereich Räumliche Orientierung | 164 2.4.2 Ausgangspunkt 2 | Subjekt- und Handlungsorientierung | 167

3. FRAGESTELLUNG UND UNTERRICHTSKONZEPTION 3.1 Fragestellung | 191 3.2 Unterrichtskonzeption | 192 3.2.1 Konstruktivistische Lernumgebungen schaffen | 195 3.2.2 Übersicht der Unterrichtseinheit | 223

4. AUFBAU UND G ANG DER UNTERSUCHUNG 4.1 Samplingprozess | 240 4.2 Vorarbeiten | 241 4.3 Hauptstudie | 242

5. FORSCHUNGSMETHODIK 5.1 Zur Einordnung. Qualitative Sozialforschung | 245 5.2 Erhebung. Gruppendiskussionsverfahren | 246 5.3 Auswertung. Dokumentarische Methode | 250 5.3.1 Methodologische Einordnung und zentrale Begrifflichkeiten | 250 5.3.2 Vorgehen und Analyseschritte | 254 5.3.3 Exemplarische Textinterpretation | 260 5.4 Potenziale der methodischen Wahl | 267 5.4.1 Allgemeine Kriterien | 267 5.4.2 Begründung aus unterrichtspraktischer Sicht | 269 5.4.3 Begründung aus spezifisch raumbezogener Sicht | 270

6. E RGEBNISSE 6.1 Fallbeschreibungen | 275 6.2 Rekonstruktion der Schülerorientierungen: Komparative Analyse und theoretische Verdichtung | 309

6.2.1 Veränderndes Eingreifen in Strukturen als Raumproduktion | 311 6.2.2 Der Umgang mit Heterogenität | 318 6.2.3 Die Bedeutung der eigenen Lebenswelt als Umgang mit konkret-räumlichen Alltagserfahrungen | 328

6.2.4 Die Rolle schulischer Strukturen als Auseinandersetzung mit dem Unterricht | 338 6.2.5 (Neues) Verständnis von Geographie | 346 6.2.6 Die Rolle der Kunst bzw. ästhetischer Zugänge zu Raum | 349 6.3 Typenbildung | 350 6.3.1 Sinngenetische Typenbildung der vorliegenden Studie | Modi der Raumaneignung Jugendlicher | 353 6.3.2 Typenspezifische Bearbeitung der Themen | 357 6.3.3 Theoretische Verdichtung und Diskussion der Typenbildung | 391

7. ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION DER E RGEBNISSE 7.1 Konsequenzen und Ausblick | 401

7.1.1 Allgemeine Konsequenzen | 401 7.1.2 Typenspezifische Formulierung erster Annahmen und Hilfestellungen für den Geographieunterricht | 407 7.2 Kritische Würdigung, Forschungsdesiderata und Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung | 409

LITERATUR |

417

Vorwort

Die vorliegende Arbeit schickt ihre Leser auf eine Reise durch unterschiedliche Zeiten und Räume. Als solche ist sie auch entstanden; zwischen Beginn und Fertigstellung der Dissertationsschrift liegen zeitliche und räumliche Abschnitte, die nötig waren zu durchlaufen und darüber hinaus einen Wechsel eigener Sichtweisen erforderten. Wie auf jeder Reise setzen Reiseleiter und Reisender selbst eigene Schwerpunkte; Dinge, die man sehen möchte, die Ge- oder Missfallen auslösen. Eine solche Auswahl fand auch in dieser Arbeit statt. Die Leser werden möglicherweise andere Sichtweisen erfahren oder entdecken. Dabei können wiederum ganz neue Räume entstehen, was zu neuen, kleinen Reisen ermutigen kann. Um glücklich zu sein, müssen wir unsere Perspektive verändern. Eine Reise ist ein willkommener Anlass dazu. Die theoretische Auseinandersetzung mit kritischen und reflexiven Denkund Handlungsweisen während der Arbeit schloss auch Momente praktischen Nachfragens und Umdenkens ein. Diese waren vor allem möglich durch die Unterstützung seitens des Lehrstuhls für Didaktik der Geographie der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg, dessen Inhaber, Prof. Dr. Rainer Mehren sowie den Mitarbeitern gesamt mein Dank gilt. Weitere positive Unterstützung, ermutigende Worte und die Bestätigung, die einem das eigene Schaffen im Entstehungsprozess einer solchen Arbeit teilweise vorenthält, kamen von Personen, die namentlich hier zwar nicht erwähnt werden, denen aber dennoch besondere Wertschätzung zuteilwerden soll.

1. Forschungsanlass und Problemstellung To deal with the phenomenon of space is, even for a non-scientist, a fascinating matter, since the phenomenon of space, apart from that of time, is an

indispensable

cornerstone

of

human

experience. SCHULZE 1987: 2

1.1 ANLASS

DER

U NTERSUCHUNG

1.1.1 Vom »Raum« zu »Räumen«. Fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Räumen Die Geographie setzt sich traditionell mit dem Raum bzw. räumlichen Phänomenen auf der Erdoberfläche sowie den damit im Zusammenhang stehenden Lebensformen und -äußerungen der Menschen auseinander. Dabei wird Raum als eine Brille verstanden, durch die wir die Welt sehen und erklären können. Die ontologische Wertigkeit des Raum-Begriffes selbst hat sich im Verlauf der Entwicklung von der Geographie als einer Wissenschaft der feststellenden ErdBeschreibung zu einer auch verstehenden Disziplin geändert, die über das Erfassen kausaler Wirkbeziehungen hinausgeht. Bedingt dadurch kommt es zu einer verfeinerten Betrachtung und Ausdifferenzierung ihrer einzelnen Disziplinen und theoretischen Zugänge. Dabei wird, auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen, Wert auf eine plurale und vielperspektivische Beobachtungshaltung gelegt, die von einer Reflexivität der Beobachtenden zeugt. Es gehört gewissermaßen zum guten Ton, Tatsachen und Meinungen kritisch zu hinterfragen und gar zu dekonstruieren. Geograph oder Wissenschaftler zu sein, meint auch, sich selbst über die Schulter zu schauen und einen zweiten Blick auf Sachverhalte zu

12 | U RBANES R ÄUMEN

werfen. Dies kann als Ausdruck einer Post- bzw. späten Moderne (nach Giddens, vgl. Knox/Pinch 2006: 53) umrissen werden. Die Neue Kulturgeographie (Kap. 2.1.1) als eine Perspektive der Sozialgeographie verfolgt diesen Anspruch kritischer Wissensproduktion und leistet damit auf einer wissenschaftlichen Ebene »Beiträge zu aktuellen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen als wichtige Anregungen für den öffentlichen Diskurs« (Bauer 2010: 95). Als eine ihrer Stärken steht der Einbezug von Erkenntnissen aus anderen wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldern, wodurch sich geographischen Phänomenen interdisziplinär und differenzierter genähert werden kann. Eine der Grundannahmen der Neuen Kulturgeographie betont die Vieldeutigkeit der Wirklichkeit; damit sind auch die täglich von Menschen (re-)produzierten Räume gemeint. Vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen Verständnisses bedeutet das, dass wir die Dinge der Umwelt erst durch unser Handeln bedeutsam machen. Im Zuge der Neuen Kulturgeographie nimmt die Bedeutungszuweisung eine zentrale Rolle ein. Räume werden nicht mehr nur als objektiv gegebene und eindeutig vermess- und kartierbare Container aufgefasst, sondern es rücken auch Fragen in den Mittelpunkt, warum bestimmte Stadtviertel hip werden – d.h. ihnen diese Bedeutung zugeschrieben wird –, auch wenn sie bspw. eine marode Bausubstanz aufweisen. Die scheinbar objektive schlechte Beschaffenheit eines Raumes steht der subjektiven positiven Deutung gegenüber. Damit wird deutlich, dass nicht von bereits existierenden Räumen ausgegangen werden kann, sondern diese erst im Sprechen und Handeln entstehen. Exemplarisch hierfür stehen die Fragen, »wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Interessen wie über bestimmte Räume kommuniziert und sie durch alltägliches Handeln fortlaufend produziert und reproduziert« (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie 2002: 8). Es existieren unterschiedlich legitime, gleich gültige Raumkonstruktionen nebeneinander. Aus der subjektiven und selektiven Bedeutungszuweisung der handelnden Akteure ergibt sich letztlich die Unmöglichkeit, jene Fragen eineindeutig zu beantworten. »Um genau diesen Lernprozess, also um den reflektierten Umgang mit Unsicherheit, Ungewissheit und Ambivalenzen, um die Einbeziehung von Optionalität und das Mitdenken möglicher nicht-intendierter Nebenfolgen geht es im Bereich der ›Neuen Kulturgeographie‹.« (Wardenga 2006: 30) 1.1.2 Schule und Geographieunterricht. Bildungspolitische Diskussionen um »Raum« »Es kann nicht überraschen, dass eine Problematik, die Grundfragen der Geographie betrifft, auch in der fachdidaktischen Diskussion thematisiert wird«

F ORSCHUNGSANLASS UND P ROBLEMSTELLUNG | 13

(Hoffmann 2007: 28), zumal die räumliche Komponente als das Erkennungsmerkmal der Geographie gehandelt wird und darüber hinaus auch einen maßgeblichen Anteil in der geographischen Ausbildung spielt (vgl. ebd.: 39f. zu Raumbezügen in den deutschen Rahmenplänen zum Geographieunterricht). Die Notwendigkeit der Thematisierung spezifisch räumlicher Fragestellungen ergibt sich nicht zuletzt aus der Rolle der Schulgeographie als »eine[r] besondere[n] Schnittstelle zwischen Fachwissenschaft und Gesellschaft [...]. Insofern sind die Geographie und die Gesellschaft auf eine solide Arbeit in den Schulen angewiesen.« (DGfG 2010: 3), wobei der geographiedidaktischen Forschung hierbei eine essentielle Bedeutung zukommt. Formuliert als Bildungsbeitrag in den Grundsätzen und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Schulfach Geographie muss Geographieunterricht »den Veränderungen in der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen und den allgemeinen gesellschaftlichen Problemsituationen, die u.a. in den epochal-typischen Schlüsselproblemen ihren Niederschlag finden, in seinen Zielsetzungen, Inhalten und Methoden Rechnung […] tragen« (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie 2002: 7). Im Speziellen hat dieser die Aufgabe zu erfüllen, Lernende für die Kontingenz von (räumlicher) Wirklichkeit zu sensibilisieren und ihnen die Bedeutungsvielfalt von Räumen erfahrbar zu machen. Was bedeutet es, dass ein räumlicher Ausschnitt unterschiedliche Bedeutungen annimmt und wie ist das zu erklären? Dies wiederum erfordert einen differenzierte(re)n Blick auf das jeweils Eigene und Andere sowie die Einsicht, dass nicht die eigene Sichtweise die einzig wahre ist. In unterschiedlichen geographiedidaktisch relevanten Dokumenten wird das Ziel der vielperspektivischen Behandlung von Räumen betont (vgl. dazu ausführlicher Kap. 2.1.2). Nun kann es im Geographieunterricht nicht darum gehen, Räume allein auf einer theoretischen Ebene als vielfältig gesellschaftlich konstruiert zu erfassen und beschreiben, sondern auch (aktionale) Handlungen in konkreten Räumen anzuleiten, was mit dem Begriff der Raumaneignung bzw. Partizipation bestimmt und geographiedidaktisch als Raumbezogene Handlungskompetenz beschrieben werden kann. Um aber raumgerecht bzw. raumkompetent zu handeln, so die Annahme, bedarf es dieses grundlegenden Verständnisses von und einer kritischen Auseinandersetzung mit Räumlichkeit. Als »alle Einzelziele des Geographieunterrichts einschließenden Oberbegriff« (Köck 2011: 113) beschreibt die Raumbezogene Handlungskompetenz in ihren Grundpfeilern »die Fähigkeit und Bereitschaft, die nahe und ferne räumliche Umwelt fachstrukturell zu erfassen und zu durchdringen sowie selbstbestimmt und solidarisch an ihrer Entwicklung, Gestaltung und Bewahrung mitzuarbeiten« (Kultusministerkonferenz 2005: 3). Diese gilt es an anderer Stelle (Kap. 2.3) intensiver zu erläutern.

14 | U RBANES R ÄUMEN

1.2 P ROBLEMSTELLUNG UND AUFBAU

DER

ARBEIT

Auch andere wissenschaftliche Disziplinen neben der Geographie haben das Räumliche für sich entdeckt (vgl. Exkurs I, Kap. 2.1.1) und finden vermehrt über konstruktivistische Zugänge neue Wege der Behandlung räumlicher Fragen. Dies geschieht dezidiert vor dem Hintergrund eines kritisch-hinterfragenden, dekonstruierenden Modus sowie unter Bezugnahme auf plurale, Vielfalt betonende Welt- und Wirklichkeitsverhältnisse, die besonders kleinere, sogenannte alltägliche Phänomene in den Blick nehmen. Im Sinne eines normativen Maßstabs gilt es entsprechend als gut, ja zwingend notwendig, Perspektiven zu wechseln und sich auf diese Art und Weise ein Bild von der Welt zu machen. Auch im Geographieunterricht kann es nicht allein um die Thematisierung von Erd-Räumen als abgeschlossene, nebeneinander stehende Einheiten gehen; darum, ein möglichst authentisches Bild der einen Welt zu vermitteln. Über die Öffnung des Begriffes Raum hin zu einer auch subjektiv bedeutsamen Dimension wird deutlich, dass die jeweils individuelle Weltsicht nur eine neben weiteren möglichen Weisen der Erklärung von Welt darstellt. »Für einen Wurm im Meerrettich besteht die Welt aus Meerrettich.« (Rhode-Jüchtern 2011) Nehmen wir Menschen unsere Umwelt entsprechend auf diese Weise wahr, wird niemand daran zweifeln, dass es auch anders sein kann. Das Heraustreten aus der eigenen Welt im Sinne eines Hinterfragens dessen, was für normal und wahr gehalten wird, ist aber bei weitem nicht selbstverständlich, ja sogar ein wenig unbequem. Doch muss es auch darum gehen, ein Problembewusstsein bei den Lernenden anzuleiten, um mit der Vielperspektivität und unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten umzugehen. Damit einher geht aber gleichzeitig die Frage, »welches raumbezogene didaktische Prinzip« (Mittelstädt 2011: 142) sich für dessen Vermittlung eignet, da wir erkennen müssen, »dass ein geographischer Denkhabitus basierend auf dem Konzept Reflexivität für die geographiedidaktisch motivierte Beobachtung en detail noch nicht bestimmt oder gar operationalisiert ist« (Schneider 2013: 17) – nicht zuletzt aus dem Grund, da eine Behandlung von Räumen aus der Sicht der Neuen Kulturgeographie zwangsläufig mit Verunsicherung einhergeht. Treffender als mit Wardenga lässt sich das kaum formulieren: »›Neue Kulturgeographie‹ ist damit eine erhebliche Herausforderung sowohl für die Humangeographie im universitären Bereich, als auch für die Schulgeographie, weil sie mit vielen lieb gewordenen Vorstellungen und Begriffen [...] bricht, Grenzziehungen relativiert und neue Unterscheidungen einführt.« (Wardenga 2006: 43 [eig. Herv.]) Doch ist nicht auch der tägliche Ablauf in den Klassenzimmern der Schulen neukulturgeographisch? Sind Lernende und

F ORSCHUNGSANLASS UND P ROBLEMSTELLUNG | 15

Lehrende nicht gleichermaßen von der Vieldeutigkeit betroffen, die das Aushandeln von Fragen, bspw. nach richtigem Handeln betrifft? Als zentrale Problemstellung dieser Arbeit ergibt sich, dass auf der einen Seite normative Forderungen an Lernende und ihre Lernprozesse herangetragen werden; Bildung immer auch gesellschaftlich bestimmt ist. Das zeigte sich vor allem mit dem Aufschrecken nach der ersten PISA-Studie und weiterhin in aktuellen Debatten um Kompetenzorientierung, bis hin zur Umsetzung alternativer Schulformen oder Bildungskonzepte. Gleichzeitig wird die Perspektive der Lernenden als zentral für die Qualität und Verbesserung von Unterricht anerkannt. Kompetenzorientierung habe sich an den individuellen Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen auszurichten, was weithin unter dem Begriff der Subjektzentrierung bekannt ist. Neben einem testorientierten Denken, welches an die Leistungsorientierung von Lernenden anknüpft, muss es auch darum gehen, ihre subjektiven Sichtweisen zu berücksichtigen, die sich nicht allein quantitativ in Form von Schulnoten messen lassen. Damit ist weniger gemeint, jeden einzelnen Lernenden nach seinen Vorstellungen oder Erfahrungen zu fragen, sondern Forschung zu betreiben, die einen unvoreingenommenen Zugang zu den Wissensbeständen bzw. Denkweisen der Lernenden eröffnet und damit Rahmenbedingungen zu schaffen, um (Geographie-)Unterricht langfristig verbessern zu können. In diesem Unterfangen möchte die vorliegende Studie einen Beitrag leisten. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Nach der bisherigen Darstellung des Forschungsanlasses sowie der zentralen Problemstellung in Kapitel 1 erfolgt eine Klärung grundlegender theoretisch-konzeptioneller Voraussetzungen in Kapitel 2, wobei sich die Unterkapitel (2.1.1, 2.2.1, 2.3.1) jeweils aufbauend aufeinander einem geänderten Raum-Verständnis – des eigentlichen Ausgangspunktes dieser Studie – als auch dem der Raumakteure – wer sind diejenigen, die Raum herstellen – und der Raumaneignung – wie, warum und mit welchen Konsequenzen tun sie das – aus einer fachwissenschaftlichen Perspektive widmen. Daran schließt sich jeweils ein Kapitel an, welches die geographiedidaktischen Zugriffe aufzeigt (Kap. 2.1.2, 2.2.2, 2.3.2). Zusammengefasst werden die Ausführungen in einem Textfeld am Ende jedes einzelnen Kapitels. Dabei wird auf die für die Bereiche relevanten Erkenntnisse i.S. einer Darstellung des Forschungsstandes eingegangen, der zusammengefasst in Kapitel 2.3.3 dargestellt wird. Diese Annahmen fließen im Kernstück der theoretischen Annahmen – einem kritischreflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen – in Kapitel 2.4 zusammen. Der Grund für diese Aufteilung liegt in der Betonung der engen Verzahnung zwischen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Überlegungen, um diese nicht getrennt voneinander erscheinen zu lassen. In den weiteren Abschnitten der

16 | U RBANES R ÄUMEN

Arbeit geht es darum, über die Ableitung der Fragestellung der Arbeit die Konzipierung des Unterrichtstreatments aufbauend auf den vorangegangenen Überlegungen aufzuschlüsseln (Kap. 3), um daran anschließend Aufbau und Gang der Untersuchung (Kap. 4) sowie die forschungsmethodischen Grundlagen (Kap. 5) aufzuzeigen. Der Auswertung des Projekts in Kapitel 6 folgen erste Konsequenzen, die als Zusammenfassung und Ausblick formuliert werden (Kap. 7). Das folgende Schema (Abb. 1) soll die inhaltlichen Zusammenhänge in Übersichten mit einigen Schwerpunktsetzungen verdeutlichen. Abbildung 1: Zusammenschau der theoretischen Schwerpunktsetzungen

Drei Hinweise zur formalen Abfassung der Arbeit seien hier noch erwähnt: Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf eine explizite Trennung zwischen weiblichen und männlichen Formen verzichtet; es wird im Folgenden letztere gewählt, es sei denn, eine Nennung beider Geschlechte ist erforderlich. Zum anderen werden jegliche Zitate aus anderen Quellen sowie auch Aussagen der Jugendlichen aus den Gruppendiskussionen in Anführungszeichen (»...«) geschrieben; eigene Begriffe, die hervorgehoben werden, erscheinen stets kursiv. Die Zitate der Jugendlichen aus den Gruppendiskussionen werden so übernommen, wie sie in den Transkriptionen erscheinen; das schließt ein, dass Orthographie und Rechtschreibung evtl. von den üblichen Regeln abweichend verwendet werden.

F ORSCHUNGSANLASS UND P ROBLEMSTELLUNG | 17

Jugendlichen, d.h. den Lernenden müssen im Rahmen ihrer Ausbildung Wege aufgezeigt werden, um sich in einer Welt der vielfältigen Handlungsmöglichkeiten zurechtzufinden und angesichts pluraler, polyvalenter und kontingenter Wirklichkeiten keiner Gleichgültigkeit zu verfallen. Es geht um eine »Orientierungskompetenz in fundamentalem Sinne« (Dickel 2006a: 13). Dies soll über die Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen erfolgen, die mit dem Ziel verbunden ist, dass Lernende mit Hilfe von Geographieunterricht ein »praktikables Weltbild« (ebd.: 9) ausbilden, um sich in der Um-Welt zurechtzufinden. Denn besonders vor dem Hintergrund der zunehmenden Aufmerksamkeitslenkung in den öffentlichen urbanen Räumen müssen sie lernen, versteckte Intentionen zu lesen und entziffern. Im Titel der Arbeit – urbanes räumen1 – kommt eine Zweideutigkeit zum Ausdruck, die das Spannungsfeld der Bedeutungsvielfalt von Räumen und der eigenen Aktivität im urbanen Raum erfasst. Die Jugendlichen lernen über stadtgeographische Fragestellungen – urbane Räume –, jenen Räumen verschiedene Möglichkeiten einzu-räumen, d.h. wie sie jeweils subjektiv zugewiesene Bedeutung annehmen können und welche Konsequenzen das für das eigene Handeln hat. Damit verbunden ist das Anliegen von Geographie sowie Geographieunterricht, »weniger Macht-, Hierarchie- und Strategiedenken, vielmehr eine offenere Konzeption von Theorie, Wissenschaftspraxis und Geographie [zu] ermöglichen, in der auch alternative Erzählungen ihren Platz haben« (Bauer 2006: 92). Lernende sollen dabei zu Ko-Autoren von Räumen werden, um die postulierte Vielfalt der Wirklichkeit selbst zu erfahren. Verbunden mit dem Verlassen allzu hierarchischer Denkweisen und einer Offenheit geographiedidaktischer Lesart ist das Bedürfnis der vorliegenden Arbeit, nicht von Schülerinnen und Schülern i.e.S. zu sprechen – auch wenn sie dies in ihrer Rolle sind – sondern wird auch hier der Begriff der Jugendlichen vorgezogen (vgl. Bauer 2006: 97), um die Geographien ihres eigenen Lebens (Daum 1993) in den Vordergrund zu stellen, die sie vor allem auch außerhalb schulischer Räume produzieren.

1

In Anlehnung an Biehler 2004.

2. Theoretische Grundlagen Solange die Geographie über den Raum, auf den sie nicht verzichten kann, stolpert, bleibt sie als Unterrichtsfach in der öffentlichen Diskussion und damit gefährdet. MITTELSTÄDT 2011: 142

2.1 R AUM Im folgenden Kapitel wird sich dem Raumverständnis, sprich dem Gebrauch der Kategorie Raum, auf theoretischer Ebene genähert, um die eher alltagssprachlich-selbstverständliche Verwendung in den vorangegangenen Abschnitten einer differenzierteren Sichtweise zu unterziehen. Einige einführende Bemerkungen vorweg: Unser Leben findet seit jeher in Räumen statt. Neben der Zeit ist dies eine der bestimmenden Grundvoraussetzungen und Ordnungs- bzw. Verortungskategorien menschlicher Existenz. Dass Raum und Zeit aktueller denn je sind, zeigt ein Blick auf Namensgebungen in unserer täglichen, auch virtuellen Umgebung. Der Lifestyle-Shop zeitraum vertreibt Uhren und Schmuck in Nürnberg; ein Möbel-Outlet namens Zeitraum weist auf deren Funktion für unser Leben hin; ebenso wie Zeit & Raum – das »Wohnzimmer der Altstadt« Nürnbergs, in dem Essen und Trinken an erster Stelle serviert werden. Über diese Kategorien wurden und werden gesellschaftliche Entwicklungen erklärt und verständlich gemacht. Im Laufe der Zeit jedoch verlagerten sich die Schwerpunktsetzungen: Wo in der Moderne1 noch »alle Entwicklung [...] als zeitlich und sequenziell be-

1

Damit ist eine »Erste Moderne« gemeint, die ca. ab dem 18. Jahrhundert einzuordnen ist (Wardenga 2006: 25) und die mit den beginnenden 1990er Jahren radikalisiert wird, u.a. im Zuge des Globalisierungs-Diskurses. Auf diese »Zweite Moderne« folgt dann sinngemäß die »Postmoderne«.

20 | U RBANES R ÄUMEN

griffen [wird und] räumliche Unterschiede einfach zeitlich verschobene Durchgangsstadien ein und derselben Entwicklung bilden [...]« (Gebhardt et al. 2007a: 32), widmet man sich in einer Zweiten bzw. der Postmoderne verstärkt räumlicher Erklärungsmuster. Ein Grund dafür, dass Raum eher in den Hintergrund getreten war und besonders die Geographie keine räumlichen Ansprüche auch auf wissenschaftlicher Ebene geltend machen wollte, lag nicht zuletzt in historischen Entwicklungen begründet. Doch mit Beginn der 1990er Jahre kam in den deutschsprachigen Kulturwissenschaften auch das »jüngste Mitglied der großen Familie sozialwissenschaftlicher Wenden« (Lossau/Lippuner 2004: 203), weithin als spatial turn bekannt (vgl. Exkurs I), auf. Raum erlebte damit eine Wiedergeburt, und wurde langsam wieder Teil geographischer Erklärungen. Dessen räumliche Fokussierung leugnet dabei keineswegs die zeitliche Bedingtheit menschlicher Existenz, doch wird vielmehr anerkannt, dass Prozesse nicht mehr allein (zeitlich) linear zu begründen sind. Exkurs I | Vom spatial turn oder der geographischen Wende in den Kulturwissenschaften Im Zuge eines spatial turn… • … wird Raum »zum Konstruktionsprinzip sozialen Verhaltens, zu einer Dimension von Materialität und Erfahrungsnähe« (BachmannMedick 2009: 42) und gilt als »erkenntnisleitendes Beobachtungsschema« (Fuchs/Rolfes 2013: 444). • ... »fragen die Literaturwissenschaften beispielsweise nach dem Einfluss kartographischer Praktiken auf den literarischen Entwurf und gehen damit über bisherige Aspekte der Raumrepräsentation in Texten hinaus« (Wagner 2007: 13), werden Architektur und Stadtbild allgemein »in ihrer raumbildenden Funktion untersucht« (ebd.), und auch in den Kognitionswissenschaften spricht man vom »spatial reasoning« (ebd.: 14). • ... für den Deutschunterricht speziell fordert Müller-Michaelis (2006: 5) einen topographical turn, der – als spatial turn verstanden – den Lesern bzw. Beobachtern die Bedeutung von Orten für ihr Handeln näher bringt, sei es im Sinne einer möglichen Grenzüberschreitung oder dem Ort als unserem Handeln Grenzen setzender Schauplatz. • ... auch die Kunst arbeitet verstärkt mit dem Raum, ist sie doch auf ihn angewiesen. Raum wird aber nicht mehr als neutraler (Ausstellungs-) Ort betrachtet, sondern in das ortsspezifische Arbeiten mit einbezogen, denn »[j]ede Art von ortsbezogener Arbeit setzt eine Kenntnis des

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 21





Orts voraus« (Möntmann 2002: 48). ... der spatial turn ergreift ebenso Aspekte von Gender. Dabei geht es vor allem um die räumlichen Dimensionen von Geschlecht, den Möglichkeiten männlicher und weiblicher Raumeinnahme, deren Konfliktpotenziale usw. (vgl. Förschler/Habermas/Roßbach 2014). ... doch nicht gänzlich widerspruchsfrei wurde der spatial turn in anderen Kulturwissenschaften rezipiert, da mit ihm genauso eine Verunsicherung einherging, die an den wesentlichen Grundpfeiler der Erkenntnis(theorie) wackelte (u.a. Michalsky 2005: 287; vgl. dazu Ausführungen zu den cultural turns).

2.1.1 Zum Raumverständnis in der geographischen Fachwissenschaft Mithilfe räumlicher Kategorien gelingt es Geographen, Ordnung zu schaffen; dabei entstehen Regionen, Länder, Zonen. Über diese Abgrenzungen, Zuordnungen und Aufteilungen wird es zudem möglich, uns in der Welt zu orientieren und Komplexitäten zu reduzieren. Dabei untersucht die Geographie als Raumbzw. Sozialwissenschaft (in Abgrenzung zur naturwissenschaftlichen Ausrichtung) traditionellerweise räumliche Phänomene. Zentral für sozialgeographische Untersuchungen waren stets die Verbindungen zwischen Raum und Gesellschaft, wonach übergeordnet die Fragen zu stellen sind: Wie sind Gesellschaften in räumlicher Hinsicht organisiert und wie wirkt sich Räumlichkeit auf das gesellschaftliche Zusammenleben aus? (vgl. Budke/Glatter 2013: 491). Doch hat sich das Verständnis geändert, vor dessen Hintergrund der Erd-Raum beschrieben und erklärt wird. In mathematisch-physikalischer Tradition wird die absolute Größe Raum als unveränderbar aufgefasst, auch wenn von relativen Räumen, die in Beziehung zu Dingen und anderen Räumen stehen, die Rede ist. Raum gilt demnach einerseits – exemplarisch nach Newton und Leibniz – als quantitative, dreidimensionale Ausdehnung (vgl. Burghardt 1990). Geographisch betrachtet wird dieser als ein mit unterschiedlichen Elementen der physisch-materiellen Welt gefüllter Container; Verkehrswege, Vegetation, Niederschlagsmengen, Autos und Häuser gehören bspw. dazu. Entsprechend kann dieser Raum über statistische Größen, Zahlen und in Karten oder Diagrammen eindeutig dargestellt werden. Räume wurden »im realistischen Sinne [...] als Wirkungsgefüge natürlicher und anthropogener Faktoren verstanden, als das Ergebnis von Prozessen, die die Landschaft gestaltet haben oder als Prozessfeld menschlicher Tätigkeiten« (Wardenga 2006: 21). Dieses Verständnis bestimmte die wissenschaftliche Geographie seit ihren

22 | U RBANES R ÄUMEN

Anfängen. In der Zwischenkriegszeit erlangte das Landschaftskonzept als »Zentralbegriff einer neuen Geographie« (Wardenga 2002) eine prominente Stellung, um sich mit diesem Begriff eine original geographische Kategorie zu sichern. Mit dem Raum als Landschaft verblieb man indes in einem Container-Denken in dem Sinne, dass sich weiterhin der objektiv bzw. quantitativ bestimmbaren Beschaffenheit von Landschaft gewidmet wurde. Wenn heutzutage von Landschaft in unterschiedlichen Kontexten gesprochen wird, unterliegt dieses Konzept vor allem vor dem Hintergrund eines dezidiert konstruktivistischen Verständnisses einer kritischen Einschätzung. Dabei geht es u.a. um die zunehmende Gestaltung von Landschaften, verbunden mit einem Funken Erlebnis. Hahn (2012) fragt nicht ohne Grund: »Erlebnislandschaft – Erlebnis Landschaft?« Und auch der Tourismus entdeckt ganz unterschiedliche Landschaften für sich, die verschieden inszeniert und damit bewusst konstruiert werden: als Stadtstrände, Kaufhäuser oder durch sportliche Veranstaltungen (vgl. Wöhler/Pott/Denzer 2010). Nach dem Kieler Geographentag 1969 erlebte die Geographie eine Öffnung ihrer eher starren Disziplingrenzen für Ansätze aus anderen Wissenschaften und v.a. der angloamerikanischen Geographie (Wardenga 2006: 39). Seit den 1970er Jahren entwickelte sich die Raumstrukturforschung, die den Grundstein für ein konstruktivistisches (im Gegensatz zum realistischen) Raumverständnis legte, da man nun auch die Bedeutung von Lagebeziehungen zwischen Dingen der physisch-materiellen Welt im Hinblick auf ihre Wirkungen auf gesellschaftliche Wirklichkeiten in den Blick nahm (Wardenga 2002). Nach der quantitativen Fokussierung geographischer Forschung v.a. in den 1960er Jahren wurden dann Bestrebungen laut, sich »stärker menschbezogenen Fragen« (Downs/Stea 1982: 8) zu widmen, was zu einer Aufnahme von Konzepten führte, die man damals »in die Rumpelkammer der Disziplin verbannt hatte« (ebd.). Auch wenn in jenen Ansätzen der Mensch als Faktor räumlicher Veränderungen eine Rolle spielte, war es doch erst mit der verhaltenswissenschaftlich orientierten Geographie, dass seine individuellen Wahrnehmungen und Einstellungen und damit auch Themen des Alltags der Menschen an Relevanz für die Untersuchung von Räumen gewannen. Dennoch galt diesen Ansätzen weiterhin der Vorwurf, räumliche Verallgemeinerungen aufzustellen und den Raum als feststehende Einheit zu konzipieren. Seit der Mitte der 1980er Jahre kam Kritik dabei besonders von handlungs- und systemtheoretischer Seite. Mit Benno Werlens Handlungszentrierter Sozialgeographie gewinnt die Geographie eine weitere – wenn nicht unumstrittene – Perspektive auf Räumlichkeit. Grundlage dieses Ansatzes bilden soziologische Überlegungen nach Anthony Giddens’ Strukturationstheorie, der zufolge Handeln unterschieden werden kann in geplante und ungeplante Regio-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 23

nalisierungen. »Ungeplante Regionalisierungen sind Handlungen mit räumlichzonierenden Folgen, deren Intention jedoch nicht darauf ausgerichtet ist.« (Hermann/Leuthold 2007: 217) Mit anderen Worten: Den Menschen wird intentionales Handeln zugesagt, doch können wir nie alle Folgen exakt voraussehen. Streng genommen wird mit einer handlungszentrierten Sichtweise ein Schritt zurück vom Raum genommen, um besonders die menschlichen Handlungen in ihrer konstitutiven Bedeutung für Räume in den Blick zu nehmen. Zwar werden Fragestellungen unter einer i.w.S. räumlichen Perspektive betrachtet, doch sind dies Themen, und nicht so sehr vorgegebene Räume selbst.2 Strukturalistische Ansätze fanden v.a. im Kontext der Diskursforschung wenig später Eingang in die Geographie. Als Initiator des Strukturalismus gilt der Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure, der mit seinem Zeichen-Modell die einseitige Beziehung, nach der ein Signifikant (Bezeichnendes, z.B. die Lautkette M-a-u-s) genau eine Bedeutung (Signifikat, ein kleines graues Tier namens Maus) habe, verwarf. Vielmehr sind Bedeutungen einzelner Phänomene und Wörter nur »aus ihrer Stellung in einem Beziehungsgefüge (einer Struktur) zu erklären« (Glasze/Mattissek 2009a: 20) – und damit arbiträr. Mit dem Strukturalismus geht die Absage an das autonom handelnde Subjekt einher; Gesellschaft ist folglich nicht allein durch die Vielzahl individueller Handlungen zu erklären, sondern Interpretationen und Bedeutungen sind immer nur innerhalb bestimmter vorgegebener Strukturen möglich. Der Poststrukturalismus, der in der deutschsprachigen Geographie ungefähr ab dem Ende der 1990er Jahre verstärkt rezipiert wurde, geht einen Schritt weiter, indem er Bedeutungen stets kontextabhängig definiert, das heißt, sowohl Wörter als auch Identitäten oder Gebäude bspw. nehmen Bedeutungen je unterschiedlich in Situationen und Zeiten an; es gibt keine zugrundeliegenden, außersprachlichen Strukturen, die diese festlegen. »Die Wortfolge ›elfter September‹ hat heutzutage bspw. andere Bedeutungen als noch in den 1990er-Jahren.« (ebd.: 26). Mit dem Begriff Diskurs wird dann nicht nur eine gesellschaftliche Debatte oder ein Streitthema, sondern vielmehr ein Gefüge an Werten und Regeln beschrieben, die bestimmte Aussagen innerhalb einer Gesellschaft erst zulassen. Ein daraus abzuleitendes Charakteristikum der Postmoderne ist, dass wir keine eindeutigen Begriffe, ja Räume definieren können, sondern in einer kontingenten Wirklichkeit leben, in der Bedeutungen stets ausgehandelt und neu hergestellt werden. Poststrukturalismen

2

In dem Band »Ortsgespräche« (Geppert/Jensen/Weinhold 2005) wird dies u.a. deutlich: So beschäftigen sich die Autoren mit dem submarinen Telegraphennetz, dem Telefonieren, öffentlichen Ermittlungen im Berlin des Kaiserreichs und Architektur – und das stets vor dem Hintergrund räumlicher Muster.

24 | U RBANES R ÄUMEN

»wollen irritieren, verunsichern, den Leser auf unhinterfragte Voraussetzungen von Wissenschaft aufmerksam machen« (Weichhart 2008: 354), was ihnen auf eine gewisse Art positiv angerechnet werden darf. Streng genommen werden mit postmodernen Geographien auch keine neuen Raumbegriffe oder -konzepte eingeführt, sondern existierende aufgegriffen und in dem Sinne erweitert, dass sie anderen, kritischen Blicken unterzogen werden, bspw. mit Edward Soja’s Modell des »Thirdspace« (1996, 2003) als Ablehnung binärer räumlicher Strukturen (vgl. Hard 2008: 295). Soja unterscheidet darin zwischen einem wahrgenommenen (firstspace), mentalen (secondspace) und dem vielfach gelebten Raum (thirdspace), die zwar einzeln analysiert, aber nicht getrennt voneinander zur Erfassung der Bedeutung von Raum existieren können.3 Grundlage für seine Theorie war der Beitrag des französischen Philosophen Henri Lefèbvre als ein Vertreter marxistischer Denktradition. In seiner »Produktion des Raumes« (1991) unterscheidet Lefèbvre räumliche Praktiken (z.B. alltägliche Handlungen), Repräsentationen des Raumes (z.B. Planungen oder Darstellungen in Karten oder anderen offiziellen Dokumenten) und Räume der Repräsentation (als gefühlter, erlebter Raum der Bewohner), die genauso wenig getrennt voneinander zu sehen sind und damit gemeinsam erst den sozial konstruierten Raum bilden. Im Sinne einer groben Einordnung soll dies genügen, um einen kurzen Überblick über einige Stationen der wissenschaftlich-geographischen Entwicklung zu erhalten.4 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Raum-Frage in der Geographie immer auch eng mit ihrer Selbstfindung zusammenhing und eine gewisse Abgrenzung zu anderen Wissenschaftsdisziplinen darstellte. Doch woher nun rührt ein erweitertes, ein neues Verständnis von Räumen? Und weshalb sollte sich auch im Geographieunterricht damit auseinandergesetzt werden? Im Folgenden wird die Herleitung dieses erweiterten Raumverständnisses detaillierter ausgeführt, um damit auf die Problematik der vorliegenden Arbeit und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit solchen Fragen im Geographieunterricht hinzuweisen. Nicht der Raum oder Räume sind es, die sich auf einmal ändern, vielmehr haben wissenschaftsexterne und -interne5 Gründe zu seiner Neukonzeptualisierung geführt.

3

Verwiesen sei hier auf den Literaturbericht Thomas Bürks 2004, der einige zentrale angloamerikanische und deutschsprachige raumtheoretische Positionen seit 1997 unter einem sozialgeographischen Fokus zusammenträgt.

4

Zur Paradigmenvielfalt in der Geographie (vgl. die 12 Paradigmen der Geographie),

5

Die Terminologie (wissenschaftsextern und wissenschaftsintern) wurde in Anlehnung

u.a. Arnreiter/Weichhart 1998 sowie Weichhart 2001. an Blotevogel 2003: 13ff. gewählt.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 25

Wissenschaftsexterne Entwicklungen als Motor gesellschaftlicher Differenzierung Seit der Jahrhundertwende lassen sich zunehmend neue gesellschaftliche Phänomene beobachten, die sich beispielhaft im Großstadtleben äußerten. Geänderte Möglichkeiten der visuellen Darstellung in öffentlichen Räumen, wie z.B. großflächige Reklameflächen, aber auch der Fortbewegung und Kommunikation erlaubten es den Bürgern, eine Vielfalt alltäglicher Lebensformen zu erfahren und das Spektrum an Tätigkeiten, bspw. ihrer Freizeitgestaltung, zu erweitern. Diese angedeuteten Tendenzen fügen sich in eine Entwicklung, die allgemein als Ästhetisierung beschrieben werden kann. Dabei hat Ästhetik, von griechisch aisthesis – was so viel bedeutet wie sinnliche Wahrnehmung – nicht nur etwas mit Kunst oder dem Schönen zu tun.6 Mit der »Ästhetisierung des Sozialen« (Hieber/Moebius 2011a) sind gesellschaftliche Prozesse gemeint, die eng »mit dem Aufkommen und der Verbreitung visueller Medien in Zusammenhang« (ebd.: 7) stehen, und die sowohl Resultat als auch Initiator dieser sind. Scherke7 (2011: 17) beschreibt drei Dimensionen der Ästhetisierung. Zum einen dringen verstärkt künstlerisch gestaltete Gegenstände in unseren Lebensalltag, was zweitens mit einer »Erweiterung der Wahrnehmungsmöglichkeiten« (ebd.) einhergeht und drittens zu einer »Ästhetisierung des Denkens« (ebd.: 18) führt, wobei diese drei Entwicklungen nicht nur unidirektional wirken: da wir nicht zuletzt durch die erste Dimension gewissermaßen angeleitet werden, ästhetisch – über unsere Sinne – wahrzunehmen, konzipieren wir Dinge und Gegenstände als solche. Beispielhaft hierfür stehen die reklamehafte Beschilderung des öffentlichen Raumes – im Großen – oder die architektonische Gestaltung z.B. der eigenen Wohnung oder des Arbeitsplatzes – im Kleinen. Auch die zunehmende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit jenen Phänomenen (u.a. Meusburger/Livingstone/Jöns 2010) trägt zu einer Ästhetisierung bei, weswegen es in Form der dritten Dimension zu einem verstärkten Verwenden »ästhetischkünstlerischer Kategorien« (Hieber/Moebius 2011a: 9) in unserem Lebensalltag kommt. Dabei ist dies kein Trend, der sich erst seit Kurzem einstellt. Vielmehr haben »Wahrheit, Wissen und Wirklichkeit [...] in den letzten zweihundert Jahren zunehmend ästhetische Konturen angenommen« (Welsch 1993a: 41).

6

In Anlehnung an Martin Seel (1997: 17, zit. nach Aissen-Crewett 2000: 21) soll Ästhetik als besondere Form der Wahrnehmung traditionell schöner Gegenstände bezeichnet werden, wohingegen sich Aisthetik allgemeiner auf menschliche Wahrnehmungen bezieht.

7

Im Original Scherke 2000: 111f. Vgl. Literaturangabe in Hieber/Moebius 2011a: 14.

26 | U RBANES R ÄUMEN

Blotevogel (2003: 14) verweist auf die »zunehmende Bedeutung expressiver, ästhetisierter Lebensäußerungen anstelle tradierter normengebundener Verhaltensweisen. Fluktuierende Lebensstile, die sich durch Formen des symbolischen Konsums voneinander abgrenzen [...] eröffnen den Individuen eine große Bandbreite wählbarer Lebensformen und Selbstinszenierungen.«

Wesentliche Grundlage hierfür ist auch, dass die Welt zunehmend erschließbar und erschlossen (vgl. Leser 2007: 7), wahrnehmbar und wahrgenommen bzw. vermittelbar und vermittelt wird, v.a. durch das Aufkommen von (neuen) Medien. Während der Olympischen Winterspiele in Sotchi wurden zum Teil überaus bildliche Erfahrungen ausgetauscht, die bspw. von den »schlechtesten Hotels«8 berichteten; vielleicht, um andere davor zu warnen; vielleicht, um vorhandene Bilder im Kopf über die Lage vor Ort zu bestätigen. Mehr als 33 Webcams übertrugen aktuelle Bilder aus dem Olympischen Winterspiel-Ort Sotchi auf einer Internetseite9. Ganz nah am Geschehen bleibt man ebenso durch einen UkraineBlog der Online-Ausgabe der ZEIT10, auf dem aktuelle Nachrichten geschildert und mit Twitter-Kommentaren vervollkommnt werden. Ratgeber helfen uns bei der Wahl möglicher Ausflugsziele: Dietmar Bittrich zeigt in seinem Buch »Alle Orte, die man knicken kann« Vor- und Nachteile unterschiedlicher Städte auf, um uns Entscheidungen bei der nächsten Urlaubsplanung zu erleichtern. Im »Gourmet-Liner« lässt man sich auf einer Sightseeing-Tour durch Berlin nebenbei mit einem Mehr-Gänge-Menü verwöhnen. Was wohl für mehr Genuss sorgt – die Stadt oder das Essen? Diese Entscheidung bleibt dem Besucher überlassen. Für nur 10,54€ statt 39,95€ konnte man vor nicht allzu langer Zeit ein fernes Grundstück auf der Bahamas-Insel Little Exuma kaufen, das einem als Mitbesitzer fünf Jahre lang gehörte. Um genau zu wissen, was man erworben hatte, erhielt der Käufer eine Karte mit eingezeichneter Lage und Informationen zur Insel. Der öffentliche urbane Raum steht exemplarisch für diese Tedenzen und Mehrfachcodierungen (Hoppmann 2000: 31). Dabei ist die »Schau- und Zeiglust« (Rauterberg 2001: 8) der Menschen einerseits Grundlage für seine zunehmende Bedeutung als Raum der Zurschaustellung, andererseits erlaubt er diese auch bewusst durch unterschiedlichste funktionale Ausstattungen. Man

8

Quelle: http://worstolympicsochihotels.tumblr.com/ (letzter Zugriff: 15.10.2014).

9

Quelle: http://sochicamera.ru/#cams1 (letzter Zugriff: 15.10.2014).

10 Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-03/ukraine-russland-g7-eu-usa-krimlive-blog (letzter Zugriff: 15.10.2014).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 27

denke an Straßencafés, von denen aus Konsumenten vorbeilaufende Personen beobachten können (und umgekehrt) oder Public Viewing-Zonen in Bars und auf Plätzen, die das Gefühl des öffentlichen Raumes als Wohnzimmer vermitteln (vgl. Klamt 2007: 63). »Wohnzimmer-Feeling im Fußball-Stadion« (RP Online 2014) soll auch beim Public Viewing im Stadion von Union Berlin aufkommen: die Besucher dürfen ihre eigene Couch von zu Hause im Stadion platzieren und die Fußball-WM vor großem Bildschirm verfolgen. (Öffentliche) Räume werden sowohl äußerlich anders gestaltet als auch innerlich neu wahrgenommen. Dazu zählt nicht nur die Couch im Restaurant, die eine Zu-Hause-Stimmung transportiert, der Supermarkt, der stets frisches Obst gleich am Eingang positioniert; auch das Ausrichten von Festen und Events führt dazu, dass Menschen Räume geändert bzw. erst als solche wahrnehmen und fühlen können. Sie sollen sich dort gern aufhalten. Gleichzeitig aber werden Shopping-Malls oder Bahnhöfe privatisiert, was mit einer eingeschränkten Nutzung durch bestimmte Personengruppen einhergeht; es entstehen sogenannte »protoöffentliche Räume« (Wöhler/Pott/Denzer 2010a: 14). Dann bittet bspw. das Security-Personal Menschen aus dem Einkaufszentrum; wird klassische Musik an öffentlichen Plätzen gespielt, um Obdachlose fernzuhalten (Schubarth 2009). Musikalische Untermalung ist ein wesentlicher Geofaktor in der Ästhetisierung unserer Umwelt. »Musik – so flüchtig sie auch sein mag – muss immer an einem bestimmten Ort erklingen, der es durch seine individuelle Architektur erst ermöglicht, dass [...] Schallereignisse entstehen und Schwingungen erzeugt werden, die über das menschliche Ohr Herz und Verstand des Menschen erreichen.« (Schubert/Stoppe 2011: 122) Über Musik werden Räume mit Bedeutungen aufgeladen; werden diese jeweils unterschiedlich wahrgenommen und angeeignet.11 Der öffentliche Raum wird zunehmend und unterschiedlich drapiert, und das nicht erst seit Kurzem (Hasse 1994). Auch das Phänomen der Architektur entzieht sich solch räumlich-geographischen, ja ästhetischen Fragestellungen nicht. Hochhäuser und Wolkenkratzer gelten als moderne Erscheinungen im Stadtbild, waren sie besonders nach dem Zweiten Weltkrieg noch ein »Symbol für innerstädtische Armut« (Volkery 2014), da nach großflächiger Zerstörung auf kleinstem Raum plötzlich viel Wohnfläche geschaffen werden musste. Doch regt sich heutzutage vermehrt auch Protest gegen diesen Höhenwahn. In Londons Stadtbild sind für die nahe Zukunft mehr als 200 Wolkenkratzer vorgesehen, was nicht nur die Empörung der Stadtplaner hervorruft (ebd.). Ausschlaggebend für den angesetzten Bau-

11 Eine umfassende Aufarbeitung zu Mechanismen der Verräumlichung von Musik vor dem Hintergrund musikalischer Raumaneignung und Raumproduktion im urbanen Raum bietet Hüppe 2012.

28 | U RBANES R ÄUMEN

Boom waren vor allem soziale und politische Kriterien, da in den Wolkenkratzern auf der einen Seite attraktive Wohnungen und Büroflächen besonders weit oben gebaut und gleichzeitig Bauherren verpflichtet werden, an anderer Stelle der Stadt günstige Sozialwohnungen zu errichten. Diese Auseinandersetzung geht so weit, dass eine »Skyline-Kommission« eingerichtet werden soll, die sich mit jenen ästhetischen Fragen auseinandersetzen wird (ebd.). Die Menschen entdecken neue Möglichkeiten des Zusammenlebens und erfahren gleichzeitig eine stärkere Differenzierung sozialen Lebens, in dem jeder versucht, die für ihn passende Position zu finden. »Was dabei entsteht, ist eine Gesellschaft immer feinerer Unterschiede, die sich gleichzeitig immer stärker separiert und segregiert« (Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer 2003a: 1). Man sieht sich regelrecht gezwungen, sich von anderen abzugrenzen (Stichwort Individualisierung), um die eigene Lebenswirklichkeit zu legitimieren, was Hieber und Moebius (2011a: 8) mit der »Kultivierung einer Ästhetik der Existenz« umschreiben. In dessen Zuge gewinnt auch die symbolische Herstellung von Bedeutungen zunehmend an Relevanz. Menschen grenzen sich bspw. in ihren Lebensformen durch Konsumentscheidungen in Mode oder der Ernährung voneinander ab und bestimmen darüber eigene Identitäten. Das Konsumieren von Bio-Produkten als Beispiel passiert symbolisch mit einer damit verbundenen unausgesprochenen Botschaft der eigenen Machtzuschreibung und geht gleichzeitig mit einem guten Gewissen der Konsumenten einher. Auch die Wohnform der gated communities – abgegrenzte und oft von Sicherheitspersonal bewachte Wohneinheiten – ist Ausdruck der gestiegenen symbolischen Verortung eines Hier und Dort, von sicher und unsicher. Nur diejenigen Menschen, die es sich (finanziell) leisten können, gehören zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Die Bedeutungen, die Gebäude, Plätze, Straßen oder auch der Bio-Apfel annehmen, sind ihnen nicht schon eingeschrieben, sondern werden erst durch die Menschen aktualisiert. Ein Apfel ist dann mehr als nur die Summe seiner einzelnen Teile Fruchtfleisch, Stiel, Gehäuse mit Apfelkernen. Der Bio-Apfel im Besonderen mag – außer des Bio-Siegels – auf den ersten Blick nicht anders aussehen als ein normaler Apfel; zu einem besonderen wird er erst mit dem Wissen bzw. Glauben, dass er mineraldüngerund pestizidfrei angebaut wurde. Diese Prozesse der Sinnzuweisung laufen vor allem in den Köpfen der Menschen ab und hängen dezidiert mit einer »sinnliche[n] Intensivierung« (Hieber/Moebius 2011a: 8) zusammen. Gleichzeitig benötigen Menschen einen sogenannten »normative[n] Vergleich« (Haupt 2010), mittels dessen sie ihre Handlungen an anderen messen können. Ausschlaggebend ist dann bspw. nicht, was/dass/wie viel Bio-Lebensmittel man konsumiert, son-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 29

dern das, »was die Anderen machen, wird zur Norm und danach richten wir unser Verhalten aus, unabhängig davon, ob es gut oder schlecht ist« (ebd.). Besonders auch bei ästhetischen Urteilen, exemplarisch in der Landschaftswahrnehmung, ist dieser Abgleich mit den anderen Meinungen ein entscheidendes Kriterium für das eigene Empfinden von Zu- oder Abneigung. Die Worpsweder Moorlandschaft zum Beispiel wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts von Reisenden beachtet, da sich dort eine Künstlerkolonie angesiedelt hatte, die den Raum interessant auch für andere machte (Tessin 2011: 125). Ähnlich verhält es sich mit anderen Landschaftstypen (Heide, Gletscher, Küsten), die erst »gesellschaftlich-kulturell erschlossen werden« mussten, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erhalten (ebd.). Wo früher v.a. Traditionen als zeit- und räumlicher Anker galten, müssen heutzutage die »sozialen Orientierungsinstanzen [...] vielmehr diskursiver Begründung und Legitimation standhalten« (Werlen 2008: 32). Nicht mehr das Berufen auf traditionelle Werte kann Sicherheit geben, sondern Routinen dienen dazu, uns tagtäglich in der Welt zurechtzufinden. Auf unterschiedlichen Maßstabsebenen entdecken wir jene Tendenzen. Man denke an nationalstaatliche Bestrebungen, in deren Zuge es zur Ausgestaltung differenzierter Identitätssymbole, wie bspw. Flaggen, Kleidern oder Musik kommt. Gleichzeitig aber lässt sich eine Tendenz hin zu einer Gleichmacherei und der Nachahmung beobachten, die Marc Augé (1994) mit der Entstehung sogenannter »Nicht-Orte« umschrieben hat. Als Nicht-Orte können solch aktuelle Ausprägungen von Räumen, wie Bahnhöfe, Flughäfen, Shopping Malls oder künstlich geschaffene Erlebniswelten beschrieben werden, die keine Identität stiften, da sie von Menschen lediglich als temporäre Durchgangsorte benutzt werden, in denen jeder Mensch gleich ist und die gleichen respektive ähnlichen Ziele verfolgt. Wie passt diese Entwicklung in die eben angedeutete Tendenz der Differenzierung? Gerade aus diesem Grund ist eine stärkere Abgrenzung und Differenzierung nötig. »Eine (Raum-)Abstraktion [...] schreit förmlich nach Konkretisierung!« (Daum 2006a: 80) Auch wenn lange Zeit die Rede von einer McDonaldisierung der Kulturen war, ist diese Entwicklung nicht gleichzusetzen mit einer Uniformisierung der Essund Lebensgewohnheiten in der ganzen Welt, da weiterhin lokale Unterschiede bestehen bleiben. »Warum moderne Lebensformen auf den ersten Blick trotzdem als gleichförmiger erscheinen können, hat wohl damit zu tun, dass einzelne Lebensformen oder Lebensformelemente global beobachtbar sind. Diese werden aber – entgegen dem traditionellen Muster – nicht von allen Bewohnern eines Gebiets geteilt. An einzelnen Orten existiert konsequenterweise eine Vielzahl an Lebensformen.« (Werlen 2009: 108)

30 | U RBANES R ÄUMEN

Ebenso verhält es sich mit der gefühlten Auflösung von Grenzen; unsere Welt scheint einen erleichterten, wenn nicht freien Zutritt nach überall zu ermöglichen, und das nicht nur durch das Smart Borders-Konzept, durch das man die EU-Außengrenzen mit dem Hinterlassen seiner Fingerabdrücke einfacher passieren können soll. Doch gerade die als Eliminierung empfundene Grenzauflösung im Alltag der Menschen stellt diese erst bewusst her und macht ein Überschreiten mentaler Grenzen nötig. Räumliche Distanzen bleiben zudem bestehen, und lösen sich weder durch das Internet noch das Verschwinden von Grenzposten auf. Besonders dann verlaufen solche Prozesse der Grenzziehung bzw. -aufhebung nicht reibungsfrei; in ihnen werden Anzeichen von Macht und Bedeutungsaushandlung wenn nicht sicht-, dann spürbar. Diese Ko-Existenz unterschiedlicher, gleichberechtigter Perspektiven ist ein Merkmal spät- bzw. postmoderner Gesellschaften. Wissenschaftsinterne Entwicklungen als vielfältige Wend(ung)en Die gesellschaftlichen Entwicklungen haben, wie gezeigt, entscheidenden Einfluss auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung. In dieser Hinsicht können sie als Vorboten wissenschaftsinterner Umschwünge gesehen werden, die im Folgenden vor dem Hintergrund eines bzw. mehrerer cultural turn(s) (vgl. Bachmann-Medick 2009; Berndt/Pütz 2007a: 17; Blotevogel 2003: 9) betrachtet werden. Ziel dieses Abschnittes ist es, eine Verknüpfung allgemeiner wissenschaftsinterner mit spezifisch geographischen Entwicklungen zu leisten. Kultur – Raum – Geographie | Cultural turns Wissenschaftsintern ist von einer »Krise der Geisteswissenschaften« (Blotevogel 2003: 15) die Rede, die durch unterschiedliche Einflüsse hervorgerufen wurde: »In der Philosophie und Wissenschaftstheorie erschütterten die sprachanalytische Wende, die Phänomenologie, der Konstruktivismus und die Postmoderne die Grundfesten der modernen, von den Naturwissenschaften maßgeblich beeinflussten Epistemologie und führten zu einer neuen Hermeneutik, die am Sinnverstehen des Alltagsbewusstseins und der lebensweltlichen Praxis der Menschen ansetzt und die sinnhafte Produktion der Welt durch die symbol- und zeichengeleitete Handlungspraxis untersucht.« (Ebd.)

In dieser Feststellung kommt eine Reihe an unterschiedlichen Begründungszusammenhängen zum Ausdruck. Eigentlicher Ursprung eines konstruktivistischen Weltverständnisses war ein Wandel innerhalb der Wissenschaftstheorie, nach dem wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung nicht mehr allein als »solitäres Geschehen« (Kneer 2009: 8f.) auserwählter Personen, sondern als soziale Aushand-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 31

lung begriffen wurde und darüber hinaus Wissen stets vor dem Hintergrund sozialer und historischer Kontingenzen zu verstehen sei (ebd.: 9). Mit der Anerkennung der Kontextabhängigkeit unseres Wissens geht auch einher, dass nunmehr der »Augenblick in den Mittelpunkt des Lebensinteresses« (Knox/Marston 2008: 407) gestellt wird, das heißt Fragen alltäglichen Geographien-Machens12 (Werlen 2007a: 9) in den Vordergrund rücken. In der Soziologie setzte sich mit Berger und Luckmann (1969) die Theorie der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit durch, nach der das Alltagswissen der Mitglieder einer Gesellschaft die Grundlage der sozialen Ordnung bildet. Jeder Mensch trägt damit zur Konstruktion der Gesellschaft bei, indem er Wissen sowohl produziert als auch reproduziert, indem er darauf zugreift und in Handlungen aktualisiert. Zur Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit trägt ebenso die Perspektive des Forschers bei, der Wissen vor dem Hintergrund seiner eigenen Perspektive konstruiert (vgl. Wardenga 2002). Damit gilt auch Raum allgemein als »Kunstwerk, das geschaffen worden ist im Verlauf von Generationen von Künstlern, die man heute Wissenschaftler nennt« (Feyerabend 1993: 178). Im Zuge postmoderner Ansätze in der Geographie wird dem Landschaftsbegriff zunehmend wieder Bedeutung geschenkt. Konstruktivistischer Epistemologie geht es demnach gleichsam um eine geänderte Beobachtungspraxis; die Beobachtung, wie Räume hergestellt werden. Auch dies ist von zentraler Bedeutung bei der Behandlung kultureller sowie insgesamt geographisch-räumlicher Fragestellungen. Mit Edward Said galt dieses Umdenken paradigmatisch eingeleitet. In seinem Werk »Orientalismus« (1978) stellt er die These auf, dass die abendländische, westliche Welt den Orient als ideologisches Konstrukt erst durch deren eurozentristische Sichtweise erschaffen habe. Entscheidenden Einfluss hatte dabei auch der Wissenschaftler selbst, der über sprachliche Zuschreibungen und Grenzziehungen ganz maßgeblich das Denken über das Fremde beeinflusse und damit (mentale) Räume – wie den Orient – herzustellen in der Lage war. Konstruktivismus und cultural turns sind eng miteinander verwandt (Blotevogel 2003: 19). Das bedeutet, dass der Konstruktivismus Ausgangsbedingung für die Entwicklung und Ausdifferenzierung der cultural turns darstellte. Dabei wurden die cultural turns aber keineswegs einfach erfunden und als

12 Im Gegensatz zur ursprünglichen Variante des »Geographie Machens« wurde hier bewusst der Plural »Geographien« gewählt, um damit der Vielfalt gesellschaftlicher Raumproduktionen gerecht zu werden. Die Anerkennung von Geographien im Plural impliziert eine geänderte Form der Weltbetrachtung, in der es nicht mehr allein um die Beschreibung räumlicher (An-)Ordnungen, »sondern das ›Machen‹ von Geographien« (Werlen 2000b: 15) geht.

32 | U RBANES R ÄUMEN

solche betitelt; vielmehr handelt es sich um von wissenschaftsinternen und -externen Entwicklungen ausgehende Verschiebungen, die einen Schwerpunkt auf die Behandlung kultureller Fragestellungen legen und dabei den KonstruktCharakter sozialer Phänomene betonen. Um dies vertiefend zu erklären, bedarf es einer kurzen Erläuterung des Kulturbegriffes, auf den im Anschluss eingegangen wird. In der deutschsprachigen Geographie finden die cultural turns ungefähr in den 1980er Jahren Eingang. Die Vielfalt dieser Strömung(en) kann über »die explizite Einbeziehung kultureller Forschungsgegenstände, die Berücksichtigung kultureller Einflüsse auf Gesellschaft und Wirtschaft, die Verwendung qualitativer bzw. interpretativer Methoden, die Akzentuierung des Idiographischen, die Ablehnung strukturalistischer Erklärungsansätze und/oder die Skepsis gegenüber dem szientifischen Wissenschaftsmodell« (Blotevogel 2003: 9)

aufgezeigt werden, weswegen auch von einer »Familie mehrerer cultural turns« die Rede ist (ebd. [Herv.i.O.]). Zudem lassen die cultural turns auch den Raum bzw. das Räumliche wieder verstärkt in den Vordergrund treten, da sie das Kulturelle, letztlich auch das Gesellschaftliche strukturieren (Gebhardt/Reuber/ Wolkersdorfer 2003a: 5). Dennoch ist vorweg von einer Gleichsetzung der Neuen Kulturgeographie mit dem cultural turn abzusehen (Berndt/Pütz 2007a: 10). Der Kultur-Begriff, ebenso wie der Raum-Begriff, erfuhr im Zuge der cultural turns eine Neukonzeptualisierung. »Durch seine Auflösung im Sozialen droht der häufig ohnehin unscharfe Kulturbegriff vollends zu verschwimmen.« (Pott 2005: 90) Das heißt, dass die Tendenz hin zur Verallgemeinerung des Kulturellen als sozial allumfassendes Phänomen die Gefahr birgt, dass letztlich alles Kultur sein kann. Demnach muss dieser Begriff weiter differenziert werden. Kultur wird heutzutage nicht mehr nur im engen Sinne als »eine gesellschaftliche Dimension neben anderen, etwa Wirtschaft, Politik, Wissenschaft etc.« (Lackner/Werner 1999: 23) verstanden, sondern umfasst als Sinnsystem sämtliche (mentale) Denk- und Handlungsweisen sowie die von den Menschen materialisierten Erscheinungen (vgl. Hofmann/Ulrich-Riedhammer 2014: 157). Mit den cultural turns einher geht eine Abwendung von Essentialisierungen; bestimmte Kulturen oder Völker können demnach nicht mehr bestimmten Räumen zugewiesen werden, da vor dem Hintergrund differenzierter, kontingenter Wirklichkeitsauffassungen keine absoluten Wahrheiten mehr gerechtfertigt scheinen. Ganz alltagspraktische Konsequenzen ergeben sich dann bspw. daraus, wenn in Ordnungsämtern oder anderen städtischen Behörden mit Situationen zunehmenden interkulturellen Kontakts umgegangen werden muss; die Angestellte z.B. nicht weiß, ob sie dem in ihr Büro eintretenden jungen Mann mit Migrationshin-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 33

tergrund die Hand zur Begrüßung geben darf oder nicht (Toplak 2014) – gerade weil Hautfarbe oder die Religion nicht die Kultur repräsentieren und es umgekehrt auch Jugendliche gibt, die Kopftücher allein als Ausdruck einer Modeerscheinung tragen. Kulturelle Zuschreibungen lassen sich nicht mehr eindeutig vornehmen; wer weiß schon, ob sich eine Person als Araber oder Türke, Nepalese oder Inder fühlt, gerade vor dem Hintergrund, dass sie vielleicht schon länger in einem anderen Staat lebt. Die einem Land zugewiesene Kultur setzt sich aus ganz unterschiedlichen Mosaiksteinchen zusammen, die es erst zu dem werden lassen, als das es von Anderen gesehen wird. Als Ausweg einer verallgemeinernden Definition von Kultur greift Pott (2005: 92) die Ideen Luhmanns auf, der Kultur »als eine besondere Art und Weise der Beobachtung, d.h. der Unterscheidung und Bezeichnung« auffasst. Demnach ist Kultur Distinktionsmerkmal und »Beobachtungsschemata zur Beobachtung von Unterschieden als kulturelle[n] Unterschiede[n]« (Pott 2008: 38) zugleich. Letztlich können damit alle Gegenstände einer spezifisch kulturellen Betrachtung unterzogen werden, wobei besonders Fragen der subjektiven und selektiven Bedeutungszuweisung in den Vordergrund drängen. Über Kultur definieren sich Menschen dennoch weiterhin; damit wird sie zum »Prozess der sinnhaften Kartierung der Welt und Verortung des Selbst als zentraler Aspekt menschlicher Kommunikation und menschlichen Handelns« (Blotevogel 2003: 10). Die Pluralität der Lebensäußerungen der Menschen wird schwerpunktmäßig mit Blick auf Konstruktionen von Identität untersucht, sei es nationale, regionale, lokale oder individuelle. Hier werden Themen wie Mode, Ernährungsstile, Gender oder nationale Identifikationsmerkmale, z.B. Musik behandelt. Die geänderte Lesart von Kultur erfordert eine erhöhte Reflexivität hinsichtlich ihres Gebrauchs sowie eine gestiegene Selbstreflexivität (Hofmann/Ulrich-Riedhammer 2014: 158). Im Zuge der cultural turns unterliegen auch andere Konzepte und Begriffe einer konstruktivistisch-poststrukturalistischen Wendung. Als Folge eines linguistic turns bspw. wird Sprache nicht mehr als neutrales Medium zur Wissensvermittlung aufgefasst, sondern anerkannt, dass durch sie erst Wirklichkeiten hergestellt werden, da im Prozess des Sprechens Räume entstehen und damit Urteile über diese gefällt werden. Der Zweifel an »der Vorstellung, Sprache sei ein transparentes Medium zur Erfassung und Kommunikation von Wirklichkeit« (Stierstorfer, zit. nach Blank 2001) stellt keine originär geographische Erkenntnis dar, sondern ging von der Sprachphilosophie aus und begründet sich auf vielfältige theoretische Grundannahmen (vgl. Hofmann/Mehren/Uphues 2012a: 38f.). Über Sprache erschließen wir uns die Welt, ja stellen diese erst her (vgl. auch Kap. 2.3.1). Zudem dient sprachliche Kommunikation nicht nur der Verständigung im Sinne einer Vergemeinschaftung und des Gefühls von Zugehörig-

34 | U RBANES R ÄUMEN

keit; gerade auch Grenzziehung wird über Sprache möglich. Dies lässt sich im Kleinen bereits anhand von Dialekten oder lokalen Sprechvarianten verdeutlichen. Menschen können über ihre Sprache identifiziert werden und damit dazugehören oder nicht. Genauso wirkmächtig gelten Metaphern – Sprach-Bilder, die vor allem auf politischer Ebene eingesetzt werden, um Raumbilder herzustellen (u.a. Kronenberg 2001); Räume des Ein- oder Ausschlusses. Der Linguist Lakoff ist indes davon überzeugt, dass Metaphern Wahlen entscheiden können (Schramm/Wüstenhagen 2012). Dieser Auffassung folgend wurden bspw. im Anschluss an die Amtsantrittsrede Barack Obamas 2009 zahlreiche Analysen vorgenommen, die zeigen wollten, »[w]as Obama mit seiner Rede wirklich meinte« (Beermann/Stempel 2009). Knox und Pinch (2006: 52) sehen den linguistic turn gar als Vorreiter der cultural turns, was auch andernorts nicht geleugnet wird (vgl. Weichhart 2008: 345, 363), wobei die Diskussion um die unterschiedlichen Wenden und ihre wechselseitige Bedingtheiten hier nicht im Vordergrund stehen sollen. Um der starken Betonung der Sprache entgegenzutreten, wird in der Folge »auch danach gefragt, welche Fähigkeit Bilder und andere visuelle Erfahrungen haben, Wissen überhaupt erst zu formen. Statt um Erkennen von Bildern geht es immer mehr um Erkennen durch Bilder und Visualität […].« (Bachmann-Medick 2009: 42) Einmal mehr gilt es zu betonen, dass durch den »für einen turn charakteristische Umschlag von der Gegenstandsebene auf die Ebene von Analysekategorien« (ebd.) eine Reflexion der Konstruktionsprozesse nötig wird und dabei der »Fokus vom Betrachtungsobjekt auf die Betrachter selbst« (Röpcke 2013: 380) zu wenden ist. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Geographie durch diese Wenden in Form von turns ganz entscheidende Impulse aufnehmen konnte und sich diese in der Behandlung von Themen widerspiegeln. Dekonstruktion von Diskursen Einen besonderen Stellenwert in jenem poststrukturalistischen Unterfangen vieldeutiger Raumkonstruktionen und der Welt im Allgemeinen nimmt die Dekonstruktion ein, die in Anlehnung an Jacques Derrida als »Technik des Dagegenlesens« (Sahr 2003: 233) zu verstehen und mit der der Anspruch verbunden ist, hinter die gesellschaftlichen Konstruktionsprozesse zu schauen. »Dekonstruiert soll in der Neuen Kulturgeographie nahezu alles werden, was mit traditionellen Denkmustern und gängigen Formeln der Sinnkonstitution oder Weltdeutung zu tun hat, vor allem aber Diskurse.« (Weichhart 2008: 375) Es geht nicht darum, die Dinge zu erkennen, wie bzw. dass sie sind (vgl. Bachmann-Medick 2009: 42), sondern in analytischer Weise Konstruktionsmechanismen aufzuzeigen und dem jeweiligen Text andere Lesarten entgegen zu set-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 35

zen, womit Dekonstruktion immer auch Konstruktion bedeutet. Derrida entwickelte die Dekonstruktion nicht als einheitliches Regelwerk, nach dem Texte qua Räume nach dem gleichen Muster aufgeschlüsselt werden können. Allgemein bezeichnet sie »das Aufbrechen eines Diskurses von innen heraus, eine Wendung seiner eigenen Logik gegen sich selbst« (Belina/Dzudzek 2009: 145). Es geht darum, Lücken oder Ungesagtes, Unterdrücktes aufzufinden, die den Raum in seiner Bedeutung erweitern (Pinder 2003: 176). Prominent wurde die Dekonstruktion der Karte durch Harley (1989). »[Z]wischen den Zeilen der Karte zu lesen« erlaube demzufolge »zu lernen, dass kartografische Fakten lediglich Fakten innerhalb einer spezifischen kulturellen Sichtweise sind« (Harley 2004: 6). Mose und Strüver (2009) zeigen dies exemplarisch: Über eine Beschreibung und daran anschließender Interpretation sowie der Analyse ihres Entstehungsund Rezeptionskontexts soll der Kartenleser zu »alternativen Les- und Deutungsarten« (ebd.: 318) gelangen. In besonderer Weise leistet die Dekonstruktion »Widerstand gegen die Politik der Sprache […]« (Gebhardt/Reuber/ Wolkersdorfer 2003a: 14) – wobei Sprache hier in einem weiteren Sinne verstanden und Karten genauso als Texte gelesen werden können. Wie bereits angedeutet, stellt gerade Sprache ein mächtiges Medium in der Herstellung und Vermittlung von Wirklichkeiten dar, über das auch Räume Bedeutungen annehmen. Im Aufzeigen von Dualismen, bspw. indem man danach fragt, was ein Stadtviertel unsicher macht, indem man ihm ein sicheres entgegensetzt, gelangt man zu einer Öffnung, einer »Freilegung« von Begrifflichkeiten (Wartenpfuhl 2000: 30) und kann damit die vorgegebene Lesart umdeuten. Die Absicht der Dekonstruktion besteht darin, hegemoniale Deutungen und Lesarten eines Raumes hinsichtlich ihrer Konstruktionsmechanismen zu hinterfragen, damit diese nicht zur gesellschaftlich akzeptierten und unhinterfragten Realität werden, da damit bspw. Umdeutungen und -nutzungen gefährdet werden (Felgenhauer 2009: 261). Ein probates Mittel in der Analyse diskursiver Bedeutungszusammenhänge stellt die Diskursanalyse dar, mit deren Hilfe hinter die Konstruktionsprozesse geschaut werden kann, aber nicht um eine möglichst objektive Darstellung von Tatsachen – bspw. der Funktionen eines Denkmals – zu geben, sondern vielmehr mögliche Bedingungen ihrer Entstehung aufzuzeigen, d.h. zu fragen, warum sich Bedeutungen überhaupt in einer Gesellschaft durchsetzen können. Denn: In poststrukturalistischer Auffassung ist es uns nie gänzlich möglich, Aussagen eindeutig zu fixieren, da Bedeutungen weder feststehen noch durch äußere Referenzen determiniert sind, sondern sich aus anderen Bedeutungen ergeben.

36 | U RBANES R ÄUMEN »Diskurse produzieren, formen die Objekte, über die sie sprechen, indem sie bestimmen, was in welchem Zusammenhang als wahr anerkannt und als falsch verworfen wird. Nicht die ›Realität‹ lässt Sprache entstehen, vielmehr erschafft Sprache als diskursive Formation erst unsere Vorstellung von Realität: Der Wahrheitsbegriff wird also durch den Diskursbegriff ersetzt.« (Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer 2003a: 15)

Zum Beispiel kann der eine Sinn eines Denkmals nicht erschlossen werden, da sich dessen einzelne Elemente immer auf andere beziehen, und letztlich jedem Individuum etwas Anderes bedeuten. Damit gibt es nichts außerhalb des Textes – in diesem Fall des Denkmals – »Il n’y a pas de hors-texte« (Derrida 1967: 227). Selbst wenn der Erfinder des Denkmals ein umfangreiches Manuskript mit seinen Begründungen offenlegt, sind diese kontextabhängig zu lesen; entstehen im bzw. als Diskurs. Dann erscheint auch der Streit um das vom schwedischen Künstler Jonas Dahlberg geplante Denkmal für die Opfer des Amokläufers Anders Breivik konsequent. Gegenüber der norwegischen Insel Utøya, auf der die Tat stattfand, soll ein dreieinhalb Meter tiefer Spalt in eine kleine Landzunge gegraben werden – als Symbol für die Wunde, die der Amokläufer bei vielen Menschen hinterließ (Zeit Online 2014a). Auf einer Seite sollen die Namen der getöteten Kinder erscheinen. Doch einige Hinterbliebene wehren sich dagegen; meinen, dass dieser Ort zu einer »Pilgerstätte für Breivik-Bewunderer werden könnte« (ebd.), zumal die Angehörigen insgesamt zu wenig an dem Auswahlverfahren für das Denkmal involviert gewesen seien. Paradigmatisch scheinen diese und weitere Uneindeutigkeiten, besonders wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht. Neue Kulturgeographie als Forschungsperspektive Anstatt von der Human- oder Kulturgeographie zu sprechen, sollte es darum gehen, die »an der kulturtheoretischen Wende interessierte[n] Humangeographie« (Berndt/Pütz 2007a: 10) als »kulturelle Geographien« im Plural zu entfalten. Damit wird gleichzeitig dem Umstand Rechnung getragen, dass es im Zuge der cultural turns zu einer Differenzierung vor allem hinsichtlich der Konstruktionsprozesse von Raum und damit auch Geographien kommt. Denn: »Was sich unter dem vereinheitlichenden Label versammelt, sind so unterschiedliche Ansätze wie Konstruktivismus, Dekonstruktivismus, Poststrukturalismus oder Diskursanalyse [...].« (Pott 2008: 37) Die Neue Kulturgeographie kann hierbei als eine Perspektive innerhalb dieser Vielfalt genannt werden. Ohne sie aber mit den cultural turns gleichsetzen zu wollen, kann dem zugestimmt werden, dass sie sich eng an dessen Grundpfeilern ausrichtet und darüber hinaus »die Neue Kulturgeographie und die poststrukturalistischen Ansätze der Sozialgeographie nur

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 37

schwer gegeneinander abzugrenzen« (Weichhart 2008: 338) sind. Vor allem aber der Zusammenhang zwischen Räumlichkeit und sozialen Gegebenheiten wird in poststrukturalistischem Sinne weiter radikalisiert, da weder gesellschaftliche Strukturen noch Kulturen, Handlungen oder Identitäten gänzlich festgeschrieben, sondern stets instabil und veränderlich sind (Glasze/Hofmann/Uphues 2012: 4). Die Neue Kulturgeographie zeichnet damit nicht in erster Linie eine inhaltliche Neuorientierung in Abgrenzung zu einer älteren Humangeographie aus, sondern definiert sich grundsätzlich über eine geänderte Sichtweise wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung (Glasze/Mattissek 2009a: 34), die sich gegen essentialistische und fundamentalistische Erklärungen wendet und dabei die Welt konstruktivistisch und relational liest (Berndt/Pütz 2007a: 18). Dabei ist diese Grundvoraussetzung, die Annahme, dass Räume produziert werden, eigentlich nichts in dem Maße Neues, als dass sich die Kulturgeographie als neu bezeichnen könnte, denn: »Geographen haben nie etwas anderes gemacht, als Räume zu konstruieren – allerdings haben sie das über lange Strecken ihrer Fachgeschichte nicht bemerkt.« (Weichhart 2010: 22) Mit Blotevogel (2003: 22ff.) können vier grundlegende Dimensionen der Neuen Kulturgeographie herausgestellt werden, die angelehnt sind an die cultural turns. Demzufolge ist von einer geänderten Ontologie, Epistemologie, methodischer als auch thematischer Zugänge die Rede (vgl. Tab. 1).

38 | U RBANES R ÄUMEN

Tabelle 1: Geänderte Grundpfeiler im Zuge der Neuen Kulturgeographie Ontologie Epistemologie Methoden Themen Grundannahmen Grundannahmen Wege, über die Inhalte können über die Struktur darüber, wie wir zu fundierten nicht mehr als der Welt: Wissen zustande Erklärungen über rein human- oder nicht die materikommt: die Konstruierphysisch geograelle Welt, sones gibt untertheit von Räuphisch deklariert dern die Vielfalt schiedliche Permen gelangen, werden; es menschlicher spektiven auf ein haben sich aufkommt zu ÜberLebensäußerunund dasselbe grund geänderter schneidungen gen, SinnzuweiPhänomen Ontologie und und neuen sungen und Epistemologie SchwerpunktsetSinnsysteme sind erweitert zungen; InterdisGegenstand geoziplinarität graphischer Forschung Was bedeutet das für die geographische Forschung? Es wird nicht Zulässige ZweiUm BedeutunTrotz der Thenach der wahren fel: Was dürfen gen herauszulömenvielfalt wird Wirklichkeit gewir warum sen und die nicht die Räumfragt, sondern (nicht) bezweiSinnhaftigkeit lichkeit geselldanach, unter feln? von Räumen zu schaftlicher Verwelchen Bedinerkennen, bedarf hältnisse aus gungen diese es anderer als dem Blick gelashergestellt wertraditionell geosen den konnte graphischer Methoden Beispiele Welche AuswirWelche Rolle Diskursanalyse, HipHop, Stadtkungen hat die spielen Medien produktionsoribeleuchtung, subjektive bei der Vermittentierte VerfahGroßveranstalWahrnehmung lung räumlicher ren der Literatungen, Wirkung von Unsicherheit Daten? Welche turdidaktik, von Architektur in einem StadtDaten werden künstlerische (gebauter Umviertel? raumrelevant? Methoden welt) Quelle.

Eigene

Darstellung,

Glasze/Hofmann/Uphues 2012: 5f.

in

Anlehnung

an

Blotevogel

2003:

22ff.;

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 39

Als Sammelbecken ganz unterschiedlicher konzeptioneller Fokussierungen erfährt die Neue Kulturgeographie je verschiedene Ausprägungen. Und auch wenn Themen oder Beiträge nicht dezidiert als neukulturgeographisch gehandelt werden, lassen sich einige doch als solche bestimmen. Sahr (2001, in Gebhardt/ Reuber/Wolkersdorfer 2003a: 5) zeigt unterschiedliche Forschungsperspektiven auf, die sich im Zuge der cultural turns und damit in der Neuen Kulturgeographie etabliert haben. Neben der Fokussierung alltäglicher Praktiken und ihrer dahinterstehenden Logiken – bspw. welche Rolle migrantengeführte Lebensmittelgeschäfte im Stadtteil spielen (Everts 2008) – werden Räume semiotisch erklärt. Vor diesem Hintergrund werden auch Praktiken symbolischen Konsums, z.B. in Freizeitparks, begreiflich. Auch (de-)konstruiert werden imaginäre Geographien in Film, Fernsehen und Werbung. Im Zuge einer geänderten Ontologie und unter besonderer Berücksichtigung räumlicher Aspekte werden unterschiedliche Disziplinen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, zusammengedacht. Es entstehen neue wissenschaftliche Betätigungsfelder, wie z.B. die Literaturgeographie und deren Subdisziplin Literaturkartographie, deren Fokus die Verknüpfung von Karten mit Literatur darstellt. Beispielhaft dafür stehen die Bemühungen Barbara Piattis13, »die räumliche Dimension von literarischen Werken in Karten umzusetzen« (Piatti 2012: 263). Gemeinsamer Treffpunkt ist der Text, der auch in den Literaturwissenschaften einer Neukonzipierung unterliegt und auf andere mediale Erzeugnisse erweitert wurde (Thiem/Weber 2011: 172). Genauso werden frühe literarische Texte, z.B. Romane, auf ihre räumlichen Dimensionen hin untersucht (u.a. Onken 2006). Raum, Text, Karte, Bild – all jene Konzepte werden nunmehr les- und visualisierbar und erlauben Wissenschaftsdisziplinen das Bearbeiten ganz neuer Fragestellungen. Bedeutungszuweisung und Raumproduktion »Orte sind sozial konstruiert, das heißt, verschiedene soziale Gruppen weisen ihnen für unterschiedliche Zwecke verschiedene Bedeutungen zu.« (Knox/Marston 2008: 382) Dabei ist die Konstruiertheit als solche schwer auf einen einzigen Blick zu fassen und zu definieren; für die einen ist Raum Produkt sozialer

13 Siehe dazu auch das übergeordnete Projekt der Schaffung eines »Literaturatlas Europa« (http://www.literaturatlas.eu/?lang=de). Aktuell befasst sich auch Richterich 2014 mit der Verbindung von Geo- und Literaturmedien. Sie untersucht vier Fallbeispiele literaturgeographischer Konstruktionen (Senghor on the Rocks, The 21 Steps, Romanatlas, Landvermesser) hinsichtlich ihrer konzeptionellen Grundlagen als auch deren Wahrnehmung und Anwendung durch Nutzer.

40 | U RBANES R ÄUMEN

Kommunikation, für die anderen ist das Subjekt entscheidender Handlungsträger, und wiederum für andere unterliegt Raum diskursiver Konstruktionsweisen, innerhalb derer das Subjekt als unfertiges Konstrukt ständiger Neuaushandlungen unterliegt und Welt damit immer nur diskursiv vermittel ist. So reichhaltig und inspirierend die Beschäftigung mit dem Raum ist, so frustrierend mag es erscheinen, in der Vielfalt der Konstruktion von Raum und damit zusammenhängender Kategorien zu lesen (vgl. Demeritt 2002: 768). Aus diesem Anlass wurden Versuche unternommen, dieser auf den Grund zu gehen, indem Einteilungen vorgenommen wurden, die die Konstruktionsweisen differenzieren sollten (ebd.; Auburn/Barnes 2006, in Saar/Palang 200914). Was bedeutet es und wie konstruieren Menschen Räume? Besonderen Wert innerhalb dieser Prozesse nimmt die Bedeutungszuweisung ein, die als interpretativer Prozess verstanden werden kann und entscheidend für die Herstellung von Räumen ist. Im gleichen Atemzug wird die Existenz eines physisch-materiell vorhandenen Raumes nicht pauschal geleugnet, da Dingen Bedeutungen zugewiesen und diese verhandelt werden. Dies kann wie folgt beschrieben werden (vgl. Blumer 1973: 81): Es finden stets Interaktionen zwischen Menschen und Dingen statt, wobei Menschen den Dingen bestimmte Bedeutungen zuweisen und sie aufgrund genau dieser Bedeutungen, die die Dinge annehmen, handeln. Wenn also die Parkbank als Sportgerät angesehen wird, nutzt sie der Jugendliche zum Skaten. Gleichermaßen wird auch der Treppe eine Bedeutung zugewiesen, indem sie gerade nicht beachtet wird, sie also für die Handlung des Menschen aktuell nicht von Relevanz scheint. Zweitens entspringen Bedeutungen stets auch der sozialen Interaktion mit anderen Menschen; wir richten unser Handeln dann gewissermaßen an den Vorstellungen der anderen aus. Nicht zuletzt werden jegliche Bedeutungen immer auch in einem »interpretativen Prozess [...] gehandhabt und abgeändert« (ebd.). Dadurch, dass Menschen dabei nie nur auf bekannte Schemen und Denkmuster zurückgreifen, stehen den Dingen zugewiesene Bedeutungen auch nicht von vornherein fest, sondern können sich immer wieder neu konstituieren. Das führt unweigerlich zu Unsicherheiten; bekannte Traditionen und Sichtweisen werden gebrochen und müssen neu interpretiert werden. Solche Umdeutungsprozesse in spezifisch räumlicher Ausprägung zeigen sich exemplarisch an konvertierten Industriedenkmalen, die – da in heutigen Tagen oftmals ungenutzt – als Kultur gehandelt und bespielt werden; sie dienen als Theaterbühnen und Orte für kulturelle Veranstaltungen (z.B. Ruhrtriennale) und erfreuen sich immer größerer Beliebtheit (Schranz 2014: 17).

14 Die Autoren konjugieren den Prozess der Bedeutungszuweisung anhand von vier Kategorien: personal, lokal, national, supranational.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 41

Auch die Umnutzung von Kirchen im Zuge zunehmender Kirchenschließungen wird diskutiert (vgl. Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen 2010) – welche Bedeutungen sollen aufrechterhalten, welche geändert werden? Dürfen ungenutzte Kirchen, wie in der niederländischen Stadt Arnheim, als Skate-Halle genutzt werden? In Großbritannien werden Kirchen indes als Pubs hergerichtet, in die die Menschen zum Biertrinken kommen. »Die Besucher haben kein Problem mit der Umwidmung des heiligen Hauses.« (Zeit Online 2014c) Hierbei wird deutlich, dass Erklärungen von Nutzungskonflikten oder Prozesse der Auf- und Abwertung von Stadtvierteln weder allein über das Räumliche an sich noch über die subjektiven Bedeutungszuweisungen allein zu erklären sind. Warum ziehen Menschen in Stadtteile, in denen die Bausubstanz marode ist und es im näheren Umfeld keine Einkaufsmöglichkeiten gibt? Warum fühlen sich Menschen an bestimmten Plätzen sicher, an anderen nicht? Oder warum nutzen Kinder die Spielplätze nicht, die ausdrücklich für sie gebaut wurden? Entscheidend ist, dass Prozesse der Bedeutungszuweisung sowohl individuell als auch kollektiv stattfinden und stets räumlich verortet sind. Denn dann kann nämlich auch »McDonalds [...] Heimat sein« (Daum 2006a: 83) – ein Ort, an dem man sich gern, und nicht nur zum Essen aufhält. Dabei entstehen Räume, die weder auf Karten noch in Texten nachzulesen sind, sondern als mentale Räume in den Köpfen der Menschen existieren. Sie verorten sich symbolisch in ihnen und durch sie, bringen ihre Zuneigung in Form positiver Bedeutungszuweisung bspw. durch vermehrtes Konsumieren von Produkten aus genannten Restaurants zum Ausdruck. Nicht von sich aus ist das McDonalds-Restaurant Heimat. Nicht von Natur aus sind Stadtviertel (un-)sicher. Kommt es zu negativen Erfahrungen, wird sich das wiederum auf die Bedeutungen auswirken, die der Heimat ursprünglich attribuiert wurden. Wenn Menschen von neuen Überfällen in einer bestimmten Straße gehört haben, werden es einige vermeiden, sich dort aufzuhalten. Bedeutungen von Räumen werden stets produziert und reproduziert: »[P]lace becomes a particular or lived space.« (Agnew 2011: 318). Ein Ort (place) ist ein durch die handelnde Auseinandersetzung in und mit ihm bedeutsam gewordener Raum (space). Die zu einer Zeit brisante Situation in den Pariser Vororten, die in den 1980er Jahren ihren Ausgangspunkt nahm, lässt sich demnach nicht allein über bauliche Strukturen (unschöne Hochhäuser, infrastrukturell ungünstige Lage der banlieues), das heißt den space erklären. Ein Bedeutungswandel der banlieues ist eng an die Kommunikation über jene Räume geknüpft. Noch im 12. Jahrhundert war mit banlieue ein Gebiet gemeint, »das in etwa einer Stunde zu Fuß durchquert werden konnte und auf dem eine Stadt Einfluss hatte«, d.h. der Bann des Stadtherrn ausgeübt werden konnte (Glasze/Germes/Weber 2009: 17). Ab den

42 | U RBANES R ÄUMEN

1980er Jahren wurden in den banlieues Strukturprogramme vom Staat ins Leben gerufen, um u.a. den Bedarf an zu sanierenden Wohnungen zu bestimmen (z.B. Habitat et vie sociale). Diese Programme aber basierten allein auf statistischen Berechnungen und vernachlässigten die gelebte Wirklichkeit der Menschen vor Ort, z.B. ihre verschiedenen kulturellen Hintergründe. Mit dem Höhepunkt der Unruhen in den Pariser Vororten 2005 war die Bedeutung dann spezifisch mit dem Problem der Immigration verknüpft und damit »[g]esellschaftliche Unsicherheit und Kriminalität [...] als ein räumliches Problem bestimmter Orte und ihrer Bewohner gefasst« (ebd.: 24); die banlieues als place mit jenen negativen Bedeutungen konnotiert. Vor allem im Bereich der (Geo-)Politik, aber auch der Stadtplanung ist es an der Tagesordnung, stabile Bedeutungen von Räumen durchzusetzen, die einprägsam und klar abzugrenzen sind und mit denen konkurrierende Deutungen gar verhindert werden sollen. Das Konzept der »Imaginären Geographie(n)« (Geographical Imaginations; vgl. Gregory 1994) beschreibt genau diese Wirkmechanismen: Wir haben bzw. prägen Bilder von Räumen in unseren Köpfen aus, wir stellen uns Räume also stets als Wirklichkeiten vor. Wir haben eine bildliche Vorstellung von Räumen. Diese Imaginationen können besonders einfach bspw. in Form von Bildern beeinflusst, bestärkt, verändert werden. »Die Bedeutung von Raumvorstellungen oder imaginären Geographien ist dort besonders groß, wo die Vorstellung über einen Raum handlungsentscheidend wirkt« (Prossek 2009: 19) – z.B. im (Städte-)Tourismus. Dann wird zumeist alles getan, um ein möglichst einheitliches, kohärentes Bild des Raumes zu vermitteln. Dazu tragen auch Veranstaltungen, Architektur, Personen usw. bei. Die Stadt Hamburg ist weithin als Marke bekannt – nicht zuletzt durch das Corporate Design mit hohem Wiedererkennungswert (vgl. Nöthen 2013: 106; Pogoda 2013: 50ff.). Auch das Ruhrgebiet unterlag im Zuge des Projekts »Ruhr2010« solchen Branding-Maßnahmen, um eine ganze Region als Europäische Kulturhauptstadt in der Welt zu präsentieren. Als »Musterbeispiel für eine konstruierte Region« (Prossek 2009: 32) unterlag das Ruhrgebiet dabei unterschiedlicher Werbemaßnahmen, die sich alle als Puzzleteile zu einem großen Ganzen fügten – genannt seien hier nur einige Beispiele, wie der Emscher Landschaftspark, die Ruhrtriennale, das Ruhr Museum, der Tetraeder von Wolfgang Christ sowie Inszenierungen und Veranstaltungen, die die Region von einer vormals Industriezu einer Industrie-Kultur-Region aufbauten. Auch über Namen werden bestimmte imaginäre Geographien produziert – Sprache stellt Bedeutungen erst her, die sich über einen längeren Zeitraum als akzeptiert durchsetzen. »Ruhrgebiet« – »Ruhrpott« – »Ruhrstadt« – »CEC« – »rur-zone« – »Ruhrcity« – »Neubrücken« – »Ruhr« – all das waren Vorschläge, die die Vorstellung des neuen

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 43

Ruhrgebietes zum Ausdruck bringen sollten (ebd.: 107ff.). Dass sich »CEC« (gesprochen: Zek) nicht durchsetzte, kann z.B. mit der Furcht erklärt werden, dass man bald von den »Zecken« gesprochen hätte, was wiederum überhaupt nicht im ursprünglichen Sinne der Aktion war (ebd.: 114). Mit der Neuen Kulturgeographie werden insbesondere auch Machtbeziehungen und deren Aushandlungen zum Untersuchungsgegenstand, denn Konstruktion von Räumen findet nicht ausschließlich konfliktfrei statt, wenn unterschiedliche Akteure und Interessen in Beziehung zueinander stehen. Das kann sich darin zeigen, dass bestimmte Wörter oder Metaphern in den Medien verstärkt verbreitet werden (»Achse des Bösen«, »Schurkenstaaten«, das »Kärcher«-Symbol Sarkozys zur Reinigung der Pariser Vororte usw.), dass politisch brisante Themen zu ganz bestimmten Zeitpunkten diskutiert oder gar Informationen bewusst zurückgehalten werden. Oftmals werden, um Räume authentisch zu produzieren, objektivierende und subjektivierende Perspektiven gleichzeitig miteinander verbunden, d.h. sich auf harte Fakten berufen, die mit individueller Betroffenheit kombiniert werden. Bestimmte Sinnzuweisungen werden stabil(isiert) und damit akzeptiert und letztlich Handlungen, z.B. in Form politischer Eingriffe, darüber begründet und legitimiert. Im Kleineren lässt sich das anhand des Beispiels Wetterbericht darlegen. Laufen die folgenden Muster nicht immer ähnlich ab? Nachdem die gemessenen und damit tatsächlich nachweisbaren Temperaturwerte, Windgeschwindigkeiten, Daten zum Pollenflug usw. anhand von entsprechend bunt gefärbten Karten und Bildern aufgezeigt werden, sendet im Anschluss daran oft ein Korrespondent aktuelle Bilder und Eindrücke von einem »irrelevanten Ort in der Landschaft« (Michalsky 2005: 291). Es werden Daten zu gefühlten Temperaturen und dem Biowetter hinzugefügt und Räume letztlich auch emotionalisiert. Räume sind nicht ohne Gefühle, Gefühle nicht ohne Räume zu denken (vgl. Lehnert 2011). Damit ist »die Kombination von abstrakt-technischer Raumdarstellung und ihrem subjektivierten Pendant [...] grundlegend für das Raumverständnis der Moderne« (Michalsky 2005: 291). Ohne eine umfassende Bewertung der Neuen Kulturgeographie vorzunehmen, sollen einige entscheidende Merkmale positiv hervorgehoben werden, um diese nicht zuletzt für die geographiedidaktische Übersetzung fruchtbar zu machen.15 Mit der Aufnahme von im engeren Sinne nicht-geographischen Konzepten und

15 Kritikpunkte, die an die Neue Kulturgeographie im Gegensatz dazu herangetragen werden, drehen sich vor allem darum: sie »verharrt häufig bei bloßer Dekonstruktion« und steht für eine »tendenzielle Beliebigkeit der Themen« (Blotevogel 2003: 28; vgl. dazu auch Berndt/Pütz 2007a: 9f.; Lippuner 2005).

44 | U RBANES R ÄUMEN

Theorien durch die Neue Kulturgeographie kommt es zu einer notwendigen Auflösung ihrer Disziplingrenzen, wobei die Kulturgeographie traditionellerweise ein vernetztes, interdisziplinäres Arbeiten charakterisierte und damit die Öffnung zwar nie ohne kritische Stimmen einhergeht, aber doch in gewisser Weise eines ihrer Merkmale darstellt (Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer 2003a: 10). Verstärkt wird auch die Verknüpfung natur- und kulturgeographischer Forschung stark gemacht, da gesellschaftliche Entwicklungen nicht genügend ohne beide Stränge zu erfassen sind. Biehler und Simon (2011) zeigen dies anhand von Innenräumen, wie z.B. Schulen, Shopping-Malls, Gefängnissen, Krankenhäusern, Kinos etc. (vs. Landschaften, Städte, usw. als Außenräume), die bspw. zunehmend ökologischer Maßstäbe gerecht werden müssen. Solche Räume sind aber nicht als neutrale, feststehende Entitäten zu betrachten, die einfach so und immer schon existieren, sondern sind genauso und besonders durch (politische) Auflagen und Machtstrukturen bestimmt. Im Zuge der Auflösung disziplinärer Grenzen, die sich auch auf das methodische Vorgehen kulturgeographischer Forschung auswirkt, wird sich aktuell in den Sozialwissenschaften auch getraut, kritisch auf die Humangeographie und ihren – teilweise methodisch unreflektierten (Rothfuß/ Dörfler 2013a: 10) – qualitativen Zugang zum Raum zu schauen. Gleichzeitig werden aber mit der Neuen Kulturgeographie besonders »methodische Fortschritte«, »neue, originelle Fragestellungen« und »zuvor kaum gekannte Lebensnähe« (alles Blotevogel 2003: 28) erzielt. Themen erhalten alltägliche Relevanz in dem Sinne, dass auch kleinere Phänomene als Ausdruck kultureller Deutungsmuster untersucht werden. Dies sind vermehrt Themen von Normalität, des Banalen – aber nicht minder Wichtigen – und Alltäglichen, denen sich gewidmet wird. Besonders auch in der Medienkommunikationsforschung stellt »die alltägliche Lebenswelt der Menschen einen wesentlichen Bezugspunkt« (Röser/Thomas/Peil 2010: 10) ihrer Forschungen dar. Das Fernsehen als Medium und Vermittler von Weltbildern spielt – genauso wie für die geographische Betrachtung – eine besondere Rolle, denn es macht den Anschein, »als wolle es durch die Darstellung des Lokalen, Gewöhnlichen und immer Wiederkehrenden ein Gegengewicht bieten – [...] zu Prozessen der Mobilisierung und Flexibilisierung, wie sie unsere gegenwärtige Gesellschaft kennzeichnet [...]« (ebd.: 8). Doch auch hier sei kritisch zu bedenken gegeben, dass mit einer derartigen Fokussierung des Räumlichen im Zuge eines spatial turn »nur noch die Alltagswelt des Alltagsverstandes im Griff der Alltagssprache« und eine »Berufung auf ›Alltagsleben‹, ›Alltagswirklichkeit‹, ›Alltagspraxis‹, ›das alltäglich Praktizierte‹ sowie die Funktion von Raum in der Alltagssprache« (alles Hard 2008: 274 [Herv.i.O.]) nicht immer unbedenklich aufgefasst wird, führe dies doch zu einer »nackten Trivialität«, an die man sich auf eine Art gewöhnen muss (ebd.). Mit

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 45

anderen Worten: die geographische Beschäftigung mit Alltäglichkeiten und den kleinen Dingen des Lebens wird nicht immer gutgeheißen. Einen Schritt weiter gedacht bedeutet dies für die Neue Kulturgeographie eventuell eine übermäßige Belastung ihrer disziplinären Grenzen, die sie zunehmend verschwimmend lässt. Doch auch das – der kritische Blick auf die eigene wissenschaftliche Praxis – ist ein wesentliches Merkmal der Neuen Kulturgeographie. Positiv zu betonen bleibt, dass sie aktuell unterschiedliche »re-turns« (Whatmore 2006: 604) durchlebt, was sie flexibel, veränderbar und damit auch für die Schulgeographie auf längere Sicht viabel macht. Der wohl entscheidende Punkt zeigt sich »in der Bereitstellung kritischen Reflexionswissens« (Blotevogel 2003: 30). Das damit beabsichtigte Vermögen, auch Vielperspektivität und Unsicherheiten auszuhalten, was zwangsläufig einhergehen muss mit dem Bewusstsein um Differenzen und bewussten Auslassungen, bedarf einer gestiegenen Reflexivität. Was bedeutet Wahrheit? Gibt es sie überhaupt? Wer kann Wahrheit wie herstellen? Können wir von objektiv gegebenen Räumen sprechen? Damit wird deutlich, dass es im Zuge der Neuen Kulturgeographie weniger um ihre ständige Anpassung und Wahrung der Aktualität von Themen, sondern vielmehr um die grundlegende Betonung der Vielfalt gesellschaftlicher Lebensformen und einem Bewusstsein um und reflektierten Umgang mit kontingenten Wirklichkeiten geht. Gesellschaftlich relevant ist die Neue Kulturgeographie dahingehend, dass durch ihre konstruktivistische Perspektive auf Räume Phänomene des Alltags in differenzierter Weise betrachtet werden können und sich gesellschaftlichen Problemlagen nicht allein räumlich genähert wird, zumal besonders kulturelle Differenzen heutzutage wie damals »Verräumlichungen« unterliegen (Fuchs/Rolfes 2013: 445) und jene räumlichen Zuschreibungen dafür genutzt werden, um Grenzen scheinbar klar zu ziehen und Bevölkerungsgruppen dann darüber ein- oder auszugrenzen (ebd.). Mit der vorliegenden Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass ein Verstehen räumlicher Bedeutungen nur über die Rekonstruktion der Handlungen der Subjekte möglich ist (vgl. Kap. 2.2). Damit kann und soll dem oft vorgebrachten Kritikpunkt der Dematerialisierung und Desozialisierung durch die Neue Kulturgeographie (Blotevogel 2003: 28, zit. nach Philo 2000) ein Stück entgegengetreten werden, da sich Bedeutungen letztlich auch in materiellen Anordnungen ausdrücken. Tagtäglich sind wir mit der Bedeutungsvielfalt von Räumen konfrontiert; wir sehen, dass Häuser abgerissen werden, Menschen in der Stadt demonstrieren, gehäkelte Bänder an Brückengeländern aufgehängt werden, in Parks Fußball

46 | U RBANES R ÄUMEN

und Musik am Eingang von Bahnhöfen gespielt wird. Für die einen ist der Abriss des Gebäudes ein Segen, da sie endlich die Sicht auf den nahegelegenen See genießen können, andere sehen damit die historische Bedeutung ihres Stadtviertels gefährdet; bunte Stoffbänder stören das Bild einiger beim Laufen durch die Straßen, andere finden das modern, wieder anderen fallen die kleinen Kunstwerke nicht einmal auf. Räume zeigen sich so vielfältig wie die Menschen selbst. Wir geben der Welt jeweils ganz unterschiedlich Sinn und begreifen Räume dementsprechend variabel. Auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sieht man sich vor den gleichen Herausforderungen – Was können wir als wahr, als richtig anerkennen? Was ist zu tun, wenn unterschiedliche Meinungen zum Hausabriss, zur Freizeitgestaltung Jugendlicher oder zu Kunst im öffentlichen Raum aufeinanderprallen? Zentral in weiten Teilen der (geographischen) Wissenschaft wird heute die Konstruiertheit von Räumen anerkannt – »Räume sind nicht, Räume werden gemacht« (Schultz 1997), wobei unterschiedliche Zugänge existieren, um die Konstruiertheit von Räumen zu erfassen und zu beschreiben, z.B. über die Handlungen von Menschen. Raum ist damit als (nur) eine Perspektive zu verstehen, durch die wir wahrnehmen und analysieren (RhodeJüchtern 2009: 161). Das Konzept von Raum unterlag einer wechselvollen Geschichte und ist über vielfältige wissenschaftsinterne sowie -externe Entwicklungen gewachsen. Die Neue Kulturgeographie als eine Perspektive innerhalb der neueren Ansätze Kultureller Geographien steht in engem Zusammenhang mit poststrukturalistischen Ansätzen, nach denen soziale Wirklichkeit stets diskursiv hergestellt ist und wir nicht von festgelegten Bedeutungen ausgehen können, die den Dingen anhaften. Gegenstände der physisch-materiellen Welt nehmen diese erst in der Aushandlung an und konstituieren sich immer wieder neu. Damit geht zwangsläufig eine Verunsicherung einher – im Besonderen auch im Geographieunterricht, können wir doch scheinbar alles als potenziell möglich erkennen und Handlungen je nachdem als richtig oder falsch begründen. Das Potenzial jedoch, was diese Ansätze mit sich bringen, liegt in ihrer kritischen Sichtweise auf Welt und dem Anerkennen eines Sowohl-als-Auch. Das Hinterfragen, Dekonstruieren, Neu-Anordnen sind kennzeichnend für die Neue Kulturgeographie. Dies gilt es auch bei der Untersuchung von räumlichen Phänomenen im Geographieunterricht zu berücksichtigen. Im Folgenden wird es darum gehen, die unterschiedlich historisch gewachsenen Perspektiven auf ein und denselben Raum zu systematisieren und in eine Form zu bringen, um Räumlichkeit im Geographieunterricht in ihren vielen Facetten verstehen und erklären zu können.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 47

2.1.2

Raumbegriffe in der Geographiedidaktik

Die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung um die Neukonzipierung von Raum bzw. Räumlichkeit i.w.S. findet als »unendliche Geschichte« (Hoffmann 2007: 27) auch in der Geographiedidaktik ihren Niederschlag, infolgedessen der Raum-Begriff auch hier zwischen Akzeptanz und Zurückweisung changiert(e). Hoffmann (2007: 28) formuliert dies als »Kernproblem«, nämlich »ob der ›Raum‹ als spezifischer Gegenstand der Geographie angesehen werden kann oder nicht« (ebd.). Aus einer Analyse von Geographie-Lehrbüchern haben Vielhaber und Schmidt-Wulffen (1999: 117ff.) 218 unterschiedliche Raumbegriffe und deren Verwendung ermittelt, die aber überaus weitläufig gestreut sind und Begriffe aufnehmen wie »Agrarraum« oder »alter Raum« (ebd.: 177). Über jenen teilweise unhinterfragten Gebrauch räumlicher Kategorien hinausgehend denkt Vielhaber (1999a) »Über die (Un)Wichtigkeit des Raumes in der Schulgeographie« nach, indem er die Akzeptanz bzw. den Gebrauch unterschiedlicher Raumkonzepte von Lehrenden im österreichischen GW-Unterricht untersucht. Hoffmann (2007: 39f.) konnte in den Rahmenplänen für Geographieunterricht der jeweiligen Bundesländer (Stand 2006) zentrale räumliche Bezüge herausstellen, die nochmals die Bedeutung jener Kategorie betonen und damit der Geographie als Schulfach eine gewissermaßen einzigartige Stellung bescheinigt. Es gäbe noch weitaus mehr Beispiele anzuführen, die diese Lebendigkeit des Raumes innerhalb des Geographieunterrichts verdeutlichen könnten, doch soll es nicht darum gehen, über eine Auflistung seiner Verwendung zu Schlussfolgerungen hinsichtlich einer guten oder schlechten Implementierung von Raumkategorien zu gelangen. Dennoch soll hier die These erlaubt sein, dass die Behandlung von Räumen im Geographieunterricht eher auf realistische Konzepte beschränkt bleibt, denen es darum geht, Lernenden ein weitgehend objektives Bild der Welt zu vermitteln, das darüber hinaus nur selten kritisch hinterfragt wird. Zugegebenermaßen liegen keine größeren Untersuchungen zur Verwendung von (neuen) Raumkonzepten im Geographieunterricht vor. Und allein über die Feststellung dass Räume bspw. Thema im Geographieunterricht sind, ist der Weg noch lange nicht getan hin zu einer vielperspektivischen, kritischen Betrachtungsweise, so wie sie fachwissenschaftlich im Rahmen konstruktivistischer Ansätze diskutiert wird. Indes wird in der Fachwissenschaft der teilweise inflationäre Gebrauch von Raumbegriffen im Zuge eines spatial turn kritisiert, da dieser zu einer »Verräumlichung des Sozialen« (Lossau/Lippuner 2004: 202) führe. »Die Literatur des spatial turn bietet eindrucksvolle Zeugnisse für einen Unmittelbarkeitsund Wirklichkeitshunger, der dann durch Kontakt mit dem Raum gestillt wird.

48 | U RBANES R ÄUMEN

Raumabstraktionen werden zu Garanten für einen unmittelbaren Kontakt mit wirklicher(er) Wirklichkeit.« (Hard 2008: 302) Das bedeutet, dass zwar im Zuge des spatial turns, aber auch der cultural turns im Allgemeinen, vermehrt Fragestellungen in den Vordergrund rücken, die sich mit konkreten, alltagsweltlichen Fragestellungen beschäftigen, damit also unmittelbar an der sozialen Wirklichkeit ansetzen. Gleichzeitig aber, wenn jene Handlungen gewissen Räumen zugewiesen, in ihnen verortet werden und damit wieder in »Kontakt mit dem Raum« (ebd.) gelangen, führt dies zu verallgemeinernden Abstraktionen von Räumlichkeit. Zum Beispiel untersucht Pott (2002) anhand alltäglicher Handlungsmuster den Bildungsaufstieg in der zweiten türkischen Migrantengeneration, »ob und in welcher Weise für diese Aufstiegsformen Ethnizität und Raum, ethnische Unterscheidungen, die Lokalität der städtischen Lebensbedingungen sowie lokale migrantenspezifische Vereine und Netzwerke eine Rolle spielen« (ebd.: 18). Um diese aber als Einflussfaktoren bestimmen zu können, muss ein räumlicher Bezug hergestellt werden und damit ist der Raum i.S. seiner physisch-materiellen Ausstattung nicht zu leugnen. Gerade diesen Kreislauf versuchen poststrukturalistische Ansätze zu durchbrechen, indem sie das Subjekt und weitere scheinbar objektiv existierende Kategorien auflösen und Gesellschaft diskursiv verhandelt verstehen. Auf diese Problemstellung wird im weiteren Verlauf (vgl. Kap. 2.2) unter spezieller Berücksichtigung der vier Raumbegriffe und deren Anwendung im Geographieunterricht nochmals eingegangen werden. Einigkeit besteht darin, dass es bei der Behandlung von räumlichen Fragestellungen im Geographieunterricht nicht um eine Behandlung von RaumBegriffen an sich gehen kann, sondern darum, »mithilfe verschiedener geeigneter Fragestellungen unterschiedliche Zugänge zu Räumen zu erhalten« (Reuschenbach 2011: 33). »Alle Arten von Raumproblemen erweisen sich bei genauerer Betrachtung letztlich als Probleme des Handelns.« (Werlen 2005: 33) Ziel muss es sein, »gesellschaftsbezogene Problemstellungen und -konstellationen« (Rhode-Jüchtern 2009: 161) im Geographieunterricht zu behandeln, die »dann in einem zweiten Schritt in räumlicher Perspektive sichtbar gemacht« (ebd.) werden (vgl. auch Mittelstädt 2006: 38). Nicht zuletzt liegt dies auch darin begründet, dass Jugendliche »nicht in räumlichen Kategorien [denken], diese erscheinen ihnen künstlich, abstrakt, blutleer (vgl. Uhlenwinkel 1999). Sie meinen nicht den geographischen Raum, sondern ›einen symbolischen Raum, der für sie mit lebensweltlichen Bedeutungen aufgeladen ist‹. Es sind ›emotionale Räume‹, die sie interessieren: vertraute Räume, Angsträume, heilige Räume etc. (vgl. Schmidt-Wulffen und Vielhaber 1999, S. 97ff.).« (Dobler/Pichler 2004: 40)

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 49

Denn trotz dieses Alleinstellungsmerkmals ist gerade »nicht der Raumbezug als solcher [...] konstitutiv für das Selbstverständnis des Geographieunterrichts, sondern die Zielsetzungen, die durch die Beschäftigung mit dem Raum Kompetenzen vermitteln« (Mittelstädt 2011: 140). »Die Auseinandersetzung mit einem Raum durch verschiedene Sichtweisen zeigt Schülerinnen und Schülern, dass es nicht eine richtige Wirklichkeit gibt, sondern viele Formen der Inwertsetzung von Räumen möglich und richtig sind.« (Reuschenbach 2011: 34) Das heißt nicht, dass Geographieunterricht aufhören muss, Europa zu behandeln oder sich mit Berlin auseinanderzusetzen. Doch es muss darum gehen, nicht das eine Europa so darstellen zu wollen, dass es kartographisch exakt bestimmbar sei. »Europa wird gemacht« – und das nicht erst seit Rhode-Jüchtern (2010) – auf Karten, in Bildern touristischer Destinationen, ja selbst auf und mit Euro-Münzen, die manche Realität verschweigen (u.a. Daum 2011: 62). Darin liegt der Wert von Geographie(-Unterricht), der gegen den »Mühlstein namens Raum« (Vielhaber 1998: 21, zit. nach Dickel 2006a: 12) angeht und im Sinne der Neuen Kulturgeographie die Vielperspektivität gesellschaftlichen Lebens in den Vordergrund rückt und damit scheinbar natürliche Raumdeutungen zu hinterfragen in der Lage ist. Die Behandlung von Räumen in kritischer Denkweise verhindere zudem ein gleichgültiges »Stammtischbewußtsein und -gerede« (Rhode-Jüchtern 2002: 17), welches über Mutmaßungen und Vereinfachungen hinausgeht. Das bedeutet auch, dass auf den ersten Blick trivial erscheinende, alltägliche Themen, wie etwa das Wetter, in ihren Zusammenhängen dargestellt und verstanden werden müssen, um komplexe Fragestellungen bearbeiten zu können (Haversath 2002a: 5). Damit kann es gelingen, die Geographie als Unterrichtsfach für die eigene Lebenswelt der Jugendlichen relevant und bedeutsam zu machen; um ihnen zu zeigen, dass Geographie mehr ist als Topographie auf der Karte und Vulkanismus im Modell. Die vier Raumbegriffe (S)einen Niederschlag findet dieses erweiterte16 Raumverständnis beispielhaft in den vier Raumbegriffen, die mit Ute Wardenga zentral in den Grundsätzen und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Fach Geographie (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie 2002) aufgenommen wurden und »als verbindlich für den zukünftigen Geographieunterricht« (Dickel 2006a: 11) gelten. Sie können den unterschiedlichen Phasen der Entwicklung des Faches – wie sie weiter oben angedeutet wurden – zugeordnet werden. Die vier

16 Damit ist gemeint, dass Raum über objektiv bestimmbare Eigenschaften hinaus auch als gesellschaftlich hergestellt verstanden wird.

50 | U RBANES R ÄUMEN

Raumbegriffe sollen im Folgenden kurz erläutert werden, um daran anschließend einige Rezeptionen dieser Gedanken aufzuzeigen. Demnach gilt es, Raum unter vier Perspektiven zu betrachten: •







»Erstens werden ›Räume‹ in realistischem Sinne als ›Container‹ aufgefasst, in denen bestimmte Sachverhalte der physisch-materiellen Welt enthalten sind. In diesem Sinne werden ›Räume‹ als Wirkungsgefüge natürlicher und anthropogener Faktoren verstanden, als das Ergebnis von Prozessen, die die Landschaft gestaltet haben oder als Prozessfeld menschlicher Tätigkeiten. Zweitens werden ›Räume‹ als Systeme von Lagebeziehungen materieller Objekte betrachtet, wobei der Akzent der Fragestellung besonders auf der Bedeutung von Standorten, Lage-Relationen und Distanzen für die Schaffung gesellschaftlicher Wirklichkeit liegt. Drittens werden ›Räume‹ als Kategorie der Sinneswahrnehmung und damit als ›Anschauungsformen‹ gesehen, mit deren Hilfe Individuen und Institutionen ihre Wahrnehmungen einordnen und so Welt in ihren Handlungen ›räumlich‹ differenzieren. Das bedingt, dass ›Räume‹ viertens auch in der Perspektive ihrer sozialen, technischen und gesellschaftlichen Konstruiertheit aufgefasst werden müssen, indem danach gefragt wird, wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Interessen wie über bestimmte Räume kommuniziert und sie durch alltägliches Handeln fortlaufend produziert und reproduziert.« (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie 2002: 8)

Fachwissenschaftliche Erkenntisse der Geographie fanden immer auch Eingang in die fachdidaktische Disskussion und damit den Geographieunterricht – so auch die Behandlung von Raum bzw. Räumen. Dabei nahm (und nimmt teilweise noch) die Länderkunde im Geographieunterricht eine zentrale Position ein. Die Auffassung, dass Geographie als Länderkunde betrieben werden solle, setze sich ca. um 1920 durch. Vor dem Hintergrund eines realistischen Verständnisses wurde die Erde in unterschiedliche Landschaften, d.h. Länder oder Regionen eingeteilt. Über die Abhandlung unterschiedlicher Geofaktoren, wie Vegetation, Relief, Klima, Tierwelt, Verkehr, Politik und Wirtschaft, gelang eine genaue Beschreibung der jeweiligen Länder. Das sogenannte Hettnersche Schema (Länderkundliches Schema) bot somit ein übersichtliches Modell zur Erfassung der Welt und besonders für den Geographieunterricht eine strukturierte Herangehensweise an komplexe Räume. Räume

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 51

werden objektiviert und eindeutig bestimmbar – sie enthalten bestimmte Eigenschaften der physisch-materiellen Welt und werden sodann als Containerraum greifbar. Mit dem Kieler Geographentag 1969 geriet dieses Modell in die Kritik. Es wurden raumwissenschaftliche Analysen gefordert, um ausgehend von der Beschaffenheit objektiver Raumstrukturen allgemeingültige Raumgesetze aufzustellen, da es jetzt technisch zunehmend möglich war, größere Daten zu verarbeiten (vgl. Nehrdich 2010: 148). Daraus ging das Konzept des Raumes als System von Lagebeziehungen hervor. »Auch dieser Raumbegriff arbeitet mit UrsacheWirkungs-Beziehungen, diese Kausalbeziehungen rekurrieren jedoch nicht auf eine Erklärung der erdräumlichen Verteilungsmuster durch das Zusammenspiel der Geofaktoren, sondern argumentieren mit der Distanz (Entfernung) zwischen den Dingen.« (Ebd.: 149) Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das Bestreben in der Geographie laut, stärker den Menschen und die subjektive Wahrnehmung seiner räumlichen Umwelt in das Zentrum der Forschung zu rücken. Mit der Kognitiven Wende vom Behaviorismus zum Kognitivismus ging das (Um-)Denken einher, dass nicht mehr allein der Raum menschliches Handeln determiniere, sondern er als eigenständiger Akteur auch die Welt aufgrund eigener Vorstellungen und Wahrnehmungen beeinflusst. Daraus folgte, dass es nicht mehr nur eine objektive Wirklichkeit der Welt geben kann, sondern viele verschiedene, individuell wahrgenommene. Der Raum als Kategorie der Sinneswahrnehmung fragt demzufolge danach, wie Subjekte ihre Umwelt wahrnehmen und bewerten. Bis dahin kann bzw. muss immer davon ausgegangen werden, dass es einen i.e.S. verortbaren Raum gibt, der nicht geleugnet wird. Im Zuge der Rezeption konstruktivistischer Strömungen in der Geographie seit den 1980er Jahren jedoch konnte es keinen Raum geben, der vor den Handlungen der Menschen existiert, denn erst die handelnden Subjekte stellen Räume kommunikativ und handelnd her. Um den Raum als Konstrukt zu erklären, muss danach gefragt werden, »wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Interessen wie über bestimmte Räume kommuniziert und sie durch alltägliches Handeln fortlaufend produziert und reproduziert« (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie 2002: 8). Anhand des exemplarischen Themas Kriminalität in einem Stadtviertel Y sollen die vier unterschiedlichen Blicke auf Raum im Folgenden kurz dargestellt werden.

52 | U RBANES R ÄUMEN

Tabelle 2: Exemplarische Erläuterung der vier Raumbegriffe der Geographie

Geographische Einordnung

Beschreibung

Containerraum Landschaftsgeographie, Länderkunde

Raum als System spatial approach, Raumstrukturforschung

Mit einem »realistischen« Blick werden konkrete RaumDaten, wie z.B. die Anzahl eingehender Vermisstenmeldungen oder Überfälle auf offener Straße mess- und kartierbar; sie erscheinen objektiviert in Statistiken, auf Karten oder in anderen Veröffentlichungen; auch die physischmaterielle Beschaffenheit des Stadtviertels spielt eine Rolle

Die Beziehungen zwischen Standorten, deren LageRelationen und Distanzen zeigen räumliche Muster auf, z.B. können Einzugsgebiete von Migranten abgelesen werden; darauf aufbauend lassen sich allgemeingültige Raumgesetze z.B. in Form von Handlungsempfehlungen ableiten, um Kriminalität zu senken

Wahrnehmungsraum Verhaltens-/ Wahrnehmungsgeographie, humanistic geography Menschen nehmen ihre Umwelt subjektiv wahr und deuten sie dementsprechend, d.h. sie können sich in bestimmten Stadtvierteln wohlfühlen oder nicht, was wiederum ganz unterschiedliche (nicht nur objektive) Ursachen haben kann: sie sind dort aufgewachsen, sie haben viele Freunde dort;

Raum als Konstrukt Konstruktivistische Geographien

Soziales Handeln findet nicht in Räumen statt, sondern bringt diese erst hervor, kann aber nicht losgelöst von physischmateriellen Strukturen gesehen werden; die Konstruktionsweisen sind sehr vielfältig: bestimmte Ereignisse werden wiederholt im Fernsehen ausgestrahlt;

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 53

(z.B. die Bausubstanz im Stadtviertel, Vorhandensein von Grünflächen, etc.) Explikation

Im Stadtviertel Y gibt es nachts kaum Straßenbeleuchtung; es wohnt eine hohe Zahl an Migranten dort, Statistiken und Karten zeigen die Anzahl von Überfällen

Im Vergleich zu Statistiken aus anderen Stadtteilen können Gemeinsamkeiten und Unterschiede hergestellt werden: Stadtteil Y weist eine höhere Zahl an Überfällen auf als Stadtteil X; Stadtteil Z liegt vergleichsweise weit entfernt von Stadtteil X; Menschen ziehen von Stadtteil Y nach Stadtteil Z

die baulichen Strukturen geben ihnen ein Gefühl von Sicherheit (viel Grün), usw. Bewohner der Stadt, die die Statistiken lesen, fühlen sich verunsichert; einige, die nachts in den Straßen unterwegs sind, tragen immer ein Pfefferspray bei sich; die Bewohner aus Stadtteil Z fühlen sich weniger betroffen; Touristen kommen wegen der Vielfalt an Geschäften in Stadtteil Y

durch das Einblenden von »Einzelschicksalen« wird das Thema emotionalisiert, usw. Unsicherheit wird über das Kommunizieren der Daten hergestellt, auch wenn Menschen noch nicht in Stadtviertel Y waren, fühlen sie sich unsicher und werden nicht dort hin gehen; da Statistiken in offiziellen Dokumenten und in der Zeitung erscheinen, strahlen sie Glaubwürdigkeit aus – die Menschen vertrauen den Fakten

54 | U RBANES R ÄUMEN

beispielhafte Fragen

Wie sieht es in Stadtteil Y aus und was führt dazu, dass so viele Überfälle stattfinden?

Warum ziehen Migranten vermehrt in Stadtteil Y? Warum sind die Kriminalitätsstatistiken in den letzten zwei Jahren gestiegen?

Wie (un)sicher fühlen sich Einwohner oder Touristen in Stadtteil Z? Welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen den objektiven Strukturen/ Daten?

Unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen wird Stadtteil Y als krimineller Stadtteil kommuniziert?

 genaue Beschreibung des Raumes anhand von Daten

 Erklären der Zusammenhänge zwischen den Daten

 Erfassen unterschiedlicher Sichtweisen von Menschen

 Konstruktionsprozesse und Machtstrukturen hinterfragen

Quelle. Eigene Darstellung in Anlehnung an Wardenga 2002, 2006

Hieran wird deutlich, dass mit den vier Raumbegriffen »eine spezifische, kontextabhängige und nicht notwendige Beobachtung der Welt« (Pott 2005: 92) gemeint ist. Auch Containerraum oder Wahrnehmungsraum sind nur zwei mögliche Brillen, durch die man die Welt betrachten kann. Dann gilt es besonders, die Wechselwirkungen zwischen den vier unterschiedlichen Perspektiven aufzuzeigen und gerade nicht den Containterraum als zwangsläufig falsch und Raum als Konstrukt als Nonplusultra zu begreifen. Denn durch diesen Blick erst, der ein vorerst unhinterfragtes Feststellen von Tatsachen erlaubt, kann eine solide Wissensgrundlage i.S. einer Sachkompetenz (z.B. vornehmlich topographische Wissensbestände) geschaffen werden, um darauf aufbauend »kritisches Denken« vollziehen zu können (vgl. van der Schee 2013). Wenn demzufolge keine Daten aus der Kriminalitätsstatistik vorhanden wären, ließen sich auch keine Rückschlüsse auf die Prozesse der Herstellung unsicherer Stadtviertel ziehen. Hierüber können Verknüpfungen hergestellt und Zusammenhänge aufgezeigt werden, die ein Verstehen komplexer Strukturen ermöglichen und gleichzeitig ein Denken der Jugendlichen in Zusammenhängen fördern (Kirchberg 1998: 28). In diesem Sinne scheint eine Kontrastierung beider, subjektiver und objektiver,

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 55

Blickwinkel sinnvoll (vgl. Thierer 2006: 241; auch Breitbach 2006: 284). Denn auch wenn wir aus konstruktivistischer Sicht davon ausgehen, dass es keine Realität gibt, die je objektiv zu bestimmen wäre – Objektivität entsteht in einem intersubjektiven Abgleich unterschiedlicher Perspektiven, auf die sich geeinigt werden kann, und an deren Ende »der Eindruck unhinterfragter Objektiviertheit entsteht« (Müller 2001: 6). Ziel unterschiedlicher Raumwahrnehmungen ist es demnach, zu einer Kollektivierung (vgl. Hübner 2014: 13) zu gelangen, über die das Bild ein und desselben Raumes vielfältig erfahren werden kann. Vielleicht lohnt sich gar ein Blick in die »Tatort Statistik« (Best 2010) oder die Sammlung zu den Unstatistiken des Monats, die von Bauer, Gigerenzer und Krämer (2014) zusammengefasst wurden. Dort finden sich Anregungen zum Hinterfragen zweifelhafter Daten sowie scheinbar logischer Interpretationen. Gleichzeitig hängt aber der Containerraum vom Raum als Konstrukt ab, das heißt, letzerer zeigt sich als objektiviert und entsteht erst über die Sinnzuweisung, über machtvolle Diskurse. Ein Beispiel: Schwache, bzw. gescheiterte Staaten gelten allgemein als Konfliktherde, als Ursache für Terrorismus oder des Ausbrechens von Kriegen, weswegen politische Aktionen darauf zielen (sollten), z.B. Afghanistan im Aufbau stabiler staatlicher Strukturen zu unterstützen. Doch erweist sich gerade diese Logik als wenig haltbar. »Akteure von außen können Entwicklungsbemühungen vor Ort und die Politik legitimer Regierungen in den betroffenen Gesellschaften nicht ersetzen. [...] Dabei ist es unerheblich, wie wohlmeinend eine Intervention sein mag, über welche Machtinstrumente die äußeren Akteure verfügen oder welche Ressourcen sie einsetzen.« (Mazarr 2014)

Denn in der Sicht von außen fließen auch eigene nationale Interessen in die Beurteilung der Lage vor Ort ein, die wiederum den eigentlichen Fokus der Bedürfnisse vor Ort verfehlen können. Wahrgenommene Räume bzw. Atmosphären, die den Raum erst zu einem solchen machen, bedürfen vor allem auch sprachlichen Feingefühls. Das Sprechen über Eindrücke sollte dann nicht auf basalen Unterscheidungen, wie sicher-unsicher, kalt-warm usw. verbleiben, sondern ausdifferenziert werden, denn »[i]st die Aussage subjektiver Eindrücke vernünftig, kann sie auch praktisch sein« (Hasse 2005: 52). Die Genauigkeit eines räumlichen Eindrucks ergibt sich aus der Vielfalt und Lebendigkeit seiner (sprachlichen) Darstellung, die es wiederum ermöglicht, daraus Konsequenzen für das eigene und andere Handeln abzuleiten (s. Kap. 3.2.1). Nicht abzustreiten ist indes, dass Räumen gewisse stabile Qualitäten eingeschrieben werden; ein Beispiel dafür sind Tourismusräume, denen Deutungen

56 | U RBANES R ÄUMEN

wie Erholung, gutes Wetter oder Sonne zugeschrieben werden und die damit »Eindeutigkeit« (Wöhler/Pott/Denzer 2010a: 16) vermitteln. Doch gerade wenn es zu solch Essentialisierungen i.S. der bewussten Festschreibung und Verquickung physisch-materieller Gegebenheiten kommt, dann muss mit kritischem Blick hinter die Konstruktionsmechanismen geschaut werden. Genau am Raum als Konstrukt setzt diese kritische Perspektive an, um zu hinterfragen, warum das so ist, wie diese Deutungen zustande gekommen sind. Warum ziehen Menschen aus Stadtteil Y weg? Mit einem Containerraum-Blick würde man sagen: Weil es dort mehr Überfälle gibt. Mit der Konstruktions-Brille würde man bspw. erklären können, dass die Medien einen großen Einfluss haben, dass die Botschaften auf unterschiedlichen Kanälen (re-)produziert und Vorfälle auch erst dann relevant oder gar überspitzt dargestellt werden, wenn sie wahrgenommen, wenn über sie gesprochen wird. Daran zeigt sich, dass lohnende Fragestellungen im Geographieunterricht nicht allein aus erstem Raumbegriff resultieren können. Solche Fragen ließen sich scheinbar eindeutig beantworten, rufen aber weder Problembewusstsein bei Jugendlichen noch weitere Fragen hervor. Geographische Prozesse würden nur auf der Oberfläche verstanden. Im Bereich des Bildungsstandards Räumliche Orientierung entspräche dies der Kenntnis grundlegender topographischer Wissensbestände. Da es jedoch das Ziel sein soll, eigene sowie andere Raumwahrnehmung und -konstruktion zu reflektieren, gilt es, sich über Wirklichkeiten zu verständigen, auszutauschen und gemeinsam zu hinterfragen. Dies muss nicht immer an konfliktreichen Beispielen passieren, um das scheinbar Gute oder Neue zu enttarnen und damit die Welt verbessern zu wollen. Auch anhand naturgeographischer Phänomene, wie z.B. einem Hurrikan oder Tornado, lassen sich unterschiedliche Sichtweisen auf Räume lohnend thematisieren, um ganz (über-)lebensrelevante Entscheidungen von Menschen an anderen Orten zu verstehen. Wenn Irene Toner bspw. die Nachricht erhält, »dass ein Hurrikan auf Floridas Südspitze zurast«, muss sie als Chefin des dort ansässigen Katastrophenschutzes Entscheidungen für 70.000 Menschen treffen (Dobmeier 2014); von der Meldung eines tropischen Wirbelsturms über die Berechnungen und Voraussagen der möglichen Stärke und Ankunftszeit bis zur Evakuierung der Menschen. All diese Entscheidungen können auch umsonst sein – nämlich, wenn der Hurrikan doch nicht wie vorausgesagt Florida erreicht. Dann wird es Bewohner geben, die froh sind, in ihren Häusern geblieben zu sein; oder jene, die verärgert sind über ihre Mühen und dem Katastrophenschutz nicht mehr trauen. Am Ende sind es nicht allein die messbaren Daten, die das Ereignis Hurrikan herstellen, sondern auch die Berichte über die Situation vor Ort, Meinungen der Bewohner, usw. Auch ein Hurrikan ist eine Raum-Konstruktion, die auf unterschiedliche Wege erst als solche real und handlungsleitend wird. Mithilfe der vier

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 57

Raumbegriffe, im Besonderen durch das Erarbeiten der letzten beiden, können Jugendliche erkennen, dass auch ihre Sicht auf die Welt nur eine Perspektive darstellt. Ist die Vielfalt an Wirklichkeiten ein und desselben Phänomens, z.B. Kriminalität im Stadtviertel oder Gefährdung durch einen Hurrikan, einmal erkannt, gilt es, diese vergleichend und hinsichtlich ihrer Konstruktionsprozesse zu betrachten, damit sich Jugendliche ihr Weltbild begründet bilden. Vergleichbar ist das mit dem Arbeiten von Journalisten, die – hier am Beispiel des SyrienKonflikts – »recherchieren und versuchen, alle Berichte auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen – so schwer das ist in Syrien – und dann eine Einschätzung vorzunehmen. Die Meinungen zum Vorgehen des Westens werden dann immer wieder auseinandergehen. Darüber kann und muss gestritten werden. Nur eines sollten wir nicht tun: einem Kollegen mit anderer Meinung Bequemlichkeit vorzuwerfen.« (Wallraff 2013)

Bevor gegen Auffassungen gewettert wird, sollten diese auf ihre Haltbarkeit überprüft werden. Ein Integrieren der vier Raumbegriffe kann dies bei den Jugendlichen im Geographieunterricht anleiten. Geographieunterricht ohne Raum?17 Im Zuge eines vermehrten Festzurrens der vier Raumbegriffe bzw. der Forderung nach Thematisierung konstruktivistischer Zugänge zu Raum im Geographieunterricht kann eine gestiegene Auseinandersetzung beobachtet werden, die auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet und im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden soll. In einem Fachdidaktischen Grundlagentext erörtert Wiktorin18 (2012) »Wege zu einem kompetenzorientierten Geographieunterricht«, der einen Exkurs zu neuen Raumkonzepten in der Geographie bereithält und mit dem deutlich gemacht wird, dass die vier Raumkonzeptionen nach Wardenga für einen vielperspektivischen Geographieunterricht, der sich auch konfliktreichen Themen adäquat nähern muss, unverzichtbar sind. Dennoch ist anzumerken, dass die unterschiedlichen Raumzugänge »immer noch nicht gesicherter Konsens, im Einzelfall sogar noch umstritten« sind (Hoffmann 2011b:

17 In Anlehnung an Werlen 2004. 18 Das »Netzwerk Erdkunde Sekundarstufe II« des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen erarbeitet unterschiedliche Dokumente, um Fachlehrern Unterstützung für eigene unterrichtliche Konzeptionen anzubieten. Siehe http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/netzwerk-erdkundesii/erdkunde-home/erdkunde-home.html (letzter Zugriff: 13.11.2014).

58 | U RBANES R ÄUMEN

13) – das heißt, dass die Geographie-Unterrichts-praktische Dimension noch nicht umfassend erkannt und umgesetzt wird. Dennoch werden die vier Raumbegriffe als ein Baustein von Kompetenzorientierung verstanden: Karl Walter Hoffmann (2009) zeigt auf, wie mit dem »1-4-6-Vorgehen« Geographieunterricht, der sich mit den Nationalen Bildungsstandards als kompetenzorientiert versteht, geplant und ausgewertet werden kann. Diese Formel besagt, dass »ein Unterrichtsthema zwischen vier Raumkonzepten und sechs Kompetenzbereichen« (Hoffmann 2009: 106 [Herv.i.O.]) behandelt werden sollte, womit also auch hier der Bedeutung einer mehrperspektivischen Sicht auf Räume Rechnung getragen wird und diese sowohl vor dem Hintergrund objektiv gegebener Fakten als auch der subjektiven Wahrnehmung betrachtet werden. Eine konkrete Planungshilfe für kompetenzorientierten Geographieunterricht zeigt der Autor anhand des Themas Ressourcenverfügbarkeit und -nutzung auf (Hoffmann 2011b). Ähnlich argumentieren Hieber, Lenz und Stenglin (2011: 8), indem sie die vier Raumkonzepte über die sechs Kompetenzbereiche auf das jeweilige Stundenthema herunter brechen, um Aufgaben im Geographieunterricht mit dem Schwerpunkt auf Räumlicher Orientierung zu stellen. Die Planung kompetenzorientierten Unterrichts richtet sich demnach auch an den vier Raumkonzepten aus. Hoffmanns »1-4-6«-Prinzip kann dabei in geänderter Reihenfolge als »6-1-4«-Prinzip gelesen werden, da Unterricht eher ausgehend vom Kompetenzbereich, über die sich daraus ergebende Thematik hin zur »passende[n] Brille« (Junker 2012: 48), das heißt, dem Raumkonzept geplant wird. Reuschenbach (2011) beleuchtet die vier Raumbegriffe hinsichtlich der Förderung Raumbezogener Handlungskompetenz im Geographieunterricht. Der Philosophie des Kerncurriculums Erdkunde für die gymnasiale Oberstufe auf der Spur, setzt Haberlag (2014: 70) die dort aufgeführten vier Raumbegriffe (Niedersächsisches Kultusministerium 2010: 7) in einer synoptischen Raumanalyse beispielhaft für den Geographieunterricht um. Raumbegriffe und Kompetenzbereiche der Bildungsstandards werden dabei so verknüpft, dass subjektive und objektive Sichtweisen einen vielfältigen Blick auf Raum erlauben. Der objektiven Sicht mittels der ersten beiden Raumbegriffe werden die Kompetenzbereiche Fachwissen, Räumliche Orientierung und Erkenntnisgewinnung durch Methoden zugeordnet; eine subjektive Sicht auf den Wahrnehmungsraum und Raum als Konstrukt wird v.a. über Kommunikation sowie Beurteilung und Bewertung ermöglicht. Trotz der eher groben Einteilung (von der Auslassung des Kompetenzbereichs Handlung einmal abgesehen), zeigt sich auch daran die bewusste Auseinandersetzung mit Raum als zentraler Kategorie auf einer übergeordneten Ebene, um eine Einbindung in den Geographieunterricht anzubahnen.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 59

Mit dem Stichwort »Raumanalyse« sind zunächst vielleicht eher ablehnende, da starre, länderkundliche Containerraum-Konnotationen verbunden. Doch ist auch diese etablierte spezifisch geographische Methode geeignet, um Jugendliche die Mehrdimensionalität und damit die vier Perspektiven auf Raum gewinnbringend erfahren zu lassen. Raumanalysen sollte demzufolge weniger »Beschäftigungstheorien« (Klein 2011: 25) als vielmehr eine zielorientierte, motivierende und strukturierte Erforschung von Räumen sein, die bspw. über einen verfremdeten Raumzugang (ebd.: 31) erfolgen kann, der nicht auf den ersten Blick erahnen lässt, um welches Thema es sich handelt. Zudem kann ein differenziertes Raumverständnis zum kritischen Bewerten und Hinterfragen des eigenen Umwelthandelns dienen. Über eine Raumanalyse anhand der vier Raumbegriffe werden nicht allein negative Aspekte des touristischen Verhaltens, sondern auch die Herstellung des Bildes eines Urlaubszieles überhaupt deutlich (Dolić/Wilhelmi 2011). In ähnlicher Weise verfahren Schockemöhle und Born (2012), die eine Umsetzung einer sozialräumlichen Analyse des demographischen Wandels in ländlichen Räumen über die Methode Storyline aufzeigen, in der eine spannende (fiktive) Geschichte von den Lernenden selbst weitererzählt wird, deren Handlungsstrang aber durch Hinweise und Informationen seitens der Lehrperson vorgegeben wird (ebd.: 61). Im konkreten Beispiel jedoch verbleibt die Beantwortung zentraler Fragen auf der Ebene des Wahrnehmungsraumes. Genauso werden Raumkonzepte unter anderen Problemstellungen untersucht, wobei auch hier eher von vereinzelten Phänomenen ausgegangen werden muss. Aus der Analyse von Aufgaben zum Kompetenzbereich Räumliche Orientierung, die in insgesamt sechs Geographielehr-büchern für die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen der Klassenstufen 5 und 6 untersucht wurden, zeigt sich, dass sich mithilfe von Übungsaufgaben »die meisten der in den Bildungsstandards aufgelisteten Einzelkompetenzen erreichen lassen« (Hamann 2011: 275). Genauso werden mentale Bilder i.w.S. untersucht, die über Lehrbücher gefördert werden (vgl. Hamann 2004, die die »Behandlung der ›Schurkenstaaten‹ Irak, Iran und Nordkorea in Geographielehr-büchern der USA« untersucht; Budke (2013) untersucht die »Erzeugung von Frankreich- und Deutschlandbildern in Schulbüchern«; sowie früher Kirchberg (1995), der das Bild Europas in deutschen Geographielehrbüchern für die Sekundarstufe I sowie die gymnasiale Oberstufe analysiert und zur Erkenntnis gelangt, dass »[d]er vorwiegend topographisch gesehene Europabegriff [..] weithin statisch benutzt [wird] und zu wenig mit Dynamik, mit einer Zukunftsaufgabe, mit einer Herausforderung verbunden« (Kirchberg 1995: 76) ist. Trotz der Darstellungen Europas in seiner Vielfalt wird vor Klischeebildung gewarnt und zu einem Abgleich des Bildes mithilfe zusätzlicher Informationen angeraten (ebd.)). Im österreichischen

60 | U RBANES R ÄUMEN

Pendant zum deutschen Geographieunterricht, dem G(eographie- und) W(irtschaftskunde)-Unterricht, sind die erweiterten Raumperspektiven größtenteils bereits Bestandteil der Lehrpläne (Jekel 2005: 20) als auch in der fachwissenschaftlichen Diskussion verbreitet, doch klafft offensichtlich eine Lücke zu den Lehrbüchern, die in diesem konkreten Fall hinsichtlich der Vermittlung des Indien-Bildes untersucht wurden. Auch im Bereich der Exkursionsdidaktik werden konstruktivistische Prinzipien und Raumvorstellungen rezipiert. Stellvertretend dafür kann der Band von Dickel und Glasze (2009) zitiert werden, in dem sich die Autoren mit der Implementierung neuerer räumlicher Konzepte auf (Schüler-)Exkursionen auseinandersetzen. So greifen bspw. Hemmer und Uphues (2009) den Ansatz der vier Raumbegriffe auf, um differenzierte Sichtweisen auf ein und denselben Raum – die Großwohnsiedlung Berlin Marzahn – anzuleiten und damit vorherrschende negative Bilder im Kopf zu dezentrieren. Aus einer kleineren empirischen Untersuchung ging indes hervor, dass sich das Bild eines Raumes durch eine Exkursion – in diesem Falle eine touristische Tour durch ein Township in Kapstadt – wesentlich veränderte bzw. ein differenziertes Bild im Anschluss daran ausgebildet werden konnte (Rolfes/Steinbrink 2009: 136). Für die didaktische Perspektive bedeutet dass, das besonders vor dem Hintergrund kultureller Zuschreibungen Räume als vielfältige Konstrukte erkannt werden können, indem verschiedene Sichtweisen (Touristen, Touranbieter, Township-Bewohner) im Konstruktionsprozess berücksichtigt sowie vor allem eigene Wahrnehmungen und Wahrnehmungsänderungen reflektiert werden. In einer Bestandsaufnahme zur (konstruktivistischen) Exkursionsdidaktik setzen sich Böing und Sachs (2007) auf einer allgemeinere Ebene mit unterschiedlichen Zugängen des Arbeitens vor Ort auseinander. »Wo sonst, wenn nicht am außerschulischen Lernort, ließe sich eine Thematisierung und eine Reflexion dieser Raumkonzepte besser realisieren?« (Böing/Sachs 2007: 43) Besondere Bedeutung erhält Raum innerhalb der Exkursionsdidaktik bzw. dem Reisen allgemein, da lange Zeit davon ausgegangen wurde, ihn i.S. der Realbegegnung unmittelbar erfahren und damit vermessen und erklären zu können. Dem aber ist nicht so, wenn auch das Lernen vor Ort einer konstruktivistischen Auffassung unterzogen wird. Denn dann werden die Wahrnehmungen der Exkursionsteilnehmer vor bzw. am Ort durch eine ganze Reihe an Einflüssen gelenkt, seien es Gefühle von Angst, Freiheit, oder aber auch die Aufgabenstellungen seitens der/s Lehrenden, die Blicke lenken und damit ganz unterschiedliche Konstruktionen zulassen können (Budke 2009: 12). Schällig (2009) zeigt anhand der Methode des Sozialen Experiments – das im Rahmen einer Exkursion von Studierenden im Park Sanssouci durchgeführt

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 61

wurde – dass auch Regeln im Park bestimmte Räume herstellen und Handeln lenken und wie dann über das bewusste Ändern bzw. Übertreten akzeptierter Vorstellungen eines Park-gerechten Handelns diese die Aufmerksamkeit für die Konstruiertheit von Räumen sensibilisieren kann. Ziel des Exkursionskonzepts zum Jenaer »Turm«, der als »Neue Mitte« der Stadt konzipiert wurde, ist es, dass Jugendliche sowohl die eigene Raumwahrnehmung erkennen und hinterfragen sowie diese mit der materiellen Raumstruktur und den Handlungen anderer Akteure vergleichen, um abschließend zu einer Bewertung der »Passung von Raumstruktur und alltäglicher Praxis« (Schneider/Vogler 2008: 11) zu gelangen und damit die soziale Konstruiertheit des Raumes zu ergründen. Es herrscht in der Tat eine, wenn nicht flächendeckende, aber doch eine partiell intensive Auseinandersetzung mit einem (neuen) konstruktivistischen Verständnis von Raum, welches in der Fachdidaktik hinsichtlich der Erträge für einen vielperspektivischen Geographieunterricht überprüft wird, der einen kritischen Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen fördern soll. Wie bereits angedeutet, lassen sich die vier Raumbegriffe i.e.S. eher vereinzelt umgesetzt bzw. angesprochen auffinden. Ein Problem dabei scheint weiterhin die Komplexität dieses Zugangs im Gegensatz zu gewohnten, unidirektionalen Blicken, die auf den ersten Blick verunsichern mag und eine Integration in der Planung von Geographieunterricht gar verhindert. Konkrete Implementierungsansätze der vier Raumkonzepte, die vorwiegend über geographiedidaktische Publikationen aufgezeigt werden, sind vereinzelt zu verzeichnen, was jedoch noch nicht auf dessen tatsächliche Umsetzung schließen lässt. Erwähnt seien hier Schwinn (2010), die in ihrem Artikel das Thema Graffiti vielperspektivisch anhand der vier Raumbegriffe aufzeigt, um die Frage nach der Bewertung dieser Art künstlerischer Gestaltung des öffentlichen Raumes aufzuwerfen; ebenso Bauer und Landolt (2013), die die subjektive Bedeutungszuweisung auf urbane Räume übertragen sowie Hemmer und Uphues (2012), die anhand der Großwohnsiedlung Berlin Marzahn unterschiedliche Sichtweisen auf ein und denselben Raum bei Jugendlichen anleiten, um stereotype Sicht- und Denkweisen zu hinterfragen. Die Möglichkeit der Beeinflussung von Raumwahrnehmung – ohne die Fokussierung der vier Raumbegriffe – zeigen Jebbink und Keil (2003) für die Sekundarstufe I mithilfe eines Experiments mit Schülern aus Duisburg auf, indem sie sie Mental Maps ihrer Stadt zeichnen lassen. Je nachdem, ob die Lernenden vorher positiv oder negativ beeinflusst wurden, spiegelt sich das auch in ihren jeweiligen Kognitiven Karten wieder. Darüber können die Lernenden erkennen, dass Raumwahrnehmungen bewusst gelenkt werden können und sich dies wiederum in ihren Handlungen ausdrücken kann (vgl. dazu auch Maurmann 2002, der das in ähnlicher Weise für die gymnasiale Oberstufe anhand des Themas

62 | U RBANES R ÄUMEN

»Weltmacht USA« zeigt). Kanwischer (2006a) zeigt an einem Unterrichtsbeispiel zum Kommunalen E-Government auf, inwiefern besonders Kriterien konstruktivistischer Lernumgebungen und unterschiedliche Raumebenen bei Fragen zu virtuellen Räumen und der scheinbaren Auflösung von Grenzen berücksichtigt werden. Auch im Rahmen des bilingualen Geographieunterrichts lassen sich die neuen Raumkonzepte als Sprachanlässe nutzen, wobei sich das Thema Tourismus wohl besonders eignet (Böing 2009). Rhode-Jüchtern zeigt weitere konkrete Ansätze auf, die das Raumkonzept darüber hinaus feingradiger deklinieren, z.B. im Hinblick auf die Vieldeutigkeit von Räumen (vgl. RhodeJüchtern 2006a, b, c, d). Die Jenaer Geographiedidaktik (o.J.) stellt die vier Raumbegriffe exemplarisch anhand der Themen Elbeflut in Dresden 2002 und der Müllproblematik dar, auf die Rhode-Jüchtern wiederum in den »Eckpunkten einer modernen Geographiedidaktik« (2009: 137ff.) verweist. Fächerübergreifend kann die Untersuchung von Räumen – hier am Beispiel Japans – vielperspektivisch ausgeweitet und damit der Raum in seiner Konstruiertheit thematisiert werden (Gohr 2008: 29). Im TERRA Geographieschulbuch für Gymnasien in Rheinland-Pfalz und Saarland wird der Nürburgring einer Raumanalyse mithilfe der vier Raumbegriffe unterzogen, was in gewisser Weise einen Erfolg darstellt, da damit das Konzept erstmals in einem Geographielehrbuch erscheint.19 Einer allgemeineren Rezeption unterliegen die vier Raumbegriffe zudem, bspw. als Teil von Lehrveranstaltungen in der geographi(edidakti)schen Ausbildung (Kanwischer 2011) oder aber im Sinne der Förderung einer neuen Denkweise im Zuge der Neuen Kulturgeographie (Schneider 2006). Darüber hinaus nehmen die Publikationen, die allgemein mit der Brille eines konstruktivistischen Raumverständnisses schauen, langsam zu und sind thematisch durchaus sehr differenziert. In diese zu begrüßende Entwicklung fügen sich die Beiträge von Hoffmann und Kersting (2011a, b, c), die die Produktion von Afrikabildern untersuchen und Konsequenzen für den Geographieunterricht ableiten. Auch Kulturraumkonstrukte i.w.S. werden auf ihre Anwendung im Geographieunterricht hin kritisch überprüft (vgl. Beiträge von Böge 2011; Scheffer 2011; Stöber 2011). Dickel und Scharvogel (2012) nähern sich der Produktion des Raumes über das dreigeteilte Konzept Lefèbvres und zeigen auf, wie »eine simpel erscheinende räumliche Praxis wie das Aufstellen einer Plastik auf einem Bahnhofsvorplatz in einer Kleinstadt in ein Netz aus materiellen, narrativen und symbolischen Praktiken verwoben ist [und] wie dieses Netz entfaltet und konzeptionell für geographische Bildung handhabbar gemacht werden kann« (ebd.: 37).

19 Eine gekürzte Version bietet Hoffmann 2011a.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 63

Die Themenhefte der Zeitschrift Praxis Geographie widmen sich ebenfalls der kritischen Betrachtung sozial hergestellter Räume. Exemplarisch aus dem Themenheft 4/2002 sei Lippuner genannt, der sich mit der Dekonstruktion des Landschafts- und Naturbegriffs auseinandersetzt, um sie aus ihrer angenommenen Reinheit zu lösen, indem zunächst die Bedeutung von Symbolen erörtert wird. Eng damit verknüpft ist auch die Forderung nach kritischem Medienkonsum und der damit einhergehenden Herstellung von Grenzen zwischen dem Eigenen und Anderen (vgl. Schlottmann 2002). Über »versteckte« Geographie-Räume und die Bedeutungsvielfalt verständigt sich Themenheft 4/2006, wobei besonders temporäre Nutzungen und Bedeutungszuweisungen (Bsp. Raumpioniere, Öffentliches Frühstück, Aktivitäten in der Natur) im Vordergrund stehen. Dass auch Sicherheit nur ein Konstrukt ist, aber besonders in Fragen des öffentlichen Raumes brisant werden kann, zeigt das Themenheft 12/2008. »Stadtperspektiven« (Themenheft 1/2012) eröffnen unterschiedliche Wege, wie Fragen aus der Sicht der Neuen Kulturgeographie im Geographieunterricht umgesetzt werden können. Dabei stehen v.a. neue methodische als auch thematische Zugänge im Vordergrund (z.B. das Mapping als Methode aus der Kunstpädagogik (Hofmann/ Mehren 2012a), Hip Hop als Thema im Geographieunterricht (Bosman 2012)), ebenso wie die Konstruiertheit von Raum über Sprache (vgl. Hofmann/Mehren 2012b) und Normen im öffentlichen Raum anhand des Guerilla Gardenings. Ob und inwiefern die Diskursanalyse »eine Methode für den Geographieunterricht« sein kann, bleibt indes weiter mit einem Fragezeichen versehen (vgl. Miener 2012). Die Rolle von (neuen) Medien in der Produktion von Räumen wird dabei verstärkt thematisiert und kritisch beobachtet (u.a. Gutenberg 2010; Höhnle/Schubert 2012). Daneben kommt Bildern und Filmen als raumkonstitutive Medien eine große Bedeutung zu, die aktuell auch für den Geographieunterricht aufgearbeitet wird (vgl. Dickel/Hoffmann 2012; Jahnke 2012; Nöthen 2012; Plien 2012). Gleichzeitig wird das Vermögen der Informations- und Kommunikationsmedien, speziell der Satellitenerkundung, gepriesen, Blicke auf unsere Erde »grundlegend verändert« zu haben; wir »ein immer genaueres Abbild der Erde« und Informationen erhalten, die »den menschlichen Sinnen direkt nicht zugänglich sind« (alle Zitate Gutenberg 2010: 22). Inwiefern dabei die Raumerfahrung der Jugendlichen durch die Medien regelrecht ersetzt werden soll, bleibt kritisch zu sehen. Für den österreichischen GW-Unterricht sei der Beitrag Voglers (2010) hervorgehoben, der das medial konstruierte Bild Japans in Lehrbüchern anhand der Analyse von Bildern aufschlüsselt, sowie eine Diplomarbeit zum Orient-Bild in Schulbüchern und in der Wahrnehmung Studierender (Habitzl 2010). Was Konstruktivismus für den GW-Unterricht bedeuten kann, stellt Schmidt-Wulffen

64 | U RBANES R ÄUMEN

(2008) so dar, dass nicht am Ende Geographie- bzw. GW-Unterricht ohne den Lehrer stattfindet, allein weil wir den Lern- als Konstruktionsprozessen der Jugendlichen mehr Freiraum ermöglichen sollten (ebd.: 82). »In die Räume der Geographiedidaktik« dringt Kanwischer (2008) vor, indem er durch einen Blick in die Lehrbücher des GW-Unterrichts Schwachstellen aufzeigt, die hauptsächlich auf einer raumwissenschaftlichen Vermittlung geographischer Phänomene beruhen. Dennoch liegt der Mehrwert relationaler Raumkonzepte für den Unterricht darin, dass sie auch subjektive Interessen in den Konstruktionsprozess mit einbeziehen. Anhand von drei anfangs scheinbar ungleichen Beispielen – der Salzburger Altstadt, dem englischen Südosten und dem ehemals kolonisierten Indien – werden unterrichtliche Umsetzungen dieses erweiterten Raumverständnisses aufgezeigt. Was diese vielfältigen Beiträge jedoch nicht beachten, ist die spezifische Perspektive der Jugendlichen, das heißt, welche Erfahrungen sie bspw. mit medial produzierten Raumbildern machen oder welche Lehr-Lern-Arrangements sich warum besonders anbieten, um das kritische Denken anzuleiten. Genau hier setzt die vorliegende Arbeit an. Eine Ausnahme stellt Thierer (2011) dar, der in einem Schul-Projekt drei verschiedene qualitative Methoden (teilnehmende Beobachtung, biografisch-narrative Interviews und Mental Map) hinsichtlich einer Förderung der Erkenntnisgewinnung am Beispiel subjektzentrierter Raumwahrnehmung überprüfte und zu dem Ergebnis kam, dass deren Einsatz die Fähigkeit zu Perspektivenwechsel und Fremdverstehen ebenso unterstütze wie die Fähigkeit zur Metareflexion (Thierer 2011: 86, 87). Jugendliche erforschten dabei die Bedeutungen, die ein Platz für die Bewohner einer Stadt annimmt. Es zeigt sich, dass allein das Behandeln von Themen mithilfe der Linse der vier Raumbegriffe noch kein Garant dafür sein kann, dass Räume auch als solche verstanden werden. Insbesondere die methodischen Entscheidungen spielen hier eine große Rolle. Vor dem Hintergrund eines subjektzentrierten Raumverständnisses müssen »verstärkt interpretativ-verstehende Verfahren« (ebd.: 79) angewendet werden, um Erkenntnisprozesse bei den Jugendlichen anzuleiten und sie diese selbst erfahrbar werden zu lassen. Sowohl in der Fachwissenschaft als auch zunehmend in der Geographiedidaktik wird die soziale Konstruktion von Räumen anerkannt (Fuchs/Rolfes 2013: 449), ja ist das »Konstruieren von Räumen [...] eine geradezu banale Selbstverständlichkeit unserer alltäglichen Lebenspraxis und [...] die Standardroutine geographischer Forschung« (Weichhart 2010: 37 [Herv.i.O.]). Zurückzuführen ist das u.a. auch grundlegend darauf, dass jegliches räumliches Denken i.S. eines mentalen Umgangs mit räumlichen Relationen (Köck 2005a: 62) »konstruktives

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 65

Tun und dessen Ergebnis dann ein ›Konstrukt‹ [...]« (ebd.) selbst ist. Dabei sind die jeweiligen Konstruktionsmechanismen unterschiedlich zu fassen, wie auch im vierten Raumbegriff (Raum als Konstrukt) nach Wardenga nicht eindeutig wird. Genauso ist festzustellen, dass mit Werlens sozialgeographischem Ansatz der Rekonstruktion von Handlungen zwar Prozesse der Raum-Konstruktion aufgezeigt werden, aber noch keine Beobachtung der Beobachtung getan ist. Anders formuliert: Allein die vier Raumbegriffe machen noch keinen kritischreflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen aus. Dieses findet über eine Dezentrierung des eigenen Blicks in der differenzierten Auseinandersetzung mit den Konstruktionsweisen statt, indem das eigene Denken und Handeln neben dem anderer erkannt, verglichen und verstanden wird. Natürlich: wir sehen ein, dass durch diese Perspektive auf Räume gerade erst Kontingenz und Komplexität provoziert und Unsicherheiten hervorgerufen werden. Das Verlassen von Schwarz-Weiß-Denkmustern, eines Entweder-Oder, meint aber in einer Zeit zunehmender lokal-globaler Vernetzung und einer enormen medialen Präsenz und Durchdringung nicht weniger als ein Schritthalten mit und damit Verstehen aktueller Entwicklungen, die Jugendliche über den Geographieunterricht hinaus genauso betreffen. Mit einem Containerraum-Denken würde die Verunsicherung nicht ausgelöst; würden aber auch keine neuen, tieferen Erkenntnisse und Verständnis geschaffen. »Aber etwas herauszufinden ist nicht kostenlos. Da muss man riskieren, dass etwas zu Schaden kommt, man selbst oder das Objekt.« (Enzensberger, zit. in Enzensberger/Kluge 2004) Und genau das können wir von Humboldt für die Geographiedidaktik lernen (Rhode-Jüchtern 2011). Dennoch sollte von einem Schaden für den Geographieunterricht keineswegs die Rede sein, denn erst ein solcher Zugang garantiert einen vielperspektivischen Blick auf und hinter Räume und damit das In-Bewegung-Bleiben von Geographieunterricht mit der Welt von heute. Ist es nicht auch eines der Bedürfnisse des Menschen, Neues zu entdecken, unbekannte Wege zu gehen?

2.2 R AUMAKTEURE »[...] nun wurde die Erklärungslast weg vom Raum und hin auf die Tätigkeit von autonomen Subjekten verschoben« (Wardenga 2006: 40). Mit dieser Feststellung ist die konzeptionelle Ausrichtung dieses Kapitels markiert. Gleichzeitig wird damit die Verbindung zwischen dem dargelegten Raumverständnis der Neuen Kulturgeographie und den Raumakteuren bzw. deren Handlungen hergestellt. Gehen neue Ansätze der Sozial- und Kulturgeographie davon aus, dass der Mensch prinzipiell ein »unabgeschlossene[s] Bündel wechselnder Relationen«

66 | U RBANES R ÄUMEN

(ebd.: 42) ist, dessen Identitäten sich immer erst im Diskurs konstituieren und dessen Handlungen sich demzufolge auch immer nur kontextgebunden erschließen lassen, so wird vor dem Hintergrund der Fokussierung dieser Arbeit eine abweichende Konzeption des Subjekts in den Vordergrund gestellt. D.h., um hinter die vielfältigen Prozesse der Raum-Produktion zu schauen – wie dies als Potenzial der Neuen Kulturgeographie herausgestellt wurde – wird es hier als sinnvoll angesehen, Räume handlungsorientiert zu erschließen, zumal die Neue Kulturgeographie von der erkenntnistheoretischen Grundposition des handlungstheoretischen Paradigmas ausgeht (Dickel 2006a: 10). Dabei wird die Inkompatibilität poststrukturalistischer Ansätze der Geographie mit der handlungszentrierten Sozialgeographie (Weichhart 2013) dahingehend aufgelöst, dass Handlungen immer auch kontextuell stattfinden und sich daneben auch unbeabsichtigte Folgen daraus ergeben können, die sich der Rationalität und Intentionalität der Akteure entziehen. Besonders über die Schwerpunktsetzung auf die Handlungen und nicht die Individuen selbst findet eine Annäherung an die Dezentrierung des Subjekts im Zuge poststrukturalistischer Zugänge statt, denn »Gesellschaftliches, die soziale Welt, [wird] nicht mehr als die Summe der Individuen begriffen, sondern als jene der Handlungen« (Werlen 1995: 57). Zudem kann dem Vorwurf poststrukturalistischen Ansätzen gegenüber, »praktisch verwendbares Wissen [...] nur wenig beitragen [zu] können« (Blotevogel 2003: 30), das Potenzial handlungstheoretischer Sozialgeographie entgegengestellt werden, da sie eine strukturierte Rekonstruktion der Raumproduktion über die Handlungen ermöglicht und dies besonders für den Geographieunterricht gewinnbringend sein kann. Um keine tiefen Gräben zu schüren, darf eingesehen werden, dass sich handlungszentrierte Sozialgeographie und Neue Kulturgeographie so uneins gar nicht sind, zumal der Fokus räumlich-geographischer Betrachtungen in beiden Strömungen auf den den Raumkonstruktionen zugrundeliegen Prozessen liegt (Weichhart 2008: 338; 2010: 32). 2.2.1 Auf dem Weg zu einer »Geographie der Subjekte«20 Der Anspruch, die Handlungen der Subjekte stärker in den Fokus geographischer Betrachtungen zu rücken, wird parallel dazu in einem anderen Bereich formuliert, der im Rahmen der Arbeit bedeutsam wird: Jugendliche sollen als autonome Subjekte in besonderem Maße in den Schul-, speziell Geographieunterricht eingebunden werden. Die viel gepredigte Handlungsorientierung bietet damit Anknüpfungspunkte, die nach einführender Betrachtung der handlungstheoreti-

20 Dickel 2006a: 10.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 67

schen Grundlagen näher hinsichtlich ihrer (geographie-)unterrichtlichen Umsetzung untersucht werden sollen.21 Benno Werlens Konzept einer Handlungszentrierten Sozialgeographie nimmt im Rahmen dieser Arbeit gewissermaßen eine Scharnier-Funktion ein, über die sich erst die Bedeutung der handelnden Akteure, womit auch die Lernenden gemeint sind, für die Konstitution von Räumen als auch der dem Unterricht zugrundeliegende Konzeption erklären lassen. Dabei geht es keineswegs darum, Werlens Theorie empirisch zu belegen, indem etwa Nachweise geliefert werden, dass und wie Jugendliche täglich Geographien machen (vgl. Bauer 2010: 180). Vielmehr bietet sein Ansatz ein geeignetes Grundgerüst für die weitere Ausformulierung eines darüber konzipierten Geographieunterrichts. Erklärungen für Handlungen (z.B. normorientiert) werden vor dem Hintergrund des zugrundeliegenden Forschungsinteresses nicht pauschal vorausgesetzt bzw. an die Handelnden herangetragen, sondern erst nach Rekonstruktion ihrer kollektiv geteilten, impliziten Wissensbestände können Handlungen erklärt werden (vgl. Kap. 6). Handeln wird dabei stets in Bezug zu dem Habitus der Akteure rekonstruiert (Gaffer/Liell 2007: 202). Benno Werlens Handlungszentrierte Sozialgeographie Die Schnittstelle zwischen dem Raum als Produkt und den Subjekten liegt der Werlen’schen Handlungszentrierten Sozialgeographie zufolge in deren Handlungen, da der Raum den Handlungen nicht vorausgeht, sondern erst durch diese hergestellt wird. Gleichzeitig beziehen Menschen in ihren Handlungen die Welt auf sich, sie regionalisieren, d.h. stellen Verbindungen zwischen dem physischmateriellen und dem sozialen Raum her. Dies geschieht gesellschaftlich strukturiert und strukturierend. Handlungen werden demnach durch gewisse Strukturen ermöglicht oder verhindert. »Die handlungszentrierte Sozialgeographie betrachtet die Mensch-Umwelt-Beziehungen – aufgrund des situativen Handelns – als unauflösbare Ganzheit, für die der fortdauernde dialektische Austauschprozess konstitutiv ist« (Monzel 2007: 110). Damit wird die (geänderte) Rolle der Raumakteure anerkannt, die in diesem Fall eine zentrale Bedeutung im Prozess der Raumproduktion einnehmen und gleichzeitig der Schritt von einer hand-

21 Wichtig zu betonen ist, dass die hier vorgenommene Reihenfolge keinerlei Hierarchisierung darstellen soll. Das bedeutet, dass nicht das Fachwissenschaftliche vor dem Fachdidaktischen steht; vielmehr ergibt sich diese Schrittfolge aus der Aufstellung der Kapitel; nach der fachwissenschaftlichen Diskussion des Raumzugangs wird sich dem Raumakteursverständnis gewidmet, bevor auf die geographiedidaktischen Aspekte desselben eingegangen wird.

68 | U RBANES R ÄUMEN

lungsorientierten Raumwissenschaft zu einer raumorientierten Handlungswissenschaft (Dickel 2006b: 127) getan wird. Voraussetzung für diese gesellschaftliche Erklärung ist v.a. auch die räumliche und zeitliche Entankerung, womit beispielhaft der einfachere Austausch von Informationen durch die »wichtigsten Entankerungsmedien [wie] Schrift, Geld und technische Artefakte« (Werlen 2008: 32) gemeint ist. Theoretische Herleitung & Einordnung Die drei großen Traditionen der klassischen Handlungstheorien unterscheiden zweckrationales, normorientiertes und verständigungsorientiertes Handeln, wobei ersteres v.a. darauf abzielt, Orientierung im Sinne einer Metrisierung zu erschaffen; über normorientierte Handlungen wird festgelegt, welche Handlungen wo (nicht) erlaubt sind und Informationshandeln meint hauptsächlich solches Handeln des Kommunizierens und der Verständigung. Entscheidend bleibt zu betonen, dass es trotz dieser analytischen Unterscheidung, auf die im Folgenden weiter aufgebaut wird, nicht darum geht, solch »idealtypisches Handeln in der Realität zu suchen, sondern umgekehrt: Abweichungen vom Idealtypus systematisch beobachten zu können« (Odermatt/van Wezemael 2007: 25), denn auch trotz der Unterstellung, dass alle Menschen rational handeln, muss das nicht bedeuten, dass sich die Handelnden dessen auch in gleicher Weise bewusst sind (Werlen 2008: 286). Nach Giddens’ Strukturationstheorie, auf die sich Werlen in der Ausformulierung seiner Theorie grundlegend bezieht, hat Handeln – Giddens zieht dem Begriff der Handlung das Handeln vor – stets geplante und ungeplante Folgen. So sehen Menschen, die täglich den Bus für ihren Weg zur Arbeit nehmen, die Folgen ihrer Handlungen, dass bspw. die Infrastruktur für den ÖPNV stärker ausgebaut oder auf alternative Fortbewegungsformen umgestiegen wird, nicht intentional ab (vgl. Hermann/Leuthold 2007: 217). Diese ungeplanten Folgen wiederum können zum Ausgangspunkt »für den Handelnden selbst oder andere« zu neuen Handlungen werden (Werlen 2008: 287), was für die tendenzielle Offenheit und gegen den strengen Rationalitätsanspruch der Subjekte spricht.22 Handeln ist »ein Fluß von Tätigkeiten« (Werlen 1995: 80), deren Mo-

22 Der Abgrenzung zwischen Handlungs- und Praxisbegriff ist sich die Autorin bewusst. Dem Handlungsbegriff wird dabei Rationalismus und Individualismus vorgeworfen (Schulz-Schaeffer 2010), was bedeutet, dass Handlungstheorien zum einen zu wenig das implizite Wissen mit einbinden als auch Handlung lediglich als Einzelhandlung und nicht als »Bündel von Aktivitäten« konzipieren (ebd.: 319). Letzterem kann aber entgegnet werden, da Handlungen nach Werlen überaus komplex sind und neben Handlungsentwurf, Situationsdefinition, Auswahl konkreter Aktivitäten und spezifi-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 69

tive, Intentionen und Gründe zwar einzeln herausgestellt werden können, doch diese erst in Wechselwirkung mit den gegebenen Kontexten aktualisiert und damit relevant (oder nicht) werden. »Dementsprechend bilden nicht ›Handlungen‹ den Gegenstand der Sozialforschung, sondern der Fluß des Handelns, der die Gesellschaft reproduziert und transformiert.« (Werlen 1997: 149 [Herv.i.O.]) Das Beispiel des Schülers, der wiederholt und absichtlich aus dem Fenster des Klassenzimmers schaut, um sich in eine Protesthaltung der Lehrperson gegenüber zu positionieren, macht deutlich, dass er damit zwar auch in der Lage ist, einen Raum (des Protests) zu schaffen, diese Bedeutung aber nur verfestigt werden kann, wenn auch der Adressat – in diesem Fall die Lehrperson – darauf aufmerksam wird (vgl. Löw 2001: 238, zit. nach Willems/Eichholz 2008: 901). Auch wenn wir ein mehr oder minder konkretes Ziel mit unseren Handlungen verfolgen, werden erst die Elemente der uns umgebenden Welt auf unser Ziel hin interpretiert und sinnhaft; den physisch-materiellen Dingen werden unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen (Werlen 2008: 286), die in anderen Kontexten das Handeln Anderer strukturieren. Dies versteht Giddens als »Dualität der Struktur« (vgl. Werlen 1995: 69): handelndes Subjekt und soziales Objekt werden »in rekursiven sozialen Handlungen oder Praktiken konstituiert und das heißt: produziert und reproduziert« (Giddens im Interview mit Kießling 1988: 289). Den Subjekten wird dabei kompetentes Handeln zugesprochen, »auch wenn sie nicht in der Lage sind, darüber zu sprechen« (Werlen 1995: 79 [Herv.i.O.]; vgl. tacit knowledge). Handlungen umfassen – aufbauend auf Reckwitz (vgl. Everts 2008: 17) – ebenso auch »geistige Aktivitäten«, wie Wünsche, und »Muster körperlicher Bewegungsabläufe« (ebd.). »Raum entsteht in Handlungsvollzügen, und zwar ganz wesentlich über Wahrnehmungsprozesse.« (Löw 2007: 93)23 Werlen betont dabei insbesondere eine Körperzentrierung, nach der bereits das Bewusstsein des Subjekts um seine körperliche Präsenz vor Ort raumkonstitutiv ist (Werlen 2000a: 18; 2008: 295; in Anlehnung daran diskutieren Dickel 2006b: 110ff. sowie Rhode-Jüchtern/Schneider 2009 leibliche Erfahrungen i.S. der Subjektzentrierung als Körperzentrierung, speziell im Kontext von Reisen/Exkursionen). Die Bedeutung räumlicher Bezüge, d.h. des physisch-materiellen Raumes i.e.S., lässt sich demnach über die Körperlichkeit ab-

scher Mittel zum Handlungsvollzug und dessen Handlungsfolgen führen (vgl. Werlen 1987: 12ff., zit. nach Weichhart 2008: 260ff.). 23 Trotz ihrer unterschiedlichen disziplinären Verortung in Soziologie bzw. Geographie weisen die Raumkonzepte Löws und Werlens aufgrund ihres relationalen Charakters Ähnlichkeiten auf, weswegen im weiteren Verlauf punktuell auf erstere verwiesen wird.

70 | U RBANES R ÄUMEN

leiten (Werlen 2000b: 16), da die Handelnden stets eine Relation des eigenen Körpers »zu anderen physisch-materiellen Körpern« (Werlen 1995: 238) herstellen. Raum beruht »auf der Erfahrung der eigenen Körperlichkeit« (ebd.: 239) und der Vorwurf an Giddens, dass allein der Raum konstitutiv sei für die Gesellschaft, kann mit eben dieser Annahme der Körperzentrierung entkräftet werden, da es die Handlungen der Subjekte sind (Werlen 1997: 167). Auch Joas sieht den Körper- neben dem Situations- sowie kollektiven/sozialen Bezug als eine Dimension kreativen Handelns (vgl. Gaffer/Liell 2007: 191). Dabei muss immer davon ausgegangen werden, dass es einschränkende und das Handeln ermöglichende Faktoren gibt, wonach auch unterlassene Handlungen als Handlungen anzusehen sind, die sich auf die Konstitution von Räumen auswirken können. »Bei der subjektiven Sinngebung geht der Einzelne allerdings nicht beliebig vor, sondern orientiert sich mehr oder weniger bewusst an einem intersubjektiven (das heißt allgemein gültigen) Bedeutungszusammenhang. Letzterer ist ein gesellschaftlich und kulturell vorbereitetes Orientierungsraster und umfasst bestimmte Werte, Normen und Postulate, welche die Handlung mit einer idealen Vorstellung in Beziehung bringen, sowie ein bestimmtes Erfahrungswissen. [...] Das objektive Bedeutungsraster existiert somit für den Einzelnen nur in der Art, wie es vom Handelnden wahrgenommen wird.« (Werlen 2008: 287)

Unser Handeln wird damit im Kleinen wie im Großen stets strukturiert, das heißt ermöglicht oder eingeschränkt, angeregt oder unterdrückt und Subjekte unterliegen trotz einer implizierten Handlungsautonomie nie einer völlig »freien Entscheidungsmöglichkeit« (Deffner 2010: 22). Dabei kann davon ausgegangen werden, dass »Strukturen als Fähigkeiten der Akteure existieren, und zwar als Wissen, wie Dinge getan, gesagt oder geschrieben werden sollen, und auf dem also die soziale Praxis beruht, die dann als Umsetzung dieses Wissens zu begreifen ist« (Werlen 1997: 184 [Herv.i.O.]). Strukturiert wird Handeln hauptsächlich durch Regeln und Ressourcen (ebd.). Giddens sieht Regeln nicht definiert als feststehende Spielregeln, an die sich gehalten werden muss, sondern vielmehr im Sinne von Techniken und unserem Handeln »inhärente Eigenschaften« (ebd.: 185), die aber erst in den Handlungen selbst aktualisiert und damit relevant werden (ebd.: 186). Wenn wir bspw. zu einem abgesperrten Bereich auf dem Fußweg gelangen, wissen wir, dass wir ihn umgehen und evtl. auf die Straße laufen müssen – und das oft auch, ohne, dass ein Schild oder gar Gesetz explizit darauf hinweist. Die physisch-materiellen Strukturen existieren also, doch müssen diese nicht zwangsläufig auch relevant werden, da es in bestimmten Fällen auch möglich ist, die Absperrung auf dem Fußweg einfach zu durchqueren. Heinemann und Pommering (1989: 2f., zit. nach Reutlinger 2001: 93) sprechen von der

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 71

»Dysfunktionalität« materieller Artefakte, wodurch ihre Aneignung offen auch für andere, weitere Nutzungsmöglichkeiten ist. Ressourcen als weitere Form von Strukturen dürfen nicht als etwas rein Materielles verstanden werden, das in Situationen eingesetzt wird, »sondern vielmehr eine ›Fähigkeit‹, ein ›Vermögen der Umgestaltung‹ [...]« (Werlen 1997: 188) und damit als machtvolle Struktur, wobei hier noch zwischen allokativen – auf materielle Gegebenheiten bezogene – und autoritativen Ressourcen – diejenigen, die auf Personen gerichtet sind – unterschieden werden kann (ebd.: 188ff.). Diese werden v.a. im Zusammenhang mit den Praktiken der normativ-politischen Regionalisierung bedeutsam. Die hier beschriebenen Abläufe lassen sich anhand der Theorie der action settings als handlungstheoretische Formulierung der (verhaltenswissenschaftlich konzipierten) behavior settings nach Roger G. Barker fassen (vgl. Rhode-Jüchtern 2006b: 6). In verhaltenswissenschaftlicher Tradition wird davon ausgegangen, dass der Raum unser Verhalten über verschiedene Programme (z.B. Regeln, Verbote, Rollenzuweisungen) strukturiere, demnach gewisse Verhaltenserwartungen aus der physisch-materiellen Welt resultieren. Im Sinne einer Passung verhalten sich Menschen dem behavior setting entsprechend synomorph, indem sie sich an die Programme halten. Der Humangeograph Peter Weichhart erweitert diese Auffassungen über die Anerkennung der Autonomie des Subjekts, welches intentional und nicht allein extern bestimmt handelt. »Die Determinationswirkung der materiellen Welt liegt nicht in den natürlichen, sondern in gesellschaftlichen Sinnzuschreibungen« (ebd.: 7), was wiederum die Kontingenz sozialer Wirklichkeit belegt. Handlung(-sorientierung) im Sinne der Neuen Kulturgeographie lässt sich demnach definieren über folgende Merkmale (Rhode-Jüchtern 2009: 163ff.): • • •

Kontextualität – Handeln findet stets situiert statt und ist nicht universell erklärbar; Pfadabhängigkeit – in zeitlicher Perspektive äußert sich die Kontextspezifität darin, dass Vergangenes Gegenwärtiges bedingt; Kontingenz – Dinge müssen sich nicht so ereignen, wie sie geplant oder früher stattgefunden haben.

All diese Bedeutungen zusammengetragen, ergeben sich spezifische Strukturen, die durchaus historisch gewachsen und damit Räumen eigen sind. »Wir wissen, dass es eine Logik von Orten gibt« (Löw 2011a: 36), wobei sich nicht sämtliche Phänomene darüber erklären lassen. In gleicher Weise erlauben dann auch gebaute Strukturen der Umwelt unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Nutzung und Aneignung.

72 | U RBANES R ÄUMEN »Die Kirche, die wir betreten, wird nicht nur dadurch verhaltensrelevant, dass wir hier z.B. aufgrund fehlender räumlicher Gegebenheiten nicht Fußball spielen oder baden können, sondern auch dadurch, dass wir den Raum begrifflich als Kirche erkennen und uns deshalb den gesellschaftlichen Konventionen zufolge ruhig und andachtsvoll verhalten.« (Tessin 2011: 35)

Einen entscheidenden Vorteil bringt die handlungszentrierte Sozialgeographie demnach mit sich: Sie nimmt sich des sozialen Kontexts an, in dessen Rahmen menschliches Handeln stattfindet. Für sie ist dieser nicht so fragil, als dass er geleugnet werden könnte (Weichhart 2008: 275). Dabei dienen v.a. Routinen der Stabilisierung gewisser Vorgänge und Handlungsabläufe und geben den Menschen Muster an die Hand, an denen sie – zumindest intentional – ihr Handeln ausrichten. Routinen existieren nach Giddens notwendigerweise »in raumzeitlicher Hinsicht« (Werlen 1997: 176). Im Gegensatz zu Traditionen erlauben Routinen je nach subjektiver Lage zudem eine Anpassung und Veränderung. Menschliches Handeln basiert demzufolge auf einem »praktischen Bewusstsein«, womit gemeint ist, dass eigenes und anderes Handeln bedeutungsvoll in routinisierten alltäglichen Praktiken wird, die wir bewusst und unbewusst in unseren Köpfen entwerfen (Knox/Pinch 2006: 198). Wie nun ist der Begriff der Regionalisierung zu verstehen? Regionalisierung meint nicht, im engeren Sinne, die Aufteilung größerer Raumeinheiten zu Regionen, sondern ist als »alltägliche Praxis zu verstehen« (Werlen 2001), über die Räume hergestellt und alltägliche Probleme, wie z.B. Arbeitslosigkeit oder die Wohnumfeldgestaltung gelöst werden (Wöhler 2008: 79). Gleichzeitig zielen Regionalisierungen auf eine Regulierung und Ordnung des Handelns, da Subjekte auch bestrebt sind, räumliche und zeitliche Bezüge zu beherrschen, um vielmehr das eigene Handeln steuern zu können, wobei hier differenziert werden muss nach den verschiedenen Formen alltäglicher Regionalisierungen (s. weiter unten). Ausgangspunkt der Regionalisierungen, d.h. der Herstellung von Regionen, ist das Verständnis von Raum bzw. Räumlichkeit. In Anlehnung an Giddens Terminologie – er schlägt den Begriff »locale« vor, mit dem er einen »tätigkeitsspezifische[n] Raumausschnitt« (Werlen 1997: 168) meint – soll hier der Begriff »Schauplatz« (ebd.) eingeführt werden, über den der Vollzug der Regionalisierung erklärt werden kann. Ein Raum als zunächst materielle Gegebenheit wird dann erst zu einem Schauplatz, wenn mit den vorhandenen Dingen Handlungen möglich werden. Ein Schauplatz ist immer sowohl räumlich als auch zeitlich definiert wird (vgl. action settings). Am Beispiel eines Krankenhauses soll das verdeutlicht werden: Das Krankenhaus zeigt sich zunächst als ein großes Gebäude mit unterschiedlichen Stockwerken und Abteilungen, z.B. der

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 73

Notaufnahme, Intensivstation, Kinderstation, dem Aufenthaltsraum für die Krankenpfleger etc. Regionalisiert ist ein Krankenhaus demzufolge in unterschiedliche Stockwerke, Stationen, Zimmer usw. (Werlen 1997: 169, nach Giddens 1988: 171). »Regionalisierung heißt somit eine erste Spezifizierung der sozialen Definition von bestimmten räumlichen Ausschnitten bzw. Schauplätzen in bezug auf bestimmte Handlungsweisen« (Werlen 1997: 169 [Herv.i.O.]). Auf bestimmten Stationen des Krankenhauses sind nur bestimmte Handlungen möglich; diese sind letztlich konstitutiv für den jeweiligen Schauplatz. Je nach Regeln und Ressourcen lassen sich dann weitere Eigenschaften von Regionen unterscheiden, z.B. die Dauer, Form, Spanne sowie der Charakter, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll (vgl. dazu Werlen 1997: 169ff.). Mit dem Anspruch der handlungszentrierten Sozialgeographie, »das alltägliche Geographie-Machen auf wissenschaftliche Weise zu untersuchen« (Werlen 1997: 39), wird ein weiterer Begriff eingeführt, der einer kurzen Erläuterung bedarf. Mit Alltag ist eine selbstverständliche, natürliche und zweifelfreie Einstellung gemeint, über die die Menschen Wirklichkeit erfahren (Werlen 1999: 262, zit. nach Lippuner 2005: 73). Das bedeutet, dass Alltag »in der routinisierten Verbindung von Ort und Praktiken« (Everts 2008: 18) entsteht. Zwar nehmen wir unsere Umwelt mehr oder weniger bewusst wahr, bedeutsam aber wird sie erst im konkreten Handlungsvollzug (vgl. Rhode-Jüchtern 1999, in Bauer 2010: 166).24 Ohne sich einer kritischen Auseinandersetzung der Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Alltag zu unterziehen (vgl. dazu Lippuner o.J.)25, soll die Be-

24 So verstanden, bietet das Alltagsverständnis der Handlungszentrierten Sozialgeographie Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte zu einer phänomenologischen Auffassung nach Husserl, nach der die Lebenswelt als in natürlicher Einstellung erfahren betrachtet wird, aber dabei nicht an bestimmte Gruppenzugehörigkeiten gebunden ist, da sich spätmoderne Gesellschaften gerade nicht mehr über das Tradieren von Erfahrungen charakterisieren lassen, sondern die Verbindungen jeweils ständiger Aushandlungen unterliegen (vgl. Werlen 1997: 293). Das wiederum könnte im Sinne einer Erweiterung der Werlenschen Konzeption dienen (vgl. auch Kritikpunkte am Ende des Kapitels). 25 Ein nicht minder gravierender Vorwurf kann der Handlungszentrierten Sozialgeographie dahingehend gemacht werden, als sie die Rolle des Wissenschaftlers, der Alltag bzw. alltägliche Regionalisierungen untersucht, nicht reflektiert. Demnach entsteht das Alltägliche erst dadurch, dass er Menschen in – von ihm als solche definiert – alltäglichen Situationen erforscht. Da es im Rahmen dieser Arbeit jedoch nur darum geht, das Subjekt- respektive Handlungsverständnis darzulegen, wird hier auf eine ausführlichere Diskussion des Alltags-Begriffes verzichtet. Einen weiteren Kritik-

74 | U RBANES R ÄUMEN

tonung auf den alltäglichen Geographien der Subjekte bleiben. Im Mittelpunkt steht folglich die von den Handelnden als alltäglich konzipierte Erschließung der Welt, womit auch kleinere Phänomene verstärkt in der Sozialgeographie thematisiert werden (vgl. Kap. 2.1). Gleichzeitig muss eingesehen werden, dass Wissenschaft nicht ohne Alltag und umgekehrt existieren können, da wissenschaftliche Erkenntnisse letztlich auch erst durch alltägliche Erfahrungen glaubhaft werden (Werlen 1997: 2). Die Geographien alltäglicher Regionalisierungen Abschließend sollen die vorangegangenen Erläuterungen zu den Sozialgeographien des Alltags zusammengefasst werden. Werlen (1997: 271ff.) unterscheidet drei Hauptdimensionen der Globalisierung bzw. Typen alltäglicher Regionalisierungen, die sich aus den Hauptdimensionen der sozial-kulturellen Wirklichkeit hypothetisch ableiten lassen (Werlen 2001) und die jeweils in zwei Unterbereiche eingeteilt werden können. Regionalisierungen finden nicht nur normativ, d.h. auf die Beherrschung sozialer Strukturen ausgerichtet, statt, sondern auch symbolisch vermittelt (vgl. Tab. 3). Von einer strikten Trennung der unterschiedlichen Formen der alltäglichen Regionalisierung ist abzusehen, da sich zwischen ihnen stets Verbindungen ergeben. Die Geographien der Produktion und Konsumtion leiten sich aus einem zweckrationalen Verständnis von Handlungen ab und betreffen v.a. den wirtschaftlichen Bereich, in dem Standortentscheidungen getroffen und Produktionseinrichtungen sowie -prozesse räumlich organisiert werden.26 Durch die Entankerung sind vermehrt individualisierte Lebensstile möglich, über die bspw. auch Kultur in Form von touristischen Unternehmungen oder Festveranstaltungen konsumiert werden kann. Die von den Konsumenten vollzogenen Regionalisierungen sind oftmals wenig offensichtlich, wirken sich aber besonders auch auf globaler Maßstabsebene aus. So haben lokale Kaufentscheidungen Auswirkungen auf die globalen Warenströme; Konsumenten sind damit letztlich auch für die Produktionsweisen in fernen Regionen verantwortlich. Besonders in den Geographien der Konsumtion zeigen sich Machtverhältnisse, die über das Vorhandensein von Ressourcen bestimmt werden. Ausgangspunkt dafür sind die gestiegenen Wahlmöglichkeiten der handelnden Subjekte in einer spätmodernen

punkt bringt Werlen (2005: 23) selbst an, indem er Giddens »Containerisierung« vorwirft, indem er Soziales verräumliche. 26 Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich alle folgenden Erläuterungen zu den Typen alltäglicher Geographien auf Werlen 2001, die als Zusammenfassung dienen soll; dies wird nicht separat nach jeder Ausführung angegeben.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 75

Gesellschaft, in denen sich jeweils ihr Weltbezug, z.B. in Form von Konsumoder Lebensstilen, zeigt (vgl. Werlen 1997: 314). In der Untersuchung der Geographien der Produktion und Konsumtion ist weniger von Bedeutung, wie viel Waren bspw. produziert werden, sondern unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen und mit welchen Konsequenzen dies geschieht. Ein anderes Beispiel betrifft die Wohnstandortentscheidungen: Ziehen Menschen vermehrt in bestimmte Stadtviertel, hat dies Konsequenzen auf die vorhandene funktionale und soziale Struktur des Viertels; es entstehen bspw. neue Geschäfte mit einem erweiterten, auf die vor Ort konzentrierten Sozialgruppen angepassten Warenangebot. Über symbolische Prozesse der Bedeutungszuweisung wird das Viertel dann zunehmend attraktiv; mehr Leute möchten dort wohnen. Prozesse der Gentrifizierung lassen sich über die Geographien der Produktion und Konsumtion erklären und bewerten. Abgeleitet aus einem normorientierten Verständnis von Handlung unterscheidet Werlen die Geographien normativer Aneignung und politischer Kontrolle, die den allgemeinen Bereich der Politik umfassen. »Dabei handelt es sich um präskriptive, vorschreibende Regionalisierungen auf staatlicher wie privater Ebene.« (Werlen 2000a: 15) Geographien normativer Aneignung finden oftmals über die vorgegebene Nutzung materieller Gegebenheiten statt, wobei hier der öffentliche Raum paradigmatisch dafür steht. Geographien normativer Aneignung zeigen sich bspw. in unausgesprochenen Aufenthaltsverboten bestimmter Personengruppen auf öffentlichen Plätzen oder in Einkaufszentren. Diese sollen über bewusste Handlungen, z.B. das Bewässern der Bereiche vor Geschäften oder das Spielen von Musik an Bahnhöfen ferngehalten werden. »Das Verhältnis von Macht und Raum wird zum Verhältnis von Macht und Körper.« (Werlen 1997: 333), da die Körper räumlich existieren und damit Handlungen ermöglicht oder unterbunden werden können. Zudem fließen hier Fragen nach ethnischer bzw. genderspezifischer Regionalisierung ein. Herrschaft wird dabei über Personen in Form von Ein- und Ausschließungsmechanismen ausgeübt, bspw. über das Konstrukt des Nationalstaates, um (staatliches) Recht aufrechtzuerhalten. Anders formuliert: Nicht der Raum wird regionalisiert und damit normiert, sondern finden diese Prozesse ressourcen- bzw. personenbezogen statt. Es kann im Sinne Foucaults (»Überwachen und Strafen«) von einer Disziplinierung der Körper über unterschiedliche Mechanismen ausgegangen werden, die teilweise un-g/b-ewusst passiert: heutzutage über Video-Überwachung öffentlicher Räume oder in Verkehrsmitteln – Menschen meiden beim Erblicken der Kamera evtl. bestimmte Straßen. Auch die bewusste Gestaltung des Umfeldes kommt dem Zweck nach; und auch ohne, dass Verbotsschilder oder explizite Regeln aufgestellt werden, halten sich Menschen an gewisse – angenommene – Vorgaben.

76 | U RBANES R ÄUMEN

Auch der Beschluss des Bremer Staatsgerichtshofes im März 2014, der EUAusländern kein Wahlrecht in Landtagswahlen zuspricht, kann als alltägliche Regionalisierung verstanden werden; genauso wie der Entzug des Stimmrechts für Russland im Europarat im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim27. In seiner Arbeit zum raumorientierten Verwaltungshandeln geht Franke (2011: 14) u.a. der Frage nach, inwieweit alltagsweltliche Belange von Menschen überhaupt in quartiersbezogene Handlungsempfehlungen und in abgesteckte Programmgebiete bspw. in der Jugendhilfe einbezogen werden. Mithilfe des Konzepts alltäglicher Regionalisierung nach Werlen versucht er, Schnittstellen zwischen Theorie und Praxis darzulegen. Zudem kommt der Sprache auch in den normativpolitischen Regionalisierungen eine bedeutende Rolle zu, da über sie Ein- und Ausschlusskriterien definiert bzw. von den Handelnden selbst als solche interpretiert werden. Ein Beispiel dafür sind regionale Dialekte bzw. Sprachvarianten innerhalb eines Landes, die nur in bestimmten Regionen gesprochen werden (dürfen). Die Geographien der Information und symbolischen Aneignung entspringen einem verständigungsorientierten Handeln. Eine entscheidende Stellung innerhalb der Geographien der Information nimmt das Wissen ein, über das wir verfügen, da dies unsere je individuellen Bedeutungszuweisungen beeinflusst. »Was uns Dinge bedeuten, hängt vom Wissen ab, über das wir verfügen, dem verfügbaren Wissensvorrat.« (Werlen 1997: 379) Die Steuerung von Informationen wiederum erfolgt mittels unterschiedlicher Informationsmedien und -kanäle. Arbeiten von Felgenhauer (2007b) sowie Schlottmann et al. (2007) zeigen die Rolle der Sprache in der Produktion von (Konsum-)Räumen bzw. raumbezogener Verortung. Über die symbolische, häufig emotional geleitete Aneignung weisen wir bestimmten Dingen und damit Räumen subjektiv Bedeutungen zu, z.B. als Ausdruck eines Heimatbewusstseins. Innerhalb der Geographien der Information und symbolischen Aneignung nehmen zudem die (Massen-)Medien eine besondere Bedeutung ein. Ihnen kommt raumkonstituierende Wirkung zu in dem Sinne, dass Medien unsere Sicht auf die Welt beeinflussen. »The earth will always be familiar to its inhabitants principally through images« (Cosgrove 2006: 24), seien das Bilder als Fotographien, in Filmen, auf Karten oder anderen Medien. Denn sie wirken auf das Bild, was sich die Menschen von der Welt machen. Besonders Jugendliche sind dem Medienkonsum ausgesetzt (vgl. Kap. 2.2.2). Dabei ist in Werlens Sinne nicht das Medium selbst raumkonstitutiv, sondern vielmehr der handelnde Umgang mit ihm, da das Medium nicht schon die Botschaft

27 Quelle: http://www.tagesschau.de/ausland/russland-europarat100.html (letzter Zugriff: 11.11.2014).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 77

in sich trägt, die es zu vermitteln mag. Damit ist es letztlich auch die Bedeutung, die wir dem Medium zuweisen – z.B. ob wir die Tageszeitung überhaupt lesen, ob ich den Inhalten der TV-Sender vertraue – über die sich unser Weltbild mitkonstituiert. Über all jene Formen der Regionalisierung werden Räume im Sinne von »Mentifakte[n]« (Dürr/Zepp 2012: 260) produziert und reproduziert. Werlen möchte diese aber »nicht nur als über Handlungen konstruiert sehen [...], sondern die dahinter stehenden Mechanismen in den Fokus einer eigenständigen Perspektive [...]« (Vogler 2010: 53) stellen. Demzufolge interessiert in deskriptiver Hinsicht, »in welcher Form, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen die Handelnden die verschiedenen Typen von Regionalisierungen verwirklichen« (Werlen 2001) und damit Raum auf sich beziehen. Danach kann sich der Erklärung der Regionalisierungen zugewandt werden, indem die gesellschaftliche Bedeutung der entstandenen bzw. auch nicht zustande gekommenen Räume erklärt wird. Daraus wiederum ließen sich Konsequenzen globalisierter Lebensformen rekonstruieren, aufeinander abstimmen und beurteilen (ebd.) (vgl. Tab. 3).

78 | U RBANES R ÄUMEN

Tabelle 3: Typen alltäglicher Regionalisierungen nach Werlen

Quelle. Werlen 2001; eigene Ergänzungen

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 79

Damit ist eine Möglichkeit einer systematischen Untersuchung alltäglichen Handelns und der Raumproduktion aufgezeigt. Dass sich das Konzept der Handlungszentrierten Sozialgeographie nach Werlen auch Kritikpunkten gegenübersieht, soll hier nicht geleugnet werden (u.a. Werlen 2008: 317ff.). So wäre es bspw. sinnvoll, die Zusammenhänge zwischen den Motiven und Handlungen der Subjekte sowie die Bedeutung, die der physisch-materielle Raum für die Handlungen einnimmt, genauer zu untersuchen (Meusburger 2001). Auch die Rolle der Gefühle und Atmosphären bleibt in Werlens Ausführungen eher hintergründig (ebd.) – um nur ein paar wenige Erweiterungsmöglichkeiten seiner Sozialgeographie zu nennen. Unbestritten bleibt es stets der Interpretation des jeweiligen Autors vorbehalten, inwiefern die Untersuchung der Beziehungen zwischen Mensch und Raum erweitert werden kann. Im Kontext dieser Arbeit erscheint es nicht abwegig, genannte Faktoren mit zu berücksichtigen, denn auch wenn dem Subjekt rationales Handeln zugesprochen wird, sind die ungeplanten, nicht intendierten Folgen der alltäglichen Regionalisierungen durchaus mit nichtrationalen Erklärungsmustern zu begründen. Dabei bleiben sozialgeographische Untersuchungen stets gefangen zwischen einer Kleinteilung (idiographisch) und Verallgemeinerung (nomothetisch): Auf der einen Seite werden subjektive, symbolische, signifikative Praktiken betont, die sich einer Abstraktion entziehen; gleichzeitig strebt man nach je exakte(re)n und objektiven Erkenntnissen. Insgesamt blieb dieser handlungstheoretische Zugang Benno Werlens in der Geographie eher wenig beachtet. »Dass Bachmann-Medick (2006) Benno Werlen nicht einmal als Titel unter der Literatur zum spatial turn erwähnt, zeigt, wie unreif der inter-disziplinäre Raumdiskurs insgesamt noch ist.« (Dürr/Zepp 2012: 277 [Herv.i.O.]) Mit Benno Werlens Handlungszentrierter Sozialgeographie wurde die geographische Untersuchung des Verhältnisses zwischen Raum und Gesellschaft als Kernproblem der Geographie auf eine neue Ebene gehoben. Diese Perspektive erlaubt es, mittels der Rekonstruktion der Handlungen von Menschen ihr alltägliches Geographien-Machen zu untersuchen und v.a. auch hinsichtlich dessen lokal-globaler Verschränkungen zu verstehen. Damit wird ein entscheidendes Merkmal der geographischen Betrachtung von Raum – dessen Konstruiertheit – anerkannt. Dabei geht es weniger um das Erklären von Strukturen in positivistischer Manier, sondern vielmehr um einen verstehenden, Handlungen und Regionalisierungen nachvollziehenden Zugang zu unserer Umwelt (Dürr/Zepp 2012: 262).

80 | U RBANES R ÄUMEN

Über die Rekonstruktion von Handlungen wird es dann möglich, Bedeutungen, die Räumen zugewiesen werden, herauszustellen. Diese Konzeption stellt nur eine neben weiteren Möglichkeiten der Untersuchung räumlich-gesellschaftlicher Phänomene dar. Es gilt hier nicht, Werlens Handlungszentrierte Sozialgeographie als einzig mögliche Sichtweise herauszustellen. Vielmehr ist das Anliegen des weiteren Fortgangs der Arbeit aufzuzeigen, inwiefern sich die Handlungszentrierte Sozialgeographie als Strukturschema für die Bearbeitung von Fragestellungen im Geographieunterricht eignet. Es wird die These vertreten, dass die Handlungszentrierung gewinnbringend für eine Auslegung von Geographieunterricht eingesetzt und erweitert werden kann, da durch sie eine Fokussierung auf das Subjekt als handelnder Akteur in der Herstellung von Räumen impliziert ist, was besonders im Hinblick auf die Konzipierung der Rolle der Lernenden erörtert werden soll. 2.2.2 Subjekt- und Handlungsorientierung aus geographiedidaktischer Perspektive Bis zu diesem Punkt stellt sich der Gang der Arbeit so dar, dass von der Thematisierung von Raum, im Speziellen seiner Konstruiertheit und des Potenzials der Neuen Kulturgeographie, diese Herstellungsprozesse kritisch zu hinterfragen, mit Werlens Handlungszentrierter Sozialgeographie der Schwerpunkt auf das Subjekt verlagert wurde, und zwar in dem Sinne, dass Räume als Konstrukte über die Handlungen von Subjekten erklärt werden können. Damit stellen die Neue Kulturgeographie und Handlungsorientierung zwei Seiten ein und derselben Medaille dar, denn mit der fokussierten Betrachtung alltäglicher Phänomene erweist sich eine subjekt- bzw. handlungsorientierte Praxis zur Erschließung räumlicher Fragestellungen als gewinnbringend. Für den vorliegenden Kontext meint das: »Die größte Bedeutung, Herausforderung und Verantwortung des Faches Geographie liegt darin, den Prozess des Machens zu thematisieren.« (Dickel 2006b: 102) Dabei ist Handlungsorientierung sowohl inhaltlich-thematisch (s. vorangegangener Teil zur Handlungszentrieten Sozialgeographie) als auch didaktisch-methodisch zu definieren. In zweiter Hinsicht gilt es dann, Jugendliche in den Mittelpunkt bei der Erschließung von Fragestellungen im Geographieunterricht zu stellen, denn »Schüler können das Handeln von Subjekten nicht verstehen, wenn sie sich [...] nur mit Räumen und nicht mit den handelnden Subjekten auseinandersetzen.« (Thierer 2006: 233) Das heißt, der Lernende muss selbst auch handelnd aktiv werden können, um sich bspw. im Sinne eines Perspektivenwechsels in Personen hineinzuversetzen, um wiederum die eigene Handlungspraxis zu erkennen und hinterfragen, z.B. wie er Sprache gebraucht

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 81

und wie sich das auf sein alltägliches Geographien-Machen auswirkt. Wie in Kapitel 2.1.2 angesprochen, kann es dann nicht darum gehen, Raum zu thematisieren, sondern »die ›Weltordnung‹ der handelnden Subjekte bzw. deren Bezüge des Handelns« (Daum/Werlen 2002: 8) – und das in zweifacher Hinsicht. Im Folgenden wird es darum gehen, Handlungsorientierung in didaktischmethodischer Hinsicht darzustellen. Hierzu darf auf die Darstellung handlungsorientierter Ansätze im Geographieunterricht unter besonderer Berücksichtigung der Jugendlichen in Itta Bauers Arbeit (2010) verwiesen werden. Da Bauer in ihrem Entwurf eines alternativen Ansatzes zu subjekt- und handlungszentrierten Jugendgeographien von der Formulierung einer Handlungskompetenz ausgeht und daran anschließend Konzepte von Handlungsorientierung aus der fachwissenschaftlichen Diskussion aufnimmt, die vorliegende Arbeit jedoch einen anderen Ausgangspunkt nimmt, nämlich den (un-)hinterfragten Umgang mit Raumkonstruktionen im Bereich Räumliche Orientierung, wird Handlung hier auf ausgewählte Aspekte fokussiert bleiben. Dennoch spielt Handlungsorientierung keine weniger wichtige Rolle, da sie auch einen elementaren Bestandteil für die Auslegung Raumbezogener Handlungskompetenz darstellt. Die Bildungsstandards für das Fach Geographie der Deutschen Gesellschaft für Geographie formulieren zentrale Kernthemen und -kompetenzen, doch lassen die quantitativ formulierten Ziele wenig Raum für Fragen nach dem wie Jugendliche bspw. lernen und was ihnen ihre Lernprozesse bedeuten (Bauer 2010: 10). Speziell im Kompetenzbereich Räumliche Orientierung, in dem als eine Fähigkeit die Reflexion von Raumwahrnehmung und -konstruktion benannt ist, fällt auf, dass diese eng gebunden an instrumentelle Vorgaben (mental maps bzw. Karten allgemein) formuliert sind. Gleichzeitig werden keine konkreten Bezüge zu den Lernenden selbst hergestellt, in dem Sinne, dass sie mögliche eigene Raumkonstruktionen hinterfragen. Diese sprachlichen Feinheiten sollen hier auch gar nicht Ziel bzw. Ausgangspunkt weiterer Auseinandersetzung sein, denn die schriftliche Fixierung von Lernzielen und Kompetenzen allein stellt keinen Garant dafür dar, dass dies auch in der unterrichtlichen Praxis durchgeführt wird. Vielmehr setzt das in Kapitel 3 aufzuzeigende Unterrichtskonzept genau an diesem Punkt an: über einen subjekt- und handlungsorientierten Geographieunterricht werden die Bedeutungen, die Jugendliche Räumen zuweisen, rekonstruiert und anhand einer Typenbildung fokussiert aufgezeigt. Die erweiternde Ausformulierung einer Reflexionsfähigkeit als ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen, der über das Arbeiten mit Karten hinausgeht, erfolgt in Kapitel 2.4.

82 | U RBANES R ÄUMEN

Handeln(de) in geographiedidaktischen Kontexten Geographieunterricht kann als Abfolge unterschiedlichster Handlungssituationen, die sich zunächst zwischen Lehrenden und Lernenden konstituieren, verstanden werden, wobei auch unterlassene Handlungen bspw. in Form eines Nicht-Beantwortens einer Frage Handlung umfasst. Eine gemeinhin akzeptierte Definition handlungsorientierten Unterrichts stammt von Hilbert Meyer (1994: 214), der diesen beschreibt als »ganzheitliche[n] und schüleraktive[n] Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtsprozesses leiten, so daß Kopf- und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können«. Synonym verwendet werden auch »kommunikativer«, »offener«, »erfahrungsbezogener« oder »schüleraktiver« Unterricht (ebd.). Es gibt unterschiedliche lernpsychologische Begründungen für einen handlungsorientierten Unterricht. Besonders prägnant vermitteln dies auch Zahlen: ein Mensch behält ungefähr 10% von dem, was er liest, 20% von wem, was er hört, 30% durch Sehen, 50% durch Sehen und Hören, 80% von dem, was er selbst verbalisiert sowie 90% durch eigenes Handeln (Sauerborn/Brühne 2007: 45). Doch ist es nicht allein der Behaltenseffekt, der dadurch besonders gefördert wird. Lernende sollten selbst handelnd aktiv werden, da sie ihre Wirklichkeitskonstruktionen stets »gemessen an ihrer Praxis« (Dickel 2006b: 80) als richtig oder falsch, nützlich oder unnütz definieren; weswegen sie im Geographieunterricht besonders gefordert werden sollten, eigene (räumliche) Wirklichkeiten zu konstruieren und sie zu überprüfen. Rhode-Jüchtern (2004b: 57) spricht davon, dass sie jeweils viabel, also »gehbar und praktisch-plausibel« sind. Die Prämisse Pestalozzis, mit Kopf, Herz und Hand zu lernen, zielt darauf ab, dass nicht nur geographische Denkund Arbeitsweisen im engeren Sinne, sondern auch allgemeine Fähig- und Fertigkeiten geschult werden. Daneben sollen auch die sinnlich-wahrnehmenden Kanäle angesprochen werden (Kirchberg 1998: 28), geht es doch in der Neuen Kulturgeographie verstärkt um Aspekte der visuellen, olfaktorischen oder haptischen Wahrnehmung und damit erweiterten Konstruktionsmechanismen von Räumen, die damit nachvollzogen werden können. Handlungs- bzw. subjektorientierter Unterricht sieht die Lernenden als handelnde Subjekte in einer aktiven Rolle und bestärkt deren individuelle Wirklichkeitskonstruktionen. Daraus lässt sich im Besonderen der Anspruch ableiten, differenzierten Geographieunterricht zu gestalten, da besonders bei Fragen der Raumwahrnehmung unterschiedliche Standpunkte zur Sprache kommen sollen und im Sinne einer Perspektivenkoordination in Beziehung zueinander gesetzt werden müssen. Meyer spricht auch von »schülerorientiertem Unterricht«, der jedoch »auf absehbare Zeit nur ansatzweise und widersprüchlich verwirklicht werden« könne und der gleichzeitig

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 83

nur mit »Lehrerorientierung« (alle Zitate Meyer 1994: 215) möglich sei. Natürlich kann es nicht gelingen, Unterricht allein für die Jugendlichen durchzuführen. Doch im Sinne einer Alltags- bzw. Lebensweltorientierung muss es darum gehen, Unterricht ausgehend bzw. mit den Interessen und Vorstellungen der Lernenden zu gestalten, um gegen die Kritik, die Geographiedidaktik sei eine »Scheinwelt« (Kirchberg 1998: 24), die die Augen vor manch schulalltagspraktischem Geschehen und aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen verschließe, anzugehen. Schülerorientierung ist im Sinne einer notwenigen Reaktion auf geänderte Lebensbedingungen allgemein als eine Ausrichtung von Geographieunterricht an den Interessen und Bedürfnissen der Lernenden zu sehen, um ihnen letztlich auch konkrete »Hilfen für die Auseinandersetzung mit ihrer alltäglichen Welt« (ebd.: 27) bereitzustellen, die über Phrasen wie Das werdet ihr noch gebrauchen können hinausgehen. Ein Verständnis dafür, dass ihr eigenes Handeln von gesellschaftlicher Relevanz ist, kann bspw. angeleitet werden, indem Jugendliche eigenverantwortlich Produkte (in Form von Präsentationen, Collagen, Aufführungen etc.) erstellen, die über die Schule hinaus in die Öffentlichkeit getragen und zur Diskussion gestellt werden. Subjektzentrierung versteht sich in dem spezifischen Kontext hier als die Berücksichtigung individueller (Raum)Konstruktionen der Lernenden und deren Hinterfragen und Vergleichen anhand alltagsrelevanter Beispiele, der »Geographie(n) des eigenen Lebens« (Daum/ Werlen 2002: 8). An diesen Ausführungen wird deutlich, dass Schüler- bzw. Subjektorientierung jeweils kontextspezifisch nuanciert werden muss. Denn es kann keineswegs darum gehen, allen Geographieunterricht ausschließlich darüber zu definieren. Besonders lohnenswert aber erweist sich das Prinzip der Subjekt- und Handlungszentrierung für den vorliegenden Fall. Genauere didaktischmethodische Entscheidungen hierfür werden in Kapitel 3.2 dargelegt. Geographieunterricht sollte als »handelndes Aneignen« (Kirchberg 1998: 27) begriffen werden. Handlung bezieht sich dabei sowohl auf Entscheidungen, die im Kopf getroffen als auch die physisch umgesetzt werden. Handlungsorientierter (Geographie-)Unterricht soll Lernenden Handlungskompetenz vermitteln. Diese wird u.a. als eine Kompetenz in den Nationalen Bildungsstandards für das Fach Geographie formuliert. Ebenso wie die vier in den Empfehlungen für die Lehrplanarbeit etablierten Raumbegriffe erfuhr und erfährt auch das Konzept der Handlung(-sorientierung) unterschiedliche Rezeption und Ausgestaltung. Allein aus der exemplarischen Analyse entsprechender Beiträge in der Zeitschrift Praxis Geographie bzw. Geographie Heute zwischen den Jahren 1980 und 2005 (vgl. Bauer 2010: 157, 165, 169) lässt sich erkennen, dass handlungsorientierte Methoden und Arbeitsweisen eine breite Auswahl bereithalten, über die den jeweiligen Zielen gerecht werden kann. Zusammenfassend lässt sich dann wiede-

84 | U RBANES R ÄUMEN

rum die These aufstellen, dass Unterricht auch ohne eine Fokussierung auf Handlung (bzw. das Subjekt) so gestaltet sein kann, dass Kompetenzen gefördert und Schüler aktiviert sind sowie besonders im Sinne der Neuen Kulturgeographie Raumkonstruktionen hinterfragt werden können. Das Potenzial handlungsorientierten Geographieunterrichts aber liegt darin, dass besonders die mit Werlen formulierten informativ-signifikanten Geographien interpretativverstehende Ansätze ermöglichen (vgl. Thierer 2006: 233) und »dann drängt sich [...] eine Verknüpfung mit der methodischen Handlungsorientierung förmlich auf« (ebd.). Ausgangspunkt befürwortender Überlegungen zum handlungsorientierten Unterricht sind (moderat) konstruktivistische Lerntheorien, die Lernen als aktive Konstruktion – in diesem Falle seitens der Jugendlichen – verstehen. Dieses Verständnis wird auch dieser Arbeit insgesamt zugrunde gelegt und geht Hand in Hand mit der Konstruktion von Räumen i.w.S. – das heißt Lernen wird als Konstruktion bestimmter (mentaler) Räume verstanden. Lernen als selbstgesteuerter, konstruktiver, situativer und sozialer Prozess bedarf einer Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen (vgl. Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001: 615, 616), in der Instruktion und Konstruktion in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Denn Handlungsorientierung meint nicht nur, dass die Jugendlichen allein und jeweils nur für sich Wissen oder Probleme konstruieren – die Lehrkraft stellt weiterhin Anregungen in Form von »Lösungsressourcen« (Müller 2001: 20) bereit. Über diese Instruktionen werden Lernprozesse erst ermöglicht, ja angeregt. Müller (2001) schlägt dafür den Begriff des Pragmatischen Konstruktivismus vor. Wenn davon gesprochen wird, dass sich Problemorientierung besonders eigne, um subjekt- und handlungszentrierten (Geographie)Unterricht durchzuführen, muss aber auch anerkannt werden, dass Probleme erst erzeugt werden müssen, da diese in konstruktivistischem Verständnis nicht einfach der Welt entspringen, sondern sich aus der Sicht von Betroffenen erst ergeben (ebd.: 7). Damit meint problemorientierter Unterricht nicht allein, dass Probleme gesucht, gefunden und gelöst werden, sondern die Jugendlichen erkennen, dass das Unterrichtsthema auch konkret etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun hat; Probleme also einen erkennbaren Lebenszusammenhang besitzen (Hoffmann 2012: 66). Die geographische Wirklichkeit wirkt mannigfaltig auf die Jugendlichen ein und was die Jugendlichen im Geographieunterricht lernen, ist damit eng verknüpft mit ihrer unmittelbaren Lebenswelt (Breitbach 2006: 64). Dieses Bewusstsein geht einher mit dem Anspruch von Geographieunterricht, »nicht eine bestimmte Region als Gegenstand zum Thema des Unterrichts zu machen, sondern vielmehr ein konkretes Problem« (Vogler 2010: 64). Denn so werden Themen nicht vom Raum ausgehend gedacht, sondern entspringen den

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 85

spezifischen Handlungen und Bedeutungszuweisungen, über die erst Räume hergestellt werden. Der Einwand liegt nahe, dass es dann passieren könnte, dass in einer Klasse mit 20 Jugendlichen 20 verschiedene Probleme definiert werden; doch ist das eher unwahrscheinlich, da sich Erfahrungen und Handlungsmuster innerhalb des Klassenverbandes durchaus ähneln und sich Teilwirklichkeiten annähern. Gleichzeitig darf das als Entlastung in dem Sinne gedeutet werden, da auch trotz unterschiedlichster Wissenskonstruktionen von Menschen noch lange keine Konflikte oder Missverständnisse vorprogrammiert sind (Müller 2001: 21) und Wirklichkeitsmodelle wiederum erst im Austausch mit anderen entstehen (Daum 2001: 212).28 Geographien-Machen Jugendlicher als »Jugendgeographien« Nachdem einige wesentliche Bedingungen eines subjekt- und handlungszentrierten Geographieunterrichts deutlich gemacht wurden, soll sich nun genauer mit den Subjekten selbst auseinandergesetzt werden. Als eigentliche Herausforderung stellt sich die Situation, dass zwar die individuellen Voraussetzungen und (Raum-)Konstruktionen der Lernenden berücksichtigt werden sollen, gleichzeitig aber auch die Schüler oder die Jugendlichen bei weitem keine homogene Gruppe von Subjekten darstellen. Auch die Jugend ist nur ein Konstrukt, dem sich im Folgenden unter besonderer Berücksichtigung schulischer Kontexte genähert werden soll. Die Frage, die sich zuerst gestellt werden muss, ist die nach der Bedeutung theoretischer als auch praktischer wissenschaftlicher Untersuchungen von Jugendlichen bzw. Schülern. Dann muss angenommen werden, dass sie eine gewissermaßen besondere Stellung, vor allem im Diskurs um Raum und Raumaneignung einnehmen. Wir können, ja müssen davon ausgehen, dass Jugend als Lebensabschnitt eine entscheidende Rolle spielt und damit auch Konsequenzen für Schule und Geographieunterricht im Speziellen hat. »Die Jugendphase ist zunächst durch biologische Merkmale definiert« (Wehmeyer 2013: 26), wie die Geschlechtsreife und damit einhergehender emotionaler und mentaler Veränderungen, genauso aber auch durch zunehmende wirtschaftliche und kulturelle Strukturen. Laut UNESCO werden zu den »young people« – die hier als Jugendliche verstanden werden – all jene Personen zwischen dem Alter von 15 bis 24 Jahren gezählt (Skelton 2007: 166). Damit ist eine mögliche Abgrenzung aufge-

28 Weitere Ausführungen werden konkret bei der Konzipierung der Unterrichtseinheit in Kap. 3.2 vorgebracht.

86 | U RBANES R ÄUMEN

zeigt, die hier aufgenommen und als Bestimmung von Jugendgeographien29 gelesen werden soll. Der Jugend kommt eine besondere Stellung zu, sind Jugendliche doch weder mehr das zu beschützende Kind noch der selbständige Erwachsene. Jugend ist »eine Lebensphase des Übergangs vom Leben im privaten Umfeld primärer Netzwerke (Familie, Clan, Gemeinschaft) hinein in den öffentlichen Raum der Gesellschaft« (Kurtenbach 2011: 2). Damit einher gehen auch zunehmend soziale und räumliche Separierungen; von den Eltern und dem Elternhaus als Ort des Aufwachsens. Die eigentliche Schwierigkeit einer Definition von Kindheit, Jugend oder Erwachsenenalter aber liegt vor allem in der Annahme begründet, dass sich mit dem Älterwerden auch Kompetenzen und Verantwortungen ändern, d.h. konkret steigen (Valentine 2003: 38). Diese Veränderung kann aber nur verstanden werden, wenn Erwachsensein auf das Jugendsein folgt. Die Jugendphase ist deswegen umso mehr ein entscheidender Abschnitt im Leben eines Menschen, da jeder Erwachsene diese Phase durchlebt hat und durch diese geprägt ist. Darin liegt die besondere Betonung von Jugend( -Geographien) begründet. Es geht weniger darum, Differenzen zwischen unterschiedlichen Altersgruppen aufzuzeigen als vielmehr danach zu schauen, worin diese begründet liegen und wie sie die Jugendlichen und letztlich (Geographie)Unterricht beeinflussen (James 1990: 281). »Die Jugend ist ein Lebensabschnitt mit eigenen Entwicklungsaufgaben, Strukturen und Handlungsbezügen« (Wehmeyer 2013: 25). Diese Aufgaben ändern sich nicht grundlegend zwischen den Jugendgenerationen, sondern werden lediglich unterschiedlich von den Jugendlichen angegangen und bewältigt (ebd.: 26). Als zentral gilt dabei die »Übernahme verantwortlicher Mitgliedsrollen in der Gesellschaft« (ebd: 27), die erprobt und erlernt werden müssen, womit sich Jugend vielmehr als »Bildungsphase« (Tully 2009a: 10) auszeichnet. Grundsätzlich lassen sich die Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen als Übernahme von Rollen wie folgt zusammenfassen (Hurrelmann/Quenzel 2013: 28; vgl. Wehmeyer 2013: 27f.):

29 Auch hier wird auf eine allzu strenge Trennung zwischen Kind und Jugendlicher verzichtet. Vielmehr wird mit »Jugendgeographien« eine »altersoffenere Akteursgruppe« (Bauer 2006: 94) verstanden, wobei es nicht um eine Erfassung oder Abgrenzung der Jugendgeographien von anderen Konzepten, sondern vielmehr um ihr jeweiliges Geographien-Machen geht, und damit die gelebte Praxis in den Vordergrund rückt. Jugendgeographien sind damit als ein sich durch die Handelnden selbst und immer wieder unterschiedlich entstehendes Konstrukt zu begreifen.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 87









Qualifizieren: Jugendliche müssen intellektuelle und soziale Kompetenzen erwerben, um selbstverantwortlich schulischen Anforderungen sowie der Rolle des Berufstätigen nachkommen zu können. Binden: Die Jugendliche müssen ein inneres Bild von Geschlechtszugehörigkeit ausbilden, um sich von den Eltern ablösen zu können, Bindungen zu Gleichaltrigen aufzubauen und der Rolle eines Familiengründers nachzukommen. Konsumieren: Die Jugendlichen müssen für ihre Mitgliedsrolle als Konsument Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes sowie soziale Kontakte und Entlastungsstrategien entwickeln. Partizipieren: Die Jugendlichen müssen ein eigenes Werte- und Normensystem sowie ein ethisches und politisches Bewusstsein ausbilden, damit sie als Bürger gesellschaftlicher Partizipation nachkommen können.

Diese Aufgaben lassen sich vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Prozesse erklären. Besonders demographische Entwicklungen, Urbanisierung und Migration – insgesamt Phänomene der Globalisierung beeinflussen heutzutage jugendliche Lebenswelten in allen Regionen der Welt (Kurtenbach 2011). Das Aufwachsen unter entankerten (vgl. Werlen) Lebensbedingungen erlaubt Jugendlichen auf der einen Seite mehr Entscheidungsmöglichkeiten, z.B. über die Art und Weise ihrer Kommunikation mit Freunden, gleichzeitig wächst damit der Druck auf sie; sie müssen Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen oftmals nicht absehbar sind. So sind sie zwar weiterhin eng mit dem Elternhaus oder der Schule verbunden, doch sind auch ihre Lebensvollzüge eingebettet in globale Zusammenhänge. Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Mobilisierung, Ästhetisierung sowie insgesamt der Mehrfachcodierungen (Hoppmann 2000: 31), das heißt der vielfältigen individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, brechen bestimmte Orientierungsmuster weg; Werte werden variabel angewendet. Die Jugendlichen befinden sich deshalb in einer ständigen Orientierungsphase. »Dies führt zu mehr individualistischen als zu kollektiven Identitätsbildungen Jugendlicher« (Wehmeyer 2013: 28), wobei die Peergroup weiterhin bedeutsam bleibt. Auch öffentliche Räume gewinnen an Bedeutung, besonders als alternativer Aufenthaltsort für Jugendliche. Gleichzeitig werden diese »von Kindern und Jugendlichen als verregelt, brüchig und widersprüchlich wahrgenommen und erlebt. Die Brüche und Widersprüche eröffnen sich aufgrund verschiedener Rationalitäten, welche gleichzeitig in einer Gesellschaft nebeneinander existieren« (Reutlinger 2001: 71). Diese Voraussetzungen eines Sowohl-alsAuch bedürfen besonderer Entscheidungsfähigkeiten (ebd.: 67), und zwar im Sinne einer »reflexive[n] Aneignung von Wissen« (Werlen 1995: 130). Jugend-

88 | U RBANES R ÄUMEN

liche müssen lernen, Wissen kontextspezifisch anzuwenden (vgl. die Merkmale der Handlungsorientierung nach Rhode-Jüchtern 2009: 163ff.). »Laut der Forschungsergebnisse von Reinders 2006 haben Jugendliche heute die Möglichkeit zwischen zwei Bezugspunkten zur Bewältigung der Entwicklungsaufgaben zu entscheiden, sie können ihre Handlungsmuster am Bildungsbereich oder am Freizeitbereich orientieren (vgl. Reinders, 2006, S. 81ff).« (Wehmeyer 2013: 32) Für den Geographieunterricht im Besonderen zeigt sich, dass ihm diese Orientierungsfunktion so fern gar nicht liegt, denn auch dieser hat die Aufgabe, grundlegende Werte und Normen zu vermitteln sowie Fragen des Konsums i.w.S. zu thematisieren. Dies fügt sich bisherigen Überlegungen zu einem subjekt- und handlungszentrierten Geographieunterricht. Umso wichtiger erscheint es, Geographieunterricht so zu konzipieren, dass er dieser (räumlichen) Orientierungsfunktion gerecht werden kann. Children’s and Young People’s Geographies Besonders Kinder waren und sind Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen, wobei dieser Forschungszweig in deutschsprachigen Disziplinen eher unberücksichtigt blieb. Studien, die sich im Besonderen mit der Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen befassten, blieben zunächst eher rar, wenn nicht minder wichtig (vgl. Kap. 2.3.1). In der angloamerikanischen Diskussion zeigte sich die Beschäftigung mit den Kinder- und Jugendgeographien durchaus intensiver, und kam vor allem im Zuge der geographischen Betrachtung von (sozialer) Differenz und Alterität auf (Horton/Kraftl/Tucker 2008: 343). Als Vorreiter kann hier die Forschungsarbeit der US-amerikanischen Chicago School of Sociology (Chicagoer Schule) gesehen werden, die sich seit den 1920er Jahren mit den Lebenswelten von Kindern beschäftigte. In der sogenannten »Progressive Era« dominierte die Idee des »sacred child«: Kinder sollten fern vom Arbeitsmarkt gehalten werden und stattdessen besondere, schützende Zuneigung erhalten. Dem Kind wurden regelrecht heilige Eigenschaften zugesprochen. Gerade deswegen war es das Ziel, Kinder vor der Gesellschaft, gleichzeitig aber auch die Gesellschaft vor den Kindern zu schützen: »Saving children became a way to save society« (alle Zitate Shanahan 2007: 409). Unter diesen Prämissen standen auch erste deutschsprachige Arbeiten, die sich mit der Untersuchung von Kindern und Kindheit beschäftigten. Gleichzeitig liefen diese auf deren implizite Unterdrückung hinaus, die Kinder zu Mangelwesen machte, da sie sich nicht gegen die als durchfunktionalisiert, institutionalisiert und verregelt aufgefassten sozialen und räumlichen Bedingungen wehren konnten (Reutlinger 2003: 69). Weniger verbreitet, auch bis heute, stellt sich der Diskurs um Jugendliche dar. Sichtbar wurde dieser v.a. im Zuge eines Problemdiskurses, der sich darin äußerte, dass die

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 89

Hauptthemen Abweichung (deviance) und Kriminalität (delinquency) Jugendlicher bis in die 1970er Jahre überwogen (Shanahan 2007: 409). Jugend zu beforschen fand in den 1950er und 1960er Jahren quantitativ hauptsächlich vor dem thematischen Hintergrund von Generationenkonflikten, Werten und Subkulturen statt (Muri/Friedrich 2009: 45). Über qualitative Verfahren wurden Themenbereiche erweitert hin zu Fragen jugendlicher Lebensräume, Freizeitgestaltung, Jugendarbeitslosigkeit und beruflicher Übergangsphasen – insgesamt also mehr auf den Alltag der Jugendlichen gerichtet (ebd.: 46). Kinder und Jugendliche wurden nicht mehr nur zu passiven Objekten der Untersuchungen, deren missliche Lage es dadurch besonders zu betonen galt. Doch lässt sich an der Entwicklung nachvollziehen, dass unterschiedliche Zugänge zu Kindheit und Jugend gerade mit einem Wandel unterschiedlicher Konzeptionen von Gesellschaft (z.B. als Schonraum, als Arbeitsraum) einhergehen (Reutlinger 2001: 129ff.). Aktuelle Studien zu Kindern und Jugendlichen tragen vermehrt zu Debatten bei, die sich mit Lernund Bildungsprozessen i.w.S. auseinandersetzen (Horton/Kraftl/Tucker 2008: 343) – so wie auch die vorliegende Arbeit angelegt ist. Mittlerweile herrscht eine rege Auseinandersetzung im Feld der englischsprachigen Children’s and Young People’s Geographies, was nicht zuletzt ein Blick auf die Beiträge in entsprechenden Zeitschriften offenbart (z.B. Children’s Geographies, Childhood, usw.).30 Aktuell wird sich besonders dem Körper (body) gewidmet, über den bestimmte räumliche Muster erklärt werden. Das schließt u.a. die Untersuchung von Bewegung durch, in und außerhalb von Räumen ein, den Raum des Körpers selbst, seine Hautfarbe, Kleidung und Verhalten sowie die Räume, durch die diese Körper (re-)präsentiert werden, wie z.B. Bücher, Archive, Forschungstagebücher und Interviewtranskripte (Colls/Hörschelmann 2009: 2). Das heißt, zunehmend rückt der Mensch – als Kind oder Jugendlicher – in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen; mit seinen konkreten Handlungen und Vorstellungen. Damit einher geht auch eine geänderte Forschungspraxis, die die Beteiligung der Beforschten über eine Auswahl unterschiedlicher, oft partizipativer Methoden garantieren kann (z.B. Kindertagebücher, Kinderbefragungen, Semantisches Differential, Tiefeninterviews, Teilnehmende Beobachtung, Interviewstreifzüge, Modellbau u.a.; vgl. Krause 1999: 41ff.). Besonders die Geographie hat dazu beigetragen (Barker/Weller 2003: 207). Dazu gehört auch eine gestiegene Reflexivität der eigenen Forscherperspektive; denn nicht zu leugnen ist die Eventualität, dass eigene Erfahrungen aus der Kindheit oder Jugend in die Forschungspraxis gelangen können (Treacher 2000, in Jones 2003: 28).

30 Vgl. dazu auch die ausführlichen Aufarbeitungen Bauers 2010.

90 | U RBANES R ÄUMEN

(Geographiedidaktische) Forschung mit Jugendlichen Unterricht zeichnet sich aus durch ein wechselseitiges Verhältnis, eine Inszenierung, in der Lehrende und Lernende aufeinander Bezug nehmen (selbst durch ein mögliches Ignorieren des jeweils Anderen) und unterschiedliche Rollen annehmen können. Unterricht ist damit angewiesen auf unterschiedliche Perspektiven und konstituiert sich erst in der Aushandlung und im Abgleich vieler Interessen und Vorstellungen. Inszeniert wird Unterricht dabei von beiden Seiten – Lehrenden und Lernenden zugleich. Diese gegenseitige Abhängigkeit, das Angewiesensein des Einen auf den Anderen, verbietet es regelrecht, vom Lehrenden als Experten und den Lernenden als Laien auszugehen. Im gleichen Atemzug muss deshalb erkannt werden, dass die Sicht von Lernenden bei der Untersuchung jeglicher unterrichtsrelevanter Prozesse und Entscheidungen einen zentralen Bestandteil einnimmt bzw. einnehmen muss. Wenn wir auf die geänderten Grundvoraussetzungen in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen auch im Geographieunterricht Rücksicht nehmen wollen, dann gilt es, »den Lehrer als gewandten Grenzgänger« (Lambert/Biddulph 2013: 173) zu sehen, dem diese besondere Aufgabe zuteil wird; der aber über Erkenntnisse aus der (geographie)didaktischen Forschung profitieren kann, vorausgesetzt er geht auch auf die spezifischen Sichtweisen der Lernenden ein. Dennoch werden Perspektiven der Lernenden oft nicht beachtet oder zwar erhoben, aber nicht im Sinne eines zielgerichteten Einsatzes so verwendet, dass deren Einsichten und Vorstellungen in der Praxis und Gestaltung von (Geographie-)Unterricht Widerhall finden31. Die zunehmende Forderung nach einer Berücksichtigung subjektiver Bedeutungszuweisungen der Kinder und Jugendlichen wird auch in dem Feld der Jugendgeographien beansprucht. Eine entscheidende Arbeit hierfür, und im Besonderen im Kontext von Geographieunterricht, liefert Itta Bauer mit ihrem Entwurf subjektund handlungszentrierter Jugendgeographien. Anhand des Projekts »Südstadtkids«, das mit der Stadt Nürnberg durchgeführt wurde, zeigt sie auf, wie eine theoretisch fundierte hergeleitete Handlungsorientierung über die Einbindung von Jugendlichen in der Planung von bspw. eigens konzipierten Stadtrundgängen erreicht werden kann, die an die direkten Lebenskontexte der Jugendlichen anknüpft. Auch konnte im Nachzeichnen der »Mikrogeographien Jugendlicher« (Landolt 2011: 20) in den öffentlichen Räumen der Stadt Zürich gezeigt werden, dass die Praktiken der Herstellung von Räumen weiblicher und männlicher Jugendlicher demnach in verschiedene gesellschaftliche Diskurse verwoben sind,

31 Vgl. dazu ausführlicher Holl 2007, der sich mit dem Problem der Bestimmung von Unterrichtsqualität unter besonderer Berücksichtigung der Schülerperspektive auseinandersetzt und dabei sowohl auf Sichtweisen der Lehrer als auch Schüler eingeht.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 91

welche neben der Stadtentwicklung, der Kontrolle und Regulierung öffentlicher Räume, Alkoholprävention und Jugendgewalt auch das Wohl Minderjähriger im Zusammenspiel mit den Pflichten der Eltern umfassen (ebd.: 57). In den Erzählungen der Jugendlichen nehmen die Eltern stets eine gewichtige Rolle ein; deren Erwartungen spiegeln sich demnach in den Grenzziehungen der Jugendlichen (ebd.: 5). Gleichzeitig wurde in dieser Untersuchung zu den »Trinkräumen« der Jugendlichen deutlich, dass der jeweilige Ort des Alkoholkonsums das Sprechen über sowie das konkrete Handeln selbst beeinflusst (ebd.: 5). Die Wahrnehmung des Raumes ist demnach stark abhängig vom jeweiligen Kontext des Geschehens, zu dem neben der physisch-materiellen Ausstattung auch andere Akteure sowie Gefühlslagen der Handelnden zählen. »Geographien von Kindern und Jugendlichen sind Themenfelder der Geographie bzw. der Geographiedidaktik, die Räumlichkeiten, Raumvorstellungen und alltägliche Regionalisierungen von Kindern und Jugendlichen untersuchen.« (Jahnke 2013: 137) Jugendgeographien definieren sich unter besonderer Berücksichtigung der »kulturelle[n] Bedingtheit von Kindheit und Jugend« (ebd.: 139), das heißt, deren eigene Weltdeutungen anerkennend und mit einbeziehend. Als Schwierigkeit in der Etablierung der deutschen Jugendgeographien wird v.a. der enge Fokus auf »junge Menschen primär in ihrer Rolle als Schülerinnen und Schüler« (ebd.) gesehen. Erste wichtige Anregungen innerhalb der Geographie( -Didaktik) zur Gruppe der Kinder und Jugendlichen kamen u.a. von Hasse (1990), Thiemann (1990), Kirchberg (1998), Bosche und Wolf (2001) sowie Daum (1993, 2001) – der die »Geographie des eigenen Lebens« (ebd.: 1993) stark machte. Kirchberg (1998: 28) stellte bspw. eine Reihe an Faktoren geänderter Lebenswelt der Lernenden heraus, denen anhand unterschiedlicher Konzepte (z.B. Handlungsorientierung, Perspektivenvielfalt, Interkulturelles Lernen, Neue Medien, usw.) im Geographieunterricht begegnet werden könnte. Dennoch blieben wichtige Umsetzungen dieser Ansätze aus. Für die Lebenssituationen deutscher Jugendlicher stellt Haversath (2002a: 2ff.) zehn Bausteine zur Verfügung, die die Gestaltung von Geographieunterricht im Sinne heutiger Jugendgeographien leiten könnte und die sich aus – damals – aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ergeben: • • • • • •

Was wird aus den städtischen Räumen? Perspektiven für das Land Regionale und lokale Identitäten Standort Deutschland Reiseland Deutschland Wetter und Klima

92 | U RBANES R ÄUMEN • • • •

Orientierung im Raum Leitbilder zur Raumentwicklung Reiseerziehung Leben in einer vielfältigen Gesellschaft.

In all diesen Bereichen spielt der Geographieunterricht eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Erziehung der Jugendlichen zu einem reflektierten Denken und Handeln. Ein solcher Leitfaden scheint plausibel und hilfreich, wobei daran genauso deutlich wird, dass sich die Situation in den Städten als auch damit einhergehend für die Jugendlichen in der Gesellschaft vergleichsweise schnell wandelt und Geographieunterricht dieser Situation stets nachkommen sollte. »Kinder und Jugendliche erschaffen ihre Welt selbst, sie sind Konstrukteure ihrer Lebenswirklichkeit« (Daum 2001: 209 [Herv.i.O.]). In diesem Sinne sind Jugendgeographien nicht nur ein neues Label für einen (subjekt- und handlungszentrierten) Geographieunterricht, da es in besonderem Maße um die Be(ob-)achtung der subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen der Lernenden geht. Gleichzeitig ist zu bemerken, dass es eine große Anzahl an Arbeiten mit Jugendlichen – v.a. auch in den öffentlichen Räumen der Städte – gibt, die nicht explizit unter dieser Bezeichnung kursieren, aber sich damit beschäftigen. Dabei ist genau die Sensibilität dafür, »dass sich Jugendliche in einer Orientierungsphase befinden, in der sie sich ständig neu definieren« und »sich deshalb nur schwer als einheitliche Gruppe charakterisieren und [...]›orten‹« (alle Zitate Haury 2012) lassen, ein entscheidender Schritt hin zu einer Jugendgeographie, die darauf Rücksicht nimmt. Jugend & (Stadt-)Räume Jugend ist weder homogen noch kann sie als solche Gruppe ohne die Abgrenzung zu anderen Akteuren, wie bspw. den Erwachsenen existieren. Jugendliche müssen gerade Differenz erfahren, z.B. in der Abgrenzung zur Schule (vs. Freizeit), zu Erwachsenen, zu Freunden usw., damit sie ihre eigene Position in der Gesellschaft definieren können. Dass sich Jugendliche Räume anders aneignen als Erwachsene, ist eine fast banale, aber keineswegs zu unterschlagende Feststellung. Entscheidender ist, dass sich Erwachsene – oder andere Akteure – dessen oftmals nicht bewusst sind, was zu Konflikten führen kann (Muri/Friedrich 2009: 177). Es muss also auch darum gehen, sich die Verschiedenheit der Handelnden – sei es in der Schule zwischen den Lernenden und Lehrenden, in den Familien oder im Sportverein – bewusst zu machen, ohne sie aber zu dämonisieren, damit die Kontingenz sozialer Wirklichkeit als ein Produkt dieser Differenzen anerkannt und produktiv mit ihr umgegangen werden kann. Das bedeutet

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 93

konkret, dass Jugendliche bspw. Erwartungen an die Gestaltung ihrer Schulumgebung stellen; werden diese nicht erfüllt, handeln sie eventuell konträr zur vorgegebenen Nutzung, was als Vergehen seitens Außenstehender geahndet wird, wobei entweder nicht gefragt oder darauf eingegangen wird, was die Jugendlichen in ihrer Schulumgebung gern gesehen hätten. Doch welche Konsequenzen hat die zunächst noch allgemeine Feststellung, dass Jugendliche andere, besondere Bedürfnisse hinsichtlich der Raumaneignung haben? Abgrenzungs-, Inszenierungs- und Orientierungsmöglichkeiten finden sie besonders im öffentlichen Raum. »Jugendliche brauchen öffentliche Räume zur Lösung der für die Jugendphase spezifischen Entwicklungsaufgaben« (Wehmeyer 2013: 11) – gerade vor dem Hintergrund, dass öffentliche Räume prinzipiell freier gestaltet und inszeniert werden können (vgl. Kap. 1.1). Dabei ist es unter Umständen von wenig Relevanz, dass sie in Perfektion geplant sind. Im Gegenteil: »Gestalterischästhetische Offenheit und Unperfektheit im Sinne einer rahmensetzenden Struktur begünstigen jugendliche Raumaneignung und die Möglichkeit zu aktiver Veränderung.« (Muri/Friedrich 2009: 185) Dies sollte als Potenzial genutzt werden, dass sich Jugendliche auch außerhalb des schulischen Kontexts Erfahrungswissen im Umgang mit Räumen aneignen. Genauso sollten auch »Schulen [...] ›unfertig‹ sein, die Schüler und Lehrer geradezu auffordern, sie erst zu ›ihrer‹ Schule zu machen [...]« (Becker 1997: 217, zit. nach Winderlich 2010). Jugendliche Grenzziehungen Um sich gegen andere Positionen abzugrenzen, nutzen Jugendliche zumeist den Darstellungsmodus der Provokation (Muri/Friedrich 2009: 180), sei es im öffentlichen Raum durch ungewollte Nutzung von Anlagen als Skate-Park oder das bewusste Missachten von Handlungsaufforderungen im Unterricht. Damit ist jugendliche Raumaneignung auch eine Form normativer Regionalisierung, wie sie Werlen beschreibt, die sich bspw. in der Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen oder anderen Nutzergruppen im öffentlichen Raum abspielt (ebd.: 81). Besonders in der britischen und angloamerikanischen Forschung werden diese Normierungen des öffentlichen Raumes, der dort als Raum der Erwachsenen (vgl. Valentine 2004, in Landolt 2011: 16) konzipiert wird, behandelt. Hierbei werden über ungeschriebene Regeln bestimmte Handlungsweisen ermöglicht oder unterdrückt, damit Handeln diszipliniert. Aber auch das bewusste Entgegensetzen von Deutungen hält die Geographien normativer Aneignung aufrecht. So können Räume entstehen, die weder auf Karten verzeichnet noch durch Gesetzte festgelegt sind. Jugendliche nutzen Brachflächen als musikalischen Treffpunkt oder Spielplatz, und das, ohne dass sie um Erlaubnis fragen oder gefragt wurden.

94 | U RBANES R ÄUMEN

Sie markieren damit letztlich ihr Revier – eine Praxis, die nicht ohne das Verständnis kollektiver Eingebundenheit der Jugendlichen erklärbar ist. Eine andere Form des Protests bzw. der Abgrenzung zeigt sich exemplarisch anhand von sogenannten Jugendkulturen und ist als Antwort auf die einschränkend oder unbequem empfundenen Vorgaben und Erwartungen z.B. seitens der Elterngeneration zu lesen. Es entwickeln sich Subkulturen inner- bzw. unterhalb bestehender kultureller Konstrukte. Diese äußern sich v.a. in der Mode, Musik, der Frisur oder anderen Aktivitäten, wie dem Skaten oder Planking. Durch die Medien kommt es zu einer zunehmenden »Internationalisierung von Jugendkulturen« (Hoppmann 2000: 126), durch die der Austausch von Erfahrungen (z.B. über Videos und Bilder im Internet) um ein Vielfaches erleichtert wird und bis hin zum »globalen Klatsch« (Werlen 2000b: 16) führt. Jugendliche bleiben dabei lokal verankert, aber global vernetzt, was ihnen die Aneignung von Kultur(en) ermöglicht. Eine besondere Rolle spielt dabei die »symbolische Kreativität« (vgl. Liebsch 2012: 94), die Paul Willis (1991) besonders Jugendlichen zuschreibt. In ihrer alltäglichen Aneignung von Räumen, ja unbewusst, »vermutet Willis eine ›symbolische Kreativität‹, die er als eine für jede Art der Bedeutungsgebung erforderliche ›symbolische Arbeit‹ versteht« (Liebsch 2012: 94, in Anlehnung an Willis 1990). Damit gemeint ist also eine Fähigkeit, sich im Sinne strategischer (vgl. de Certeau, s. Kap. 2.3) Handlungen Räume so zu erschließen, dass eventuelle Mängel oder Abhängigkeiten – kreativ – kompensiert werden können und sich Jugendliche i.S. einer Identifizierung »einen räumlichen und sozialen Ort [...] geben« (Liebsch 2012: 94). Der dabei indirekt an die Jugendlichen herangetragene Status von Mangel – das heißt, sie verfügen bspw. nicht über gewisse Grundvoraussetzungen, wie Wissen oder Verfügungsrechte über Flächen – stellt dabei keine zwangsläufig missliche Ausgangslage dar. Im Zusammenhang mit Jugendkulturen bzw. Jugendgeographien spielen auch die (neuen) Medien eine wichtige Rolle (vgl. Werlens Geographien der Information). Von Kindern ausgehend »ist der Fernseh- oder allgemein Medienkonsum abhängig von den Sehgewohnheiten der Eltern« (Krause 1999: 17). Das bedeutet, dass bereits in frühen Jahren Grundlagen für Gewohnheiten des Medienkonsums gelegt werden, die sich bis in das Jugendalter fortsetzen können. Daneben beeinflusst auch die Qualität des Wohnumfeldes der Jugendlichen maßgeblich deren Medienkonsum, denn je günstiger die Lage der Wohnung eingeschätzt wird, umso höher ist der Aufenthalt vor Ort und eben nicht dem Fernseher (Blinkert 1994, in Krause 1999: 17). Dennoch verwischen heutzutage die Grenzen zwischen der Raumaneignung mit und ohne (neue) Medien, da bspw. auch das Smartphone mobil vor Ort genutzt werden kann. Die Mediatisierung als Ausdruck zunehmender Integration technischer Kommunikationsmedien in den

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 95

Alltag zeigt sich zunächst in quantitativer und qualitativer Weise (Hepp 2010: 67f.). Demnach sind Medien in zeitlicher Hinsicht vermehrt (z.B. TV ohne Sendepause) räumlich an verschiedensten Orten verfügbar und prägen damit verstärkt soziale Beziehungen (ebd.: 67). Die qualitativen Wirkungen von Medien hingegen sind je kontextspezifisch über das Handeln der Menschen zu bestimmen (ebd.: 69). Angenommen werden kann, dass Medien einen Druck auf unsere Kommunikationsweisen ausüben (ebd.: 68f.), der sich beispielhaft daran zeigt, dass Menschen das Gefühl haben, ständig online und erreichbar sein zu müssen. Diese Feststellung scheint an sich zunächst unerheblich. Wichtiger mutet die Frage nach den Konsequenzen auf die Wahrnehmung und Aneignung unserer Umgebung an. Führt Mediatisierung gar zur »Enteignung der unmittelbaren, primären Wirklichkeitserfahrung und erschwert aufgrund vorgefertigter Deutungsmuster und Phantasieschablonen die Orientierung im sozialen Nahraum und der Herausbildung eines realitätsgerechten Selbstbildes« (Niesyto 1990: 72f.)? Ziel der Ausführungen kann es nicht sein, eine Beurteilung dieser anzustreben. Akzeptiert werden soll die Feststellung, dass die Gesellschaft einer zunehmenden Ästhetisierung durch Medien unterliegt und Wirklichkeit stärker über Bilder und andere Medien dar- und hergestellt wird. »Medien bieten Perspektiven, durch die der eigene Ort beurteilt und in Relation zu anderen Orten und Räumen gesetzt werden kann.« (Pirker 2009: 93) Sie ermutigen indirekt zu einer, wenn auch eher unbewussten, Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt. Und sei es lediglich beim Fernsehschauen, wenn Rollen getauscht und damit Einblicke in ganz andere Lebenskontexte gegeben werden. Damit können bestenfalls ferne Ereignisse näher gebracht werden. Zum Beispiel war es nach dem Tsunami in Japan 2011 nicht nur möglich, Momentaufnahmen der Ereignisse als Videos anzuschauen, sondern über die 360°-Perspektive in Google Street View auch »einen beklemmenden Vorher-Nachher-Vergleich« (Spiegel Online 2011) zu erhalten. Genauso versucht Google, über das Bereitstellen von Bildern einen »Einblick in das beeindruckende Ökosystem und das Leben der Menschen im Amazonasbecken« (Focus Online 2011) zu liefern, an die gleichzeitig der Anspruch und Wunsch gebunden sind, für Probleme wie den Klimawandel, Abholzung und Armutsbekämpfung zu sensibilisieren. Kann das verwerflich sein? »Die technisch-medialen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben deutliche Auswirkungen auf die subjektive Wirklichkeitserfahrung: Weniger die sinnlich-leibliche, gegenständliche Aneignung von realen Räumen als vielmehr die immateriell-medialen Erfahrungen virtueller Räume bestimmen heute Leben und Aufwachsen.« (Schuster 2013: 50; vgl. auch Deinet 2005: 172)

96 | U RBANES R ÄUMEN

Das muss nicht zwangsläufig zu einer geänderten Wahrnehmung von Räumen führen, doch zeigen sich daran v.a. geänderte Handlungsmuster, die sich wiederum räumlich manifestieren können. Dennoch ist dadurch nicht von einer Anonymisierung oder Vereinzelung der Jugendlichen auszugehen (Ahrens 2009: 27). Und auch »[d]ie intensive Nutzung (und damit die Schaffung) des Internets unterstreicht das moderne Verständnis von Raum, der heute als dynamisch, offen und veränderbar aufgefasst wird [...]« (Schuster 2013: 50). Schließlich ist auch das Internet ein »Partner des öffentlichen Raums« (Rauterberg 2001: 10), da Erfahrungen und Erlebnisse heutzutage vermehrt über dieses Medium erst kommuniziert und damit Aufmerksamkeit erlangen können. So, wie dadurch räumliche Grenzen scheinbar aufgehoben werden, verschwimmen diese zwischen einem Anspruch nach Unterhaltung oder Bildung, Information oder Werbung (Hurrelmann/Quenzel 2013: 200). Jugendliche haben und nutzen dadurch vermehrt die Möglichkeit, zu prosumern zu werden, das heißt, Medien zu nutzen (konsumieren) als auch selbst zu gestalten (produzieren), z.B. in Online-Karten, auf denen sie eigene Fotos oder Texte hinzu laden können, in Blogs und anderen Foren. Sie erhalten die Möglichkeit, solche als subjektiv relevant eingeschätzte Informationen einzubringen (ebd.). Besonders das Internet erweist sich als ein ideales Medium für die Jugendlichen, »weil es sich ihren Bedürfnissen und Interessen flexibel anpasst und von ihnen sehr selbstbestimmt und autonom genutzt werden kann« (ebd.: 199). Daran anknüpfend scheint es lohnend, Lernende im Geographieunterricht eigenes Medienhandeln erkennen und hinsichtlich der Konsequenzen auf die eigene Wahrnehmung im Sinne eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen hinterfragen zu lassen (vgl. Kap. 2.4). Da die Geographie traditionell ein medienintensives Fach ist – Döring und Thielmann (2009) sprechen von einer Mediengeographie bzw. Geomedienwissenschaft, wonach sich der Welt hauptsächlich über Bilder, Karten, Texte, originale Gegenstände usw. genähert wird – scheint es nur konsequent, solche Prozesse und Fragestellungen im Geographieunterricht zu thematisieren. Handlungs- und Subjektorientierung muss ein zentraler Bestandteil von Geographieunterricht sein, der sich an den Jugendgeographien, den Lebensbedingungen der Lernenden, ausrichtet. Da Handlungen kontext- und pfadabhängig und damit kontingent stattfinden (Rhode-Jüchtern 2009: 163), muss Geographieunterricht Jugendliche befähigen, eigene Handlungen zu erkennen, zu hinterfragen und mit anderen Handlungsentwürfen abzugleichen.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 97

Über die gemeinsame Verständigung kann das Verständnis dafür angeleitet werden, dass soziale Wirklichkeit zwar relativ, doch intersubjektiv auch objektivierbar ist und unterschiedliche Wahrnehmungen nicht zwangsläufig zu Konflikten führen müssen. Jugendlicher oder Schüler zu sein bedeutet für jeden etwas Anderes – für den Wissenschaftler, für Erwachsene, und für die Jugendlichen oder Schüler selbst. Deswegen ist es besonders wichtig, die Perspektive der als Jugendlichen bezeichneten selbst in den Blick zu nehmen. Wie eignen sie sich Räume an und was bedeuten ihnen ihre Handlungen? Jugendliches Handeln ist in besonderem Maße auch in globale Verhältnisse eingebunden. Jugendgeographien müssen demnach einen Beitrag leisten, um die Annäherung an jugendliches Geographien-Machen unter besonderer Berücksichtigung der »kulturelle[n] Bedingtheit von Kindheit und Jugend« (Jahnke 2013: 139) zu ermöglichen. Damit sind nicht nur biographische Daten gemeint, aber v.a. eigene Erfahrungen und Sichtweisen, Wertvorstellungen und Handlungsentwürfe. Natürlich: Wenn jeder Schüler unterschiedliche Auffassungen der Welt, »unterschiedliche Ansprüche an die Gestaltung seiner Sozialräume« (Schubert 2011: 104) hat, dann stellt es sich als schwierig dar, diese im Geographieunterricht zu berücksichtigen oder in Planungsprozessen allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ein Spielplatz der Fläche von 100m² kann nicht Kiosk, Skaterbahn, Sitzbänke, Sonnenschirm, Cocktailbar, Pferdewiese und Blumenbeet auf einmal bereitstellen. Für die vorliegende Arbeit soll besonders betont werden: Die vorangegangenen Ausführungen zum Konzept Jugend stellen nur eine Möglichkeit ihrer gesellschaftlichen Situierung dar – aufgezeigte Entwicklungen können, müssen so aber nicht eintreten; gewisse Prozesse können, müssen aber nicht handlungsrelevant für die Jugendlichen sein. Im empirischen Teil der Arbeit wird es darum gehen, die den Handlungen der Lernenden zugrundeliegende Orientierungen zu rekonstruieren. Damit ergeben sich unterschiedliche Typen innerhalb der Gruppe der Jugendlichen. Die in diesem Kapitel dargelegten und im Weiteren noch zu erweiternden Einflüsse stellen dafür vielmehr eine Grundlage dar, mit der mögliche Bedingungen aufgezeigt werden können. Die Bedeutung einer Untersuchung der Sichtweisen Jugendlicher liegt vor allem auch in ihrer Rolle als »Seismograph gesellschaftlicher Problemlagen« (Kurtenbach 2011) begründet: »Jugendliche stehen immer für gesellschaftliche Zukunft, sodass sich an ihnen möglicherweise künftige Formungen und Ansprüche an Raum ablesen lassen.« (Wüstenrot Stiftung 2009: 8)

98 | U RBANES R ÄUMEN

2.3 R AUMANEIGNUNG »Die Aneignung des Raumes ist das Resultat der Möglichkeit, sich im Raum frei bewegen, sich entspannen, ihn besitzen zu können; etwas empfinden, bewundern, träumen, etwas kennen lernen; etwas den eigenen Wünschen, Ansprüchen, Erwartungen und konkreten Vorstellungen Gemäßes zu tun und hervorbringen zu können.« (Chombart de Lauwe 1977: 6, zit. nach Daum 2006b: 13).

Wir eignen uns Orte an, indem wir sie nutzen und verändernd gestalten, wodurch Räume letztlich erst hergestellt werden. Dafür müssen wir in der Lage sein, Räume auch geistig, als mentale Vorstellungen zu begreifen. Raumaneignung ist als theoretisches Konstrukt damit nicht minder widerständig konnotiert (Ahrens 2006). Vor dem Hintergrund der Forderung nach reflektierter Raumaneignung, nach raumgerechtem Handeln also, muss anerkannt werden, dass Raumaneignung nicht voraussetzungslos stattfindet. Denn Raumaneignung wird zum einen erst durch die gestiegenen Möglichkeiten der Mobilität und (digitalen) Kommunikation (Stichwort Entgrenzung) ermöglicht und verändert, zum anderen ist es entscheidend, die Rolle des sich den Raum Aneignenden genauer zu betrachten. Dieses Kapitel stellt damit eine Zusammenführung der beiden vorangegangenen Theoriestränge zum Raum und den Raumakteuren dar. Wesentliche Erkenntnisse zur Entwicklung des Raumverständnisses beim Kind kommen dabei aus dem Bereich psychologischer und nicht dezidiert geographischer bzw. geographiedidaktischer Forschung. 2.3.1 Raumwahrnehmung – Raumvorstellung – Raumaneignung Räumliches Denken findet auf der Wahrnehmungs- und der Vorstellungs- bzw. intellektuellen Ebene statt (Piaget/Inhelder 1999: 21). Das bedeutet, dass letztlich Raumaneignung sowohl von sinnlich-ästhetischen als auch kognitiven Fähigkeiten abhängig ist. Kinder und Erwachsene sehen jeweils anders, da ein solches Denken erst ausgebildet werden muss. Demzufolge eignen sie sich Räume entsprechend anders an. Piagets Unterscheidung der Raumvorstellung in ein Kindliches Sehen, welches »auf topologische Relationen beschränkt« (Kaminske 1996: 25) nur für das Subjekt als wichtig empfundene Details im bildlichen Raum, z.B. auch auf Fotos wahrnimmt, und einem Erwachsenensehen, was sich ab einem Alter von 17 bzw. 18 Jahren einstellt, in dem wir ein räumliches Gesamtbild, bspw. auch auf Luftaufnahmen wahrnehmen, ist dabei »interkulturell

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 99

gültig« (Birkenhauer 2007: 48).32 Eine genauere Phaseneinteilung kann nach Piaget und Inhelder (1999) in ein topographisches, projektives und euklidisches Raumverständnis vorgenommen werden (vgl. Krause 1999: 10f.). Eng damit im Zusammenhang steht die kognitive Entwicklung des Kindes, die über das erste handelnde Erschließen der Umwelt (sensomotorische Phase), das spätere Begreifen räumlicher Relationen (präoperationale Phase), der Loslösung des ichzentrierten Wahrnehmens und Denkens (konkrete Operationen) bis hin zur Fähigkeit abstrakter Raumvorstellungen (formale Operationen) stattfindet (Piaget/Inhelder 1999). Ebenso wichtig ist der Einfluss der Sprache auf die räumlichen Denk- und Handlungsweisen der Subjekte (s. weiter unten). Mit zunehmender sprachlicher Fertigkeit steigt auch die geistige Entwicklung des Individuums – und umgekehrt. Erst die Erweiterung des Denkens führt auch zu einer sprachlichen Differenzierung (Hansen 1965: 129). »Mit etwa 9-10 Jahren setzt, angebahnt durch das Koordinieren von Gegenstandsarten, das begrifflich klassifizierende Denken in merklicher Breite ein, wenn es auch in den folgenden Jahren erst allmählich vorherrschend wird.« (Hansen 1968: 27) Das heißt, mit fortgeschrittener Entwicklung des Kindes erweitern sich Denkweisen und damit sprachliche Fähigkeiten; große Begriffe wie bspw. Amerika werden dann differenzierter, z.B. über einzelne Staatennamen erfasst (Stückrath 1958: 143). Dennoch wird heutzutage nicht mehr davon ausgegangen, dass sich Raumvorstellung allein als Reifeprozess vollzieht und sich dementsprechend nur mit zunehmendem Alter erweitere (vgl. Schmeinck 2007: 229; Siegmund 2007: 110). Bereits im frühen Grundschulalter besitzen Kinder ausgesprochen gute Fähigkeiten räumlichen Denkens und Orientierens (u.a. Hansen 1965: 87), doch je nachdem, welche Methoden und wissenschaftlichen Zugänge gewählt werden, um diese festzustellen, unterscheiden sich auch die Erkenntnisse hinsichtlich eben dieser Fähigkeiten von Raumwahrnehmung und -aneignung. So empfinden es Schulkinder einer zweiten Jahrgangsstufe bspw. einfacher, Modelle ihrer Umwelt zu bauen als ihre räumlichen Vorstellungen in einer Karte zu veranschaulichen (Krause 1999: 12). Die Schlussfolgerung, diese Kinder hätten ein schlechtes räumliches Vorstellungsvermögen, da sie unzureichend genaue Karten zeichnen, wäre demzufolge zu einseitig. Festgehalten werden kann auch, dass Raumwahrnehmung bewusst gefördert werden kann.

32 Einen Überblick zu Einflüssen der Raumwahrnehmung und Raumvorstellung bieten Schweizer/Horn 2006 sowie Kaminske 2006.

100 | U RBANES R ÄUMEN

Kognitive Karten Zentral im Zuge der Erläuterung von Raumaneignung gilt es zwischen der Raumwahrnehmung als Prozess und der Raumvorstellung als deren Ergebnis zu unterscheiden, denn erst aus ersterer entwickelt sich eine Raumvorstellung (Haubrich 2007: 56) und letztlich auch die konkrete Handlung i.S. der Raumaneignung. Als (Raum-)Wahrnehmung wird allgemein die Funktion umschrieben, über die Sinnesorgane Reize aufzunehmen (Perzeption) und zu verarbeiten (Braun 2007: 77). »Unser Bild von der Welt ist eine Synthese verschiedener Arten von Information, die durch Augen, Ohren, Nase und Bewegungswahrnehmungen vermittelt wird. Die Menschen vermischen diese Informationsarten, indem sie die Proportionen variieren und verschiedenen Wahrnehmungsarten mehr Bedeutung zukommen lassen.« (Downs/Stea 1982: 41)

Darüber entstehen sogenannte Kognitive Karten, die unser Handeln und räumliche Orientierung beeinflussen, aber auch manipuliert und gelenkt werden können, und damit zentraler Bestandteil sozialen Handelns sind (Downs/Stea 1985: 19f.). In Tierexperimenten mit Ratten konnte nachgewiesen werden, dass sich diese in einem Labyrinth mithilfe einer mentalen Repräsentation des Wegenetzes orientieren und wenn bekannte Wege blockiert waren, waren die Ratten in der Lage, auf der Grundlage ihrer kognitiven Karte einen anderen Weg zu finden, um schließlich zum Futter zu gelangen (Tolman 1948, in Hellbrück/Kals 2012: 28). Um räumliche Probleme zu lösen, kartieren wir kognitiv, bedienen uns also kognitiver Karten (Downs/Stea 1982: 87). Ein Kind, das einen Keks aus dem Küchenschrank greifen möchte, muss die einzelnen Schritte zur Zielerreichung genauso planen wie die Familie, die sich in einer für sie fremden Stadt eine Übernachtungsmöglichkeit sucht (ebd.). Dabei gehen die Weisen des Wahrnehmens über die reine (kognitive) Informationsverarbeitung hinaus und umfassen ebenso (affektive) Deutungs- sowie Interpretationsprozesse und die Bewertung von Informationen – wir sprechen dann von einem sich entwickelnden »Raumverständnis« bzw. »räumlicher Intelligenz« i.w.S. (Rinschede 2007: 78). Kognitive Karten erweitern sich mit der sozialen Praxis und sind in hohem Maße vom Grad der Mobilität der Kinder bzw. Jugendlichen abhängig, die wiederum von anderen Variablen beeinflusst wird (Krause 1999: 14ff.). Neben dem Lebensalter und Geschlecht spielen elterliches Verhalten und soziale Situation (Berufstätigkeit, Anzahl der Kinder, Medienkonsum, Schichtzugehörigkeit; vgl.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 101

Krause 1999: 16) eine entscheidende Rolle.33 Die konkrete Bewegung im Raum unterstützt demzufolge das Einprägen und Abrufen bestimmter Landmarken, was auch McGill und Korn (1982) nachweisen konnten. In einer Untersuchung wurden 60 Psychologie-Studierende in drei Gruppen geteilt, von denen zwei Drittel (40 Personen) durch ein kleines Stadtviertel (»small business neighborhood«, ebd.: 186) gefahren wurden, wobei zwei Gruppen jeweils an zwei verschiedenen Punkten starteten. Die restlichen 20 Studierenden durchliefen diese Tour nicht. In einem anschließenden Test, den alle 60 Beteiligten absolvierten, wurden ihnen Fotographien (50 davon befanden sich auf der Route, 18 nicht) gezeigt, die sie als gesehen oder nicht gesehen identifizieren mussten sowie einem Wissenstest, in dem sie sämtliche Dinge nennen mussten, die sie von der Strecke behalten hatten. Es wurde festgestellt, dass die allgemeine (Vor-) Kenntnis eines Raumes einen positiven Effekt auf das Abrufen von gesehenen Fakten bzw. Gegenständen aus dem Viertel hat, wobei die konkrete Bewegung im Raum auch das Wiedererkennen von Dingen auf Bildern steigerte. Bereits Lynch und Rivlin (1959, in McGill/Korn 1982: 187) fanden heraus, dass alteingesessene Bewohner (»natives«) und neu Zugezogene bzw. Besucher (»newcomers«) die gleichen Dinge ihres Umfeldes wahrnehmen und wiedergeben können, wobei erstere Gruppe Dinge als Ganzes konzipiert und zweitere dazu neigt, das Umfeld zu teilen und kleinere Räume zu erinnern. In ähnlicher Weise fielen die Erkenntnisse Evans (1980, in McGill/Korn 1982: 187) aus: Das Erinnerungsvermögen der exakten Position von Dingen in der Umwelt steigt mit zunehmender Erfahrung vor Ort, wobei die relative Anordnung, d.h. Bezüge untereinander, von Personen genauer verstanden werden, die sich weniger am jeweiligen Ort aufhalten. Damit wird die Aussage, dass sich die kognitiven Karten mit zunehmenden Informationen über konkrete Räume erweitern, aufgelöst. Vielmehr basiert das Wissen darüber, wo bzw. dass sich Dinge an einem jeweiligen Ort befinden, hauptsächlich auf dem Wissen, wie man von einem Punkt zu einem anderen gelangt (Kuipers 1982: 206), d.h. beeinflusst durch das Relationieren von Dingen im Raum. Eine weitere Erkenntnis aus der Studie McGills und Korns war, dass der eigentliche Fokus der Untersuchung, die künstlerischen Wandbemalungen, die sich entlang der Strecke befanden, von nur einem geringen Teil der Probanden wiedererkannt bzw. genannt wurde, obwohl diese als bunt und groß in Erscheinung traten – genauso, wie große Geschäfte mit auffälligen Anzeigen, die sich

33 Unter anderem wird der wechselseitige Einfluss medialer Vermittlung, z.B. im Spieloder Werbefilm, auf die kognitiven Karten untersucht; vgl. Lindner/Kernbeiß 1996; Redtenbacher 1996.

102 | U RBANES R ÄUMEN

vermehrt in diesem Stadtviertel befinden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Kontext der Umgebung – in diesem Fall ein »business district« – und damit die kulturellen Sehgewohnheiten einen starken Einfluss darauf haben, was wir von unserer Umwelt wahrnehmen (McGill/Korn 1982: 198). Erkenntnisse aus der Umweltpsychologie bekräftigen dies. Komplexere Wahrnehmungsvorgänge hat James Gibson in seiner Theorie der »ökologischen Optik« (vgl. Hellbrück/Kals 2011: 26) formuliert. Wesentlicher Bestandteil dieser ist das Prinzip der »Affordanz« (ebd.), über das erklärt werden kann, warum bestimmte Handlungsweisen in bestimmten Situationen ausgeführt werden. Menschen verbinden Eigenschaften mit den Dingen ihrer Umwelt; so ist eine Blume etwas Wohlriechendes, Angenehmes; eine Brückenunterführung ein eher ungemütlicher Ort. Affordanz meint, dass Menschen »die Eigenschaften der Dinge so wahrnehmen, wie sie beispielsweise zu ihrem Bewegungsapparat passen« (ebd.: 27), sich also auf einen Stuhl setzen, in ein Bett legen usw. Übertragbar ist das auf viele weitere Kontexte wie den vorher genannten. Überspitzt formuliert: Man sieht nur das, was man sehen will – und handelt entsprechend. Kognitive Karten beeinflussen unsere Wahrnehmung von Räumen, sprich das, was wir wie wahrnehmen. Ein Kind, das von Gefahren geschützt aufwächst, sieht die Welt anders als jenes, das täglich mit dem Fahrrad zum Spielen in den Wald fährt. Sind Menschen hektisch unterwegs, nutzen sie Räume eher funktional und achten evtl. nur ausschnittweise auf ihr Umfeld. Nicht zuletzt haben auch Jahreszeiten und das Wetter Einfluss auf Aktivitäten in der Umwelt, die genauso in der wissenschaftlichen Untersuchung zur Bestimmung von Raumaneignung einfließen sollten (Krause 1999: 19). Auf der anderen Seite bringen Jugendliche bspw. Räume eher mit ihren Freunden und gemeinsamen Erlebnissen in Verbindung, womit dieser wiederum andere Bedeutungen annimmt als für Erwachsene (vgl. Muri/Friedrich 2009: 160). Und auch Spuren, d.h. äußerliche Merkmale wie Straßen, Gebäude, Schilder, oder auch bereits verschwundene, aber erinnerte Strukturen, die Menschen (des-) orientieren können, indem sie bspw. besonderen Wiedererkennungswert besitzen, wirken sich auf die kognitiven Karten aus. Kevin Lynch (1975: 5) formulierte dies als »Einprägsamkeit«, als »Lesbarkeit« von Städten. Eine Stadt ist demnach lesbar aufgrund ihrer gekannten historischen oder funktionalen Bedeutungen, aber besonders durch fünf Elemente ihrer physisch-materiellen Gestalt: Wege, Grenzlinien (Ränder), Bereiche, Brennpunkte und Merkzeichen, die in Wechselbeziehung zueinander stehen und das Bild einer Stadt – allgemeiner: eines Raumes – einprägsam machen. Raumwahrnehmung ist ein hoch komplexer, kontextspezifischer Prozess vielfältiger Interpretationsweisen, der u.a. durch das uns verfügbare Wissen, Erfahrungen, Gefühle als nonverbales Handeln – d.h.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 103

das eigene Sehen beeinflusst ist. Als außerordentlich ergiebig erweist sich in diesem Zusammenhang bspw. die Erforschung der Vorstellungen zu Grenzverläufen, die vor dem Hintergrund eines konstruktivistischen Raumverständnisses als mentale Vorstellungen in den Köpfen der Menschen existieren (u.a. Nagel 2013). Besonders die Stadt- und Raumplanung sollten solch praxisrelevante Erkenntnisse berücksichtigen. Unsere durch Raumwahrnehmung und Interpretation generierten Erkenntnisse – das Wissen – über Räume stellen somit immer nur »ein Modell der Wirklichkeit« dar (Braun 2007: 78 [eig. Herv.]). Das geht so weit, dass sich der Personalchef eines Unternehmens schon anhand des Lebenslaufs eines potenziell neuen Mitarbeiters ein verräumlichtes Bild von ihm macht, allein dadurch, dass er den Geburtsort und die Städte, in denen derjenige studiert hat, in seiner kognitiven Karten zusammenfügt und bspw. daraus schließt, dass er eine weltoffene, autonomieorientierte Person vor sich sitzen hat (Löw 2011b: 11). »Biographie ist insofern immer auch Topographie« (Becker/Bilstein/Liebau 1997a: 10). Anders ausgedrückt: »Wie man etwas sieht, entscheidet darüber, als was es sichtbar wird« (Schürmann 2008: 23), und dabei ist das eigene Sehen in seinem Wesen »unhintergehbar« und »unteilbar[...]« (ebd.: 9). Sehen ist insbesondere »eine performative Praxis epistemischer, ethischer und ästhetischer Welterschließung« (Schürmann 2008: 14) und damit entscheidende Voraussetzung der Raumaneignung. Über ein konstatierendes Sehen-dass deuten wir Dinge der physisch-materiellen Welt primär individuell, womit ein interpretierendes Sehen von etwas-als-etwas einhergeht (ebd.: 9). Wir können sehen, dass sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gruppe von Menschen aufhält; wir können die Personen auch als eine Gruppe sich amüsierender Jugendlicher sehen. Damit ist gemeint, dass Dinge, ja eigene Werte und Normen erst im Sehen aktualisiert werden; wir im Prozess der Visualisierung gleichsam Botschaften nonverbal kommunizieren. Als subjektive und selektive Prozesse jedoch können weder das Sehen von noch das Sprechen über Dinge die Welt so abbilden, wie sie ist (ebd.: 16). Unsere Wahrnehmung ist immer schon vermittelt. Sie kann nie unmittelbar stattfinden, denn auch wenn einer Person ein Raum oder eine Situation als gefährlich oder freundlich erscheinen, wird eine andere Person das nicht genauso sehen, auch wenn sie sich bspw. vorher im gleichen Restaurant wie die andere Person aufhielt, das Gleiche gegessen hat etc. Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch Atmosphären als wesentliche Einflussfaktoren in der Raumwahrnehmung und -aneignung. Ein nicht unwesentlicher Faktor dabei, mit dem sich vermehrt auch in der Fachwissenschaft auseinandergesetzt wird, ist die Rolle von Klängen und Musik, für deren Beschäftigung im Geographieunterricht sich bereits Rhode-Jüchtern (1995: 142ff.) einsetzt, da sie ganz wesentlicher Bestandteil in der Herstellung

104 | U RBANES R ÄUMEN

sogenannter »Moozak«-Räume (ebd.: 148) sind. Die Herausforderung besteht auch hier darin, dass jene Klangräume zwar scheinbar eindeutig zu vermessen sind, doch auch Messgeräte anders hören als Menschen, und nicht jeder Mensch das Gleiche wahrnimmt (ebd.: 146). Nicht zuletzt führt die individuelle Verortung von Musik zur »Konsonanz oder Dissonanz« (Schubert/Stoppe 2011: 123) – je nachdem, ob die Assoziationen des Hörers der Musik mit dem Raum harmonieren oder nicht (vgl. Affordanz). Doch nehmen wir streng genommen nicht Atmosphären an sich wahr, sondern immer nur gemäß einer Atmosphäre (Thibaud 2003: 293 [Herv.i.O.], zit. in Kazig 2007: 169). Trotz dessen ist es Menschen möglich, sich über ihre ungeteilte Sichtweise hinausgehend »intersubjektiv über das Sichtbare [zu] verständigen« (Schürmann 2008: 9), denn »[o]bwohl wir alle voneinander abweichende Wahrnehmungserlebnisse haben, leben wir keineswegs in privaten Humpty-Dumpty-Wahrnehmungswelten« (ebd.: 10). Das liegt in der gesellschaftlichen Bedingtheit der Wirklichkeit (vgl. ermöglichende und einschränkende Strukturen) begründet. In diesem Zusammenhang nimmt auch Sprache eine entscheidende Rolle in der Raumwahrnehmung und der Erschließung der Welt ein, da bereits durch das Erlernen der jeweiligen Muttersprache grundlegende Denkmuster – unbewusst – angeeignet, nicht aber einfach auf das Kind übertragen werden (Hansen 1965: 114).34 Lösen Tabuwörter körperliche Stresssymptome aus, zeigen sich solche Reaktionen bspw. nicht, wenn in Euphemismen gesprochen wird – was auf »eine frühe emotionale Konditionierung« zurückgeführt wird (Schramm/Wüstenhagen 2012). Das bedeutet, dass bereits im frühen Kindesalter über die Sprache der Mutter bspw. gewisse Emotionen vermittelt werden, auf die das Kind reagiert (Hansen 1965: 116). Neben der Linguistik setzen sich vor allem psychologische Forschungen intensiv mit der Konstitution von Raum bzw. Gesellschaft durch Sprache auseinander (vgl. dazu Klein 1983; Schweizer 1985; Talmy 1983; allgemeiner dazu Lefèbvre 1973). Sprache besitzt eine essentielle Funktion im Hinblick auf räumliche Orientierung. Sprache formt unser Denken und beeinflusst, wie sich Menschen Räume aneignen. In einem Dorf im Norden Australiens spricht man die Sprache Kuuk Thaayorre, die »keine relativen Raumausdrücke wie links und rechts« (Borodotsky 2012) enthält, sondern lediglich die uns gebräuchlichen Himmelsrichtungen wie Norden, Osten, Süden, Westen und so weiter, die die Aborigines auch für kleinere räumliche Verortungen, z.B. bei der

34 Ohne eine tiefer gehende Analyse linguistischer Theorien sei nur darauf verwiesen, dass die Annahme, dass Sprache (Wortschatz, Grammatik) unser Denken beeinflusst (Sapir-Whorf-Theorie), nicht unumstritten innerhalb dieser Disziplin ist.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 105

Beschreibung der Lage von Möbelstücken in einem Zimmer nutzen. Untersuchungen zeigten, dass die Kinder aus dem Dorf besser in der Lage waren, Himmelsrichtungen auf Anhieb zu zeigen als Erwachsene anderer Kulturkreise. Sprache bestimmt also unsere Denkleistung. Auch die Schreibrichtung beeinflusst bspw., wie Zeit empfunden und bestimmt wird; ob wir von links nach rechts oder rechts nach links schreiben (ebd.). So erstaunlich, wie Sprache wirkt, so wenig wird sich aktuell innerhalb der Geographie(-Didaktik) mit diesen Fragen zur sprachlichen Konstitution von Raum auseinandergesetzt. Raumwahrnehmung in der Geographie »Jegliche Epistemologie sieht sich somit dem Wahrnehmungsproblem ausgesetzt« (Dück 2001: 28). Die Beschäftigung mit den psychologischen, individuellen und emotionalen Komponenten der Raumwahrnehmung wird immer noch intensiv untersucht, ist dabei thematisch weit gestreut und v.a. nicht nur auf die Geographie beschränkt. Die Umweltpsychologie beschäftigt sich mit genau solchen Fragen der »Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und seinen physischen und sozio-kulturellen Umwelten« (Hellbrück/Kals 2012: 13). Dabei werden die Wirkungen der gebauten Umwelt i.w.S., Vorstellungen zum Umweltschutz, damit verbundene Werte und Ideale sowie verschiedene Geofaktoren (z.B. Lärm, Gerüche) und die Rolle von Medien in der Kommunikation als wahrnehmungs- und handlungsbeeinflussende Faktoren untersucht (vgl. dazu auch Lantermann/Linneweber 2008). Bereits 1989 schreibt Heerdegen über die psychologischen »Aspekte der Raumwahrnehmung«; Friedrich setzt sich 1978 mit der »Funktionseignung und räumliche[n] Bewertung neuer Wohnquartiere« zweier Darmstädter Neubaugebiete auseinander, um deren Raumbewertung und Raumnutzung zu ergründen. In wahrnehmungs- und verhaltenswissenschaftlicher Tradition erkennen Casakin und Kreitler (2008) die zentrale Rolle von Emotionen in der Bedeutungszuweisung, weshalb diese auch bei Planungsprozessen einzubeziehen sind. In einer quantitativen Versuchsanordnung testeten sie 36 Architekturstudierende hinsichtlich ihrer räumlichen Bindung (attachment). In einem Fragebogen fokussierten sie dabei vier Elemente: Präferenzen für offene bzw. geschlossene Räume, Raumatmosphären, das Passen von Handlungen in jeweiligen Räumen sowie die Orientierung im Raum. Sie kamen u.a. zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Merkmale vielmehr Ausdruck spontaner Haltungen (attitudes) als stabiler Persönlichkeitsmerkmale (personality traits) oder kognitiver Tätigkeiten (cognitive acts) sind (ebd.: 84). Insgesamt spielte die Dimension Verortung (location) eine große Rolle; d.h. um sich einen Raum vorstellen zu können, ihn (nicht) zu mögen, müssen Menschen wissen, wo sie sich bzw. der Raum jeweils befindet.

106 | U RBANES R ÄUMEN

Auch wenn hier die Untersuchten nach ihren Einschätzungen befragt wurden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die jeweils individuelle Sinnzuweisung – z.B. was bedeutet dem einen oder anderen ein offener Raum – ausreichend berücksichtigt werden konnte. Auch Manzo und Perkins (2006) plädieren dafür, Erkenntnisse aus der Psychologie mit der Raumplanung zu koppeln, um diese praxisrelevant(er) zu gestalten, d.h. den Menschen bewusst mit einzubeziehen. Wie der gelebte Raum in der Regionalplanung berücksichtigt werden kann, zeigt Heiler (2011). Über eine theoretische Annäherung der Raumkonzepte Dürckheims und Lefèbvres sowie de Certeaus Unterscheidung von Handeln in Taktiken und Strategien (s. unten) ließ er mehrere Akteure die physischmateriellen Eigenschaften verschiedener Teil-Räume im Osten der Stadt Kempten – einer Stadt-Landschaft – aufführen sowie architektonisch-bauliche und weitere Bewertungen vornehmen. In der »intersubjektive[n] Kommunikation über das Raumerleben und die Raumeigenschaften« (Heiler 2011: 213) kam es zu vielfältigen neuen Sichtweisen auf die Räume, wobei auch Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung von Räumen festzustellen waren (ebd.: 214). In kleineren Aktionen wurden die Menschen angeregt, anders über ihre (Seh-)Gewohnheiten nachzudenken, wurde »Sand ins Getriebe der sonst kritiklos hingenommenen Dominanz dieses in der Stadt-Landschaft überbetonten Zwecks« (ebd.: 224 [Herv.i.O.]) gebracht. »Dauerhafte Minimalinterventionen« an bestimmten Orten könnten zudem dessen »sinnliche[n] Qualitäten« (ebd.: 230) steigern. Tuans Arbeit (1977) war indes eine der ersten, die sich mit der Art und Weise, wie Menschen Räumen Bedeutungen zuweisen, auseinandersetzte (Manzo/Perkins 2006: 337). Für die deutschsprachige Geographie entscheidend war die Arbeit Hartkes (1956) zur »›Sozialbrache‹ als Phänomen der geographischen Differenzierung der Landschaft«, in der die Untersuchung brach fallenden Landes zeigte, dass jene Prozesse entscheidend durch die subjektive Bedeutungszuweisung der Menschen beeinflusst ist. »Bemerkenswert war, daß im Gegensatz zu der klassischen Auffassung keineswegs die schlechtesten Parzellen oder die am weitesten vom Dorfe entfernt liegenden zuerst brachfielen. Das Gegenteil war zuweilen der Fall. Eine fruchtbare Lößparzelle in guter Lage lag brach, während womöglich in der Nähe eine Sandparzelle weiter intensiv beackert wurde.« (Hartke 1956: 259)

Eine gleiche oder ähnliche natürliche Ausstattung des Bodens war demnach nicht mit der gleichen Bedeutung, die ihnen die Menschen zuwiesen, verbunden, sondern wird auch durch »die Zugehörigkeit des Besitzers zu einer bestimmten Sozialgruppe« entscheidend determiniert (ebd.: 262). Noch bevor Anthony

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 107

Giddens also von geography-making sprach, war mit Hartke der Gedanke »einer Geographie des Menschen« (Werlen 1997: 27) und die Forderung nach der Analyse alltäglicher Geographien getan, die Werlen dann konsequenterweise weiterführte. Raumaneignung ist damit unweigerlich an handelnde Akteure gekoppelt, und im Besonderen an Kinder und Jugendliche, die in jenem Diskurs eine besondere Stellung einnehmen (s. Kap. 2.2). Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der Erklärung, wie und warum, unter welchen Bedingungen sich Kinder Räume aneignen. Vier sich ringförmig ausbreitende Zonen definierte der Erziehungswissenschaftler Baacke in den 1980er Jahren in seinem sozialökologischen Zonenmodell (u.a. Böhnisch/Münchmeier 1990: 59f.; Schuster 2013: 115). Vom ökologischen Zentrum aus, dem Zuhause und der Familie als einem der ersten wichtigsten Räume, eignen sich Kinder die weiteren Zonen schrittweise an: nach dem ökologischen Nahraum (Nachbarschaft) folgen die ökologischen Ausschnitte (Institutionen, die bestimmte Handlungsweisen einfordern, z.B. Schule) bis zur ökologischen Peripherie, die Orte gelegentlichen Aufenthalts, wie z.B. Urlaubsziele meint. Trotz der Forderung, dieses Modell nicht allzu statisch aufzufassen (Böhnisch/Münchmeier 1990: 60), war die Annahme, dass sich Kinder ihre Umwelt in konzentrischen Kreisen erschließen, so bald nicht mehr haltbar, war doch damit impliziert, dass jedes Kind jeden Teilbereich durchschreiten muss, um in den nächst ferneren zu gelangen. »Dabei blieb der individuelle Lebensraum immer ein zusammenhängendes Areal. Ein schönerer, von idealisierenden und harmonisierenden Vorstellungen geprägter, physisch-materiell angefüllter Containerraum lässt sich kaum denken!« (Daum 2006b: 9) Mithilfe ihres Modells der Verinselung aus den 1980er Jahren konnte Helga Zeiher die Raumaneignung von Kindern differenzierter erklären: Zwar bildete weiterhin das Elternhaus das Zentrum der Erschließung des kindlichen Raumes, doch waren auch die Zwischenräume zwischen den einzelnen Lebensbereichen als Inseln »unabhängig von der realen Lage der Inseln im Gesamtraum und unabhängig von ihrer Entfernung« (Zeiher 1983: 187) zu erschließen. Die Zwischenräume werden heute zumeist medial überbrückt bzw. erschlossen, sei es über das Internet, Handy oder Verkehrsmittel, wobei auch Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Bildung in Betracht gezogen werden müssen (Ahrens 2009: 39). »Die zeitliche und räumliche Organisation dieser verinselten Aktivitäten verdient nun besondere Aufmerksamkeit, zeigt sich hierin im Sinne einer handlungszentrierten sozialgeographischen Betrachtung doch die Chance, von den Äußerlichkeiten weg zu den entscheidenden Subjektbezügen vorzustoßen«

108 | U RBANES R ÄUMEN

(Daum 2006b: 10), d.h. Kindern und Jugendlichen wurde nunmehr die Fähigkeit zu bewussten Entscheidungen und damit Bedeutungszuweisung zuerkannt. Die Aneignung ihres Nahraumes erfolgte dann i.S. der Erschließung von Handlungsräumen. Mit anderen Worten: Wir gehen nicht davon aus, dass die Inseln schon vorgefertigt und exakt umrissen existieren, sondern sie werden erst durch die handelnden Akteure individuell erschlossen und hergestellt. Im Prinzip existieren die Zwischenräume dann nicht. Weitere Parallelen zu Werlens Ansatz lassen die Untersuchungen von Martha und Hans Heinrich Muchow erkennen (vgl. Bauer 2010: 65): ihnen ging es weniger darum, den kindlichen Lebensraum Großstadt exakt zu definieren, sondern zu schauen, unter welchen Bedingungen sich Kinder diesen aneignen. Ihre Studien aus den 1920er Jahren wurden erst sechs Jahrzehnte später in Erinnerung gerufen. Besondere Bedeutung kann dem Gedanken beigemessen werden, dass sich die Kinder Räume der Großstadt aneignen, indem sie diese teilweise anders nutzen als bspw. durch Erwachsene vorgegeben und damit »aktive Gestalter ihrer eigenen Umwelt« (Bauer 2010: 65) werden. Das Konzept der Raumaneignung muss heutzutage mit dem eines Raummanagements erweitert werden. »Raummanagement bedeutet mit den gesellschaftlichen Vorgaben der Multilokalität umzugehen.« (Tully 2009a: 13) Damit wird ebenfalls die Idee verschiedener Inseln als Form von Lokalitäten aufgegriffen, wobei die Betonung auf der individuellen Aneignung als »geschickte Vernetzung« (ebd.) dieser liegt. Deutlich wird daran, dass unterschiedliche Auffassungen der Aneignung von Räumen v.a. auch mit geänderten gesellschaftlichen Voraussetzungen einhergehen. »Kinder können heute oft keine homogene Raumvorstellung entwickeln, sondern erfahren Raum als inkonsistent. Sie machen nicht mehr die Erfahrung im Raum zu leben, sondern Raum wird als bewegt und diskontinuierlich konstruierbar erfahren« (Wehmeyer 2013: 55), was u.a. auch durch die zunehmende Virtualisierung der Welt bedingt ist. Als eine (mögliche) Folgerung daraus wird aktuell die Bedeutung der Naturwahrnehmung und -erlebnisse für Kinder betont (Daschütz 2006), die sich vor allem auch positiv auf die psychische Gesundheit der Handelnden auswirkt (Gebhard 2008). Entscheidend in der Raumaneignung ist dabei neben den ge-/bekannten sozialen Vorschriften und Konventionen genauso das Wissen um die sozialen Beziehungen untereinander (vgl. Svendsen 1981: iii). Dinge und damit Räume werden dann auch erst bedeutsam über die Handlungen anderer. »Somit stellt der noch so private Aneignungsakt immer auch eine Form gesellschaftlicher Aneignung dar.« (Daum 2006b: 11) Bspw. ist eine Raumaneignung von Jugendlichen immer auch abhängig von den Handlungen der Erwachsenen oder anderer (rivalisierender) Gruppen und wird damit entweder ermöglicht oder eingeschränkt.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 109

Jugendliche weichen festen Deutungsangeboten aus; nutzen bspw. Spielplätze nicht, wenn sie ihren Vorstellungen von kreativer Aneignung nicht entsprechen. »Wo ein Ausweichen nicht so ohne weiteres möglich erscheint, wird Monofunktionalität oft gewaltsam aufgebrochen, werden Räume als offener deklariert als sie in Wirklichkeit sind, und sei es nur symbolisch durch das Beschmieren von Wänden und Wegen.« (ebd.: 12) Dass das nicht zwangsläufig als Zeichen von Devianz gelesen werden soll, scheint aber noch nicht überwiegend anerkannt. Oder wer fragt die Jugendlichen nach den Gründen ihrer Handlungen? Jones (2000) zeigt unterschiedliche Wege auf, wie Kinder theoretisch die Räume der Erwachsenen durchdringen können, ohne deren Unmut auf sich zu ziehen. »Adult spaces can be in some way ›otherable‹ in that children can use and reconstruct them without incurring the outright hostility and opposition of adults.« (Ebd.: 37) Dies kann in Räumen geschehen, die aus unbestimmbaren Gründen von der Erwachsenen-Geographie außer Acht gelassen sind (»spaces of disorder«) oder über »polymorphic spaces«, d.h. Räume, die unterschiedliche Nutzung von Kindern und Erwachsenen aushalten. Durch die Manipulierbarkeit und Variabilität können Kinder den von den Erwachsenen geformten Raum nach ihren eigenen Geographien verändern, über permeable Grenzen zu den »Erwachsenen-Räumen« gelangen oder wenn Kinder als Opportunisten Räume erkunden, die gerade befreit sind von einschränkenden Vorgaben (ebd.). Damit erweist sich Raumaneignung im Sinne einer übergeordneten räumlichen Orientierung als dezidiert normativer Akt; Jugendliche müssen sich v.a. in den öffentlichen Räumen mit Möglichkeiten der Aneignung vor dem Hintergrund bestimmter (unsichtbarer) Grenzen auseinandersetzen (Höflich 2009: 79). Gleichzeitig kann anerkannt werden, dass Raumaneignung im Sinne der Produktion von Räumen identitätsstiftende Funktion besitzt, denn dabei vergewissern sich Subjekte der Gemeinsamkeiten bzw. auch Unterschiede; es entstehen also gleichzeitig biographische Räume, Räume gleichen sozialen Geschlechts etc. Damit ist auch Identität nicht als feststehende Größe zu definieren, sondern vielmehr als Variable im Sinne einer prozessual zu denkenden Identifizierung mit etwas oder jemandem (vgl. auch der Abschnitt zum Ortsbezug). Raumaneignung im Kontext der Sozialraumforschung Es liegt nur nahe, Raum im Sinne eines Handlungsfeldes menschlicher Lebensäußerungen als Sozialraum zu bezeichnen, tut doch die Sozialgeographie genau dies: Gesellschafts-Raum-Beziehungen zu untersuchen. Was aber macht einen sozialen Raum – Sozialraum aus? Im Kontext der Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen wird gegenwärtig oft das Konzept des Sozialraumes verwendet bzw. ist umgekehrt Raumaneignung ein zentrales Konzept von Sozialraumorien-

110 | U RBANES R ÄUMEN

tierung. Im Bereich der Sozialpädagogik bzw. Sozialarbeit ist mit dem Sozialraum der Ort gemeint, an dem sich soziales Leben zwischen Akteuren abspielt, wobei der Schwerpunkt der Untersuchungen auf kritischen Situationen liegt und besonders jugendliches Verhalten verstärkt problemorientiert untersucht wird, um Handlungsempfehlungen für die Praxis abzuleiten. Sozialraumanalysen untersuchen bspw. die Struktur eines Stadtviertels hinsichtlich der gesundheitlichen und sozialen Voraussetzungen von Kindern (vgl. Nürnberger Gesundheitsamt 2007 zur Schuleingangsuntersuchung). Das Referat für Jugend, Familie und Soziales der Stadt Nürnberg formuliert als eine Leitlinie »Sozialräume entwickeln, Stadtteile solidarisch gestalten«, da im »sozialen Nahraum« Problemlagen und Potenziale identifiziert werden müssen, um v.a. auch »die weniger mobilen Menschen: Kinder, Ältere, junge Familien, kranke oder behinderte Menschen, Menschen ohne Arbeit« zu erreichen.35 Auch ein Blick auf die unterschiedlichen Beiträge in den Ausgaben der online verfügbaren Sozialraum-Zeitschrift36 lässt die Breite an Themen deutlich werden: verstärkt wird sich der Gruppe der Älteren als auch den Jugendlichen gewidmet, genauso spielen Gender und Migration eine wichtige Rolle in den und für die unterschiedlichen Sozialräume(n). Es werden spezifische Räume, wie die Straße, öffentliche Räume oder auch die Diskothekenmeile untersucht sowie Methoden vorgestellt, über die die Untersuchung jener Phänomene, darunter z.B. Kriminalität, demographischer Wandel oder die Rolle des Internets, möglich wird. Die Schwierigkeit, mit der sich auch aktuell der sozialräumliche Ansatz auseinandersetzt, liegt in der Auslegung des bzw. der Fokussierung auf den (Sozial-) Raum, der insbesondere als »quantitative Raumzuweisung« (Bader 2002: 55, zit. in Deinet 2005: 166) verstanden wurde und wird, wobei die Verwendung des Raum-Konzepts stärkerer Diskussion und Neuausrichtung unterliegt (s. Beiträge im Projekt »Netzwerke im Stadtteil« 2005; auch Fehren 2009). So stellt auch das Amt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth Analysen zu Sozialräumen an, über die unterschiedliche Sozialraumtypen anhand soziodemographischer und -ökonomischer Merkmale definiert werden und Ausgangspunkt für Interventionen, z.B. im Bereich Sozialer Arbeit oder Jugendhilfe bilden. Sozialökologische Ansätze (vgl. ausführlicher Deinet 1999) konzentrieren sich im Sinne einer Sozialraumanalyse hauptsächlich auf die Beschreibung der Lebensräume von Kindern und Jugendlichen. Über das Aneignungskonzept, d.h. die Feststellung, dass und wie sie sich mit den Räumen auseinandersetzen, wird der

35 Quelle: http://www.nuernberg.de/internet/sozialreferat/stadtteile.html (letzter Zugriff: 17.11.2014). 36 Quelle: http://www.sozialraum.de/archiv// (letzter Zugriff: 17.11.2014).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 111

Bezug zu den handelnden Subjekten selbst hergestellt (Deinet 2005: 167). Sozialraumorientierung als übergeordnetes Konzept besagt dann nicht, »mit pädagogischer Absicht Menschen zu verändern, sondern [...] Lebenswelten zu gestalten und Arrangements zu kreieren, die dazu beitragen, dass Menschen auch in prekären Lebenssituationen zurechtkommen« (Hinte 2009: 23). Das bedeutet zwar in der Folge, dass die Menschen und deren Interessen im Mittelpunkt sozialer Betrachtungen stehen, doch Probleme vorschnell einer Verräumlichung bzw. »Containerisierung« (Fehren 2009: 286) unterliegen können. All jene Handlungen, die die Menschen alltäglich vollziehen, äußern sich an Orten – konkret: damit stellen sie Räume her. Da aber jene Äußerungen nicht als Ursache sozialer Konstellationen verstanden werden können, darf der Raum konsequenterweise auch nicht als Erklärung dafür noch als Ort von Problemlagen selbst dienen (Werlen 2005: 18). Denn nicht, weil nur wenige Kinder einen Impfpass besitzen, sind die schulischen Voraussetzungen in jenem Viertel gleichzeitig prekär. Nicht umsonst fordert Deinet (2005: 165) deswegen, auch die »subjektive, qualitative Sichtweise des Sozialraums stärker in die Debatte zu bringen«. Es soll hier keine Kritik an dem Konzept des Sozialraumes geübt werden, da sich die Sozialraumorientierung zwar in die thematische Ausrichtung dieser Arbeit fügt, doch diese eine andere – geographische – Fokussierung erfährt. Teilweise existieren auch unterschiedliche Auffassungen von Begriffen und Konzepten, die zwar mitunter in den Disziplinen aufgenommen werden (siehe spatial turn – Raum als vielseitiges Erklärungsmuster), doch werden diese dann bereichsspezifisch verwendet. Das heißt z.B. auch, dass handlungszentrierte Konzepte zur Untersuchung der Gesellschaft-Raum-Beziehungen angewendet werden, dabei aber nicht dezidiert auf Werlen verwiesen wird. Nichtsdestotrotz erweist es sich als fruchtbar, die sozialräumliche Perspektive hier ein wenig näher zu beleuchten und damit Raumaneignung verstanden als informelle Lern- und Bildungsprozesse zu bestärken. Das Potenzial liegt darin, Raumaneignung über die praktischen Zugänge weitaus differenzierter abzustecken und evtl. Vorstellungen zu übertragen. Das scheint insofern bspw. möglich, da Methoden der Lebensweltanalyse37 dem geographiedidaktischen Repertoire nicht unähnlich sind; so beschreiben Deinet und Krisch (2002, in Deinet 2005: 174) die folgenden: »Stadtteilbegehung mit Kindern Jugendlichen; Nadelmethode; Cliquenraster; Institutionenbefragung; Strukturierte Stadtteilbegehung; Autofotografie; Subjektive Landkarten; Zeitbudgets; Fremdbilderkundung« (vgl. auch Dohnalek 2013).

37 »Lebensweltanalyse« wird dem Begriff der »Sozialraumanalyse« entgegengesetzt und damit der Forderung nach Einbezug subjektiver Faktoren in die Untersuchung nachgegangen (vgl. Deinet 2005: 175).

112 | U RBANES R ÄUMEN

Zentrales Konzept innerhalb der Sozialraumdebatte ist die Raumaneignung. Mit Rückgriff auf den sowjetischen Psychologen Leontjew ist damit »die Entwicklung des Menschen als tätige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, als Aneignung der gegenständlichen und symbolischen Kultur« (Deinet 2005: 167) gemeint. Das heißt in einem zweiten Schritt, dass sich Vorstellungen, Wünsche, Ideen und damit die Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen über die Aneignung der Welt erst entwickeln können. Es ist entscheidend gerade in jener Lebensphase, dass Kinder Erfahrungen in und mit Räumen machen. Die enge Verknüpfung zwischen Aneignung und Kindern bzw. Jugendlichen (und nicht Erwachsenen oder Älteren) liegt darin begründet, dass der (Sozial-)Raum entscheidenden Einfluss auf den Lebenslauf hat, angefangen bereits mit dem eigenen Kinderzimmer, das Kindern als Rückzugsort dienen kann (Schumann 2007: 9). Die Auffassung Leontjews einer gegenständlichen Aneignung meint, dass sich nicht die Dinge selbst, sondern sich deren Eigenschaften und Bedeutungen angeeignet werden. Trotz der Vernachlässigung v.a. mentaler sowie medial vermittelter Prozesse der Raumwahrnehmung (vgl. Muri/Friedrich 2009: 76) gilt dieses Konzept heute als richtungsweisend in der Erklärung von Raumaneignungsprozessen und wird weiter angepasst (vgl. May 2004; Oehme 2004). Mit Braun (1994: 110, zit. in Deinet 2005: 169) lässt sich der Aneignungsbegriff folgendermaßen zusammenfassen: • • • • • • • •

eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt; (kreative) Gestaltung von Räumen mit Symbolen etc.; Inszenierung, Verortung im öffentlichen Raum (Nischen, Ecken, Bühnen) und in Institutionen; Erweiterung des Handlungsraumes (die neuen Möglichkeiten, die in neuen Räumen liegen); Veränderung vorgegebener Situationen und Arrangements; Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer und medialer Kompetenz; Erprobung des erweiterten Verhaltensrepertoires und neuer Fähigkeiten in neuen Situationen; Entwicklung situationsübergreifender Kompetenzen im Sinn einer »Unmittelbarkeitsüberschreitung« und »Bedeutungsverallgemeinerung«38.

38 Für eine Erläuterung der Begriffe vgl. Deinet 2005: 168f.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 113

Eine gewissermaßen Brückenfunktion nimmt Christian Reutlinger in der Diskussion zwischen bzw. an der Schnittstelle von Sozialraum und Handlungsorientierung ein. Im Mittelpunkt seiner sozialräumlichen Analysen stehen nicht Räume i.e.S., sondern die Bedeutungen, die sie für die Handlungen der Kinder und Jugendlichen gewinnen (Muri/Friedrich 2009: 82) und damit auch die gruppenspezifischen Deutungsmuster. Sozialraum ist »sozial erzeugte Realität der betroffenen Akteursgruppen« (Reutlinger 2009: 20). Darauf aufbauend definiert Reutlinger drei Dimensionen der Raumaneignung, die er im Übrigen nicht im engen Sinne wie Leontjew verstanden wissen will: Subjektbezug, Gesellschaftsbezug und Handlungsbezug (Muri/Friedrich 2009: 82), was die Nähe zu Werlens handlungszentriertem Zugang offensichtlich werden lässt. Raumaneignung nach Reutlinger ist ein individueller und zugleich gesellschaftlicher Prozess, der über die Handlungen der Subjekte erklärt werden kann. So begibt er sich bspw. über die Analyse »unsichtbarer Bewältigungskarten« (vgl. Reutlinger 2001) Jugendlicher als Forscher im Sinne eines Mitagierens gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach Sicht-, aber vor allem Unsichtbarkeiten sozialer Wirklichkeit. Es geht Reutlinger in diesem Ansatz darum festzustellen, wie Jugendliche in ihren Handlungen Räume auf sich beziehen (können) und welche Aneignungsmuster entstehen; und explizit nicht um eine Bewertung dieser (Reutlinger 2009: 28). Daraus leitet sich auch die Bezeichnung der unsichtbaren Bewältigungskarte ab, die nicht die offizielle und damit sichtbare gesellschaftlich geprägte Welt, sondern die von den Jugendlichen selbst konstituierte Lebenswelt meint (Reutlinger 2007: 136). Auch die vorliegende Arbeit verfolgt im Sinne der Subjektzentrierung (vgl. Jugendgeographien) einen solchen Ansatz des Bestimmens unsichtbar bzw. unausgesprochen gebliebener Bedeutungen. Jugendliche Raumaneignung – Jugendliche Raumpioniere (Raum-)Aneignung in sozialräumlicher Perspektive weist Ähnlichkeiten zu der Konzeption auf, wie sie im daran anschließenden Teil (Kap. 2.3.2) spezifisch für den geographiedidaktischen Kontext entwickelt wird. Nicht außer Acht gelassen werden darf jedoch, dass Raumaneignung immer auch Produktion, d.h. Herstellung von Räumen ist und Subjekte nicht allein aufgrund vorgegebener Strukturen handeln. Die durch die Jugendlichen vollzogenen Regionalisierungen existieren nie losgelöst vom Stadtraum oder den Räumen der Erwachsenen etc., sondern sind stets eingebettet in gesellschaftliche Strukturen, sind also immer strukturiert als auch strukturierend (vgl. Dualität der Struktur, Kap. 2.2.1). Schwerpunktmäßig wird sich in jugendorientierten Projekten in urbanen Räumen unterschiedlicher Modi der Raumaneignung vor eben diesem Hintergrund der Ermöglichung und Einschränkung von Handlungen gewidmet, wobei

114 | U RBANES R ÄUMEN

die »Pädagogisierung des öffentlichen Raums« (Wehmeyer 2013: 11), die gegen die als zweckfrei verstandene Betätigung der Jugendlichen angehen will, als Hindernis angesehen werden kann, die Raumaneignung Jugendlicher in besonderer Weise strukturiert. Muri und Friedrich (2009) gehen in ihrer Studie der Frage nach, »wie Kinder und Jugendliche mit der gestalterischen Perfektion der Außenräume umgehen« (ebd.: 108) und fokussieren dabei die intergenerationalen Beziehungen und Aushandlungsprozesse im Vergleich mit Erwachsenen. Untersuchungsraum war ein neu entstehender Stadtteil im Norden Zürichs. Neben den nonverbalen Handlungspraxen wird hier ebenso die Rolle der Sprache als Mittel der Raumaneignung Jugendlicher bekräftigt (ebd.: 160). Am Ende formulieren die Autoren aufbauend auf ihren vielschichtigen raumanalytischen, ethnographischen und erziehungswissenschaftlichen Untersuchungen einige gestalterische Qualitäten öffentlicher Räume als Rahmenbedingungen für Kinder und Jugendliche (ebd.: 189f.). Demnach ist eine »selbstbestimmte, beliebige Nutzbarkeit des Wohnumfeldes« (Monzel 2007: 121) nur dann möglich, wenn bestimmte Handlungsweisen nicht schon durch geplante strukturelle Vorgaben erzwungen werden, sondern Spielraum lassen für ein Sowohl als auch (vgl. auch Friedrich 2011; Fuhrer 2008: 437f.). In den Diskurs um jugendliche Raumaneignung fügen sich die sich aktuell vermehrenden Stadtteilführungen, die von Jugendlichen bzw. Schülerinnen und Schülern geplant und durchgeführt werden (z.B. Nürnberg: »Südstadtkids«; Berlin: »Wir sind Berlin gUG«; »Route 65«). In dem Projekt »Wir sind Kreuzberg« entwickeln Jugendliche der Klassenstufen 8 bis 10 im Rahmen des Schulunterrichts Stadtführungen in ihrem Kiez. »Bei der Entwicklung der Touren beschäftigen sie sich mit ihrem Stadtteil, mit ihrer eigenen Geschichte, mit sich selbst.« (Hermann 2012) – d.h. als Experten sind sie größtenteils für die Auswahl der Stationen des Stadtrundgangs zuständig. Über Interviews, Besuche in Institutionen, Befragungen von Passanten oder auch mithilfe von Fotos oder Videos werden Räume ganz vielfältig erkundet und dargestellt. Darüber hinaus wird v.a. der Mehrwert betont, der in der Ausbildung sozialer Kompetenzen der Jugendlichen liegt. Eine institutionalisierte Form weisen die Projekte des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) auf, die im Rahmen des Forschungsfeldes »Jugendliche im Stadtquartier« seit 2009 bereits 56 Modellvorhaben und zwei Jugendfonds verwirklichen und dabei stets Anregungen für die Arbeit mit Jugendlichen erreichen konnten (Haury 2012). Ausgangspunkt ihrer Programme ist die Annahme, dass Jugendliche zwar oftmals nicht über ausreichend Hintergrundwissen zu bestimmten erwünschten Raumnutzungen verfügen, doch gerade dadurch auch ihre Weisen der Aneignung von Räumen in der

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 115

Stadt kreativ und unvorhergesehen in Erscheinung treten (ebd.). Nicht umsonst wird von Jugendlichen als Raumpionieren gesprochen, die innovative Vorstellungen zur Gestaltung und Nutzung ihres Lebensumfeldes bereithalten. Wenn Jugendliche aufgefordert sind, eigene planerische Ideen umzusetzen, benötigen sie oftmals nur geringe finanzielle Hilfe, weswegen ein Jugendfonds »Jugend bewegt Stadt« vom BBSR eingerichtet wurde, über den eine schnelle Unterstützung für kleinere Projekte gewährleistet werden kann (ebd.). In einem weiteren Forschungsprojekt der Wüstenrot Stiftung, das sich an erste Untersuchungen aus dem Jahr 2003 zu »Jugendlichen in öffentlichen Räumen der Stadt« anschloss, wurde mithilfe eines interdisziplinären Teams den Fragen nachgegangen, wie Jugendliche ihre Stadt – konkret Hannover – wahrnehmen und welche Räume sie wie subjektiv konstruieren. »Wesentliches Ziel war es, über die Untersuchung der eher unspektakulären Raumpraxis der Mehrzahl der Jugendlichen Konsequenzen für die Praxis aufzuzeigen«39 – mit dem Ergebnis, dass fünf verschiedene Typen von Raumkonstruktionen von Jugendlichen erarbeitet und in dem Band »Stadtsurfer, Quartierfans & Co.« (Wüstenrot Stiftung 2009) veröffentlicht wurden. Untersuchungsgruppe waren Schüler einer 7., 9. und 12. Jahrgangsstufe einer integrierten Gesamtschule, mit denen Kartenabfragen mit Kurzinterviews, jeweils zwei Tagesprotokolle erfragt und ein WerkstattModellbau-Projekt durchgeführt wurden. In letzterem ging es darum, Jugendliche ihr Hannover in einem Modell darstellen und kurz erläutern zu lassen. Alle Methoden wurden jeweils an einem Schul- und Samstag durchgeführt (ebd.: 27), um unterschiedliche Bewegungsmuster abhängig von der Schul- und Freizeit aufgreifen zu können. In einer experimentellen Intervention im öffentlichen Raum wurden ausgewählte Jugendliche anschließend beobachtet und erneut einzeln interviewt (ebd.: 20). In den herausgestellten Typen wurden auch Faktoren wie »Alter und Geschlecht sowie der entscheidende Einfluss der Entfernung von Elternhaus und Schule für die Raumnutzung und Raumwahrnehmung der Jugendlichen« (ebd.: 7) miterfasst. Aus insgesamt 66 verschiedenen Nutzungsmustern der Jugendlichen gelangen die Forscher über das Aufstellen zentraler Raumhandlungskategorien zu fünf Tendenzen jugendlicher Stadtraumkonstruktionen. Die Typenbildung liest sich wie folgt (ebd.: 56):

39 Quelle:

http://www.urbanelandschaften.de/?page_id=663

22.11.2014).

(letzter

Zugriff:

116 | U RBANES R ÄUMEN • •

• •



Häusliche Quartierfans: starke Wohnquartierorientierung, Fortbewegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad; Pragmatische Quartierflitzer: Konzentration der Situationen im Wohnquartier, Ergänzung von vereinzelten Handlungssituationen abseits des eigenen Stadtteils, Verkehrsmittelwahl abhängig von der Distanz; Spontane Stadtsurfer: homogene Verteilung über den Stadtteil, Wohnung liegt relativ zentral, Nutzung aller Verkehrsmittel; Mobile Stadtfahrer: weit auseinander liegende, einzelne Handlungssituationen, Schule und eigene Wohnung liegen weit auseinander, angewiesen auf den ÖPNV; Kommunikative Stadthopper: Situationen sind extensiv über die Stadt verteilt, vor Ort zu Fuß und stadtweit mit dem ÖPNV unterwegs.

Diese Typenbildung erlaubt es, zunächst für den konkreten Raum Hannover, Konsequenzen für eine Jugend-bedürfnisorientierte Planung und Gestaltung abzuleiten. Stadtraum als Möglichkeits- und Lernort Urbane öffentliche Räume sind ganz wesentlicher Bestandteil und Voraussetzung für die Entfaltung der Menschen. Sie besitzen Orientierungs- sowie Identifikations-Funktionen (Wüstenrot Stiftung 2003: 15). Urbanität lässt sich aber nicht allein aus den materiellen Gegebenheiten einer Stadt ableiten, sondern wird erst durch die Menschen definiert, die öffentliche und private Räume jeweils unterschiedlich aushandeln und als solche bestimmen. Urbane (öffentliche) Räume bieten heutzutage ein breites Spektrum an Möglichkeiten ihrer Nutzung und Gestaltung, gelten sie doch nicht mehr als unzähmbarer, gefährlicher Moloch, in dem das einzelne Subjekt untergeht, sondern geradezu als »[u]rbane Spielräume« (Kessl/Reutlinger 2013), in denen die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Betätigung zunehmend verschwimmen. Es zieht wieder mehr Menschen in die Städte, und das »ohne dass es eine Kampagne gäbe, gar eine Staatsinitiative zur Reurbanisierung« (Rauterberg 2013). Ob im großen oder kleineren Rahmen – Stadtentwicklung, Stadtgestaltung, Stadtplanung – kurz, Urbanismus findet aktuell immer mehr »von unten« statt (Rauterberg 2013). Sogenannte Raumpioniere arbeiten daran, um neue Ideen in unterschiedlichsten Räumen umzusetzen. Schon Kindergartenkinder agieren als solche: Im Rahmen des Projekts »Kultur(t)räume – Frühkindliche Bildung kreativ« bspw. erforschten sie ihre Straße im Hinblick auf Störfaktoren und mögliche Verbesserungen, befragten Anwohner, gingen auf Foto-Streifzug und stellten Zukunftsmodelle ihrer Wunschvorstellungen her (GfZK 2012). Raumaneignung zeigt sich aktuell in

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 117

der Form, dass vermehrt auch künstlerisch-ästhetische Elemente darin einfließen. Auf einmal nimmt man gestrickte Mützen oder bunte Schals wahr, die um Bäume gewickelt werden. »Raus auf die Straße« heißt es musterhaft bei Rauterberg (2013), denn es sind gerade diese kleinen Schritte, diese »urbane Akupunktur, die mit wenigen Stichen die städtische Energie im Körper der Stadt wieder fließen lässt« (ebd.). Natürlich gilt es dabei auch, das Nützliche mit dem Schönen zu verbinden, »[u]rbane Räume als ästhetische Spiel- und Lernwelten« (Zacharias 2013) zu begreifen. Temporäre Nutzungen – solche, die den Raum für wenige Tage bereichern – haben ihren besonderen Reiz und es gehört schon fast zum Bild der Stadt, wenn Zwischennutzungen auf Brachflächen nach einiger Zeit wieder aufgelöst werden und anderen Nutzungen weichen (müssen). Wenn festgestellt werden kann, dass das Wissen über und damit die Aneignung des – nicht nur, aber vor allem – urbanen Raumes unter einem anderen Vorzeichen stattfindet, dann vor allem auch aus folgendem Grund: Kinder und Jugendliche werden als deren Akteure (neu) entdeckt. Dass sie »in den Zentren unserer Städte schlechte Karten [zu] haben« (Haversath 2002b: 18), kann so pauschal nicht mehr gelten, denn »Stadtentwicklung mit Kindern und Jugendlichen hat Konjunktur.« (Ohl 2009: 1) Auch sie sind von alltäglichen Fragestellungen ihres Lebensumfeldes betroffen. »Jugend.Stadt.Labor«, eine Initiative des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) widmet sich dezidiert solchen Themen und versucht in Modellvorhaben, Jugendliche in Fragen aktueller stadtpolitischer Entscheidungen einzubeziehen. Publikationen, die sich wissenschaftlich mit dieser Form der Partizipation auseinandersetzen, sowie Leitfäden für erfolgreiche Planungen dazu stellen die Initiatoren oft selbst zur Verfügung (vgl. BBSR 2013a). »Jugendorientierte Stadtentwicklung hat das Potenzial, vielfältige spannende Projekte hervorzubringen, die sich von den etablierten Vorstellungen der Erwachsenen stark unterscheiden.« (BBSR 2013b) Gerade dieses Spannungsfeld der unterschiedlichen Akteursauffassungen und ihrer Vorstellungen von Raumaneignung wird im Weiteren herauszuarbeiten sein. Um den Blick wieder auf das Lokale zu fokussieren, sei ein Beispiel aus Nürnberg erwähnt, wo Jugendliche durch einen Jugendfonds unterstützt kleinere Projekte in ihrer Stadt ins Leben riefen. Zum Thema »Jugend bewegt Stadt« entwickelten sie u.a. einen Frisbee-Golf-Parcours und ein Slackline-Mobil (BMVBS 2012). Jugendliche beschäftigen sich mit aktuellen Themen des urbanen Raumes, besonders ihres Heimatraumes. Dabei geht es um schrumpfende Städte, die Gestaltung brachgefallener Flächen, geänderte Mobilitätsformen, den Einsatz neuer Medien, Ernährungssicherung, DIY-Projekte, Tauschsysteme oder die Nutzung öffentlicher Plätze vor dem Hintergrund (scheinbar) festgeschriebener Normen und Regeln.

118 | U RBANES R ÄUMEN

»Als Räume der Heterogenität, der Begegnung mit Unbekanntem und der Erfahrung von Fremdheit, Irritation und Verunsicherung können urbane öffentliche Räume auch als Orte gesehen werden, die prädestiniert dazu sind, Lern- und Bildungsprozesse auszulösen.« (Thuswald 2012) Dies geschieht über die schöpferische Aneignung und Nutzung von – als Möglichkeitsräume konzipierte – Räumen. Mittels eines Verständnisses, welches Stadt nicht nur als (Container)Raum, gefüllt mit Menschen und gebauten Strukturen sieht, wird die Vielfalt an Möglichkeiten der Raumaneignung deutlich, da über Handlungen ganz unterschiedliche Wirklichkeiten ein und desselben Raumes entstehen können. Gleichzeitig manifestieren sich auch Konfliktpotenziale, die es gilt, zu erkennen und zu lösen. Damit wird Stadt zu einem potenziellen Lernort für deren Akteure. Zudem stehen »Sozialisationserfahrungen in städtischen Räumen und Gesellschaften in besonderem Zusammenhang mit Identitätsbildungsprozessen« (Muri/Friedrich 2009: 176) von Kindern und Jugendlichen. Demnach ist Bildung auch räumlich – sie findet in unterschiedlichen Räumen der Stadt als Produktion eigener Räume statt. Doch so ersichtlich, wie das erscheinen mag, ist die Verknüpfung zwischen Bildung und Stadt(-Planung) nicht, da diese streng genommen zwei getrennte Bereiche darstellen (Kessl/Reutlinger 2013a: 7) und die Zusammenarbeit städtischer Einrichtungen mit Kindern und Jugendlichen bzw. deren eingesetzten Vertretern teilweise noch ungewohnt erfahren wird (Ohl 2009: 3). Bildungsprozesse finden also nicht zwangsläufig in der Stadt statt. Das Konzept der »Bildungsräume« bzw. auch Bildungslandschaften greift die Dualität, d.h. die Wechselwirkungen zwischen beiden Konzepten auf (Kessl/Reutlinger 2013b: 25): Auf der einen Seite sind gewisse vorgegebene Strukturen, sei es im Stadtraum allgemein oder der Architektur im Speziellen, förderlich für Lern- und Bildungsprozesse (Stichwort Pädagogische Architektur; vgl. u.a. Hasse 2010b; Schneider et al. 2012; Schönig 2013; Schröteler-von Brandt 2012)40, gleichzeitig werden solche Räume aber erst durch die Handelnden hergestellt, die dann im Nachhinein als Bildungsräume erklärt werden können, wobei der Schwerpunkt hier v.a. auf informeller Bildung liegt. Den kreativen, freiwilligen Aneignungsprozess unterstützen demnach offene Schulumgebungen; »Schulen müssen ›unfertig‹ sein, die Schüler und Lehrer geradezu auffordern, sie erst zu ›ihrer‹ Schule zu machen, sie ihren besonderen (wechselnden) Bedürfnissen entsprechend einzurichten oder umzubauen.« (Becker 1997: 217) Schulgebäude sind aber noch viel mehr; sie

40 Diese Bemühungen sind von der eher negativ konnotierten »Pädagogisierung« (vgl. Wehmeyer 2013: 11) abzugrenzen, da sie einer Ermöglichung, und weniger der Einschränkung von Handlungen, dienen sollen.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 119

sind »ein Schlüssel zum Verständnis der Stadt, ihrer Bewohner und Kultur. Schulgebäude geben Auskunft über Stadtentwicklung, Stadtquartiere und pädagogische Programme im historischen Wandel« (Ernst 2002: 22) – sollten demnach auch Teil geographieunterrichtlicher Auseinandersetzungen sein. Dyment, Bell und Lucas (2009) plädieren für zusätzliche Gestaltungs- und grüne Elemente, um die Bewegung von Kindern speziell auf dem Schulgelände zu fördern. Raumaneignung findet v.a. auch aktuell unter einem geänderten Vorzeichen statt, da traditionelle Formen der Planung zunehmend von Modellen abgelöst werden, die die aktive Beteiligung der Bürger sowohl in Planungs- als auch Durchführungsprozessen mit einbeziehen (vgl. dazu ausführlicher Ohl 2009: 39ff.). Exemplarisch, da nachhaltig in seiner Wirkung, hierfür steht das Projekt »Park Fiction«, das seinen Ausgangspunkt in Hamburg in den 1990er Jahren nahm. Damals wehrten sich die Bürger dagegen, »dass das letzte Grundstück mit freiem Blick auf Elbe und Hafen verkauft und mit Apartmentblöcken zugebaut würde« (Laimer 2012). Über einen intensiven Austausch mit den Bewohnern gelang es bis 2004, einen Park zu schaffen, der – getragen vom »Recht auf Stadt« (vgl. Lefèbvre »Le droit à la ville«, 1968) – deren Wünsche verwirklichen sollte und heute als künstlerisches Projekt weiterhin rege von Besuchern und Bewohnern als grüne Oase innerhalb der Stadt genutzt wird. Besonders auch für Jugendliche wird die Stadt zu einem Betätigungsfeld, in dem sie nicht nur ihre schulische als auch freie Zeit verbringen, sondern auch in politisch aktuelle Fragen einbezogen werden. Nicht zuletzt ist das als ein Zeichen der Zeit zu sehen, in der Kinder und Jugendliche an Prozessen beteiligt werden sollen, die vormals anderen Instanzen vorbehalten waren. Man bemüht sich allgemein um eine akteursspezifische Ausgestaltung urbaner Räume, die Rücksicht nimmt auf weite und unterschiedliche Teile ihrer Bevölkerung. »Ziel von Stadtentwicklungsprojekten mit Kindern und Jugendlichen ist es stets, raumbezogene Sichtweisen junger Menschen zu erfassen, um die Qualität und Akzeptanz von Planungen im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu steigern.« (Ohl 2009: 2) Dennoch erscheint es schwierig, allgemeingültige Konsequenzen für weitere Planungen abzuleiten, die auch übertragbar sind auf andere (städtische) Kontexte. Wie Löw (2011a) zeigt, haben Städte ihren Eigensinn bzw. eine Eigenlogik, die je spezifisches Handeln notwendig machen, im Kleinen wie im Großen. Das zeigt sich u.a. an den Handlungen der Menschen selbst. »Wenn man eine Gruppe beobachtet, die gemeinsam aus einer japanischen Stadt nach Deutschland immigriert und in unterschiedlichen Städten landet, sieht man, dass diese nach einem Jahr unterschiedliche Japaner sind – je nach Stadt.« (Ebd.: 35) Das soll hier nur als Anstoß gelesen werden, um zu zeigen, dass auch Ju-

120 | U RBANES R ÄUMEN

gendliche in Städten je unterschiedlich mit vorhandenen Gegebenheiten umgehen und Raumaneignung damit immer kontextspezifisch stattfindet – Handlungsempfehlungen dabei aber keineswegs als überflüssig verstanden werden sollen. In einem der ersten Projekte der Wüstenrot Stiftung (2003) wurde genau das getan: untersucht wurde, wie sich Jugendliche die öffentlichen Räume ihrer Stadt aneignen, um daraus planerische und gestalterische Konsequenzen abzuleiten. Hierfür wurden sechs verschiedene Raumtypen definiert: Räume im Wohnumfeld, Grünbestimmte Freiräume, Jugendzentren, (Fußgänger-)Straßen, Zentrale Stadtplätze und Brachen (ebd.: 33f.). Diese wurden jeweils einführend in ihrer historischen Entwicklung dargestellt, bevor die sozialräumliche Situation der Jugendlichen geklärt und ihre Tätigkeiten vor Ort bestimmt wurden, um am Ende jugendliche Raumnutzung und -aneignung vergleichend darzustellen. Zentrales Element der Untersuchungen waren experimentelle Raumveränderungen. Da in allen der sechs Raumtypen gewissen Anforderungen von Jugendlichen nicht entsprochen wird, sich Jugendliche dort nur begrenzt entfalten können (ebd.: 235), wurden Experimente durchgeführt, durch die Räume u.a. temporär bewusst so geändert wurden, dass Jugendliche ihren Tätigkeiten nachgehen konnten, wobei auch untersucht wurde, inwiefern sie dadurch andere Akteursgruppen beeinflussten. Die Jugendlichen wurden entweder direkt, indirekt (z.B. durch ein beschriftetes Tuch »Für Jugendliche zum Aufbauen«) oder gar nicht explizit aufgefordert, vor Ort tätig zu werden, wobei sich generell mehr Jüngere (bis 15-Jährige) spontan an der Nutzung beteiligten (ebd.: 235). »Junge Menschen haben starke, eigene Vorstellungen zur Gestaltung ihres Lebensumfeldes.« (BBSR 2013c). Diese sollen auch in dem Arbeitsfeld der »Jugendorientierten Stadtentwicklung« des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung berücksichtigt werden, wobei im Konzept des Projekts »Jugend.Stadt.Labor« explizit Wert darauf gelegt wird, dass sich die Vorstellungen der Jugendlichen »von den etablierten Vorstellungen der Erwachsenen stark unterscheiden« (BBSR 2013b). Jugendlichen wird damit ein Raum zugesprochen, in dem sie gemeinschaftlich Stadt mitgestalten dürfen und neben ihrer schulischen Aktivität in kollektive, lebensnahe Bildungsprozesse eingebunden werden (vgl. die sechs Thesen des BBSR zum Projekt »Jugend.Stadt.Labor« (ebd.)). Für die Raumaneignung der Jugendlichen bedeutet das vor allem, dass sie innerhalb eines vorgegebenen Rahmens und mit Hilfestellungen eigene Ideen zur Gestaltung und Nutzung ihrer Räume diskutieren und verwirklichen können. Dabei lernen sie, eigene Sichtweisen und Interpretationen zu formulieren und sich bewusst mit anderen Deutungen auseinanderzusetzen.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 121

Drei Formen unmittelbarer Beteiligung von Kindern und Jugendlichen (in der Stadtplanung) lassen sich festhalten (vgl. Ohl 2009: 60): repräsentativ, offen und projektorientiert, wobei hauptsächlich letztere Verfahren umgesetzt werden (ebd.: 65). In repräsentativen Formen der Beteiligung sind Rechte und damit Handlungsmöglichkeiten i.e.S. formal festgelegt; es gibt zentrale Gremien, die bspw. die Einhaltung bestimmter Regeln überprüfen. Offene Formen hingegen erlauben ein eher spontanes Partizipieren der Kinder und Jugendlichen (ebd.: 64), wobei ersichtlich wird, dass ernst zu nehmende Fragen der Stadtentwicklung darüber nur schwer zu realisieren sind. »[D]ie Orientierung an der konkreten Betroffenheit der Adressaten« (ebd.: 66) in projektorientierten Beteiligungsmodellen wird als eines der positiven Kriterien dieser Form von Beteiligung gesehen. In einer empirischen Untersuchung, die sich mit den Wirkungen institutioneller Rahmenbedingungen und Akteursfähigkeiten sowie Akteurskonstellationen auf die Beteiligung in Kinder- und Jugendprojekten auseinandersetzte, konnte nachgewiesen werden, dass Beteiligungsprozesse eher darunter leiden, als Zwang oder aufgedrückte Aufgabe durchgeführt zu werden (ebd.: 345). Erfolgreiche Partizipation resultiert demnach »fast immer aus erfolgreichen strategischen Koalitionen« (ebd.: 348). Als eine zentrale Konsequenz aus der Schwierigkeit des Zugangs zu Kindern und Jugendlichen als auch sie über einen längeren Zeitraum in den Projekten beteiligt zu halten wird deswegen eine stärkere Zusammenarbeit mit Schulen vorgeschlagen, damit bspw. auch Lehrer den Mehrwert der Arbeit mit außerschulischen Lernpartnern erkennen (ebd.: 359). Als schwierig stellt sich heraus, Jugendliche in der Schule an »Partizipation heranzuführen« (Moser 2010: 323), sie aktiv werden zu lassen, da für sie Schule und Freizeit zwei unterschiedliche Bereiche darstellen; die Schule vielmehr ein Ort der Leistungserbringung ist und außerschulisch anderen Handlungsweisen nachgegangen wird (ebd.). Die Tatsache, dass Jugendliche öffentliche Räume ganz unterschiedlich nutzen und bewerten, ist wiederum auf unterschiedliche Variablen zurückzuführen. Oftmals wurden in vergangenen Studien die physischen Strukturen der jeweiligen Räume hinsichtlich der Raumaneignungsmöglichkeiten untersucht, wobei die Attraktivität eines Wohngebietes von den Kindern ganz eigen eingeschätzt wird (Krause 1999: 19) und bspw. weniger mit scheinbar hässlichen Qualitäten zu tun hat als mit den sozialen Kontakten (Rauschenbach/Wehland 1989, in Krause 1999: 19). Entscheidend ist, dass in der Untersuchung zur Raumaneignung die Sicht der Kinder und Jugendlichen selbst in den Blick genommen wird bzw. werden sollte, um daraus Konsequenzen für die Praxis ableiten zu können. Noch lückenhaft existiert dieses Verständnis in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu Fragen der Nutzung und Gestaltung öffentlicher Räume. Eine Begründungslinie

122 | U RBANES R ÄUMEN

kann dahingehend gezeichnet werden, dass sich in früheren Auseinandersetzungen zur Aneignung von Raum bei Kindern allein quantitativ genähert wurde und das Konzept des Lebensraumes bzw. der Lebenswelt mit je unterschiedlichen Bedeutungen bereits im Vorfeld durch die Forschungsanlage aufgeladen war (vgl. Krause 1999: 18) – nicht also von den Probanden selbst definiert wurde. Vor diesem Hintergrund wird auf intensive Ausführungen zu Studien der Aneignung öffentlicher Räume durch Kinder bzw. Jugendliche verzichtet, da diese im vorliegenden Zusammenhang als weniger gewinnbringend erscheinen. Oft zeigen sich Hindernisse jener Untersuchungen in den bereits durch die Forschenden gesetzten (sprachlichen) Zuschreibungen, die von den Kindern und Jugendlichen anders interpretiert und verstanden werden bzw. gewisse Vorstellungen zu selbstverständlich als dass sie von den Beforschten bewusst artikuliert werden (ebd.: 23). Verwiesen sei dennoch auf eine lohnende Zusammenfassung von Studien zu den Einflüssen von Mobilität auf die Raumaneignung bei Krause (1999). In einer aktuellen Untersuchung zur Aneignung von Sozial-Raum in Kleinstädten konnten sechs verschiedene Typen jugendlicher Raumaneignung empirisch abgeleitet werden (Wehmeyer 2013: 155ff.), die jeweils drei Bereichen zuzuordnen sind: Tabelle 4: Sechs Typen jugendlicher Raumaneignung in einer Kleinstadt Typ 1 | Geselligkeit und Zugehörigkeit Typ 2 | Spannung und Ungestörtheit Typ 3 | Sport und Aktion Typ 4 | Sehen und gesehen werden Typ 5 | Nutzung vorstrukturierter Räume Typ 6 | Öffentlicher Raum als Durchgangsraum

A) intensive Nutzung des öffentlichen, häufig informellen und unstrukturierten Raums B) nur eingeschränkte Nutzung öffentlicher nicht strukturierter Räume C) öffentlicher Raum wird für Treffen so gut wie nicht genutzt

Quelle. Wehmeyer 2013: 162ff.

Diese Typenbildung soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Scheint es auf den ersten Blick als nicht ungewöhnlich, solche Muster der Nutzung öffentlicher Räume in ihrer Freizeit zu erkennen, geht es aber in einem weiteren Schritt darum, Empfehlungen daraus für die konkrete Stadtplanungspraxis abzuleiten. Die Autorin kommt zu den Schlussfolgerungen, dass sich eine Trennung von funktionalen als auch sozialen Raumeinheiten, z.B. über die bewusste Abgrenzung von Wohn- oder Erlebnisbereich oder das Trennen von Älteren und Kindern nachtei-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 123

lig auf die Nutzung des Raumes auswirkt. »Durch eine Trennung der einzelnen Lebensbereiche werden Kinder und Jugendliche der Möglichkeit beraubt, einen homogenen Handlungsraum zu entwickeln« (Wehmeyer 2013: 231) – wobei dies hinsichtlich der praktischen Umsetzung nicht ohne Hürden erscheint. Ist der Spielplatz vor dem Wohnblock auch wirklich allen Anwohnern recht? Öffentliche Räume, v.a. die Innenstädte sollten darüber hinaus wieder »einen kommunikativen Charakter bekommen« (ebd.: 232), an dem sich Menschen – und auch Jugendliche, gern treffen und austauschen, ohne dass bestimmten Nutzergruppen bestimmte Räume zugewiesen werden. Weniger innovativ, aber genauso wichtig ist die Forderung, Jugendlichen eine Stimme zu geben und ihre Anregungen und Wünsche auch zu erhören und in Entscheidungen einzubeziehen (ebd.). Gleichzeitig, und das sollte für jegliche Arbeiten in diesem Kontext gelten, ist die jeweils spezifische, andere Nutzung unterschiedlicher Akteursgruppen in das Bewusstsein eines jeden zu rufen; sind Konflikte anzusprechen und offen zu verhandeln. Das kann bspw. in kleinen Experimenten passieren (vgl. Wüstenrot Stiftung 2003: 235), die den Beteiligten die Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten aufzeigt und Spannungen auf einer spielerischen Ebene thematisiert. Denn nicht das bloße mit-dem-Finger-auf-die-Bösen-Zeigen löst das Problem oder wird Jugendliche die Musik im Park leiser stellen. Und das müssen nicht nur Jugendliche, sondern alle Beteiligte der Gesellschaft als ihre Aufgabe verstehen. Schule, Kommune und Ortsbezogenheit Vor dem Hintergrund zunehmender Individualisierung und Entankerung lösen sich traditionelle – auch familiäre – Beziehungsmuster auf. Das macht sich u.a. darin bemerkbar, dass kaum mehr Vereine gegründet werden oder sich kulturelle Einrichtungen auflösen. Der Neurobiologe Gerald Hüther sieht darin einen Verlust sozialer Fähigkeiten (Varol 2013), verbunden mit Folgen für die Raumaneignung und -gestaltung in den Kommunen. Vor seinem professionellen Hintergrund betont er die positive Wirkung von emotionaler Verbundenheit mit der eigenen Kommune. Seine Idee der »Kommunalen Intelligenz« liest sich wie folgt: »Die Veränderung hin zu lebendigen Gemeinschaften muss von innen kommen. Sie beginnt im Kopf jedes Einzelnen, so Hüther. Vernetzungen im Gehirn die uns zu kreativen Gestaltern zukünftiger Gesellschaften machen, entstehen durch Vernetzungen in der Gemeinschaft. Lernen funktioniert nur durch eigene Erfahrungen und verschiedene Vorbilder. Je mehr Wissen ein Kind durch Austausch mit anderen sammelt, desto flexibler kann es das später kombinieren, um komplexe Herausforderungen zu lösen. Da, wo es kaum noch Großfamilien gibt, muss eine lebendige Kommune Begegnungsräume schaffen. Für Jung und Alt, Arm und Reich, Single und Kleinfamilie. So entstehen neue, emotionale

124 | U RBANES R ÄUMEN Beziehungssysteme. Wer durch Emotionen lernt, lernt nachhaltig. Und wer sich mit mehr Eigenverantwortung für eine Gemeinschaft einsetzt an der sein Herz hängt, statt sich auf abstrakte, ineffiziente Verwaltungen zu verlassen, der spart am Ende sogar Ressourcen. Das ist kommunale Intelligenz.« (Varol 2013)

Kommunale Intelligenz will damit schulische und außerschulische Bildung als einen gemeinsamen Bereich verstanden wissen. Hüther geht es vor allem um Erfahrungen, und nicht die reine Vermittlung von Wissen i.w.S. Unter dem Begriff der Community Education befasst er sich (Hüther 2013: 84ff.) mit konkreteren Strategien, über die Kommunen zu einer neuen Lernkultur beitragen können. Einen ähnlichen Ansatz formulierte bereits Coelen (2002) unter dem Titel der Kommunalen Jugendbildung, die besonderen Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendbildung legt. Das Konzept der aus Großbritannien und den USA stammenden community education weist Ähnlichkeiten und Anknüpfungspunkte zu Hüthers Gedanken auf, wie Bildung durch und mit der Kommune stattfinden kann (vgl. auch Buhren 1997), die über deren räumliche Gebundenheit hinausgeht und dabei konkret die Lernenden in die Lage versetzen soll, sich an übergreifenden Fragestellungen und deren Aushandlung zu beteiligen. Es geht folglich um »eine staatsbürgerliche Grundausbildung [...], die durchaus orts- und regionsbezogen orientiert ist, aber primär das Soziale und Politische erfahrbar macht« (Daum 2006a: 84). Damit sei hier nur kurz auf die Bedeutung von Raumaneignung im Großen verwiesen, die im besonderen Kontext von Geographieunterricht noch weiter zu konkretisieren sein wird. Im Rahmen der Diskussionen um die Öffnung der Schulen haben sich bis zum heutigen Zeitpunkt ganz verschiedene Modelle herauskristallisiert, die der Forderung nach der Integration vielfältiger Bildungsorte gerecht werden wollen, z.B. die Stadtteiloder Gemeinwesenschule, die Nachbarschaftsschule, die Schule in sozialen Brennpunkten, die Straßenschule, die Schule am Bahnhof oder Stadt-als-Schule (Fritsche/Rahn/Reutlinger 2011: 45). Besondere Bedeutung kommt der Aneignung von Räumen in dem Sinne zu, dass dadurch ein individueller Bezug zum Raum hergestellt wird, auch wenn das oftmals unbewusst passiert. Hierbei spielen Prozesse der Bedeutungszuweisung eine entscheidende Rolle, ist doch die Aneignung eine Form der Auseinandersetzung mit der »Eigenlogik« (Berking/Löw 2008) des spezifischen räumlichen Kontexts. Gleichzeitig muss erkannt werden, dass »in der Moderne [...] Raumerleben nicht als Platzbezug, sondern als Bewegungsbezug erfahren« (Wöhler 2008: 73) wird, nicht zuletzt, da Handlungen möglichst schnell und effektiv ablaufen müssen und der bewussten Aufmerksamkeit des Umfeldes kaum mehr

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 125

Zeit eingeräumt wird. Doch gerade die Ausprägung einer Verbundenheit mit dem jeweiligen Raum ist Grundlage für gesellschaftliche Partizipation. Das bedeutet keineswegs, dass jeder Ort als schön oder angenehm empfunden werden, aber eine Verortung im Sinne bewusster Wahrnehmung stattfinden muss. Dies geschieht als wechselseitiger Prozess, indem eine individuelle Identifizierung mit der physisch-materiellen Welt stattfindet und dem Raum eine Identität (d.h. Bedeutung) zugewiesen wird. Speziell in der Architektur wird von einem genius loci gesprochen, dem »Geist eines Ortes« (Lexikon48.de). Das bedeutet, dass dem Ort, an dem sich bspw. ein Gebäude befindet oder der sich angeeignet wird, eine besondere Bedeutung i.S. einer Ortsspezifität anhaftet, aber dessen Wertigkeit sich nicht allein aus quantitativ bestimmbaren Merkmalen zusammensetzt, sondern vielmehr als Interpretationsleistung des Subjekts entsteht. Zusammengefasst heißt das, dass sich detailliert mit dem Ort auseinandergesetzt werden muss, um seine Logik zu erkennen. In diesem Sinne erfordert Raumaneignung ein Bewusstsein des Handelnden um die räumlichen Strukturen und dessen Eigenheiten. Dann auch wird der Ort zu einem Bildungsraum. Nicht minder bedeutsam ist dabei die Bewegung, das Laufen bzw. Gehen vor Ort, denn »Raumerfahrung entwickelt sich durch die Bewegung des Körpers im Raum« (Braun 2007: 135), erfordert also auch motorisches Lernen, das untrennbar ist von kognitiven Prozessen der Raumaneignung: viel Wissen über eine bestimmte Sportart zu besitzen, wird niemanden dazu befähigen, sie auch perfekt ausüben zu können (vgl. Braun 2004: 43). Erst über die tätige Auseinandersetzung vor Ort kann sich Wissen entfalten und neu konstruiert und damit die kognitive Karte eines Jeden erweitert werden (Downs/Stea 1982: 106). Im Gehen stellen wir Räume her, machen sie zu dem, was und wie sie uns erscheinen.41 »Es war Michel de Certeau, der dem Gehen die Fähigkeit zugesprochen hat, Orte nicht nur zu erkunden, sondern sie erst herzustellen« (Söntgen 2012: 35), wobei das ziellose Umherschweifen (vgl. auch Kap. 2.3.2) besonders dazu beitrage. Francis Alÿs betreibt diese Praxis der laufenden Auseinandersetzung mit seiner Umwelt so weit, indem er auf vielfältigen Spaziergängen durch die Straßen Londons die alltäglichen Rou-

41 Um einen bewussten Umgang und die Wahrnehmung der Umwelt anzuleiten, werden an der Universität gar »Spaziergangswissenschaften« gelehrt (Focus Online 2007). Vgl. auch die Beiträge auf der Schweizer Konferenz »Walk 21« aus dem Jahr 2005, die sich mit unterschiedlichsten – auch ästhetischen – Dimensionen des Laufens, von rechtlichen Grundsätzen, dem Einfluss neuer Medien und der Planung von »walkscapes« bis zu Fragen einer »walking culture« auseinandersetzen (Quelle: http://www.walk21.com/conferences/conference_papers.asp?Conference=Zurich; letzter Zugriff: 22.11.2014).

126 | U RBANES R ÄUMEN

tinen der Menschen erforscht und damit die Stadt auf seine Art kartierte oder aber durch das Transportieren eines Eisblocks durch Mexiko Stadt, den er solange – von 9.15 Uhr morgens bis 6.47 Uhr abends – vor sich herschiebt, bis er geschmolzen ist (vgl. Bee o.J.). Auch kleinere Trends, wie das »Street Training«42 verfolgen eine bewusste Auseinandersetzung des Menschen in den Räumen, in denen sie sich bewegen, um unbewusste, gefühlte Grenzen aufzudecken und sich kritisch mit dem eigenen und fremden Verhalten in Räumen auseinanderzusetzen (vgl. dazu auch ähnliche Trends, wie Parkour). Künstlerisch-ästhetische Aspekte von Raumaneignung Dass Subjektivität und Raum bzw. konkret Stadt(-Forschung) eng beieinander liegen, ist nicht grundsätzlich erstaunlich (vgl. Bischoff 2007; Hasse 2002). Zunehmend finden auch ästhetische Kriterien der Wahrnehmung von Räumen Eingang in die Forschung, besonders in Koppelung mit Bewertungen von Natur und Landschaft – denn nicht zuletzt stellen Natur und Umwelt zentrale Elemente des Selbstbildes der Geographie dar (Demeritt 2002: 768). Die sinnliche Wahrnehmung unserer Umwelt ist ein zentrales Element in der Aneignung von Räumen sowie der Aushandlung von Bedeutungen, die ihnen auf der Grundlage subjektiver Wahrnehmung zugewiesen werden. Besonders auch gesellschaftlich verfestigte Deutungen spielen hierbei eine Rolle. So unbeständig bzw. unantastbar, wie sie scheint, ist ästhetische Wahrnehmung aber keinesfalls, denn: »Die Erhaltung der Schönheit und Eigenart des Landschaftsbildes ist [...] einklagbar.« (Franke/Eissing 2013: 141) Das heißt, dass sich prinzipiell gegen Entscheidungen, die das eigene Ästhetik-Empfinden von Landschaft beeinträchtigen, geklagt werden kann. Gerade im Zuge einer Diskussion um erneuerbare Energien, durch die visuell-wahrnehmbar in den Raum eingegriffen wird – z.B. durch den Bau von Windkraftanlagen – ergeben sich mögliche Konfliktpotenziale, die aus einem (romantisierten) Bild von Natur-Landschaft vs. gestalteter Kulturlandschaft resultieren. Nicht minder richtungsweisend dafür waren die Beispiele Stuttgart 21 oder der umstrittene Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden (ebd.: 138). Damit sind Ästhetik und ästhetische Bewertungen der Landschaft, ja allem Räumlichen immanent (vgl. Hasse 1993: 33) und weisen zugleich praktische Dimensionen auf, bspw. in Fragen der Landschafts- und Stadtplanung. Auch deswegen scheint es sinnvoll, solche Fragen zum »Landschaftsverbrauch« (Schöpke 1997: 45) im Geographieunterricht zu thematisieren, da dieser Aspekt zumindest auf einen zweiten Blick die Lebensqualität der Jugendlichen berührt

42 Quelle: http://www.arttransponder.net/index.php?id=78&L=0&type=1 (letzter Zugriff: 22.11.2014).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 127

(ebd.). Dabei sind es vor allem gesellschaftliche Konventionen, die uns Dinge als schön oder hässlich – ästhetisch i.w.S. erkennen lassen (Tessin 2011: 126). Wird ein Bild von einem Park gezeigt, bewerten wir dies intuitiv anders als eine Stadtlandschaft, da wir meinen zu wissen, dass ein Park eine Grün-Fläche zur Erholung und der Ruhe ist; eine Stadt hingegen ein lärmender, geschäftiger Raum. Dass diese Form von ästhetisch-konstruierter Raumwahrnehmung und -aneignung so weit gehen kann, dass Landschaften regelrecht metrisiert werden, zeigt Kugler (1999). In mehreren Phasen entwickelt er ein Verfahren zur Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes, um es objektiv bestimmbar, sprich objektivierbar zu machen, da der Schutz als auch die Planung der Landschaft nur darüber gewährleistet und eingeschätzt werden könnten (ebd.: 129). Ein Kriterium misst z.B. die Ausstattung einer Landschaft. Dies fügt sich in die Tendenz der Ästhetisierung, in deren Folge »[s]ogar die Ökologie [...] weithin zu einer Verschönerungsbranche geworden« (Welsch 1993a: 14) ist. Vor dem Hintergrund geänderter Modi der Raumaneignung, u.a. durch dessen zunehmende mediale Erschließung sowie ästhetisierte Inbesitznahme, kommt i.w.S. künstlerischen Interventionen eine besondere Bedeutung zu. Als ein entscheidender Impulsgeber sei hier die Bewegung der Situationistischen Internationale (SI) erwähnt, die als loser Zusammenschluss europäischer Künstler und Denker ab Mitte der 1950er Jahre für »die Herbeiführung von revolutionärem Wandel durch Änderung der vom Warenfetischismus geprägten sozialen Beziehungen und Schaffung neuer Lebensumgebungen« (Adamek-Schyma 2008: 409) auftrat. Die mit ihr geborene Psychogeographie galt als »explorative Wissenschaft zur Erkundung und Umnutzung des öffentlichen Raumes« (ebd.: 408). Ihre Methoden betonen v.a. das strategische Umherschweifen (»dérive«), durch das der (urbane) Raum näher erkundet wird und von dem ausgehend versteckte, unbewusste Situationen erkannt und umgekehrt werden (»détournement«). Gleichzeitig bedienten sich die Künstler auch geographischer Methoden, die künstlerisch gewendet wurden: So wurden bspw. psychogeographische Bodenprofile der Stadt erstellt, durch die Bereiche aufgezeigt werden konnten, die bestimmte Aktivitäten erleichterten oder erschwerten (vgl. Debord 2002/1956: 332, in Adamek-Schyma 2008: 414). Hinzu kamen Befragungen, die Auswertung von Karten oder Satellitenbildern, um sich die Strukturen der Stadt möglichst vielfältig zu erschließen. Von Relevanz erscheinen diese Praktiken dadurch, dass sie als kritisch-geographische Praxis Räume einer anderen Betrachtungsweise unterziehen. Daraus wiederum lassen sich ästhetische Lernformen ableiten, die nicht mehr allein dem Bereich der Kunst vorenthalten bleiben. Auch andere Disziplinen erkennen den Mehrwert künstlerischer, situativer, und performativer Praxen an,

128 | U RBANES R ÄUMEN

gerade um Partizipation anzuleiten (vgl. Kap. 2.3.2). In Veranstaltungen wird sich vermehrt sowohl theoretisch als auch praktisch mit Fragen künstlerischästhetischer, teilweise spielerischer Aneignung von (urbanen) Räumen auseinandergesetzt.43 Auffällig häufig werden innerhalb dieser Diskurse die Begriffe Kunst, Kultur und Ästhetik verwendet. Genau dies ist als Teil einer sozialen Ästhetisierung zu deuten, in dem Sinne, dass jene Konzepte auch das (wissenschaftliche) Denken zunehmend beherrschen. Aber »Kunst ist weder ein Feigenblatt der Gesellschaft, noch eine Beilage, wie z.B. Ketchup zu Pommes.« (REINIGUNGSGESELLSCHAFT 2011). Kunst soll also nicht nur verschönern oder Unliebsames verdecken, sondern eine (reflexive) Auseinandersetzung mit den Dingen, mit unserer Welt anregen. Kunst ist bzw. sollte ihren »Produkten gegenüber offen« (Hasse 1994: 35) sein, keinen Anspruch der Echtheit an ihr Werk erheben – oder anders gefragt: Ist der Künstler als Autor eines Kunstwerkes in der Lage, ein einzig wahres Werk zu erstellen, das für alle das Gleiche bedeutet? »Der an die Kunst gebundene Anspruch der Echtheit ist deshalb [...] an den Augenblick der Wahrnehmung, an den Moment der ästhetischen Rezeption« gebunden (ebd. [Herv.i.O.]). Kunst i.w.S. kann jene Wahrnehmungsprozesse bestenfalls anleiten oder lenken. Und nicht immer ist Kunst im öffentlichen Raum aus Sicht der Künstler auch gleichzeitig Kunst für den Betrachter (McGill/Korn 1982: 201). Echtheit, Authentizität wird also vom Rezipienten selbst entworfen und an die jeweiligen Dinge seiner Umwelt herangetragen – womit jeder Mensch zu einem Künstler werden kann. Raumaneignung und -nutzung innerhalb bestimmter Grenzen ist damit immer auch »Handlungskunst« (Willems/Eichholz 2008: 877). Mit der gestiegenen Bedeutung und Thematisierung von Raum geht auch eine vermehrte – wenn auch nicht explizit auf den Begriff fokussierte – Beschäftigung mit bzw. als Raumaneignung einher. Das zeigt sich aktuell in der Gestaltung öffentlicher Räume, bspw. durch halblegale Pflanz- oder Strickaktionen oder spontane Kundgebungen, aber auch stärker künstlerisch ausgerichtete Aktionen (»reclaim the streets«, bei denen z.B. Sitzgelegenheiten verschoben oder neu aufgestellt werden etc.). Kinder bzw. Jugendliche sehen die Welt anders als Erwachsene und eignen sie sich dementsprechend anders an, da sie jeweils unterschiedliche »Entwicklungsaufgaben« zu bewältigen haben. Dabei werden ihre kognitiven Karten jeweils von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst, und die Annahme,

43 Z.B. die Tagung »Urbanes Lernen – Räume bilden«, die neue Formate kulturellkünstlerischer Bildung thematisierte (vgl. www.kunstwerk-stadt.de).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 129

dass Informationen aus konkreten Räumen auf die mentalen Karten übertragen werden, greift zu kurz (Kuipers 1982: 202). Damit verbunden sind auch unterschiedliche Wissensbestände, die Formen der Aneignung von Räumen beeinflussen: schöpferisch-kreativ i.S. spontaner, teilweise auch ephemerer Interventionen im (Stadt-)Raum, beim entspannten Treffen von Freunden im Park oder aber in institutionalisierter Form, unter professioneller Anleitung und Begleitung im Rahmen der Stadtplanung. Beide aber vermögen Bildungsprozesse seitens der sich den Raum Aneignenden anzuleiten. Denn unter dem Vorzeichen einer handlungszentrierten Sicht auf Raum und Raumaneignung meint diese nicht nur (passive) Nutzung, sondern auch (aktive) Gestaltung und Herstellung von Räumen. Damit einher geht, dass Raumaneignung nicht nur als Erweiterung des Lebensraumes Jugendlicher zu sehen ist, sondern auch als Kompetenzerwerb und -erweiterung. »Räume wirken bildend, ob sie nun so intendiert sind oder nicht, und gerade die gar nicht erzieherisch gemeinten Orte sind für die Heranwachsenden oft besonders attraktiv und interessant, stellen wichtige Elemente dar im Bedingungsgefüge ihrer Weltaneignung.« (Becker/Bilstein/Liebau 1997a: 15) Das bedeutet, dass gewisse Strukturen Raumaneignung ermöglichen oder einschränken; »Raum als dritter Pädagoge« (Loris Malaguzzi) hat demgemäß auch Bildungsqualitäten, die gefördert werden (sollten), denn erst in der handelnden Auseinandersetzung mit den Dingen finden Lern- und Bildungsprozesse statt. Dieses Verständnis von »Bildungsorten«, das zumeist in Verbindung mit öffentlichen Räumen steht, gilt es zu erweitern in dem Sinne, dass mit (Geographie-)Unterricht ebenso ein Bildungsraum als »Bildungsarrangement« (Kessl/Reutlinger 2013b: 26) hergestellt wird, das sich Jugendliche aneignen und welches hinsichtlich ihrer Raumkonstruktionen untersucht werden kann. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass kaum gesicherte Erkenntnisse vorliegen, die Auskunft geben über die Bedeutung von Wissensstrukturen, Wahrnehmungen und räumlichen Strukturen hinsichtlich der Raumaneignung bzw. des Raumhandelns. Eine zentrale Rolle spielt das Konzept der Raumaneignung dahingehend, dass diese nicht mit dem Jugend- oder Schulalter abgeschlossen ist, sondern übergeordnet als Raumbezogene Handlungskompetenz formuliert ist, die über schulisches Lernen hinausgeht und damit eine i.w.S. gesellschaftliche Aufgabe darstellt.

130 | U RBANES R ÄUMEN

2.3.2 Raumbezogene Handlungskompetenz Wenn vorangegangen von Raumaneignung die Rede war, soll diese nun geographiedidaktisch als Raumbezogene Handlungskompetenz ausformuliert werden. Dieses theoretische Konstrukt wurde an anderer Stelle hinsichtlich verschiedener Schwerpunkte intensiver diskutiert (Köck 2005a, 2011; von Roux 2010). Vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit ist es nicht das Ziel, sich einer Erörterung der zwei konträr verstandenen Begriffe Raumverhaltenskompetenz und Raumbezogene Handlungskompetenz oder weiterer Definitionsversuche zu widmen, wobei die sorgfältig diskutierten erkenntnistheoretischen Grundlagen Köcks zur Formulierung einer Raumverhaltenskompetenz besondere Beachtung verdienen (vgl. Köck 2005b, c). Ausgehend von einem Verständnis von rational handelnden Akteuren aber wird diese Konzeption der des behavioristisch geprägten Verhaltens vorgezogen. Menschen werden als Subjekte verstanden, die zielgerichtet und absichtsvoll Entscheidungen treffen und darauf aufbauend Handlungen vollziehen. Dabei wird nicht negiert, dass auch Konsequenzen von Handeln zutage treten können, die nicht beabsichtigt waren und sich Menschen zudem auch von Gefühlen und Stimmungen leiten lassen, die sich einer rationalen Erklärung durchaus entziehen (vgl. dazu ausführlicher Kap. 2.2.1). Die vor dem Hintergrund einer Raumverhaltenskompetenz im Verhalten implizierten mentalen Aktivitäten, wie bspw. »Erkennen, Denken, Urteilen, Werten, Entscheiden, Planen« (von Roux 2010: 12) werden keinesfalls vernachlässigt, sondern als Teil von Handeln verstanden. Vielmehr geht es um eine Bekräftigung der Raumaneignung von Lernenden im Zusammenspiel mit einem erweiterten Raumverständnis, denn nicht zuletzt würde die Geographie einer zentralen Funktion beraubt, würden wir die »Zielsetzung der Befähigung zum kompetenten Raumverhalten« einfach ausklammern (Mittelstädt 2006: 38).44 Unter Bezugnahme auf die Bildungsstandards der Deutschen Gesellschaft für Geographie, in denen sie als ein Leitziel von Geographieunterricht formuliert wird (DGfG 2012: 5), wird Raumbezogene Handlungskompetenz auch in den Rahmenvorgaben für die Lehrerausbildung im Fach Geographie hervorgehoben. »Um es den Schülerinnen und Schülern gegenwärtig und zukünftig zu ermöglichen, die rasch voranschreitende globale Entwicklung zu verstehen und aktiv mitzugestalten, bedarf es raumbezogener Handlungskompetenz […]« (DGfG

44 Mittelstädt (2006: 38) definiert diese Kompetenz als Verhaltenskompetenz vor dem Hintergrund der Auffassung von Lernen als Verhaltensänderung. Auf das der Arbeit zugrundeliegende Verständnis von (geographischem) Lernen wird in den Kap. 3.2 sowie 5.4 Bezug genommen.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 131

2010: 4), die v.a. Mitwirkung und Mitverantwortung (ebd.) umfasst und durch den Geographieunterricht als übergeordnetes Bildungsziel angestrebt werden soll – so wie dies auch in den Grundsätzen und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Fach Geographie als ein Leitziel von Geographieunterricht definiert ist (Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie 2002: 8) und darüber hinaus in den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Geographie weiter differenziert wird (Kultusministerkonferenz 2005). Die Fähigkeit, »sich gedanklich im Raume zu orientieren« (Rost 1977: 82) ist zudem grundlegend für die Bewältigung alltäglicher Lebenssituationen, z.B. auch in unterschiedlichen Berufsfeldern (ebd.). Von der Anzahl der Nennung der Begrifflichkeiten (Raumbezogene Handlungskompetenz) soll keineswegs auf die ihr zugewiesene Bedeutung im Rahmen der geographischen Schulausbildung geschlussfolgert werden. Beispielhaft sei dennoch zu erwähnen, dass im sächsischen Lehrplan für Geographie Raumbezogene Handlungskompetenz als ein allgemeines fachliches Ziel für jedes Schuljahr formuliert wird und »Fähigkeiten und [die] Bereitschaft zu raumwirksamem Verhalten und zum Mitwirken an nachhaltigen Entwicklungsprozessen« (Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2009: 2) beschreibt, wohingegen im bayerischen Fachprofil Geographie von der »Fähigkeit zum raumbezogenen Denken« (ISB 2004b) die Rede ist – was letztlich gleichsam als Handlungskompetenz i.w.S. zu verstehen sein darf. Der Hamburger Rahmenplan für das Fach Geographie sieht eine Aufgabe in den darin formulierten vier Kompetenzbereichen (Räumliche Orientierung, Raumanalyse, Raumbewertung, Raumverantwortung), die Lernenden zu einer »reflektierten, ethisch begründeten und verantwortungsbewussten raumbezogenen Handlungsfähigkeit« (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg 2009: 10) anzuleiten. Im Lehrplan Thüringens stehen die unterschiedlichen Betrachtungsweisen räumlicher Phänomene gar als »Grundvoraussetzung zur geografischen Bildung [...]. Gemeint ist die Entwicklung einer raumbezogenen Beobachtungs- und Reflexionskompetenz mit entsprechender Handlungsorientierung.« (Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur 2012: 5 [Herv.i.O.]) Jugendliche eignen sich Räume vielfältig an. Im Entwurf einer Raumbezogenen Handlungskompetenz geht es um weitaus mehr als eine einfache Inbesitznahme dieser. Auch unterscheidet sich das geforderte »kompetente Verhalten im Raum« von Ansätzen bspw. im Sportunterricht, der bestrebt ist Jugendliche zu »Raumdeckung« und »Raumgewinn« (alle Zitate Mittelstädt 2006: 38, zit. nach Wehlen 1967) zu befähigen – was u.a. an der differierenden Konzeptionalisierung von Raum liegt.

132 | U RBANES R ÄUMEN

Hierfür lohnt sich ein Blick in die englischsprachige Geographie, in der sich das Konzept des Räumlichen Denkens (spatial thinking) durchgesetzt hat, welches dem der Raumbezogenen Handlungskompetenz nicht unähnlich scheint, doch für vorliegende Zwecke einiger Erweiterungen bedarf. Räumliches Denken zeichnet sich durch »eine konzeptuelle Vorstellung von space im Sinne von Raum, verschiedene Mittel der Darstellung und den Prozess der Begründung« (Uhlenwinkel 2013b: 257) aus. Anders ausgedrückt: über Geographische Informationssysteme (GIS) bzw. in kartographischen Darstellungen sollen Jugendliche ein Verständnis von Räumen entwickeln und darüber räumliche Zusammenhänge begründen können. Damit verfolgt das spatial thinking stark raumwissenschaftliche Züge, die dennoch für den Geographieunterricht fruchtbar gemacht werden können (vgl. Traun et al. 2013: 13f.). Das im britischen Sprachraum stärker verbreitete thinking spatially hingegen erweitert das Verständnis des Räumlichen in konstruktivistischer Manier und ist gleichzeitig »weniger explizit an die Nutzung von GIS gekoppelt als das spatial thinking. Dafür behandelt es bewusst Machtstrukturen und territoriale Konflikte, wodurch es die gesellschaftliche Relevanz des Faches unterstreicht.« (Uhlenwinkel 2013b: 258) Ziel soll es sein, aufbauend auf den folgenden Überlegungen zu Raumbezogener Handlungskompetenz einen kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen als deren spezifische Ausformulierung in Kapitel 2.4 zusammenfassend, als Verdichtung bisheriger Überlegungen, zu entfalten. Abbildung 2 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen den bisher zentral gebrauchten Begriffen. Raumaneignung steht dabei als übergeordnetes, da am abstraktesten beschriebenes Konzept. Raumbezogene Handlungskompetenz ist als eine spezifische und als Kompetenz formulierte Form mündiger Raumaneignung aufzufassen, ebenso wie ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen eine Voraussetzung und damit Teil der Aneignung von Räumen darstellt. Raumaneignung ist für diese Zwecke nicht als Kompetenz formuliert, das heißt, dient hier der allgemeinen Ein- und Zuordnung weiterer Konzepte. Wenn Raumaneignung im Sinne Werlens bedeutet, Welt in den Handlungen auf sich zu beziehen und damit Räume herzustellen, kann diese in zweifacher Hinsicht gelesen werden; 1. als mentale Aneignung, die im Rahmen von Geographieunterricht in einer Unterrichtsreihe auf einer theoretischen Ebene und 2. in materieller Hinsicht, d.h. konkret in der Mapping-Aktion der Jugendlichen, die im Anschluss an den Geographieunterricht aber außerhalb des Klassenzimmers stattfindet. Um das noch einmal zu betonen: Die Förderung Raumbezogener Handlungskompetenz i.S. einer »Raumbildung« (Mittelstädt 2006: 39) ist eine außerordentlich anspruchsvolle Aufgabe im Geographieunterricht, da die Lenkung der Jugendlichen nicht allein über Fakten oder medial möglich ist. Deswegen, so der An-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 133

spruch, sollten »Möglichkeiten der originalen Raumkognition«, z.B. im Gelände vermehrt genutzt werden (ebd.), da diese einen zusätzlichen Pfeiler in der Ausprägung kognitiver Karten der Jugendlichen darstellen. Im vorliegenden Kapitel wird es vornehmlich genau um diese zweite Form der Raumaneignung vor Ort gehen, wobei sich erst in Kapitel 3.2.1 genauer der methodischen Umsetzung des Mappings gewidmet wird. Handlungstheoretisch betrachtet gibt es nicht »das eine ›richtige‹ Raumverhalten« (Rhode-Jüchtern 2009: 79), da Ziele und Bedingungen von Handeln stets kontextabhängig aufeinander abzustimmen sind. In dieser Hinsicht formuliert Daum (2001: 222) zurecht, wenn auch auf den ersten Blick provokant, dass es nicht um die Frage gehen kann, ob sich Kinder und Jugendliche Räume vornehmlich korrekt aneignen, sondern in welcher Art und Weise und mit welchen Folgen das geschieht. Dies gilt es stets zu hinterfragen, offen zu legen und gegebenenfalls auszuhandeln. Auch Raumbezogene Handlungskompetenz sollte in diesem Sinne nicht als eindeutige und normative Setzung verstanden werden, die richtiges und gutes Handeln zum Ziel hat, vielmehr geht es um das Erkennen, dass Wissen von vielen als allgemeingültig anerkannt, gleichzeitig aber auch unterschiedlich interpretiert und angewendet werden kann. Aus den Rahmenrichtlinien für den niedersächsischen Geographieunterricht an Gymnasien lassen sich diese noch eher uneindeutigen Formulierungen in fünf Begriffen zusammenfügen, die wiederum in Abbildung 2 zugeordnet werden könnten, dies aber aus Gründen der Übersicht nicht getan wird: Demzufolge umfasst Raumbezogene Handlungskompetenz: Raumkenntnis, Raumwahrnehmung, Raumbewertung, Raumbewusstsein und Raumverantwortung (vgl. Mittelstädt 2006: 39).45

45 Vgl. dazu die im Hamburger Rahmenplan Geographie formulierten vier Kompetenzbereiche Räumliche Orientierung, Raumanalyse, Raumbewertung und Raumverantwortung (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg 2009: 10f.), die sich ähnlich übertragen ließen.

134 | U RBANES R ÄUMEN

Abbildung 2: Raumbezogene Handlungskompetenz als spezifische Form der Raumaneignung

Quelle. Reuschenbach 2011: 34; eigene Ergänzungen

Grundgedanke und Ausgangspunkt für die Förderung Raumbezogener Handlungskompetenz »ist die Erkenntnis, dass Menschen ihre Vorstellung von Räumen aufgrund subjektiver Wahrnehmungen und Erfahrungen konstruieren« (Reuschenbach 2011: 33). Entsprechend existiert eine Vielfalt an unterschiedlichen Weltbildern. Trotz eigener, individueller Blicke auf unsere Umwelt aber können wir davon ausgehen, dass unsere Ansichten die einzig wahren und gülti-

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 135

gen wären. Individuen sollten deswegen in der Lage sein, eigenes Denken zu abstrahieren und andere Perspektiven einzunehmen. Das wiederum erfordert kleinere Einzelschritte, die bewusst bei den Jugendlichen im Geographieunterricht angeleitet werden müssen. So gilt es bspw. über die konkrete Bewegung im Raum/vor Ort, die Umwelt zu beschreiben und wahrzunehmen und auch einmal neue Wege zu gehen – was im übertragenen Sinne gemeint ist. So können bspw. alternative Möglichkeiten der Nutzung öffentlicher Räume probiert werden. Genauso entscheidend ist der Aufbau eines gewissen Datenschatzes; die Jugendlichen sollen sich über Menschen und Sachverhalte informieren und Einsichten gewinnen; Daten verknüpfen sie zu neuen Informationen, über die sie Räume in ihrer Prozesshaftigkeit erklären können. Einen zentralen Bestandteil stellt die Arbeit mit Karten – bzw. erweitert auf andere Medien im Geographieunterricht, wie z.B. Bilder, Filme, Texte, usw. – dar, um Sachverhalte zu visualisieren und neue Informationen aus vorhandenen Darstellungen oder eigenen Erfahrungen zu erhalten, genauso aber auch deren Wirkungen hinsichtlich der Produktion von Räumen zu hinterfragen. Abstraktionsfähigkeit bzw. die Fähigkeit zum Perspektivwechsel (vgl. Abb. 2) wird demnach auf ganz unterschiedlichen Wegen angeleitet und erfordert mehr als nur die Fähigkeit zu erkennen, dass Räume je individuell und selektiv wahrgenommen werden. Mit Hilfe der vier Raumbegriffe werden zusätzlich Blickänderungen möglich. Dabei spiegelt die Abfolge der Nennung der Raum-Begriffe keinerlei Hierarchie wider. Diese einzelnen Bausteine können – auch ohne dass dieser hier bereits konkret beschrieben wird – als zentral für die Ausgestaltung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen gesehen werden. Schließlich gelangen die Jugendlichen darüber zu neuen Vorstellungen von Räumen, womit sowohl eine konzeptionelle Ausrichtung (z.B. die vier Raumbegriffe) gemeint ist als auch inhaltliche Vorstellungen (z.B. Das kann ja auch ganz anders sein, hier ist ja mehr erlaubt als ich dachte). Die Darstellung in Abbildung 2 ist bewusst als Verlauf dargestellt, wobei dieser nicht als stringent zu verstehen sein soll; vielmehr wechseln sich einzelne Bausteine ab, werden wiederholt, modifiziert usw. »Der Beitrag der raumbezogenen Handlungskompetenz liegt darin, dass Schülerinnen und Schüler Räume bewerten und für sich Handlungen ableiten können, die aufgrund der gemachten Erlebnisse, der entsprechenden Informationen und der jeweiligen Bedeutungen relevant werden.« (Reuschenbach 2011: 33) Damit umfasst sie neben Sach-, Orientierungs-, Methoden- und Darstellungs- auch Sozialkompetenz (Kultusministerkonferenz 2005), welche die Jugendlichen nicht erst besitzen, wenn sie kompetent raumbezogen handeln, sondern diese werden auf unterschiedlichen Wegen angeleitet und ausgeprägt. Dies scheint nicht allzu vermessen, sieht man ein, dass Räume inhaltlich-fachlich gekannt, geographisch verortet, methodisch

136 | U RBANES R ÄUMEN

erschlossen, sprachlich als auch visuell dargestellt und nicht zuletzt verantwortungsvoll mitgestaltet werden sollen. Bei der Förderung dieser übergeordneten Kompetenz geht es nicht darum, auf der subjektiven Wahrnehmungsebene des Einzelnen zu verbleiben. Sich zu eigenen Erfahrungen und Empfindungen zu äußern, sollte eine grundlegende Fähigkeit eines jeden Lernenden sein. Vielmehr müssen Räume abstrahierend über einen »räumlichen Perspektivenwechsel[s]« (Reuschenbach 2011: 33; vgl. dazu auch Exkurs II) als Produkte vielfältiger gesellschaftlicher Prozesse begriffen werden, an denen auch der Einzelne beteiligt ist. Damit gelangen wir zur eingangs gestellten Forderung zurück, dass ausgehend von der subjektiven und selektiven Weltsicht eigene Blicke dezentriert, geöffnet werden, um in der gemeinschaftlichen Auseinandersetzung zu einem erweiterten Blick auf Räume zu gelangen, und darauf aufbauend solidarisch und kompetent an der Aushandlung von Bedeutungszuweisungen an Räume teilzuhaben. Exkurs II | Raumbezogene Handlungskompetenz zwischen dem Nahen und Fernen Ein entscheidender und in der geographiedidaktischen Debatte nicht unumstrittener Gedanke findet sich wieder in der Ausformulierung Raumbezogener Handlungskompetenz in den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung für das Fach Geographie, wenn es darum geht »die nahe und ferne räumliche Umwelt fachstrukturell zu erfassen und zu durchdringen« (Kultusministerkonferenz 2005). War es bzw. ist es noch ein Prinzip unterrichtlicher Gestaltung, geographische Themen entweder in synthetischer Weise vom Nahen zum Fernen oder analytisch vom Fernen zum Nahen zu behandeln, werden dem länderkundlichen Durchgang diesbezüglich nicht erst seit Kurzem Vorwürfe entgegengebracht (Mittelstädt 2006: 40f.; Rinschede 2007: 122f.). Nach konstruktivistischer Lernauffassung kann es auch nicht mehr darum gehen, da die Jugendlichen eigene Konstruktionen dessen, was für sie nah und fern bedeutet, besitzen. »Nähe ist, wo eine Erfahrung vorliegt und eine Informationsverdichtung sich mit einer Sinnbedeutung, mit persönlicher Betroffenheit, verbindet.« (Schmidt-Wulffen 1994: 15, zit. in Kirchberg 2007: 82) Ein weiterer Grund gegen dieses Prinzip ergibt sich daraus, dass sich Kinder bzw. Jugendliche »Ferne nicht zeitlich nach der Nähe« erschließen, sondern das »weithin synchron« passiert (Kirchberg 2007: 83 [Herv.i.O.]; vgl. Kap. 2.2.2). »Seit Lucia und Antonio, Filiz und Malek mit im Klassenraum sitzen, kann die Welt nicht mehr in behutsamen Schrittchen ›vom Nahem zum Fernen‹ geistig erobert werden.« (Daum 2006a: 85) Vielmehr sollte der Prämisse

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 137

der Alltags- bzw. Lebensweltorientierung Vorrang geboten werden, da Jugendliche von da aus für unterrichtliche Themen erreicht werden können. Das bedeutet, dass authentische Situationen in den Geographieunterricht über inhaltliche, mediale und methodische Entscheidungen mit einfließen sollen, die Anknüpfungspunkte für eigene Wissens- und Raumkonstruktionen bieten (vgl. dazu eine ausführlichere Auseinandersetzung zum Lebens- bzw. Alltagswelt-Konzept in Wieser 2008, das u.a. von Rhode-Jüchtern als Hilfskonzept für verständnisintensives Lernen gesehen wird). Wenn von Raumvorstellung(en) gesprochen wird, ist damit zumeist das räumliche Vorstellungsvermögen gemeint, welches klassischerweise über mathematisch-geometrische Denkoperationen abgefragt bzw. gefördert werden kann. Raum-Vorstellungen im Sinne von Schüler-Vorstellungen umfassen aber weitaus mehr als bspw. die Fähigkeit der mentalen Rotation von Körpern, da damit einher die Produktion und Verarbeitung auch mentaler Bilder geht. Raumvorstellungen werden zumeist außerhalb i.e.S. geographischer Wissenschaftsdisziplinen erforscht, da sie als wichtiger Bestandteil von Intelligenz aufgefasst werden (vgl. Kepler 2010: 10ff.). Verschiedene Modelle stellen unterschiedliche Faktoren heraus, die das Raumvorstellungsvermögen charakterisieren. Akzeptiert werden kann, dass ein Erreichen Raumbezogener Handlungskompetenz nicht ohne ein grundlegendes Wissen möglich ist (vgl. Breitbach 2006: 115), denn »Raumwissen erleichtert die Raumorientierung und Raumaneignung« (Muri/Friedrich 2009: 155 [Herv.i.O.]). Dieses Raumwissen kann sehr vielfältig sein (vgl. Kognitive Karten) und in Anlehnung an Knox und Marston (2008: 277ff.) mit den Begriffen des Sach- und Orientierungswissens umschrieben werden. Dabei wird Sachwissen allgemein mit dem in den Bildungsstandards formulierten Bereich Fachwissen greifbar, wobei auch Räumliche Orientierung in Teilen (vgl. Standards O1: Kenntnis grundlegender topographischer Wissensbestände; O2: Fähigkeit zur Einordnung geographischer Objekte und Sachverhalte in räumliche Ordnungssysteme; DGfG 2012: 17) diesem theoretischen Wissensbestand zuzuordnen ist. Damit sind »gültige und haltgebende Ordnungsmuster« (Nehrdich/ Dickel 2012: 56) gemeint, die nicht nur individuell gelten, sondern in den meisten Situationen und für alle Menschen gleich bzw. ähnlich vorhanden bleiben (ebd.), wie z.B., dass Karten mithilfe eines Maßstabs gelesen werden können, Geburtsdaten historischer Personen oder dass Stoffe eine bestimmte Dichte besitzen. Daran wird deutlich, dass Geographieunterricht bzw. der Anspruch Raumbezogener Handlungskompetenz nicht ohne den Baustein Topographie möglich ist. Topographie ist die »Basis für das Sprechen über Räume«, ja »eine völkerverbindende Weltsprache« (beide Zitate Mittelstädt 2006: 41), die

138 | U RBANES R ÄUMEN

wiederum Grundlage für Raumaneignung darstellt. Auf solche Wissensbestände kann man sich einigen. Was sie den Menschen wiederum bedeuten, ist nicht festgeschrieben oder vorhersehbar. Auch wenn Berlin die Hauptstadt Deutschlands ist, bedeutet dieser Name, diese Stadt, jedem etwas Anderes, da sie sich in der kognitiven Karte eines Jeden ganz unterschiedlich darstellt. Und besonders differierende Vorstellungen über Grenzverläufe, die zwar auf Karten objektiviert erscheinen, aber subjektiv und damit unterschiedlich von den Menschen gezogen werden, weisen politisches Konfliktpotenzial auf (vgl. Mittelstädt 2006: 42). Dieses vermeintlich gleiche (Sach-)Wissen wird in bestimmten Situationen angewendet, wobei Informationen stets interpretiert und damit unterschiedlich bedeutsam werden. Dann sprechen wir von Orientierungswissen. »Beim Orientierungswissen geht es [...] um den Zusammenhalt und das Gemeinschaftserlebnis von sozialen Systemen, die Suche nach dem Sinnvollen, um moralische Urteile über Gut und Böse (das Eigene und das Fremde) [...].« (Knox/Marston 2008: 279) Es geht darum, mit dem Wissen etwas anfangen zu können (vgl. auch Lersch 2010: 15), es bei der Bewertung von Situationen einzusetzen und selbst handlungsfähig zu sein – und genau das soll mit Raumaneignung bzw. spezifischer ausformuliert als Fähigkeit Raumbezogener Handlungskompetenz vollbracht werden. Möglicherweise kann ein großer Bestand an Sachwissen von Vorteil sein, doch muss es auch verknüpft und angewendet werden, um bedeutsam zu werden, denn dann erst kann der Lernende als natürlich angenommene Handlungsweisen hinterfragen usw. Um bewusst in Räume einzugreifen, müssen die Voraussetzungen dafür erkannt und gewusst und eigene Handlungsmöglichkeiten eingeschätzt werden. Es geht um eine »Bestimmung der Angemessenheit des ›persönlichen Raums‹« (Willems/Eichholz 2008: 876). Im Kontext von (Geographie-)Unterricht wird darunter verstanden, dass Jugendliche auch selbst entscheiden, inwiefern für sie neues Wissen relevant und viabel ist und in vorhandene Wissensstrukturen aufgenommen und damit verknüpft wird. Sowohl im Klassenzimmer als auch in ihrem weiteren alltäglichen Lebensumfeld bestimmen Jugendliche eigene Handlungen als angemessen oder nicht. Auch hieran wird deutlich, dass im Prozess der Konstruktion von Raum stets eine Beurteilung bzw. Bewertung einhergeht, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind, da sich Bewertungen nicht immer auch räumlich manifestieren, z.B. in der Aussage Ich mag die Hamburger Innenstadt nicht. »For a site to become loose, people themselves must recognize the possibilities inherent in it and make use of those possibilities for their own ends, facing the potential risks of doing so.« (Franck/Stevens 2007: 2) Damit ist Raumaneignung immer auch ein riskantes Unterfangen, in der Weise, dass man eventuell auf Unerwartetes oder Unerwünschtes – neue Sichtweisen – stößt. Erst durch den Schritt des Hinterfragens

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 139

eigenen Handelns (Stichwort Reflexivität, vgl. Kap. 2.4) kann von reflektierter Raumaneignung gesprochen werden. Mit Goffman ließe sich diese »performative und kognitive Handlungskompetenz« als »moderne Schlüsselkompetenz« beschreiben (Willems/Eichholz 2008: 876). Vom Wissen zur Raumaneignung | Die »andere Seite der Bildung«46 »Kinder, die nur durch den Bildungsort Schule auf das Leben vorbereitet würden, wären zu einem kläglichen Scheitern verurteilt.« (Rauschenbach 2007: 447) Weithin akzeptiert ist der Umstand, dass Jugendliche auch außerhalb der Schule lernen; »Bildungsprozesse sind weder zeitlich noch örtlich eingrenzbar.« (Rauschenbach 2009: 220) Denn in vielem, was Jugendliche in ihrer Freizeit tun, finden Lernprozesse statt, die einen Einfluss auch auf schulische Leistungen haben können. Gleichzeitig ist diese informelle Bildung, wie sie oft bezeichnet wird, so diffus, dass sie oftmals als einziger großer Einflussfaktor neben der Schule zusammengefasst wird. Ihre Bedeutung kann und soll der Institution Schule dennoch keineswegs abgesprochen werden. »Ausgangspunkt und Endpunkt, das A und O jeder aktuellen bildungspolitischen Debatte ist die Schule« (Rauschenbach 2007: 440), denn dort wird Wissen formell-strukturiert, aufbauend auf unterschiedlichen Vorgaben vermittelt. Gerade diese gelenkte Vermittlung ist genauso wichtig, wenn wir erkennen, dass das informelle Lernen zumeist experimentell stattfindet, ohne, dass sich Jugendliche bspw. bestimmter Regelungen bewusst sind. Nicht immer ist eine Grenzüberschreitung nötig, um sich deren Konsequenzen bewusst zu werden und daraus zu lernen. Für den vorliegenden Gegenstand der Raumaneignung wird folgende Behauptung aufgestellt (Abb. 3): Abbildung 3: Wissens- als Raumaneignung vor dem Hintergrund schulischer und außerschulischer Lernumgebungen

Das bedeutet, dass sich Jugendliche im Unterricht – hier konkret dem Geographieunterricht – über neue Informationen Wissen aneignen (konstruieren) und sich damit Räume aneignen (konstruieren). Für sie ist bspw. die 46 Rauschenbach 2007, 2009: 83.

140 | U RBANES R ÄUMEN

Broken-Windows-Theorie eine Möglichkeit, wie sie sich erklären können, dass in ihrem Stadtviertel vermehrt Fahrräder gestohlen werden. Gleichzeitig stellen die Lernenden Geographieunterricht damit als mentalen Raum her, z.B. bereitet ihnen Unterricht Freude, da sie verstehen, warum gewisse Vorfälle bestimmte Konsequenzen haben. Auch in der Raumaneignung i.e.S., das heißt der tätigen Auseinandersetzung mit einem Ort, lernen die Jugendlichen, eignen sie sich Wissen an, das sie so im Geographieunterricht nicht gelernt haben oder lernen würden, das ihnen aber hilfreich sein kann, um Themen in der Schule zu verstehen. Raumaneignung ist Wissensaneignung, und Wissensaneignung ist eine Form von Raumaneignung – wobei das Suffix stets auch mit -konstruktion ersetzt werden kann. Die hier im Vordergrund stehende Auffassung von Raumbzw. Wissensaneignung kann als Alltagsbildung verstanden werden und umfasst in einer möglichen Systematisierung drei unterschiedliche Dimensionen: Tabelle 5: Das Konstrukt Alltagsbildung in seinen drei Dimensionen Andere Bildungsorte = Lern- und Bildungssettings außerhalb der Schule und curricularer Vorgaben

 Unterscheidung zwischen non-formalen und informellen Lernwelten Familie, Kindergarten, Jugendarbeit, Medien, Gleichaltrige

Andere Bildungsmodalitäten = Wege der Kompetenzerreichung; explizite oder implizite, intendierte oder nichtintendierte Formen des Lernens

Andere Inhalte der Bildung = Vorgaben, die nicht erwähnt oder auf die nur verwiesen wird

 Unterscheidung zwischen formellen und informellen Bildungsprozessen Beispiele Fange-Spielen in einem Einkaufscenter, GraffitiSprühen, älteren Menschen über die Straße helfen

 oftmals sind damit weiche Themen und soziale Kompetenzen gemeint Jugendliche lernen, im Streit Argumente zu finden, die eigene Meinung hinter die eines Freundes zu stellen

Quelle. Eigene Darstellung, in Anlehnung an Rauschenbach 2007: 444f.

Wenn sich Lernende innerhalb des Schulunterrichts, aber außerhalb der vier Wände des Klassenzimmers Räume aneignen (dürfen) – und das tun sie in dem

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 141

hier vorzustellenden Unterrichtsarrangement am Ende in einer Mapping-Aktion –, dann zeigt sich darin die besondere Bedeutung einer wie hier angenommenen Alltagsbildung. Das heißt konkret: Der andere Bildungsort ist der öffentliche Raum, andere Bildungsmodalitäten bleiben letztlich den Jugendlichen selbst überlassen; sie können z.B. kleinere Theaterstücke aufführen, Musik spielen usw., und andere Inhalte der Bildung sind z.B. die Fähigkeiten, mit Passanten ins Gespräch zu kommen oder aber das eigene Handeln im öffentlichen Raum kritisch zu hinterfragen.47 Damit stellt das Konzept der Alltagsbildung eine alternative Beschreibung der weiter oben erwähnten community education dar. Aus einer Untersuchung zu den Geographien, die Jugendliche selbst machen, und zwar losgelöst vom Geographieunterricht (was nicht bedeutet, dass ebendieser Kontext nicht implizit vorausgesetzt wird), lassen sich einige Konsequenzen ableiten, die besonders für einen subjekt- und handlungszentrierten Geographieunterricht von Bedeutung sind (vgl. Bauer 2010). In eigens gewählten Projektthemen setzten sich Jugendliche auf ganz vielfältige Art und Weise mit ihrem Stadtviertel auseinander, um bspw. objektiv festgelegte und subjektiv erfahrene Grenzen auszuloten (Bauer 2006: 112f.). Aus der wissenschaftlichen Begleitung der im Rahmen des Projekts »Südstadtkids« erfolgten Umsetzung mit Jugendlichen lassen sich ganz entscheidende Konsequenzen für eine geographiedidaktische Umsetzung zeigen: »Erstens können ungewohnte Kontexte, wie etwa außerschulische Lernorte, eine innovative Atmosphäre schaffen, in der ein offeneres Verständnis von Lernen durch Mitbestimmung und mehr Eigenverantwortung möglich wird. Zweitens kann auf die Leistungsbereitschaft von Jugendlichen gezählt werden, wenn sie nicht nur einen sinnvollen Zusammenhang zwischen ihren eigenen Lebenskontexten, ihren Zukunftsaussichten und den Lerninhalten sehen, sondern diese auch Räume zur Mitgestaltung und Selbsterfahrung bieten und ihnen vor allen Dingen echte Handlungsspielräume eröffnen.« (Bauer 2010: 138 [Herv.i.O.])

Für die Auseinandersetzung mit individuell bedeutsamen Themen eignen sich gerade solche Lern- bzw. Bildungsorte, die außerhalb der Schule liegen. Das wiederum führt zu geänderten Bildungsmodalitäten, das heißt der Art und Weise, wie sich die Jugendlichen mit den von ihnen gesetzten Fragen auseinander-

47 Ein Schwerpunkt in der Auswertung (vgl. Kap. 7) wird auch darauf liegen: welche anderen Bildungsorte, -modalitäten und -inhalte zeigen sich in den Gruppendiskussionen? Denn diese lassen sich gerade nicht im Vorfeld bestimmen oder aus theoretischen Annahmen ableiten.

142 | U RBANES R ÄUMEN

setzen. Dass Jugendliche dabei auf traditionelle Denk- und Arbeitsweisen – damit auch Raumvorstellungen – zurückgreifen, ist keineswegs verwerflich (ebd.: 172). Besonders ist aber zu beachten, dass inhaltliche und praktische Unterstützung, z.B. seitens der Lehrenden bzw. Projektpartner unbedingt gegeben sein muss (ebd.: 171). Ästhetische Dimensionen der Raumaneignung Wenn anerkannt werden kann, dass Realität konstruiert ist und soziale Wirklichkeit damit als kontingent erscheint, bedarf es Orientierungsmöglichkeiten, um eigenes Handeln zu erklären sowie rechtfertigen zu können (Hoppmann 2000: 59), um uns in der Welt der vielfältigen Möglichkeiten zurechtzufinden. Bedeutsam ist dann v.a. auch der »Bereich von Kunst und Ästhetik als [...] Raum alternativer Interpretationen«, der »Toleranz der Vielfalt« ermöglicht (alle Zitate ebd.: 61). Wie bereits einführend angemerkt, konzentriert sich Ästhetik bzw. ästhetisches Denken nicht allein auf das Schöne oder Gefühlvolle, sondern meint vielmehr den Einbezug der Sinne für eine umfassende Wahrnehmung unserer Welt, wobei unter Wahrnehmung v.a. auch das »Gewahrwerden« (Heinze 1997: 110, zit. in Hoppmann 2000: 61) als kognitiver Prozess verstanden werden muss. Mit anderen Worten: In Zeiten gestiegener Visualisierung und Mediatisierung, die auch die Art und Weise der Raumaneignung beeinflussen, »ist eine ausgebildete Sensibilität für Ästhetik immer wesentlicher geworden« (Hoppmann 2000: 65). Ästhetischem Denken werden demzufolge zugleich kritisch-reflexive Qualitäten zueigen, da es vor allem die »interessenorientierte eigene Produktivität unterstützt, um Fremdbestimmung und Deformation ästhetischer Aktivität zu verhindern« (Zacharias 2001: 86). Damit erweist sich Ästhetik i.w.S. als lebensweltlich relevant, d.h. ästhetisches Wahrnehmen dient besonders auch der Bewältigung unseres Alltags (ebd.). Die Integration ästhetischer Lehr- und Lernprozesse in schulische Kontexte ist indes weit verbreitet. Im Folgenden wird sich dazu auf einige ausgewählte Autoren konzentriert. »Die Frage der ästhetischen Bildung ist wie jede Frage nach den Möglichkeiten von Bildung eine nach Zwecken« (Hasse 2001: 1), womit aber gleichzeitig eine Paradoxie entsteht, da Ästhetik als zweckfreie Betätigung angesehen wird. Wie ist dies produktiv aufzulösen? Dies soll stichpunktartig anhand der »sechs Wege ästhetischer Bildung« (ebd.: 3ff.), die Bestandteil von Unterricht sein sollten, aufgezeigt werden: •

Schärfung der Wahrnehmung: »Gegenstand der Reflexion von Wahrnehmung ist auch das, was man nicht wahrnimmt oder sinnlich nicht wahrnehmen kann« (ebd.: 3).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 143

• • •

• •

Sensibilisierung der Sinne: um das Denkbare zu erweitern (ebd.: 4), darüber hinaus gehen. Selbstreflexion durch Sinnenbewußtsein: »Die Möglichkeiten des Denkens sind bedingt durch die Wege des Denkens« (ebd.: 4). Fähigkeit zur Subjektivität: damit ist auch »ein gesellschaftliches Sprechen-Können gefragt, das subjektive Tatsachen zur Geltung bringen könnte« (ebd.: 5). Zweckfreiheit der Wahrnehmung: als Offenheit und Unvoreingenommenheit der Betrachtung. Bildung zur Kritik: im Sinne »nach-denkender Wissenschafts- und Zivilisationskritik« (ebd.: 6).

Im vorletzten Punkt folglich zeigt sich, dass mit der prinzipiellen Zweckfreiheit ästhetischer Betrachtung (vgl. auch Aissen-Crewett 2000: 113) eine Offenheit der eigenen Sichtweisen gemeint ist. Sich den Gegenständen (der Forschung) unvoreingenommen zuzuwenden ermöglicht ästhetische Erfahrungen; so, wie sich das u.a. an den Aufzeichnungen Alexander von Humboldts Reisen zeigen lässt (Ette/Lubrich 2004: 906f., zit. in Dickel 2011b: 45). Und auch das kann die Geographiedidaktik von Humboldt lernen: Dass Lernende und Lehrende den Dingen offen begegnen dürfen und »Zeit einzuräumen, für das Generieren einer Frage, einer Idee, eines Wunsches« (Dickel 2011b: 45). Damit thematisiert ästhetische Bildung in besonderer Weise das Verhältnis »zwischen Selbst und Welt« (Hasse 2007: 7), in dem sich das Subjekt seiner eigenen Rolle bewusst wird. »Der Ansatz der ästhetischen Erfahrung liegt in der Entwicklung der Sinne und der sinnlichen Empfindungsfähigkeit, die an Wahrnehmung gebunden zu einer Erkenntnistätigkeit führt« (Braun 2007: 80) – demnach zweckfrei, aber nicht ohne Sinn stattfindet. Kunst & Geographie Allem Räumlichen wohnen ästhetische Qualitäten inne (Hasse 1993: 33), weil Raum wahrgenommen und erschlossen, angeeignet und konstruiert wird von Menschen, die ihre Welt sinnlich begreifen und Sinne einen subjektiven und selektiven Zugang zur Welt ermöglichen. (Die Steuerung von) Raumwahrnehmung ist damit eine ästhetische Herausforderung, da über sie individuelle Betroffenheit ausgelöst werden kann, die wiederum zum Handlungsvollzug führen kann (Hübner 2014: 7). Ästhetisches Denken bzw. Lernen ist damit auch eine Form der Aneignung von Wirklichkeit (vgl. Zacharias 2001: 86). Kunst und Geographie im Verbund können ästhetisches Lernen i.S. der vorangegangenen sechs Elemente in besonderer Weise anleiten. Ein Blick auf die in der UNESCO Road

144 | U RBANES R ÄUMEN

Map for Arts Education (UNESCO 2006) festgehaltenen Ziele künstlerischer Bildung – 1. das Aufrechterhalten des Menschenrechts auf Bildung und kultureller Partizipation, 2. individuelle Fähigkeiten ausbilden, 3. die Qualität von Bildung verbessern und 4. die Bekräftigung kultureller Diversität vorantreiben – zeigt zudem Ähnlichkeiten zu den Zielen geographischer Bildung und Raumbezogener Handlungskompetenz im Speziellen. Kunst, Kultur und auch Geographie können als ganz wesentliche Bestandteile einer umfassenden Bildung angesehen werden, die zu einer vollständigen Entwicklung des Individuums beitragen (ebd.: 3). Beide Disziplinen zeichnet zudem ihre interdisziplinäre Arbeit aus, die es ermöglicht, über scheinbar festgesetzte Grenzen hinaus aktiv zu werden und sich gegenseitig zu bereichern, ohne dass eigene, fachspezifische Leistungen untergehen. Mit Dewey können wir davon ausgehen, dass jeder Mensch in der Lage und dazu fähig ist, Kunst zu erfahren und diese zu verstehen, wenn wir uns konstruktiv, d.h. aktiv konstruierend, mit den Gegenständen unserer Umwelt auseinandersetzen (vgl. Reich 2003: 73). Ein Gegenstand »ist so real, wie er tatsächlich erfahren werden kann, z.B. für einen Mitspieler oder einen direkt teilnehmenden Zuschauer, aber auch, wie er z.B. aus dem Radio ertönt oder audiovisuell im Fernsehen erscheint« (ebd.: 75). Dann ist es nicht der Gegenstand, der Erfahrung ästhetisch macht, sondern »die Art und Weise des Wahrnehmens, die ästhetische Einstellung [...]. Erfahrung wird dadurch nicht ästhetisch, daß der Gegenstand der Perzeption ein Kunstwerk ist« (Aissen-Crewett 2000: 113 [Herv.i.O.]). Gemeinsamer Ausgangspunkt geographisch-ästhetischer Raumkonstruktionen ist die Wahrnehmung von Räumen. Für den schulischen Kontext eignet sich besonders die eigene Stadt als räumlicher Bezugspunkt, da die Jugendlichen hierbei Wahrnehmungen über das sinnliche Erkennen und InBeziehung-Setzen von Gegenständen der physisch-materiellen Welt sowie künstlerisch, z.B. in Fotographien, Collagen, Performances, ausdrücken können (vgl. Nöthen 2008: 19ff.). »Die Entzifferung dieser ästhetischen Gestalten im öffentlichen Raum ist eine Sache des Geographieunterrichts, weil Räume besonderer Art entstehen – Räume als kulturelle Träger emotionalisierter Atmosphären.« (Hasse 1994: 35 [Herv.i.O.]) Eigene Erfahrungen, Gefühle, Emotionen sind damit unmittelbarer Bestandteil auch geographischer Untersuchungen von Räumen. Besonders der Mehrperspektivität kommt hierbei eine zentrale Rolle in der »Erweiterung der wissenschaftlichen Sicht« (Breitbach 2006: 125; vgl. dazu auch Hasse/Isenberg 1993) zu. Kreatives Denken und Lernen im Geographieunterricht kann auch an naturgeographischen Themen durch den Einsatz künstlerischer Medien und Methoden angebahnt werden (Kohlfahl 1995). Die Bedeutung fächerübergreifenden Unterrichts zwischen Geographie und Kunst liegt dann »nicht so sehr in der kognitiven, sondern eher in der emotionalen und

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 145

affektiven Dimension«, die aber nicht minder zu einem kritischen Umgang mit der Welt beitragen kann (ebd.: 50). Auch in der eigenen Stadt als ästhetischem Erfahrungsraum lesen Jugendliche unterschiedliche Strukturen und erklären sich z.B. daran die Motive für deren Gründung (vgl. Cveto 2009). Die Geographie und der Geographieunterricht können einen kritischen Beitrag zu Auseinandersetzungen mit aktuellen Entwicklungen im Zuge einer Ästhetisierung leisten, vor allem im urbanen Raum (Hasse 1994). Im Projekt der kleinen »Raumpioniere Gohlis« erkunden bereits Kindergarten- und Schulkinder die Infrastruktur und Architektur einer nahegelegenen Straße, z.B. auf Spurensuche mit der Kamera oder über das Festhalten akustischer Laute. Sie entwerfen eigene Traumhäuser und schaffen kleine Installationen im Stile des britischen Künstlers Slinkachu, der durch die »Little People« bekannt geworden ist, mit denen auf künstlerischspielerische Weise eine andere (Mikro-)Perspektive auf Räume eingenommen werden kann. Die Kinder führten außerdem Interviews in einer Apotheke oder Bäckerei, um zu einer Einschätzung der Wohnlage aus unterschiedlichen Perspektiven zu gelangen (GfZK 2012). Bereits in der Grundschule können Lernende in ihrer Wahrnehmung geschult werden, um sich fremden, aber auch vertrauten Orten zu nähern. Über das künstlerische Verfahren des Displacement als Praxis der Verschiebung und Verfremdung (vgl. Brohl 2008) können »Orte so verändert werden, dass sie die kulturelle Ordnung umkehren« (Landwehr 2005: 18), um Denkprozesse in andere Wege zu leiten. Eine weitere Form der Einbettung von Bekanntem in neue Kontexte ist die Technik der Bricolage, die eine Bastelei im übertragenen Sinne meint. Durch die »Polysemie der Sprache« (Hoppmann 2000: 126) ist sie besonders geeignet, um Bedeutungen von Wörtern und ganzen Texten umzukehren. Seidel (2006) zeigt über das aus der Biologie stammende »Aktionsprinzip« eine Möglichkeit auf, wie sich Fragen unterschiedlicher Nutzungen ein und desselben Raumes genähert werden kann. Dabei geht es besonders auch um das Hinterfragen akzeptierter, scheinbar objektiv festgelegter Regeln im öffentlichen Raum und die Sozialverträglichkeit im Hinblick auf subjektive Perspektiven. An diesen Beispielen wird deutlich, dass Imagination ein wesentlicher Bestandteil geographisch-künstlerisch-praktischer Arbeit darstellt. Ebenso gilt auch hier, dass Fiktionalität erst das Eintauchen in solche Situationen, das auf-die-Reise-gehen erlaubt (Dickel 2006b: 151). Und schließlich, damit »Welt, Räume, Landschaft, ein Stein, ein Gewässer so auftauchen, daß sie den überraschten, den interessierten, den neugierigen Blick auf sich ziehen«, sollten Geographie-, Deutsch- und Kunstunterricht mehr voneinander lernen (Rumpf 1997: 113).

146 | U RBANES R ÄUMEN

Spurensuche Einen Beitrag zur kreativen und freien Auseinandersetzung in Räumen liefert der Ansatz der Spurensuche, die mit Gerhard Hard besonders für den Geographieunterricht fruchtbar gemacht wurde. Ausgehend von der Annahme, dass wir den Dingen der physisch-materiellen Welt, d.h. den Zeichen, erst Bedeutungen zuweisen und diese damit zu Spuren werden, kann Spurensuche als Erkenntnisund Erinnerungstätigkeit (Isenberg 1987: 111, 113) verstanden werden. »Beim Lesen dieser Spur geht es darum, neue Bedeutungen zu erschließen, zu produzieren oder zu erfinden« (Dickel 2006b: 163), wobei auch hier wiederum die subjektiven Wahrnehmungen der Jugendlichen im Vordergrund, bzw. konkret am Anfang der Spurensuche stehen. Die Vieldeutigkeit ein und desselben Zeichens soll bewusst aufgezeigt werden, um aus den gefundenen Subtexten vielfältige Gegentexte zu konstruieren. Damit sind bereits zwei Verfahren der Spurensuche aufgezeigt; Hard (1995: 66) unterscheidet insgesamt drei: • •



Aufspüren des nicht-intendierten Sinns intendierter Botschaften; Spurensicherung als Finden von Subtexten; Dekonstruktion, Gegen-den-Strich-lesen (Destruktion und Neukonstruktion) offizieller Verlautbarungen; Spurensicherung als Konstruktion von Gegentexten; Fremdgehen (Aus-dem-Felde-gehen, Paradigmawechsel; Spurensicherung als Schreiben von Un- und Extratexten).

Mit dem Aufspüren des nicht-intendierten Sinns ist gemeint, dass z.B. Ansichten von anderen Personen und Bedeutungen, die nicht auf den ersten Blick offensichtlich werden, in die eigenen Denkweisen aufgenommen werden. Jugendliche erhalten bspw. nur den Auftrag, die für sie interessanten Dinge (als Zeichen) vor Ort zu sammeln, die sie im Verlauf als Spuren deuten. Wenn sich konkrete Bedeutungen verdichten, und aus einem offiziellen Dokument herauslesen lassen, können solche Deutungen dekonstruiert werden, um Botschaften zu enttarnen, die bewusst verschleiert wurden, und damit der eigentlichen Bedeutung entgegenlaufen. Das Fremdgehen meint das Betreten neuer Räume, neuer Themengebiete (vgl. Hard 1995: 67), um die Spur auf eine eventuell ganz unkonventionelle und vorher nicht absehbare Weise zu deuten. Wenn die Lernenden bspw. einen Löffel in einer Burgruine finden, könnte es sein, dass sie am Ende einen Aufsatz über den ausgebrochenen Bären aus dem Tierpark schreiben, da sie auf ihrer Suche auf ganz neue Kontexte und Zusammenhänge gestoßen sind. Genau dies macht das Besondere der Spurensuche aus – sei sie noch so unvorhersehbar.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 147

Ja, Lernende sollen gerade neue Wege betreten und sich bewusst der Imagination und Fiktion hingeben, sollen Zeit dafür bekommen, sich auf diese Weise mit Themen auseinanderzusetzen. »Oft ist es für die Spurensuche ganz erfrischend, wenn neben der realen Wahrnehmung einer Spur ein wenig Fiktion, Phantasie ins Spiel gebracht wird, wenn man die Fragen ›was wäre, wenn …‹ oder ›ist das wirklich alles so selbstverständlich …‹ stellt; durch das Erreichen neuer Fragehorizonte wird so manche Trivialität aufgelöst und in neue gesellschaftskritische Zusammenhänge gestellt.« (Deninger 1999: 130)

Damit fügt sich der Ansatz der Spurensuche beispiellos in einen subjekt- und handlungsorientierten Geographieunterricht, der die Interessen und Motivationen der Jugendlichen an den Anfang setzt, wobei von einer allzu häufigen Wiederholung abzusehen ist, da häufige Reflexion im Zusammenhang mit der Erklärung und Deutung gefundener Spuren die kreative Auseinandersetzung mit der Umwelt erschwere (Isenberg, in Dickel 2006b: 167). Ansätze der Spurensuche sind u.a. verwirklicht bei Kruckemeyer (1993), die Lernende Gebrauchs- und ästhetische Werte ihres Schulhofes mithilfe künstlerischer Methoden untersuchen und sie dabei sprichwörtlich auf Reisen gehen lässt. Eine Spurensuche bietet sich zudem an, um die Thematik brachfallender Flächen in Städten zu bearbeiten. Lohnenswert scheint die Frage nach den Möglichkeiten alternativer Nutzungen, die als Umdeuten vorhandener Zeichen stattfindet. Über das Verdichten aufgefundener Zeichen zu Spuren können die Jugendlichen ausgehend von eigenen Interessen und Motiven Zwischennutzungs-Konzepte entwerfen und auf ihre tatsächliche Umsetzung hin überprüfen. Gerade das Gefühl, etwas Anderes zu tun, Gegenentwürfe zum Normalen äußern zu dürfen, kann für Jugendliche ein Anreiz sein, um einmal selbst zu »Trendsettern« (Budke 2006: 227) zu werden. Mapping Eine weitere methodische Herangehensweise an die Untersuchung und Gestaltung von Räumen bietet die aus der Kunst stammende Methode des Mapping, das als eine Fortführung des Ansatzes der Spurensuche gelesen werden kann. Mapping beschreibt eine »Recherchemethode für ortsspezifisches Arbeiten« (Möntmann 2004: 16) und wurde maßgeblich durch Klaus-Peter Busse für schulische Kontexte ausformuliert, der damit einen »forschenden und intervenierenden Zugang der Kunst zu Räumen« (Busse 2007a: 25) beschreibt. Obwohl begrifflich als »künstlerische Kartografie« (ebd.) gefasst, stehen (Land-)Karten i.e.S. dabei nicht im Mittelpunkt. Möntmann (2002: 48) spricht vielmehr von einer »subjektive[n] Kartographierung« und betont dabei das ständige aktive, auch

148 | U RBANES R ÄUMEN

mentale Involviertsein in den Prozessen des Wahrnehmens und Arbeitens vor Ort. Doch lässt sich die Verbindung zur Karte über deren Funktion als Medium der Erkenntnisgewinnung (vgl. Heil 2007) und gleichsam der »Wirklichkeitsveränderung« (Krause 2004: 180) ableiten, denn nicht nur in der Geographie, auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen, z.B. der Ethnographie, wird sich kartierend mit der Wirklichkeit auseinandergesetzt, um Dinge zu ordnen, systematisieren und ausschnittweise Zugang zu möglichen Deutungen der Welt zu finden. Auch dadurch erweitern wir letztlich unsere kognitiven Karten. So dokumentiert Krause (2004) in seiner »Hamburg-Kartierung« – er kartierte die geradlinige Route, die er zwischen Hamburg und Kiel zurücklegte – die Möglichkeiten und Einschränkungen sowie die subjektiven Erlebnisse auf seiner zurückgelegten Route (ebd.: 252ff.). In einem anderen, nicht als Mapping definierten Projekt des Europäischen Hauses der Stadtkultur e.V. (2005) in Zusammenarbeit mit Künstlern und Studierenden wurden u.a. Karten entworfen, die bewusst verfälscht wurden. Die Menschen, denen diese im Anschluss ausgeteilt wurden, sollten die Karten nicht zur tatsächlichen Raumaneignung i.S. einer Besitznahme der aufgezeichneten Areale nutzen, sondern dies vielmehr als geistige Arbeit verstehen, indem sie durch Karten zu einer mentalen Auseinandersetzung mit Orten veranlasst werden (ebd.: 14). Das übergeordnete Ziel des Mappings ist eine »Entkonventionalisierung« (Busse 2007a: 14, 2007b: 216, 2008: 19; Preuss 2008b: 30) der eigenen und anderen Blicke. »Das Suchen und das Finden von Heterotopien ist ein wesentlicher Bestandteil des Mapping-Prozesses« (Preuss 2008b: 36). Der Begriff der Heterotopie geht auf den französischen Philosophen Michel Foucault zurück. Er unterscheidet diese von den Utopien als »unwirkliche Räume« (Foucault 1990: 39). Heterotopien als »wirkliche Orte« und »tatsächlich realisierte Utopien« (beide Zitate ebd.) meinen z.B. Friedhöfe, Erholungsheime, psychiatrische Kliniken oder Gefängnisse (ebd.: 40f.) – Orte, die im Laufe ihrer Entwicklung und heute ganz unterschiedliche gesellschaftliche Bedeutungen annehmen, da sie in je unterschiedliche Kontexte eingebunden sind. Dieses Konzept geht auf die Unterscheidung zwischen einem physisch-materiell existierenden Ort (space) und einem in unserer Vorstellung existierenden, mit Sinn aufgeladenen Raum (place) zurück: ein scheinbar objektiv vorhandener, auf einer Karte verortbarer Platz besteht ganz unterschiedlich durch unseren Gebrauch und die mit ihm verbundenen normativen Setzungen eines angemessenen Handelns in ihm, wobei auch tendenziell kleinere, unscheinbare Räume zu Heterotopien werden können: »Das Schiff, das ist die Heterotopie schlechthin« (ebd.: 46), da dort ganz verschiedene Räume mit verschiedenen Nutzungen an einem einzigen Ort zusammenkommen (vgl. ebd.). »Heterotopien sind temporäre Räume, deren Regeln nur solange

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 149

herrschen wie sie befolgt werden« (Preuss 2008b: 35). Damit kann prinzipiell jeder Ort zu einer Heterotopie werden – je nachdem, welche Zeichen von dessen Beobachtern gelesen und wie interpretiert werden. Das impliziert besonders, dass Vorannahmen und Einstellungen zu bzw. in Räumen kritisch hinterfragt werden müssen, um auf Heterotopien aufmerksam zu werden. Auch hierbei müssen Jugendliche Zeichen verfolgen, die sie als Spuren deuten und in einen größeren Zusammenhang setzen, um sich der verschiedenen Bedeutungen ein und desselben Raumes zu nähern. Mapping findet aber nicht nur in schulischen oder wissenschaftlichen Kontexten statt, sondern auch, wenn eine Familie eine gemeinsame Urlaubsreise plant (Busse 2008: 15). Mapping dient der »Annäherung, Untersuchung, Erklärung und Veränderung kultureller Prozesse in alltäglichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Zusammenhängen« (ebd.: 16). Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht in der prinzipiellen methodischen Offenheit; es können Karten, Skizzen, Fotographien, Gedichte, Collagen, Skulpturen usw. benutzt werden als auch entstehen. Damit ist Mapping nicht als abgeschlossene Methode zu sehen, sondern erlaubt eine freie und kreative Nutzung unterschiedlicher Verfahren, um sich Räumen zu nähern. Über die künstlerische Auseinandersetzung können Grenzen überwunden und selbst globale Phänomene problematisiert und damit den Jugendlichen räumlich nah vermittelt werden. Mapping wird gar zu einem politischen Unterfangen, da scheinbar natürliche Prozesse und Bedeutungen auf ihre Plausibilität hinterfragt werden, um mögliche neue Deutungen umzusetzen (Möntmann 2004: 16). »Die künstlerische Perspektive individualisiert diesen Lernprozess und sucht nach einem neuen Blick auf Vertrautes, Gewohntes und Fremdes.« (Busse 2008: 19) Aus dieser Individualisierung folgt, speziell für den (Geographie-)Unterricht, die Schwierigkeit einer Bewertung bzw. Einschätzung guter Mapping-Aktionen. Was zeichnet ein gelungenes Mapping aus? Zu nennen wären aus einer eher sachlichen Perspektive v.a. die folgenden Kriterien (Preuss 2008b: 46): • •

• • •

»Durchlässigkeit und Revisibilität von Prozessen«, »Komplexität und Nonlinearität des Lernprozesses und die Vermittlung von neuen Lernerfahrungen«, die sich wiederum unterschiedlich erfassen lassen, »Entkonventionalisierung des Blicks als Grundlage für neue Sichtweisen der Wirklichkeit«, »Grad der Selbstorganisation der Schüler« »Entdeckung von Heterotopien, deren Verarbeitung und die Erschließung von neuen medialen Gestaltungsmöglichkeiten«.

150 | U RBANES R ÄUMEN

Gleichzeitig verwirft der Autor diese Kriterien als »zu statisch« (ebd.). In einer Projektanalyse zum Thema »Mapping Brackel«48 wurden entsprechend erste, wenn auch kleine, empirische Erkenntnisse über die »Praktikabilität der Mapping-Methode in der Schule« (Preuss 2008a: 9) vorgelegt. Dabei stehen besonders subjektive Erfahrungen im Vordergrund; als Spaß, Motivation Neues zu entdecken und ungewohnte Wege einschlagen zu dürfen (Preuss 2008b: 47). Genau jene sollten auch als Ansporn für die Integration von Mapping-Aktionen im Geographieunterricht gelesen werden. Allgemeinere Auseinandersetzungen mit Kunst im öffentlichen Raum, die im schulischen Rahmen – d.h. mit einem konkreten Lehrplanbezug – stattfanden, zeigt Kirschenmann (2005). Über die Zusammenarbeit mit Jugendlichen und professioneller Begleitung entstanden so umgestaltete Schulhöfe, innerstädtische Plätze und Denkmale. Die hier aufgeführten Projekte können als Ermutigung verstanden werden, wie Kunst und Geographie eine ergiebige und produktive Beziehung eingehen können (s. auch Hofmann 2013). Und auch in größeren Projekten außerhalb des schulischen Kontexts werden ihre Potenziale zuweilen genutzt bzw. lassen sich weitere Anregungen für Möglichkeiten künstlerisch-ästhetischer Raumaneignung finden. So widmet sich die Non-Profit-Organisation »Loesje« dem kreativen Schreiben; in Workshops wird sich intensiv mit Sprache auseinandergesetzt und kreative Schreibtechniken erlernt, um gemeinsam Plakate zu entwickeln, mit denen auf ganz unterschiedliche Dinge im öffentlichen Raum aufmerksam gemacht werden soll (vgl. van Dijck 2012). Die Gruppe »Reinigungsgesellschaft« mischt sich rege in aktuelle gesellschaftliche Debatten ein, wie z.B. Migration, Stadtentwicklung, Sicherheit oder Energiepolitik, um in der Bevölkerung ein Bewusstsein für (weniger) brisante Themen zu schaffen und einen Dialog darüber anzuregen (REINIGUNGSGESELLSCHAFT 2011). Ihrer Meinung nach soll künstlerische Praxis politischen und wirtschaftlichen Diskussionen eine zusätzliche Dimension hinzufügen; es geht um eine »(Re)Sozialisierung der Kunst« (ebd.). In einem ihrer Projekte, in dem Straßenschilder absichtlich umbenannt wurden, wollen sie Wahrnehmungen verschieben, um akzeptierte Denkund Sichtweisen bei anderen Personen aufzudecken und damit auch zu einem Bewusstsein lokaler Verbundenheit beitragen (ebd.).

48 Brackel ist ein Stadtteil von Dortmund, in dem die Mapping-Aktionen durchgeführt wurden. Vgl. dazu die Veröffentlichung in der Online-Ausgabe der WAZ (2009) zum Projekt:

http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/spaziergangswissenschaftler-

entdecken-ihren-stadtteil-id907582.html (letzter Zugriff: 22.11.2014).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 151

Experimentelles Arbeiten Daraus abgeleitet soll es nun darum gehen, den besonderen Mehrwert experimentellen Arbeitens an Orten als Form aktiver Raumaneignung genauer zu beleuchten. Wie gezeigt werden konnte, lassen sich v.a. Jüngere (bis 15-Jährige) auf diese Form des Arbeitens vor Ort ein (Wüstenrot Stiftung 2003: 235). Anders stellt sich die Situation dar, wenn Kinder und Jugendliche dies unbewusst und ohne Aufforderung tun, z.B. auf ihrem Weg zur Schule oder dem Pausenhof. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass gewisse Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Ort anzuleiten; »Aneignung braucht Anregung« (Deinet 2005: 177). Der Mehrwert im Schaffen performativer, temporärer, ja vergänglicher Situationen im experimentellen Arbeiten (im öffentlichen Raum) liegt darin, dass damit kurzzeitig Regeln und Normen außer Kraft gesetzt und Irritationen hervorgerufen werden können. Es geht künstlerisch-ästhetischen Interventionen nicht immer um das Herstellen von Dauerhaftigkeit und beständigen Objekten, da dies wiederum in einem bald akzeptierten, unhinterfragten Sehen münden wird. Zudem bedarf es keiner übermäßig großen materiellen Aufwendungen, um – wie der Name sagt – experimentelle Situationen zu schaffen. Auch im Geographieunterricht können experimentelle Arbeiten durchgeführt werden, sei es in der Form eines Gedankenexperiments (Stell dir vor...) oder aber vor Ort. Hierbei lassen sich v.a. die »Wechselwirkungen zwischen räumlicher Ordnung und Handeln« thematisieren, um zur Einsicht zu gelangen, »dass ›der Raum‹ selbst gar nichts macht, sondern dass die darin enthaltenen Bedeutungszuweisungen wirken« (beides: Rhode-Jüchtern 2006d: 28). Wie wäre es mit einem Frühstück auf einem öffentlichen Platz als performative, temporäre Nutzung eines eigentlich anders codierten Raumes? Das aus der Sprechakttheorie stammende Konzept der Performativität umschreibt allgemein das in einer sprachlichen (oder anderen) Äußerung inbegriffene, damit einhergehende Tun, wie z.B. in dem Satz Ich gratuliere dir deutlich wird. Im Sprechen wird gleichzeitig eine Handlung ausgeführt – in diesem Falle einer anderen Person gratuliert. Damit wird besonders der Kontext, d.h. die Situation, in der eine Handlung stattfindet und wirkt, ganz entscheidend für deren (Be-)Deutung (vgl. Hasse 2010a). Durch die Wahrnehmung und Deutung von Zeichen bringen wir erst das Kunstwerk oder die Situation als neue Wirklichkeit hervor. In einer Performance, verstanden als künstlerischer Handlungsvollzug bzw. Aufführung, werden gleichzeitig die Zuschauer mit einbezogen und konstituieren durch ihre Anwesenheit das Geschehen mit. Materialität wird performativ hervorgebracht (vgl. Fischer-Lichte 2004). Es entstehen Räume, die vorher noch nicht als solche definierbar waren. Auch das ist mit Raumaneignung gemeint.

152 | U RBANES R ÄUMEN

Diese kreative Raumaneignung ein Stück weiter gedacht, sollte ein Name nicht unerwähnt bleiben. In der »Kunst des Handelns« unterscheidet der französische Soziologe und Kulturphilosoph Michel de Certeau (1988) zwei Arten von Praktiken in Bezug auf die Bewegung in Räumen der kapitalistischen Gesellschaft: Strategien und Taktiken. Demnach handeln die Mächtigen, sprich diejenigen, die über die Besitzrechte bestimmter Räume verfügen, strategisch: Sie geben Räumen bewusst stabile Bedeutungen – z.B. der Supermarkt, in dem man keine Party feiert oder die Sitzbänke im Park, die nicht zum Skaten benutzt werden können. Über taktisches Handeln des »Helden des Alltags« (de Certeau 1988: 9) hingegen stellt dieser eigene räumliche Wirklichkeiten her, die er nicht zwangsläufig strategisch überdenkt, da er keine Verfügungsrechte über Räume oder andere Ressourcen besitzt. Er kann sie lediglich umnutzen, uminterpretieren, manipulieren und umfunktionieren (Hofmann/Mehren/Uphues 2012b: 28), womit er das Recht auf Raumnutzung durch ebendiese aktive Aneignung erhält (Sieverts et al. 2004: 1; 6, zit. in Brückner 2011: 199). Rauterberg (2013) deutet solche Prozesse nicht nur als »ephemere Erscheinungen«, sondern sieht das spontane Stricken, Pflanzen oder Verweilen an ungewöhnlichen Plätzen vielmehr als »eine Kehrtwende in der windungsreichen Geschichte der urbanen Kultur« (ebd.), in der die Menschen vermehrt auch an politischen Entscheidungen teilhaben und für ihre Rechte ein- bzw. auf die Straße heraustreten. »Wir müssen politische Bürger werden, um genießen zu können. Wir müssen uns öffentliche Räume zurückerobern, um glücksfähig zu werden.« (Breyer/Piegsa 2014) Problematisch – wenn nicht gar abschreckend – dabei mag erscheinen, dass Kunstwerke oder kleinere Aufführungen auch in das Interesse von Ordnungshütern geraten. Dass das v.a. Aktionen von Kindern und Jugendlichen betrifft, kann darauf zurückgeführt werden, dass abweichendes Verhalten dieser Personengruppen seit jeher streng(er) geahndet wurde. Dies erfuhren auch die Kinder und Jugendlichen in ihren Experimenten im Rahmen der Untersuchungen zur Nutzung öffentlicher Räume (Wüstenrot Stiftung 2003). »Bei fast allen Experimenten ist eine kontrollierende Instanz (Polizei, Ordnungsamt, etc.) aufgetreten, was darauf hindeutet, dass die soziale Kontrolle im öffentlichen Raum in hohem Maße gegeben ist« (ebd.: 237). Gleichzeitig aber kann dieser Umstand positiv gewendet werden, indem gerade solche Interventionen dafür genutzt werden, um eine öffentliche Auseinandersetzung mit solchen Fragen anzustoßen, die auf den ersten Blick eindeutig scheinen (z.B. Spielverbot auf bestimmten Grünflächen). Denn dann werden Kinder und Jugendliche auch in Fragen der Bewertung ihrer und anderer Handlungen im öffentlichen Raum einbezogen, wenn es bspw. darum geht, zwischen legaler und illegaler, erwünschter und unerwünschter Raumaneignung zu entscheiden. Ähnliche Erfahrungen machte auch Schuster (2013)

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 153

mit ihrem Projekt »MOVE_YOU«, was sie 2011 erstmals in der Münchner Innenstadt durchführte; u.a. wurden große Sprechblasen aus Pappe mit Wörtern und Wortgruppen wie »Wem gehört München?« oder »Ich bin ich« (vgl. Schuster 2013: 110) aufgehängt. Auch diese Handlungen wurden kritisch aufgenommen und seitens der Ordnungshüter »als gefährliche Quelle für Unordnung und Unruhe im Stadtraum« (ebd.) gedeutet. Gleichzeitig ist das positiv einzuschätzen, da es gerade darum geht, solch unsichtbare Grenzen in Räumen und Handlungen zu entdecken und Spannungen zu erfahren, um diese gemeinsam zu thematisieren. Dass dabei weder Gegenstände noch Personen zu Schaden kommen, ist eine Grundvoraussetzung vor allem auch für Arbeiten im schulischen Rahmen. Und auch hier zeigt sich wieder die zweischneidige Rolle von Kunst: »Um (politisch) wirksam sein zu können, muß sie das Rezeptionsvermögen ihrer Adressaten also in Maßen ›voraussehen‹. Gelingt ihr dieser emphatische Akt, ist sie erfolgreich und Stachel gegen den ›leichten Lauf der Dinge‹« (Hasse 1994: 35). Welchen (Mehr-)Wert aber hat das Vor-Ort-Sein für die Weisen der Raumaneignung? Was können – besonders Jugendliche – daraus lernen? Bereits in Abschnitt 2.3.1 wurde darauf Bezug genommen, dass der Ortsbezug und dabei besonders der öffentliche Raum eine wichtige Rolle hinsichtlich informeller Bildungsprozesse spielen. Untersuchungen befassen sich schon seit den 1970er Jahren mit der Erforschung des alltäglichen Lebensumfeldes von Kindern und Jugendlichen (Deinet 2010). Das Konzept der place-based oder place-conscious education legt einen Schwerpunkt auf die aktive Auseinandersetzung im und mit dem räumlich Nahen, z.B. der Schulumgebung, der Nachbarschaft oder Gemeinde. Kinder und Jugendliche sollten demnach zuerst die einzigartigen Merkmale ihres eigenen Lebensumfeldes kennen und schätzen lernen, um sich dann auch mit globalen Fragen auseinanderzusetzen. Oft, so kann auch allgemeiner nachgewiesen werden, »zielen Beteiligungsprojekte mit Kindern und Jugendlichen in der Stadtentwicklung [...] auf eine Steigerung der Identifikation der jungen Menschen mit ihrem Stadtteil ab. Von einer erhöhten Identifikation der Bewohner mit ihrem Quartier verspricht man sich eine gesteigerte Ortsloyalität und ein daraus resultierendes erhöhtes Verantwortungsgefühl und Engagement der Bewohner für ihren Stadtteil.« (Ohl 2009: 349) Das räumlich nahe Umfeld der Schule bietet den Jugendlichen zum einen eine gewisse mentale Nähe als auch einen Raum, in dem sie sich einen Großteil ihrer Schulzeit aufhalten (vgl. Exkurs II). Untersuchungen zu den Wirkungen von Exkursionen – Mapping wird hierbei als Form der Exkursion verstanden – sind generell mit einigen Problemen behaftet, denen sich v.a. auch Geographen bewusst sind und gegenüber sehen (Saunders 2011:

154 | U RBANES R ÄUMEN

186). Obwohl Erkenntnisse aus der Exkursionsdidaktik vorliegen, die die Planung und Konzipierung von Exkursionen anhand von acht Kriterien konstruktivistischer Überlegungen (Hemmer/Uphues 2009) ausrichten, gibt es keine Formel, die das richtige Verhältnis bspw. zwischen der Offen- und Geschlossenheit festlegen (vgl. Saunders 2011: 190). Messwerte z.B. zum Lernerfolg auf Exkursionen sind zudem abhängig von weitaus mehr als der angewandten Methode. Besonders die individuellen Einflussfaktoren der Lernenden können selten genauer untersucht werden. Oftmals wird die Arbeit auf Exkursionen demnach an den Lern(-ziel-)erfolgen gemessen. So belegen Studien, dass Exkursionen (verstanden als Arbeiten vor Ort, im Englischen: residential fieldwork) einen positiven Effekt auf kognitive und affektive Lernprozesse von Kindern zwischen neun und elf Jahren zeigen (Nundy 1999: 190) – und das besonders im Gegensatz zum Unterricht im Klassenzimmer. Auch zwischenmenschliche und gemeinschaftliche Fähigkeiten, neben einigen Verbesserungen im Verhalten allgemein, können nachgewiesen werden (Amos/Reiss 2012: 485). Dennoch werden auch solche Faktoren untersucht, die über reine Lernergebnisse hinausgehen. Nach einem Jahrzehnt der Untersuchungen konnte bspw. ein Modell ausgearbeitet werden, das vier Kontexte – den personalen, sozio-kulturellen, physischen und zeitlichen – herausstellt, die auf das Lernen Einfluss nehmen und deswegen besonders berücksichtigt werden sollten (vgl. Falk/Dierking 2000, in Amos/Reiss 2012: 488). Die Bedeutung des Arbeitens vor Ort leitet sich auch aus der Annahme ab, dass wir unser Umfeld zunehmend weniger bewusst wahrnehmen (vgl. Wöhler 2008: 73). »Gerade am Beispiel der Reisenden läßt sich die geschichtlich bedingte Veränderung des Sehens als eine spezielle Form der Wahrnehmung besonders gut darstellen.« (Hlavin-Schulze 1998: 112) Fotos und andere mediale Erzeugnisse halten gemachte Erinnerungen stabil und werden dann als Beweis angeführt, dass man auch wirklich vor Ort war. Jugendliche machen Primär- und Sekundärerfahrungen nicht mehr i.e.S. zu Hause, sondern in und mit zunehmend entfernteren Räumen, wie z.B. auch dem Internet (vgl. Tani 2013: 12). Die bewusste Auseinandersetzung gerade mit dem Lokalen ist aber weiterhin bedeutend (Gruenewald 2003). Jugendliche sollen vor Ort die Möglichkeiten haben, sich ihre eigenen Bilder zu machen. Lernen außerhalb des Klassenzimmers findet nicht statt, damit sie sehen, wie es dort wirklich ist, sondern damit sie selbst eigene Wirklichkeiten entdecken und hinterfragen lernen, ihre eigenen Geographien machen. Einen weiteren wichtigen Punkt stellt das Arbeiten in Gruppen dar. Es zeigt sich, dass die dadurch gebildeten »learning communities« bedeutungsvoll sind für das Erleben eigenen Zusammenhalts und damit das Arbeiten selbst (Kember et al. 2001, in Saunders 2011: 189). In den Gruppen wiederum ist der Austausch individueller Sichtweisen dann i.S. der Multiperspektivität eine

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 155

notwenige Bedingung, um auch die Sichtweisen »der anderen in ihrer subjektiven Situiertheit« (Dickel 2006b: 96) zu erkennen, wobei auch unberücksichtigte Perspektiven zu einem Perspektivwechsel ganz entscheidend dazugehören (ebd.: 189). Vergleichbar ist diese Weise der Raumaneignung außerhalb des Klassenzimmers mit dem, was der Tourist tut: Wenn die Jugendlichen ihre bekannten, vertrauten Räume verlassen, in denen sie vielleicht manchmal widerwillig dem Geographieunterricht beiwohnen, erfahren sie dann vor Ort ein ganz anderes Gefühl, eines von »Dabeisein und nicht ausgeschlossen zu werden sowie gleichzeitig sich vorübergehend selbst bestimmend zu erfahren« (Wöhler/Pott/Denzer 2010a: 14) – und damit ein Gefühl von Freiheit, welches, um zugelassen zu werden, erst einmal anerkannt und wertgeschätzt werden muss. Das Außen konstituiert sich nur das Innen; demzufolge ist auch das Klassenzimmer letztlich konstitutiv für das Wahrnehmen und Handeln im Umfeld außerhalb. Damit werden Jugendliche auf eine kleine Reise geschickt, auf der sie mit einem offenen Blick Fremdes entdecken und Räume neu lesen können. »Allerdings geht es um Distanz zur gewohnten Umgebung und nicht um ein völliges Verlassen derselben.« (Hlavin-Schulze 1998: 134) So, wie eine Urlaubsreise nur von kurzer Dauer ist, so werden auch die Jugendlichen in ihren Mapping-Aktionen eine temporäre Entfremdung erleben, ohne aber gleich ihr Wesen dadurch zu verändern (vgl. ebd.). Der Ortswechsel geht nicht gleichzeitig mit einer kompletten Veränderung des Subjekts einher, auch wenn es neue Erfahrungen machen wird – der Tourist vielleicht bei der Auswahl des Essens, der Lernende beim Erkennen der Hektik in der Einkaufsstraße. Damit ist auch Raumaneignung zentrales Merkmal und Bestandteil von Exkursionen bzw. Reisen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich eine immer größer werdende Zahl von Projekten und Studien mit Jugendlichen und ihren Weisen der Raumaneignung auseinandersetzen. Wenn es darum geht, Planungen nicht nur mit, sondern auch für die Beteiligten umzusetzen, muss es aber verstärkt um solche Fragen gehen, wie Jugendliche lernen, welche Bedeutungen sie ihren Handlungen zuweisen, warum sie Räume so und nicht anders nutzen etc. und diese Erkenntnisse in die weitere Arbeit, sei es im Rahmen der Stadtplanung oder dem Schulunterricht allgemein einzubeziehen.49 Genau das ist mit subjekt- und handlungszentrierten Geographien gemeint; und zwar nicht nur auf einer formalen Ebene.

49 In der Geographiedidaktik setzt man sich besonders im Forschungsgebiet der Schülervorstellungen mit solchen Fragen auseinander.

156 | U RBANES R ÄUMEN

»Willst du sehen, so lerne zu handeln« – der ästhetische Imperativ Heinz von Försters (1985: 41) bringt die zentrale Botschaft nicht nur dieses, sondern der bisherigen Kapitel zum Ausdruck. In der Verknüpfung zwischen dem Wahrnehmen und Handeln findet Raumaneignung statt. Eine Grundvoraussetzung bzw. Ausgangspunkt dafür, dass wir uns Räume erschließen, ist unsere subjektive, sinnliche Wahrnehmung, die die Grundlage für die Überlegungen einer Raumbezogenen Handlungskompetenz darstellt. Dabei geht es vor allem darum, zu neuen Einsichten über Räume zu gelangen, um sich vor einseitigen Deutungen zu hüten. Erweitert werden kann der ästhetische dann zu dem von Förster (ebd.) formulierten ethischen Imperativ: »Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.« Die heutige Welt stellt sich, besonders für Jugendliche, als zweischneidig dar. »Mit der Ausweitung von Möglichkeitshorizonten wachsen die Kontingenz- bzw. Komplexitätszumutungen, gleichzeitig verengen so genannte Sachzwänge jeden Gestaltungsspielraum.« (Daum 2006b: 14f.). Das wirkt sich auch auf die Möglichkeiten der Nutzung und Gestaltung von Räumen aus. Geographieunterricht soll genau an dieser Stelle ansetzen: Jugendliche sollen die Kontingenz sozialer Wirklichkeit – und damit i.e.S. die Anwendung der vier Raumbegriffe aus Kapitel 2.1.2 – selbst erfahren, ohne sich ihr ausgesetzt zu fühlen. Das Lernen vor Ort bietet sich dabei besonders an, um Jugendliche in anderen außer rein schulischen Kontexten an die Bedeutsamkeit geographischer Themen heranzuführen. Ebenso lohnenswert erweisen sich Ansätze künstlerisch-ästhetischer Arbeit, da darüber Spannungen auf spielerische, fiktionale, aber nicht minder ernste Weise bearbeitet werden können. Über die Aneignung mentaler als auch physisch-materieller Räume werden Jugendliche auf ihre eigene Person zurückgeworfen, indem sie eigenes Handeln hinterfragen lernen. Geographieunterricht kann erheblich von dieser »anderen Seite der Bildung« (Rauschenbach 2007) profitieren. Raumaneignung findet als eigentätige, kreative Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt statt, womit eine Erprobung und Erweiterung des Handlungsraumes und Kompetenzen einhergehen. »Am Ende stellt sich natürlich die Frage, ob das Aneignungskonzept nicht in den Sog bloßer sozialer Anpassung gerät – möglichweise als harmlos erscheinende ›Assimilation‹ und ›Akkomodation‹ à la Piaget. [...] Nicht Aneignung kann die alleinseligmachende Devise sein, sondern auch ihr Gegenteil, die begründete Ablehnung.« (Daum 2006b: 15).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 157

2.3.3 Zusammenfassung empirischer Erkenntnisse zur Raumaneignung Jedes Subjekt entwickelt im Laufe seines Lebens ein Bild von der Welt, ein Weltbild, welches als »Gesamtheit der subjektiven Erfahrungen, Kenntnisse und Auffassungen« (Siegmund 2007: 106) beschrieben werden kann. Das geographische Weltbild, um das es in dieser Untersuchung hauptsächlich geht, wird zumindest in Teilen über das Konstrukt der kognitiven Karte konzeptionalisierbar. Kognitive Karten sind Ausdruck individueller Ordnungsprozesse, über die sich jedes Subjekt ein je eigenes Bild von der Welt macht und darauf aufbauend Handlungen entwirft und verwirklicht. Die Entstehung eines geographischen Weltbildes lässt sich theoretisch u.a. über die vier Komponenten fassen: Raumorientierung, Raumverständnis, Raumverhältnis und Raumverhalten (ebd.), wobei sich die Liste ergänzen und ändern ließe. Das Bestimmen beeinflussender Faktoren auf die Entwicklung des Weltbildes wird deswegen als wichtig erachtet, um mögliche Variablen für eine Ausgestaltung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen bei Jugendlichen zu erfassen, die in die spätere Hypothesenformulierung eingebunden werden sollen. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass Raumaneignung – verstanden hier sowohl als mentales als auch tätigkeitsorientiertes Handeln – grundlegend abhängig ist von Prozessen der Raumwahrnehmung sowie den daraus entstehenden Raumvorstellungen, dann kommt mentalen Bildern eine bedeutende Rolle zu. Sie beeinflussen räumliches Denken und Lernen (Haubrich 1992: 41) – wobei Bild hier in einem weiteren Verständnis gebraucht wird. Letztlich bauen Menschen darauf ihre Zuneigung, die besondere Wertschätzung eines Ortes auf. In der Geographie wird oft von einem sense of place gesprochen; das Pendant des place attachment wird von Umweltpsychologen untersucht (vgl. Williams/Vaske 2003: 813). Die mentalen Bilder, d.h. die imaginären Geographien von Räumen und damit die empfundene räumliche Identität werden zum einen maßgeblich von konkreten Handlungen, d.h. der Vor-Ort-Anschauung (s. Abb. 4) beeinflusst. Bereits im frühen Kindesalter spielen der Leib- und Ichraum (Stückrath 1963: 14ff.) eine wesentliche Rolle in der Entwicklung räumlichen Denkens. Empfindung und Bewegung bedingen sich gegenseitig, weshalb auch »die räumliche Wahrnehmung parallel zu den Stufen der Körperbeherrschung« (ebd.: 14) stattfindet. Zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr ist das Subjekt noch eng an den ihn umgebenden Raum gebunden (ebd.: 15). Eine erste bewusst angeleitete Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebens- bzw. Heimatraum findet in der Grundschule statt; im Fach Heimatkunde, was mittlerweile oft durch andere

158 | U RBANES R ÄUMEN

Bezeichnungen abgelöst wurde, sollen die Kinder die subjektiven Bindungen an Heimat erfahren sowie damit verbunden ein Bewusstsein für die Bedeutung des eigenen Heimatraumes über die geschichtliche Entwicklung und der räumlichen Bezüge in größerer Einordnung ausbilden. In dieser Form wird der Entfaltung einer Ortsverbundenheit im späteren Schulalter kaum mehr Rechnung getragen, was nicht bedeutet, dass die Lernenden nicht für räumliche Fragestellungen sensibilisiert werden. Auch das kann als Grund dafür gesehen werden, dass sich besonders intensiv mit den psychologischen Voraussetzungen der Raumaneignung von Kindern auseinandergesetzt wurde und wird. So konnte bspw. auf psychologischen Grundlagen beruhend eine »Raumlehre« für die Volksschule entwickelt werden, die in drei Stufen stattfinden soll (Stückrath 1963). Ähnliche Erkenntnisse sind für die gymnasiale Oberstufe bspw. aus aktueller Zeit nicht bekannt. Doch ist das Erweitern der individuellen kognitiven Karten kein alleiniges Ergebnis dieser konkreten Raumerfahrungen. Vielmehr werden diese im weiteren Lebensverlauf durch zusätzliche Informationen über Räume beeinflusst und differenziert, wobei Medien eine bedeutende Rolle zukommt. Aufgrund unterschiedlicher Informationsarten und -dichte lassen sich Texte (verbale/schriftliche Informationen) von Bildern (visuellen Informationen) hinsichtlich ihrer Informationsverarbeitung und -vermittlung unterscheiden. In Anlehnung an den populären Ausspruch Ein Bild sagt mehr als tausend Worte sind Bilder dem Lesenden eher intuitiv zugänglich als Texte, wobei erstere oftmals mehr Informationen in sich bergen und als »nicht-kontinuierliche Texte« (Bezeichnung im Zuge der PISA-Studie 2000, vgl. Hüttermann 2007) durchaus größeren Interpretationsspielraum erlauben. Das Besondere an Karten als eine Form nichtkontinuierlicher Texte ist, dass sie rund 20 Mal so viele Informationen vermitteln können wie ein normaler Text (Ogrissek 1970: 71, in Hüttermann 2007: 118). Auch diese Annahmen sind in den Überlegungen zur Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen zu berücksichtigen, vor allem auch im Hinblick auf die Ergebnisse aus den Gruppendiskussionen mit den Jugendlichen und ihren Bewertungen von Text und Bild für die Raumaneignung (Kap. 6.2). Entscheidend aber ist, dass sich auch die Bilder auf unser Handeln in Räumen auswirken, und diese wiederum durch eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst sind, die Forschenden nicht bzw. nur schwer zugänglich sind, zumal sich nicht allein geographische bzw. geographiedidaktische Forschung damit auseinandersetzt, sondern in besonderem Maße auf andere Wissenschaftsdisziplinen zurückgegriffen werden muss.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 159

Abbildung 4: Zusammenfassende Darstellung von Einflüssen auf Raumaneignung

Auf der einen Seite befassen sich vor allem (neuro-)psychologische Forschungen mit den Weisen der Informationsverarbeitung, d.h. wie Reize aus der Umwelt von Subjekten aufgenommen und verarbeitet werden. Solche Untersuchungen sind bspw. für das Lesen von Karten intensiv vorangebracht worden. Eine wichtige Erkenntnis daraus ist, dass Karten vom Lesenden zwar als Ganzes erkannt, aber in Teilen entziffert werden, da unsere Augenbewegungen sequenziell stattfinden (vgl. Zimmer 2004: 604). Auch Gillner und Mallot (1998, in Zimmer 2004: 604) konnten nachweisen, dass räumliche Informationen über Pfade repräsentiert sind und einzelne Teilinformationen erst dann verknüpft werden. In gleicher Weise werden dann bspw. ein Objekt und dessen Position im Raum getrennt voneinander im Gehirn verarbeitet.50 Diese partielle Informationsverarbeitung stellt an sich keine außergewöhnliche Erkenntnis dar, doch ist diese, einen Schritt weitergedacht, entscheidend, da sich neue Informationen in ein Netz

50 Kaminske (2013: 9) sieht räumliche Verarbeitungsmechanismen beim Lesen einer Karte eher als sprachliche, und nicht visuelle. Wiederum ließe sich Olsons (1979, in Flury 1988: 20) Erkenntnis aus einem linguistischen Experiment, in dem er ebenfalls die partielle Informationsverarbeitung – von Texten – nachweisen konnte, auf das Lesen von Karten (i.S. visueller Informationsverarbeitung) übertragen.

160 | U RBANES R ÄUMEN

bereits bestehender, bekannter Informationen fügen und sich damit letztlich ein und dasselbe Datum ganz unterschiedlich relevant für den Einzelnen ergeben kann. Beim Abrufen dieser Daten kann es zu neuen Kombinationen und Bedeutungszuweisungen kommen. Es liegen zudem Erkenntnisse vor, die sich besonders auch im geographischen Rahmen bewegen und die psychologischen Grundlagen zur Ausbildung von Weltbildern untersuchen (u.a. Hansen 1965, 1968; Stückrath 1958, 1963), »aber auf eine grundlegende und von der Fachdidaktik her konzipierte Unterrichtspsychologie kann man bis heute noch nicht zurückgreifen« (Sperling 1973: 6). Eng verbunden mit der Raumaneignung bzw. Welterschließung ist vor allem auch die Persönlichkeitsentwicklung sowie das Selbstkonzept des Kindes, die wiederum u.a. durch Emotionen, Gestaltung der Lebenswelt, Sprachentwicklung sowie andere Bezugspersonen wesentlich beeinflusst wird (vgl. Senckel 2004). Besonders den Eltern kann in diesem Sinne eine Schlüsselfunktion zugesprochen werden, da sie im späteren Grundschulalter Einfluss auf Interessen der Kinder haben (Siegmund 2007: 115). Aus geographischer Perspektive existieren zahlreiche Untersuchungen zum Aufbau eines Weltbildes v.a. bei Kindern (vgl. Schade/Hüttermann 1999: 195), wobei sich weniger intensiv mit verschiedenen Einflussgrößen gleichzeitig, sondern gezielt mit einzelnen Variablen beschäftigt wird. Schade und Hüttermann (1999) versuchen diese Lücke zu schließen, indem sie Schülerpräferenzen und -erfahrungen, deren Einschätzung von Informationsmöglichkeiten i.S. der Tauglichkeit von Informationen sowie topographische Verortungen und den Einfluss von Medienereignissen auf diese berücksichtigen. Sie kommen u.a. zu dem Ergebnis, dass die Fähigkeit topographischer Verortung umso genauer ist, je intensiver eine geographische Landmarke im Geographieunterricht behandelt wurde oder sie den Kindern durch Aktualität in den Medien präsent ist (ebd.: 203). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Stückrath, der neunjährige Kinder (50 Jungen und Mädchen einer vierten Jahrgangsstufe) über die Methode der Reizwortwahl Zeichnungen hat anfertigen lassen, die im Nachhinein in Gesprächen mit den Kindern ausgewertet wurden (Stückrath 1958: 135). Trotz der eher geringen Probandenzahl konnten einige herausstechende Erkenntnisse aus der Analyse der Bilder und Gespräche gewonnen werden: »Besonders reichhaltig« (ebd.: 141) waren demnach die Ausführungen der Kinder, wenn sie mit dem gegebenen Reizwort (z.B. Amerika, Indianer, usw.) ein Ereignis aus den Medien verknüpfen konnten. So kann – wenn auch nicht in großangelegten Studien – festgehalten werden, dass der Medienkonsum einen Einfluss vor allem auf jüngere Schüler hat, wohingegen er bei Studierenden und Lehrenden nicht in diesem Umfang nachweisbar war (vgl. Haubrich 1992: 42). Aus einer weiteren aktuellen Studie zu Mental Maps unter Referendaren und Kursstufenschülern

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 161

geht hervor, dass eigene Kenntnisse über einen Raum besonders stark das Bild darüber prägen; sind diese nicht vorhanden, wird dies durch die Institution Schule beeinflusst; Nachrichten und Fernsehen werden dabei als weniger prägend eingeschätzt (Kaminske 2013: 6). Das deckt sich zu einem Großteil mit Erkenntnissen aus der Neurobiologie, wonach Lernen besonders nachhaltig stattfindet, wenn die Subjekte selbst tätig werden (vgl. Spitzer 2012, in Kaminske 2013: 7). Auch die Neunjährigen aus Stückraths Untersuchung zeichneten besonders lebendige Bilder vom Meer, wenn sie selbst schon einmal dort waren (Stückrath 1958: 141). Weiterhin kann empirisch gezeigt werden, dass das vor-Ort-Sein zum einen die Möglich- und Fähigkeit zur Einnahme und Reflexion unterschiedlicher Perspektiven erhöht (Dickel 2006b) – damit also eine vielperspektivische und kritische Sicht auf Räume ermöglicht wird –, und zum anderen dadurch ein Verantwortungsbewusstsein bei den Handelnden gezielt gesteigert werden kann (Ohl 2009). Die in Abbildung 4 herangezogenen Studien stellen keine lückenlose Zusammenfassung aller (empirischen) Erkenntnisse zum jeweiligen Einfluss auf die Ausprägung von kognitiven Karten dar (vgl. ausführlicher dazu Kap. 2.4). Dennoch können zentrale Faktoren herausgestellt werden, um diese im Anschluss an die Auswertung in die theoretische Verdichtung (Kap. 6.2) einzubeziehen. Neben den geschlechtsspezifischen Unterschieden als Einfluss auf die Ausbildung und Differenzierung einer Raumvorstellung (i.S. des räumlichen Denkens als mentales Operieren), die zwar weithin durch die unterschiedliche Spezialisierung beider Gehirnhälften belegt sind (vgl. Köck 2005b: 99) und »zugunsten des männlichen Geschlechts« (Rost 1977: 30) ausfallen, darüber hinaus aber deren jeweilige praktische Bedeutsamkeit noch nicht tiefer gehender untersucht wurde, können allgemein kulturelle Merkmale als die kognitiven Karten beeinflussende Faktoren herausgestellt werden. Diese umfassen bspw. andere Zeit- und Raumorientierungen, u.a. durch den Rückgriff auf Himmelsrichtungen, die nicht nur zur Orientierung im Raum, sondern bspw. zur Lagebestimmung gebraucht werden, die Rolle der Sprache, sowie die Feststellung, dass Naturvölker räumliche Relationen anders messen und daraus auch eine andere Wahrnehmung von Entfernungen resultiert (Rost 1977: 24f.). Trotz gleichen Alters können weiterhin Unterschiede im jeweiligen Weltbild von Kindern auf internationaler Ebene festgehalten werden (Schmeinck 2007). Allein schon im bildlichen Zeichnen und Gestalten unterscheiden sich Kinder, abhängig von ihrer »Erlebnisrichtung« (Hansen 1965: 85), d.h. den jeweiligen gefühlsmäßigen Erfahrungen und Handlungen.

162 | U RBANES R ÄUMEN

»Die starken inter-individuellen Unterschiede deuten insgesamt darauf hin, dass Strategien und Kompetenzen räumlichen Lernens unsystematisch erworben werden« (Münzer 2012: 83), was schließlich ein einheitliches Modell zur Entfaltung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen erschwert. Es kann anerkannt werden, dass das (Vor-)Wissen (z.B. topographische Kenntnisse) und Intelligenz einen wesentlichen Einfluss auf das räumliche Denken besitzen, wobei dies wiederum in einem engen Sinne als mentales Operieren mit räumlichen Lagerelationen verstanden wird. Das Feststellen von Einflüssen auf Raumwahrnehmung in unterschiedlichen Forschungsbereichen geschieht allgemein unter Rückgriff auf ein physisch-materielles Raumverständnis. So werden bspw. auch in einer Studie zur Wahrnehmung eines Stadtviertels durch Studierende vornehmlich die konkreten Dinge aus der Umwelt abgerufen und daran gemessen, welchen Einfluss die Bewegung im Raum hat (McGill/Korn 1982). Dabei werden weniger die Perspektiven der Menschen selbst in den Blick genommen, auch wenn ihre Wahrnehmungen bspw. ermittelt werden. Mit anderen Worten: Allein dadurch, dass sich ein Mensch viele Dinge aus seiner Umgebung merken und wieder abrufen kann, sagt noch nichts darüber aus, warum er dazu in der Lage ist, d.h. welche Bedeutung er den jeweiligen Dingen zuweist. Diese Lücke versucht die vorliegende Studie zu schließen, indem vor dem Hintergrund einer Subjekt- und Handlungszentrierung gerade die jugendlichen Perspektiven in den Blick genommen werden, ohne, dass bestehende Vorstellungen und Kategorien über sie gestülpt werden. Gerade weil sich Raumaneignung so vielfältig, prozessual und komplex darstellt, wird es als geeignet angesehen, die ihr zugrunde liegenden, handlungsleitenden Muster zu rekonstruieren.

2.4 K RITISCH - REFLEXIVER U MGANG MIT R AUMKONSTRUKTIONEN Nachdem in den bisherigen Kapiteln aufgezeigt wurde, wie Räumlichkeit und Handlung verstanden werden und was Subjekt- und Handlungsorientierung konkret im Geographieunterricht meinen kann51, soll in diesem Kapitel ein kritischreflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen vor dem Hintergrund einer Handlungsorientierung ausformuliert werden. Was bedeutet es, kritisch-reflexiv mit Räumen umzugehen, kritisch-reflexiv zu handeln?

51 Hier wird bewusst eine Möglichkeitsform verwendet – denn handlungsorientierter Geographieunterricht kann, muss nicht nur so verstanden werden.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 163

Grundsätzlich nehmen Menschen ihre Umwelten ganz vielfältig und überhaupt wahr. Sie eignen sich Räume im Sinne einer Konstruktionsleistung an; Kinder tun dies zumal in einer natürlich-kreativen Einstellung, indem für sie gewisse Gegenstände andere, durchaus spielerische Bedeutungen annehmen als für Erwachsene. Solche Prozesse ergeben sich auf der einen Seite also natürlicherweise, können aber auch, so die Annahme, bewusst gelenkt und verändert werden. »Wahrnehmungsprozesse sind in erster Linie Gegenstand psychologischer Forschung. Wahrnehmungsergebnisse sind allerdings auch für Geographen interessant, da sie raumbezogenes Handeln beeinflussen. Sie sind aber erst recht für Geographiedidaktiker wichtig, da diese durch ihre Forschungen der Praxis Hilfen anbieten sollen, die ›Welt in den Köpfen‹ von Schülerinnen und Schülern zu formen, um sie für ein raumgerechtes Handeln zu befähigen« (Haubrich 2007: 56)

– »eine angemessene Geographie zu machen« (Hartke 1962: 115, zit. in Werlen 1997: 27). Es geht also darum, dass Jugendliche ein »praktikables Weltbild« (Dickel 2006a: 9) ausprägen, was ihnen Orientierung gibt, ohne sie zu überfordern (Daum/Werlen 2002: 4). Dazu gehören auch grundlegende topographische Wissensbestände, die vom Grundschulalter an ausgeprägt werden müssen. Kinder fassen die Welt noch nicht »als räumlich strukturiertes Ganzes« (Schniotalle 2005: 41) auf; für sie stehen topographische Begriffe, wie z.B. Ostsee, Deutschland, Nürnberg, Pazifischer Ozean »als gleichrangige Bedeutungseinheiten« (ebd.) nebeneinander. Doch um auch weltweite Geschehnisse einordnen und verstehen und im Hinblick auf die Bedeutung für das eigene Leben bewerten zu können, müssen Lernende in der Lage sein, räumliche Beziehungen herzustellen. Bereits im Grundschulalter kann damit begonnen werden, unterschiedliche kartographische Darstellungen kritisch zu betrachten, um bspw. Verzerrungen zu verstehen und Lage- und Größenrelationen einzuschätzen (vgl. Michalik 2005). Diese Fähigkeiten müssen erlernt und angeleitet werden, da sich ein Weltbild nicht automatisch ergibt. Die Frage, die sich daraus ableitet, ist folgende: Was umfasst eine solche Weltbildproduktion, was sollten Jugendliche können, um kritisch-reflexiv zu handeln?

164 | U RBANES R ÄUMEN

2.4.1 Ausgangspunkt 1 | Kompetenzbereich Räumliche Orientierung Diese Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt im Kompetenzbereich der Räumlichen Orientierung der Bildungsstandards für das Fach Geographie. Damit sind folgende Kompetenzen und Standards gemeint: • • • • •

(O1) Kenntnis grundlegender topographischer Wissensbestände (O2) Fähigkeit zur Einordnung geographischer Objekte und Sachverhalte in räumliche Ordnungssysteme (O3) Fähigkeit zu einem angemessenen Umgang mit Karten (Kartenkompetenz) (O4) Fähigkeit zur Orientierung in Realräumen (O5) Fähigkeit zur Reflexion von Raumwahrnehmung und -konstruktion

Wenn es darum geht, Jugendlichen heutzutage (räumliche) Orientierung zu vermitteln, sind damit nicht nur topographische Wissensbestände (O1), die Fähigkeit räumlicher Ein- und Zuordnungen (O2), Karten zu lesen (O3) und sich im Realraum orientieren zu können (O4) gemeint. »Erdkunde ist nicht Topographie, aber keine Erdkunde ohne Topographie.« (Geibert 1987) Vielmehr geht es darum, Jugendliche auf die zunehmend komplexer werdende Welt vorzubereiten, damit sie sich in ihrer täglichen Aneignung von Räumen zurechtfinden, Argumente für ihr eigenes Tun begründet hervorbringen und in Konfliktfällen zu konstruktiven Lösungen in der Lage sind. Menschliche Raumorientierung stellt sich demzufolge – und hier wird bewusst eine Zweiteilung vorgenommen – als motorische Leistung sowie als phänomenologisches Erlebnis dar (Stapf 1968: 7ff.). Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt dabei auf der Kompetenz einer Reflexion von Raumwahrnehmung und -konstruktion (O5), wobei die instrumentellen Vorgaben (mental maps bzw. Karten allgemein) verallgemeinert und methodisch differenziertere Wege der Umsetzung aufgezeigt werden sollen. Damit soll auch ein Bewusstsein außerhalb fachlicher Bereichsgrenzen geschaffen werden, dass Geographie weitaus mehr umfasst als ein Stadt-Land-FlussWissen und Geographen gar mehr als »so etwas ähnliches wie Geologen« (Schmidt 1993) tun. In Anlehnung an Flath und Krause (1991, in Köck 2006: 20) werden mit der Ausprägung eines Weltbildes nicht bestimmte »Vorstellungen über die Welt« (ebd.) verstanden, da Jugendliche nicht adäquat auf ihre Rolle als Weltbürger vorbereitet werden können, indem sie lernen, wo Ländergrenzen verlaufen oder wie viel Niederschlag in entfernten Regionen der Erde fällt.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 165

Vielmehr sind damit spezifische Kompetenzen verbunden, die nicht schon vorgefertigte Denkmuster vermitteln, sondern diese bei den Lernenden selbst anregen wollen, weshalb der Aufbau eines Weltbildes ein zunächst individueller Sinnstiftungsprozess bleibt. Die Vermittlung eines Weltbildes ist als Vermittlung bestimmter Fähig- und Fertigkeiten definiert, durch die subjektive und objektive Sichtweisen auf die Welt miteinander verbunden werden sollen. Trotz oder gerade aufgrund der »Unmöglichkeit eines objektiven räumlichen Weltbildes« (Köck 2006) sollte Geographieunterricht dazu beitragen, »[e]ine größtmögliche Verringerung der Diskrepanz zwischen mentaler Repräsentation und realer Beschaffenheit der räumlichen Welt und damit Objektivierung des räumlichen Weltbildes« (ebd.: 27) seitens der Lernenden anzuleiten, wobei mit den realen Gegebenheiten Dinge der physisch-materiellen gemeint sind, auf die man sich einigen kann (s. Sachwissen). Diese Aufgabe kann bzw. sollte ausgehend von der »Bewusstmachung der Subjektivität und Fehlerhaftigkeit des individuellen oder interindividuellen räumlichen Weltbildes« (ebd.) erfolgen. Im Rückgriff auf Reuschenbach (2011) bedeutet das, dass die subjektiven Vorstellungen der Lernenden nicht als pauschal falsch bewertet werden sollten, sondern die Jugendlichen im Austausch mit anderen Meinungen und Sichtweisen zu neuen und ihnen für ihr Handeln viabel erscheinenden Raumvorstellungen gelangen sollen. Räumliche Orientierung ist weithin als Forschungsfeld etabliert und trägt damit nicht zuletzt zur Profilierung des Faches Geographie bei. Geographiedidaktische Forschung in diesem Bereich beschäftigt sich vornehmlich mit Fragen zur Kartenarbeit, wozu Kartenlesekompetenz allgemein (Hemmer et al. 2010a), die Orientierung mit Karten im Realraum (Hemmer et al. 2010b; Hemmer/Hemmer/ Neidhardt 2007), Satellitenbilder und Fernerkundung (Hassenpflug 1996; Reuschenbach 2007) sowie neue (Geo-)Medien (Gryl 2010; Gryl/Kanwischer 2011) gezählt werden. Auch mit topographischen Kenntnissen und der Ausbildung grundlegender Orientierungsraster wurde und wird sich auseinandergesetzt (Böhn/Haversath 1994; Bullinger/Lenz 1999; Lamkemeyer 2013; Möller et al. 2012), vor allem im Zusammenhang mit dem Aufbau eines »topographischen Mindestwissens« (Birkenhauer 1996) sowie den gesellschaftlich formulierten Ansprüchen an topographische Wissensbestände (vgl. Hemmer et al. 2005).52

52 Diese Beispiele zeigen nur einen minimalen Teil dessen, was in genanntem Bereich erforscht wird. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die von Haubrich herausgegebene umfassende Bibliographie zur Didaktik der Geographie 2013, die online verfügbar ist.

166 | U RBANES R ÄUMEN

Zunehmend wird auch die Rolle des reflektierten Einsatzes von neuen Medien im Geographieunterricht aufgegriffen, z.B. welche Fähig- und Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Geoinformation für eine gelungene Implementierung im Geographieunterricht entscheidend sind (Höhnle/Schubert/Uphues 2012; Jahn/ Haspel/Siegmund 2012; Neeb 2013). In psychologischen Untersuchungen wurden Einflüsse auf die bzw. einer räumliche(n) Orientierung untersucht (vgl. den Band von Pick/Acredolo 1983), wobei kaum aktuellere Studien vorliegen. Eine wichtige Rolle spielen dabei v.a. Einflüsse kartographischer Darstellungen sowie Mental Maps. Ein auffallend hoher Anteil an geographiedidaktischen Arbeiten kann im Bereich der Schulung und Feststellung der Raumwahrnehmung bei (Grundschul-)Kindern konstatiert werden, was darauf zurückzuführen ist, dass in diesem Alter besonderer Bedarf an Förderung der Raumwahrnehmung und -vorstellung unabdingbar ist für die spätere Orientierungsfähigkeit (Balster 1999; Maier 1996a). Dabei kann der Grundschulunterricht in vielfacher Hinsicht an die Bewegungsfreudigkeit der Kinder anknüpfen, durch die sie sich Raum aneignen; eine Förderung der Raumwahrnehmung und Vorstellung muss auf einer physikalischen als auch mentalen Ebene unter besonderer Berücksichtigung aller Sinne gefördert werden (Brand 1990; Möller 2011). Überschneidungen mit den Disziplinen Mathematik oder Sport, in denen Raum(-wahrnehmung, -vorstellung, -orientierung) eine ebenso wichtige Rolle spielen, werden deutlich (vgl. u.a. Goebbels 2005), weshalb eine fächerübergreifende Bearbeitung lohnend erscheint. Die Förderung räumlichen Vorstellungsvermögens, z.B. mithilfe von Würfelnetzentwürfen oder dem Geobrett nimmt in der Mathematik einen beachtlichen Teil ein (u.a. Bugram/Lukarsch 2000; Huhmann 2011). Das spezifisch Geographische jedoch an der Raumvorstellung i.S. eines räumlichen Denkens ist die Fähigkeit des mentalen Umgangs mit räumlichen Relationen (Köck 2005a: 62), die im Anschluss daran und mit zunehmendem Alter erst ausgebildet werden kann (vgl. Kap. 2.3.1 zur Entwicklung des räumlichen Denkens). Zudem wird besonders auch auf die veränderte Lebenswelt der Kinder eingegangen, die sich v.a. durch einen erweiterten Medienkonsum bereits in jungen Jahren die Welt erschließen. Möglichkeiten einer gezielten Förderung von Raumwahrnehmung und -vorstellung schlägt Pfeiffer (2008) vor. Der Einsatz von Mental Maps erweist sich als hilfreich, um Kindern bereits im Grundschulalter die subjektive Wahrnehmung von Räumen zu verdeutlichen. Daum (2011: 60) stellt einen didaktischen Leitfaden für Lehrende beim Einsatz von subjektiven Karten im Unterricht auf und verweist auf deren besondere Bedeutung im Hinblick auf eine

Auch der Tagungsband zum HGD-Symposium in Ludwigsburg »Räumliche Orientierung« liefert wertvolle Impulse und Einblicke (vgl. Hüttermann et al. 2012).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 167

Verstärkung der Welt- und Heimatbindung. Über die Arbeit mit Bildern werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Grundschulkinder einen Perspektivenwechsel im Sinne eines Kennenlernens ferner Länder vollziehen können (Britz/Schmeinck 2014). Darüber hinaus werden Mental Maps im Geographieunterricht als wichtige Werkzeuge für Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse eingesetzt (Jebbink/ Keil 2003) oder um räumliche Handlungsmuster und Vorstellungen von Kindern in ihren Wohnvierteln zu untersuchen. Die Verschiedenartigkeit der individuellen Mental Maps weist auf ganz unterschiedliche Muster der Bedeutungszuweisung hin; Alter, Geschlecht, soziale Klasse, familiäre Situation und die eigene persönliche Geschichte kommen dabei in den Karten – und oft ergänzt durch Interviews – zum Ausdruck (Lehman-Frisch/Authier/Dufaux 2012; Quaiser-Pohl 2001). Außerschulische Einflüsse auf die spezifisch geographische Raumvorstellung von Kindern untersucht Schmeinck (2004a).53 Wie bereits in Kapitel 2.1 gezeigt wurde, ist die Akzeptanz und Beschäftigung in der Geographiedidaktik mit einem erweiterten, d.h. konstruktivistischen Verständnis von Räumen nicht zu leugnen. Dennoch mangelt es an empirischen Erkenntnissen, die sich mit der Reflexion von Raumwahrnehmung und -konstruktion bzw. den Bedeutungen, die Jugendliche diesem erweiterten Raumverständnis beimessen, beschäftigen. Empirisch nachgewiesen werden konnte unter dem Schwerpunkt des Karteneinsatzes im Geographieunterricht eine eher zurückhaltende Thematisierung solcher Fragestellungen einer Kritischen Kartographie seitens der Lehrenden (Gryl 2011, 2012). 2.4.2 Ausgangspunkt 2 | Subjekt- und Handlungsorientierung Trotz der Annahme, dass die in den Bildungsstandards festgelegten Kompetenzen und Standards als Normen z.B. über Kompetenzmodelle messbar sind (Dickel 2011a: 15), ist es unmöglich, von der r/Räumlichen Orientierungskompetenz zu sprechen; analog dazu wird es nicht gelingen, den kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen zu definieren. Es geht in dieser Arbeit genauso wenig darum, Leistungen der Jugendlichen vor oder nach Durchführung von Geographieunterricht zu messen; sprich, ob sie verstanden haben, was es bedeutet, dass ein Raum konstruiert ist. Mittels der Bestimmung einer Subjekt- und Handlungsorientierung ist es das Ziel, Prozesse subjektiver Bedeutungszuweisungen stärker in den Mittelpunkt von geographiedidaktischer Forschung und letztlich Geographieunterricht zu rü-

53 Vgl. dazu ausführlicher Schmeinck 2004b, die den aktuellen Forschungsstand, inbegriffen unterschiedlicher Teilbereiche räumlicher Vorstellungen systematisch aufzeigt.

168 | U RBANES R ÄUMEN

cken, eine »Geographie der Subjekte« (Dickel 2006a: 10) zu betreiben, um den Lernenden die Bedeutsamkeit geographischer Themen nicht nur theoretisch aufzuzeigen, sondern sie diese auch praktisch erfahren zu lassen. Im Folgenden sollen die Bausteine für eine mögliche Lesart eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen hergeleitet und erläutert werden. Dafür werden zwei dem Wortlaut folgende Elemente eines solchen angenommen: Kritik und Reflexion bzw. Reflexivität. Diese Trennung ist vielmehr heuristisch zu sehen; Verbindungen existieren zwischen allen daraus abgeleiteten Konzepten (vgl. Abb. 5). Auch impliziert diese Trennung nicht, dass zuerst kritisch und danach reflexiv gedacht bzw. gehandelt werden sollte. Es geht um eine zusammen zu denkende Praxis. Ausgehend von der Bestimmung des Konzepts Kritik, die kritisches Denken, d.h. ein Denken in Differenzen meint, ist von einer dadurch bewusst hergestellten Viel- bzw. Multiperspektivität (Kontingenz) auszugehen. Doch um unterschiedliche Weltsichten nicht nur aufzuzeigen und nebeneinander stehen zu lassen, sondern sie hinsichtlich ihrer Herstellung zu hinterfragen (Beobachtung der Beobachtung), wird hier das Vorgehen der Dekonstruktion erneut aufgegriffen. Darüber kann es gelingen, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen, der mehr umfasst als sich allein in die Rolle einer anderen Person hineinzuversetzen. Darüber sollen sich die Jugendlichen der Polyvalenz, d.h. unterschiedlicher, gleich gültiger Meinungen bewusst werden. Als zentrale Folie unterliegt diesen Formulierungen das erweiterte Raumverständnis. Das bedeutet, dass geographische Beobachtungen aus den vier Blickwinkeln (vgl. vier Raumbegriffe) Grundlage für einen kritisch-reflexiven Umgang darstellen. Ein solches Verständnis führt zu einer komplexeren, differenzierten Sicht auf die Welt, muss aber gleichzeitig auch dem Anspruch eines adäquaten Umgangs mit ebendieser Komplexität gerecht werden. Jugendliche sollen durch eine vielperspektivische Sichtweise nicht verunsichert oder gar desorientiert werden. Ein kritischreflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen bildet ein Fundament für das übergeordnete Ziel einer Raumbezogenen Handlungskompetenz. Diese kann durch eine Schwerpunktsetzung auf den Umgang mit Geomedien eine weitere Differenzierung erfahren, wobei darauf hier nur blitzlichtartig eingegangen wird. Von einer Gleichsetzung Raumbezogener Handlungskompetenz mit einer spatial citizenship (vgl. Gryl/Jekel/Donert 2010) soll deswegen abgesehen werden, da der Schwerpunkt der Arbeit nicht auf dem Einsatz neuer Medien liegt. Insgesamt bleibt festzuhalten: »Was die uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler lernen sollen, muss auch gelernt und erworben werden können.« (Hoffmann 2012: 65 [Herv.i.O.]) Wie dies für die Formulierung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen geschehen kann, soll im weiteren Verlauf aufgezeigt werden.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 169

Abbildung 5: Bausteine eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen

Kritik Mit dem Begriff Kritik ist nicht gemeint, dass nach Fehlern bei Anderen gesucht oder vehement gegen etwas protestiert oder angegangen wird, was Missfallen hervorruft oder nicht in das eigene Denkmuster passt. Das Englische trifft mit den Begriffen criticism und critique eine eindeutigere Unterscheidung zwischen einem unhinterfragten Nörgeln und der begründeten Meinungsäußerung. Im vorliegenden Fall würde man sich auf zweiteren Begriff beziehen. In Untersuchungen zur Kritikfähigkeit (vgl. Brunswik 1932, in Hansen 1965: 269) wurden Kindern verschiedene »auffallend unrichtige Sätze« (Hansen 1965: 269; z.B. »Wenn es regnet, ist die Straße trocken«) vorgelegt, die sie kommentieren sollten. Es zeigte sich eine Ungewissheit bei den sieben- und achtjährigen Kindern, die teilweise richtige als falsche Sätze u.u. darstellten. Ein Grund dafür wird darin gesehen, dass die Aussagen nicht im Erfahrungsraum der Kinder lagen, sondern allgemeine Tatbestände thematisierten (ebd.). Dahingegen waren neunjährige Kinder in der Lage, Fehler ansatzweise zu korrigieren (»positive Kritik«, ebd.). Erst ab dem Alter von elf Jahren zeigt sich bei den Kindern auch die Fähigkeit, höhere Kritik zu üben, d.h. Fakten in größere Zusammenhänge einzuordnen (ebd.: 270). »Um kritisch Stellung nehmen zu können, braucht man

170 | U RBANES R ÄUMEN

Maßstäbe, die man an das zu Beurteilende anlegen kann.« (Ebd.) Grundschulkinder sind dazu überwiegend noch nicht in der Lage; erst mit dem Alter in der Hauptschule können und sollten solche Problemstellungen gewinnbringend eingesetzt werden (ebd.: 271). In der Ausformulierung einer Fähigkeit zu kritischem Denken kommen einige grundlegende Anregungen wiederum aus der englischsprachigen Debatte, was bereits an der übersetzten Form deutlich wird. »Critical thinking ist die Fähigkeit, eine Bewertung oder Beurteilung von Daten, Fakten oder Aussagen mithilfe von komplexen Konzepten oder Theorien zu begründen.« (Uhlenwinkel 2013a: 42) Die besondere Stärke dieser Fähigkeit, die es bei Jugendlichen anzuleiten gilt, liegt mit dem Anspruch verbunden, unterschiedliche Definitionen nebeneinander zu setzen und daraus eine eigene viable Erläuterung eines Phänomens abzuleiten (ebd.). Genau das wird auch getan, wenn mithilfe der vier Raumbegriffe auf ein und denselben geographischen Sachverhalt geschaut wird. Gleichzeitig gilt es auf einer inhaltlichen Ebene, die Glaubwürdigkeit genutzter Daten und Aussagen zu überprüfen, da diese jeweils in anderen Kontexten ganz unterschiedliche Bedeutung annehmen können (ebd.: 43). Vor dem Hintergrund subjektiver Bedeutungszuweisung ist besonders danach zu fragen, was als gültiges Wissen, welche Daten als vertrauliche Informationen eingeschätzt werden können. Um dies zu erkennen, braucht es nicht besonders komplexer oder gar alltagsferner Themen. Wie ist bspw. zu erklären, dass die Wirkung des Reitsports gefährlicher eingeschätzt wird als die von Ecstasy (vgl. Zinkant 2014)? Ist eine sportliche Freizeitbeschäftigung eine Droge, die gesetzlich verboten werden sollte? Wie misst man die Schädlichkeit von Drogen? In Deutschland sind der Besitz und Handel mit Drogen wie Heroin, Kokain, Cannabis und Ecstasy gesetzlich strafbar. Gleichzeitig gelten Chrystal Meth und Marihuana als nicht verschreibungspflichtig; ersteres ist besonders nieren- und hautschädlich; Marihuana wird Patienten verabreicht, um Beschwerden zu lindern. Ein Paradox? Noch paradoxer sollte es scheinen, dass das Reiten durch Stürze oder Kollisionen mit Autos weitaus häufiger zum Tod führt als der Konsum von Ecstasy (ebd.). Und dabei wird dieser Sport weder gesetzlich verboten noch ausdrücklich ärztlich verordnet.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 171

Im Hinblick auf einen kritischen Umgang mit Daten und daraus gewonnenen Informationen bedeutet das, dass Informationen kategorisiert und damit Drogen bspw. als gefährlich oder weniger gefährlich eingestuft werden können. Dieses Beispiel verdeutlicht, was bereits Lyotard (1986) mit seiner Unterscheidung wissenschaftlichen und narrativen Wissens aufgezeigt hat: Wissenschaftliches Wissen wird heutzutage immer wichtiger, da es gilt, verlässliche Informationen bereitzustellen. Dabei unterscheidet wissenschaftliches als denotatives Wissen zwischen richtigen und falschen Aussagen. Etwas zu wissen bedeutet dann, wahre Evidenzen zu produzieren (Lyotard 1986: 80f.). Doch muss sich wissenschaftliches Wissen stets selbst legitimieren, um als richtig anerkannt zu gelten, wobei es damit in einen Teufelskreis gerät, da sich wissenschaftliche Theorien und Methoden wiederum über andere Begriffe aufbauen und definieren, die es permanent zu hinterfragen gilt. Wie kommt man dazu zu sagen, dass Drogen bestimmte Folgen für den Körper besitzen? Welche Methoden wurden hierfür angewendet? Hier setzt das narrative Wissen an, welches die Kriterien zur Bestimmung von glaubwürdigen Aussagen selbst bereithält, da diese in der Narration selbst aktualisiert werden (Geiger 2006: 173). Wie der Name vermuten lässt, wird narratives Wissen über Geschichten und Erzählungen i.w.S. vermittelt. Damit sind keine Märchen, vielmehr aber Begebenheiten gemeint, die Menschen widerfahren sind und damit räumliche Narrative herstellen. Im übertragenen Sinne kann bspw. der Streit um die Einrichtung neuer Ayslbewerberheime in Stadtteilen oder die Frage nach dem Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln zu einem Narrativ werden. Der Tatsachengehalt einer solchen Erzählung ist dann an der Erfahrung überprüfbar und darüber abzusichern (Rüsen 1994: 35). In den Worten Rhode-Jüchterns (2004c: 50) meint wissenschaftliches Wissen Dinge, auf die man sich einigen kann und narratives Wissen jenes, das Menschen etwas bedeutet – und damit möglicherweise jedem etwas Unterschiedliches. Um den Bogen zu schließen: Es gilt also, sich im Geographieunterricht genauso über die Weisen der Produktion von Wissen zu verständigen, damit Jugendliche erkennen, dass auch Wissenschaftler durch ihre je eigene Brille schauen und Erkenntnisse dadurch beeinfluss- und auch angreifbar werden können (vgl. Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung/Methoden der Bildungsstandards). Im Falle der Frage danach, ob Reitsport eine Droge sei oder nicht zeigen sich solche Auseinandersetzungen auch treffend anhand von Leserkommentaren (Abb. 6), die als Reaktionen auf die Veröffentlichung ausgetauscht werden.

172 | U RBANES R ÄUMEN

Abbildung 6: Leserkommentare in Ausschnitten zum Artikel »Reiten birgt mehr Risiken als Ecstasy«

Quelle. Zinkant 2014

Kritisches Denken bezieht sich also stets auf das eigene und andere Handeln und zielt nicht auf negativ empfundene Verunsicherung, sondern verfolgt einen sicheren Umgang mit der Kontingenz sozialer Wirklichkeit. Dies setzt neben fachlichen in besonderem Maße auch sprachliche Fähigkeiten seitens der Lernenden voraus (Uhlenwinkel 2013a: 43). Auch in anderen als spezifisch geographischen Bereichen wird die Fähigkeit zu kritischem Denken als entscheidend

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 173

betrachtet, um sich in einer komplexer werdenden Gesellschaft zu orientieren und eigene Meinungen fundiert darzustellen. In dem 1989 durchgeführten Forschungsprojekt Learning to See der (heute umbenannten) britischen Royal Fine Art Commission besteht ein zentraler Bestandteil im kritischen Denken, welches im Sinne einer ästhetischen Gestaltung der Umwelt eingesetzt und dafür ausgebildet werden muss. In dem Projekt wird die Fähigkeit zu kritisieren beschrieben als etwas »(ab-)schätzen, summieren, inventarisieren, kommentieren, untersuchen, abwägen, bewerten, prüfen, begutachten, erläutern, interpretieren, etwas einen Sinn geben, anerkennen, unterscheiden, erhellen« (Adams 1989: 45) zu können. Genau diese Umschreibungen können hilfreich sein, um zu verstehen, dass Kritik weit mehr ist als das bloße Anführen von Gegenbeispielen. Denn im Besonderen geht es im kritischen Denken darum aufzuzeigen, wie gewisse Annahmen über Wissen zustande kommen konnten. »Kritisches Denken versucht, unter Rückgriff auf bestimmte Denkstandards, inhärente oder übernommene Annahmen bewusst zu machen, zu veranschaulichen, zu ergänzen, Perspektiven zu erweitern, zu hinterfragen und zu bewerten, um so bewusster und wohlbegründet urteilen und handeln zu können.« (Jahn 2012: 22) Das impliziert ein Schaffen von Differenzen, ein »Denken in Differenzen« (Rhode-Jüchtern 2009: 165), da Erzählungen von Räumen, sei es die Atomkatastrophe von Fukushima, der Krim-Krieg, die Europäische Union usw., jeglicher Linearität entbehren (ebd.: 166). Sie lassen sich nicht als eine wahre Begebenheit schildern, da bspw. unterschiedliche Teile der Bevölkerung betroffen sind, da die mediale Aufarbeitung und Verbreitung Sichtweisen sowohl im In- als auch Ausland lenkt und Grenzen v.a. auch in den Köpfen, nicht allein auf Karten existieren. Auch Hasse (1995b: 106) spricht von der Notwendigkeit bzw. der »Chance der Pluralisierung der Blicke«. Tatbestände und Fakten differenziert denken, unterscheiden zu können ist dann »mit dem Generieren von Wissen und in dessen Folge mit Lernen verbunden, nicht (nur) mit Lernen von deklarativem Faktenwissen, sondern von handlungsorientierenden Erfahrungen« (Rhode-Jüchtern 2009: 167). Man tut dies nicht um seiner selbst willen, um aufzuzeigen, dass Jugendliche in der Lage sind, auch andere Geographien mitzudenken, sondern um ihnen Kompetenzen in Form solch kleiner Bausteine an die Hand zu geben, die sie auch über den Geographieunterricht hinaus anwenden können. Die gesellschaftliche Relevanz eines kritischen, in Differenzen Denkens, liegt einerseits darin, dass daraus entstehende Konflikte notwendig sind, damit sich Gesellschaften weiterentwickeln und damit fortbestehen können (Wehmeyer 2013: 71) und gleichzeitig »Sensibilität für Differenzen [...] also eine Realbedingung von Toleranz« (Welsch 1993a: 47) darstellt. Nun kann es als Schwierigkeit oder Chance gesehen werden, dass jede Entscheidung für eine bestimmte Form der Deutung, jede individuelle

174 | U RBANES R ÄUMEN

Sichtweise gleichzeitig andere Möglichkeiten der Wahrnehmung ausschließt (Rhode-Jüchtern 2009: 174). Doch wir können nie alles gleichzeitig denken, nie alle Gründe bei Handlungsentwürfen berücksichtigen – das würde zu einem heillosen Relativismus führen, wenn überhaupt. Genau hier setzt ein weiteres Vorgehen an, über das unterschiedliche Sichtweisen aufgedeckt und koordiniert werden können: der Perspektivenwechsel (vgl. Abschnitt 2.4.2). Um sich vor allzu eindeutigen Wahrheiten zu hüten, schlägt Rhode-Jüchtern (2009: 173) vor: »Wir sprechen künftig nicht mehr mit einem bestimmten Artikel ›der/die/das‹, sagen also nicht ›die Türkei‹ oder ›das tropische Badeparadies Centerpark‹, sondern wir fügen das Wörtchen ›als‹ ein: ›die Türkei als Beitrittskandidatin zur EU‹ bzw. ›der Centerpark als tropisches Badeparadies‹.«54 Ein Denken in Differenzen, auch das Sprechen von X als Y führt notwendigerweise zu einer Viel- bzw. Multiperspektivität; es werden mehr als eine Sicht auf den Raum offenbar(t). Noch einmal: Vielperspektivität führt keineswegs zu Desorientierung, »sondern sie zwingt zur Reflexion der eigenen Identität und macht offen für andere Auffassungen und Meinungen« (Kirchberg 1998: 27). Dieses Dezentrieren der Blicke – den eigenen Blick aus dem Zentrum heraus- und neben andere Sichtweisen zu stellen – kann besonders beim Hinterfragen der Rolle der Medien fruchtbar gemacht werden, um Bedeutungen nicht als allein vom Autor einer Karte, eines Bildes, eines Zeitungsartikels usw. zu verstehen, sondern alternative Sichtweisen und Einflüsse zu bestimmen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen stellt die Technik der Dekonstruktion dar (vgl. Kap. 2.1.1). Diese wurde in vielen Disziplinen zu einem Trend, ja es galt und gilt weiterhin als postmodern-fortschrittlich, zu dekonstruieren.55 Ohne hier einer »Schlagstock-Dekonstruktion« (Dörfler 2005: 69) zu verfallen, die verschiedenste methodische Zugänge miteinander zu kombinieren versucht, soll eine mögliche Auslegung gezeigt werden, die in Kapitel 3.2 in ein konkretes Unterrichtsarrangement eingebettet wird. Was nun meint Dekonstruktion – im Sinne seines Schöpfers Jacques Derrida? Auf die Veröffentlichung seiner drei zentralen Werke im Jahr 1967, in denen er die Dekonstruktion einführte, folgten weitere, in

54 Vgl. dazu auch Schneider 2013: 68, die für eine Perspektive weg vom »Raum ist...« hin zu einem »Raum als...« eintritt. 55 Auch werden Religion (Becker 2012; Nancy 2008, 2012), Migrationserfahrungen (Meyer 2012), Geschlecht (Schädler 2008; Wartenpfuhl 2000), Literatur, Musik (Noeske/Bredemeyer/Altenburg 2007), Kunst (Rösch 2008), Karten (Rottland 2001), Geschichte (Lulf 2004) dekonstruiert.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 175

denen er sich mit unterschiedlichen Fragestellungen auseinandersetzte, z.B. mit Aspekten von Gerechtigkeit, der Politik, im Bereich der Literaturtheorie, der Ästhetik Kants oder der Interkulturalität (Gehring 2004: 379). Er versucht dabei nie exakt zu definieren, was Dekonstruktion sei, vielmehr machte er sie selbst zu ihrem Gegenstand und zeigte damit theoretisch in seinen Texten, die sich selbst erläuterten und stets selbst kommentierten, auf, was darunter zu verstehen sei (ebd.). Abgeleitet vom französischen Begriff différence, welchen Derrida als différance – bewusst mit dem sich in der Aussprache nicht bemerkbar machenden »a« – konzipiert, ist mit der Dekonstruktion eine Technik gemeint, durch die gerade eine Reduktion von Verschiedenheit, Unterschieden, des Fremden und Anderen auf nur ein Identifizierbares oder Eindeutiges verhindert wird (Reich 1998a: 128f.). »Die Dekonstruktion ist eine Textlektüre, eine Praxis des Lesens elaborierter Texte.« (Dörfler 2005: 74) Man schaut »danach, was seine [des Textes [Anm.d.A.]] Begriffe sagen, ohne daß dies bemerkt wurde, oder welche Bedeutungsnuancen in begrifflichen Differenzierungen liegen, obwohl diese nicht explizit zur Sprache kommen« (ebd.: 75). Über das Auffinden solcher Lücken – welches gewisser fachlicher Hintergründe sowie Kreativität der Interpretation seitens der Lernenden bedürfen – führt man Begriffe über sich hinaus, um Spuren zu erkennen, die eben gerade nicht durch den Text aufgezeigt werden (ebd.: 72). Wenn davon ausgegangen wird, dass die Welt prinzipiell als Text zu lesen und diskursiv vermittelt ist, lassen sich demnach mehr als nur reine Texte i.e.S. dekonstruieren. Dieses Verfahren ist stets prozesshaft zu denken; Dekonstruktion entzieht sich jedes festen, fixierbaren Ergebnisses, das an deren Ende stehen könnte (ebd.: 76). Das impliziert, dass zwar der Text an sich erhalten bleibt, aber der Inhalt durch die Dekonstruktion nichts Eindeutiges mehr darstellt. Lernende könnten demzufolge einen neuen Text schreiben, eine andere Karte erstellen oder ein zusätzliches Bild zeichnen, in denen weitere Interpretationen zutage treten als sie in dem Text o.ä. entworfen wurden. Dekonstruktion ist damit zugleich Konstruktion und praktisch andauernd weiterzuführen. Daraus lässt sich einerseits schließen, dass diese Praxis unbefriedigend, umständlich, langwierig und streng genommen ohne konkrete Anwendbarkeit ist (ebd.: 77). Gleichzeitig aber liegt auch darin ein ganz entscheidender Funken von Befriedigung: »Im Gefühl, bestimmte Zusammenhänge zu durchschauen, erwächst ein Bewußtsein von eigener Mächtigkeit und zumindest Macht der Erkenntnis, die sich emotional bewährt und kognitiv reflektiert.« (Reich 1998b: 423) Dem Leser wird die Freiheit gegeben, in einem Text zu wildern (de Certeau 1988: 27) und darin sprachliche Bedeutungen aufzudecken, die der Autor nicht bedacht oder ausgelassen hat. Dafür müssen die Lernenden »die doppelte Codierung kennen« (Rhode-Jüchtern 2002: 24) lernen; erkennen, dass Wissen und jedwede Fakten stets eine

176 | U RBANES R ÄUMEN

oberflächliche Erscheinung sowie eine tiefenstrukturelle Wesenssphäre aufweisen: »Die Oberfläche sind synchronische Wahrnehmungen, die Tiefenstruktur ist der Horizont der miterkannten bzw. mitgedachten Möglichkeiten.« (Ebd.) Wenn Jugendliche wissen, dass der Kurznachrichtendienst Twitter in der Türkei im März 2014 durch Regierungschef Erdoğan gesperrt wurde, sollen sie auch solche Handlungen und Konsequenzen in Betracht ziehen, die dadurch nicht sofort und offensichtlich in Erscheinung treten – und die evtl. auch in dem entsprechenden Zeitungsartikel unerwähnt bleiben. Dann lässt sich langsam das Bild einer Situation erweitern, die auf den ersten Blick so klar und deutlich wirkt: Der mächtige Politiker schränkt die Meinungsfreiheit der Bürger ein. Und das geht über ein kritisches Denken hinaus, welches allein versucht Differenzen oder eingebrachte Dichotomien aufzuzeigen. Mit der Dekonstruktion sollen Blicke bewusst verschoben werden. Dekonstruktion ist dann weder Aufklärung, noch These, Wissenschaftskritik oder Kritik selbst (Gehring 2004: 380), sondern trägt auch spielerische, erprobende, abschweifende Züge. Im Sinne einer »paradoxen Balance« (ebd.) darf zwischen Wissen und Nicht-Wissen geschwankt werden. Die Dekonstruktion als Praxis eines kritischen Umgangs mit Karten unterrichtspraktisch ausformuliert hat Mertens (2013) anhand des Beispiels der meinungspluralisierten Karte. Ziel ist es zu erkennen, dass subjektive Meinungen und Vorstellungen eines Kartenerstellers über dessen Verwendung bestimmter Begriffe, d.h. sprachliche Setzungen im Allgemeinen, in die Karte hineingelegt werden. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass durch »die Benutzung politisch-moralischer aufgeladener Begriffe für die Bezeichnung kartographischer Objekte eine bestimmte Lesart der Karte angeleitet wird« (ebd.: 41). Besonders für den Geographieunterricht, in dem Karten und v.a. der Atlas oft genutzt werden und dabei nicht selten unhinterfragt bleiben, stellt dies eine Herausforderung bzw. Möglichkeit für den Geographieunterricht dar. Durch eine meinungspluralisierte Karte können verschiedene Einstellungen gesellschaftlicher Akteure zu einem Thema (z.B. Windenergie, Atomenergie) herausgearbeitet und bewertet werden. Die Karte selbst dient dabei der Visualisierung von Standorten und Erläuterung von Symbolen sowie einer möglichen Erweiterung der Legende usw. Damit können die in der Karte festgesetzten Annahmen gegeneinander ausgespielt und so deren Grenzen aufgedeckt werden. Einen weiteren allgemeinen Ansatz, der kritisches Denken wie oben beschrieben, fördern kann, ist der »Dreifache Blick« (Rhode-Jüchtern 1995: 72). Phänomene unserer Welt werden dann räumlich und zeitlich gelesen und verstanden: nach dem Blick auf die Gegenwart, das jetzt Vorgefundene, wie es sich aktuell darstellt, folgt ein genetischer Blick auf Vergangenes, z.B. »mit Hilfe des

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 177

Vorwissens, von Anzeigern und soziologischer Phantasie« (ebd.) und schließlich ein konstruktiver Blick in die Zukunft. Mittels dieser drei Perspektiven werden Räume sowohl als real existierende Dinge begreiflich als auch subjektivimaginativ vorstellbar. Der Blick in die Zukunft hilft Lernenden dabei, mögliche Alternativen mitzudenken und abzuschätzen. Kritisches Denken stellt damit weder eine abgeschlossene Methode noch ein klar umrissenes Anleitungskonzept dar, das 1:1 im Geographieunterricht übernommen werden kann. Es bedarf bzw. erlaubt eine(r) Auswahl und Schwerpunktsetzung, die über die vorliegenden Anregungen angeleitet werden können. Kritisches Denken sollte als eine Haltung bzw. Gesinnung (Foucault 1997: 132, zit. in Crampton/Krygier 2006: 14) verstanden und gefördert werden, da sie in allen Lebensbereichen abverlangt werden kann, sei es die Schule, in der Familie, der Politik. Geographieunterricht im Besonderen soll den Jugendlichen erlauben, auch Zweifel gegen Anerkanntes, Unhinterfragtes zu äußern, denn »Zweifel stiftet Ruhe und Würde gegen die Hektik des Rechthabens auf Zeit.« (Rhode-Jüchtern 1995: 180) Zweifeln stellt Kontingenz auch bewusst her, indem alternative Optionen der scheinbar einen Wirklichkeit mitgedacht werden. Das kann durchaus unbequem werden, in die Enge führen – aber im Schonraum Schule soll sich auch mit solchen Situationen auseinandergesetzt werden (dürfen). Mit dem »Thinking through geography«Projekt56, welches aus einer Zusammenarbeit zwischen Geographielehrern und geographischen Fachwissenschaftlern aus dem Nordosten Englands entstanden ist, verfolgten dessen Initiatoren – u.a. David Leat – hauptsächlich, dass sich die Geographie weiterhin zu einer herausfordernden Disziplin entwickle, die Schüler zu besseren Lernern ausbilden sollte (van der Schee 2006). Daraufhin wurden Lernstrategien auf der Basis konstruktivistischer Lerntheorien entwickelt, die die Schüler durch Geographie denken lassen sollten und deren positive Effekte, wie z.B. auch gesteigerte Motivation im Umgang mit geographischen Fragestellungen, in England und den Niederlanden belegt werden konnten (van der Schee 2006, 2013). Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die Lehrenden weiterhin als entscheidender Faktor für den Lernerfolg der Jugendlichen verantwortlich sind (Hattie 2008), wozu auch gehört, dass sie die Ziele des Geographieunterrichts im Speziellen auch konkret formulieren können (van der Schee 2013: 109). Reflexion & Reflexivität Kritisches Denken allein, so wie es bisher definiert wurde, kann noch nicht ausreichen, um Räume als gesellschaftlich hergestellt zu verstehen. Das Aufzeigen

56 Quelle: http://www.geoworld.co.uk/ (letzter Zugriff: 20.11.2014).

178 | U RBANES R ÄUMEN

unterschiedlich möglicher Lesarten muss deswegen um einen Schritt erweitert werden. Demnach bedarf das Hinterfragen von Raumkonstruktionen eines reflexiven Moments. Wichtig gilt zu unterscheiden zwischen einer Reflexion und Reflexivität (Gryl 2012: 164), die für das hier zugrunde gelegte Verständnis entscheidend sind. Beide haben explizit mit der Beobachter-Perspektive zu tun. Trotz der Ausgangslage, dass die Fähigkeit – als solche wird sie hier angenommen – reflexiv zu sein, im Fachdiskurs nicht exakt bestimmt ist (vgl. Schneider 2013: 17), sollen im Folgenden einige zentrale Aspekte hergeleitet werden, wie sie auch im Geographieunterricht handhabbar sein können. Unter Reflexion wird allgemein das Nachdenken oder Überlegen, aber auch das Hinterfragen von Meinungen verstanden. Gilt eine Person als reflektiert, wird ihr nachgesagt, dass sie sich auch anderer Meinungen bewusst ist. »Voraussetzung für die Unterscheidung ob eine Wirklichkeitskonstruktion passt oder nicht, ist die Fähigkeit des Menschen zur Reflexion.« (Dickel 2006b: 80) Wenn ein Schüler auf seiner Meinung, die Sonne würde im Osten aufgehen, beharrt, zeugt das von wenig Reflexionsfähigkeit, wenn im gleichen Atemzug der Lehrer behauptet, der Schüler habe Unrecht (vgl. Rhode-Jüchtern 2001: 424f.). Anhand dieser einfachen Situation kann gezeigt werden, dass es nicht ausreicht, eigene und andere Wirklichkeitskonstruktionen aufzuzeigen, sondern sie auf deren Hintergründe, auf deren Logik zu erschließen. Ein Schüler hat die Erfahrung gemacht, dass er sich sehr wohl am Sonnenstand orientieren kann – in dieser Hinsicht ist die Aussage »Im Osten geht die Sonne auf« für ihn handlungsorientierend wahr (ebd.: 424). Nach der begriffslogischen Argumentation des Lehrers hingegen, der entgegensetzt, dass die Sonne überhaupt nicht selbst aufgehen kann, da sich die Erde um die Sonne dreht (ebd.), stehen sich zwei Aussagen gegenüber, die beide richtig sind – in ihren jeweiligen Kontexten, in denen sie geäußert bzw. erfahren wurden. Für noch eine andere Person kann der gleiche Satz die symbolische Bedeutung annehmen, dass mit einer bestimmten Region Deutschlands eine positive, aufstrebende Entwicklung verbunden ist. Und auch eine weitere mögliche Deutung sei erlaubt: desjenigen, der Osten vielleicht im Westen verortet, und für den sich die Aussage als keineswegs relevant ergibt. Gemessen an ihrer Viabilität werden Wirklichkeitskonstruktionen dann »umso wirklicher eingestuft, je häufiger der Eindruck entsteht, dass etwas Bestimmtes der Fall ist« (Dickel 2006b: 80f.), d.h. dass sie sich als praktikabel erwiesen haben. Deswegen muss sich im Sinne einer »Verständnissicherung« (RhodeJüchtern 2001: 425) genau darüber ausgetauscht, verständigt werden, und auch hier ist eine besondere sprachliche Sensibilität gefordert, die an anderer Stelle als Argumentationskompetenz (vgl. Kompetenzbereich Kommunikation; Beurteilung und Bewertung der DGfG 2012) erweitert ausformuliert wird. Schließlich

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 179

liegen Raum-Konstruktionen und Urteile über Räume eng beieinander (vgl. Hofmann/Ulrich-Riedhammer 2014). Es ist wichtig, Wissensbestände gemeinschaftlich auszuhandeln, diskursiv zu beleuchten. Für eine sinnvolle Kommunikation und Verständigung ist es unabdingbar, dass ihre Sprecher die gleichen oder ähnlichen Vorstellungen von Begriffen und Konzepten haben bzw. sich über ihre jeweilige Auslegung austauschen – damit erkennen die Lernenden die Bedeutung der Sprache als raum- und weltkonstitutives Medium vor dem Hintergrund eines spatial turn an (Dürr/Zepp 2012: 264). Wissen wird nicht innerhalb einer abgegrenzten Sphäre konstruiert, sondern konstituiert sich genauso durch externe Einflüsse. Damit ist Geographie als eine »diskursive Wissenschaft« (vgl. Rhode-Jüchtern, in Bosche/Wolf 2001: 6) zu verstehen. Reflexivität erweitert die Fähigkeit zur Reflexion in dem Sinne, dass rückbezüglich die (eigene) Beobachtung selbst beobachtet und man sich der eigenen Beobachtungsmuster gewahr wird (Schneider 2013: 14). Damit nimmt der Lernende eine Metaperspektive ein, er blickt sich selbst über die Schulter und hinterfragt seine eigenen Wirklichkeitskonstruktionen. Auch wenn dies eine höchst anspruchsvolle Aufgabe darstellt – Menschen sind dazu in der Lage. Wir sind »metainterpretierende[n] Wesen« (Lenk 2007: 4) und können unsere eigenen Handlungen hinterfragen und analysieren. »Für den reflexiven Beobachter geographischer Probleme [...] wird die Beziehung zwischen Beobachter und Beobachtetem selbst zum Gegenstand des Beobachtens und Erkennens.« (Schneider 2013: 31) Das ist damit zu vergleichen, dass man Fragen an sich selbst richtet, um die eigene Wahrnehmung kritisch zu hinterfragen: Warum empfinde ich das Spielen der Kinder auf dem Spielplatz als laut? Warum fahre ich ungern in andere Städte? »Reflexivität ist durch das Hinterfragen eigener statt fremder Weltbilder mit noch stärkerer Verunsicherung scheinbar fester Standpunkte verbunden als Reflexion« (Rhode-Jüchtern/Schneider 2009: 148, zit. in Gryl 2012: 165) – wobei dies nicht als bedrohlicher Prozess zu verstehen ist. Reflexiv auf Dinge zu blicken kann durchaus auch spielerisch erfolgen, über das Integrieren anderer fachlicher Kontexte, das Erfinden von Personen oder Geschichten usw. »Der Sinn von Fiktionalität liegt demnach nicht in einer vordergründigen Ergötzung und Erbauung, sondern in der Aufforderung zur Beobachtung von Beobachtungen, zur Beobachtung zweiter Ordnung« (Daum 2001: 212). Denn besonders die imaginativen Strukturen tragen zu einem verständnisintensiven Lernen bei (Dickel 2006b: 151). Imaginatives Lernen widerspricht dabei keinesfalls »dem Anspruch auf die Rationalität des abstrakten Denkens« (Rhode-Jüchtern 2005: 35), wie es im Geographieunterricht zweifelsohne praktiziert werden sollte, doch kann es kausale, logisch-deduktive Denkweisen erweitern, indem Jugendliche die Welt auf eine andere, auch experimentelle Art erkennen und erläutern kön-

180 | U RBANES R ÄUMEN

nen (ebd.). Das kann die Geographie von der Kunst und Literatur lernen (vgl. dazu Kap. 2.3.1 zur Rolle ästhetischen Denkens in der Raumaneignung). Nicht zuletzt vollbringen Kinder in einem frühen Alter bereits beim Spielen »geistige Leistungen« (Hansen 1965: 66) und erlernen so grundlegende Formen des Weltzugangs und der Raumaneignung in einer gegenseitigen Bezugnahme und Abgrenzung zu anderen Personen und den eigenen Vorstellungen (ebd.: 64f.). Rhode-Jüchterns Entwurf eines Perspektiven-Würfels (2001: 434) liefert einen Vorschlag zu einer mehrdimensionalen Betrachtung ein und desselben (räumlichen) Phänomens. Dabei wird das Problem bzw. der Gegenstand zunächst im Inneren des Würfels verortet, um ihn in drei unterschiedlichen Dimensionen zu betrachten: • • •

Fachliche Leitbilder: In welcher fachlichen Grundüberzeugung (Paradigmen) wird gesprochen, z.B. empiristisch-positivistisch oder aufklärerisch? Maßstäbe-Reichweiten-Betroffenheit: Auf welcher Maßstabsebene wird gesprochen, z.B. individuell, lokal-regional oder überregional-global? Fenster/Marken der Weltbeobachtung: Wer spricht bzw. beobachtet? Ein Lehrer, Stadtplaner, Wohnungssuchender?

Als eine erweiterte Form des Perspektiven-Würfels kann der »Jenaer Würfel« (verwirklicht durch Schneider 2011; vgl. Rhode-Jüchtern 2012a) mit seinen sechs Seiten als unterschiedliche Dimensionen verstanden werden. Auch hier wird ein Problem unter folgenden sechs Perspektiven betrachtet (Schneider 2011): • • • • • •

Maßstab: Wie wird das Problem bezogen auf seine Maßstäblichkeit beobachtet? Zeitlichkeit: Wie wird das Problem bezogen auf seine Zeitlichkeit beobachtet? Beobachter: Wer beobachtet das Problem? Selbstreflexivität: Wie beobachte ich das Problem? Kommunikation: Wie wird über das Problem kommuniziert? Blinde Flecken: Berücksichtige kritisch, dass jede Beobachtung ihren ganz eigenen »Blinden Fleck« besitzt!

Diese sechs Kriterien können lohnend als Strukturierungshilfe für die Planung von Geographieunterricht, speziell raumrelevanter Fragestellungen genutzt werden.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 181

Für die Exkursionsdidaktik zeigen Böing und Sachs (2007: 42; in Anlehnung an Hemmer 1996 sowie Rhode-Jüchtern 2004a: 35) eine Möglichkeit auf, wie unterschiedliche Wahrnehmungen ein und desselben Raumes erfasst werden können. Dabei wird auch ein Würfelmodell gewählt, das drei subjektbezogene Perspektiven umfasst: • • •

Reisende – Bereiste Alter: differenziert nach Kinder – Jugendliche – Erwachsene – Senioren Soziale Lebenssituation: differenziert nach Single – Paar – Familie – Gruppe.

Anhand des Beispiels der Fußball-WM in Brasilien im Jahr 2014 soll die Sicht auf dieses Sportereignis kurz exemplarisch umgesetzt werden. Der Fall dabei ist folgender: Der Bürgermeister der Stadt Rio de Janeiro investiert Milliarden Reales, um Fußballstadien, Klärwerke, Parks, Museen, Gondeln usw. zur Verschönerung zu errichten (Fischermann 2014). Das mag auf den ersten Blick hervorragend und positiv scheinen, da die Stadt und das Land von vielen Touristen profitieren werden. Makroperspektivisch scheint dies nicht unmöglich, wenn der finanzielle Input aus dem Ausland berücksichtigt wird; auf einer mikroperspektivischen Ebene jedoch gibt es einige Vorbehalte seitens der Bevölkerung, die nicht genauso von den Einnahmen profitieren wird – das zeigen Erfahrungen ähnlicher Veranstaltungen in Südafrika oder Sotchi. In zeitlich kurzfristiger Perspektive werden umliegende Geschäfte wahrscheinlich einen gestiegenen Umsatz verbuchen, doch dieser wird langfristig nicht anhalten. Zudem kommt es darauf an, ob und wie ein Bewohner der Favelas die neuen Einrichtungen bewertet – der evtl. durch den Bau eines Fußballstadions aus seinem Wohnhaus vertrieben wurde – oder der Tourist, der erstaunt sein wird über die Fortschritte vor Ort. Betrachtet ein Lernender den Fall selbstreflexiv, muss er seine eigenen Annahmen und Voreinstellungen hinterfragen: Schätzt er diese Entwicklungen positiv ein, weil er selbst Fußballfan ist? Im Vorfeld der Fußball-WM gab es unzählige Berichte aus Brasilien, die sich mit unterschiedlichen Facetten der Veranstaltung beschäftigen und damit unterschiedliche Schwerpunkte setzen: die einen berichten kritisch über Vertreibungen, die anderen betonen die positiven Auswirkungen der Entwicklungen für das ganze Land, in Bildern werden Polizeitrupps neben den Favela-Bewohnern gezeigt, gleichzeitig spricht der Bürgermeister der Stadt enthusiastisch über eine TV-Ansprache, um bestenfalls die ganze Welt damit zu erreichen. Nicht zuletzt muss sich der Lernende fragen, welche Möglichkeiten er außer Acht gelassen hat in seiner Bewertung?

182 | U RBANES R ÄUMEN

Welche weiteren Akteursgruppen sind von den Planungen betroffen? Wie kann es sein, »dass die unterschiedlichen Favelas, die allesamt das gleiche Problem der Räumung haben, untereinander so wenig Solidarität zeigen« (ebd.)? Daran anknüpfend ergibt sich eine zentrale Rolle des Medieneinsatzes im reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen – oder allgemeiner formuliert: der kritische Umgang mit Daten und daraus konstruierten Informationen. Welchen medial vermittelten Informationen können wir vertrauen? Hier gilt es besonders zu hinterfragen, welches Bild uns vermittelt wird (Reflexion) und welche Konsequenzen sich auf das eigene Denken und Handeln ergeben (Reflexivität). Ein Gegenstand könnte dann wie folgt exemplarisch anhand der Fragen reflektiert werden: Wie wird die Lage auf der Insel Krim durch die Berichterstattung in den TV-Nachrichten dargestellt? und Welches (Welt-)Bild entsteht durch die TVNachrichten in meinem Kopf über die Krim? (vgl. Hofmann/Mehren/Uphues 2013: 218). Reflexivität meint im Sinne der Selbst-Reflexion auch das Hinterfragen des eigenen Medienkonsums. Darüber sollen Jugendliche erkennen, dass zwar die äußere Wirklichkeit prinzipiell vorhanden und nicht zu leugnen ist, doch diese erst interessant wird, wenn sie über Medien kommuniziert wird oder wir davon direkt betroffen sind. So, wie bspw. Marzahn als Ortsteil Berlins, genauer gesagt des Bezirks Marzahn-Hellersdorf als »äußere objektive Wirklichkeit außerhalb der Wahrnehmung« (Rhode-Jüchtern 2009: 81) existiert, geschehen auch Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Überschwemmungen in anderen Teilen der Welt. Welches Bild aber bekommen die Jugendlichen, wenn sich Jenke von Wilmsdorff wieder einmal in ein Experiment begibt und für eine Woche in das Leben am Existenzminimum mit einer Familie – die Mutter mit ihren 15jährigen Zwillingen – eintaucht? Denn dafür zieht er »nach Berlin in den Problembezirk Marzahn« und wohnt »mitten im sozialen Brennpunkt«57. Gerade das Fernsehen hält eine Menge an Beispielen bereit, über die ein kritisch-reflexiver Umgang mit dem Dargestellten – nicht nur bei Jugendlichen – angebahnt werden sollte. Dass auch kartographische Darstellungen im Besonderen unser Bewusstsein strukturieren können (Harley 1989: 13), zeigt Vertesi (2008) in ihrer Studie zur Nutzung der Londoner U-Bahn, deren gedruckter Streckenplan bekannt geworden ist durch die populäre kartographische Darstellung von Harry Beck. Dieser schaffte eine abstrakte Zeichnung, die jedoch mit dem tatsächlichen Streckenverlauf der U-Bahn wenig gemeinsam hat; ihm ging es vorrangig um eine

57 Quelle beider Zitate: http://www.rtl.de/cms/sendungen/das-jenke-experiment/dasjenke-experiment-folge-3-leben-in-armut-2c08c-b657-95-1423972.html (letzter Zugriff: 19.11.2014).

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 183

schnelle Orientierung mithilfe des Planes – was ihm gelang. Der Streckenplan der Londoner tube ist zu einem Symbol geworden, das auch Kleidungsstücke und Postkarten schmückt. Doch, so stellte sich heraus, beeinflusst diese Darstellung auch die kognitiven Karten ihrer Nutzer. Eine Londoner Bewohnerin z.B. bemerkte erst durch einen Streik, während dessen sie die U-Bahn nicht für ihren Arbeitsweg nutzen konnte, dass der Weg von ihrem Zuhause weitaus kürzer und dazu angenehmer zu laufen war als sie dachte. Von da an legte sie den Weg zu Fuß zurück (ebd.: 23). Doch meint ein kritischer Umgang mit Medien auch im Kleinen, dass die eigene Wahrnehmung für andere, neue Geofaktoren geschult werden muss. Dazu gehören das Hören und Riechen (Rhode-Jüchtern 1995: 154). Es geht nicht darum zu fragen, ob bspw. Musik oder Gerüche Teil eines Raumes sind, sondern »Wie gehen wir damit um? Wie schulen wir die Wahrnehmung […] für die Existenz der Phänomene? Wie benennen, kartieren, ordnen, archivieren wir diese Phänomene? Wie entschlüsseln wir die Codes und Symbole in diesen Phänomenen und ihren Wirkungen?« (Ebd.: 158). Besonders nach aktuellen Erkenntnissen einer Studie des Wissenschaftlers Andreas Keller von der Rockefeller University in New York kann den menschlichen Sinnen, besonders unserem Geruchssinn, mit dem wir mehr als eine Billion Gerüche differenzieren können, eine herausragende Bedeutung in der Wahrnehmung der Umwelt zugesprochen werden (Zeit Online 2014b): »Das Gehör erkennt Schätzungen zufolge etwa 340.000 unterschiedliche Töne. Die Augen können 2,3 bis 7,5 Millionen Farben unterscheiden. Die Nase kann also mehr Reize wahrnehmen.« Zentrales Element kritisch-reflexiven Denkens ist der Perspektivenwechsel, der in einigen Erklärungen bereits impliziert, aber noch nicht explizit erklärt wurde. Auch im »Jenaer Würfel« ist er bspw. ganz elementarer Baustein. Reflexivität ist aufs Engste mit dem Wechsel von Perspektiven verknüpft. Dabei geht es um eine Änderung der eigenen Sichtweise(n), da diese prinzipiell durch zwei Ebenen des Sehens hervorgerufen wird: der Subjektivität des eigenen Standpunktes sowie der Auswahl bestimmter Kriterien des beobachteten Gegenstands (RhodeJüchtern 2013a: 214). Zentral hierbei ist zudem das Prinzip der Rollenübernahme (»role taking«), das hauptsächlich durch George Herbert Mead als solches bekannt wurde und mit dem Begriff des Perspektivenwechsels greifbar wird. Dieser stellt keine i.e.S. geographische oder geographiedidaktische Formulierung dar; vielmehr ist der Perspektivenwechsel Teil der Entwicklung des Menschen.

184 | U RBANES R ÄUMEN

In Anlehnung an Mead und Piaget unterscheidet Selman (1984) in seinem entwicklungspsychologischen Modell zum sozialen Verstehen vier Stufen der Perspektivenübernahme: • •

• •

undifferenzierte und egozentrische Perspektivenübernahme: eigenes Handeln wird auf das der anderen projiziert und für das Gleiche gehalten differenzierte und subjektive Perspektivenübernahme: Erkennen unterschiedlicher Meinungen und Handlungen sowie Unterscheidung zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Handeln selbstreflexive und reziproke Perspektivenübernahme: Reflexion eigener Vorstellungen und Handlungen wechselseitige Perspektivenübernahme: Einnahme einer dritten Person, womit die Koordination unterschiedlicher Perspektiven möglich wird (Campana 2005: 20).

Dies gilt als idealtypische Formulierung. Für den vorliegenden Fall erweist sich diese dennoch als hilfreich in dem Sinne, dass die unterschiedlichen Stufen auch Teil geographiedidaktischer Überlegungen sein können, sowohl als Teil geographieunterrichtlicher Planungen als auch als Analysebrille auf das Handeln der Jugendlichen selbst. Ziel sollte es dann sein, dass Lernende zu einer wechselseitigen Perspektivenübernahme befähigt werden, indem sie aus einer dritten Perspektive eigene und andere Handlungen hinterfragen lernen. Der Perspektivenwechsel ist in der geographischen Wissenschaft weithin verbreitet, und auch im Kompetenzbereich Beurteilung/Bewertung der Bildungsstandards ist »die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel« (DGfG 2012: 23) vorgesehen, über die bspw. eine kriteriengeleitete Bewertung von Eingriffen in die Natur erreicht werden soll. Auch für eine konstruktivistische Exkursionsdidaktik erweist sich der Perspektivenwechsel, sofern er »vielfältig und mehrdimensional vollzogen wird«, als elementar (Böing/Sachs 2007: 37, zit. nach Dickel 2006b). Im Konzept des Wahrnehmungsraumes ist der Perspektivwechsel geradezu impliziert, wenn ein Phänomen bspw. aus unterschiedlichen Sichtweisen betroffener Personen (Obdachlose, Rollstuhlfahrer, Kinder, Ältere, usw.) betrachtet wird. Gleichzeitig müssen aber auch die zugrunde gelegten Normen, Werte und sprachlichen Zuschreibungen aufgezeigt werden: Warum geht für den einen die Sonne im Osten auf, für den anderen im Westen? Die »Schwierigkeit besteht freilich darin, dass man das Okular selbst nicht – jedenfalls nicht im Augenblick des Wahrnehmens – in den Blick nehmen kann.« (Schürmann 2008: 15) Denn auch wenn wir den chinesischen Jeans-Schneider in seinen alltäglichen Verrichtungen in einer Fabrik beobachten, und uns über einen Perspektivenwechsel so

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 185

gut es geht in seine Lage versetzen, werden wir nie so denken und fühlen können wie er. Das muss es auch nicht. Es geht aber darum, genau dies mit zu reflektieren und Grenzen des eigenen Denkens und Erkennens aufzeigen. Denn selbst »wenn nicht immer alle Ebenen und Blickwinkel eingenommen werden können« (Dickel 2006b: 157), ist es wichtig, bei Jugendlichen ein »Bewusstsein von der Perspektivität jeglicher Wahrnehmung« (Rhode-Jüchtern 2002: 21) anzuleiten. Genauso »müssen unberücksichtigt bleibende Perspektiven gesehen und die Folgen der Nichtberücksichtigung für das Verständnis thematisiert werden« (Dickel 2006b: 189). Denn auch über das Mit-Denken nicht explizit geäußerter Blicke (man versetzt sich z.B. in eine im Text nicht vorhandene, aber mögliche weitere Person) können eigene Sichtweisen erweitert werden. Dabei können Perspektiven ganz unterschiedlich gewechselt werden, z.B. maßstäblich zwischen einer individuellen, lokalen, bis hin zu einer globalen Betrachtung von Sachverhalten, in zeitlicher Hinsicht usw. (vgl. »Jenaer Würfel«). Auch hier kann sich anderen Sichtweisen künstlerisch-spielerisch genähert werden, z.B. über eine »Drudelei« (Profi-L 2006: 22). Dieses Wort ist abgeleitet vom rechtlich geschützten Kunstwort droodle, was so viel bedeutet wie Kritzelrätsel (ebd.). Dabei sollen abstrakte, bizarre Zeichnungen anderer aus der eigenen Sicht interpretiert werden: Was könnte das sein? »Die Differenz zwischen den möglichen Perspektiven wirkt dann je nach Spannbreite oft komisch oder witzig« (ebd.) – verdeutlicht aber genau diesen Moment der Vielperspektivität, die besonders hier im Kleinen und spielerisch erfahren und auf das Große, z.B. stadtgeographische Fragestellungen, übertragen werden kann. Die unterschiedlichen Sichtweisen können im Anschluss daran auf subjektive Deutungsmuster befragt werden: Warum hast du dir das dabei gedacht? Ja, es ist gar zwingend, dass subjektive Sinneswahrnehmungen in einer Reflexion »objektiviert« werden (Dickel 2006b: 190). Besonders auch das Erlernen eines »Selbstverhältnis des Menschen« (Rüsen 1994: 48), seiner Identifizierung mit sich und seiner Situation, sowie das Anerkennen eines »Anderssein von anderen« (ebd.) sind wesentliche Bestandteile eines solch kritisch-reflexiven Umgangs. Umgang mit Komplexität & Kontroversität Ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen ruft Unsicherheiten, vor allem aber Komplexität hervor; gleichzeitig bedürfen komplexe Sachverhalte einer kritisch-reflexiven Herangehensweise. Wir schauen eben nicht mehr nur im Sinne eines Containerraum-Blickes auf die Welt, sondern erweitern bewusst unsere Blicke. Kein (Geographie-)Lehrer wird die Absicht verfolgen, die Jugendlichen zu verunsichern (vgl. Neuer/Ohl 2008); und wenn, dann nur für einen Augenblick, vielleicht eine Unterrichtsstunde – damit ein Problembewusstsein bei

186 | U RBANES R ÄUMEN

den Lernenden angeregt wird. Denn besonders in solchen komplexen, vielperspektivischen Lernkontexten sollten Vertrauen und Verantwortung vom Lehrer ausgehen (Hoffmann 2012: 84), um eine Verweigerung seitens der Jugendlichen zu verhindern. Einige der Prinzipien im Umgang mit Komplexität und Kontroversität sind in den vorangegangenen Ausführungen angeklungen. Neben dem Explizit Machen unsicheren Wissens erweisen sich das Training von vernetztem Denken sowie die Anwendung reduktiv-organisierender Strategien als förderlich (vgl. Ohl 2013: 6). Dennoch bleibt hier der Schwerpunkt auf den Raumkonstruktionen zentral – das Einüben von ethischer Urteilskompetenz, Werteorientierung, Systemkompetenz, Argumentationsfähigkeiten usw. wären dann aufbauend zu trainieren. Diese Prinzipien aber helfen bei der weiteren Planung von Unterricht. Damit kann behauptet werden, dass insgesamt komplexe und kontroverse Themen im Geographieunterricht über einen kritisch-reflexiven Zugang gewinnbringend zu behandeln sind. Spatial citizenship In dem Ansatz einer spatial citizenship (Übersetzung: räumliche Staatsbürgerschaft) vereint sind die Bausteine eines erweiterten Raumverständnisses, der Arbeit mit Geomedien sowie des Schwerpunkts emanzipatorisch-politischer Bildung (Gryl/Jekel 2013: 256). »Ziel von Spatial Citizenship ist daher eine kritische und reflexive Aneignung von Raum, mit besonderer Bezugnahme auf die ubiquitär verfügbaren Werkzeuge des GeoWeb 2.0.« (Traun et al. 2013: 14) Damit fügt sich dieses Konzept zwar in den Ansatz des hier vorgeschlagenen kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen, ist aber verstanden »als explizite Vorbereitung für den Alltagseinsatz kartographischer Produkte« (ebd.: 5) durch den Fokus auf digitale Medien weitaus spezifischer bzw. breiter ausgerichtet. Spatial citizenship baut auf mündiger Raumaneignung auf, die sich wiederum aus unterschiedlichen Elementen zusammensetzt. Dazu zählen u.a. technisch-methodische Fähigkeiten im Umgang mit dem Medium selbst, die Fähigkeit der Reflexion und Bewertung räumlicher Repräsentationen (z.B. dass Räume durch die Nutzung von Geomedien erst hergestellt werden), sowie der Kommunikation und Handlung mit (auch: Herstellung von) Geomedien, um sich erfolgreich an der Aushandlung gesellschaftlicher Prozesse zu beteiligen (vgl. ebd.: 15). Damit knüpft auch das Konzept der spatial citizenship eng an die Lebenswelt der Jugendlichen an, setzen sie sich doch (fast) täglich mit neuen Medien auseinander, ja lassen sich einige sogar die Entscheidung abnehmen, welche Hose sie tragen oder welches Buch sie lesen sollten – eine App macht das möglich (Buchter 2014). Das Bewusstsein um die Konstruiertheit von Räumen durch

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 187

den Medienkonsum der Jugendlichen wurde als Teil eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen weiter oben angesprochen und wird damit als ein wesentlicher Bestandteil davon verstanden, ohne aber den Schwerpunkt darauf zu legen. Ein kritisch-reflexiver Umgang i.S. einer spezifischen Form mündiger Raumaneignung umfasst gleichzeitig die im Kompetenzbereich Handlung formulierte »Bereitschaft zum konkreten Handeln« (DGfG 2012: 25). Damit erhält diese Zielvorstellung ebenso eine gesellschaftliche Relevanz; Jugendliche sollen lernen, sich begründet an der Aus- und Verhandlung – Aneignung – von Räumen zu beteiligen. Auch der Hamburger Rahmenplan Geographie sieht einen Beitrag des Unterrichtsfaches darin, »dass jüngere Menschen als politisch aktive Staatsbürger an raumwirksamen Entscheidungsprozessen sowohl im Heimatraum als auch darüber hinaus verantwortungsbewusst teilnehmen können« (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg 2009: 10). Diese Forderung kann exemplarisch an einer aktuellen Entwicklung nachgezeichnet und hier als Zusammenfassung der zentralen Gedanken eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen verstanden werden. Das Tempelhofer Feld in Berlin, da wo noch bis 2008 vereinzelte Flugzeuge auf dem Gelände des Flughafens Berlin-Tempelhof starteten und landeten, ist heutzutage »die größte innerstädtische Freifläche der Welt, größer als der New Yorker Central Park. 3.550.000 Quadratmeter Fläche Natur«, ein »urbaner Spielplatz« (Augustin 2014), auf dem die Menschen ganz unterschiedlichen sportlichen, gärtnerischen oder einfach zweckfreien, aber nicht nutzlosen Betätigungen nachgehen. Was tut man mit einer so gewaltigen Freifläche – Kann man diese nicht auch anders nutzen? Aufgrund der aktuell angespannten Wohnungssituation in der Hauptstadt hat der Berliner Senat deswegen entschieden, auf einem Stück des Tempelhofer Feldes 5.000 Eigentums- und Mietwohnungen sowie einige öffentliche Einrichtungen zu errichten (ebd.). Das scheint auf den ersten Blick sozial nachhaltig, doch wendet sich ein Teil der Berliner Bevölkerung dagegen, da man einen öffentlichen Park nicht einfach so in Privateigentum verwandeln könne. Zudem komme diese Einsicht doch recht spät bzw. unüberlegt, wie sie finden. Als Vergleichsmoment könnte auch die folgende Überlegung dienen: Wer würde denn »wegen Wohnungsnot die großflächige Bebauung des Berliner Tiergartens fordern« (ebd.)? Auch der Berliner Tiergarten ist eine große Grünfläche mitten in Berlin, die von vielen Menschen zur Freizeitgestaltung und Erholung genutzt wird. Warum also nicht dort Wohnungen bauen? Hier bleiben wir an der Kontingenz sozialer Wirklichkeit stehen. Die einen sehen das so, die anderen so. Zwei ähnliche Grünflächen, aber zwei ganz unterschiedliche Bedeutungszuweisungen. Aber Handlungen unterliegen einer Kontextualität:

188 | U RBANES R ÄUMEN

Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld zu bauen, ist nicht das Gleiche wie Wohnungen im Berliner Tiergarten zu bauen. Es existiert kein universelles Gesetz dafür, dass auf (inner-)städtischen Grünflächen prinzipiell keine Häuser errichtet werden dürfen. Damit wäre das Argument entkräftet. Dass sich die Politik früher weniger Gedanken um die Wohnungssituation der Berliner machte, ja seit dem Jahr 2000 mehr als 100.000 Wohnungen privatisiert wurden (ebd.), soll heute wiedergut gemacht werden – indem günstiger Wohnraum auf dem Tempelhofer Feld geschaffen wird. Das, was in der Vergangenheit getan wurde, bedingt auch das, was aktuell getan wird oder werden soll – gemeint ist die Pfadabhängigkeit des Handelns. Früher konnten Investoren Wohnungen bauen, ohne dass die Leute dagegen aufbegehrten. Heute geht das nicht mehr so leicht, weil die Entscheidungen von damals Handlungen in der Gegenwart bedingen. Dennoch haben die Berliner gutes Werk vollbracht; rund 220.000 Unterschriften wurden gegen das geplante Vorgehen gesammelt, und im Mai 2014 gab es einen Volksentscheid. »Natürlich, ausschließlich über Volksentscheide kann man keine detaillierte Städteplanung betreiben. Doch das war auch nicht das Ziel der Initiative. Den fleißigen Unterschriftensammlern ist aber zu verdanken, dass es in Berlin jetzt eine öffentliche Debatte darüber gibt, was auf dem Tempelhofer Feld geschehen soll.« (Ebd.)

Übertragen darf das als Moral von der Geschicht’ daraus mitgenommen werden: Auch Jugendliche müssen nach Abschluss ihrer Schullaufbahn oder ihres Geographieunterrichts nach jeder Jahrgangsstufe keine politischen Entscheidungen nach ihrem Willen gestalten können. Man darf auch scheitern. Doch das Wichtigste ist, dass Lernende dazu befähigt und motiviert werden, ihr Wissen so einzusetzen, dass sie in unterschiedlichen Lebenssituationen in der Lage sind, ihre Meinungen kundzutun, Spannungen auszuhalten, Konflikte auszutragen – sich Räume als kritisch-reflexiv handelnde Subjekte anzueignen. Es ist genau die Ausbildung jener geographischer Vorstellungen im Sinne einer Raumbezogenen Handlungskompetenz, die es Menschen ermöglicht, zwischen allgemeinen Entwicklungen und Phänomen und den spezifischen Auswirkungen auf ihr eigenes Leben zu unterscheiden (vgl. Knox/Marston 2008: 41). Aus diesen Überlegungen zu einem kritisch-reflexiven Umgang als Beobachtungshaltung wird es in Kapitel 3.2 darum gehen, Konsequenzen für die konkrete Unterrichtsplanung abzuleiten.

T HEORETISCHE G RUNDLAGEN | 189

Der Entwurf eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen erweist sich als vielfältig (verwoben) und zugleich zentral für einen Geographieunterricht, der sich aktuellen Entwicklungen stellen muss und dies vor dem Hintergrund eines subjekt- und handlungszentrierten Zugang, in dem die Lebenswelten der Jugendlichen stärker Berücksichtigung finden. Als Kompetenz ausformuliert umfasst ein solcher Umgang die Fähigkeit, Blicke zu dezentrieren, offen zu sein für andere mögliche Denkweisen und gleichzeitig die Beobachtung eigener und fremder Beobachtungen: Welche Muster liegen meinen Sichtweisen zugrunde? Warum sehen das andere Menschen anders? Kritik geht damit stets einher mit Reflexion bzw. Reflexivität, sie stellen zwei Seiten einer Medaille dar: »Explizite Reflexivität bedeutet Kritik.« (Schneider 2013: 16) »Distanzierungsfähigkeit ist und bleibt dabei elementar, um das eigene Handeln einordnen und von außen beurteilen zu können [...].« (Schuster 2013: 50f.) Über die Fähigkeit zu Reflexion und Reflexivität sollen, ja können die Jugendlichen »ein Bewusstsein von der Welt [...] entwickeln, in dem die eigene Lebensform ihren Platz hat« (Daum/Werlen 2002: 4) – und dafür erhalten sie im Geographieunterricht eine Gelegenheit. Lernende, genauso wie Lehrende, müssen einen Schritt (von sich, dem Raum) zurücktreten, müssen bereit zu einer Beobachtung zweiter Ordnung sein. Dennoch ist es nicht das Ziel, alles und permanent zu hinterfragen. Menschen stützen sich auch auf bekannte Wahrnehmungsmuster, die ihnen Orientierung geben und Handlungen viabel erscheinen lassen. »Diese Art oberflächlicher, distanzierter Wahrnehmung einer auch nur in groben Zügen vertrauten Umwelt ist eine anthropologische Überlebensnotwendigkeit und zugleich alltägliche Verhaltensroutine. Sie ›entlastet‹ uns, macht uns ›frei‹ und zugleich ›handlungsfähig‹.« (Tessin 2011: 117) Erst in Situationen, in denen eingefahrene oder bekannte Handlungsmuster nicht mehr greifen, hinterfragen und passen wir diese an. Was hier eingesehen werden muss, ist, dass Geographieunterricht allein nur einen Teil dieser Aufgabe erfüllen kann. »Geographische Erziehung ist nur ein kleines Tor in diesem Kommunikationsprozess.« (Haubrich 2007: 63) Wie gezeigt wurde, gehören besonders fachlich-sprachliche Fähigkeiten genauso dazu wie eine fundierte Medienbildung sowie das Vermitteln von Fachwissen (z.B. über die Lebensweise von Menschen vor Ort, topographische Kenntnisse etc.). Ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen als ein Teil Räumlicher Orientierung stellt eine wichtige Voraussetzung für das übergeordnete Ziel geographischer Bildung – Raumbezogene Handlungskompetenz – dar.

190 | U RBANES R ÄUMEN

Nichtsdestotrotz sollte der Geographieunterricht seinen Beitrag zu einem kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen leisten, indem ganz grundsätzlich Fragestellungen mit Hilfe der vier Raumbegriffe multiperspektivisch beobachtet und darauf aufbauend andere Perspektiven eingenommen werden können. Es geht keineswegs darum, Geographieunterricht nur so und nicht anders zu gestalten.

3. Fragestellung und Unterrichtskonzeption

3.1 F RAGESTELLUNG »Wir unterrichten Geographie nicht um des Faches willen, sondern wegen der Kinder und Jugendlichen.« (Kirchberg 1998: 29) Aufbauend auf dieser Äußerung, die die Überlegungen zu einer Subjekt- und Handlungszentrierung im Geographieunterricht noch einmal zusammenfasst, geht es in diesem Kapitel darum, die Fragestellung der Arbeit zu präzisieren, indem die geographiedidaktisch formulierten Ausgangspunkte aus den vorangegangenen Kapiteln in der Konzeption eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen im Geographieunterrichts berücksichtigt werden. Ausgangspunkt dabei ist das erweiterte Raumverständnis (vgl. Kap. 2.1), das einen vielperspektivischen Blick auf die Phänomene der Lebenswelt der Jugendlichen erlaubt. Die zentrale Rolle der Lernenden vorausgesetzt (vgl. Kap. 2.2), die sich Räume als eigene und aktive Konstruktionsleistung aneignen (vgl. Kap. 2.3), leitet sich daraus die folgende Fragestellung ab: Welche Bedeutungen Raumkonstruktion zu?

weisen

die

Jugendlichen

ihren

Prozessen

der

Das Ziel der Untersuchung ist keine Kompetenzmessung, mittels der die jeweiligen Raumkonstruktionen der Jugendlichen quantitativ beurteilbar werden. Aus der Sicht der Jugendlichen gilt es vielmehr zu bestimmen, welche Bedeutungen sie ihren (Raum-)Aneignungsprozessen zuweisen, d.h. zu rekonstruieren, aufgrund welcher handlungsleitender Muster sie gerade so und nicht anders handeln, und das im Rückgriff auf das Konstrukt eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen, um darauf aufbauend mögliche Konsequenzen zur Anbahnung eines solchen abzuleiten. Die Beantwortung der forschungsleitenden Frage schließt auch die Frage ein, wie sich Jugendliche überhaupt Räume

192 | U RBANES R ÄUMEN

aneignen und welche Räume dabei entstehen, was in den einzelnen Schritten der Auswertung in Kapitel 6 aufgezeigt wird. Aus der übergeordneten Fragestellung leiten sich weitere forschungsrelevante Fragen ab. Es gilt dann genauso zu untersuchen, was sich im Hinblick auf... • • •

... das Verständnis der Jugendlichen von Raum und Geographie (-Unterricht), ... die Rolle der Kunst und des Ästhetischen in der Wahrnehmung und Gestaltung von Räumen sowie ... die Bedeutung des Alltags der Jugendlichen (als Lebenswelt)

schließen lässt.

3.2 U NTERRICHTSKONZEPTION Zum Zeitpunkt der Arbeit »liegen keinerlei empirische Unterrichtsforschungen vor, welche über die Umsetzung der neuen didaktischen Ansätze im Geographieunterricht und deren Wirkung auf die Schülerinnen und Schüler Auskunft geben können« (Budke/Glatter 2013: 498). Bevor jedoch auf die Wirkungen von Geographieunterricht geschaut werden kann, so die Grundannahme dieser Studie, muss erkannt werden, wie und warum die Jugendlichen mit Raum (-konstruktionen) umgehen. Dann wiederum stellt sich zunächst die Frage, welche Rolle dabei das Unterrichtstreatment spielt, das im Folgenden hergeleitet wird – wenn es gerade nicht um das Messen von Kompetenzen oder Lernerfolgen geht, sondern nach der Handlungspraxis der Jugendlichen gefragt wird; wie sie sich Räume aneignen. Es handelt sich nicht um eine Prä-Post-Untersuchung. Entsprechend versteht sich die Unterrichtsreihe nicht als bewusster Eingriff in die Erfahrungswelt der Jugendlichen, um etwaige Lernresultate nachzuzeichnen. Lernprozesse vollziehen sich oft, »ohne dass der Anlass offensichtlich wäre, schon gar nicht lässt sich der Beginn des Lernens intentional beeinflussen« (Asbrand/Nohl 2013: 157, zit. nach Meyer-Drawe 2008). In diesem Sinne wäre es gar kontraproduktiv, Lernergebnisse allein anhand des Unterrichtsarrangements festzumachen, da ein Lernen i.e.S. auch erst später einsetzen kann. Vielmehr geht es um das Aufzeigen von Prozessen der Bedeutungszuweisung, um »die Herkunft dessen, was gelernt wird« (ebd.). Damit wird nicht die Möglichkeit geleugnet, dass Lernen stattgefunden haben kann; doch stehen die dahinterliegenden, impliziten Handlungsmuster im Vordergrund dieser Untersuchungen. Für die Auswertung der Studie

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 193

ist es zentral, dass das Unterrichts-Projekt durch die Jugendlichen nicht als bewusste Störung empfunden wird, damit ihre Äußerungen in den Gruppendiskussionen, die im Anschluss daran geführt werden, auf ihren Erfahrungen beruhen und sie nicht allein auf einer theoretischen Ebene der Reflexion über den Unterricht verbleiben (vgl. Höhnle 2014: 105). Erfahrungsbasiertes Lernen meint die Verknüpfung situierter und sozialer Lernkontexte, in denen die Erfahrungen und Weltbild-Konstruktionen der Lernenden im Mittelpunkt stehen sollen. Mit dem Lernzyklus nach David Kolb (1984: 42) durchlaufen die Lernenden unterschiedliche Stationen, deren Abfolge jedoch nicht exakt festgelegt ist. Diese werden wie folgt definiert: Über eine konkrete Erfahrung, z.B. ein Erlebnis, welches den Jugendlichen einmal selbst in ihrer Stadt widerfahren ist oder welches sie im Geographieunterricht erarbeitet haben, nimmt ein geographisches Phänomen, z.B. der Prozess der Gentrifizierung, authentischen Charakter an. Darauf folgen die Phasen der Beobachtung und Reflexion, durch die den Lernenden Erfahrenes bewusst gemacht wird und sie eigenes Handeln theoretisch hinterfragen lernen. Das Bilden abstrakter Begriffe als eine weitere Phase hat zum Ziel, spezifische Erkenntnisse auf eine allgemeinere Ebene zu heben und damit Phänomene über zusätzliche Hintergründe tiefgründiger zu verstehen. Durch aktives Experimentieren gehen die Lernenden dann in eine handlungsorientierte Phase des selbst Ausprobierens und Anwendens neu erworbener Kenntnisse über, in der wiederum neue Erfahrungen generiert werden können. Aus dem erfahrungsbasierten Lernen ergibt sich als eine spezifische Form das problemorientierte Lernen. Erfahrungsbasiertes Lernen wird in der Unterrichtsreihe mittels der folgenden Punkte berücksichtigt: •

Das Treatment ist für die Jahrgangsstufen 11 und 12 konzipiert; bis dahin haben die Jugendlichen bereits … grundlegende fachliche sowie spezifisch topographische Kenntnisse (vgl. Kap. 2.3.1 zur Raumwahrnehmung) erworben, … »eine Art Endstufe« (Krause 1999: 15) in der Ausweitung ihres Lebensraumes erreicht, d.h. es finden keine großen räumlichen Erweiterungen mehr statt, die ihre Raumwahrnehmung und -aneignung prägnant beeinflussen, … grundlegende methodische Fähig- und Fertigkeiten ausgebildet  zudem stehen nicht die methodischen Entscheidungen bzw. deren Bewertung im Vordergrund des Unterrichts; die im Unterrichtsprojekt eingesetzten Methoden kennen die Jugendlichen teilweise, … gewisse (Orts-)Kenntnisse ihres Heimatraumes erworben, da sich das Unterrichtsprojekt daran orientiert; die Jugendlichen setzten sich

194 | U RBANES R ÄUMEN



• •





anzunehmenderweise auch aktiv mit ihrer alltäglichen Lebenswelt auseinander, suchen unterschiedliche Plätze auf etc. Durch ihren Alltag sind die Jugendlichen bereits mit Raumkonstruktionen vertraut, z.B. durch ihren eigenen Medienkonsum (s. Abschnitt Jugendgeographien), und auch wenn sie dies begrifflich so nicht explizit artikulieren, verstehen sie, was es bedeutet, kritisch mit Medien umzugehen. Zudem wird in den einzelnen Unterrichtsstunden über einen räumlichen Transfer ein konkreter Bezug zu ihrem Heimatraum hergestellt. Jugendliche denken die Kategorie Raum nicht als abstraktes Gebilde; für sie sind Räume v.a. auch symbolisch (vgl. Dobler/Pichler 2004: 40). Im Vordergrund des Unterrichtstreatment steht nicht die reine Wissensvermittlung. Die Jugendlichen sollen vielmehr Erfahrungen damit machen (vgl. Dewey)  auch wenn die Jugendlichen etwas im Unterricht nicht verstanden haben oder nicht auf genügend Vorwissen zurückgreifen können, konstruieren sie sich ihr eigenes Weltbild; dies wiederum steht nicht separiert von anderen Wissenskonstruktionen, sondern wird in den Gruppendiskussionen am Ende gemeinsam erarbeitet, erweitert usw. – ein Ausschluss von Diskursen bedeutet demnach nicht, dass Jugendliche nicht selbst »Expertenwissen« besitzen (vgl. Muri/Friedrich 2009: 173). Vorweg kann bestätigt werden, dass in den Gruppendiskussionen von den Jugendlichen selbst geäußert wurde, dass sie teilweise nicht wussten, dass es sich um ein Unterrichts-Projekt handelte  demzufolge ist der Projektcharakter des Unterrichts – dass die Jugendlichen eine bewusste Abgrenzung zu ihrem bekannten Geographieunterricht empfanden – nicht zwangsläufig als Störung zu bewerten. Bezüge zum Lehr- bzw. Bildungsplan können exemplarisch gezeigt werden, die die Anknüpfung an bestehende unterrichtliche Vorgaben berücksichtigen: … Gymnasium 12 Bundesland Bayern: Schwerpunkt sind kulturgeographische Themenbereiche; Globalisierungsprozesse und deren Steuerung, Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung, Raumstrukturen und aktuelle Entwicklungsprozesse in Deutschland (demographischer Wandel) (ISB 2004a). … Gymasiale Oberstufe Bundesland Hamburg: In der Studienstufe (entspricht Jahrgängen 11 und 12) müssen u.a. folgende verbindliche Inhalte vermittelt werden: Stadtgeographie (Genese und Merkmale von mitteleuropäischen Städten, funktionale Gliederung: Modell und Wirklichkeit, soziale Differenzierung von städtischen Teilräumen), globales Problemfeld

F RAGESTELLUNG





UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 195

und Handlungsansätze für nachhaltige Entwicklung (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg 2009: 18). Transparentmachen der Ziele und Perspektiven des Unterrichts: auch wenn es nicht darum geht, die Lernenden en detail auf die einzelnen Unterrichtsinhalte und -ziele vorzubereiten, werden ihnen unterrichtliche Entscheidungen transparent gemacht. Damit ist garantiert, dass Inhalte auch verstanden werden (vgl. Kürschner/Horz/Schnotz 2007: 15). »Jeder Mensch bringt notwendigerweise seine eigene Welt hervor« (Daum 2001: 211) – genauso auch der Lehrende. Da der Unterricht nicht von einer externen Person, sondern dem Geographielehrer selbst durchgeführt wird, widerspricht auch das keineswegs dem Anspruch erfahrungsbasierten Lernens. Die Lerngruppe ist mit ihrer/seiner Unterrichtsdurchführung vertraut (vgl. auch situierter Kontext).

Genauso wenig geht es in der Arbeit um eine Evaluation des Unterrichtstreatments, d.h. inwiefern Lernziele, oder gar das einer Raumbezogenen Handlungskompetenz, mithilfe der didaktisch-methodischen Umsetzungen erreicht wurden. Der hier zugrunde gelegten konstruktivistischen Auffassung von Lernprozessen folgend gibt es nicht genau eine Methode, die auf genau ein Lernziel abgestimmt werden kann. Die methodischen Entscheidungen stehen vielmehr in einem Wechselverhältnis zu Unterrichtsinhalten und -zielen. Das bedeutet nicht, dass sich nicht Hinweise auf geeignete Methoden aus den Gruppendiskussionen ergeben können. In der Auswertung wird sich offen den jugendlichen Meinungen genähert, um diese nicht den Bewertungskriterien der Forschenden oder anderer normativer Setzungen zu unterwerfen. Und dennoch: »Aneignung braucht Anregung.« (Deinet 2005: 177) Auch das Unterrichtstreatment versteht sich damit als Anregung, aber weniger im Sinne einer Lernstoff-Vermittlung; die Jugendlichen sollen sich individuell und kollektiv mit den unterrichtlichen Anregungen auseinandersetzen. Dabei »akzeptiert der gemäßigte Konstruktivismus eine gewisse instruktionale Hilfestellung«, um Lernprozesse anzuregen (Jekel 2008: 148). Genauso muss aber eingesehen werden, dass diese Unterrichtseinheit nur ein Baustein auf dem Weg zur Entfaltung eines kritisch-reflexiven räumlichen Denkens sein kann. 3.2.1 Konstruktivistische Lernumgebungen schaffen Was aber zeichnet Geographieunterricht aus, der eine kritisch-reflexive Weltbildproduktion von Jugendlichen anzuleiten vermag? Wie sind die theoretisch aufgezeigten Merkmale in der Praxis umzusetzen? Man könnte es auch einen

196 | U RBANES R ÄUMEN

minimalinvasiven Eingriff nennen, der bewusst an die Erfahrungen der Jugendlichen anknüpft, um keine Störung in dem Sinne hervorzurufen, die sie verunsichert. Das Treatment versteht sich als »geregelte Grenzüberschreitung« (vgl. Wetzel 2005). Damit soll auch die darauf aufbauende Frage beantwortet werden, inwiefern Geographieunterricht geändert bzw. angepasst werden muss, um neukulturgeographisch zu sein; inwiefern ist damit auch eine andere Lernkultur impliziert (vgl. Kanwischer 2006b: 128)? Prinzipiell muss auch in einem Geographieunterricht, der sich im Sinne der Neuen Kulturgeographie als Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen sieht, davon ausgegangen werden, dass die üblichen Schwierigkeiten bei der Unterrichtsplanung auftreten (können). Im Folgenden nun werden die didaktischen Entscheidungen und Anforderungen mit den theoretisch aufgestellten Annahmen verbunden, so dass trotz möglicher Überschneidungen zwischen Konzepten oder Formulierungen das Ziel eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen fokussiert bleibt. Um die fachwissenschaftlichen Ausführungen konstruktivistischer Ansätze des Raum- und Weltverständnisses adäquat in der Schulpraxis zu unterstützen, sollten zunächst konstruktivistische Lernmodelle in Betracht gezogen werden (Jekel 2008: 146), wobei bzw. auch wenn es »empirisch nicht belegt [ist], ob traditionelle Lernumgebungen oder konstruktivistische einen besseren Lernerfolg erzielen« (Kanwischer 2006b: 134). Der Lernerfolg, wie erwähnt, steht hier auch nicht als zu bestimmende Größe im Vordergrund. Mit dem Konstruktivismus wird allgemein davon ausgegangen, dass Wissen stets konstruiert wird und damit neue Informationen, die bspw. im Unterricht vermittelt werden, nicht im Verhältnis 1:1 bei den Jugendlichen ankommen oder verarbeitet werden, da diese subjektiv und abhängig von Vorwissen, Erfahrungen, sinnlichen Wahrnehmungen und Ideen individuell übersetzt und jeweils viabel konstruiert werden, um dieses neue Wissen für weitere Handlungen individuell nutzbar zu machen. Ganz entscheidend ergibt sich aus einer konstruktivistischen Perspektive, dass jeder Mensch auf der Grundlage eigener Weltbildkonstruktionen handelt, was aber keineswegs impliziert, dass er in gleichen oder ähnlichen Situationen auch genauso handelt, wie er es gewöhnlicherweise tat (Jekel 2008: 148; vgl. auch die Merkmale des Handelns aus konstruktivistischer Perspektive, Rhode-Jüchtern 2009: 163ff.). Deswegen kann (Geographie-)Unterricht, auch wenn er noch so präzise geplant ist, nie auf alle möglichen Eventualitäten Rücksicht nehmen – was nicht bedeutet, dass nicht besonders das Bewusstsein um die Kontingenz der Handlungen eine entscheidende Hilfestellung im Umgang damit sein kann. Nicht zuletzt auch deswegen, da hier der Anspruch eines subjekt- und handlungszentrierten Geographieunterrichts im Vordergrund stehen soll.

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 197

Etwas Beruhigendes vorweg: Geographieunterricht muss sich nicht um 180 oder gar 360° wenden (vgl. Thierer 2006: 230), um dem Anspruch kritischreflexiver Handlungen seitens der Jugendlichen gerecht zu werden, doch »[d]amit Weltbilder in unterrichtlichen Zusammenhängen erzeugt, kommuniziert, überprüft sowie individuell und sozial verantwortet, in ihrer Perspektivität und Relationalität verstanden und als mehr oder weniger gelungen eingeschätzt werden können, müssen sich die Lernprozesse neben der inhaltlichen Neuorientierung in methodischer Hinsicht • • •



durch eine intensive Reflexionskultur [...], durch Perspektivenwechsel als methodisches Konzept [...], eine durch lernprozessanregende Aufgaben (komplexe Probleme, Entscheidungsfälle, Gestaltungsaufgaben, Beurteilungsaufgaben) charakterisierte ansprechende Lernumgebung [...] sowie durch die Ausbildung einer neuen Lernkultur im Sinne der Berücksichtigung eines erkennbaren Lebenszusammenhanges [...]

auszeichnen« (Dickel 2006a: 14). Es kann dennoch behauptet werden, dass es »keine geographiedidaktischen Ansätze [gibt], die sich speziell auf die Vermittlung von sozialgeographischen Inhalten beziehen« (Budke/Glatter 2013: 496), wobei einige zentrale Bausteine aus der fachwissenschaftlichen Thematisierung abgeleitet werden können: Budke und Glatter (2013: 496ff.) legen diese wie folgt dar: • • • •

Akteurszentrierung Perspektivenvielfalt Berücksichtigung von Machtstrukturen (Ressourcen)1 Unterschiedliche Raumkonzepte.

Einen weiteren Vorschlag, wie moderat konstruktivistische Überlegungen in die Planung von Unterricht einfließen können, liefert Labudde (2000: 31ff.), die aus dem Physikunterricht auf naturwissenschaftliche Kontexte im Allgemeinen übertragen werden können. Dabei sind vier verschiedene Dimensionen bedeutsam:

1

Vgl. dazu auch Massey (2013: 305), die als eine zentrale Komponente geographischen Denkens die Untersuchung von Machtstrukturen erkennt und damit insgesamt einen kritisch-geographischen Blick fordert.

198 | U RBANES R ÄUMEN •

• • •

Individuelle Dimension: Vorverständnis und Interessen der Lernenden, sinnliche Erfahrungen (ebd.: 34), Selbstverantwortung, aktiv-entdeckendes Lernen, Handlungsorientierung und Selbstreflexion sowie der bewusste Wechsel zwischen Alltags- und Fachsprache Inhaltliche Dimension: Alltags- bzw. Lebensweltbezug in exemplarischen Unterrichtsinhalten, Problemorientierung Sozial-kommunikative Dimension: sich komplementär ergänzende Sozialformen, Kommunikation und wissenschaftlicher Disput Unterrichtsmethodische Dimension: Repertoire von Unterrichtsmethoden, vielfältige Rollen der Lehrperson und erweiterte Lehr- und Lernformen.

Über die Darstellung zentraler Defizite von Schulreisepraxis lassen sich zudem folgende Kriterien ableiten, die gelungene Raumaneignung erfüllen muss (Dickel 2006b: 64): • • • • • •

Gegenstände in ihrer subjektiven Bedeutsamkeit (statt klassischer Bildungsgüter) Multiperspektivität und Mehrdimensionalität (statt Monoperspektivität und Eindimensionalität) Echte Lernsituationen (statt Vergnügungstour) Selbstbestimmung (statt Fremdbestimmung) Rollenkonstitution (statt Rollenmanifestation) Kommunikation (statt Instruktion).

Diese können übertragen werden vom Arbeiten vor Ort auf den Geographieunterricht im Klassenzimmer. Aus einer breit angelegten Untersuchung zur Vermittlung ferner Räume (Tropen) im Geographieunterricht (vgl. Breitbach 2006) konnten zudem einige gewichtige Grundelemente zu unterrichtlichen Entscheidungen empirisch hergeleitet werden. Demnach umfasst ein sogenannter chancenaufzeigend-perspektivierender Unterricht folgende Elemente: •



Ausrichtung des Unterrichts: Ziel ist das Aufzeigen vielfältiger Lern-, Erkenntnis- und Handlungschancen, fundiert auf die Grundwerte Würde des Menschen und Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen angestrebt durch: Denken in Spannungsfeldern / Rhythmisierung (vs. lineares Denken) / Umfassender Einblick in Raum- und Sachstrukturen / Vielfältige Erkenntnismöglichkeiten unter Einbezug individueller Lernwege)

F RAGESTELLUNG









UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 199

im Blick behalten: die Grundkategorien Differenzierung und Vielfalt / Validisierung / Homogenisierung / Elementarisierung / Wechselwirkungen und Dynamik / Vergleich / Verschiedene Maßstabsdimensionen Angebot umfassender Erkenntnismöglichkeiten: speziell befördert durch Methode des Vergleichs / Verschiedene Maßstabsdimensionen / Prozesse der Modellierung unterschiedliche Tiefe des Unterrichts: Faktebene / Stellenwert von Informationen / Beurteilungsmaßstäbe und -mechanismen / Einsicht in Handlungsnotwendigkeiten, -ansätze, -risiken und -chancen erarbeitet an Beispielen aus: dem Nahraum / dem fernen Raum / der Verflechtung von Nah- und Fernraum; wobei als Hilfe die Raumkategorien dienen: Merkmalsraum / Differenzierungsraum / Vergleichs- und Veflechtungsraum / Daseinsraum von Menschen / Bewertungs- und Handlungsraum (Breitbach 2006: 340).

Aufgrund der thematischen Spezifizität seiner Untersuchung erweisen sich einige der genannten Prinzipien als weniger handlungsleitend für das vorliegende Unterrichtstreatment. Folgende Prinzipien werden deswegen herausgegriffen: • • • • • • • •

Denken in Spannungsfeldern Vielfältige Erkenntnismöglichkeiten; Einbezug individueller Lernwege Methode des Vergleichs Verschiedene Maßstabsdimensionen Prozesse der Modellierung Stellenwert von Informationen Beurteilungsmaßstäbe Verflechtung von Nah- und Fernraum.

Auf die einzelnen von Breitbach erwähnten Raumkategorien, die als Brillen auf geographische Fragestellungen erklärt werden können, soll hier nicht näher eingegangen werden. Dennoch legt ein erster Blick die Vermutung nahe, dass diese im weitesten Sinne mit den vier Raumbegriffen vergleichbar sind (Merkmalsraum  Containerraum; Vergleichs- und Verflechtungsraum  Raum als System; Daseinsraum von Menschen  Wahrnehmungsraum; Bewertungs- und Handlungsraum  Raum als Konstrukt). Einen entscheidenden Einflussfaktor stellt zudem auch die Lehrkraft dar, die im Diskurs mit den Lernenden ein Gespür für unterrichtliche Entscheidungen entwickeln muss (Breitbach 2006: 324; vgl. dazu auch Hattie 2008).

200 | U RBANES R ÄUMEN

Zudem erweisen sich einige allgemeinere Aspekte als zentral für die Gestaltung konstruktivistischer Lernumgebungen bzw. einen problemorientierten Unterricht. Lernen sollte demnach in folgenden Kontexten stattfinden (ReinmannRothmeier/Mandl 2001: 627f.): • • • • •

Authentizität und Situiertheit Multiple Kontexte Multiple Perspektiven Sozialer Kontext Instruktionale Unterstützung.

Daraus abgeleitet und in Anlehnung an die vorangegangenen Ausführungen zu den Merkmalen konstruktivistischer Lernumgebungen werden fünf unterschiedliche Kontexte erweiternd zusammengefasst, in denen konstruktivistische Lernprozesse stattfinden sollten: • • • • •

situiert sozial authentisch multipel reflexiv

Diese bis hier aufgeführten unterschiedlichen Prinzipien für die Planung und Gestaltung konstruktivistischer Unterrichtssituationen zeugen nicht etwa von einer Konzeptionslosigkeit des Geographieunterricht(en)s. Vielmehr gilt als nachgewiesen und vor allem auch aus der Praxis bestätigt, dass sich die konzeptionelle Vielfalt auf verschiedenen Ebenen (z.B. methodische Entscheidungen, Einsatz von Medien, usw.) günstig erweist, um Geographieunterricht zwischen Konstruktion und Instruktion ausgleichend zu gestalten (vgl. Breitbach 2006: 117). Wie deutlich wird, unterscheiden sich die aufgezeigten Prinzipien nur minimal. Authentische und situierte Kontexte bilden die Basis für einen konstruktivistischen, problemorientierten Geographieunterricht, der soziale und kommunikative Lernsituationen erlaubt, dabei multiple Perspektiven berücksichtigt und zu einer reflexiven Lernkultur i.S. eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen führen kann. Als Quintessenz aus der bisherigen Zusammenschau verschiedener konstruktivistischer Prinzipien versteht sich Abbildung 7, in der einige entscheidende im Hinblick auf das zu gestaltende Unterrichtstreatment kombiniert werden und die aufgeführten Kontexte konstruktivistischer Lernumgebungen durch zentrale

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 201

Inhalte, die aus den bisher erwähnten Prinzipien extrahiert wurden, erläutert werden. Aufbauend auf der Ermöglichung von Wissenskonstruktionen über situierte und authentische Lernkontexte sollen die Jugendlichen Wissen in multiple(n) Kontexte(n) transferieren, um eigenes und anderes Handeln reflexiv beurteilen zu können. Abbildung 7: Zentrale Prinzipien für die Gestaltung des Unterrichttreatments

Das Unterrichtstreatment versteht sich als multifunktional gestaltetes Bildungsarrangement (vgl. Kessl/Reutlinger 2013b: 26, 31), als eine Möglichkeit einer anregenden sozialen »Lernumgebung« (vgl. Kanwischer 2006b: 126), da Lernen nicht nur individuell, sondern in der Gemeinschaft stattfindet und Aushandlungsprozessen unterliegt (Jekel 2008: 148). Das Stichwort Anregung verweist gleichzeitig darauf, dass die Jugendlichen intrinsisch motiviert sein sollten, wenn Lernen als aktiver, selbstgesteuerter Prozess abläuft (ebd.: 149), der nicht allein vom Lehrer bestimmt wird. Inwiefern solche Möglichkeiten des Anreizes, der Motivation geschaffen werden können, ist hochgradig kontextabhängig, und sollte nicht als allgemeingültige Formel für jeden Unterricht formuliert werden. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt der Jugendlichen hierbei eine wertvolle Gelegenheit bieten und dadurch gleichzeitig der vergleichsweise hohe kognitive Anspruch konstruktivistischer Lernumgebungen (ebd.: 151) gemäßigt werden kann. Abhängig von den Kontextinformationen und unter welchen Umständen Themen vermittelt werden, gelingt es Lernenden je einfacher oder schwieriger, Inhalte einzuordnen (Kürschner/Horz/Schnotz 2007: 14). Besonders das Lernen in authentischen Kontexten, z.B. über das Bearbeiten aktueller Fragestellungen im Geographieunterricht, kann deshalb als Mittel angesehen werden, um das Anhäufen trägen Wissens zu verhindern (Jekel 2008: 149). All diese Kontexte, wie sie genannt werden,

202 | U RBANES R ÄUMEN

stellen eine Strukturierungshilfe für Geographieunterricht dar; sollten demnach in der Planung berücksichtigt werden, wenn auch nicht alle in Gänze und stets implementierbar erscheinen. Für die vorliegende Arbeit dienen diese als grundlegende Entscheidungskriterien. Nach den allgemeinen Gedanken zum Aufbau konstruktivistischer Lernumgebungen folgen nun weitere Bausteine, die zu einer Gesamtstruktur und -übersicht über das Unterrichtstreatment führen. Aus Gründen der Übersicht wird eine Grafik (Abb. 8) vorangesetzt, die in pointierter Ausführung sämtliche didaktisch-methodische Entscheidungen aufzeigt. Abbildung 8: Bausteine für die Konzipierung des Unterrichtstreatments

Die theoretischen, fachwissenschaftlichen Überlegungen bzw. allgemeinen Grundannahmen aus den ersten Kapiteln werden jeweils in der Planung des Treatments berücksichtigt. Diese sind auf einen zentralen Aspekt hin geschärft, der als Verbindung zwischen Theorie- und Praxis-Teil fungiert (s. grau hinterlegte Textkästen in Abb. 8). Mit anderen Worten geht es aufbauend auf einem geänderten Raumverständnis um das Vermitteln grundlegender epistemologischer Kenntnisse, damit die Jugendlichen im Unterricht verstehen, warum sie die Welt gerade so sehen, wie sie sie sehen. Zudem eignen sich stadtgeographische Fragestellungen, da – wie in Kapitel 1.1 aufgezeigt – der (öffentliche) urbane Raum zunehmend unterschiedlicher Prozesse unterliegt und sich die Jugendlichen dort genauso aufhalten; er die Funktion eines Lernortes ausübt (vgl. Kap. 2.3.1). Des Weiteren steht eine Subjekt- und Handlungszentrierung in inhaltlicher und methodischer Hinsicht im Mittelpunkt des Unterrichts. Neben einem

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 203

grundlegenden Raumwissen sollen die Jugendlichen zu einem Wechsel der Perspektive angeleitet werden. All dies wird mithilfe der Elemente auf der rechten Seite der genannten Abbildung 8 umzusetzen sein. Inhaltlich-strukturelle Entscheidungen »Eine Belehrung von Generation zu Generation ist nicht mehr möglich, das Vermitteln von ›Raumverhaltenskompetenz‹ [Raumbezogener Handlungskompetenz, Anm.d.A.] also auch nicht […].« (Rhode-Jüchtern 1995: 79) Das bedeutet, dass Geographieunterricht in besonderem Maße auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, d.h. die Lebenskontexte der Jugendlichen, eingehen sollte, dabei Inhalte und Konzepte aber strukturiert vermitteln muss, um nicht mit dem Vorwurf der »Emanzipation der Fachdidaktik von der Fachwissenschaft Geographie« (Schmidt-Wulffen 1999: 29, zit. in Jekel 2008: 160) konfrontiert zu werden. Dabei kann weder nach einem starren Schema F, noch allzu variabel und willkürlich vorgegangen werden, z.B. je nach Nachrichten- und Informationslage. Es kann nicht darum gehen, Geographieunterricht allein an den Interessen und Vorkenntnissen der Jugendlichen auszurichten. Nach Klafki sollen Schlüsselprobleme im Zentrum von Unterricht stehen, womit gleichzeitig auch die Frage nach dem Raum umgangen wird (Hoffmann 2007: 31). Das heißt, es geht bei der Auswahl der Unterrichtsthemen nicht um abgegrenzte Räume, sondern Fragestellungen, aus denen sich Räume erst ergeben. Die Jugendlichen sollen angeregt werden, das scheinbar Normale aus einer anderen Perspektive zu betrachten, um wiederum das eigene Denken zu reflektieren. Angelehnt an moderne Strukturationstheorien werden Werlens Alltägliche Regionalisierungen als geographiedidaktisches Strukturprinzip gewählt (vgl. Rhode-Jüchtern 2013b: 263). Das in Kapitel 2.2.1 ausgeführte Konzept der Handlungszentrierten Sozialgeographie dient sowohl als thematisches als auch konzeptionelles Grundgerüst der Unterrichtsreihe. Damit ist ein Zugang zur Konstruiertheit von Räumen gegeben, und zwar über die Rekonstruktion von Handlungen, die hinsichtlich ihrer Regionalisierungen untersucht werden. Im Mittelpunkt stehen die räumlichen als auch zeitlichen Bedingungen, unter denen die jeweiligen Schauplätze (Großwohnsiedlung Berlin Marzahn, das Duisburger Stadtviertel Marxloh, Londons Stadtteil Hackney) als solche hergestellt werden, wobei den Ausgangspunkt stets geographische Problemstellungen bilden, über die der weitere »Fluß von Tätigkeiten« (Werlen 1995: 80) lohnend bearbeitet werden kann. Dabei geht es nicht darum, einzelne Handlungen einzelner Akteure zu deuten, sondern die ermöglichenden und einschränkenden Strukturen (Regeln und Ressourcen) hinsichtlich ihrer Macht-Wirkungen zu hinterfragen und damit den kreativen und transformativen Charakter von Handlungen zu erkennen (vgl.

204 | U RBANES R ÄUMEN

ebd.). Die einzelnen Unterrichtsstunden sind nach den Geographien der Wirtschaft (produktiv-konsumtiv), Politik (normativ-politisch) und Information (informativ-signifikant) aufgebaut und mittels stadtgeographischer Fragestellungen verbunden. Gleichzeitig lässt sich aus der handlungszentrierten Ausrichtung die Konzeption des Subjekts – der jugendlichen Lernenden – präzisieren, die im Geographieunterricht als zentrale Akteure aufgefasst werden; ihre Handlungen und Konstruktionen stehen im Vordergrund. »Individuelle Zugänge erfordern keinen individuellen Unterricht, sondern lassen sich mit dem Gruppenunterrichtsprinzip verbinden.« (Schmidt-Wulffen 2008: 83) Eine Differenzierung innerhalb des Unterrichts erweist sich als besonders wichtig, da unterschiedliche Raumwahrnehmungen und -konstruktionen berücksichtigt werden sollen, aber auch, da immer von unterschiedlichen Ausgangsbedingungen seitens der Jugendlichen auszugehen ist. Kurz angemerkt sein soll hier die Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Lernenden. Ihre Modi der Raumaneignung unterscheiden sich nachgewiesenermaßen, und insbesondere, was Fragen der Raumwahrnehmung und das Arbeiten mit Karten betrifft (vgl. Rinschede 2007: 78). Jungen nutzen oft einen größeren Aktionsradius als Mädchen, was u.a. aus Motiven der Angst resultiert (Muri/Friedrich 2009: 162) bzw. Mädchen in ihrer Sozialisation strukturell benachteiligt sind; die Handlungen der Mädchen sind weniger kreativ und aktiv; gleichzeitig oft leise, nach innen gekehrt und passiv auf einen kleinen Raum beschränkt (Wüstenrot Stiftung 2003: 233). Dies liegt oft auch an den unterschiedlichen Interessen der Jugendlichen, die sich dann räumlich unterschiedlich manifestieren (z.B. Skaten als eher raumgreifende Praxis von Jungen) (ebd.: 234). Diese Erkenntnisse lassen sich als spezifische Aneignung öffentlicher Räume (außerhalb der Schule) belegen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Bedürfnisse begründen (vgl. dazu Ellermann 2000; Fröhlich et al. 1997; Madlener 2004; Meyer 1999). »Darüber hinaus unterscheiden sich Mädchen und Jungen darin, wie sie mit den öffentlichen Räumen umgehen: Mädchen erkunden ihr Umfeld häufig auf dem Weg zu einem Ziel [...], für Jungen ist das Herumstreifen eher Selbstzweck.« (Krause 1999: 15) Im Rahmen raumbezogener Genderforschung wird sich intensiv mit solchen Fragen auseinandergesetzt (u.a. Kramer 2002), die nicht minder relevant sind für stadtplanerische Fragestellungen. Inwiefern geschlechtsspezifische Unterschiede auch für den Umgang mit Raumkonstruktionen im Geographieunterricht relevant werden, lässt sich aus Studien nicht prüfen noch verallgemeinern, genauso wenig, wie unterschiedliche Interessen für geographische Themen zwischen Mädchen und Jungen zwar empirisch nachgewiesen (u.a. Hemmer/Hemmer 2010; Maier 1996b; Obermeier 1998; vgl. dazu auch die vielfältigen Forschungsprojekte zum Thema Schülerinteresse an der WMU

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 205

Münster), doch wiederum abhängig von weiteren Faktoren, z.B. Lerntypen und innerhalb von Lerngruppen sind (Breitbach 2006: 279). Auch Saarinen (1987, zit. in Haubrich 1992: 39) konnte deutliche Unterschiede in den geographischen Wissensbeständen sowie kognitiven Weltkarten zwischen weiblichen und männlichen Studierenden feststellen.2 Dennoch: In der vorliegenden Arbeit geht es nicht darum zu schauen, ob bzw. dass sich männliche und weibliche Jugendliche Räume je anders aneignen, sondern um die empirische Rekonstruktion handlungsleitender Orientierungen, die u.a. durch das Interesse an spezifischen Themen oder Methoden beeinflusst sein können. Daraus wiederum lässt sich folgern, dass den Lernenden im Geographieunterricht insbesondere ein breites Angebot an Perspektiven zur Verfügung gestellt werden bzw. sie selbst die Möglichkeit erhalten sollten, Räume mehrperspektivisch zu ergründen, um möglichst unterschiedliche Präferenzen und Interessen seitens der Lernenden anzusprechen (Breitbach 2006: 280), auch wenn das Potenzial – zu fragen wäre dann auch, welches damit gemeint ist – der Mehr- bzw. Multi- oder Vielperspektivität für Geographieunterricht empirisch nicht nachgewiesen ist (ebd.: 128). Methodische Entscheidungen Jugendliche eignen sich Räume an, und in diesem Fall ist auch das Unterrichtsarrangement Gegenstand ihrer Aneignungsprozesse. Über (neue) Informationen konstruieren sie eigene Vorstellungen und gleichen diese mit anderen ab. Hierfür werden die Lernenden methodisch und durch medientechnische Entscheidungen im Unterricht unterstützt. »Da die Normen von Effizienz und Beschleunigung schon weit in gegenwärtige Aneignungs- und Lernprozesse hineingewandert sind, muß folgendes stärker zum Bewußtsein gebracht werden: Die Überwindung des flüchtigen Blicks, die Wiederentdeckung der Langsamkeit [...].« (Daum 2001: 223) Entscheidend ist auch hier, dass Jugendliche nicht zwangsläufig Neues vermittelt bekommen sollten, um Dinge besser zu verstehen, sondern vielmehr über andere Sichtweisen neue Erkenntnisse gewinnen dürfen. Die Auswahl der Unterrichtsmethoden erfolgt dann unter Berücksichtigung des Prinzips der Vielperspektivität und sollte unterschiedliche Lösungswege seitens der Lernenden erlauben. Dazu gehört auch, unsicheres Wissen explizit zu machen sowie Ungewissheiten und Doppeldeutigkeiten zu thematisieren, da diese im Prozess der Reflexion ganz entscheidend sind, um wiederum andere Denkmuster nachvollziehen zu können.

2

Ausführlicher dazu Rost 1977: 29ff., der unter anderem auch mögliche Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Raumvorstellung darstellt, die bis hin zu Unterschieden in der genetischen Ausstattung zwischen Jungen und Mädchen reicht.

206 | U RBANES R ÄUMEN

Die methodischen Entscheidungen werden hier nur punktuell herausgegriffen; in den Artikulationsschemen der jeweiligen Unterrichtsstunden (vgl. Abschnitt 3.2.2) können diese dann gemeinsam mit den Materialien genauer nachvollzogen werden. In den einzelnen Unterrichtsstunden wechseln sich Gruppen-, Einzel- und Partnerarbeit jeweils ab, um eigene, individuelle Konstruktionsprozesse mit denen der anderen Lernenden zu verbinden und Wissensbestände kollektiv auszuhandeln. Dafür wird u.a. auf die Methode des Gruppenpuzzles zurückgegriffen. Auch das Integrieren abstrakter Modelle (z.B. Kommunikationsmodell nach Westley/McLean) kann individuelle Sichtweisen mit der Vielperspektivität koppeln, um die Kontingenz sozialer Wirklichkeit auf mögliche Erklärungen zurückzuführen. Neben der Methode der Diskursanalyse, die so für den Geographieunterricht noch nicht ausführlich operationalisiert ist und auch im vorliegenden Design nicht angewendet wird, wäre auch eine weniger umfangreiche Form der sprachlichen Dekonstruktion möglich; die Argumentationsanalyse. Anhand des Argumentationsschemas nach Toulmin könnten die Jugendlichen auf der Ebene von Argumenten unterschiedliche Texte hinsichtlich ihrer argumentativen Glaubwürdigkeit hinterfragen und erkennen, »in welch hohem Maße geographisches Argumentieren ein durchaus kreatives kommunikatives Handeln darstellt und eben nicht als ein repräsentierendes und referentielles Abbilden räumlicher Wirklichkeit mit sprachlichen Mitteln angemessen verstanden werden kann« (Felgenhauer 2007a: 30). Das erfordert stets, dass in den Aufgabenstellungen mehr als eine Lösung bzw. mehr als ein Lösungsweg erlaubt sein müssen: in der Methode Mystery beispielsweise können ganz unterschiedliche Ergebnisse präsentiert werden, um komplexe Themen unter Berücksichtigung narrativer Elemente zu ergründen. Es geht dann nicht darum, Begriffe je genauer und präziser zu definieren, sondern den Raum in Netzen zu erzählen (RhodeJüchtern 1995: 50). Eine ähnliche Richtung verfolgt der sogenannte Anchored Instruction-Ansatz, nach dem in konstruktivistischer Lernauffassung authentische Probleme in den Mittelpunkt von Unterricht gesetzt werden, um Lernen nicht allein als Prozess von Wissensvermittlung zu verstehen (ReinmannRothmeier/Mandl 2001: 617). Dieser von der Cognition and Technology Group at Vanderbilt entwickelte Ansatz sieht als zentralen Baustein von Unterricht »narrative Anker« (ebd.), die den Lernenden Ansatzpunkte geben sollen, um interessiert und eigenständig Probleme zu identifizieren und zu lösen. Als hilfreich erweisen sich demnach folgende mögliche Gestaltungsprinzipien (ReinmannRothmeier/Mandl 2001: 617f.):

F RAGESTELLUNG

• • • • • •

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 207

videobasiertes Format | Präsentation per Video – Bedeutung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien narratives Format | Einbettung des Problems in einen für die Lernenden bedeutungsvollen Kontext generatives Lernformat | Kompetenz zur Differenzierung und Spezifizierung durch geeignete Struktur der Geschichten eingebettete Daten | alle zur Problemlösung benötigten Daten sind in die Geschichte integriert Problemkomplexität | die Komplexität der Geschichte entspricht einer realen Situation Paare verwandter Abenteuer | Präsentation zweier ähnlicher Geschichten, um verschiedene Perspektiven miteinander zu kombinieren.

Über eine Fokussierung narrativer Wissensbestände (vgl. Lyotard) sowie die Integration der unterschiedlichen Lernkontexte (vgl. Abb. 7) werden die Jugendlichen angeregt, komplexe Fragestellungen gemeinschaftlich zu verstehen, wobei die Frage des Medieneinsatzes durchaus alternativ gelöst werden kann, als Reinmann-Rothmeier und Mandl vorschlagen. Einen Schritt weiter geht Barricelli (2005), die die Fähigkeit zu einem historischen Denken im Geschichtsunterricht über die Anbahnung Narrativer Kompetenz konzipiert. Und auch der Geographieunterricht kann bzw. sollte sich der Ausbildung und Integration narrativer Elemente bedienen, da Geographen Räume nicht immer nur durch das Vor-Ort sein erkunden könnten (ebd.: 19), sondern auch auf Erzählungen über Räume zurückgreifen müssen, um diese subjektiv erleb- und erfahrbar zu machen. Die Arbeitsdefinition Narrativer Kompetenz kann gewinnbringend auf den geographischen Kontext übertragen werden: Sie ist eine linguistische und kognitive Fähigkeit, meint also die Fertigkeit von Lernenden, Geschichten über Räume i.S. von raumkonstitutiven Ereignissen »bilden, erzählen und verstehen zu können« (ebd.: 78 [Herv.i.O.]). Unter Narration wird keine vollständige, abgeschlossene Textsorte, wie z.B. ein Märchen verstanden, genauso wenig auch kulturelle Leistungen einzelner Individuen (vgl. Scharvogel 2007: 45f.). In Narrationen werden die vielfältigen alltäglichen Lebensäußerungen (z.B. auch Esskulturen), sprich »Erfahrungen und Wissen zu Weltsichten zusammengeführt« (ebd.: 46). Demzufolge können auch Räume als Ausschnitte unserer Lebenswelt zu Narrationen, zu Erzählungen werden. Im eigentlichen Sinne erzählen Räume nichts; es sind die Menschen, die Räume indirekt sprechen lassen, indem sie sich bspw. in ihnen aufhalten und ihre Umgebung aktiv-konstruierend wahrnehmen. Räume zu narrativieren meint, objektive Gegebenheiten zu subjektiv erfahrbaren und erfahrenen, mannigfach gelebten Räumen zu authentifizieren (Rhode-

208 | U RBANES R ÄUMEN

Jüchtern 2012b). In Abgrenzung zu Berichten i.e.S. beinhalten solche Geschichten auch individuell bedeutsame Zusammenhänge und Erfahrungen, über die Räume (an-)geordnet, und über die nicht nur Dinge in ihrer Beschaffenheit erklärt werden, sondern die Jugendlichen auch darüber erst Erklärungen für gesellschaftliche Phänomene finden (ebd.). Nicht das scheinbar offizielle Narrativ der Stadtverwaltung erklärt dann bspw., warum Obdachlose vertrieben werden, sondern über das Erzählen eigener Geschichten in unterschiedlichen subjektiven Perspektiven verstehen die Jugendlichen dahinterliegende und auf den ersten Blick nicht mitgedachte (Be-)Deutungen. Die Jugendlichen werden selbst Teil einer Erzählung. Damit kommt wiederum der Sprache als raumkonstitutives Medium eine entscheidende Rolle zu, welche die Jugendlichen gleichzeitig erkennen und verstehen lernen, und zwar indem sie selbst über Sprache Räume herstellen. Narrative Kompetenz erfordert damit das Bewusstsein um die eigene Situiertheit, die Abhängigkeit räumlicher Wahrnehmungen von eigenen Erfahrungen und Wissensbeständen. Hintergrund der Stärkung narrativer Elemente im Unterricht ist die Absage an ein rein wissenschaftlich-logisches Denken in der Gesellschaft, welches zwischen richtig und falsch, gut und böse unterscheidet und darauf abzielt, stets eindeutig definierbares, wahres Wissen herzustellen (vgl. Lyotard 1986: 80f.). Vor diesem Hintergrund gewinnt narratives Wissen an Bedeutung, das über Geschichten und Erzählungen weitergetragen wird. Damit kann jeder (Lernende) zu einem Erzähler einer Geschichte werden, da er selbst Teil von ihr war, an ihr teilgenommen hat und seine Glaubwürdigkeit darüber erfährt (ebd.: 70f.). Auch die Jugendlichen werden zu Erzählern einer Geschichte: In ihren Mapping-Aktionen (s. weiter unten) stellen sie eine mögliche Lesart von Raum her. Dieses damit hergestellte Wissen kann gerade im Austausch mit anderen aufgedeckt und hinterfragt werden. Können sich die Jugendlichen und Passanten dann auf Dinge einigen (wissenschaftliches Wissen)? Oder verstehen Passanten und Jugendliche die Mapping-Aktionen jeweils unterschiedlich (narratives Wissen)? Im Hinblick auf die Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen ließe sich das in Kapitel 2.3.2 aufgeführte Modell zur Raumbezogenen Handlungskompetenz so umsetzen, dass ausgehend von einer »Kleinen Erzählung«, die bspw. in Form eigener Erfahrungen oder eines konkreten Fallbeispiels dargestellt wird, andere Fälle gleicher oder ähnlicher Art bzw. Strukturen abgeleitet werden (»Große Erzählung«). Nach einer vergleichenden Bewertung und Reflexion der Fälle (z.B. Warum war diese Handlung da (nicht) möglich?) fände am Ende das eigene Geographie(n)machen im Sinne der selbstbestimmten Einflussnahme statt (vgl. Rhode-Jüchtern 2006b: 5).

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 209

In der vorliegenden Unterrichtsreihe entspricht dies der Mapping-Aktion der Jugendlichen, auf die mittels der Ausführungen in den Unterrichtsstunden hingearbeitet wurde. Besondere Bedeutung im Unterrichtsarrangement nehmen ästhetische Lernformen ein, da sich geographischen Themen über die künstlerisch-kreative Auseinandersetzung ergebnisoffen und subjektzentriert genähert werden kann. Zudem wird ästhetischer Wahrnehmung das Potenzial zugesprochen, Raumwahrnehmung über das Auslösen persönlicher Betroffenheit zu lenken (vgl. Hübner 2014: 7), um einen kritisch-reflexiven Umgang mit Raum anzubahnen. So haben die Jugendlichen z.B. die Aufgabe, ein Denkmal zu zeichnen; auch das Mapping steht in dieser Linie künstlerischer Arbeit vor Ort. In allen Unterrichtsstunden sind auch die Wissenschaftsorientierung und Quellenbewusstsein als Strategien zum Umgang mit komplexem Wissen zu berücksichtigen. Dabei gilt als Anspruch, dass die Jugendlichen nicht unterfordert werden, sondern sich auch mit wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen auseinandersetzen sollen. Das beinhaltet ebenso das Anwenden qualitativer Fachmethoden der Humangeographie, mit deren Hilfe sich Räumen differenziert und subjektzentriert genähert werden kann. Gleichzeitig sollen die Jugendlichen i.S. eines Quellenbewusstseins sensibel dafür gemacht werden, dass und unter welchen Umständen Wissen entsteht, was also auch warum bezweifelt werden darf. Der Einsatz von Medien im Unterrichtsarrangement zielt auf eine Sensibilisierung der Jugendlichen für die mediale Gemachtheit sozialer Wirklichkeit. Sie sollen Bilder und Texte nicht als neutrale Vermittler von Wirklichkeit ansehen, noch ihnen alles glauben. Neben der Anschaulichkeit wird damit bezweckt, die alltägliche Beeinflussung durch Bilder, Texte, Videos usw. zu reflektieren. Dies wird u.a. durch den Einsatz produktionsorientierter Methoden aus der Germanistik (z.B. Umschreiben von Texten, Einsetzen von Wörtern) angeleitet. Insgesamt soll nochmals betont werden, dass nicht allein methodische Entscheidungen der Baustein in einem Geographieunterricht ist, der kritischreflexives Denken anzuleiten vermag. Deswegen sollen im weiteren Verlauf zusätzliche Elemente aufgezeigt werden, die in einer solchen Zielfestlegung als förderlich erachtet werden. Lernziele und Kompetenzen Die Wissenskonstruktionen der Jugendlichen sollen im Geographieunterricht angeregt werden; sie sollen sich aktiv mit dem Unterrichtsarrangement auseinandersetzen, und dabei an ihre eigenen alltäglichen Erfahrungen anknüpfen können. Gleichzeitig wird es als notwendig angesehen, (neue) fachliche Informationen bereitzustellen, über die eine Bearbeitung von Themen ermöglicht wird.

210 | U RBANES R ÄUMEN

Dies erfordert u.a. das Einführen neuer Begriffe und Konzepte (z.B. den Prozess der Gentrifizierung), genauso wie historische Angaben, um räumliche Entwicklungen in der Zeit nachzuvollziehen. Doch muss sich das Vermitteln neuer Fakten nicht im stupiden Auswendiglernen erschöpfen, sondern kann und sollte »abwechslungsreich und schülernah gestaltet werden« (Kirchberg 1998: 28). Im konkreten Fall wird anhand von Guerilla-Aktionen aufgezeigt, dass Normen im städtischen Raum ganz unterschiedlich hinterfragt werden können, wobei dies oft Phänomene sind, die die Jugendlichen in ihrem eigenen Heimatraum noch nicht beobachtet haben. Da aber »fachliches Vorwissen keine notwendige Voraussetzung zur Durchführung problemorientierten Lernens ist« (Jekel 2008: 173, zit. nach Gräsel 2000: 190f. [Herv.i.O.]) – und prinzipiell nie davon ausgegangen werden kann, dass Jugendliche bereits alles wissen – geht es vielmehr um das Fördern grundlegender Kompetenzen, über die Problemlösen angeleitet werden kann. Einen ähnlichen Befund gibt die PISA-Studie vom April 2014, in der männlichen Jugendlichen im Alter von 15 Jahren bessere Fähigkeiten im Lösen von Alltagsproblemen nachgewiesen wurden als Mädchen, wobei die Jungen doch lange Zeit eher als »Bildungsverlierer« galten (Sadigh 2014). Dies lässt sich auch mit einer »Inkompetenzkompensationskompetenz« (Marquard 1973)3 erklären: Das Wissen, über das die Lernenden nicht verfügen, wird (über andere Kompetenzen) ausgeglichen, kompensiert. Das Festlegen und Formulieren von Lernzielen muss in jeder der Unterrichtsstunden erfolgen (vgl. van der Schee 2013: 109), und zudem auch den Jugendlichen transparent gemacht werden. Dies wird im Unterrichtsprojekt u.a. mithilfe von Merksätzen verwirklicht, die die Lernenden von einer allgemeinen, abstrakten Ebene auf ihren konkreten Heimat- bzw. den Raum der Schulumgebung übertragen und damit eine klare Botschaft aus dem Geographieunterricht herausnehmen, die sie individuell bedeutsam und damit für sich viabel machen. So wird gleichzeitig poststrukturalistische Kontingenz anerkannt sowie konstruktiv gewendet, indem jede/r Jugendliche ein für sich verständliches Fazit formuliert. Wiederum i.S. problemorientierten Lernens ist die Prämisse RhodeJüchterns (1995: 68): »Statt Wiederkäuen selbst geeignetes Futter suchen.« Die Jugendlichen sollen deswegen nicht mit einer Stofffülle überfordert werden, sondern mittels geeigneter »Lösungsressourcen« (Müller 2001: 20) Probleme selbst definieren und erarbeiten. Das (zu vermittelnde) Wissen sollte in dem spezifischen Kontext funktional sein (ebd.). Die Funktionalität von Wissen verweist auf dessen Möglichkeit, in konkreten Situationen auch angewendet und getestet

3

Das Wort prägte Marquard 1973 in seinem gleichnamigen Festvortrag anlässlich des 60. Geburtstages des Philosophen Hermann Krings.

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 211

zu werden, d.h. inwiefern es für die Jugendlichen wiederum in Handlungsvollzügen bedeutsam wird. Für konstruktivistische Lernumgebungen eignet sich besonders der Projektunterricht (ebd.), in dem die Lernenden auch einmal das Klassenzimmer verlassen dürfen. Genau dies verfolgt auch das vorliegende Unterrichtsarrangement; neben den normalen Unterrichtsstunden erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse vor Ort, außerhalb des Klassenzimmers, umzusetzen und eigene Denkmuster über das Beobachten anderer Reaktionen zu reflektieren. Konzeptioneller Dreischritt | Rekonstruktion – Dekonstruktion – Konstruktion Um einen kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen bei Jugendlichen zu entfalten, erweist sich das Prinzip des Perspektivenwechsels (vgl. Kap. 2.4.2) als zentral, denn darüber werden sowohl eigene Denk- und Handlungsweisen reflektiert als auch hinsichtlich der oft unhinterfragten Beobachtungsmuster reflexiv zugänglich gemacht. Es geht darum, eigene Beobachtungen anzustellen, und diese wiederum als Form einer Beobachtung eigener Beobachtung (Schneider 2013: 14) zu hinterfragen; die Jugendlichen schauen sich selbst über die Schulter. Diese Überlegungen müssen so erfasst und operationalisiert werden, dass sie in einem (Geographie-)Unterricht praktikabel umgesetzt werden können. Dies kann durch eine Dreischritt-Struktur gelingen, nach der in Anlehnung an Kersten Reich (2005b: 118ff., 2010) zwischen den Phasen der Rekonstruktion, Dekonstruktion und Konstruktion unterschieden wird. Diese »Aussichtspunkte« (ebd.: 118; vgl. Exkurs III) sind aus der Erkenntnistheorie abgeleitet; sie beschreiben mögliche Beobachterperspektiven. Mit dem Dreischritt wird im Grunde alle Besorgnis einer Verwirrung oder Verunsicherung durch die Kontingenz im Zuge der Neuen Kulturgeographie entkräftet, denn hierbei geht es sowohl um eine Betonung des Eigenen, der individuellen Sicht, als auch des Anderen und den Vergleich unterschiedlicher Sichtweisen. Das heißt konkret, dass in einer solchen Dreischritt-Struktur ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen gebündelt wird. Die drei unterschiedlichen Beobachterperspektiven sind in der Tat als anspruchsvolle Leistungen besonders für die Lernenden zu verstehen, wobei sich gerade die dreigeteilte Struktur für einen koordinierten Perspektivenwechsel als geeignet herausstellt. Die Beobachter sollen »reflektiert, aber auch emotional als Konstrukteure ihrer Wirklichkeiten möglichst selbsttätig und selbstbestimmt zu handeln« (Reich 1998b: 422) in der Lage sein. Dieses Prinzip stellt damit den Kern der einzelnen Unterrichtsstunden dar. Dabei ist dies genügend offen gehalten – ohne, dass pauschale Fragen stets gestellt oder Methoden immer gleich angewendet werden müssen –, um auch »einem spielerischen

212 | U RBANES R ÄUMEN

Umgang mit Räumen« (Daum 2001: 222) gerecht zu werden. Die folgenden Ausführungen ergänzen sich mit denen in Abbildung 9. Die einzelnen Phasen können nicht als abgegrenzte Einheiten gesehen werden; vielmehr existieren teilweise fließende Verbindungen zwischen der Rekonstruktion, Dekonstruktion und Konstruktion, die als Übergangsphasen bezeichnet werden. Zudem findet auch hier der Lernzyklus nach Kolb seine Übersetzung. Exkurs III | Beobachtungen erster, zweiter bis n-ter Ordnung (in Anlehnung an Reich 1998b: 33f.) Erste Ordnung der Beobachtung... als Selbstbeobachter sind wir Menschen in der Lage, unser Handeln, unsere Gefühle usw. selbst zu beobachten, doch ist diese Form der Selbst-Beobachtung immer schon interpretiert, da die Art und Weise, wie wir beobachten, abhängig von sogenannten »Verständigungsgemeinschaften« (ebd.: 33) und damit in gewisser Weise kulturell vorbestimmt ist. Zweite Ordnung der Beobachtung... soll die Beobachtungen erster Ordnung regeln und disziplinieren. Diese meint die Beobachtung des (eigenen oder anderen) Beobachtens, die aber auch keine eindeutigen Feststellungen hervorbringen kann, da sich innerhalb einer Verständigungsgemeinschaft wiederum ganz unterschiedliche Beobachtungen (Interessen) ergeben können. Dritte bis n-te Ordnung der Beobachtung... auch diese ergibt kein widerspruchsfreies Bild; kommt zu keinem endgültig wahren Ergebnis, doch kann wie folgt formuliert werden: Wie beobachte ich meine eigene Beobachtung? Oder: Wie beobachten/verstehen bspw. Wissenschaftlicher die Beobachtungen/Erkenntnisse ihrer Probanden? »In solcher Beobachtungsordnung ist die Beziehungswirklichkeit situiert. Es ist eine bezogene Wirklichkeit, die in zirkulärer Verwobenheit, singulärer Aktion, individueller Deutung und zugleich unter Ansprüchen von Verständigung als Verallgemeinerung bestimmter Gruppen(interessen) von Menschen steht.« (Ebd.: 34)

Im Folgenden werden die einzelnen Phasen des Dreischritts erläutert und im Hinblick auf die Unterrichtsreihe erweitert (vgl. dazu Abb. 9). A) Konstruktivistischer, subjekt- und handlungszentrierter Geographieunterricht lässt den Jugendlichen genügend Freiraum für das Formulieren eigener Erfahrungen und Fragen (= Rekonstruktion), die sie in den Unterricht einbringen. Ziel ist es, sie ihre eigenen bedingten Wirklichkeitskonstruktionen erkennen zu

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 213

lassen. Die Betonung liegt darauf, dass die sinnliche Wahrnehmung – so wie sie in der Unterrichtsreihe bei den Jugendlichen angeregt werden soll – ästhetische Arbeit ist und der Übung bedarf, nicht der Verschulung (Aissen-Crewett 2000: 88) und deswegen auch Zeit hierfür eingeräumt werden sollte. Mit der sinnlichen Wahrnehmung sind solche Prozesse der Einfühlung in Orte und Situationen gemeint, die erste, noch unhinterfragte Urteile seitens der Jugendlichen erlauben. Über die Begründung ihrer Vorstellungen kann ein kritischer Blick auf das eigene Denken angeleitet werden. Zum Beispiel werden die Jugendlichen gefragt, warum sie Graffiti hässlich, kreativ o.a. empfinden. Die Phase der Rekonstruktion stellt eine Voraussetzung dafür dar, dass die Lernenden eigene und andere Sichtweisen vergleichen und hinterfragen können. Sie verorten sich damit zunächst selbst, indem sie ihren »persönlichen Raum[s]« (Willems/Eichholz 2008: 876) erkennen und bestimmen. B) Die Phase der Rekonstruktion wird in der Art und Weise erweiternd ausgeführt, dass auch Meinungen und Urteile anderer betrachtet werden, da sich Individuen oftmals ihrer eigenen Denk- und Handlungsweisen nicht bewusst sind. Man denke an Touristen, die oft nicht intendieren, als solche aufzutreten (vgl. Wöhler/Pott/Denzer 2010a: 14), doch von Nicht-Touristen durch ihre Handlungen leicht als solche enttarnt werden können. Ziel soll es sein zu erkennen, dass nicht die individuelle Sicht der Jugendlichen die einzig wahre darstellt. Besonders wichtig erscheint dabei auch eine erste Reflexion auf den Mediengebrauch der Jugendlichen. Welche Rolle spielen Bilder oder Sprache in der Herstellung von Raum-Bildern? Warum haben Jugendliche bspw. ein Bild von einer Stadt im Kopf, auch wenn sie noch nie dort gewesen sind? Daraus ergibt sich dann eine problemorientierte Fragestellung, die die Lernenden im Unterricht selbst formulieren. Mit Kolb beschreiben diese beiden ersten Phasen den Prozess des Beobachtens und Reflektierens. C) In der grundlegenden Phase der Dekonstruktion werden unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dasselbe räumliche Phänomen berücksichtigt. Die Lernenden begeben sich in eine Perspektive, von der sie aus »den ›blinden Fleck‹ im Auge des Autors aufspüren« (Reich 1998a: 130) können, d.h. Situationen und Hintergründe mitzudenken, die in einer Raumkonstruktion nicht auf den ersten Blick offensichtlich werden. Wichtig ist dabei das Bereitstellen zusätzlicher Informationen, die die Jugendlichen nutzen können, um die durch eine Vielperspektivität entstehenden kontingenten Wirklichkeiten nicht als Freibrief zur Beliebigkeit anzusehen, und sich auf den eigenen Sichtweisen auszuruhen (vgl. Kolb: Bildung abstrakter Begriffe). Im Gegensatz zu gänzlich offenen

214 | U RBANES R ÄUMEN

Unterrichtssituationen werden die Instruktionen hier bewusst und »wesentlich gezielter platziert« (Rempfler 2007: 29). Die Lernenden denken sich in verschiedene Situationen hinein, um andere Beobachtungsweisen verstehend zu hinterfragen. Der Perspektivenwechsel dient hier nicht allein dem Imaginieren zusätzlicher Rollen, sondern schließt i.S. einer Reflexivität das Hinterfragen eigener und anderer Beobachtungsmuster ein: Warum sehe ich den scheinbar gleichen Ort anders als die anderen? Hier bieten sich Vergleiche als methodische Anleitung an. In der Phase der Dekonstruktion sollen die Jugendlichen – angeleitet und unterstützt durch ihre Vorüberlegungen im Zuge der Rekonstruktion eigener Denkmuster – unterschiedlich zugewiesene Bedeutungen von Räumen bewusst aushandeln, wobei sich narrative Zugänge als unterstützend erweisen, um die Vielperspektivität als unterschiedliche Geschichten, variable Erzählungen ein und desselben Raumes zu erkennen (vgl. Schneider 2013: 24f.). Für diese Phase muss ein Schwerpunkt auf Kommunikation fördernde Medien und Methoden gesetzt werden. Erzählen ist eine Form der Erklärung und damit Erkenntnispraxis (Rüsen 1994: 29, in Anlehnung an Danto 1974). Rüsen (1994: 38ff.) unterscheidet indes unterschiedliche Arten von Erzähl(ung)en: traditionales, exemplarisches, kritisches und genetisches Erzählen, wobei diese Formen nur selten trennschaft auftreten. Diese sind dem spezifisch historischen Kontext entnommen, weswegen eine Übersetzung für geographiedidaktische Kontexte nötig scheint. Die jeweiligen Erzählweisen könnten Lernenden als Strukturierungshilfe eigener Erzählungen dienen. Beispielsweise bieten sich kritische Erzählungen in der Phase der Dekonstruktion an, um bislang unangefochtene Raumvorstellungen zu enttarnen und alternative Vorstellungen zu erwirken (vgl. Rüsen 1994: 39). Narrative Kompetenz meint hier die Fähigkeit der (räumlichen) Orientierung durch geographisches Erzählen (ebd.). D) Um den Lernenden ihre Lern- als Konstruktionsprozesse deutlich zu machen bzw. im Geographieunterricht Erfahrenes für ihren eigenen Lebenskontext zu aktivieren, folgt auf die Phase der Dekonstruktion eine Transferphase i.S. eines debriefing (van der Schee 2013), die bereits als Konstruktionsarbeit und damit Vorarbeit für die anstehende Phase verstanden werden kann (vgl. Kolb: konkrete Erfahrung). Über einen Merksatz, der die wesentliche Botschaft der Unterrichtsstunde bündelt, sollen die Jugendlichen die abstrakt formulierte Aussage auf ihren eigenen Alltag bzw. Heimatraum übertragen. Wo finden bspw. Prozesse der Auf- und Abwertung in ihrer Heimatstadt statt? Haben sie das eventuell schon einmal selbst erlebt? Um dem das Eigene gleichberechtigt nebenan zu setzen, die Jugendlichen den Wert der eigenen Region über das Andere erkennen zu lassen,

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 215

müssen solche Prozesse der Abstraktion und Konkretisierung verstärkt zirkulär stattfinden. Es muss aber vor allem auch darum gehen, »Verbindungen zwischen ihrem Vorwissen und dem neuen Wissen herzustellen« (van der Schee 2013: 109). In dieser Übergangsphase geht es zudem um eine metatheoretische Einordnung, über die die Lernenden auch methodische Entscheidungen einsehen und hinterfragen lernen. Methodische Reflexionen dienen nicht allein dem Selbstzweck oder als Feedback für den Lehrer, sondern lassen die Jugendlichen selbst Schwierigkeiten (Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung/Methoden) sowie nochmals grundlegende epistemologische Voraussetzungen eines konstruktivistischen Raum- und Weltverständnisses erkennen. E) Das scheinbar Paradoxe, der Moment einer Verunsicherung, ausgelöst durch das Dekonstruieren, in der Kontingenz geradezu bewusst hergestellt wurde, wird in der Phase der Konstruktion (vgl. Kolb: aktives Experimentieren) konstruktiv und damit positiv aufgelöst. Die Jugendlichen erhalten die Aufgabe, etwas Neues zu erstellen, ausgehend und mit dem neu angeeigneten Wissen. Sie sollen eigene, andere Bedeutungen herstellen; entweder durch bewusste Vorgaben oder aber aus ihrer eigenen Wahrnehmung heraus. Damit erweist sich die Phase der Konstruktion als entscheidend, da sich die Lernenden nicht einfach mit der Vielperspektivität zufrieden geben sollen (Rhode-Jüchtern 2002: 16), sondern um die eigene Wirksamkeit durch ihr Handeln zu erfahren, denn »der Konstruktivismus hat keine bloß passive Auffassung des Beobachtens, die nur konstatiert, was vorhanden ist, sondern zugleich eine aktive Auffassung darüber, warum und wie Menschen ihre Wirklichkeiten konstruieren« (Reich 2002: 102). Zum Beispiel erstellen die Lernenden jeweils unterschiedliche Berichte aus ihrer Heimatstadt in Form eines Blog-Eintrags; diese werden dann wiederum hinsichtlich der je spezifischen Konstruktionsprozesse und eingeflossenen Wahrnehmungen verglichen. Für diese (Haus-)Aufgaben steht den Lernenden jeweils ein p.art.folio – das bedeutet ein künstlerisches Portfolio – zur Verfügung. In dieser Mappe sammeln sie eigene Entwürfe und Notizen. Hier wird nochmal deutlich, dass das kritische Hinterfragen insgesamt einen grundlegenden Bestandteil der Unterrichtsreihe ausmacht und Reflexion nicht nur während der Phase der Dekonstruktion, bzw. in einem Perspektivenwechsel stattfindet, sondern permanent Teil des Unterrichts und umfassend angeleitet sein sollte.

216 | U RBANES R ÄUMEN

Abbildung 9: Dreischritt-Struktur als zentrales Prinzip der Unterrichtsstunden

An die vier Doppelstunden schließt sich eine erneute umfangreichere Konstruktionsphase an, in der die Jugendlichen ihre gemachten Erfahrungen aus dem Unterricht im Klassenzimmer in einer Intervention in der Umgebung ihrer Schule experimentell im Großen umsetzen können. Die Methode des aus der Kunst stammenden Mappings eignet sich dabei besonders, da die Lernenden hierbei ein anderes Publikum erwarten und mit unvorhergesehenen Reaktionen rechnen können – was wiederum als Reflexionsarbeit gelesen werden kann. Im Mapping geht es um eine Raumaneignung vor Ort; um das Inbesitznehmen und Neu- bzw. Umcodieren vorhandener Bedeutungen. Aus der vierten und letzten Doppelstunde haben die Jugendlichen dann bereits Anregungen erhalten, die auch in ihre Planungen einfließen können. Ziel ist es, in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 217

in den Raum einzugreifen, um eigene und andere, aber vor allem gewohnte Sichtweisen aufzudecken und Passanten daran teilhaben zu lassen. Auch hierbei müssen sich die Lernenden wiederum eigener Sichtweisen bewusst werden (= Rekonstruktion), weitere mögliche Deutungen des Raumes bedenken (= Dekonstruktion), um mit ihrem Eingriff (= Konstruktion) bewusst Blicke zu lenken. Dass die von ihnen erwarteten und geplanten Reaktionen seitens der Beobachter nicht zwangsläufig so eintreten müssen, sollte den Lernenden bewusst sein; die Kontingenz des Handelns war bewusst Teil der Unterrichtsreihe. Ferner liegt es im Wesen künstlerischer Arbeit, dass Reaktionen nicht immer vorhersehbar, da Wahrnehmungen jeweils unterschiedlich beeinflusst sind; eine Person, die vielleicht gerade aus einer Arztpraxis kommt, sich ganz andere Gedanken macht als ein Kind, das von seiner Mutter an der Hand geführt wird oder der Jugendliche, der auf sein Smartphone schaut. »Ästhetische Prozesse brauchen Zeit. Aber manche Werke ›sagen‹ einem auch nach längerer Betrachtung nichts. Eine ästhetische Wirkung lässt sich nicht erzwingen und sie kann zudem für die Bildungsziele nutzlos sein. Kunst lässt sich nicht funktionalisieren, auch nicht für politisch-ästhetische Bildungsprozesse, da sie selbst keine Botschaften aussendet. Sie hat aber prinzipiell das Potenzial, politische Bildungsprozesse zu fördern.« (Richter 2011)

Der Vorteil dieses methodischen Vorgehens liegt darin, dass die Lernenden mögliche Unsicherheiten dergestalt kompensieren können, da sie selbst entscheiden, welche Beobachtungen ihnen wichtig sind. Anhand der Reaktionen erhalten sie gewissermaßen ein Feedback, das sie in ihre eigenen Denkprozesse einbauen und damit eigene Vorstellungen wiederum dekonstruieren können. Jugendlichen entsprechend Gestaltungsfreiheit einzuräumen, sie als Experten zu sehen, erweist sich als hilfreich (vgl. Bauer 2010), was besonders auch andere Projekte gezeigt haben: Zum Beispiel sind Touristen bei der Stadtrundführung erstaunt, was die Schüler alles wissen (vgl. Hermann 2012). Das bedeutet aber noch lange nicht, dass auch die Jugendlichen das selbst wissen oder genauso sehen; das Gefühl haben, etwas Gutes zu tun. Auch deswegen bedarf es einer Öffentlichkeit, die den Lernenden die Möglichkeit gibt, die eigene Wirksamkeit zu erfahren. Auf die in Kapitel 2.2.2 hingewiesenen Orientierungshilfen, auf die Jugendliche prinzipiell in der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben zurückgreifen – der Bereich der Freizeit oder der Schule i.w.S. – wird auch hier Rücksicht genommen. Das bedeutet, dass sie über die Verknüpfung des Unterrichts im Klassenzimmer mit einem praktischen Teil im öffentlichen Raum beide Bereiche

218 | U RBANES R ÄUMEN

hinsichtlich ihrer Relevanz für die eigenen Lebens- und Erfahrungswelten ausloten können. Damit wird gleichzeitig dem Einwand entgegengetreten, nach dem der Freizeitsektor von Jugendlichen eher als Zufluchtsort konzipiert wird, da »der Konsum- und Freizeitsektor, anders als der Berufssektor, eher unverbindliche Situationen [schafft], die eine Verantwortungsübernahme für das eigene Tun nicht unbedingt nötig machen und den Jugendlichen die Möglichkeit bieten, bei Konflikten die Situation zu verlassen (vgl. Albert/Hurrelmann u.a., 2006, S. 35ff)« (Wehmeyer 2013: 30). Im Mapping wird damit auch ein Stück weit die Konfliktfähigkeit der Jugendlichen getestet. Im Sinne einer place-based education kann die Mapping-Methode als kleine Exkursion unter gesteigerter Aktivierung seitens der Jugendlichen betrachtet werden. Genauso wichtig dabei scheint auch der Umstand der prinzipiellen Offenheit im Ausgang der Arbeit, der nicht mit Unwissen oder Nichtstun gleichgesetzt werden sollte. Besonders auch für die Lehrenden kann diese als Vorteil gedeutet werden, da gemeinsam die Vieldeutigkeit des (öffentlichen) Raumes, bedingt u.a. durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Wege seiner Aneignung, über das Integrieren selbst gemachter Erfahrungen thematisiert werden kann. Ohne dabei auf den einzelnen Jugendlichen zugeschnitten zu sein, finden sie in der Aushandlung ihre jeweils für sie bedeutungsvollen Themen und Fragestellungen. Und gerade das zeichnet einen subjekt- und handlungszentrierten Unterricht aus, der die Vorstellungen der Jugendlichen zum Ausgangspunkt macht, ohne bereits voraussehend wissen zu wollen, was sie denken. Zusammenfassend sollen die bisherigen Überlegungen in einer Darstellung der Unterrichtsreihe veranschaulicht werden (Abb. 10). Dabei sind die wesentlichen Bausteine, die in diesem Kapitel hergeleitet wurden, integriert. Die Formatierung in Form der unterschiedlichen Akzentuierung erfolgt mit dem Ziel, nicht die einzelnen Unterrichtsstunden separat zu betrachten, sondern die Phasen des Dreischritts (Re-, De- und Konstruktion) zu betonen. Dieses Modell ist kein allgemeingültiges, normativ-vorschreibendes, mit dessen Hilfe einzig und allein kritisch-reflexiver Geographieunterricht durchgeführt werden kann. Darauf ist die vorliegende Untersuchung keineswegs ausgerichtet. Die hier vorgeschlagenen Unterrichtsmethoden werden als Hilfsmittel zur Strukturierung und Inszenierung von Unterricht gesehen, die sich die Lernenden selbstbestimmt aneignen sollen, um Probleme zu lösen. Gewiss wird bei der Planung der Unterrichtsstunden ihre Funktion hinsichtlich der Erkenntnisgewinnung und eines kritischreflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen abwägend berücksichtigt.

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 219

Abbildung 10: Das Unterrichtstreatment der Studie im Überblick

220 | U RBANES R ÄUMEN

Mapping im Geographieunterricht Mithilfe des methodischen Vorgehens im Mapping soll sich nun einer Möglichkeit zugewandt werden, die die Überlegungen zur Raumaneignung der Jugendlichen bündelt und einen kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen im Geographieunterricht fördern kann. Beim Mapping wird – und dies wiederum aufbauend auf einer Dreischritt-Struktur – von den subjektiven Vorstellungen und Erwartungen der Jugendlichen ausgegangen (Rekonstruktion). Sie sollen ihre Umgebung bewusst wahrnehmen und sich in ihrer Rolle in den Ort einfinden. Als Herausforderung erweist sich dabei, dass wir anzunehmenderweise 90% unserer täglichen Umwelt eher unbewusst und oberflächlich wahrnehmen, da uns diese Form der Raumaneignung wenig kognitiv fordert; damit eigentlich einen Schutzmechanismus darstellt gegen die teilweise starke Reizüberflutung in den öffentlichen Räumen. Wir bedienen uns gewisser bekannter Handlungsmuster bzw. Schemata (Lenk 2007), die wir unhinterfragt anwenden. Durch eine ganz bewusste Fokussierung auf die Umgebung aber erfahren die Lernenden den Raum atmosphärisch und mit einem naiven, d.h. erkundenden, feststellenden Blick (vgl. Hofmann/Mehren/Uphues 2012b: 29). In dieser (Spuren-)Suche, deren Resultate sie noch nicht im Vorfeld absehen können, werden sie auch auf Dinge stoßen, die sie nicht erwartet haben (Sabisch 2007: 18), wobei es weniger darum geht, etwas Neues zu finden, sondern vielmehr das Gewöhnliche, das Alltägliche mit anderen Augen zu sehen. Die Offenheit in ihrer Erkundung lässt sie Gegenstände in ihrer subjektiven Bedeutsamkeit4 erkennen, ohne dass ihnen (Be-)Deutungen bereits extern auferlegt werden. Dabei können den Jugendlichen Hilfestellungen an die Hand gegeben werden, um Blicke zu lenken und weitere Ideen anzuregen, wobei stets ihre Selbstbestimmung in der Ausrichtung des Mappings gewahrt wird. Mögliche Vorgehensweisen vor Ort fasst Busse (2008: 18f.) als »Lernwege« zusammen (vgl. Exkurs IV).

4

Im Folgenden wird noch einmal Bezug genommen auf die aus der Schulreisepraxis abgeleiteten zentralen Kriterien für die Arbeit – hier im Besonderen – vor Ort (vgl. Dickel 2006b: 64).

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 221

Exkurs IV | Lernwege (Busse 2008: 18f.) •





• • •

aufsichten (vermessen, erkunden, forschen): Karten lesen und benutzen, eigene Karten zeichnen: persönliche Geografien, Wege gehen und in Karten einzeichnen, Karten vergleichen, fiktive Karten entwerfen, besondere Orte entdecken und in Karten einzeichnen: Lieblingsorte, Treffpunkte, Schrebergärten, persönliche Karten zeichnen, fremde Orte erkunden, biografische Karten, Reisen planen, in die Tiefe und in die Höhe gehen, Karten mit gewohnten und ungewohnten Perspektiven zeichnen, Karten desorientieren: falsche Karten zeichnen, Karten von ungewöhnlichen Daten entwickeln: Handyempfangsstärken, Szene, Treffpunkte, das beste Schnitzel, der schönste Spielplatz, Erlebnisse lokalisieren, Räume fiktiver Literatur rekonstruieren, digitale Karten benutzen, interdisziplinäre Aufsichten erkunden: Pflanzenarchäologie, Wasserproben, Nutzung von Räumen durch Tiere, historische Entwicklungen und Veränderungen von Räumen untersuchen, persönliche Stadtpläne, Objekte und Handlungen an Orten und Wegen markieren, Orte aus historischen Bildern suchen... ansichten (Bilder über Räume und Raumuntersuchungen machen, das Aufsichten in Bilder bringen, Aufsichten ansichten): zeichnen, malen, fotografieren, filmen, Modelle bauen, Forschung dokumentieren, schreiben ausschneiden (Bilder von Räumen sammeln): Bilder von erforschten Räumen ausschneiden, ordnen und sammeln, cut and paste, wissenschaftliche Archive, künstlerische Archive: scrapbooks, altered books, Reenactment, Rekonstruktionen, Inszenierungen, reality hacking bewegen (an einen Ort gehen): bekannte und unbekannte Orte erschließen, Wege und Spaziergänge planen und durchführen einrichten (einen Raum planen und einrichten) verändern (einen Ort verändern)

In einer zweiten Phase (Dekonstruktion) werden die Vorstellungen der Jugendlichen durch das Erzeugen von Spannnungen aufgebrochen, indem sie auf neue Strukturen stoßen (Busse 2007a: 23). Durch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Raum – auch hier können zusätzliche Materialien hilfreich sein – fundieren die Lernenden ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Sie reflektieren ihren eigenen Standpunkt im Vergleich mit anderen. In einer abschließenden Phase (Konstruktion) geht es darum, neu konstruiertes Wissen so im Raum umzusetzen, dass dessen Bedeutungen verändert werden.

222 | U RBANES R ÄUMEN

Mithilfe einer Forschungsfrage, die sich die Jugendlichen selbst stellen (vgl. problemorientiertes Lernen), sollen sie konventionelle Denkmuster aufbrechen und den Raum entsprechend gestalten. Dabei geht es nicht darum, ihn etwa neu zu dekorieren oder einfach Dinge hinein zu setzen, sondern ihn anders einzuräumen – ihm Möglichkeiten zuweisen, wie er auch andere Bedeutungen annehmen kann (Biehler 2004: 306). Hier greift das didaktische Prinzip der Verfremdung; »Fremd machen, Fremd werden, gerade im lebensweltlichen Paradigma als didaktisches Prinzip, erhält das kritisch-innovative Postulat didaktischen Denkens und Handelns als ein Spiel, als Wechselverhältnis zwischen Nähe und Ferne, Gegenwart und Zukunft, Bekanntem und Unbekanntem – die Öffnung zu einem je ›Anderen‹.« (Zacharias 2001: 385)

Im Mapping haben die Jugendlichen die Möglichkeit der Selbstaktualisierung: sie können ihre eigene Geschichte des jeweiligen Raumes erzählen (Busse 2009: 38). Diese dritte Phase bedarf stets einer Öffentlichkeit, das heißt, die Erfahrungen mit dem Raum sollen mit den Passanten fortgesetzt werden (Busse 2007b: 264), um Blicke wiederum zu desorientieren (Multiperspektivität und Mehrdimensionalität). Damit soll auch bei den Zuschauern ein Prozess des kritischen Hinterfragens eigener Annahmen angeleitet werden. Der Betrachter soll mit dem entstandenen Mapping eine »Entdeckungsreise« machen können (Preuss 2008b: 48); er soll die Kritik, die Sichtweisen, die darin zum Ausdruck kommen, selbst entdecken, nachvollziehen und sein Bild des Raumes daran abgleichen. Als entscheidend dabei stellt sich heraus, dass die Jugendlichen keine Angst vor Unerwartetem oder Fremdem haben oder sich bloßstellen müssen. Über die Betrachtung der Anderen werden sie auf ihre eigenen Handlungen aufmerksam; es findet ein gemeinsamer Abgleich der Sichtweisen statt (Dickel 2006b: 152). Ihre Rollen konstituieren sich in einem aktiven Prozess; die Jugendlichen handeln diese gemeinschaftlich aus, ohne dass sie als die Schüler und die anderen als die Passanten gelten. Die Lernenden werden echten Lernsituationen ausgesetzt, die zwar auch humoristische und amüsante Elemente tragen, aber keineswegs nur der Vergnügung dienen. An dieser Stelle nimmt die Kommunikation eine Schlüsselfunktion ein, um sich ihrer eigenen Position zu versichern und Bedeutungen zu kommunizieren. Im Mapping selbst stellen die Lernenden – in Anlehnung an die Situationistische Internationale – genauso kurzfristige Situationen her, die sie durch die gründliche Erforschung des Raumes herbeiführen.

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 223

Ganz entscheidend ist dabei weniger die künstlerische Arbeit an sich – keine l’art pour l’art – sondern der Austausch und die Kommunikation, die über das Mapping entstehen, da unsere Aufmerksamkeit heutzutage wesentlich über visuelle Reize in Anspruch genommen bzw. unhinterfragt aufgenommen oder ignoriert wird. »Die stupende Wahrnehmung vornehmlich des Auges, die zugleich überraschend, eindrücklich, unterhaltsam und anspruchslos, zumeist auch fraglos ist und sozusagen direkt unter die Haut geht, wird zum bevorzugten Paradigma von Erlebnissen, Erlebnisfähigkeit und der Produktion von erlebnisfähigen Kommunikationsangeboten.« (Meyer 1995: 54)

In diesem Sinne kann die Erwartung an solch künstlerisch-ästhetische Formen der Raumaneignung gestellt werden, dass sie einer Indifferenz und Resignation gegenüber der Kontingenz und Vieldeutigkeit sozialer Wirklichkeit entgegenwirkt, indem bekannte Kontexte umgedeutet werden (vgl. Hoppmann 2000: 126). »Unkünstlerische Entkonventionalisierungen von Räumen reichen inzwischen von Strandsimulationen auf Kaufhausdächern bis zu großstädtischen Skirennen, die die Attraktivität der Städte erhöhen und niemanden aufregen. Lösen aber künstlerische Handlungen Desorientierungen aus und legen sich offene Systeme bloß, dann regen sich Widerstände als Zeichen für die fehlende Möglichkeit zur Navigation.« (Busse 2007a: 31)

Zudem ist für Lernende die Erfahrung von Veränderbarkeit eine ganz grundlegende, »die die Erkenntnis ermöglicht, dass [ihre eigene, Anm.d.A.] Lebenswelt beeinflussbar und gestaltbar ist« (Braun 2007: 72). Nicht ohne Grund spricht John Dewey (1988: 47) davon, eine Erfahrung mit Räumen zu machen. Einmalige Erlebnisse, wie der Genuss eines vorzüglichen Essens, machen eine solche Erfahrung nicht aus, solange wie sich der Genießende nicht auch der einzelnen Zutaten, dem Prozess der Zubereitung und letztlich dem Verzehr bewusst ist (ebd.: 61). Erst dann kann dieses Erlebnis als langanhaltend in Erinnerung bleiben. Gleiches gilt für Mapping-Prozesse. 3.2.2 Übersicht der Unterrichtseinheit Den ausgewählten Lehrkräften wurden alle für die Unterrichtsstunden nötigen Materialien im Vorfeld zur Verfügung gestellt und diese mit ihnen gemeinsam in einem ausführlichen Gespräch erläutert. Somit wurde gewährleistet, dass die Struktur der einzelnen Stunden durchdrungen, gleichzeitig aber auch der

224 | U RBANES R ÄUMEN

Lehrkraft individuelle Gestaltungsmöglichkeit zugesprochen wurde. Die Durchführung erfolgte insgesamt über einen Zeitraum von maximal zwei Monaten, da u.a. Schulferien den Erhebungszeitraum verlängerten. Im Folgenden werden die vier Doppelstunden vorgestellt. Auf eine ausführliche Sachanalyse wird in diesem Fall verzichtet. Der Konzipierung der Unterrichtsstunden gingen umfangreiche fachwissenschaftliche Einarbeitungen voraus. Die detaillierten Ausführungen zu den einzelnen Unterrichtsstunden folgen dabei einem ähnlichen Aufbau: Nach einer kurzen Einordnung der Unterrichtsstunde und der zentralen Zielbestimmung werden einzelne inhaltliche, didaktisch-methodische Schwerpunkte vorgestellt und begründet. Im Abgleich mit dem am Ende aufgeführten Artikulationsschema, in dem alle wichtigen Entscheidungen tabellarisch zusammengefasst werden, wird auf die DreischrittStruktur sowie den zentralen Bestandteil des Perspektivenwechsels eingegangen. Am Ende erfolgt eine Einordnung der Thematik im Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz für die Jugendlichen. Erste Unterrichtsstunde | 4 Perspektiven – 1 Raum Die erste Unterrichtsstunde dient der Hin- und Einführung in die zentrale Problematik der Unterrichtsreihe. Anhand des räumlichen Beispiels der Großwohnsiedlung Berlin Marzahn erarbeiten sich die Jugendlichen die vier Raumkonzepte und erkennen die Bedeutsamkeit des Zusammenspiels derer bei der Entwicklung eines städtischen Teilraums (Grobziel). Über einen problematisierenden Einstieg mithilfe eines überblickhaften Bildausschnittes über die Großwohnsiedlung wird zum Ausgangspunkt, dem negativen Wanderungssaldo in Marzahn und der Abwanderung vor allem jüngerer Bevölkerungsschichten, hingeführt. Die Lernenden sollen erste Vermutungen zu den Ursachen für diese Entwicklung anstellen. Damit aktivieren sie in dieser Phase der Rekonstruktion eigene Denkmuster und argumentieren zunächst aus ihrer subjektiven, noch unhinterfragten Perspektive. In den sich anschließenden Erarbeitungsphasen I und II ergründen sie die Ursachen sowie Folgen der Entwicklungen in Marzahn. Hierfür stehen ihnen unterschiedliche Materialien zur Verfügung, die so gewählt sind, dass sie jeweils eine der vier Raumperspektiven darstellen. Zum Beispiel sollen die Jugendlichen die Bevölkerungsentwicklung und Alterung in Berliner Stadtteilen zwischen 1999 und 2009 anhand eines Diagramms nachvollziehen und Berlin Marzahn(-Hellersdorf) dazu in Beziehung setzen. Auch werden die Sicht von Betroffenen in einer persönlichen Stellungnahme einer Bewohnerin sowie das Image des Stadtteils über deren mediale Repräsentation durch Cindy aus Marzahn berücksichtigt. Diese Phase der Dekonstruktion dient der Dezentrierung der Blicke in dem Sinne, dass die

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 225

Lernenden – systematisch, anhand der vier Raumkonzepte – den Blick auf ein und denselben Raum über unterschiedliche Sichtweisen erweitern und damit die Hintergründe des vom Ausgangspunkt der Unterrichtsstunde negativen Bildes eines Stadtteils, der durch Abwanderung geprägt ist, erkennen. Die Reflexion am Ende der Erarbeitungsphase dient dazu, dass die Lernenden genau diesen eigenen Lern- bzw. Erkenntnisfortschritt nachvollziehen können. Über die Erarbeitung der Folgen der Abwanderung aus Berlin Marzahn sollen die Jugendlichen dazu angeleitet werden, ihre eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Sie stellen zunächst Vermutungen an und vergleichen diese im Anschluss mit den vorgenommenen Maßnahmen. Dabei lernen die Jugendlichen nicht nur einen kritischen Blick auf Räume einzunehmen, indem sie in Differenzen denken und Differenzen mit-denken, sondern auch Medien (Bilder, Diagramme) kritisch hinsichtlich ihres Vermögens, eindeutige Botschaften zu vermitteln, hinterfragen. Stets werden dabei auch ihre eigenen Ideen und Vorstellungen berücksichtigt, z.B. wenn sie Vermutungen anstellen und diese dann mit anderen vergleichen. Mögliche Wissenslücken oder fehlende Kreativität, sich bspw. in Situationen hineinzuversetzen, sollen die Lernenden nicht bloßstellen. Mithilfe methodischer Anleitungen werden sie selbst darauf aufmerksam und können diese (gemeinsam) vervollständigen. Der Perspektivenwechsel ist fast ständiger Bestandteil des Unterrichts. Die Lernenden versetzen sich zum einen in andere Personen oder Situationen (Was würde ich in dieser Situation tun? Warum wohnt diese Person noch dort?), was z.B. durch das Lesen von individuellen Erfahrungsberichten angeleitet wird. Zum anderen sollen die Jugendlichen auch Möglichkeiten mitdenken, die aus Quellen nicht sofort ersichtlich werden. Über das Anstellen eigener Vermutungen zu möglichen Gegenmaßnahmen der Abwanderung sowie den Vergleich mit den tatsächlich realisierten Vorhaben (in der Erarbeitungsphase II) können die Lernenden eigene Denkstrukturen aufdecken und wiederum kritisch hinterfragen, z.B. welche Personengruppen sie dabei nicht bedacht haben usw. Der Merksatz dient der Zusammenfassung der erarbeiteten Erkenntnisse. Um aber die damit notwendigerweise einhergehende Vereinfachung komplexer Prozesse nicht zu ignorieren, sollen die Lernenden durch einen zirkulären Prozess der Abstraktion und Konkretisierung eigene Beispiele, z.B. aus ihrer Heimatstadt, finden, um diese daran zu erläutern. Auch hier werden narrative Kompetenzen der Jugendlichen geschult, da sie lernen müssen, eigene Ideen so zu formulieren, dass sie auch anderen verständlich sind. Gleichzeitig ist in dieser ersten Phase der Konstruktion garantiert, dass individuelle, subjektive Konstruktionen der Lernenden berücksichtigt werden, ohne, dass sich ein subjekt- und handlungszentrierter Unterricht in einer Unübersichtlichkeit einzelner Meinungen

226 | U RBANES R ÄUMEN

verlaufen muss. Die Konstruiertheit von Räumen – in diesem Falle eines Berliner Stadtteils, der auf den ersten Blick nur negative Merkmale aufweist – wird damit von den Jugendlichen so durchdrungen, dass sie darüber die grundlegenden, epistemologischen Gedanken eines konstruktivistischen Raum- und Weltverständnisses subjektiv bedeutsam erfahren. Sie erkennen, dass ihre Vorstellungen von Räumen Konsequenzen auf das eigene Handeln haben können; dass sie Städte aus bestimmten Gründen positiv oder negativ bewerten und diese Gründe wiederum hinterfragen lernen. Wichtig beim Anfertigen der Hausaufgaben (Konstruktion) ist die Erläuterung der ausgewählten Bilder, die die Lernenden in ihr p.art.folio übernehmen, da sie über die Bilder letztlich auch wiederum Repräsentationen von Räumen erstellen, die allen vier Raumbegriffen entsprechen sollen. Die Problematik der Unterrichtsstunde ist in der Hinsicht relevant für die Jugendlichen, da sie selbst Bilder von Räumen über die Medien konsumieren und daraus ihre eigenen Vorstellungen entwickeln. Auch das Beispiel der Abwanderung Jugendlicher könnte sie selbst einmal betreffen. Mit dem räumlichen Beispiel Berlin ist darüber hinaus eine bekannte Stadt gewählt, die für die Jugendlichen gleichzeitig räumlich-mental nah liegt. Artikulationsschema5 Phase Einstieg Rekonstruktion

5

Didaktisch-methodischer Schwerpunkt Identifikation der Problematik: • Extrem negativer Wanderungssaldo in Marzahn • Abwanderung der jungen Bevölkerungsschichten

Sozial-/ Aktionsform UG

SuS vermuten Ursachen für diese Entwicklung

EA

Medien M 1, M 2 Tafel

Tafel

In den Artikulationsschemen werden folgende Abkürzungen benutzt: SuS – SchülerInnen; L – LehrerIn; M – Material; EA – Einzelarbeit; PA – Partnerarbeit; GA – Gruppenarbeit; UG – Unterrichtsgespräch; AB – Arbeitsblatt; M – Material.

F RAGESTELLUNG

Erarbeitung I

Dekonstruktion

Erarbeitung II

Lernzielkontrolle  Merksatz

Konstruktion

Hausaufgabe

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 227

SuS erarbeiten die Ursachen der Entwicklung

PA

M 3-5

SuS sortieren die erarbeiteten Ursachen auf die vier Raumkonzepte

PA

M6 AB

SuS beziehen ihre vermuteten Ursachen auf das Modell und realisieren ggf. ihre Lücken  Reflexion des eigenen Lernfortschritts SuS erarbeiten die Folgen der Entwicklung

UG

M6 Tafel

PA

M 6, M 7 AB

SuS überlegen sich Gegenmaßnahmen für die Ursachen und Folgen vor dem Hintergrund der vier Raumkonzepte und vergleichen sie anschließend mit den in Angriff genommenen Maßnahmen L und SuS erläutern das Zitat Räume sind nicht, Räume werden gemacht und finden dafür eigene Beispiele Sie erkennen, dass der physisch-materielle und der Mentalraum sich gegenseitig bedingen Fotografiert in eurer Stadt Beispiele für die vier Raumkonzepte und erklärt sie stichwortartig

GA

M 8-13

UG

p.art.folio

228 | U RBANES R ÄUMEN

Zweite Unterrichtsstunde | Filtering Down Die zweite Doppelstunde thematisiert die informativ-signifikanten Regionalisierungen nach Werlens Alltäglichen Regionalisierungen. Hier geht es darum, dass die Jugendlichen die Wirkungen von Medien allgemein und der Sprache im Besonderen im Hinblick auf ihre Bedeutung für Raumbilder erkennen. Sie analysieren anhand einer Reportage über den Stadtteil Duisburg Marxloh, wie mit sprachlich-stilistischen Mitteln ein Raumimage entworfen wird und welche Folgen dies auf die Handlungen im physisch-materiellen Raum hat (Grobziel). Der Einstieg in die Unterrichtsstunde erfolgt mittels eines semantischen Differenzials: Die Lernenden erhalten ein Polaritätsprofil, mit dem sie eine individuelle Bewertung der Städte Duisburg und Freiburg vornehmen sollen. Im Anschluss daran werden einige Ergebnisse verglichen. Anzunehmen ist, dass viele Jugendliche ein tendenziell besseres mentales Bild von Freiburg besitzen, obwohl kaum einer in einer der beiden Städte gewesen ist. Dies sollen sie anhand erster Vermutungen begründen (Rekonstruktion). Daraus leiten die Lernenden die problemerschließende Fragestellung ab: Wie entstehen Stadtimages (Bilder von Räumen) durch Medien? In der sich anschließenden Erarbeitungsphase erhalten die Jugendlichen einen Zeitungsartikel, der eine Situation im Duisburger Stadtteil Marxloh beschreibt. Nach der Formulierung ihres ersten Leseeindrucks erhalten die Lernenden zwei unterschiedliche Aufgaben dazu (jeweils in Partnerarbeit). Eine Gruppe muss eine ausgewählte Textstelle in einen neutralen Bericht umformulieren. Dazu müssen sich die Jugendlichen zunächst bewusst machen, welche Textsorte sie vor sich haben und was einen Bericht ausmacht. Die andere Gruppe erhält den Text, aus dem einige Wörter (sog. Stimmungswörter) herausgestrichen wurden. Diese Wortlücken sollen sie entsprechend der Stimmung des Textes ergänzen. In beiden Aufgaben geht es darum, dass die Lernenden die Rolle von Sprache bzw. von Wörtern im Kleinen erkennen und wie sie ein Bild, eine Stimmung vermitteln kann. Erneut erkennen sie hier, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf ein und denselben Raum gibt; dass unterschiedliche Gefühle beim Lesen aktualisiert werden. Mithilfe eines Kommunikationsmodells (nach Westley/Mc Lean) erarbeiten sich die Jugendlichen im Anschluss daran den Weg einer Reportage von der Entstehung bis zur Rezeption durch den Leser. Dies hilft ihnen u.a., die unterschiedlichen Sichtweisen und Wirkungen des Textes zu begründen. Dabei erkennen sie, wie selektiv wir bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen aus unserer Umwelt vorgehen, und auch der Autor eines Textes wiederum eingeschränkt werden kann in dem, was er überhaupt veröffentlichen darf. Zudem erfordert dies ein Abgleichen von Daten und das Begründen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit. Anders formuliert: Glauben die Jugendlichen, was in dem

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 229

Zeitungsartikel geschrieben steht? Die Phase der Dekonstruktion soll demnach die Jugendlichen nicht verwirren und der Kontingenz sozialer Wirklichkeit aussetzen, sondern diese unter Zuhilfenahme zusätzlicher Erläuterungen (Kommunikationsmodell) auf mögliche Ursachen zurückführen lassen. Möglich wäre ebenso, verschiedene Arten von Texten und deren Wirkungen auf den Leser – in diesem Falle die Jugendlichen – anzusprechen. Im Anschluss daran präsentiert die Lehrkraft ein Gegenbeispiel. Anhand der »Marxloher Bräute« erkennen die Lernenden, dass das Bild einer Stadt nicht allein durch Berichterstattung in den Medien negativ dargestellt werden kann, sondern auch positive Bestrebungen unternommen werden, um das Image einer Stadt aufzuwerten. Auch dabei kann die Rolle der Medien (hier im Besonderen die Rolle von Bildern) thematisiert werden. Gemeinsam wird sich dann mit den Folgen solcher Prozesse der Bedeutungszuweisung, die mehr als nur den physisch-materiellen Raum zum Ausgangspunkt haben, auseinandergesetzt (Zurückbleiben der 4 A’s). Ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen wird in dieser Unterrichtsstunde über eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Medien und ihrem raumkonstitutiven Charakter angeleitet. Die Jugendlichen erkennen – an ihre eigenen Erfahrungen anknüpfend, aber darüber hinausgehend – anhand alltäglicher Situationen, wie über Sprache Bilder von Räumen im Kopf entstehen können und wie sich solche Prozesse der Bedeutungszuweisung im physischmateriellen Raum manifestieren. Über den eigenen bewussten Gebrauch von Sprache (Erarbeitungsphase I) sollen die Jugendlichen ihre eigene Rolle in der Produktion von Raum erkennen und hinterfragen. Genauso wäre es möglich, sich die Lernenden in eine andere Person hineinzuversetzen oder sie den Zeitungsartikel aus einer anderen zeitlichen Perspektive fortsetzen zu lassen. Das Abschätzen der Folgen solcher Filtering-Down-Prozesse erfordert zudem auch ein Imaginieren eventuell nicht auf den ersten Blick mitgedachter Personengruppen, die davon besonders betroffen sind. Auch hier dient der Merksatz der Zusammenfassung der erarbeiteten Erkenntnisse. Die Jugendlichen übertragen abstrakte Prozesse auf den eigenen Heimatraum oder bereits erlebte Situationen. Hierbei ist es entscheidend, die epistemologischen Grundlagen eines konstruktivistischen Weltverständnisses zu betonen, da die Jugendlichen erfahrungsgemäß solche Methoden eher dem Deutschunterricht zuordnen. Die Problematik der Unterrichtsstunde ist in der Hinsicht relevant für die Jugendlichen, da sie tagtäglich mit und über Sprache Räume herstellen und eigene von anderen Sichtweisen abgrenzen. Sie stellen Räume her, ohne, dass sie Grenzen materiell festschreiben. Zudem sind sie besonders einer Aufmerksamkeitslenkung durch Medien (z.B. im Fernsehen oder im Stadtraum) ausgesetzt. Über

230 | U RBANES R ÄUMEN

das Wissen, wie Sprache und Bilder, Musik usw. Stimmungen und Gefühle hervorrufen, werden sie zum Hinterfragen ihres eigenen Medienkonsums angeregt. Anknüpfend an ihre mediengeprägte Lebenswelt, in der sich die Jugendlichen gewiss schon einmal mit dem Internet und seinen Möglichkeiten der Meinungsäußerungen auseinandergesetzt haben, sollen sie in der Phase der Konstruktion einen eigenen Blogbuch-Eintrag über ihre Heimatstadt schreiben, wobei dies eine Gruppe ausgehend von eigenen Erlebnissen, und die andere mithilfe eines bereits existierenden Eintrags (z.B. in Google News) tut. Das soll in der Auswertung wiederum deutlich machen, dass auch Nachrichten ganz unterschiedliche Bedeutung für den Einzelnen erlangen können und dabei das Internet als Massenmedium eine entscheidende Rolle in der Verbreitung raumkonstitutiver Informationen spielt. Artikulationsschema Phase Einstieg Rekonstruktion

Didaktisch-methodischer Schwerpunkt Polaritätsprofil: SuS beurteilen kontrastierend das Städteimage von Duisburg und Freiburg

Sozial-/ Aktionsform EA

Warum ist das Image von Freiburg so viel positiver? Wer war schon einmal in den beiden Städten?  kaum einer, aber dennoch haben viele ein entsprechendes Bild der Städte im Kopf

UG

Problemerschließende Fragestellung: Wie entstehen Stadtimages durch Medien?

Medien M1 Tafel

F RAGESTELLUNG

Erarbeitung I

Dekonstruktion

Erarbeitung II

Lernzielkontrolle  Merksatz

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 231

Gruppenpuzzle Beide Gruppen lesen die Reportage (M 2a bzw. M 2b) und formulieren spontan ihren ersten Leseeindruck

EA/UG

Gruppe a: SuS formulieren die kursive Textstelle in einen neutralen Bericht um Gruppe b: SuS ergänzen die Wortlücken (geschwärzte Stimmungswörter) in dem Text mit eigenen Vorschlägen SuS erläutern das Kommunikationsmodell und übertragen es auf die Reportage

PA

UG

M 2a/b

M3

L präsentiert das Positivspiel »Marxloher Bräute« ( Rückbezug auf das Kommunikationsmodell: Man sieht nur das, was man erwartet zu sehen)

M4

Welche Folgen haben solche Prozesse: Filtering down: Zurückbleiben der vier A’s (Arme, Arbeitslose, Ausländer, Alte) SuS erläutern das Zitat Räume werden permanent durch Sprache produziert und reproduziert

Tafel

UG

232 | U RBANES R ÄUMEN

Konstruktion

Hausaufgabe

und finden weitere positive wie negative Beispiele (z.B. Metropolregion Nürnberg) Vorstellung des »Blogbuch Oldenburg«6 SuS schreiben einen positiven oder negativen Reportage-Blogeintrag über ihren Wohnort anhand a) eines Google NewsEintrags bzw. b) aus ihrer eigenen Erfahrung heraus

p.art.folio EA

M5

Dritte Unterrichtsstunde | Gentrifizierung Die dritte Doppelstunde thematisiert die produktiv-konsumtiven Regionalisierungen nach Werlens Unterscheidung alltäglichen Geographien-Machens. Auch wirtschaftliche (Standort-)Entscheidungen haben Einfluss darauf, wie Räume hergestellt und bedeutsam werden und welche Auswirkungen diese auf weiteres Handeln haben. Die Jugendlichen erarbeiten sich mithilfe eines Mysterys Gentrifizierungsprozesse in einem Stadtteil Londons unter besonderer Berücksichtigung der vier Merkmale solcher Auf- und Abwertungsprozesse und erkennen, welche unterschiedlichen Bedeutungen der physisch-materielle Raum durch unsere Handlungen als vielfach gelebter Raum erlangt, die nicht allein über Kennzahlen zu erklären sind (Grobziel). Im Einstieg wird auf die vorausgegangene Unterrichtsstunde, die sich schwerpunktmäßig mit Abwertungsprozessen auseinandersetzte, Bezug genommen, um daran die Broken-Windows-Theorie nochmals vertiefend zu erklären. Im Sinne der Rekonstruktion geht es darum, dass die Jugendlichen bereits erworbene Kenntnisse abrufen und erläutern können. In Form eines thematisierend-problematisierenden Unterrichtseinstiegs liest die Lehrkraft eine mysteriöse Ausgangssituation vor, in der es um die Wirkungen zwischen Graffiti im Stadtraum und steigenden Mietpreisen für Wohnungen geht. Die Jugendlichen stellen

6

Das Blogbuch Oldenburg ist eine Initiative des Literaturbüros der Stadt Oldenburg, in der ein virtueller »Stadtschreiber« auserwählt wird, der – nicht bzw. nur zu Besuchen in der Stadt selbst anwesend – von seiner Heimatstadt aus über Oldenburg in einem Blog berichtet, und das allein aufgrund der Informationen, auf die er in den Medien (u.a. auch Internetkarten) zugreifen kann.

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 233

hierfür erste Vermutungen an und erhalten im Anschluss daran einen Briefumschlag mit verschiedenen Informationskärtchen. Sie sollen in Kleingruppen die Frage mithilfe des Mysterys ergründen. Hierbei haben sie die Möglichkeit, Informationen nach Wertigkeit zu sortieren, wobei ihr systemisches Denken in besonderem Maße gefordert ist. Sie sollen ein Wirkungsdiagramm erstellen, in dem sie unterschiedliche Handlungen und Situationen in einen Zusammenhang bringen und dabei verschiedene Lesarten ein und desselben Prozesses erkennen sowie hinterfragen lernen (Dekonstruktion). Dabei erweist sich die Gruppenarbeit als besonders wirksam, da sich die Lernenden über eigene Meinungen mit den Sichtweisen der anderen auseinandersetzen und diese miteinander abgleichen müssen. Die Perspektivenvielfalt wird daran deutlich, dass die Jugendlichen jeweils unterschiedliche Lösungswege wählen; diese aber nicht zwangsläufig falsch sein müssen, sondern vielmehr Ausdruck individueller Sichtweisen und Bedeutungszuweisung sind. Nach der Bearbeitung des Mysterys erfolgt die Auswertung im Klassenverbund: Die Gruppen stellen ihre Lösungen in Form einer Stafettenpräsentation vor, wobei die folgende Gruppe zunächst den Weg und die Ansichten der vorherigen Gruppe kommentiert, sodass wiederum eine Verständigung notwendig ist und die Gruppen alle aktiv angesprochen sind. Zur theoretischen Fundierung der erarbeiteten Aufwertungs-Prozesse erhalten die Lernenden ein Arbeitsblatt, auf dem die vier zentralen Teil-Aufwertungsprozesse nochmals verdeutlicht sind. Diese sollen sie, im Sinne einer wiederholenden Transferleistung, auf ihr eigenes Wirkungsdiagramm und damit ein abstraktes Konzept auf eigene Denkmuster übertragen. Kritisch-reflexives Denken ist in dieser Unterrichtsstunde ein zentraler Bestandteil. Die Lernenden müssen sich über eigene Vorstellungen bewusst werden und diese gemeinsam mit anderen Sichtweisen vergleichen. Dies wird garantiert über unterschiedliche Informationskärtchen im Mystery, die die Lernenden nach eigenem Verständnis und Wertigkeit wählen (Differenzierungsmöglichkeit). Zudem ist eine sinnvolle Auswahl der Kärtchen erforderlich, um die Ausgangsfragestellung zu beantworten, da nicht alle Informationen notwendig sind. Eine zusätzliche Möglichkeit der Binnendifferenzierung ist dadurch gegeben, dass es extra Kärtchen gibt, die jene Gruppen bearbeiten können, die eher fertig sind als andere. Da Wirkungen auf der einen Seite zwar über das Verbinden von Informationen hergestellt werden können, aber dennoch nicht alle möglichen Auswirkungen offensichtlich werden, müssen die Lernenden zudem nicht explizit Geäußertes oder nicht auf den ersten Blick Sichtbares in ihren Überlegungen mitdenken. Ein Perspektivenwechsel wird zudem spielerisch-alltäglich über die Darstellung der Ausgangssituation angeleitet. Auch werden dabei abstrakte Vorgänge im städtischen Raum eher zugänglich für die Jugendlichen.

234 | U RBANES R ÄUMEN

Der Merksatz aus dieser Unterrichtsstunde nimmt in besonderer Weise nochmals Bezug zu der mit den vier Raumbegriffen getroffenen Unterscheidung zwischen einem physisch-materiell vorhandenen und dem mentalen Raum, der als Konstrukt in der Vorstellung der Menschen zu verorten ist. Die Jugendlichen sollen die Wechselwirkungen zwischen beiden erkennen, indem sie Bedeutungszuweisungen, die über quantifizierbare Angaben hinausgehen und gar auf den ersten Blick nicht verständlich sind (z.B. schlechte Bausubstanz, aber die Menschen ziehen trotzdem in das Haus), nachvollziehen. Diese Prozesse sollen sie grafisch in ihrem künstlerischen Portfolio umsetzen (Konstruktion). Sie sollen eigene Bedeutungen (Vorstellungen, Zu- oder Abneigungen, usw.), die sie mit einem Ort in ihrem Heimatraum verbinden, in Form eines Denkmals festhalten. Hilfreich kann es sein, dass einige Denkanstöße über Beispiele aus der eigenen Stadt gegeben werden, da der Prozess der Symbolisierung zwar oft von Jugendlichen (z.B. Vergleich von Gebäuden oder Stimmungen mit einer Kirche oder anderen Vergleichsmomenten) selbständig vollzogen wird, aber die bewusste Aufforderung dazu schwieriger umzusetzen scheint. Die Problematik der Unterrichtsstunde ist in der Hinsicht relevant für die Jugendlichen, da sie eventuell selbst in einem von Auf- und Abwertungsprozessen betroffenen Stadtteil wohnen bzw. Anzeichen von Gentrifizierung selbst erkennen können. Über das Raumbeispiel London sowie die Thematik Graffiti wird ein lebensweltlicher Anknüpfungspunkt zu Jugendkulturen (u.a. auch Fußball, Sport allgemein) geschaffen. Artikulationsschema Phase Einstieg

Didaktisch-methodischer Schwerpunkt Rückbezug auf die letzte Stunde: Wiederholung der Broken-Windows-Theorie

Sozial-/ Aktionsform UG

L liest die MysteryGeschichte vor. SuS stellen erste Vermutungen an

UG

M1

SuS bearbeiten das Mystery Stafettenpräsentation: SuS stellen ihre Ergebnisse vor

GA UG

M2

Medien

Rekonstruktion

Erarbeitung I ... Präsentation

F RAGESTELLUNG

Dekonstruktion Erarbeitung II

Lernzielkontrolle  Merksatz

Konstruktion Hausaufgabe

UND

– die nächste Gruppe kommentiert jeweils die Ergebnisse der vorherigen SuS erhalten das AB mit den vier Kennzeichen der Gentrifizierungsprozesse SuS kreisen in vier Farben auf ihrem Mystery die vier Elemente ein SuS erläutern das Zitat Durch die individuelle Wahrnehmung weisen wir dem physisch-materiellen Raum Bedeutungen zu, die über seine eigentliche Funktion hinausgehen und finden weitere Beispiele SuS überlegen sich, warum sie sich an einem bestimmten Ort in ihrer Stadt wohlfühlen und entwerfen zeichnerisch für diese Gründe ein Denkmal

UNTERRICHTSKONZEPTION | 235

UG

M3

p.art.folio

Vierte Unterrichtsstunde | Hacking the City In der vierten Unterrichtsstunde werden Werlens politisch-normative Regionalisierungen behandelt. Ziel ist das Erkennen von Grenzziehungen, die sich sowohl im physisch-materiellen als auch mentalen Raum aufgrund von Handlungsentscheidungen vollziehen und sowohl ein- als auch ausgrenzen bzw. Handlungen ermöglichen und einschränken können. Es geht vor allem um die als normal empfundenen Regeln, denen Menschen in den öffentlichen Räumen der Stadt begegnen. Die Jugendlichen entwickeln dabei anhand von Text- und Bildmaterialien Kriterien für Eingriffe in den öffentlichen Raum und bewerten sie hinsichtlich ihrer (möglichen) Wirkungen (Grobziel). Über den Ausdruck Hacking the City werden die Lernenden zum Thema der Unterrichtsstunde hingeführt. Sie sollen eigene Vermutungen und evtl. konkrete Beispiele äußern (Rekonstruktion), wobei davon ausgegangen wird, dass sie mit dem Begriff des Hackings bereits vertraut sind. Sie sollen aber besonders auf weitere Kontexte aufmerksam werden, indem sie das Konzept auf andere

236 | U RBANES R ÄUMEN

Situationen übertragen. Im Anschluss daran werden ihnen in Gruppen drei verschiedene Formen des Hacking the City präsentiert. Sie sollen diese Aktionen gemeinsam erarbeiten, um deren Hintergründe zu verstehen. Das Material ist so gestaltet, dass sowohl Text- als auch Bildquellen zur Verfügung stehen, da sich hier besonders bildliche Präsentationen eignen, um jene Aktionen zu veranschaulichen. Nach der individuellen Bearbeitung kommen die einzelnen Lernenden mit demselben Thema in ihrer Expertengruppe zusammen, um sich über erste gemeinsame Kriterien der Aktionen auszutauschen. Anschließend werden Stammgruppen gebildet, denen jeweils mindestens ein Vertreter der drei Beispiele angehört, sodass die Lernenden nun mithilfe der unterschiedlichen Hacking-Aktionen weitere Kriterien solcher Eingriffe im öffentlichen Raum ableiten können. In Form eines Lernen-durch-Lehren-Arrangements werden die Jugendlichen zu Experten ihres Beispiels und vermitteln den anderen jeweils neue Sichtweisen. Diese werden dann gemeinsam dargestellt und auf dem Arbeitsblatt festgehalten. Die Vielperspektivität ein und desselben Raumes wird dahingehend hinterfragt, warum und wie es möglich ist, solche Eingriffe umzusetzen. Die Lernenden sollen erkennen, dass besonders der öffentliche urbane Raum von ungeschriebenen Regeln gemacht wird und wir diese im Handeln reproduzieren, ja teilweise nicht mehr hinterfragen und damit akzeptieren. Politisch-normative Regulierungen finden demnach oft verdeckt statt. Erst durch ein kritischreflexives Hinterfragen wird es möglich, diese aufzudecken und mögliche Gegen-Lesarten entgegen zu setzen (Dekonstruktion). Das erfordert auch ein Mitdenken und Aufzeigen möglicher anderer Perspektiven, z.B. welche Personengruppen im öffentlichen Raum unter bestimmten Hindernissen leiden oder von Nutzungen ausgeschlossen werden. Vertiefend dazu erhalten die Jugendlichen einen kurzen Sachtext, der sich mit der Wortherkunft und -bedeutung des Hacking i.e.S. auseinandersetzt. Dieser soll ihnen auch dabei helfen, HackingAktionen von solchen wie Unsere Stadt soll schöner werden abzugrenzen, da es um das subversive Eingreifen und Ändern von Strukturen geht. Mithilfe des Zitats zu den Freiraum-Hackern soll es den Jugendlichen selbst gelingen, in die Rolle eines solchen zu schlüpfen und eigene Ideen für eine Hacking-Aktion zu finden (Konstruktion). Da dies als Vorbereitung für ihr Mapping dient, haben die Jugendlichen die Gelegenheit, sich bereits auf ihrem Schulweg bzw. außerhalb des schulischen Rahmens mit unsichtbaren Grenzziehungen, Normierungen und Regeln zu befassen, d.h. ihren Heimatraum bewusst (und) anders wahrzunehmen. Die individuelle Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht es den Jugendlichen, ganz persönliche Schwerpunkte zu setzen und damit wiederum die Vielfalt der Sichtweisen im Stadtraum offen zu legen. Auch ist es ihnen erlaubt, in Gruppen zu arbeiten, um eventuell

F RAGESTELLUNG

UND

UNTERRICHTSKONZEPTION | 237

aufwändigere Aktionen umzusetzen. Die konkrete Durchführung erfolgt im Anschluss daran. Hier soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass es in der Methode des Mappings (vgl. Kap. 2.3.2) um eine künstlerisch-spielerische Auseinandersetzung mit dem gelebten Raum geht. Diese ist bewusst offen angelegt, um den Jugendlichen eine eigenständige Ausgestaltung zu ermöglichen und gleichzeitig die Angst zu nehmen, etwas falsch oder unvollständig auszuführen. Es geht um eine bewusst temporäre, vergängliche Aktion, die die Passanten für einen kurzen Moment desorientieren soll. Die Jugendlichen sollen darüber erkennen, dass auch ihr Handeln im Kleinen politisch ist in dem Sinne, dass sie über eigene Norm- oder Wertvorstellungen, d.h. Bedeutungszuweisungen, Regionalisierungen vornehmen, Grenzen ziehen und mit ihren Handlungen das Handeln anderer ermöglichen oder einschränken können. Über die Auseinandersetzung mit den Betroffenen – in diesem Falle der Passanten – erkennen sie eigene und andere Sichtweisen, um diese abzugleichen und ihre Blicke zu erweitern. Auch das Rechtfertigen bzw. das glaubwürdig Machen ihrer eigenen Ideale und Vorstellungen ist entscheidender Bestandteil dieser Unterrichtsstunde bzw. der sich daran anschließenden Mapping-Aktion. Die Jugendlichen sollen lernen, eigene Sichtweisen selbständig und selbstbewusst zu präsentieren, um letztlich an der Aushandlung von Räumen – im Kleinen wie im Großen – teilzuhaben. Die Thematik des Hacking erweist sich besonders für die Jugendlichen als relevant, da sie im Sinne ihrer lokal-globalen Einbindung in die Welt das politische Geschehen im Kleinen wie im Großen beobachten. Ziel soll es sein, sie für die Alltäglichkeit politischen Handelns zu sensibilisieren und damit Partizipation am gesellschaftlichen Geschehen zugänglich zu machen. Artikulationsschema Phase Einstieg

Rekonstruktion

Didaktisch-methodischer Schwerpunkt L präsentiert den Ausdruck Hacking the City SuS formulieren Vermutungen

Sozial-/ Aktionsform UG

Medien M1

238 | U RBANES R ÄUMEN

Erarbeitung I

Dekonstruktion

... Sicherung

Lernzielkontrolle  Merksatz

Konstruktion Erarbeitung II

Gruppenpuzzle: Die SuS erhalten drei Beispiele für Hacking the City (Guerilla Gardening, Urban Knitting, Reclaim the Streets) präsentieren es sich gegenseitig und entwickeln anhand derer im Gruppenpuzzle gemeinsame Kriterien SuS erhalten einen Sachtext über Hacking und vertiefen ihre Ergebnisse anhand der Fragen SuS erläutern das Zitat Freiraum-Hacker sind Agenten im öffentlichen Raum. Sie übersetzen mit Verfremdungsstrategien unsichtbare oder unhinterfragte Strukturen ins Sichtbare SuS entwickeln gemeinsam Hacking-Ideen für die Heimatstadt oder die Schule und halten diese schriftlich/bildlich fest

GA

M 2-4

M5

M 5, M 6

p.art.folio

M7

4. Aufbau und Gang der Untersuchung

Es bieten sich verschiedene Möglichkeiten, um die Perspektiven der Lernenden im Geographieunterricht empirisch zu untersuchen, wobei oftmals entweder Versuchsanordnungen im Sinne von Unterrichtsreihen durchgeführt und ausgewertet oder aber in repräsentativen Studien eine weitaus größere Anzahl an Lernenden zu verschiedenen Themen befragt werden, um daraufhin Erkenntnisse für die Unterrichtspraxis abzuleiten (vgl. Breitbach 2006: 195). Im Rahmen dieser Arbeit wurde sich für ersteres Vorgehen entschieden, da das Ziel der Untersuchung von Handlungsweisen und deren zugrundeliegenden Orientierung eines dementsprechenden Impulses bedarf. Dies erforderte die Durchführung einer Unterrichtseinheit zum Thema der Raumkonstruktionen, damit die Jugendlichen in den darauffolgenden Gruppendiskussionen erfahrungsbasiert darüber erzählen können. Ob und inwiefern dies passiert, damit wird sich in der Auswertung (Kap. 6) auseinandergesetzt. Ziel soll es dabei nicht sein, den Grad der Bezugnahme auf Unterrichtsinhalte zu messen und bewerten, sondern vielmehr zu interpretieren, was sich in den Aussagen der Jugendlichen zu Räumen dokumentiert (vgl. Hacke 2012: 152f.). Bereits während der Planungen der Unterrichtsreihe wurden potenzielle Kooperationspartner gesucht, die sich an der Studie beteiligen. Dabei bestanden grundsätzlich Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme zu Schulen, da vor Ort auf kein etabliertes Netz an Kooperationspartnern (Partnerschulen, etc.) zurückgegriffen werden konnte, sodass zunächst sämtliche Gymnasien in und um Nürnberg kontaktiert und angefragt wurden. Nach einer ernüchternden Reaktion wurde auf dem Bayerischen Schulgeographentag, der in Nürnberg 2012 stattfand, für eine Teilnahme an dem Unterrichtsprojekt geworben. Über Dritte konnte ein Gymnasium in einem weiteren Bundesland dafür gewonnen werden. Das Erforschen der Schülerperspektive erfordert eine erhöhte Sensibilität, die v.a. auch der jeweiligen Lehrkraft zu vermitteln ist. Das bedeutet, dass besonders Rücksicht auf die Anonymität der Teilnehmer genommen werden muss. Im

240 | U RBANES R ÄUMEN

Vorfeld wurden deswegen Briefe sowohl an die Schulen als auch die Jugendlichen und Erziehungsberechtigten geschickt, die über das Unterrichtsarrangement aufklärten sowie Kontaktdaten bereitstellten, um vor, während oder nach der Studie Kontakt mit den Verantwortlichen aufzunehmen. Die im Vorfeld erhobenen Sozialdaten der Jugendlichen zu Namen, Alter und Interessen wurden teilweise von ihnen selbst, z.B. durch Codenamen anonymisiert. So werden auch sämtliche in den Gruppendiskussionen auftretende Namen codiert1, um Zuordnungen zu verhindern.

4.1 S AMPLINGPROZESS Wie bereits angedeutet, ergaben sich im Zuge der Auswahl teilnehmender Kooperationspartner anfängliche Schwierigkeiten. Dennoch wurden wesentliche Fragen zum Samplingprozess, das heißt, der Auswahl der Schulen und SchülerGruppen, reflektiert. Das Sampling meint die Auswahl bestimmter Fälle bzw. Stichproben im Rahmen von Forschungsprozessen, wobei unterschiedliche Arten (z.B. homogenes Sampling, deviant sampling, intensity sampling, usw.) unterschieden werden können. Für den vorliegenden Fall erweist sich das im Rahmen der Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967) entwickelte Theoretische Sampling als geeignet. Dies unterscheidet sich grundlegend vom Statistischen Sampling, in dem bspw. die zu untersuchende Grundgesamtheit bereits zu Beginn der Forschung feststeht. Stichproben werden in einem qualitativen Forschungsprozess nicht nach dem Zufalls- oder Wahrscheinlichkeitsprinzip gewählt. Das geschieht nach gewählten Kriterien, die das Wissen über den zu untersuchenden Gegenstand erweitern können (Lamnek 2005: 193). Gleichzeitig ist das Sampling nicht ohne die sich daraus entwickelnde Theorie möglich (Truschkat/Kaiser/Reinartz 2005). Der Sampling-Prozess zieht sich somit im Grunde über den gesamten Zeitraum der Untersuchung, da Entscheidungen zur Auswahl weiterer Fälle ständig getroffen werden, bis eine theoretische Sättigung erreicht ist, d.h. keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich der Fragestellung aus dem Material gewonnen werden können. Dieses Vorgehen impliziert, garantiert aber auch gleichzeitig die Flexibilität des Forschungsprozesses. Damit wird auch gewährleistet, dass sich dem Untersuchungsgegenstand – konkret den Äußerungen der Jugendlichen – offen und verstehend genähert wird.

1

Dies erfolgt durch das Vergeben fiktiver Bezeichnungen, die dann jeweils mit einem * gekennzeichnet werden.

A UFBAU UND G ANG

DER

U NTERSUCHUNG | 241

Aus der feldspezifischen Literatur ließen sich keine relevanten Kriterien zur ersten Zusammenstellung des Samplings ableiten, weswegen auf Erkenntnisse aus den Vorstudien sowie allgemeine Annahmen, z.B. zur Ausprägung der Raumwahrnehmung von Jugendlichen zurückgegriffen wurde. Ein entscheidender Aspekt zur Auswahl der Schüler-Gruppen ergab sich hinsichtlich des Unterrichtskontextes: Aus den Vorstudien zeigte sich die Notwendigkeit, auf Geographieunterricht zurückzugreifen – auch wenn das Projekt durchaus interdisziplinär in anderen Unterrichtsfächern einzubinden möglich wäre –, sowie die Durchführung in der Sekundarstufe II, in der die Lernenden bereits grundlegende Voraussetzungen für ein Verständnis der Problematik aufweisen. Die Wahl eines möglichst kontrastreichen Samplings ergab sich über die beiden Schulstandorte. Kontrastreich sind diese in dem Sinne, da sie sich in der Ausgestaltung der Lehrpläne unterscheiden (vgl. Kap. 3.2) und zudem davon ausgegangen werden kann, dass die Jugendlichen unterschiedliche Sozialisationserfahrungen aus den jeweiligen Räumen einbringen können. Beide Schulen sind in einer städtischen Umgebung angesiedelt; es wurde bewusst von einer Unterscheidung ländlich-städtisch abgesehen, denn nicht erst seit heute wissen wir, »wie unsinnig es ist, weiter der einfachen Dichotomie von Stadt und Land anzuhängen« (Lange 1996: 79). Dass es Unterschiede in der Aneignung von Räumen auf dem Land und in der Stadt gibt, ist indes nicht abzustreiten (u.a. Wehmeyer 2013: 201). Da diese Modi aber nicht im Vordergrund der Untersuchung stehen, werden diese im Sampling-Prozess nicht berücksichtigt. Und dennoch kann vorab konstatiert werden, dass viele Jugendliche in ländlich geprägten Umgebungen wohnen, was sie u.a. in den Gruppendiskussionen zum Ausdruck brachten. Inwiefern sich das auf die Modi ihrer Raumaneignung auswirkt, wird in der sich anschließenden Auswertung berücksichtigt.

4.2 V ORARBEITEN Explorative Vorstudien (März-Dezember 2012) Um die aus der Theorie hergeleiteten Überlegungen zum Unterrichtsarrangement einer ersten Überprüfung zu unterziehen, wurden einzelne Bausteine zunächst im Geographieunterricht an zwei unterschiedlichen Gymnasien erprobt, aus denen sich erste Korrekturen und unterrichtspraktische Anregungen ergaben.

242 | U RBANES R ÄUMEN

Weitere Vorstudien | Expertenrating, Präsentation und Diskussion auf Tagungen Im Zeitraum zwischen Februar 2012 und Dezember 2013 wurden verschiedene Experten-Ratings (Augsburg, Jena) vorgenommen, mit deren Hilfe auch grundsätzliche thematisch-methodische Überlegungen gemeinsam mit fachlicher Expertise diskutiert wurden. Zudem boten Präsentationen auf Tagungen die Möglichkeit, sich einem Publikum zu stellen, dem gewisse Kontexte unbekannt waren, sodass sich auch auf dieser Ebene mit Fragen und Kritik auseinandergesetzt wurde. Vor allem auch innovative methodische Zugänge (z.B. Mapping) wurden hierbei unterschiedlich eingeschätzt. Zusätzlich flossen so auch Fachgrenzen übergreifende Anregungen in die Bearbeitung der Studie ein. In den sich in die Auswertungsphase integrierten Forschungswerkstätten (u.a. Nürnberg, Jena) wurde zudem gewährleistet, dass eigene Interpretationen über andere Sichtweisen verglichen und überprüft wurden (vgl. dazu auch Kap. 5). Pilotstudien (Mai-Juli 2012) Einer intensiveren Überprüfung wurden die einzelnen Unterrichtsstunden zeitgleich dazu in einem größeren Kontext unterzogen. Neben unterrichtspraktischen Änderungen konnten aus den Pilotstudien (wiederum an zwei anderen Gymnasien) auch wichtige Anregungen für das Erhebungs- und Auswertungsverfahren, z.B. die Rolle des Interviewenden in den Gruppendiskussionen gewonnen werden. Zudem ergab sich die Reduzierung der geplanten Stundenanzahl, die im Rahmen des Geographieunterrichts in den Jahrgangsstufen 11 bzw. 12 nur schwierig umzusetzen war (vgl. Tab. 6). Wichtig bleibt dennoch zu betonen, dass zwar einzelne Schwachstellen identifiziert, aber nicht gleichzeitig auch durch eine Umkehr des geplanten Vorgehens behoben werden können. Das Bewusstsein um mögliche Schwierigkeiten sollte der jeweiligen Lehrkraft mit auf den Weg gegeben werden, um eigene Strategien zu entwickeln, wie konstruktiv damit umgegangen werden kann.

4.3 H AUPTSTUDIE Die Hauptstudie fand im Zeitraum zwischen Dezember 2012 und April 2013 statt. Beteiligt waren dabei zwei Gymnasien in Bayern und Hamburg2. Auf eine

2

Hinweis zur Codierung von Daten: Räumliche Bezüge werden weitestgehend vermieden, sodass eine erste Zuordnung der Schulen nicht möglich ist (vgl. Schulnamengebung weiter unten). Über eine ausreichende Anonymisierung von Namen und Orten

A UFBAU UND G ANG

DER

U NTERSUCHUNG | 243

sozialräumliche Einordnung der Gebiete wird hier verzichtet. Es geht weniger um eine Sozialraum- als eine Lebensweltanalyse (vgl. Kap. 2.3.1), da zudem prinzipiell »wenig gesichertes Wissen über das Verhältnis von Schule und Quartier« (Fritsche/Rahn/Reutlinger 2011: 14) vorliegt, vor allem aus der Sicht der Kinder und Jugendlichen. Relevant hingegen scheinen hier einige grundlegende Daten zur Einordnung des Geographieunterrichts beider teilnehmender Schulen in die schulische Laufbahn allgemein. •



Herbst: Das sprachliche und naturwissenschaftlich-technologische Gymnasium wird von knapp 900 Schülerinnen und Schülern besucht. In der Oberstufe (11. und 12. Jahrgangsstufe) sind die Fächer Deutsch und Mathematik, Geschichte und Sozialkunde, Ethik oder Religion und Sport verpflichtend. Zwei Unterrichtsstunden entfallen entweder auf Geographie oder Wirtschaft/Recht sowie Kunst oder Musik. Teil der gymnasialen Oberstufe ist zudem ein W(issenschaftspropädeutisches)- oder P(rojekt)-Seminar, das sich über drei Schulhalbjahre erstreckt und in dem die Jugendlichen das wissenschaftliche Arbeiten gemeinsam mit externen Partnern einüben. Geographie wird in den Klassenstufen 5, 7, 8 und 10 verpflichtend unterrichtet. Winter: Das Gymnasium wird von ca. 900 Schülerinnen und Schülern besucht und zeichnet sich durch sein bilinguales Profil aus. Ab der siebten Jahrgangsstufe werden verschiedene Fächer in englischer Sprache unterrichtet (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Art, Musik, Geography und History, Biology). Bereits ab der fünften Jahrgangsstufe werden die Kinder in ein kooperatives Lernumfeld eingeführt, z.B. in gemeinsamen Ausflügen oder Projekten. »Teamentwicklung« ist ein wesentlicher Baustein im sozialen Curriculum des Gymnasiums. In der Mittelstufe führen die Lernenden Praktika durch und können sich in Arbeitsgemeinschaften kleineren Forschungsprojekten widmen. Der Eintritt in die Studienstufe (11. und 12. Jahrgangsstufe) erfolgt nach dem erfolgreichen Absolvieren von drei zentralen Prüfungen. Nun erhalten die Jugendlichen vierstündigen Unterricht in drei Kernfächern (Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache) sowie 14 Wochenstunden in einem von ihnen gewählten Profil, welches mehrere Fächer verbindet. Geographie wird in den Klassenstufen 5, 7, 8 und 9 verpflichtend unterrichtet.

in den zitierten Teilen aus den Gruppendiskussionen ist gewährleistet, dass Aussagen nicht personenbezogenen zurückverfolgt werden können.

244 | U RBANES R ÄUMEN

Tabelle 6: Zusammenfassung der Pilot- und Hauptstudien nach ausgewählten Kriterien Frühling

Sommer

Herbst

Winter

Jahrgangsstufe (Alter: 16-18 Jahre)

11

11

12

12

Anzahl der Lernenden

15

16

15

15

Mai 2012

Juni-Juli 2012

DezemberJanuar 2012/2013

April/Mai 2013

6

6

4

4

Erhebungszeitraum

Stundenumfang (in Doppelstunden)

Aus den zwei durchgeführten Studien wurden sieben Gruppendiskussionen (vier aus Herbst, drei aus Winter) in das Sampling einbezogen. Diese wurden im Anschluss an die vier Doppelstunden im Geographieunterricht und der MappingAktion geführt, wobei stets mit einer zeitlichen Verzögerung auch während des Unterrichtsprojekts zu rechnen war.

5. Forschungsmethodik

Die folgenden Ausführungen zur Methodik der Auswertung der Arbeit sind verkürzt dargestellt, und zwar aus folgendem Grund: Es wird auf die zwei bedeutsamen Studien von Applis (2012) und Höhnle (2014) in der Geographiedidaktik verwiesen, die auch mittels dieser methodischen Erhebungs- und Auswertungsverfahren (Gruppendiskussionen und dokumentarische Methode) Schülerorientierungen – konkret im Bereich des Globalen Lernens – empirisch rekonstruiert haben. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Anknüpfung an die bereits bestehenden Forschungen zu Schülerperspektiven, erweitert dabei das Themenfeld durch den Bereich der Räumlichen Orientierung. Auf ausführliche Beschreibungen zum methodischen Vorgehen wird deshalb verzichtet; dennoch soll sichergestellt sein, dass der Leser einzelne Schritte nachvollziehen kann. Für zusätzliche theoretisch fundierte Ausführungen wird zunächst auf die zwei genannten Studien verwiesen. Ziel des folgenden Kapitels ist es, nach einer allgemeinen Einordnung qualitativer Forschung die methodischen Entscheidungen speziell vor dem Hintergrund der Formulierung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen darzustellen.

5.1

Z UR E INORDNUNG . Q UALITATIVE S OZIALFORSCHUNG

Ausgehend von der Annahme, dass Wirklichkeit vielfältig sozial über Handlungen und deren Interpretationen hergestellt wird, dementsprechend also auch die Jugendlichen im Kontext des Geographieunterrichts jeweils unterschiedliche Wirklichkeiten produzieren, muss es darum gehen, geeignete methodische Zugänge zu finden, die ein Verstehen jener Prozesse der Bedeutungszuweisung ermöglichen und dabei sowohl fachliches Wissen als auch lebensweltliche Vorstellungen berücksichtigen (Billmann-Mahecha/Gebhard 2014: 148). Da sich Han-

246 | U RBANES R ÄUMEN

deln nicht unidirektional in kausalen Zusammenhängen zeigt und erklären lässt, geraten quantitative Methoden hierbei an ihre Grenzen. Damit lässt sich zwar eine große Menge an Daten auswerten und generieren, nicht aber zugrundeliegende Bedeutungszuweisungen und unausgesprochene Gründe für Handeln erklären. Qualitative Forschungszugänge sind bestrebt, (neue) Hypothesen bzw. Theorien zu generieren anstatt sie zu überprüfen. Hierbei kommt wiederum dem Sampling-Prozess, d.h. der begründeten Auswahl einzelner Fälle, eine entscheidende Rolle zu, da diese den Forschungsgegenstand letztlich erst als solchen entstehen lassen. Qualitative Sozialforschung strebt sowohl nach einer intensiven Interpretation einzelner Fälle als auch dem Aufstellen verallgemeinerbarer Erkenntnisse (Nentwig-Gesemann 2007: 277), was als Vorteil, gleichzeitig aber auch als Herausforderung gedeutet werden muss. Im Hinblick auf die vorliegende Studie bedeutet das, verkürzt, dass sowohl individuelle bzw. Gruppenmeinungen erhoben und diese wiederum so weit verallgemeinert werden, dass sich daraus Konsequenzen für die Praxis ableiten lassen. Inwiefern dies möglich ist, wird in den folgenden Ausführungen (Kap. 7) dargelegt. Weitere zentrale Elemente qualitativer Sozialforschung, die auch für die vorliegende Studie gelten, sind (Lamnek 2010: 19ff.): • • •



• •

Offenheit: Sensibilität für andere Perspektiven, nicht allein mit vorgefertigten Ideen und Konstrukten arbeiten, Ergründen neuer Ideen. Forschung als Kommunikation: Beachten der Kommunikationsregeln, Austausch, Gegenseitigkeit. Prozesscharakter der Forschung: i.S. der Offenheit können neue, andere Fragestellungen durch das Berücksichtigen der Perspektive der Beforschten auftreten. Reflexivität von Gegenstand und Analyse: der Forschende muss sich seiner eigenen Denkmuster bewusst sein, diese offenlegen und für Außenstehende nachvollziehbar machen. Explikation: Standpunkte und Auswertungsschritte transparent machen. Flexibilität: bedingt durch die Offenheit des Forschungsprozesses muss (spontan) auf Änderungen reagiert werden, Schwierigkeiten sind nicht vorhersehbar.

5.2 E RHEBUNG . G RUPPENDISKUSSIONSVERFAHREN Da im Anschluss an die Unterrichtsreihe der Forscherblick darauf gerichtet wird, wie sich die Lernenden mit der Thematik der Raumkonstruktionen auseinander-

F ORSCHUNGSMETHODIK | 247

setzen und nicht allein, ob sie daraus etwas gelernt haben, muss ein methodischer Zugang zur Erhebung und Auswertung gewählt werden, der sich offen der Beschäftigung der Lernenden damit nähert. Hierbei erweist sich das Gruppendiskussionsverfahren als geeignet. Es wurde v.a. Mitte der 1980er Jahre in der Jugendforschung eingesetzt (Schäffer 2011: 76). Erst mit der grundlagentheoretischen Fundierung des »Paradigma[s] der Rekonstruktion kollektiver Orientierungen« (ebd.) durch Bohnsack entwickelte es sich zu einem zentralen Instrument qualitativer Forschung. Dabei wird davon ausgegangen, dass in einer Gruppendiskussion bereits vorhandene, kollektiv geteilte Erfahrungen der Teilnehmer aktualisiert (und nicht erst generiert) werden, die als kollektive Orientierungsmuster bezeichnet werden (ebd.). Mit anderen Worten: es ist »nicht die konkrete, aktuelle Gruppe und ihre Interaktion, sondern diese Gruppe repräsentiert vielmehr den zu erforschenden Gegenstand« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 103f. [Herv.i.O.]). Daraus ergibt sich ein Vorteil gegenüber Einzelinterviews, da die Diskussionsteilnehmer in der Gruppe viel stärker aufeinander Bezug nehmen und damit dem Interviewer weniger die Rolle eines beeinflussenden Gesprächsinitiators zukommt (Billmann-Mahecha/Gebhard 2014: 150). Dem potenziellen Vorwurf, dass sich die Jugendlichen in den Gruppendiskussionen anderen Meinungen anpassen, kann dahingehend entgegnet werden, da bestimmte Handlungsmuster so stabil sind und sich in den Gruppendiskussionen, die in einem zeitlichen Rahmen von ca. 45 Minuten stattfanden, in gewisser Weise verfestigen und von den Diskussionsteilnehmern unbewusst aktualisiert werden. Dies wird mit dem Begriff des Habitus (nach Bourdieu, in Anlehnung an Panofyky; vgl. Bohnsack 2007: 151) verdeutlicht, der als die Praxis generierendes Moment beschrieben wird. Demnach zeichnet sich jegliches Handeln eines Akteurs durch eine Homologie aus, »die jede Einzelpraxis zu einer ›Metapher‹ einer beliebigen anderen werden läßt« (Bohnsack 2007: 151), jede Handlung also einem gleichen bzw. ähnlichen Muster unterliegt. So zeigt sich bspw. in der Art und Weise, wie ein Familienvater mit dem eigenen Kind, dem Familienauto, der Arbeit im Büro, der Gartenarbeit usw. umgeht, auch ein gleiches bzw. ähnliches Muster: der Sorgfalt, des Effektivitätsstrebens o.ä. Grundlegende Annahmen zum Gruppendiskussionsverfahren werden hier noch einmal zusammengefasst und konkreter auf den Fall der vorliegenden Studie angewendet: •

Rolle der Sprache | Sprechen wird als Möglichkeit des Problemlösens gesehen (Werani 2011: 281). So, wie wir uns erst ein inneres Bild von Räumen machen, bevor wir bspw. Entscheidungen zu Raumeingriffen

248 | U RBANES R ÄUMEN





treffen, so erfolgt auch zunächst ein inneres Sprechen, bevor das Sprechen als Kommunikationsakt der Verständigung mit den anderen Teilnehmern der Gruppendiskussion stattfindet. Dieses wird über den Diskussionsanlass, d.h. die Fragestellung zur Initiierung der Diskussion, erreicht. Konkret bedeutet das, dass sich die Jugendlichen die im Unterrichtsarrangement gemachten Erfahrungen ins Gedächtnis rufen, diese also rekonstruieren, um sie dann verbal zu konstruieren. Erst über die Formulierung und das Aussprechen eines Gedankens wird ein Nachdenken darüber möglich; es kommt zu einer kollektiven Aushandlung dessen (vgl. Fellmann 2014). Rolle des Einzelnen im Kollektiv | Der Meinungsbildungsprozess in einer Gruppe ist kein fragiler, sich stets situationsspezifisch ändernder Prozess, sondern ist durch verschiedene (Denk- und Handlungs-)Muster der Gesprächspartner, die währenddessen aktualisiert werden, vorbestimmt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 104). Da in der vorliegenden Arbeit kollektive Erfahrungen rekonstruiert werden, wird von einem konjunktiven Erfahrungsraum (in Anlehnung an Karl Mannheim, s. Abschnitt 5.3) ausgegangen, in dem die Teilnehmenden der Gruppendiskussion durch ihre Handlungspraxis verbunden sind – auch wenn sie nicht die gleiche Meinung teilen – und an der Aushandlung teilhaben lässt (ebd.). Rolle des Forschenden | Wertschätzung durch seine Offenheit und Neugier den Teilnehmenden der Gruppendiskussion gegenüber, seine Einstellung etwas zu erfahren und die Lernenden zu verstehen.

Daraus ergeben sich folgende Ansprüche an die Durchführung von Gruppendiskussionen: •



Sensibilität für die Gesprächsatmosphäre: Gruppendiskussionen sollten in einer ruhigen, ungestörten, für die Teilnehmenden – soweit das abzuschätzen ist – angenehmen und ungezwungenen Umgebung stattfinden; z.B. können dafür Sitzordnungen aufgelockert werden, der Interviewer setzt sich gemeinsam in einen Sitzkreis etc. Die Interviewenden sowie die Forschenden müssen zudem sensibel sein für Spannungen und Gefühle während der Diskussion und die Wahrnehmung offen halten für Aussagen sowie Störungen usw. Zusammensetzung der Gruppen: »Die Zusammensetzung der Gruppe strukturiert die Ergebnisse der Untersuchung mit« (ebd.: 107). Die Gruppen sollten als Realgruppen zusammengesetzt sein, das heißt, bestenfalls so, wie die Jugendlichen in den Unterrichtsstunden zusammengearbeitet

F ORSCHUNGSMETHODIK | 249

• •



haben oder sich außerhalb der Schule organisieren. Kontraproduktiv zeigen sich hingegen Bestrebungen, absichtlich heterogene Gruppen auszuwählen, da sich die Gesprächsteilnehmer nicht zwangsläufig mehr sagen als homogene Gruppen (ebd.: 108). Die Gruppenzusammensetzung muss offengelegt und in die Auswertung mit einbezogen werden; dazu bietet sich bspw. eine Beschreibung der Atmosphäre vor, während und nach der Gruppendiskussion an, um zusätzliche Kontexte zu berücksichtigen. Adressierungen sind an die gesamte Gruppe zu richten (ebd.: 110) und nie Einzelpersonen, auch wenn Teilnehmer eher schweigsam sind. Offene Eingangsfragestellung: Die Gruppendiskussion beginnt mit einer lockernden Begrüßung und Vorstellung von Seiten des Interviewenden. Die Eingangsfragestellung soll die Jugendlichen zum freien Erzählen anregen, ohne sie schon in bestimmte Richtungen zu lenken. Z.B. geschieht das mit der Aufforderung Erzählt doch einfach mal, wie ihr den Geographieunterricht empfunden habt. Denn gerade im Hinblick auf die Konstitution von Raum – und zwar eines Interaktionsraumes in der Gruppendiskussion selbst – ist es spannend zu sehen, wie die Jugendlichen eigene Räume aushandeln und in Einklang bringen bzw. abgleichen mit den Ansprüchen und Vorstellungen der anderen, wie/ob es zu einem geteilten Erfahrungsraum kommt (Bedeutungszuweisung). Zudem sollen Fragen so vage wie möglich formuliert werden, sodass die Gesprächsteilnehmer von selbst erzählen und nicht die Meinungen des Interviewenden übernehmen. Selbstläufigkeit: dass die Teilnehmer der Gruppendiskussion ungezwungen und selbständig sprechen sowie aufeinander Bezug nehmen, wird u.a. über die Gruppenzusammensetzung garantiert (Realgruppen) sowie die offene Fragestellung zu Beginn, wobei im Verlauf der Gruppendiskussion immanente, das heißt an das von den Teilnehmern Gesagte anknüpfende Fragen gestellt werden dürfen (z.B. Das habe ich nicht verstanden, was ist damit gemeint?). Sollte es zu keinen weiteren Anregungen mehr aus der Gruppe kommen, darf nach einer ausreichenden Zeit exmanent nachgefragt werden, z.B. zu spezifischen Themen, die für das Forschungsinteresse relevant erscheinen. Im Sinne der Offenheit qualitativer Forschungsprozesse sowie der Berücksichtigung der Interessen der Erforschten liegt es im Ermessen der Teilnehmenden der Gruppendiskussion, welche Themen sie wie ansprechen. Auch diese Formen der Bezugnahme auf- und untereinander werden in der Auswertung mit berücksichtigt.

250 | U RBANES R ÄUMEN

5.3 AUSWERTUNG . D OKUMENTARISCHE M ETHODE 1 Eine spezifische Form qualitativer Untersuchungen stellt die rekonstruktive Sozialforschung dar, die – wie der Name vermuten lässt – um die Rekonstruktion von Wirklichkeiten, d.h. das Herauslösen von Annahmen und Wissensbeständen bemüht ist, um »einen Zugang zu den Interpretationsrahmen und Relevanzsystemen der Beforschten an[zu]streben« (Hacke 2012: 125). Grundlage hierfür sind jegliche Äußerungen von Beforschten, nicht die Annahmen der Forscher selbst. Damit geraten also v.a. die individuellen – oft verdichtet zu kollektiven – Sichtweisen der Betroffenen in den Blick. »Das spezifische Erkenntnispotenzial rekonstruktiver Sozialforschung liegt darin, soziale Verhältnisse als Sinnzusammenhänge erfassen zu können und auf diese Weise [...] einen verstehenden Nachvollzug sozialen Handelns zu ermöglichen.« (Meuser 2011: 142) Dabei sind Handlungsweisen unterschiedlich, gründen sie doch auf einer Vielzahl an Motiven und Erfahrungen. Im Fokus der dokumentarischen Methode steht die Untersuchung danach, »welche unterschiedlichen typischen Denk- und Handlungsmuster existieren, wie diese zustande kommen und welche praktischen Konsequenzen sich daraus ergeben« (Kleemann/Krähnke/Matuschek 2013: 154). Dabei wird versucht, das jeweilige »Orientierungswissen« zu rekonstruieren, das das Handeln der Akteure strukturiert (Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013a: 9). Die dokumentarische Methode ist um ein »methodisch kontrolliertes Fremdverstehen« bemüht (Asbrand 2010); sie erlaubt damit Beobachtungen zweiter Ordnung – die Beobachtung der Beobachteten (vgl. Hacke 2012: 131). 5.3.1 Methodologische Einordnung und zentrale Begrifflichkeiten Die dokumentarische Methode gründet auf unterschiedlichen theoretischen Ansätzen, die hier nicht in Gänze nachgezeichnet werden sollen (s. Verweis auf Applis 2012 und Höhnle 2014). Als ihre wesentlichen Initiatoren gelten Karl Mannheim und Harold Garfinkel, die sie in ihrer Wissenssoziologie bzw. Ethnomethodologie methodologisch-erkenntnistheoretisch begründeten (Asbrand

1

Die dokumentarische Methode lässt sich zur Qualitativen Inhaltsanalyse in der Hinsicht abgrenzen, dass letztere in der Typenbildung »eine noch stärkere Standardisierung an[strebt]« (Pfaffenbach 2007: 171). Damit lassen sich zwar größere Textkorpora bewerkstelligen, doch ist die Qualitative Inhaltsanalyse noch keine Interpretation an sich, sondern stellt lediglich eine Verdichtung dar; oft schließt sich daran noch eine Auszählung an (ebd.).

F ORSCHUNGSMETHODIK | 251

2010). Zentral dabei ist die Annahme, dass sämtliches Wissen und damit Handeln nicht allein gesellschaftlich determiniert sind, sondern auch über die jeweiligen Erfahrungen und Einstellungen der handelnden Personen Gültigkeit erhalten (Kleemann/Krähnke/Matuschek 2013: 156). Aus diesem Alltagswissen leitet sich oftmals routinisiertes, unhinterfragtes Handeln ab, welches die Personen teilweise selbst nicht explizieren (können). Die dokumentarische Methode unterscheidet deswegen zwei Wissensformen, die gemeinsam das Alltagswissen bestimmen (ebd.: 156f.): • •

Orientierungsschemata: das Wissen um formale, institutionalisierte Praxen, an denen Handeln ausgerichtet wird; Orientierungsrahmen: Erfahrungen, die der Einzelne im Laufe seines Lebens selbst erlebt hat und an denen er sein Handeln ausrichtet.

Beide werden unter dem Begriff Orientierungsmuster zusammengefasst. Zudem ist es zentral, unterschiedliche Sinngehalte von Handlungen zu unterscheiden. Auf der einen Seite lässt sich Handeln konkret beobachten, auf der anderen Seite umfasst dies einen subjektiv gemeinten Sinn des Handelnden (Hacke 2012: 127), der Motive und Hintergrundwissen umfasst und deswegen nicht auf den ersten Blick erkennbar wird. Sprachliche Aussagen konkret besitzen also einen immanenten Objektsinn, der sich über das Was einer Äußerung definiert. Dieser kann vergleichsweise einfach erkannt und bestimmt werden. Auf der anderen Seite besitzen – i.w.S. – sprachliche Äußerungen einen »im Gesagten durchscheinenden dokumentarischen Sinngehalt« (Kleemann/Krähnke/Matuschek 2013: 160), der deren Zustandekommen bedingt. Dieser wird nicht explizit geäußert und entzieht sich damit einem ersten Blick. Eine Aussage oder Handlung ist somit stets als Dokument für einen gemeinten Sinn zu verstehen.Wenn die Mutter das Kind fragt, warum es bei Rot über die Straße gelaufen ist, und das Kind antwortet, dass es seinen Vater auf der anderen Straßenseite schnell begrüßen wollte, lassen sich aus dieser Aussage nur der Objekt- (Was) und intendierte Ausdruckssinn (Warum) ableiten. Der dokumentarische Sinn aber muss rekonstruiert werden. In der dokumentarischen Methode geht es nun darum, solche impliziten, handlungsleitenden Muster zu erkennen und kontextualisieren (vgl. dazu Tab. 7). Dies ist ganz entscheidend, da Äußerungen nicht vor dem Hintergrund der Annahmen und Wissensbestände des Forschenden, sondern der Beforschten selbst interpretiert werden, d.h. deren Handlungen auch innerhalb ihrer Orientierungsmuster verstanden werden müssen. Erst über die Rekonstruktion entsprechender Erfahrungsräume können Aussagen oder Handlungen verstanden werden (Bohnsack 2011: 44). Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist das zum

252 | U RBANES R ÄUMEN

einen der konjunktive Erfahrungsraum Geographieunterricht; Jugendliche sind aber genauso in weitere Erfahrungsräume eingebettet, z.B. über milieu-, altersoder geschlechtsspezifische Merkmale. In diesen Erfahrungsräumen – und das macht sie gerade aus – verstehen sie sich ohne explizite kommunikative Bezugnahme aufeinander; mögen Aussagen für Außenstehende noch so undurchsichtig oder ohne jeglichen erkennbaren Zusammenhang erscheinen. Doch sind Erfahrungsräume nicht nur sozial bestimmt, sondern ergeben sich auch gruppenspezifisch oder gegenstandsbezogen, wobei das Lernen selbst als Gegenstand, aber auch abstrakte Gegenstände gemeint sein können (Asbrand/Nohl 2013: 158). Trotz dieser möglichen Vielfalt steht zumeist ein Erfahrungsraum im Fokus der Aushandlungen in einer Gruppe, der den übergreifenden Orientierungsrahmen bildet (Bohnsack 2007: 136). Es ist davon abzusehen, solche Erfahrungsräume bereits im Vorfeld zu definieren und zuzuordnen, denn auch sie können erst aus dem Datenmaterial rekonstruiert werden (Bonnet 2009: 225). Dies deutet einmal mehr auf die Komplexität des Forschungsprozesses und erfordert eine hohe Sensibilität des Forschenden sowie eine Reflexion seiner Standortgebundenheit. Damit einher geht die Absage an richtige oder falsche Darstellungen der Aussagen in den Gruppendiskussionen. »Das heißt, es interessiert nicht, ob die Darstellungen (faktisch) wahr oder richtig sind, sondern es interessiert, was sich in ihnen über die Darstellenden und deren Orientierungen dokumentiert.« (Bohnsack 2007: 64 [Herv.i.O.]) Damit wird letztlich die Autonomie der Beforschten anerkannt; sie gelten als Experten in dem Sinne, da sie »selbst nicht wissen [können], was sie da eigentlich (implizit) alles wissen« (Bohnsack 2011: 41). Auch im Kontext der vorliegenden Arbeit wird diesem Umstand Rechnung getragen, da die Forschende in besonderer Weise auf die Aussagen der Jugendlichen angewiesen ist und eine hohe Verantwortung ihnen sowie der Auswertung gegenüber trägt. Tabelle 7: Unterscheidung von Aussagen und ihres Sinngehalts

Wissen Sinngehalt

Handlungsmotive

kommunikativ theoretisch, reflexiv immanent, wörtlich a) Objektsinn (was) b) intendierter Ausdruckssinn (warum) zweckrational (um zu)

konjunktiv atheoretisch, vorreflexiv dokumentarisch, metaphorisch

habitualisiert (inkorporiert)

F ORSCHUNGSMETHODIK | 253

Erfahrungen

Frage nach

kommunikativ, gesellschaftlich  sich verständigen common sense, Alltagstheorien

konjunktiv, milieuspezifisch  selbstverständlich modus operandi, der Habitus, der den Handlungen zugrunde liegt

nachvollziehbare HandKontextverständnis lungsentwürfe Zur Rekonstruktion von handlungsleitenden Orientierungen ist eine Änderung der Analyseeinstellung vom Was zum Wie von Aussagen/Handlungen notwendig. Die Dokumentarische Methode nimmt sowohl die Handlungspraxis (das Was) als auch die Theorien darüber (das Wie), die nicht explizit geäußert werden, in den Blick (Vogd 2004). Dabei ist der dokumentarische Sinn, d.h. die handlungsleitenden Motive, erst über die Kenntnis des Objekt- und intendierten Ausdruckssinns zugänglich. Quelle. Eigene Darstellung in Anlehnung an Vogd 2004 und Bohnsack 2011: 40ff.

Der besondere Wert der dokumentarischen Methode liegt darin begründet, dass über rein explizit Geäußertes hinausgehend den Aussagen und Handlungen zugrundeliegende Motive und Vorstellungen rekonstruiert werden können, die v.a. auch vorschnellen Urteilen gegenüber scheinbar eindeutigen Argumentationen zuvorkommen. Für den unterrichtlichen Kontext bedeutet das, dass v.a. solche als von Lernenden konform angesehenen Antworten hinsichtlich ihres dahinterliegenden Sinngehalts untersucht werden und damit ihr »Kalkül der Ausleserationalität« (Hasse 1995a: 11), nämlich sozial erwünschte Aussagen zu produzieren, umgangen werden kann (Billmann-Mahecha/Gebhard 2014: 149). Zudem eignet sich das methodische Vorgehen besonders gut in der Unterrichtsforschung, da »fachliche Kompetenz in der Analyse der dokumentarischen Methode als Teil des rekonstruierten Orientierungsrahmens greifbar wird« (Bonnet 2009: 226) – so wie auch im vorliegenden Fall die formulierte Kompetenz eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raum(-Konstruktionen) zu erfassen möglich ist, ohne dass dabei Lerneffekte sichtbar gemacht werden müssten. Kompetenzen (i.w.S.), d.h. Wissensbestände der Lernenden werden damit weitestgehend neutral festgestellt – nicht getestet –, um diese im Anschluss daran mit theoretischen Annahmen des jeweiligen Forschungsfeldes abzugleichen und Konsequenzen für einen subjektzentrierten Unterricht abzuleiten. Zugespitzt formuliert, liegt der Wert des methodischen Vorgehens darin, dass die Lehrkraft bzw. der

254 | U RBANES R ÄUMEN

Forschende die Schülerinnen und Schüler verstehen kann, ohne über deren Gedanken oder Handlungen kritisch mutmaßen oder den Jugendlichen gar negative Hintergedanken unterstellen zu müssen. Ausblickend wird dadurch die Rolle der Lernenden positiv wertgeschätzt; genauso profitieren Lehrende letztlich von diesem forschenden Zugang zu Unterricht, indem sie einen ausreichend abstrakten Blick auf Lernen(de) erhalten. Die dokumentarische Methode wird in vielfältigen anderen Forschungskontexten angewendet und fundiert. Es existieren Studien im Bereich der Kinder- und Jugend-, Gender-, Migrations-, Organisationskultur- und Politikforschung, Religionssoziologie und -pädagogik, der Erziehungswissenschaft, Schul- und Sozialpädagogik, Medien- und Rezeptionsforschung sowie der Wissenschaftssoziologie und anderen Bereichen (vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013a: 17ff.). Diese thematische Vielfalt spiegelt auch den methodisch-innovativen Zugang wider; die dokumentarische Methode lässt sich nicht allein auf Texte bzw. Gespräche anwenden, sondern auch auf Bilder, Videos, Portfolios usw. In der kunstpädagogischen Arbeit Andrea Sabischs (2007) z.B. lassen sich Brüche in der Auseinandersetzung von Studierenden mit selbstgewählten Themen rekonstruieren und auf gewisse Handlungsmuster zurückführen. 5.3.2 Vorgehen und Analyseschritte Im Folgenden sollen die für die dokumentarische Analyse der Gruppendiskussionen zentralen Schritte und Bausteine aufgezeigt werden, die auch im Rahmen der Arbeit umgesetzt wurden. Diese sind, trotz ihrer hier linearen Anordnung (vgl. Tab. 8), nicht immer stringent als aufeinanderfolgend zu sehen; vielmehr wechseln sich Arbeitsschritte ab, wiederholen sich etc. (vgl. dazu auch Abb. 13). So werden bspw. nach der Interpretation erster Fälle2 Vergleichshorizonte deutlich, die in die Auswahl weiterer Gruppendiskussionen mit einfließen, sodass am Ende eine multidimensionale Typologie steht (Zeitler/Heller/Asbrand 2012: 58). Im Sinne der Lesbarkeit aber wird auf diese Form der Darstellung zurückgegriffen. Dabei werden jeweils in der linken Spalte das Ziel und die Bedeutung des jeweiligen Arbeitsschrittes sowie in der rechten Spalte das genauere Vorgehen aufgezeigt. Nachdem die Gruppendiskussionen durchgeführt und aufgezeichnet wurden, schließen sich folgende Schritte an:

2

Zum Verständnis eines Falles s. Applis 2012: 161f.

F ORSCHUNGSMETHODIK | 255

Tabelle 8: Arbeitsschritte in der dokumentarischen Auswertung der Gruppendiskussionen Thematischer Verlauf und wörtliche Transkription  strukturierter Überblick zusammenfassende Verschriftlichung der über die gesamte GruppenThemen und eventueller Besonderheiten beim diskussion, auf deren Abhören der Audioaufzeichnungen Grundlage einzelne Passagen ausgewählt und im AnBestimmen der relevanten Passagen nach unschluss transkribiert werden, terschiedlichen Kriterien: da oftmals eine vollständige • Metaphorische Dichte: FokussieTranskription nicht nötig rungsmetaphern, um die die Aushandoder umsetzbar ist lungen kreisen – darin kommt zumeist ein übergreifender Orientierungsrahmen der Gruppe zum Ausdruck, ein »Zentrum des Erlebens der gesamten Gruppe« (Loos/Schäffer 2001: 70) • Interaktive Dichte: schnelle und häufige Sprecherwechsel • Inhaltliche Relevanz: nach Themen • Eingangspassage: da sie eine erste spontane Auseinandersetzung mit der Fragestellung darstellt; d.h. diese wird stets transkribiert und interpretiert Transkription der ausgewählten Passagen, die Grundlage für die sich anschließenden Arbeitsschritte sind Formulierende Interpretation  immanenter Sinngehalt: Was wird gesagt Verbleiben innerhalb des Relevanzsystems der Sprechenden detaillierte Diskursbeschreibung und Feingliederung

Thematische Gliederung, Oberbegriffe, Unterthemen werden in der Sprache des Forschenden formuliert, der dabei auf wörtliche Zitate aus den Transkriptionen zurückgreift

256 | U RBANES R ÄUMEN

Reflektierende Interpretation  Dokumentsinn: Wie wird Beschreibung des Diskursverlaufs (Kategorien gesprochen in Anlehnung an Loos/Schäffer 2001: 66ff.): • Proposition: erste Stellungnahme zu einem Thema = Voraussetzung für die Rekonstruktion des spezifi• Anschlussproposition: neue, geänderte schen Orientierungsrahmens Proposition eines anderen Teilnehmers der Gruppe: wie werden • Elaboration: kann sich in erzählender Themen angesprochen und Form, differenzierend oder oppositiowas zeigt sich darin nell anschließen und dient der Ergän• Treten Rahzung und Differenzierung men(in)kongruenzen • Konklusion: Zusammenfassung des auf? bisher Gesagten und Abschluss eines • Liegen Hierarchien Themas; eine besondere Form ist die vor? rituelle Konklusion, in der einzelne • Kommt ein Gefühl Themen oder unauflösbare Konflikte der Gemeinschaft beseitigt werden zum Ausdruck? • Transition: Konklusion, die anschlie• ... ßend ein neues Thema aufgreift über den Orientierungsrahmen, d.h. die konjunktiven Wissensbestände der Sprechenden, wird zudem das Bewusstsein um die Selektivität der ausgewählten Passagen offengelegt

Beschreibung der Diskursorganisation: in der Art und Weise, wie gesprochen und ob Bezug aufeinander genommen wird, dokumentiert sich der Habitus bzw. modus operandi; es können verschiedene Modi der Diskursorganisation unterschieden werden (Przyborski 2004: 95ff.):

die Reflektierende Interpretation bildet die zentrale Grundlage für die komparative Analyse; sie findet bereits zeitgleich mit ihr statt

inkludierend | es werden gemeinsame Orientierungen sichtbar • parallelisierend: die Aneinanderreihung von Erzählpassagen scheint auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben; den Gesprächsteilnehmern geht es aber »um die gleiche Sache« (ebd.: 96f.)

F ORSCHUNGSMETHODIK | 257

antithetisch: scheinbar gegensätzliche Argumentation, doch den Gesprächsteilnehmern geht es um eine differenzierte Ausgestaltung ihrer Argumente • univok: alle Gesprächsteilnehmer scheinen sich ohne große Schwierigkeiten zu verstehen, oft bejahende Zustimmung exkludierend | es werden keine gemeinsamen Orientierungen sichtbar • oppositionell: unterschiedliche, unvereinbare Orientierungen stehen sich gegenüber • divergent: unterschiedliche Orientierungen bleiben verdeckt nebeneinander stehen, die Gesprächsteilnehmer sind sich nicht einig •

weitere Komponenten des Erfahrungsraumes einer Gruppe (vgl. Bohnsack 2007: 136): • positive Gegenhorizonte: woran die Gruppe orientiert ist, sich dazu bekennt • negative Gegenhorizonte: wovon sich die Gruppe abgrenzt, distanziert (z.B. der sonstige Unterricht...) • Enaktierungspotenziale: woran die Gruppe Handeln orientiert und dieses umzusetzen versucht Komparative Analyse  über die Bestimmung empirischer Vergleichshorizonte werden Orientierungsrahmen bestätigt und damit Fremdattribuierungen durch den Forschenden umgangen3

3

Erschließen der konjunktiven Erfahrungsräume der Sprechenden, welches bereits gleichzeitig mit der reflektierenden Interpretation stattfindet (Asbrand 2010)

Ein »methodisch kontrolliertes Fremdverstehen« (Asbrand 2010) wird zum anderen über den Austausch der Forschungsstände in sogenannten Forschungswerkstätten ge-

258 | U RBANES R ÄUMEN





fallintern: wie werden unterschiedliche Themen innerhalb eines Falles bearbeitet fallübergreifend: wie wird ein gleiches Thema in unterschiedlichen Fällen bearbeitet

»Die komparative Analyse stellt gleichsam den Schlüssel der dokumentarischen Methode dar, denn nur im systematischen Vergleich verschiedener Fälle kann es gelingen, die eigenen, standortgebundenen

»Sobald das Muster bzw. die Regel identifiziert ist, können einzelne Äußerungen als Ausdruck dieses Musters erscheinen, welches zunächst zwar schon an einer einzelnen Passage oder kleinen Äußerung erfassbar ist, sich jedoch an weiteren Passagen als plausibel erscheinen muss.« (Hacke 2012: 148)

ein Thema als Vergleichsmaßstab – das tertium comparationis – ermöglicht das InBeziehung-Setzen unterschiedlicher Fälle zueinander; es bildet »das gemeinsame Dritte, das einen Vergleich erst möglich macht« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 297) • dieses tertium comparationis leitet sich zunächst von den durch die Gesprächsteilnehmer aufgegriffenen Themen ab, konstituiert sich aber auch darin, wie sie diese jeweils aufgreifen und differenzieren (Hacke 2012: 150)

Vorurteile zu relativieren und hierüber zu einer validen und generalisierbaren Typik der beobachteten Phänomene zu gelangen.« (Vogd 2004)

Bedeutung des theoretical samplings: Auswahl weiterer Fälle erfolgt vor dem Hintergrund »konzeptuelle[r] Repräsentativität« (Strübing 2011: 155), das heißt es gilt so viele Ausprägungen wie möglich zu finden, nicht aber so viele Jugendliche wie möglich

währleistet, wodurch auch disziplinübergreifende Perspektiven anderer Forscher in die Interpretationen einbezogen und mit den eigenen Erkenntnissen abgeglichen werden (ebd.). Auch in der vorliegenden Arbeit wurden regelmäßige Forschungswerkstätten u.a. am Lehrstuhl für Didaktik der Geographie der FAU Erlangen-Nürnberg durchgeführt.

F ORSCHUNGSMETHODIK | 259

Fallbeschreibungen Die Fallbeschreibungen dienen der besseren Lesbarkeit und des intuitiven Verständnisses der jeweiligen Gruppen. Sie bilden eine fokussierte Zusammenfassung der Erkenntnisse aus den einzelnen Analyseschritten, die für den Leser andernfalls nur schwer nachzuvollziehen wären. Darin wird das Typische der jeweiligen Fälle deutlich. Die Fallbeschreibungen stellen somit auch die Grundlage für die Typenbildung dar, in der es darum geht, vom Einzelfall abstrahierend ausreichend spezifische und abstrakte Merkmale zu bestimmen. Typenbildung4 Ziel: abduktives Schließen auf Typiken, die sich fallübergreifend ergeben und sich möglicherweise in verschiedenen Erfahrungsdimensionen unterscheiden (Nentwig-Gesemann 2007: 289) dies wird erreicht über die minimale und maximale Kontrastierung: »Der Kontrast in der Gemeinsamkeit ist fundamentales Prinzip der Generierung einzelner Typiken und ist zugleich die Klammer, die eine ganze Typologie zusammenhält.« (Bohnsack 2007: 143 [Herv.i.O.])

4

Unterscheidung zwischen sinngenetischer und soziogenetischer Typenbildung • sinngenetisch: themenbezogener Vergleich der Orientierungsrahmen • soziogenetisch: als spezifischere Form der Typenbildung werden dabei unterschiedliche milieuspezifische konjunktive Erfahrungsräume berücksichtigt »Die Typenbildung ist umso valider je klarer am jeweiligen Fall auch andere Typiken aufgewiesen werden können, je umfassender der Fall innerhalb einer ganzen Typologie verortet werden kann.« (Bohnsack 2007: 143).

Letztlich ist die Typenbildung abhängig von der eingenommenen Perspektive des Forschers, der unterschiedliche Dimensionen der Fälle in den Blick nimmt. Dennoch wird die methodische Kontrolle dahingehend gewährleistet, dass die Vergleichshorizonte des Interpreten methodisch kontrolliert, d.h. gegeneinander abgegrenzt und damit empirisch fundiert werden (Bohnsack 2007: 142). Genaueres zur Typenbildung s. Kap. 6.3.

260 | U RBANES R ÄUMEN

5.3.3 Exemplarische Textinterpretation Um die in Tabelle 8 stichpunktartig aufgeführten Arbeitsschritte der dokumentarischen Textinterpretation zu veranschaulichen, wird im Folgenden ein Teil einer Gruppendiskussion gewählt, anhand dessen exemplarisch nachvollzogen werden soll, wie in den anderen Fällen vorgegangen wurde. Vorab die in der Transkription verwendeten Regeln (nach Bohnsack 2007: 235): |_ _| (.) (2) nein nein °nee° . ; ? , vielleioh=nee nei::n (doch) () ((stöhnt))

Beginn einer Überlappung bzw. direkter Anschluss beim Sprecherwechsel Ende einer Überlappung Pause bis zu einer Sekunde Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert betont laut (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechers/der Sprecherin) sehr leise (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechers/der Sprecherin) stark sinkende Intonation schwach sinkende Intonation stark steigende Intonation schwach steigende Intonation Abbruch eines Wortes Wortverschleifung Dehnung, die Häufigkeit vom : entspricht der Länge der Dehnung Unsicherheit bei der Transkription, schwer verständliche Äußerung unverständliche Äußerungen, die Länge der Klammer entspricht etwa der Dauer der unverständlichen Äußerung Kommentare bzw. Anmerkungen zu parasprachlichen, nichtverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen; die Länge der Klammer entspricht im Falle der Kommentierung parasprachlicher Äußerungen (z.B. Stöhnen) etwa der Dauer der Äußerung.

F ORSCHUNGSMETHODIK | 261

In vereinfachten Versionen des Transkriptionssystems kann auch Lachen auf diese Weise symbolisiert werden. In komplexeren Versionen wird Lachen wie folgt symbolisiert: @nein@ lachend gesprochen @(.)@ kurzes Auflachen @(3)@ 3 Sek. Lachen Gruppe Herbst blau, Eingangspassage: Die Eingangspassage wurde gewählt, da davon ausgegangen wird, dass sich in ihr eine erste, spontane Auseinandersetzung als Reaktion auf das Unterrichtsarrangement zeigt. Diese wird zunächst formulierend und im Anschluss reflektierend so weit interpretiert, bis ein anderes Thema aufgegriffen wird, d.h. sich der Orientierungsrahmen ändert. 21

Ew

22 23 24

Jm

25

Ew

26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Dm

L °der (Max*)° genau und ihr habt ja jetzt eben: eine, ein- einige Wochen glaub ich mit dem Thema städtische Räume (.) L °Ja° L verbracht? Und jetzt würd mich einfach mal interessieren was habt ihr für Erfahrungen gemacht, in den Unterrichtsstunden; wie ist=s euch da so ergangen. 00:00:51 Also, ähm: (.) Also die Quintessense eigentlich, was bei mir hängen geblieben ist, war eigentlich dieser Satz, ähm Räume (.) sind nicht sondern werden gemacht? (.) ähm was halt eigentlich auch so dann der (.) des Ergebnis war unseres Projekts? (.) m:hm (.)u:nd (.) äh mir hat sehr gut gefallen dass wir in der Gruppe so: ä:hm Plakate gestalten konnten, das war das was mir am besten gefallen hat, als wir ähm ja so ähm Kr- Kreise so Kulturkreise zuordnen konnten; und das auf nem Plakat festgehalten haben. (.) @Joa@ (3) L Ja ich fand eigentlich so: thematisch würd ich sagen, ähm am interessantesten halt die: Veränderung bzw. Wie halt (.) eigentlich des was wir jetzt (.) wenn wirs an Personen beschreiben würden würden wir sagen des Image; so wie sich=s halt sich von Räumen entwickelt; mit (.) ä:hm allem was halt dazu gehört. Des is ja eigentlich grundsätzlich des, worüber das ganze Thema ging und ja da ham wir die einzelnen Faktoren halt so irgendwie zerlegt, und es halt genauer betrachtet.

262 | U RBANES R ÄUMEN 46

Mm

47 48

Dm

49

Mm

50 51

Dm

52

Jm

53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

Ew

65 66

Mm

67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84

Dm

L Ach meinst du jetzt so ähm wie X-Stadt* zum Beispiel dass der L Ja. L Ruf vorrauseilt und des dazu kommt und so ja. (2) L Ja genau ja. L Ja. Also, ich muss zwar ehrlich gestehn ich war n Großteil ä:h gar nicht da, °wie ich grad festgestellt hab von dem Projekt° ä:hm (.)°die letzten Stunden° aber ä:hm(.)ja also ich fands (.) auf jeden Fall schon mal sehr interessant und was ich äh vor allen Dingen auch ja erstaunlich fand zu sehen war so ä:hm (.) wie: man Räume eigentlich aktiv auch (.) verändern kann und ähm (.) wie sich auch der Ruf und: des Image von Räumen oder Stadtteilen und so weiter ähm durch einen selber auch verändert und durch die Leute die einfach da wohnen die da arbeiten die da eben irgendwas machen; und ähm wie sehr des tatsächlich auf ähm °ja° die Jenenigen ankommt die die Räume bevölkern und nicht so sehr auf den Raum an sich; °ja.°(3) L °Sonst noch?° 00:03:04 L Ja also; des was er gesagt des stimmt. Also das man wirklich vorher, (.) sich gar nicht so Gedanken macht warum? ähm ist n Stadtteil, (.) ähm: vielleicht in der Gesellschaft nicht so angesehn, entwickelt sich dann aber? Was ja oft Beispiele gezeigt haben, zu nem kulturellen ähm Zentrum also jetzt in äh Berlin zum Beispiel ähm °jetzt wirklich ähm ja° jetzt auch ähm Y-Stadt*? ((unsicher)) glaub ich, ist jetzt auch n Stadtteil der sich langsam jetzt weiter entwickelt; (.) oder ähm in London zum Beispiel, ähm durch die olympischen Spiele? (.) auch des war ja auch ein Thema bei uns ähm wie sich da n- durch ein Ereignis, ähm durch die Leute da, näh Stadtteil innerhalb von Jahren, ähm zu was ganz Anderem entwickelt. (.) Ja. also das fand ich sehr? L ja also mir ist viel halt aufgefallen dass auch, so wo ich normal rum lauf, weil wo ich sonst nicht (.) also (.) Sachen über die ich sonst nicht drüber nachdenk. Also ich bin jetzt °ich wohn in H-berg°*, da ist eigentlich schon alles eher so=n bisschen? ja ich sag mal so so in Richtung U-stein* mäßig (.) so vom Aufbau der Städte äh des

F ORSCHUNGSMETHODIK | 263

Ortes sag ich mal. (.) und ähm zum Beispiel am Bahnhof, i:s vor zwei Jahren oder so, die Unterführung die war immer also ein sagen wir mal @Schandfleck@

85 86 87

Formulierende Interpretation Thema der Passage: Persönliche Erfahrungen mit dem durchgeführten Unterricht Zeilenangabe 21-28

29-32

33-37

38-43

44-45 46-51 52-54 55-63

5

Themen und Inhalte Oberthema (OT): Erfahrungen zum Unterricht zu städtischen Räumen Nachdem die Teilnehmer ihre Namen gesagt haben, fragt die Interviewerin (Ew5) nach, wie es den Schülern »ergangen« ist und was sie »für Erfahrungen gemacht« haben in dem Unterricht zu städtischen Räumen, kurz bestätigend mit »Ja« unterbrochen durch Jm Unterthema (UT): die »Quintessense« für Mm aus dem Unterricht war eben »dieser Satz«: »Räume sind nicht sondern werden gemacht«, was er als »Ergebnis« des Projekts bezeichnet UT: außerdem hat Mm »sehr gut gefallen«, dass sie Plakate »in der Gruppe« machen durften, auf denen sie »Kulturkreise zuordnen konnten« UT: Dm fand »thematisch [...] am interessantesten [...] die Veränderung« von Räumen, was er mit dem »Image« von Personen vergleicht UT: Dm erklärt, dass sie »die einzelnen Faktoren halt so irgendwie zerlegt« haben, »es halt genauer betrachtet« UT: Beispiel X-Stadt UT: Jm hat »n Großteil« gefehlt im Unterricht, wie er »grad festgestellt« hat UT: Jm »fands auf jeden Fall schon mal sehr interessant«, »erstaunlich« war für ihn »wie man Räume eigentlich aktiv auch verändern kann« und »des Image von Räumen [...] durch einen selber auch verändert« werden kann, insgesamt kommt es »nicht so sehr auf den Raum an sich« an, sondern die Menschen, »die die Räume bevölkern«

Die Kleinbuchstaben nach den Namenskürzeln stehen entweder für weiblich (w) oder männlich (m).

264 | U RBANES R ÄUMEN

64-65 66-78

79-87

UT: Nachfrage Interviewerin nach weiteren Erfahrungen UT: Jm führt an, dass man »sich gar nicht so Gedanken macht warum« ein Stadtteil z.B. »nicht so angesehn« ist, und sich Räume aber entwickeln, was sie an vielen Beispielen gesehen haben; »wie sich da n durch ein Ereignis, ähm durch die Leute da, n äh Stadtteil innerhalb von Jahren ähm zu was ganz Anderem entwickelt« Dm ist »viel halt aufgefallen«, wo er »sonst nicht drüber nachdenk[t]«, Beispiel der Unterführung, die »immer also ein [...] Schandfleck« war

Reflektierende Interpretation Zeilenangabe 21-28

29-37

38-45

Interpretation Proposition der Interviewerin, die mit ihrer Eingangsfragestellung offen den Jugendlichen gegenübertritt und nach den Erfahrungen im Unterricht fragt. Proposition durch Mm, der direkt an die Erzählaufforderung der Interviewerin anknüpft und mit dem als »Quintessense« – das Wort hebt er in der Betonung hervor – bezeichneten Satz »Räume sind nicht sondern werden gemacht« das für ihn wichtig Erscheinende aus den Unterrichtsstunden zusammenfasst und zusätzlich mit dem Wort »Ergebnis« bestätigt. Ohne weitere ausführlichere Be- bzw. Umschreibungen stellt Mm zielgerichtet seine Meinung dar. Auch hebt er positiv hervor (»sehr gut gefallen«, »am besten«), dass ihm die Arbeitsweise, konkret das Gestalten von Plakaten, gefallen habe. In seinen Äußerungen dokumentiert sich eine erste Orientierung an Präzisierung, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen Inhalt (Was er sagt) und Form (Wie er dies tut) ableiten lässt. Nach einer drei Sekunden dauernden Pause schließt Dm seine Proposition zu seinen Erfahrungen mit dem Unterricht an, was er im gleichen Modus tut wie sein Vorredner Mm – und zwar, indem er zuerst »thematisch«, in diesem Fall die Veränderung von Räumen, und daraufhin das formale Vorgehen im Unterricht erläutert, nämlich wie sie Themen behandelt haben: indem sie »die einzelnen Faktoren halt so irgendwie

F ORSCHUNGSMETHODIK | 265

46-51

52-63

zerlegt« haben und damit eine genauere Betrachtung möglich wurde. In der Analogie von Räumen und Personen, d.h. indem Dm Veränderungen von Räumen mit dem »Image« von Personen vergleicht, kommt eine erste Fokussierung auf die Menschen i.w.S. zum Ausdruck, denen im weiteren Verlauf Bedeutung vor dem Hintergrund der Behandlung von Räumen zugesprochen wird. Bereits in den ersten beiden Redebeiträgen zeigt sich eine positive Orientierung der Jugendlichen an Leistung, die hier zunächst noch auf den unterrichtlichen Bereich bezogen ist, sich durch komparative Analyse jedoch fallintern auch an anderen Themen zeigen lässt. Diese zentrale Orientierung wird besonders auch auf explizit sprachlicher Ebene deutlich (»Ergebnis«, »Quintessense«, »festgehalten«). Anschlussproposition Mm, der sich vergewissern möchte, dass er verstanden hat, was Dm mit der Veränderung meinte, indem er ein Beispiel aus der Stadt anführt, was wiederum bestätigt wird (»Ja genau ja«). Hier scheinen sich die Jugendlichen sofort zu verstehen, auch wenn nur das Schlagwort – d.h. der Stadtteil – genannt wird; es bedarf dazu keiner weiteren Erläuterung. Daran zeigt sich ein Bezug zur eigenen Lebenswelt, ihrer Heimatstadt, anhand derer sie Beispiele übertragen. Proposition Jm, der zu Beginn zunächst – sehr leise sprechend – feststellt, dass er einen Großteil im Unterricht gefehlt hat, da er offensichtlich nicht die gleichen Erfahrungen gemacht hat, wobei nicht explizit deutlich wird, woran er das festmacht. Auch daran zeigt sich die Orientierung an Leistung, und zwar in negativer Exemplifizierung, da Jm sich eigenes Fehlen eingesteht – deswegen auch leiser spricht. Auch er betont besonders über die Wortwahl (»auf jeden Fall«, »sehr interessant«, »erstaunlich«), was er aus dem Unterricht mitgenommen hat, und zwar die Möglichkeiten der Veränderungen und selbst aktiv zu werden. Jm steigert sich in seinen Aussagen (»die da wohnen die da arbeiten die da sonst was machen«) und präzisiert damit den Gegenstand immer weiter. Er weist indirekt denjenigen, »die die Räume bevölkern« besondere Verantwortung in der Veränderung zu (darauf »ankommt«). Insgesamt sprechen die Jugendlichen dem

266 | U RBANES R ÄUMEN

64-65

66-78

79-87

Individuum (sich selbst und allgemein) eine besondere Verantwortung zu, was wiederum im Zeichen ihrer Leistungsorientierung steht. Diese zeigt sich auch in der Art und Weise der Bezugnahme ihrer Aussagen zur Interviewerin; alle Teilnehmer halten sich implizit an ihre Frage. Erneute kurze Nachfrage der Interviewerin nach einer kurzen Redepause. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Teilnehmer der Gruppendiskussion – nachdem alle gesprochen haben – eine weitere Frage erwarten. Zunächst bestätigt Mm die vorangegangene Aussage Jms explizit (»was er gesagt des stimmt«), bevor er daran anschließend exemplifizierend weiter ausführt, dass man sich sonst über Dinge wenig Gedanken gemacht habe. Besonders wichtig ist ihm zu betonen, dass neu Gelerntes durch Beispiele im Unterricht bestätigt wurde (»Was ja oft Beispiele gezeigt haben«). Das Anknüpfen an die eigene Alltags- bzw. Erfahrungswelt ist den Jugendlichen wichtig, sie sind ebenso positiv an den Erfahrungen ihres eigenen Umfeldes orientiert – was sich auch in den folgenden Redebeiträgen zeigt. Anschlussproposition Dms, der an die alltäglichen Erfahrungen bzw. konkreten Beispiele seines Vorredners anknüpft um eigene Erlebnisse anzusprechen (»mir ist viel halt aufgefallen«). Darin zeigt sich die positive Orientierung an Autonomie, an der Artikulation eigener Meinungen und Erfahrungen. Insgesamt scheinen die Jugendlichen zurückhaltend und strukturiert in ihren Redebeiträgen. Sie fallen sich nicht ins Wort, und wenn dann nur, um sich gegenseitig zu bestätigen. Alle Sprecher stellen ihre Meinungen fokussiert dar, ziehen gewissermaßen ein Fazit. Auch daran zeigt sich ihre positive Leistungsorientierung, die sie mit Präzision verfolgen. Diese scheint mittels der Einhaltung von (explizit oder implizit) vorgegeben Strukturen möglich, was sich u.a. in der Verteilung der Redebeiträge zeigt: die Jugendlichen halten gewissermaßen eine Reihenfolge ein, in der sie abwechselnd sprechen. In der parallelisierenden Diskursorganisation dokumentiert sich ihre autonome Positionierung und die Anerkennung der anderen Sichtweisen. Es zeigt sich, dass es ihnen um eine gemeinsame Sache geht; Differenzen äußern sich nicht

F ORSCHUNGSMETHODIK | 267

offensichtlich im Diskursverlauf. Im Verlauf der Passage präzisieren die Jugendlichen Aussagen immer weiter, bzw. abstrahieren, und zwar auch weg vom Unterrichtsgeschehen selbst, indem sie bspw. verstärkt über alltägliche Erfahrungen sprechen. Im Anschluss daran bzw. zeitgleich mit diesen Schritten erfolgt die komparative Analyse, über die Vergleichshorizonte an das Material herangetragen werden, um erste Orientierungen empirisch zu validieren und damit die eigene Interpretation seitens der Forschenden zu reflektieren. Dies wird ausführlicher in Kapitel 6.2 dargestellt.

5.4 P OTENZIALE

DER METHODISCHEN

W AHL

5.4.1 Allgemeine Kriterien Als ein ganz wesentliches Merkmal qualitativer Forschung gilt die Angemessenheit der Methode an den jeweiligen Forschungsgegenstand. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Forschungsinteresses bedeutet das, dass Lernen bzw. konkret Raumaushandlung im Sinne einer sozialen Interaktion als ein Prozess gemeinsamer Verhandlung aufgefasst wird. Das Erhebungsverfahren der Gruppendiskussionen berücksichtigt die soziale Interaktion der Jugendlichen in besonderem Maße (vgl. Schritt der Reflektierenden Interpretation). Auch soll hier nochmals betont werden, dass eine erfahrungsbasierte Kommunikation angestrebt wird, und deswegen »die zu untersuchenden Handlungsprozesse [...] in ihren Alltagskontexten situiert« (Martens 2010: 112) werden, wobei mit Alltag der schulische Alltag bzw. Geographieunterricht i.e.S. gemeint ist. Das bedeutet, die Jugendlichen über Erfahrungen von Räumlichkeit vor dem Hintergrund des durchgeführten Unterrichtsarrangements diskutieren zu lassen (vgl. ebd). Alle Forschung, und besonders solche mit Kindern und Jugendlichen, greift in deren Privatsphäre ein. Diese während der gesamten Untersuchung zu respektieren, stellt eine anspruchsvolle Aufgabe dar und verweist auf die Standortgebundenheit des Forschenden, der seine eigenen Vorstellungen und Begründungsmuster bei der Interpretation reflektieren und offenlegen muss. »Dieser Umstand lässt sich nicht grundsätzlich heilen« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 297), doch werden im Auswertungsschritt der Komparativen Analyse zunehmend eigene, implizite Vergleichshorizonte durch empirisch belegbare ersetzt. Besonders auch im Rahmen der Arbeit mit Jugendlichen sollen damit

268 | U RBANES R ÄUMEN

vorschnelle Urteile hinsichtlich ihrer eigenlogischen, nicht selten »entgrenzenden Praktiken« (Gaffer/Liell 2007: 183; vgl. Stichwort Jugendkulturen) vermieden werden. Mit der dokumentarischen Methode gelingt es zudem, Meinungen als kollektive Muster darzustellen, ohne dass dabei einzelne Aussagen von Lernenden herausgegriffen und Personen eventuell bloßgestellt werden. Es geht um das Erfassen kollektiver Phänomene: Dafür muss nicht die hinterste Ecke der Psyche der Jugendlichen verstanden – wenn auch reflektiert – werden, z.B. welche Rolle ihr Selbstkonzept in der raumbezogenen Argumentation spielt. Schließlich wird es weder gelingen noch wünschenswert sein, in alle Lebensbereiche von Jugendlichen vorzudringen, um mögliche Bedingungsfaktoren ihrer Handlungen und Bewertungen aufzuzeigen (vgl. Muri/Friedrich 2009: 133), gerade auch vor dem Hintergrund ihres als besonders wechsel- bzw. sprunghaft verstandenen Lebensabschnittes. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass besonders jugendkulturelle Praktiken zum einen habitualisiert (verfestigt) und zum anderen aktionistisch (spontan) stattfinden, diese also wiederum durch Kontinuität auf der einen und Situativität bzw. Eigendynamik auf der anderen Seite bestimmt sind, dann ist es die dokumentarische Methode, die in den Schritten des systematischen Vergleichs genau jener unterschiedlichen Zeitlichkeiten Rechnung tragen kann, da sie besonders den vorreflexiven, kollektiven Charakter des Handelns in den Blick nimmt (Gaffer/Liell 2007: 184). Das Aufzeigen der sich – aus Sicht der Jugendlichen – als relevant ergebenden Bedeutungen kann wiederum nicht in objektivierender Manier erfolgen, indem Faktoren ausgezählt und dargestellt werden. Wo es in anderen Forschungsfeldern durchaus ausreichend erscheint, die materiellen Verbindungen zwischen Akteuren und den Dingen herauszustellen, geht es in dieser Arbeit darum, die Bedeutsamkeiten zu rekonstruieren. Es genügt demnach nicht zu wissen, dass ein Jugendlicher nachts ungern durch einen Park läuft, da dort keine Beleuchtung vorhanden ist. Vielmehr interessiert, aus welchen zugrundeliegenden kollektiven Orientierungen Handlungen vollzogen werden. »Während die Träger der Bedeutungen, die Vehikel, räumlich darstellbar sind, kann man die Bedeutung, die die Gegenstände für die Subjekte haben, weder kartieren noch an den Gegenständen ablesen.« (Dickel 2006b: 127) Mittels dokumentarischer Methode werden handlungsleitende Bedeutungszuweisungen dennoch in der Typenbildung fixierbar und zugleich garantiert, dass Erkenntnisse so konkret formuliert sind, dass Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können (vgl. Kap. 7.1).

F ORSCHUNGSMETHODIK | 269

5.4.2 Begründung aus unterrichtspraktischer Sicht Geographieunterricht wird von einer Anzahl unterschiedlicher Ansprüche und Anforderungen bestimmt und gelenkt, die wiederum das Unterrichtsgeschehen, das heißt, das konkrete Handeln der Lernenden und Lehrenden beeinflussen. Zum einen zählen dazu externe Faktoren, wie z.B. bildungspolitische Vorgaben, die Geographieunterricht auf eine bestimmte Art und Weise normieren und vor dem Hintergrund der Formulierung unterschiedlicher Zielbestimmungen in Bahnen zu lenken vermögen. Darunter fällt auch der in dieser Arbeit formulierte Anspruch eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen, der als ein Ziel von Geographieunterricht verstanden wird. Zum anderen ist die lehrende Person eine entscheidende Schnittstelle, die den Lernenden Inhalte und Methoden, aber auch Stimmungen, Gefühle, sowie Werte und gewisse Notwendigkeiten vermittelt, die wiederum durch eigene subjektive Theorien beeinflusst sind, dabei aber nicht explizit werden. Neben diesen das Handeln der Lernenden beeinflussenden Faktoren spielen auch eine Menge anderer Motive eine Rolle, die letztlich auf raumbezogenes Handeln (und Sprechen) wirken, sich aber weder allein aus kommunikativen Erfahrungen schlussfolgern noch an einzelnen Personen festmachen lassen, sondern als kollektive Erfahrungen geteilt und verhandelt werden (Kraus 2009: 194). Diese konjunktiven Erfahrungen gilt es zu berücksichtigen, um letztlich mit diesem Wissen Unterrichtsprozesse neu verstehen und evtl. anders steuern zu können. Aus diesem Grund erweist sich die dokumentarische Methode als Auswertungsinstrument in besonderem Maße förderlich, da sie genau jene handlungsleitenden und nicht explizit zugänglichen Orientierungen zu rekonstruieren in der Lage ist. Diese Muster gilt es nicht, auf einer individuellen Ebene zu bestimmen, genauso wenig besonders auffällige oder abweichende Jugendliche darzutun, da (Geographie-)Unterricht letztlich auch nicht immer auf jeden einzelnen Lernenden Rücksicht nehmen kann – es geht darum, kollektive Muster der Handlungspraxis Jugendlicher zu rekonstruieren und darauf aufbauend Typen zu charakterisieren, mit deren Hilfe Lernprozesse verstanden und gelenkt werden können. Damit soll gleichzeitig vermieden werden, allein von der einen Jugend oder den Schülern als homogene Gruppe zu sprechen und ihnen voraussagbares Handeln zuzuschreiben, sondern vielmehr ein differenzierter Blick auf unterschiedliche Handlungsweisen ermöglicht werden (vgl. Subjektzentrierung). »Die Methode der Gruppendiskussion ist für diese Tiefendimension von Vorstellungswelten deshalb geeignet, weil sie die Erfassung von Widersprüchen, sozialen Aushandlungsprozessen und persönlichen Bezügen nicht nur nicht ausschließt, sondern systematisch in den Blick nimmt.« (BillmannMahecha/Gebhard 2014: 148)

270 | U RBANES R ÄUMEN

Sie ist offen für die Vielfalt jugendlicher Modi der Raumaneignung, die über den schulischen Erfahrungsraum hinausgehend beeinflusst werden (vgl. Rauschenbachs »andere Seite der Bildung«). In der Auswertung der Gruppendiskussionen geht es nicht darum zu prüfen, ob die Jugendlichen Themen und Zusammenhänge richtig verstanden haben und wiedergeben können. Etwas Neues – z.B. im Sinne des Unterrichtsarrangements – kann durchaus irritieren und von außen eventuell noch als Abneigungshaltung interpretiert werden; beim Lernenden aber können sich intensive Prozesse der Auseinandersetzung mit dem Thema zeigen, die im gemeinsamen Gespräch verhandelt und verstanden werden. Denn während der Gruppendiskussionen kann davon ausgegangen werden, dass eine Perspektivenkoordination erfolgt. Das bedeutet, dass – nicht nur konfliktreiche Situationen, sondern ganz alltägliche – Fragestellungen von den Lernenden intensiver verhandelt werden und dabei die Informationsverarbeitung i.S. der Erzeugung von Handlungsstrategien besonders gestärkt wird (Mischo 2004: 35). Mit der Durchführung von Gruppendiskussionen im Anschluss an den Unterricht erhalten die Lernenden zudem Zeit, Lerngegenstände zu verarbeiten, ja mit Abstand zu betrachten. So käme eine Prüfung direkt im Anschluss an einzelne Unterrichtsstunden eventuell auf schlechte Schülerleistungen, da sie bspw. Hausaufgaben nicht verstanden und deswegen nicht erfüllt haben. In der gemeinsamen Auseinandersetzung jedoch lassen sich die wesentlichen Hintergründe und Bedingungen dafür rekonstruieren und damit über die expliziten Äußerungen hinausgehend implizite Handlungsmuster erkennen. Die Gruppendiskussionen geben den Lernenden die Möglichkeit der ungezwungenen Meinungsäußerung und damit selbsttätigen Auseinandersetzung mit den Erfahrungen aus dem Unterricht. Mittels der Schülermeinungen sollen keine Hypothesen überprüft, sondern neue Erkenntnisse generiert werden, die für das Unterrichten von praktischer Relevanz und dabei dem Lehrenden im Verständnis jugendlicher raumbezogener Handlungen und Urteile dienlich sind. 5.4.3 Begründung aus spezifisch raumbezogener Sicht Konkret stellt sich nun die Frage, warum die methodischen Entscheidungen in der Untersuchung zur Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen gewählt wurden. Welche Bedeutung nimmt der Raum in der dokumentarischen Methode ein? Raumwahrnehmungen sind höchst komplex und damit auch empirisch schwer zugänglich, da sie sich über längere und kürzere Zeiträume verändern können. Dabei ist der Mensch selbst nicht in der Lage, »schleichende, sich über lange Zeiträume erstreckende Veränderungen wahrzunehmen« (Hübner 2014: 5,

F ORSCHUNGSMETHODIK | 271

zit. nach Döring-Seipel 2008: 551). Auch wenn eigene Wahrnehmungsänderungen verbalisiert werden können, so gibt es kein Organ, welches es uns erlaubt, diese sichtbar zu machen (ebd.). In den Gruppendiskussionen werden vordergründig (Raum-)Wahrnehmungszustände – die zwangsläufig Produkte eines Prozesses sind – konstatiert und als Prozesse (Wie kommen diese Ausprägungen zustande?) ausgewertet. Wir haben es hier mit einer prozessanalytischen Rekonstruktion von Handlungspraxis zu tun (vgl. Bohnsack 2007: 61). Eine Veränderung der Raumwahrnehmung im Sinne eines Lernprozesses hingegen ließe sich weitaus schwieriger erfassen, sowohl für den Wahrnehmenden selbst als auch für den Forschenden. Aus diesem Grund wurde auf eine Prä-Post-Erhebung verzichtet, die einen Zustand vor und nach der Durchführung eines Unterrichtsarrangements misst. Menschliches Denken und Handeln sind stets räumlich; wir machen uns ein (verräumlichtes) Bild von der Welt, bevor wir Dinge bspw. aussprechen oder durchführen. Individuelle Vorstellungen wirken sich auf den Raum aus, auch wenn dies nicht immer auf den ersten Blick sichtbar wird. Die dokumentarische Methode wird der Unterscheidung und Anerkennung der gegenseitigen Bedingtheit des physisch-materiellen und mentalen Raumes gerecht. Anders formuliert: Menschen stellen ständig (mentale) Räume her; sie tun das in unbewusster, da alltäglicher Weise und richten ihre Handlungen daran aus. Wir sprechen dabei auch von konjunktiven Erfahrungsräumen. Sie ziehen unbewusst Grenzen, entscheiden sich für den einen oder den anderen Weg, den einen oder anderen Wohnort usw. Wenn darüber hinaus anzunehmen ist, dass sich Jugendliche nicht bewusst mit der Herstellung von Räumen i.e.S. auseinandersetzen, Räume demnach zwar als sozial hergestellt verstehen, aber in den Gruppendiskussionen nicht explizit auf Modi der Raumkonstruktion eingehen (vgl. Dobler/Pichler 2004: 40), kann in der Rekonstruktion ihrer Vorstellungen handlungsleitendes, raumkonstitutives Wissen in einen kommunikativen Sinngehalt übertragen werden. Deswegen geht es nicht um das Raumverständnis der Neuen Kulturgeographie, das in den Gruppendiskussionen abgefragt wird, sondern die Rekonstruktion der Blicke (auf Räume), über die sich ein Raumverständnis ableiten lässt. Denn – ohne das Ziel eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen als normativen Maßstab an die Lernenden heranzutragen – zwar können die Jugendlichen äußern, dass sie raumrelevante Prozesse durch die Unterrichtsreihe verstanden haben und sogar kritisch damit umgehen können, doch wird das den Bewertungen zugrundeliegende implizite Wissen erst über ihre Äußerungen rekonstruiert. Da Raumkonstruktionen ganz entscheidend von Wahrnehmungen und Vorstellungen abhängen, d.h. subjektiv ganz unterschiedlich erlebt und hergestellt

272 | U RBANES R ÄUMEN

werden, muss sich ihnen nachvollziehend, d.h. verstehend genähert werden. Die Gruppendiskussionen stellen eine besondere Form der Herstellung von Räumen dar. Die Jugendlichen setzen sich zunächst individuell mit Räumen i.w.S. auseinander; in der gemeinsamen Auseinandersetzung überlagern sich folglich verschiedene Raumkonstruktionen, in denen sich verschiedene Orientierungen dokumentieren. So lassen sich bspw. ähnliche Themen, die häufiger angesprochen werden, z.B. die Bedeutung des jeweiligen Wohnortes (i.S. der Herkunft) der Jugendlichen auf einer immanenten Sinnebene erkennen, was wiederum auf unterschiedliches implizites Wissen schließen lässt. Zwar lassen sich emotionale Ortsbezüge sprachlich ausdrücken, doch enthalten diese oftmals viel mehr als das, was an der Oberfläche sichtbar wird. Da Raumwahrnehmungen und -konstruktionen zudem immer auch mit Bewertungen und Urteilen einhergehen, müssen diese in den Gruppendiskussionen genauso erlaubt sein. Die Jugendlichen erhalten die Gelegenheit, »ungestraft symbolische Kämpfe austragen [zu] können« (Kraus 2009: 197) und mentale Räume auszuhandeln. Diese in den Gruppendiskussionen entstehende Perspektivenvielfalt wird letztlich für die Typenbildung genutzt, in der es darum geht, mehrdimensionale Typen von Modi der Raumaneignung der Jugendlichen darzustellen. Berücksichtigung finden in den Gruppendiskussionen zudem bestimmte Atmosphären und räumliche Anordnungen, denn: »Wie alles menschliche Wahrnehmen, Denken, Vorstellen und Handeln ist schließlich auch alle Erziehung räumlich.« (Becker/Bilstein/Liebau 1997a: 14) So kann bspw. der Ort, an dem die Gruppendiskussion stattfindet, gewisse Stimmungen innerhalb der Gruppe beeinflussen sowie Meinungen lenken. Dazu reicht ein Blick aus dem Fenster, das aufmerksam Werden auf Personen etc., um gedankliche Vorgänge anzuregen. Auch solche Faktoren finden in der Auswertung Beachtung (vgl. Hinweise zur Durchführung der Gruppendiskussionen). Die Vielschichtigkeit der (Re-)Konstruktionsprozesse von und in Räumen soll anhand von Abbildung 11 mithilfe des Beispiels der MappingAktion der Jugendlichen verdeutlicht werden. Die Gruppendiskussionen als Rekonstruktionen ihrer Konstruktionen sind besonders vielschichtige Räume mit vielfältigen sozialen Eigenlogiken, die sich aus den vorherigen Erfahrungen ergeben (s. unterschiedliche gefärbte Pfeile).

F ORSCHUNGSMETHODIK | 273

Abbildung 11: (Re-)Konstruktionsprozesse der Jugendlichen und deren Bedingungen in den unterschiedlichen Handlungskontexten

Auch im Hinblick auf die Rolle des Forschenden ergeben sich gewisse Potenziale aus der methodischen Wahl, denn prinzipiell besitzt alle »raumbezogene qualitative Sozialforschung (und nicht nur diese) selbst raumkonstitutiven Charakter« (Vilsmaier 2013: 287). Das bedeutet, dass bereits der Forschende, beeinflusst durch eigene Vorstellungen und Vorannahmen, Räume herstellt bzw. tendenziell eigene Vorstellungen von Raum, vom Lernen, von Jugendlichen usw. in die Forschungen einfließen. Der hier gewählte rekonstruktiv-qualitative Zugang zeichnet sich zudem durch eine besondere Offenheit des Forschenden aus, der auch nicht-ausgesprochene Zeichen mitdenken und in die Interpretation aufnehmen sollte. Damit dies nicht allein vor dem Hintergrund eigener Denk- und Handlungsweisen geschieht, werden in der Phase der komparativen Analyse empirische Gegenhorizonte zum fallinternen und -übergreifenden Vergleich herangezogen. Besonders in »raumbezogener Forschung besteht daher die Notwendigkeit, das Verhältnis zwischen dem Subjekt der Forschung und ihrem Forschungsgegenstand in die Untersuchung selbst mit einzubeziehen« (ebd.). Auch aus diesem Grund wurde die konzipierte Unterrichtsreihe nicht von der Forschenden selbst, sondern den jeweiligen Geographie-Lehrkräften durchgeführt. Eine Lenkung auf bestimmte Schwerpunkte kann demnach mit dem Argument eines erfahrungsbasierten Unterrichts wenn nicht ausgeschlossen, dann aber zumindest in großem Maße zurückgewiesen werden. Zudem ist durch die Konzipierung der Unterrichtsstunden eine Subjekt- und Handlungszentrierung, d.h. die besondere Berücksichtigung der Perspektiven der Lernenden, gewährleistet. Trotz intentionaler und damit in gewisser Weise normativ aufgeladener Konzipierung der Unterrichtsreihe kann nie davon ausgegangen werden, dass im Vorfeld konstruierte Lernziele 1:1 umgesetzt und von den Lernenden ebenso aufgenommen werden. Deswegen wird sich offen den Modi der Lernenden genähert und rekonstruiert, wie sie sich das Bildungsarrangement aneignen. Und

274 | U RBANES R ÄUMEN

schließlich, in Anknüpfung an die handlungszentrierte Sozialgeographie, »die es sich zur Aufgabe macht, die Bedeutung bzw. Probleme der räumlichen Anordnungsmuster materieller Artefakte für die Handlungen von Kindern [und Jugendlichen] zu untersuchen und die praktische Lösungsvorschläge aufzeigen will« (Monzel 2007: 109), erweist sich die Rekonstruktion handlungsleitender Motive über die Aussagen der Jugendlichen in den Gruppendiskussionen als zielführend. Denn auch über die Anordnung – im übertragenen Sinne – unterrichtlicher Gegenstände lassen sich mithilfe der dokumentarischen Methode Bedeutungszuweisungen der Lernenden für die praktische Umsetzung ableiten.

6. Ergebnisse

Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt und zusammengefasst. Bevor jedoch ausführlicher auf die Arbeitsschritte zur Darstellung der Schülerorientierungen eingegangen wird, scheint es geeignet, zunächst einige Erkenntnisse fokussiert aufzuzeigen, um ein besseres Verständnis und einen nachvollziehenden Zugriff auf die unterschiedlichen Diskussionsgruppen zu erhalten. Um dem Leser den Gang der Untersuchungen transparent zu machen und zu zeigen, wie sich die Rekonstruktion der Orientierungen der Jugendlichen entwickelt, wird dies in dem darauffolgenden Abschnitt (Kap. 6.2) exemplarisch anhand einzelner Passagen nochmals aufgeführt. Daran schließt die Typenbildung (Kap. 6.3) an, in der unterschiedliche Weisen der Konstruktion von Räumen deutlich gemacht werden.

6.1 F ALLBESCHREIBUNGEN Die sich anschließenden Fallbeschreibungen haben das Ziel, dem Leser in fokussierter Form das je Spezifische der einzelnen Fälle darzulegen (vgl. dazu Bohnsack 2007: 139ff.). Sie geben eine Zusammenfassung der vorausgegangenen Interpretationen, wie sie in Kapitel 5.3 verkürzt dargestellt wurden. Die Fallbeschreibungen sind alle wie folgt strukturiert (in Anlehnung an Lamprecht 2012): Die atmosphärische Beschreibung, die neben räumlich-materiellen Eindrücken auch Stimmungen der Teilnehmer vor und während der Gruppendiskussion festhält, ermöglicht es, die interaktive Bezugnahme der Diskussionsteilnehmer untereinander über sprachliche Äußerungen hinausgehend festzuhalten und damit die Falllogik im Hinblick auf ihre räumlich-atmosphärische Gestaltung herauszuarbeiten (kursiv geschrieben). Daran schließt sich der thematische Verlauf an, der die zentralen Themen aus den Gruppendiskussionen aufführt, um zu zeigen, welche Schwerpunkte die Jugendlichen selbst oder angeleitet durch den

276 | U RBANES R ÄUMEN

Interviewenden setzen. In einem dritten Abschnitt wird sich den spezifischen Orientierungen, die aus dem Material rekonstruiert wurden, gewidmet. Nach der Beschreibung der Diskursorganisation folgt ein Abschnitt, in der die Spezifik des Raumverständnisses des konkreten Falles pointiert beschrieben wird (kursiv geschrieben). Fallbeschreibung | Herbst blau Die Gruppe Herbst blau setzt sich aus drei männlichen Jugendlichen zusammen. Es herrschte eine sehr entspannte, angenehme und auch etwas gelöst-lustige Atmosphäre; alle drei Jugendlichen haben, auch bereits vor Beginn der Gruppendiskussion, viel zu erzählen. Laut Interviewerin fiel ihnen das Erzählen über den Unterricht nicht schwer, da kaum längere Pausen entstehen. Die Teilnehmer erlebten die Gruppendiskussion zwar entspannt, doch nicht wie eine normale Unterhaltung. Es war spürbar, dass es ein geführtes Gespräch war und die Jugendlichen auf Fragen der Interviewerin gespannt warteten. Sie saßen in einem kleinen Halbkreis der Interviewerin gegenüber. Einer der drei hatte das p.art.folio – die Mappe mit ihren Aufzeichnungen – in den Händen, die anderen hatten es vor sich auf den Boden gelegt. Insgesamt saßen sie lässig auf ihren Plätzen und hatten Spaß, lachten sich häufig an. Eventuell wollten sie die Interviewerin auch beeindrucken. Die Jugendlichen suchten immer wieder ihren Blickkontakt und präsentierten sich gelassen und gleichzeitig souverän. Diese Haltung, die sowohl an der Körperhaltung der Jugendlichen als auch ihren Handlungen zum Ausdruck kommt, zeigte sich über die gesamte Gruppendiskussion; die Jugendlichen scheuen sich auch nicht, vorher private Dinge auszutauschen. Die Interviewerin beginnt das Gespräch mit einer kurzen Vorstellung ihrer Person und leitet dann über zu einer freien Erzählaufforderung an die Jugendlichen, wie es ihnen in den Unterrichtsstunden zum Thema der städtischen Räumen ergangen ist. Als »Quintessense«1 steht für sie dabei »dieser Satz [...] Räume sind nicht, sondern werden gemacht [...], was halt eigentlich auch so dann [...] des Ergebnis war unseres Projekts«. Es folgt ein längerer Abschnitt, in dem die Jugendlichen konkrete Beispiele aus ihrer Heimatstadt anführen, an denen sie Veränderungen und Eingriffe in Räume verdeutlichen (z.B. »critical mass«, die Gruppe von Fahrradfahrern, die »nebeneinander auf der Straße

1

Alle in Anführungszeichen gesetzten Verweise in den Fallbeschreibungen sind wörtliche Zitate der Jugendlichen, die aus den Transkripten der Gruppendiskussionen übernommen wurden. Eigene Hervorhebungen werden kursiv hervorgehoben.

E RGEBNISSE | 277

fahren [...] um sich gegen [...] Autofahrer ja zu behaupten«; die Schließung des Kaufhofs – des »Sinnbild[s] für die Südstadt« –, durch die sich der Raum »ganz plötzlich extrem verändert« hat; oder ein Projekt, in dem Stühle in der Stadt aufgestellt wurden, um »in Stadtteilen mit älterer Bevölkerung irgendwelche Treffpunkte [zu] schaffen«). Die Hausaufgaben, die sie in dem Portfolio erledigen mussten, waren für die Gruppe mit Schwierigkeiten verbunden, da »kein konkreter Arbeitsauftrag auf den Blättern selbst steht«. Positiv bewerten die Jugendlichen am Unterricht, und besonders »auch an Geographie, dass man halt immer Beispiele auch in der eigenen Stadt finden kann«, sowie die farbigen Kopien. Die Mapping-Aktion, die sie am Ende durchgeführt haben, fanden die Jugendlichen »sehr gut«. Sie beschreiben, was sie gemacht haben und eventuell »gerne noch gemacht hätte[n]«. Ihre Rolle im Unterricht formulieren sie als »Die führende Elite«, wobei es war, »so wies immer is«, dass die einen mehr und weniger beitragen. Am Ende gehen die Jugendlichen nach exmanenter Nachfrage der Interviewerin auf Verbesserungsvorschläge ein, die vor allem die Struktur des Unterrichts (»roter Faden«) betreffen. An der Positionierung der Jugendlichen zum Unterrichtsprojekt zeigt sich gleich zu Beginn ihre positive Orientierung an Leistung. Sie legen Wert darauf, eigenes Wissen und Erfahrungen inwert zu setzen, welche sie im Verlauf der Gruppendiskussion in unterschiedlichen Situationen legitimierend2, d.h. ihre Aussagen fundierend, einsetzen. Die Jugendlichen heben hervor, was sie »thematisch« im Unterricht »am interessantesten« fanden. Sie rufen dabei konkretes Wissen aus dem Unterrichtsprojekt ab, z.B. in Form konkreter Merksätze (»dieser Satz [...] Räume sind nicht, sondern werden gemacht«) und räumlicher Bezüge (olympische Spiele in London, Stadtteile). Genauso führen sie Beispiele aus ihrem Alltag an (critical mass, das heißt »dass sich einfach Fahrradfahrer treffen [...] als eine Fahrradmasse«, dieser Trend dieses dass es in der Stadt immer weniger Einkaufsmöglichkeiten gibt, »Einrichtung von Naherholungszentren«). Auch sprachlich zeigt sich ihre positive Leistungsorientierung (»Quintessense«, »Ergebnis«, »zuordnen«, »festgehalten haben«), in der sich wiederum ein Erwartungshorizont dokumentiert, der formal-strukturellen Wissens bedarf. Die Jugendlichen sind es von der Schule gewohnt, auf eine bestimmte Art zu arbeiten; der Lehrer »sagt halt, macht des und dann machen wir des halt«, ihnen »wird Inhalt alles mundgerecht zurechtgelegt, mach das, mach das, mach das, les jetzt diesen Text und beantworte diese Fragen dazu«, wobei sie »selbständiges Arbeiten« nach ihrer Auffassung genauso können

2

Das Verständnis von »Legitimierung« wird im Folgenden noch genauer dargestellt.

278 | U RBANES R ÄUMEN

sollten. Leistung erzielen die Jugendlichen demnach nur mithilfe ausreichend struktureller Vorgaben (»mit [...] allem was halt dazugehört«), wozu auch »klare Aufgabenstellungen mit einem roten Faden« gehören. Es »hätte wahrscheinlich vielen gut getan, also uns auch«, wenn die Arbeitsaufträge konkreter gewesen wären. Die Jugendlichen weisen explizit und implizit dem Lehrer die Verantwortung zu, jene Voraussetzungen zu schaffen (»der Herr X hat uns zwar auch immer versucht dann auch zu helfen aber in manchen Themen konnte er dann auch nicht uns so gut weiterhelfen«). Damit gestehen sie sich gleichzeitig ihre Abhängigkeit von der Lehrkraft ein. Die Inwertsetzung von Wissen zeigt sich auch daran, dass die Jugendlichen das Projekt als Anstoß zum Nachdenken außerhalb der Schule nehmen (»viel mehr drüber nachgedacht«), um »tiefer in die Materie« einzusteigen und zu »ner anderen Idee von dem was man so täglich eigentlich [...] sieht« zu kommen. Aus dieser Inwertsetzung resultiert auch die positive Orientierung der Jugendlichen an alltäglichen Erfahrungen, die sie in die Diskussion einbringen und die für sie keinen unvereinbaren Gegensatz zum Unterricht darstellen. Die Jugendlichen fühlen sich in der Lage, Dinge im Alltag durch den Geographieunterricht besser verstehen zu können, denn »des Schöne [ist] auch an Geographie, dass man halt immer Beispiele auch in der eigenen Stadt finden kann«. Sie schreiben damit der Schule als Institution die Fähigkeit zu, sich mit ihrer Hilfe in der Welt orientieren zu können (»dass ich des in der Schule irgendwann mal lern hätt ich nie gedacht«). Zudem gelingt es dadurch auch, aktiv in Räume einzugreifen, z.B. in einem Projekt, in dem Stühle hergestellt wurden und bei dem Jugendliche »von nem Kunst P-Seminar« mitgearbeitet haben. Leistungsorientierung beinhaltet demnach für die Jugendlichen, selbst wirksam zu werden (»wie man Räume eigentlich aktiv auch verändern kann«, »weil dann muss ich was zeigen«). Sie haben den Anspruch, eigene Leistungen zu optimieren (»dafür interessiert und wirklich aktiv damit arbeitet und versucht des Ganze zu verstehen«), was so weit geht, dass sie regelrecht frustriert sind, wenn ihnen Bedingungen hierfür fehlen (»regt mich halt irgendwie auf«). Die Verantwortung liegt dann extern begründet (»da hat das Wetter oder [...] des Klima leider nicht mitgespielt«). Ihr Modus der Legitimation – in diesem Fall der unmöglichen Durchführbarkeit jener Aktion – zeigt sich als relativierend. Legitimation wird hier verstanden im Sinne eines Ausgleichs, einer Begründung und Fundierung von Aussagen. Die Jugendlichen legitimieren Handlungen, heißen sie gut, ohne sich aber rechtfertigend zu positionieren, d.h. sich beispielsweise auf höhere Instanzen zu berufen. Sie legitimieren über die Bezugnahme auf und Bestätigung durch eigene Aussagen (»Des war eben auch des was ich gesagt hab«) oder die Gruppe, genauso wie sie ihre Aufgaben-

E RGEBNISSE | 279

sammlung (p.art.folio) heranziehen, um belegende Beispiele zu finden und damit Wissen zu zeigen. In ihrer legitimierenden Haltung kritisieren die Jugendlichen jedoch nicht vehement, noch rechtfertigen sie sich; sie heben Widersprüche relativierend auf, teilweise indem sie diese dethematisieren. Die legitimierende Haltung der Jugendlichen zeigt sich auch im Umgang mit ihrer Mapping-Aktion. Sich gegenseitig bestätigend, zeigen die Jugendlichen Schwächen der Aktion auf (die Zettel sind »relativ schnell weg«, »des im Rahmen der Schulklasse [...] ist fast nicht umzusetzen«). Eine alternative Aktion, »in Form von Blumen [ihr] Schullogo [...] zu pflanzen, um es zu verschönern«, war aber aufgrund des Wetters auch nicht möglich. Dass die Jugendlichen Differenzen vermeiden, zeigt sich u.a. auch, wenn sie Stellung zu einer möglichen Ausdehnung der MappingAktion am Ende nehmen. Fragend, ja schmunzelnd wird der Vorschlag, eine »größere Ausdehnung des ganzen Projekts« von den anderen Mitschülern aufgenommen (»Also du meinst jetzt n größeres Projekt. N bleibendes Projekt, oder? «), und doch einigen sie sich am Ende darauf, dass es »in der Schule nicht wirklich möglich« ist. Die Jugendlichen suchen nach der Bedeutsamkeit von Handlungen, deren Zweck und Nutzen sie auch entlang gemeinnütziger Kriterien beurteilen (»in Stadtteilen mit älterer Bevölkerung irgendwelche Treffpunkte schaffen«, »des is ja jetzt nicht nur ne Einkaufsmöglichkeit, sondern eben auch Treffpunkt«) und denken dabei die Perspektive der Menschen mit. Diese innere Anteilnahme stellt für sie eine besondere Qualität der Leistungsorientierung dar, beispielsweise, wenn es um ein Projekt in einem Stadtteil geht, welches einem »wohltätigen Zweck« verschrieben war. Die Jugendlichen streben eine Optimierung von Räumen an. Für ihre Mapping-Aktion, in der die Jugendlichen selbst gestaltend in einen Raum eingreifen sollten, haben sie »Motivationszettel« in der Umgebung der Schule aufgehängt. Bereits in dieser Bezeichnung dokumentiert sich erneut ihre positive Leistungsorientierung (vgl. Schülergruppe Winter beige, für welche es eine »Protestaktion« war). Wenn sie dann erklären, dass es für sie bei dieser Aktion »mehr um nen Gag« ging (»Des is irgendwie lustig«, »Dann hat man irgendwas [...] wo man irgendwie sich ja fürn kurzen Moment dran freut«), deutet sich ihr spielerisch-naiver Zugang zu Räumen an. Das bedeutet, dass sie sich im Sinne einer gedanklichen Beteiligung in Strukturen denken und Konsequenzen ihrer Handlungen auch auf andere absehen. Sie versetzen sich im weiteren Verlauf in ein Gedankenexperiment mit den Pokemons ihrer Mapping-Aktion und denken sich Szenarien aus, was passieren würde, wenn sie die Figuren gegeneinander antreten lassen würden. Dies entspricht ihrem Modus, eine Übereinkunft und Beteiligung aller anzustreben, die »Sinn« ergibt. Weiterhin führen die

280 | U RBANES R ÄUMEN

Jugendlichen ein Erlebnis aus einem vergangenen Urlaub an, in dem ihnen Ähnliches passiert ist. Wiederum erfahren hier eigene Erfahrungen eine Inwertsetzung und dienen gleichzeitig der Legitimierung von Handlungen. In Form einer vorläufigen rituellen Konklusion betonen die Jugendlichen dann, dass es eigentlich »mehr drauf an[kommt], dass man sieht [...] da hat sich irgendjemand die Mühe gemacht son Zettel auszudrucken und aufzuhängen«, denn den Passanten sei es egal, was da drauf steht. Sie betonen den symbolischen Wert, wenn sich die Leute einen Zettel davon mitnehmen (»der Zettel ist ja nur symbolisch dafür«). An der Formulierung eines der Ziele solcher Mapping-Aktionen, nämlich »philosophisch was für sein [...] Leben mit[zu]nehmen«, dokumentiert sich ihre Orientierung an der Nützlichkeit eigenen Handelns. Ihre autonome Positionierung sowohl anderen Mitschülern als auch dem Unterricht gegenüber (»dass wir jetzt also nich so voll dämlich sind«, »da haben wir uns sehr gut denk ich mal eingebracht«) relativieren die Jugendlichen, indem sie beispielsweise positive und negative Seiten des Unterrichts in Redebeiträgen verquicken. Die Jugendlichen erkennen den Wert ihrer eigenen Arbeit an bei gleichzeitiger Achtung der Arbeit (in) der Gruppe. Es dokumentiert sich ihr Relevanzsystem, Legitimierung durch andere positiv zu bewerten, da sie als Individuen gleichwohl auf die Gruppe angewiesen sind um ihre Leistung zu optimieren (»was ham denn die andern so für Gedanken«, »so lernt man dazu«, »dieser Austausch auch mit den andern«). Gruppenarbeiten haben aus der Sicht der Jugendlichen »wirklich total gut funktioniert«. Auch im Interaktionsraum zeigt sich die legitimierende Haltung der Jugendlichen. Sie wägen eigene Argumente gegeneinander ab, gleichzeitig greifen sie auf die Wortwahl (z.B. »man sollte nicht alles nach außen verlagern«, »Der Obi zum Beispiel wird jetzt auch der wird nach ( ) verlagert«) und auch erwähnte Beispiele der anderen Jugendlichen zurück (z.B. Graffiti in einem Stadtteil). In parallelisierender Diskursorganisation wiederholen die Jugendlichen oft das vorher Gesagte, stimmen dem zu und ergänzen dann weitere Aspekte. Der vergleichsweise geordnete Diskursverlauf, in dem sich die Diskussionsteilnehmer kaum ins Wort fallen und sie die gleiche Reihenfolge der Sprecher (Mm, Dm, Jm) größtenteils (unbewusst) beibehalten, zeigt ihr Auftreten als homogene Gruppe, die Differenzen vermeidet.3 Legitimierend ziehen sie auch ihr p.art.folio

3

Die Art der Jugendlichen, sich genau so zu verhalten, entspricht ihrem Habitus i.S. des modus operandi (vgl. Bourdieu), den sie nicht künstlich durch die Situation der Gruppendiskussion erzeugen, sondern als inkorporierte Dispositionen in diesem Moment aktualisieren.

E RGEBNISSE | 281

mit in die Diskussion ein, anhand dessen sie konkrete, selbst durchgeführte Beispiele anführen und damit ihre Aussagen bestätigen können. Ihr Gemeinschaftsgefühl kommt überdies zum Ausdruck, indem sie sich als Gruppe darstellen, die zusammengearbeitet hat (»und ich denk auch uns beiden als wir im Unterricht saßen«). Die Jugendlichen verbleiben in einem überwiegend erzählenden, beschreibenden Modus, wohingegen sie beispielsweise bei Verbesserungsvorschlägen zum Unterricht stärker theoretisieren (»Dreiviertel Stunde ist halt knapp«; »in der Schule nicht wirklich möglich, also insofern [...] geht ja so was gar nicht. Also insofern«). Insgesamt treten die Jugendlichen stets souverän auf, indem sie grundsätzliche Aussagen treffen (»wir sind halt auch so für des Thema offen«; »man soll sich nicht selber loben aber wenn sie fragt [klatscht mit den Händen auf seine Beine]«; »Also meine Prioritäten liegen da jetzt halt einfach anders, als zum Beispiel die von meinen Freunden«). Diese Gruppe zeichnet ihr konzeptioneller Zugang zu Räumen aus. Den Jugendlichen ist es wichtig, sich an Strukturen bzw. Leitideen zu halten, die sie gemeinschaftlich im Sinne einer Übereinkunft verhandeln und sich (Interaktions-) Räume dementsprechend aneignen. Dabei verbleiben sie – in ihren Worten gesprochen – »innerhalb des Raumes«, um Differenzen zu umgehen. Hinsichtlich des Eingriffs in Räume streben sie nach der Verwirklichung von Idealen, die weniger auf die Materialität von Erscheinungen zielt denn auf eine positive Wirkung auf die Menschen. Fallbeschreibung | Herbst grün Die Gruppe Herbst grün setzt sich aus drei männlichen Jugendlichen zusammen. Die Schülergruppe wurde von der Interviewerin in den Raum geführt, in dem die Gruppendiskussion stattfand. Sie wirkten entspannt, unterhielten sich leise. Nachdem die Jugendlichen die Stühle in Form eines Sitzkreises aufgestellt und sich in einer lockeren Runde zusammengesetzt hatten, begann die Gruppendiskussion, wobei die Interviewerin eine positive Spannung und Aufmerksamkeit von Seiten der Jugendlichen erlebte. Dennoch schien sie im weiteren Verlauf eine gewisse Ruhe zu vermitteln, was den Diskussionsteilnehmern Sicherheit gab; sie zeigten sich souverän und offen in ihren Erzählungen. Während der Gruppendiskussion kam es zu keinerlei Störungen oder Unterbrechungen. Die Diskussionsteilnehmer wirkten fokussiert und traten insgesamt als harmonische Gruppe auf, innerhalb derer keine offensichtlichen Konflikte ausgetragen wurden; sie ließen sich gegenseitig aussprechen und vermittelten auch darüber ein Gefühl von Klarheit und Struktur.

282 | U RBANES R ÄUMEN

Nach der Einführung durch die Interviewerin, die den Jugendlichen das Anliegen der Gruppendiskussion schildert, beginnen sie mit der Darstellung der zentralen Erkenntnisse, die sie aus dem Unterricht mitgenommen haben. Dabei gehen sie abwechselnd auch auf methodische Vorgehensweisen in dem Unterrichtsprojekt, z.B. Gruppenarbeit, ein, und wie diese ihren Blick auf den Geographieunterricht beeinflusst haben. Sie betonen die Rolle des Eingriffs in und der Veränderungen von Räumen, die mit Hilfe des Staates und der Stadtplanung umgesetzt werden müssen. Die Jugendlichen beschreiben, dass es wichtig ist, heutzutage aufmerksam die Umwelt wahrzunehmen und beklagen die zunehmende Aufmerksamkeitslenkung, beispielsweise durch Smartphones. Anhand von Beispielen aus ihrer Heimatstadt betonen sie daraufhin die Schönheit der Natur und die Bedeutung von Grünflächen in ihrer Umgebung. Der kritische Umgang mit der Berichterstattung in den Nachrichten ist für sie ein zentrales Thema. Bei der am Schluss angesprochenen Mapping-Aktion schildern die Jugendlichen selbstkritisch ihre Erfahrungen. Zentral zeigt sich gleich zu Beginn die positive Orientierung der Jugendlichen an Natürlichkeit, die sie ihren Bewertungen zugrunde legen und die sich im weiteren Verlauf zu einer Naturverbundenheit erweitert (»Grünflächen«, »Wald«, »mehr Blumen«, »Blumenwiese«). Dabei fokussiert die Gruppe mäßigende Positionierungen und sucht Möglichkeiten der Artikulation von Verbesserungen ihres Lebensumfeldes. Dazu müssen die Jugendlichen ihr Umfeld unmittelbar spüren; ein Naturerlebnis erfahren. Sie rekurrieren in ihren Ausführungen wiederholt auf Veränderungen, die ihnen durch den Unterricht bewusst geworden sind (»wie sich die Rollen verändert haben«, »die Räume verändern kann«, »man kann auch gucken wie man sie verändert wenn sie einem nicht gefallen«, »wie man die [Missstände] halt vielleicht beheben kann«, »deswegen kann man die auch verändern«, »einfach irgendwelche Änderungen machen«). Durch ihre Erkenntnis, dass Räume »heutzutage nichts Natürliches mehr sind« (»die sind halt einfach gemacht«), »kann man die auch verändern durch irgendwelche Eingriffe«. Hierin zeigt sich der Anspruch der Jugendlichen, Räume im Sinne einer Verbesserung bzw. Verschönerung zu verändern und damit Ursprünglichkeit zu bewahren, da Veränderungen keine Zerstörung bedeuten sollen. In diesem Prozess spielt Kultur für die Jugendlichen eine entscheidende Rolle. Sie schreiben ihr zu, »den ganzen Status des Viertels durch Kulturzuwachs« anzuheben. Deswegen ist es wichtig, »sich das schon gut an[zu]schauen, vor allem die Ausstellungen« in der eigenen Stadt, denn einmal ins Museum zu gehen und zu sagen, dass man alles gesehen hat, »ist ja auch irgendwie schlecht weil [...] das ist trotzdem die Kultur«. Ihre eigene Rolle im Hinblick auf Kultur

E RGEBNISSE | 283

(»weil ich ja auch Gitarre spiele«) möchten die Jugendlichen auch in den Unterricht tragen; es war ihnen z.B. wichtig, »bei diesem Denkmalentwurf halt irgendwie was mit Kultur reinzubringen« und da »habe ich mir gedacht ich entwerfe jetzt da irgendwas wo eine Gitarre dabei ist«. Gerade im Spannungsfeld der Veränderungen, die die Jugendlichen anbringen, sehen sie Kunst und »künstlerische Möglichkeiten« als Mittel, um »den Raum zu gestalten« oder auch um Missstände, wie die Verlagerung von Wohnen und Arbeiten, aufzuheben. Damit legitimieren sie implizit auch »illegale Sachen«, wie das Auswerfen von seedbombs, um die Stadt grüner zu gestalten, denn »das ist schon schön wenn man einfach nicht nur einfach so eine graue Stadt hat«. Die schönere Gestaltung der Straßenränder macht diese zudem »authentischer«. Dies entspricht ihrer Vorstellung von authentisch, weil die Jugendlichen ihrer Bewertungslogik den Unterschied zwischen grau/hässlich und grün/schön zugrundelegen (»graue Pflastersteine«, »auf Industrie ausgeweitet« vs. »viel Wald außen rum«). »Schön« ist es zudem, wenn Kinder »einfach die Straße mit ihrer Kreide bemalen«, wenn man einen anderen Weg geht, der »ja viel schöner ist« und »besser, wenn man nicht die ganzen Abgase von den Autos einatmet«. Die teilweise belehrende Haltung der Gruppe spiegelt sich in Äußerungen wie »muss auch ein bisschen so angeprangert werden hier«, »Aspekte die man da berücksichtigen muss in der Stadtplanung«, »wenn man das jetzt schon anfangen würde […] dann würde man sich im Nachhinein […]«. In der Beanstandung der zunehmenden Aufmerksamkeitslenkung, z.B. durch das »Smartphone« und des Lebensstils der Menschen (»heutzutage rennen die Leute nur noch rum und hetzen sich«, »man schaut nur noch nach Klamotten«, »die Leute achten eher auf etwas Buntes als auf etwas Schwarz-Weißes«) dokumentiert sich ein Erwartungshorizont der Jugendlichen, die äußere Wirklichkeit nicht durch Technik i.w.S. vermittelt wahrzunehmen, sondern im ursprünglichen, natürlichen Sinne selbst »die Augen aufzumachen« (»man muss natürlich auch die Augen geöffnet haben«, »man soll [...] mit offenen Augen durchlaufen«), um wiederum den Blick auf das »Schöne« in der Stadt zu richten, wie z.B. »die ganzen Erker und die ganzen eigentlich schönen Häuserfassaden« in der Stadt. Dies entspricht ihrer hohen Wertschätzung des eigenen Heimatraumes, der in seiner Natürlichkeit wahrgenommen werden muss. Die Jugendlichen kritisieren bspw. »an den Japanern«, wie sie Dinge in der Stadt einfach fotographieren, ohne aber das Abgebildete bewusst zu erfassen (»gucken links wenn sie rechts fotografieren«). Eine Wertschätzung dessen, »was unsere Stadt jetzt zum Beispiel hat«, ist demzufolge nicht mehr gegeben (»wissen das einfach nicht mehr zu schätzen«). Ein Bild von einem Raum vermittelt zu bekommen, wird zudem kaum mehr hinterfragt, »man kriegt das mit aber fragt ja gar nicht warum, man nimmt das so

284 | U RBANES R ÄUMEN

hin«. Die Jugendlichen verständigen sich darüber hinaus über die Art der Aufmerksamkeitslenkung durch die Nachrichten und elaborieren daran die Bedeutung eigener Nachfragen, d.h. eigene Vorurteile bspw. »nicht einfach so hinnehmen und auch ein bisschen kritisch sein und hinterfragen«. Durch die eigene, selbständige Erarbeitung im Unterricht bekamen sie zum anderen auch mit, ob sie »vielleicht etwas komisch gesehen« haben, da man »doch selber immer irgendwelche Vorurteile« hat. Sie sind Beobachter eigener und anderer Wahrnehmungen. Im Sinne der Betonung der Ursprünglichkeit geht es den Jugendlichen auch um die Herstellung einer »Verhältnismäßigkeit« in allen Lebensbereichen (»zu viel Industrie, jetzt ziehen die Leute weg«, »ich hab kein Geld oder so aber er rennt mit dem iPhone rum und hat zu Hause drei Fernseher rumstehen«). Teilweise radikaler erörtern sie dann, dass sie auf gewisse Dinge verzichten können, denn »im Prinzip braucht man das ja auch gar nicht; Fernseher eigentlich am wenigsten«. Hier zeigt sich ihr tradierender Umgang mit alltäglichen Phänomenen, mit dem auch die Beschränkung auf elementare Gegenstände und Sichtweisen gemeint ist. Ihrer ausgleichenden Positionierung entspricht genauso, dass für die Gruppe unterschiedliche Blickwinkel auf Räume »ja ganz normal [sind] und das soll auch so sein das ist auch gut so«. Die Jugendlichen sind bereit, eigene Bilder im Kopf mit anderen abzugleichen. Dafür ist auch ein »Schubladendenken« in manchen Situationen hilfreich, um nicht »über alles fünf Stunden lang diskutieren« zu müssen und zu keinem Ergebnis zu kommen. Diese Haltung verdeutlicht ihren Anspruch, sich von empfundenem Ballast (»voll lästig«, »die Umwelt belastet«, »Herstellungskosten für das Auto gespart«) zu lösen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie erachten es als wichtig, bereits bei ihnen damit zu beginnen, »vorausschauender zu denken«, z.B. »dass diese Grünflächen dann auch irgendwie sauber bleiben«. Das wiederum entspricht ihrer Logik, sich für Veränderungen einzusetzen. Dabei geht es den Jugendlichen mehr als nur darum, einen status quo zu halten; sie suchen einen Zustand, der zurück zur Natur führt. Während die Jugendlichen anfangs auf expliziter Ebene immer wieder betonen, dass Entwicklungen und Veränderungen wichtig sind – »sonst würde es ja überhaupt keine Entwicklung geben wenn jeder da bleiben würde wo er ist« – und man »eben offener seinen Raum« sehen muss, »mit dem [Raum] offener umgehen […] und offener auffassen«, bleibt ihre Orientierung implizit die gleiche. Diese zeichnet sich durch einen tradierenden Habitus aus, in dem Beständigkeit ein wesentliches Merkmal ist, wie sie Wirklichkeit erfahren. Das zeigt sich auch in ihrem Rückgriff auf Kindheit(-serfahrungen) (»als Kind habe ich da immer gespielt das ist einfach perfekt«). Sie sind Veränderungen dementsprechend nicht abgeneigt; lassen diese aber nur zu, wenn sie ihrem Anspruch nach

E RGEBNISSE | 285

Ursprünglichkeit gerecht werden. Gleichzeitig erheben sie für sich den Anspruch, Verbesserungen für andere Menschen abzusehen (»die ganzen Jogger die da wirklich jeden Tag joggen gehen die brauchen halt auch zum Beispiel ne asphaltierte Straße«, »der Spielplatz, den es dort gibt den [...] gibt’s schon seit über über 15 Jahren und der wurde einfach nicht verändert, also die Kinder haben auch mittlerweile keine Lust mehr da hin zu gehen«, »dass die Leute einfach schneller in die Arbeit kommen können«). Die Jugendlichen erzählen überwiegend in einem Modus des Abwägens; etwas im Verhältnis zu sehen ist wichtig für sie, um die eigene Position einzuschätzen und andere Meinungen zu erkennen (man ist »einerseits verwöhnt und andererseits hat man vieles verlernt«). Auch das entspricht ihrer fallspezifischen Logik einer »Verhältnismäßigkeit«. Die Jugendlichen argumentieren sachlich und engagiert, was sich auch in den abwechselnden Redebeiträgen zeigt, in denen sich die Jugendlichen fast nie gegenseitig ins Wort fallen. Sie übertragen Beispiele aus dem Unterricht auf alltägliche Situationen und umgekehrt, weswegen ein lebendiges Gespräch entsteht, in dem Themenwechsel nahezu unbemerkt passieren. Die Diskursorganisation ist hauptsächlich parallelisierend, wobei die Jugendlichen teilweise antithetisch-individualisierend (»aber ich persönlich find es...«) ihre eigenen Standpunkte kundtun, ohne sich aber zu widersprechen. Sie sichern sich über eigene Erfahrungen (»ich hab das selber gesehen«) genauso wie über die Referenz auf die Gruppe ab (»was ich wichtig fand ist diese Gruppenarbeit«, »immer zusammen Informationen gesammelt«). Vor dem Hintergrund ihres auf Ausgleich zielenden Verständnisses von der Herstellung von Gemeinschaft im Interaktionsraum wird wiederum ihre Orientierung an harmonischer, regelbezogener Raumaneignung deutlich. Das Raumverständnis der Schülergruppe Herbst grün kann als ein physikalischmaterieller Zugriff beschrieben werden, in dem bspw. das Einbringen von Strukturen der Verbesserung dienen soll (»um einfach den Verkehr ein bisschen zu entlasten«, »an Straße schöne Radwege anlegen«). Die Jugendlichen sehen Räume als objektive Gegebenheiten, die beobachtet und genau beschrieben werden können, um darauf aufbauend gegebenenfalls Handlungen abzuleiten. Der Status der Natürlichkeit muss dabei eingehalten werden. Fallbeschreibung | Herbst rot Die Gruppe Herbst rot setzt sich aus drei männlichen und einer weiblichen Jugendlichen zusammen.

286 | U RBANES R ÄUMEN

Die Gruppendiskussion fand im Schülercafé statt, welches kein abgetrennter Raum, sondern ein offener Bereich mit vielen Sitzmöglichkeiten für die Jugendlichen in der oberen Etage des Schulgebäudes ist. Anfangs herrschte eine zurückhaltende Stimmung unter den Jugendlichen. Sie folgten der Interviewerin aus dem Klassenzimmer in das Schülercafé. Nachdem sie vor dem Beginn der Gruppendiskussion zunächst dort noch die Sitzordnung ändern mussten, lockerte sich die Stimmung schnell. Die Teilnehmer setzten sich auf Sofas um einen viereckigen Tisch; die Interviewerin saß zwischen den Jugendlichen. Es war eine gemütliche und kommunikative Gesprächsatmosphäre. Die Jugendlichen haben Scherze in Anwesenheit der Interviewerin gemacht. Auch ihre Sitzhaltung war entspannt; sie lehnten lässig etwas nach hinten geneigt. Die Jugendlichen sahen sich noch einmal ihre Ordner mit den Arbeitsblättern aus dem Unterricht durch, um dann auch während des Gesprächs weitere Punkte zu finden, die sie ansprechen können. Ein Jugendlicher sah ab und zu auf sein Handy, doch insgesamt waren keine Ablenkungsquellen vorhanden. Einmal wurde das Gespräch gestört, als einige andere Jugendliche das Schülercafé betraten, um etwas zu kaufen und dabei lauschend auf die Gesprächsgruppe zu schauen. Trotz der Lautstärke blieben die beteiligten Jugendlichen aufmerksam und konzentrierten sich auf das Gespräch mit der Interviewerin. Der Kommunikationsfluss blieb stets aufrechterhalten und locker. Die Jugendlichen sprachen dabei überwiegend unter- bzw. miteinander als zur Interviewerin; auch ihr Blickkontakt blieb unter den Jugendlichen. Die Gruppendiskussion wurde durch den Schulgong eher abrupt aufgelöst, da die Jugendlichen zunehmend unruhig wurden. Die Interviewerin selbst fühlte sich sehr wohl und ihre leichte Aufregung verschwand in dieser gesprächigen Gruppe schnell. Die Gruppendiskussion setzt sich nach den einführenden Worten durch die Interviewerin weitgehend selbstläufig fort. Die Jugendlichen thematisieren, was ihnen an dem Unterricht »gefallen« hat, führen aber auch gleichzeitig Aspekte an, die sie kritisieren (»ich fands bloß ein bisschen unübersichtlich«, »da wusst ich irgendwie nicht so wirklich was da jetzt halt rein gehört«, »was ich jetzt nicht so gut fand war jetzt zum Beispiel also die eine Aufgabe«). Nach der Bewertung des Portfolios sprechen die Jugendlichen »verschiedene Aktionen« an, die sie durch den Unterricht kennen gelernt haben. Dass sie über Themen »auch gut drüber diskutieren« konnten, schätzen die Jugendlichen wiederum positiv ein. Eigenständig leiten sie zu ihrer Mapping-Aktion über, in der sie sich am Ende »selber was überlegen sollen was [sie] sozusagen als hacking the city machen wollen«. Beim Übertragen von Dingen aus dem Unterricht auf ihren Alltag oder ihre »tägliche[n] Umgebung« ist den Jugendlichen »mal wieder aufgefallen, also

E RGEBNISSE | 287

eher so bisschen in Erinnerung geraten, wie hässlich [ihre] Schule eigentlich ist« und »dass die Leute […] heutzutage nur noch mit dem Handy beschäftigt sind«. Den Jugendlichen haben teilweise Aufgabenstellungen gefehlt (»keine Arbeitsaufträge«, »der Arbeitsauftrag jetzt nicht wirklich drüber steht«), was sie an einer konkreten Aufgabe elaborieren. Auf die Nachfrage der Interviewerin, wie die Jugendlichen mit der »individuelle[n] Wahrnehmung von allen Menschen« umgehen, erklären sie anhand von Stadtteilen aus ihrer Heimatstadt, wie Menschen – und im Besonderen sie selbst (»ich glaub schon, dass in […] wahrscheinlicher ist überfallen zu werden«) – damit umgehen. Nach einer kurzen abschließenden Bewertung ihrer Mapping-Aktion (»ganz witzig«, »des sollte irgendwie öfter gemacht werden«) kommen die Jugendlichen zu einer Einschätzung ihrer eigenen Rolle im Unterricht und Verbesserungsvorschlägen, die die Interviewerin exmanent erfragt. Gleich zu Beginn zeigt sich die positive Leistungsorientierung der Mitglieder der Gruppe, die sich an den Begriffen »Arbeitsaufträge«/»Arbeitsauftrag«, »Aufgabe« (zwei Mal), »Material« sowie an einer Überforderung seitens der Jugendlichen verdeutlichen lässt, da sie »teilweise nicht wusste[n], was man jetzt genau machen musste« und sie eine Aufgabe als »ein bisschen sinnlos« bewerten. Leistung definieren sie zudem über strukturelle Bedingungen des Unterrichts; es war für sie »ein bisschen stressig«, denn »eigentlich ist es ja für Doppelstunden gedacht aber [sie] […] haben halt vom Stundenplan eigentlich keine Doppelstunde«. Eine positive Exemplifizierung für ihre Leistungsorientierung gibt das Beispiel, in dem die Jugendlichen den »Aufbau« der »Mappe«, sprich des Portfolios als »sehr gut gemacht« und »schön« bewerten, da es »alles zur Verfügung hat« und ihnen damit Strukturen für leistungsorientiertes Arbeiten bereitstellt. In ihrem Bezug auf das »Blatt« mit den zu bewertenden Städten Duisburg und Freiburg dokumentiert sich eine kritische Positionierung, wenn die Jugendlichen betonen, keinen »Eindruck« von diesen Städten zu haben, sondern nur ihre Namen zu kennen. Dadurch können sie keine Leistungen bringen noch optimieren. Erneut zeigt sich die implizit kritische und abwertende Haltung gegenüber der Aufgabenstellung. Dabei kommt es zu einer Entlastung der eigenen – potenziell selbstattribuierten – Verantwortung. Die Jugendlichen machen, im Sinne der eigenen Wirksamkeitserfahrung, sogar einen Vorschlag, welche anderen Städte hätten gewählt werden können (»Nürnberg und Berlin«). Die Jugendlichen attribuieren implizit der Lehrperson die Verantwortung (»Sachen, die wir nicht wissen konnten, die wir nicht kannten«, »wenn der Herr X des richtig verstanden hat«), die dafür zuständig ist, Arbeitsmaterialien so bereitzustellen, dass die Jugendlichen wissen, welche Aufgaben sie erledigen sollen, um ergebnisorientiert

288 | U RBANES R ÄUMEN

arbeiten zu können. Insgesamt dokumentiert sich die Leistungsorientierung auch darin, dass die Anerkennung des Lehrers als Autorität nur verdeckt infrage gestellt wird (»hier und da ein bisschen Feinschliff aber an sich wars schon gut«, »dass der Herr X des einfach sehr gut gemacht hat«). Die Jugendlichen fühlen sich wiederum selber dazu berufen, den Lehrer zu einer besseren Leistung zu bringen. Der Leistungsbezug der Gruppe zeigt sich folglich zum einen selbstattribuiert, wenn sie sich selbst von der Verantwortung der eigenen Leistung entlasten und zum anderen daran, dass dem Lehrer die Verantwortung attribuiert wird, indem er noch einige Dinge verändern muss, um zu einer Optimierung von sowohl eigenen Leistungen als auch denen der Jugendlichen zu kommen. Im Anschluss an die Kritik an den Aufgaben wechseln die Jugendlichen das Thema und betonen auf einer Common-Sense-Ebene stets ihr Interesse an dem Projekt (»sehr gut und auch interessant«, »ganz gut und interessant«, »aber das Projekt insgesamt fand ich interessant«). Implizit zeigt sich daran, dass für sie nicht die Bewertung des Projekts im Vordergrund steht, sondern sie sich erneut von der selbstattribuierten Verantwortung entlasten. Diese Entlastung zeigt sich auch nochmal bei der Thematisierung ihrer Mapping-Aktion, wenn sie darauf eingehen, dass sie »größere Ideen [...] zeitlich oder rechtlich [...] absolut nicht machen« konnten, »des ist halt leider illegal«. Den Jugendlichen ist es wichtig, Aussagen zu wiederholen, die sie entlasten (fehlende Arbeitsaufträge, sie kannten Städte nicht, die sie bewerten sollten) und in denen ihr eigenes Interesse (»Fand ich sehr interessant, des hab ich vorher noch nie so wirklich gesehen«) zum Ausdruck kommt, worin sich wiederum der Anspruch der eigenen Leistungsoptimierung dokumentiert. Dabei relativieren die Jugendlichen eigene Aussagen und gestehen sich Fehler ein (»gut dann habe ich des falsch verstanden«), um gleichzeitig Differenzen im Interaktionsraum zu verdecken. Damit können sie Leistungen behaupten. Zugleich betonen die Jugendlichen ihre eigene Selbstwirksamkeit. Das beinhaltet, dass sie »Beispiele für hacking the city [...] nochmal selber ein bisschen gemacht« haben und sie sich auch in ihrer Freizeit »über den schulischen Rahmen [...] treffen wollen«, was sie noch mehr »motiviert«. Die Selbstwirksamkeit der Jugendlichen zeigt sich zum anderen als negative Exemplifizierung in ihrer eigenen Mapping-Aktion. Sie stellen fest, dass die vorbeilaufenden Leute von der Aktion der Jugendlichen »gar nichts mitbekommen« haben. Für sie müsste eine solche Aktion folglich, damit sie Leuten »sofort auffällt«, größer sein (»neonfarben«, »den ganzen Weg zustricken«, »plötzlich so ein Auto zugestrickt«), denn »dann [...] laufen die Handy Leute auch dagegen«. Und auch da den Jugendlichen klar geworden ist, »wie hässlich [ihre] Schule eigentlich ist« (»so ein komischer Klotz«, »total hässlich«), wollen sie etwas dagegen unternehmen. Sie

E RGEBNISSE | 289

sprechen über mögliche Veränderungen und auch die damit einhergehenden Konsequenzen der eigenen Handlungen (»Gibts doch so ne Regel dass sie dir des Abi aberkennen können«, »wie so ein Verbrecher kehrt zurück«). Auch darin zeigt sich ihre Leistungsorientierung, die sie relativierend gemeinsam überdenken. Am Thema des Zeichnens eines Denkmals erörtern die Jugendlichen zusammenfassend die Aufgabenstellungen, wozu die Interviewerin die Jugendlichen auffordert. Sie machen jeweils deutlich, wie sie die Aufgabe persönlich verstanden haben (»wenn ich des richtig verstanden hab«, »ich hab das so verstanden«) und ziehen auch ihr p.art.folio zur Hand, um sich mit dem dort Geschrieben abzusichern (»da steht«). Es dokumentiert sich ihr Relevanzsystem, Autonomie positiv zu bewerten, weil sie durch die gemeinsame Erörterung, die aber unterschiedlicher Meinungen bedarf, wiederum ihre Leistung optimieren und sich von Verantwortung entlasten (»also wie gesagt die Aufgabenstellungen waren nicht immer hundertprozentig klar«). Gleiches zeigt sich auch in der Aushandlung über die unterschiedliche Wahrnehmung von Stadtvierteln, die sich daran anschließt. Die Jugendlichen legen Wert darauf, eigene, erfahrungsbasierte Erfahrungen darzustellen; nicht, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, vielmehr um die Legitimität ihrer Meinungen zu bestärken. Sozialität entsteht in der Gruppe Herbst rot durch einen parallelisierendenautonomieorientierten Diskursmodus, der sich mit antithetischen Passagen abwechselt, in denen die Jugendlichen Themen interaktiv sehr dicht elaborieren. Darin widersprechen sie sich scheinbar (»Wir sind doch keine Touristen«), entfalten ihre Aussagen damit aber lediglich weiter. In der gesamten Gruppendiskussion wechseln die Jugendlichen häufig die Redebeiträge, was von einer lebendigen Gesprächsatmosphäre zeugt. Differenzen (in Bezug auf die Interviewerin oder innerhalb der Gruppe) werden versucht zu verdecken; wenn Kritik zu konfrontativ wird, wechseln die Jugendlichen das Thema bzw. einigen sich auf eine allgemeine Konklusion. In diesem Modus verallgemeinern die Jugendlichen auch, um sich in Situationen von der eigenen Person zu distanzieren und Schutz in der Gruppe zu suchen (»die meisten von uns«, »ein Kumpel von uns«). Die Jugendlichen figurieren Räume als wandelbare Systeme, die aufgrund individueller Erfahrungen je ganz unterschiedlich bewertet werden. Dabei unterstreichen sie die Wechselwirkungen zwischen der äußeren, materiellen Gestalt von Räumen und den Wahrnehmungen der Menschen. Raumaneignung – sowohl im Interaktionsraum als auch im Heimatraum bspw. – findet analytisch statt, indem Handlungen v.a. mental nachvollzogen oder antizipiert werden.

290 | U RBANES R ÄUMEN

Zudem zeigt sich ein auf Optimierung ausgerichtetes Raumverständnis; die Jugendlichen setzen sich bspw. auf einer expliziten Ebene für mehr Eingriffe in Räume ein, wobei sie sich dem wiederum vorsichtig gegenüber positionieren. Fallbeschreibung | Herbst weiß Die Gruppe Herbst weiß setzt sich aus vier männlichen und einer weiblichen Jugendlichen zusammen. Die Stimmung zu Beginn der Gruppendiskussion war ruhig und etwas angespannt. Die Jugendlichen saßen an den Tischen in einer Reihe der Interviewerin gegenüber, im hinteren Teil des Klassenzimmers. Sie waren zurückhaltend und suchten noch Dinge aus ihren Schulunterlagen; drei Jugendliche hatten ihre p.art.folios aus dem Unterricht vor sich liegen. Zwei Jugendliche sprachen leise miteinander, aber die Aufmerksamkeit aller Jugendlichen war auf die Interviewerin gerichtet. Die Anspannung in der Gruppe löste sich auch während des gesamten Gesprächs nicht vollkommen; immer wieder entstanden Pausen, in denen die Jugendlichen ihre Blicke auf ihre Unterlagen richteten oder sich gegenseitig schmunzelnd anschauten, um sich nonverbal zum Sprechen aufzufordern. Die Haltung der Jugendlichen zeugte von Respekt und Unsicherheit. Das zeigte sich an ihrer Körperhaltung; sie saßen betont aufrecht und hatten ihre Hände auf den Tischen. Sie vermittelten einen erleichterten Eindruck, wenn sie Fragen beantwortet haben, und forderten über Blicke zu ihren Mitschülern diese zu weiterer Meinungsäußerung auf. Oft bestätigten sie diese durch zustimmendes Nicken und kurze Einwürfe und stellten so eine Sicherheit gebende Gemeinschaft in der Gruppe her. Es entstand das Gefühl, dass sie der Interviewerin zu Korrektheit verpflichtet sind und nichts Falsches sagen wollten. Dieser wahrgenommene Anspruch löste sich gegen Ende der Gruppendiskussion, wenn die Jugendlichen Standpunkte nochmals ausführlicher darstellten. Auf Störungen, z.B. als eine Lehrerin kurz vor Ende – der Schulgong war bereits ertönt – den Raum betrat und nach dem Grund der Gruppenarbeit fragte, reagierten sie spürbar erleichtert, und antworteten ihr alsbald selbstbewusst. Nach der Eingangsfrage der Interviewerin erläutern die Jugendlichen ihre Erfahrungen mit dem Unterrichtsprojekt, das sie als »sehr vielseitig« darstellen und in dem sie »ziemlich viele Beispiele« behandelt haben. Sie gehen auf die Schwierigkeit ein, dass sie anfangs »noch nicht so richtig [wussten], um was es ging«. Daraufhin werden sie von der Interviewerin aufgefordert, Themen oder Aspekte zu nennen, die für sie besonders interessant waren und über die sie sich über den schulischen Kontext hinaus informieren würden. Die Hausaufgaben

E RGEBNISSE | 291

fand die Gruppe »ehrlich gesagt [...] ziemlich viel«. Sie betonen, dass sie »keine klaren Anweisungen bekommen« haben. Ihre Mapping-Aktion schätzen die Jugendlichen »ganz cool eigentlich« ein, wobei sie auch auf Schwierigkeiten bei der Planung und Durchführung eingehen und dabei das Thema der Legalität eine große Rolle spielt. Am Ende thematisieren die Jugendlichen, wie sie ihre Rolle im Unterrichtsprojekt empfunden haben. Mit einer Unterbrechung – eine andere Lehrerin tritt nach dem Pausenklingeln in das Klassenzimmer und fragt nach dem Ende des Unterrichts, da noch »aufgestuhlt« werden müsse – schließen die Jugendlichen mit dem Rückgriff auf ihr Verständnis von Räumen, was sich durch das Projekt erweitert hat. An der Darstellung ihrer Erfahrungen im Unterrichtsprojekt zeigt sich, dass die Schülergruppe Herbst weiß die Unterrichtsstunden als Störung empfunden hat, die jedoch auf expliziter Ebene nicht negativ bewertet wird. Die Jugendlichen waren anfangs »perplex« und »bisschen unsicher«, was das Thema »urbaner Räume« betrifft. Die zusätzlich für die Jugendlichen empfundene Breite, indem sie »jede Stunde im Prinzip irgend ne neue Idee« behandelt haben, zeigt sich auch an ihrer wiederholten Wortwahl (»viel«, »Vielseitigkeit«, »viele verschiedene Möglichkeiten«, »immer was Neues«, »immer neue Ideen«). Als bedrohlich wird diese wahrgenommen, denn dadurch haben die Jugendlichen die »letzten Stunden hier immer hinter [sich] gelassen« und »ausgewertet haben wir nie wir haben immer mehr mehr bekommen«. Ihren sonstigen »Unterricht in Geographie« bewerten die Jugendlichen »allgemein noch relativ angenehm«; damit zeigen sie, dass er ihnen Sicherheit gibt. Auch an den Vorschlägen, die die Jugendlichen im Zuge der schwierig empfundenen Inhalte anführen, wird ersichtlich, dass sie Vorstellungen darüber haben, welche Vorgaben ihnen Orientierung geben können, wie bspw. »dass die [Blätter] dann vielleicht wirklich danach besprochen werden« oder »vielleicht auch die Aufgabenstellung bisschen klarer definiert« sind. Gleichzeitig deutet sich hier bereits an, dass sich die Jugendlichen relativierend und zurückhaltend gegenüber der Äußerung von Kritik positionieren, was ihrem Habitus der Differenzvermeidung entspricht. Dass sie im Unterrichtsprojekt nie »irgendwie auf dem gleichen Thema sitzengeblieben« sind, deutet darauf hin, dass die Jugendlichen positiv an Wissenszuwachs orientiert sind. Darin dokumentiert sich ihr Umgang mit neuem Wissen, welches sie interessiert aufnehmen (»ne ganz coole Information«, »ziemlich viele Beispiele und es hat auch Spaß gemacht eigentlich sich da drüber zu informieren«), da sie viele Dinge vorher auch noch nicht kannten (»zuvor etwas noch nicht gehört«, »noch nie vorher gehört«, »zuvor nicht mitgekriegt«), wobei sie sich in einer Schutzhaltung (»glaub ich ging den meisten so«) Neuem gegenüber

292 | U RBANES R ÄUMEN

zögernd positionieren. Mit einer Aufgabe, in der sie ein Denkmal zeichnen sollten – »das dachten [sie] jedenfalls« – hatten sie Schwierigkeiten, gerade »wenn man jetzt nicht grad irgendwie ne kreative Idee hat«. Auch »diese Sachen mit urban knitting und sowas waren schon n bisschen cooler«, wobei man »sich halt dann noch mehr dafür interessieren« müsse. Abweichungen von Bekanntem, z.B. dem »sonstige[n] Unterricht«, stellen die Jugendlichen wiederum relativierend dar (»das Thema war [...] ganz gut eigentlich, interessant«, »haben wir eigentlich gemerkt«), wobei sie sich dabei auf gemeinsame und verallgemeinernde Ergebnisse einigen (»alles in allem es war sehr vielseitig«, »kann ich nur zustimmen«). Auf diese Weise umgehen die Jugendlichen Differenzen auch im Interaktionsraum. Implizit zeigt sich daran ihre Angst vor einem Regelbruch – in diesem Falle, etwas Anderes zu sagen als ihre Mitschüler und zugleich dem Lehrer oder der Interviewerin zu widersprechen. Damit einher geht die positive Orientierung der Jugendlichen an Strukturen, die von schulischer Seite vorgegeben sind. Neben der Wertschätzung der Gestaltung des Projekts (»ganz gut gestaltet«, »schöner als der sonstige Unterricht«, »viel Farben«) beanstanden die Jugendlichen, dass sie für ihre Hausaufgaben »keine klaren Anweisungen bekommen« haben und es deswegen »alles so bisschen [...] undurchsichtig« für sie war. Demnach hat bspw. der Lehrer die Aufgabe, strukturelle Grundlagen für das Verständnis der Jugendlichen bereitzustellen, »dass der Lehrer auch wirklich dann sagt«, was die Jugendlichen tun sollen. Die anfänglichen Schwierigkeiten sehen sie darin begründet, dass »der X [...] uns gar nichts gesagt [hat] worums dann irgendwie im Projekt geht«, später aber »mit [...] Hilfe natürlich von Herrn X haben wir das dann verstanden«. Diese Orientierung an klaren Strukturen geht für die Jugendlichen so weit, »dass man dem Lehrer dann auch vorsagt äh was was die Schüler machen sollen, dass der dann das genauer einführt«. Struktur bedeutet für die Jugendlichen genauso, dass sie ein Ziel ihrer Handlungen absehen können (»woraufs dann letztendlich zugeht«) und sie wissen, »was mach ich jetzt damit«. Schulisch vorgegebene Strukturen, wie z.B. den Lehrplan, erkennen die Jugendlichen an; schätzen aber genauso, im Unterrichtsprojekt »viel Platz für irgendwelche anderen Themen« gehabt zu haben, denn »es war jetzt nicht so dass wir einem Lehrplan folgen mussten und den abhaken«. Gleichzeitig bestätigen die Jugendlichen aber auch, dass das Unterrichtsprojekt keine große Abweichung von der vorgegebenen Lehrplanstruktur war, denn – und das war »das Praktische« – »das wär auch unser Thema gewesen«, das sie »sowieso hätten machen müssen in Geographie«. Hier wird ein potenzieller Regelbruch, nämlich die Abweichung vom Lehrplan, abgewendet. Auch gesellschaftlichen Strukturen gegenüber sehen sich die Jugendlichen verpflichtet. Das zeigt sich u.a. in der Beschreibung ihrer Mapping-Aktion, in deren

E RGEBNISSE | 293

Zentrum das Thema der Legalität solcher Interventionen steht. Neben strukturellen Schwierigkeiten bei der Planung (»ziemlich kurzfristig«, »wir haben ja nicht viel Zeit und sowas Aufwändiges irgendwie«) betont die Gruppe, dass es »auch n bisschen schwer [war] n Platz zu finden also wo man was kleben kann [...] weils ja so is dass [...] es meistens verboten ist«. Immer wieder stimmen sie ein und unterstreichen, dass man »da eigentlich da relativ wenig Freiraum« hat, »ja eigentlich fast gar nicht« und die Grenze »ziemlich dünn [ist] bei sowas zwischen illegal und legal«. Die Jugendlichen belegen zudem, dass sie einen eigenen Regelbruch in ihrer Mapping-Aktion gerade noch umgingen; sie waren »schon dabei es draufzukleben und dann haben [sie] des gelesen«, dass ein Bekleben auf dem Stromkasten verboten war. Erst die Freigabe von Flächen durch die Stadt bspw. mache solche Aktionen möglich. Mit ihrem Wissen, dass es jene Flächen gibt, »die die Stadt freigibt wo man dann was machen kann«, erklären sie Eingriffe in Räume als theoretisch möglich. Damit treten sie die Verantwortung und letztlich Verfügung über Macht an andere Akteure ab. Die Jugendlichen äußern sich zufrieden über ihre Mapping-Aktion (»aber eigentlich ne ganz gute Lösung«, »ziemlich in Ordnung würd ich sagen«). Einschränkende Bedingungen führen sie auf externe Faktoren zurück, kritisieren diese aber nicht vehement, sondern relativieren wiederum im Sinne einer Differenzvermeidung (»ja war son bisschen blöd manchmal«, »des wär echt praktisch gewesen«). Das wird auch bei der Bewertung von Graffiti deutlich, wenn sich die Jugendlichen darauf verständigen, dass man »dagegen [...] eigentlich letztlich auch nicht viel machen [kann] weils immer jemanden geben wird der halt sowas macht«. Somit wird auch hier der staus quo anerkannt und implizit fortgeführt. Neben dem Unterrichtsprojekt nehmen die Jugendlichen auch allgemein Sachverhalte, die sie »noch nie vorher gehört« oder »vorher nicht mitgekriegt« haben, als implizite Störung wahr (s.o.). Das zeigt sich in ihren Ausführungen über bedeutsame Dinge, die den Jugendlichen aus dem Unterricht in Erinnerung geblieben sind. Sie wurden beispielsweise aufmerksam auf ein »Bild [...] eines Kaufhauses«, das »von der Form her [...] bisschen eigenartig« war oder aber den Trend des »urban knitting«, was in ihrer Stadt noch »nicht so verbreitet« ist. Hier zeigt sich ihr Relevanzsystem, die physisch-materielle Welt bewusst wahrzunehmen und im Sinne einer Bestandaufnahme Dinge zu beobachten und in ihre Vorstellungen einzuordnen. Dabei sind die Jugendlichen positiv an einer Beständigkeit (der gebauten Umwelt) orientiert, die ihnen Halt gibt. Im Gegensatz dazu beurteilen sie die Zerstörung ihrer Umwelt als negativ (»geht ziemlich schnell kaputt wahrscheinlich, wird auch irgendwie kaputt gemacht irgendwie von vielen«). Es wird erkennbar, dass sie jene als Differenzen erlebte Andersartigkeit jedoch keiner kritischen Veränderung unterziehen, sondern relativierend

294 | U RBANES R ÄUMEN

darauf eingehen. So waren bspw. jene Aktionen, mit denen Menschen in Räume eingreifen, »früher soweit ich weiß jetzt nicht so verbreitet«, doch über das Kennenlernen solcher »Methoden« (»haben wir ja auch jetzt viele auch kennengelernt die ich vorher auch nicht kannte und des schon eigentlich ganz interessant war was sich da die Leute ausdenken«), ist es möglich, diese zu deuten. Über den Gegenhorizont des Vergangenen (»früher«) zeigt sich erneut die Orientierung der Jugendlichen an Beständigkeit. Anhand des Themas der Vieldeutigkeit, das heißt, dass »jeder irgendwie [...] ne eigene Sicht hat«, zeigt sich zudem, dass die Jugendlichen ihren Handlungen konventionelle Begründungsmuster zugrunde legen. Für sie ist es »halt auch oft so ne Generationssache einfach«, wenn unterschiedliche Ansichten aufeinander treffen. Diesen muss wiederum mit »Kommunikation« begegnet werden, um Differenzen und Brüche zu umgehen. Auch im Interaktionsraum zeigt sich der auf Ausgleich zielende Habitus der Gruppe. In überwiegend parallelisierender Diskursorganisation elaborieren die Jugendlichen ihre Aussagen, denen – oft auch zurückhaltend lachend – zugestimmt wird. Sozialität wird im Sinne einer harmonischen Gemeinschaft über verallgemeinernde Aussagen hergestellt, denen alle Jugendlichen, teilweise auch ungesagt, zustimmen (»das dachten wir jedenfalls«, »wir wussten einfach wirklich nicht was wir dann da für ein Denkmal machen sollten«). Die Jugendlichen stellen einen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum her, in dem sie eigene Positionen beziehen und ihre Aussagen relativieren, um Unterschiede abzuwenden. Ihre formelle Orientierung zeigt sich zudem in ihrem darstellenden Modus (»es war halt meistens so«, »weils immer jemanden geben wird, der halt so was macht«), in dem die Jugendlichen keine Streitgespräche auslösen. Diese Schülergruppe zeichnet ihre sensibel-regelbezogene Raumaneignung aus, die sich sowohl im Interaktionsraum der Gruppendiskussion als auch in der Auseinandersetzung mit der Mapping-Aktion in ihrer Schulumgebung zeigt. Über das Entdecken der Beschaffenheit der physisch-materiellen Welt und das Einordnen in bekannte Strukturen suchen die Jugendlichen Halt; darüber ist Orientierung möglich. Räume werden von den Jugendlichen als fragil konzipiert. Fallbeschreibung | Winter beige Die Gruppe Winter beige setzt sich aus vier männlichen Jugendlichen zusammen. Die Gruppendiskussion fand in einem Klassenzimmer der Schule statt; der Interviewer befand sich bereits im Raum und wartete auf die Gruppe, die mit der

E RGEBNISSE | 295

anderen Interviewerin und einer weiteren Gruppe aus einem anderen Unterrichtsraum geführt wurden. Die Jugendlichen setzten sich an die Schulbänke, gleich nach Betreten im hinteren Teil des Raumes. Auf eine Art waren die Jugendlichen gespannt, weil sie interessiert schienen, was der Interviewer fragen wird; vielleicht auch, weil ihnen eine weitere männliche Person gegenüber saß. Die Jugendlichen hatten keine Geräte oder Utensilien auf dem Tisch liegen; lediglich Diktiergerät, Zettel mit Notizen und Stift des Interviewers lagen bereit, auf die die Augen der Jugendlichen auch flüchtig gerichtet wurden. Die Körperhaltung der Jugendlichen entsprach eben dieser leichten Anspannung; sie saßen dem Interviewer zugewandt aufrecht gegenüber, aber weder starr noch lässig. Der ein oder andere Jugendliche war etwas auskunftsfreudiger, aber die anderen waren nicht minder aufmerksam, ließen ihre Blicke nicht abschweifen. Die Stimmung blieb ingesamt distanziert, ruhig, zögernd, aber nicht verschlossen oder unwillig zu diskutieren. Der Interviewer selbst empfand im Verlauf der Gruppendiskussion eine gewisse Anstrengung, um die Beteiligung der Jugendlichen herauszufordern, da sie wenig affirmativ wirkten, ohne ihn aber weder verbal zurückzuweisen. Während der Gruppendiskussion kam es ab und an zu kürzeren Unterhaltungen der anderen Jugendlichen im Flüsterton, die sich gerade nicht am Gespräch mit dem Interviewer selbst beteiligten. Nach einer kurzen Einführung durch den Interviewer, der den Jugendlichen erklärt, worum es in dem Gespräch gehen soll, regt er sie durch die offene Fragestellung zu einem freien Erzählen über ihre Erfahrungen in dem Unterrichtsprojekt an. Sie beginnen mit einer Darstellung didaktisch-methodischer Aspekte des Unterrichts, z.B. dem Einsatz unterschiedlicher Medien, wobei sie oft Vergleiche zum Geographieunterricht, wie sie ihn bisher kennen, ziehen. Im weiteren Verlauf elaborieren sie ihre durchgeführte Mapping-Aktion, die als Thema besondere Relevanz gewinnt, und leiten über die für sie als Einschränkungen empfundenen Faktoren erneut über zum Unterrichtsverlauf, bei dem sie wiederum Schwierigkeiten aufzeigen. Daraufhin sprechen sie über einzelne Stunden, wie das Beispiel Duisburg, anhand dessen die Jugendlichen die Arbeit mit einem Zeitungsartikel und dem Kommunikationsmodell beschreiben. Ein weiteres Beispiel finden sie mit London und dem Künstler Banksy, bei dem sie mit einem Mystery gearbeitet haben, welches sie positiv bewerten. Nach den Ausführungen zum Alltagsbezug, den die Jugendlichen im Unterricht sonst wenig hergestellt haben, verständigen sie sich über ihre Erfahrungen mit dem Umgang der Vielperspektivität, die sie anhand eines weiteren Unterrichts-

296 | U RBANES R ÄUMEN

beispiels ausführen. Die Gruppendiskussion endet nach einer kurzen Rückschau, was den Jugendlichen der Unterricht (nicht) gebracht hat. Die Jugendlichen interessieren sich besonders für die Frage der Differenz und Möglichkeiten der Artikulation eigener kritischer Positionierungen, die im Unterschied zum Interaktionsraum, sprich der Jugendlichen-InterviewerInteraktion und der Schule (Unterricht, Lehrer, Unterrichtseinheit) stehen und die sie als Individuen im Gegensatz zur Gesellschaft sichtbar werden lässt. Die zentrale Orientierung der Jugendlichen an Protest als Umgang mit der üblichen Unterrichtserfahrung zeigt sich, indem die Jugendlichen den Projektunterricht als eine Abwechslung zu den Stunden beschreiben, in denen sie »normalerweise« immer »ziemlich dunkle Schwarz-Weiß-Kopien« bekommen, die sie zu bearbeiten haben. Nun hatten sie jedoch mehr Bilder und Grafiken; zudem waren die Zettel viel ansprechender als sonst, weswegen sie auch lieber damit gearbeitet haben. Vor dem Hintergrund der Abwechslung, die die Jugendlichen »im Vergleich zum allgemeinen Unterricht« erlebt haben (»da machen wir zum Beispiel jede Stunde kurz ne Wiederholung normalerweise in Geo dann kriegen wir Zettel und machen Aufgaben dazu in leiser Partnerarbeit«), sprechen sie auch im weiteren Verlauf der Diskussion erneut positiv an, dass sie es gut fanden, »dass man auch verschiedene Sachen gemacht hat«, »mal Aufgaben mit Bildern als Quellen und sonst auch so ne Arbeit mit Plakaten, also Gruppenarbeit und so was, dass das immer variiert hat«. An dem negativen Gegenhorizont des Geographieunterrichts, wie die Jugendlichen ihn kennen, wird ihr Wunsch nach mehr selbständiger Arbeit deutlich. An einer Aufgabe erläutern sie, dass »man da das son bisschen in Eigenregie machen konnte und das nicht so vom Lehrer vorgegeben war«, zumal »eigentlich auch alle Ergebnisse unterschiedlich« waren, und dass man »davon was gelernt hat«. Die Jugendlichen sind positiv an der Diversität und differenzierten Ergebnissen im Unterricht orientiert. Wichtig ist ihnen dabei zugleich, dass sie sich von der Institution Schule und ihren einschränkenden Vorgaben distanzieren. Protest als Umgang mit schulsystemimmanenten Vorgaben wird außerdem konkret an der Lehrkraft festgemacht. Obwohl die Jugendlichen nicht genau wissen, »ob das jetzt so gedacht war«, dass sie am Ende der Mapping-Aktion – so, wie es die Lehrkraft gesagt hat – alles wegräumen mussten, fanden sie das nicht »in dem Sinn« der Aktion; diese war aus ihrer Sicht jenseits der schulischen Interaktionslogik. Sie grenzen sich damit auch von Repräsentanten der Institution Schule ab, deren Autorität über Äußerungen zu deren fachlich-unterrichtlicher Kompetenz infrage gestellt wird. Auch in ihrer Elaboration, warum der Künstler Banksy in London Graffiti gesprüht hat, schreiben sie der Lehrkraft implizit die

E RGEBNISSE | 297

Fähigkeit ab, jene Gründe vermitteln zu können, da die Lehrerin vielleicht »da am Ende irgendwas (falsch)4 gemacht hat«. Denn »wenn man da nicht so viel drüber nachgedacht hat«, hat man den Eindruck bekommen, »als hätte Banksy [...] so da diese Gentrifizierung anstoßen wollen«. Die Jugendlichen wissen jedoch – weil sie mitgedacht haben –, was der Künstler da wirklich wollte, nämlich »um da auf Probleme aufmerksam zu machen«. Die Jugendlichen emanzipieren sich implizit gleichzeitig von der gesellschaftlich herrschenden Klasse (»und nicht damit da jetzt die reichen Leute hinkommen«). Die Orientierung an Protest zeigt sich auch im Umgang mit der Protestaktion und der Unterrichtsreihe selbst. Bereits zu Beginn führen die Jugendlichen an, dass es »n bisschen irreführend« war, weil sie »die Doppelstunden nicht so wirklich immer als Doppelstunden hatten«; deswegen fällt ihnen bspw. die Zuordnung behandelter Städte (z.B. wann haben sie Düsseldorf und Duisburg behandelt) oder stadtgeographischer Prozesse (London »hat sich aber nur auf die Stadtgenese bezogen«) zum Unterrichtsprojekt oder dem Geographieunterricht nicht leicht. Die am Ende der Unterrichtsreihe durchgeführte Mapping-Aktion, in der sich die Jugendlichen »so ne Art Protestaktion ausdenken« mussten, in der sie auf bestimmte »Strukturen aufmerksam machen« sollten, wird als »ganz gute Idee« bewertet, allerdings schließen die Jugendlichen gleich einschränkend an, »dass sowas so ein bisschen gezwungen« und damit kein freier Protest ist. Aus der Sicht der Jugendlichen liegen die Gründe darin, dass sie es »nur in der Schule machen konnten«, weshalb es ja gar »nicht so wirklich gut funktionieren kann«, denn »hätte man was [...] außerhalb gefunden was einen wirklich interessiert hat«, hätten sie »da auch noch bessere Ergebnisse bekommen«. Man muss bei so etwas »wirklich überzeugt« davon sein, und nicht »in der letzten Stunde« machen. Zudem brauchten die Jugendlichen offensichtlich mehr Zeit, denn »das hat auch schon relativ lange gedauert bis [sie] da irgendwann wirklich ne Idee [...] hatten«. Das ergebnisorientierte und selbständige Arbeiten der Jugendlichen wurde durch den schulisch vorgegebenen Rahmen behindert. Für sie ist überzeugtes, interessiertes Arbeiten nicht unter diesen Vorgaben möglich. Diese Art von Aufgabe besaß für die Jugendlichen demnach eine andere Qualität als nur schnelles Abarbeiten eines Arbeitsauftrages. »[S]o größere Projekte« erfordern ihrer Meinung nach eine intensivere Behandlung und Freiheiten in der konkreten Ausgestaltung. Sie elaborieren die negativen Seiten der Protestaktion (»nur in der Schule«, was »natürlich auch ein bisschen beschränkt«, »da war ja auch schlechtes Wetter«), ohne aber die Aktion als solche abzuwerten (»an sich

4

Hinweis zu dieser Schreibweise: Den Transkriptionsregeln folgend bedeutet ein in Klammern gesetzter Ausdruck unverständliches Sprechen.

298 | U RBANES R ÄUMEN

eine ganz gute Idee«), noch sich selbst dafür die Schuld zu geben (»ist jetzt nicht so die tolle Aktion [...] aber für die Zeit und das Material was wir hatten konnten wir uns halt nicht so wirklich was überlegen«), vielmehr bekräftigen sie dadurch ihre Autonomie und den souveränen Umgang mit den an sie herangetragenen Erwartungen, was Unterricht bewirken soll. Nach ihrer Einsicht, dass das »jetzt nicht so die tolle Aktion« war, konkretisieren sie »das Problem dieser ganzen Aktion«, dass »wenn man überhaupt so etwas wirklich machen will« – das bedeutet implizit, sie wollten die Aktion aus eigener Überzeugung durchführen – darf die Aktion gerade nicht »so gezwungen« sein. Um sich klar zu werden, »dass einem da etwas nicht gefällt«, braucht es außerdem einen »längere[n] Entstehungsprozess«. Implizit betonen die Jugendlichen damit ihre Souveränität. Mit anderen Worten: Kritik an Elementen der Schule zu üben, ist zwar möglich (was man in ihren Ergebnissen sieht), d.h. die Jugendlichen beziehen Position zu bestimmten Umständen, doch deutet ihre Haltung darauf hin, dass sie die Aufgabe der Protestaktion eher als Irritation oder Bedrohung empfanden und so etwas »nicht so wirklich gut funktionieren kann«. Die Jugendlichen können in schulischem Auftrag keinen Protest an der Schule selbst üben. Sie versuchen diesen für sie als solchen empfundenen Widerspruch emanzipatorisch-rechtfertigend aufzulösen. Kritisch bewerten die Jugendlichen außerdem, dass die Aufgaben »manchmal am Ende ein bisschen zu umfangreich« waren und sie aufgrunddessen »nicht so auf Diskussion ausgerichtet« waren, »sondern dass man die Aufgaben möglichst direkt durchmacht«, auch wenn die Jugendlichen mit Lösungen »nicht zufrieden« waren. Ob man mit den wenigen Textquellen richtig auf das Abitur vorbereitet werden kann, stellen sie infrage, denn nach ihrer Auffassung verändern sich Anforderungen im Abitur nicht, auch wenn oder weil der Unterricht anders gestaltet ist. Auch beim Arbeiten mit Bildern können sie sich »vorstellen, dass sowas eher in niedrigeren Klassen besser ankommt«, weil man es da »ja relativ einfach hat, weil das nicht so viel Aussage hat das Bild«. Die Jugendlichen fordern eine komplexere Behandlung von Themen im Geographieunterricht. »[D]ass man den Raum unterschiedlich sehen kann« ist für die Jugendlichen einleuchtend. »Ja na klar« bekommen sie eine »Darstellung« von Räumen. Dabei aber sei die im Unterricht vermittelte Darstellung »wirklich eher negativ« gewesen, da sie »eher die schlechteren Stadtteile behandelt [...]« und »jetzt nicht so den Vergleich gezogen« haben. Die Konsequenz daraus ist, dass »[w]enn ich jetzt an Duisburg denke stell ich mir eigentlich auch nur alles grau vor, überall Industriegebiete«. An der Bewertung des vermittelten Bildes von Räumen zeigt sich ihr Protest als Indifferenz gegenüber gesellschaftlich anerkannten Räumen, wie scheinbar negative Stadtteile. Die gemeinsam geteilte Erfahrung der

E RGEBNISSE | 299

Jugendlichen, dass sie »hauptsächlich irgendwie negative Merkmale besprochen« haben, unterstreichen sie, indem sie weitere Beispiele aus dem Unterricht anführen, bei denen eine Aufwertung, bspw. in Berlin Marzahn »nur so teils teils geklappt hat« und »das im Grunde nicht so schön immer noch nicht ist«. Auf der einen Seite beklagen sie regelrecht die Vermittlung negativer Raum-Bilder durch den Geographieunterricht und wünschen sich »ein wirklich positives Beispiel für eine Aufwertung die funktioniert«. Von solchen Beispielen jedoch (z.B. Brautmodeladen in einer Duisburger Straße; Kunst im öffentlichen Raum in Berlin Marzahn) distanzieren sie sich wieder; diese sind »irgendwie nicht so überzeugend«, »n bisschen komisch« und »eher Quatsch«. Die Aufwertung benachteiligter Viertel erfordert ihrer Meinung nach eine komplexere Repräsentation, die über die materielle Veränderung des Raumes hinausgeht und genauso umfasst, wie darüber gesprochen wird. Wiederum zeigt sich daran die Emanzipation von gesellschaftlich anerkannten Räumen. Auch auf sprachlicher Ebene zeigt sich ihr Protest. Für die Jugendlichen passt die »Vorstellung« (Wortwahl des Interviewers; »dass man eine Vorstellung von Duisburg bekommt auch wenn man nicht da gewesen ist«) nicht in ihre Denkweise. Das modifizierte Aufnehmen der Nachfrage durch die Veränderung eines Wortes (»Darstellung« statt »Vorstellung«) zeigt ihre Verweigerung, dass man nicht in ihre Vorstellungswelt hinein kommt; es ist nicht vorstellbar für sie, dass der Unterricht so weit auf sie einwirkt. Die Jugendlichen formulieren damit den gesellschaftspolitischen Anspruch an den Geographieunterricht, dass jene Stadtteile komplexer dargestellt werden müssen. Damit verbunden ist das Bedürfnis nach Akzeptanz unterschiedlicher Ergebnisse in den Aufgaben sowie dem Einsatz auch unterschiedlicher Methoden und Medien. Um die Vielperspektivität auf ihr eigenes Leben zu übertragen, das heißt »dass man den Raum unterschiedlich sehen kann«, wird exmanent durch den Interviewer nachgefragt, ob sich die Jugendlichen vorstellen können, dass sich Menschen auch in einem anderen Stadtteil wohlfühlen, in dem vor allem auch Hartz-IV-Empfänger in Plattenbauten leben5. Indem sie sich in ihren Antworten zum einen an die (Fach-)Sprache aus dem Projekt halten und damit Inhalte verknüpfen (»[für die] sogenannten Pioniere ist es glaube ich nicht so attraktiv weil es relativ [...] weit weg vom Stadtzentrum ist«), setzen sie Wissen aus dem Unterricht inwert, argumentieren aber gleichzeitig aus ihrem Alltagsverständnis, da sie wissen, dass dort »Leute [...] aus dem Ausland« hinziehen und die Wohnungen »relativ günstig« sind. Theoretisch – mit dem Fachwissen aus dem

5

Hier erfolgte eine Maskierung des Stadtteils. Gemeinter Stadtteil zeichnet sich durch eine konträre Sozialstruktur im Vergleich zu dem aus, in dem sich die Schule befindet.

300 | U RBANES R ÄUMEN

Unterricht hergeleitet – finden die Jugendlichen zwar Antworten und Begründungen auf die Frage, doch wissen sie es besser, wenn sie auf ihre eigenen – praktischen – Erfahrungen aus dem Alltag rekurrieren. Sie distanzieren sich damit implizit sowohl von dem Interviewer – nehmen eine Protesthaltung ihm gegenüber ein, da sie nicht auf die indirekt angedeutete unterschiedliche Sozialstruktur eingehen, sondern die Lage zum Stadtzentrum als Begründung anführen – als auch von unterrichtlichen Inhalten. Schlüsse auf solche Fragen können sie nicht ohne ihr Wissen aus dem Alltag ziehen. So war den Jugendlichenn vieles, was sie im Unterricht behandelt haben, schon vorher klar (»dass Zeitungsartikel irgendne Meinung rüberbringen, aber ja, das denke ich war auch vorher schon jedem in der Klasse [...] bewusst«), und besonders bei Bezügen zu ihrem Heimatraum fühlen sie sich souverän und als Spezialisten (»es war mir ja schon vorher klar, was so Problemstadtteile sind, eigentlich den meisten, denk ich mal. Und wenn man dann Berichte aus solchen Stadtteilen liest, dann ja klar, denkt man natürlich, dass da die Rate an Verbrechen und so was höher ist, aber ich finds offensichtlich [...] woran das liegt, [...] dass da sozial Schwächere und so weiter leben. Das war mir relativ offensichtlich schon vorher, also der Unterricht hat das eben nicht verändert«). Hier zeigt sich ihr autonomer Umgang mit Wissen. In der in antithetisch-differenzierendem Modus ablaufenden Diskussion bestätigen sich die Jugendlichen gegenseitig in ihren Aussagen. Häufiges »Ja«-Sagen schließt aber nicht immer unmittelbar an die vorherigen Äußerungen an, sondern angeführte Themen werden damit weiter differenziert. Sozialität entsteht in der Gruppe immer durch eine Differenzerfahrung, die sich in einer differenzierten Positionierung zeigt. Durch gemeinsames Lachen und kurze Unterbrechungen in mehreren Passagen, teilweise in Form unverständlichen Durcheinandersprechens, bestätigen sich die Jugendlichen ihrer homologen Erfahrungen und versuchen gleichzeitig, die treffendsten Worte für die konjunktiven Erfahrungen zu finden. Sie sprechen in einem oft wertenden Modus, indem sie Stellung beziehen. Sie bestätigen und vergewissern sich dabei gegenseitig, z.B. durch Fragen an die Gruppe. In ihrer an Protest orientierten Haltung, die sich ebenso an ihrer Sprache (»eher Quatsch«) zeigt, dokumentiert sich wiederum ihre souveräne und oppositionelle Einstellung besonders dem Unterricht und übergeordnet der Schule als Institution gegenüber. Ihr Protest im Interaktionsraum äußert sich oft auch durch leises, unverständliches Murmeln, auch währenddessen andere Jugendliche sprechen. Auf erneute Nachfragen des Interviewers, bspw. zum Mapping, ergänzen die Jugendlichen keine Aussagen,

E RGEBNISSE | 301

verweisen nur darauf, dass sie darüber bereits gesprochen hatten. Für sie ist das Thema damit abgeschlossen; sie lassen sich nicht auf neue Nachfragen ein. Die Modi der Raumaneignung dieser Gruppe sind, sich protestbezogen zu positionieren. Dieser Protest zeigt sich vielfältig sowohl im Interaktionsraum der Gruppendiskussion, auch dem Interviewer gegenüber, als auch in der Aneignung und Gestaltung des Realraumes. Über ihre skeptische Haltung zeigen sie andere mögliche Sichtweisen auf, die eine differenzierte Raumwahrnehmung ermöglichen. Fallbeschreibung | Winter grau Die Gruppe Winter grau setzt sich aus sechs männlichen Jugendlichen zusammen. Die Jugendlichen betraten selbständig das Klassenzimmer, in dem die Interviewerin auf sie wartete. Hinter ihnen lag eine Geographie-Stunde, die die Lehrerin mit den sechs Jugendlichen in einer Kleingruppe abgehalten hatte, währenddessen zwei Gruppendiskussionen mit den anderen Jugendlichen der Klasse stattfanden6. Die Atmosphäre vor Beginn der Gruppendiskussion war gelockert. Die Jugendlichen erzählten und scherzten hörbar. Selbstbewusst legten sie ihre Schultaschen und Jacken ab und stellten die Bänke und Stühle nach ihren Vorlieben um. Zwei Jugendliche setzten sich erhöht auf die Schultische. Die Gruppe saß in einem Halbkreis der Interviewerin gegenüber. In einer erwartungsvollen Haltung richteten sie ihre Blicke nach vorn, um damit den Beginn der Gruppendiskussion anzufordern. Leicht unruhig begann das Gespräch, wobei die Jugendlichen dennoch gefasst wirkten und die lebhafte Dynamik in der Gruppe eine zwanglose Stimmung bewirkte. Nach der kurzen Einführung der Interviewerin zum Gesprächsanlass beginnen die Jugendlichen mit der Darstellung ihrer Erfahrungen im Unterrichtsprojekt, wobei sie besonders auf die ausgedehnte Quellenarbeit eingehen, die sowohl positiv als auch negativ eingeschätzt wird. Die Jugendlichen ziehen einzelne Vergleiche zum Geographieunterricht, in dem sie Quellen sonst in Form von Texten »in so ner mini Schriftgröße« erhalten. Sie schätzen ihre Rolle im Unterrichtsprojekt positiv ein, da sie »mehr eingebunden« waren und auch »selbst kreativ sein« durften. Nach der Abwägung einzelner Aspekte, wie z.B.

6

Die Jugendlichen haben somit gewissermaßen den direkten Vergleich des Unterrichts mit dem Projektunterricht, über den sie in der Gruppendiskussion sprechen.

302 | U RBANES R ÄUMEN

der Gruppenarbeit oder konkreten Aufgaben (z.B. Textarbeit) stellen sie fest, dass manche Themen »schon so ein bisschen weit von Geographie ab[weichen]«. Die Nachfrage nach den Hausaufgaben sprechen die Jugendlichen kurz an, bevor sie unterschiedliche Umsetzungen ihrer eigens durchgeführten Mapping-Aktion darstellen. Im Anschluss erörtern die Jugendlichen den Umgang mit der Vielperspektivität von Räumen anhand von unterschiedlichen Interessen und Voraussetzungen der Menschen, was für sie »jetzt nichts Besonderes« ist. Erneut verdeutlichen sie dies mit einigen Beispielen aus dem Alltag und ihrer Heimatstadt. Die zentrale Orientierung der Schülergruppe Winter grau ist ihre positive Leistungsorientierung. Die Jugendlichen heben hervor, dass sie sich im Projektunterricht »Ergebnisse selbst erschließen« mussten, sie »generell viel mit Quellen gearbeitet« und »viel Quellen ausgewertet« haben, aus denen sie viel »herausfinden« bzw. »entnehmen« konnten. Nach einer anfangs kurzen Darstellung des Unterrichts in Form einer chronologischen Abfolge (»und dann haben wir«, »dann haben wir weiter«), stellt ein Jugendlicher fest, dass das »doch gar nicht gemeint [war], dass wir jetzt aufzählen, was wir gemacht haben«. Die Jugendlichen klären kurz untereinander, was sie machen sollen, um dann den Wortlaut aus der Eingangsfrage der Interviewerin aufzunehmen und darzustellen, wie sie das Unterrichtsprojekt fanden. Sie drängen sich im Folgenden gegenseitig zu konkret begründeteten Aussagen (»Ja und wieso?«). Den Jugendlichen ist es wichtig, sich im Sinne einer Gleichberechtigung präzise zu positionieren, sei das die Beantwortung der genauen Aufgabenstellung der Interviewerin (s.o.) oder die Einhaltung der Reihenfolge der Sprecher. Als ein Jugendlicher in der bis dahin eingehaltenen Reihenfolge das Wort vor seinem Klassenkamerden ergreift, regt sich kurz Protest (»äh hey«), der sich aber sofort über ein kurzes Lachen auflöst (»na wir reden einfach, jetz mach doch«). Nachdem jeder Jugendliche Stellung bezogen hat, fordern sie die Interviewerin auf, eine weitere Frage zu stellen (»Wir bräuchten glaub ich noch ne weitere Frage um auszubauen«). Auch das entspricht ihrem Modus, ergebnisund leistungsorientiert zu arbeiten. Bei der Darstellung ihrer Leistungen (»selber was gemacht«) werden kurze Antworten (»Ja ich kann eigentlich nur zustimmen«) von der Gruppe belächelnd aufgenommen. Die Leistungeserbringung und -steigerung ist für die Jugendlichen besonders mit der »Vorbereitung aufs Abitur« verbunden. Auch in der Formulierung von Kritikpunkten an dem Unterrichtsprojekt (»teilweise n bisschen zu viel Spielerei«) wird ihre Forderung nach dem »sachlichen Lernfaktor« deutlich, der ihrer Meinung nach immer »beibehalten« werden sollte. Sie sehen ein Problem in Aufgaben, die sich »von

E RGEBNISSE | 303

Geographie distanzier[en]«, da man dann bspw. nicht mehr so lange Texte verstehen würde. Sie betonen genauso, dass gewisse Dinge, die sie im Unterrichtsprojekt behandelt haben, zum »Allgemeinwissen« dazugehören, wie z.B. das Wissen über den Weg der Nachrichten, welches ein Thema war. Gleichzeitig sprechen sie der Schule die Bedeutung der Wissensvermittlung in gewissen Fragen ab, da sie die Jugendlichen nicht auf das Leben vorbereiten kann (»man lernt das doch nicht in der Schule, damit man weiß was da steht«). Diese Leistung müssen sie vor allem selbst bringen. Ihre eigene Aktivität (»haben ja dann auch selbst Fotos gemacht«) schätzen die Jugendlichen in diesem Prozess besonders, da sie durch die selbständige Erarbeitung Inhalte im Projekt »besser verstehen« und sich in die Mapping-Aktion bspw. auch besser »hineinversetzen« konnten. Erst dadurch, dass man das »selber versucht, kommt man da [find ich] mehr so in die Rolle rein und versteht das auch besser, warum dann einer das macht«. Es zeigt sich, dass es für die Jugendlichen wichtig ist, die Bedeutung von Handlungen auch entlang gemeinnütziger Kriterien zu beurteilen und sich dabei durch eine innere (geistige) Beteiligung in Situationen hineinzuversetzen (»Leute die sich da drum gekümmert haben«). Am Thema ihrer Mapping-Aktion wird deutlich, dass die Jugendlichen Bestätigung ihrer Handlungen nicht über direkte Auszeichnungen einfordern, sondern darüber, wie andere sich damit auseinandersetzen (»die [Schüler] fandens cool«, »haben uns angefeuert«, »lustig, dass alle gekuckt haben«, »die Lehrer viele haben auch gefragt ob denn das ok sei«). Das ist ihr Modus, wie sie Wirksamkeit erfahren. Sowohl diese als auch die Schülergruppe Herbst blau erzählen offen über ihre Erfahrungen mit der Mapping-Aktion, was in anderen Gruppendiskussionen nicht in diesem Maße passiert. Innerhalb ihres gemeinsam geteilten Erfahrungsraumes dokumentieren sich unterschiedliche individuelle Leistungsanforderungen der Jugendlichen, die aber ausgleichend behandelt werden. Das wird an der Aushandlung des Themas der Quellen im Unterricht deutlich, was die Jugendlichen offensichtlich sehr beschäftigt, da sie stets wieder darauf zurückkommen. Dabei elaborieren sie stets, inwiefern die Quellenarbeit lohnend war. Auf der einen Seite waren die Quellen wie auf dem »Silbertablett« serviert, was gewissermaßen einen »Denkprozess« rausgenommen hat und damit der Projektunterricht »nicht so anspruchsvoll« war wie der Unterricht, der ihnen »schulisch sonst gegeben wird«. Gleichzeitig schätzen die Jugendlichen, dass die Quellen »kurz« und »präzise« waren (»ich fands sehr gut, dass die Quellen sehr klar waren«). Die Gruppe versucht, Differenzen hinsichtlich der Bearbeitung dieses und anderer Themen zu vermeiden (»ich kann mich nicht beschweren«, »aber jeder sieht das bestimmt anders«). Relativierend führen sie unterschiedliche Sichtweisen an,

304 | U RBANES R ÄUMEN

indem sie eigene Aussagen abändern. So musste ein Jugendlicher bspw. bei einer Aufgabe »total überlegen«, woraufhin ein anderer entgegnet »Das ist doch nicht schwer«; und wieder antwortet ersterer »Ja ich mein des war nicht schwer, des war interessant und man musste da trotzdem darüber nachdenken«. Gleiches tun sie bei der Einschätzung der Gruppenarbeit, bei der es für sie immer so ist, dass die einen mehr und die anderen weniger mitarbeiten (»dass bei Gruppenarbeit die Motivation auch bei anderen Sachen liegt«), sowie der Frage, ob sie im Unterrichtsstoff »hinterher« hingen oder nicht (»manchmal sind wir nicht ganz durchgekommen«, »echt?«). Ihre relativierende Haltung zeigt sich auch in anderen Ausdrücken (»aber sonst find ich das schon ne gute Sache«, »das war relativ gut«, »weil ihr habt ja selber gerade gesagt, dass […]«). Differenzen umgehen die Jugendlichen ebenso über das Abbrechen von Themen, bspw. wenn sie sagen »OK, ich glaube wir waren durch«. Spannungen werden von den Jugendlichen selbst verlagert, indem sie dann teilweise unvermittelt auf allgemeine Aussagen zum Unterricht übergehen, um die Atmosphäre wieder aufzulockern (»ja was mir auch gut gefallen hat waren die Farbkopien«). Hierin dokumentiert sich ihr hoher Anspruch an sich selbst und ihre Leistungserwartungen (»hätte man sich vorher glaub ich schon selber denken können«). Selbstbestimmung erreichen die Jugendlichen demnach vor allem über das Erbringen von Leistungen. Diese sind für sie über den schulischen Rahmen hinausgehend über ihr eigenes Handeln möglich. Den Jugendlichen ist es wichtig, eigene Positionen souverän darzustellen (»das war für mich so«). Nach der anfangs eher chronologischen Beschreibung in parallelisierender Diskursorganisation entwickelt sich das Gespräch im Folgenden antithetisch-autonomiebetont, indem die Jugendlichen Propositionen aufstellen und damit Antworten der anderen geradezu provozieren, um weiter daran anzuknüpfen und sie teilweise auf expliziter Ebene zu widerlegen (»das ist doch nicht schwer«). Auch greifen sie eigene Aussagen wieder auf, um sie differenziert(er) hervorzubringen. Gleichzeitig ist die souveräne Positionierung jedes Einzelnen wichtig, um Gemeinschaft herzustellen, in der die Jugendlichen gegenseitige Bestätigung finden und sich gemeinsamer Ziele versichern (»in Gruppenarbeiten zusammen erschließen«, »ne schnelle Klasse«), ohne dabei ihre Unabhängigkeit zu verwirken. Das vollziehen die Jugendlichen bspw. über (in)direkte Fragen an die Gruppe (»Aber hättet ihr lieber so nochmal so was wie wir davor immer gemacht haben gemacht«, »was haben wir zwischendrin nochmal gemacht?«, »ich weiß nicht, ob die anderen jetzt dabei was gelernt haben«). Dennoch werden Differenzen im Interaktionsraum, sowie in Bezug zu Themen und der Lehrerin vermieden, indem die Jugendlichen getätigte

E RGEBNISSE | 305

Aussagen wieder aufgreifen und neu formulieren bzw. Themen in Form von (rituellen) Konklusionen beenden. Eher belustigend bewerten sie dabei die Art des Unterrichts der Lehrerin (»dann fasst sie immer alles an der Tafel zusammen«, »sie kann Namen nicht so gut«). Spielerisch umgehen die Jugendlichen auch hier Differenzen in Bezug zu ihr. Das gegenseitige An- bzw. Auffordern zur Stellungnahme zeugt von einer lebendigen Gesprächsatmosphäre, die durch Lachen und kurze Pausen zusätzlich gelockert wird. Es zeigt sich die positive Orientierung der Jugendlichen an einer Leistungsoptimierung, die sie sich auch für andere wünschen, ohne aber vehement einzufordern (»das soll ja auch verallgemeinert werden für andere Schulen«). Verantwortung für ihre eigenen Leistungen weisen die Jugendlichen dabei nicht von vornherein ab (vgl. Schülergruppe Herbst blau), auch wenn sie die Lehrerin für manche Anweisungen kritisieren (»die Leitung von Frau XX«). Die Jugendlichen gehen außerdem auf Nachfragen in der Gruppendiskussion ein, indem sie die Interviewerin direkt adressieren (»und zu Ihrer Frage, ich meine [...]«) und sich damit auf eine gleiche Höhe stellen. Insgesamt wird ersichtlich, dass sich die Jugendlichen im Interaktionsraum gegenseitig antreiben, um im Sinne ihres Anspruchs einer Leistungsoptimierung je treffendere Antworten zu bringen und sich selbstbestimmt zu positionieren. Charakteristisch für diese Schülergruppe ist ihr Anspruch, sich Räume gleichwertig und unabhängig anzueignen. Dabei stellen Gleichwertig- und Unabhängigkeit keinen Widerspruch dar; mit Differenzen umzugehen bedeutet dann, unterschiedliche Sichtweisen anzuerkennen, neue Perspektiven aufzunehmen und sich über jene Erkenntnisse selbst(-bestimmt) ein Bild von der Welt zu machen. Auch über soziale Perspektivierungen (z.B. Wohnpräferenzen von Menschen mit/ohne Migrationshintergrund) sollen unterschiedliche Wahrnehmungen ausgeglichen werden. Es geht den Jugendlichen insgesamt um eine gewissenhafte Raumaneignung, die im Sinne einer Optimierung eigener und anderer Leistungen in und von Räumen steht. Fallbeschreibung | Winter schwarz Die Gruppe Winter schwarz setzt sich aus vier männlichen Jugendlichen zusammen. Die Schülergruppe wurde von der Interviewerin in das Klassenzimmer geführt, in dem die Gruppendiskussion stattfand. Sie waren ruhig, sprachen kaum, und setzten sich in einem Halbkreis auf die Stühle. Zurückhaltend schauten sie sich an, wobei die Aufmerksamkeit auf die Interviewerin gerichtet blieb. Während

306 | U RBANES R ÄUMEN

ihrer Redebeiträge hielten die Jugendlichen stets Augenkontakt mit ihr. Die Gruppendiskussion begann zurückhaltend und gefühlt noch etwas angespannt; entwickelte sich weiter zu einer bedachten und dabei zwanglosen Konversation. Die Jugendlichen schienen sehr überlegt und aufrichtig in ihren Antworten. Sie hörten aufmerksam zu und fielen sich kaum gegenseitig ins Wort. Ungeachtet der empfundenen hohen Erwartungshaltung der Jugendlichen, die sie durch ihre Antworten zu erfüllen anstrebten, herrschte eine sehr vertrauenswürdige Atmosphäre unter den Teilnehmern. Die Jugendlichen beginnen nach der Einleitung durch die Interviewerin über ihre Erfahrungen aus dem Unterrichtsprojekt zu erzählen. Sie gehen auf die Strukturen ein, z.B. dass sie in »Doppelstunden« und »meistens in Gruppen« gearbeitet haben. Sie erkannten darin ein »Gesamtkonzept«, was es »normalerweise« nicht im Geographieunterricht gibt. Im Anschluss explizieren sie weiter, inwiefern für sie eine Struktur erkennbar wurde. Sie betonen daneben, dass es wichtig ist, sich Dinge gegenseitig zu erklären, was in den Gruppenarbeiten jedoch nicht immer umgesetzt wurde. Beispiele in ihrem Alltag haben die Jugendlichen weniger wiedergefunden bzw. »nicht wirklich drüber nachgedacht«, da sie das im Unterricht bereits viel getan haben. Mit der Vieldeutigkeit von Räumen, nach der die Interviewerin fragt, haben die Jugendlichen kein Problem, da sie im Unterricht »vorher auch schon relativ häufig« Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet haben. Neben der Erläuterung ihrer durchgeführten Mapping-Aktion gehen die Jugendlichen auch auf mögliche Aktionen ein, die sie zusätzlich durchgeführt hätten. Wiederum betonen sie im Anschluss daran, dass die Materialien im Unterrichtsprojekt »wesentlich interessanter« waren, Quellen »direkt das Thema getroffen haben« und sich die Jugendlichen deswegen »generell besser« an Themen erinnern. Die Schülergruppe ist positiv an der Zweckmäßigkeit von Handlungen orientiert, die einer Selbstverwirklichung dienen soll. Die Jugendlichen fokussieren dabei Möglichkeiten der Artikulation eigener, grundsätzlicher Positionierungen. Es ist wichtig für sie, das Nötigste zu lernen, um handlungsfähig zu bleiben und Leistungen erbringen zu können. In ihren Ausführungen zum Unterrichtsprojekt ziehen die Jugendlichen oft Vergleiche zu ihren Erfahrungen im Geographieunterricht, den sie »bisher« hatten. »Überlappungen zwischen den Themen«, die es oft im Geographieunterricht gab, bewerten sie negativ, genau wie die Arbeit mit »solchen massiven Texten«, die sie »normalerweise« bekommen, denn »dann ist das immer so eine Sucherei« und »sehr schwierig irgendwie wieder was zu finden«. Quellen müssen für die Jugendlichen demnach »zweckmäßig« sein; »ohne

E RGEBNISSE | 307

Lücken, aber dass auch nichts wiederholt wurde zu viel«, damit der Unterricht insgesamt »weniger zeitaufwändig« ist. Die Jugendlichen sind es gewohnt, ergebnisorientiert zu arbeiten. Sie greifen zudem oft Fachbegriffe auf (z.B. »Containerraum«, »Stadtgenese«). Daran zeigt sich ihre positive Orientierung an der Inwertsetzung von Wissen aus dem Unterricht. Neben der strukturellen Fokussierung steht für die Jugendlichen auch die ansprechende formale Gestaltung der Materialien aus dem Unterrichtsprojekt im Vordergrund (Zettel sind sonst immer »falsch gelocht«, hatten im Projekt »die gleiche Größe«, anschauliche Gestaltung, mehr Bild als Text), welche das Arbeiten für sie deutlich »kreativer« machte. Die Jugendlichen betonen am Ende, dass es ein gemeinsames »Schema« für alle Schulfächer mit »zentral zusammengestellt[en]« Quellen und Vorgaben geben müsse, welches jeder Lehrer dann selbst im Unterricht ausgestalten kann. Hier wird deutlich, dass die Jugendlichen ihren Anspruch nach Chancengleichheit mit einer gleichzeitigen Verselbständigung der eigenen Person verbinden. Über diese erneute Kritik der Jugendlichen an den von der Lehrerin ausgewählten Quellen, die sie normalerweise als »Seiten ausm Buch kopiert« erhalten, entlasten sie sich implizit von der Verantwortung der schulischen Leistungserfüllung und betonen ihre eigene Emanzipation von den als für sie empfundenen einschränkenden Vorgaben. Ihre Orientierung an Selbstverwirklichung bleibt implizit die gleiche. Das wiederum bestärkt den Ehrgeiz der Jugendlichen, selbst aktiv zu werden. Sie schätzen die selbständige Arbeit im Projekt und dabei zu sehen, »wie viel Einfluss du selber darauf hast«. Dies entspricht ihrem Habitus, selbstbestimmt zu handeln. Ihre Mapping-Aktion schildern die Jugendlichen dementsprechend deutlich; dafür haben sie »ganz viele Stühle genommen und als Bank in den Flur gestellt, weil wir son paar Bänke zu wenig haben«. Diese wurden von anderen Jugendlichen auch alsbald genutzt. Sie hatten auch weitere Ideen; unter besseren Wetterbedingungen hätten sie sich auf einen Parkplatz gesetzt und etwas gegessen, »weil das komplett zugestellt ist« oder aber ein »stationäres Fahrrad« auf die Straße gestellt, weil sie selbst als Fahrradfahrer auf der Straße immer »angehupt« werden. Obgleich sich die Jugendlichen bei ihrer Intervention immer noch an »irgendwelche Schulordnungen« halten mussten, formulieren und setzen sie alternative Raumnutzungen selbständig um. Die Jugendlichen sind zudem positiv an Gemeinschaft orientiert, die sie vor allem in den gemeinsamen Gruppenarbeiten erfahren haben. Das zeigt sich sprachlich an unterschiedlichen Stellen, bspw. indem sie verallgemeinernde Aussagen zum Unterricht anführen (»auf jeden Fall sind glaube ich auch alle in der Klasse da relativ gut mit zurecht gekommen«, »wir«) oder sich über Fragen an die Gruppe rückversichern (»das war doch so oder«). Anhand der

308 | U RBANES R ÄUMEN

Thematisierung der Schwierigkeiten bei der Gruppenarbeit zeigt sich erneut die Orientierung der Jugendlichen an gemeinschaftlicher Arbeit, die wiederum der Leistung jedes Einzelnen bedarf. Die Jugendlichen empfanden es demnach schwierig, die Ergebnisse aus den Gruppenarbeiten zusammenzutragen, wenn kein Bezug aufeinander genommen wurde und »die einzelnen Leute in der Gruppe sich danach meistens nur auf ihre Sachen bezogen haben« und folglich »natürlich dann Aspekte« fehlten. In diesem Anspruch nach Vollständigkeit zeigt sich die Orientierung der Jugendlichen an Selbstverwirklichung; im konkreten Fall als positive Abhängigkeit von den Leistungen anderer. Damit gelingt Verselbständigung nur über eine Gleichberechtigung, d.h. wenn alle an den vollständigen Ergebnissen teilhaben. Die Verantwortung bei Nichtgelingen wird dann auf einen konkreten Jugendlichen, der mit Namen genannt wird, übertragen. Solche und andere Differenzen werden von den Jugendlichen jedoch relativierend aufgehoben. In diesem Fall wird das Thema durch eine Anschlussproposition auf eine allgemeinere Ebene verlagert (»Ich glaub das ist generell son bisschen das Problem bei Gruppenarbeit [...]«). Wenn sie bspw. das Unterrichtsprojekt mit ihrem Geographieunterricht kontrastieren, lockern sie die dargestellten und als Einschränkung ihrer Arbeit empfundenen Unterschiede u.a. durch Lachen auf. Unterschiedliche Ergebnisse bei der Bearbeitung von Aufgaben bewerten sie hingegen explizit positiv. »Dinge zu versuchen aus verschiedenen Blickwinkeln oder Perspektiven wahrzunehmen« kennen die Jugendlichen bereits aus dem Unterricht vorher, weil sie das auch oft so gemacht haben. Die Jugendlichen legen Wert darauf, Dinge differenziert und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, wenn man sie »objektiv bewerten will«. Die Perspektive der/s Anderen ist für die Jugendlichen ebenso von Bedeutung, um die Wirksamkeit eigener Handlungen zu erfahren. Dass ihre aufgestellten Stühle im Gang gleich von anderen Jugendlichen benutzt wurden, bestätigt die Jugendlichen in ihrer Vorstellung einer Aktion, die erfolgreich auf Missstände aufmerksam machte. Auf expliziter Ebene setzen sich die Jugendlichen intensiv mit (schulischen) Strukturen auseinander. Implizit zeigt sich daran, dass sie positiv an der Emanzipation durch eigene Leistungen orientiert sind. Das wird u.a. daran deutlich, wenn die Jugendlichen eine Aufgabe aus dem Unterrichtsprojekt positiv bewerten, in der sie einen »Text […] umschreiben sollten, sodass er positiv klingt« (im Gegensatz zu den Schülergruppen Winter beige und Winter grau bspw.). Wichtiger als eine einheitliche Zuordnung zum Geographieunterricht (vgl. Winter grau: »das war eher Deutsch«) ist ihnen, dass sie ihre eigene Wirksamkeit erfahren, wie sie Aufmerksamkeiten anderer beeinflussen

E RGEBNISSE | 309

können, d.h. konkret »wie Informationen klingen und rüberkommen können«. Darüber hinaus zeigt sich auch, dass der Bezug von Inhalten auf das eigene Leben und die Möglichkeiten im Projekt, mehr »kommentieren«, »bewerten« und »unsere eigene Meinung zu etwas sagen« zu dürfen anstatt nur zu »analysieren« und »Verbindungen herstellen«, dem Erwartungshorizont der Jugendlichen entspricht, sich selbstbewusst und eigenständig zu positionieren. Die Gruppendiskussion entwickelt sich in parallelisierender Diskursorganisation, wobei sich die Jugendlichen nahezu nie gegenseitig ins Wort fallen. Die Feststellungen, die die Jugendlichen nacheinander anführen, entsprechen ihrem darstellenden Modus. Sie stellen Aussagen auf und erweitern diese im Sinne einer gemeinsamen Fortführung des Themas, wobei sie sich auch durch Nachfragen an die Gruppe rückversichern. Die Teilnehmer animieren sich damit indirekt gegenseitig zu weiteren Erklärungen. Besonders deutlich wird auch, dass diese Schülergruppe Differenzen nicht offensichtlich nach außen trägt. Wenn ein Jugendlicher in seiner Aussage korrigiert wird, tun das die anderen durch gemeinsames, teilweise leise gesprochenes Ändern der Aussage. Die Betonung von Gemeinschaft wird auch im Interaktionsraum deutlich, wenn die Jugendlichen indirekte Fragen zur Rückversicherung an die Interviewerin stellen (»ich mein das gehörte ja auch dazu«). Raumaneignung meint für diese Schülergruppe abwägendes Erkennen und Deuten von Sichtweisen, um ausgleichend in unterschiedlichen Räumen zu partizipieren und aktiv darin einzugreifen. Dabei ist es ihnen wichtig, dass Differenzen im Sinne einer Gemeinschaftsorientierung anerkannt und damit Eingriffe möglich werden. Verbunden mit ihrem Anspruch der Zweckmäßigkeit i.w.S. (nur das Wichtigste lernen; angemessene Interventionen) erfahren die Jugendlichen die Wirksamkeit ihrer Handlungen.

6.2 R EKONSTRUKTION DER S CHÜLERORIENTIERUNGEN : K OMPARATIVE ANALYSE UND THEORETISCHE V ERDICHTUNG Der folgende Abschnitt zielt auf eine Darstellung der von den Jugendlichen in den Gruppendiskussionen angesprochenen Themen und Inhalte. Diese sind aus ihrer Sicht besonders relevant und werden nicht vom Forschenden als solche bestimmt. Hintergrund ist der, dass im Arbeitsschritt der formulierenden Interpretation diejenigen Textstellen gewählt werden, die sich aufgrund ihrer

310 | U RBANES R ÄUMEN

metaphorischen und interaktiven Dichte (Fokussierungsmetapher) als bedeutsam für die Jugendlichen ergeben. In der reflektierenden Interpretation werden die Orientierungen, die den Handlungen (Aussagen) zugrunde liegen, rekonstruiert sowie in der komparativen Analyse weiter empirisch belegt und verdichtet. Dies soll hier für die zentralen Schülerorientierungen getan werden: Entsprechend wird immer ein Transkriptauszug aus einem Fall gewählt (Eingangspassage), welcher fallintern und zudem anhand eines bzw. weiterer Auszüge aus anderen Gruppendiskussionen fallübergreifend kompariert wird. Im Anschluss daran erfolgt jeweils – farbig unterlegt – eine Zentrierung der Ergebnisse i.S. der Formulierung erster geographiedidaktischer Folgerungen. Abbildung 12 fasst die zentralen Themen zusammen und verdeutlicht die Verknüpfungen untereinander. Die Basisorientierung (tertium comparationis), über die der Vergleich unterschiedlicher Fälle möglich wird, bildet die Raumaneignung. Abbildung 12: Thematische Schwerpunkte der Jugendlichen aus den Gruppendiskussionen

Aus sieben Gruppendiskussionen konnten vier zentrale Themen herausgelöst werden, die von allen Jugendlichen angesprochen werden. Diese wiederum lassen sich unterrichtsübergreifend darstellen; d.h. darin zeigen sich allgemeine Orientierungen der Jugendlichen, die nicht nur raumspezifisch formuliert sind, auch wenn das Unterrichtsarrangement jene Fragestellungen fokussierte. Die vier Themen werden in den folgenden Abschnitten entsprechend der Nummerierung in Abbildung 12 ausgeführt (Kap. 6.2.1, 6.2.2, 6.2.3, 6.2.4).

E RGEBNISSE | 311

6.2.1 Veränderndes Eingreifen in Strukturen als Raumproduktion Zentral für die Lernenden zeigt sich ihre positive Orientierung am Eingriff in räumliche Strukturen. Die Jugendlichen betonen die Notwendigkeit, sich daran zu beteiligen. Dabei ist die Auslegung dessen, wie und mit welchen Konsequenzen etwas verändert wird, von unterschiedlicher Ausprägung. Die folgende Passage aus der Schülergruppe Herbst grün, Z. 2-50 bildet die Eingangspassage und dient als erste Fundierung der angesprochenen Orientierung: Am:

Bm:

Ja also ich bin der **Am** (.) u:::nd ja (.) also mitm Herrn Mayer* haben wir halt im Unterricht irgendwann (.) ähm also wir haben halt die ganzen Rollen besprochen //mhm// wir habens zusammen angeschaut habens (.) ähm angeguckt wie sich die Rollen verändert haben (.) und (1) ja haben uns halt eben auch angeschaut ähm (.) warum es halt alles passiert also (.) wie das auch mit den geographischen Marken zusammenhängt (.) und allgemein mit der ganzen Lage Deutschlands auch und (.)ähm ja dann haben wir uns auch angeschaut wie ähm man anthropolog(isch) die (Regionale) verändern kann (.) also durch (.) ja durch diese (.) durch- knotting zum Beispiel oder durch diese (.) durch Bepflanzung von Flächen auch obwohl es illegal ist (1) u::nd joa (.) ja also (2) also rausgenommen habe ich noch aus dem Unterricht dass ehm (1) man einfach Räume nicht einfach (.) so (.) stehen lassen kann sondern man kann auch gucken wie man sie verändert wenn sie einem nicht gefallen (1) genau 00:02:01 Joa ich bin der XXX und (1) äh was mir zum Unterricht zuerst einfällt ist halt die Art wie der Unterricht war also es war jetzt nicht so das Herr XXX einfach vorne stand und das alles erklärt hat oder so sondern es war eher ein Gespräch mit den Schülern so dass wir das selbst uns erarbeitet haben Großteils (.) das wir mim Herr XXX so erarbeitet haben das er halt vielleicht die Unterhaltung so gelenkt hat dann in die Richtung was er haben wollte jetzt eben halt zu den Ergebnissen hin (1) aber es war halt eigentlich hauptsächlich wir die das dann erarbeitet haben auch die Ergebnisse (1) ähm ja (.) das was der **Am** eben schon gesagt eben mit P(.) de:n (.) äh das man mehr halt (diesen Themen) vor allen Dingen auf Fehler oder Missstände aufmerksam machen kann was für Missstände es halt geben kann (1) bw::::::

312 | U RBANES R ÄUMEN

Cm:

wie man die halt vielleicht beheben kann durch (.) Ansiedelung von Industrien äh (.) von- man erhebt einfach den ganzen Status des Viertels durch Kulturzuwachs oder so was (.) joa 00:02:59 Ja also ich bin der **Cm** und ((räuspern)) also ich muss- (.) also das was ihr gesagt habt ist (.) ist mir auch hängen geblieben aber was noch der Fall ist halt (.) was ich eigentlich am wichtigsten finde was man mitnehmen kann ist halt das Räume wirklich also pf:: vor allem jetzt heutzutage nichts natürliches mehr sind die sind halt einfach gemacht weil (.) und deswegen kann man die auch verändern durch irgendwelche Eingriffe (will) (.) in der Natur- wenn es wirklich natürlich wär das (.) äh kann man dann nur verändern indem man es zerstört hier kann man einfach irgendwelche Änderungen machen (.) siehe Bepflanzung oder so und so weiter und was auch extrem wichtig ist ist halt äh wie (.) welches Image diese Räume haben weil es muss ja gar nicht so sein wie alle immer sagen also (.) ich kann da (.) relativ persönlich sogar was sagen […]

Am beginnt zunächst mit einer Aufreihung dessen, was die Jugendlichen im Unterricht mit ihrem Lehrer behandelt haben. Über eine Aufzählung konkretisiert er dann, wie man Veränderungen im Raum herbeiführen kann, »durch knotting zum Beispiel oder durch diese durch Bepflanzung von Flächen«. Was er aus dem Unterricht »rausgenommen« habe, war, dass »man einfach Räume nicht einfach so stehen lassen kann sondern man kann auch gucken wie man sie verändert wenn sie einem nicht gefallen«. In ähnlicher Weise schließt sich die Elaboration Bms an, der ebenfalls »die Art wie der Unterricht war« thematisiert und dabei besonders auf die Rolle des Lehrers eingeht. Wie man »auf Fehler oder Missstände aufmerksam machen« oder »die halt vielleicht beheben kann«, wird dann auch mit konkreten Beispielen belegt, z.B. »Ansiedelung von Industrien«. Cm bestätigt daraufhin kurz das, was seine Vorredner gesagt haben, bevor er das, was er »am wichtigsten« fand, herausstellt: Räume sind »vor allem jetzt heutzutage nichts natürliches mehr die sind halt einfach gemacht«, was es einem erlaubt, diese auch zu »verändern durch irgendwelche Eingriffe in der Natur«. Cm grenzt damit Eingriffe in den Raum von Zerstörungen ab. All das, was nicht Natur ist, darf demzufolge verändert und gestaltet werden. In der Verknüpfung zwischen Natur – Zerstörung sowie dem Gemachten – »einfach irgendwelche Änderungen« kommt implizit die Orientierung an der Erhaltung und des Schutzes des Natürlichen zum Ausdruck. Insgesamt zeigt sich an dieser Eingangspassage die Orientierung der Jugendlichen an einer Verbesserung oder Verschönerung (von Eingriffen in Räume). An ihrer Sprache lässt sich ableiten, dass sie ihre eigene

E RGEBNISSE | 313

aktive Rolle zwar betonen (»wir das selbst uns erarbeitet«, »rausgenommen habe ich«), doch über konkrete Veränderungen nur in der allgemeineren Formulierung »man« sprechen. Daran zeigt sich ihre tendenzielle Zurückhaltung bzw. Mäßigung demgegenüber (»gucken wie man sie verändern kann« oder aber »aufmerksam machen«, »vielleicht beheben«). Anhand der zweiten Passage aus der gleichen Diskussionsgruppe soll diese Orientierung weiter fundiert werden. Dem folgenden Transkriptauszug voraus ging die Elaboration Cms, der nochmals auf die Art und Weise des Unterrichts eingeht und »faszinierend« (Z. 102) fand, dass man dadurch auf eigene Vorurteile aufmerksam wurde, denn »wenn man es sich selbst erarbeitet dann kriegt man vielleicht auch mehr mit« (Z. 102f.). Daran schließt sich die Proposition Bms an, der erklärt, durch den Unterricht auf »Missstände« aufmerksam geworden zu sein, »die einem vielleicht nicht so erstmal gar nicht auffallen weil man sich in bestimmten Räumen gar nicht so viel aufhält«. Dem Lehrer komme dabei eine besondere Rolle zu, da er »oft« darauf »hingewiesen« habe. Für Bm waren das z.B. die Sitzmöglichkeiten in der Stadt, von denen es wenig gebe. Er schränkt am Ende aber ein, dass »wahrscheinlich [...] eine Initiative vom Staat dann kommen [müsste] als Einzelner kann man das dann nicht« ändern. Herbst grün, Z. 106-148 | Künstlerische Möglichkeiten: Bm:

Am:

Oder auch so Missstände die einem vielleicht nicht so:: erstmal gar nicht auffallen weil man sich in bestimmten Räumen gar nicht so viel aufhält (.) wie zum Beispiel hier in der Stadt das hat Herr XXX oft hingewiesen das es kaum Sitzmöglichkeiten gibt das ist mir noch gar nicht so aufgefallen weil (.) ich hierher immer durch die Stadt fahre und (.) von daher nur ( ) bleib //@(.)@// Ja das ist auch eine Sache die ( ) halt eben (.) ä:::hm (.) also halt auch das man (.) s::- auf Missstände eben genau hinweisen kann (.) aber das man es auch ändern kann aber das:: kann man wahrscheinlich müsste eine Initiative vom Staat dann kommen (.) als Einzelner kann man das dann nicht (2) 00:07:14 Also was ich gut fand ist ähm::: das man gesehen hat dass es auch wirklich künstlerische äh Möglichkeiten gibt den Raum zu gestalten also (.) also da (1) nich- also nich also das mit den Bänken hast schon recht das man das nicht einz- als Einzelner machen kann (.) aber dasdie Eigentia- die Eigeninitiative ergriffen wird (.) und einfach Häuserfassaden angemalt werden oder (.) ja also da gabs ähm einfach ein (.)

314 | U RBANES R ÄUMEN

äh so einen Zettel an:::::er Straßenecke also wahrscheinlich in einem nicht so guten Viertel also auch Graffitis (.) und dann steht da einfach ja (.) stellt euch vor ihr würdet eure Traumfrau sehen aber ihr schaut einfach nur auf eure Smartphones (.) //@(.)@// das fand ich eigentlich schon ganz gut weil (.) ich mein das ist ja wahr heutzutage läuft ja echt jeder mit seinem Smartphone rum (.) und achtet überhaupt nicht mehr auf die Umwelt also mir ist es auch selber passiert jetzt in der Innenstadt zum Beispiel (.) und dann halt- ist ja einfach schön wenn man einfach mal nach oben schaut (in Himmel) dann sieht man auch die ganzen (Erker) und die ganzen (.) eigentlich schönen Häuserfassaden aber halt oben nicht die Schaufensterläden unten (.) und wenn man mit dem Smartphone in der Hand geht dann sieht man halt einfach nur links und rechts und nie oben und (.) das ist ähm (.) eigentlich so bei mir aufgefallen (.) und da find ich das schon eigentlich ganz treffend (1) und (.) ja also auch wenn es illegale Sachen gibt zum Beispiel dieses äh dieses (Seatbolts) (.) äh das ist schon schön wenn man einfach (.) nicht nur einfach so eine graue Stadt hat vor allem bei uns in der Innenstadt gibt es ja eigentlich (1) ja sagen wir fast keine (.) kaum Grünflächen also (.) ist doch wirklich Am knüpft im Folgenden daran an, indem er zunächst noch einmal betont, was er im Unterricht weiterhin »gut fand«, nämlich »dass es auch wirklich künstlerische [...] Möglichkeiten gibt den Raum zu gestalten«. Diese werden in Verbindung mit dem einzelnen Individuum (im Kleinen etwas tun) und damit in betonter Abgrenzung zur Gruppe oder vielen Personen gesetzt (im Großen etwas tun). Bms Aussage bestätigend greift er das Beispiel »mit den Bänken« nochmals kurz auf. Der Einzelne könne auf eben solche Möglichkeiten zurückgreifen, z.B. indem man »Häuserfassaden angemalt« oder »Zettel« aufhängt. Damit kommt zum Ausdruck, dass größere Eingriffe von einzelnen Personen nicht durchgeführt werden können – was auch Bm zuvor angesprochen hatte. Daraufhin wechselt Am das Thema, bzw. begründet solche künstlerischen Aktionen als notwendig, indem er Kritik am Handeln anderer hervorbringt, denn »heutzutage läuft ja echt jeder mit seinem Smartphone rum und achtet überhaupt nicht mehr auf die Umwelt«. Diese Form der Raumaneignung, dass man »mit dem Smartphone in der Hand geht«, verhindere den Blick auf »die ganzen eigentlich schönen Häuserfassaden«. Abschließend werden wiederum Eingriffe, »auch wenn es illegale Sachen« sind, damit begründet, um »nicht nur einfach so eine graue Stadt« zu haben. Veränderung bedeutet für die Jugendlichen demzufolge Beibehaltung bzw. Verbesserung eines Zustandes.

E RGEBNISSE | 315

Auf einer expliziten Ebene sprechen die Jugendlichen das Neue bzw. Dinge, die sie vorher nicht beachtet haben, an, und auf die sie durch den Unterricht aufmerksam wurden. Anhand der Diskursorganisation wird deutlich, dass die Jugendlichen dabei stets Bezug aufeinander nehmen und an ihren Vorredner anknüpfend Themen weiter differenzieren. Implizit kommt dadurch ihre Orientierung an Strukturen zum Ausdruck; an dem zuvor Gesagten, an Vorgaben und Personen, die einem den Weg weisen – sei dies der Lehrer, der Staat oder jene Vorgaben, die zwischen Legalität und Illegalität entscheiden. Wichtig ist den Jugendlichen dabei auch die eigene autonome Positionierung, die sie über eigene Erfahrungen und Sichtweisen zum Ausdruck bringen (»weil ich hierher immer durch die Stadt fahre«, »was ich gut fand«, »das ist [...] eigentlich so bei mir aufgefallen«). Diese bilden den Ausgangspunkt ihrer Bewertungen von Raumeingriffen. Fallübergreifend lässt sich das Eingreifen in vorhandene Strukturen als gemeinsames Thema aufzeigen. Die Schülergruppe Herbst weiß elaboriert in der folgenden Passage ihre selbst durchgeführte Mapping-Aktion. Auch daran zeigt sich ihre positive Orientierung an der Herstellung von Raum im Sinne des eigenen Eingreifens, auch wenn die Aktion – wie in diesem Fall – »ziemlich kurzfristig« stattfand. Herbst weiß, Z. 572-599 | Mapping-Aktion: Bm:

(Am): Bm: Cm: Bm: Dw: Cm: Bm: Cm: Bm:

ja das war ganz cool eigentlich (.) es war halt bisschen schade dass dann schon zwei von den Blätter runtergerissen wurden von Leuten die vorbeigelaufen sind aber °Schüler° es war eigentlich ne ganz coole Idee vor allem das die Blätter waren eigentlich auch ganz cool gemacht vom Klaus* L mh ja mit dem Pokemon war ganz einfach zu ( ) L @(.)@ L achso ja @war zwar@ ziemlich kurzfristig aber äh dafür doch also erstaunlich gut ja L mh ja mal schauen wie lang es hängen @bleibt@ aber (.) °ja° ja man hätts vielleicht sogar noch n bisschen länger machen können dass man (.) mehr Blätter hat und dann halt statt zwanzig Minuten irgendwie ne halbe oder ne dreiviertel Stunde des macht

316 | U RBANES R ÄUMEN

Cm:

Bm: Am:

Bm:

es war halt irgendwie schwer was zu finden was man in nem kleinen Zeitraum machen kann also umsetzten konnte weil wir haben ja nicht viel Zeit und sowas aufwendiges irgendwie (.) konnten wir nicht machen (.) also mussten wir irgendwas finden was schnell geht (2) das war aber eigentlich ganz gut °ja° ja ja (.) es war auch n bisschen schwer zu finden n Platz zu finden also wo man was kleben kann oder (.) ähm wo dann auch die ähm wo viele Leute ähm durchlaufen weils ja so is dass ähm es meistens verboten ist wenn man an irgendwelchen Litfaßsäulen °oder so°

Bm beschreibt die Mapping-Aktion als »ganz cool«, wobei er auch »bisschen schade« findet, dass die Blätter schon kurze Zeit darauf »von Leuten die vorbeigelaufen sind«, heruntergerissen wurden. Daran zeigt sich das Bestreben, dass Veränderungen als dauerhaft in Erscheinung treten und diese in größerem Umfang durchgeführt werden sollten (»sogar noch n bisschen länger machen können dass man mehr Blätter hat«). Die Jugendlichen stellen Kriterien auf, die sie für eine solche Aktion wichtig empfinden, zum einen »n Platz zu finden also wo man was kleben kann« und »wo viele Leute [...] durchlaufen«. Daran zeigt sich ihre Haltung, bewusste Überlegungen zu Veränderungen mit einzubeziehen, um ein Resultat zu zeigen, das von anderen wahrgenommen wird. Sie richten Handlungen demnach an der Bestimmung, dass diese Aufmerksamkeit i.S. von Sichtbarkeit erzeugen, aus. Gleichzeitig betonen die Jugendlichen stets die eigene Rolle bzw. der handelnden Subjekte allgemein, die Veränderungen in Räumen vornehmen. Darüber erkennen sie vor allem auch Möglichkeiten und werden sich derer bewusst. Dabei spielen neben der Aufmerksamkeitslenkung durch spezifisch visuelle Eingriffe auch andere Faktoren eine Rolle. Der folgende Transkriptauszug stammt aus der Schülergruppe Winter schwarz. Dem voraus ging die Elaboration Cms zum Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen, welche als notwendig betrachtet werden, um etwas »möglichst objektiv« zu bewerten.

E RGEBNISSE | 317

Winter schwarz, M. 21:32-22:417 | Wirksamkeit durch eigene Handlungen: Am: Yw: Cm: Am:

Ja gehörte dieser eine Zettel wo wir diesen; (.) Text po- also umschreiben sollten sodass er positiv klingt dazu? L Mmh L Ja genau. L Das hat mir persönlich schon eigentlich (.) schon Spaß gemacht, weil das so; (.) ähm man sieht natürlich während man was macht wie viel Einfluss du selber darauf hast (.) wie Informationen klingen und rüberkommen können (.) und ähm du da also dann denkt man auch so ein bisschen darüber nach was man jetzt zum Beispiel wenn wir jetzt im H-steiner* Abendblatt irgendwas lesen über H-stein* dass das wahrscheinlich immer besser dargestellt ist, (.) gerade weil es hier herkommt als es wirklich ist, und dann ähm macht man sich auch wenn man so einen Artikel liest, dann auch wahrscheinlich also ich habe mir mehr Gedanken darüber gemacht (.) inwiefe- also was jetzt wie ich das wahrnehmen würde wenn ich jetzt wirklich da wäre, (.) wie ist der Aut-; also der Autor der es geschrieben hat, diesen Artikel wahrgenommen hat und wie vielleicht Leute die von weiter; (.) also die nicht aus H-stein* kommen das wahrnehmen würden, (.) das fand ich ganz interessant so an sich, aber (.) ähm wirklich schwierig oder verwirrend fand ich da eigentlich nichts (2) auf jeden Fall sind glaube ich auch alle in der Klasse da relativ gut mit zurecht gekommen,

Anhand einer Aufgabe, in der die Jugendlichen einen Text so »umschreiben sollten sodass er positiv klingt«, erläutert Am, dass ihm dies »Spaß gemacht« habe, da man dadurch sieht »wie viel Einfluss du selber darauf hast«. An der Wortwahl – durch das Personalpronomen »du« bzw. auch die häufige Verwendung von »ich« – unterstreicht Am die eigene Aktivität dabei. Genauso würde man sich dann »mehr Gedanken darüber« machen (»also ich habe mir mehr«). Auch in der Art und Weise, wie Am seine Elaboration im Diskursverlauf einbringt, zeigt sich der Anspruch der eigenen, selbständigen Positionierung und Betonung von Autonomie. Zunächst elaborieren seine Vorredner die Bedeutung unterschiedlicher Sichtweisen; daraufhin richtet Am zunächst eine Frage an die

7

Da für einige Gruppendiskussionen keine Volltranskripte vorliegen, werden anstelle von Zeilenangaben die Minuten angegeben, um eine Einordnung des jeweiligen Transkriptauszuges zu ermöglichen.

318 | U RBANES R ÄUMEN

Interviewende und stellt dann seinen Standpunkt dar, ohne auf das zurückzugreifen, was seine Vorredner angesprochen haben. Abschließend, in Form einer Konklusion, fasst Am verallgemeinernd zusammen, dass »auf jeden Fall [...] auch alle in der Klasse da relativ gut mit zurecht gekommen« seien. Auf expliziter und impliziter Ebene erkennen die Jugendlichen – auch fallübergreifend – die eigene Rolle als wichtig in der Formulierung von Eingriffen in Räume an. Raumbezogene Handlungskompetenz erfordert Selbständigkeit und bedarf des Erkennens der Wirksamkeit eigenen Geographienmachens. Deswegen sollten in weiteren Unterrichtsarrangements Elemente einfließen, die das eigene konkrete Handeln der Jugendlichen fördern. Dies kann so angeleitet werden, indem die Jugendlichen über das Erkennen eigener Betroffenheit bzw. über eigene Erfahrungen (Rekonstruktion) hinausgehend vor allem auch Reaktionen und Sichtweisen anderer mitdenken; ihre Blicke dezentrieren lernen. Raumaneignung ist ein Prozess, der als Aushandlung unterschiedlicher Perspektiven stattfindet. Dabei erscheint es als hilfreich, Vergleiche bereitzuhalten, über die die Jugendlichen das eigene Handeln und dessen Wirkung wenn nicht konkret, dann zumindest theoretisch erfahren und kontrastieren können. Hierfür werden auch Gruppenarbeiten als geeignet angesehen, in denen unterschiedliche Aufgaben gelöst und verglichen und die Jugendlichen zugleich selbst aktiv werden können. Neben Aufgaben, die die Wirksamkeit der Lernenden i.S. ihrer gestalterischen, verändernden Kraft fördern, kann genauso das Verhindern von Aufmerksamkeit bzw. Erfahrungen des Scheiterns erlebbar gemacht werden, um die Jugendlichen über gegenteilige Einsichten Möglichkeiten erkennen zu lassen, wie sie wirksam in mentale sowie physisch-materielle Räume eingreifen können. 6.2.2 Der Umgang mit Heterogenität Dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt, die das Handeln beeinflussen, wird von den Jugendlichen allgemein und auf expliziter Ebene festgestellt und verstanden. Als notwendig ergibt sich die Vielperspektivtät demnach gerade im Alltag (vgl. Kap. 6.2.3). Es zeigen sich jeweils unterschiedliche Dimensionen des Umgangs mit Differenzen seitens der Jugendlichen. Dabei verstehen sie Heterogenität i.S. von Verschiedenheit u.a. auch als Kontroversität.

E RGEBNISSE | 319

Herbst blau, Z. 66-106 | Eingangspassage: Mm:

Dm:

Mm: Dm:

Mm:

L Ja also; des was er gesagt des stimmt. Also das man wirklich vorher, (.) sich gar nicht so Gedanken macht warum? ähm ist n Stadtteil, (.) ähm: vielleicht in der Gesellschaft nicht so angesehn, entwickelt sich dann aber? Was ja oft Beispiele gezeigt haben, zu nem kulturellen ähm Zentrum also jetzt in äh Berlin zum Beispiel ähm °jetzt wirklich ähm ja° jetzt auch ähm Y-Stadt? ((unsicher)) glaub ich, ist jetzt auch n Stadtteil der sich langsam jetzt weiter entwickelt; (.) oder ähm in London zum Beispiel, ähm durch die olympischen Spiele? (.) auch des war ja auch ein Thema bei uns ähm wie sich da n- durch ein Ereignis, ähm durch die Leute da, n- äh Stadtteil innerhalb von Jahren, ähm zu was ganz Anderem entwickelt. (.) Ja. also das fand ich sehr? L ja also mir ist viel halt aufgefallen dass auch, so wo ich normal rum lauf, weil wo ich sonst nicht (.) also (.) Sachen über die ich sonst nicht drüber nachdenk. Also ich bin jetzt °ich wohn in H-berg°*, da ist eigentlich schon alles eher so=n bisschen? ja ich sag mal so so in Richtung U-stein* mäßig (.) so vom Aufbau der Städte äh des Ortes sag ich mal. (.) und ähm zum Beispiel am Bahnhof, i:s vor zwei Jahren oder so, die Unterführung die war immer also ein sagen wir mal @Schandfleck@ L @Schandfleck L @ja, (.) danke@? in dem Ganzen in dem ganze Bild, weil ansonsten des halt sehr gehoben ist, und ich sag mal auch die Bevölkerung eher, (.) ja: eher, ne höhere Bevölkerungsschicht ist die da jetzt wohnt? und ähm dann ist vor zwei Jahren dieses is=n Graffiti angebracht worden, in der Unterführung °also professionell was dann gekauft wurde vom Ort° und des is mir also mir is des positiv aufgefallen? und ich hab mich voll drüber gefreut und hab gesagt, ey des schaut voll geil aus; aber ich hab da nie so bewusst drüber nachgedacht dabei; also des sin halt viele so Sachen, wo ich dann sag ah cool @(.)@ des sin ja irgendwie- des ergibt Sinn. L Des sind ja wirklich so Sachen die man: wahrgenommen hat, aber jetzt erst so die Hintergründe (.) dahinter auch (.) gelernt hat, oder sieht ja ähm: vorher wars halt nur=n Graffitis was verschönert hat? (.) aber jetzt hat=s halt wirklich Hintergrundgedanken, dass man bewusst sagt man möchte: (.) etwas verschönern ähm: (.) um dem ganzen Raum eine Verschönerung zu geben. Und ja. °des°, (.)

320 | U RBANES R ÄUMEN

In der Eingangspassage thematisieren die Jugendlichen anhand unterschiedlicher räumlicher Beispiele, die sie im Unterricht besprochen haben, indirekt den Umgang mit unterschiedlichen Meinungen bzw. Sichtweisen. Nachdem Mm den Wandel von Städten anspricht, den die Lernenden im Unterricht anhand von Beispielen nachvollziehen konnten – und dabei wiederum die Rolle des Subjekts (»durch die Leute da«) betont – schließt Dm daran an und konkretisiert diese Erfahrung von sich verändernden Räumen anhand eines Beispiels aus dem Stadtviertel, in dem er wohnt. Über eigene Erfahrungen und Sichtweisen erkennen die Jugendlichen andere Zugänge zu Welt. So identifiziert Dm beispielsweise in seinem Stadtviertel, das er als »sehr gehoben« beschreibt, die Unterführung am Bahnhof als einen »Schandfleck«. Diese wurde zwei Jahre zuvor »professionell« mit einem Graffito gestaltet, was ihm damals »positiv aufgefallen« sei und nun für ihn auch »Sinn« ergebe. Wichtig ist den Jugendlichen, dass sie die »Hintergründe dahinter« erkennen. Sie gehen nachvollziehend mit Heterogenität um, indem sie Handeln im Nachhinein erklären und rechtfertigen, sich »Hintergrundgedanken« zu anderen Sichtweisen machen. Die positive Orientierung der Jugendlichen an verändernden Eingriffen in Räume geht einher mit der Anerkennung unterschiedlicher Sichtweisen auf einer expliziten Ebene. Auch hier stehen wiederum die eigenen Deutungen und Erfahrungen im Vordergrund und dienen den Jugendlichen als Ausgangspunkt, um andere Sichtweisen festzustellen. Vor dem Hintergrund ihrer positiven Orientierung an verändernden Eingriffen – in diesem Fall das Anbringen des Graffitos in der Unterführung – wird etwas, das zunächst als unpassend bewertet wird (Schandfleck – in gehobenem Stadtteil) im Nachhinein mit der eigenen Meinung bestätigt. Der Umgang mit Heterogenität zeigt sich zudem an der Diskursorganisation. Den Jugendlichen geht es stets um eine souveräne Positionierung innerhalb der Gruppendiskussion; dabei werden unterschiedliche Meinungen nacheinander, ohne, dass sie sich gegenseitig unterbrechen, elaboriert. Differenzen treten nicht offensichtlich zutage. Auch an anderer Stelle im gleichen Transkript lässt sich diese Orientierung an der Vielfalt durch unterschiedliche Sichtweisen zeigen. Anhand des Themas zur Arbeitsweise im Unterricht elaborieren die Jugendlichen die Bedeutsamkeit dieser. Herbst blau, Z. 612-650 | Gruppenarbeiten: Mm: Dm:

L Aber da haben alle mitgemacht. L Jaja, des hat wirklich (.) auch diese, (.) -…-

E RGEBNISSE | 321

Mm:

Jm:

Mm: Jm:

Dm: Jm:

L des war wirklich? des hat wirklich total gut funktioniert? und des hat richtig Spaß gemacht; also (.) dass man dann auch, sich mit andern austauscht? Ä:hm: (.) die Gruppen dann auch nochmal vermischt? und dann: sieht was ham denn die andern so für Gedanken? (.) wo man vielleicht selber gar nicht drauf gekommen wär? Ähm: aber ja:. so lern man dazu. und ä:h dieser Austausch auch mit den andern? Gu:t natürlich, °wie er jetzt schon gesagt hat° es gab ab und dann ma:l (.) °oder ja°; des Öfteren: halt, °wenn man dann sagt° ach Mensch, willst du nicht auch mal was machen, dass man halt n bisschen mehr Leute hat die sich engagieren; aber gut so is es halt in der Schule. mh: L ja: aber ich denk letztendlich? Also ich mein ich bin: (.) eh immer sehr für Gruppenarbeiten, und so=n Zeug; zu haben und find ich sehr gut wenn sowas mal gemacht wird, in der Schule? Ä:hm: (.) un:d klar. wenn man-, also grad wenn man=s am Nachmittag erst macht; wenn=s dann heißt ja jetzt (.) setzt euch mal in Gruppen zusammen und gestaltet selber irgendwie n Plakat, oder was auch immer, (.) ä:hm: is natürlich erst mal so; okay jetzt ham=wir 20 Minuten, die wir selber irgendwas machen können, da setzt man sich erst mal hin,(.) isst was, holt sein essen raus, und macht irgendwas anderes. (.) L Ja aber wobei die Gruppen, L aber letztendlich? Nach; (.) also nach=ner gewissen Zeit? weil eigentlich ist des Thema ja meistens schon interessant. und man interessiert sich ja schon irgendwie dafür, und wenn man dann so in dreier in vierer oder in fünfer Gruppen zusammensitzt, irgendwann fängt man immer an irgendwie: sich drüber auszutauschen °einfach auf jeden Fall° und es kommt eigentlich zum Schluss? (.) immer was interessantes bei raus (.) also °des muss ich schon sagen eigentlich dass letztendlich im-° L also die Gruppendiskussionen haben eigentlich alle gut funktioniert. L immer auch jeder irgendwie dann ne Meinung: zu hat, zum Schluss. und irgendwie was (.) °ähm: (.) beitragen kann.°

In diesem Transkriptauszug betont Mm, dass alle – laut gesprochen – bei den Gruppenarbeiten im Unterrichtsprojekt mitgemacht hätten. Dass das Arbeiten »wirklich total gut funktioniert« und auch »richtig Spaß gemacht« habe, begründet Mm damit, dass sich die Jugendlichen »mit andern aus[ge]tauscht« haben, ja,

322 | U RBANES R ÄUMEN

dass Gruppen »auch nochmal vermischt« wurden, um zu sehen, was sie »so für Gedanken« haben. Andere Sichtweisen werden sodann als Bereicherung der eigenen Meinung angesehen, wenn man erkennt, dass man sonst »selber gar nicht drauf gekommen wär«. Daran wird wiederum die implizite Wertschätzung eigener Leistungen deutlich, d.h. andere Meinungen dienen zur Erweiterung oder Bestätigung der eigenen Sichtweisen. Die positive Orientierung der Jugendlichen an der Auseinandersetzung mit bzw. der Aushandlung unterschiedlicher Meinungen wird hier spezifisch im Rahmen des Klassenverbandes deutlich (»so is es halt in der Schule«) – weitere Betätigungsfelder müssten fallübergreifend rekonstruiert werden. In der Lebendigkeit dieser Passage (interaktive Dichte) zeigt sich die positive Wertschätzung unterschiedlicher Meinungen auch auf formaler Ebene. Angedeutete Schwierigkeiten, z.B. dass sich die Jugendlichen erst einmal hinsetzen und etwas essen, bevor sie mit Gruppenarbeiten beginnen, werden anerkennend i.S. einer Relativierung als natürlich dargestellt, ohne, dass sie zu Differenzen führen. Auch an anderen Stellen zeigt sich, dass verschiedene Meinungen anerkannt werden, und wiederum die eigene Positionierung als Ausgangspunkt des Erkennens anderer Sichtweisen dient. In der Gruppe Winter grau wird bspw. über den negativen Gegenhorizont des normalen Geographieunterrichts, den die Jugendlichen als »sehr trocken, immer das Gleiche eigentlich« (11:41) beschreiben, nochmals – das heißt, die Jugendlichen hatten dies bereits in der Eingangspassage elaboriert – auf die Art und Weise des Unterrichtsvorgehens eingegangen. Dass sich die Jugendlichen die Themen »in Gruppenarbeiten zusammen erschließen« (11:50) konnten, wird dabei positiv bewertet und auch das erneute Aufgreifen des Gedankens zur Gruppenarbeit eines anderen Diskussionsteilnehmers im Anschluss daran, der den Wortlaut seines Vorredners wiederholt (»erschließen wir uns nochmal in Gruppen« [12:36]) zeigt die Orientierung der Jugendlichen an der gemeinsamen Aushandlung unterrichtlicher Themen, auch wenn sich der ein oder andere dabei weniger einbringe bzw. vor Beginn der gemeinsamen Erarbeitung zunächst andere Themen besprochen werden. Die Gruppenarbeiten waren nie »uneffizient« (13:06), was mit Nachdruck von anderen Diskussionsteilnehmern bestätigt wird. In dem folgenden Transkriptauszug der Gruppe Herbst blau elaborieren die Jugendlichen die Bedeutung unterschiedlicher Meinungen anhand alltäglicher Erfahrungen. Daran wird deutlich, dass für sie grundlegende Fragen zum Umgang mit Heterogenität auf einer für sie jeweils bedeutsamen Ebene greifbar werden.

E RGEBNISSE | 323

Herbst blau, Z. 384-443 | unterschiedlichen Blickwinkeln: Dm:

Mm:

Dm: Mm:

Nachfrage

nach

den

Erfahrungen

mit

L Ich glaub eigentlich nich, also zum Beispiel für mich is jetzt (.) wofür mich jetzt meine @Freunde immer n bisschen auslachen@ sag ich mal, weil ich halt aus H-berg* komm:, und ich jetzt in Anführungszeichen sagen würde ich bin eher so der Landmensch, also ich hab irgendwie gern meine Ruhe, und irgendwie n bisschen was Grünes um mich=rum. Also ich hab jetzt nichts gegen die Stadt, °ich bin jeden Tag in der Stadt°; aber? (.) grundsätzlich hab ich=s eigentlich ganz gern wenn ich irgendwie n=paar Bäume, und ein bisschen was Grünes, und hier bisschen frische Luft hab irgendwie? und ähm: dieses ja dieses (.) eng gedrängte von dieser Stadt, stört mich zum Teil auch, wo ich jetzt sagen würde zum Beispiel U-stein* hätt ich überhaupt kein Problem mit? aber hier wenn ich jetzt in der Innenstadt irgendwo? und mir zeigt jemand n Haus, und sagt woa voll des coole Haus oder was, und da: sind ganz tolle Wohnungen drin; dann sag ich ne: (( abwertend)) des gefällt mir eigentlich überhaupt nicht, da ist total die Straße daneben und so, also da: (.) zum Beispiel in dem: Punkt versteh ichs tota:l (.) wie halt einfach: Leute andere Prioritäten haben. Also meine Prioritäten liegen da jetzt halt einfach anders, als zum Beispiel die von meinen Freunden die jetzt sagen würden, ja=da draußen auf=m Land da brauch ich immer hundert Jahre bis ich drin=bin, da: bin ich lieber (.) direkt im Zentrum und hab da meine U-Bahn Anbindung irgendwie, des is mir wichtiger als dass ich da: irgendwie meine: (.)mein @Landleben hab.@ @ also ich leb nicht aufm Bauernhof keine Angst@. L Man braucht ja eigentlich nur in: (.) ä:h ins Fernsehn zu schaun. Mieten Kaufen Wohnen? da ham auch die Leute andere Interesse? die einen sa:gen, ich will ne Wohnung haben wo: Trubel auf der Straße ist? ich will in nem InL@voll geil?(.) schau ich auch immer. L Ja. Ich will lieber in einem In-Viertel leben (.) w:ie auch Freunde bei uns sagen? ich muss in der Stadt sein, ich will nah am Geschehen sein, ich will sofort in der Disko sein; andere sagen: (.) nein. sie wollen eher die Ruhe haben, wie er? weiter draußen, grün um mich? (.) ä:hm: also find ich des (.) alles andere als verwirrend wenn man sagt, ähm: jemand hat andere Interessen? -…-

324 | U RBANES R ÄUMEN

Dm: Jm:

Mm: Jm:

Mm: Jm:

-…- und die stehn bei demjenigen: me:hr im Vordergrund als bei nem andern? Ä:h also: (.) völlig normal. L Ja eben. L Also wie gesagt es kommt ja immer auf: die Sichtweise des Einzelnen? drauf an eben? (.) un:d ä:hm: die ist natürlich, (.) jeweils anders ausgeprägt? und ähm ich denk das hängt auch einfach stark davon ab was man gewo:hnt ist so: vielleicht. von vorher einfach von früher aus der Kindheit, L Ja. L Je nachdem u:nd ähm: (.) ich mein wenn man immer schon in der Stadt gewohnt hat, und da aufgewachsen ist, dann hat man kein Problem damit in der Stadt zu wohnen. °in der Regel.° aber wenn man jetzt vielleicht von Außerhalb kommt? dann is es, (.) jedenfalls am Anfang? äh L ne Umgewöhnung. L Durchaus ungewöhnlich; und dann: (.) sieht man denk ich so=n (.) so ne Innenstadt ode:r (.) so=n vergleichbaren Raum auch mit ganz anderen Augen. als jetzt eben der der halt da aufgewachsen ist, und den Park als seine Grünzone betrachtet, und den (.) eben als angemessen empfindet und eben keinen Wald braucht oder so.

Dm, der sich selbst als »Landmensch« bezeichnet, und wofür ihn seine »Freunde immer n bisschen auslachen«, stellt selbstbewusst dar, warum er es mag, in einer grünen Umgebung und eben nicht in der Stadt zu wohnen, wobei er »nichts gegen die Stadt« habe. Dabei nutzt er andere räumliche Beispiele, um eigene Standpunkte vergleichend abzusichern. Unterschiedliche Ansichten sieht er in den »Prioritäten« der Menschen begründet. Daran anknüpfend bringt Mm das Beispiel Fernsehen, an dem man die unterschiedlichen Interessen der Menschen sehr gut nachvollziehen könne. Aus der Sicht des Zuschauers – wozu demnach auch die Jugendlichen selbst gehören – wird Vielperspektivität damit als logisch und »völlig normal« anerkannt. Eine andere Begründung für die Verschiedenheit menschlicher Lebensäußerungen sieht Jm in der Gewohnheit (»was man gewohnt ist«), z.B. auch »von früher aus der Kindheit«. In Form einer Konklusion beendet Jm dann unter Rückgriff auf das von Dm angesprochene Thema der Wohnpräferenz, dass ein anderer Blick immer auch »ungewöhnlich«, d.h. eine »Umgewöhnung« sei, aber jeder das für »angemessen empfindet«, wie er es gewohnt ist. An dieser Passage zeigt sich, dass die Jugendlichen Heterogenität i.w.S. auf einer expliziten Ebene anerkennen; implizit wird deutlich, dass sie sich über die jeweiligen Beispiele in eine Schutzposition begeben, von der aus sie

E RGEBNISSE | 325

Unterschiede beobachten und legitimieren können. Die Gewöhnung spielt dabei nicht nur inhaltlich eine Rolle, sondern verdeutlicht auch ihre Orientierung, die für sie handlungsleitend ist. Das, was die Jugendlichen in ihrem eigenen Umfeld direkt betrifft (eigene Wohnpräferenzen, durch das Fernsehen vermittelt), wird als normal empfunden. Eine Aushandlung unterschiedlicher Sichtweisen findet jedoch an dieser Stelle nicht explizit statt. Vielmehr steht die Betonung der Souveränität des Individuums im Vordergrund. Eigene Ansprüche werden souverän dargestellt; »es kommt ja immer auf die Sichtweise des Einzelnen drauf an«. In einer anderen Gruppendiskussion werden unterschiedliche Sichtweisen gar als Grund gesellschaftlicher Entwicklung gesehen. Herbst grün, Z. 702-741 | Subjektive Sichtweisen: Cm:

Bm:

Cm: Am:

Also (1) ich glaube pfff verwirrend ist es bestimmt aber e- es gibt glaube ich nichts es gibt kein Thema wo man wirklich sagen kann das ist jetzt wirklich klar definiert vor allem wenn es um was alltägliches geht und wirklich was wie jetzt das Stadtentwicklung und so weiter das ist ja wirklich was ziemlich (.) äh pfff ich sag mal Menschennahes also wenn man jetzt hingeht und irgendwelche Funktionen in Mathe ausrechnet gibt es halt nur eine oder zwei Lösungen es ist halt genau definiert und es gibt halt nur das (.) aber wenn du jetztert hingehst und sagst die Stadt was (1) wie ist die dann gibt es halt keine richtige Antwort sondern äh von jedem einzelnen Individuum //ja// eine andere Anschauung └so eine subjekt- eine Sichtweise ist ja immer was Subjektives und es ist je nach Mensch (.) und auch nach Herkunft allein schon unterschiedlich- für jemanden aus der unteren Schicht der sieht eine Gegend jetzt eher erst primär unter einem wirtschaftlichen Faktor sieht (.) wo ist die Mietre am ni- Miete am niedrigsten (.) da gehe ich hin Leute die schon reicher sind die denken sich über die Lage machen die sich mehr Gedanken ja es sollte zentral sein nicht zu laut es sollte schön sein Spielplätze geben grüne Flächen (1) und (1) dann keine Ahnung so Klischee einfach jetzt mal Frauen vielleicht will eine bessere Anbindung zur Stadt und Shoppingzentren @(2)@ Ähm└also verwirrend finde ich das jetzt nicht ich denke einfach nur das jeder wie- also (.) wie der Bm schon gesagt hat das es einfach subjektiv ist das man auch einfach (.) immer dahin möchte wo man grade

326 | U RBANES R ÄUMEN

Cm:

nicht ist (1) also zum Beispiel wenn man jetzt in der Stadt wohnt dann möchte man ja immer aufs Land so wie du es gesagt hast die Reichen wollen eher nach Außen weil sie eben das Grüne suchen weil sie die Spielplätze suchen (1) und die die am Land leben die haben das halt satt und wollen halt eher in die Stadt wo halt sie Anbindung an das haben was sie halt dort nicht hatten (.) und ähm aber das ist ja ganz normal und das soll auch so sein das ist auch gut so Ja sonst würde es ja überhaupt keine Entwicklung geben wenn jeder da bleiben würde wo er ist //ja// und insofern //ja// 00:38:06

In dieser Passage findet eine alltagsnahe Aushandlung der Frage nach dem Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen statt. Die Jugendlichen rekurrieren dabei auf alltägliche Themen, seien diese schulischer (z.B. Matheunterricht) oder außerschulischer Art (z.B. Wohnpräferenzen). Cm betont explizit, dass es gerade in solchen alltäglichen Fragen »kein Thema [gibt] wo man wirklich klar sagen kann das ist jetzt wirklich klar definiert«. Besonders etwa »Menschennahes« bedürfe demnach der Vielfalt und unterschiedlicher Lösungen. Die je weitere Differenzierung der Beispiele, die als Begründungen dafür angeführt werden, resultieren dann in Form einer Konklusion Cms, der feststellt, dass »es ja überhaupt keine Entwicklung geben kann wenn jeder da bleiben würde wo er ist«. Das heißt, das ständige Tun, Vorankommen, die Bestätigung eigener Sichtweisen sei elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft. In dieser Passage zeigt sich gleichzeitig die positive Leistungsorientierung der Gruppe, wozu auch das Anerkennen unterschiedlicher Sichtweisen ganz zentral beiträgt. Um selbst oder in der Gruppe/ Gesellschaft voranzukommen, bedarf es unterschiedlicher Präferenzen und Sichtweisen. Gleichzeitig zeigt sich hier die implizite Trennung zwischen Wissenschaft/Schule und Alltag/Freizeit. Das bedeutet, dass unterschiedliche Perspektiven im Alltag etwas Normales, da »Menschennahes« sind. Auf einer expliziten Ebene erkennen die Jugendlichen unterschiedliche Meinungen an, indem v.a. die eigenen Ideale betont werden, doch implizit zeigt sich daran, dass sie damit gleichzeitig Differenzen zu vermeiden suchen, da bspw. auf mögliche Konflikte nicht näher eingegangen wird (vgl. Harmoniestreben). Heterogenität einzuräumen, entspricht ihrem Modus der Differenzvermeidung. Der Umgang mit Vielperspektivität als ein zentraler Bestandteil eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen, der sich bereits auf einer kleineren Ebene, z.B. in Gruppenarbeiten manifestiert, sollte den Jugendlichen auch im Geographieunterricht auf anderen als ihrer Alltagsebene stärker verdeutlicht werden, wobei ein Perspektivenwechsel besonders

E RGEBNISSE | 327

eingeübt werden muss, da unterschiedliche Sichtweisen von den Jugendlichen generell anerkannt und auf einer expliziten Ebene geschätzt werden, doch sich ein Wechsel in der Perspektive nicht darin erschöpft, in eine andere Rolle zu schlüpfen, sondern eigene und andere Denkmuster genauso reflektiert werden müssen. Das bedeutet z.B. auch, dass Themen differenzierter zu fundieren, Hintergrundwissen bereitzustellen ist und unterschiedliche Sichtweisen nicht allein an der eigenen Person im Vergleich zu anderen erkannt werden. Diesen Anforderungen muss die Lehrkraft in besonderem Maße nachkommen. Wichtig erscheint dabei, dass die Jugendlichen bei solchen Fraggestellungen eigene Interessen einbringen können, um sich an der Aushandlung unterschiedlicher Sichtweisen ungezwungen zu beteiligen. Gleichzeitig sollte ein Perspektivenwechsel bewusst gemacht werden, um Prozesse der Symbolisierung, d.h. der Übertragung und Abstrahierung von Konzepten in andere Kontexte, bei den Jugendlichen offen zu legen. Sie denken oftmals bereits in symbolischen Kategorien bzw. Räumen (z.B. Übertragen von Merkmalen bestimmter Orte auf andere – in der Schule fühle ich mich wie in einer Kirche). Die bewusste Aufforderung dazu verlangt eine intensivere, reflexive Auseinandersetzung mit dahinterliegenden Mustern (z.B. beim Zeichnen eines Denkmals – was macht ein Denkmal aus?). Vielperspektivität kann besonders in der methodischen Form der Gruppenarbeit unterstützt werden, da die Jugendlichen in einem solchen Rahmen die Möglichkeit haben, unterschiedliche Meinungen und damit auch kleinere Konflikte in einem Schonraum auszutragen. Vor allem über den Bezug zu alltäglichen Phänomenen, die die Lebenswelt der Jugendlichen betreffen, kann die Vieldeutigkeit gesellschaftlicher Wirklichkeit verstehbar gemacht werden. Wichtig erscheint aber auch, dass diese auf eine allgemeinere Ebene transferiert werden, um nicht eine Banalität des Alltags zu forcieren (vgl. dazu auch folgender Abschnitt). Dies kann u.a. über einen Perspektivenwechsel in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht erfolgen. Genauso ist der Umgang mit Kontingenz wichtiger Bestandteil eines Geographieunterrichts, der einen kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen bei Jugendlichen anbahnen soll. Die Lernenden sollen auf der einen Seite die Polyvalenz – die unterschiedlichen Bedeutungen ein und desselben Phänomens – erkennen, aber diese nicht gleichwertig nebeneinander stehen lassen, sondern Konsequenzen hinsichtlich ihrer räumlichen Wirkungen ableiten und diskutieren. Erst dann kann Raumaneignung (Raumbezogene Handlungskompetenz) im Sinne der Bereitschaft zu als auch aktiver Eingriffe und Veränderungen von Räumen gelingen.

328 | U RBANES R ÄUMEN

6.2.3 Die Bedeutung der eigenen Lebenswelt als Umgang mit konkret-räumlichen Alltagserfahrungen Alle Jugendliche in den Gruppendiskussionen sprechen – im weitesten Sinne – Alltagserfahrungen8 an. Diese werden angeführt, um bspw. Unterrichtsinhalte zu erläutern oder um auf eigene Erfahrungen zu verweisen, die entweder selbst oder von anderen erlebt wurden und gemeinsam ausgehandelt werden. In den vorausgehenden Beiträgen des folgenden Transkriptauszugs der Eingangspassage aus der Gruppe Herbst rot setzen sich die Jugendlichen mit dem Unterrichtsprojekt auf einer allgemeinen Ebene auseinander, stellen Vorund Nachteile aus ihrer Sicht heraus (z.B. schätzt Bm »das Material [...] sehr gut« (Z. 35), wohingegen Dm die »Arbeitsaufträge« bemängelt, »die jetzt nicht da standen« (Z. 76)). Nach der Elaboration der »Gruppenarbeit« durch Bm (Z. 106) findet eine Differenzierung des Themas statt, indem auf die jeweils bearbeiteten Inhalte eingegangen wird. Herbst rot, Z. 117-141 | Eingangspassage: Bm: Dm: Cw: Am: Dm: Cw: Am: Dm: Bm: Am: Bm: Am: Bm:

8

L Also ich hatte des mit dem Fahrrad und des war eigentlich gut L Genau…Des ist es doch, oder? L Ja L Des da L Ja nein des da L Des sind die Möglichkeiten einfach //auf die ich so nie ge kommen wäre// L //Und des ist so ein Überblatt// L genau L Genau critical (unv.) Des ist des wo sich L //Achso des ist des// L //Haufenweise// Fahrradfahrer zusammen tun, die sich als Verkehrsteilnehmer vernachlässigt fühlen L Achso gut dann habe ich des falsch verstanden Aber wir haben uns auch schon einmal überlegt ob wir nicht mal in unserer Freizeit irgendwie dann was was über den schulischen Rahmen wo man natürlich irgendwie Grenzen hat zeitlich und auch

Zum Verständnis von Alltag s. Abschnitt Themenfelder in Kap. 6.3.1 zur Sinngenetischen Typenbildung.

E RGEBNISSE | 329

Am: Bm Am

rechtlich mal selber so uns treffen wollen und irgendwie so was ähnliches machen L Des haben wir uns schon länger überlegt L Des motiviert einen halt noch mehr als so ein (unv.) irgendwie 00:08:06-5 (4) des ist übrigens am Samstag Hä ja vor allem des ist diesen Samstag ich weiß gar ned ob ich da Zeit hab Nee des Wochenende hab ich glaub ich keine Zeit 00:08:17-4

Bm beginnt mit der Proposition, in der er sein Thema aus der Gruppenarbeit – »des mit dem Fahrrad« – darstellt und als »eigentlich gut« bewertet. Daran schließt sich eine interaktiv sehr dichte Passage an, in der die Diskussionsmitglieder aushandeln, um was es dabei ging, bis Bm erneut auf das Thema der »Fahrradfahrer« zurückkommt, da es ihm besonders wichtig erscheint. Das zeigt sich daran, dass sich die Jugendlichen in den vorhergehenden Passagen auf einer allgemeinen Ebene mit dem Unterricht auseinandersetzten, ohne auf spezifische Themen oder Inhalte einzugehen. Bm fasst noch einmal die Hauptaussage zusammen und spricht dann in einer allgemeinen Wir-Form von den Überlegungen in der Gruppe, nämlich, dass sich die Jugendlichen »auch schon einmal überlegt« hätten, in ihrer Freizeit etwas »über den schulischen Rahmen [...] so was ähnliches machen« zu wollen. Sodann bestätigt ihn Am, dass sie »schon länger überlegt« hätten, woraufhin Cw eine Begründung dafür bringt, dass das noch mehr motiviere – nämlich etwas umzusetzen, was man im Unterricht erfahren habe. Mit der zeitlichen Frage (»Nee des Wochenende hab ich glaub ich keine Zeit«) beenden die Jugendlichen die Elaboration. An dieser Passage zeigt sich eine implizite Grenzziehung der Jugendlichen zwischen Schule und Alltag, wobei im Unterricht Gelerntes durchaus auch Relevanz für den eigenen Lebensalltag zeigt, ja sogar »motiviert«, Dinge in die Tat umzusetzen. Dabei benötigen die Jugendlichen aber gerade diese indirekte Abgrenzung zwischen schulischem und Freizeit-Bereich. Die Eingangspassage dieser Gruppe entwickelt sich relativ lang, bis es zu einem Wechsel in der Orientierung kommt. In der sich hier anschließenden Passage aus der gleichen Gruppendiskussion setzen sich die Jugendlichen, nach erneuter Nachfrage der Interviewerin wiederum mit den Erfahrungen im Unterricht auseinander.

330 | U RBANES R ÄUMEN

Herbst rot, Z. 296-330 | Nachdenken über die eigene Stadt: Cw:

Bm:

Am: Bm:

Cw: Am: Bm: Am: Bm:

Am: Bm: Am: Bm:

Am: Bm: Am: Bm: Am: Bm: Am:

Man weiß man hat irgendwo ein Ziel also eben jetzt zum Beispiel heute (unv.) des was wir da gelernt haben ich mein jetzt so wäre ich jetzt nicht selber darauf gekommen da Plakate aufzuhängen und die ähm ja (.). des war sozusagen das Ziel in dem Fall (3) 00:18:18-0 und man denkt natürlich auch bisschen so über seinen eigenen also wenn man jetzt so viel über irgendwelche Viertel in Berlin oder London denkt man natürlich auch ein bisschen so drüber nach was hat mein Viertel jetzt für ein Image und kann ich da irgendwas machen oder wo wo gibts halt bei mir sozusagen in der Stadt Gelegenheiten für so ein sinnvolles hacking (.) wie man des sagt Ja des hatten wir War des im normalen Geounterricht oder jetzt mit diesem Pro- ähm Projekt dass wir mal über N-tal* auch geredet haben des war glaub ich im normalen Unterricht L Ja im Normalen L Ja Ja wir haben des dann eben auch noch im L //Ja genau wir haben des dann übertragen// L //normalen Unterricht mal ein bisschen auf// auf N-tal* bezogen des war auch also des fand ich cool vom Herrn Müller* dass er das gemacht hat L Des war auch interresant L Ja Also die verschiedenen Viertel und wie sich N-tal* eben ausgebreitet hat und (.) ja und was halt auch alle Viertel so für ein Image haben weil bei seiner eignenen Stadt da weiß man halt also weiß man man man kennt halt das Image von bestimmten Vierteln schon irgendwie L Südstadt L Ja und auch obwohl des halt manchmal auch muss man ganz ehrlich sagen nicht so unbedingt stimmt L Ja stimmt X-Berg zum Beispiel hat ultra des schlechte Image oder L Ja L und ist glaub ich gar nicht mehr so schlimm wie es mal war L Ja und U-stein* ist auch nicht mehr so ein Bonzenviertel wie es mal war (2) ich wohn ja da (14) 00:20:09-7

E RGEBNISSE | 331

Nachdem die Jugendlichen bestätigend zusammenfassen, dass der Unterricht zunächst etwas Neues für sie darstellte (Z. 284: »eine neue Erfahrung«), betonen sie die positiven Annehmlichkeiten, die sie mitunter dafür erhalten haben, z.B. in Form kleiner Belohnungen durch den Lehrer (Z. 289: »Schokolade oder so was oder Kekse«). Damit verbindet Cw »ein Ziel«, das sie für Unterricht als wichtig empfindet zu sehen. Als ein Ziel führt sie »des was wir da gelernt haben« an, worin sich wiederum eine erste positive Orientierung an Leistung dokumentiert, die nur zielgerichtet erreicht werden kann. Direkt im Anschluss daran elaboriert Bm von sich aus, dass man »natürlich auch bisschen so über seinen eigenen« Heimatraum nachdenke. Wiederum zeigt sich die implizite Wertschätzung bzw. Betonung des eigenen Subjektbezuges – in diesem Fall über die Referenz zum eigenen Lebensumfeld, was den Jugendlichen wichtig ist und mithilfe dessen sie sich in der Lage sehen, Prozesse auf größeren Ebenen zu verstehen (»denkt man natürlich auch ein bisschen so drüber nach«). Gleichzeitig dienen sie auch dazu, die eigene Meinung zu vertreten und von anderen abzugrenzen, was sich an der Sprache in der Textpassage zeigt (»wo gibts halt bei mir«, »ich wohn ja da«). Orientiert am Eingriff in den städtischen Raum, in Form von »Gelegenheiten für so ein sinnvolles hacking«, zeigt sich an der sich anschließenden Aushandlung zu den Möglichkeiten der Übertragung auf den Heimatraum die positive Orientierung der Jugendlichen an eigenen Erfahrungen und dem selbst Erlebten. Am könne demzufolge auch bestätigen, dass das Stadtviertel, in dem er wohnt, nicht mehr so ein »Bonzenviertel« sei, »wie es mal war«. Die räumliche Nähe (»ich wohn ja da«) lässt demnach authentische Erfahrungen und Bewertungen aus erster Hand zu. Diese stehen in dieser Gruppe legitim nebeneinander, ohne dass sich Differenzen manifestieren. Das dokumentiert sich auch in der parallelisierenden Diskursorganisation der Jugendlichen, in der sie Propositionen v.a. relativierend darstellen (»nicht so unbedingt stimmt«, »wie man des sagt«). In Form einer Konklusion schließen die Jugendlichen damit die Auseinandersetzung mit dem Unterricht ab; niemand greift den Gedanken Ams weiter auf. Diese Feststellung zeugt damit implizit von einer Positionierung als Experte für den eigenen Heimatraum. Das, was die Jugendlichen selbst erlebt haben, dient ihnen als Beweis und Bekräftigung eigener Standpunkte. In der gleichen Gruppe Herbst rot elaborieren die Jugendlichen nach exmanenter Nachfrage der Interviewerin nach weiteren Alltagserfahrungen anhand von einem für sie auffälligen Beispiel, dass bestimmte Strukturen verändert werden müssten. So ist für die Jugendlichen ihre Schule »ein komischer Klotz« (Z. 346). Bm sei »mal wieder aufgefallen also eher so bisschen in Erinnerung geraten wie hässlich unsere Schule eigentlich ist« (Z. 340f.:). Doch werden konkrete

332 | U RBANES R ÄUMEN

verändernde Eingriffe in diesem Fall aufgrund rechtlicher Unsicherheiten (»Gibts doch so ne Regel dass sie dir des Abi aberkennen können« (Z. 353)) auf die Zeit nach dem Abitur verlegt. Eine weitere äußerliche Auffälligkeit spricht Bm (Z. 398ff.) an, da er gemerkt habe, »dass [s]ein Haus eigentlich überhaupt nicht in [s]ein Viertel passt«, wobei er das als »Glück irgendwie« bezeichnet, in dieser Wohnung zu leben. Damit zeigt sich auch hier, dass die Jugendlichen – in diesem Fall räumlich – nahe und konkrete alltägliche Erfahrungen ganz bewusst abrufen, um sich mit Räumen i.w.S. auseinanderzusetzen. Aber auch mental nahe Räume, d.h. jene Erfahrungen und konkrete Orte, die räumlich fern(er) liegen, aber denen Jugendliche interessiert Beachtung entgegenbringen, zeigen sich als Motivatoren in der Auseinandersetzung mit geographischen Fragestellungen (vgl. Gruppe Winter grau; Beispiel Berlin als Hauptstadt). In gewisser Weise wird dann ein gelenkter Perspektivenwechsel möglich. Im folgenden Transkriptauszug wird die Inwertsetzung eigens erlebter Erfahrungen nochmals deutlich. Herbst rot, Z. 469-495 | Erfahrungen in der eigenen Stadt: Bm:

Am: Bm: Am:

(.) Also was mir schon früher mal aufgefallen ist ich hab früher mal in X-Berg* gelebt und ich hab nie irgendwie des Gefühl gehabt dass das ein Assiviertel wie wie halt manchen Leuten die äh Vorstellung ist so dass des so so eins ist und als wir dann irgendwann mal viel später als ich dann nicht mehr dort gewohnt hab mir wer gesagt hat was da da hast du gewohnt oh mann mit den ganzen Assis und ich äh des war mir überhaupt nicht so klar dass des von da das da sieht man dann schon dass halt die individuelle Wahrnehmung irgendwie ganz stark den Raum dann beeiflusst ich mein wenn du da hingehst mit der klaren Vorstellung hier ist jeder ein Assi oder oder hier sind alles Bonzen jetzt dann siehst du natürlich auch in jedem der um die Ecke kommt des was du dir erwartest 00:30:09-8 Naja aber ähm du warst da ja noch jung beim Paul* ist es also ein Kumpel von uns ist es zum Beispiel so der wohnt wie heißt es L S-hof* L S-hof* und der hat gemeint als er mal in der Nacht draußen war und ähm irgendwie so eine Gruppe von irgendwelchen Typen kam oder so dann Alkohol verstecken soll weil die klauen wohl alles und der hat gemeint dass des halt schon da öfters schon da was passiert ist dass die dann auch mitm Messer kommen -…-

E RGEBNISSE | 333

Cw: Am: Bm:

Cw: Bm:

-…- und einen bedrohen und da er wohnt da ja selber und meint selber dass des ein Assiviertel ist Da bei der B-schule* oder Ja Ja gut aber wenn so was halt einem schon mal passiert ist dann hat man natürlich da klar- relativ klare Vorstellungen weil man natürlich auch Angst hat //dass man noch einmal// //ja aber des kann einem// überall passieren L Ja

Bm elaboriert anhand seiner Erfahrungen aus dem Stadtviertel, in dem er »früher mal« gewohnt habe, wie »die individuelle Wahrnehmung ganz stark den Raum dann beeinflusst«. Die eigene Erfahrung wird über Sichtweisen von anderen (z.B. »ein Kumpel von uns«) erkannt und teilweise hinterfragt, gleichzeitig aber auch erst als authentisch erfahren. Am schließt daran mit einem Erlebnis eines Kumpels an, was wiederum von Bm auf eine allgemeinere Ebene übertragen wird, denn »wenn so was halt einem schon mal passiert ist dann hat man natürlich da klar-relativ klare Vorstellungen«. Die Diskursorganisation in dieser Passage ist überwiegend antithetisch (»ja aber«), wobei sich Zustimmung untereinander über einen parallelisierenden Modus ausdrückt. Die Jugendlichen streben hauptsächlich nach weiterer Differenzierung ihrer Meinungen, um die anderen jeweils davon zu überzeugen. Dies zeigt sich auch im weiteren Verlauf des Transkripts, wenn Bm erneut eine Exemplifizierung seiner Sichtweise – »dann siehst du natürlich auch [...] des was du dir erwartest« – darstellt, und dies wiederum mit einem konkreten (Gegen)Beispiel Ams aus seiner Alltagserfahrung konfrontiert wird. Schließlich einigen sich die Jugendlichen über eine rituelle Konklusion, indem angedeutete sowie weitere potenzielle Differenzen vermieden werden. In dieser Passage wird deutlich, dass die Jugendlichen die eigenen (Alltags-)Erfahrungen ganz entscheidend über andere Sichtweisen bestätigen bzw. abgrenzen. Die Orientierung an einer Perspektivierung durch andere zeigt sich zudem auch in der folgenden Textpassage der Gruppe Winter beige. Die Jugendlichen gelangen über eine vergleichende Sichtweise zu eigenen Urteilen, bzw. bestärken diese dadurch. Dabei verstehen sie sich als Experten des eigenen Erfahrungsraumes (z.B. der eigenen Heimatstadt oder des -viertels). Dem folgenden Transkriptauszug voraus ging eine längere Pause, die der Interviewer mit der Frage nach der Praxis des Zeitunglesens aufzulösen versucht.

334 | U RBANES R ÄUMEN

Winter beige, M. 24:09-25:55 | Zeitung lesen: Ym: Cm: Alle: Ym: Dm: Ym:

Dm: Ym: Dm:

Lest ihr denn regelmäßig Zeitung? (3) Joa Ja.@ (.)@ Wie bitte? └ Wochenende └ Am Wochenende. (3) Oder im Internet. Das is natürlich auch heutzutage das Medium der Wahl. Häufig. Ähm seid ihr da eben auf solche Sachen dann gestoßen, auf alles, was jetz hier behandelt wurde? (3) Lest ihr da jetzt anders oder (5) Also (2) also ob ich da n Artikel über Stadt Systeme oder so gelesen hab Na oder einfach wenn wenn aus irgendwelchen Stadtteilen berichtet wird oder so (6) Naja es war ja schon vorher, es war mir ja schon vorher klar, was so Problemstadtteile sind eigentlich, den meisten, denk ich mal. Und wenn man dann Berichte aus solchen Stadtteilen liest, ähm, na klar denkt man natürlich dass da die Rate an Verbrechen und so was höher ist aber (4) das auch relativ ich finds offensichtlich das woran das liegt, also dass da sozial Schwächere und so weiter leben. Das war mir ja relativ offensichtlich schon vorher also der Unterricht hat das Bild deswegen nicht irgendwie verändert (20)

Cm elaboriert daraufhin seine eigenen Erfahrungen mit dem Zeitunglesen. Ohne, dass dabei vorher von »Problemstadtteilen« die Rede war, rekurriert Cm auf jene, wobei ihm »ja schon vorher klar« war, »was so Problemstadtteile sind eigentlich«. Im Sinne einer Verallgemeinerung überträgt er diese Erkenntnis auch auf seine Mitschüler (»den meisten, denk ich mal«). Seine Ausführungen bedürfen offensichtlich keiner weiteren Differenzierung; daran zeigt sich die Haltung der Jugendlichen gegenüber alltäglichen Erfahrungen – besonders in ihrem Heimatraum –, die hier weitgehend unhinterfragt bleiben.9 Die Passage endet nach 20-sekündiger Pause, ohne, dass weitere Anmerkungen folgen. Nachdem Dm seine Elaboration beendet hat, stellt sich in der Gruppe eine gewisse Erleichterung ein, die u.a. daran deutlich wird, dass die anderen Gesprächsteilnehmer hörbar ausatmen und leichtes Murmeln einsetzt.

9

In dieser Passage überlagert der oppositionelle Habitus der Jugendlichen schulischen Vermittlungsweisen gegenüber die Orientierung an alltäglichen Erfahrungen.

E RGEBNISSE | 335

Diese positive Orientierung an alltäglichen Erfahrungen, durch die die Jugendlichen als Experten des eigenen Heimatraumes auftreten, zeigt sich auch im Transkript der Gruppe Winter schwarz. Einmal verdeutlichen sie anhand der räumlich nahen Umgebung, dass ihnen Merkmale bereits im alltäglichen Leben auffallen (»und das fällt einem natürlich auch auf, also wenn man hier bisschen rumkuckt sind das halt wirklich alles Einfamilienhäuser von relativ wohlhabenden Leuten und das fällt einem so ja natürlich auch auf wenn man sonst hier rumfährt« [16:49]). Eher zögerlich kommen bestimmte Raumwahrnehmungen auch in anderen Teilen der Stadt zum Ausdruck, die über eine Kontrastierung nochmals betont werden (»also weiß nicht kann man zum Beispiel halt sagen dass einem es in Ö-Burg auf der anderen Seite von der Elbe vielleicht einem, man sich nicht so wohlfühlt unbedingt wenn man da nachts an der S-Bahn steht [...] oder in der Innenstadt wenn man da an der S-Bahn ist man halt überhaupt keine Angst hat [...] und das egal ist wenn man da nachts ist« [17:28]). Daran zeigt sich der Umgang der Jugendlichen mit Wissen über Räume i.w.S. Die Jugendlichen übertragen Kenntnisse auf andere räumliche Ausschnitte, bleiben dabei eher abstrakt – auf konkrete Erfahrungen wird nicht explizit rekurriert. Alltägliche Erfahrungen spielen für die Jugendlichen vor allem aber auch eine Rolle in der Bewertung räumlich-geographischer Prozesse. Über die Inwertsetzung bekannter Sichtweisen und Erlebnisse kommt es zu einer Perspektivierung – die nicht allein über das Eigene und Andere, sondern auch über räumlich nahe und räumlich ferne Bezüge stattfindet. Zudem wird die positive Haltung gegenüber der Gestaltung und Verbesserung von Räumen i.w.S. deutlich, die wiederum über Alltagsbeispiele legitimiert werden. Herbst blau, Z. 186-240 | Einkaufsmöglichkeiten: Ew: Jm:

L und was ist dir da aufgefallen? Was hat sich da verändert? L ä:h naja:? also zum Beispiel ähm: (.) einfach (.) wenn sowas nicht mehr da ist (.) ich mein des is ja jetzt nicht nur ne Einkaufsmöglichkeit, sondern eben auch Treffpunkt, und man °keine Ahnung° man sagt man trifft sich, eben halt beim Kaufhof @oder wie auch immer@ und ä::h wenns des nicht mehr gibt, kann man sich ja auch nicht mehr da treffen; (.) und ähm: (.) des is einfach, (.) des verteilt sich dann mehr so halt in umliegende Räume. und ähm: (.) des wird halt des- wenn=s vorher n Zentrum war, dann: (.) ja löst sich des halt so auf und geht irgendwo anders hin. und umgekehrt genauso, wenn so=n Ding irgendwo entsteht? was ähm: (.) -…-

336 | U RBANES R ÄUMEN

Mm:

Jm: Mm:

Jm: Mm:

Dm:

Jm: Dm:

Jm:

-…- ich weiß nicht °mir fällt jetzt grad keins ein°. L der P-Markt zum Beispiel also am K-Bahnhof? (.) Des war ja echt vor, ((Raunend))ich glaub es war jetzt vor mittlerweile zehn Jahren, als er gebaut wurde, °Vorher war die Eishalle,° (.) und war eigentlich ä:h kein attraktiver ä:hm kein attraktive:r ä:hm (.) kein attraktives Stadtviertel? ähm aber, L eigentlich ist es ja auch jetzt nicht. also aber man sagt, man geht halt trotzdem hin weil (.) ja. L Aber (.) aber es ist trotzdem d- durch (.) es is wirklich durch die U-Bahn Station? durch die Infrastruktur? durch dieses Einkaufszentrum, es kommen viele Leute ja hin? es ist ein Treffpunkt wie du gesagt hast? (.) L Ja eben. L Ä:hm: (.) u:nd °es wehrt sich° es is halt auch (.) weil du jetzt gesagt hast mit dem: Kaufhof wenn der zumacht? Ähm: dieser Trend dieses dass es in der Stadt immer weniger Einkaufsmöglichkeiten gibt. Auch am Hauptmarkt mach ja äh:m: der Edeka hat ja zugemacht? das heißt die ganze Einkaufsmöglichkeiten, werden nach Außen (.) an die Stadtränder gesiedelt; Aldi, Lidl, alle: draußen in den Industriegebieten; aber in der Stadt selber? wird’s immer schwieriger was zu kaufen und da: (.) ähm: ja denk ich is auch ne: Entwicklung °in dem Paar vielleicht° sogar ein Rückschritt? der äh:m Raumentwicklung ä:hm: ja in dem Fall jetzt fü:r Lebensmittelversorgung. (.) des hatten wir auch angesprochen? Un:d ä:h ja. Aber trotzdem also, ich sag jetzt, ähm: man sollte nicht Alles nach Außen verlagern? Aber (.) äh:m °der P-Markt ist ja auch relativ weit draußen°? aber ich find des is zum Beispiel: schon? eine Bereicherung für den Stadtteil geworden. (.) °also° (.) keine Frage. L Der Obi zum Beispiel °wird jetzt auch der wird nach ( ) verlagert ne? an die an die Autobahnanbindung.° Also der in der °(LStraße)° ((unsicher)) oder wo ist der? L Ja, L Der macht jetzt=zu wenn der neue gebaut ist. ( ) also damit die ne bessere Verkehrsanbindung haben. Des is mir zum Beispiel @auch letztends@ eingefallen. L Ja es spielt halt viel mit rein? also zum Beispiel Infrastruktur, (.) °und ä:hm (.) Ä:h° ja, die Bevölkerung,(.) die: Leute die dort leben, äh ja also @.@ viele Faktoren. (3)

E RGEBNISSE | 337

Nach immanenter Nachfrage der Interviewerin nach konkreten Veränderungen des vorangegangenen Beispiels elaboriert Jm engagiert die Auswirkungen eines Wegfalls oder der Neuerrichtung eines zentralen Treffpunktes für die Menschen in einer Stadt. In der gemeinsamen Elaboration zu den Entwicklungen der Einkaufsmöglichkeiten – konkret deren zunehmende Verlagerung aus der Stadt »nach Außen an die Stadtränder« – finden die Jugendlichen gemeinsam weitere Beispiele, die ihre Argumentation stützen. Alltägliche Erfahrungen dienen den Jugendlichen auch dazu, Qualitäten von Räumen über rein physisch-materielle Ausstattungen zu begreifen (»nicht nur ne Einkaufsmöglichkeit, sondern eben auch Treffpunkt«, »kein attraktives Stadtviertel« – »aber man sagt, man geht halt trotzdem hin«) und auf für sie empfundene Missstände hinzuweisen. Damit werden wiederum Eingriffe i.S. von räumlichen Veränderungen legitimiert (vgl. Thema 1). Die auffällig parallelisierende Diskursorganisation in dieser Passage zeugt von einem konjunktiven Erfahrungsraum, in dem sich die Jugendlichen verstehen, ohne dass sie bspw. Dinge explizit ansprechen müssen. Die anderen wissen, was gemeint ist, z.B. wenn Mm das Beispiel von »P-Markt« anführt. Bis zu diesem Zeitpunkt war von anderen Personen, wie z.B. Eltern oder der Peergroup (Freunde, Kumpel) kaum die Rede. Für die Jugendlichen waren die engeren sozialen Kontakte weniger bedeutsam, wobei das nicht impliziert, dass sie diese ganz vernachlässigen, sondern vielmehr vor dem Hintergrund der Basisorientierung der Raumaneignung keine herausragende Position einnehmen (vgl. dazu im Gegensatz die Erkenntnisse von Höhnle 2014, der im Rahmen globaler Fragestellungen eine besondere Orientierung an der Elterngeneration aufzeigen konnte). Vielperspektivität wird auf einer allgemeineren Ebene verhandelt, und ist demnach eventuell »oft so ne Generationssache« (Gruppe Herbst weiß, Z. 310). Dennoch konnte gezeigt werden, dass sich die Jugendlichen in der Abgrenzung eigener und anderer Sichtweisen auch an den Erfahrungen von Freunden orientieren, sei es in positiver oder negativer Exemplifizierung – d.h. werden Erlebnisse zur Bestätigung eigener Sichtweisen oder aber zur Abgrenzung angeführt. Wenn die Jugendlichen auf Wissen aus ihrem Alltag bzw. aus ihrem räumlich nahen und bekannten Umfeld rekurrieren, verknüpfen sie unterschiedliche (geographische) Inhalte miteinander, auf deren Grundlage sie bspw. Bewertungen und Einschätzungen dieser vornehmen. Das bedeutet in einem nächsten Schritt, dass den Lernenden Beispiele aus dem Nahraum helfen können, um Prozesse und Entwicklungen – auch auf anderen außer lokalen Maßstabsebenen – zu verstehen und zu übertragen. Es wurde ersichtlich, dass für die

338 | U RBANES R ÄUMEN

Jugendlichen das räumliche Nahe zudem auch überwiegend mental nah liegt. Damit bieten Beispiele aus ihrem Alltag und ihrer Umgebung (Stadt, Schule) wertvolle Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit räumlichen Fragestellungen im Geographieunterricht. Gleichzeitig sind aber auch mental nahe Räume stärker zu berücksichtigen, wobei diese abhängig sind vom Wissen und den Erfahrungen der Jugendlichen; auf Schülerinteressen sollte demnach genauso eingegangen werden, bspw. indem die Jugendlichen eigens als interessant eingeschätzte Orte bzw. Erfahrungen in die Auseinandersetzung im Geographieunterricht einbringen sollten. Mit Bedacht sind stereotype bzw. unhinterfragte Darstellungen zu behandeln, gerade wenn sich die Jugendlichen als Experten ihres Heimatraumes verstehen und Erfahrungen auf allgemeinere Ebenen übertragen. Meinungen dürfen und sollten natürlich geäußert werden, wobei auf eine Dezentrierung der Blicke zu achten ist. Auch die Thematisierung des Medienkonsums sollte Teil vielperspektivischer (Raum-)Betrachtungen im Geographieunterricht sein. Obwohl von den Jugendlichen nur stellenweise angesprochen, sind Medien (z.B. Fernsehen, Internet, Smartphones) wesentlicher Bestandteil und Orientierung in ihrem Alltag (vgl. Thema 2). So wäre anhand der Berichterstattung eine Erweiterung der eigenen Sichtweisen möglich, wobei auch hier auf einen kritischen Medieneinsatz und -umgang geachtet werden muss. 6.2.4 Die Rolle schulischer Strukturen als Auseinandersetzung mit dem Unterricht Auch das Thema Schule im weitesten Sinne stellt einen zentralen Bestandteil der Auseinandersetzung der Jugendlichen in den Gruppendiskussionen dar. Dabei geht es ihnen um ganz verschiedene Dimensionen des Unterrichts. Die Bedeutung unterrichtlicher Vorgaben ergibt sich daraus, dass in allen Diskussionsgruppen mit dem erfahrenen Unterrichtsprojekt ein Gegenhorizont zu dem von ihnen bekannten Geographieunterricht aufgestellt wird. Winter beige, M. 00:24-02:57 | Eingangspassage: Ym:

Ja, wie gesagt, ihr habt ja diese Unterrichte gehabt vier mal ne Doppelstunde. Das is soweit richtig, ja? Öhm u:nd habt verschiedene Städte behandelt und auch n bissl was machen müssen u:nd dann erzählt doch einfach mal frei von der Leber weg wie der Unterricht für euch war,

E RGEBNISSE | 339

Am:

Dm:

Dm: Alle: Dm: Bm: Am:

Alle: Bm: Am:

Cm:

Ja also. Erst einmal wars auf jeden Fall ne Abwechslung zum normalen Unterricht. Normalerweise ham wir immer nur Zettel mit hauptsächlich Text bekomm (.) und mussten dazu eben Aufgaben bearbeiten und das (.) der Unterricht jetzt war eben mehr auf Bilder oder Grafiken basiert was ich auf jeden Fall auch gut fand. Ich find auch die Zettel da ( ) viel ansprechender aus als das was wir sonst haben (und so) └@@ So wie dunkle schwarzweiß Kopien ( ) └@(2)@ und dann schöne Farbe und also hat ( ) schon lieber mit gearbeitet als mit dem was man so sonst hatte. (7) Ich kann mich meinen Vorrednern anschließen. (3)@@ Ja die Aufgaben waren schon also .bisschen zu umfangreich °°für zwei Stunden°° das war dann doch n bisschen zu viel ( ) (was dann auch an unserer Klasse liegen kann) @( )@ Was hattn wir denn noch (2) Ja wir mussten ja immer ( ) diese Quellen analysieren ( ) da hatten wir immer irgendwie so vier Aufgaben ich glaube (unverständlich) nicht wirklich geschafft (4) Ja ich weiß nicht äh wies wie so n bisschen die Frage ob man mit den (äh) ja wenig Textquellen ob ( ) wirklich aufs Abitur vorbereiten will weil (.) das verändert sich ja nicht das bleibt ja so wie früher mehr auf Text basiert wahrscheinlich und (.) ja wenn der Unterricht dann komplett anders wird müsste sich das Abitur dann ja auch n bisschen darauf anpassen (2) (anpassen) (9)

Am beginnt über die Erfahrungen im Unterrichtsprojekt zu sprechen, indem er dieses als »Abwechslung zum normalen Unterricht« bekräftigt (»auf jeden Fall«). Über die positive Darstellung einiger Aspekte des Unterrichtsprojekts (»schöne Farbe«, »schon lieber mit gearbeitet«) stellen die Jugendlichen einen negativen Gegenhorizont zum »normalen« Geographieunterricht her. Dieser wird zusätzlich über die Kontraste in der Sprache deutlich (»dunkle schwarzweiß Kopien« vs. »schöne Farbe«, »schon lieber mit gearbeitet« wird betont gesprochen im Gegensatz zu »was man sonst so hatte«). Gleichzeitig aber positionieren sie sich auch dem Unterrichtsprojekt kritisch gegenüber, da sie z.B. Aufgaben »nicht wirklich geschafft« hätten. Darin dokumentiert sich eine positive Orientierung der Jugendlichen an Leistungserfüllung. Cm bringt weiterhin fragend an,

340 | U RBANES R ÄUMEN

ob die »wenig Textquellen [...] wirklich aufs Abitur vorbereiten« könnten. Damit wird auch dem Unterrichtsprojekt Skepsis entgegengebracht, die sich in späteren Textstellen wiederholt (z.B. seien Bilder eher für niedrige Klassenstufen geeignet; bei der Behandlung eines Kommunikationsmodells waren viele nicht zufrieden). In parallelisierender Diskursorganisation elaborieren die Jugendlichen differenzierend, wie sie den Unterricht empfanden. Auffällig ist, dass – nachdem Am als Erster auf die Eingangsfragestellung mit seiner Proposition reagiert – danach häufiger kurze Pausen entstehen, nachdem die Jugendlichen in ihren Elaborationen fortfahren. Sodann ändern sie auch den Fokus, den sie auf die negativen Aspekte aus dem Unterrichtsprojekt verlagern. Über die Wortwahl (»wir mussten ja immer«) und das Ansprechen normativer Vorgaben (»müsste sich das Abitur dann ja auch n bisschen darauf anpassen«) bringen die Jugendlichen dann erste Erfahrungen von Zwang zum Ausdruck, gegen den sie sich implizit wenden. Sie sind sich einig, teilen einen gemeinsamen Erfahrungsraum (Abgrenzung gegenüber dem Unterricht hinsichtlich der eigenen Erwartungshaltung). Direkt im Anschluss daran elaborieren die Jugendlichen eine Aktion ausführlicher, die sie im Rahmen des Unterrichtsprojekts durchgeführt haben. Hieran wird besonders deutlich, dass die Jugendlichen durch die offene Eingangsfrage zu Beginn der Gruppendiskussion eigene Schwerpunkte wählen, die sie mit dem Unterrichtsprojekt verbinden; in diesem Fall ist das die Mapping-Aktion, welcher die Jugendlichen hauptsächlich Bedeutung zuweisen. In allen anderen Gruppen wird das bspw. viel weniger offensichtlich, da sie zunächst vor allem auf die formalen Aspekte des Unterrichts eingehen. Winter beige, M. 02:58-06:44 | Anschluss - »Protestaktion«: Am:

Ja wir hatten jetzt ja (.) am Ende so ne Aktion wo wir ähm (2) wie hieß das eigentlich (2) Ja (.) naja wir mussten uns so ne so ne Art Protestaktion ausdenken wo wir halt auch so eine Art ( )struktur aufmerksam machen (1) und ähm das sollten wir dann auch durchführen (1) was ich an sich eine ganz gute Idee finde aber ich finde dass sowas (2) so ein bisschen gezwungen ist ob wir das jetzt auch nur in der Schule machen konnten dass das dann eigentlich (2) °nicht so wirklich° gut funktionieren kann weil ich finde dass sowas eher so (3) ja sowas macht man eher er- eher wenn man davon wirklich überzeugt ist und wir haben das jetzt in der letzten Stunde gemacht und das hat auch schon relativ lange gedauert bis wir da irgendwann wirklich ne Idee (2) ja bis wir wirklich eine Idee hatten (.) also das (2)

E RGEBNISSE | 341

Bm:

Cm: Bm:

Ym: Dm: Cm: Ym: Dm:

Am: ?m: Cm: Dm:

Ym: Bm:

Alle:

Ja also wenn man so größere Projekte macht würde ich auf jeden Fall sagen dass man (.) mehr Zeit braucht (1) und (1) ja wir hatten jetzt auch nicht wirklich Material ne wir hatten ein bisschen Kreide um irgendwas dahin zu malen └ja in dem Umfang war es ein bisschen @(1)@ bisschen┘ └@(.)@ und (hatten dann) Zettel wo wir was drauf schreiben konnten (2) ja (2) ja und dann nur in der Schule das ist natürlich auch ein bisschen (1) beschränkt (2) aber da war ja auch schlechtes Wetter //alle: @(2)@// (2) Also (2) ihr seid für diese Aktion für diese abschließende sozusagen Aktion nicht vom Schulgelände quasi gekommen Ne Ne Mhm ((nachvollziehend)) Ja das war ein bisschen schade (.) also es hätte wahrscheinlich irgendwie (1) hätte man was also a- a- a- außerhalb gefunden was einen wirklich da richtig interessiert hat oder so (1) hätte man wahrscheinlich da auch noch bessere Ergebnisse bekommen (1) weil hier nur in der Schule war (°nicht wirklich°) ( ) └ja aber └ ((unverständliches Durcheinander)) └sie wollte ja eigentlich in die Waldstraße └ja klar┘ Die erste halbe Stunde mussten wir erstmal irgendwie überhaupt eine Idee finden woErzählt mir doch einfach auch mal was für eine Idee ihr nachher gefunden habt und wie ihr es vielleicht umgesetzt habt (4) @(1)@ ja //Alle: @(.)@// also zum einen hatten wir da (1) ja (2) ja wir haben eben überlegt was uns stört an der Schule (.) was (1) das ist jetzt natürlich ein bisschen (1) beschränkt weil es eben nur das Schulgelände ist aber (.) da haben wir zum Beispiel die Caféteriapreise (.) die sich (.) ähm in den letzten Jahren teilweise sehr erhöht haben und (2) ja was (.) für mich jetzt nicht so nachvollziehbar ist (1) und deswegen haben wir das zum Beispiel als Protest-(1)Thema genommen (1) und da irgendwie (1) ja ein kleines (Zettel) gemacht (2) wo wir (2) ja Vorsicht spitze Preise draufgeschrieben haben @ist jetzt nicht so die tolle Aktion@ @(2)@

342 | U RBANES R ÄUMEN

Bm: Am:

Ym: Am:

Dm: Am:

aber für die Zeit und das Material was wir hatten konnten wir uns halt nicht so wirklich was überlegen (1) und (3) Ja ich finde auch das (.) Problem dieser ganzen Aktion ist so ein bisschen ja das eigentlich so eine Protest(.)aktion nur dass man wenn man überhaupt so etwas wirklich machen will dann (2) entsteht das (.) ist das ja so ein längerer Entstehungsprozess dass man sich erstmal klar wird dass einem da etwas nicht gefällt (1) und das war jetzt eben so gezwungen und dann (1) finde ich so eine- sowas da eher nicht soo passend (3) Okay Und auch dass wir (.) also ich weiß nicht ob das jetzt so gedacht war aber unsere Lehrerin hatte gesagt dass wir das eben alles danach wieder zurück machen mussten (.) also dass wir es eben rückgängig machen mussten am Ende der Stunde war es dann eher nicht soo (1) in dem Sinn └super┘ der so einer Aktion entspricht

Am führt in dieser Textpassage ein konkretes Beispiel aus dem Unterrichtsprojekt an, welches von allen anderen Diskussionsteilnehmern weiter differenzierend elaboriert wird. Ohne, dass zuvor das Wort erwähnt wurde, beschreibt Am die am Ende durchgeführte Aktion als »Protestaktion«, die er einschränkend als »an sich eine ganz gute Idee« bewertet, doch sodann erste Kritikpunkte daran festmacht. In parallelisierender Diskursorganisation beziehen sich die Jugendlichen weiter auf die sie einschränkenden Faktoren, die »noch bessere Ergebnisse« verhindert hätten (»so ein bisschen gezwungen«, »auch nur in der Schule«, »eher wenn man davon wirklich überzeugt ist«, »mehr Zeit braucht«, »beschränkt«, »so gezwungen«, »längerer Entstehungsprozess«). Insgesamt, ohne hier auf die einzelnen Propositionen der Jugendlichen einzugehen, zeigt sich an diesem Transkriptauszug die positive Leistungsorientierung, die jedoch durch hauptsächlich schulische Einschränkungen nicht erfüllt werden kann. Zum Ende der Elaboration wird die Lehrerin erwähnt, an deren Entscheidungen ebenso Kritik geübt wird. Implizit wird dabei auch die Trennung zwischen Schule und Alltag/Freizeit deutlich, denn »hätte man was [...] außerhalb gefunden«, »hätte man wahrscheinlich da auch noch bessere Ergebnisse bekommen«. Mit »außerhalb« meinen die Jugendlichen den Bereich außerhalb der Schule und damit den Freizeitbereich i.w.S. Das bedeutet auch, dass die Jugendlichen zwar an schulischen Strukturen orientiert sind, doch diese nicht mit eigens formuliertem Protest

E RGEBNISSE | 343

(»was uns stört an der Schule«) in Verbindung bringen können. Schulische Vorgaben sind in diesem Sinne einschränkend. An der folgenden Textpassage aus der Gruppe Herbst weiß soll die Rolle schulischer Strukturen weiter differenziert werden. Herbst weiß, Z. 37-88 | Eingangspassage: Cm:

Bm: (Em:) Bm: Dw: Bm: Em: Dw: Bm:

Cm: Bm: Cm: Bm: Dw: Cm:

ähm @(.)@ ja also @(.)@ äh also was mir so aufgefallen ist dass es äh sehr viele verschiedene Möglichkeiten gibt oder (.) so Teilgebiete urbaner Räume äh also wir hatten eigentlich jede Stunde (.) im Prinzip irgend ne neue Idee oder eine neue Art irgendwie den Raum zu verändern und es war eigentlich jetzt nicht so dass wir immer irgendwie auf dem gleichen Thema sitzengeblieben sind sondern haben immer was Neues gemacht ((schluckt)) und es kamen irgendwie immer neue Ideen dazu also es war sehr vielseitig (2) doch auch ganz gut gestaltet eigentlich das ganze Projekt find ich mit den Blättern und so war schöner als der sonstige Unterricht L @(.)@ viel Farben und sowas @(.)@ aber auch das Thema war ganz ganz gut eigentlich (.) interessant (4) kann ich nur zustimmen @(.)@ ich auch 00:02:30 (15) ja: (.) @(.)@ ähm hm (.) ja wir ham halt davor nicht gedacht dass man eigentlich wir waren erst n bisschen perplex wo wir des gehört haben mit den Räumen weil wir nicht wussten was sie jetzt eigentlich für Räume meinten aber dann ham wir ja natürlich wo wir dann näher drauf eingegangen sind haben wir eigentlich gemerkt dass es ja viele verschiedene (.) Differenzierungen und sowas gibt dass es halt verschiedene Räume gibt (.) ja aber (.) des war auch also manche Sachen waren auch irgendwie voll also ko- Sachen die ich noch nie vorher gehört hab so (.) zum Beispiel dieses äh Gentrifizierung und sowas (.) °zum Beispiel irgendwie° ja oder auch dieses ähm mit dem (.) ähm knitting oder wie des hieß ah ja °ja° sowas äh krie- also geht mir zumindest so dass ich des zuvor nicht mitgekriegt hab irgendwie vielleicht is es auch in Nürnberg nicht so

344 | U RBANES R ÄUMEN

Dw: Cm:

Bm: Yw:

verbreitet (.) aber war echt ne ganz coole Information weil es ja auch ne coole Sache is (.) auch dieses ähm äh Baumpflanzen is ja jetzt nicht unsere Gruppe weil da waren wir aufgeteilt aber des hatt ich @auch@ zuvor noch nicht gehört oder des Hinsetzen (.) wenn die sich irgendwo hinsetzen auf die Straße °ja° (4) 00:04:00 @ja@ also alles in allem es war sehr vielseitig und wir haben viel Verschiedenes gemacht und es war eigentlich alles immer ganz interessant auch also am Anfang waren wir halt noch n bisschen unsicher da wusste man noch nicht so richtig um was es ging also glaub ich ging den meisten so L mhm aber dann hatten wir ziemlich viele Beispiele und es hat auch Spaß gemacht eigentlich sich da drüber zu informieren (2)

Die positive Orientierung der Jugendlichen an bekannten (schulischen) Strukturen zeigt sich deutlich in diesem Transkriptauszug. Nach der Eingangsfragestellung der Interviewerin nach den Erfahrungen im Unterrichtsprojekt äußert Cm die von ihm erlebte Vielfalt, die in Aussagen wie »sehr viele verschiedene Möglichkeiten«, »immer was Neues«, »immer neue Ideen« zum Ausdruck kommt. Neben der formalen Gestaltung des Unterrichtsprojekts, die insgesamt als positiv bewertet wird (»ganz gut gestaltet«), thematisieren die Jugendlichen den Inhalt, der als »sehr vielseitig« eingeschätzt wird, wobei gleichzeitig eine Überforderung damit zum Ausdruck kommt; die Jugendlichen »waren erst n bisschen perplex« und »halt noch n bisschen unsicher«, doch über »Beispiele« und »Differenzierungen« hat ihnen der Unterricht dann »auch Spaß gemacht«. Die Zurückhaltung Neuem – in diesem Fall dem Unterrichtsprojekt – gegenüber zeigt sich auch in der Diskursorganisation. Eher zögerlich elaborieren die Jugendlichen ihre Standpunkte, indem sie Propositionen aufstellen und andere darauf Bezug nehmen bzw. Anschlusspropositionen formulieren, um sich in Sicherheit zu wahren. Über eine 15 Sekunden dauernde Pause relativ kurz nach dem Beginn der Gruppendiskussion wird auch die Perplexität dem Thema gegenüber nonverbal zum Ausdruck gebracht. An dieser Passage wird zudem deutlich, dass Schule für die Jugendlichen eng mit Leistung verbunden ist. Sehen die Jugendlichen das Erbringen von Leistung als bedroht, z.B. durch Inhalte, die sie »noch nie vorher gehört« haben, versuchen sie dies konstruktiv zu lösen, indem sie noch positive, bestärkende Anmerkungen anführen, um den Wert darin für sich selbst auf expliziter Ebene zu verdeutlichen. Gleichzeitig vermeiden sie damit Differenzen, die sie nicht explizieren, sondern gerade umgehen. Kein Teilnehmer der Grup-

E RGEBNISSE | 345

pendiskussion stellt sich bspw. in direkte Opposition zum Unterricht. Sie relativieren Aussagen häufig (»doch auch ganz gut gestaltet eigentlich«, »ganz gut eigentlich«, »es war eigentlich alles immer ganz interessant«) und stellen diese gemeinschaftlich dar (»wir ham halt davor nicht gedacht«, »wir waren erst n bisschen perplex«, »wir haben viel Verschiedenes gemacht«). Diese Haltung zeigt sich auch an der parallelisierenden Diskursorganisation. Insgesamt konnte fallübergreifend gezeigt werden, dass die Jugendlichen eine Trennung zwischen den Räumen der Schule und des Alltags vornehmen. Damit einher geht eine Orientierung entweder an schulischen Strukturen oder alltäglichen Erfahrungen, wobei diese beiden Bereiche keinen Gegensatz darstellen oder sich gar ausschließen. Im Transkriptauszug der Gruppe Winter schwarz bspw. kommt zum Ausdruck, dass die Jugendlichen in ihrem Alltag kaum über Aspekte aus dem Geographieunterricht nachgedacht haben (»aber jetzt nicht spezifisch nochmal so im privaten Leben wirklich aktiv drüber nachgedacht« [15:38]), gerade weil es zu einer Grenzziehung zwischen den Bereichen kommt. Damit konnten in der vorliegenden Arbeit die Annahmen aus Kapitel 2.2.2 empirisch rekonstruiert werden. Jugendliche entscheiden folglich in unterschiedlichen Situationen flexibel, an welchem der beiden Bereiche sie ihre Handlungen ausrichten. Dabei sind sowohl Schule als auch Alltag/Freizeit eng an das Erbringen von Leistung gekoppelt. Die Thematisierung schulischer Vorgaben ist ein wesentlicher Bestandteil der jugendlichen Auseinandersetzung mit Unterricht allgemein. Damit bleibt Unterricht stets von der Lehrperson abhängig (vgl. Hattie 2008); Jugendliche sind auf sie angewiesen und richten ihr Handeln daran aus, sowohl in positiver als auch negativer Weise (d.h. entweder Orientierung an den schulischen Vorgaben oder Negieren dieser). Diese Abhängigkeit von der Lehrperson kann im Geographieunterricht bspw. in dieser Hinsicht berücksichtigt werden, indem auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen alltäglichen und i.e.S. schulischen Problematiken geachtet wird und den Jugendlichen unterrichtliche Entscheidungen transparent gemacht werden. Trotz unterschiedlicher Orientierungen der Jugendlichen muss es weiterhin darum gehen, die Relevanz von Thematiken für ihr eigenes Leben zu verdeutlichen. Eine ganz entscheidende Rolle spielt dabei auch das Verständnis des Faches Geographie allgemein sowie seiner Inhalte im Konkreten (s.u.). Deswegen sollte bereits in Sekundarstufe I damit begonnen werden, ein vielperspektivisches Raumverständnis bei den Lernenden anzuleiten und dabei die Geographien ihres eigenen Lebens zu integrieren.

346 | U RBANES R ÄUMEN

Abschließend werden einige Hinweise zusammengefasst, die sich aus den untergeordneten Fragestellungen (vgl. Kap. 3.1) ergeben, wobei auf die Rolle der Alltagserfahrungen bereits im Rahmen der vorangegangenen Rekonstruktion der Themen eingegangen wurde. Die folgenden beiden Aspekte wurden in ihrem immanenten Sinngehalt in den Gruppendiskussionen ersichtlich. Konkrete didaktisch-methodische Konsequenzen daraus werden in den Abschnitten 7.1.1 und 7.1.2 formuliert. 6.2.5 (Neues) Verständnis von Geographie »Die Geschichte des erdkundlichen Unterrichts kann als die Geschichte der Bemühungen um Veranschaulichung bezeichnet werden.« (Sperling 1973: 63) Besonders im Geographieunterricht spielt die Vermittlung von Räumen über den geeigneten Einsatz von Medien eine entscheidende Rolle, da Erfahrungen nur selten vor Ort erprobt werden können. Neben traditionell geographischen Arbeitsmitteln und -weisen, z.B. dem Kartieren sowie Lesen und Interpretieren von Karten werden besonders auch (wissenschaftliche) Texte dafür eingesetzt, seien es solche im Lehrbuch oder als journalistische oder literarische Versionen. Insgesamt jedoch nehmen die nicht-kontinuierlichen Texte (Diagramme, Karten, Tabellen, Bilder, usw.) einen großen Teil im Geographieunterricht ein (Huber/Stallhofer 2010: 223). Demnach ist davon auszugehen, dass die Jugendlichen auch eher damit vertraut sind, wobei dies noch keine Rückschlüsse auf den Umgang, d.h. das konkrete Arbeiten mit den Medien selbst, erlaubt. Die Auffassung dessen, was für die Jugendlichen Geographie(-Unterricht) ist, bzw. ihnen bedeutet, ließ sich an einigen Textpassagen aus den Transkripten wenn nicht fallübergreifend, aber doch ausgewählt zeigen. Auch hier gingen die Lernenden selbst darauf ein, ohne dass sie zu einer Auseinandersetzung damit aufgefordert waren. Diese Bezüge sollen hier deswegen anhand ausgewählter Zitate aus den Gruppendiskussionen veranschaulicht werden, wobei keine dokumentarische Interpretation erfolgt. Allgemein lässt sich zeigen, dass die Jugendlichen, abhängig von ihrer Orientierung an schulischen Vorgaben, auf neue und zuvor nicht behandelte Inhalte und Methoden mit Zurückhaltung reagieren. Für die Jugendlichen der Diskussionsgruppe Winter grau war der Lückentext bspw. nur »Spielerei« (18:02), für Herbst rot gar »wahnsinnig«, aber »bringt nicht wirklich viel ist ganz witzig« (Z. 211) und auch der Einsatz von Bildern wurde in einer anderen Schülergruppe (Winter beige) kritisch hinsichtlich der Eignung für den Geographieunterricht bewertet. In einem übertragenen Sinne sind auch die Jugendlichen an der Veranschaulichung und Visualisierung orientiert; dass Texte eine andere Form der Informationsvermittlung darstellen als Bilder, wurde bereits an anderer

E RGEBNISSE | 347

Stelle angedeutet. Über Visualisierungen, so die These, werden räumliche Vorstellungen besonders gefördert, wobei diese je unterschiedlich ausgeführt werden kann. Ziel von Visualisierungen sollte es sein, vorhandene Daten mit Erfahrungen und Wissen der Jugendlichen anzureichern, z.B. indem topographische Karten mit zusätzlichen Informationen versehen werden. Dies können text- oder bildbasierte Hinweise sein (vgl. dazu Lenz 2002: 8ff.). Im Hinblick auf die didaktischen Entscheidungen zum Einsatz von Medien im Geographieunterricht, besonders in der Vermittlung eines vielperspektivischen Blickes auf Räume, müssten solche Fragen noch weiter erörtert werden, um die Tauglichkeit auch an den Erfahrungen und Vorstellungen der Jugendlichen auszurichten. Dennoch sollte angemerkt sein, dass Neues bzw. Unbekanntes im Unterricht auch allgemein von Jugendlichen als Störung empfunden werden wird, und sich dies nicht nur auf die vorliegende Studie zurückführen lässt. Als schwierig empfinden es die Jugendlichen demnach, mit Informationen oder Aufgabenstellungen umzugehen, die sie vorher nicht kannten (z.B. Cindy aus Marzahn – Gruppe Winter beige; Bewerten von Städten, die die Jugendlichen nicht kannten – Gruppe Herbst rot) – was wiederum auf ihre Orientierung an Leistung zurückzuführen ist. Die angedeutete Anerkennung neuer Informationen und Sichtweisen in anderen Schülergruppen jedoch lässt darauf schließen, dass eine Integration neuer bzw. ungewohnter Fragestellungen im Geographieunterricht z.B. mittels bekannter methodischer Vorgehen (oder umgekehrt) zu einer Bereicherung und einem erweiterten Verständnis führen kann. Dennoch ist stets darauf zu achten, dass der Sinn der jeweiligen Arbeit mit den Medien hinsichtlich der Produktion von Raum reflektiert wird. Mit anderen Worten: Die Jugendlichen sollen das Füllen eines Lückentextes nicht als Spielerei oder Journalismus abtun, sondern dafür sensibilisiert werden, dass der Einsatz von Sprache – ob im Kleinen oder Großen – dezidiert die Wahrnehmung von Räumen beeinflusst und damit auch Auswirkungen auf das Handeln haben kann. Geographie würde »sich im Stellenwert verändern« (Gruppe Winter grau, M. 18:13), wenn die Lernenden auch mit jenen Elementen wie die im Unterrichtsprojekt erfahrenen über einen längeren Zeitraum arbeiten würden. Aber auch das zeugt nur davon, dass sich Erlebnisse – seien sie dies im Geographieunterricht oder aber bei der Wahl der Lebensmittel – über eine gewisse Zeit als normal und damit bekannt erweisen. Dabei müssen neue Erkenntnisse keineswegs verwirren oder stören; besonders alltägliche Lebensvollzüge erweisen sich auch hier als geeignet, um Lernenden aufzuzeigen, wo sich geographische Problemstellungen auch in ihrem Alltag wiederfinden lassen. So kannte ein Jugendlicher die Aktion der Critical Mass »von [s]einem Cousin der da immer mitfährt ähm einfach aus Jux und Tollerei aber jetzt hab eben ihn damals als Beispiel genannt und ich dachte des gibt’s ja wirklich nicht

348 | U RBANES R ÄUMEN

des is ein ähm ja also dass ich des in der Schule irgendwann mal lern hätt ich nie gedacht« (Gruppe Herbst blau, Z. 130-134). Stützen lassen sich die Vorschläge zum Umgang mit neuen Informationen im Geographieunterricht wiederum mit Erkenntnissen aus der Gehirnforschung. Demnach können die Jugendlichen durch das gehirneigene Belohnungssystem einen positiven Effekt durch folgende mögliche Bedingungen empfinden (vgl. Köck 2005c: 121f.): • • • • •

»Neuigkeit und Bedeutsamkeit der Unterrichtsinhalte gewährleisten und transparent machen; Verknüpfung neuer Unterrichtsinhalte mit bereits Bekanntem durch ständige Aktivierung des Assoziationspotenzials, Herbeiführung von Lern- und Verhaltensergebnissen, die besser sind als erwartet; Schaffung einer angenehmen Lernatmosphäre; schließlich [...] Lehrer, die ihr Fach können und von ihm begeistert sind [...].«

Mit anderen Worten: Neues oder Ungewohntes – wie auch der vielperspektivische, kritisch-reflexive Blick auf Räume – kann auf diese Weisen so inszeniert werden, dass die Jugendlichen selbst einen positiven Mehrwert darin sehen. Gleichzeitig erkennen die Jugendlichen den Faktor Mensch in Abgrenzung zu rein topographischen Wissensbeständen im Geographieunterricht an, womit geänderte Blicke auf geographische Inhalte verbunden sind. So elaboriert ein Jugendlicher dazu ausführlicher: »dass wir immer zusammen Informationen gesammelt haben und dadurch finde ich ähm bekommt man nochmal so einen anderen Blickwinkel auf die Geographie weil bis zur 10. Klasse oder haben wir immer ja ja Städtenamen gelernt und Flüsse und was auch immer aber nie wirklich besprochen wie es in den Städten innen aussch- ausschaut und das fand ich so ein Blick von innen heraus nach außen war mal auch em ein sehr interessanter Gedanke den ich auch ähm gut fand und den ich eigentlich wo ich eigentlich finde das sollte auch im Unterricht eingebunden werden auch in den anderen Klassen also zum Beispiel wir haben in der weiß nicht in der Neunten oder neunten Klasse haben wir uns Städte angeschaut in verschiedenen Regionen aber wir haben jetzt halt nur von außen geschaut ja welche Wirtschaft haben die oder sowas und dann aber nie wirklich geguckt ja wie sehen die Menschen das in den Städten da drinnen und das fand ich jetzt ganz gut« (Gruppe Herbst grün, Z. 70-87). Das bedeutet, dass die Subjektzentrierung sowohl in methodischer als auch inhaltlicher Hinsicht – so eine vage These – von Jugendlichen durchaus erkannt und für die Bearbeitung geographischer Fragestellungen wertgeschätzt wird.

E RGEBNISSE | 349

6.2.6 Die Rolle der Kunst bzw. ästhetischer Zugänge zu Raum Auch die Bedeutung künstlerischer Eingriffe in Räume sowie künstlerischästhetischer Methoden im Unterricht wurden von den Jugendlichen thematisiert, da sie sich auch damit auseinandersetzen mussten. Dabei fällt auf, dass das Verständnis von Geographie(-Unterricht) eng mit dem von methodischen Zugängen verbunden ist. Das meint, dass bspw. Bilder, mit denen die Jugendlichen im Geographieunterricht sonst weniger arbeiteten oder vertraut sind, entweder als neu oder vereinzelt unpassend bewertet werden (vgl. Gruppe Winter beige). Das Zeichnen eines Denkmals war eine Aufgabe während des Unterrichtsprojekts, die in einigen Diskussionsgruppen eingeschätzt wurde. Auf expliziter Ebene bringen die Jugendlichen Unverständnis demgegenüber zum Ausdruck, wobei in einer Schülergruppe daran die Vielperspektivität im Sinne unterschiedlicher Handlungsweisen und deren eigentliche Bedeutungen im Hinblick auf deren räumliche Verortung erarbeitet werden (»wenn wir vor der P-Kirche hocken [...] und Gitarre spielen dann ist das nicht der Nutzen des eigentlichen Platzes«, Gruppe Herbst rot, Z. 447-448). Ästhetischen – hier in Abgrenzung zu alltäglichen – Zugängen zur Erklärung und der eigenen Darstellung von Welt wird eben dieses Potenzial zugesprochen, über grundlegende Muster eigener sowie anderer Weltanschauung nachzudenken und Unterschiede in der Wahrnehmung offen zu legen. Dabei gelten den Jugendlichen künstlerische Möglichkeiten u.a. als geeignet, um »Eigeninitiative« (Gruppe Herbst grün, Z. 124) zu ergreifen und sich selbst an der Herstellung von Raum, z.B. »Raum zu gestalten« (Gruppe Herbst grün, Z. 121) zu beteiligen, wohingegen größere Initiativen in dieser Schülergruppe nur mit Hilfe des Staates oder der Stadt umzusetzen seien (»sodass auch der Staat das merkt und vielleicht mal dann eingreift und irgendwas ändert für längere Zeit«, Z. 439-441). Im Sinne eines fächerübergreifenden Unterrichts könnten die Jugendlichen in künstlerischen Eingriffen bspw. die Wirksamkeit eigener räumlicher Konstruktionen erfahren, ohne auf den Geographieunterricht beschränkt zu sein. Daran zeigt sich, dass folglich beide Aspekte – das Verständnis von Geographie und besonders der künstlerische Zugriff auf Räume – eng miteinander zusammenhängen und die Jugendlichen auf deren implizite Grenzziehung zwischen beiden (i.S.v. das ist entweder Geographie oder Kunst) aufmerksam gemacht werden sollten, um ein Verständnis von Raum bzw. Räumlichkeit als gesellschaftlich konstruiert zu erlangen. Denn vor dem Hintergrund der in Kapitel 1.1 dargestellten gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen der heutigen Welt muss es auch darum gehen, die Ästhetisierung unserer Umwelt als Voraussetzung für die Aneignung von Räumen anzuerkennen um deren Konsequenzen einschätzen zu können.

350 | U RBANES R ÄUMEN

6.3 T YPENBILDUNG Die im weiteren Verlauf vorzunehmende Typenbildung erfolgt im Sinne Ralf Bohnsacks nicht als Common Sense, sondern als praxeologische Typisierung, wobei sich beide Formen nicht ausschließen, vielmehr auch »praxeologische Typenbildungen als Beobachtungen zweiter Ordnung durch Typenbildungen des Common Sense als Beobachtungen erster Ordnung hindurch müssen« (Bohnsack 2013: 242). Mit anderen Worten, und in Anlehnung an die Unterscheidung eines immanenten und dokumentarischen Sinngehaltes, verbleibt die praxeologische Typenbildung nicht auf der Ebene explizit geäußerter Um-Zu-Motive einer Handlung, sondern gründet genauso auf den Weil-Motiven, d.h. den nicht auf den ersten Blick zugänglichen Erfahrungen, die Handlungsentwürfen vorausgingen (vgl. Bohnsack 2007: 145). Das Ziel einer Typenbildung ist es, »die gesamte Breite der möglichen Orientierungen« (Kleemann/Krähnke/Matuschek 2013: 185) zu erfassen. Dabei bewegt sie sich stets zwischen der Spezifizierung eines einzelnen Falles und der Abstraktion hin zu verallgemeinerbaren Ergebnissen. Die dokumentarische Methode unterscheidet eine sinngenetische und soziogenetische Typenbildung. Erstere fokussiert die unterschiedlichen Orientierungen, auf deren Grundlage Personen eigene Themen bearbeiten bzw. Handlungen ausrichten (ebd.: 165). Mittels soziogenetischer Typenbildung wird der spezifische Erfahrungsraum, durch den die Genese einer Orientierung stattgefunden hat, berücksichtigt. In der vorliegenden sinngenetischen Typenbildung werden die Bedingungen für die unterschiedlichen Modi der Raumaneignung Jugendlicher, d.h. des Umgangs mit Raumkonstruktionen aufgezeigt. Mit anderen Worten: Aufgrund welcher Orientierungen lassen sich unterschiedliche Modi der Raumaneignung bei den Jugendlichen aufzeigen?10 Die Typenbildung findet zeitgleich mit der bzw. als Abstrahierung und Spezifizierung der Orientierungsrahmen statt (Komparative Analyse) und basiert auf den zuvor rekonstruierten Themen, die sich aus Sicht der Jugendlichen als zentral in den Gruppendiskussionen ergaben. Auch hier wird wieder deutlich, dass die einzelnen Analyseschritte der dokumentarischen Methode nicht getrennt voneinander stattfinden (vgl. Abb. 13). Nach der Rekonstruktion des Orientierungsrahmens, die über die formulierende und reflektierende Interpretation einer Textpassage stattfindet, werden weitere Passagen aus der gleichen sowie anderen

10 Über eine soziogenetische Typenbildung wäre die Rekonstruktion der Genese dieser Orientierungen möglich, d.h. wie diese unterschiedlichen Orientierungen entstanden sind.

E RGEBNISSE | 351

Gruppendiskussionen hinzugezogen, um diesem Gegenhorizonte entgegen zu setzen und damit die Standortgebundenheit des Forschenden in seiner eigenen Interpretation zu reflektieren. Es geht zum einen darum, »im selben Diskurs weitere Orientierungsrahmen zu finden, zum anderen, den ursprünglichen zu bestätigen [...] und zum Dritten, ihn auch in anderen Fällen zu identifizieren, um zu erkennen, ob man nicht nur eine fallspezifische Besonderheit herausgearbeitet hat« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 296). Gleichzeitig muss eine Basisorientierung rekonstruiert werden, da ein Vergleich unterschiedlicher Fälle nur über ein gemeinsames Kriterium (»gemeinsames Drittes«) erfolgen kann. Wenn Jacke und Hose verglichen werden, dann würde sich als Basisorientierung demzufolge Kleidungsstücke ergeben. Dieses tertium comparationis ist in vorliegendem Fall die Raumaneignung Jugendlicher. Diese Basisorientierung ist zugegebenermaßen »durch das Erkenntnisinteresse eines Projekts vorgegeben« (Bohnsack 2007: 237), erhält aber dadurch empirische Validität, indem ständig Vergleichshorizonte in die Analyse einbezogen und den gefundenen Orientierungen entgegengesetzt werden. Wenn zuletzt ein Orientierungsrahmen von anderen Orientierungsrahmen abgrenzbar ist, d.h. ein Thema auf andere Art behandelt wird, lässt sich dieser über den einzelnen Fall hinausgehend abstrahieren und zu einem Typus herauslösen (Nohl 2006: 13).

352 | U RBANES R ÄUMEN

Abbildung 13: Exemplarisches Vorgehen von der Interpretation einer ersten Textpassage bis zur Typenbildung

»Die Geschichte der Typenbildung bzw. des Typusbegriffs ist von einer scharfen Differenzierung zwischen empirischen und heuristischen Typologien bzw. zwischen Real- und Idealtypen geprägt [...].« (Nentwig-Gesemann 2007: 280) Die Typenbildung der vorliegenden Studie erfolgt in der Tradition Max Webers als Rekonstruktion von Ideal- bzw. heuristischen Typen. Das bedeutet, dass diese »durch Übersteigerung und Vernachlässigung von einzelnen Aspekten der beobachteten Wirklichkeit« entstehen (ebd.: 281). Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass das Generieren von Typen nicht den letzten Schritt einer Forschungsarbeit darstellt, sondern vielmehr zur Hypothesenbildung erst anregt und damit »als Vergleichshorizont für empirische Fälle« (ebd.) dient. Aus dieser Unterscheidung leitet sich auch der je verschieden beabsichtigte Zweck einer Typenbildung ab.

E RGEBNISSE | 353

Dabei können allgemein die • •

Ordnung und Beschreibung durch Gruppierung sowie Hypothesengenerierung durch Induktion oder Abduktion

unterschieden werden (ebd.: 282ff.). Neben der ordnenden Darstellung der Typen wird in dieser Arbeit auch eine Hypothesengenerierung angestrebt, die in den Konsequenzen aus der Typenbildung formuliert wird (Kap. 7.1). 6.3.1 Sinngenetische Typenbildung der vorliegenden Studie | Modi der Raumaneignung Jugendlicher Im Folgenden werden die rekonstruierten Typen genauer mittels der von den Jugendlichen in den Gruppendiskussionen behandelten Themen als unterschiedliche Dimensionen jeweils anhand eines Transkriptauszugs dargestellt. Zusammengefasst auf zentrale Aussagen wird die Typenbildung in Abbildung 14. Als Referenzen für die sinngenetische Typenbildung dienen ebendiese Themen, die im Rahmen der Rekonstruktion der Orientierungen herausgearbeitet wurden. Im Zuge der fallinternen und fallübergreifenden Komparationen zeigten sich zentral Modi der Raumaneignung der Jugendlichen. Auf der Grundlage dieser Basisorientierung (tertium comparationis) eignen sich Jugendliche Räume unterschiedlich an, was mit verschiedenen Weisen der Grenzziehung (Abgrenzung, Ein- und Ausschluss nicht nur explizit räumlich) einhergeht. Auf die Rekonstruktion eines Raumverständnisses i.S. der in Kapitel 2.1.2 dargestellten vier Raumbegriffe wird indes verzichtet. Es geht nicht um eine Beurteilung des erlangten oder vorhandenen Zugriffs auf Raum. Vielmehr können ausgehend von den rekonstruierten Orientierungen Rückschlüsse auf den Umgang mit Raum (vgl. Themenfeld 1) gezogen werden. In den Fallbeschreibungen wurden erste Hinweise darauf angedeutet. Themenfelder 1) Themenfeld Raumproduktion. Wie die Jugendlichen Eingriffe in Räume einschätzen und deren Wirksamkeit erfahren Bei der Raumproduktion zeigen sich unterschiedliche Ausprägungen der Orientierung an Wirksamkeit. Das bedeutet, aus Sicht der Jugendlichen werden eigene aber auch andere verändernde Eingriffe in Räume als effektiv oder weniger

354 | U RBANES R ÄUMEN

nützlich eingeschätzt, z.B. inwiefern diese durch andere Personen wahrgenommen werden; je nachdem, aufgrund welcher Orientierungen Handeln ausgerichtet wird. Wirksamkeit wird theoretisch über das Kennenlernen unterschiedlicher Eingriffe in Räume oder praktisch durch die Eingriffe der Jugendlichen selbst erfahren. Damit zusammen hängen vor allem alltägliche Erfahrungen und nicht zuletzt implizite Orientierungen an (schulischen) Strukturen. In diesem Zusammenhang wird auch die übergeordnete Betrachtung von Aktionen, die die Schüler kennen gelernt haben, unterschiedlich bewertet. Einig sind sich die Jugendlichen, dass sie in ihrem Umfeld kaum auf jene Eingriffe gestoßen sind, aber durch das Unterrichtsprojekt darauf aufmerksam wurden. 2) Themenfeld Heterogenität. Wie die Jugendlichen Differenzen und vielperspektivische Raumwahrnehmungen figurieren Über alltägliche Erfahrungen hinaus geht es den Jugendlichen darum, alternative Perspektiven in den Blick zu nehmen, sei es, dass sie sich selbst in die Rolle anderer versetzen oder Handlungen anderer im Sinne eines Perspektivenwechsels nachvollziehen. Die Jugendlichen haben den Anspruch – i.S. ihrer Leistungsorientierung –, andere Raumaneignungen zu erkennen (z.B. was andere (über Räume) denken). Auch wenn das Einnehmen verschiedener Blickwinkel den Jugendlichen zufolge bspw. im Unterricht oft schon getan wurde, zeigen sich unterschiedliche Formen des Umgangs mit Heterogenität bzw. Vielperspektivität. Geht es um ein Erkennen/Anerkennen/Akzeptieren (vgl. Vielhaber 1993: 52)? Denn Verstehen bzw. Anerkennen von Dissens bedeutet nicht immer Einheit und Identität, sondern genauso Differenz (Rhode-Jüchtern 1995: 35), die einer besonderen Offenheit und Toleranz bedarf. Implizit wird an der Bearbeitung von Themen deutlich, wie Jugendliche mit Differenz bzw. Dissens umgehen. 3) Themenfeld Eigene Lebenswelt. Wie die Jugendlichen ihren Heimatraum und alltägliche Erfahrungen wahrnehmen Die Jugendlichen bringen Erfahrungen aus und Kenntnisse über ihren Heimatraum unterschiedlich in den Gruppendiskussionen ein. Sie setzen damit (theoretisch erfahrenes) Wissen aus dem Unterrichtsprojekt inwert, indem sie eigene Standpunkte und eigene Erfahrungen bekräftigen und verstehen bzw. hinterfragen lernen. Gleichzeitig sind alltägliche (räumliche) Erfahrungen für die Jugendlichen so präsent, dass dadurch Erkenntnisse aus dem Unterrichtsprojekt weiter

E RGEBNISSE | 355

gestützt werden können. Unter Alltag wird hier in Anlehnung an das in Kapitel 2.2.1 dargestellte Verständnis ein unhinterfragtes, in natürlicher Einstellung ablaufendes Handeln verstanden. Dabei lohnt ein Blick auf unterschiedliche räumliche Dimensionen; ob sich Jugendliche bspw. auf individueller, lokaler oder globaler Ebene mit räumlichen Phänomenen auseinandersetzen und anhand welcher Erfahrungswerte diese ausgerichtet werden. Das Themenfeld der eigenen Lebenswelt steht in Abgrenzung zum folgenden der Schule im Allgemeinen. 4) Themenfeld Interaktionsraum Schule. Wie sich die Jugendlichen schulische Räume aneignen Um Leistungen, auch über die Schule hinausgehend, zu erbringen, orientieren sich die Jugendlichen zu einem gewissen Grad an bestimmten Vorgaben. Dabei sind neben schulischen auch übergreifende Regeln gemeint, an denen Handeln ausgerichtet wird. Im Vordergrund dieser Auseinandersetzung stehen dennoch allgemeine schulische Strukturen, auf die die Jugendlichen eingehen (z.B. Anschaulichkeit der Materialien) und die zur Leistungserbringung dienen. In der Art und Weise, wie die Schüler im Interaktionsraum der Gruppendiskussion jeweils Stellung beziehen, zeigen sich unterschiedliche Modi ihrer Raumaneignung, die wiederum unterschiedliche Ansprüche an sich und andere deutlich werden lassen. Grundsätzlich lassen zwei Arten von Typen jugendlicher Raumaneignung unterscheiden. Dies ist zum einen der räumlich-rekonstruierende Schülertypus, der sich vor allem durch einen Modus analytischen Nachvollziehens charakterisieren lässt und zum anderen der räumlich-dekonstruierende Typus. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass in den Gruppendiskussionen Sozialität über das kritische Infragestellen von anderen Annahmen hergestellt wird. Diese heuristische Trennung ist an die Terminologie Kersten Reichs Konstruktivistischer Didaktik (2010) angelehnt und suggeriert keinerlei Wertungen guter oder schlechter Raumaneignung. Die Konstruktion als Phase der eigenen Herstellung von Raum i.w.S. wird dabei von allen Typen vorgenommen. Die Typen sind nicht von links nach rechts zu lesen, sondern entwickeln sich von der Mitte ausgehend, was zusätzlich durch die Pfeile in Abbildung 14 angedeutet wird.

356 | U RBANES R ÄUMEN

Abbildung 14: Sinngenetische Typenbildung der vorliegenden Studie

E RGEBNISSE | 357

6.3.2 Typenspezifische Bearbeitung der Themen Schülertypus 1 | -tradierend Schülertypus 1 orientiert sich stark an Ursprünglichkeit, die sich vor allem in einer expliziten Naturverbundenheit ausdrückt. Im Vordergrund steht dabei der Anspruch, eine »Verhältnismäßigkeit« (Herbst grün, Z. 199, 531; »zu viel Industrie jetzt ziehen die Leute weg«, Z. 196f.) zu erreichen, und zwar über das Tradieren bestimmter Strukturen. Damit einher geht eine Vermeidung von Differenzen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen, z.B. im Interaktionsraum der Gruppendiskussion selbst, manifestiert. Dieser Schülertypus ist zudem stark an konkreten (beständigen) Äußerlichkeiten orientiert, die in Form materialisierter Erscheinungen in den Blick geraten. Raumaneignung soll dabei diszipliniert i.S. der angesprochenen »Verhältnismäßigkeit« erfolgen. Medien finden in diesem Prozess eine negative Attribuierung, da durch sie keine unmittelbare Raumerfahrung möglich ist. Die folgenden Transkriptauszüge veranschaulichen jeweils thematisch gesondert, inwiefern die spezifischen Orientierungen des räumlich-tradierenden Schülertypus deutlich werden. 1. Raumproduktion Anhand der folgenden Textpassage der Schülergruppe Herbst weiß wird ersichtlich, dass Schülertypus 1 eigene Eingriffe in Räume an Vorgaben, z.B. dem Anspruch nach Verschönerung ausrichtet, wobei dies implizit mit dem Bewahren von Beständigkeit einhergeht. Das zeigt sich im Transkript u.a. daran, dass das Thema der eigenen Mapping-Aktion der Jugendlichen beginnend eingeleitet wird durch die Proposition, dass es »viel zu viele Einschränkungen«11 gebe, woraufhin die Jugendlichen abwechselnd ihre eigene Aktion vor eben diesem Hintergrund (»wenig Freiraum«) verhandeln und differenzieren. Sie einigen sich darauf, dass die Grenze zwischen der Legalität und Illegalität von Handlungen »ziemlich dünn«, und Eingriffe meistens doch »verboten« seien. Gleichzeitig weisen sie dem Lehrer die Rolle als Aufseher zu, an dessen Vorgaben sie sich unvermeidlich halten. Implizit weisen sie Verantwortung für Raumproduktion von sich an andere ab. Wirksamkeit i.S. einer Aufmerksamkeitslenkung anderer Menschen auf die eigenen Raumeingriffe erfährt der tradierende Schülertypus

11 Die im Folgenden verwendeten Zitate ohne expliziten Quellenverweis beziehen sich jeweils auf die vorher genannte Diskussionsgruppe; Zitate aus anderen Gruppendiskussionen werden entsprechend gekennzeichnet.

358 | U RBANES R ÄUMEN

nicht praktisch, z.B. »weil [...] jetzt letztendlich alle mit den Smartphones rumlaufen« und »eher auf etwas Buntes als auch etwas Schwarz-Weißes« achten. Ferner verweist die Schülergruppe darauf, »dass dann schon zwei von den Blätter runtergerissen wurden von Leuten die vorbeigelaufen sind«. Daran zeigt sich der insgesamt fragile Habitus dieses Typus. Herbst weiß, Z. 632-663: Bm:

Cm: Bm:

Cm: Bm: Cm: Dw: Bm: Cm: Bm: Cm: Bm: Cm: Bm: Cm:

Bm: Cm:

ja gibts auf jeden Fall also man sollte auf jeden Fall äh äh es gibt viel zu viele Einschränkungen find ich also es gibt Sachen wo man nicht draufkleben darf oder halt sow- also sowas is ja nicht schlimm wenn da jetzt so n Blatt drauf is aber man darf so ziemlich nirgendwo was draufkleben man kann auf irgendwelche Bäume was machen und dann @(.)@ ist wahrscheinlich auch verboten L irgendwelche (höchstwahrscheinlich) @ja@ wir wissens ja nicht genau aber ähm äh es is echt man hat da eigentlich da relativ wenig Freiraum was sowas angeht (2) ja eigentlich fast gar nicht @(.)@ eigentlich gar nicht °ja° (5) ja und (.) ja gut die Grenze ist ja sowieso ziemlich dünn bei sowas zwischen illegal und legal ja hat der Herr Müller* heute äh unbedingt was Legales ( ) L @(.)@ L @(.)@ L er versuchte ( ) @(.)@ die Grenze zu gehen aber wollte eindeutig im legalen Bereich bleiben Ja gut des kann man auch nicht machen in ner in ner ja is natürlich unlogisch L sonst kriegt er dann den Ärger des is ja für ihn auch scheiße aber eigentlich ne ganz gute Lösung weil des is jetzt ja des war in Ord- ziemlich in Ordnung würd ich sagen mit den Blättern (4) man findet ja dann doch auch so n paar Flecken wo es geht also so ne halt so n Metallkasten oder so oder n Baum L ja klar (2) aber man muss schon suchen dass man sowas findet also @manchmal@ da auf den meisten ist es verboten °auf den meisten Dingen° (15) 00:29:15

E RGEBNISSE | 359

Theoretische Wirksamkeit i.S. imaginierter und als positiv bewerteter Eingriffe, figuriert Schülertypus 1 darüber, dass größere Aktionen durch den »Staat oder die Stadt« (Herbst grün, Z. 231f.) unterstützt werden sollten. Dabei stehen materielle und beständige Veränderungen (»eingreift und irgendwas ändert für längere Zeit«, Herbst grün, Z. 440f.), z.B. in Form von asphaltierten Straßen im Mittelpunkt, die den Raum in seiner Ursprünglichkeit verbessern und den Menschen (Jogger, Kinder auf dem Spielplatz, Gruppe Herbst weiß) Vorteile verschaffen. 2. Heterogenität Eng verbunden mit der Raumproduktion ist der Umgang der Jugendlichen mit unterschiedlichen Sichtweisen auf Raum i.w.S. Die Handlungen anderer bewertet Schülertypus 1 aufgrund eigener Erfahrungen (»ich hab das selber gesehen«, Herbst grün, Z. 210f.) entsprechend kritisch hinsichtlich der Ursprünglichkeit. So sind bspw. Smartphones oder der Fernseher heutzutage überflüssig; »im Prinzip braucht man das ja auch gar nicht« (Herbst grün, Z. 551f.). Die Menschen sollten sich mehr auf die Kultur und »was unsere Stadt jetzt zum Beispiel hat« (Herbst grün, Z. 219f.), konzentrieren. In diesem Sinne geht es Schülertypus 1 um ein geregeltes Schauen, eine Disziplinierung der Blicke. Die Vermittlung von Raumbildern über die Medien, die an anderer Stelle anhand der Nachrichten thematisiert wird, wird ebenso kritisch bewertet, wobei damit gleichzeitig der Anspruch der Jugendlichen verbunden ist, Dinge nicht unhinterfragt aufzunehmen; sich zu fragen, »sind da überhaupt alle so schlimm [...] und zweitens wenn das so ist warum« (Herbst grün, Z. 381ff.). Für den tradierenden Schülertypus spielen unterschiedliche Sichtweisen eine wichtige Rolle (»man kann auch verstehen, dass andere ne andere Ansichtsweise haben und dass man nicht einfach äh jetzt die ganze Stadt vollsprayen könnte«, Herbst weiß, Z. 319f.), wobei »n bisschen [...] Kommunikation [...] schon auch da sein« (Herbst weiß, Z. 323f.) muss, um jenen Differenzen vermittelnd zu begegnen. Im Sinne des Umgehens von Differenzen verbleibt dieser Schülertypus in einer kritisch-beobachtenden Haltung. Herbst grün, Z. 207-240: Am:

Also ich finde eigentlich ganz gut wenn man sich das an den- @also das ist jetzt vielleicht Vorurteil n großes@ aber man sieht es an den Japanern finde ich (.) weil die laufen- also (.) laufen durch so eine Stadt und- also ich hab das selber gesehen (.) @zum Beispiel an der (F-brücke*) die- die- die gehen einfach nur so gucken- gucken links wenn sie rechts fotografieren@ aber eigentlich wenn man sie fragt ja

360 | U RBANES R ÄUMEN

was haben Sie denn heute überhaupt alles gesehen dann (1) keine Ahnung ich glaube nicht das sie dir das sagen könnten also (.) die würden dann einfach sagen ja schau mal hier Fotos gemacht ja toll du hast @Fotos gemacht@ aber (.) aber- man- also ich- ich find (.) die Leute (.) wissen oft nicht mehr das was unsere Stadt jetzt zum Beispiel hat (.) oder ihre Stadt (.) die wissen das einfach nicht mehr zu schätzen weil (.) das ist einfach nur noch alltäglich geworden und man schert sich halt nicht darum (.) oder wenn man mal sagt ja ich war jetz in dem Museum ich hab schon alles gesehen ja (.) aber (.) zum Beispiel man würde auch also viele würden dann nie wieder in das selbe Museum gehen weil sie sagen ja ich war da doch schon (1) aber das- das ist ja auch irgendwie schlecht weil (.) ich mein das ist trotzdem die Kultur und man sollte sich das schon gut anschauen vor allem die Ausstellungen die dann zum Beispiel immer sind (.) alles Mögliche (1) also ich denke das sollte auch (.) der Staat oder die Stadt auch mehr (.) einfach mehr machen und mehr Werbung machen vielleicht im Fernsehen also man hat ja (.) man sieht ja nie (1) ähm irgendwelche (.) Werbung von unserer Regierung oder so (.) im Fernsehen also da wird auch nicht angepriesen ja kommen sie in unser Staatstheater oder was auch immer //@(.)@// also keine Ahnung alles Mögliche (.) @ja anstatt kaufen sie sich dieses Handy@ und das ist das ist finde ich muss auch ein bisschen so angeprangert werden hier 00:13:14 Diesem Transkriptauszug voran gingen weitere längere Ausführungen der anderen Jugendlichen, die sich noch auf die Eingangsfrage der Interviewerin bezogen. Über die Thematisierung von Gruppenarbeiten, in denen sie »immer zusammen Informationen gesammelt haben und dadurch [...] nochmal so einen anderen Blickwinkel auf die Geographie« (Z. 70ff.) bekommen konnten, zeigen sie auf, dass dadurch auch ein Abgleich der eigenen Meinung mit denen der anderen möglich bzw. notwendig wurde. Darauf aufbauend werden »Missstände« angesprochen, auf die im Unterricht eingegangen wurde und »die einem vielleicht nicht so erstmal gar nicht auffallen weil man sich in bestimmten Räumen gar nicht so viel aufhält« (Z. 106ff.), bis hin zu den künstlerischen Möglichkeiten zur Veränderung. In der ausführlichen Elaborierung Ams der vorliegenden Textpassage kommt eine besondere Wertschätzung dem eigenen Lebensumfeld gegenüber zum Ausdruck, die sich im Diskursverlauf über die jeweils angesprochenen Themen

E RGEBNISSE | 361

zeigt.12 Über die eigens erlebten Erfahrungen (»ich hab des selber gesehen«) werden auch andere aufgefordert, über eigene Handlungen nachzudenken und sich über Dinge, die »alltäglich geworden« sind, Gedanken zu machen. Am spricht dabei aus der Sicht der anderen, nimmt gewissermaßen deren Rolle ein. An dem Punkt, an dem der Einzelne jedoch nichts mehr tun kann, müssen andere Instanzen (»der Staat oder die Stadt«) eingreifen, um z.B. für die Kultur einer Stadt zu werben. Die eigenen Alltagserfahrungen und individuellen Sichtweisen – in diesem Falle die Wertschätzung kultureller Einrichtungen einer Stadt – werden mit dem Handeln anderer abgeglichen und bestätigt, wobei die eigenen Anforderungen dann wiederum an die anderen herangetragen werden, damit sie genauso sehen und handeln, wie die Jugendlichen das tun (würden). 3. Alltagserfahrungen Herbst grün, Z. 307-335: Am:

Ja ich hab also zum Beispiel in unserem der M-park* in (.) N*- also am N-bahnhof* aufn Z-stein* (.) also da::: wurde also von d- von den Z-steinern* wurde da ne Aktion gemacht mit (.) mit dem Herrn XXX das da ähm verändert werden soll also zum Beispiel die ganzen Jogger die da wirklich jeden Tag joggen gehen (.) die brauchen halt auch zum Beispiel (1) ne asphaltierte Straße oder (die radeln) (1) und ähm (.) damit man da zum Beispiel auch (1) da gibt’s immer dieses Filmfestival (1) und damit die Leute danach schön nach Hause kommen können braucht man vielleicht doch ne (1) also irgendeine Lichtquelle aber die gibt es einfach nicht und dann (.) seh zum Beispiel ich ich hab auch selber manchmal ein bisschen Schiss da durch den Park zu laufen nachts nachdem ich vom Kumpel zum Beispiel nach Hause fahr (.) ich geh auch meistens außen rum (1) und das ist (.) das find ich halt schade weil irgendwie also im Park sollte man schon (.) sich aufhalten können und irgendwie (.) äh sollte auch eher einen anziehen und nicht nur überall tags sondern auch ja jetzt nicht unbedingt bei Nacht aber auch bei Dämmerung zum Beispiel (.) @das man da einfach mal hingehen kann@ (.) einfach zum Entspannen zum Beispiel auch nach der Arbeit (.) wenn man- damit man

12 Zur Einordnung dieses Transkriptauszugs vgl. Kap. 6.2, Thema der Raumproduktion. Aufgrund der langen Gesprächsanteile jedes einzelnen Jugendlichen wird auf das o.g. Kapitel verwiesen.

362 | U RBANES R ÄUMEN

dann auch schön nach Hause finden kann braucht man halt auch ein paar Laternen dort (1) //@(.)@// und (2) ja (.) also zum Beispiel auch der Spielplatz den es dort gibt den den gibt’s schon seit über- über 15 Jahren und der wurde einfach nicht verändert also (1) die Kinder haben auch mittlerweile keine Lust mehr da hin zu gehen weil es einfach langweilig ist weil es einfach nichts Neues gibt und (.) einfach (1) ja Bei der Thematisierung alltäglicher Phänomene fokussiert dieser Schülertypus eigene Erfahrungen (s. auch Themenfeld Heterogenität), die selbstbewusst dargestellt werden. Gleichzeitig werden diese konkreten Raumbeispiele genutzt, um Kritik zu formulieren; Kritik an mangelnder Natürlichkeit oder »Verhältnismäßigkeit«. Der auf Sicherheit und Sauberkeit bedachte Habitus des Typus 1 (»Leute danach schön nach Hause kommen«, »wenn da die Hunde immer reinpinkeln«, Herbst grün, Z. 316; 306) geht einher mit der Formulierung indirekter Ansprüche an andere, diese Natürlichkeit zu bewahren oder (wieder-) herzustellen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Kultur bzw. künstlerische Möglichkeiten, durch die auch andere auf den Wert des alltäglichen Umfeldes aufmerksam gemacht werden sollen. Über die Thematisierung der Rolle der Partnerstädte verbinden sich die Themenbereiche der Vielperspektivität und Alltagserfahrungen. In der entsprechenden Passage aus der Gruppe Herbst grün (Z. 463-491) kommt wiederum die Orientierung an der Perspektivierung durch andere zum Ausdruck, wobei es dem Schülertypus 1 nicht nur darum geht, eigene Ansprüche an andere heranzutragen, sondern genauso eigene Handlungen an denen der anderen anzulehnen, um der Orientierung an Bewahrung von Natürlichkeit gerecht zu werden. So erwähnen die Jugendlichen bspw., was in der Partnerstadt Nizza getan wird, »um einfach den Verkehr ein bisschen zu entlasten« (Z. 468f.), was als »eine ganz gute Sache« (Z. 470) gesehen wird. Im Anschluss daran werden räumliche Beispiele aus der eigenen Heimatstadt angeführt, um dies exemplarisch zu übertragen. 4. Interaktionsraum Schule Der folgenden Passage der Schülergruppe Herbst grün geht ein Vergleich voraus, in dem die Jugendlichen Partnerstädte und die Verkehrssituation in Amerika thematisieren (»Carsharing«, Z. 504), um diese Erfahrungen im Anschluss auf ihre eigene Lebenswelt – konkret ihre Lehrer, die mit dem Fahrrad zur Schule kommen – zu übertragen. Daran zeigt sich implizit, dass die Jugendlichen an über für sie mit Respekt geschätzten Handlungen anderer positiv orientiert sind.

E RGEBNISSE | 363

Herbst grün, Z. 514-555: Am:

Cm: Am: Cm:

Am: Cm:

Am:

Cm: Am: Cm:

Am:

└und ich find es auch gut das unsere Lehrer das machen (.) also zum Beispiel ich- zum Beispiel der Herr Müller* der fährt jeden Morgen egal bei welchem Wetter //Cm: der fährt Rad// mit dem Rad (.) also das ist- Respekt also wirklich (.) oder zum Beispiel der Herr Michels* fördert auch dieses Carsharing mit (.) also ich finde es cool wenns auch s- sich auch die Lehrer dafür ein bisschen einsetzen würden und wenn man guckt w- w- Parkplatz wie viele Autos da jetzt stehen und jetzt damit- damit vergleicht wie viele Lehrer wir an unserer Schule haben also man sieht eigentlich schon das fast jeder Lehrer mit dem Auto kommt //ja// wenn wir 50 └es sind aber auch Schüler dabei Okay ja auf dem Parkplatz natürlich schon 00:26:55 Ja (.) ne aber es ist halt gut dass man auch wirklich nur (.) so viel (1) Auto oder sonst irgendwas benutzt wie man es auch braucht das ist sowieso so ne (.) Verhältnismäßigkeit irgendwie ((räuspert sich)) ich mein so nach dem Motto (.) jeder braucht ein Auto aber:: es steht halt manchmal doch nur rum oder halt eben auch was ich jetzt zum Beispiel finde wo es extremer ist ist jetzt zum Beispiel bei Fernsehen oder Handy //Am: ja// also da gibt es dann solche Sachen so von Wegen ähm:: woah ich hab kein Geld oder so aber er rennt mit dem iPhone rum und hat zuhause drei Fernseher rumstehen (.) Ich mein das muss dann nicht sein also └ja (.) ja hast vollkommen recht (1) aber das ist halt- das ist halt der (1) das geht halt nicht in jedem └ey ich find das- persönlich zuhause wir haben auch drei Fernseher ich nehm mich nicht selber raus //@(.)@// aber (.) ne es ist halt wirklich so Aber ganz ehrlich wenn man sich das mal anguckt wie viel- //Bm: (das was er braucht)// wie viel wir mittlerweile fernsehen wir sehen ja k- wir sehen auch gar kein fern mehr also└ja das stimmt eigentlich └im Prinzip braucht man das ja auch gar nicht Fernseher eigentlich am wenigsten //ja// dann eher DVD und @sowas@ aber Fernsehen pfff vor allem so (1) unterm Tag //ja// braucht man gar nicht drüber reden //@(.)@// Ja (3) 00:28:10

364 | U RBANES R ÄUMEN

In diesem Transkriptauszug wird deutlich, wie die Jugendlichen in der gemeinsamen Interaktion vom Thema der schulischen Strukturen i.w.S. bis hin zu grundlegenden Fragen eines angemessenen – für sie bedeutet das an Natürlichund Verhältnismäßigkeit orientierten – Lebensstils gelangen. Am findet es »cool«, dass bzw. wenn »sich auch die Lehrer dafür [Carsharing] ein bisschen einsetzen« würden. Wiederum fordern sie implizit andere dazu auf, das eigene Handeln zu überdenken, um dem Anspruch nach Ursprünglichkeit gerecht zu werden. An dem Beispiel des Parkplatzes der Schule zeigt sich zudem, dass die Jugendlichen die eigene Umwelt gründlich wahrnehmen, um zu ihren Urteilen zu gelangen und diese zu begründen. Dabei werden Meinungen wiederum mit denen der anderen Gesprächsteilnehmer abgeglichen und bestätigt (»Okay ja«, »ja hast vollkommen recht«) und weiter differenziert. Das eigene Handeln wird eher relativiert, indem es einer kritischen Analyse unterzogen wird (»ich nehm mich nicht selber raus«). Der Diskurs organisiert sich abwechselnd parallelisierend und antithetisch, wobei letztere Form überwiegt. Differenzierende Propositionen (»es sind aber auch Schüler dabei«, »Ja ne aber«) werden nicht angeführt, um sich gegenseitig auszugrenzen, sondern um die vorgebrachten Argumente weiter zu steigern. Über die persönlichen Bezüge, die gegen Ende der Transkriptpassage auffallend zunehmen, sehen sich die Jugendlichen in der Lage, eigenes und anderes Handeln kritisch zu hinterfragen. Einen Höhepunkt und Abschluss findet diese Textpassage in Form einer Konklusion in der Aussage Cms, dass »man gar nicht drüber reden [braucht]«. Das bestätigende »Ja« von Am fügt sich dieser indirekten Aufforderung gewissermaßen. In einer anderen Passage der Schülergruppe Herbst weiß betonen die Jugendlichen positiv, dass sie im Unterrichtsprojekt aufstehen konnten und »auch rumgelaufen« (Z. 670) sind. Dass der Unterricht insgesamt »lockerer« war, entspricht ihrer Logik, die für sie empfundene Freiheit über schulische Regeln (z.B. Unterrichtszeiten) hinausgehend zu erleben und dabei auch »bisschen mehr aufblühen« zu können. Die Natürlichkeit verbinden die Jugendlichen mit einer gewissen Freiheit bzw. Ursprünglichkeit. Auch an der sprachlichen Ausdrucksweise lässt sich die grundlegende Orientierung des tradierenden Schülertypus an Natürlichkeit zeigen.

E RGEBNISSE | 365

Schülertypus 2 | -konventionalisierend13 Der räumlich-konventionalisierende Schülertypus ist positiv an einer Optimierung von Räumen orientiert. Hierbei ist es ihm wichtig, sich an Vorgaben zu halten und potenziell entstehende Differenzen zu verdecken, um gemeinschaftlich an der Verfolgung von Idealen zu arbeiten. Der idealisierende Habitus zeigt sich in einem teilweise spielerisch-eifrigen Modus der Raumaneignung. Eigene Handlungen und Erfahrungen werden dabei besonders betont. Im Vordergrund stehen Veränderungen, an denen man sich »freuen kann« (Herbst blau, Z. 474) und die »Sinn« (Herbst blau, Z. 99) ergeben. Solange, wie sie die Menschen negativ betreffen oder nicht zur Leistungsoptimierung beitragen, positioniert sich der räumlich-konventionalisierende Typus implizit ablehnend gegenüber Veränderungen räumlicher Strukturen. 1. Raumproduktion Herbst blau, Z. 456-490: Ew: Mm: Dm: Mm:

Dm:

Mm: Dm:

Mm: Dm:

L Was habt ihr denn gemacht? ((freundlich)) L Achso? Ähm @(2)@ L ähm @(.)@ L gut. also wir ham: ähm: (.) eine Mapping Aktion gemacht ähm: und zwa:r (.) äh Blätter in der Stadt aufgehängt, wo man sich dann imme:r (.) ähm: ja Teile abreißen kann? des sind ja so Art Motivationszettel? Ä:hm: (.) L und einfach=n bisschen:, sagen wir mal, philosophisch was für sein: (.) ja, für den Blick auf sein Leben mitnehmen kann. Sei=es jetzt, dass wir auf der einen Seite haben, ä:hm °was hatten wir die Pokemons warn das?° L Wir hatten Pokemon, ja? L ähm: (.) wo man halt einfach? es ging eigentlich mehr um nen Gag, dass man halt sagt ah da lauf ich vorbei, und keine Ahnung;(.) nehm ich mir einfach eins mit. Des is irgendwie lustig? dann hat man irgendwas was man: (.) ja wo man irgendwie sich (.) ja fürn kurzen Moment dran freut? L Da dran freuen kann ja. L Also, (.) es war eigentlich ganz witzig? weil also ich bin nicht auf

13 In Abgrenzung zum räumlich-tradierenden Schülertypus werden Konventionen (vs. Traditionen) als weniger kategorisch und deswegen auch variabel angesehen.

366 | U RBANES R ÄUMEN

Mm: Dm:

die Idee gekommen, aber wir war=n mit Freunden vorn paar Wochen im Urlaub, und sind halt mit dem Zug gefahren, @da wir selber kein Auto hatten?@(.) °als jugendliche klar,° un:d ä:hm: sind dann an nem Bahnhof gelandet, irgendwo: mitten in der Pampa, und hatten da ewig Zeit und sind da rumgegondelt, und da war echt gar nichts, und dann ham wir da so=n Zettel gefunden, und ham uns @so voll drüber gefreut@, weil da war einfach echt gar nichts und dann hing irgendwo so=n Zettel? und dann konnte man sich halt so Motivatio:n, und ä:h hie:r °ä:h was war noch Motivation° und Coolness:, und L Zufriedenheit, L Ja also solche Sachen halt, und des fanden wir irgendwie total lustig, und @ham uns voll drüber gefreut eigentlich@, obwohl des nur so=n grüner Zettel halt war?

Im Anschluss an die immanente Nachfrage der Interviewerin nach der konkreten Umsetzung ihrer Mapping-Aktion erläutern die Jugendlichen gemeinsam, dass sie »Blätter in der Stadt aufgehängt« haben, von denen man sich »Motivationszettel« abreißen konnte. Dabei bestätigen sie sich immer wieder gegenseitig und führen ihre Aussagen differenziert fort. Dm bringt durch seine Proposition, die mit einer Einschränkung in Form einer Verantwortungsübertragung (»also ich bin nicht auf die Idee gekommen«) beginnt, wiederum eine eigene Erfahrung ein, um die gemeinsame Mapping-Aktion über den Vergleichsmoment des Urlaubserlebnisses, als die Jugendlichen auch »da son Zettel gefunden« haben, als erbrachte Leistung zu bestätigen (vgl. Leistungsorientierung). Im weiteren Verlauf wird offensichtlich, dass Unsicherheiten, die darüber zutage treten, dass die Jugendlichen ihre Mapping-Aktion nicht genauer als über einen »Gag« (Z. 470, 530) hinausgehend begründen können (»ich kanns jetzt auch nicht so zuordnen«, Z. 515f.), wieder umgangen bzw. bewusst nicht angesprochen werden, indem sie andere Schwerpunkte setzen (»Und wenn man dann jemand andern mit den gleichen Zettel trifft [...] dann kann man die beiden Pokemon gegeneinander antreten lassen«, Z. 531ff.) und das Thema damit beendet wird, dass erneut auf die Urlaubserfahrung eingegangen wird (»des war lustig«, Z. 550), was ihre spielerische Haltung im Umgang mit Eingriffen in Räume betont. Auch an dieser Passage zeigt sich, dass der konventionalisierende Schülertypus Wirksamkeit eigener Raumproduktion nicht über Schulnoten oder konkrete Belohnung erfährt, sondern idealisierend den Sinn in Handlungen auch sieht, dass man sich »fürn kurzen Moment dran freut«. Indem die Jugendlichen aufzeigen, welche die möglichen Konsequenzen ihrer Mapping-Aktion wären, wird

E RGEBNISSE | 367

deutlich, dass sie erneut Unsicherheiten im Sinne der fehlenden Aufmerksamkeit für ihr Tun verdecken. Auch die Schülergruppe Herbst rot setzt sich mit der Wirksamkeit ihrer Mapping-Aktion auseinander. Trotz dass eine Passantin nur »auf ihr Handy geschaut [...] und gar nichts mitbekommen hat« (Z. 362ff.), waren die Schüler »eigentlich positiv überrascht« (Z. 522), dass »wirklich welche sich des angeschaut und drüber gelacht und sich wirklich da auch was genommen« (Z. 521ff.) haben. Das Eingreifen in räumliche Strukturen ist wiederum mit dem Anspruch individueller Wirksamkeitserfahrung verbunden, was auch in der Schülergruppe Winter schwarz zum Ausdruck kommt, wenn sie das eigene Aktivwerden bei solchen Hacking-Aktionen thematisieren (M. 10:00). Über die darstellende Aufzählung der durchgeführten und darüber hinaus geplanten Aktionen der Jugendlichen, in der sie auf allzu ausführliche Rahmeninformationen (z.B. räumliche oder zeitliche Einschränkungen) verzichten, wird die eigene, tätige Auseinandersetzung nochmals betont. Ihnen ist es genauso wichtig, Raumproduktion von anderen bestätigt zu wissen. In der Art, wie die Jugendlichen auf die Frage nach ihren eigenen Mapping-Aktionen antworten, zeigt sich ihre Orientierung an einer indirekt wertschätzenden Bestätigung, denn schon dadurch, dass sie dies erzählen dürfen, erfahren sie diese Wirksamkeit. 2. Heterogenität Aufbauend auf dem, was die Jugendlichen selbst erlebt haben, gleichen sie eigene Wahrnehmungen mit denen anderer ab. Auch darin zeigt sich wiederum die Orientierung des konventionalisierenden Typus an einem Verdecken von Differenzen, indem bspw. unterschiedliche Sichtweisen in die eigene integriert werden bzw. versucht wird einen Konsens zu finden. Auch das Zusammentragen von Ergebnissen aus den Gruppenarbeiten wird als schwierig bewertet, wenn oft kein Bezug aufeinander genommen wurde (Gruppe Winter schwarz). Damit einher geht, dass ein gegenseitiges Bezugnehmen und Erklären von Zusammenhängen für die Herstellung von Gemeinschaft als entscheidend angesehen wird. Auffällig ist, dass Typus 2 konsequent konkrete (räumliche) Beispiele erwähnt, um Dinge in die eigene Lebenswelt zu übersetzen; so auch, wenn die Jugendlichen, wie im folgenden Transkript Herbst blau, nach dem Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen gefragt werden. Herbst blau, Z. 384-425: Dm:

L Ich glaub eigentlich nich, also zum Beispiel für mich is jetzt (.) wofür mich jetzt meine @Freunde immer n bisschen auslachen@ sag ich mal, weil ich halt aus H-berg* komm:, und ich jetzt in

368 | U RBANES R ÄUMEN

Mm:

Dm: Mm:

Dm:

Anführungszeichen sagen würde ich bin eher so der Landmensch, also ich hab irgendwie gern meine Ruhe, und irgendwie n bisschen was Grünes um mich=rum. Also ich hab jetzt nichts gegen die Stadt, °ich bin jeden Tag in der Stadt°; aber? (.) grundsätzlich hab ich=s eigentlich ganz gern wenn ich irgendwie n=paar Bäume, und ein bisschen was Grünes, und hier bisschen frische Luft hab irgendwie? und ähm: dieses ja dieses (.) eng gedrängte von dieser Stadt, stört mich zum Teil auch, wo ich jetzt sagen würde zum Beispiel U-stein* hätt ich überhaupt kein Problem mit? aber hier wenn ich jetzt in der Innenstadt irgendwo? und mir zeigt jemand n Haus, und sagt woa voll des coole Haus oder was, und da: sind ganz tolle Wohnungen drin; dann sag ich ne: (( abwertend)) des gefällt mir eigentlich überhaupt nicht, da ist total die Straße daneben und so, also da: (.) zum Beispiel in dem: Punkt versteh ichs tota:l (.) wie halt einfach: Leute andere Prioritäten haben. Also meine Prioritäten liegen da jetzt halt einfach anders, als zum Beispiel die von meinen Freunden die jetzt sagen würden, ja=da draußen auf=m Land da brauch ich immer hundert Jahre bis ich drin=bin, da: bin ich lieber (.) direkt im Zentrum und hab da meine U-Bahn Anbindung irgendwie, des is mir wichtiger als dass ich da: irgendwie meine: (.)mein @Landleben hab.@ @ also ich leb nicht aufm Bauernhof keine Angst@. L Man braucht ja eigentlich nur in: (.) ä:h ins Fernsehn zu schaun. Mieten Kaufen Wohnen? da ham auch die Leute andere Interesse? die einen sa:gen, ich will ne Wohnung haben wo: Trubel auf der Straße ist? ich will in nem InL@voll geil?(.) schau ich auch immer. L Ja. Ich will lieber in einem In-Viertel leben (.) w:ie auch Freunde bei uns sagen? ich muss in der Stadt sein, ich will nah am Geschehen sein, ich will sofort in der Disko sein; andere sagen: (.) nein. sie wollen eher die Ruhe haben, wie er? weiter draußen, grün um mich? (.) ä:hm: also find ich des (.) alles andere als verwirrend wenn man sagt, ähm: jemand hat andere Interessen? und die stehn bei demjenigen: me:hr im Vordergrund als bei nem andern? Ä:h also: (.) völlig normal. L Ja eben.

Auf die Nachfrage der Interviewerin verweist Dm legitimierend – um Differenzen zu umgehen – darauf, dass er »nicht aufm Bauernhof [lebt] keine Angst«. Ein Perspektivenwechsel i.S. des Berücksichtigens anderer Meinungen wird in

E RGEBNISSE | 369

diesem Fall über das Anführen von Sichtweisen anderer, nämlich seiner Freunde, vollzogen, denen er nicht zustimmt, doch er verstehe »total wie halt einfach Leute andere Prioritäten haben«. Im Anschluss daran greift Mm das Thema des Wohnens auf, indem er die Verschiedenheit von Interessen mit dem, was im Fernsehen ausgestrahlt wird, bestätigt. Die Propositionen werden hierbei immer mit zwei unterschiedlichen Perspektiven gefüllt (»andere sagen«, »als bei dem andern«) und insgesamt vielfältig dargestellt. Auch an anderer Stelle (Gruppe Herbst rot) zeigt sich dieser Habitus des konventionalisierenden Schülertypus, wenn ein Jugendlicher aus einem Stadtviertel erzählt, in dem er früher selbst einmal gelebt hat und das durch andere abweichend gesehen wurde. Andere Perspektiven erfährt Schülertypus 2 damit vor allem über die eigenen Erfahrungen, wobei sich wiederum an den anderen orientiert wird, um Sichtweisen zu bekräftigen. Das Verdecken von Differenzen zeigt sich zudem im Interaktionsraum der Gruppendiskussion, wenn die Jugendlichen aushandeln, wie sie jeweils eine Aufgabenstellung verstanden haben. Nach der jeweils individuellen Darstellung eigener Sichtweisen endet die Passage mit einer rituellen Konklusion, durch die weitere Differenzen umgangen werden (»also wie gesagt die Aufgabenstellungen waren nicht immer hundertprozentig klar irgendwie«, Herbst rot, Z. 461f.). 3. Alltagserfahrungen Der Wert eigener alltäglicher Erfahrungen (im Heimatraum), die in die Gruppendiskussion eingebracht werden, steht bei diesem Schülertypus im Vordergrund. Daran zeigt sich auch ihre souveräne Positionierung. Dadurch, dass eigene Erfahrungen im Geographieunterricht eingebunden wurden, passten Themen »praktisch mehr ins eigene Leben rein sodass man das wahrscheinlich einfach ne besser Verbindung zu sich herstellen kann« (M. 09:24, Winter schwarz). Entstehende Differenzen – im Transkript Herbst rot konkret dann, wenn es um die individuelle Wahrnehmung von Räumen geht (»du warst da ja noch jung«, Z. 479) – streben die Jugendlichen in antithetischer Diskursorganisation (»ja gut aber«, Z. 490; »ja aber«, Z. 493) nach je eigenen Differenzierungen ihrer Aussagen, an deren Ende das Ziel steht, Differenzen – die offensichtlich scheinen – zu verdecken. Sie beenden die Elaboration im vorliegenden Fall mit einer rituellen Konklusion über die baulichen Merkmale des Beispiels, die solche Aktionen wie vorher genannte an anderen Orten nicht ermöglichen (»da hats aber keine Fenster«). Daran zeigt sich ihre Orientierung an der Inwertsetzung von Alltagswissen, über das sie eigene Meinungen bestätigt sehen.

370 | U RBANES R ÄUMEN

Herbst rot, Z. 490-512: Bm:

Cw: Bm: Dm:

Bm:

Cw:

Am:

Dm: Am: Cw: Bm: Am:

Ja gut aber wenn so was halt einem schon mal passiert ist dann hat man natürlich da klar- relativ klare Vorstellungen weil man natürlich auch Angst hat //dass man noch einmal// //ja aber des kann einem// überall passieren L Ja L Ja aber wenn jetzt sagen wir mal wenn jetzt ein Tourist kommt sagen wir mal aus was weiß ich China oder so und der hat von ei- nie was von einem Viertel gehört kommt da rein und an sich wird der auch nichts anderes sehn als ne hübsche Stadt und was weiß ich also (.) kann man jetzt mal indirektuell individuell betrachtet wenn jetzt einer rein kommt hat keine Ahnung von irgendwas (.) Ja gut aber ich mein also an sich was du jetzt gesagt hast ich find schon ich glaub schon dass in S-hof* wahrscheinlicher ist überfallen zu werden als hier Ja komm es ist erst vor kurzem hier beim B-graben* wurden zwei Typen irgendwie von vier anderen Typen überfallen und be- ähm bestohlen und da willst du mir sagen dass es hier unwahrscheinlicher ist Also in S-hof* da waren wir mal und plötzlich war da so ein Typ der wollte aus dem Fenster springen und hat dann da äh auf die Feuerwehr gepisst und ah keine Ahnung L Im Ernst wann war des Keine Ahnung mehr des war L Wenn er mehr Aufmerksamkeit wollen würde würde ers am Fmarkt* machen Ja aber //da macht keiner weil da keine solchen// Assis wohnen //Ja da hats aber keine Fenster// 00:32:06-6

Zudem orientiert sich der konventionalisierende Schülertypus an Äußerlichkeiten14, bspw. wenn nach Dingen gefragt wird, die den Jugendlichen in ihrem Alltag aufgefallen sind (»Also mir ist mal wieder aufgefallen also eher so bisschen in Erinnerung geraten wie hässlich unsere Schule eigentlich ist [...] so ein komischer Klotz«, Z. 339ff.; »dass mein Haus eigentlich überhaupt nicht in mein

14 Dies kann als ein Hinweis dafür angesehen werden, dass zwischen den einzelnen Schülertypen eher fließende Übergänge – in diesem Fall von Schülertypus 1, der ebenso an beständigen Äußerlichkeiten orientiert ist – existieren.

E RGEBNISSE | 371

Viertel passt«, Z. 397f., beides Schülergruppe Herbst rot). Eigene Erfahrungen dienen zur Bestätigung von Bekanntem (»schon Glück irgendwie«, Z. 403) oder der Legitimierung von Handlungen (»ich da eigentlich gern was dagegen machen würde«, Z. 347f.). Seinen Heimatraum nimmt dieser Schülertypus als sich wandelndes, Veränderungen ausgesetztes Konstrukt wahr, die nicht immer gutgeheißen werden. 4. Interaktionsraum Schule In der Aushandlung schul- bzw. unterrichtsspezifischer Themen, die u.a. die Materialien im Unterrichtsprojekt betreffen, zeigt sich die starke Leistungsorientierung der Jugendlichen. Dies ist verknüpft mit einem hohen Anspruch an sich selbst, wobei dieser Schülertypus bei Schwierigkeiten die Verantwortung anderen Faktoren, z.B. dem Lehrer, zuweist. Wichtig ist den Jugendlichen ein erkennbares »Gesamtkonzept« (M. 04:45, Winter schwarz) bzw. ein »vorgegebenes Schema« (M. 31:21, Winter schwarz) – welches im normalen Unterricht nicht vorhanden war und es auch zu Themenüberschneidungen kam. Im folgenden Transkriptauszug der Diskussionsgruppe Herbst blau gehen die Jugendlichen auf konkrete Verbesserungsvorschläge für ein Unterrichtprojekt ein, welche besonders den »rote[n] Faden« des Unterrichts betreffen. Auf expliziter Ebene äußern die Jugendlichen, dass sie es gewohnt sind, auf eine bestimmte Art und Weise im Geographieunterricht zu arbeiten; sie sind positiv an bekannten schulischen Strukturen orientiert, die ihnen beim Erledigen der Aufgaben nützen. Den konventionalisierende Schülertypus zeichnet dabei seine autonome, selbstbewusste Einnahme von Standpunkten aus. Herbst blau, Z. 711-736: Dm:

L des is des was du mit dem roten Faden gesagt hast? Un:d was mit den Arbeitsaufträgen verknüpft ist. Des=sind zwei Sachen, die einfach (.) also: wenn man sich-, selbst wenn sich intr- dafür interessiert? und wirklich aktiv damit arbeitet und versucht? des Ganze zu verstehen, fällt es einem wirklich schwer, wenn man keine, wenn man keine vorgegeben Struktur hat; ich mein des war alles durchnummeriert, (.) a:ber es hat irgendwie, also dieser rote Faden? in Verbindung mit konkreten Arbeitsaufträgen, wäre irgendwie; natürlich, irgendwie selbstständiges Arbeiten °sollte man schon können°, abe:r (.) es hätte wahrscheinlich vielen gut getan. also uns auch. Es wäre auf keinen Fall ein Schaden gewesen. Wenns ein bisschen:, bisschen deutlicher gewesen wäre; was eigentlich gewünscht ist.(.)

372 | U RBANES R ÄUMEN

Mm:

Dm: Mm:

Weil wir doch jetzt von der Schule halt, der sagt halt, (.) macht des und dann machen? wir des halt. also der stellt halt ne Frage. L Da wird (.) ja genau. (.) des is für uns halt ungewohnt? (.) ja. (.) Wir müssen-, uns wird Inhalt alles mundgerecht zu Recht gelegt? mach das, mach das, mach das, les jetzt diesen Text? und beantworte diese Fragen dazu. Un:d ä:hm: ja (.) @da wars halt@ L ja. und da warn keine Fragen eigentlich? es war nur=n Text halt.(.) und dann hat man halt n Text und dann ja; L soll man halt selber son bisschen was erarbeiten:? ja. Also klare Aufgabenstellungen mit einem roten Faden.@(.)@

Dm elaboriert zunächst ausführlich, indem er auf den »roten Faden«, der bereits vorher angesprochen wurde (Z. 352), rekurriert und dies nach seiner Auffassung näher beschreibt. An der Art und Weise, wie er dies tut, kommt zudem die Orientierung an Struktur(en) zum Ausdruck (z.B. über die Wortwahl: »verknüpft ist«, »in Verbindung« oder die Steigerung in den Aussagen »es hätte wahrscheinlich vielen gut getan. also uns auch. Es wäre auf keinen Fall ein Schaden gewesen«). Kritik am eigenen Handeln gestehen sie sich – ähnlich wie Schülertypus 1 – ein, wobei diese dann nicht weiter im Fokus der inhaltlichen Aushandlung steht. Die Betonung des Eigenen zeigt sich zudem auch daran, dass die Jugendlichen den Bezug von Inhalten auf das eigene Leben wertschätzen (Winter schwarz, M. 09:25: »das passt dann praktisch mehr ins eigene Leben rein«) sowie die eigene Leistung im schulischen Raum betonen (»gut finde, dass man sich halt vieles selbständig erarbeitet«, Winter schwarz, M. 10:39), und das in diesem Fall in Abgrenzung zur Lehrperson. Damit einher geht auch der Anspruch der Jugendlichen, keine unnötigen Informationen, z.B. keine »massiven Texte[n]« zu lesen, in denen »halt super viel drin [stand] was wir überhaupt nicht brauchten und ähm was überhaupt nicht relevant war für unser Thema« (M. 33.12, Winter schwarz). Auch Aufgabenstellungen, die »weniger in der Fachsprache drin« (M. 05:54, Winter schwarz) und damit außerhalb bekannter Konventionen liegen, werden kritisch bewertet. Bestätigt sieht dieser Typus seine Leistungen dann vor allem auch in der Billigung durch verschiedene Annehmlichkeiten, die keiner objektiven Bewertung bedarf (z.B. »Grillfest«, Z. 148; »Schokolade«, »Kekse«, »Plätzchen«, Z. 289f.; Schülergruppe Herbst rot).

E RGEBNISSE | 373

Schülertypus 3 | -emanzipierend Der räumlich-emanzipierende Schülertypus ist positiv an selbständiger Leistungserbringung orientiert, die sich bei der Behandlung unterschiedlicher Themen auf je spezifische Weise zeigt. Im Bereich der Herstellung und Aneignung von Räumen geht es ihm darum, zweck- bzw. nutzenorientiert zu handeln, weswegen Vorgaben oder Denkmuster teilweise anders gedacht bzw. geändert werden sollten. Eigene Leistungen werden besonders auch über eigene Erfahrungen zur Sprache gebracht, was dem Streben nach Unabhängigkeit entspricht (»die Ergebnisse selbst erschließen«, Gruppe Winter grau, M. 05:47). Trotz der Anerkennung unterschiedlicher Sichtweisen orientiert sich dieser Schülertypus an einer Abgrenzung der eigenen Meinungen gegenüber anderen, um wiederum Leistung erbringen zu können und sich gleichzeitig autonom zu positionieren. 1. Raumproduktion Winter grau, M. 08:48-10:27: Am: Alle: Bm: Yw: Cm:

Dm: Em: Dm: Em: Fm: Em: Fm: Em:

Ja ich glaub ich bin (unv.) @(2)@ 08:50:05 Ja Wir bräuchten glaub ich noch ne weitere Frage um auszubauen (2) Mhh Du hattest gesagt dass du aus diesem Hacking in the City quasi nichts mhh mit raus nehmen konntest also nicht irgendwie was L Ja also ich weiß jetzt nicht genau was ich dort lernen soll also klar so eingreifen in in Systeme gut das hätte man sich glaub ich vorher glaub ich schon selber denken können wie so was abläuft oder wie so was funktioniert glaub ich (.) Also ich weiß ja nicht ob die anderen jetzt darüber was gelernt haben L Ja //also// L //Ja es war halt// es war ja einfach ein es war halt einfach ne Erkenntnis dass so was gibt //ich wusste es nicht // L //Ja ich auch nicht// ich wusste es nicht vorher dass leute Blumen an Busstationen pflanzen oder so oder an Bahnstationen oder so L Ja das sind halt klassische Umweltaktivisten der L Ja genau L die halt noch so was machen L Ja ok 09:43:02

374 | U RBANES R ÄUMEN

Fm:

Bm:

Am:

Ja also des wusst ich nicht vorher des war eher so ne Erkenntnis mhm mhm des war natürlich des war natürlich interessant des mal zu machen aber ich würd jetzt so L Ich mein das ist jetzt ne Erkenntnis und du weißt es jetzt also man also des kann man nicht richtig anwenden eigentlich also hab ich so das Gefühl ich weiß nicht wann ich das L aber dadurch dass man dass man selber das versucht kommt man auch mehr so in die Rolle rein und versteht das auch besser warum man das macht und wieso oder wie man drauf auf so was kommt also es gibt einem auf jeden Fall son kleine Einsicht und man ähm weiß danach was es ist und so aber ich weiß nicht was einem das danach so bringt

Raumproduktion meint für diesen Schülertypus vor allem selbst aktiv zu werden. Nach der immanenten Nachfrage der Interviewerin nach den Erkenntnissen der Jugendlichen »aus diesem Hacking in the City« fügt Cm – den Redefluss der Interviewerin unterbrechend – an, dass er nicht wusste, was er »dort lernen soll«, da man sich das »schon selber denken könne[n] wie so was abläuft«, wobei er daraufhin in die Diskussionsrunde fragt, »ob die anderen jetzt darüber was gelernt haben«. Damit möchte er sich der anderen Meinungen vergewissern (s. Thema Heterogenität). Die positive Leistungsorientierung zeigt sich hier zum einen daran, dass die Jugendlichen etwas Neues lernen möchten, als auch dass sie selbst etwas – i.S. der Raumaneignung – tun müssen (»kommt man auch mehr so in die Rolle rein und versteht das auch besser«), um Hintergründe zu verstehen, wobei es immer darum gehen sollte, dass Eingriffe einem etwas bringen müssen. Auch die auffordernde Art und Weise – »Wir bräuchten glaub ich noch ne weitere Frage um auszubauen«, die an die Interviewerin gerichtet ist – macht dies deutlich. Das Wort ausbauen steht für einen selbstbestimmten Fortschritt; eine Leistungsergänzung. Besonders auch in Abgrenzung zu Schülertypus 4 zeigt sich an anderer Stelle an der engagierten Darstellung ihrer eigenen Mapping-Aktion, dass sie diese Eingriffe als Mittel sehen, um andere auf die eigenen Handlungen aufmerksam zu machen. Auch dieser Schülertypus erwähnt bspw. das schlechte Wetter, weswegen die Jugendlichen die Aktion in der Schule durchführen mussten, doch findet die Elaboration ihrer Aktionen weitaus lebendiger und strebsamer statt; für Schülertypus 3 stehen auch selbstbestimmte, aber vor allem jene Handlungen im Vordergrund, über die sie sich aus als Einschränkung empfundenen Umständen befreien können.

E RGEBNISSE | 375

2. Heterogenität Im folgenden Transkriptauszug thematisieren die Jugendlichen den Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen auf Räume i.w.S., der zum einen über das Aufzählen der Raumbegriffe aus dem Unterrichtsprojekt – d.h. für die Jugendlichen sind dies unterschiedliche Sichtweisen – als auch einer Konkretisierung durch Cm verdeutlicht wird: Für ihn gebe es »in jedem Stadtteil [...] Leute die sich da wohl fühlen und Leute die sich da nicht wohl fühlen«. Damit werden Differenzen in Form unterschiedlicher Sichtweisen eingeräumt und zunächst anerkannt. Am begründet dies weiter mit den »unterschiedliche[n] Ansprüche[n]«, was er an Menschen, die »nach Deutschland kommen« und denjenigen, »die kein hohes Einkommen haben« festmacht. Aufgrund der Logik dieses Schülertypus, Emanzipation als handlungsleitend zu verstehen, sollte jeder seinen »Ambitionen« entsprechend aktiv werden. Gleichzeitig ergänzt Bm, dass es nicht allein an den Menschen selbst liegt, sondern auch das Image von Räumen die Meinungen von Menschen beeinflussen kann. Damit wird Vielperspektivität implizit auch als über andere Meinungen hergestellt anerkannt (»diese Cindy aus Marzahn hat bestimmt auch irgendwie ziemlichen Einfluss auf die Zu- und Abwanderung von aus Marzahn«). Gerade aus der Heterogenität und der Differenzerfahrung leitet dieser Schülertypus die Notwendigkeit eigenen Handelns ab, zum Beispiel, um etwas gegen ein schlechtes Image zu tun. Winter grau, M. 29:31-31:34: Dm: Yw: Dm: Cm: Dm: Cm: Dm:

Cm:

wir haben ja vier verschiedene ähh Raumbeispiele gehabt L mhm L also einmal so Raum als Konstrukt und (.) was war des andere nochmal L ah L Containerraum L Containerraum ähm ja des hat noch des war find ich ziemlich interessant also das RäuRäume nicht nur geographisch irgendwo liegen sondern auch (.) in den Köpfen der Beobachter und der Anwohner und so steht und was man damit alles assoziiert das spiegelt halt dann auch wieder ne Menge wieder und so 00:30:02-0 und zu ihrer Frage ich meine ähm es gibt bestimmt in jedem Stadtteil gibts Leute die sich da wohl fühlen und Leute die sich nicht wohl fühlen also das ist ja (.) ich glaub ein breit gefächertes Thema (.) für viele Statdtteile (2)

376 | U RBANES R ÄUMEN

Am:

Bm: Fm: Em: Bm:

ja die Leute haben ja auch verschiedene Ansprüche ich mein wenn irgendwelche Leute nach Deutschland kommen dann (.) sind die bestimmt glücklich wenn se in ner Wohnung im Hochhaus ähh bleiben können und die Leute die kein hohes Einkommen haben bestimmt auch aber ähh jemand der mehr verdient hat bestimmt die Ambitionen auch besser zu wohnen und nicht in nem ähh ja ähh Wohnblock mit keine Ahnung mit hundert Wohnungen oder so 00:30:49-9 (.) oder Tausende (4) is halt je nach finanziellen Möglichkeiten fühlt man sich wohl oder nicht (3) ja (.) ja ich finds aber auch ganz interessant zu sehen dass so das Bild eines Raum- oder das Image ähm von Leuten ähm über oder die ähm die Meinung von Leuten über einen Raum den Raum an sich beeinflussen kann (.) also was heißt zum Beispiel Zuwanderung diese Cindy aus Marzahn hat bestimmt auch irgendwie ziemlichen EinEinfluss auf die Zu- und Abwanderung (.) von aus Marzahn (2) könnt ich mir vorstellen

Die Orientierung an eigener Leistung wird nochmals verstärkt, indem auf impliziter Ebene die Anforderung an die eigene Person gestellt wird, selbst etwas für sich bzw. die eigene Position (»Image«) zu tun. Auch in der Diskursorganisation zeigt sich der emanzipierende Habitus dieses Schülertypus, da die Jugendlichen ohne offensichtliche Bezugnahme auf die vorherigen Redebeiträge danach streben, eigene Sichtweisen spezifischer und selbstbewusst darzustellen. Das verdeutlicht auch die direkte Ansprache Cms an die Interviewerin (»und zu ihrer Frage«), der damit den Bezug zum Thema über die Darstellung seiner Meinung wieder aufgreift. An anderer Stelle wehrt sich ein Jugendlicher regelrecht dagegen, dass die anderen zunächst nur aufzählen, was sie im Unterrichtsprojekt gemacht haben; für ihn war das »doch gar nicht gemeint dass wir jetzt aufzählen was wir gemacht haben« (M. 03:01). Auch das verdeutlicht den emanzipierenden Habitus dieses Schülertypus, wobei Kontroversität i.S. abweichender Meinungen offen angesprochen wird (in Abgrenzung zu Schülertypus 1 und 2). 3. Alltagerfahrungen Die emanzipierende Haltung dieses Schülertypus kommt zudem über die Thematisierung alltäglicher Erfahrungen in ihrer Heimatstadt zum Ausdruck. Dabei ist es den Jugendlichen wichtig, »beispielbezogen« (5:30) zu lernen, was ihnen ermöglicht, Erfahrungen allgemein auf andere Räume zu übertragen.

E RGEBNISSE | 377

Das bedeutet auch, dass sie weniger explizit über konkrete Beispiele aus ihrer eigenen Stadt sprechen, bzw. diese Erfahrungen sodann versuchen zu verallgemeinern. Über die Konklusion von Dm, dass ihm »jetzt nichts [...] Besonderes in Hstein jetzt da auffallen« würde, werden zwar unterschiedliche Sichtweisen eingeräumt (vgl. Vielperspektivität), aber eigene Meinungen über den Heimatraum bzw. Erfahrungen allgemein fundiert und bestätigt. Die folgende Passage endet mit einer neun Sekunden dauernden Pause, bevor ein neues Thema initiiert wird. Winter grau, M. 33:12-34:50: Yw:

Alle: Bm:

Alle: Cm: Em: Fm: Dm: Em:

Cm: Dm: Bm: Fm: Em: Dm: Em:

Wie ist das in H-stein* oder bei euch also wird des oder wird da auch irgendwie auf euren Wohnort oder so etwas projiziert wo ihr herkommt ich weiß ja jetzt nicht wo genau ihr alle herkommt aber ist das auch so erfahrt ihr das so Ja also sehr stark (.) also bei mir jetzt vielleicht nicht aber ich kenn also ich bin mit vielen ähm Immigranten befreundet und die kommen dann so aus äh Stadtteilen wo ja so wo der Lebensstandard sehr niedrig ist also wenn man dann sagt so die ganzen reichen Kinder aus Ohof* also da äh ist schon so ne gewisse Spannung @(.)@ Ja Spannung Ja gut jetzt aber mit H-stein* nicht unbedingt L Wie Das man aber es geht doch um Stadtteile oder nicht es geht doch auch um Marzahn Es geht natürlich irgendwie eigentlich in jeder Stadt gibts die Seite die ein bisschen dekadenter ist dann gibts die wo ein bisschen ähh die wo so wo es eben sozial schlechter geht und hinter jedem Stadtteil gibts natürlich auch die Spitznamen und (3) Ja Ja ist einfach so Ja klar Ja ist aber in jeder Stadt so Ja mein ich ja Des ist kein Einzelfall Mir würde jetzt nichts Besonderes in H-stein* einfallen 00:34:41-4

378 | U RBANES R ÄUMEN

Nachdem die Interviewerin nach den Erfahrungen der Jugendlichen in ihrer Stadt fragt, bestätigen zunächst alle Diskussionsteilnehmer, dass Images auch auf ihren Wohnort projiziert werden. Bm elaboriert daraufhin, dass er dies »sehr stark« erfahren würde, wobei er einschränkt, dass es sich dabei um die »Immigranten«, mit denen er befreundet ist, handelt. Er beschreibt dies als »gewisse Spannung«. Daraufhin jedoch verhandeln die Jugendlichen zunächst, was mit der Frage gemeint war (»aber es geht doch um Stadtteile oder nicht«). Mit der Proposition Ems, dass es »eigentlich in jeder Stadt [...] die Seite [gibt] die ein bisschen dekadenter ist und dann gibt’s die [...] wo es eben sozial schlechter geht«, einigen sich die Jugendlichen darauf, dass ihnen »jetzt nichts Besonderes« in ihrer eigenen Stadt einfallen würde. Damit werden Differenzen – in diesem Fall unterschiedliche Lebensweisen in Stadtteilen – erkannt und gleichzeitig eingeräumt, wobei wiederum die eigenen Erfahrungen (vgl. Thema Alltagserfahrungen) der einzelnen Jugendlichen nebeneinander stehen bleiben, da sie ihre Meinungen jeweils selbstsicher hervorbringen. Auch an anderer Stelle im gleichen Transkript (M. 35:32-37:25) kommt der emanzipierende Habitus dieses Schülertypus zum Ausdruck. Ein Jugendlicher erzählt von seiner Mutter, die bei der Stadtplanung arbeite, und die aufgrund eines Projekts mit weiteren Mitarbeitern in eben diesen Stadtteil umziehen musste. Dabei elaboriert er zunächst das, was er gehört hat (»meine Mutter sagt«), um im Anschluss daran weitere mögliche Vor- und Nachteile dieser Situation aus seinem eigenen Blickwinkel zu übertragen. 4. Interaktionsraum Schule Vor dem Hintergrund der Leistungsorientierung greifen die Jugendlichen der Gruppe Winter grau zu Beginn der Gruppendiskussion sowie im weiteren Verlauf die Form der Arbeit mit den Materialien (»Quellen«) aus dem Unterrichtsprojekt auf. Insgesamt zeigt sich ihre Abneigung gegen »Spielerei« (18:02), die sie am Beispiel einer Textarbeit im Projekt festmachen. Über den negativen Gegenhorizont des Geographieunterrichts, den sie vorher hatten, und den sie als »sehr trocken« (12:16) – worauf alle Diskussionsteilnehmer zustimmend lachen – beschreiben, grenzen sie sich vom Arbeiten mit solchen als für sie irrelevant empfundenen Informationen ab. Winter grau, M. 06:16-08:50: Fm:

(son das is natürlich) ähm bei diesen ganzen Quellen ei::gentlich also die warn sehr kurz sehr präzise und ziemlich gut aufn Punkt gebracht und das war natürlich so ne Sache das (also) wie auf m Silbertablett

E RGEBNISSE | 379

Dm: Em: Fm: Em: Fm:

Am: Bm: Alle: Am:

Bm:

Fm: Em: Alle: Bm:

serviert also man hat gesehn hm das is der Punkt das is der Punkt konnte man sich einfach zackzackzackzackzack raus() äh rausschreiben und das nimmt natürlich n son gewissen Denkprozess raus, eigentlich L Ja Na die Fakten aber du musstest dir ja sagen (den Prozess) L Naja aber s nich so:: erschließen und s is nich so und dabei (1) du charakterisierst dabei ja Ja kla:r aber das is nich so (1) anspruchsvoll eigentlich (1) was wir also es is nich so anspruchsvoll was eigentlich sonst schulisch bei uns (1) so gegeben wird. Sonst müssen wir eigentlich viel mehr uns dabei denken und dabei was musst() konnten wir das einfach rausschreiben eigentlich weil das alles so komprimiert war L °Ja das stimmt°(2) Ich fands gut L @(3)@ Also ich fand s war auf jeden Fall die Quellen und so sehr viel einfacher als das was wir von Frau Meier* vorher bekommen haben (.) da ham wir immer so teilweise so zwei Seiten lange Texte bekommen wo wir dann irgendwas rausschreiben sollten und da warn das halt immer viele Bilder und kurze Abschnitte und (1) fand ich das war schon °einfacher° (1) aber besser; @(.)@ (2) Ja und äh die Schüler wurden auch mehr also wir wurden mehr eingebunden das heißt () die (letz) die letzten Doppelstunden wo wir gemacht haben durften wir uns anhand diesem hacking the city auch selbst irgendwie was ausdenken und haben dann ja auch Fotos gemacht und (.) sozusagen selbst kreativ sein (.) was wir sonst im Unterricht nicht unbedingt so (.) haben also (unverständlich) L °Das hilft natürlich sich einfach mit dem Thema mehr zu (verbinden)° und es auch besser zu verstehen L °°Ja son Projekt (.)(irgendwie)(3) @(3)@ L Öhm ja nee also vorher war der Unterricht ja bei Frau Meier* so dass wir (.) egal welches Thema wir bekommen haben wir ham (.) Seiten von Text bekommen und dann war auch sehr viel unrelevant und jetz war das einfach so dass der Unterricht auch vie:l (viel mehr) Abwechslung hatte dass man einfach nich immer das Gleiche gemacht hat sondern auch mal mit Bilder als Quellen hatte und rausgegangen is mal irgendwie Sachen beobachtet hat (.) ich find das schon

380 | U RBANES R ÄUMEN

Am: Alle:

(1) gut dass die Abwechslung drin hatte und und es is einfach besser dann vorstellen kann (6) Ja ich kann eigentlich nur zustimmen @(3)

In diesem Transkriptauszug, der Teil der Eingangspassage ist, verhandeln die Jugendlichen die Rolle der Quellen(-Arbeit) im Unterricht, die sie jeweils vor dem Hintergrund des ihnen bekannten Geographieunterrichts mit ihrer Lehrerin und des Unterrichtsprojekts abwägen. Zuvor wurden bereits andere Vergleiche angestellt; auf der einen Seite empfanden die Jugendlichen das Unterrichtsprojekt als Abwechslung, wobei sie auch aus einigen Beispielen »nich so wirklich viel rausziehen« (M. 06:07) konnten (Bsp. Hacking the City). Daraufhin thematisiert Fm die Quellen im Unterrichtsprojekt, die er als »sehr kurz sehr präzise und ziemlich gut aufn Punkt gebracht« beschreibt. Mit der Metapher des »Silbertablett[s]« verdeutlicht er dies nochmals. Bis zu diesem Zeitpunkt wird keine Bewertung der Quellenarbeit vorgenommen. Sodann aber beginnt eine eher kritische Auseinandersetzung mit der Art und Weise dieser. Daran zeigt sich die Orientierung der Jugendlichen an schulischen Strukturen i.e.S. Auf der einen Seite empfanden sie es – vor dem negativen Gegenhorizont des normalen Geographieunterrichts – als positiv, mit Bildern und anderen kurzen Quellen zu arbeiten. Gleichzeitig aber wenden sie ein, dass ihr eigenes Denken dadurch kürzer kam als sonst (»nich so anspruchsvoll wie sonst«, »nimmt natürlich n son gewissen Denkprozess raus«, »es is nich so anspruchsvoll«). Bms Aussage, dass er dies »gut« fand, wird von den anderen nur mit einem kurzen Lachen entgegnet, was wiederum dafür spricht, dass es den Jugendlichen insgesamt darum geht, differenzierter zu urteilen und sich nicht mit einer einfachen Aussage/Lösung zufrieden zu geben. In der parallelisierenden Diskursorganisation dokumentiert sich das Streben der Jugendlichen nach einer genaueren Klärung bzw. des eigenen Verstehens und Reflektierens ihrer Arbeit im Unterricht. Dabei wechseln sich längere und kürzere Redeanteile ab; die Jugendlichen nehmen aber stets geäußerte Gedanken auf, um zu differenzierteren Aussagen zu gelangen. Im weiteren Verlauf setzt Am erneut zu einer Erläuterung an; wieder vergleicht er den Geographieunterricht mit dem Unterrichtsprojekt (»sehr viel einfacher als das was wir von Frau Meier vorher bekommen haben«). Für ihn war die Arbeit mit den Quellen im Projekt »einfacher aber besser«. Eine weitere Differenzierung nimmt Bm vor, indem er die Rolle der Jugendlichen betont – sie »wurden mehr eingebunden«. Damit findet ein Wechsel von der Auseinandersetzung mit den Vorgaben bzw. Quellen (Was) statt hin zu der Art und Weise, wie die Jugendlichen selbst aktiv werden konnten. Sie konnten vor allem »selbst kreativ sein«

E RGEBNISSE | 381

und haben »Sachen beobachtet«. Sie emanzipieren sich damit von den von der Lehrerin vorgegebenen bekannten Strukturen. Das zeigt sich u.a. sprachlich an der Wiederholung der Wörter »Abwechslung« und »vorstellen«, die die Jugendlichen oft zur Beschreibung des Unterrichtsprojekts verwenden. Damit wird der normale Geographieunterricht betont als negativer Gegenhorizont konstruiert. Gleichzeitig aber wägen die Jugendlichen auch – und das wird an anderen Stellen im Transkript deutlich – das Neue kritisch hinsichtlich des Nutzens für später ab. Einige Arbeiten wichen »schon so ein bisschen weit von Geographie ab« (M. 15:09). Doch auch diese Meinung wird weiter gemeinsam von den Jugendlichen verhandelt (vgl. folgender Transkriptauszug, M. 21:00-23:05). Em:

Bm: Em:

Cm: Bm: Dm: Bm: Dm: Am: Dm: Cm: Fm: Cm: Fm: Cm: Dm: Fm: Em: Cm:

Das war ganz interessant so zwei äh Perspektiven so auf die Lebenssituationen zu werfen und ähm ja also mhh und ich musste da natürlich auch total überlegen ich mein ich mein wie leute das sehen das da ne straße ist irgendwie negativ und positiv L Das ist doch nicht schwer Ja ich mein des war nicht schwer des war interessant und man musste da trotzdem darüber nachdenken weil ich natürlich meine Sichtweise hatte und so (6) Ja aber ich würd sagen, dass dieser Bloggeintrag auch wieder ein bisschen weit sich von Geographie distanziert L also L //Nee fand ich gar nicht so// L //fand ich auch nicht// L Des hatte eigentlich total mit dem Thema zu tun (unv.) Des war ja des mit dem L Ja gut ob du jetzt nen Aufsatz schreibst oder nen Bloggeintrag ist natürlich L das war ja des wie man die Stadt beschreibt Die Bedingung war ja glaub ich wie ein Raum erstellt wird und die Wortwahl zum Beispiel von Reportern L ja genau L und das war ja darauf bezogen L ja das fand ich L ja gut stimmt L wie man einen Raum erstellt Ja das ist ja ähm das ist doch des würd ich jetzt erstmal so im ersten Moment als Journalismus so (unv.)

382 | U RBANES R ÄUMEN

Bm: Em:

ja ist auch so aber des war ja des Thema da insgesamt weil es ja zwischen Duisburg und Freiburg was wir da auch mit dem Ankreuzen gemacht haben und so ähm des war ja allgemein diese ganze Wortwahl und so drin und wenn man des als Thema nimmt muss man des ja auch so machen auch wenn es vielleicht ein bisschen übergreifend dann ist mhm ich weiß ja nicht ich weiß ja nicht ist des so ein Thema was man auch sonst so macht in der Oberstufe so dieses ich weiß ja nicht was Frau xy sonst gemacht hätte aber ich weiß nicht ob Frau xy dann jetzt irgendwie gemacht hätte ob man Duisburg und Freiburg auf den ersten Blick gut oder schlecht erkennt so (2) oder

Ohne diesen Transkriptauszug einer tieferen Interpretation zu unterziehen, kann gezeigt werden, dass sich die Jugendlichen in dieser interaktiv dichten Passage, in der sie in antithetischer Diskursorganisation wiederum die Rolle von Aufgaben und ihrer Tauglichkeit für den Geographieunterricht aushandeln, von Strukturen emanzipieren, die ihrer Meinung nach nichts »mit dem Thema zu tun« haben. Dabei führen sie jeweils verschiedene Argumente für ihren eigenen Standpunkt an; emanzipieren sich in gewisser Weise damit von ihren Klassenkameraden. Auch wird deutlich, dass hier zwei Logiken zutage treten, anhand derer die Jugendlichen jeweils festmachen, inwiefern Aufgaben und Quellen passen oder nicht. Auf der einen Seite ist dies die eigene Aktivität bzw. der Vergleich eigener mit anderen Sichtweisen (»ich musste da auch total überlegen«), auf der anderen Seite orientieren sich die Jugendlichen an dem für sie Bekannten (»dieser Bloggeintrag auch wieder ein bisschen weit sich von Geographie distanziert«); in diesem Fall ihrem Verständnis von Geographie(-Unterricht). Diese unterschiedlichen Logiken scheinen hier noch unvereinbar nebeneinander zu stehen. Die Jugendlichen einigen sich am Ende in Form einer Konklusion darauf, dass »wenn man des als Thema nimmt muss man des ja auch so machen auch wenn es vielleicht ein bisschen übergreifend dann ist«. Sodann wird der Bezug zur Lehrerin und damit dem bekannten Geographieunterricht hergestellt; in indirekter Frage verweisen sie auf die Lehrerin. Sie zweifeln daran, ob sie dieses Thema auch behandelt hätte, womit diese Passage endet. Häufig erwähnen die Jugendlichen über den gesamten Verlauf der Gruppendiskussion den Namen der Lehrerin, der in unterschiedlichen Kontexten fällt, z.B. wenn es darum geht, ob sie aus dem Unterrichtsprojekt etwas mitnimmt für ihren Unterricht, dass sie Namen der Jugendlichen nicht gut könne oder dass sie dafür verantwortlich gemacht wird, dass sie teilweise mit dem Unterricht hinterher hingen – wobei dies auffällig mit einem scherzhaften Unterton angesprochen wird, was sich am Lachen der

E RGEBNISSE | 383

Jugendlichen zeigt. Damit wird der Lehrperson auf vorsichtige Weise entgegen getreten; die Jugendlichen wollen sich von ihr emanzipieren, wobei dies nicht gleichzeitig für die Institution Schule als solche gilt – im Gegensatz zu Schülertypus 4. Ebenso bringen die Jugendlichen an anderer Stelle den Vorschlag, dass man diese – für sie unbekannte – Art von Aufgaben aus dem Unterrichtsprojekt, jedoch anhand der normalen Themen, behandeln könne. Damit kommt wiederum ihr Habitus zum Ausdruck, dass sie selbst für ihre Leistungen verantwortlich sind, und die Schule damit im Allgemeinen nicht der alleinige Garant sein kann, denn: »Man lernt des doch nicht in der Schule damit man dann weiß was an den Blumen steht«. »Eigentlich sollte ich das ja von selber eigentlich [wissen]« (Winter grau, M. 11:06). Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Jugendlichen versuchen sich von bekannten Strukturen zu emanzipieren, dennoch scheint dies für sie keine einfache Anforderung bzw. Aufgabe zu sein. Das zeigt sich daran, dass sie von Beginn der Gruppendiskussion an in ihren Aussagen zwischen dem Anspruch schwanken, dass bekannte Strukturen überdacht werden müssen, gleichzeitig aber ihr eigener Anspruch, Leistung zu erbringen, im Vordergrund steht. Schülertypus 4 | -opponierend Den opponierenden Schülertypus zeichnet seine Orientierung an Protest als Umgang mit unterschiedlichen Räumen aus. Den Jugendlichen ist es wichtig, sich gegenüber Vorgaben abzugrenzen, die ihre eigene Handlungsfähigkeit – so, wie sie diese definieren – einschränken. Ihre autonome Positionierung zeigt sich besonders unterrichtlichen Anweisungen gegenüber, aber auch in der Art und Weise, wie sie im Interaktionsraum der Gruppendiskussion agieren. 1. Raumproduktion Anhand der Elaboration ihrer Mapping-Aktion als Form der Raumaneignung dokumentiert sich die opponierende Haltung der Jugendlichen (Schülergruppe Winter beige). Bereits in ihrer Wortwahl – »Protestaktion« – zeigt sich diese Abwehr. Sie führen Gründe an, die sich aus ihrer Sicht negativ für eine Umsetzung erwiesen haben (»nicht so gut funktionieren kann«), wobei dies v.a. schulische Vorgaben waren (»mehr Zeit braucht«, »hatten jetzt auch nicht wirklich Material«, »und dann nur in der Schule«, »schlechtes Wetter«). Die Jugendlichen können im Auftrag der Schule keinen Protest üben. Im Wechsel der Einstellung vom subjektbezogenen Sprechen (»aber ich finde«) über eine Vergemeinschaftung (»Zettel wo wir was drauf schreiben konnten«) bis hin zur Verallgemeinerung (»hätte man was«) zeigt sich bereits in diesem kurzen Transkriptauszug auch sprachlich ihre umfassende Protesthaltung.

384 | U RBANES R ÄUMEN

Winter beige, M. 02:58-06:44: Am:

Bm:

Cm: Bm:

Ym: Dm: Cm: Ym: Dm:

Ja wir hatten jetzt ja (.) am Ende so ne Aktion wo wir ähm (2) wie hieß das eigentlich (2) Ja (.) naja wir mussten uns so ne so ne Art Protestaktion ausdenken wo wir halt auch so eine Art ( )struktur aufmerksam machen (1) und ähm das sollten wir dann auch durchführen (1) was ich an sich eine ganz gute Idee finde aber ich finde dass sowas (2) so ein bisschen gezwungen ist ob wir das jetzt auch nur in der Schule machen konnten dass das dann eigentlich (2) °nicht so wirklich° gut funktionieren kann weil ich finde dass sowas eher so (3) ja sowas macht man eher er- eher wenn man davon wirklich überzeugt ist und wir haben das jetzt in der letzten Stunde gemacht und das hat auch schon relativ lange gedauert bis wir da irgendwann wirklich ne Idee (2) ja bis wir wirklich eine Idee hatten (.) also das (2) Ja also wenn man so größere Projekte macht würde ich auf jeden Fall sagen dass man (.) mehr Zeit braucht (1) und (1) ja wir hatten jetzt auch nicht wirklich Material ne wir hatten ein bisschen Kreide um irgendwas dahin zu malen └ja in dem Umfang war es ein bisschen @(1)@ bisschen┘ └@(.)@ und (hatten dann) Zettel wo wir was drauf schreiben konnten (2) ja (2) ja und dann nur in der Schule das ist natürlich auch ein bisschen (1) beschränkt (2) aber da war ja auch schlechtes Wetter //alle: @(2)@// (2) Also (2) ihr seid für diese Aktion für diese abschließende sozusagen Aktion nicht vom Schulgelände quasi gekommen Ne Ne Mhm ((nachvollziehend)) Ja das war ein bisschen schade (.) also es hätte wahrscheinlich irgendwie (1) hätte man was also a- a- a- außerhalb gefunden was einen wirklich da richtig interessiert hat oder so (1) hätte man wahrscheinlich da auch noch bessere Ergebnisse bekommen (1) weil hier nur in der Schule war (°nicht wirklich°) ( )

Auf der anderen Seite betonen sie, dass sie »bessere Ergebnisse bekommen« hätten, wenn man »wirklich da richtig interessiert« gewesen wäre für die Aktion. Daran zeigt sich der Anspruch dieses Schülertypus, die eigene Freiheit und die Souveränität eigener Handlungen zu bekräftigen, um wirksam zu werden.

E RGEBNISSE | 385

2. Heterogenität Der opponierende Schülertypus spricht sich für einen differenzierteren Blick und eine differenziertere Darstellung von Räumen aus. Ihm ist es wichtig, über procontra- oder schwarz-weiß-Darstellungen hinaus Erkenntnisse zu gewinnen. Damit verbunden ist implizit der Anspruch an Geographieunterricht, unterschiedliche Sichtweisen auf Räume zu präsentieren, um diese auszuhandeln. Im folgenden Transkriptauszug elaborieren die Jugendlichen die Darstellung einer Stadt aus dem Unterrichtsprojekt, durch die sie ein »eher negativ[es]« Bild bekommen haben, zumal ihnen ein Vergleich unterschiedlicher Perspektiven gefehlt habe. Wieder zeigt sich neben der inhaltlichen Protestorientierung (z.B. den schulischen Strukturen gegenüber) auch sprachlich die opponierende Haltung der Jugendlichen, indem sie vermehrt auf pejorative Wörter zurückgreifen (»negativ«, »schlechten«, »grau«, »hoffen wirs mal«, »nicht so ein schönes«). Winter beige, M. 19:47-21:03: Bm:

Ym: Bm: Cm: Cm: Alle: Dm: Bm: Dm: Bm: Dm:

Ym: Dm:

Ja na klar (ich) krieg schon ne Darstellung von (1) naja es ist wirklich eher negativ weil wir eher die (.) schlechteren Stadtteile behandelt haben (1) also wir haben jetzt nicht so (.) den Vergleich gezogen irgendwie einen guten Stadtteil angeguckt und einen schlechten └mhm ((bestätigend))┘ schon dann (.) tatsächlich nur die schlechten └mhm (bestätigend)) Wenn ich jetzt an Duisburg denke stell ich mir eigentlich auch nur alles grau:: vor überall Industriegebiete └@(.)@┘ └ja also┘ Ja:: gute Stadtteile °gibt’s überall° Hoffen wirs weil (du es mir/Duisburg gesprochen) hat └ja┘ Man hat wirklich so ein bisschen schlechtes Bild über solche Städte bekommen weil wir also hauptsächlich irgendwie negative Merkmale besprochen haben └mhm ((best.))┘ und wenig über das positive (2) (man kann nur ((durch rascheln am Mirko nicht erkennbar))) (.) man kriegt ein Bild aber das ist irgendwie nicht so ein schönes irgendwie von den meisten auch von Mazahn zum Beispiel

386 | U RBANES R ÄUMEN

Ym: Dm: Bm: Dm:

Cm:

Am:

└mhm ((best.))┘ da haben wir so ein bisschen drüber gesprochen das die └ja┘ versucht haben das aufzuwerten aber dass das auch nur so teils teils geklappt hat und dass das im Grunde nicht so schön (.) immer noch nicht ist Ja wir hatten ja auch irgendwann mal wo- irgendwie so ein Dorf oder Stadtteil wollte dass der Stadtteil schöner wird (1) und die dann ich glaube n Straßenfest oder sowas gemacht haben und irgendwie n Brautmodeladen oder sowas geöffnet haben das fand ich auch n bisschen komisch └@(.)@┘

Orientierung an Protest meint aber nicht, dass dieser Schülertypus gegen jegliche Meinungen angeht und nicht selbst die eigenen Denkweisen reflektiert. Über unterschiedliche Sichtweisen wird Sozialität erst hergestellt. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass eine Verhandlung von Vielperspektivität vor dem Hintergrund der eigenen Leistungsorientierung zwar angestrebt wird, aber aufgrund der schulischen Vorgaben nicht immer bis zum Ende möglich ist (vgl. Passage zum Kommunikationsmodell, mit dem »die Hälfte der Klasse nicht zufrieden« war, aber aufgrund der zeitlichen Vorgaben nicht weiter daran diskutiert werden konnte; M. 11:51-11:58; vgl. dazu Themenfeld 4). Diesen Typus zeichnet sein Streben nach Autonomie aus, was sich auch darin zeigt, dass eigene Meinungen präzise dargestellt werden und gleichzeitig als verallgemeinernd gelten (»denk ich mal war auch vorher schon jedem in der Klasse äh bewusst«, M. 11:19-11:28; s.u.). 3. Alltagserfahrungen Der opponierende Schülertypus nimmt eine implizite, aber gleichzeitig offensichtliche Grenzziehung zwischen dem Alltags- und schulischen Raum vor. Dabei werden eigene Erfahrungen aus dem näheren Lebensumfeld als auch solche, die im Unterrichtsprojekt behandelt wurden, verallgemeinert und auf andere Kontexte übertragen. Das zeigt sich zum einen an dem bereits dargestellten Transkriptauszug zum Thema des Umgangs mit Heterogenität, in dem die Jugendlichen allgemein eine differenzierte Beobachtung fordern; der konkrete Raum – sei dies Duisburg oder Marzahn – ist dabei weniger von Bedeutung. Zum anderen wird der souverän-abstrahierende Umgang mit Alltagserfahrungen am folgenden Transkriptauszug zum Zeitunglesen deutlich.

E RGEBNISSE | 387

Winter beige, M. 24:09-25:55: Ym: Cm: Alle: Ym: Dm: Ym:

Dm: Ym: Dm:

Lest ihr denn regelmäßig Zeitung? (3) Joa Ja.@ (.)@ Wie bitte? └ Wochenende └ Am Wochenende. (3) Oder im Internet. Das is natürlich auch heutzutage das Medium der Wahl. Häufig. Ähm seid ihr da eben auf solche Sachen dann gestoßen, auf alles, was jetz hier behandelt wurde? (3) Lest ihr da jetzt anders oder (5) Also (2) also ob ich da n Artikel über Stadt Systeme oder so gelesen hab Na oder einfach wenn wenn aus irgendwelchen Stadtteilen berichtet wird oder so (6) Naja es war ja schon vorher, es war mir ja schon vorher klar, was so Problemstadtteile sind eigentlich, den meisten, denk ich mal. Und wenn man dann Berichte aus solchen Stadtteilen liest, ähm, na klar denkt man natürlich dass da die Rate an Verbrechen und so was höher ist aber (4) das auch relativ ich finds offensichtlich das woran das liegt, also dass da sozial Schwächere und so weiter leben. Das war mir ja relativ offensichtlich schon vorher also der Unterricht hat das Bild deswegen nicht irgendwie verändert (20)

Nach längerer Pause und der Nachfrage des Interviewers, ob die Jugendlichen Zeitung lesen und ob sie dabei auf Themen aus dem Unterricht gestoßen seien, reagieren sie zunächst zögerlich. Dm bringt daraufhin anhand der »Problemstadtteile« zum Ausdruck, dass ihm die Gründe für die Zusammenhänge, »dass da die Rate an Verbrechen und so was höher ist«, schon vorher klar und »offensichtlich« waren. Ohne, dass das Thema weiter aufgegriffen und bearbeitet wird, endet es mit Dms Feststellung, dass der Unterricht sein »Bild deswegen nicht irgendwie verändert« habe. Diese Passage entwickelt sich hauptsächlich in dialogischer Form zwischen dem Interviewer und Dm. Auch daran wird die zentrale Orientierung an Protest, in diesem Fall dem Interviewer bzw. seinen Fragen gegenüber, deutlich. Insgesamt hätten die Jugendlichen im sonstigen Geographieunterricht wenig Bezug auf ihre Heimatstadt genommen. Mit dem Unterrichtsprojekt konnten sie einige Ähnlichkeiten feststellen, z.B. zu Beginn, als sie Berlin Marzahn als Thema hatten, da sie da den Bezug zu einem Stadtteil über das Vorhandensein von Hochhäusern herstellen konnten; auch den Prozess der

388 | U RBANES R ÄUMEN

Gentrifizierung haben sie auf ihre Heimatstadt bezogen. Die Rolle alltäglicher Erfahrungen der Jugendlichen wird auf expliziter Ebene wenig vordergründig thematisiert. Von sich aus sprechen sie keine konkreten Beispiele an. An dieser Textpassage zeigt sich – wie auch insgesamt – die opponierende Haltung der Jugendlichen. Sie antworten auf Fragen des Interviewers, vermitteln dabei eine souverän-abwehrende Haltung, ohne, dass sie viel von sich preisgeben wollten. Auch dies entspricht ihrer Orientierung an Protest. 4. Interaktionsraum Schule Bereits in der Eingangspassage der Gruppendiskussion zeigt sich die protestierende Haltung der Jugendlichen gegenüber schulischen Vorgaben, die sie u.a. über den negativen Gegenhorizont durch das Anführen von konkreten Praxen im Geographieunterricht aufzeigen. Das Unterrichtsprojekt stellte für die Jugendlichen eine »Abwechslung« dar, wobei sie beklagen, dass Aufgaben teilweise »zu umfangreich« waren und Bilder bspw. in niedrigen Klassen geeigneter wären. Winter beige, M. 00:24-02:57: Ym:

Am:

Dm:

Dm: Alle: Dm: Bm: Am:

Ja, wie gesagt, ihr habt ja diese Unterrichte gehabt vier mal ne Doppelstunde. Das is soweit richtig, ja? Öhm u:nd habt verschiedene Städte behandelt und auch n bissl was machen müssen u:nd dann erzählt doch einfach mal frei von der Leber weg wie der Unterricht für euch war, Ja also. Erst einmal wars auf jeden Fall ne Abwechslung zum normalen Unterricht. Normalerweise ham wir immer nur Zettel mit hauptsächlich Text bekomm (.) und mussten dazu eben Aufgaben bearbeiten und das (.) der Unterricht jetzt war eben mehr auf Bilder oder Grafiken basiert was ich auf jeden Fall auch gut fand. Ich find auch die Zettel da ( ) viel ansprechender aus als das was wir sonst haben (und so) └@@ So wie dunkle schwarzweiß Kopien ( ) └@(2)@ und dann schöne Farbe und also hat ( ) schon lieber mit gearbeitet als mit dem was man so sonst hatte. (7) Ich kann mich meinen Vorrednern anschließen. (3)@@ Ja die Aufgaben waren schon also .bisschen zu umfangreich °°für zwei Stunden°° das war dann doch n bisschen zu viel ( ) (was dann auch an unserer Klasse liegen kann)

E RGEBNISSE | 389

Alle: Bm: Am:

Cm:

@( )@ Was hattn wir denn noch (2) Ja wir mussten ja immer ( ) diese Quellen analysieren ( ) da hatten wir immer irgendwie so vier Aufgaben ich glaube (unverständlich) nicht wirklich geschafft (4) Ja ich weiß nicht äh wies wie so n bisschen die Frage ob man mit den (äh) ja wenig Textquellen ob ( ) wirklich aufs Abitur vorbereiten will weil (.) das verändert sich ja nicht das bleibt ja so wie früher mehr auf Text basiert wahrscheinlich und (.) ja wenn der Unterricht dann komplett anders wird müsste sich das Abitur dann ja auch n bisschen darauf anpassen (2) (anpassen) (9)

Auf expliziter Ebene verweisen die Jugendlichen häufiger darauf, dass sie sich nicht mehr genau an Unterrichtsinhalte erinnern könnten (»ja da haben wir irgendwas dazu gemacht«) bzw. verneinen Nachfragen nach konkreteren Themen, versuchen dabei aber auch, den Bezug zum sonstigen Geographieunterricht herzustellen. Zum anderen erklären sie Inhalte als »n bisschen missverständlich« und betonen, dass »wenn man da nich so viel drüber nachgedacht hat« der Eindruck entstand, dass genau das Gegenteil im Unterricht vermittelt wurde, wobei sie dann die Lehrerin als Verantwortliche nennen. Ihnen ist es wichtig, sich gegenüber Schule im Allgemeinen abzugrenzen (vgl. dazu ausführlicher Kap. 6.2 zur Rekonstruktion der Schülerorientierung, Thema 4). Zusammenfassung Die zuvor dargestellte Typenbildung soll in der folgenden Abbildung (Abb. 15) anhand einzelner Zitate entsprechend der jeweiligen Transkriptauszüge pointiert zusammengefasst werden, um dem Leser einen intuitiven Zugang zu den einzelnen Modi der Raumaneignung zu geben, wobei hier durch ganz bewusste Schwerpunktsetzungen eine Überspitzung vorgenommen wird, denn: die Orientierungen zeigen sich immer nur als kollektive Muster und nicht nur anhand von Inhalten (Was), sondern auch der Art und Weise der Bezugnahme aufeinander (Wie); die Zitate einzelner Jugendlicher stehen in Abbildung 15 demnach immer repräsentativ für einen Schülertypus.

390 | U RBANES R ÄUMEN

Abbildung 15: Typenbildung anhand einzelner Zitate aus den Gruppendiskussionen

E RGEBNISSE | 391

6.3.3 Theoretische Verdichtung und Diskussion der Typenbildung Die Typenbildung dient nicht dazu, die theoretischen Annahmen aus vorherigen Kapiteln, und im Besonderen die eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen, auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, auf Potenziale und Schwierigkeiten der jugendlichen Weisen der Raumaneignung aufmerksam zu machen und mögliche Hinweise zur Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen in Bezug auf die Typenbildung abzuleiten. Erst an dieser Stelle werden gegenstandsbezogene theoretische Kategorien in die Auswertung und Diskussion einbezogen (Bohnsack 2007: 86f.). Ausgehend von der Fragestellung der Arbeit, welche Bedeutungen Jugendliche den Prozessen der Raumkonstruktion und -aneignung zuweisen, soll es darum gehen, empirische Erkenntnisse aus den Gruppendiskussionen mit theoretischen Überlegungen aus Kapitel 2zu verquicken, um darauf aufbauend Konsequenzen für einen Geographieunterricht abzuleiten, der einen kritischreflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen anzubahnen sucht. Hingewiesen sei im Vorfeld darauf, dass dies v.a. über die zwei Maximalkontraste (Schülertypus 1 und 4) möglich wird, da sie sich am stärksten voneinander unterscheiden. Unter Rückgriff auf Gould und White (1974) sowie Saarinen (1984) lassen sich Räume unterschiedlicher Intensitäts- bzw. Informationsdichte beschreiben, d.h. eine Unterteilung von Raumwissen vornehmen, welches sich als grundlegender Einflussfaktor für die Raumaneignung Jugendlicher zeigt (vgl. Kaminske 2006: 12): • •





Aktivitätenfeld: enthält alle Raumpunkte, die vom Individuum mindestens einmal pro Woche aufgesucht werden. Kenntnisfeld: enthält das Aktivitätenfeld wie auch alle Raumpunkte, die das Individuum aus eigener Anschauung kennt, jedoch seltener aufsucht als die Raumpunkte im Aktivitätenfeld. Informationsfeld: enthält Aktivitäten- und Kenntnisfeld und weiterhin diejenigen Raumpunkte, über die Informationen verfügbar sind, die jedoch auf Erfahrungen anderer aufbauen. Erwartungsfeld: enthält alle Bereiche zusammengefasst, über die »weder direkte Kenntnisse aus eigener Erfahrungen [sic] noch mittelbare Informationen über Medien bestehen, sondern die nach Erfahrungen und Informationen an anderen Orten gleicher oder ähnlicher Ausprägung kategorisiert, das heißt vorbeurteilt sind« (Kaminske 1981: 14f.; vgl. auch Kaminske 2006: 12f.).

392 | U RBANES R ÄUMEN

Anhand der rekonstruierten Typen ergeben sich einige Hinweise auf die Arten der Informationsdichte, wobei in diesem Fall auch von Raumwissen gesprochen werden kann. Dieses bestimmt letztlich auch die Modi der Raumaneignung der Jugendlichen und ist zurückzuführen auf ihre zentrale positive Orientierung an Leistung. Dabei lässt sich der räumlich-tradierende Schülertypus (1) eher dem Aktivitäten- und Kenntnisfeld zuordnen, d.h. Raumaneignung findet vor allem über die konkrete Anschauung statt, was sich bspw. in der Erwähnung mehrerer konkreter Beispiele aus dem eigenen Lebensumfeld sowie einer Abgrenzung gegenüber medienvermittelter Raumvermittlung (z.B. Smartphones) widerspiegelt. Genauere Rückschlüsse auf die Anzahl der aufgesuchten Raumpunkte lassen sich daraus jedoch nicht ableiten. Mit den »Raumpunkte[n], die vom Individuum mindestens einmal pro Woche aufgesucht werden« (Kaminske 1981: 14, s.o.) ist hier vielmehr die Erwähnung in den Gruppendiskussionen gemeint. Dagegen wendet der räumlich-opponierende Typus (4) eher auch räumlich abstrakte(re)s Wissen an bzw. orientiert er Raumaneignung an einem Erwartungsfeld. Dabei zählen weniger konkret räumliche Bezüge (Inhalt), die genannt werden, sondern vielmehr die Art und Weise, wie die Jugendlichen diese in anderen Kontexten thematisieren (Form). Damit ist auch eine Übertragung von Wissen auf abstraktere Ebenen gemeint, die dennoch mit eigenen Erwartungen verbunden werden. Der räumlich-konventionalisierende Schülertypus (2) orientiert sich zumeist am Informationsfeld, indem vermehrt auf die Erfahrungen anderer (z.B. »Kumpel«) zurückgegriffen und damit das eigene Wissen bzw. die Raumaneignung fundiert wird. Für den räumlich-emanzipierenden Typus (3) lassen sich Bezüge vor allem zum Kenntnis- und Informationsfeld feststellen, wobei hier auch eigene Aktivitäten in Form konkret-räumlicher Erfahrungen weiterhin eine Rolle spielen. Das bedeutet, dass dieser Schülertypus auf die Erlebnisse anderer rekurriert, diese aber oftmals der Bestätigung eigener selbstbestimmter Modi der Raumkonstruktion dienen. Er bewegt sich damit zwischen konkreter Erfahrung und abstrakter Erwartung. Insgesamt lässt sich eine Konzentration des Aktivitätenfeldes für die räumlich-rekonstruierenden Typen erkennen. Mit anderen Worten orientieren sich die Jugendlichen an konkreten, oft auch eigens erlebten bzw. gesehenen Informationen, welche sie in ihrer Raumaneignung abrufen. Daneben übertragen Jugendliche des räumlich-dekonstruierenden Typus Erfahrungen bzw. Kenntnisse auf andere Bereiche; Raumaneignung zeigt sich demzufolge als abstraktere Form der Inwertsetzung von Wissen – die jedoch nicht immer auch kritisch hinterfragt wird. Insgesamt wird deutlich, dass bei allen Schülertypen eigene Lebensweltbzw. sozialräumliche Bezüge immer auch als Fundamente dienen, um sich in ihren alltäglichen Handlungsvollzügen in einer Welt pluraler Wirklichkeiten zu

E RGEBNISSE | 393

orientieren (vgl. Fronhofen 2001: 495); Raum bzw. das Subjekt demnach nicht im Sinne poststrukturalistischer Tendenzen aufgelöst werden. Entsprechungen dieses Konzepts der Räume unterschiedlicher Informationsdichte lassen sich am Dreischritt nach Reich (2010) aufzeigen. In Anlehnung an seine Terminologie wird deutlich, dass Rekonstruktion mit spezifisch eigenen, subjektiven Erfahrungen und Orientierungen verbunden ist, wohingegen Dekonstruktion – auf der Grundlage eigener Erfahrungen – eine allgemeinere Orientierung an der Übertragung von Erfahrungen und Erwartungen impliziert. Der im Unterrichtsarrangement umgesetzte konzeptionelle Dreischritt dient damit zum einen als Strukturprinzip als auch der Lenkung der Blicke auf das je Eigene und Andere und sollte jeweils typenspezifisch akzentuiert werden. Die Bedeutung von Wissen und Erfahrung für räumliches (vernetzendes) Denken Das Übertragen von Wissen in andere Kontexte oder auf andere (Maßstabs-) Ebenen wurde als wesentlich für einen kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen dargelegt, zum einen als Voraussetzung für die Reflexion/Reflexivität i.S. des Abstand Nehmens von eigenen Denkmustern sowie für einen Wechsel der Perspektive. Die Jugendlichen übertragen bzw. wenden eigene Kenntnisse je unterschiedlich an, was sich in Abhängigkeit des zugeordneten Raumwissens gestaltet. Schülertypus 1 ist bspw. in der Lage, räumliche Muster auf andere räumliche Strukturen zu übertragen; Schülertypus 4 tut dies auf anderen als explizit räumlichen Ebenen bzw. setzt sich mit anderen Dimensionen desselben Phänomens auseinander. Wo Schülertypus 2 an Konventionen orientiert Wissen inwert setzt und darüber Räume definiert sieht, verfolgt Schülertypus 3 bspw. eine Ablösung von Wissensstrukturen, wenn diese nicht als zielführend für die Raumaneignung i.w.S. angesehen werden. Über die Bestimmung der Räume unterschiedlicher Informationsdichte nach Kaminske soll im Weiteren der Frage nachgegangen werden, über welche Art von Raumwissen die unterschiedlichen Schülertypen jeweils verfügen bzw. ob dies in seiner Art bestimmbar ist. Wie bereits angesprochen, kann ein Verlauf zwischen eher konkreten bis zu abstrakteren Informationen zwischen den räumlich-rekonstruierenden und räumlich-dekonstruierenden Schülertypen angenommen werden. Es stellt sich dann die Frage, ob dies auch tendenziell Detailwissen oder größere Zusammenhänge sind, auf deren Grundlage sich Jugendliche Räume aneignen. Normalerweise wird davon ausgegangen, dass mit zunehmendem Alter auch mehr und komplexere Verbindungen zwischen Informationen und damit Räumen hergestellt werden können, wobei Downs und Stea (1982) zeigen konnten, dass es genau anders ist (vgl. Kaminske 2006: 19) und

394 | U RBANES R ÄUMEN

Erwachsene in dem Falle über viel mehr vereinzelte Informationen verfügen, die sie eher selten verknüpfend zusammendenken. In seiner weltweiten Studie zur Erfassung der Mental Maps von 22-jährigen Studierenden kommt auch Saarinen (1987, vgl. Haubrich 1992: 39) zu dem Ergebnis, dass prinzipiell »geographische Kenntnisse, seien sie thematischer oder regionaler Natur, jeweils in ein räumliches Bezugssystem gebracht werden müßten, um auch im Gedächtnis gespeichert werden zu können« (ebd.). Auch für die hier zugrunde gelegte Typenbildung kann die These formuliert werden, dass ein Denken in Zusammenhängen bzw. Verknüpfen von Informationen bei den Jugendlichen zwar nachweisbar i.S. der expliziten Äußerung in den Gruppendiskussionen ist (s.o.), dennoch aber festgehalten werden kann, dass eben dieses zusammenhängende Denken verstärkt im Geographieunterricht gefördert werden sollte, um Wissen auch funktional anzuwenden und nicht nur anzuhäufen. Hierbei erweist sich der Perspektivenwechsel als zentral, in dem unterschiedliche Maßstabsebenen berücksichtigt werden können. Denn trotz der ständigen Eingebundenheit des Menschen in räumliche Systeme sowie das zunehmende Gefühl einer Grenzauflösung hat sich seine Fähigkeit (bzw. kognitive Disposition) des Raumsystemdenkens nicht neuronal weiterentwickelt bzw. angepasst (Köck 2005b: 103). Um aber den Jugendlichen auch die konkrete Anwendbarkeit eigener Kenntnisse zu ermöglichen und diese nicht nur getrennt voneinander stehen zu lassen, muss es ausdrücklich darum gehen, ein solch systemisches Denken zu fördern. Erst dann lässt sich Heterogenität bzw. die Kontingenz sozialer Wirklichkeit nicht nur anerkennen, sondern auch verstehen und akzeptieren (vgl. Vielhaber 1993: 52). Das Sammeln umfangreicher Kenntnisse ist den Jugendlichen wichtig, besonders vor dem Hintergrund ihres gemeinsamen Erfahrungsraumes; in der Oberstufe stehen sie kurz vor der Überprüfung ihres Wissens, weswegen Themen und Methoden im Geographieunterricht hauptsächlich an utilitaristischen Motiven ausgerichtet werden (Leistungsorientierung). Doch auch diese sollten die Jugendlichen über den Unterricht hinaus hinterfragen und hinsichtlich der Nützlichkeit abschätzen lernen. Mit Blick auf das Bildungsideal Humboldts zeigen sich Parallelen zur heutigen Zeit, in der eine Ausbildung nicht mehr allein um des Lernens willen, sondern vielmehr auch am Individuum ausgerichtet und als umfassende Bildung stattfinden sollte. Hierfür bieten sich ästhetische Zugänge im Geographieunterricht an, mittels derer ein Bewusstsein dafür angeleitet werden kann, dass subjektive, sinnliche Wahrnehmung zwar zweck- aber keineswegs sinnfrei stattfindet (vgl. Hasse 2001: 5), und dies letztlich die Fähigkeit der Unvoreingenommenheit gegenüber anderen Sicht- und Denkweisen unterstützen kann.

E RGEBNISSE | 395

Grenzziehung und Perspektivierung zwischen dem Eigenen und Anderen Eine weitere maßgebliche Erkenntnis aus der Typenbildung betrifft die Weisen der Grenzziehung der Jugendlichen, über die Raumaneignung unterschiedlich stattfindet. Die Jugendlichen handeln – im Sinne Werlens – besonders wertbzw. normorientiert, da sie in ihrer aktuellen Lebensphase hauptsächlich an andere Kommunikationspartner und deren Vorgaben gebunden sind bzw. sich gerade davon zu lösen versuchen (vgl. Reutlinger 2007: 141). Das zeigt sich an unterschiedlichen Formen ihrer Raumaneignung. Nun geht es nicht darum, idealtypisches Handeln der Jugendlichen aufzuspüren, sondern gerade Abweichungen bzw. spezifische Ausgestaltungen gegebener Normen. Auffällig ist, dass die Jugendlichen jeweils typenspezifisch eigene Standpunkte betonen (Subjektzentrierung) und sich damit zu anderen Sichtweisen positionieren (müssen). Die Jugendlichen schätzen und betonen stets die eigene Aktivität und deren selbstbewusste Standpunkte, wobei diese entweder bewusst gegen andere abgegrenzt (Schülertypus 3, 4) oder aber erst dadurch bestätigt werden (Schülertypus 1, 2). Die räumlich-rekonstruierenden Schülertypen sind dabei eher außenorientiert; sie nutzen Kriterien, um eigene und andere Handlungsweisen zu legitimieren und kontrollieren. Die räumlich-dekonstruierenden Typen hingegen können als innenorientiert charakterisiert werden; vor dem Hintergrund eines Konkurrenzdenkens wollen sie sich eher selbst verwirklichen.15 Genau diese Perspektivierung zwischen dem Eigenen und Anderen ermöglicht erst einen kritischreflexiven Umgang mit unterschiedlichen Raumkonstruktionen und damit der Kontingenz sozialer Wirklichkeit. Im Sinne Selmans sollte dann eine Perspektivenübernahme von einer drittenPerson-Perspektive aus erfolgen, damit unterschiedliche Sichtweisen koordiniert und hinterfragt werden können. Zentral dabei erweist sich der Alltag i.S. der eigenen mental bzw. auch räumlich nahen Lebenswelt der Jugendlichen, über den die eigene Verortung hauptsächlich stattfindet. Diese »Hier-Orientierung« (Köck 2005b: 94) erweist sich sowohl existenziell und unabdingbar für die eigene »Existenzgestaltung« (ebd.); gleichzeitig aber auch als die »Ferne-Orientierung« hemmend (ebd.). Dass der besondere Wert der eigenen Verortung auch bspw. in Mental Maps darüber herauszulesen ist, dass bestimmte Dinge der nahen Lebenswelt vergrößert in jenen Karten gezeichnet werden (Hellbrück/Kals 2012: 29), zeigt einmal mehr, dass dies ein wichtiger, aber nicht unhinterfragt zu bleibender Bestandteil von Raumaneignung sein sollte. Es ergeben sich Hinweise

15 Die Terminologie wurde in Anlehnung an den Dreischritt im Wertewandel nach Barz et al. 2001, zit. in Moser 2010: 95, übernommen.

396 | U RBANES R ÄUMEN

darauf, dass das (An-)Erkennen von Vielperspektivität überwiegend und teilweise unhinterfragt akzeptiert wird, dass Differenzen, vor allem hinsichtlich der Raumwahrnehmung der Jugendlichen, zwar als normal, alltäglich und notwendig eingeschätzt werden, aber gleichzeitig ein kritisches Hinterfragen eher flüchtig bzw. auf gleichen Maßstabsebenen stattfindet. In diesem Sinne gilt es, im Geographieunterricht komplexe und kontroverse Fragestellungen zu behandeln, um Kontingenz auch als konfliktär ersichtlich zu machen. Das Dezentrieren eigener Blicke in der Dekonstruktionsphase sollte über dichotome Darstellungen, die besonders durch die Abgrenzung des Eigenen von Anderen stattfindet (ich vs. andere), hinausgehen (vgl. dazu auch Applis 2012: 247, 248; Höhnle 2014: 211, die auch jene Logiken der Lernenden rekonstruierten, nach denen eine unterkomplexe Bewertung – in diesem Falle zu Fragestellungen globalen Lernens – als unzureichend angesehen wird, gleichzeitig aber auch vereinfachende Darstellungen zu vermeiden sind). Ausgangspunkt der Förderung raumbezogener Handlungskompetenz liegt in der subjektiven Vorstellung von Räumen (Kap. 2.3.2). Das Erkennen dieser wird als notwendig zur Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen erachtet. Anhand der Typenbildung kann gezeigt werden, dass die Jugendlichen über die eigene Verortung, z.B. im Ausdruck individueller Alltagerfahrungen oder der Thematisierung des Umgangs mit Heterogenität ausgehend von ihrer subjektiven Sichtweise Urteile fällen, Erfahrungen übertragen und sich damit Räume aneignen – wenn auch zunächst vor dem Hintergrund individueller Kenntnisse. Auch, wie die unterschiedlichen Schülertypen jeweils neue Vorstellungen von Räumen entwickeln (i.S. des Ziels einer Raumbezogenen Handlungskompetenz; vgl. Abb. 2), kann vornehmlich anhand der unterschiedlichen Informationsfelder nach Kaminske (s.o.) erklärt werden, wobei eingesehen werden muss, dass ein Großteil unseres Wissens und Handelns eher auf überlieferten Erfahrungen aus zweiter Hand basiert (Soeffner 1989: 99) und die tatsächliche, konkrete, ja eigene Erfahrung immer auch eine ist, die im Zusammenspiel mit anderen erlebt wird. Heterogenität bzw. Vielperspektivität erweist sich aber auch als Faktor, der den Jugendlichen Sicherheit gibt – und dies unter Voraussetzung der eigenen Positionierung. Auch Applis (2012: 247) konnte dies über die empirische Rekonstruktion von Schülerorientierungen im Kontext Globalen Lernens zeigen. Von unterschiedlichen Meinungen geht – zumindest im Interaktionsraum Schule – keine Gefahr für die Lernenden aus, was schließlich auch auf eine höhere Ebene übertragen bedeutsam wird für den Umgang mit der Polyvalenz in gesellschaftlicher Hinsicht.

E RGEBNISSE | 397

Im Ansatz lassen sich aus diesen ersten Überlegungen sowie der Erhebung von Sozialdaten der Jugendlichen vor Beginn der Unterrichtsreihe Hinweise für eine soziogenetische Typenbildung ableiten, ohne dass diese in ihrer Vollständigkeit hier dargestellt werden kann. Mittels soziogentischer Typenbildung lässt sich die Genese der jeweiligen Orientierungen anhand unterschiedlicher Erfahrungsräume erklären. Wo dies andeutungsweise für den räumlich-dekonstruierenden Typus die soziale Eingebundenheit (vor Ort) ist, die u.a. durch Erfahrungen von Migrationshintergrund oder aber in sozialer Perspektivierung (z.B. genderspezifisch) begründet werden kann, spielen bei den räumlich-rekonstruierenden Schülertypen eher räumliche Erfahrungen, d.h. die konkreten Bezüge im und zum physisch-materiellen Raum eine Rolle (räumliche Eingebundenheit). Darauf aufbauend ließen sich Verknüpfungen der von den Jugendlichen angesetzten Wertmaßstäbe in Bezug zu ihrem Verständnis von Raum herstellen – wobei mit dem Werte-Begriff hier kein neues thematisches Feld aufgespannt werden kann. Vor dem Hintergrund einer Individualisierungsthese im Zuge postmaterialistischer Gesellschaftstendenzen werden diese von den Jugendlichen je unterschiedlich bewertet und ver- bzw. behandelt. Der räumlich-tradierende Schülertypus sucht über vermehrt ästhetische Kriterien und Maßstäbe gegen die Individualisierung zu argumentieren (s. u.a. die Forderung nach Hilfe vom Staat beim Raumeingriff und dem Werben für die lokale Kultur); der Bezug zu konkreten räumlichen Erfahrungen dient der eigenen Verortung. Der räumlich-opponierende Schülertypus hingegen sucht die Nonkonformität i.S. der eigenen Abgrenzung (Individualisierung). Besonders für den ersten Schülertypus lassen sich in Anlehnung an Welsch (1990) mögliche Umgangsweisen ableiten, die zu einer Intensivierung von eigenen und anderen Sichtweisen führen kann. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Anästhetisierung der Gesellschaft, d.h. medialer Vermittlung von Wirklichkeit und Überbetonung der Gestaltung v.a. in Großstädten kommt es laut Welsch (ebd.: 15) gar zu einer sozialen Anästhetisierung, einer »Desensibilisierung für die gesellschaftlichen Kehrseiten«. Genau dies wird auch von Schülertypus 1 besonders häufig betont. Einen möglichen Ausweg sieht Welsch demzufolge in der Umkehrung bzw. Nutzung der Anästhetisierung. So könne die Technik sinnvoll dafür eingesetzt werden, um das eigene teilweise zerstörerische und unhinterfragte Handeln in Räumen zu kompensieren. Ein Beispiel: dem touristischen Eifern nach dem Entdecken ästhetischer Bauwerke oder fremder Kulturen könnte im Wohnzimmer über einen Bildschirm nachgegangen werden (ebd.: 21). Das bedeutet, sich Räume medial anzueignen, kann als Beitrag zu einer Nachhaltigkeit verstanden werden, wobei dann aber weiterhin und besonders »für den Unterschied von Simulation und Original«

398 | U RBANES R ÄUMEN

(ebd.) aufmerksam gemacht werden sollte. Auch mit den Jugendlichen ließen sich solche Fragestellungen thematisieren. Mögen die rekonstruierten zentralen Orientierungen Jugendlicher auf den ersten Blick trivial erscheinen, bspw. aus dem Grunde, dass ein Streben nach Eigennutz, Erfolg, Macht oder Gewohnheit als grundlegende menschliche Grundantriebe gesehen werden können (vgl. Köck 2005c: 122f.), so gilt es hier noch einmal zu betonen, dass die Ergebnisse aus der Typenbildung themenspezifisch auf die Modi der Raumaneignung der Jugendlichen zurückgeführt werden können, sich damit also zwar allgemein, aber gleichzeitig in Bezug zu raumrelevanten Fragen ergeben. Die Konstruiertheit von Räumen verstehen die Jugendlichen entscheidend über die eigene Verortung, wobei hier ein bewusstes Aufzeigen subjektiver Denkweisen und deren Bedeutung hinsichtlich der Raumaneignung und -konstruktion notwendig werden. »Denn erst vor dem Hintergrund eines sachgemäßen Bewusstseins und Reflexionskontextes bekommt die jeweilige Handlung ihre Begründetheit und Bedeutung und kann so überhaupt erst adäquat ausgeführt werden [...].« (Köck 2005c: 125) Auch das Behandeln ethisch-moralischer Standards (vgl. ebd.: 127) könnte sich als hilfreich in der Anbahnung eines solchen Bewusstseins und damit kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen erweisen. Es konnte gezeigt werden, dass Jugendliche Räume als etwas Veränderbares und vor allem Subjektives – die Menschen spielen dabei eine große Rolle – auffassen, wobei weder bejahende Euphorie gegenüber der Veränderbarkeit (i.S. von verbessernden Eingriffen in Räume, vgl. Typus 1) noch ein ständiger Protest an bestehenden Zuständen (Typus 4) in überspitzter Ausprägung förderlich scheinen, um Jugendliche im Sinne eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen an der Gestaltung von Räumen teilhaben zu lassen. Besonders wichtig ergibt sich deswegen, die epistemologischen Grundlagen eines konstruktivistischen Welt- und Raumverständnisses im Geographieunterricht zu vermitteln, um die Gemachtheit von Raum als gesellschaftlich (re-) produziert und weniger als ein materielles Herstellen zu verstehen. Zusammenfassung und Bezug zur Forschungsfrage Die Bedeutungen, die Jugendliche den Prozessen ihrer Raumkonstruktionen zuweisen, können über zwei hauptsächliche Stränge, nämlich die implizite Betonung des (Raum-)Wissens sowie deren Grenzziehungen begreiflich gemacht werden. In der Aneignung von Räumen bedeuten ihnen Wissensbestände ebenso viel wie die Abgrenzung von anderen Sichtweisen, wobei dies auf unterschiedliche Raumkonstruktionen (vgl. Themenfelder der Typenbildung) zu übertragen

E RGEBNISSE | 399

ist. Und schließlich gründet auch die Erfahrung von (Ohn-)Macht auf diesen beiden Pfeilern. Das Eingreifen bzw. Verändern von Räumen ist abhängig vom verfügbaren Wissen sowie der Art und Weise des Ein- bzw. Ausschlusses weiterer Sichtweisen. Das Erleben und Testen von Macht – Macht als ein zentrales Konzept der Neuen Kulturgeographie – sollte den Jugendlichen bewusst und zugänglich gemacht werden, dass auch sie in der Lage sind, sich vielfältig an der Aushandlung von Räumen zu beteiligen (vgl. Subjekt- und Handlungszentrierung). Wie bereits in Kapitel 2.2.2 verdeutlicht, befinden sich die Jugendlichen in einer besonderen Phase der Ausbildung, in der sie verschiedene Entwicklungsaufgaben zu leisten haben, was eine Orientierung an unterschiedlichen Sinnsystemen (z.B. Freizeit, Schule, Peers, Eltern, Medien, andere jugendkulturelle Artikulationsformen) erfordert. Vor dem Hintergrund einer sich ständig wandelnden Gesellschaft, in der es durch Prozesse der (An-)Ästhetisierung zu einer Vielfalt an Lebensentwürfen bzw. Wirklichkeiten kommt, sind die Jugendlichen stets eingebettet in soziale Interaktionen. Jugendliche verhandeln ihr Selbstbild in Interaktion mit anderen Personen bzw. Instanzen und eignen sich darauf aufbauend Räume an. Das erfordert auch eine Perspektivenübernahme, in der sich die Lernenden in eine dritte Person hineinversetzen, um nicht nur das eigene Denken, sondern auch andere Perspektiven kritisch zu hinterfragen lernen. An dieser Stelle sei wiederum auf das entwicklungspsychologische Modell nach Selman verwiesen, in dem diese Stufe formuliert ist. Relevant erscheinen die Ausführungen dahingehend, da die Entwicklung eines Perspektivenwechsels letztlich zur Ausbildung des eigenen Selbstbildes der Jugendlichen führt, mittels dessen sie in der Lage sind, im Sinne Meads koordiniert miteinander zu handeln (vgl. Campana 2005: 18f.) und damit gesellschaftliche Verantwortung – auch in räumlichen Fragen – zu übernehmen. Die Frage nach dem spezifisch Geographischen im Anspruch eines Perspektivenwechsel bzw. der Perspektivenkoordination sowie in der Formulierung einer Raumbezogenen Handlungskompetenz kann damit beantwortet werden, dass erst über das Erkennen eigener, subjektiver Vorstellungen und Sichtweisen – über die Fähigkeit zum (abstrahierenden) Perspektivwechsel – neue und differenziertere Vorstellungen von Räumen entwickelt werden können, die die Fähigkeit und Bereitschaft zur Gestaltung der Gesellschaft erlauben. Geographisch ist dies in dem Sinne, dass die Voraussetzung dafür ein Verständnis von Raum ist, wie es in den vier Raumbegriffen nach Wardenga exemplarisch dargelegt wurde. Auch die Aussage Ich mag die Italiener nicht wird dann als Raum-Vorstellung verstanden. Dieses Raumverständnis dient dabei als Folie, die einem geographischen Denken und Arbeiten zugrundeliegen sollte. Dann auch kann Raumaneignung so verstanden werden, dass bspw. die »eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt« (Braun 1994: 110, zit. in

400 | U RBANES R ÄUMEN

Deinet 2005: 169) auf Räume mentaler Existenz zu übertragen ist. Jugendliche sollten auch in der Lage sein, sich mit Darstellungen von Städten bspw. in Zeitschriften oder den Fernseh-Nachrichten auseinanderzusetzen, ohne, dass sie diese Umwelten konkret-dinglich erfahren müssen. Ebenso können im Geographieunterricht die Verortung und Inszenierung – wie sie als Teil der tätigkeitsorientierten Raumaneignung mit Leontjew formuliert sind – erprobt werden, indem mental über Sprache oder Bilder in Räume eingegriffen und ihnen neue Bedeutungen zugewiesen werden. Nicht zuletzt ist damit auch die »Entwicklung situationsübergreifender Kompetenzen« (ebd.) beabsichtigt, die zwar spezifisch im Geographieunterricht erprobt, aber genauso auf weitere, v.a. außerschulische Kontexte übertragen werden sollen.

7. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse Empirische Aussagen sollen: a) über die Realität informieren und b) an der Realität scheitern können, sollen also falsifizierbar sein. Wenn Gesetzesaussagen nicht verifizierbar sind, ist es auch nicht möglich, wahre Aussagen zu treffen: Der Wissenschaftler weiß nichts, er rät nur. BOHNSACK 2007: 16 [HERV.I.O.]

7.1 K ONSEQUENZEN

UND

AUSBLICK

Aufbauend auf der empirischen Rekonstruktion der Schülertypen sowie erster theoretischer Verknüpfungen, die im Sinne Bohnsacks (s.o.) als Information über die Realität verstanden werden können (So ist es), sollen im Folgenden Konsequenzen festgehalten werden, die für die Realität, d.h. konkret Geographieunterricht, genutzt werden können, gleichzeitig aber auch an ihm scheitern dürfen (So kann es nicht sein). Mit anderen Worten: die Hinweise zur Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen verfolgen nicht den Anspruch einhundertprozentiger Erfolgsgarantie – sie dienen vielmehr als Ratschlag und Anregung zum Hinterfragen eigener Handlungspraxis. 7.1.1 Allgemeine Konsequenzen In der theoretischen Verdichtung der Typenbildung (Kap. 6.2) wurden bereits einige Hinweise zu ersten didaktisch-methodischen Konsequenzen aus der Rekonstruktion der Schülerorientierungen festgehalten. Diese sollen nun ausführlicher sowie im Anschluss daran typenspezifisch ausformuliert werden. Dennoch ist mit der Darlegung von Konsequenzen für den Geographieunterricht sensibel

402 | U RBANES R ÄUMEN

und reflektiert umzugehen; allgemeine Formeln werden nie möglich und spannungsfrei umzusetzen sein, da letztlich die Jugendlichen entscheiden, inwiefern Wissen und Erkenntnisse für sie viabel erscheinen und mit bestehenden Erfahrungen verknüpft werden. »Damit befindet sich die Schule als institutionalisierte Instanz der Erziehung, und deshalb zuständig für den kulturellen Transfer von Werten und Normen, auf einem schwankenden Boot« (Hasse 1995a: 11), d.h. in diesem Fall zwischen der Proklamierung einer Subjektzentrierung auf der einen und einer normierten Wissensvermittlung auf der anderen Seite. Doch ganz entscheidend soll nochmals vor Augen geführt werden, dass sich »[d]ie Produktion gelungener Weltbilder, das Wissen darüber und die Fähigkeit zum Diskurs [...] nicht zwangsläufig von selbst im Laufe eines Lebens [ergeben], sondern müssen erlernt werden.« (Dickel 2006a: 9) Dabei geht es nicht darum, dass Geographieunterricht Einstellungen Jugendlicher auf Dauer verändert, sondern grundlegende Muster und Sichtweisen vermittelt, die variabel in anderen Situationen angewendet werden können. Ziel geographischer Bildung muss vor allem auch die Befähigung der Jugendlichen sein, »aktuelle Informationen in ein bereits existierendes Grundmuster angemessen einbauen zu können« (Haubrich 1992: 40), da sich deren kognitive Karten prozesshaft entwickeln und sich demzufolge kontinuierlich mit dem Wissen und ihren Erfahrungen verändern, sodass der Aufbau eines objektiven Weltbildes unmöglich erscheint (vgl. Kap. 2.4). Aus der Konzipierung des Unterrichtsarrangements wird erkenntlich, dass geographische Bildung auch die andere Seite der Bildung (Rauschenbach 2007, 2009) zu meinen hat, was nicht bedeutet, dass die andere Seite in räumlicher Weise genau das Gegenteil aller bisheriger Theorien und Konzepte zur Folge haben muss. Damit gemeint sind vielmehr andere Bildungsorte, Bildungsmodalitäten und Bildungsinhalte (vgl. Kap. 2.3.2), die aber genauso geographisch relevant sind; in dieser Art jedoch bislang noch wenig berücksichtigt wurden. Die folgenden allgemein formulierten Konsequenzen für den Geographieunterricht werden systematisch in Abbildung 16 zusammengefasst und können parallel dazu gelesen werden, wobei im weiteren Verlauf des Kapitels eine typenspezifische Fokussierung erfolgt, die ebenso in der Abbildung integriert ist. Es scheint dringend erforderlich, dass auf die epistemologischen Grundlagen, d.h. u.a. auch die unterschiedlichen wissenschaftlichen turns (vgl. Kap. 2.1.2), im Geographieunterricht eingegangen wird, um den Lernenden die Grundzüge bzw. das Vorverständnis für das Verständnis eines konstruktivistischen Raumzugriffs zu verdeutlichen (z.B. was bedeutet Konstruiertheit, wie und von wem werden wirkmächtige Bedeutungen (re-)produziert, was können wir warum glauben und was nicht, usw.). Damit einher geht auch der Anspruch, das Fach

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 403

Geographie in seinen Zielsetzungen und Inhalten einmal mehr zu betrachten, um zu verstehen, was es bedeutet, sich mit räumlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen, welches über das Auswendiglernen von topographischen Marken hinausgeht. Dies erfordert auch eine Offenheit von Seiten der Lehrpersonen, die Begründungen für Zusammenhänge nicht allein über raumwissenschaftliche Kausalitäten herstellen, sondern auch »mit ganz anderen Motiven und Erklärungen rechnen« (Rhode-Jüchtern 2006b: 8) sollten. Mit anderen Worten: auf der einen Seite muss den Jugendlichen die gesellschaftliche Relevanz räumlicher bzw. geographischer Fragestellungen bewusst gemacht werden, indem sie die Bedeutung ihres eigenen Handelns in ihrem alltäglichen Leben erfahren – bzw. erkennen sie diese bereits, was sich anhand der Inhalte, die sie in den Gruppendiskussionen behandeln, zeigen lässt. Auf der anderen Seite aber sollte auch die schulische Perspektive dahingehend intensiviert werden, damit die Lernenden die spezifisch geographischen Bildungswerte jener Problemstellungen erkennen und sie das Unterrichtsfach auch darüber definiert sehen; ohne, dass Geographie als Alltäglichkeit oder Banalität abgetan wird, die Alles und Nichts sein kann. Die vier Raumbegriffe sollten als durchgehendes Unterrichtsprinzip, und nicht allein in einer Doppelstunde oder Unterrichtsreihe umgesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass in jeder Unterrichtsstunde die Wechselwirkungen des physisch-materiellen und mentalen Raumes behandelt werden müssen, aber grundlegend der vielperspektivische Blick auf gesellschaftliche Phänomene eingestellt sein sollte. Diese hier zunächst allgemein formulierten Forderungen gehen nicht aus den Meinungen der Jugendlichen hervor, sondern ergeben sich aus einer distanzierten Betrachtung über den Zeitraum der gesamten Arbeit und lassen sich zudem mit anderen Erkenntnissen im Rahmen der Arbeit mit kognitiven Karten stützen (Haubrich 1992: 41). Das Potenzial einer Integration der vier Raumbegriffe als zugrundeliegendes Konzept von Geographieunterricht ergibt sich in der multiperspektivischen Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene und der Anregung eines kritischen Denkens, worauf die Jugendlichen nicht nur im (Geographie-)Unterricht, sondern vor allem auch in ihren alltäglichen Lebensvollzügen angewiesen sind – wie Applis (2012: 253) es formuliert: Es geht um »Identifikation und Distanzierung«. Die vier Komponenten Raumorientierung, Raumverständnis, Raumverhältnis und Raumverhalten, die als wesentlich in der Entwicklung eines geographischen Weltbildes gelten (Siegmund 2007: 106), machen einmal mehr deutlich, dass die Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen einen hoch komplexen Prozess und damit eine anspruchsvolle Aufgabe für den Geographieunterricht(-enden) darstellt.

404 | U RBANES R ÄUMEN

Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Jugendliche in der Sekundarstufe II bereits über die grundlegenden Kenntnisse i.S. der Raumorientierung (z.B. Kartenverständnis) verfügen, die stets aktualisiert werden sollten. In der Planung von Geographieunterricht sollte zudem grundlegend auf eine fachsprachliche Angemessenheit (i.S. einzelner Wörter als auch fachlicher Zusammenhänge) geachtet werden, denn besonders in der Artikulation von Meinungen müssen Wissensbestände korrekt formuliert sein, da eine Umschreibung nicht immer ein konkret aussprechbares Phänomen ersetzt. Innerhalb einer geographischen Fachsprache sollten demnach Begriffe wie Bedeutungszuweisung, mentale Räume sowie die vier Raumkonzepte nach Wardenga geläufig sein, wobei von einer Vokabelsammlung i.e.S. abzusehen ist. Das Einüben einer Fachsprache hat einen weiteren Grund. »Für unsere Wahrnehmung von Ausschnitten der Wirklichkeit sind Begriffe und Konzepte wesentliche Denkhilfen und Strukturierungshilfen.« (Kaminske 1995: 20) Mithilfe von Begriffen werden uns Erfahrungen erst als solche zugänglich, nehmen wir diese wahr, wobei an jeden Begriff wiederum unterschiedliche Bedeutungen geknüpft werden. Diese werden dann zu Konzepten erweitert, die schließlich ein tieferes Verständnis für eigenes und anderes Handeln erlauben (ebd.: 21). Nach Birkenhauer (2005: 43f.) kann dies auf unterschiedlichen Wegen angeleitet werden. Entscheidend ist das Produzieren von Nähe, indem den Lernenden die den geographischen Sachverhalten zugrundeliegenden Kontexte verdeutlicht werden; sie also ein Hintergrundwissen1 erhalten. Konkretisierung sowie das Schaffen emotionaler Bezüge können außerdem zu einem tieferen Verständnis von Fachbegriffen i.w.S. dienen. Der Perspektivenwechsel als ganz grundlegendes Prinzip eines kritischreflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen erweist sich in der Hinsicht als ergiebig, da die Jugendlichen über ihn nicht nur lernen, sich in andere Personen oder Situationen hineinzuversetzen, sondern auch die Fähigkeit einüben, Unausgesprochenes mitzudenken und eigenes Denken zu hinterfragen. Dass dies nicht der Verschulung, sondern der Übung bedarf, wurde bereits an anderer Stelle festgehalten. Der Perspektivenwechsel wird als allgemein organisational-strukturelle Konsequenz formuliert; kann aber auf einer kleineren Ebene je spezifisch umgesetzt werden (z.B. Lokal- und Globalebene, etc.). Bereits typenspezifisch formuliert ergibt sich dann besonders für die Schülertypen 1-3 die Notwendigkeit des Einübens der wechselseitigen Perspektivenübernahme; Schülertypus 4 ließ dies bereits in Ansätzen erkennen, sollte aber weiterhin diese Dritte-PersonPerspektive hinterfragen lernen.

1

Vgl. dazu auch die Gruppendiskussion Herbst blau.

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 405

Sowohl in der Planung als auch der Durchführung des Unterrichtsarrangements erwies sich der konzeptionelle Dreischritt als hilfreich. Im Aufbau der Unterrichtsstunden kann damit durchaus flexibel umgegangen werden und die einzelnen Phasen mehr oder weniger stringent aufeinander folgen. Wichtig ist es, die Phasen der Re-, De- und Konstruktion als Strukturelemente zu berücksichtigen, da letztlich auch die Lehrkraft – konkret wurde dies im Anschluss als individuelle Reflexion der Unterrichtserfahrung geäußert – eine Hilfe zur Strukturierung an die Hand bekommt. Aus den Orientierungen der Jugendlichen an einer Abgrenzung kann abgeleitet werden, dass sich ein Wechsel zwischen Abstraktion und Konkretisierung als förderlich erweist, um bspw. eigene Sichtweisen mit allgemeineren Tendenzen zu vergleichen sowie abstrakte Entwicklungen für das eigene Leben viabel zu machen (»kleine Erzählung«/»große Erzählung«, vgl. Rhode-Jüchtern 2006b). Dass das nicht einfach so funktioniert, sollte ersichtlich sein. Vielmehr sollten den Jugendlichen dabei Hilfestellungen gegeben werden, über die ein solcher Wechsel in der Einstellung angeleitet werden kann (z.B. Merksätze). Gestützt wird diese Forderung durch die Annahme, dass kognitive Karten sowohl bildlich als auch semantisch in unserem Gehirn gespeichert sind (Hellbrück/Kals 2012: 28f.). Daraus folgt konkret, dass Jugendliche in der Aneignung von Räumen sowohl auf allgemeines Wissen über Gegenstände i.w.S. (semantisch) als auch konkretere Informationen (visuell-räumlich) zurückgreifen: »Werden wir beispielsweise nach dem Aussehen unseres Wohnhauses gefragt, so wissen wir, dass es allgemeine Merkmale, wie Wände, Türen, Fenster und ein Dach, hat und besondere, wie beispielsweise grüne Fensterläden aus Holz. Für die Angabe der genauen Anzahl der Fenster, müssen wir uns jedoch das Haus bildlich vorstellen, im Geist um es herum gehen und die Fenster abzählen.« (Ebd.: 29)

Gleichzeitig lässt sich daraus schließen, dass neben den harten Fakten auch solche der ästhetisch-sinnlichen Wahrnehmung angesprochen und geschult werden müssen, damit sich Jugendliche Räume vorstellen und aneignen können (s.u.). Aus der ökologischen Psychologie lässt sich die Einsicht auf den vorliegenden Kontext übertragen, dass Raumwahrnehmung erst über persönliche Betroffenheit – und nicht Wissen per se – handlungswirksam werden kann (Hübner 2014: 6). Das bedeutet, dass Unterrichtsthemen zu räumlichen Fragestellungen entweder inhaltlich oder auch methodisch betroffen machen sollten, um eine Auseinandersetzung der Jugendlichen damit anzuleiten. Bei aller Planung und Durchführung – auch das wurde aus den geäußerten Erfahrungen der Jugendlichen ersichtlich – muss besonders eine Transparenz

406 | U RBANES R ÄUMEN

unterrichtlicher Entscheidungen gewährleistet sein. Neben der Verdeutlichung von Inhalten und Zielen sollten die Lernenden darüber hinaus vor allem auch zugrundeliegende Überlegungen sowie Strukturen erläutert bekommen, die zwar der Lehrkraft logisch, den Jugendlichen aber noch nicht offensichtlich werden (»roter Faden«). Auch kleinere Arbeitsschritte sollten sowohl von der Lehrkraft, aber auch den Lernenden selbst, kommentiert werden dürfen (z.B. Wann erfolgt der Schritt der Rekonstruktion, was ist damit gemeint). In Anlehnung an die bereits angesprochene Grenzziehung zwischen dem Allgemeinen und Konkreten muss es auf einer kleineren Ebene auch darum gehen, die Jugendlichen eine Grenzziehung zwischen Schule i.e.S. und ihrem Alltag vornehmen zu lassen (z.B. über Aufgabenstellungen), um die Geographien ihres eigenen Lebens bewusst und eben in Abgrenzung zu anderen Interaktionsräumen (z.B. Schule) zu erfahren. Durch die eigene Erfahrung ihrer (Ohn)Macht, z.B. in kleineren Aktionen, die die Jugendlichen selbst planen und durchführen, lernen sie grundsätzlich, wie eigene Meinungen mit anderen überhaupt verglichen werden können, um wiederum eigene Sichtweisen kritisch zu hinterfragen. Damit erfahren die Jugendlichen eine andere als die Bestätigung der Lehrkraft oder anderer Mitschüler, sondern können dies auch in einem allgemeineren Rahmen (z.B. im öffentlichen Raum) in sozialen Kontexten erleben. Im Sinne eines erfahrungsbasierten Lernens in Anlehnung an Kolb (vgl. Kap. 3.2) spielt also die konkrete (Alltags-)Erfahrung eine große Rolle, da erst über den Prozess der Transformation eigener Erfahrungen Wissen hergestellt wird und dieses in neuen Kontexten erprobt werden kann (Kolb 1984: 41). Gleichzeitig sollen die Jugendlichen die Möglichkeit erhalten, auch experimentelle Annäherungen an geographische Fragestellungen zu testen, die wiederum nicht von allein entstehen, sondern über die Vermittlung grundlegender epistemologischer und ontologischer Bausteine begreifbar werden. Denn nicht nur Vulkane und Wolken sowie Karten- und Diagrammauswertung machen einen Geographieunterricht aus. Das meint auch, den Jugendlichen zusätzliche Medien anzubieten, mittels derer sie die Weisen der Raumkonstruktion erkennen und hinterfragen können. Auch eine Sensibilität für die kleineren Geofaktoren (z.B. Lärm, Licht, Musik, usw.) sollte von der Lehrkraft angeleitet werden. Gerade auch spielerische Zugänge erlauben den Jugendlichen eine kreative Annäherung an komplexe Themen, ohne die Angst vor einem Scheitern zu haben (vgl. Kap. 2.3.2). Lernen findet nicht in einem abgegrenzten Schutz- sondern einem Schonraum statt. Natürlich steht hier auch stets die Lehrkraft in der Pflicht, solche Prozesse zu ermöglichen und anzuleiten. Das Aushandeln von Vielperspektivität findet idealerweise in authentischen Kontexten und situiert statt, das heißt, in der Auseinandersetzung in Gruppen, in

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 407

denen die Jugendlichen die Möglichkeit haben, eigene Meinungen darzustellen (oder auch zurückzuhalten) und diese gemeinsam zu verhandeln. Geachtet werden sollte darauf, dass auch konfliktreiche Themen behandelt werden, in denen es möglicherweise nicht nur eine richtig Lösung gibt – wo die Lernenden aber besonders zugrundeliegende Denkmuster reflektieren und abgleichen müssen. Das Arbeiten in multiplen Kontexten setzt geradezu Reflexivität voraus, indem die Jugendlichen auf der einen Seite Abstand nehmen von eigenen Sichtweisen, um diese erst erkennen und reflektieren zu können. Und das bedeutet auch, unbequeme Lösungen zu präferieren als die Jugendlichen in unbefriedigenden Ungewissheiten verbleiben zu lassen – was als besonders gefürchtet in der Neuen Kulturgeographie gilt. »Es hilft uns nicht weiter, Prinzipienlosigkeit zum Prinzip zu erklären! Das Problem der Wünschbarkeit von bestimmten Kenntnissen, Einsichten, Haltungen und schließlich Verhalten [...] kann man nicht dadurch unterlaufen, daß man es in die Beliebigkeit postmodernen ›Plauderns‹ über individuelle ›Sprachspiele‹ verweist.« (Schrand 1993: 22)

Insgesamt geht es darum, einen – und das stellt kein Novum in der Schulpraxis dar – binnendifferenzierten Geographieunterricht umzusetzen, der sich in besonderer Weise als subjekt- und handlungszentriert darstellt und in dem die Vorstellungen der Jugendlichen Berücksichtigung finden. Die Jugendlichen sollten ein Recht darauf haben, eigene Lebenswirklichkeiten auch im Geographieunterricht äußern zu dürfen. »Eine Beachtung der häufig übersehenen und missachteten Erfahrungsvielfalt heterogener Schüler/-innen vermag den Unterricht durch bislang übersehene Perspektiven zu erweitern, Engagement und Lernzufriedenheit der Jugendlichen zu fördern und zu einer Bereicherung der Lernergebnisse zu führen.« (Schmidt-Wulffen 2008: 84) Dadurch kann auch ihrem besonderen Anspruch einer Leistungsorientierung gerecht werden. 7.1.2 Typenspezifische Formulierung erster Annahmen und Hilfestellungen für den Geographieunterricht Im Grunde erlaubt die hier vorgenommene Typenbildung keine pauschalen Handlungsempfehlungen für schulischen Unterricht, da sich die unterschiedlichen idealtypischen Schülertypen in der spezifischen Auseinandersetzung der Gruppendiskussionen rekonstruieren ließen. Mit anderen Worten können kollektive Orientierungen nicht an den einzelnen Schüler herangetragen werden. Dennoch werden nun einige typenspezifische Konsequenzen aus den Ergebnissen abgeleitet, die sich für einen kritisch-reflexiven Geographieunterricht als

408 | U RBANES R ÄUMEN

hilfreich ergeben. Zusammengefasst werden die Konsequenzen in allgemeiner sowie typenspezifischer Formulierung in Abbildung 16. Hingewiesen sei darauf, dass kein komplettes Ausfüllen aller Spalten möglich ist, da sich hieraus oft nur Tendenzen ergeben, die z.T. auch in Anlehnung an die Unterteilung in räumlichrekonstruierende und räumlich-dekonstruierende Schülertypen stattfindet. Die typenspezifischen Formulierungen werden jeweils unter den allgemeinen (fett hervorgehobenen) Konsequenzen formuliert. Dabei sind sie von links nach rechts jeweils für den tradierenden, konventionalisierenden, emanzipierenden und opponierenden Schülertypus zu lesen. Abbildung 16: Zusammenfassung didaktisch-methodischer Konsequenzen zur Anbahnung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Raumkonstruktionen

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 409

Anzumerken ist hierbei, dass auch die typenspezifischen geographiedidaktischen Konsequenzen eher überspitzt formuliert werden, um aufzuzeigen, an welchen Stellschrauben angesetzt werden kann, um Prozesse der Raumaneignung zu intensivieren bzw. in eine andere Richtung zu lenken. Es geht dabei nicht darum, die Jugendlichen in ihren Weisen des Weltzugangs zu manipulieren, aber ihnen Hilfestellungen zu bieten, um ein Weltbild auszubilden, welches ihnen auch in variablen Kontexten Orientierung bietet. Deswegen scheint es weniger hilfreich bzw. äußerst heikel, bspw. das Aktivitätenfeld zu intensivieren, indem die Jugendlichen aufgefordert werden, mehr Wertschätzung der eigenen Stadt entgegen zu bringen. Hier bleiben die Geographielehrenden die zentrale Instanz zur Anbahnung differenzierter Erfahrungen, wobei auch sie nur einen Teil in diesem umfangreichen Prozess übernehmen können. Es geht deswegen weiterhin im Geographieunterricht darum, »[e]ine Verknüpfung von räumlichem Überblickswissen und praktischer Anwendbarkeit« (Kaminske 2006: 19) zu gewährleisten, so wie dies auch in der Raumbezogenen Handlungskompetenz formuliert wird.

7.2 K RITISCHE W ÜRDIGUNG , F ORSCHUNGSDESIDERATA UND ANKNÜPFUNGSPUNKTE FÜR DIE WEITERE F ORSCHUNG Einige abschließende Kommentare werden nun formuliert, indem nochmals auf die Grundzüge des Vorgehens rekonstruktiver Forschung eingegangen wird. Die dieser Arbeit zugrunde gelegten Kriterien sind eng mit dem Anspruch qualitativer Forschung verbunden, die das Handeln der Beforschten zu verstehen, nicht aber in objektivem Sinne zu messen versucht. Demzufolge lässt sich als Zusammenfassung festhalten (in Anlehnung an Hacke 2012: 152ff.): •



Theoretische Verankerung und Herleitung von Annahmen: In Kapitel 2 wurden grundlegende theoretische Wissensbestände zum Verständnis von Raum, Raumakteuren, Raumaneignung sowie einem kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen aufgearbeitet und dargestellt. Diese dienen der Herleitung des Unterrichtsarrangements sowie zur abschließenden Hypothesengenerierung im Zuge der Typenbildung. Verallgemeinerbarkeit: In nicht-objektivistischer Manier geht es der vorliegenden Untersuchung um das Herstellen einer Multiperspektivität anstelle von Objektivität (Muckel 1996: 73). Das bedeutet, dass – auch vor dem Hintergrund eines theoretical samplings – so viele Ausprägungen von Seiten der Jugendlichen wie möglich sowie Sichtweisen anderer

410 | U RBANES R ÄUMEN











Forschender in der Interpretation zu berücksichtigen sind (Validität), woraus sich das folgende Kriterium ergibt; Nachvollziehbarkeit: Der Forschende hat jene Kriterien und theoretischen Vorannahmen offenzulegen, die in die Interpretationen einfließen; gewährleistet wird dies u.a. durch bestehende Anleitungen bspw. zur Gesprächsführung in den Gruppendiskussionen, sodass trotz des Prozesscharakters qualitativer Forschung eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit auch für die Leser garantiert ist. Perspektiven der Beforschten: werden vor dem Hintergrund des Prinzips der Offenheit besonders berücksichtigt, wobei damit die Qualität der Daten zum einen abhängig von den Beforschten selbst ist, gleichzeitig aber auch der Forschende Einfluss auf das Vorgehen (s. Nachvollziehbarkeit) nehmen und Aussagen i.S. des Forschungsinteresses lenken kann. »Natürlichkeit der Kommunikation«: Im Prozess der Datenerhebung steht die ungezwungene Kommunikation der Jugendlichen im Vordergrund, die keine Meinungen, z.B. vom Interviewenden auferlegt bekommen; die Gruppendiskussionen finden als Form alltäglichen Handelns statt, und auch wenn dies im Kontext von Schule geschieht, zählt auch dieser zum Alltag allgemein, da die Jugendlichen in Realgruppen aufgeteilt werden. »Empirische Verankerung«: Das empirische Material sowie die intensiven Sequenzinterpretationen sind dokumentiert und erlauben einen Einblick in die Arbeitsschritte. Gleichzeitig bedeutet dies, dass Theorien (erst) aus dem empirischen Gegenstand selbst abgeleitet werden. Relevanz: Die Bedeutsamkeit der Forschung ergibt sich nicht allein aus dem Anlass der Untersuchung, wie in Kapitel 1.1 dargelegt, sondern über den gesamten Verlauf der Interpretationen, sodass sich auch neue Möglichkeiten sowie Ansätze weiterer Forschung daraus ableiten lassen.

Ein Ziel rekonstruktiver Verfahren besteht darin, sich hypothesengenerierend – nicht -überprüfend – dem Forschungsfeld zu nähern und dabei neue, vor allem aber empirisch gestützte Erkenntnisse aus der Sicht der Jugendlichen bzw. Lernenden zu erhalten. Gleichzeitig ist damit der Anspruch verbunden, eine notwendige Aufmerksamkeit und ein Bewusstsein für jene Fragestellungen zu generieren, und auch Themen, die sich darüber hinaus als relevant ergeben, in weitere Forschungen mit einzubeziehen.

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 411

Die Ergebnisse dieser Studie machen vor allem Folgendes deutlich: 1. Es ist bemerkenswert zu sehen, wie die Jugendlichen Lernen als Aneignung von Welt im Wechselspiel eigener und anderer Auffassungen (i.S. Wilhelm von Humboldts) konzipieren. Das heißt, sie tun dies selbst, oftmals unbewusst, weswegen es gilt, diese Modi der Raum- bzw. Weltaneignung spezifischer auszudifferenzieren und den Lernenden vor allem solche Prozesse bewusst zu machen. Die Relevanz geographischer (Aus-)Bildung sollte im Abgleich zwischen schulischem und Freizeitbereich der Jugendlichen hervorgehoben werden, damit sie verstehen, dass auch geographische Fragestellungen für ihr eigenes Geographienmachen von Bedeutung ist. 2. Auffällig ist zum anderen, dass die Jugendlichen in ihrer Auseinandersetzung kaum auf die Rolle der Medien Bezug nehmen (außer Schülertypus 1), obwohl diese in der Jugendsoziologie als ein entscheidendes Orientierungsmerkmal beschrieben werden. Gründe hierfür können am Ende lediglich gemutmaßt werden; sei es, dass den Jugendlichen die (neuen) Medien nicht so viel bedeuten, dass sie diese in den Gruppendiskussionen nicht erwähnen; sei es, dass diese gar so alltäglich sind, dass ein Bezug darauf als weniger wichtig erachtet wurde. Dieser Aspekt kann in weiteren Forschungen aufgenommen werden, um zu schauen, welche Rolle die Mediennutzung in der Raumaneignung und den Raumkonstruktionen der Jugendlichen spielt. 3. Zweifelsohne bleibt der Kontext, in dem der Unterricht als auch die Gruppendiskussionen stattgefunden haben, ein dezidiert schulischer. Letztlich muss sich vor Augen geführt werden, dass auch dieser die Jugendlichen in ihrer Meinungsäußerung beeinflusst, und sie bspw. auch einer fremden Person gegenüber gewisse andere Handlungsweisen zeigen. Dies wurde jedoch in den Fallbeschreibungen der einzelnen Gruppen (vgl. Kap. 6.1) berücksichtigt. Auch soll hier nochmals betont werden, dass aus methodologischer Sicht grundlegende Handlungsmotive als so stabil, d.h. homolog konzipiert werden, dass sich ein Habitus auch an anderen Handlungsweisen – in diesem Falle im Kontext schulischer Meinungsäußerung – aufzeigen lässt. 4. Die Relevanz der Studienergebnisse, d.h. der Rekonstruktion der Orientierungen der Jugendlichen als Modi ihrer Raumaneignung zeigt sich dahingehend, dass erst über die Bedeutungen, die sie den Prozessen der Raumaneignung zuweisen, erklärbar wird, aufgrund welcher spezifischen Muster sie in verschiedenen Kontexten handeln. Ohne bereits vorgefertigte Erklärungen oder Antwortmöglichkeiten an sie heranzutragen, wird ausgehend von den Orientierungen der Jugendlichen Handeln erklärbar und kann als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen.

412 | U RBANES R ÄUMEN

Kritisch reflektiert werden muss am Ende der Arbeit, dass auch diese in ihrer Form gewisse Schwerpunktsetzungen vornimmt und aber in diesem Umfang auch nicht auf alle bspw. nur angedeuteten Themen eingehen kann. So ergeben sich die rekonstruierten Schülerorientierungen als kollektive Orientierungen, die letztlich nicht an einzelnen Jugendlichen festzumachen sind, da diese im Prozess der Aushandlung in den Gruppendiskussionen rekonstruiert wurden. Doch auch wenn wir davon ausgehen, dass sich jedes Kind, jeder Lernende, jeder Jugendliche und jeder Erwachsene die Welt unterschiedlich aneignet und je spezifische Erfahrungen macht – »Es gibt nur individuelle Entwicklungen« (Hansen 1965: 23 [Herv.i.O.]) – dann erweist sich dieses Vorgehen im Rahmen dieser Forschungsanlage dennoch als gewinnbringend, da auf individuelle Erfahrungen Rücksicht genommen wird, indem diese in den Gruppendiskussionen geäußert und im Auswertungsschritt der formulierenden Interpretation berücksichtigt werden. In Form einer Verallgemeinerung werden sie besonders für (Geographie-)Lehrende greifbar und verständlich. Schließlich findet auch Raumaneignung als solcher Prozess über die Schule hinausgehend nie allein und abgegrenzt von anderen Einflussfaktoren statt; sind Erfahrungen zwar individuell, aber immer auch kollektiv. Zudem unterliegt jegliche Forschung mit Kindern und Jugendlichen, besonders im Kontext von Schule, einer Anfälligkeit gegenüber ungeplanten, unplanbaren Einflüssen. Diese können nicht alle ausgeschaltet, doch aber zumindest kritisch in die Überlegungen einbezogen werden. Hierzu zählen u.a. das Fehlen von Jugendlichen im Unterricht, die demzufolge nicht auf eine komplette Übersicht über die vermittelten Inhalte zurückgreifen können; die Unplanbarkeit der jeweiligen methodischen Umsetzungen der Lehrperson, die möglicherweise relevant erscheinende Inhalte auslässt; zeitliche Verschiebungen, z.B. durch Schulferien sowie weitere den Unterricht beeinflussende Faktoren wie Wetter, persönliche Stimmungen, Stress usw. Insgesamt jedoch muss festgehalten werden, dass die methodische Anlage dieser Arbeit zumindest in Teilen darauf reagiert, indem bspw. das Unterrichtsarrangement als solches nur als Anreiz zur erfahrungsbasierten Auseinandersetzung damit anleiten soll; nicht aber versucht, Lernprozesse und -effekte daran nachzuzeichnen. Auf den Einwand einer sprachlichen Begrenztheit soll hier noch einmal eingegangen werden. Das bedeutet, dass Jugendliche bspw. in den Gruppendiskussionen nicht oder nur wenig sprechen, bzw. ihnen vielleicht auch die sprachlichen Mittel und Ausdrucksweisen fehlen, um sich ihrem Anspruch nach angemessen auszudrücken. Dieser Umstand kann nicht vollständig umgangen werden. Doch auf der einen Seite wird in der Interpretation der Gruppendiskussionen neben dem inhaltlichen Gehalt auch auf die diskursive, d.h. formale Struktur

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 413

eingegangen, die auf Inhalte letztlich nicht angewiesen ist, da hier v.a. danach geschaut wird, wie die Jugendlichen aufeinander Bezug nehmen und ein Thema aushandeln. In extremen Fällen werden aber auch Gruppendiskussionen, in denen sich die Gesprächsteilnehmer ganz und gar nicht äußern möchten, aus dem Sampling herausgenommen. Aus dem Bewusstsein um die Ausschnitthaftigkeit, d.h. die auf einen bzw. wenige Aspekte fokussierte Forschungsfrage der vorliegenden Studienergebnisse ergeben sich weitere Fragestellungen und Anknüpfungspunkte, die in darüber hinausgehenden Forschungen als lohnend zu bearbeiten erachtet werden. Diese sollen hier stichpunktartig zusammengefasst werden. •





Mobilität & Fortbewegung: Fragen der Mobilität und Fortbewegung könnten in weiteren Untersuchungen zu einem kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen untersucht werden, da die konkrete Bewegung im Raum (vor Ort) einen entscheidenden Einfluss auf die Raumwahrnehmung und damit die Modi der Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen hat. Wie verändern Erfahrungen in Räumen die Fähigkeit eines vielperspektivischen Denkens und Urteilens über Räume? Ließe sich das auf andere (räumliche) Kontexte übertragen? Intelligenz: Ein ganz wesentlicher, im vorliegenden Fall aber nicht erhobener Faktor in der Raumaneignung Jugendlicher stellt der Einfluss der Intelligenz, verstanden als spezifische Fähigkeit des abstrakten und vernünftigen Denkens i.e.S. dar, wobei hier die jeweiligen individuellen Erfahrungen nicht berücksichtigt werden. Eignen sich Jugendliche mit einem hohen IQ-Wert Räume anders an? Welche Tests müssten hierzu im Vorfeld durchgeführt werden? Rolle der Sprache und Bilder: Lohnend erscheint eine spezifischere Forschung zu dezidiert sprach- und bildbezogenen Regionalisierungen, um zu erkennen, welche Bedeutung Sprache und visuelle Informationen im Prozess der Raumwahrnehmung und -aneignung für die Jugendlichen besitzen, denn oftmals werden zwar Anleitungen und Arbeitsschritte bspw. zum Umgang mit Bildern oder der Auswertung von Karikaturen im Geographieunterricht gegeben; diese aber nicht hinsichtlich der mentalen Verarbeitungsprozesse und Voraussetzungen der Lernenden selbst untersucht (Huber/Stallhofer 2010: 224). Hierfür könnten ganz wesentliche Anregungen aus der Germanistik sowie der Sprachpsychologie und der Kunstpädagogik genutzt werden. Inwiefern kann Sprache bspw. das Denken über Räume tatsächlich beeinflussen? Sollte es gar um die spezifische Förderung einer Räumlichen Methodenkompetenz i.e.S. gehen?

414 | U RBANES R ÄUMEN









In einem größeren Kontext wäre zudem auch der Einfluss des Verständnisses von Geographie der Jugendlichen auf ihre räumlichen Artikulationsweisen zu untersuchen. Auswertung der Portfolios: Vorstellbar wäre zudem eine Erweiterung des methodischen Vorgehens, indem in die Auswertung der Gruppendiskussionen auch die Arbeiten der Jugendlichen aus ihren p.art.folios (künstlerischen Portfolios) einbezogen würden, in denen sie jeweils die eigenen Raum-Konstruktionen übertragen haben. Im Ansatz wurde dies bereits mit den Ergebnissen aus den Vorstudien unternommen (nach der dokumentarischen Bildinterpretation), was auf durchaus spannende Erkenntnisse hindeutet. Was zeigt sich demnach in den nonverbalen RaumKonstruktionen der Jugendlichen? Aspekte der Umweltpsychologie: Unter einer anderen Schwerpunktsetzung könnten Ergebnisse bzw. Forschungslücken lohnend mit Erkenntnissen der Umweltpsychologie verbunden werden, die sich der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den Menschen, d.h. ihren Handlungen und der sie umgebenden Umwelt widmet. Damit wäre ein Zugang zu vielfältige(re)n Einflussfaktoren auf die Raumwahrnehmung und -konstruktion möglich. Welche dieser sind bspw. jugendspezifisch? Konfrontation mit eigenen/anderen Meinungen: Die Möglichkeit, den Jugendlichen Zitate ihrer eigenen oder aus anderen Gruppen zu präsentieren und diese diskutieren zu lassen, erweist sich als ebenso spannend. Zudem könnten den Jugendlichen selbst auch die Ergebnisse der Studie vorgelegt werden, um diese im Abgleich mit den eigenen Wahrnehmungen zu reflektieren. Inwiefern könnten diese Ergebnisse wiederum für die weitere Arbeit an einem kritisch-reflexiven Umgang mit Raumkonstruktionen im Geographieunterricht genutzt werden; ließen sich Typen eventuell bestätigen und verfeinern? Genderaspekt: Weitere Forschungen könnten sich mit dem Einflussfaktor des Geschlechts sowie weiteren sozialen Erfahrungsräumen der Jugendlichen auseinandersetzen, da – wie in Kapitel 3.2 dargelegt – Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der materiellen Aneignung von Räumen nachgewiesen werden können. Haben Jungen und Mädchen eine andere Vorstellung von Räumen und wenn ja, woran lässt sich das wiederum zeigen?

Abschließend soll in Form eines kurzen Plädoyers die Bedeutsamkeit der vorliegenden Erkenntnisse noch einmal pointiert dargelegt werden. Es geht nicht darum, die Jugendlichen ständig aufzufordern in Räume eingreifen, noch sie stän-

Z USAMMENFASSUNG

UND

D ISKUSSION DER E RGEBNISSE | 415

dig reflektieren zu lassen, noch dass ihnen gar Weisen der Raumaneignung bspw. im öffentlichen Raum gefallen und sie daran partizipieren müssen, sondern sie dafür zu sensibilisieren, was und vor welchem Hintergrund etwas in der sie umgebenden Umwelt passiert, um ein Bewusstsein dafür sowie die Bereitschaft zum konkreten Handeln in der Zukunft anzuleiten. Hierfür ist es zentral, dass sich in weiteren Forschungen intensiv und vor allem subjektzentriert mit den Voraussetzungen für räumliches Denken der Jugendlichen auseinandergesetzt wird. Die dokumentarische Methode erweist sich in dieser Hinsicht als wertvoll, da über eine Rekonstruktion handlungsleitender Orientierungen ganz wesentliche Bedingungen für Unterricht herausgestellt werden können, ohne, dass bis in die kleinsten psychologischen Ecken vorgedrungen werden muss. In den Worten des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry ausgedrückt, versteht sich die Studie auch wie folgt: Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. Das bedeutet, dass ein kritisch-reflexiver Umgang mit Raumkonstruktionen besonders eines intrinsischen Bewusstseins und eigener Motivation bedarf, die über die Betonung der eigenen Geographien der Jugendlichen ganz wesentlich berücksichtigt werden können. Das übergeordnete Ziel von Geographieunterricht – einer Raumbezogenen Handlungskompetenz – versteht sich dann auch als Anleitung von Partizipation; einer Partizipation an den Räumen, um nicht nur in, sondern mit ihnen zu leben; damit Jugendliche selbst (und -bewusst) alltäglich Geographien machen.

Literatur

Adamek-Schyma, Bernd (2008): »Psychogeographie heute: Kunst, Raum, Revolution?«, in: ACME: An International E-Journal for Critical Geographies 7(3), S. 407-432. Adams, Eileen (1989): »Learning to See«, in: Children’s Environments Quarterly 6(2/3), S. 42-48. Agnew, John A. (2011): »Space and Place«, in: John A. Agnew/David N. Livingstone (Hg.), The SAGE Handbook of Geographical Knowledge, London: Sage, S. 316-330. Ahrens, Gerd-Axel (2006): Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen. FIS Mobilität und Verkehr vom 24.05.2006. http://www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/194679/ (letzter Zugriff: 03.01.2015). Ahrens, Daniela (2009): »Jenseits medialer Ortslosigkeit: Das Verhältnis von Medien, Jugend und Raum«, in: Tully, Multilokalität und Vernetzung, S. 2740. Aissen-Crewett, Meike (2000): Ästhetisch-aisthetische Erziehung. Zur Grundlegung einer Pädagogik der Künste und der Sinne, Potsdam: Universitätsverlag Potsdam. Amos, Ruth/Reiss, Michael (2012): »The Benefits of Residential Fieldwork for School Science: Insights from a five-year initiative for inner-city students in the UK«, in: International Journal of Science Education 34(4), S. 485-511. Applis, Stefan (2012): Wertorientierter Geographieunterricht im Kontext Globales Lernen. Theoretische Fundierung und empirische Untersuchung mit Hilfe der dokumentarischen Methode, Weingarten: Selbstverlag des Hochschulverbandes für Geographie und ihre Didaktik. Arbeitsgruppe Curriculum 2000+ der Deutschen Gesellschaft für Geographie (2002): Curriculum 2000+. Grundsätze und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Fach Geographie, Bonn: Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie.

418 | U RBANES R ÄUMEN

Arnreiter, Gerhard/Weichhart, Peter (1993): »Rivalisierende Paradigmen im Fach Geographie«, in: Gerhard Schurz/Paul Weingartner (Hg.), Koexistenz rivalisierender Paradigmen. Eine post-kuhnsche Bestandsaufnahme gegenwärtiger Wissenschaft, Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 5385. Asbrand, Barbara (2010): Dokumentarische Methode. Online Fallarchiv Uni Kassel. Siehe http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/lernumgebung/dokumentarische-methode/ (letzter Zugriff: 27.11.2014) Asbrand, Barbara/Nohl, Arnd-Michael (2013): »Lernen in der Kontagion: Interpretieren, konjunktives und aktionistisches Verstehen im Aufbau gegenstandsbezogener Erfahrungsräume«, in: Peter Loos/Arnd-Michael Nohl/ Aglaja Przyborski/Burkhard Schäffer (Hg.), Dokumentarische Methode. Grundlagen – Entwicklungen – Anwendungen, Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, S. 155-169. Augé, Marc (1994): Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt a.M.: Fischer. Augustin, Kersten (2014): »Wider die neoliberale Umstrukturierung der Städte«, in: Zeit Online vom 28.01.2014. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-01/kommentar-tempelhofer-feld (letzter Zugriff: 20.11.2014). Bachmann-Medick, Doris (2009): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag. Balster, Klaus (1999): »Förderung der Voraussetzungen schulischer Fertigkeiten. Teil 10: Raumwahrnehmungen (I)«, in: Förderschulmagazin 21(1), S. 7-8. Barricelli, Michele (2005): Schüler erzählen Geschichte. Narrative Kompetenz im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag. Barker, John/Weller, Susie (2003): »›Never work with children?‹: the geography of methodological issues in research with children«, in: Qualitative Research 3(2), S. 207-227. Bauer, Itta (2006): »Jugendgeographien als Schlüssel für eine handlungstheoretisch informierte Unterrichtspraxis?«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 91121. Bauer, Itta (2010): Jugendgeographien. Ein subjekt- und handlungsorientierter Ansatz in Theorie und Praxis (= Praxis Neue Kulturgeographie, Band 7), Berlin: LIT-Verlag. Bauer, Thomas K./Gigerenzer, Gerd/Krämer, Walter (2014): Warum dick nicht doof macht und Genmais nicht tötet. Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik, Frankfurt a.M.: Campus.

L ITERATUR | 419

Bauer, Itta/Landolt, Sara (2013): »Das kann man aber auch anders sehen! Bedeutungswandel und Subjektivität von Stadträumen«, in: Geographie heute 311/312, S. 31-39. BBSR (2013a): Jugend.Stadt.Labor – Veröffentlichungen. Siehe http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschungsfelder/2013/ JugendStadtLabor/01_Start.html?nn=419198¬First=true&docId=716908 (letzter Zugriff: 20.10.2014) BBSR (2013b): Jugend.Stadt.Labor – Konzept. Siehe http://www.bbsr.bund.de/ BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschungsfelder/2013/JugendStadtLabor/01_Start.ht ml?nn=430172¬First=true&docId=564212 (letzter Zugriff: 20.10.2014) BBSR (2013c): Jugend.Stadt.Labor (Startseite). Siehe http://www.bbsr.bund.de /BBSR/DE/FP/ExWoSt/Forschungsfelder/2013/JugendStadtLabor/01_Start. html (letzter Zugriff: 20.10.2014) Becker, Gerold (1997): »Pädagogik in Beton. 10 kommentierte Thesen und 3 Prinzipien zum Schulbau«, in: Becker/Bilstein/Liebau, Räume bilden, S. 209-217. Becker, Eve-Marie (2012): Kanon in Konstruktion und Dekonstruktion. Kanonisierungsprozesse religiöser Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin: De Gruyter. Becker, Gerold/Bilstein, Johannes/Liebau, Eckart (1997): Räume bilden. Studien zur pädagogischen Topologie und Topografie, Seelze-Velber: Kallmeyer. Becker, Gerold/Bilstein, Johannes/Liebau, Eckart (1997a): »Räume bilden«, in: Becker/Bilstein/Liebau, Räume bilden, S. 9-16. Bee, Andreas (o.J.): Francis Alÿs. Time is a trick of the mind, 1998. The Nightwatcher 1, 1997-99. Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main. Online verfügbar. Beermann, Matthias/Stempel, Philipp (2009): »Ihre wichtigsten Sätze. Was Obama mit seiner Rede wirklich meinte«, in: RP Online vom 21.01.2009. http://www.rp-online.de/politik/ausland/us-wahlen/was-obama-mit-seinerrede-wirklich-meinte-aid-1.2301754 (letzter Zugriff: 24.11.2014). Belina, Bernd/Dzudzek, Iris (2009): »Diskursanalyse als Gesellschaftsanalyse. Ideologiekritik und Kritische Diskursanalyse«, in: Glasze/Mattissek, Handbuch Diskurs und Raum, S. 128-152. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt a.M.: Fischer. Bergmann, Malte/Lange, Bastian (Hg.) (2011): Eigensinnige Geographien. Städtische Raumaneignungen als Ausdruck gesellschaftlicher Teilhabe, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

420 | U RBANES R ÄUMEN

Berking, Helmuth/Löw, Martina (Hg.) (2008): Die Eigenlogik der Städte: Neue Wege für die Stadtforschung (= Interdisziplinäre Stadtforschung, Band 1), Frankfurt a.M./New York: Campus. Berndt, Christian/Pütz, Robert (2007): Kulturelle Geographien. Zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn. Bielefeld: transcript Verlag. Berndt, Christian/Pütz, Robert (2007a): »Kulturelle Geographien nach dem Cultural Turn«, in: Berndt/Pütz, Kulturelle Geographien, S. 7-25. Best, Joel (2010): Tatort Statistik. Wie Sie zweifelhafte Daten und fragwürdige Interpretationen erkennen, Heidelberg: Spektrum Akad. Verlag. Biehler, Christine (2004): »ein – räumen – aus – reizen. Bildhauerische Maßnahmen am Ort und für den Ort«, in: Joachim Kettel (Hg.), Künstlerische Bildung nach Pisa. Beiträge zum Internationalen Symposium »Mapping Blind Spaces. Neue Wege zwischen Kunst und Bildung«, Oberhausen: ATHENA-Verlag, S. 304-313. Biehler, Dawn D./Simon, Gregory L. (2011): »The Great Indoors: Research frontiers on indoor environments as active political-ecological spaces«, in: Progress in Human Geography 35(2), S. 172-192. Billmann-Mahecha, Elfriede/Gebhard, Ulrich (2014): »Die Methode der Gruppendiskussion zur Erfassung von Schülerperspektiven«, in: Dirk Krüger/Ilka Parchmann/Horst Schecker (Hg.), Methoden in der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung, Berlin/Heidelberg: Springer Spektrum, S. 147-158. Birkenhauer, Josef (1996): »Topographisches Mindestwissen – Orientierung als grundlegende Aufgabe des Erdkundeunterrichts«, in: Praxis Geographie 26(7-8), S. 38-42. Birkenhauer, Josef (2005): »Sprache und Begrifflichkeit im Geographieunterricht«, in: Praxis Geographie 25(1), S. 43-44. Birkenhauer, Josef (2007): »Der Raum um uns«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 41-55. Bischoff, Werner (2007): Nicht-visuelle Dimensionen des Städtischen. Olfaktorische Wahrnehmung in Frankfurt am Main, dargestellt an zwei Einzelstudien zum Frankfurter Westend und Ostend, Oldenburg: BIS-Verlag der Carlvon-Ossietzky-Universität. Blank, Katharina (2001): Was ist der linguistic turn für wen? Reflexionen zum Verhältnis von Critical Theory und Literatur- und Geisteswissenschaft. Siehe http://www.gradnet.de/papers/pomo99.papers/Blank99.htm (letzter Zugriff: 27.06.2014)

L ITERATUR | 421

Blotevogel, Hans Heinrich (2003): »›Neue Kulturgeographie‹ – Entwicklung, Dimensionen, Potenziale und Risiken einer kulturalistischen Humangeographie«, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 77(1), S. 7-34. Blumer, Herbert (1973): »Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus«, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. 1. Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 80146. BMVBS (2012): Jugendfonds als Instrument der Stadtentwicklung. Siehe http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/Sonderveroeffentlichungen/2012/Jugendfonds.html (letzter Zugriff: 20.11.2014) Bohnsack, Ralf (2007): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 6. überarbeitete und erweiterte Auflage, Opladen: Budrich. Bohnsack, Ralf (2011): »Dokumentarische Methode«, in: Bohnsack/ Marotzki/Meuser, Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung, S. 40-44. Bohnsack, Ralf (2013): »Typenbildung, Generalisierung und komparative Analyse: Grundprinzipien der dokumentarischen Methode«, in: Bohnsack/ Nentwig-Gesemann/Nohl, Die Dokumentarische Methode und Ihre Forschungspraxis, S. 241-270. Bohnsack, Ralf/Marotzki, Winfried/Meuser, Michael (2011): Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung, Opladen: Budrich. Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arndt-Michael (20072): Die Dokumentarische Methode und Ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS. Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arndt-Michael (20133): Die Dokumentarische Methode und Ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS. Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arndt-Michael (2013a): »Einleitung: Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis«, in: Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl, Die Dokumentarische Methode und Ihre Forschungspraxis, S. 9-27. Bonnet, Andreas (2009): »Die Dokumentarische Methode in der Unterrichtsforschung. Ein integratives Forschungsinstrument für Strukturrekonstruktion und Kompetenzanalyse«, in: ZQF 10(2), S. 219-240. Boroditsky, Lera (2012): »Wie die Sprache das Denken formt«, in: Spektrum Wissenschaft vom 15.03.2012. http://www.spektrum.de/alias/linguistik/wiedie-sprache-das-denken-formt/1145804 (letzter Zugriff: 20.11.2014). Bosche, Brigitte/Wolf, Gertrud (2001): »Die Welt von Kindern und Jugendlichen«, in: Geographie Heute 24(196), S. 2-7.

422 | U RBANES R ÄUMEN

Bosman, Daniel (2012): »In the place to be… HipHop and Geography!«, in: Praxis Geographie 1, S. 32-35. Böge, Wiebeke (2011): »Kulturraumkonstrukte als zeitgebundene Weltbilder«, in: Geographie und Schule 33(193), S. 4-8. Böhn, Dieter/Haversath, Johann-Bernhard (1994): »Zum systematischen Aufbau topographischen Wissens. Ein Beitrag der Fachdidaktik Geographie zum Erlernen räumlicher Orientierungspunkte und Strukturen«, in: Geographie und ihre Didaktik 22(1), S. 1-20. Böhnisch, Lothar/Münchmeier, Richard (1990): Pädagogik des Jugendraums. Zur Begründung und Praxis einer sozialräumlichen Jugendpädagogik, Weinheim/München: Juventa. Böhn, Dieter/Obermeier, Gabriele (Hg.) (2013): Wörterbuch der Geographiedidaktik. Begriffe von A-Z, Braunschweig: Westermann. Böing, Maik (2009): »Le tourisme en Espagne – Wie Urlaubs(t)räume gemacht werden«, in: Praxis Geographie 5, S. 24-30. Böing, Maik/Sachs, Ursula (2007): »Exkursionsdidaktik zwischen Tradition und Innovation. Eine Bestandsaufnahme«, in: Geographie und Schule 167, S. 3643. Brand, Ingelid (1990): »Lernen braucht alle Sinne«, in: Grundschule 22(4), S. 20-22. Braun, Karl-Heinz (2004): »Raumentwicklung als Aneignungsprozess«, in: Deinet/Reutlinger, »Aneignung« als Bildungskonzept der Sozialpädagogik, S. 19-48. Braun, Daniela (2007): Handbuch Kreativitätsförderung. Kunst und Gestalten in der Arbeit mit Kindern, Freiburg: Herder. Breitbach, Thomas (2006): Untersuchungen zur Vermittlung ferner Räume im Erdkundeunterricht: Theoretische Überlegungen und empirische Untersuchungen zur Ableitung einer konzeptionellen Fundierung eines chancenaufzeigend-perspektivierenden Erdkundeunterrichts, dargestellt am Beispiel der Tropen (= Regensburger Beiträge zur Didaktik der Geographie, Band 7), Regensburg: Institut für Geographie an der Universität. Breyer, Ariane Verena/Piegsa, Oskar (2012): »Robert Pfaller: ›Genuss ist politisch‹«, in: Zeit Online vom 16.10.2012. http://www.zeit.de/campus/2012/06/robert-pfaller-philosophie-genuss (letzter Zugriff: 21.11.2014). Britz, Oliver/Schmeinck, Daniela (2014): »Wir wechseln die Perspektive. Grundschulkinder lernen ferne Räume kennen«, in: Grundschulmagazin 2, S. 13-18.

L ITERATUR | 423

Brohl, Christiane (2008): »Ver-rückte Wirklichkeit! Künstlerische Forschung des Displacement«, in: Manfred Blohm (Hg.), Kurze Texte zur Kunstpädagogik, Flensburg: Flensburg University Press, S. 125-130. Brückner, Heike (2011): »Schrumpfende Städte – wachsende Freiräume?«, in: Christa Müller (Hg.), Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt, München: oekom Verlag, S. 190-203. Buchter, Heike (2014): »Choicemap trifft Entscheidungen fürs Leben«, in: Zeit Online vom 21.03.2014. http://www.zeit.de/digital/mobil/2014-03/appsentscheidungen-algorithmus (letzter Zugriff: 22.11.2014). Budke, Alexandra (2006): »Raumpioniere als Akteure der Stadtentwicklung«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 221-228. Budke, Alexandra (2009): »Kompetenzentwicklung auf geographischen Exkursionen«, in: Budke/Wienecke, Exkursion selbst gemacht, S. 11-20. Budke, Alexandra (2013): »Erzeugung von Frankreich- und Deutschlandbildern in Schulbüchern«, in: Geographische Rundschau 65(5), S. 40-45. Budke, Alexandra/Glatter, Jan (2013): »Sozialgeographische Probleme im Unterricht«, in: Rolfes/Uhlenwinkel, Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht, S. 491-498. Budke, Alexandra/Wienecke, Maik (Hg.) (2009): Exkursion selbst gemacht. Innovative Exkursionsmethoden für den Geographieunterricht (= Praxis Kultur- und Sozialgeographie, Band 47), Potsdam: Universitätsverlag Potsdam. Bugram, Ursula/Lukarsch, Silvia (2000): »Handelnd lernen mit dem Geobrett. Förderung von Raumvorstellung und Raumwahrnehmung«, in: Grundschulmagazin 68(3), S. 23-26. Buhren, Claus G. (1997): Community Education (= Lernen für Europa, Band 4), Münster: Waxmann. Bullinger, Roland/Lenz, Thomas (1999): »›Frankfurt ist … da!‹. Topographisches Arbeiten und der Aufbau von Orientierungsrastern«, in: Terrasse 12, S. 2-4. Burghardt, Franz Josef (1990): Die Raumvorstellung bei Newton und Leibniz. Köln. Unveröffentlichtes Manuskript. Siehe http://www.burghardtkoeln.de/franzj/vphil.htm (letzter Zugriff: 24.11.2014) Bürk, Thomas (2004): Raumtheoretische Positionen in angloamerikanischen und deutschsprachigen sozial- und kulturwissenschaftlichen Publikationen seit 1997. Ein Literaturbericht, Berlin. Siehe www.forschungsnetzwerk.at/ downloadpub/lit-raumtheorie.pdf (letzter Zugriff: 22.11.2014) Busse, Klaus-Peter (2007a): Kunstpädagogische Situationen kartieren (= Kunstpädagogische Positionen, Band 15), Hamburg: Hamburg University Press.

424 | U RBANES R ÄUMEN

Busse, Klaus-Peter (2007b): Vom Bild zum Ort: mapping lernen (= Dortmunder Schriften zur Kunst: Studien zur Kunstdidaktik, Band 3), Norderstedt: Books on Demand. Busse, Klaus-Peter (2008): »Den Atlas öffnen«, in: Preuss, Mapping Brackel, S. 15-22. Busse, Klaus-Peter (2009): »Kartografieren«, in: Barbara Welzel (Hg.), Weltwissen Kunstgeschichte: Kinder entdecken das Mittelalter in Dortmund (= Dortmunder Schriften zur Kunst: Studien zur Kunstdidaktik, Band 10), Norderstedt: Books on Demand, S. 31-38. Campana, Sabine (2005): Perspektivenwechsel. Zur Förderung des sozialen Verstehens durch Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Lizentiatsarbeit, Bern. Casakin, Hernan P./Kreitler, Shulamith (2008): »Place Attachment as a Function of Meaning Assignment«, in: Open Environmental Sciences 2, S. 80-87. Coelen, Thomas (Hg.) (2002): Kommunale Jugendbildung. Raumbezogene Identitätsbildung zwischen Schule und Jugendarbeit (= RES HUMANAE Arbeiten für die Pädagogik, Band 8), Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang. Colls, Rachel/Hörschelmann, Kathrin (2009): »The geographies of children’s and young people’s bodies«, in: Children’s Geographies 7(1), S. 1-6. Cosgrove, Daniel (2006): »Apollo’s eye: a cultural geography of the globe«, in: Hans Gebhardt/Peter Meusburger (Hg.), Geographical imagination and the authority of images (= Hettner-Lectures, Band 9), Stuttgart: Steiner, S. 7-27. Crampton, Jeremy W./Krygier, John (2006): »An Introduction to Critical Cartography«, in: ACME: An International E-Journal for Critical Geographies 4(1), S. 11-33. Cveto, Alexander, J. (2009): »Motive zur Gründung Buxtehudes im Mittelalter. Eine Stadt als ästhetischer Erfahrungsraum im Geschichts- und Erdkundeunterricht«, in: Zeitschrift für Ästhetische Bildung 1(2), S. 1-14. Daschütz, Petra (2006): Flächenbedarf, Freizeitmobilität und Aktionsraum von Kindern und Jugendlichen in der Stadt. Dissertationsschrift, Wien. Daum, Egbert (1993): »Überlegungen zu einer ›Geographie des eigenen Lebens‹«, in: Hasse/Isenberg, Vielperspektivischer Geographieunterricht, S. 65-70. Daum, Egbert (2001): »Grundlegende Prinzipien eines konstruktivistischen Geographieunterrichts«, in: Johanna Meixner/Klaus Müller (Hg.), Konstruktivistische Schulpraxis. Beispiele für den Unterricht, Neuwied: Luchterhand, S. 209-225. Daum, Egbert (2006a): »Heimat als Tatort. Über Verbindungen von Ort, Selbst und Gesellschaft«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 71-89.

L ITERATUR | 425

Daum, Egbert (2006b): »Raumaneignung – Grundkonzeption und unterrichtspraktische Relevanz«, in: GW-Unterricht 103, S. 7-16. Daum, Egbert (2011): »›So sehe ich die Welt‹. Subjektives Kartographieren als sozialräumliche Praxis«, in: Geographie Heute 291/292, S. 59-62. Daum, Egbert/Werlen, Benno (2002): »Geographie des eigenen Lebens. Globalisierte Wirklichkeiten«, in: Praxis Geographie 32(4), S. 4-9. de Certeau, Michel (1988): Kunst des Handelns, Berlin: Merve. Deffner, Veronika (2010): Habitus der Scham – die soziale Grammatik ungleicher Raumproduktion. Eine sozialgeographische Untersuchung der Alltagswelt Favela in Salvador da Bahia (Brasilien). Dissertationsschrift (= Passauer Schriften zur Geographie, Band 26), Passau: Selbstverlag Fach Geographie der Universität Passau. Deinet, Ulrich (1999): Sozialräumliche Jugendarbeit. Eine praxisbezogene Anleitung zur Konzeptentwicklung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Opladen: Leske + Budrich. Deinet, Ulrich (2005): »Sozialräume von Kindern und Jugendlichen als subjektive Aneignungsräume verstehen!«, in: Projekt »Netzwerke im Stadtteil«, Grenzen des Sozialraums, S. 165-181. Deinet, Ulrich (2010): »Von der schulzentrierten zur sozialräumlichen Bildungslandschaft«, in: Sozialraum.de (1/2010). http://www.sozialraum.de/von-derschulzentrierten-zur-sozialraeumlichen-bildungslandschaft.php (letzter Zugriff: 26.03.2014). Deinet, Ulrich/Reutlinger, Christian (Hg.) (2004): »Aneignung« als Bildungskonzept der Sozialpädagogik. Beiträge zur Pädagogik des Kindes- und Jugendalters in Zeiten entgrenzter Lernorte, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Demeritt, David (2002): »What is the ›social construction of nature‹? A typology and sympathetic critique«, in: Progress in Human Geography 26(6), S. 767790. Deninger, Doris (1999): »Spurensuche: Auf der Suche nach neuen Perspektiven in der Geographie– und Wirtschaftskundedidaktik (Teil I: Vorwiegend theoretische Zugänge zur Spurensuche)«, in: Vielhaber, Geographiedidaktik kreuz und quer, S. 107-148. Derrida, Jacques (1967): De la Grammatologie, Paris: Ed. de Minuit. Dewey, John (1988): Kunst als Erfahrung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. DGfG (2010): Rahmenvorgaben für die Lehrerausbildung im Fach Geographie an deutschen Universitäten und Hochschulen, Bonn: Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie.

426 | U RBANES R ÄUMEN

DGfG (2012): Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen, Bonn: Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie. Dickel, Mirka/Kanwischer, Detlef (Hg.) (2006): TatOrte. Neue Raumkonzepte didaktisch inszeniert (= Praxis Neue Kulturgeographie, Band 3), Berlin: LITVerlag. Dickel, Mirka (2006a): »TatOrte – zur Implementation neuer Raumkonzepte im Geographieunterricht«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 7-20. Dickel, Mirka (2006b): Reisen. Zur Erkenntnistheorie, Praxis und Reflexion für die Geographiedidaktik (= Praxis Neue Kulturgeographie, Band 2), Berlin: LIT-Verlag. Dickel, Mirka (2011a): »Geographieunterricht unter dem Diktat der Standardisierung. Kritik der Bildungsreform aus hermeneutisch-phänomenologischer Sicht«, in: GW-Unterricht 123, S. 3-23. Dickel, Mirka (2011b): »Nach Humboldt. Ästhetische Bildung und Geographie«, in: GW-Unterricht 122, S. 38-47. Dickel, Mirka/Glasze, Georg (Hg.) (2009): Vielperspektivität und Teilnehmerzentrierung. Richtungsweiser der Exkursionsdidaktik (= Praxis Neue Kulturgeographie, Band 6), Berlin: LIT-Verlag. Dickel, Mirka/Hoffmann, Karl W. (2012): »Mit Bildern umgehen – Zwischen Spielraum und Festlegung«, in: Geographie und Schule 34(199), S. 12-19. Dickel, Mirka/Scharvogel, Martin (2012): Raumproduktion verstehen lernen. Auf den Spuren von Erzählungen und Imaginationen im Geographieunterricht, Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag. Dobler, Karin/Pichler, Herbert (2004): »Erlebte Topographie. Türen öffnen für ein kreatives Raumverständnis«, in: Vielhaber, Fachdidaktik alternativ – innovativ, S. 35-48. Dobler, Karin/Jekel, Thomas/Pichler, Herbert (Hg.) (2008): kind : macht : raum, Heidelberg: Wichmann. Dobmeier, Steffi (2014): »36 Stunden vor dem Hurrikan«, in: Zeit Online vom 01.04.2014. http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2014-03/hurrikan-wirbelsturm-florida-usa-naturkatastrophen (letzter Zugriff: 24.04.2014). Dohnalek, Torsten (2013): »›Alte Post‹ oder ›Magnesiumkarbonat‹ – Fotografie als Möglichkeit der Dokumentation und Reflexion von Raumaneignung Jugendlicher«, in: Monika Alisch/Michael May (Hg.), Sozialraumentwicklung bei Kindern und Jugendlichen, Opladen: Budrich, S. 123-138. Dolić, Šime/Wilhelmi, Volker (2011): »(T)raum Malediven – eine vielperspektivische Raumanalyse«, in: Praxis Geographie 7-8, S. 46-52.

L ITERATUR | 427

Downs, Roger M./Stea, David (1982): Kognitive Karten. Die Welt in unseren Köpfen, New York: Harper & Row. Downs, Roger M./Stea, David (1985): »Kognitive Karten und Verhalten im Raum. Verfahren und Resultate der kognitiven Kartographie«, in: Schweizer, Sprache und Raum, S. 18-43. Dörfler, Thomas (2005): »Geographie und Dekonstruktion. Zu einem zeitgenössischen Missverständnis«, in: geographische revue 7(1/2), S. 67-84. Döring, Jörg/Thielmann, Tristan (2009): Mediengeographie: Für eine Geomedienwissenschaft. In: Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.), Mediengeographie. Theorie – Analyse – Diskussion, Bielefeld: transcript Verlag, S. 9-66. Dück, Michael (2001): Der Raum und seine Wahrnehmung, Würzburg: Königshausen & Neumann. Dürr, Heiner/Zepp, Harald (2012): Geographie verstehen. Ein Lotsen- und Arbeitsbuch, Paderborn: Schöningh. Dyment, Janet E./Bell, Anne C./Lucas, Adam J. (2009): »The relationship between school ground design and intensity of physical activity«, in: Children’s Geographies 7(3), S. 261-276. Ellermann, Astrid (2000): Raumaneignung, Körperlichkeit und Bewegungskultur von Mädchen. Diplomarbeit, Berlin. Enzensberger, Hans Magnus/Kluge, Alexander (2004): »Die ganze Welt in einem Buch«, in: Zeit Online 38 vom 04.09.2004. http://www.zeit.de/ 2004/38/ST-Kluge (letzter Zugriff: 20.04.2014). Ernst, Christian (2002): »Lebensraum Schule. Schulbauten im Wandel der Zeit«, in: Geographie Heute 23(206), S. 22-25. Europäisches Haus der Stadtkultur e.V. (2005): Mögliche Orte – Bildwelten, Planerwelten?! Ein experimenteller interdisziplinärer Studentenworkshop, Gelsenkirchen: Europäisches Haus der Stadtkultur e.V. Everts, Jonathan (2008): Konsum und Multikulturalität im Stadtteil. Eine sozialgeographische Analyse migrantengeführter Lebensmittelgeschäfte, Bielefeld: transcript Verlag. Fehren, Oliver (2009): »Was ist ein Sozialraum? Annäherungen an ein Kunstwerk«, in: Soziale Arbeit 58(8), S. 286-293. Felgenhauer, Tilo (2007a): »›Die versteht Dich, weil sie auch aus Thüringen ist‹ – zur Analyse von Raumbezugnahmen in alltäglichen Argumentationen«, in: Geographische Zeitschrift 95(1-2), S. 24-36. Felgenhauer, Tilo (2007b): »›Ich bin Thüringer, ... und was ißt Du?‹ Regionenbezogene Konsumtion und Marketingkommunikation am Beispiel ›Original Thüringer Qualität‹«, in: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 47-68.

428 | U RBANES R ÄUMEN

Felgenhauer, Tilo (2009): »Raumbezogenes Argumentieren. Theorie, Analysemethode, Anwendungsbeispiele«, in: Glasze/Mattissek, Handbuch Diskurs und Raum, S. 261-278. Fellmann, Max (2014): »Wie Blogs die Gesellschaft klüger machen«, in: Süddeutsche Zeitung Magazin 5/2014. http://sz-magazin.sueddeutsche.de/ texte/anzeigen/40253/Tipp-Tippen (letzter Zugriff: 24.11.2014). Feyerabend, Paul (1993): »Die Natur als ein Kunstwerk«, in: Welsch, Die Aktualität des Ästhetischen, S. 278-287. Fischermann, Thomas (2014): »Die Armen und die Forscher. Kolumne Strandreporter«, in: Zeit Online vom 09.01.2014. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-01/brasilien-rio-umsiedlung-fussball-wm (letzter Zugriff: 19.04.2014). Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Flury, Andreas (1988): Experimente zur Raumkognition (= GeoprocessingReihe, Band 9), Zürich: Geographisches Institut der Universität Zürich-Irdal. Focus Online (2007): »Promenadologie. Wie spaziere ich richtig?«, in: Focus Online vom 05.03.2007. http://www.focus.de/wissen/campus/promenadologie_aid_125786.html (letzter Zugriff: 12.04.2014). Focus Online (2011): »Straßenbilderdienst Street View. Google fotografiert Amazonasgebiet«, in: Focus Online vom 20.08.2011. http://www.focus.de/ digital/internet/strassenbilderdienst-street-view-google-fotografiertamazonasgebiet_aid_660400.html (letzter Zugriff: 27.06.2014). Foucault, Michel (1990): »Andere Räume«, in: Karlheinz Barck (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam, S. 34-46. Förschler, Silke/Habermas, Rebekka/Roßbach, Nikola (2014): Verorten – Verhandeln – Verkörpern. Interdisziplinäre Analysen zu Raum und Geschlecht, Bielefeld: transcript Verlag. Franck, Karen A./Stevens, Quentin (2007): »Tying down loose space«, in: Karen A. Franck/Quentin Stevens (Hg.), Loose Space. Possibility and diversity in urban life, London/New York: Routledge, S. 1-33. Franke, Thomas (2011): Raumorientiertes Verwaltungshandeln und integrierte Quartiersentwicklung. Doppelter Gebietsbezug zwischen »Behälterräumen« und »Alltagsorten«, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Franke, Nils M./Eissing, Hildegard (2013): »Vielfalt, Eigenart und Schönheit des Landschaftsbilds einklagen – Über eine ästhetische Konstruktion gerichtlich entscheiden: Das Beispiel erneuerbare Energien«, in: Ludger Gailing/Markus

L ITERATUR | 429

Leibenath (Hg.), Neue Energielandschaften – Neue Perspektiven der Landschaftsforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 137-142. Friedrich, Klaus (1978): Funktionseignung und räumliche Bewertung neuer Wohnquartiere. Untersucht am Beispiel der Darmstädter Neubaugebiete Eberstadt-NW und Neu-Kranichstein, Darmstadt: Geographisches Institut. Friedrich, Katja (2011): Geplante Unbestimmtheit. Aneignungsoffene Architektur für Selbstbestimmung im gelebten Raum am Beispiel des Kölner Bretts (= Schriftenreihe Architekturtheorie und empirische Wohnforschung; Architekturtheorie und empirische Wohnforschung, Band 5), Aachen: Shaker. Fritsche, Caroline/Rahn, Peter/Reutlinger, Christian (2011): Quartier macht Schule. Perspektive der Kinder (= Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, Band 5), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Fronhofen, Achim (2001): Raum – Region – Ort. Sozialräumliche Perspektiven Jugendlicher aus einer Landschaft zwischen Umstrukturierung und Demontage. Dissertationsschrift, Essen. Fröhlich, Conni/Homann, Katharina/Moradi, Regine/Nientiedt, Margret/Riemenschneider, Claudia (1997): Wir zeigen’s euch! Raumaneignung und Freiraumbedürfnisse von Mädchen im öffentlichen Raum (= Arbeitsberichte des Fachbereichs Stadtplanung und Landschaftsplanung, Band 124), Kassel: Universität Gesamthochschule Kassel. Fuchs, Martina/Rolfes, Manfred (2013): »Raum«, in: Rolfes/Uhlenwinkel, Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht, S. 444-458. Fuhrer, Urs (2008): »12. Kapitel: Ortsidentität, Selbst und Umwelt«, in: Lantermann/Linneweber, Grundlagen, Paradigmen und Methoden der Umweltpsychologie, S. 415-442. Gaffer, Yvonne/Liell, Christoph (2007): »Handlungstheoretische und methodologische Aspekte der dokumentarischen Interpretation jugendkultureller Praktiken«, in: Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl, Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, S. 183-207. Gebhard, Ulrich (2008): »Die Bedeutung von Naturerfahrungen in der Kindheit aus Sicht der Psychologie«, in: Hans-Joachim Schemel/Torsten Wilke (Hg.), Kinder und Natur in der Stadt. Spielraum Natur: Ein Handbuch für Kommunalpolitik und Planung sowie Eltern und Agenda-21-Initiativen (BfN Skripten, Band 230), Bonn: Bundesamt für Naturschutz, S. 27-43. Gebhardt, Hans/Glaser, Rüdiger/Radtke, Ulrich/Reuber, Paul (Hg.) (2007): Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. Heidelberg: Spektrum Akad. Verlag.

430 | U RBANES R ÄUMEN

Gebhardt, Hans/Glaser, Rüdiger/Radtke, Ulrich/Reuber, Paul (2007a): »Raum und Zeit. Kapitel 2«, in: Gebhardt/Glaser/Radtke/Reuber, Geographie, S. 3039. Gebhardt, Hans/Reuber, Paul/Wolkersdorfer, Günter (Hg.) (2003): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen, Heidelberg/Berlin: Spektrum Akad. Verlag. Gebhardt, Hans/Reuber, Paul/Wolkersdorfer, Günter (2003a): »Kulturgeographie – Leitlinien und Perspektiven«, in: Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer, Kulturgeographie, S. 1-27. Gehring, Petra (2004): »Dekonstruktion - Philosophie? Programm? Verfahren?«, in: Friedrich Jäger (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Teil: 2. Paradigmen und Disziplinen, Stuttgart: Metzler, S. 377-394. Geibert, Hilmar (1987): »Erdkunde ist nicht Topographie, aber keine Erdkunde ohne Topographie«, in: Geographie Heute 56, S. 46-48. Geiger, Daniel (2006): Wissen und Narration. Der Kern des Wissensmanagements, Berlin: Erich Schmidt. Geiger, Michael/Hüttermann, Armin (Hg.) (2007): Raum und Erkenntnis. Eckpfeiler einer verhaltensorientierten Geographiedidaktik, Köln: Aulis-Verlag. Geppert, Alexander C.T./Jensen, Uffa/Weinhold, Jörn (Hg.) (2005): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld: transcript Verlag. GfZK (2012): Raumpioniere Gohlis. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Siehe http://www.gfzk.de/foryou/?p=2623 (letzter Zugriff: 24.11.2014) Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. (1967): The discovery of grounded theory. Strategies for qualitative research, New York: Aldine de Gruyter. Glasze, Georg/Germes, Mélina/Weber, Florian (2009): »Krise der Vorstädte oder Krise der Gesellschaft?«, in: Geographie und Schule 177, S. 17-25. Glasze, Georg/Hofmann, Romy/Uphues, Rainer (2012): «Stadträume als gesellschaftlich hergestellte Räume«, in: Praxis Geographie 1, S. 4-6. Glasze, Georg/Mattissek, Annika (2009): Handbuch Diskurs und Raum. Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie die sozial- und kulturwissenschaftliche Raumforschung, Bielefeld: transcript Verlag. Glasze, Georg/Mattissek, Annika (2009a): »Diskursforschung in der Humangeographie: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Operationalisierungen«, in: Glasze/Mattissek, Handbuch Diskurs und Raum, S. 11-59. Goebbels, Andreas (2005): »Rechts ist da, wo der Daumen links ist. Körper-/ Raumwahrnehmung durch Rechts-links-Erfahrungen«, in: Fördermagazin 5, S. 28.

L ITERATUR | 431

Gohr, Maria (2008): »Fächerübergreifend und projektorientiert. Raumkonzepte im Geographieunterricht«, in: L.A. Multimedia 2, S. 27-29. Gould, Peter/White, Rodney (1974): Mental maps, Harmondsworth: Penguin. Gregory, Derek (1994): Geographical Imaginations, Cambridge: Blackwell. Gruenewald, David A. (2003): »Foundations of Place: A Multidisciplinary Framework for Place-Conscious Education«, in: American Educational Research Journal 40(3), S. 619-654. Gryl, Inga (2010): »Dekonstruktion und Geomedien. Über den Umgang mit medial vermittelten Deutungen«, in: Geographie und Schule 32(187), S. 26-35. Gryl, Inga (2011): »Interesting. But I haven’t Thought of this before. – Exploration on Teachers Attitudes Towards Critical Cartography in Educational Environments«, in: Thomas Jekel/Alfons Koller/Karl Donert/Robert Vogler (Hg.), Learning with GI 2011: Implementing Digital Earth in Education, Berlin: Wichmann, S. 19-29. Gryl, Inga (2012): »Geographielehrende, Reflexivität und Geomedien. Zur Konstruktion einer empirisch begründeten Typologie«, in: Geographie und ihre Didaktik 4, S. 161-182. Gryl, Inga/Jekel, Thomas (2013): »Spatial Citizenship«, in: Böhn/Obermeier, Wörterbuch der Geographiedidaktik, S. 256-257. Gryl, Inga/Jekel, Thomas/Donert, Karl (2010): »GI and spatial citizenship«, in: Thomas Jekel/Alfons Koller/Karl Donert (Hg.), Learning with GI V (result of the fifth conference, held within the framework of AGIT and the GIForum on July 7th - 9th, 2010 in Salzburg), Berlin: Wichmann, S. 1-11. Gryl, Inga/Kanwischer, Detlef (2011): »Geomedien und Kompetenzentwicklung. Ein Modell zur reflexiven Kartenarbeit im Unterricht«, in: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften (ZfDN) 17, S. 177-202. Gutenberg, Ulrich (2010): »Veränderte Blicke auf den Raum. Geographiedidaktik und Informations- und Kommunikationsmedien. Schlaglichter auf neue Herausforderungen«, in: Computer + Unterricht 20(77), S. 22-25. Haberlag, Bernd (2014): »Philosophie des Kerncurriculums Erdkunde – gymnasiale Oberstufe: Anregungen zur Erstellung eines schulinternen Arbeitsplans«, in: Geographie und Schule 34(207), S. 63-70. Habitzl, Tamara (2010): Raumkonzepte im GW-Unterricht. Das ›Raum‹Beispiel ›Orient‹ in Schulbüchern und in der Wahrnehmung Studierender des Studienzweiges GW-Lehramt. Diplomarbeit, Wien. Hacke, Sebastian (2012): Medienaneignung von Jugendlichen aus deutschen und türkischen Familien. Eine qualitativ-rekonstruktive Studie, Freiburg: Centaurus-Verlag.

432 | U RBANES R ÄUMEN

Hahn, Achim (2012): »›Erlebnislandschaft – Erlebnis Landschaft?‹ Einführung in ein Forschungsprojekt«, in: Achim Hahn (Hg.), »Erlebnislandschaft – Erlebnis Landschaft?« Einführung in ein Forschungsprojekt, Bielefeld: transcript Verlag, S. 11-35. Hamann, Berta (2004): »Die Achse des Bösen – Erziehung zum Hass oder neutrale Berichterstattung? Die Behandlung der ›Schurkenstaaten‹ Irak, Iran und Nordkorea in Geographielehrbüchern der USA«, in: Wilfried Endlicher/Dirk Lehmann/Reinhard Klessen (Hg.), Tagungsband 29. Deutscher Schulgeographentag: Zwischen Kiez und Metropole – Zukunftsfähiges Berlin im neuen Europa (= Berliner Geographische Arbeiten 97), Berlin: Geographisches Institut der Humboldt-Universität, S. 225-229. Hamann, Berta (2011): »Aufgaben zum Kompetenzbereich ›Räumliche Orientierung«. Beispiele aus Geographielehrbüchern für Gymnasien der Jahrgangsstufen 5 und 6«, in: Eva Matthes/Sylvia Schütze (Hg.), Aufgaben im Schulbuch. Beiträge zur historischen und systematischen Schulbuchforschung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 265-276. Hansen, Wilhelm (1965): Die Entwicklung des kindlichen Weltbildes, München: Kösel. Hansen, Wilhelm (1968): Kind und Heimat. Psychologische Voraussetzungen der Heimatkunde in der Grundschule, München: Kösel. Hard, Gerhard (1995): Spuren und Spurenleser. Zur Theorie und Ästhetik des Spurenlesens in der Vegetation und anderswo, Osnabrück: Rasch. Hard, Gerhard (2008): »Der Spatial Turn, von der Geographie her beobachtet«, in: Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld: transcript Verlag, S. 263-315. Harley, John B. (1989): »Deconstructing the Map«, in: Cartographica 26(2), S. 1-20. Harley, John B. (2004): »Das Dekonstruieren der Karte (1989)«, in: An Architektur 11, S. 4-19. Hartke, Wolfgang (1956): »Die ›Sozialbrache‹ als Phänomen der geographischen Differenzierung der Landschaft«, in: Erdkunde 10(4), S. 257-269. Hasse, Jürgen (1993): Ästhetische Rationalität und Geographie (= Wahrnehmungsgeographische Studien zur Regionalentwicklung 12), Oldenburg: Bibl.- und Informationssystem der Universität. Hasse, Jürgen (1995): Gefühle als Erkenntnisquelle (= Frankfurter Beiträge zur Didaktik der Geographie, Band 15), Frankfurt a.M.: Selbstverlag des Instituts für Didaktik der Geographie.

L ITERATUR | 433

Hasse, Jürgen (Hg.) (2002): Subjektivität in der Stadtforschung, Frankfurt a.M.: Institut für Didaktik der Geographie. Hasse, Jürgen (1990): »Kinder und Jugendliche heute. Eine geographiedidaktische Fragestellung?«, in: Praxis Geographie 20(6), S. 6-8. Hasse, Jürgen (1994): »(›)Kunst(‹) im öffentlichen Raum. Zum Umgang mit dem schönen Schein«, in: Praxis Geographie 24(3), S. 34-39. Hasse, Jürgen (1995a): »Gefühle im Denken und Lernen. Das Beispiel des Geographieunterrichts«, in: Hasse, Gefühle als Erkenntnisquelle, S. 9-58. Hasse, Jürgen (1995b): »(Im-)Materialien. Ein Plädoyer für den Schein«, in: Hasse, Gefühle als Erkenntnisquelle, S. 105-111. Hasse, Jürgen (2001): »Ästhetische Bildung. Plädoyer für eine Verschränkung von Wahrnehmungs- und Denkvermögen im Lernen«, in: Symposium »Ästhetische Erfahrung und kulturelle Praxis« des FB 16 der Universität Dortmund, S. 1-11. Hasse, Jürgen (2005): »Wahrnehmen lernen. Mit Sinn und Verstand für eine differenzierte Vernunft«, in: Grundschule 12, S. 50-52. Hasse, Jürgen (2007): »Ästhetische Bildung – Eine doppelte Perspektive ganzheitlichen Lernens«, in: www.widerstreit-sachunterricht.de (Ausgabe 8) (letzter Zugriff: 20.06.2012). Hasse, Jürgen (2010a): »Raum der Performativität. ›Augenblicksstätten‹ im Situationsraum des Sozialen«, in: Geographische Zeitschrift 98(2), S. 65-82. Hasse, Jürgen (2010b): »Zur heimlich erziehenden Wirkung schulischer Räume«, in: Jürgen Hasse/Robert Josef Kozljanic (Hg.), Gelebter, erfahrener und erinnerter Raum. V. Jahrbuch für Lebensphilosophie 2010/2011, München: Books on Demand, S. 59-80. Hasse, Jürgen/Isenberg, Wolfgang (1993): Vielperspektivischer Geographieunterricht. Erweiterte Dokumentation einer Tagung in der Thomas-MorusAkademie in Bensberg am 12./13. November 1991 (= Osnabrücker Studien zur Geographie, Band 14), Osnabrück: Selbstverlag d. Fachgebietes Osnabrück im Fachbereich Kultur- u. Geowissenschaften der Universität. Hassenpflug, Wolfgang (1996): »Fernerkundung und Satellitenbilder – Methoden und geographisch bedeutsame Potentiale«, in: Geographie und Schule 104, S. 3-11. Hattie, John A.C. (2008): Visible Learning. A synthesis of over 800 metaanalyses relating to achievement, London/New York: Routledge. Haubrich, Hartwig (1992): »Wahrnehmungsgeographische Aspekte schulischer Kartenarbeit – Kognitive und affektive Weltkarten«, in: Ferdinand Meyer (Hg.), Schulkartographie. Wiener Symposium 1990 (= Wiener Schriften zur

434 | U RBANES R ÄUMEN

Geographie und Kartographie, Band 5), Wien: Institut für Geographie der Universität Wien, S. 37-51. Haubrich, Hartwig (2007): »Raum-Perzeption und geographische Erziehung«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 56-65. Haupt, Sebastian (2010): »Warum es schick ist, die Welt zu retten«, in: Zeit Online vom 22.06.2010. http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2010-06/umweltpsychologie-status/komplettansicht (letzter Zugriff: 20.01.2014). Haury, Stephanie (2012): »Das Forschungsfeld ›Jugendliche im Stadtquartier‹ des BMVBS-Forschungsprogramms ›Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt)‹«, in: Sozialraum 2/2012. http://www.sozialraum.de/ das-forschungsfeld-jugendliche-im-stadtquartier.php (letzter Zugriff: 05.03.2014). Haversath, Johann-Bernhard (2002a): »Lebenssituationen und Lebensperspektiven. Zehn Bausteine für Jugendliche in Deutschland«, in: Geographie Heute 23(206), S. 2-7. Haversath, Johann-Bernhard (2002b): »Innenstädte als Lebensräume. Kinder und Jugendliche im Abseits?«, in: Geographie Heute 23(206), S. 18-21. Heerdegen, Reinhard (1989): Aspekte der Raumwahrnehmung. Zusammenschau mit einem Experiment, Berlin: Akademie der Wissenschaften der DDR. Heil, Christine (2007): Kartierende Auseinandersetzung mit aktueller Kunst. Erfinden und Erforschen von Vermittlungssituationen (= Kontext Kunstpädagogik, Band 11), München: kopaed. Heiler, Jörg (2011): Handlungstaktiken für den gelebten Raum. Wahrnehmungen und Aktionen in der Allgäuer »Stadt-Landschaft«. Dissertationsschrift, München. Hellbrück, Jürgen/Kals, Elisabeth (2012): Umweltpsychologie, Wiesbaden: Springer VS. Hemmer, Michael (1996): »Reisende und Bereiste. Perspektivenwechsel im Tourismus«, in: Praxis Geographie 4, S. 18-23. Hemmer, Ingrid/Hemmer, Michael (2010): »Interesse von Schülerinnen und Schülern an einzelnen Themen, Regionen und Arbeitsweisen des Geographieunterrichts – ein Vergleich zweier empirischer Studien aus den Jahren 1995 und 2005«, in: Ingrid Hemmer (Hg.), Schülerinteresse an Themen, Regionen und Arbeitsweisen des Geographieunterrichts. Ergebnisse der empirischen Forschung und deren Konsequenzen für die Unterrichtspraxis, Weingarten: Selbstverlag des Hochschulverbandes für Geographie und ihre Didaktik, S. 65-148. Hemmer, Michael/Uphues, Rainer (2009): »Zwischen passiver Rezeption und aktiver Konstruktion. Varianten der Standortarbeit aufgezeigt am Beispiel

L ITERATUR | 435

der Großwohnsiedlung Berlin-Marzahn«, in: Dickel/Glasze, Vielperspektivität und Teilnehmerzentrierung, S. 39-51. Hemmer, Michael/Uphues, Rainer (2012): »Abwanderung aus der Großwohnsiedlung Berlin-Marzahn. Eine Analyse mittels der vier Raumperspektiven der Geographie«, in: Praxis Geographie 1, S. 22-27. Hemmer, Ingrid/Hemmer, Michael/Neidhardt, Eva (2007): »Räumliche Orientierung von Kindern und Jugendlichen – Ergebnisse und Defizite nationaler und internationaler Forschung«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 66-78. Hemmer, Ingrid/Hemmer, Michael/Hüttermann, Armin/Ullrich, Mark (2010a): »Kartenauswertungskompetenz. Theoretische Grundlagen und erste Überlegungen zu einem Kompetenzstrukturmodell«, in: Geographie und ihre Didaktik 38(3), S. 158-171. Hemmer, Ingrid/Hemmer, Michael/Obermeier, Gabriele/Uphues, Rainer (2005): »Topographisches Mindestwissen Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von gesellschaftlichen Spitzenpräsentanten und Experten«, in: Praxis Geographie 11, S. 46-48. Hemmer, Ingrid/Hemmer, Michael/Kruschel, Katja/Neidhardt, Eva/Obermeier, Gabriele/Uphues, Rainer (2010b): »Einflussfaktoren auf die kartengestützte Orientierungskompetenz von Kindern in Realräumen. Anlage eines Forschungsprojektes«, in: Geographie und ihre Didaktik 38(2), S. 65-76. Hepp, Andreas (2010): »Mediatisierung und Kulturwandel: Kulturelle Kontextfelder und die Prägkräfte der Medien«, in: Maren Hartmann/Andreas Hepp (Hg.), Die Mediatisierung der Alltagswelt, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 65-84. Hermann, Katja (2012): »Tourismus im Sozialraum - Praxislernen im Stadttourismus als pädagogischer Ansatz im Projekt ›Wir sind Kreuzberg!‹«, in: Sozialraum 1/2012. http://www.sozialraum.de/tourismus-im-sozialraum.php (letzter Zugriff: 05.03.2014). Hermann, Michael/Leuthold, Heiri (2007): »Weltanschauung und ungeplante Regionalisierung«, in: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 213-249. Hieber, Ulrich/Lenz, Thomas/Stenglin, Martin (2011): »(Sich) geographische Aufgaben stellen. Neue Aufgabenkultur im kompetenzorientierten Geographieunterricht«, in: Geographie Heute 291/292, S. 2-9. Hieber, Lutz/Moebius, Stephan (2011): Ästhetisierung des Sozialen. Reklame, Kunst und Politik im Zeitalter visueller Medien, Bielefeld: transcript Verlag.

436 | U RBANES R ÄUMEN

Hieber, Lutz/Moebius, Stephan (2011a): »Einführung: Ästhetisierung des Sozialen im Zeitalter visueller Medien«, in: Hieber/Moebius, Ästhetisierung des Sozialen, S. 7-14. Hinte, Wolfgang (2009): »Eigensinn und Lebensraum – zum Stand der Diskussion um das Fachkonzept ›Sozialraumorientierung‹«, in: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN) 78(1), S. 20-33. Hlavin-Schulze, Karin (1998): »Man reist ja nicht, um anzukommen«. Reisen als kulturelle Praxis, Frankfurt a.M./New York: Campus. Hoffmann, Karl W. (2009): »Mit den Nationalen Bildungsstandards Geographieunterricht planen und auswerten«, in: Geographie und ihre Didaktik 3, S. 105-119. Hoffmann, Karl W. (2011a): »Raumanalyse: ›Vier Blicke auf den Nürburgring‹«, in: Terrasse 2, S. 3-7 (mit Online-Materialien). Hoffmann, Karl W. (2011b): »Das Thema Ressourcenverfügbarkeit und -nutzung im Geographieunterricht«, in: Geographie und Schule 33(192), S. 13-20. Hoffmann, Karl W. (2012): »Schulgeographie – quo vadis? Zur Gesellschaftsrelevanz eines standardbasierten Geographieunterrichts«, in: Heinz Fassmann/ Thomas Glade (Hg.), Geographie für eine Welt im Wandel. 57. Deutscher Geographentag 2009 in Wien, Göttingen: V & R Unipress, S. 65-91. Hoffmann, Reinhard (2007): »Raum oder nicht Raum? – Ist das die (fachdidaktische) Frage?«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 27-40. Hoffmann, Karl W./Kersting, Philippe (2011a): »›Zeigt das wahre Afrika!‹ – Aber welches? – Teil 1: Hat Afrika eine Geschichte?«, in: Geographie und Schule 191, S. 48-49. Hoffmann, Karl W./Kersting, Philippe (2011b): »›Zeigt das wahre Afrika!‹ – Aber welches? – Teil 2: Die unsichtbare Norm des Eigenen«, in: Geographie und Schule 192, S. 48-49. Hoffmann, Karl W./Kersting, Philippe (2011c): »›Zeigt das wahre Afrika!‹ – Aber welches? – Teil 3: Alles Gute kommt von oben«, in: Geographie und Schule 193, S. 48-49. Hofmann, Romy (2013): »Art (f), juvenile, mature, dedicated is looking for space (m) for mutual and allround arrangements. Enriching geography classes through artistic practice«, in: Ana Francisca de Azevedo/Ricardo Nogueira Martins/Marta Rodrigues/Mónica Santos (Hg.), Geographical Imaginations. Book of Proceedings - IV International Meeting in Cultural Geography, Department of Geography of University of Minho, S. 131-148

L ITERATUR | 437

Hofmann, Romy/Mehren, Martina (2012a): »Mapping im Unterricht. Exklusion im öffentlichen Raum als fächerübergreifendes Projekt«, in: Praxis Geographie 1, S. 8-11. Hofmann, Romy/Mehren, Martina (2012b): »Dat is Duisburg. Zur sprachlichen (De-)Konstruktion von Räumen«, in: Praxis Geographie 1, S. 18-21. Hofmann, Romy/Mehren, Martina/Uphues, Rainer (2012a): »SprachRäume – Potenziale der produktionsorientierten Literaturdidaktik für den linguistic turn im Geographieunterricht«, in: GW-Unterricht 126, S. 38-51. Hofmann, Romy/Mehren, Martina/Uphues, Rainer (2012b): »Hacking the City. A somewhat different mode of fieldwork«, in: European Journal of Geography 3(3), S. 23-32. Hofmann, Romy/Mehren, Martina/Uphues, Rainer (2013): »Von Raumkonstruktionen und digitalen Geodatenspuren. Neuere Ansätze der geographischen Medienbildung«, in: Manfred L. Pirner/Wolfgang Pfeiffer/Rainer Uphues (Hg.), Medienbildung in schulischen Kontexten. Erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven, München: kopaed, S. 215-236. Hofmann, Romy/Ulrich-Riedhammer, Eva Marie (2014): »Die Konstruktion (inter-)kultureller Räume als moralisch-ethische Urteile«, in: Ingrid Schwarz/ Gabriele Schrüfer (Hg.), Vielfältige Geographien. Entwicklungslinien für Globales Lernen, Interkulturelles Lernen und Wertediskurse, Münster/New York: Waxmann, S. 155-170. Holl, Hans-Peter (2007): ›Gute‹ Lehrer an berufsbildenden Schulen – Best Practice aus der Schülerperspektive. Dissertationsschrift, Erfurt. Hoppmann, Heike (2000): pro:Vision. Postmoderne Taktiken in einer strategischen Gegenwartsgesellschaft. Eine soziologische Analyse, Berlin: Wiss. Verlag Berlin. Horton, John/Kraftl, Peter/Tucker, Faith (2008): »The challenges of ›Children’s Geographies‹: a reaffirmation«, in: Children’s Geographies 6(4), S. 335-348. Höflich, Joachim R. (2009): »In der Mitte der Stadt. Die Nutzung des Mobiltelefons auf einer Piazza«, in: Tully, Multilokalität und Vernetzung, S. 77-90. Höhnle, Steffen (2014): Online-gestützte Projekte im Kontext globalen Lernens im Geographieunterricht. Empirische Rekonstruktion internationaler Schülerperspektiven, Münster: Monsenstein und Vannerdat. Höhnle, Steffen/Schubert, Jan Christoph (2012): »Crime Maps auf dem Smartphone. Kritischer Umgang mit Geomedien im Unterricht«, in: Praxis Geographie 1, S. 36-40. Höhnle, Steffen/Schubert, Jan Christoph/Uphues, Rainer (2012): »Die Entwicklung von Implementierungsstrategien für den GIS-Einsatz im Geographieunterricht – Ausgewählte Erkenntnisse eines Mixed-Methods Forschungsansat-

438 | U RBANES R ÄUMEN

zes«, in: Hüttermann/Kirchner/Schuler/Drieling, Räumliche Orientierung, S. 308-318. Huber, Max/Stallhofer, Bernd (2010): »Diskontinuierliche Texte im Geographieunterricht«, in: Hermann Ruch (Hg.), ProLesen - auf dem Weg zur Leseschule: Leseförderung in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Aufsätze und Materialien aus dem KMK-Projekt ›ProLesen‹, Donauwörth: Auer, S. 223-240. Huhmann, Tobias (2011): »Zwischen Netzen, Schachteln und Würfeln. Die Inter-Netzzo-Werkstatt«, in: Praxis Grundschule 5, S. 46-63. Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun (2013): Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa. Hübner, Renate (2014): »Umwelt: Wahrnehmung zwischen Ästhetik und Betroffenheit. Betroffenheitserzeugung als Herausforderung indirekter Umweltwahrnehmung«, in: GW-Unterricht 133(1), S. 5-17. Hüppe, Eberhard (2012): Urbanisierte Musik. Eine Studie über gesellschaftliche Determinanten musikalischer Raumproduktion und Raumaneignung, Münster: Monsenstein und Vannerdat. Hüther, Gerald (2013): Kommunale Intelligenz. Potenzialentfaltung in Städten und Gemeinden, Hamburg: Ed. Körber Stiftung. Hüttermann, Armin (2007): »Karten als ›nicht-kontinuierliche Texte‹«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 118-123. Hüttermann, Armin/Kirchner, Peter/Schuler, Stefan/Drieling, Kerstin (Hg.) (2012): Räumliche Orientierung. Räumliche Orientierung, Karten und Geoinformation im Unterricht. Tagungsband zum HGD-Symposium in Ludwigsburg, Braunschweig: Westermann. ISB (2004a): »Lehrplan Geographie 12. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus«. Siehe http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/ 3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26548 (letzter Zugriff: 27.06.2014) ISB (2004b): »Fachprofil Geographie. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus«. Siehe http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/ 3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26546 (letzter Zugriff: 27.06.2014) Isenberg, Wolfgang (1987): Geographie ohne Geographen. Laienwissenschaftliche Erkundungen, Interpretationen und Analysen der räumlichen Umwelt in Jugendarbeit, Erwachsenenwelt und Tourismus, Osnabrück: Selbstverlag des Fachgebietes Geographie im Fachbereich Kultur- und Geowissenschaften der Universität. Jahn, Dirk (2012): Kritisches Denken fördern können – Entwicklung eines didaktischen Designs zur Qualifizierung pädagogischer Professionals (= Texte

L ITERATUR | 439

zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung, Band 7), Aachen: Shaker. Jahn, Markus/Haspel, Michelle/Siegmund, Alexander (2012): »›GLOKAL Change‹: Mit digitaler Geoinformation globale Umweltveränderungen verstehen und bewerten lernen«, in: Hüttermann et al., Räumliche Orientierung, S. 281-289. Jahnke, Holger (2012): »Mit Bildern bilden – Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Geographie«, in: Geographie und Schule 34(199), S. 4-11. Jahnke, Holger (2013): »Kinder- und Jugendgeographien«, in: Böhn/Obermeier, Wörterbuch der Geographiedidaktik, S. 137-139. James, Sarah (1990): »Is there a ›place‹ for children in geography?«, in: Area 22(3), S. 278-283. Jebbink, Klaus/Keil, Andreas (2003): »Wie lässt sich Raumwahrnehmung beeinflussen? Ein Experiment mit Mental Maps«, in: Geographie heute 24(208), S. 32-36. Jekel, Thomas (2008): In die Räume der GW-Didaktik. Briefe einer Reise, Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Jekel, Thomas (2005): »Imaginierte Geographien in österreichischen Schulbüchern«, in: Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik an den Österreichischen Universitäten (Hg.), Journal für Entwicklungspolitik 21(1, ›Entwicklung‹ im Schulunterricht), S. 6-23. Jenaer Geographiedidaktik (o.J.): Raumkonzepte im Geographieunterricht. Raumkonzepte praktisch im Dialog. Projekt Ein- & Ausblicke. Leitung: Antje Schneider. Online verfügbar. Jones, Owain (2000): »Melting Geography. Purity, disorder, childhood and space«, in: Sarah L. Holloway/Gill Valentine (Hg.), Children’s Geographies. Playing, living, learning, London/New York: Routledge, S. 29-47. Jones, Owain (2003): »›Endlessly Revisited and Forever Gone‹: On Memory, Reverie and Emotional Imagination in Doing Children’s Geographies. An ›Addendum‹ to ››To Go Back up the Side Hill‹: Memories, Imaginations and Reveries of Childhood‹ by Chris Philo«, in: Children’s Geographies 1(1), S. 25-36. Junker, Stefan (2012): »Planung kompetenzorientierten Unterrichts – eine Visualisierung«, in: Praxis Geographie 2, S. 46-48. Kaminske, Volker (1981): Der Naherholungsverkehr im Raum Nordschleswig (= Mannheimer Geographische Arbeiten, Band 11), Mannheim: Selbstverlag des Geographischen Instituts der Universität. Kaminske, Volker (1995): Wahrnehmung und Stufung komplexer Inhalte im Geographieunterricht. Grundlegende Gedanken zum Forschungsstand (=

440 | U RBANES R ÄUMEN

Münchner Studien zur Didaktik der Geographie, Band 6), München: Lehrstuhl für Didaktik der Geographie der Universität München. Kaminske, Volker (1996): »Die verzerrte Welt in unseren Köpfen. Erklärung und Korrektur – Aufgab der Geographie?«, in: Christian Fridrich (Hg.), Die verzerrte Welt in unseren Köpfen (= Beiträge zur Umweltwahrnehmung, Schulheft 82), Wien: Verein der Förderer der Schulhefte, S. 20-33. Kaminske, Volker (2006): »Raumwahrnehmung und Raumvorstellung«, in: Geographie und Schule 164, S. 12-19. Kaminske, Volker (2013): »Mental Map – Repräsentation der Lernlandschaft?«, in: Geographie und Schule 35(201), S. 4-11. Kanwischer, Detlef (2008): In die Räume der Geographiedidaktik. Briefe einer Reise (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Band 21), Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Kanwischer, Detlef (2006a): »›Willkommen im virtuellen Rathaus!‹ Aktionsräume zwischen Marktplatz und Internet«, in: Praxis Geographie 4, S. 11-13. Kanwischer, Detlef (2006b): »Neue Raumkonzepte und neue Lernkultur. Zur Verbindung fachlicher und didaktischer Ansätze«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 123-136. Kanwischer, Detlef (2011): Handlungsorientierter Unterricht. Teilmodul in der VL Regionale Systemanalyse / Geographiedidaktik II. Online verfügbar. Kausch, Thorsten (Hg.) (2013): Städte als Marken. Strategie und Management, Hamburg: New Business Verlag. Kazig, Rainer (2007): »Atmosphären – Konzept für einen nicht repräsentationellen Zugang zum Raum«, in: Berndt/Pütz, Kulturelle Geographien, S. 167187. Kepler, Daniela (2010): Selbstkonzept und Raumvorstellung: Ist die Leistung in einem Raumvorstellungstest steigerbar? Diplomarbeit, Wien. Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (Hg.) (2013): Urbane Spielräume. Bildung und Stadtentwicklung (= Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, Band 8), Wiesbaden: Springer VS. Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2013a): »Urbane Spielräume: Bildung und Stadtentwicklung – Einleitung«, in: Kessl/Reutlinger, Urbane Spielräume, S. 7-16. Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2013b): Bildungsräume – ein Konzept zur Analyse urbaner Spielräume«, in: Kessl/Reutlinger, Urbane Spielräume, S. 25-36. Kießling, Bernd (1988): »Die ›Theorie der Strukturierung‹. Ein Interview mit Anthony Giddens«, in: Zeitschrift für Soziologie 17(4), S. 286-295.

L ITERATUR | 441

Kirchberg, Günter (1995): »Europa in deutschen Geographielehrbüchern«, in: Falk Pingel (Hg.), Macht Europa Schule? Die Darstellung Europas in Schulbüchern der Europäischen Gemeinschaft (= Studien zur Internationalen Schulbuchforschung, Band 84), Braunschweig: Diesterweg, S. 63-79. Kirchberg, Günter (1998): »Veränderte Jugendliche – unveränderter Geographieunterricht? Aspekte eines in der Geographiedidaktik vernachlässigten Problems«, in: Praxis Geographie 4, S. 24-29. Kirchberg, Günter (2007): »Konzentrische Kreise oder vernetzte Inseln? Zur Einordnung von Nähe und Ferne in den Geographielehrplänen«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 79-92. Kirschenmann, Johannes (2005): Handeln und gestalten im öffentlichen Raum. Projekt aus dem Kunstunterricht, Donauwörth: Auer. Klamt, Martin (2007): Verortete Normen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kleemann, Frank/Krähnke, Uwe/Matuschek, Ingo (2013): »Dokumentarische Methode«, in: Frank Kleemann/Uwe Krähnke/Ingo Matuschek (Hg.), Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung in die Praxis des Interpretierens, Wiesbaden: Springer VS, S. 153-195. Klein, Wolfgang (1983): »Deixis and Spatial Orientation in Route Directions«, in: Pick/Acredolo, Spatial Orientation, S. 283-311. Klein, Rüdiger (2011): »Insel Sylt. Raumanalyse als Leitmethode für einen kompetenzorientierten Unterricht«, in: Geographie und Schule 33(190), S. 24-26, S. 31-35. Kneer, Georg (2009): »Jenseits von Realismus und Antirealismus. Eine Verteidigung des Sozialkonstruktivismus gegenüber seinen postkonstruktivistischen Kritikern«, in: Zeitschrift für Soziologie 38(1), S. 5-25. Knox, Paul L./Marston, Sallie A. (2008): Humangeographie (Herausgegeben von Gebhardt, Hans/Meusburger, Peter/Wastl-Walter, Doris), Heidelberg: Spektrum Akad. Verlag. Knox, Paul L./Pinch, Steven (2006): Urban Social Geography. An Introduction, Harlow: Routledge. Kolb, David (1984): Experiential Learning. Experience as the source of learning and development, Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Köck, Helmuth (2005a): »Räumliches Denken«, in: Praxis Geographie 7-8, S. 62-64. Köck, Helmuth (2005b): »Dispositionen raumbezogenen Lernens und Verhaltens im Lichte neuronal-evolutionärer Determinanten (I)«, in: Geographie und ihre Didaktik 33(2), S. 94-104.

442 | U RBANES R ÄUMEN

Köck, Helmuth (2005c): »Dispositionen raumbezogenen Lernens und Verhaltens im Lichte neuronal-evolutionärer Determinanten (II)«, in: Geographie und ihre Didaktik 33(3), S. 113-132. Köck, Helmuth (2006): »Von der Unmöglichkeit eines objektiven räumlichen Weltbildes«, in: Geographie und Schule 164, S. 20-28. Köck, Helmuth (2011): »Raumbezogene Handlungskompetenz – eine begriffskritische Betrachtung«, in: Geographie und ihre Didaktik 39(3), S. 113-133. Kohlfahl, Hilke (1995): »Erdkunde und Kunst. Möglichkeiten einer nicht alltäglichen Fächerkombination«, in: Praxis Geographie 25(7-8), S. 50-52. Kramer, Caroline (Hg.) (2002): Frei-Räume und Frei-Zeiten. Raum-Nutzung und Zeit-Verwendung im Geschlechterverhältnis, Baden-Baden: Nomos-VerlagGesellschaft. Kraus, Anja (2009): »›Schulkultur‹ aus der Perspektive von Zwölf- bis Dreizehnjährigen. Ein Vergleich zwischen finnischen und deutschen Schüler(inne)n«, in: Heike de Boer/Heike Deckert-Peaceman (Hg.), Kinder in der Schule. Zwischen Gleichaltrigenkultur und schulischer Ordnung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 193-205. Krause, Juliane (1999): Mobilität und Raumaneignung von Kindern. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW. Krause, Till (2004): »Zwischenbericht zur Hamburg-Kartierung und Anmerkungen zur Kartographie«, in: Möntmann/Dziewior, Mapping a City, S. 172-181 (Anmerkung: die »Künstlerseiten«, auf denen die Aktionen bildliche festgehalten werden, folgen auf den Seiten 252-255). Kronenberg, Michaela (2001): Die Demagogische Kraft des Wortes: Ideologiebildung von Rechts. Eine Analyse rechtsradikaler Sprachspiele und Denkmuster in Medientexten. Dissertationsschrift, Berlin. Kruckemeyer, Frauke (1993): »Wechselbilder eines Schulhofes: Gebrauchswerte – Geldwerte – ästhetische Werte«, in: Hasse/Isenberg, Vielperspektivischer Geographieunterricht, S. 27-37. Kugler, Hans (1999): »Physiognomie, Erlebniswert und Schutzwürdigkeit der Landschaft«, in: Karl Mannsfeld/Hans Neumeister (Hg.), Ernst Neefs Landschaftslehre heute (= Petermanns Geographische Mitteilungen, Ergänzungsheft 294), Gotha/Stuttgart: Klett-Perthes, S. 129-138. Kuipers, Benjamin (1982): »The ›Map in the Head‹ Metaphor«, in: Environment and Behavior 14(2), S. 202-220. Kultusministerkonferenz (2005): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Geographie. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i. d. F. vom 10.02.2005. Online verfügbar.

L ITERATUR | 443

Kurtenbach, Sabine (2011): »Jugendliche als Seismograph gesellschaftlicher Problemlagen«, in: GIGA Fokus Nr. 5/2011. www.giga-hamburg.de/de/ system/files/publications/gf_global_1105.pdf (letzter Zugriff: 22.03.2014). Kürschner, Christian/Horz, Holger/Schnotz, Wolfgang (2007): »Wissenserwerb als konstruktiver Prozess«, in: Geographie und Schule 168, S. 11-18. Labudde, Peter (2000): Konstruktivismus im Physikunterricht der Sekundarstufe II, Bern/Stuttgart/Wien: Verlag Paul Haupt. Lackner, Michael/Werner, Michael (1999): Der cultural turn in den Humanwissenschaften. Area Studies im Auf- oder Abwind des Kulturalismus? (= Schriftenreihe Suchprozesse für innovative Fragestellungen in der Wissenschaft. Werner Reimers Konferenzen, Heft Nr. 2), Bad Homburg: WernerReimers-Stiftung. Laimer, Christoph (2012): »Stadt selber machen«, in: Dérive. Zeitschrift für Stadtforschung 49. Lambert, David/Biddulph, Mary (2013): »Veränderte Kindheit, veränderte Geographie«, in: Rolfes/Uhlenwinkel, Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht, S. 165-173. Lamkemeyer, Thomas (2013): Topographische Kenntnisse und Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern am Ende der Sekundarstufe I. Eine empirische Untersuchung in Bayern, Thüringen und Nordrhein-Westfalen, Waltrop: ISB-Verlag. Lamnek, Siegfried (2005): Gruppendiskussion: Theorie und Praxis, Weinheim: UTB. Lamnek, Siegfried (2010): Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch, Weinheim: Beltz. Lamprecht, Juliane (2012): Rekonstruktiv-responsive Evaluation in der Praxis. Neue Perspektiven dokumentarischer Evaluationsforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg (2009): Rahmenplan Geographie. Bildungsplan Gymnasiale Oberstufe, Hamburg: Behörde für Schule und Berufsbildung. Landolt, Sara (2011): Trinkräume und Treffpunkte Jugendlicher – Aushandlungsprozesse im öffentlichen Raum der Stadt Zürich. Dissertationsschrift, Zürich. Landwehr, Brunhild (2005): »Orte durch Dinge fremd machen – Vertrautes kritisch betrachten«, in: Praxis Grundschule 6, S. 18-22. Lange, Andreas (1996): »Kinderalltag in einer modernisierten Landgemeinde. Befunde und weiterführende Überlegungen zur Untersuchung der Lebensführung von Kindern«, in: Michael-Sebastian Honig/Hans Rudolf Leu/

444 | U RBANES R ÄUMEN

Ursula Nissen (Hg.), Kinder und Kindheit. Soziokulturelle Muster – sozialisationstheoretische Perspektiven, Weinheim/München: Juventa, S. 77-97. Lantermann, Ernst-Dieter/Linneweber, Volker (2008): Grundlagen, Paradigmen und Methoden der Umweltpsychologie, Göttingen: Hogrefe. Lefèbvre, Henri (1968): Le droit à la ville. Paris: Anthropos. Lefèbvre, Henri (1973): Sprache und Gesellschaft. Sprache und Lernen. (= Internationale Studien zur pädagogischen Anthropologie, Band 23), Düsseldorf: Pädag. Verl. Schwann. Lefèbvre, Henri (1991): The Production of Space, Oxford: Blackwell. Lehman-Frisch, Sonia/Authier, Jean-Yves/Dufaux, Frédéric (2012): »›Draw me your neighbourhood‹: a gentrified Paris neighbourhood through its children’s eyes«, in: Children’s Geographies 10(1), S. 17-34. Lehnert, Gertrud (2011): Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung, Bielefeld: transcript Verlag. Lenk, Hans (2007): »Erkenntnistheoretischer Konstruktivismus als Schemainterpretation«, in: Geographie und Schule 168, S. 4-11. Lenz, Thomas (2002): »Durch Visualisierung zu räumlichen Vorstellungen. Praktische Tipps mit Beispielen«, in: Geographie Heute 23(199), S. 8-13. Lersch, Rainer (2010): Wie unterrichtet man Kompetenzen? Didaktik und Praxis kompetenzfördernden Unterrichts, Wiesbaden: Hessisches Kultusministerium. Institut für Qualitätsentwicklung. Leser, Hartmut (2007): »Raum, Geographie und Landschaftsökologie: Zur aktuellen Diskussion um Transdisziplinarität«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 7-26. Lexikon48.de (o.J.): »Genius Loci«. Siehe http://www.lexikon48.de/4/62/ architektur/genius-loci.html (letzter Zugriff: 20.02.2014) Liebsch, Katharina (2012): »Szenen, Stile, Tribes und Gangs. Lebenswelt Jugendkulturen«, in: Katharina Liebsch (Hg.), Jugendsoziologie. Über Adoleszente, Teenager und neue Generationen, München: Oldenbourg, S. 92-114. Lindner, Gerhard/Kernbeiß, Günter (1996): »Der Einfluß kognitiver Schemata auf die Rezeption von Werbespots«, in: Vitouch/Tinchon, Cognitive Maps und Medien, S. 73-120. Lippuner, Roland (o.J.): Alltag, Wissenschaft und Geographie. Zur Konzeption einer reflexiven Sozialgeographie. Überarbeitete Version eines Vortrags vor der Chemisch-Geowissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-SchillerUniverstität Jena am 12.02.2003. Online verfügbar. Lippuner, Roland (2002): »Konstruktionen von ›Natur‹ und ›Landschaft‹«, in: Praxis Geographie 4, S. 35-39.

L ITERATUR | 445

Lippuner, Roland (2005): Raum. Systeme. Praktiken. Zum Verhältnis von Alltag, Wissenschaft und Geographie, Stuttgart: Steiner. Loos, Peter/Schäffer, Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendung, Opladen: Leske + Budrich. Lossau, Julia/Lippuner, Roland (2004): »Geographie und Spatial Turn«, in: Erdkunde 58(3), S. 201-211. Löw, Martina (2007): »Die Kontextabhängigkeit der Raumwahrnehmung. Eine Annäherung über Taten und Bilder im Feld des Tourismus«, in: Christina Lechtermann/Kirsten Wagner/Horst Wenzel (Hg.), Möglichkeitsräume. Zur Performativität von sensorischer Wahrnehmung (= Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften, Band 10), Berlin: Erich Schmidt Verlag, S. 93-106. Löw, Martina (2011a): »Eigensinnige Geographien oder Eigenlogiken der Städte? Ein Gespräch zwischen Martina Löw (ML) und den Herausgebern Bastian Lange und Malte Bergmann (DH), geführt in Frankfurt am Main im Herbst 2010«, in: Bergmann/Lange, Eigensinnige Geographien, S. 33-43. Löw, Martina (2011b): »›Jede Stadt ist ein Seelenzustand‹ – Über die städtische Vergesellschaftung und Identitätsanforderung«, in: Andreas Hoppe (Hg.), Raum und Zeit der Städte. Städtische Eigenlogik und jüdische Kultur seit der Antike, Frankfurt a.M.: Campus, S. 11-24. Lulf, Friederike (2004): »Den reflektierten Unterricht mit Geschichte fördern – Filme dekonstruieren«, in: Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie 48, S. 111-115. Lynch, Kevin (1975): Das Bild der Stadt, Braunschweig: Vieweg. Lyotard, Jean-Francois (1986 [1979]): Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Graz/Wien: Böhlau. Madlener, Nadja (2004): ›We Can Do‹ – Geschlechtsspezifische Raumaneignung am Beispiel von Graffiti von jungen Mädchen in Berlin, Stuttgart: ibidem-Verlag. Maier, Peter H. (1996a): »Die Relevanz der Raumvorstellung«, in: Pädagogische Rundschau 50(6), S. 745-751. Maier, Peter H. (1996b): »Geschlechtspezifische Differenzen im räumlichen Vorstellungsvermögen«, in: Psychologie in Erziehung und Unterricht: Zeitschrift für Forschung und Praxis 43(4), S. 245-265. Manzo, Lynne C./Perkins, Douglas D. (2006): »Finding Common Ground. The Importance of Place Attachment to Community Participation and Planning«, in: Journal of Planning Literature 20(4), S. 335-350.

446 | U RBANES R ÄUMEN

Marquard, Odo (1974): »Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie«, in: Hans Michael Baumgartner/ Otfried Höffe/Christoph Wild (Hg.), Philosophie, Gesellschaft, Planung. Kolloquium Hermann Krings zum 60. Geburtstag. Vom 27.-29. September 1973, München: Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung, S. 114-125. Martens, Matthias (2010): Implizites Wissen und kompetentes Handeln. Die empirische Rekonstruktion von Kompetenzen historischen Verstehens im Umgang mit Darstellungen von Geschichte, Göttingen: V & R Unipress. Massey, Doreen (2013): »Geographische Sichtweise«, in: Rolfes/Uhlenwinkel, Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht, S. 303-311. Maurmann, Karl Heinz (2002): »Karten in den Köpfen. Mental Maps der USA«, in: Geographie Heute 23(199), S. 30-31. May, Michael (2004): »Aneignung und menschliche Verwirklichung«, in: Deinet/Reutlinger, »Aneignung« als Bildungskonzept der Sozialpädagogik, S. 49-70. Mazarr, Michael J. (2014): »Schwache Staaten, schwache Antworten«, in: Zeit Online vom 27.03.2014. http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-03/statebuilding-internationale-interventionen (letzter Zugriff: 27.06.2014). McGill, William/Korn, James H. (1982): »Awareness of an Urban Environment«, in: Environment and Behavior 14(2), S. 186-201. Mertens, Henning (2013): »Die meinungspluralisierte Karte. Dekonstruktion geomedial vermittelter Deutungen in der Unterrichtspraxis«, in: Geographie und Schule 35(202), S. 40-44. Meusburger, Peter (2001): »Rezension zu Benno Werlen: Sozialgeographie: eine Einführung«. Siehe http://www.raumnachrichten.de/rezensionen/288-sozialgeographie, erschienen in: Erdkunde, 55. Jahrgang, 2001, Heft 3, S. 295-297 (letzter Zugriff: 25.03.2014) Meusburger, Peter/Livingstone, David N./Jöns, Heike (Hg.) (2010): Geographies of Science (= Klaus Tschira Symposia, Knowledge and Space, Band 3), Heidelberg/London/New York: Springer Science+Business Media. Meuser, Michael (2011): »Rekonstruktive Sozialforschung«, in: Bohnsack/ Marotzki/Meuser, Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung, S. 140-142. Meyer, Frauke (2012): Kompetenzzuschreibungen und Positionierungsprozesse. Eine postkoloniale Dekonstruktion im Kontext von Migration und Arbeitsmarkt, Frankfurt a.M.: Lang. Meyer, Heidi (1999): Sitzplätze statt Parkplätze. Quantitative und qualitative Aspekte der Mobilität von Frauen am Beispiel der Stadt Zürich, Zürich: Rüegger Verlag.

L ITERATUR | 447

Meyer, Hilbert (1994): Unterrichtsmethoden I: Theorieband, Frankfurt a.M.: Scriptor. Meyer, Thomas (1995): »Herausforderungen und Perspektiven einer visuellen Kultur«, in: Dieter Baacke/Franz Josef Röll (Hg.), Weltbilder. Wahrnehmung. Wirklichkeit. Der ästhetisch organisierte Lernprozeß (= GMKSchriftenreihe), Opladen: Leske + Budrich, S. 50-70. Michalik, Kerstin (2005): »Welche Welt zeigt uns die Weltkarte?«, in: Praxis Grundschule 6, S. 14-17. Michalsky, Tanja (2005): »Raum visualisieren. Zur Genese des modernen Raumverständnisses in Medien der Frühen Neuzeit«, in: Geppert/ Jensen/Weinhold, Ortsgespräche, S. 287-310. Miener, Kim Pascal (2012): »Diskursanalyse – eine Methode für den Geographieunterricht? Didaktische Impulse«, in: Praxis Geographie 1, S. 44-45. Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (2010): Modellvorhaben Kirchenumnutzungen. Ideen – Konzepte – Verfahren. Sechzehn Beispiele aus Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Mischo, Christoph (2004): »Fördert Gruppendiskussion die PerspektivenKoordination?«, in: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie 36(1), S. 30-37. Mittelstädt, Fritz-Gerd (2006): »Bildung von Räumen – Räume und Bildung«, in: Geographie und Schule 28(160), S. 38-44. Mittelstädt, Fritz-Gerd (2011): »Der Raum als geographiedidaktisches Polylemma«, in: Geographie und ihre Didaktik 3, S. 140-143. Monzel, Sylvia (2007): »Kinderfreundliche Wohnumfeldgestaltung!? Sozialgeographische Hinweise für die Praxis«, in: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 109-134. Mose, Jörg/Strüver, Anke (2009): »Diskursivität von Karten – Karten im Diskurs«, in: Glasze/Mattissek, Handbuch Diskurs und Raum, S. 315-325. Moser, Sonja (2010): Beteiligt sein. Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Möller, Regina Dorothea (2011): »Raum und Kind im Unterricht«, in: Sache, Wort, Zahl 121(39), S. 4-7. Möller, Steffen/Heinemann, Jana/Reeh, Tobias/Karthe, Daniel (2012): »Topographisches Wissen – Empirische Untersuchungen zum Kenntnisstand in Schule und Hochschule«, in: Hüttermann et al., Räumliche Orientierung, S. 116-127. Möntmann, Nina (2002): Kunst als sozialer Raum, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König.

448 | U RBANES R ÄUMEN

Möntmann, Nina (2004): »Mapping. A Response to a Discourse«, in: Möntmann/Dziewior, Mapping a City, S. 14-22. Möntmann, Nina/Dziewior, Yilmaz (Hg.) (2004): Mapping a City, OstfildernRuit: Hatje Cantz. Muckel, Petra (1996): »Selbstreflexivität und Subjektivität im Forschungsprozess«, in: Franz Breuer (Hg): Qualitative Psychologie – Grundlagen, Methoden und Anwendungen eines Forschungsstils, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 61-78. Muri, Gabriela/Friedrich, Sabine (2009): Stadt(t)räume – Alltagsräume? Jugendkulturen zwischen geplanter und gelebter Urbanität, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Müller, Klaus (2001): »Der Pragmatische Konstruktivismus. Ein Modell zur Überwindung des Antagonismus von Instruktion und Konstruktion«, in: Johanna Meixner/Klaus Müller (Hg.), Konstruktivistische Schulpraxis. Beispiele für den Unterricht, Kriftel: Luchterhand, S. 3-47. Müller-Michaelis, Harro (2006): »Räume erfahren – Erfahrungsräume entwickeln«, in: Deutschunterricht 59(6), S. 4-8. Münzer, Stefan (2012): »Inter-individuelle Unterschiede beim räumlichen Orientierungslernen mit dynamischen Visualisierungen«, in: Hüttermann et al., Räumliche Orientierung, S. 74-84. Nagel, Fabian (2013): Quartiersgrenzen: Wo beginnt und endet »Quartier« aus Sicht von BewohnerInnen? Am Beispiel Berlin: Brunnenviertel-Ackerstraße und Brunnenviertel-Brunnenstraße. Working Paper 20/2013, Global Studies Working Papers, Institute of Geography Universität Tübingen, Diplomarbeit. Nancy, Jean-Luc (2008, 2012): Dekonstruktion des Christentums, Zürich: Diaphanes. Neeb, Kerstin (2013): »Räumliche Orientierung mit GPS – (k)ein Mittel zum Erwerb räumlicher Orientierungskompetenz?«, in: Geographie und ihre Didaktik 41(3), S. 123-142. Nehrdich, Tobias (2010): »Geographien im Plural erzählen. Raumkonzepte als didaktisches Werkzeug für den Geographieunterricht«, in: Jürgen Böhner/Beate M.W. Ratter (Hg.), Klimawandel und Klimawirkung (= Hamburger Symposium Geographie, Band 2), Hamburg: Institut für Geographie, S. 141-164. Nehrdich, Tobias/Dickel, Mirka (2012): »Voraus-Setzungen räumlicher Orientierungskompetenz. Folgerungen aus Studierendenprojekten am Dachstein«, in: Hüttermann et al., Räumliche Orientierung, S. 54-63.

L ITERATUR | 449

Nentwig-Gesemann, Iris (2007): »Die Typenbildung der dokumentarischen Methode«, in: Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl, Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, S. 277-302. Neuer, Birgit/Ohl, Ulrike (2008): »Mit Sicherheit verunsichern – Konstruktivistisch orientierte Unterrichtskonzepte und ihre Eignung für (Un-)Sicherheitsthemen«, in: GW Unterricht 110, S. 35-38. Niedersächsisches Kultusministerium (2010): Kerncurriculum Erdkunde für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe – die Gesamtschule – gymnasiale Oberstufe – das Abendgymnasium – das Kolleg. Hannover. Niesyto, Horst (1990): »Medien als Erfahrungsräume«, in: Böhnisch/Münchmeier, Pädagogik des Jugendraums, S. 71-78. Noeske, Nina/Altenburg, Detlef/Bredemeyer, Reiner (2007): Musikalische Dekonstruktion. Neue Instrumentalmusik in der DDR, Köln: Böhlau Verlag. Nohl, Arnd-Michael (2006): Bildung und Spontaneität. Phasen biographischer Wandlungsprozesse in drei Lebensaltern. Empirische Rekonstruktionen und pragmatische Reflexionen, Opladen: Budrich. Nöthen, Eva (2008): »Stadtbilder. Raumwahrnehmung in Kunst und Geografie«, in: Kunst + Unterricht 327/328, S. 19-23. Nöthen, Eva (2012): »Bildern des Klimawandels begegnen – Methodische Annäherungen für den Unterricht und Alltag«, in: Geographie und Schule 34(199), S. 19-29. Nöthen, Stefan (2013): »Hamburg: Unter die Haut«, in: Kausch, Städte als Marken, S. 104-111. Nundy, Stuart (1999): »The Fieldwork Effect: The Role and Impact of Fieldwork in the Upper Primary School«, in: International Research in Geograpical and Environmental Education 8(2), S. 190-198. Nürnberger Gesundheitsamt (2007): Sozialräume und Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen 1999/2000-2003/2004. Online verfügbar. Obermaier, Gabriele (1998): »Geographieinteresse«, in: Geographie heute 157(19), S. 2-5. Odermatt, André/van Wezemael, Joris Ernest (2007): »Geographische Wohnforschung. Handlungstheoretische Konzeptualisierung und empirische Umsetzung«, in: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 17-46. Oehme, Andreas (2004): »Aneignung und Kompetenzentwicklung. Ansatzpunkte für eine Neuformulierung des tätigkeitsorientierten Aneignungsansatzes«, in: Deinet/Reutlinger, »Aneignung« als Bildungskonzept der Sozialpädagogik, S. 205-218.

450 | U RBANES R ÄUMEN

Ohl, Ulrike (2009): Spielraumerweiterung. Institutionelle Rahmenbedingungen und Akteursstrategien in der großstädtischen Stadtteilentwicklung unter Einbezug von Kindern und Jugendlichen. Dissertationsschrift, Heidelberg. Ohl, Ulrike (2013): »Komplexität und Kontroversität. Herausforderungen des Geographieunterrichts mit hohem Bildungswert«, in: Praxis Geographie 3, S. 4-8. Onken, Frauke (2006): »Eine Krise des Raums? Überlegungen zum Problem der Raumaneignung und Raumorganisation in Ernst-Wilhelm Händlers Roman ›Sturm‹«, in: Lutz Hagestedt/Joachim Unseld (Hg.), Literatur als Passion. Zum Werk von Ernst-Wilhelm Händler, Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt, S. 194-219. Pfaffenbach, Carmela (2007): »Kap. 7.3 Verfahren der qualitativen Textaufbereitung und Textinterpretation«, in: Gebhardt/Glaser/Radtke/Reuber, Geographie, S. 164-173. Pfeiffer, Silke (2008): »Raumbezogenes Lernen. Wahrnehmung und Orientierung im Nah- und Fernraum«, in: Grundschulmagazin 76(3), S. 43-50 Piaget, Jean/Inhelder, Barbara (1999 [1971]): Die Entwicklung des räumlichen Denkens beim Kinde, Stuttgart: Klett. Piatti, Barbara (2012): »Mit Karten lesen. Plädoyer für eine visualisiere Geographie der Literatur«, in: Brigitte Boothe/Pierre Bühler/Paul Stoellger/Philipp Michel (Hg.), Textwelt-Lebenswelt (= Interpretation interdisziplinär, Band 10), Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 261-288. Pick, Herbert L./Acredolo, Linda P. (Hg.) (1983): Spatial Orientation. Theory, Research and Application, New York/London: Plenum Press. Pinder, David (2003): »Mapping Worlds. Cartography and the politics of representation«, in: Alison Blunt/Pyrs Gruffudd/Jon May/Miles Ogborn/David Pinder (Hg.), Cultural Geography in Practice, New York: Arnold, S. 172187. Pirker, Bettina (2009): »Medien.Technik.Raum. Technikkonstruierte Räume als interkulturelle Spielplätze der Identität«, in: Tully, Multilokalität und Vernetzung, S. 91-100. Plien, Marion (2012): »Filmische Geographien im Unterricht – Didaktischmethodische Reflexion und Impulse für den Einsatz von filmischen Geographien im Unterricht«, in: Geographie und Schule 34(199), S. 30-40. Pogoda, Andreas (2013): »Städte als Marke erkennbar machen – mit dem Kommunikationsmuster«, in: Kausch, Städte als Marken, S. 50-56. Pott, Andreas (2002): Ethnizität und Raum im Aufstiegsprozeß. Eine Untersuchung zum Bildungsaufstieg in der zweiten türkischen Migrantengeneration, Opladen: Leske + Budrich.

L ITERATUR | 451

Pott, Andreas (2005): »Kulturgeographie beobachtet. Probleme und Potentiale der geographischen Beobachtung«, in: Erdkunde 59(2), S. 89-101. Pott, Andreas (2008): »Neue Kulturgeographie in der Schule? Zur Beobachtung von Kulturen, Räumen und Fremden«, in: Alexandra Budke (Hg.), Interkulturelles Lernen im Geographieunterricht (= Potsdamer Geographische Forschungen, Band 27), Potsdam: Universitätsverlag Potsdam, S. 33-47. Preuss, Rudolf (2008): Mapping Brackel (= Dortmunder Schriften zur Kunst: Studien zur Kunstdidaktik, Band 7), Norderstedt: Books on Demand. Preuss, Rudolf (2008a): »Einleitend«, in: Preuss, Mapping Brackel, S. 9-11. Preuss, Rudolf (2008b): »Themenwechsel«, in: Preuss, Mapping Brackel, S. 2348. Profi-L (2006): »anderersights. Schlüsselkompetenz: Perspektivenwechsel«, in: Magazin für das Lehren und Lernen 2006/3. http://profi-l.info/web/2006-03anderersights-schlusselkompetenz-perspektivenwechsel (letzter Zugriff: 29.06.2014). Projekt »Netzwerke im Stadtteil« (2005): Grenzen des Sozialraums. Kritik eines Konzepts – Perspektiven für Soziale Arbeit (= Schriften des Deutschen Jugendinstituts: Jugend), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Prossek, Achim (2009): Raum-Bild Ruhrgebiet. Zur symbolischen Produktion der Region (= Metropolis und Region, Band 4), Detmold: Rohn. Przyborski, Aglaja (2004): Gesprächsanalyse und dokumentarische Methode. Qualitative Auswertung von Gesprächen, Gruppendiskussionen und anderen Diskursen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2010): Qualitative Sozialforschung: Ein Arbeitsbuch, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Quaiser-Pohl, Claudia (2001): »Zum Einfluss des Wohnviertels auf die Raumvorstellung und die kognitiven Landkarten von 7- bis 12-Jährigen«, in: Psychologie in Erziehung und Unterricht: Zeitschrift für Forschung und Praxis 48(4, Räumliches Denken bei Kindern), S. 280-297. Rauschenbach, Thomas (2009): Zukunftschance Bildung. Familie, Jugendhilfe und Schule in neuer Allianz, Weinheim/München: Juventa. Rauschenbach, Thomas (2007): »Im Schatten der formalen Bildung. Alltagsbildung als Schlüsselfrage der Zukunft«, in: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 2(4), S. 439-453. Rauterberg, Hanno (2001): »Drinnen ist draußen, draußen ist drinnen. Hat der öffentliche Raum noch eine Zukunft?«, in: Deutsches Architektenblatt 2, S. 6-10.

452 | U RBANES R ÄUMEN

Rauterberg, Hanno (2013): »Raus auf die Straße!«, in: Zeit Online vom 26.10.2013 (Die Zeit 43, 17.10.2013). http://www.zeit.de/2013/43/Vorabdruck-Hanno-Rauterberg-Wir-sind-die-Stadt (letzter Zugriff: 03.01.2015). Redtenbacher, Claudia (1996): »Kognitive Karten im Spielfilm«, in: Vitouch/Tinchon, Cognitive Maps und Medien, S. 15-72. Reich, Kersten (1998a): Die Ordnung der Blicke. Perspektiven des Interaktionistischen Konstruktivismus, Band. 1. Beobachtung und die Unschärfen der Erkenntnis, Neuwied: Luchterhand. Reich, Kersten (1998b): Die Ordnung der Blicke. Perspektiven des Interaktionistischen Konstruktivismus, Band. 2. Beziehungen und Lebenswelt, Neuwied: Luchterhand. Reich, Kersten (2005b): Systemisch-konstruktivistische Pädagogik. Einführung in Grundlagen einer interaktionistisch-konstruktivistischen Pädagogik, Weinheim/Basel: Beltz. Reich, Kersten (2002): »Grundfehler des Konstruktivismus – Eine Einführung in das konstruktivistische Denken unter Aufnahme von 10 häufig gehörten kritischen Einwänden«, in: Josef Fragner/Ulrike Greiner/Markus Vorauer (Hg.), Menschenbilder. Zur Auslöschung der anthropologischen Differenz (= Schriften der Pädagogischen Akademie des Bundes in Oberösterreich, Band 15), Linz: Trauner Verlag, S. 91-112. Reich, Kersten (2003): »Muss ein Kunstdidaktiker Künstler sein? Konstruktivistische Überlegungen zur Kunstdidaktik«, in: Carl-Peter Buschkühle (Hg.), Perspektiven künstlerischer Bildung, Köln: Salon-Verlag, S. 73-92. Reich, Kersten (2005a): »Konstruktivistische Didaktik. Beispiele für eine veränderte Unterrichtspraxis«, in: Schulmagazin 3, S. 5-10. Reich, Kersten (2010): »Erfinder, Entdecker und Enttarner von Wirklichkeit. Das kognitiv-konstruktivistische Verständnis von Lehren und Lernen«, in: Pädagogik 62(1), S. 42-47. REINIGUNGSGESELLSCHAFT (2011): »Politiken des Raumes – Strategien und künstlerisches Handeln«, in: BPB – Dossier Kulturelle Bildung vom 28.09.2011. http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/60333/ politiken-des-raumes (letzter Zugriff: 08.06.2014). Reinmann-Rothmeier, Gabi/Mandl, Heinz (2001): »Unterrichten und Lernumgebungen gestalten«, in: Andreas Krapp/Bernd Weidenmann (Hg.), Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch, Weinheim: Beltz PVU, S. 601-646. Rempfler, Armin (2007): »Moderater Konstruktivismus im Geographieunterricht«, in: Geographie und Schule 168, S. 29-35.

L ITERATUR | 453

Reuschenbach, Monika (2007): Entwicklung und Realisierung eines Konzeptes zur verstärkten Integration der Fernerkundung, insbesondere von Luft- und Satellitenbildern in den Geographieunterricht. Dissertationsschrift, Zürich. Reuschenbach, Monika (2011): »Räume (be)greifen! Raumkonzepte für den Erwerb raumbezogener Handlungskompetenz«, in: Geographie Heute 291/292, S. 33-39. Reutlinger, Christian (2001): Unsichtbare Bewältigungskarten von Jugendlichen in gespaltenen Städten. Dissertationsschrift, Dresden. Reutlinger, Christian (2003): Jugend, Stadt und Raum. Sozialgeographische Grundlagen einer Sozialpädagogik des Jugendalters, Opladen: Leske + Budrich. Reutlinger, Christian (2007): »Territorialisierungen und Sozialraum. Empirische Grundlagen einer Sozialgeographie des Jugendalters«, in: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 135-163. Reutlinger, Christian (2009): »Raumdeutungen«, in: Ulrich Deinet (Hg.), Methodenbuch Sozialraum, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 17-32. Rhode-Jüchtern, Tilman (1995): Raum als Text. Wien: Institut für Geographie der Universität Wien. Rhode-Jüchtern, Tilman (2004a): Derselbe Himmel, verschiedene Horizonte. Zehn Werkstücke zu einer Geographiedidaktik der Unterscheidung, Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Rhode-Jüchtern, Tilman (2009): Eckpunkte einer modernen Geographiedidaktik, Seelze-Velber: Kallmeyer. Rhode-Jüchtern, Tilman (Hg.) (2010): Europa wird gemacht. Variationen einer »Bottom-Up«-Konstruktion (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Band 23), Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Rhode-Jüchtern, Tilman (2001): »Perspektivenwechsel als Verstehenskultur – Über ein produktiv-konstruktives Konzept für die Geographie«, in: Internationale Schulbuchforschung 23. Themenheft Multiperspektivität im Geographieunterricht 4, S. 423-438. Rhode-Jüchtern, Tilman (2002): »Die Welt auf den Kopf stellen?! – Erkennen durch Perspektivenwechsel«, in: Willi Lütgert/Peter Hallpap (Hg.), Didaktik in Jena. Aufgaben zu Beginn des 21. Jahrhunderts (= Beiträge des Zentrums für Didaktik i.G. – ZfD, Band 1), Jena: Zentrum für Didaktik, S. 13-28. Rhode-Jüchtern, Tilman (2004b): »›Klima ist doch auch nur eine Konstruktion!‹ Über eine konstruktivistische Geographie in der Lehrerbildung«, in: Praxis Geographie 9, S. 55-57.

454 | U RBANES R ÄUMEN

Rhode-Jüchtern, Tilman (2004c): »Narrative Geographie – Plot, Imagination und Konstitution von Wissen«, in: Vielhaber, Fachdidaktik alternativ – innovativ, S. 49-61. Rhode-Jüchtern, Tilman (2005): »›Struktur- und Modellansatz‹ oder ›Imaginatives Lernen‹? Gedanken zu einer komplementären Lerntheorie«, in: Geographie und ihre Didaktik 33(1), S. 18-42. Rhode-Jüchtern, Tilman (2006a): »Zur Bedeutungsvielfalt von Orten«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 51-70. Rhode-Jüchtern, Tilman (2006b): »Wo die grünen Ameisen träumen… Zur Bedeutungsvielfalt von Räumen«, in: Praxis Geographie 4, S. 4-8. Rhode-Jüchtern, Tilman (2006c): »Der Stadtpark ist für alle da!? Von der subjektiven zur sozialen Raumwahrnehmungskompetenz«, in: Geographie und Schule 164, S. 28-34. Rhode-Jüchtern, Tilman (2006d): »Wir decken einen Frühstückstisch. Experimente zur Aneignung des öffentlichen Raumes«, in: Praxis Geographie 36(4), S. 28-31. Rhode-Jüchtern, Tilman (2011): Was können wir heute von Alexander von Humboldt lernen? – Ein maître à penser aus didaktischer Sicht. Abschiedsvorlesung am 11. Februar 2011. Online verfügbar. Rhode-Jüchtern, Tilman (2012a): Der ›Jenaer Würfel‹ – Verständigungswerkzeug in Umweltpolitik und -bildung. Online verfügbar. Rhode-Jüchtern, Tilman (2012b): »›Sense(s) of place‹ – Narrative Räume – Narrative Geographie«, Vortrag an der Universität Mainz vom 02.02.2012. http://www.geographie.uni-jena.de/geogrmedia/.../Narrative_Geographie.pdf (letzter Zugriff: 13.03.2013). Rhode-Jüchtern, Tilman (2013a): »Perspektivenwechsel«, in: Böhn/Obermeier, Wörterbuch der Geographiedidaktik, S. 214-215. Rhode-Jüchtern, Tilman (2013b): »Strukturgitter«, in: Böhn/Obermeier, Wörterbuch der Geographiedidaktik, S. 262-263. Rhode-Jüchtern, Tilman/Schneider, Antje (2009): »La Gomera unter dem Aspekt von...! Fünf Dimensionen einer konstruktiven Exkursionsdidaktik«, in: Dickel/Glasze, Vielperspektivität und Teilnehmerzentrierung, S. 141-163. Richter, Dagmar (2011): »Politische Bildung durch ästhetische Bildung?«, in: BPB – Dossier Kulturelle Bildung vom 28.09.2011. http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturelle-bildung/60329/aesthetische-und-politischebildung?p=all (letzter Zugriff: 10.03.2013). Richterich, Annika (2014): Geomediale Fiktionen. Map Mashups – zur Renaissance der literarischen Kartographie in der digitalen Literatur, Bielefeld: transcript Verlag.

L ITERATUR | 455

Rinschede, Gisbert (2007): Geographiedidaktik, Paderborn: Schöningh. Rolfes, Manfred/Steinbrink, Malte (2009): »Raumbilder und Raumkonstruktionen im Townshiptourismus – Studierende erforschen Townshiptourismus in Kapstadt/Südafrika«, in: Dickel/Glasze, Vielperspektivität und Teilnehmerzentrierung, S. 123-140. Rolfes, Manfred/Uhlenwinkel, Anke (Hg.) (2013): Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht. Ein Leitfaden für Praxis und Ausbildung, Braunschweig: Westermann. Rost, Detlef (1977): Raumvorstellung. Psychologische und pädagogische Aspekte, Weinheim/Basel: Beltz. Röpcke, Julian (2013): »Kulturbegriffe der aktuellen geographischen Debatte«, in: Rolfes/Uhlenwinkel, Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht, S. 374380. Rösch, Thomas (2008): Kunst und Dekonstruktion. Serielle Ästhetik in den Texten von Jacques Derrida, Wien: Passagen Verlag. Röser, Jutta/Thomas, Tanja/Peil, Corinna (2010): »Den Alltag auffällig machen. Impulse für die Medienkommunikationsforschung«, in: Jutta Röser/Tanja Thomas/Corinna Peil (Hg.), Alltag in den Medien – Medien im Alltag, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7-21. Rothfuß, Eberhard/Dörfler, Thomas (2013): Raumbezogene qualitative Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS. Rothfuß, Eberhard/Dörfler, Thomas (2013a): »Prolog – Raumbezogene Qualitative Sozialforschung. Konzeptionelle Überlegungen zwischen Geographie und Soziologie«, in: Rothfuß/Dörfler, Raumbezogene qualitative Sozialforschung, S. 7-31. Rottland, Thomas (2001): Von Stämmen und Ländern und der Macht der Karte. Eine Dekonstruktion der ethnographischen Kartierung Deutsch-Ostafrikas. Diplomarbeit, Bonn. RP Online (2014): »Wohnzimmer-Feeling im Fußball-Stadion«, in: RP Online vom 04.06.2014. http://www.rp-online.de/sport/fussball/wm/wohnzimmerfeeling-a-la-foersterei-wm-auf-eigener-couch-verfolgen-aid-1.4285988 (letzter Zugriff: 11.06.2014). Rumpf, Horst (1997): »Die Welt spüren und aufspüren lernen. Über das Verhältnis von Lebenswelt und geographischer Bildung«, in: Becker/Bilstein/Liebau, Räume bilden, S. 107-117. Rüsen, Jörn (1994): Historisches Lernen, Köln: Böhlau. Saar, Maarja/Palang, Hannes (2009): »The Dimensions of Place Meanings«, in: Living Reviews in Landscape Research 3, S. 3-24.

456 | U RBANES R ÄUMEN

Saarinen, Thomas F. (1984): Environmental perception and behavior, Chicago: Department of Geography, University of Chicago. Sabisch, Andrea (2007): Inszenierung der Suche. Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskritischen Grafieforschung, Bielefeld: transcript Verlag. Sadigh, Parvin (2014): »Diesmal gewinnen die Jungen«, in: Zeit Online vom 01.04.2014. http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2014-04/pisa-problemloesen-maedchen (letzter Zugriff: 02.04.2014). Sahr, Wolf-Dietrich (2003): »Der Cultural Turn in der Geographie. Wendemanöver in einem epistemologischen Meer«, in: Gebhardt/Reuber/ Wolkersdorfer, Kulturgeographie, S. 231-249. Said, Edward W. (1978): Orientalism, London: Routledge & Kegan Paul. Saunders, Angharad (2011): »Exhibiting the Field for Learning: Telling New York’s Stories«, in: Journal of Geography in Higher Education 35(2), S. 185197. Sauerborn, Petra/Brühne, Thomas (2007): Didaktik des außerschulischen Lernens, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Sächsisches Staatsministerium für Kultus (2009): Lehrplan Gymnasium Geographie. Klassenstufen 5 bis 10, Jahrgangsstufen 11 und 12, Dresden. Online verfügbar. Schade, Udo/Hüttermann, Armin (1999): »Empirische Untersuchungen zur Entstehung eines geographischen Weltbildes bei Schülerinnen und Schülern, in: Helmuth Köck (Hg.), Geographieunterricht und Gesellschaft. Vorträge des gleichnamigen Symposiums vom 12.-15. Okt. 1998 in Landau, Nürnberg: Selbstverlag des Hochschulverbandes für Geographie und ihre Didaktik, S. 194-206. Scharvogel, Martin (2007): Erzählte Räume. Frankfurts Hochhäuser im diskursiven Netz der Produktion des Raumes, Berlin: LIT-Verlag. Schädler, Sebastian (2008): Wenn Derrida Schneewittchen trifft ... Filmpädagogik und [Dekonstruktion] von Geschlechterklischees, München: kopaed. Schäffer, Burkhard (2011): »Gruppendiskussion«, in: Bohnsack/ Marotzki/Meuser, Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung, S. 75-80. Schällig, André (2009): »Das ›soziale Experiment‹ als Exkursionsmethode«, in: Budke/Wienecke, Exkursion selbst gemacht, S. 53-60. Scheffer, Jörg (2011): »Kulturräume zwischen Verabsolutierung und Dekonstruktion – Für eine kontextabhängige Erfassung von kultureller Differenz«, in: Geographie und Schule 33(193), S. 9-14.

L ITERATUR | 457

Scherke, Katharina (2011): »Ästhetisierung des Sozialen heute und in der ›Wiener Moderne‹ um 1900«, in: Hieber/Moebius, Ästhetisierung des Sozialen, S. 15-32. Schlottmann, Antje (2002): »Globale Welt – Deutsches Land. Alltägliche globale und nationale Weltdeutungen in den Medien«, in: Praxis Geographie 4, S. 28-34. Schlottmann, Antje/Felgenhauer, Tilo/Mihm, Mandy/Lenk, Stefanie/Schmidt, Mark (2007): »›Wir sind Mitteldeutschland!‹ Konstitution und Verwendung territorialer Bezugseinheiten unter raum-zeitlich entankerten Bedingungen«, in: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 297336. Schmeinck, Daniela (2007): Wie Kinder die Welt sehen. Eine empirische Ländervergleichsstudie zur räumlichen Vorstellung von Grundschulkindern, Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Schmeinck, Daniela (2004a): »Außerschulische Einflussfaktoren bei der Entwicklung der geographischen Raumvorstellung von Grundschulkindern«, in: Karlsruher pädagogische Beiträge 57, S. 89-106. Schmeinck, Daniela (2004b): »Die Entwicklung der geographischen Raumvorstellung von Grundschulkindern als Gegenstand wahrnehmungsgeographischer Forschung – ein Überblick«, in: Daniela Schmeinck (Hg.), Forschungen zu Lernvoraussetzungen von Grundschulkindern. Wie Kinder die Welt sehen (= Karlsruher pädagogische Studien, Band 3), Norderstedt: Books on Demand, S. 97-114. Schmidt, Walter (1993): »Geheimnisvoller Geograph«, in: Zeit Online vom 14.05.1993. http://www.zeit.de/1993/20/geheimnisvoller-geograph (letzter Zugriff: 09.03.2014). Schmidt-Wulffen, Wulf (2008): »Konstruktivismus im GW-Unterricht – oder: ›Wir wollen dir nicht die Welt erklären, sondern helfen, diese für dich zu entdecken‹«, in: Dobler/Jekel/Pichler, kind : macht : raum, S. 76-86. Schneider, Antje (2006): »›Didactical Turn‹ – Anturnen? Abturnen? Zum Verstehen und Lehren einer neuen Denkweise«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 247-275. Schneider, Antje (2011): »Würfel. Eine Erkenntnisfigur zur reflexiven Problembeobachtung«. Siehe http://www.geographie.uni-jena.de/Lehrst%C3% BChle/Didaktik/Personal/Schneider/Erkenntnisfiguren+.html (letzter Zugriff: 27.11.2014) Schneider, Antje (2013): Geographiedidaktische Reflexivität. Ostdeutsche Mobilitätsfragen im zweiten Blick, Berlin: LIT-Verlag.

458 | U RBANES R ÄUMEN

Schneider, Antje/Vogler, Robert (2008): »Der Turm von Jena. Vielperspektivische Exkursionsdidaktik am Beispiel der Jenaer Innenstadt«, in: Praxis Geographie 7-8, S. 10-14. Schneider, Vera-Lisa/Adelt, Vera/Beck, Anneka/Decker, Oliver (Hg.) (2012): Materialien zum Schulbau. Pädagogische Architektur und Ganztag Teil 1. Der GanzTag in NRW (= Beiträge zur Qualitätsentwicklung 8(23)). Schniotalle, Meike (2005): »Die weite Welt als Mental Map«, in: Grundschule 11, S. 40-42. Schockemöhle, Johanna/Born, Karl Martin (2012): »Gehen oder bleiben? Sozialräumliche Analyse des demographischen Wandels in ländlichen Räumen«, in: Geographie Heute 33(301/302), S. 58-67. Schönig, Wolfgang (2013): Gestalten des Schulraums. Neue Kulturen des Lernens und Lebens, Bern: Hep-Verlag. Schöpke, Henning (1997): »Landschaftsveränderungen durch Windparks«, in: Ulrich Brameier/Norbert von der Ruhren (Hg.), Materialien-Handbuch Geographie, Köln: Aulis-Verlag, S. 43-46. Schramm, Stefanie/Wüstenhagen, Claudia (2012): »Die Macht der Worte«, in: ZEIT Wissen Nr. 06/2012. http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/06/SpracheWorte-Wahrnehmung (letzter Zugriff: 04.06.2014). Schrand, Hermann (1993): »Geographiedidaktik – am Ende postmodern? Plädoyer für eine aufklärungsorientierte Geographiedidaktik«, in: Hasse/Isenberg, Vielperspektivischer Geographieunterricht, S. 21-25. Schranz, Christine (2014): Von der Dampf- zur Nebelmaschine. Szenografische Strategien zur Vergegenwärtigung von Industriegeschichte am Beispiel der Ruhrtriennale, Bielefeld: transcript Verlag. Schröteler-von Brandt, Hildegard (2012): Raum für Bildung. Ästhetik und Architektur von Lern- und Lebensorten, Bielefeld: transcript Verlag. Schubarth, Richard (2009): »Mozart gegen Obdachlose«, in: konkret 04/2009. http://www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=mozartgegenobdachlose& jahr=2009&mon=04 (letzter Zugriff: 11.02.2014). Schubert, Jana (2011): »Raumaneignung und Kompetenzerwerb – Kinder im Gensinger Viertel in Berlin«, in: Bergmann/Lange, Eigensinnige Geographien, S. 81-114. Schubert, Markus/Stoppe, Sebastian (2011): »Funktion von Musik in Städten und Räumen. Einführung. Zu Kapitel 2: Ort und Musik«, in: Judith Kretzschmar/Markus Schubert/Sebastian Stoppe (Hg.): Medienorte. Mise-enscènes in alten und neuen Medien (= Medienrausch – Schriftenreihe des Zentrums für Wissenschaft und Forschung, Band 2), München: Meidenbauer, S. 121-125.

L ITERATUR | 459

Schultz, Hans-Dietrich (1997): »Räume sind nicht, Räume werden gemacht. Zur Genese ›Mitteleuropas‹ in der deutschen Geographie«, in: Europa Regional 5, S. 2-14. Schulze, Rainer (1987): The Perception of Space and the Function of Prepositions in English: A Contribution to Cognitive Grammar, Duisburg: L.A.U.D. Schulz-Schaeffer, Ingo (2000): »Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik«, in: Johannes Weyer (Hg.), Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, München: Oldenbourg, S. 187-211. Schumann, Michael (2007): Sozialraum und Biographie – Versuch einer päd. Standortbestimmung. Siehe http://www.bsj-marburg.de/fileadmin/pdf_ fachbeitraege/Schumann_SozialraumUndBiographie.pdf (letzter Zugriff: 20.06.2014) Schuster, Meike (2013): Stadt(t)räume – Ästhetisches Lernen im öffentlichen Raum, München: kopaed. Schürmann, Eva (2008): Sehen als Praxis. Ethisch-ästhetische Studien zum Verhältnis von Sicht und Einsicht, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Schweizer, Harro (Hg.) (1985): Sprache und Raum. Ein Arbeitsbuch für das Lehren von Forschung, Stuttgart: Metzler. Schweizer, Karin/Horn, Michael (2006): »Raumwahrnehmung und Raumvorstellung. Theoretische Überlegungen und empirische Befunde aus Psychologie und Geographie«, in: Geographie und Schule 164, S. 4-11. Schwinn, Nadine (2010): »Graffiti – Schmiererei oder Kunst?«, in: Praxis Geographie 5, S. 32-36. Seidel, Sabine (2006): »Das Aktionsprinzip. Oder: Die Buche – mit dem Schatten als Waffe«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 213-219. Selman, Robert L. (1984). Die Entwicklung des sozialen Verstehens. Entwicklungspsychologische und klinische Untersuchungen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Senckel, Barbara (2004): Wie Kinder sich die Welt erschließen. Persönlichkeitsentwicklung und Bildung im Kindergartenalter, München: Beck. Shanahan, Suzanne (2007): »Lost and Found: The Sociological Ambivalence Toward Childhood«, in: Annual Review of Sociology 33, S. 407-428. Siegmund, Alexander (2007): »Wie Kinder die Welt sehen – zur Entwicklung der Raumwahrnehmung und des Kartenverständnisses bei Grundschulkindern«, in: Geiger/Hüttermann, Raum und Erkenntnis, S. 104-117. Skelton, Tracey (2007): »Children, Young People, UNICEF and Participation«, in: Children’s Geographies 5(1), S. 165-181.

460 | U RBANES R ÄUMEN

Soeffner, Hans-Georg (1989): »Hermeneutik. Zur Genese einer wissenschaftlichen Einstellung durch die Praxis der Auslegung«, in: Hans-Georg Soeffner (Hg.), Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 98-139. Soja, Edward (1996): Thirdspace: Journeys to Los Angeles and Other Real-AndImagined-Places, Oxford: Wiley. Soja, Edward (2003): »Thirdspace – Die Erweiterung des Geographischen Blicks«, in: Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer, Kulturgeographie, S. 269-288. Söntgen, Beate (2012): »Orte Schaffen«, in: Viola Vahrson/Susanne Märtens/Beate Söntgen (Hg.), gehen, Köln: Salon, S. 35-38. Sperling, Walter (1973): Kind und Landschaft. Das geographische Raumbild des Kindes (= Der Erdkundeunterricht. Beiträge zu seiner wissenschaftlichen und methodischen Gestaltung, Heft 5), Stuttgart: Klett. Spiegel Online (2011): »Google Street View in Japan: Unterwegs im Grauen«, in: Spiegel Online Wissenschaft vom 15.12.2011. http://www.spiegel.de/ wissenschaft/mensch/google-street-view-in-japan-unterwegs-im-grauen-a803705.html (letzter Zugriff: 02.01.2015). Stapf, Kurt-Hermann (1968): Untersuchungen zur subjektiven Landkarte, Braunschweig: Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Stöber, Georg (2011): »Kulturraumkonzepte in Curricula, Schulbüchern und Unterricht«, in: Geographie und Schule 33(193), S. 15-26. Strübing, Jörg (2011): »Theoretical Sampling«, in: Bohnsack/Marotzki/Meuser, Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung, S. 154-156. Stückrath, Fritz (1958): »Das geographische Weltbild des Kindes«, in: Westermanns pädagogische Beiträge 10, S. 135-145. Stückrath, Fritz (1963): Kind und Raum. Psychologische Voraussetzungen der Raumlehre in der Volksschule, München: Kösel. Svendsen, Ann Christine (1981): Childrens’ conceptions of spatial appropriation: an aspect of social knowledge, Vancouver: University of British Columbia. Talmy, Leonard (1983): »How Language Structures Space«, in: Pick/Acredolo, Spatial Orientation, S. 225-282. Tani, Sirpa (2013): »The environments of learning environments: What could/should geography education do with these concepts?«, in: Journal of Research and Didactics in Geography 1(2), S. 7-16. Tessin, Wulf (2011 [2004]): Freiraum und Verhalten. Soziologische Aspekte der Nutzung und Planung städtischer Freiräume. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Thiem, Ninon Franziska/Weber, Florian (2011): »Von eindeutigen Uneindeutigkeiten – Grenzüberschreitungen zwischen Geographie und Literatur-

L ITERATUR | 461

wissenschaft im Hinblick auf Raum und Kartographie«, in: Michael Gubo/ Martin Krypta/Florian Öchsner (Hg.), Kritische Perspektiven: ›Turns‹, Trends und Theorien, Berlin: LIT-Verlag, S. 171-193. Thiemann, Friedrich (1990): »Räume für Kinder«, in: Praxis Geographie 20(6), S. 9-11. Thierer, Andreas (2006): »Handlung im Geographieunterricht: Methode und/oder Inhalt?«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 229-243. Thierer, Andreas (2011): »Erkenntnisgewinnung durch qualitative Methoden im Geographieunterricht – ein Vorschlag zur Kompetenzentwicklung am Beispiel subjektzentrierter Raumwahrnehmung«, in: Geographie und ihre Didaktik 39(2), S. 79-89. Thuswald, Marion (2012): Urbanes Lernen – Kulturelle Bildung in städtischen öffentlichen Räumen (veröffentlicht in Bockhorst, Hildegard/Reinwand, Vanessa-Isabelle/Zacharias, Wolfgang (Hg.), Handbuch Kulturelle Bildung, München). Siehe http://www.kubi-online.de/artikel/urbanes-lernen-kulturelle-bildung-staedtischen-oeffentlichen-raeumen (letzter Zugriff: 03.01.2015) Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (2012): Lehrplan für den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. Geographie, Erfurt. Toplak, Tanja (2014): »Kulturelle Missverständnisse in Frankens Amtsstuben«, in: nordbayern.de vom 11.04.2014. http://www.nordbayern.de/region/ nuernberg/kulturelle-missverstandnisse-in-frankens-amtsstuben-1.3574527 (letzter Zugriff: 02.01.2015). Traun, Christoph/Jekel, Thomas/Loidl, Martin/Vogler, Robert/Ferber, Nicole/Gryl, Inga (2013): »Neue Forschungsansätze der Kartographie und ihr Potential für den Unterricht«, in: GW-Unterricht 129, S. 5-17. Truschkat, Inga/Kaiser, Manuela/Reinartz, Vera (2005): »Forschen nach Rezept? Anregungen zum praktischen Umgang mit der Grounded Theory in Qualifikationsarbeiten«, in: Forum Qualitative Sozialforschung 6(2). Tuan, Yi-Fu (1977): Space and place: The perspectives of experience, Minneapolis: Arnold. Tully, Claus J. (Hg.) (2009): Multilokalität und Vernetzung. Beiträge zur technikbasierten Gestaltung jugendlicher Sozialräume, Weinheim/München: Juventa. Tully, Claus J. (2009a): »Die Gestaltung von Raumbezügen im modernen Jugendalltag. Eine Einleitung«, in: Tully, Multilokalität und Vernetzung, S. 926. Uhlenwinkel, Anke (2013a): »Critical Thinking«, in: Böhn/Obermeier, Wörterbuch der Geographiedidaktik, S. 42-43.

462 | U RBANES R ÄUMEN

Uhlenwinkel, Anke (2013b): »Spatial Thinking«, in: Böhn/Obermeier, Wörterbuch der Geographiedidaktik, S. 257-259. UNESCO (2006): Road Map for Arts Education. The World Conference on Arts Education: Building Creative Capacities for the 21st Century. Siehe http://portal.unesco.org/culture/en/files/40000/12581058115Road_Map_for_ Arts_Education.pdf/Road+Map+for+Arts+Education.pdf (letzter Zugriff: 12.12.2014) Valentine, Gill (2003): »Boundary Crossings: Transitions from Childhood to Adulthood«, in: Children’s Geographies 1(1), S. 37-52. van der Schee, Joop (2006): »Effects of the Use of Thinking Through Geography Strategies«, in: International Research in Geographical and Environmental Education 15(2), S. 124-133. van der Schee, Joop (2013): »Kritisches Denken: Geographische Denkfähigkeit und bedeutungsvolles Lernen (übersetzt von Sarah Schellner)«, in: Rolfes/ Uhlenwinkel, Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht, S. 105-113. van Dijck, Marc (2012): »Die Welt ist zu rund, um still in der Ecke zu sitzen«, in: BPB vom 29.05.2012. http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/kulturellebildung/135271/die-welt-ist-zu-rund-um-still-in-der-ecke-zu-sitzen (letzter Zugriff: 02.01.2015). Varol, Nil (2013): »Gemeinschaftsgefühl. Gerald Hüther über ›Kommunale Intelligenz‹«, in: 3sat Kulturzeit vom 04.03.2013. http://www.3sat.de/ page/?source=/kulturzeit/lesezeit/168819/index.html (letzter Zugriff: 25.02.2014). Vertesi, Janet (2008): »Mind the Gap: The London Underground Map and Users’ Representations of Urban Space«, in: Social Studies of Science 38(1), S. 7-33. Vielhaber, Christian (1993): »Politischer Geographieunterricht – Das Unbewußte bewußt machen«, in: Hasse/Isenberg, Vielperspektivischer Geographieunterricht, S. 45-55. Vielhaber, Christian (1999): Geographiedidaktik kreuz und quer. Vom Vermittlungsinteresse zum Methodenstreit – Von der Spurensuche zum Raumverzicht (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Band 15), Wien: Institut für Geographie. Vielhaber, Christian (1999a): »Über die (Un)Wichtigkeit des Raumes in der Schulgeographie«, in: Vielhaber, Geographiedidaktik kreuz und quer, S. 4766. Vielhaber, Christian (Hg.) (2004): Fachdidaktik alternativ – innovativ. Acht Impulse um (Schul-)Geographie und ihre Fachdidaktik neu zu denken (= Mate-

L ITERATUR | 463

rialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Band 17), Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Vielhaber, Christian/Schmidt-Wulffen, Wulf (1999): »Braucht die Erdkunde Raum?«, in: Wulf Schmidt-Wulffen/Wolfgang Schramke (Hg.), Zukunftsfähiger Erdkundeunterricht: Trittsteine für Unterricht und Ausbildung, Stuttgart: Klett-Perthes, S. 97-127. Vilsmaier, Ulli (2013): »Epilog – Und wo sind wir? Reflexionen auf den Ort der/des Forschenden in der raumbezogenen qualitativen Sozialforschung«, in: Rothfuß/Dörfler, Raumbezogene qualitative Sozialforschung, S. 287-307. Vitouch, Peter/Tinchon, Hans-Jörg (Hg.) (1996): Cognitive Maps und Medien. Formen mentaler Repräsentation bei der Medienwahrnehmung, Frankfurt a.M.: Lang. Vogd, Werner (2004): Dokumentarische Methode: vom immanenten Sinn zum ›Modus Operandi‹ sozialer Praxis. Siehe http://userpage.fu-berlin.de/ ~vogd/Methode.pdf (letzter Zugriff: 02.12.2014) Vogler, Robert (2010): »Japan wird gemacht – Bildanalyse im (GW)Schulbuch«, in: GW-Unterricht 117, S. 52-66. Volkery, Carsten (2014): »Hochhaus-Boom: ›Londons Skyline ist außer Kontrolle‹«, in: Spiegel Online vom 07.04.2014. http://www.spiegel.de/ kultur/gesellschaft/london-skyline-bekommt-200-neue-hochhaeusera962639.html (letzter Zugriff: 14.05.2014). von Förster, Heinz (1985): Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie, Braunschweig: Vieweg. von Roux, Yvonne (2010): Untersuchungen zur Raumverhaltenskompetenz. Eine subjektzentrierte Betrachtung in einer GIS-orientierten LehrLernumgebung. Dissertationsschrift, Dresden. Wagner, Kirsten (2007): »Raum und Wahrnehmung. Zur Vorgeschichte des ›Spatial Turn‹«, in: Christina Lechtermann/Kirsten Wagner/Horst Wenzel (Hg.): Möglichkeitsräume. Zur Performativität von sensorischer Wahrnehmung (= Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften, Band 10), Berlin: Erich Schmidt Verlag, S. 13-22. Wallraff, Lukas (2013): »Wir Sesselfurzer. Mediale Verarbeitung des Syrienkrieges«, in: taz vom 22.08.2013. http://www.taz.de/Mediale-Verarbeitungdes-Syrienkrieges/!122321/ (letzter Zugriff: 20.03.2014). Wardenga, Ute (2002): »Räume der Geographie – zu Raumbegriffen im Geographieunterricht», in: Geographie Heute, Themenheft ›Geographiedidaktik aktuell‹ 23(200), S. 8-11. Erweiterte Darstellung online verfügbar über URL: http://homepage.univie.ac.at/Christian.Sitte/FD/artikel/ute_wardenga_raeum e.htm (letzter Zugriff: 27.06.2014).

464 | U RBANES R ÄUMEN

Wardenga, Ute (2006): »Raum- und Kulturbegriffe in der Geographie«, in: Dickel/Kanwischer, TatOrte, S. 21-47. Wartenpfuhl, Birgit (2000): Dekonstruktion von Geschlechtsidentität. Transversale Differenzen. Eine theoretisch-systematische Grundlegung, Opladen: Leske + Budrich. Wehmeyer, Karin (2013): Aneignung von Sozial-Raum in Kleinstädten. Öffentliche Räume und informelle Treffpunkte aus der Sicht junger Menschen, Wiesbaden: Springer VS. Weichhart, Peter (2008): Entwicklungslinien der Sozialgeographie. Von Hans Bobek bis Benno Werlen, Stuttgart: Steiner. Weichhart, Peter (2001): »Humangeographische Forschungsansätze«, in: Wolfgang Sitte/Helmut Wohlschlägl (Hg.), Beiträge zur Didaktik des ›Geographie- und Wirtschaftskunde‹-Unterrichts (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Band 16), Wien: Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität, S. 182-198 (Vorabfassung von 1995). Weichhart, Peter (2010): »Raumkonstruktionen, ›Turns‹ und Paradigmen«, in: Wöhler/Pott/Denzer, Tourismusräume, S. 21-39. Weichhart, Peter (2013): Poststrukturalismen und ›Neue Kulturgeographie‹ (Vorlesung Sozialgeographie: Räumliche Strukturen der Gesellschaft, Modul 07/01). Online verfügbar über die Universitäts-Homepage. Welsch, Wolfgang (1990): Ästhetisches Denken, Stuttgart: Reclam. Welsch, Wolfgang (Hg.) (1993): Die Aktualität des Ästhetischen, München: Fink. Welsch, Wolfgang (1993a): »Das Ästhetische – eine Schlüsselkategorie unserer Zeit?«, in: Welsch, Die Aktualität des Ästhetischen, S. 13-47. Werani, Anke (2011): Inneres Sprechen – Ergebnisse einer Indiziensuche, Berlin: Lehmanns Media. Werlen, Benno (1995): Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum (= Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, Band 1), Stuttgart: Steiner. Werlen, Benno (1997): Globalisierung, Region und Regionalisierung (= Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, Band 2), Stuttgart: Steiner. Werlen, Benno (2007): Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung (= Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, Band 3), Stuttgart: Steiner. Werlen, Benno (2008): Sozialgeographie, Bern: Haupt. Werlen, Benno (2000a): »Die Geographie der Globalisierung. Perspektiven der Sozialgeographie«, in: Geographische revue 1, S. 5-20. Werlen, Benno (2000b): »Verschwindet die Ferne? Zur Zukunft der räumlichen Bedingungen«, in: Praxis Geographie 2, S. 15-19.

L ITERATUR | 465

Werlen, Benno (2001): »Alltägliche Regionalisierungen«, in: Lexikon der Geographie. http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/alltaegliche-regionalisierungen/265 (letzter Zugriff: 19.06.2014). Werlen, Benno (2004): »Geographieunterricht ohne Raum. Ein Blick auf die Geographien der Subjekte«, in: Vielhaber, Fachdidaktik alternativ – innovativ, S. 21-34. Werlen, Benno (2005): »Raus aus dem Container! Ein sozialgeographischer Blick auf die aktuelle (Sozial-)Raumdiskussion«, in: Projekt »Netzwerke im Stadtteil«, Grenzen des Sozialraums, S. 15-35. Werlen, Benno (2007a): »Einleitung«. In: Werlen, Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung, S. 9-16. Werlen, Benno (2009): »Zur Räumlichkeit des Gesellschaftlichen: Alltägliche Regionalisierungen«, in: Marissa Hey/Kornelia Engert (Hg.), Komplexe Regionen – Regionenkomplexe: Multiperspektivische Ansätze zur Beschreibung regionaler und urbaner Dynamiken, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 100-118. Wetzel, Tanja (2005): Geregelte Grenzüberschreitung. Das Spiel in der ästhetischen Bildung, München: kopaed. Whatmore, Sarah (2006): »Materialist returns: practising cultural geography in and for a more-than-human world«, in: Cultural Geographies 13, S. 600-609. Wieser, Clemens (2008): »Beziehungen zwischen Lebenswelt und Lernen – eine Untersuchung zu Semantik, Verwendung und Problemen einer zentralen Denkfigur der Geographiedidaktik«, in: Dobler/Jekel/Pichler, kind : macht : raum, S. 134-153. Wiktorin, Dorothea (2012): Wege zu einem kompetenzorientierten Geographieunterricht. Das Netzwerk ›Fachliche Unterrichtsentwicklung Geographie Sekundarstufe II‹. Fachdidaktischer Grundlagentext. Siehe http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/netzwerk-erdkunde-sii/erdkunde-home/erdkunde-home.html (letzter Zugriff: 13.03.2014) Willems, Herbert/Eichholz, Daniela (2008): »Die Räumlichkeit des Sozialen und die Sozialität des Raumes: Schule zum Beispiel«, in: Herbert Willems (Hg.), Lehr(er)buch Soziologie (= Für die pädagogischen und soziologischen Studiengänge, Band 2), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 865907. Williams, Daniel R./Vaske, Jerry J. (2003): »The Measurement of Place Attachment: Validity and Generalizability of a Psychometric Approach«, in: Forest Science 49(6), S. 830-840. Willis, Paul E. (1991): Jugend-Stile. Zur Ästhetik der gemeinsamen Kultur, Hamburg: Argument-Verlag.

466 | U RBANES R ÄUMEN

Winderlich, Kirsten (2010): »Der eigene Raum. Raumgestaltung mit Kindern als kunstpädagogische Herausforderung«, in: Kunstportal / Didaktisches Forum, Juli 2010. Online verfügbar. Wöhler, Karlheinz (2008): »Raumkonsum als Produktion von Orten«, in: KaiUwe Hellmann/Guido Zurstiege (Hg.), Räume des Konsums, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 69-86. Wöhler, Karlheinz/Pott, Andreas/Denzer, Vera (Hg.) (2010): Tourismusräume. Zur soziokulturellen Konstruktion eines globalen Phänomens, Bielefeld: transcript Verlag. Wöhler, Karlheinz/Pott, Andreas/Denzer, Vera (2010a): »Formen und Konstruktionsweisen von Tourismusräumen« In: Wöhler/Pott/Denzer, Tourismusräume, S. 11-19. Wüstenrot Stiftung (Hg.) (2003): Jugendliche in öffentlichen Räumen der Stadt. Chancen und Restriktionen der Raumaneignung, Ludwigsburg: WüstenrotStiftung. Wüstenrot Stiftung (Hg.) (2009): Stadtsurfer, Quartierfans & Co. – Stadtkonstruktionen Jugendlicher und das Netz urbaner öffentlicher Räume, Berlin: Wüstenrot-Stiftung. Zacharias, Wolfgang (2001): Kultur und Bildung. Kunst und Leben. Zwischen Sinn und Sinnlichkeit. Texte 1970-2000. Texte zur Kulturpolitik 15, Bonn: Klartext-Verlag. Zacharias, Wolfgang (2013): »Urbane Räume als ästhetische Spiel- und Lernwelten«, in: Kunst + Unterricht 374/375, S. 39-42. Zeiher, Helga (1983): »Die vielen Räume der Kinder. Zum Wandel räumlicher Lebensbedingungen seit 1945«, in: Ulf Preuss-Lausitz (Hg), Kriegskinder, Konsumkinder, Krisenkinder. Berlin: Beltz, S. 176-195. Zeit Online (2014a): »Angehörige der Breivik-Opfer kritisieren DenkmalPläne«, in: Zeit Online Kultur vom 24.03.2014. http://www.zeit.de/ kultur/2014-03/norwegen-denkmal-breivik-dahlberg (letzter Zugriff: 02.04.2014). Zeit Online (2014b): »Nase kann mehr als eine Billion Gerüche unterscheiden«, in: Zeit Online vom 20.03.2014. http://www.zeit.de/wissen/2014-03/nasegeruch-studie (letzter Zugriff: 02.04.2014). Zeit Online (2014c): »In die Kirche zum Biertrinken«, in: Zeit Online Video vom 31.03.2014. http://www.zeit.de/video/2014-03/3414194776001/ grossbritannien-in-die-kirche-zum-biertrinken (letzter Zugriff: 02.04.2014). Zeitler, Sigrid/Heller, Nina/Asbrand, Barbara (2012): Bildungsstandards in der Schule. Eine rekonstruktive Studie zur Implementation der Bildungsstandards, Münster/New York/München/Berlin: Waxmann.

L ITERATUR | 467

Zimmer, Hubert D. (2004): »The Construction of Mental Maps based on a Fragmentary View of Physical Maps«, in: Journal of Educational Psychology 96(3), S. 603-610. Zinkant, Kathrin (2014): »Reiten birgt mehr Risiken als Ecstasy«, in: Zeit Online vom 20.03.2014. http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2014-03/drogenecstasy-mdma-cannabis/komplettansicht (letzter Zugriff: 23.11.2014).

Sozial- und Kulturgeographie Maike Didero Islambild und Identität Subjektivierungen von Deutsch-Marokkanern zwischen Diskurs und Disposition 2014, 414 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2623-0

Julia Rössel Unterwegs zum guten Leben? Raumproduktionen durch Zugezogene in der Uckermark 2014, 258 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2808-1

Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.) Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern Juli 2015, ca. 260 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2720-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de