Wie werden Landschaften gemacht?: Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften [1. Aufl.] 9783839419946

Wie wir mit den Landschaften umgehen, in denen wir leben, hängt entscheidend davon ab, wie darüber kommuniziert wird und

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Wie werden Landschaften gemacht?: Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften [1. Aufl.]
 9783839419946

Table of contents :
Inhalt
Konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung: Prämissen und Perspektiven
Kulturlandschaft und Arbeit: Nachdenken über das Selbstverständliche
Natur- und Kulturlandschaften zwischen Einheit und Differenz. Das Beispiel Biosphärenreservat Mittelelbe
Subjektive Konstruktion von (Kultur-)Landschaft in der Alltagspraxis
Welche Bedeutungen hat Landschaft? – Landschaftsverständnisse in der kommunalen Landschaftsplanung
Die politische Konstruktion von Kulturlandschaften als kollektive Handlungsräume. Die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft als Beispiel
Windräder in Wolfhagen – eine Fallstudie zur diskursiven Konstituierung von Landschaften
Macht und Landschaft: Annäherungen an die Konstruktionen von Experten und Laien
Autoren und Herausgeber

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Markus Leibenath, Stefan Heiland, Heiderose Kilper, Sabine Tzschaschel (Hg.) Wie werden Landschaften gemacht?

Markus Leibenath, Stefan Heiland, Heiderose Kilper, Sabine Tzschaschel (Hg.)

Wie werden Landschaften gemacht? Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Konstituierung von Kulturlandschaften

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Projektverbunds »Konstituierung von Kulturlandschaft«

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Annika Reith, Bielefeld Satz: Natalie Leutert und Markus Leibenath, Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1994-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung: Prämissen und Perspektiven Markus Leibenath | 7

Kulturlandschaft und Arbeit: Nachdenken über das Selbstverständliche Ludwig Fischer | 39

Natur- und Kulturlandschaften zwischen Einheit und Differenz Das Beispiel Biosphärenreservat Mittelelbe Tanja Mölders | 61

Subjektive Konstruktion von (Kultur-)Landschaft in der Alltagspraxis Monika Micheel | 97

Welche Bedeutungen hat Landschaft? – Landschaftsverständnisse in der kommunalen Landschaftsplanung Wera Wojtkiewicz, Stefan Heiland | 133

Die politische Konstruktion von Kulturlandschaften als kollektive Handlungsräume Die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft als Beispiel Heiderose Kilper, Ludger Gailing | 169

Windräder in Wolfhagen – eine Fallstudie zur diskursiven Konstituierung von Landschaften Markus Leibenath, Antje Otto | 205

Macht und Landschaft: Annäherungen an die Konstruktionen von Experten und Laien Olaf Kühne | 237

Autoren und Herausgeber | 273

Konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung: Prämissen und Perspektiven1 Markus Leibenath

1. K ONSTRUK TIVISTISCHE L ANDSCHAF TSFORSCHUNG ALS F ORSCHUNGSNISCHE In der konstruktivistischen, interpretativen Landschaftsforschung werden Landschaften von der Gesellschaft oder vom Individuum her gedacht. Sie können dabei durchaus auch als physische Systeme konzeptualisiert werden, aber nicht ausschließlich. Vielmehr rückt der Fokus des Forschers auf die Prozesse menschlicher Konstruktionen. Er geht davon aus, dass Landschaften nicht per se existieren, sondern durch individuelle Erlebnisse und Wahrnehmungen und durch Kommunikation innerhalb der Gesellschaft in bestimmten Kontexten entstehen (Kemper 2003, 12, Gebhardt et al. 2004, 294). Diese Art der Landschaftsforschung versucht zu verstehen, wie Landschaften von Individuen oder Gruppen als etwas Bedeutungsvolles konstruiert werden.

1 | Auch wenn die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieses Beitrags ausschließlich bei mir liegt, danke ich folgenden Personen für wertvolle Hinweise zu früheren Versionen des Manuskripts: Ludger Gailing (Erkner bei Berlin), Stefan Heiland (Berlin), Gerard Hutter (Dresden), Heiderose Kilper (Erkner bei Berlin), Gerd Lintz (Dresden), Monika Micheel (Leipzig), Antje Otto (Potsdam), Sabine Scharfe (Dresden), Werner Schneider (Augsburg), Sabine Tzschaschel (Leipzig) und Wera Wojtkiewicz (Berlin).

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Sinn und Bedeutungen sind immer an Menschen und deren gesellschaftlich geformte Sichtweisen gebunden. Will man Bedeutungen erforschen, muss man sich auf die Perspektive anderer Menschen einlassen. Dahinter steht die Annahme, dass Erkenntnis und Wissen stets nur innerhalb konkreter „conceptual framework[s]“ (Schwandt 2000, 197) gewonnen und bewertet werden können, innerhalb derer die Welt beschrieben und erklärt wird. Diese Haltung und diese Art des Zugangs werden mit dem Attribut „interpretativ“ bezeichnet: Etwas zu interpretieren heißt, Bedeutungen verstehend zu ermitteln (Schwandt 2000, 191) – dies geschieht sowohl im alltäglichen Austausch von Menschen als auch (systematisch und kontrolliert) im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Durch konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung kann man etwas über die Sinn- und Bedeutungsstrukturen erfahren, die konstruiert werden in Verbindung mit Ň dem Wort „Landschaft“, Ň konkreten Orts- oder Regionsbezeichnungen (Toponymen) oder Ň Ensembles physischer Objekte. Untersucht werden können dabei sowohl alltagsweltliche, planerische oder politische Landschaftskonstruktionen als auch solche von Experten und Wissenschaftlern. Bedeutungen – so eine Basisannahme konstruktivistischer Forschung – beeinflussen und formen Handlungen und Institutionen. Somit bilden sie die Grundlage für Entscheidungen auf individueller wie auf gesellschaftlich-politischer Ebene (Wagenaar 2011, 3 f.). Prekär bleibt dabei jedoch das Verhältnis von Gesellschaft zu Physis oder Materialität, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird. Die hier umrissene wissenschaftliche Perspektive hängt in den Raumwissenschaften eng mit dem „Cultural Turn“ zusammen, in dessen Folge die Neue Kulturgeographie entstanden ist. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind – vor allem in den angelsächsischen Ländern – zahlreiche landschaftsbezogene Arbeiten veröffentlicht worden, die diesem Forschungsfeld zuzurechnen sind (s. die Überblicksdarstellungen in Duncan 2000, Groth und Wilson 2003, Cosgrove 2004, Till 2008, Nadaï und van der Horst 2010). In Deutschland führt konstruktivistisch-interpretative Landschaftsforschung dagegen eher ein Nischendasein. Konstruktivistische Analysen, in denen es explizit um Landschaften geht, hat bislang hauptsächlich Kühne

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(2006, 2009a, 2009b) vorgelegt. Darüber hinaus haben beispielsweise Lippuner et al. (2010) drei instruktive Fallstudien zur Konstruktion Thüringer Kulturlandschaften in Bildung, Tourismus und Politik erarbeitet. Außerdem gibt es Untersuchungen zur sozialen Konstruktion von Natur(en) (z.B. Chilla 2005a, b) und Räumen (z.B. Micheel und Meyer zu Schwabedissen 2005, Schlottmann 2005, Gailing und Kilper 2010, Kilper 2010). Die Beiträge des vorliegenden Bandes beleuchten die Konstituiertheit und das Konstituiert-Werden von Landschaften aus unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Perspektiven. Während sich einige Beiträge recht eindeutig bestimmten Forschungsrichtungen und -traditionen wie der hermeneutisch-phänomenologischen Soziologie (Micheel), dem historischen Institutionalismus (Kilper und Gailing) oder der poststrukturalistischen Diskurstheorie (Leibenath und Otto) zuordnen lassen, stehen andere eher an den Schnittstellen zwischen Gebieten wie der Soziologie Bourdieus, der Planungsforschung oder der Kulturgeographie der Berkeley-Schule, auch wenn darauf nicht immer explizit Bezug genommen wird. Ziel dieses Einführungsbeitrags ist es, Impulse für einen möglichen Rahmen zu geben, innerhalb dessen sich Ansätze konstruktivistischer, interpretativer Landschaftsforschung verorten lassen. In theoretischer Hinsicht unterscheide ich zwei Spielarten konstruktivistischer Forschung, die jedoch eine Reihe methodologischer Prämissen teilen (Abschnitt 2). In einem zweiten Schritt möchte ich zeigen, welche unterschiedlichen Implikationen sich aus den beiden Typen konstruktivistischer Forschung für den Umgang mit Raum und Landschaft ergeben (Abschnitt 3). Diese Überlegungen bilden die Grundlage des dritten Schrittes, in dem ich die Untersuchungsperspektiven und Ergebnisse der nachfolgenden Beiträge vorstelle (Abschnitt 4), bevor ich mit einem Fazit schließe (Abschnitt 5). Der Band dokumentiert Ergebnisse des Projektverbunds „Konstituierung von Kulturlandschaften“ (KULAKon), der zwischen 2008 und 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde. Der Projektverbund ist auf der Plattform des damaligen 4R-Netzwerks raumwissenschaftlicher Institute der Leibniz-Gemeinschaft unter Beteiligung weiterer Partner konzipiert worden. Dabei konnte auch auf Vorarbeiten eines Arbeitskreises unter Federführung der Akademie für Raumforschung und Landesplanung zurückgegriffen werden (Matthiesen et al. 2006), der Fragen entwickelt hat wie „Wer spricht von Kulturlandschaft?“, „Wie werden Kulturlandschaften kommuniziert?“ und „Wer sind die wichtigsten

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Akteure in diesem Kommunikationsprozess?“ (Kühn und Danielzyk 2006, 296). Der KULAKon-Verbund umfasst vier selbständige Teilprojekte: Ň „Subjektive Konstruktion von Kulturlandschaft in der Alltagspraxis“ (Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig), Ň „Konstituierung von Kulturlandschaft durch Diskurse und Diskurskoalitionen“ (Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden), Ň „Der Beitrag sektoraler Institutionensysteme zur Konstituierung von Kulturlandschaft und die Koordination der Interaktionsprozesse“ (Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner) und Ň „Landschaftsverständnisse in der Landschaftsplanung“ (Technische Universität Berlin). Unmittelbar aus den geförderten Projekten sind die vier Beiträge von Micheel, Wojtkiewicz & Heiland, Kilper & Gailing sowie Leibenath & Otto hervorgegangen. Die Texte von Fischer, Mölders sowie Kühne stellen hingegen überarbeitete Schriftfassungen von Vorträgen dar, die auf der Abschlusskonferenz des Projektverbunds im Mai 2011 in Hannover gehalten wurden.

2. S PIEL ARTEN DES K ONSTRUK TIVISMUS 2.1 Sprache, Subjekt und Beobachtung Für einige Wissenschaftler ist „konstruktivistisch“ eine gern genutzte Bezeichnung, die der Selbstvergewisserung sowie dem gegenseitigen Erkennen und der Verständigung dient. Für andere handelt es sich hingegen um ein Unwort, das es tunlichst zu vermeiden gilt oder das sie gar offen bekämpfen: Weil sie das dahinter stehende Programm oder das, was sie dafür halten, ablehnen, oder aber weil sie „konstruktivistisch“ für einen viel zu weit gefassten und zu wenig differenzierenden Ausdruck halten, der allenfalls als „Kampfvokabel“ (Hacking 1999, im Titel) taugt. Im Untertitel des vorliegenden Bandes wird „Konstituierung“ als Sammelbezeichnung für die verschiedenen Arten, „Landschaften zu machen“, verwendet. „Konstituieren“ ist in den Sozialwissenschaften eben-

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falls ein weit verbreitetes Wort, dessen Gebrauch jedoch selten reflektiert und kritisiert wird. Ähnlich wie „konstruieren“ bedeutet es von seinem lateinischen Ursprung her „aufbauen“, „zusammensetzen“, „errichten“. Wagenaar (2011, 4) verweist in diesem Zusammenhang auf das Schlüsselwort „kontingent“, das zum Ausdruck bringt, was gemeint ist, wenn eine Sache als konstruiert oder konstituiert bezeichnet wird. Denn schließlich ist die bloße Feststellung, dass soziale Phänomene von Menschen hervorgebracht oder konstruiert worden sind, wenig originell. „Kontingent“ bedeutet, dass etwas möglich ist, aber keiner Notwendigkeit folgt, also beispielsweise nicht auf ein Naturgesetz zurückzuführen ist, aber auch keineswegs zufällig zustande gekommen ist. „Kontingent“ in der Bedeutung „möglich, aber nicht notwendig“ verweist auf mehrere Grundhaltungen, die viele konstruktivistische Forscher teilen. Erstens widmen sie sich Sachverhalten, die erst durch menschliches Wirken entstanden sind, aber die gemeinhin nicht als Konstrukte, sondern als etwas Normales und quasi Naturwüchsiges betrachtet werden. Dabei kann es sich um Geschlechterrollen, Vorstellungen guter Wissenschaft oder Landschaften handeln. Zweitens wollen sie darauf aufmerksam machen, dass die von ihnen analysierten Elemente der sozialen Welt auch ganz anders beschaffen sein könnten, da sie ja nicht notwendigerweise so sind, wie sie sich gegenwärtig darbieten. Damit muss keine Wertung verbunden werden, wenngleich sich hier bereits eine zumindest latent kritische Perspektive andeutet. Zahlreiche Konstruktivisten gehen jedoch weiter und stellen fest, dass der gegenwärtige Zustand schlecht ist und geändert werden sollte. Die dritte weit verbreitete Grundhaltung konstruktivistischer Forscher beinhaltet also Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und den Wunsch nach Veränderung (Hacking 1999, 19 und 28). Es gibt nicht „den“ Konstruktivismus oder „das“ konstruktivistische Paradigma schlechthin, sondern eine Pluralität konstruktivistischer Ansätze mit je spezifischen Implikationen für den Umgang mit Raum und Landschaft. Im Folgenden möchte ich zwei Spielarten konstruktivistischer Forschung vorstellen, die ich in diesem Kontext zwar für besonders relevant halte, aber zwischen denen in der Forschungspraxis vielfältige Übergänge zu finden sind: den Phänomenologischen Konstruktivismus und den von mir so genannten sprachsensiblen Konstruktivismus (s. die ähnlichen Systematisierungen bei Knorr-Cetina 1989, Miggelbrink 2002). Bei Letzterem wird davon ausgegangen, dass die soziale Wirklichkeit erstens

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konstruiert ist und dass sie zweitens durch und über Sprache konstruiert wird (Wagenaar 2011, 177). Anhänger des phänomenologischen Konstruktivismus teilen hingegen nur die erste Prämisse uneingeschränkt. Der phänomenologische Konstruktivismus fand durch Berger und Luckmanns (1972 [1966]) Schrift „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ breite Aufmerksamkeit. Darin stellen die Autoren „eine soziologische Analyse der Alltagswirklichkeit vor [...] – präziser: eine Analyse jenes Wissens, welches das Verhalten in der Alltagswelt reguliert“ (Berger und Luckmann 1972 [1966], 21), wobei sie sich insbesondere auf Alfred Schütz beziehen sowie auf die Traditionslinien der Phänomenologie und der Wissenssoziologie. Der Schwerpunkt ihrer Ausführungen liegt weniger darauf, wie die soziale Wirklichkeit konstruiert wird, sondern wie die soziale Wirklichkeit, die uns überwiegend als eine bereits konstruierte gegenübersteht, objektiviert wird und dadurch nicht mehr als konstruiert wahrgenommen wird (Berger und Luckmann 1972 [1966], 63 f., Knorr-Cetina 1989, 87). Sprache spielt eine zentrale Rolle, denn die erforderlichen Objektivationen werden über Sprache vermittelt und die soziale Wirklichkeit ist eine sprachlich verfasste und geordnete Wirklichkeit (Berger und Luckmann 1972 [1966], 24). Insofern können Berger und Luckmann sagen, Sprache erzeuge die Welt (1972 [1966], 164). Ansonsten messen sie der Sprache aber weniger einen konstitutiven, sondern eher einen instrumentellen Charakter bei. Sprache ist ein Mittel der Vergegenständlichung neuer Erfahrungen und ein Medium zur Überlieferung und Weitergabe einmal vergegenständlichter Sedimente (Berger und Luckmann 1972 [1966], 73). Daraus lässt sich erstens folgern, dass Worte und Sprache im phänomenologischen Konstruktivismus als „verbale Vehikel“ (Plessner 1972, XIII) gesehen werden, die eine instrumentelle Funktion bei der Repräsentation von Wirklichkeit übernehmen. Zweitens ergibt sich die Bedeutung von Worten aus ihrem Rückbezug auf Objekte und Phänomene der Wirklichkeit. Drittens setzt „[d]iese Perspektive [...] sowohl auf der Seite des Forschers als auch auf der Seite der sozialen Welt die Existenz individueller Akteure (und deren Handlungen in unterschiedlichen Kontexten) voraus“ (Gebhardt et al. 2004, 301). Demnach gibt es relativ autonome Subjekte, die durch Handeln und mithilfe von Sprache überindividuell geteilten Sinn erzeugen, der in Institutionen sedimentiert und so tradiert wird (Angermüller 2007, 97 f. und 105 f.). Viertens schließlich wird postuliert, als hermeneutisch arbeitender Forscher könne man den kollektiv geteilten

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Sinn, den die beobachteten Akteure produziert haben, zuverlässig nachvollziehen und wiedergeben, sofern man sich an gewisse methodische Vorgaben hält (Wagenaar 2011, 48): „Texte drücken demnach das von ihren Urhebern mehr oder minder bewusst Gemeinte aus, das die Leser verstehend nachvollziehen können.“ (Angermüller 2007, 101) Der sprachsensible Konstruktivismus vertritt im Vergleich zum phänomenologischen Konstruktivismus eine radikalere Position und wendet sich stärker wissenstheoretischen Fragestellungen zu (Knorr-Cetina 1989, 91). Seine Grundannahmen lassen sich unter anderem aus der Kognitionstheorie und der Wittgenstein'schen Sprachphilosophie ableiten. Aus der Kognitionsforschung ist bekannt, dass das menschliche Gehirn operational und semantisch abgeschlossen ist. Es kann Wirklichkeit nicht repräsentieren, sondern nur konstruieren. Das Gehirn kann sich jedoch selbst beobachten, ebenso wie es externe Objekte beobachtet. Beobachtung basiert auf Unterscheidungen durch Sprache, „allerdings überträgt Sprache hierbei nicht Information, sondern sie ermöglicht über Unterscheidungen kognitive Orientierung und Interpretation“ (Knorr-Cetina 1989, 89). Der Mensch hat keinen Zugang zur Welt, der nicht bereits durch Sprache und Deutungsschemata vermittelt wäre2: „[A]ll we know are versions; versions that we put together by assembling, weighing, ordering, deleting, supplementing, and deforming the materials that we encounter“ (Wagenaar 2011, 179). Daher ist es unmöglich, sprachliche Repräsentationen auf ihre Richtigkeit an einem „Original“ zu überprüfen. Man kann lediglich verschiedene Vorstellungen oder Konstruktionen miteinander vergleichen (Flick 2008 [2000], 152 f.). So gesehen basiert es auf einer Fiktion, von „sprachlichen Repräsentationen“ zu sprechen, denn diese verweisen lediglich auf andere sprachliche Zeichen und repräsentieren keine außersprachliche Wirklichkeit. Folgt man der These, dass Realität stets bewusstseinsintern und im Rahmen bestimmter sprachlicher Strukturen konstruiert wird, dann gibt es keinen privilegierten Punkt der Weltbeobachtung, keine objektive Wahrheit und kein Wissen, das unabhängig von einer bestimmten Beobachterposition und einem Beobachter wäre. Deswegen „kann es keine Definition eines Gegenstandes geben, die unabhängig von der Semantik wäre, die die2 | Dieses Postulat hat eine lange geistesgeschichtliche Tradition und spielt auch in anderen Gedankenströmungen als der hier beschriebenen eine zentrale Rolle.

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sen Gegenstand in der Sprache des konstruierenden Bereiches beschreibt [...]“ (Knorr-Cetina 1989, 92). Sinn und Bedeutung entstehen durch differentielle Verweise zwischen unterschiedlichen Elementen. Differenzen bilden die Grundlage jeglichen Beobachtens. Die Bedeutung sprachlicher Zeichen im engeren Sinne (Wörter) oder anderer sinnhafter Elemente (Objekte wie die Kelle eines Bahnschaffners oder Praktiken wie das Händeschütteln) entsteht durch Verweise, das heißt dadurch, dass Zeichen oder Elemente miteinander in Beziehung gesetzt werden: „[M]eaning resides solely in the play of differences and consonances of the elements of a symbolic system“ (Wagenaar 2011, 109). Aufgabe des Forschers ist es, solche Bedeutungs- und Sinnstrukturen zu rekonstruieren: „Sinn ist ein Effekt, der im Zusammenspiel der [...] Elemente des Diskurses mit dem Kontext im interpretativen Prozess entsteht“ (Angermüller 2007, 104). Weil es keine Rückbindungen von Zeichen oder Elementen an eine außersprachliche Realität gibt, können prinzipiell beliebige Verweisstrukturen produziert werden.3 Daraus ergibt sich, dass Sinn nicht stabil, sondern fluide ist. Jedes Zeichen oder sonstige Element trägt potenziell unendlich viele Bedeutungen. Außerdem haben wir es mit einer weitgehend entpersonalisierten Form von Bedeutung zu tun. Bedeutungen werden nicht von Individuen den Objekten zugeschrieben, sondern sind den Individuen vorgängig und werden von ihnen reproduziert (Wagenaar 2011, 52 f.). Gleiches gilt auch für die Selbstbeschreibungen der Individuen: Subjektivitäten ergeben sich aus differentiellen Verweisstrukturen und sind daher als diskursive, überindividuelle Konstrukte zu betrachten, derer sich das Individuum bedient. Damit ist „[d]ie Subjektivität [...] – ebenso wie die Objektivität – eine Wirkung der différance“ (Derrida 1986 [1972], 70), das heißt des Spiels differentieller Verweise. Fassen wir auch hier zusammen. Erstens spielt beim sprachsensiblen Konstruktivismus das Konzept einer „objektiven“, nicht diskursiv oder sprachlich verfassten Wirklichkeit keine Rolle. Damit ist nichts darüber gesagt, ob es eine solche Wirklichkeit gibt. Es wird jedoch davon ausgegan3 | Gegenseitige Verständigung erfordert allerdings eine gewisse Regelhaftigkeit, denn „a discourse incapable of generating any fixity of meaning is the discourse of the psychotic“ (Laclau und Mouffe 1985, 112).

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gen, dass diese Art von Wirklichkeit der wissenschaftlichen Analyse nicht zugänglich ist. Zweitens wird der Sprache keine instrumentelle, sondern eine wirklichkeitskonstituierende Funktion beigemessen. Drittens wird die Idee des rationalen, autonomen Subjekts aufgegeben zugunsten der Vorstellung eines Subjekts, das durch Bedingungen konstituiert wird, die es selbst kaum beeinflussen kann (Newman 2005, 4). Viertens müssen sich sprachsensible Konstruktivisten darum bemühen, die „Beobachterabhängigkeit jeglicher Erkenntnis zu reflektieren“ (Miggelbrink 2002, 339) in dem Bewusstsein, dass auch wissenschaftliche Erkenntnisse „nur“ kontingente Konstruktionen darstellen und dass stets eine Vielfalt von Beschreibungen möglich ist (Höhne 2001, 32). Insgesamt dürften für die konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung vor allem zwei Spielarten des Konstruktivismus von Bedeutung sein: der phänomenologische Konstruktivismus und der sprachsensible Konstruktivismus. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Richtungen sind daran zu erkennen, wie eventuelle außersprachliche Wirklichkeiten, die Funktion von Sprache, die Autonomie des Subjekts und die Rolle des wissenschaftlichen Beobachters konzeptualisiert werden. Im Prinzip wird in beiden Spielarten des Konstruktivismus mit einer postpositivistischen Methodologie gearbeitet, wobei in manchen Arbeiten aus dem Bereich des phänomenologischen Konstruktivismus auch positivistische Elemente zum Tragen kommen. Dies hängt unter anderem mit der Rolle zusammen, die dem wissenschaftlichen Beobachter zugeschrieben wird.

2.2 Interpretative, postpositivistische Methodologie Die beschriebenen Spielarten konstruktivistischer Forschung zeichnen sich durch eine Reihe methodologischer Gemeinsamkeiten aus, die oft mit den Attributen „interpretativ“ und „postpositivistisch“ belegt werden. Es ist hinterfragbar, inwiefern sich „Positivismus“ oder „Neopositivismus“ überhaupt als Gattungsbezeichnung eignen (Moldoveanu und Baum 2002). Diese Diskussion möchte ich jedoch nicht führen. Stattdessen gebe ich mit „postpositivistisch“ lediglich ein Label wieder, das viele konstruktivistische Wissenschaftler benutzen, um ihre Methodologie zu benennen – soweit sie sich überhaupt zu methodologischen oder methodischen Fragen äußern – und sich von anderen Ansätzen abgrenzen.

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Zu beachten ist dabei, dass die postpositivistische Methodologie mit epistemologischen Prämissen verbunden ist, die am ehesten mit der oben als sprachsensibel bezeichneten Spielart des Konstruktivismus kompatibel sind, während manche Vertreter des phänomenologischen Konstruktivismus sich zumindest in einigen Punkten stärker auf Seiten des Positivismus verorten. So ist zum Beispiel nicht immer klar, bis zu welchem Grad konstruktivistische Autoren die von ihnen ermittelten sozialen Konstruktionen der Wirklichkeit als etwas quasi-objektiv Beschreibbares betrachten oder aber ob sie darin beobachterabhängige Beobachtungen zweiter Ordnung im Sinne eigener subjektiver wissenschaftlicher (Re)Konstruktionen sehen (Luhmann 1990 [1988], 57 f.). Wovon distanzieren sich interpretativ arbeitende, konstruktivistische Wissenschaftler, wenn sie von „Positivismus“ oder „Neopositivismus“ sprechen? – Zunächst geht es ihnen um die empiristische Vorstellung, es gäbe eine der menschlichen Erfahrung vorgängige und vom Menschen unabhängige Wirklichkeit, die objektiv, das heißt losgelöst von konkreten Kontexten und Beobachtern, erfasst, beschrieben und erklärt werden könne (Yanow 1996, 135, Lin 1998, 162, Howarth 2010, 127, Davoudi 2011, 430). Nach dieser Vorstellung müsste es Begriffe geben, deren Bedeutung sich unmittelbar durch den Rückbezug auf eine außersprachliche Realität ergibt. Die Forderung, Tatsachen von Werten zu trennen, wird ebenfalls als typisch positivistischer Standpunkt betrachtet, weswegen auch eine dezidiert empirismuskritische Denkschule wie der Kritische Rationalismus dem Positivismus zugerechnet wird (Kambartel 1980, 542, Kambartel 1995, 303, Wagenaar 2011, 22 und 29). Außerdem wird „Positivismus“ mit der Vorstellung assoziiert, die Wirklichkeit folge allgemeingültigen, generalisierbaren kausalen Gesetzmäßigkeiten, die erkannt und beschrieben werden könnten (Fischer 1998, 143). Vorzugsweise kommen dabei Methoden wie Experimente, multiple Regressionsanalysen, Umfragen, Kosten-Nutzen-Analysen oder mathematische Simulations-Modelle zum Einsatz (Veraart 1984, 197, Fischer 1998, 130). Weil man davon ausgeht, dass die natürliche und die soziale Wirklichkeit grundsätzlich den gleichen Kausalitätsprinzipien unterliegen, soll in den Natur- wie in den Sozialwissenschaften mit der gleichen Art von Methoden gearbeitet werden. Dieser Gedanke einer einheitlichen Methodologie wurde prominent von Popper vertreten, der dabei sein deduktives Modell des Prüfens und Falsifizierens von Hypothesen vor Augen hatte (Fischer 1998, 130, Glynos und Howarth 2007, 216). Zu den Gütekriterien einer so verstandenen positivistischen

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Forschung gehört unter anderem die Reliabilität, das heißt, dass eine Wiederholung der Untersuchung mit gleichen Methoden zu gleichen Resultaten führen muss (Eckstein 1975, 88). Wieso kritisieren interpretativ arbeitende, konstruktivistische Wissenschaftler positivistische Forschungstraditionen? – Die Kritik ergibt sich aus der Anwendung der grundlegenden konstruktivistischen Prämissen auf den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Wenn jegliche soziale Wirklichkeit sozial konstruiert ist und wenn das, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, stets von der Perspektive des konstruierenden Beobachters abhängig ist, dann kann es keine beobachterunabhängige Erfahrung und Erkenntnis der Wirklichkeit geben (Wagenaar 2011, 19). Bedeutung ist kein Objekt, das „entdeckt“ werden könnte, sondern ergibt sich immer erst durch Interpretation (Schwandt 2000, 198, Keller et al. 2003, 11). Insofern können zwei Beobachter, die mit gleichen Methoden arbeiten und diese sorgfältig anwenden, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Forschungsgegenstände existieren nicht als empirische Tatsachen, sondern stellen Konstrukte von Wissenschaftlern dar, die in ihren jeweiligen Verständnissen der Dinge wurzeln und auf die sie sich per Konvention verständigt haben (Fischer 1998, 133 f., Wullweber 2010, 45, Wagenaar 2011, 30). Die Trennung von Tatsachen und Werten wird zumindest von den sprachsensiblen Konstruktivisten als illusorisch abgelehnt, weil jede Beschreibung der Wirklichkeit kontingente analytische und sprachliche Strukturen voraussetzt, die in machtförmigen sozialen Prozessen entstanden sind und niemals wertfrei sein können (Allmendinger 2002, 89). Die Forderung, in den Sozialwissenschaften mit der gleichen Art von Methoden wie in den Naturwissenschaften zu arbeiten und ebenfalls an der Formulierung und Überprüfung generalisierbarer Kausalgesetze zu arbeiten, wird zurückgewiesen, weil sich die Kontextbedingungen sozialer Phänomene grundlegend von denen natürlicher Phänomene unterscheiden. Kontexte spielen in den Sozialwissenschaften eine andere Rolle, weil es hier um die Beschreibung und Erklärung menschlichen Verhaltens geht, das im Kontext anderen menschlichen Verhaltens stattfindet, das sich ständig in unvorhersehbarer Weise ändert. Daher könnte man zwar von konkreten Kontexten abstrahieren, aber dann wäre keine aussagekräftige Erklärung, geschweige denn eine Prognose möglich (Flyvbjerg 2001, 40 und 45). Welche Elemente beinhaltet eine interpretative, konstruktivistische Methodologie? – Das Grundanliegen besteht darin, subjektive oder soziale Konstruktionen interpretativ zu erschließen. Daraus ergibt sich eine kon-

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text- und einzelfallbezogene Arbeitsweise (Lin 1998, 162 f.). Den Ausgangspunkt bildet kein objektives Problem – „ganz einfach aus dem Grund, dass es kein objektives Problem gibt“ (Wullweber 2010, 46) –, sondern ein von Wissenschaftlern konstruiertes und definiertes Problem oder Phänomen. Fischer (1998, 136) betont, dass es nicht darum geht, Wissen zu erzeugen, das mit der Realität korrespondiert, sondern kontextualisiertes, kohärentes Wissen. Vor diesem Hintergrund beschreibt er die Aufgabe der Wissenschaft folgendermaßen: „[...] we now can formulate the task as a matter of establishing interconnections among the empirical data, normative assumptions (that structure our understanding of the social world), the interpretive judgments involved in the data-collection process, the particular circumstances of a situational context (in which the findings are generated and/or to which the conclusions apply), and the specific conclusions. The acceptability of the conclusions depends ultimately on the full range of interconnections, not just the empirical findings.“ (Fischer 1998, 140)

Zum Einsatz kommen überwiegend qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung wie teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobachtung, verschiedene Typen von Interviews sowie die Analyse von Texten. Die Qualität interpretativer Forschung bemisst sich nicht an ihrer Reliabilität, Repräsentativität oder Validität – also dem Umstand, dass eine Falsifikation bislang nicht gelungen ist –, sondern an ihrer Plausibilität und daran, dass Willkür durch methodisch kontrolliertes Vorgehen so weit wie möglich ausgeschlossen wurde: „An die Stelle [...] szientistisch-quantitativer Anforderungen treten Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse als Gütekriterien einer verstehend-interpretativen Regionalen Geographie.“ (Gebhardt et al. 2004, 301) Die Plausibilität konstruktivistischer, interpretativer Forschung erweist sich in der Interaktion, wenn die Forschungsergebnisse entweder mit Personen des untersuchten empirischen Feldes oder anderen Wissenschaftlern diskutiert und einer Kritik unterzogen werden. Um „gut“ zu sein, muss diese Art von Forschung zudem einen originellen und unkonventionellen Blick auf den untersuchten Wirklichkeitsausschnitt ermöglichen. Weil die Möglichkeit neutraler Beobachterpositionen negiert wird, ist der interpretative Analyst unweigerlich Teil des sozialen Geflechts, das er untersucht (Dreyfus und Rabinow 1983, 202). Daraus folgt, dass „[d]er klassische Anspruch jeglicher Art von Expertentum, nämlich das jeweils

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richtige Wissen und die allein richtige Deutung zu liefern, [...] grundsätzlich in Frage gestellt [ist]“ (Soyez 2003, 32).4

3. K ONZEP TUALISIERUNG VON L ANDSCHAF T 3.1 Relationaler Raum Materialität hat für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung etwas Widerspenstiges. Als Sozialwissenschaftler kann man Landschaft oder Raum nicht einfach als physisches Substrat, Medium und „Behälter“ menschlicher Aktivitäten behandeln. Das wäre gleichbedeutend damit, die offensichtliche Pluralität individueller Wahrnehmungen und gesellschaftlicher Raumkonstruktionen – mithin die mentale und soziale Konstituiertheit von Räumen und Landschaften – auszublenden. Man kann sich jedoch auch nicht ausschließlich beispielsweise auf sprachliche Landschaftskonstruktionen beschränken, weil physische Objekte und Strukturen in ebenso offensichtlicher Weise individuelles Verhalten und gesellschaftliche Abläufe beeinflussen. „Einfache Auswege aus diesem Dilemma gibt es nicht. [...] Die pièce de résistance jeder ‚räumlichen‘ Theorie bleibt [die] Frage der Materialität des Raumes“ (Schmid 2005, 28). In der sozialwissenschaftlichen Raum- und Landschaftsforschung haben sich zwei Richtungen herausgebildet, mit diesem Spannungsverhältnis umzugehen. Zum einen wird mit dualistischen Raum- und Landschaftskonzepten gearbeitet. Diese Position, bei der zwischen physischen und „gesellschaftlichen“ Landschaften unterschieden wird, nenne ich „Landschaft als Dualität“. Sie liegt vielen Arbeiten zugrunde, die eher dem phänomenologischen Konstruktivismus zuzurechnen sind. Zum anderen wird ein nicht-dualistisches, nicht-essentialistisches Verständnis von Raum und Landschaft vorgeschlagen. Dabei werden physische Objekte und Strukturen im Sinne des Derrida'schen Diktums „il n’y a pas de 4 | Eine weitere Schlussfolgerung lautet, dass für Wissenschaftler, die aus einer konstruktivistischen Haltung heraus arbeiten, das tradierte „Ich-Tabu“ (Vollmer 2008, 97) beim Abfassen ihrer Texte irrelevant ist oder sogar kontraproduktiv sein kann. Denn es wäre nicht schlüssig zu versuchen, den erklärtermaßen subjektiven Charakter der eigenen Arbeit hinter objektivierenden Formulierungen zu verstecken.

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hors-texte“5 (Derrida 1993 [1988], 136) als intertextuelle Phänomene konzeptualisiert, weil sie ebenso wie sprachliche Äußerungen Bestandteil differentieller Verweissysteme sind. Daher kann dieses zweite Verständnis, das insbesondere mit dem sprachsensiblen Konstruktivismus in Einklang steht, unter der Überschrift „Landschaft als Differenz“ (in Anlehnung an Simonsen 1996, 499) subsummiert werden. Beiden Positionen ist gemein, dass sie Landschaft und Raum relational verstehen. Von relationalem oder relativem Raum zu sprechen, hat sich in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung zu einem Allgemeinplatz entwickelt, der für sich genommen noch vergleichsweise wenig besagt (Massey 2004, 3). Der Terminus lässt sich jedoch so verstehen, dass Räume nichts Gegebenes sind, sondern erst dadurch konstituiert werden, dass Menschen sich zueinander und zur Materialität in Beziehung setzen (Murdoch 2006, 21). Vor allem aber grenzt man sich damit von der Vorstellung des so genannten Containerraums ab, der gleichsam als Behälter und Basis menschlicher Aktivitäten gedacht wird, ohne aber von diesen signifikant beeinflusst zu werden. Im Gegensatz dazu wird im Konzept des relationalen Raums „der kreative Anteil der Menschen betont, Räume durch ihre Aktivitäten zu konstituieren“ (Schroer 2006, 45).6 Darüber hinaus werden relationale Räume oder Landschaften als offen verstanden: Sie haben keine „harten“ Grenzen, sondern weisen gewissermaßen fließende Übergänge zu anderen Räumen auf. Faludi (2010, 176) verwendet dafür das Bild eines Haufens elektrischer Kabel, die in einem Werkzeugkasten liegen und von denen je nach Bedarf einige herausgezogen und angeschlossen werden können. Offen sind relationale Räume auch insofern, als sich unendlich viele davon auf einen mit geographischen Koordinaten beschreibbaren Ausschnitt der Erdoberfläche beziehen und gegenseitig überlagern können. Dabei handelt es sich um dynamische Konstrukte, die sich – teilweise in gegenseitiger Konkurrenz – beständig fortentwickeln. Im Denkmodell des Containerraums wird hingegen da5 | „Es gibt nichts außerhalb von Texten“ (Übersetzung: M.L.). 6 | Der Streit, ob Raum etwas objektiv Gegebenes ist oder erst durch das menschliche Sich-in-Beziehung-Setzen entsteht, ist alt und lässt sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen. Interessant ist jedoch der Hinweis, dass der deutsche Ausdruck „Raum“ von seiner Etymologie her untrennbar mit menschlichem Handeln zusammenhängt – konkret damit, Vegetation zu be-„räumen“ und für Siedlungszwecke Lichtungen im Wald zu schaffen (Schroer 2006, 29-34).

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von ausgegangen, dass jeder Raum ein Ensemble aus einer bestimmten Identität sowie bestimmten Nutzungen und Nutzern bildet, die sich gegenseitig ausschließen, zum Beispiel in Form (national)staatlicher Territorialität (Löw 2001, 266-273, Murdoch 2006, 18 und 22, Schroer 2006, 102). Lefebvre (1991 [1974], 86 f.) bringt den Gedanken der Offenheit und der Überlagerung sozialer Räume folgendermaßen auf den Punkt: „Social spaces interpenetrate one another and/or superimpose themselves upon one another. They are not things, which have mutually limiting boundaries and which collide [...].“ Eine weitere Gemeinsamkeit beider Positionen besteht darin, dass von einer gegenseitigen Beeinflussung sozialer Beziehungen und physischer Strukturen ausgegangen wird. So verweisen Vertreter des Konzepts von Landschaft oder Raum als Differenz darauf, dass sozialer Raum als materialisierte soziale Beziehungen und als Vorbedingung ihrer Reproduktion verstanden werden kann. Demnach wird Raum durch vielfältige, ungleiche soziale Beziehungen produziert und reproduziert diese (Jones III und Natter 1999, 242). Ganz ähnlich formulieren es die Anhänger dualistischer Raum- und Landschaftskonzepte, zum Beispiel Schroer (2006, 177): „Die kommunikative Herstellung eines sozialen Raums [...] kann [...] ein ganz bestimmtes raumphysikalisches Substrat erzeugen, und von diesem ganz bestimmten materiellen Raum gehen ganz bestimmte soziale Wirkungen aus.“

Oder Kaufmann (2005, 163), der mit Blick auf das US-amerikanische GridSystem der Landeinteilung hervorhebt, dass „[d]as Ordnen der Landschaft [...] Hand in Hand [lief ] mit dem Ordnen der Gesellschaft“. Kilper (2010, 18) plädiert ebenfalls dafür, „Raum nicht nur als ein Elaborat der gesellschaftlichen Verhältnisse zu interpretieren, sondern zugleich anzuerkennen, dass er diese auch schafft und stabilisiert“ (s. auch Lefebvre 1991 [1974], 85). In den nächsten beiden Abschnitten möchte ich einige Spezifika der beiden genannten Ansätze, Landschaft zu konzeptualisieren, beleuchten.

3.2 Landschaft als Dualität oder Landschaft als Differenz Beim Verständnis von Landschaft als Dualität haben wir es gewissermaßen mit „geschichteten“ Landschaften zu tun: Räume oder Landschaften werden analytisch in mindestens zwei Dimensionen zergliedert, die sich

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gegenseitig beeinflussen, jedoch separat konzeptualisiert werden. Insofern handelt es sich um ein hybrides Landschaftskonzept. Am häufigsten wird zwischen den beiden Dimensionen der physischen und der „gesellschaftlichen“ Landschaft unterschieden. Letztere kommt in sprachlich-symbolischen Repräsentationen zum Ausdruck. Oft wird als drittes eine mentale, individuelle Dimension hinzugenommen. So unterscheidet Kühne (2009a) etwa – in Anlehnung an Bourdieu – zwischen (a) gesellschaftlicher Landschaft, (b) zwei eher individuellen Dimensionen, nämlich individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaft und angeeigneter physischer Landschaft, sowie (c) physischem Raum, der „die räumlich-relationale Anordnung von Dingen im Allgemeinen – unabhängig von der sozialen oder individuellen Beobachtung und Bezeichnung als Landschaft“ (Kühne 2009a, 397) – umfasst. Eine ähnliche Einteilung legt Lefebvre (1991 [1974], 11) vor, indem er schreibt: „The fields we are concerned with are, first, the physical – nature, the cosmos; secondly, the mental, including logical and formal abstractions; and, thirdly, the social.“ Oder Soja (1989, 120): „As socially produced space, spatiality can be distinguished from the physical space of material nature and the mental space of cognition and representation [...].“ Auf einer reinen Dualität basiert dagegen die Unterscheidung zwischen „Synthese“ und „Spacing“ bei Löw, die es gestattet, „Veränderungen in der Konstitution von Raum [...] in den Vorstellungen, Wahrnehmungen und Erinnerungen“ – also auf der Synthese-Ebene – „sowie in der Organisation des Nebeneinanders, in den Verteilungsstrukturen und den Platzierungen“ – also im Bereich des Spacing – „getrennt zu betrachten“ (Löw 2001, 264; Hervorhebung: M.L.). Löw und viele andere Autoren sehen allerdings im „Spacing“ oder allgemeiner in der anthropogenen Veränderung physischer Strukturen ebenfalls einen sozialen Konstruktionsprozess. Unter den Anhängern einer dualistischen Perspektive auf Landschaft und Raum gibt es unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich der Zugänglichkeit des physischen Raums. Bourdieu betrachtet den physischen Raum als bloße Abstraktion, weil Raum für ihn immer nur als angeeigneter Raum und mithin als „eine soziale Konstruktion und eine Projektion des sozialen Raums“ (Bourdieu 1991, 28) denkbar ist. Andere Autoren gehen hingegen davon aus, dass physische Räume objektiv erfahrbar seien und sozial hergestellten Räumen gegenübergestellt werden könnten. In einem solchen Vorgehen erkennt beispielsweise Schlottmann (2005, 23) „einen Mittelweg zwischen radikalem Raumkonstruktivismus und radikalem Raumrealismus“, wobei sie sich auf das Giddens'sche Konzept der

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Dualität von Struktur und Handlung bezieht. Einen vergleichbaren Weg beschreiten auch Gailing und Kilper (in diesem Band), wenn sie Raumkonstruktionen als „formelle und informelle Regelsysteme“ definieren, „die eine räumliche Reichweite und Gültigkeit haben“, sowie zugleich als Handlungsräume, die durch das kollektive Handeln von Akteuren konstituiert werden (Gailing und Kilper 2010, 95 und 97, auch Tzschaschel 2012, 120 f.). Um das Konzept von Landschaft als Differenz nachvollziehen zu können, muss man die gängigen Alltagsvorstellungen von Landschaft loslassen. Diese Konzeptualisierung ist nicht-essentialistisch und nichtfundamentalistisch, weil davon ausgegangen wird, dass „Landschaft“ keine objekthafte Realität repräsentiert und dass es keine „eigentliche“ Bedeutung von „Landschaft“ gibt, kein Fundament, auf das man sich im Zweifelsfall beziehen könnte (Dingler 2005, 211, Berndt und Pütz 2007, 18). Stattdessen wird „Landschaft“ – wie auch „Raum“ und „Natur“, letztlich wie jedes Wort – als Teil differentieller Verweissysteme oder Diskurse betrachtet, die aus kontingenten Beziehungen zwischen sprachlichen Zeichen und Aussagen sowie nicht-sprachlichen Elementen wie Objekten, Personen und Handlungen bestehen. Dadurch werden diese Elemente zu Texten in einem erweiterten Sinne, deren Bedeutung sich über die Dekonstruktion der intertextuellen Beziehungen erschließen lässt (Barnes und Duncan 1992, 5 f.). Damit ist zunächst einmal nicht mehr als eine vergleichsweise abstrakte Denkfigur beschrieben. Die meisten Autoren, die Landschaft in dieser Weise konzeptualisieren, sprechen jedoch auch von Landschaften in einem physischen Sinne oder von physischem Raum. Insofern finden sich auch hier Anklänge dualistischer, essentialistischer Raum- und Landschaftskonzepte. Und doch wird Physis hier anders thematisiert. Die Sphäre der Objekte und der Materialität wird dem Primat des Sozialen und der diskursiven Produktion von Sinn untergeordnet. So schreibt Werlen (2007, 255): „Objekte können nur in ihrer sinnhaften Konstitution/Konstruktion Handlungsrelevanz erlangen.“ Und Dingler (2005, 221) stellt fest, dass Materialität innerhalb dieses Ansatzes als diskursiver Effekt konzeptualisiert werden müsse. In ähnlicher Weise sieht Howarth (2006, 115) den sozialen Raum nicht als Unterkategorie des physischen Raums, sondern umgekehrt den physischen Raum als eine Unterform jeglicher Ordnung, die eine strukturelle Regelmäßigkeit zwischen Objekten erzeugt. Dies er-

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läutert er damit, dass physischer Raum durch soziale Praktiken in konkrete Diskurse und soziale Welten hinein „gewebt“ wird: „[...] issues about space, distance, speed, territoriality, and so on, and how they are to be thought about, depend ultimately upon social and political practices“ (Howarth 2006, 116). Darüber hinaus öffnet diese Art, Landschaft zu konzeptualisieren, den Blick für den politischen Charakter von Landschaften und für Fragen der Macht. Schroer (2006, 175) unterstreicht zwar, dass auch bei dualistischen Raumkonzepten und insbesondere unter Bezugnahme auf das Konzept des Containerraums Machtfragen behandelt werden können, denn: „Im Rahmen einer Container-Theorie kann eine Raumstelle nur von einem Objekt, Ding oder Menschen eingenommen werden, sodass die Einnahme ebendieser Raumstelle durch ein zweites Individuum [...] zumeist nicht ohne Streit, Kampf und Gewaltanwendung abgeht.“

Dabei stützt Schroer sich allerdings auf ein simples Machtverständnis, das beinahe archaisch anmutet. Denn bei der Verbindung von Landschaft und Macht ist nicht nur an offensichtliche Flächennutzungskonflikte zu denken. Howarth (2006, 116) verweist auf subtilere Mechanismen: „[...] the meaning, experience, and organization of physical space is in part shaped by political logics and practices.“ Das bedeutet, dass die Praktiken, die zur Veränderung physischer Strukturen führen, unauflöslich mit sonstigen Praktiken der Sinnproduktion zusammenhängen. So gesehen werden Landschaft, Raum oder Natur diskursiv produziert – in einem sprachlichen, aber auch in einem physisch-materiellen Sinne. In der postmodernen, poststrukturalistischen Diskurstheorie (s. den Beitrag von Leibenath und Otto in diesem Band), auf der diese Aussage basiert, werden Diskurse als machtförmige Phänomene und Prozesse betrachtet. Denn sie setzen voraus, dass kontingente Grenzen zwischen einem „Innen“ und einem „Außen“, zwischen wahr und falsch sowie zwischen legitimen und illegitimen Sprechern gezogen werden. Diese Art von Macht hat sowohl produktive als auch repressive Aspekte. Hegemoniale, von vielen Sprechern reproduzierte Diskurse führen auch zu bestimmten physisch-räumlichen Strukturen, weswegen Greider und Garkovich (1994, 17) konstatieren: „In the context of landscapes, power is the capacity to impose a specific definition of the physical environment, one that reflects the symbols and meanings of a particular group of people.“ Das Wort „definition“ ist dabei in

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einem doppelten Sinne zu verstehen: Einerseits als die physische Implementation räumlicher Anordnungen und andererseits als die Durchsetzung bestimmter Arten, physische Räume zu sehen, zu verstehen und zu nutzen (Jones III und Natter 1999, 243). Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Landschaft innerhalb dieser Konzeptualisierung als stets offen betrachtet wird. Landschaften als Bedeutungsstrukturen und auch als physische Strukturen sind genauso kontingent und „brüchig“ wie die Diskurse, deren Bestandteil sie sind (Massey 2005, 11 f., 59 und 131, Murdoch 2006, 22).

4. Ü BERBLICK ÜBER DIE B EITR ÄGE Der vorliegende Band enthält jenseits dieses Einführungskapitels einen eher theoretisch-philosophisch orientieren Artikel (Fischer zu „Kulturlandschaft und Arbeit“) und sechs stärker empirisch ausgerichtete Beiträge zu verschiedenen Facetten der Konstituierung von Kulturlandschaften. Ich möchte die Zugänge und Perspektiven der Beiträge im Folgenden umreißen, um Neugier auf die Lektüre zu wecken und um auf einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinzuweisen. Die meisten Autoren dieses Bandes positionieren sich mehr oder weniger eindeutig im Bereich des phänomenologischen Konstruktivismus. Dies gilt insbesondere für die stärker handlungstheoretisch orientierten Beiträge von Micheel, die von einem „starken“ Subjekt ausgeht, sowie von Kilper und Gailing, für die die wechselseitige Strukturierung von Handeln und Institutionen einen wichtigen Aspekt darstellt. Lediglich Leibenath & Otto ordnen ihre Untersuchung explizit dem sprachsensiblen Konstruktivismus zu. Fischer führt in seinem Beitrag über weite Strecken eine naturphilosophische Argumentation. In einer zentralen These plädiert er für ein nicht-dualistisches Naturverständnis, bei dem Natur als subjekthaft und dem Menschen strukturell gleichgestellt konzipiert wird. Arbeit wäre dann nicht mehr als Nutzung oder gar Ausbeutung von Natur zu denken, sondern als Kooperation mit der Natur. Damit grenzt Fischer sich von der neuzeitlichen, auf Descartes zurückgehenden Gegenüberstellung von Natur und Kultur ab. Zuvor legt er dar, dass Landschaften nur sehen könne, wer von der Arbeit an der „äußeren“ Natur befreit sei und gleichzeitig beträchtliche Arbeit an seiner eigenen „inneren“ Natur geleistet und so die

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Fähigkeit erlangt habe, von Feldern, Wiesen, Waldstücken und Ähnlichem auf Landschaften zu abstrahieren. Andererseits sei das, was als Kulturlandschaft geschaut werde, also die objekthafte Seite von Landschaft, nicht denkbar ohne das bearbeitende Tun von Menschen. Auch Mölders setzt sich kritisch mit dem Dualismus von Natur und Kultur auseinander. Sie geht der Frage nach, wieso sich die ihrer Meinung nach obsolete Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturlandschaften beharrlich hält und für die Naturschutzpraxis sogar nach wie vor konstitutiv ist. Für Mölders wird Landschaft auf drei Ebenen konstruiert: physisch im Wirtschaftshandeln, symbolisch in gesellschaftlichen Diskursen sowie normativ durch Wertzuschreibungen. Vor diesem Hintergrund rekonstruiert Mölders auf der Basis von Dokumentenanalysen und Interviews mit Akteuren des Natur- und Denkmalschutzes im Biosphärenreservat Mittelelbe und im Dessau-Wörlitzer Gartenreich, wie Natur- und Kulturlandschaften mal als Einheit und mal als Differenz dargestellt werden. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturlandschaften dazu diene, eine bestimmte Naturpolitik der Naturbeherrschung zu ermöglichen und diese im selben Zuge einer gesellschaftlichen Debatte zu entziehen. Micheel hat ihre Untersuchungen auf die Alltagspraxis der Bevölkerung fokussiert. Dahinter steht das Konzept der „alltäglichen Lebenswelt“, das von Alfred Schütz entwickelt und von Thomas Luckmann fortgeführt wurde. Im Fokus stehen Erfahrungen, auf die das Individuum bei seiner Auslegung der Lebenswelt bewusst oder unbewusst zurückgreift. Ziel ist es, grundlegende Konzepte und Prinzipien der subjektiven Konstruktion von Kulturlandschaft aufzuzeigen. Dazu dienen Fallstudien in drei Räumen, die von unterschiedlicher Veränderungsdynamik geprägt sind: die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft als eine gewachsene Kulturlandschaft, das Dresdner Elbtal als eine urbane Kulturlandschaft und die Neue Landschaft Ronneburg als eine Bergbaufolgelandschaft. Micheel kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass Landschaft oder Kulturlandschaft eng mit stabilen Vorstellungen von einer vorindustriellen, ländlichen Idylle verbunden und weniger am dynamischen Landschaftswandel der Moderne orientiert ist. Landschaft wird vor allem als Wohlfühl- und Freiraum empfunden. Interessanterweise scheinen die meisten Menschen aber moderne technische Infrastruktureinrichtungen wie Autobahnen oder Windkraftanlagen relativ problemlos mit ihren Vorstellungen von Landschaft in Einklang bringen zu können, wenn die Umstände es erfordern.

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Ähnlich wie Micheels Beitrag steht die Arbeit von Wojtkiewicz und Heiland dem phänomenologischen Konstruktivismus nahe und beruht insgesamt auf einer eher dualistischen Landschaftsauffassung. Die Autoren analysieren, welche Landschaftsverständnisse in kommunalen Landschaftsplänen reproduziert werden. Den Ausgangspunkt ihrer Untersuchung bildet eine Unterscheidung zwischen ökologisch, soziokulturell und utilitaristisch orientierten Bedeutungszuweisungen zu Landschaft, die sich – in unterschiedlichen Gewichtungen – zum Landschaftsverständnis des jeweiligen Plans zusammensetzen. In einer hermeneutischsemantischen, qualitativen Inhaltsanalyse weisen sie Referenzen zu allen drei Landschaftsverständnissen nach, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung: In den untersuchten Plänen dominieren ökologisch orientierte Bedeutungszuweisungen – so das Fazit ihrer empirischen Analyse. In der abschließenden Bewertung weisen sie darauf hin, dass durch diesen ökologischen Bias die Akzeptanz und politische Durchsetzbarkeit landschaftsplanerischer Ziele geschmälert werden könnte. Die institutionalistisch geprägte Sicht von Kilper und Gailing auf die Konstituierung von Landschaften erweitert den Blick auf andere sektorale Institutionensysteme als die Landschaftsplanung. In ihrem Beitrag widmen sie sich exemplarisch den Konstitutionsleistungen der Institutionensysteme des Naturschutzes, der Denkmalpflege und der regionalen Entwicklungspolitik, die sie am Beispiel der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft untersuchen. Ähnlich wie Mölders differenzieren auch Kilper und Gailing analytisch zwischen Prozessen der subjektiven Konstruktion durch individuelle Wahrnehmung, der physisch-materiellen Konstruktion durch Naturbearbeitung und der kollektiven Konstruktion durch gesellschaftliches Handeln und Institutionen. Auf letzteres fokussieren sie ihre Analyse, indem sie anhand zahlreicher Einzelinitiativen und -projekte aus dem Dessau-Wörlitzer Raum aufzeigen, wie Kulturlandschaften als kollektive Handlungsräume konstruiert werden. Insgesamt sehen sie in der DessauWörlitzer Kulturlandschaft einen relationalen Raum, der durch eine Vielzahl sektoraler Handlungsräume gekennzeichnet ist. Die Autoren betonen insbesondere die Rolle informeller Institutionen und Governanceformen, die für die Konstituierung einer Landschaft durch sektorale Institutionensysteme typisch sind. Leibenath und Otto analysieren die Konstituierung von Kulturlandschaften aus einer sprachsensiblen Perspektive und konzeptualisieren Landschaft als Differenz. Als empirische Grundlage dient eine Fallstudie

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über konkurrierende Windenergiediskurse in der nordhessischen Kleinstadt Wolfhagen, wo auf dem Rödeser Berg ein Windpark errichtet werden soll. Die Autoren arbeiten heraus, dass im Zusammenhang mit dem Rödeser Berg zwei konträre Landschaften konstruiert wurden. Dieselben physischen Objekte – Relief, Bäume, ein Windmessmast und anderes mehr – werden dabei in unterschiedliche Sinn- und Bedeutungszusammenhänge eingebettet, die sich im Zeitverlauf als wandelbar erwiesen haben. Leibenath und Otto sehen in dem Fall ein Beispiel dafür, dass Diskursstrukturen zugleich Machtstrukturen sind und dass die Entscheidung darüber, welcher Diskurs der „vernünftigere“, „objektivere“ oder „wahrere“ sei, in der Praxis zu einer Machtfrage wird. Kühne schließlich rückt Macht in das Zentrum seines Beitrags. In einer Art postmoderner Collage schlägt der Autor einen weiten Bogen: Von verschiedenen Machtkonzepten über die Einschreibung gesellschaftlicher Machtverhältnisse in den physischen Raum und über konkurrierende Paradigmen für den gestalterischen Umgang mit Landschaften bis hin zu aktuellen Konflikten um infrastrukturelle Großprojekte in Deutschland. An verschiedenen Stellen stützt sich Kühne auf empirische Befunde aus eigenen früheren Arbeiten. Sein Text führt dem Leser die Vielgestaltigkeit der sozialen Konstruktion von Landschaften wie in einem Kaleidoskop vor Augen und offeriert einen Fundus an Ideen, die zum Ausgangspunkt weiterer Studien werden können. In ihrer Gesamtheit geben die Beiträge des Bandes und insbesondere die Texte, die aus dem KULAKon-Projektverbund heraus entstanden sind, einen Überblick über verschiedene Bereiche, in denen Landschaften sozial konstruiert werden. Die empirische Spannweite reicht von Ň Aussagen zufällig ausgewählter Interviewpartner und Ň allgemeinen Publikumsmedien wie Tageszeitungen über Ň akademische Lehrbücher und andere disziplinäre beziehungsweise sektorale Fachtexte, Ň Landschaftspläne als Manifestationen eines der wenigen explizit landschaftsbezogenen Institutionensysteme und Ň dezidiert politische Debattenbeiträge bis hin zu

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Ň Äußerungen von Akteuren im Kontext regionaler Kulturlandschaftsinitiativen und Ň Befragungen von Regionalplanern. In den vorangegangenen Abschnitten war mehrfach von dualistischen und nicht-dualistischen Landschaftskonzepten die Rede, allerdings in einem doppelten Sinne: Zunächst ging es um die Dualität von physischer und „gesellschaftlicher“ Landschaft, auf der die meisten landschaftsbezogenen Arbeiten aus dem Bereich des phänomenologischen Konstruktivismus basieren. In den Beiträgen von Fischer und Mölders kommt dagegen eine andere Facette dieses Dualismus zur Sprache, nämlich die Polarität von Natur und Kultur. Beide Autoren dekonstruieren diese Dichotomie in je spezifischer Weise und zeigen, dass die Gegenüberstellung von Natur und Kultur bestimmte, ethisch wünschbare Formen der Naturpolitik und der gesellschaftlichen Aneignung von Natur blockiert. Einige der Beiträge werfen ein Schlaglicht auf die Funktion, die „Landschaft“ und „Kulturlandschaft“ in den verschiedenen Diskurskontexten erfüllen. Da geht es beispielsweise mal um die Selbstvergewisserung und Selbstverwirklichung des Individuums (Micheel in diesem Band), mal um Argumentationen pro oder contra Windenergie (Leibenath und Otto in diesem Band), mal um die Definition bestimmter regionaler Entwicklungspfade, um die Schaffung kollektiver Identitäten und die Motivierung von Akteuren (Kilper und Gailing in diesem Band). Bei einer Gesamtschau auf die Beiträge ist zu erkennen, dass Landschaftskonzepte wie etwa die Vorstellung von Landschaft als einem schönen, wertvollen Gebiet offensichtlich mit einer gewissen Persistenz und Stabilität immer wieder reproduziert werden. Es wird deutlich, dass unter bestimmten institutionellen oder situativen Vorzeichen mit großer Wahrscheinlichkeit jeweils spezifische Landschaftskonzepte reproduziert werden, zum Beispiel: konservierende, romantisierende und zugleich ökologisch geprägte Landschaftskonzepte im Bereich des institutionalisierten Naturschutzes und eher ubiquitäre, entwicklungsoffene Landschaftskonzepte im Kontext der Regionalentwicklung. In politischen Kontexten ist „Kulturlandschaft“ häufig ein strategischer Begriff – ganz offen oder auch nur implizit als Bestandteil einer hidden agenda. Aus der Perspektive des Alltagserlebens von Individuen und in deren subjektiven Landschaftskonzepten spielen meist pragmatische Gesichtspunkte eigener Nutzung oder emotionale Beziehungen die ausschlaggebende Rolle.

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5. F A ZIT UND A USBLICK Konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung wird auch weiterhin eine Nische innerhalb einer weit verzweigten und überwiegend von positivistischen Geographen, Landschaftsökologen und -planern geprägten „Forschungslandschaft“ bilden. In Anbetracht der Pfadabhängigkeiten und der Eigenlogiken, denen das Wissenschaftssystem unterliegt, ist dies nicht weiter verwunderlich und darüber hinaus auch keineswegs kritikwürdig. Meines Erachtens ist die Nischenexistenz sogar die einzig vorstellbare Daseinsform konstruktivistischer, interpretativer Landschaftsforschung. Denn diese Art der Forschung hat eine Reflexions- und Korrektivfunktion, die sie eigentlich nur aus der Position des am Rande stehenden Beobachters erfüllen kann. Nicht alle Wissenschaftler können und sollen jedoch als Beobachter am Rand des Spielfelds stehen, sondern eine deutlich größere Zahl von Spielern sollte sich auf dem Feld bewegen. Damit meine ich, dass konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung eben „nur“ Reflexionen befördern kann, aber keine Antworten auf drängende Fragen wie beispielsweise die nach den Zusammenhängen zwischen Landnutzung und biologischer Vielfalt oder nach der Resilienz unterschiedlicher Ökosysteme gegenüber Klimaveränderungen geben kann. Auch wenn die Beiträge dieses Buches ihrem Selbstverständnis nach eher dem Bereich der Grundlagenforschung zuzurechnen sind, hat konstruktivistische, interpretative Landschaftsforschung ein großes Potenzial, gesellschaftliche und politische Akteure zu beraten – oder besser: mit ihnen in Dialoge und wechselseitige Reflexionsprozesse einzutreten. Vielen konstruktivistischen, interpretativen Forschern ist das ein Bedürfnis, weil sie aus einer latent oder sogar explizit kritischen Einstellung heraus forschen. Manche Autoren verwenden in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Phronesis“, der unter anderem auf Aristoteles zurückgeht, und bezeichnen damit praktische Vernunft im Hinblick auf kollektive Belange (Boyte 2011, 634): „Aristoteles grenzt die Phronesis terminologisch ab einerseits vom technischen Handeln (Technē), das sich zwar wie die Phronesis mit ‚Veränderlichem‘ befasst, aber nicht auf Moralität, sondern auf ein Hervorbringen gerichtet ist, andererseits vom theoretischen Wissen [...], das sich mit strengem Beweisverfahren auf Allgemeines und Notwendiges (nicht Veränderliches) bezieht.“ (Gatzemeier 1995, 229)

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Phronetische Forschung ist darauf gerichtet, mit Individuen oder gesellschaftlichen Gruppen in Interaktion zu treten und sie dazu zu bringen, ihre Werte zu hinterfragen und zu überprüfen (Flyvbjerg 2001, 63). Insofern transzendiert Phronesis die Unterscheidung zwischen „praktisch verwendbare[m] Wissen (technischem Verfügungswissen)“ und „kritische[m] Reflexionswissen (Orientierungswissen)“ (Blotevogel 2003, 29), weil hier kritisches Reflexions- oder Orientierungswissen erarbeitet werden soll, das zugleich auch praktisch relevant ist. Macht man sich diesen Anspruch zu Eigen, so stellen sich Fragen nach den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Praxis bis hin zur Ko-Produktion von Erkenntnis durch Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler (Flyvbjerg 2001, 132), die meines Erachtens bislang noch nicht hinreichend thematisiert worden sind. Wer grundsätzlich davon ausgeht, dass Kulturlandschaften sozial konstituiert sind, wird aufgeschlossener sein für planerisch-politische Herangehensweisen, die die Vielfalt an kollektiven und individuellen Perspektiven sowie an institutionellen Regelungen berücksichtigen. Landschaften können in aller Regel nicht einfach „gemacht“ oder „geplant“ werden; sie sind in demokratisch verfassten Gesellschaften immer ein komplexes Feld gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Diese Sichtweise in die Praxis zu übersetzen, bedeutet, den innovativen Auftrag der Europäischen Landschaftskonvention (CoE 2000) ernst zu nehmen. Damit ist gemeint, multiple Perspektiven auf Landschaften als Gebiete und als Wahrnehmungsobjekte anzuerkennen, die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für Landschaften zu erhöhen sowie eine umfassende Landschaftspolitik unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zu entwickeln und umzusetzen.

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Kulturlandschaft und Arbeit: Nachdenken über das Selbstverständliche1 Ludwig Fischer

1. D IE W AHRNEHMUNG VON L ANDSCHAF T UND DIE A BWESENHEIT VON A RBEIT Dass der Begriff ‚Kulturlandschaft‘ nicht gedacht werden kann, ohne die Einwirkung menschlicher Arbeit an ‚Natur‘ mitzudenken, dass also von Kulturlandschaft nicht geredet werden kann, wenn nicht implizit die Formen und Ergebnisse gesellschaftlich organisierter Arbeit gemeint sind, das darf wahrhaftig als eine Selbstverständlichkeit gelten. Deshalb wird über das genauer zu fassende Zusammenspiel zwischen Landschaft und Arbeit auch kaum diskutiert, wo es um ältere und vor allem um neuere Konzepte von Kulturlandschaft, ja von Landschaft allgemein geht. Bei den Humanökologen und Kulturgeographen etwa hat Peter Weichhart schon vor Jahren einige Überlegungen von systemtheoretischen Ansätzen aus angestellt (Weichhart 1989), der Umwelthistoriker Hans Peter Sieferle hat in seinem ‚Rückblick auf die Natur‘ sich näher auf ‚Kulturarbeiten‘ als Movens in der geschichtlichen Entstehung von Landschaften eingelassen (Sieferle 1997), um zwei der wenigen Beispiele für Beiträge zu nennen, die auch grundlegende konzeptionelle Fragen aufwerfen. Welche Vorstellungen wir von Landschaft generell und von Kulturlandschaft im Besonderen hegen, wie wir die Entstehung und den Wandel von Landschaften begreifen, welche Prämissen und welche Normen in unse1 | Ich schließe mit diesem Beitrag an Überlegungen an, wie ich sie im Aufsatz ‚Reflexionen über Landschaft und Arbeit‘ (Fischer 2009) dargelegt habe.

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ren Landschaftskonzepten enthalten sind, hängt wesentlich – ohne dass wir dies in der Regel erörtern – von basalen Annahmen über das Verhältnis von landschaftlicher Natur und Arbeit ab. Es fängt damit an, dass die Wahrnehmung von umgebender Natur als ‚Landschaft‘ im Sinne eines lange dominanten Verständnisses von der Voraussetzung aus erfolgte, dass die wahrnehmenden Subjekte von unmittelbar praktischer Arbeit ‚an der Natur‘ freigestellt waren. Der uns vertraute, sozusagen klassische Landschaftsbegriff, der sich seit der Renaissance durchgesetzt hatte und der in seinem Kern die Anschauung eines mehr oder weniger ‚natürlichen‘ Ensembles, die bildliche Repräsentation einer Naturszenerie meinte, ist nur unter der Prämisse zu haben, dass nicht handgreiflich an den Elementen der Szenerie arbeiten muss, wer sie zur ‚Landschaft‘ synthetisiert (Fischer 2012). Deshalb sind auf traditionalen Landschaftsbildern immer wieder auch Menschen dargestellt, die in und an der abgebildeten Natur arbeiten – Bauern zumeist, Hirten, Fischer, Jäger –, aber wer den Umgebungsausschnitt als Landschaft erkennen will, darf nicht zu ihnen gehören. Neuere soziologische Erkundungen liefern eindrückliche Belege dafür, dass etwa Angehörige der bäuerlichen Bevölkerungsgruppen beim Gang durch ihre Umgebung, die als ‚Landschaft‘ zu bezeichnen uns selbstverständlich ist, von Partien dieser Umgebung – Felder, Wiesen, Wege, Waldstücke, Bachläufe usw. – als von Arealen sozialer Konflikte, der Eigentumsfolge, verschiedener Bodennutzungen, als von Stätten markanter Ereignisse, das heißt: von Erinnerungsorten sprechen, so gut wie nie aber von landschaftlicher ‚Schönheit‘ etwa als Qualität ihrer Lebenswelt (Schmidt 2007). Solche Redeweise zeigt sich, wenn sie vorkommt, schnell als Übernahme eines ‚fremden Blicks‘, meist der ökonomisch viel versprechenden touristischen Zuschreibung. Selbstverständlich hat nicht zuletzt die Allgegenwart der modernen Medien bewirkt, dass auch Akteure, die – etwa in Kulturlandschaften – die weitgehend natürlichen Umgebungen direkt bearbeiten, jenen distanzierten Blick einnehmen können, der eine Voraussetzung der Synthetisierungsleistung landschaftlicher Wahrnehmung darstellt. Das geschieht nicht nur in fremden Umgebungen, etwa in der ‚Freizeit‘, sondern bei vielen anderen Gelegenheiten, bei denen das lebensweltliche Absehen von der unmittelbaren Nutzung zugrunde liegt. Umgekehrt erscheint denjenigen Akteuren, die eine ‚Gegend‘ ausschließlich unter Nutzungsgesichtspunkten betrachten, diese nicht als Landschaft im genuinen Sinn, sondern als verwertbares Naturensemble. Man kann das

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an vielen Konflikten um (verwertungsorientierte) Eingriffe in Landschaften erkennen, nicht nur bei Kontroversen um die Windenergie-Nutzung (Hasse 1999, 207 ff.). Traditionell bedeutet also, lebensweltliche Umgebungen als ‚Landschaften‘ wahrnehmen zu können, ein unerhörtes soziales Privileg: nämlich die Suspendierung von eigener und ‚ursprünglicher‘, d.h. vor allem körperlicher Arbeit als Grundlage des menschlichen „Stoffwechsels mit der Natur“.2 Die Binsenweisheit, dass Landschaft nur anschauend erkennen kann, wer nicht in ihr schuften muss, hatte und hat enorme, nicht nur theoretisch relevante Konsequenzen.3 Wenn beispielsweise in den Konflikten um die Etablierung von Nationalparks oder FHH-Gebieten die Einwohner bzw. Anwohner protestierten, indem sie anführten, sie hätten schließlich durch ihre über Generationen andauernde Arbeit die ‚wertvollen Biotope‘ erst geschaffen, während die Natur- und Landschaftsschützer lediglich ‚von außen‘ ihre wissenschaftlichen Auffassungen und politischen Imperative durchzusetzen versuchten, dann enthält solcher Protest genau die elementare Differenz zwischen konkreter ‚Arbeit an der Natur‘ und dem Anspruch bloßer Benennungsund Verfügungsmacht über ‚Landschaft‘ (Fischer 2007, 2008).

2. L ANDSCHAF T UND VISUELLE W AHRNEHMUNG Auf der kulturgeschichtlichen Linie ist die Freisetzung der Subjekte, die ‚Landschaft‘ wahrnehmen, von praktischer Arbeit in der betrachteten Umgebung verantwortlich für die absolute Dominanz des Distanzsinnes der visuellen Wahrnehmung für die Konstituierung von Landschaft. Gemäß der klassischen Auffassung ist Landschaft betrachtete Umgebung, also primär mit den Augen erfasst, und zwar aus gewisser Distanz, weil erst ein 2 | Im Zitat die berühmte Formulierung von Karl Marx. Vgl. dazu Schmidt 1971. 3 | Die axiomatische ‚Freistellung‘ nicht nur bei der Wahrnehmung von Landschaft im klassischen Sinn, sondern auch bei der Theoriearbeit, hat weit reichende Konsequenzen für den Gehalt der Theorie selbst. Das gilt auch und in besonderem Maße für die im neuzeitlich-abendländischen Verständnis vorherrschende Naturtheorie. Vgl. dazu meinen essayistischen ‚Torso‘ unter dem Titel ‚Arbeit an der Natur‘ (Fischer 1999), der nicht mehr dem Stand der Forschung entspricht, dessen zentrale Thesen ich aber nach wie vor vertrete.

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Abstand jene ‚Zusammenschau‘ ermöglicht, mit der die Umgebungselemente zu Landschaft synthetisiert werden. Diese geradezu definitorische Bedeutung des Bildhaften im klassischen Landschaftskonzept lässt sich kulturgeschichtlich zurückverfolgen auf die Entstehung der zentralperspektivischen Abbildungskonvention. Es ist eben kein historischer ‚Zufall‘, dass die Etablierung der Zentralperspektive in der Malerei und Grafik der Renaissance chronologisch zusammenfällt mit dem damals neuen Verständnis von ‚Landschaft‘ als abgebildetem, gerahmtem Umgebungsausschnitt (Eberle 1986, 88 ff.). Das zentralperspektivische Darstellen auf der Bildfläche erforderte aber eine hohe Abstraktionsleistung, eine Sehweise, die das natürliche Sehen ‚umdeuten‘ und dem schauenden Subjekt dabei eine ambivalente Stellung zuweisen muss (Fischer 1996). Dass die bis in unsere Zeit dominante Landschaftsauffassung auf einer solchen Prämisse beruhte – nämlich auf der selbstverständlichen Gültigkeit des zentralperspektivischen Abbildungsverfahrens für ein ‚Bild von Landschaft‘ –, muss gewissermaßen als die Innenseite des Zusammenhangs von Landschaft und Arbeit begriffen werden: Die Subjekte, die Landschaft gemäß der bildlichen Konvention wahrnehmen und deuten, mithin auch theoretisch fassen, müssen sich eben eine Sehweise als ‚natürliche‘ zu eigen gemacht haben, die einen tief reichenden Lernprozess erfordert (Fischer 1996, 82 ff.). Dass man, um Landschaft nach der traditionalen Auffassung wahrnehmen zu können, von tätiger Arbeit an der Natur freigestellt sein muss, korrespondiert also auf eine dialektische Weise mit dem Umstand, dass man zugleich eine beträchtliche ‚Arbeit am Selbst‘ geleistet haben und ihr Ergebnis als bildhaftes Sehen internalisiert haben muss. Auf der Ebene der Theoriearbeit entspricht dann im klassischen Landschaftskonzept die Definition der ‚Leistung‘ des wahrnehmenden Subjekts genau der Form der Subjektkonstitution, die mit der zentralperspektivischen Sehweise entworfen ist: So wie die zentralperspektivische Darstellung einen höchst zwiespältigen Bezug zwischen ‚Subjekt und Welt‘ herstellt (Fischer 1996, 86 ff.), der eine zwangsläufig mit ‚Täuschungen‘ operierende Synthetisierungsleistung bedeutet, so verlangt die Anschauung von Landschaft im traditionalen Verständnis eine analoge Synthetisierungsleistung, indem der ‚unstrukturierte‘ Umgebungsraum zu einer visuellen, gestalthaften Einheit geordnet und zusammengeschlossen und als solche ‚geschaut‘ wird. Das zeigen in aller Klarheit die lange Zeit als kanonisch geltenden Aufsätze von Georg Simmel und Joachim Ritter

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(Simmel 1957, Ritter 1974). Aber beide Texte belegen auch, dass die philosophisch ausformulierte, klassische Landschaftsauffassung die Reflexion auf die erforderliche ‚Arbeit an der inneren Natur‘ so wenig einbezieht wie die Reflexion auf die auch theoretisch wirksame Rolle des Absehens von der ‚Arbeit an der äußeren Natur‘. Ich kann an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass man keineswegs nur einen metaphorischen Wortgebrauch veranschlagen darf, wenn von der ‚Arbeit am Selbst‘ oder der ‚Arbeit an der inneren Natur‘ gesprochen wird. Denn diese Arbeit kann und muss im strengen Sinn als dialektische Verschränkung mit der Arbeit an der gegenständlichen äußeren Natur begriffen werden. Das gilt auch für die kulturelle Konstitution von Landschaft: Viele kulturgeschichtliche und ethnologische Studien liefern die Belege dafür, dass nicht nur die Konstruktion der Sicht auf Landschaft erhebliche Arbeit am Selbst im Sozialisationsprozess wie im historischen ‚Prozess der Zivilisation‘ verlangt, sondern ebenso sehr der wahrgenommene Gehalt von Landschaft, also die spezifische gestalthafte Erscheinung. Was als eine bestimmte Landschaft, beispielsweise gemäß dem Typus des ‚deutschen Waldes‘, wahrgenommen und auch konkret behandelt wird, geht auf eine lange kulturgeschichtliche Formung dieses ‚mentalen Konstrukts‘ vom viel besungenen deutschen Wald zurück (Lehmann 1999). Es hat buchstäblich die ‚innerliche‘ Arbeit von vielen Generationen im deutschen Kulturraum erfordert, solch eine dann für ‚Realnatur‘ gehaltene Wahrnehmung zu schaffen. Welche regelrechte Gewalt solche Resultate innerer Arbeit entwickeln können, zum Beispiel gegenüber Bewohnern oder Nutzern von Landschaften, die man für wertvoll hält, lässt sich etwa an der Geschichte von Nationalparks und Landschaftsschutzgebieten studieren (z.B. Schama 1996). Zurück zur Vorherrschaft des Bildhaften im traditionalen Landschaftskonzept: Bei Joachim Ritter, einem der ‚Klassiker‘ des bis in unsere Zeit maßgeblichen Landschaftsverständnisses, wird dieser nahezu absolute Vorrang des Auges bei der Synthetisierung von Umgebung zu ‚Landschaft‘ philosophisch gewissermaßen übersetzt in die ‚Theoria‘ genuinen Sinnes, in die Anschauung des vom menschlichen Subjekt begriffenen ‚Ganzen‘ durch die von jeder Tätigkeit ‚freie‘ Wahrnehmung der ‚gegenüber‘ befindlichen Natur.4 Joachim Ritter hatte in seinem programmatischen Aufsatz 4 | Im Folgenden übernehme ich einige Passagen aus meinem Aufsatz ‚Landschaft – überall und nirgends‘ (Fischer 2012).

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‚Landschaft‘ von 1963 geradezu apodiktisch formuliert: „Landschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist.“ (Ritter 1974, 150) Die von den Menschen genutzten Räume, ob in der Peripherie der Stadt oder in der Weite der Steppen, seien nicht „als solche schon ‚Landschaft‘. Sie werden es erst, wenn der Mensch sich ihnen ohne praktischen Zweck in ‚freier‘ genießender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein. Mit seinem Hinausgehen verändert die Natur ihr Gesicht.“

Sie „wird ästhetisch zur Landschaft“ (Ritter 1974, 150 f.). Ein verkürzendes und verfälschendes Verständnis eines solchen ästhetischen Landschaftsbegriffs hat in neueren Debatten über Landschaftstheorie dazu geführt, dass man das herkömmliche Konzept von Landschaft als das ‚Idealbild einer harmonisch gestalteten ländlichen Szenerie‘ meinte charakterisieren zu können. Derartige reduktionistische und begriffslose Qualifizierungen verkennen völlig sowohl den kulturhistorischen Gehalt als auch die wahrnehmungs- und naturtheoretischen Prämissen der ‚klassischen‘ Landschaftsauffassung. Da ist es nicht verwunderlich, dass die angeblich ‚neuen‘ Landschaftskonzepte, etwa in der Nachfolge Brinckerhoff Jacksons, ziemlich unreflektiert entscheidende Grundlagen des vermeintlich erledigten ‚alten‘ Landschaftsbegriffs fortschreiben, darunter vor allem den Zusammenhang von Landschaftskonstitution und ‚Praxisentlastung‘. Lucius Burckhardt mit seiner ‚Spaziergangswissenschaft‘ bewegte sich noch bewusst und emphatisch auf dem Boden traditionaler Landschaftsästhetik, auch wo er städtische Räume einbezog (Burckhardt 2006). Brinckerhoff Jackson selbst und – soweit ich sehen kann – fast alle seiner Adepten hängen aber, meistens ohne es zu merken, demselben wahrnehmungstheoretischen ‚Modell‘ und derselben praxisbezogenen Relation an, wo sie die ‚Abfolgen‘ vor allem urbaner ‚sozialer Räume‘ als Landschaften definieren. Das alte Zusammenspiel von Distanz zur ‚tätigen Aneignung‘ des Umgebenden mit dem Anspruch auf Erkenntnis- und Benennungsmacht für die Wahrnehmung von lebensweltlichen Räumen wiederholt sich unter neuen Etiketten. Man kann das an den Texten aufzeigen (s. auch Körner 2007).

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3. L ANDSCHAF T UND ‚N ATUR ‘ Für die vorliegende Betrachtung ist das Fortwirken der elementaren Prämisse von Bedeutung, nach der das Wahrnehmen, das Darstellen und das gestaltende Entwerfen von ‚Landschaft‘ an die Suspendierung von Arbeit im engeren Sinn gekoppelt ist. Das zeigt sich in der Lebenspraxis unter anderem darin, dass die Definition von Umgebungen als (schönen, anmutenden, wohltuenden, interessanten, wertvollen usw.) Landschaften so gut wie immer von ‚Außenstehenden‘ erfolgt, also von Funktionsinhabern, ‚interesselos‘ Anschauenden oder Freizeitbesuchern, die in sozialen Gemeinschaften genuiner Bewohner oder Nutzer nicht verankert sind. Dieser Umstand hat beispielsweise in den Konflikten um die Nationalparks an der deutschen Nordseeküste eine wesentliche Rolle gespielt. Dass mit solchen Hinweisen so sehr die Konstitution von Landschaft, auch in theoretischer Hinsicht, als eine soziale Praxis betont wird, setzt ein Gegengewicht gegen das übliche ‚realistische Missverständnis‘, wonach ‚Landschaft‘ – genauer: Kulturlandschaft – lediglich als ‚gegenständlicher Umgebungsausschnitt‘, als zu betrachtendes ‚Objekt‘ mit Arbeit zusammenhängt. Landschaft ist, als eine bestimmte Formation lebensweltlicher Umgebung, nach unserem neuzeitlich-abendländischen Verständnis immer beides: in uns erzeugte, leiblich von uns ‚gemachte‘ und zugleich gesellschaftlich, historisch geprägte Vorstellung und gegenständliches Ensemble unserer Umgebung (Fischer 2004a). In beides geht Arbeit ein, und der (wenn man so sagen darf) Gehalt an Arbeit in Landschaft nach beiden Seiten hin, der Seite der Wahrnehmung und Repräsentation wie der Seite der dinglichen Verfassung des Umgebenden, hält wesentliche Herausforderungen an jede Theorie von Landschaft bereit. Mehr als Hinweise dazu können an dieser Stelle nicht gegeben werden. Als Ausgangspunkt dient die Frage, ob es plausibel erscheint, wenn in ‚neuen‘ Landschaftstheorien behauptet wird, die von der ‚westlichen‘ Zivilisation dominierte Entwicklung unserer lebensweltlichen Umgebungen lasse die traditionale Bindung von Landschaft an erscheinende Natur obsolet werden. Die Lebensräume seien weithin artifiziell geworden, technisch überformte, sich rasch verändernde und nicht mehr lokal bzw. regional spezifische Arrangements von zivilisatorischen Elementen – Autobahnen, Kanäle, Hochspannungsleitungen, Gewerbegebiete, agrar-industrielle Flächen usw. usw. Natur im genuinen Sinn präge nicht mehr

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die alltäglich wahrgenommenen Umgebungen, der Begriff ‚Landschaft‘ müsse von einer Bindung an die Erscheinung von ‚Natur‘ gelöst, ja durch Begriffe ersetzt werden, die das technisch und gestalterisch ‚Gemachte‘ unserer Lebenswelten und die sozio-kulturelle Definition unserer Räume angemessener wiedergäben. Man geht so weit zu behaupten, Landschaft als das ‚Gegenüber‘ von Natur sei mit der Transformation der natürlichen Elemente verschwunden (z.B. Prominski 2004, 63 ff.). Naturtheoretisch müsste das aber auch bedeuten, dass ‚Natur‘ als Gegenstand von Arbeit sich in ‚Menschengemachtes‘ aufgelöst hat.5 Einer solchen, analytisch wenig stichhaltigen Auffassung eignen zumindest zwei grundlegende Irrtümer: erstens der ideen- und kulturgeschichtliche Irrtum, das traditionale Konzept von Landschaft lege diese auf eine möglichst ungestörte, zum ‚schönen Bild‘ komponierte Natur fest; zweitens der naturtheoretische Irrtum, aus den zivilisatorischen Erscheinungsformen unserer Umwelt sei die Präsenz von ‚Natur‘ verschwunden. Zu beiden Irrtümern einige Anmerkungen. Zum ersten: Ein elaboriertes ‚klassisches‘ Landschaftskonzept meint mit der (nach dieser Theorie) unerlässlichen Präsenz von Natur mitnichten deren anti-zivilisatorische ‚Bereinigung‘ zu einer Idylle ländlicher Szenerie. Etwa Martin Seels ‚Ästhetik der Natur‘ – der vorläufig letzte Entwurf einer Naturästhetik in subjektphilosophischer Absicht – stellt geradezu apodiktisch klar: Historisch sei von einer „problematischen Natur“ auszugehen, die ihre anthropogenen Destruktionen in sich trage und deren Wirklichkeit nur „in der Wirklichkeit menschlicher Kultur“ zu haben sei (Seel 1991, 26). Aber fundamental bleibt für Seel die Inkarnation von Landschaft im ästhetischen Verhältnis zu Natur. Nur meint ein solches ästhetisches Verhältnis gerade nicht eine Harmonisierung und Idealisierung von Umgebungen. Sondern es gilt nach diesem Ansatz, dass Natur – sofern man von Landschaft sprechen wolle – auch dort in die Wahrnehmung eingehen müsse, wo das ganz und gar Menschengemachte entgegen trete, wie etwa in der modernen Stadt. Solche unerlässliche Präsenz von Natur auch in hoch technisierten Umgebungen des urbanen Raums meint nur keineswegs die überwucherte Industriebrache, die großen und kleinen Varianten von Central Park oder auch nur die grünen Einsprengsel von ‚Guerilla

5 | Dass eine solche Konsequenz mit einiger theoretischen Stringenz entwickelt werden kann, zeigt der große Entwurf von Serge Moscovici (Moscovici 1982).

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Gardening‘.6 Martin Seel zum Beispiel vertritt die These, die große Stadt könne nur dort als ‚Landschaft‘ erfahren werden, wo zwei entscheidende Qualitäten von ‚Natur‘ in den zivilisatorischen Elementen selbst wahrgenommen würden: zum einen das auch in die bearbeiteten ‚Gegenstände‘ eingeschlossene Eigenmächtige von Natur, das nicht Verfügbare und nicht völlig dem menschlichen Wollen und Machen Unterworfene, zum anderen das Befremdliche, das nicht Vertraute, das tendenziell Unbegreifliche (Seel 1991, 230 ff.). Eigne diese ‚doppelte Fremdheit‘, die eine unaufhebbare Distanz erzeuge, schon den „naturwüchsigen Gestalten“ einer vorgeblich ‚harmonischen‘ pastoralen Szenerie, so werde eben das Städtische, die scheinbar völlig artifiziell erzeugte Umgebung nur dann zu ‚Landschaft‘, wo genau diese ‚doppelte Fremdheit‘ sich einstelle. In der Distanzierung als Apriori der landschaftlichen Wahrnehmung werde der zivilisatorisch gestaltete Raum analog zu dem der eigenmächtig ‚gewachsenen Natur‘ (Seel 1991, 233). Deshalb erklärt Seel: „Das Modell der Natur ist das Modell der ästhetischen Stadt. [...] Nur in einem Raum, der die Position der Wahrnehmung naturhaft oder naturgleich umgibt, ist die Erfahrung [einer spezifischen Landschaft der Stadt] gegeben.“ (Seel 1991, 232) „Zur Natur hin offen zu sein und wie Natur selbst zu scheinen – das ist die Bedingung landschaftlicher Wahrnehmung der Stadt. Dass Landschaft der bloße Schein freier Natur sein könnte: dieser für die Ästhetik der Naturlandschaft verworfene Gedanke trifft für die Ästhetik der Stadtlandschaft zu. Dabei handelt es sich um einen bewussten, um einen als Schein gesehenen und gesuchten Schein.“ (Seel 1991, 233)

Nicht also ‚Reste‘ eigentätiger Natur in der Stadt – Bäume, Gärten, eingewanderte Tiere als ‚wilde Gäste‘– machen nach diesem Verständnis die Wahrnehmung von Stadt als Landschaft möglich, sondern bestimmte Bedingungen dieser Wahrnehmung des gebauten Raums. Die damit hervorgehobene Subjektseite weist allerdings auf ein notwendiges Komplement in der Objektseite. 6 | Im Folgenden greife ich wiederum Formulierungen aus meinem Aufsatz ‚Landschaft – überall und nirgends?‘ (Fischer 2012) auf.

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Damit bin ich beim zweiten der erwähnten Irrtümer, dem von der angeblich in der zivilisatorischen Bearbeitung ‚verschwundenen‘ Natur. Was Prominski und andere die „totale Landschaft“ zu nennen versuchen, also die auf den ersten Blick völlig technisch hergestellte Umgebung, enthält ja nicht nur stofflich unhintergehbar ‚Natur‘ – man denke etwa an die aktuellen Debatten über die Seltenen Erden, die zur Herstellung moderner Kommunikationsapparate gebraucht werden. ‚Natur‘ ist eben auch in extremer technologischer Transformation keineswegs bloßer ‚Stoff‘, verwertbare Substanz. Denn sie reguliert auch noch die avanciertesten Prozesse der Transformation, ob beim Aushärten von Beton oder der Ausbreitung von Lichtwellen im Glasfaserkabel. Dass wir in unserer so genannten westlichen Zivilisation verzweifelt versuchen, dies vergessen zu machen und uns einzureden, aus unseren technisch bewerkstelligten Produkten und Umwelten sei ‚Natur‘ als das Andere unserer vergesellschafteten Existenz, als das Eigentätige und Fremde gänzlich verschwunden, lässt uns freilich nur vorübergehend wähnen, wir bräuchten in unseren Konzepten von Kulturlandschaft den Bezug auf Natur nicht mehr. Dass aber ein Konzept von ‚Landschaft‘, wie immer man es entwerfen und definieren mag, ohne einen letztlich normativ bestimmten Bezug auf ‚Natur‘ als das Andere unserer Vergesellschaftung nicht auskommt, erkennen wir in unserer zivilisatorischen Blindheit derzeit in erster Linie an so genannten Naturkatastrophen. Dann wird, angesichts von Tsunamis, Hurrikans, Erdbeben, Überschwemmungen, Erdrutschen, Vulkanausbrüchen von den ‚Naturgewalten‘ und ihren unkalkulierbaren, fürchterlichen Auswirkungen auf unsere zivilisatorischen Landschaften gesprochen. Und meistens schiebt sich nur kurzfristig die eine oder andere Überlegung dazu ein, dass eben vieles an diesen zivilisatorischen Landschaften – die als die einzig ‚realen‘ Landschaften unserer Zeit die ‚neue Theorie‘ zu preisen nicht müde wird – auf der nicht nur riskanten, sondern illusorischen Negation der Naturbasis jeder menschengemachten Lebenswelt beruht. Die ‚freie Natur‘, ohne deren Anerkennung eine zeitgemäße Landschaftstheorie nicht auskommt, begegnet uns aber nicht nur in der Gewaltförmigkeit des Anderen, das wir nicht gänzlich zu beherrschen und zu transformieren vermögen. Wir könnten es auch nicht nur im Rost, der eine alte Eisenbrücke irgendwann ‚verkehrsuntauglich‘ macht, oder in der ‚Materialermüdung‘ eines Flugzeugflügels wahrnehmen, wenn wir denn dazu bereit wären. An einem Hochhaus oder besser einer Hochhaus-City

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sind eben nicht bloß die unvorhergesehenen Aufwinde oder die unkalkulierbaren Blendeffekte der Glasflächen bei bestimmten Sonnenständen ‚landschaftliche Natur‘, sondern auch die in allemal ungenaue statische Berechnungen übersetzten Materialeigenschaften von Beton oder Stahl, sogar noch die von unseren Sinnesorganen kaum zu registrierenden Effekte des Chaos von kurz- und ultrakurzwelligen Frequenzen, die durch unsere Körper wie durch viele künstlichen Stoffe der technisch gemachten Umwelt gehen. Wir sind offenbar nur noch bereit, solche ‚Natur‘ in ihrer Eigenmächtigkeit anzuerkennen, wenn sie uns manifest krank macht oder uns mit Unglück und Zerstörung trifft. Und erst Bedrohung und Zerstörung scheinen uns zu zwingen, die normativen Grundlagen jener Landschaften, die wir bauen, nicht bloß als politisches Problem, sondern auch als theoretisch zu reflektierende Herausforderung7 für unsere Auffassung von ‚zeitgemäßer Landschaft‘ zu akzeptieren. Mit anderen Worten: Schon der unaufhebbare Naturbezug in jeder Art von Landschaft fordert uns die in Landschaftstheorie eingehende Bestimmung dessen ab, in welchen Landschaften wir leben wollen und können.

4. D AS S PANNUNGSVERHÄLTNIS VON A RBEIT UND N ATURBASIS IN L ANDSCHAF T Als die eine der zentralen Thesen dieser Darlegung lässt sich also formulieren: Ein wie immer des Näheren definierter Begriff von Kulturlandschaft muss die volle Dialektik des Wechselbezugs von Natur und Arbeit in sich aufnehmen. Und das heißt, insbesondere angesichts der aktuellen landschaftstheoretischen Debatten, unaufhebbar auch, das Eigenmächtige, Unbegriffene und Fremde der Naturbasis jeder Transformation durch Arbeit anzuerkennen und einzubeziehen. Damit ist auch gesagt, dass eine hinreichend fundierte Landschaftstheorie ohne einen Rückbezug auf eine systematisch durchgearbeitete Naturtheorie nicht auskommt. Zeitgemäße Naturtheorie sieht sich aber vor der großen Schwierigkeit, dass schlüssig und mit aller begrifflichen Stringenz 7 | Was diese Herausforderung für eine zeitgemäße Naturtheorie bedeuten, erörtert Michael Hampe in seinem auch mit der literarischen Darbietungsform ungewöhnlichen Buch ‚Tunguska oder Das Ende der Natur‘ (Hampe 2011).

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sich eine kategoriale Trennung von Natur – das eigenen Gesetzen Folgende – und Kultur – das menschliche Wollen und Wirken – kaum aufrecht erhalten lässt (Hampe 2011). In der neuzeitlich-abendländischen Zivilisation ist diese Trennung für das gültige Naturverständnis und den auf ihm beruhenden Umgang mit den ‚Naturdingen‘ bestimmend geworden. Konzeptionell fußt sie auf der Gegenübersetzung von menschlichem Subjekt und naturhaftem Objekt. Dem natürlichen Objekt als einem Gegenstand im genauen Wortsinn werden bestimmte Eigenschaften und Zustandsqualitäten zugeschrieben, die durch menschliche Betrachter – vermittels wissenschaftlicher Forschung – erkannt und letztlich in der Form ‚objektiv gültiger Naturgesetze‘ festgehalten werden können. Solche objektivierende Erkenntnis erlaubt dann die technisch-industrielle ‚Ausnutzung‘ der ermittelten Naturgesetze und damit der Eigenschaften von ‚Naturdingen‘, denen kein der menschlichen Erkenntnis-, Empfindungs- und Handlungsfähigkeit entsprechendes Potenzial zugeschrieben wird. ‚Kultur‘ wiederum ist nach diesem Verständnis die Gesamtheit menschlicher Lebensäußerungen, zu denen entscheidend die aneignende und transformierende Tätigkeit an den ‚Naturdingen‘ gehört. Dass hinter dieser erkenntnis- und handlungstheoretischen Grundlegung ein normatives Postulat von der Stellung des Menschen im Naturganzen und von seinem ‚Recht‘ zur etablierten Naturnutzung steht, ist offenkundig. An diesen ethischen Implikationen jeder Naturtheorie setzt grundlegende Kritik am vorherrschenden Naturverständnis und an den Folgen im Umgang mit dem Natürlichen an, zum Beispiel mit Gegenentwürfen wie der Tiefenökologie (Devall und Sessions 1985, Gottwald und Klepsch 1995). Den Menschen als ‚Kulturwesen‘ wird mit der kategorialen Trennung – cartesianisch in res cogitans und res extensa, in subjekthafte und objekthafte Wesenheiten – als einzigen ‚Naturerscheinungen‘ die Fähigkeit zugeschrieben, die ‚objektiven Naturgesetze‘ zu erkennen und ihnen entsprechend ‚an der Natur‘ zu handeln. Der ‚Erfolg‘ menschlichen Zugriffs auf die Naturerscheinungen, der mittels der Erkenntnis objektiv gültiger Naturgesetze möglich wird, gilt dann faktisch als Beweis dafür, dass die Auffassung von den Naturerscheinungen als reinen Objekten ‚richtig‘ ist. Eines der größten Probleme mit diesem Naturverständnis, das die westlichen Gesellschaften global durchgesetzt haben, ergibt sich inzwischen daraus, dass der ‚Erfolg‘ unerwünschte und unbeabsichtigte Folgen zeitigt. ‚Kultur‘ begegnet dann, etwa mit der aktuellen Entwicklung des Klimas, als ‚Naturgeschehen‘. Für die Naturtheorie ergibt sich daraus die Streitfra-

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ge, ob die unbeabsichtigten Effekte, die in anthropogen veränderten Naturprozessen auf die Menschen zurückwirken, nur als Folge unzureichender Naturerkenntnis bzw. ‚unrichtigen‘ Handelns an der Natur angesehen werden müssen, oder ob sie die – in dieser spezifischen Weise verstandene – menschliche Erkenntnis des Natürlichen grundsätzlich tangieren und damit die epistemologische Basis des dichotomischen Naturverständnisses zweifelhaft erscheinen lassen (Hampe 2011, 263 ff.).8 Aber auch sozusagen innerhalb der menschlichen Kulturfähigkeit wird bei näherer Betrachtung die kategoriale Trennung von erkennendem menschlichen Subjekt und naturhaftem Objekt, wie sie das neuzeitlichabendländische Denken kennzeichnet, schnell fraglich. Die geschichtliche und kulturelle Relativität dieses Naturverständnisses ist nur zu offensichtlich. Andere Kulturen kennen zum Beispiel die strikte Scheidung von sprechenden, empfindenden, erinnernden und urteilenden, absichtsvoll handelnden Menschen einerseits und objekthaften Naturerscheinungen andererseits, denen solche Eigenschaften nicht zukommen, überhaupt nicht. Bei vielen so genannten indigenen Völkern waren oder sind beispielsweise Pflanzen oder Tiere Wesenheiten, die den Menschen analog vorgestellt werden, als ‚verkleidete Menschen‘, als Geister, Dämonen, Götter, als Inkarnationen transzendenter Kräfte und so fort. Solcher Anthropomorphismus erscheint uns irrational und ‚primitiv‘. Die uns fremden Vorstellungen von den Naturerscheinungen haben aber Lebensweisen ermöglicht, die – nicht nur, was die Zeiträume angeht – durchaus als ‚erfolgreich‘ gelten dürfen. Sie entsprachen und entsprechen nur nicht unserem westlichen Bedürfnis nach einer bestimmten Form der Naturbeherrschung. Bei der Deutung von Ereignissen, die wir als Naturkatastrophen bezeichnen, greifen wir – eigentlich müsste man sagen: wider besseres Wissen – auf Formeln und Muster von ‚überholten‘ Naturdeutungen zurück, etwa mit der Rede von der ‚Rache der Natur‘ und mit einem Sprachge8 | Das zweite der großen naturtheoretischen Probleme muss hier beiseite gelassen werden. Es ergibt sich aus der Einsicht, dass nicht-menschliche Lebewesen, vor allem Tiere, nicht nur offenkundig Schmerz empfinden können, sondern dass einigen hoch entwickeltes kommunikatives Verstehen, tradierbares handwerkliches Können, ja Formen reflexiven Bewusstseins und Sozialverhaltens zugeschrieben werden müssen, wodurch die Grenzen zu menschlicher Kultur tendenziell durchlässig werden.

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brauch, der ‚den Naturgewalten‘ deutlich eine subjekthafte Qualität zuschreibt. In einem solchen ‚Rückfall‘, dessen naturtheoretischer Gehalt durchaus ernst zu nehmen ist, kommt eine weitere Problematik unseres gängigen Naturverständnisses zum Vorschein. Indem wir die Naturdinge als strikt von uns getrennt betrachten und sie von objektiv gültigen Naturgesetzen bestimmt sehen, verstehen wir ‚die Natur‘ insgesamt als dasjenige, was unabhängig von menschlicher Tätigkeit existiert und sich prozesshaft entwickelt. Die ‚Eigentätigkeit‘ der für sich seienden Natur war schon für Aristoteles definitorisches Unterscheidungskriterium. Nun erfahren wir aber, am heftigsten in bedrohlichen Naturereignissen – einschließlich der Krankheiten, die unseren eigenen ‚Naturanteil‘ betreffen –, dass die ‚für sich seiende Natur‘ im wahrsten Sinn des Wortes uns betrifft, sie ‚geht uns an‘, agiert an uns und mit uns. Dadurch erleben wir sie als eine fremde Macht, als das Andere unserer Kultur, das in einem bloßen Objekt-Sein nicht aufgeht. Solche Erfahrungen gelten auch in hohem Maße für die „Natur, die wir selbst sind“ (Böhme 1992, 2003), für unsere Leiblichkeit, ja für unser Bewusstsein und unsere Erkenntnisfähigkeit (Hampe 2011, 250 ff.). Wir suchen dann nach Erklärungen, die diese Fremdheit des eigenmächtigen Naturgeschehens aufheben: wissenschaftlich entschlüsselbare Krankheitsursachen, Deutungen für psychische Abweichungen, Berechnungen für Wetter- und Überschwemmungsphänomene, Einsichten in die Tektonik der Erdkruste und so weiter. Ein ‚Restrisiko‘, dass uns ‚unbeherrschbare Natur‘ entgegen tritt, bleibt aber allenthalben. Wir haben in unserem Kulturkreis ein Naturbild entwickelt, das für diese ‚Anteile‘ einer eigentätigen Natur keinen integrierbaren Platz lässt – weil wir grundsätzlich die Naturerscheinungen nicht in irgendeiner Weise als subjekthaft, das heißt: uns strukturell gleichgestellt denken können (Hampe 2011, 288). Das hat aber Folgen für unser Verständnis von Arbeit und dann auch für unsere Auffassungen von Kulturlandschaft: Arbeit ist für uns prinzipiell nur rational angelegtes, zweckhaftes, rein instrumentell zu verstehendes Handeln an den Naturdingen, auch wenn die Objekte empfindende und offensichtlich bewusst agierende Lebewesen sind. Wir kennen ihnen gegenüber, wenn wir arbeiten, nahezu ausschließlich, wie Ernst Bloch es nannte, die Haltung des Überlisters und Ausbeuters (Bloch 1973, 787). Gleichzeitig müssen wir aber, gerade in der Kulturlandschaft – auch in städtischen Räumen! –, auf die ‚Kooperation der Naturdinge‘ mit

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uns bauen, angefangen vom Wachsen, Blühen, Frucht tragen bis hin zum Regenerieren des Bodens, dem ‚Zuchterfolg‘ oder dem Ausregnen der Wolken. Uns fehlt fast durchgängig die Möglichkeit, solche wissenschaftlich und technisch gestützten ‚natürlichen Selbstverständlichkeiten‘ als Kooperation mit dem Naturhaften durch Arbeit zu verstehen – wir gehen davon aus, dass unsere empirisch abgesicherte Naturerkenntnis uns das Einwirken auf die natürlichen Prozesse nicht nur ermöglicht, sondern uns in solchem instrumentellen Verhältnis zur von uns ‚verwandelten Natur‘ auch absichert. Man kann darin aber auch ein geradezu naives Vertrauen auf die ‚Kooperationsbereitschaft‘ des Naturhaften sehen. Zynisch – weil im Grunde wider besseres Wissen behauptet – wird solches Vertrauen zum Beispiel in der Gentechnologie: Wir können nicht nur, wir müssen – schon aufgrund der viel zu kurzen Erfahrungszeiträume – davon ausgehen, dass wir die mit gentechnischen Eingriffen strapazierte ‚Bereitschaft‘ natürlicher Systeme, sich unseren Absichten gemäß zu verhalten, sozusagen überreizen. Noch einmal: Dem dominanten Naturverständnis nach handelt es sich nur um ein Problem der ‚Beherrschbarkeit‘ des Eingriffs in natürliche Zusammenhänge. Der qualitative Sprung gegenüber konventionellen Züchtungsverfahren zeitigt aber bereits bedenkliche Folgen in den Kulturlandschaften, unter anderem bei den Kreuzblütlern, indem sich gentechnisch veränderter Raps unkontrollierbar auskreuzt. Auch hier kommt dann im öffentlichen Bewusstsein die Vorstellung auf, dass ‚die Natur zurückschlägt‘. Eine kulturkritische Betrachtung kann an dieser Stelle ein geschichtlich unhintergehbares, naturtheoretisches Defizit ausmachen. Es wird beispielsweise auch dadurch nicht aufgehoben, dass inzwischen eine neue ökonomische Theorie versucht, den ‚Wertschöpfungsanteil der Natur‘ in den Produktions- und Verwertungsprozessen zu veranschlagen. Die latente Subjektivierung von Naturtätigkeit, die dabei zu erkennen ist, wird in keiner für uns akzeptablen naturtheoretischen Konzeption aufgehoben.

5. E NT WICKLUNGSSTUFEN DER A RBEIT IN DEN K ULTURL ANDSCHAF TEN Die Entwicklungsstufen der menschlichen Arbeit, manifest in den Kulturlandschaften als unterschiedliche Gestaltung und Überformung bzw. Transformation des naturhaft Gegebenen, weisen aber nicht nur sozusa-

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gen auf die Naturseite, auf die Erscheinungsformen und Dynamiken des durch Kulturtätigkeit veränderten Naturhaften, das uns (wieder) begegnet. Wie schwierig es uns wird, die Verschränkungen von Natur und Arbeit in den Kulturlandschaften vom vorherrschenden Naturverständnis aus zu verstehen, erhellt sich aus den erwähnten Unzulänglichkeiten in Naturtheorie. Die Seite der Kulturtätigkeit, die in Landschaft entgegen tritt, im engeren Sinn jener „Stoffwechsel des Menschen mit der Natur durch Arbeit“, verlangt – wie schon angedeutet – ebenfalls nach historisch-analytischen wie nach theoretischen Klärungen. Die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Arbeit, vergröbernd und ein Stück weit abstrahierend als Stufenfolge in der sozial organisierten Aneignung von Natur verstehbar, ist eben nicht nur ein Prozess der fortschreitend intensiveren und umfassenderen Verwertung und Transformation des gegenständlich Naturgegebenen. Zugleich erfolgt sie als Prozess der veränderten gesellschaftlichen Organisation von Arbeit (und, bleibt hinzuzusetzen, gleichermaßen von Konsumption als ‚Einverleibung‘ des durch Arbeit Angeeigneten). In der klassischen Kritik der politischen Ökonomie erscheint diese Einsicht im unaufhebbaren Wechselbezug, in dem die Entwicklung der Produktivkräfte und die der Produktionsverhältnisse stehen. Eine zentrale Schwierigkeit besteht für eine solche Betrachtung darin, zu erklären, weshalb die gesellschaftlich organisierte Naturbearbeitung immer wieder und immer stärker, offenbar ‚notwendigerweise‘, Resultate zeitigt, die die kooperierenden Gesellschaftsmitglieder ‚so nicht gewollt haben‘. Den Optimismus materialistischer Theorie, dass mit der ‚Subjektwerdung des Menschen in der Geschichte‘ dieses ‚Schicksal‘ menschlicher Anstrengung in der Arbeit an der Natur aufgehoben werde, können wir heute nicht mehr teilen. Dass durch die „Arbeit von Generationen“ eine Realität hergestellt wird, von der die tätigen Menschen sagen müssen, dass sie „eigentlich die ganze Zeit über etwas ganz anderes wollten und wollen“ (Kluge 1975, 215), führt geschichtsphilosophisch und sozialtheoretisch in allergrößte Schwierigkeiten (Hampe 2011, 273 ff.). Dennoch wird zu Recht davon gesprochen, dass wir fortwährend auch Kulturlandschaften erzeugen, die wir ‚so nicht wollen‘ (Erlacher 2008). Spätestens mit dem unzweifelhaft forcierten Klimawandel wird der Effekt zu einem kaum lösbaren globalen Problem – in gewissem Sinn verwandelt sich die Erdoberfläche global in eine Kulturlandschaft, die so niemand der Akteure ‚gewollt‘ hat. Inzwischen hat die Skepsis, die daraus für die Entfaltung menschlicher

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Naturaneignung folgt, zwangsläufig fundamentale Geltung erreicht. Man kann das beispielsweise an den Debatten über Geo-Engineering ablesen. Es kann also nicht nur darum gehen, ‚Stufen‘ der Transformation des natürlich Gegebenen durch Arbeit zu bestimmen, wie sie auch in den Kulturlandschaften erscheinen. Serge Moscovicis Entwurf einer systematischen, historisch verankerten Abfolge in seinem ‚Versuch über die menschliche Geschichte der Natur‘ lief gerade auf eine Negierung des unaufhebbar Eigenmächtigen von Natur auch noch in ihrer zivilisatorischen Aneignung, des ‚Anderen zur Kultur‘ hinaus (Moscovici 1982). Vergleichbare ‚Großtheorien‘ hat es seither nicht gegeben. Es ist eben auch die ‚Rückseite‘ des Verhältnisses von Natur und Arbeit in eine Theorie von Kulturlandschaft aufzunehmen. Was Umwelthistoriker uns vielfach dargelegt haben, muss in unseren Landschaftskonzepten berücksichtigt werden, dass – wie gesagt – Kulturlandschaften seit Jahrtausenden in hohem Maße und gegenwärtig mit einer extremen, bedrohlichen Gewalt durch die unbeabsichtigten Resultate von Arbeit auf den verschiedensten Entwicklungsstufen geformt wurden und werden. Die (neutral ausgedrückt) Verwandlung der Mittelmeerregionen war nicht ‚beabsichtigt‘, war nicht das zweckbestimmte Ziel, als in der Antike die Wälder unter anderem für den Schiffbau abgeholzt wurden. Ebenso wenig kann es als ‚Zweck‘, als die ‚Ergebnisorientierung‘ gesellschaftlich organisierter Arbeit angesehen werden, wenn der Aral-See aufgrund der Bewässerung von Baumwollfeldern austrocknet. Die ‚unbeabsichtigten Resultate‘ aus menschlicher Arbeit allgemein und aus ihrer neuzeitlichen Transformation in historisch singulärer Weise formen, ist man versucht zu sagen, Kulturlandschaft mindestens so sehr wie die zielgerichtete Bearbeitung ‚natürlicher Ensembles‘. Diese Einsicht fordert nicht nur Kultur- und Umweltgeschichte, Humanökologie und Historische Anthropologie, ökonomische Theorie und Umweltethik von ihren Grundlegungen in der Bestimmung und Modellierung des Mensch-Natur-Verhältnisses heraus. Ein wenig überziehend kann man behaupten: Seit den ersten Phasen der Industrialisierung war die Veränderung der Landschaft in einem bis dahin ungekannten Ausmaß im buchstäblichen Sinne ‚unbeabsichtigtes Ergebnis‘, nicht zweckorientiert angezieltes Resultat der maschinellen Umwandlung menschlicher Arbeit. Und die entstehende Landschaftspflege bzw. Landschaftsplanung hatte ja eben mit den Folgen dieser Umorganisation des Bezugs von Arbeit

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auf Formung der Kulturlandschaft von Anfang an zu kämpfen: Sie musste (und muss!) stets sozusagen externes Korrektiv sein, war nicht – tendenziell anders als in der traditionalen bäuerlichen und handwerklichen Naturaneignung – genuines Resultat des Arbeitsprozesses selbst. Diejenige Arbeit, die mit und nach der industriellen Transformation menschlicher Tätigkeit zur bewussten und geplanten Gestaltung von Landschaft aufgewandt wurde (und wird), muss in einem großen Ausmaß gleichsam ‚gegen‘ die Logik der ‚produktiven Arbeit‘ (im Sinn der klassischen Politischen Ökonomie verstanden) eingesetzt werden. Das gilt längst auch für die Landwirtschaft – Regional- und Landschaftsplanung können es nicht einfach der ökonomischen und technologischen ‚Logik‘ in landwirtschaftlicher Aneignung von Natur überlassen, wie die agrarindustriell transformierte Arbeit die Landschaften umgestaltet. Als eine zweite These lässt sich mithin formulieren: Wenn Kulturlandschaftstheorie und -analyse ohne die genaue Betrachtung des Verhältnisses von Naturbasis und zweckbestimmter Arbeit nicht auskommt, heißt dies immer auch, dass die nicht intendierten Effekte dieser Arbeit für die landschaftlichen Formationen mitzuveranschlagen sind. Das könnte zum Beispiel bedeuten, in ganz anderen Zeiträumen und Entwicklungsoptionen zu denken als üblich. Menschliche Arbeit hat immer das Doppelgesicht von zweckbestimmter Planung, Materialbearbeitung, Gestaltung einerseits und Erzeugung nicht intendierter Effekte andererseits. Früher wurden die Auswirkungen beider Dynamiken in langen, Generationen übergreifenden Prozessen der Akkumulation von ‚Erfahrungswissen‘ mehr oder weniger gut ausbalanciert. Der Stand der Produktivkräfte heute erlaubt ungleich massivere und umfassendere Transformationen der Naturbasis bei gleichzeitiger Verkürzung des ‚Rückkoppelungstakts‘. Das bedeutet auch für die Veränderungen der Kulturlandschaften enorm gesteigerte Risiken. Viele der so genannten Naturkatastrophen verdanken sich diesen gesellschaftlich erzeugten Risiken, wobei das Risiko – eine auf menschliche Existenz bezogene Kategorie wie ebenso die Katastrophe – ja meistens gar nicht auf das Naturereignis als solches zurück geht, sondern auf die Machenschaften der Menschen, sei es Bebauung potenziell gefährdeter Terrains oder Hantieren mit schwer kontrollierbaren Keimen. Es wäre aber noch von einer zweiten Doppelheit zu sprechen, die konkreter Arbeit innewohnt und auch für das Verständnis von Kulturlandschaft eine Bedeutung hat. Ich meine die Verquickung von ‚toter und lebendiger‘

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Arbeit. In der klassischen Politischen Ökonomie meint ‚tote Arbeit‘ die in Geräten, Maschinen und anderen Produktionsmitteln vergegenständlichte Arbeit anderer, die sich gewissermaßen mit der lebendigen Arbeit der tätigen Subjekte verbindet. Tote und lebendige Arbeit verquicken sich aber in den Menschen selbst, mit den inkorporierten kulturellen Prägungen.9 Mit der Begrifflichkeit wird die Theoriearbeit von Oskar Negt und Alexander Kluge aufgegriffen. Mehrfach, insbesondere in der großen Studie ‚Geschichte und Eigensinn‘, hat Kluge klar zu machen gesucht, dass selbst unsere elementaren affektiven Regungen zum guten Teil Ergebnis langer historischer Formung sind. Wenn Kluge zum Beispiel auch in Beziehungen, in Liebe, Ehe, Familienverhältnissen – als einer „lebendigen Arbeit“ – die „tote Arbeit“ von Generationen mit am Werke sieht, so ist das nur eine beispielhafte Konkretion eines allgemeinen Sachverhalts: Was getan, gesagt, gedacht, ja, was empfunden wird, „setzt sich aus geschichtlich Vorproduziertem und einem Momenteinfall lebendiger Arbeit zusammen.“ (Negt und Kluge 1981, 937) Das gilt auch und in hohem Maße für unsere Wahrnehmung geformter Umgebungen, die wir zu ‚Landschaft‘ synthetisieren. Diese Wahrnehmungen sind affektiv und auch ideologisch hoch besetzt, es ist – wie schon angedeutet – eine ungeheure Masse ‚toter Arbeit‘, vergangener Wahrnehmungen, vergangener Erfahrungen und Empfindungen in unser lebendiges Erfassen, unser Verhältnis zu Landschaft eingegangen. Für Wissenschaft und Bildung, als ein Areal der mentalen Konzipierung und auch affektiven Besetzung von Landschaft, scheint das leicht einzusehen. Man mache sich nur klar, was für eine enorme ‚Arbeit‘ in Forschung und Lehre, im öffentlichen Diskurs, in Lernprozessen der behördlichen Apparate usw. es erfordert hat und noch erfordert, etwa die so genannten Stadtlandschaften als eine Formation zu legitimieren, die den traditionell immer als ‚natürlich‘ oder ‚naturnah‘ vorgestellten Landschaften konzeptionell gleichrangig ist. Wie mächtig die ‚tote Arbeit‘, die in unserer Wahrnehmung gegenwärtig ist, trotz solcher Ummodelungen durch lebendige Arbeit, durch produktive Aneignung also, dennoch wirkt, verdeutlicht etwa die Einsicht, dass die ‚Umwertung‘ von städtischen Ensembles zu Umgebungen, die auch affektiv als ‚Landschaften‘ anzueignen sind, im allgemeinen Bewusstsein noch

9 | Ich übernehme im Folgenden eine Passage aus ‚Reflexionen über Landschaft und Arbeit‘ (Fischer 2009, 110 f.).

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längst nicht durchgehend angekommen ist. Allein schon die emotionalen Steuerungen von Touristenströmen lehren uns das. Kulturlandschaftstheorie hat das zu berücksichtigen, indem wir die gesellschaftliche Genese der Landschaftswahrnehmung, die kollektive Erzeugung von Anschauungen und Normen für das, was wir als Landschaft verstehen, als einen zwangsläufig konfliktreichen sozialen Prozess begreifen, in den wir einbezogen sind. Arbeit an der Natur, woraus Landschaft entsteht, ist Arbeit an der äußeren wie der inneren Natur. Ein ‚realistisches‘ Missverständnis dieser Doppelheit ist ebenso zu vermeiden wie ein konstruktivistisches.

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Natur- und Kulturlandschaften zwischen Einheit und Differenz Das Beispiel Biosphärenreservat Mittelelbe 1 Tanja Mölders „Was ist jetzt Natur und was ist Kultur? [...] Das ist jetzt erst mal die Definition des Begriffes. Wenn ich [mich] jetzt einfach nur auf die Schlösser [beziehe], ist das nun Kultur? [...] Oder ist unsere Landschaft auch Kultur? Was [sie] eigentlich auch ist. [...] Aber das muss man vorher definieren. [...] Ja – das ist schwierig!“ F RAU G RINDEL , I NTERVIEWPARTNERIN

1. E INLEITUNG – L ANDSCHAF T ALS A USDRUCK GESELLSCHAF TLICHER N ATURVERHÄLTNISSE Die Frage nach dem Natur-Kultur-Verhältnis von Landschaften, d.h. die Frage, ob Landschaften Teil der menschlichen Außen- oder Innenwelt sind (Dinnebier 1996), lässt sich nicht eindeutig beantworten. Denn Landschaften stellen einen „Kultur-Natur-Zusammenhang“ dar (Trepl 1998, 200) und bilden so ein „Vermittlungsglied“ zwischen Natur und Gesellschaft (Weingarten 2005, 22). Dabei vollzieht sich die Vergesellschaftung von Natur als Landschaft auf mindestens drei Ebenen: Auf einer materiell-physischen Ebene durch gesellschaftliches Wirtschaften, auf einer symbolischen Ebene durch gesellschaftliche Diskurse sowie auf einer normativen Ebene durch gesellschaftliche Wertzuschreibungen. 1 | Ich danke Sabine Hofmeister und den Herausgebern dieses Bandes für die konstruktiven Anmerkungen und Hinweise zu früheren Fassungen meines Beitrages.

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„‚Landschaft‘ lässt sich so erweisen als ein im Tun material strukturiertes Gefüge, in der Reflexion auf dieses Tun und dessen Ergebnis als symbolische Einheit, die dann wiederum im Tun aufgrund der symbolischen Repräsentation reproduziert und in der Reproduktion verändert wird.“ (Ebd., 23)

Diesem Verständnis folgend ist Landschaft dazu geeignet, die vielfältigen und wechselseitigen Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft, die gesellschaftlichen Naturverhältnisse2 zu verstehen und zu beschreiben. Damit verbindet sich die Möglichkeit, die viel diskutierte und kritisierte Dichotomie zwischen Natur3 und Gesellschaft zugunsten eines Vermittlungsverhältnisses aufzulösen und stets danach zu fragen, welche Natur das Ergebnis welches gesellschaftlichen Denkens und Handels ist oder sein wird (Weingarten 2005). Diesem viel versprechenden Blick auf Landschaft als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse steht jedoch eine Unterscheidung entgegen, die insbesondere für die Praxis des Naturschutzes konstitutiv ist: die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften. Indem die vermeintlich unberührte Natur als Naturlandschaft von der (historisch) gewordenen Kulturlandschaft unterschieden wird, wird die Trennung von Natur und Gesellschaft erneut vollzogen. Was als Einheit

2 | Das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse bildet das theoretische Rahmenprogramm der Sozialen Ökologie als einer neuen Wissenschaft in der inter- und transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung (Jahn und Wehling 1998, Becker 2003, Becker und Jahn 2006). Ausgehend von der Annahme, dass Natur und Gesellschaft materiell und symbolisch miteinander verbunden sind, wird eine doppelseitige Kritik geübt, die sich sowohl auf die Naturalisierung als auch auf die Kulturalisierung von Natur und Gesellschaft bezieht. Gleichwohl wird auf einer analytischen Ebene an der Unterscheidung von Natur und Gesellschaft festgehalten, weshalb das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse als „differenztheoretisches Vermittlungskonzept“ kategorisiert wird (Becker et al. 2006, 197). 3 | Natur ist im Verständnis der Sozialen Ökologie nur in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft begreifbar. Es wird davon ausgegangen, dass Natur und Gesellschaft in einem unaufhebbaren Zusammenhang stehen und zugleich ihre Differenz behauptet, die historisch konstituiert sei (Jahn und Wehling 1998, 82). Entsprechend wird der Naturbegriff als Differenzbegriff verwendet und davon ausgegangen, dass der Wissenschaft eine „hegemoniale Unterscheidungsmacht“ bei der Differenzierung von Natur und Gesellschaft zukomme (Becker et al. 2006, 182 f.).

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zusammengeführt werden könnte, wird wieder als Differenz gedacht und gestaltet.4 Den Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrages bildet die Annahme, dass aufgrund der Vergesellschaftung von Natur als Landschaft Natur- und Kulturlandschaften weder materiell-physisch noch symbolisch-diskursiv voneinander unterschieden werden können. Ebenso wenig wie es eine Kulturlandschaft jenseits von Natur gibt, existiert eine Naturlandschaft jenseits von Gesellschaft. Auch die normative Frage nach dem Schützenswerten adressiert Natur- und Kulturlandschaften gleichermaßen, denn beide gelten als schützenswert, wenn sie bestimmte physische und ästhetische Kriterien erfüllen. Die Unterscheidung schützenswerter und nicht-schützenswerter Landschaften wird so als weitere Trennung bei der Konzeption von Landschaften bedeutsam. Gleichwohl bleibt die Dichotomie von Natur und Kultur – zumindest rhetorisch – „[e]ine Konstante in der Produktion von ‚geschützten Landschaften‘“ (Krauß 2001, 56). Wieso – so die erkenntnisleitende Frage der nachfolgenden Ausführungen – hält sich trotz der vielversprechenden Möglichkeit, Landschaft als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu begreifen und zu gestalten die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften als neuerliche Trennung von Natur und Gesellschaft beharrlich? Um diese Frage beantworten zu können, gilt es, konkret danach zu fragen, wie und warum Natur- und Kulturlandschaften von wem unterschieden werden. Auf der Basis einer empirischen Untersuchung im Biosphärenreservat Mittelelbe in Sachsen Anhalt5 werden im Folgenden Antworten auf diese Frage gesucht. Dazu werden in Kapitel 2 zunächst einige theoretische Orientierungen formuliert. In Kapitel 3 werden das Biosphärenreservat Mittelelbe und die dort durchgeführte Untersuchung als empirischer Bezugspunkt des vorliegenden Beitrages vorgestellt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind Gegenstand des Kapitels 4. In den Schlussfolgerungen (Kap. 5) werden die einleitend angestellten Überlegungen zur Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften vor dem Hintergrund der theoretischen und empirischen Befunde zusammengeführt und diskutiert. 4 | Vgl. zur Kritik an der Dichotomie von Natur- und Kulturlandschaft auch Olaf Kühne (2009, 399 f.), der diese Unterscheidung als „[e]in modernistisches Konstrukt der positivistischen Landschaftsbefassung“ (ebd., 399) entlarvt. 5 | Sowohl die theoretischen Orientierungen als auch die empirischen Ergebnisse dieses Beitrages schließen an Mölders (2010) an.

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Dabei wird deutlich, dass Landschaften – und auch die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften – etwas über die „Naturpolitik“6 (Kaufmann 2005, 40) einer Gesellschaft aussagen.

2. N ATUR - UND K ULTURL ANDSCHAF TEN – THEORE TISCHE O RIENTIERUNGEN Fragen nach der Einheit und Differenz von Natur- und Kulturlandschaften sind eingebettet in einen breiten wissenschaftlichen Diskurs um Natur-Gesellschaft-Verhältnisse, an dem verschiedene Disziplinen beteiligt sind. Im Folgenden werden einige theoretische Orientierungen vorgenommen, die sich zunächst auf die Unterscheidung eines ästhetischen von einem (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriff beziehen und von der Frage geleitet sind, inwiefern hier Referenzen für die Konstruktion von Landschaft als Natur- und/oder Kulturlandschaft angelegt sind (2.1). Am Beispiel von Naturschutz und Landschaftsgarten wird beispielhaft nachvollzogen, wie Natur- und Kulturlandschaften als Einheit und Differenz konzipiert werden (2.2). In einem Zwischenfazit 2.3 werden die theoretischen Orientierungen zusammengeführt.

2.1 Ästhetischer und (natur-)wissenschaftlicher Landschaftsbegriff Das Wort „Landschaft“ hatte ursprünglich eine rechtlich-politische Bedeutung (Kirchhoff 2011, 71). Der mittelalterliche Landschaftsbegriff fungierte als räumlich-territoriale Beschreibung, die „einen politisch definierten Landstrich bzw. eine räumlich ausgegrenzte Gegend bezeichnete“ (Jessel 1998, 14). Ästhetische Bedeutungen des Landschaftsbegriffs sind erst seit der frühen Neuzeit belegt und direkt mit der europäischen Landschaftsmalerei – und später auch der literarischen Landschaftsbeschreibung – verbunden (Kirchhoff 2011, 71 f.). Um Landschaft als „ästhetische Seh- und Denkfigur“ (Hard 2005, 20) begreifen zu können, 6 | Mit dem Begriff „Naturpolitik“ verweist Stefan Kaufmann (2005) auf die machtdurchdrungene Herstellung von Natur durch gesellschaftlich-diskursive Prozesse. Werner Krauß (2001, 31) spricht in ähnlicher Absicht von den „politics of nature“ als „der Untersuchung der im Natur/Kultur-interface angelegten Machtkonzepte“.

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„bedurfte [es] erst eines kulturellen Lernprozesses, in dem der Blick durch Landschaftsgemälde, literarische Landschaftsbeschreibungen und Landschaftsgärten geschult und präformiert wurde, bis weitere Gesellschaftskreise Gegenden als Landschaften zu sehen vermochten.“ (Kirchhoff 2011, 72)

Der neuzeitliche Landschaftsbegriff stellt demnach ein kulturelles Konzept von Natur dar, nämlich eines, dem eine ästhetische Naturauffassung zugrunde liegt (Kirchhoff und Trepl 2009, Kirchhoff 2011). Demgegenüber existieren seit dem 19. Jahrhundert (natur-)wissenschaftliche Landschaftsbegriffe, denen es – zumindest vordergründig – nicht um das Ästhetische, sondern um die Materialität und Funktionalität von Einheiten geht (Kirchhoff 2011, 72, 78 ff.). Thomas Kirchhoff (ebd.) argumentiert sowohl für die Geographie als auch für die Landschaftsökologie, dass die hier zugrunde gelegten Verständnisse von Natur als Landschaft „entweder implizit ästhetisch oder unsinnige Leerformeln“ seien, weil es nicht gelänge, objektiv gültige funktionale Einheiten bzw. Ganzheit jenseits des Ästhetischen zu definieren.7 Trotz dieser Kritik am (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriff, die das Argument eines auf kulturellen Deutungsmustern beruhenden und damit konstruktivistischen Landschaftsbegriffs stärkt, existieren damit zwei theoretisch-konzeptionell verschiedene Landschaftsbegriffe. Für die Frage, wie und warum Natur- und Kulturlandschaften voneinander unterschieden werden, ist diese Unterscheidung eines ästhetischen von einem (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriff insofern bedeutsam, als dass damit zwei Referenzen vorhanden sind, die jeweils unterschiedliche Verständnisse von Natur als Natur- und Kulturlandschaft hervorzubringen vermögen. Dabei geht es nicht um eine eindeutige Zuordnung von Naturlandschaft als (natur-)wissenschaftlich verstandener Landschaft 7 | Auch andere Autoren verweisen auf die Überlagerung und Vermischung unterschiedlicher Landschaftsbegriffe. So merkt Ludwig Fischer (2001, 347) mit Verweis auf Gerhard Hard an, dass die leitenden Vorstellungen von Landschaft in der Geographie vorrangig auf visuell-mentale Konstituierung zurückgingen. Auch Kaufmann (2005, 17 f., 50 ff.) arbeitet in Auseinandersetzung mit der Geschichte des Landschaftsbegriffs heraus, dass erstens verschiedene Bedeutungen einander überlagern und dass zweitens sowohl das geographische als auch das ästhetische Verständnis von Landschaft „das holistische, Natur und Kultur vereinheitlichende Moment des Begriffs mitführen“ (ebd., 18).

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und Kulturlandschaft als ästhetisch verstandener Landschaft, sondern um die wechselseitige Durchdringung beider Zugänge bei den Versuchen, Natur- und Kulturlandschaften voneinander zu unterscheiden.

2.2 Naturschutz und Landschaftsgarten zwischen Natur und Gesellschaft Das Neben- und Miteinander von ästhetischem und (natur-)wissenschaftlichem Landschaftsbegriff wird im Folgenden anhand von zwei Beispielen nachvollzogen, die für das Verständnis gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Biosphärenreservat Mittelelbe bedeutsam sind. Dies ist erstens der Naturschutz als wesentlicher Denk- und Handlungsraum im Biosphärenreservat (2.2.1) sowie zweitens der englische Landschaftsgarten, der in Form des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs die historische Kulturlandschaft im Biosphärenreservat Mittelelbe prägt (2.2.2).

2.2.1 Naturschutz „Natur und Landschaft“ sind das charakteristische Begriffspaar der Naturschutzgesetzgebung (Jessel 1998, 11). Gemäß Paragraph 1, Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG), das ausführlich „Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege“ heißt, umfasst der Schutz von Natur und Landschaft auch ihre Pflege, Entwicklung und, soweit erforderlich, ihre Wiederherstellung. Doch welche Landschaften sind es, die der Naturschutz schützt, und wie wird ihr Schutz begründet? In Paragraph 1, Absatz 4 BNatSchG werden „Naturlandschaften“ sowie „historisch gewachsene Kulturlandschaften“ als Schutzgegenstände benannt. Ihr Schutz wird mit der „dauerhaften Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswertes von Natur und Landschaft“ begründet. Somit sind erstens auch Kulturlandschaften Gegenstand des Naturschutzes, zweitens werden mit der Bezugnahme auf „Vielfalt, Eigenart und Schönheit“ unterschiedliche Begründungen für den Schutz von Natur- und Kulturlandschaften angeführt, die jeweils unterschiedlichen Rationalitäten folgen.8 Ludwig Trepl (1998) unterscheidet kategorisch zwischen einer „Natur der Naturwissenschaften“ und einer „Natur der Landschaft“. Da die erste zur Begründung von Motivationen zum Schutz von Natur, wie sie im Natur8 | Vgl. zu unterschiedlichen Naturschut zbegründungen z.B. Körner et al. (2003).

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schutz angeführt werden, nicht ausreiche, werde zudem auf die Bedeutungsvariante „Natur als Landschaft“ zurückgegriffen. In deren Zentrum stünden jene beiden Sichtweisen, die eine naturwissenschaftliche Paradigmatisierung nicht zulasse: die ästhetische und die teleologische Landschaft9 (ebd., 196 f., Kirchhoff und Trepl 2009). Wird nun der Wandel des Landschaftsbegriffs im Naturschutz nachvollzogen, so zeigt sich, dass die so verstandene „Natur der Naturwissenschaften“ und „Natur der Landschaft“ nicht trennscharf nebeneinander stehen. Wie in 2.1 ausgeführt hat der Landschaftsbegriff in einigen Disziplinen eine „Vernaturwissenschaftlichung“ erfahren, so dass sich heute ästhetische, teleologische, funktionale und materiell-physische Aspekte wechselseitig durchdringen (Mölders 2010, 85 f.). Diese Durchdringung zeigt sich etwa in dem Versuch, die Ästhetik einer Landschaft über die Analyse von Landschaftsbildern zu erfassen. Dazu wird Ästhetik als „ein präzise einsetzbares Mittel landschaftsplanerischer Gestaltung begriffen“ (Kaufmann 2005, 11). Laut Trepl (1998, 196) beruhen die Versuche, „anhand irgendwelcher objektiver Eigenschaften der Landschaft, etwa ihrer Vielfalt, ihre Schönheit feststellen und so verschiedene Landschaften im Hinblick auf ihren ‚landschaftsästhetischen Wert‘ objektiv vergleichbar zu machen […], auf einem Kategorienfehler.“

Es sei unmöglich, so der Autor, „zu einer objektiven, d.h. einer intersubjektiv gültigen, für jeden vernünftigen Menschen nachvollziehbaren Wertung zu kommen und darauf basierend bestimmte Landschaften anderen vorzuziehen, damit eine rationale und folglich der Möglichkeit nach in einem bürgerlich-demokratischen Staatswesen Allgemeinverbindlichkeit beanspruchende Rangordnung von Landschaften aufzustellen.“ (Ebd.)

Historisch betrachtet war das kulturell-ästhetische Verständnis von Landschaft insbesondere in der Entstehungsphase des Natur- und Heimat9 | Eine teleologische Perspektive auf Natur einzunehmen bedeutet, „alles Einzelne in ihr wird im Hinblick auf seinen Betrag zu einem bestimmten Zweck und Ziel betrachtet. Dieser Zweck liegt in der Landschaft als einer ‚Ganzheit‘ selbst.“ (Trepl 1998, 196)

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schutzes bedeutsam und dort verknüpft mit konservativen Vorstellungen und Ansprüchen (Schmoll 2004, Körner 2005, Wiersbinski 2005). Denn je mehr Industrialisierung und Fortschritt ländliche und bäuerliche Lebensweisen sowie die damit verbundenen Kulturlandschaften verdrängten, desto stärker wurden diese idealisiert und als Schutzgegenstände identifiziert. Seit dem frühen 19. Jahrhundert wurde die ländliche Landschaft so „zu einem konservativen Ideal, und Landschaftsschutz ist seitdem mit konservativer Zivilisationskritik verbunden“ (Trepl 1998, 201). Mit der zunehmenden (natur-)wissenschaftlichen Ausrichtung des Naturschutzes wurden verstärkt die funktionalen, materiell-physischen Aspekte von Landschaft fokussiert. Landschaft war nicht länger als „Ideal“, sondern als „Funktionsträger“ bedeutsam (Wiersbinksi 2005). Statt als „Organismus“ wurde Landschaft als „Maschine“ interpretiert (Trepl und Voigt 2005). Damit veränderte sich auch ihre teleologische Deutung: Nicht mehr das Gute und Schöne (ebd., 28), sondern das – naturwissenschaftlich bestimmbare – objektiv Wahre sollte sein (Mölders 2010, 85 f.). Zusammenfassend lässt sich für den Naturschutz somit sagen, dass von einer grundsätzlichen Differenz zwischen Natur- und Kulturlandschaften ausgegangen wird. Beide sind im BNatSchG als Schutzgegenstände aufgeführt. Dem aktuellen Naturschutz liegt vor allem ein (natur-) wissenschaftlicher Landschaftsbegriff zugrunde. Denn je stärker der Naturschutz – entgegen seiner historischen Wurzeln – als naturwissenschaftliches Projekt verstanden und begründet wird, desto mehr verschwindet der ursprünglich ästhetische Begründungszusammenhang. Die „Natur der Landschaft“ als ästhetisches und teleologisches Naturverständnis wird über naturwissenschaftliche Zugänge, Begründungen, Methoden zunehmend unsichtbar (gemacht), ist jedoch nach wie vor maßgebend für das Denken und Handeln der im Naturschutz Aktiven.

2.2.2 Landschaftsgarten Gärten fungieren in besonderer Weise als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse, denn sie korrespondieren direkt mit den Staats-, Gesellschafts- und Naturverständnissen einer Gesellschaft (Bauer 1997, 34). Dies zeigt sich eindrücklich beim Übergang vom absolutistischen Barockgarten mit seinen geometrischen Anordnungen zum Landschaftsgarten, der als „Garten der Freiheit“ (von Buttlar 1997, 113) galt. Die Idee, Gärten als Landschaften zu gestalten, ging Anfang des 18. Jahrhunderts von England aus und erreichte ca. 50 Jahre später auch Deutschland und Frankreich. Dabei

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war das gesellschaftliche Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung direkt verbunden mit Natur: Natur galt als gut und vernünftig (Bauer 1997, 21) und zeigte, der Idee der bürgerlichen Freiheit entsprechend, den Weg zur Selbsterkenntnis (ebd., 24, Trepl 1998, 200). Hermann Bauer (1997, 32) wirft die Frage auf, wie sich diesem Verständnis einer „paradiesischen Natürlichkeit“ folgend das gestalterische Eingreifen durch den Menschen rechtfertigen ließ: Wieso bedurfte Natur, wenn sie an sich gut und richtig war, noch der gärtnerischen Gestaltung? Bauer (ebd.) verweist auf Erklärungsansätze, die von einer methodischen, d.h. systematischen und planmäßigen Aufbereitung von Natur im Garten ausgehen oder eine Verbesserung von Landschaft hin zum Landschaftsgarten postulieren. Trepl (1998, 201, Hervorh. i. Orig.) spricht in diesem Zusammenhang vom „paradoxen Ideal des Landschaftsgartens“: „die Natur auf vernünftige Weise so zu konstruieren, wie sie von sich aus wäre“. In seiner frühen Phase wurde die Gestaltung des Landschaftsgartens durch die Ideallandschaften der Malerei inspiriert. Später war es das Ziel der Landschaftsgärtner, das Vorhandene zu ergänzen und zu modifizieren, d.h. ein landschaftsgebundenes Gestalten zu realisieren (Bauer 1997, 32 ff.). Auch kulturelle Elemente wurden in das Ensemble des Landschaftsgartens integriert, indem sie als Natur interpretiert bzw. mit Natur gleichgesetzt wurden. Von diesem Verständnis zeugen die Inszenierung antiker Architektur – sowohl die antike Kunst wie der antike Mensch wurden im Klassizismus mit Natur oder dem Natürlichen gleichgesetzt (ebd., 29) – und künstliche Ruinen, die als pittoreske Elemente an die Vergänglichkeit und den Verfall alles Irdischen erinnern sollen (ebd., 36 f.). Zusammenfassend lässt sich für den Landschaftsgarten somit sagen, dass ihm ein ästhetischer Landschaftsbegriff zugrunde liegt. Natur und Gesellschaft erscheinen nicht als Differenz, sondern durchdringen sich in mehrfacher Hinsicht: Auf der materiellen Ebene wird die physische Natur ebenso gestaltet und arrangiert wie kulturelle Elemente – im Landschaftsgarten bilden sie eine Einheit. Auf der symbolischen Ebene verbinden sich Natur und Gesellschaft in der Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmung, womit zugleich normative Vorstellungen formuliert werden. An der Formulierung dieser Vorstellungen sind jedoch nur diejenigen beteiligt, die qua Geschlecht (männlich) und Status (bürgerlich) über eine entsprechend privilegierte gesellschaftliche Stellung verfügen. In ihre Vorstellungen einer idealen Natur und Gesellschaft sind immer auch Unterscheidungen und Hierarchisierungen eingeschrieben, indem von der Freiheit und

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Selbstbestimmung als idealen Zuständen solche Zustände unterschieden werden, die als nicht ideal gelten.

2.3 Zwischenfazit Die beiden Beispiele Naturschutz und englischer Landschaftsgarten verdeutlichen erstens, dass mit dem ästhetischen und (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriff zwei Referenzen in Bezug auf das Verständnis von Natur als Landschaft existieren, auf das in unterschiedlichen Konzeptionen von Landschaft jeweils unterschiedlich Bezug genommen wird. Die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften liegt quer zu diesen Referenzen, d.h. Natur- und Kulturlandschaften werden – je nach Kontext – sowohl mit Bezug auf einen ästhetischen als auch mit Bezug auf einen (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriff erklärt. Außerdem sind zweitens die Schwierigkeiten deutlich geworden, Landschaften entweder als Naturlandschaften oder als Kulturlandschaften zu kategorisieren. Auf den unterschiedlichen Ebenen, der Materialität, der Symbolik und der Normativität, kommt es zu Verbindungen zwischen Natur und Gesellschaft. Gleichwohl sind das Verständnis und die Gestaltung von Landschaften von Trennungen bestimmt – die schützenswerte Landschaft wird von der nichtschützenswerten Landschaft unterschieden, der zeitgemäße Garten und die damit verbundenen gesellschaftlichen Wertvorstellungen vom dem in der jeweiligen Epoche nicht Zeitgemäßen. Solche Differenzierungen sind nicht immer eindeutig und historisch variabel. Es handelt sich mithin um gesellschaftliche Zuschreibungs- und Entscheidungsprozesse. Diese finden nicht losgelöst von sich ebenfalls wandelnder Materialität statt. Dies zeigen etwa die Debatten um Naturschutz in der Stadt oder die Frage, wie „neue Sehfiguren“ für die Gestaltung von Altindustrieregionen entwickelt werden können (Mölders 2010, 89 ff.). Es scheint somit gleichgültig, ob man von der Natur- oder Kulturseite auf Landschaft schaut – als gesellschaftliches Naturverhältnis wird Landschaft zu einer Gestaltungsaufgabe. Es gilt danach zu fragen, wer, welche Natur, warum und wie gestalten möchte.

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3. D AS B IOSPHÄRENRESERVAT M IT TELELBE – V ORSTELLUNG DER U NTERSUCHUNGSREGION Im weltweiten System der Biosphärenreservate (siehe Textkasten) repräsentiert das Biosphärenreservat Mittelelbe den Naturraum einer charakteristischen mitteleuropäischen Flussaue mit naturnah erhaltenen Auenbereichen sowie, mit dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich, eine historische, bewusst gestaltete Kulturlandschaft.10 Mit über 300 Flusskilometern Elbe stellt das sachsen-anhaltische Biosphärenreservat Mittelelbe (siehe Abb. 1) den größten Teilbereich des länderübergreifenden Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe dar, das außerdem die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein durchzieht. Umgeben ist das Biosphärenreservat Mittelelbe von intensiv genutzten Kulturlandschaften in Form von Agrar- und Industrielandschaften. Dieses Nebeneinander unterschiedlich geschützter und genutzter Landschaften wird im südöstlichen Teil des Biosphärenreservats Mittelelbe, der MuldeMündung, wo die Flüsse Mulde und Elbe aufeinandertreffen, besonders deutlich: Krass wie selten in Europa steht hier nebeneinander, was als einzigartige Naturlandschaft, als schreckliche Naturzerstörung sowie als großartige Zukunftsentwürfe kategorisiert wird (Eisold 2000, 9). Ein Zitat aus der Bewerbung der Städte Dessau und Lutherstadt Wittenberg um den Titel „Kulturhauptstadt Europa 2010“ mag dies verdeutlichen:

10 | Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich stellt ein prominentes deutsches Beispiel landschaftsgärtnerischer Gestaltung nach englischem Vorbild dar (Eisold 2000). Nach der Maxime „das Schöne mit dem Nützlichen verbinden“ schuf Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) ein bemerkenswertes, über die Landschaftsgestaltung hinausgehendes Reformprojekt. Das historische Gartenreich umfasst neben den Wörlitzer Anlagen acht weitere Gärten bzw. Parks sowie zahlreiche Bauwerke und Objekte, die durch Straßen und Alleen zu einem landschaftlichen Gesamtensemble verbunden sind (Mölders 2010, 88 f.).

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Bei UNESCO-Biosphärenreservaten handelt es sich um eine Kategorie von Großschutzgebieten, die das zentrale Element im zwischenstaatlichen Programm „Der Mensch und die Biosphäre“ (MAB) darstellen. Die Ausrichtung des Programms hat sich seit seinen Anfängen zu Beginn der 1970er Jahre deutlich gewandelt: Während es zunächst vor allem darum ging, bedeutende Naturlandschaften zu schützen und in diesen die Mensch-Umweltbeziehungen zu erforschen, wurde das Konzept Biosphärenreservate zunehmend an das Leitbild Nachhaltige Entwicklung angepasst (Walter et al. 2004). Biosphärenreservaten kommen per Definition sowohl eine Schutz- als auch eine Pflege- und Entwicklungsfunktion zu (AGBR 1995, 5). Die unterschiedlichen Funktionen werden über eine dreigliedrige Zonierung zu realisieren versucht: In den Kernzonen gilt „Schutz vor Nutzung“ – die Natur soll sich hier möglichst unbeeinflusst vom Menschen entwickeln. In den Pflegezonen gilt „Schutz durch Nutzung“ – hier sollen Ökosysteme erhalten und gepflegt werden, die durch menschliche Nutzungen entstanden und beeinflusst sind. In den Entwicklungszonen, dem Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum der Bevölkerung, gilt schließlich „Schutz trotz Nutzung“ – hier sollen Wirtschaftsweisen entwickelt werden, die den Ansprüchen von Mensch und Natur gleichermaßen gerecht werden (AGBR 1995, 12, Plachter et al. 2004, 23). Bis heute hat die UNESCO 580 Biosphärenreservate in das Weltnetz aufgenommen (Deutsche UNESCO-Kommission e.V. 2011). In Deutschland existieren aktuell 15 UNESCO-Biosphärenreservate.

„In dieser dichten Kulturlandschaft werden – und das ist weltweit einzigartig – vier UNESCO-Welterbestätten behütet und genutzt: Bauhaus Dessau, DessauWörlitzer Gartenreich, Reformationsstätten Wittenberg und Biosphärenreservat Flusslandschaft Mittlere Elbe, allesamt Ideenschmieden für Veränderungen und Erneuerungen der Zivilisation. Dieses Erbe aus mehr als fünf Jahrhunderten erweist sich als Reservoir gegenwartstauglicher und zukunftsfähiger Konzepte. [...] Der Kulturraum rund um die mittlere Elbe ist eine einzige Bildungslandschaft mit reich bestückten Lernorten, anschaulich, anregend, heiter und gewinnend – in einer spezifischen Mischung von Natur, Urbanität und Kultur. Nicht zu verschweigen die Irrtümer und Fehler, deren Analyse wiederum den Wandel fördern und zur Lösung aktueller Probleme beitragen kann.“ (Die Oberbürgermeister Dessau und Lutherstadt Wittenberg 2004, 4 ff.)

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Abbildung 1: Das Biosphärenreservat Mittelelbe mit dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich

Quelle: Berger 2008

Diese Blitzlichter auf das Biosphärenreservat Mittelelbe veranschaulichen, dass es sich um ein Gebiet handelt, das für die Frage nach den Unterschieden und der Unterscheidbarkeit von Natur- und Kulturlandschaften prädestiniert ist. Natur und Kultur werden als sich bedingende und durchdringende Wesensmerkmale der Region angeführt. Zugleich werden Natur und Kultur in der Landschaft voneinander unterschieden und nebeneinander gestellt. Es handelt sich um eine Region, „Wo Biber Burgen und Fürsten Landschaften bauen“, so der Titel einer regionalen Tourismusbroschüre (Tourismus-Marketing Sachsen-Anhalt GmbH 2007, 12).

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Wie stellt sich diese Unterscheidungspraxis nun im Denken und Handeln derjenigen dar, die im Biosphärenreservat leben und arbeiten? Dies war eine der Fragen, die im Forschungsprojekt „Blockierter Wandel? Denkund Handlungsräume für eine nachhaltige Regionalentwicklung“ bearbeitet wurden.11 Ausgehend von der These, dass die Blockaden nachhaltiger Regionalentwicklung in der Region Mulde-Mündung auf die Hierarchisierung dichotomer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster12 zurückzuführen sind, wurden in dem Projekt unterschiedliche dichotome Konstruktionen und deren Hierarchisierungen anhand von Fallbeispielen untersucht (Forschungsverbund „Blockierter Wandel?“ 2007). Eines der Fallbeispiele war das Biosphärenreservat Mittelelbe und die hier eingeschriebenen Dichotomisierungen von Natur und Kultur sowie Schützen und Nutzen (Forschungsverbund „Blockierter Wandel?“ 2007, 63 ff., Hofmeister und Mölders 2007, Mölders 2010, 2012). Mit Methoden der empirischen Sozialforschung (Interviews und Dokumentenanalyse) wurden die Wahrnehmung und Interpretation gesellschaftlicher Naturverhältnisse im Biosphärenreservat Mittelelbe nachvollzogen. Strukturiert wurde die Untersuchung durch die Frage, was im Biosphärenreservat Mittelelbe von wem vor welchem Hintergrund als Natur verstanden wird und welche Umgangsweisen mit Natur praktiziert werden (Mölders 2010, 20). Auf die Frage nach dem „Was?“ kristallisierte sich das Verständnis von Natur als Landschaft als zentral heraus – eine Landschaft, die sowohl Natur- als auch Kulturlandschaft ist.

11 | Der Forschungsverbund „Blockierter Wandel? Denk- und Handlungsräume für eine nachhaltige Regionalentwicklung“ wurde von August 2003 bis Februar 2006 im Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“ (SÖF) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. 12 | Beispiele für solche Dichotomisierungen und Hierarchisierungen sind bspw. die Unterscheidung und unterschiedliche Bewertung von Arbeit als entweder „Erwerbsarbeit“ oder „Reproduktionsarbeit“ oder von Räumen als entweder „öffentlich“ oder „privat“.

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4. N ATUR - UND K ULTURL ANDSCHAF TEN – EMPIRISCHE E RGEBNISSE 13 Neben Flora und Fauna stellt für die befragten Akteure14 im Biosphärenreservat Mittelelbe Landschaft ein zentrales Naturverständnis dar. In der Kategorie Landschaft fassen sie die Komplexität, Schönheit und Erlebbarkeit von Natur zusammen. Dabei werden „Naturlandschaft“ (4.1) und „Kulturlandschaft“ (4.2) sowohl voneinander unterschieden als auch miteinander in Beziehung gesetzt. Die Merkmale der Unterscheidung und Verbindung von Natur- und Kulturlandschaften werden insbesondere mit Blick auf die „Natur des Biosphärenreservats“ und „die Natur des Gartenreiches“ deutlich, die sich darstellen als „die Natur des Naturschutzes“ und „die Natur des Denkmalschutzes“ (4.3). In einem Zwischenfazit 4.4 werden die empirischen Ergebnisse zusammengeführt.

4.1 Landschaften als Naturlandschaft … Als Naturlandschaft werden die „(noch) existenten Naturräume“ (4.1.1) sowie die „Kernzonen und die Auwälder des Biosphärenreservats“ (4.1.2) charakterisiert. Beim Sprechen über die so verstandene Naturlandschaft werden zugleich Abgrenzungsprobleme deutlich – die Naturlandschaft ist „nicht immer eindeutig bestimmbar“ (4.1.3).

4.1.1 … sind (noch) existente Naturräume Die Akteure sprechen von „Naturlandschaft“ oder „Naturräumen“, die sie im Sinne „echter Natur“ als vom Menschen unberührt verstehen: „Was hier Naturlandschaft ist, das sind nur kleine Flächen der Flusslandschaft. Im Biosphärenreservat ist die Forderung drei Prozent. Das ist schon eine Prozentzahl, die wir kaum erfüllen können, wenn man das wirklich ernst nimmt 13 | Die Ausführungen in Kapitel 4 entsprechen in weiten Teilen der Darstellung in Mölders (2010, 209 ff.). 14 | In insgesamt dreizehn Gesprächen mit sechzehn Interviewpartner wurden unterschiedliche Personen(-gruppen) befragt, die als ehren- oder hauptamtliche Mitarbeiter, als Naturschützer oder als Landschaftsnutzer die gesellschaftlichen Naturverhältnisse im Biosphärenreservat Mittelelbe gestalten. Bei den im Folgenden verwendeten Namen handelt es sich um Pseudonyme.

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mit der Naturlandschaft. Und Naturlandschaft heißt ja, von menschlicher Nutzung unbeeinflusst.“ (Frau Dr. Adam)

Die Interviewpartner sind davon überzeugt, dass im Biosphärenreservat Mittelelbe solche Naturlandschaften bzw. Naturräume existieren. Die Mitarbeiterin einer Unteren Naturschutzbehörde (UNB) versichert: „Und die Naturräume, von denen Sie jetzt sprechen, gibt es noch. Meiner Meinung gibt es die noch. [...] Noch gibt es welche. Aber grade in Siedlungsräumen sind sie extrem rar. Ich drücke mich mal so vorsichtig aus. Aber ich kann für unsern Landkreis sagen, dass es solche Naturräume noch gibt. Ich bilde mir ein, die gibt es noch. Und von meiner Auslegung dieses Begriffes oder dieses Wortes oder der inhaltlichen Bestimmung kann ich das mit Fug und Recht so behaupten. Herr Wolters, wir kennen in unserem Landkreis noch Naturräume! [...] Aber dicke. Genauso ist es. Aber dicke. Genau.“ (Frau Marquard)

In dieser Aussage steckt neben dem Postulat, dass es im Landkreis noch „dicke“ Naturräume gibt, der Hinweis, dass es sich dabei um eine Einschätzung handelt, die auf einer Begriffsauslegung beruht. Frau Marquard sagt, dass sie der „Meinung“ sei, es gebe noch Naturräume (siehe auch 4.1.3). Die „Naturnähe“ erscheint als ein wesentliches Kriterium zur Bestimmung, ob und inwieweit einem Landschaftsausschnitt der Status Natur zugewiesen werden kann: „Da haben wir diese Naturnähe. Also, es ist [ein] nicht ganz natürlicher Lebensraum. Es ist ein naturnaher Lebensraum entstanden über Jahre durch den Biber dort. Versumpfung von Wiesen und Quellbereiche haben wir da und vernässte Teile, und ich glaube, ein Stückchen Erlenbruchwald ist auch da.“ (Frau Marquard)

Auch Herr Knieling, ehrenamtlicher Naturschutzhelfer, beschreibt den „naturnahen Charakter“ der Landschaft und leitet daraus ihren Schutzstatus ab: „Ich muss das so sehen, dass ich in dieser Landschaft, die wir hier haben, die auch geformt ist durch die Natur, aber dann sehr wohl fast, sage ich mal, [zu] siebzig bis achtzig Prozent vom Menschen geformt worden ist, aber die einen naturnahen

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Charakter hat, [...]. Da muss ich sagen, den müsste man erhalten, den müsste man auch fördern.“ (Herr Knieling)

Beide Aussagen enthalten außerdem Hinweise darauf, dass es sich auch bei der naturnahen Landschaft um vom Menschen beeinflusste Landschaft handelt (siehe auch 4.1.3).

4.1.2 … sind die Kernzonen und die Auwälder des Biosphärenreser vats Mit Bezug auf das Konzept Biosphärenreservate bzw. die darin festgelegte Zonierung beschreiben die Interviewpartner insbesondere die Kernzonen als Naturlandschaft. Ihnen wird ein Zustand größter Naturnähe attestiert. Frau Dr. Adam, ehemalige Mitarbeiterin des Biosphärenreservats, beschreibt die „Kernzonen als Gebiet, wo man sich sagt: ‚Hier [handelt es sich um] Naturlandschaft‘.“ (Frau Dr. Adam)

Herr Zech, Mitarbeiter des Biosphärenreservats, charakterisiert die Kernzonen als „Urwald“ und schätzt die Akzeptanz für dieses Schutzsystem als hoch ein: „Die Kernzonen sind naturbelassene, sich selbst überlassene und vom Menschen unbeeinflusste Bestandteile. Das ist auch was, wo ich sagen muss, da ist die Akzeptanz ziemlich hoch. [...] Man muss natürlich auch dazu sagen, die Fläche ist gering. Es sind [...]. Von den hundertzwanzigtausend Hektar sind wir mittlerweile [...]. Ich weiß nicht, ob es schon über tausend Hektar sind. Das ist [...]. Sagen wir mal, das wäre dieser Urwaldcharakter.“ (Herr Zech)

Herr Sagers, ebenfalls Mitarbeiter des Biosphärenreservats, sieht die Zonierung als eine Möglichkeit, unterschiedliche Nutzungsgrade zu unterscheiden, wobei er die Aufgabe jeglicher Nutzung in den Kernzonen als „ganz wichtiges Element“ betrachtet: „Und es ist eine Kulturlandschaft, die genutzt ist, und diese Zonierung bietet die Möglichkeit, dass es eben unterschiedliche Nutzungsgrade gibt. Ein kleiner Teil ist eben Kernzone, ohne Nutzung, was, glaube ich, auch ein ganz wichtiges Element

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ist. Was heute so gerne unter Wildnis gesehen wird. Dann gibt es diese Pflegezone als Naturschutzgebiete, was ja auch mit FFH-Gebieten zum großen Teil belegt ist, wo eben doch die Natur einen bestimmten Vorrang haben muss. Und dann gibt es die überwiegende Fläche, wo eben Landnutzung wenig eingeschränkt wird [...].“ (Herr Sagers)

Diese Einschätzungen drücken aus, was im Verständnis der Interviewpartner die Kernzonen als Naturlandschaften auszeichnet und von der übrigen Landschaft abgrenzt. Als wesentliches Kriterium erscheint die fehlende menschliche Beeinflussung. Während z.B. in den Naturschutzgebieten der Pflege- und Entwicklungszonen Pflegemaßnahmen durchgeführt werden, finden in den Kernzonen keinerlei Eingriffe statt – sie sind dem menschlichen Zugang verschlossen. Tätig ist hier allein die Natur, die als „Urwald“ oder „Wildnis“ interpretiert wird. Natur(-landschaft) ist mithin das, was sich jenseits menschlicher Einflussnahme und aus sich selbst heraus entwickelt. Als prominentestes Beispiel für eine so verstandene Naturlandschaft im Biosphärenreservat Mittelelbe wird in den Interviews immer wieder auf die Auenlandschaft und -wälder, die Weich- und Hartholzauen verwiesen. Sie seien das Charakteristikum des Biosphärenreservats Mittelelbe, ihnen verdanke das Gebiet seine Ausweisung: „An der Elbe sind ja Auwälder. Und wir haben mit dem Biosphärenreservat an der Mittleren Elbe ein Gebiet als erstes unter Schutz gestellt, wo noch Auwälder vorhanden sind. Das ist unser Reichtum, und das ist deshalb auch so ausgewiesen worden.“ (Frau Dr. Adam)

Eine Mitarbeiterin des Förder- und Landschaftspflegevereins (FÖLV) antwortet auf die Frage, was das Biosphärenreservat für sie ausmache: „Die Auenlandschaft einfach. Die Einmaligkeit der weiten Aue. [Die] größten zusammenhängenden Auenwälder – klingt zwar ein bisschen abgedroschen, aber es ist so. Die wirken ja doch! Gerade wenn man Besuch aus anderen Regionen hat, dann [...] wird es einem wieder bewusst. Man selber sieht das schon als selbstverständlich an, aber das ist doch das Besondere hier.“ (Frau Schmalfuß)

Diese Besonderheit stellt auch Herr Zech heraus:

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„Denn wo hat man noch Überflutungsaue? Und die Aue ist einer der tier- und pflanzenreichsten [Lebensräume], die es gibt. Zum Beispiel allein an einer Eiche können bis zu zweihundert verschiedene Tierarten leben. Und dieser Landschaftsraum ist in Europa auch gefährdet und selten, und das ist schon wichtig. [...] Ich meine, wir haben auch sehr viele Leute, die aus dem Ausland kommen. Das eine Jahr hatten wir mal registriert – das weiß ich noch –, dass [es] fünfundzwanzig Länder waren, die uns hier besucht haben. Und der Tenor ist eigentlich immer derselbe, dass man sagt: Mensch, das ist schon noch klasse, was Ihr hier habt! Weil die Ursprünglichkeit, aus welchem Grund auch immer, noch so ist, wie man sie woanders kaum oder gar nicht mehr hat.“ (Herr Zech)

In der Wahrnehmung und Interpretation der lokalen Akteure ist die Naturlandschaft somit in zweifacher Hinsicht bedeutsam und schützenswert: in einem ökologisch-naturwissenschaftlichen Sinne („natürlicher Lebensraum“, „tier- und pflanzenreich“, „Naturschutzgebiet“) und als regionale Besonderheit („unser Reichtum“, „das Besondere hier“, „was Ihr hier habt“). Die beiden Verständnisse stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern verweisen vielmehr aufeinander: Die regionale Besonderheit wird mit der Naturnähe begründet. Entsprechend fühlen sich auch die im Naturschutz Engagierten „ihrer Region“ heimatlich verbunden, und umgekehrt sind die lokalen Akteure stolz auf die regionale Artenvielfalt und besondere Lebensraumausstattung.

4.1.3 … sind nicht immer eindeutig bestimmbar Ob die als Naturlandschaft bzw. im Sinne der Zonierung als Kernzonen ausgewiesenen Bereiche tatsächlich den ursprünglichen Zuständen entsprechen, bleibt – wie bereits angedeutet – jedoch vage. Frau Dr. Adam, ehemalige Mitarbeiterin des Biosphärenreservats, meint dazu: „Da sind noch einige Stücke, wo man sich sagt, ja, so könnte man sich vorstellen, dass so ein natürlicher Auwald aussieht. Aber wissen tun es selbst die Forstleute nicht.“ (Frau Dr. Adam)

Die Interviewpartnerin erklärt, dass auch die heute als Naturlandschaft kategorisierte Landschaft in der Vergangenheit oftmals Nutzungen unterlag: „Das ist ein sehr langwieriger Prozess, weil einfach die Nutzung zu lange in diesem Gebiet gewesen ist. Es gibt immer Bereiche, die schwer zugänglich sind. Da würde

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man denken, die sind am naturnächsten. Sicherlich sind sie es auch. Aber wenn Nutzbarkeit drin ist, dann ist die Nutzung auch durchgeführt worden.“ (Frau Dr. Adam)

Und selbst wenn jegliches direkte menschliche Eingreifen ausgeschlossen werden kann, führen Luft und Niederschlag doch zu anthropogenen Einträgen. Es handelt sich mithin um „für mitteleuropäische Verhältnisse“ natürliche Landschaften: „Ja, wir haben hier nur noch Kulturlandschaft. Das heißt, wir haben – außer vielleicht noch eine ganz kleine Zone, die aufgrund von jahrhundertelanger Nichtbeeinflussung noch einen Naturcharakter hat – [...]. Aber dann kann ich sagen: ‚Okay, der Regen kommt von oben.‘ Schon ist das auch wieder gestorben. Mitteleuropa ist heute in einer Situation, [in der] wir sagen: ‚Wir haben überhaupt keine Natur als solche mehr.‘ Wo ich auch nicht sagen kann, hier hat noch nie ein Mensch einen Fuß hingetreten.“ (Herr Knieling)

Vor diesem Hintergrund wird die Unterscheidung zwischen Naturlandschaft oder naturnaher Landschaft einerseits und Kulturlandschaft andererseits von den Befragten zwar vorgenommen, erscheint jedoch zugleich schwierig. Eine Mitarbeiterin des FÖLV, Frau Schmalfuß, erklärt, dass sich eine Problematisierung der Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaft als wenig praxistauglich erweise, da es sich um „abstrakte Begriffe“ handele: „Obwohl das [Naturlandschaft – Kulturlandschaft] solche abstrakten Begriffe sind. Wenn wir vor Ort mit den Leuten diskutiert haben, hat das kaum einer begriffen. Weil die Differenz wird einfach nicht gemacht. [...] Natur ist das, was jetzt da ist. Das wird kaum als Kulturlandschaft angesehen. [...] in der normalen Bevölkerung. Die Fachleute wissen natürlich die Unterschiede [...].“ (Frau Schmalfuß)

Über die praktische Vermittlung hinaus fällt eine eindeutige Zuordnung von Natur und Kultur im Einzelfall schwer. Die Interviewpartner formulieren Fragen, um dies zu verdeutlichen: „Was ist überhaupt noch Naturlandschaft? Wenn wir jetzt zum Beispiel unser Auenwaldprojekt hier haben mit dem Wildobst, das ist mehr Naturlandschaft, ob-

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wohl auch das Wildobst irgendwann mal eingewandert ist. [Hier besteht] also auch schon Kultureinfluss. Ab wann ist [es] Natur- und ab wann Kulturlandschaft?“ (Frau Schmalfuß) „Was ist Kulturlandschaft? Wo fängt die an, wo hört die auf? Da kann man sicher [...]. Holen Sie sieben Leute rein, haben die sieben Antworten, holen Sie zwanzig, haben die zwanzig verschiedene Meinungen. [...] Wo fange ich an mit Kultur? Ich würde das schon unter Natur verbuchen, aber irgendwo kann man da sicher auch streiten. Weil Wildobst oder irgendwas wurde teilweise auch vom Menschen als Solitärbäume eingebracht, die sich dann verbreitet haben. Da ist die Frage: Wo setze ich da an?“ (Herr Zech)

Die aufgeworfenen Fragen verdeutlichen, dass die Abgrenzung von Naturund Kulturlandschaft nicht immer eindeutig ausfällt und der definitorischen Setzung bedarf. Dort, wo in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure im Biosphärenreservat unterschiedliche Verständnisse aufeinandertreffen, gilt es zu analysieren, wer diese Setzungen vor dem Hintergrund welcher Annahmen vornimmt, wessen „Meinung“ dabei wie viel zählt und welche Rolle „Fachleute“ spielen.

4.2 Landschaften als Kulturlandschaft … Wie die Naturlandschaft gilt auch die Kulturlandschaft als „schützenswert“ (4.2.1), kann jedoch – so die regionale Erfahrung – „mitunter verunstaltet“ sein (4.2.2).

4.2.1 … sind schützenswert Trotz der in 4.1.3 dargestellten Abgrenzungsschwierigkeiten beschreiben die Interviewpartner die Kulturlandschaft im Biosphärenreservat und äußern sich dabei auch zum Kulturbegriff: „Und so kommen wir zur Kultur – was versteht nun ein Naturschutzmann unter einer Kulturlandschaft? [Der] Begriff ist gar nicht so ganz einfach. Wir haben schon Tagungen zum Thema Kulturlandschaftsschutz bei uns durchgeführt. Und es gibt ja auch Professoren, die über Kulturlandschaftselemente ihre Vorlesungen halten und dafür plädieren, dass die erhalten werden müssen, weil es ja immerhin auch Kultur ist in der Landschaft. Ein Naturschutzmann, so wie ich das hier aus meiner Umgebung im Biosphärenreservat gesehen habe, trennt eigentlich die land- und

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forstwirtschaftliche Nutzung von den Naturschutzflächen. Obgleich das auch wieder nicht ganz stimmt, denn es gibt ja auch den Landschaftsschutz.“ (Frau Dr. Adam)

In ihrer Aussage weist die ehemalige Mitarbeiterin des Biosphärenreservats, Frau Dr. Adam, auf die akteursspezifische Perspektive bei der Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaft hin. Aus Sicht des „Naturschutzmannes“ erscheinen genutzte Landschaften als das Andere zu einer zu schützenden Naturlandschaft. Gleichzeitig gelten auch ausgewählte Kulturlandschaften als schutzwürdig. So stellt der Mitarbeiter des Biosphärenreservats, Herr Becker, den Schutzstatus der offenen Landschaft heraus: „Aber offen gelassen [werden] muss diese Landschaft [...]. Sie muss so bewahrt werden, wie sie jetzt ist. Denn wenn man sie der natürlichen Sukzession überlässt, also dass dann aus diesen offenen Landschaften langsam wieder Wald wird, das ist nicht Sinn und Zweck. Dann kann es passieren – ich will nicht so weit gehen, aber [...] –, dass der Schutzstatus dann wegfällt.“ (Herr Becker)

An dieser Stelle geht es folglich nicht darum, einer eigendynamischen Natur zur Entfaltung zu verhelfen, sondern um den Erhalt eines Status quo. Ihr Gewordensein macht Kulturlandschaften nicht nur ästhetisch, sondern auch „ökologisch“ (im Sinne von naturschutzfachlich) wertvoll, wie ein ehrenamtlicher Naturschützer am Beispiel von Truppenübungsplätzen ausführt: „[...] Truppenübungsplätze. Die aber auch einen naturellen Fortschritt bedeuten. Da kann man sonst über militärische Nutzung denken, wie man will. Aber das muss man auch mal so sehen: Da sind Vogelschutzgebiete drin und [alles] drum und dran.“ (Herr Wolters)

Die zweite, d.h. materiell hergestellte Natur erscheint demnach als schützenswert, wenn die entscheidenden „ökologischen“ Kriterien erfüllt sind. In diesem Verständnis wird Kulturlandschaft als hergestellte Naturlandschaft wahrgenommen und interpretiert. Ihre Bewertung erfolgt vor dem Hintergrund der gleichen Rationalitäten wie die der Naturlandschaft. Dies ist neben den naturwissenschaftlich-ökologischen Parametern auch ihre Bedeutung als Raum der regionalen Identifikation.

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4.2.2 … sind mitunter verunstaltet Die Interviewpartner sprechen auch über „die andere“ Kultur und Kulturlandschaft, die sie nicht als schützenswert, sondern als verunstaltet oder gar gefährlich kategorisieren. Herr Knieling, ehrenamtlich im Biberschutz engagiert, drückt es so aus: „Kulturlandschaft ist was anderes als Würstchenbudenkultur und Kioskkultur.“ (Herr Knieling)

Dass es neben der „ökologisch“ wertvollen und der schönen Kulturlandschaft, die im Biosphärenreservat Mittelelbe mit dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich eine in Idee und Form nahezu vollkommene Realisierung erfahren hat, auch die andere, verunstaltete, die verseuchte und damit gar nicht mehr intakte und schöne Kulturlandschaft gibt, zeigt das Beispiel der Muldeaue,15 das von einigen Interviewpartnern angesprochen wird. „Dazu kam, dass Auen bedingt durch Hochwässer und [die] daran lebende Industrie auch gewisse Belastungen haben. Das war bei uns besonders augenfällig in der Muldeaue. Die ist aus der Nutzung raus! Kein Tier in die Muldeaue – kein Rind, kein Schaf, nichts. Das heißt, die Muldeauenkulturlandschaft wächst zu, wenn nichts getan wird. [...] Und ich wollte eben, dass man sowohl die Umweltbelastung, die auch durch die Saale gekommen ist und auch durch Schwermetallbelastungen über Jahrhunderte hinweg in den ufernahen Bereichen existiert, dass man die mit einbezieht, anspricht. Bodenuntersuchungen waren da, und dass man sie entsprechend auswertet und Vorschläge macht, wie man damit in der landwirtschaftlichen Produktion entsprechend umgeht. Wie man im Biosphärenreservat damit umgeht. Und was nötig ist, um nachhaltig zu wirtschaften. Dass man nämlich nicht [bei] Kadmiumbelastung in Höhen mehrfacher Überschreitung Rinder weiden lässt, wo sich das dann vielleicht in der Milch niederschlägt. [...] Das ist natürlich heißes Eisen. Aber unser Metier ist immer ein heißes Eisen!“ (Frau Dr. Adam)

15 | Die Muldeaue ist aufgrund jahrzehntelangen Eintrags mittels Überschwemmungen und damit verbundener Sedimentation mit Schwermetallen und β-HCH belastet (AGBR 1995, 229).

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Dieser Art von Kulturlandschaft, die Ausdruck der ökonomischen Entwicklungen der letzten 150 Jahre ist, widmete sich das kulturelle Langzeitprogramm „Industrielles Gartenreich“ (IGR) der Stiftung Bauhaus Dessau (Stiftung Bauhaus Dessau 1996, 1999) – ein Programm, von dem man sich seitens des Biosphärenreservats abgrenzt, wie Herr Sagers im Interview deutlich macht: „Das Thema IGR ist nicht unbedingt unser Kernthema. Für uns steht das historische Gartenreich in seiner landschaftlichen Ausprägung im Vordergrund, und das beißt sich zum Teil mit Dingen aus dem IGR.“ (Herr Sagers)

Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Schutz- und Gestaltungsinteressen werden somit unterschiedliche Qualitäten von Kulturlandschaften unterschieden.

4.3 Die Natur des Naturschutzes und die Natur des Denkmalschutzes Seit das Dessau-Wörlitzer Gartenreich Teil des Biosphärenreservats Mittelelbe ist, scheinen hier die Naturlandschaft und die schöne Kulturlandschaft idealtypisch vereinigt zu sein. Entsprechend heißt es in einer der zahlreichen Broschüren: „Die Natur des Reservates und die Parklandschaft des Gartenreiches vereinen Natur- und die unter ästhetischen Gesichtspunkten geschaffene Kulturlandschaft.“ (Allianz Umweltstiftung und Biosphärenreservat Mittlere Elbe 2000, o.S.) Das Zusammenspiel von Biosphärenreservat und Gartenreich, die inhaltlichen, strukturellen sowie personellen Überschneidungen, die Anschlussfähigkeit und Differenzen im Naturverständnis werden auch von den Interviewpartnern thematisiert und vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Erfahrungen und Tätigkeiten ausgeführt. Frau Dr. Adam, ehemalige Mitarbeiterin des Biosphärenreservats, berichtet aus der Anfangszeit: „Das Gartenreich ist 1988 mit ins Biosphärenreservat gekommen. Damals gab es noch keine Verwaltung. Das damalige Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz hat darauf gedrungen, weil die ja sehr gute Landschaftskenner waren. Und damals war das ein Clusterreservat. Bestand aus [dem] Steckby-Lödderitzer Forst (westlicher Teil) und dem Gartenreich Dessau-Wörlitz als eine unter Denk-

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malschutz stehende, historische Kulturlandschaft. Und diese Konstellation entspricht ja der Idee dieses Biosphärenreservats.“ (Frau Dr. Adam)

Die Rede vom historischen Gartenreich und den dahinterstehenden Vorstellungen von Natur und Gesellschaft ist unmittelbar verbunden mit der Würdigung des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau. Ihm wird nicht nur als historische Figur, sondern auch als Referenz für aktuelles Denken und Handeln Bedeutung beigemessen. Insbesondere das vom Fürsten verfolgte Anliegen, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden, stellt eine viel zitierte Maxime dar. Frau Dr. Adam führt aus: „Diesmal war es ein Fürst, der wirklich fortschrittlich und ein genialer Mann war, der sein ganzes Ländchen Anhalt gestaltet hat nach ästhetischen Gesichtspunkten für den Menschen. Er hatte daran selbst sehr viel Spaß, aber er hat es eigentlich aus seinem Verständnis heraus gemacht, dass alles, was auch ästhetisch schön ist, auch dazu dient, dass man gerne arbeitet und gerne darin lebt.“ (Frau Dr. Adam)

An anderer Stelle erläutert Frau Dr. Adam das Zustandekommen ästhetischer Anschauungen als Definitionsprozess und beschreibt, wie der Fürst die knorrigen Alteichen aus der Waldweide (Hude) zur „schönen Natur“ erklärte: „Ja, das ist eben eine historische Form der Nutzung und Pflege. Man hat damals die Bäume gehabt, da haben sich dann die Tiere druntergestellt, die gehen ja gerne unter Bäume. Und es war ja auch so, dass der Fürst die ästhetische Umbewertung vorgenommen hat. Das waren eigentlich Reste aus der Mittelwaldwirtschaft, die ja durch Tierherden zu einer Verlichtung der Wälder geführt hatte – Hudewälder waren ja massenhaft bei uns. [...] Und diese Überhälter, die die Tiere nicht mehr angegangen sind, das waren dann die Alteichen, die natürlich als knorrige, weit ausladende, schöne Eichen sehr hübsch aussehen. Aber diese ästhetische Bewertung, das war eben Fürst Franz. Die anderen, die hatten gesagt, ja, das sind Eichellieferanten.“ (Frau Dr. Adam)

Die Erhaltung und Pflege der Kulturlandschaft des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs bedeutet somit immer auch eine Orientierung an den ästhetischen und normativen Setzungen einer vergangenen Epoche und den mehr oder weniger subjektiven Vorstellungen eines Landesfürsten.

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Landschaftliche Elemente, die bei der Thematisierung der Natur des Biosphärenreservates und der Natur des Denkmalschutzes angesprochen werden, sind neben den berühmten Parks wie Wörlitz oder dem Luisium vor allem Bestandteile der gestalteten Landschaft außerhalb der Anlagen (z.B. Streuobstwiesen, Solitäreichenwiesen, Alleen und Sichtachsen). Diese bedürfen, um erhalten zu bleiben, der Pflege – Sichtachsen müssen freigeschnitten, Bäume nachgepflanzt werden etc. Um diese Aufgaben zu erfüllen, haben sich Kooperationen zwischen der Biosphärenreservatsverwaltung und der Kulturstiftung DessauWörlitz gebildet. Die Interviewpartner illustrieren anhand von Beispielen, dass eine Verbindung bzw. Abstimmung der jeweiligen Interessen möglich ist. Es wird allerdings auch von unterschiedlichen, nicht oder nur bedingt anschlussfähigen Rationalitäten in den Naturverständnissen berichtet. So beschreibt Frau Dr. Adam die unterschiedlichen „Verständnisse“ von Natur- und Denkmalschutz: „Es ist ein anderes Verständnis. Und da muss abgewogen werden: Was hat hier Vorrang? Und lasse ich es zu oder nicht? Und die Umsetzung dieser Kulturlandschaftselemente, das gibt es im Naturschutz weniger. Es ist zwar vom Grundsatz eine grundsätzliche Erklärung, aber die Eingriffsregelung in ihrer Ausführung lässt da wenig Spielraum, und der Denkmalschutz, der kümmert sich darum eigentlich wenig. Der hat ja in erster Linie Bautenschutz. Und Parklandschaften, das ist dann die Umgebung von Gebäuden.“ (Frau Dr. Adam)

Die Interviewpartnerin nimmt die Position des Naturschutzes ein und führt aus: „Die Sichten, die man nach historischem Vorbild halten will, müssen hineingeschlagen werden. Und das vom Biosphärenreservat, was den Naturschutz zu vertreten hat. Das ist ein Konflikt hoch drei. Der Wald hat ja als geschlossener Wald durchaus seine Lebensraumqualität und gehört zu den FFH-geschützten Lebensräumen – den nun mit Schneisen versehen!“ (Frau Dr. Adam)

Während die Natur des Naturschutzes an dieser Stelle durch natürliche Sukzession und Lebensraumqualitäten bestimmt ist, richtet sich die Natur des Denkmalschutzes auf die Erhaltung und Gestaltung des Künstlichen, wie ein Mitarbeiter der Kulturstiftung DessauWörlitz erläutert:

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„[...] in der Situation ist es so, [dass] also das, was das Gartenreich betrifft, künstlerisch gestaltete Natur ist. Und wenn das Biosphärenreservat hier diesen Schutzstatus hat, „Man and Biosphere“, dann heißt das ja, es ist eigentlich auch eine denkmalpflegerische Aufgabe. Das heißt, dass die vom Menschen geschaffene Landschaft des 17. und 18. Jahrhunderts hier auch als Biosphären unter naturschutzrechtlicher Sicht unter Schutz steht. [...] In meinen dienstlichen Arbeitsaufgaben will ich gar keine Natur erhalten, da will ich die Kunst erhalten. Gartengestaltung im Sinne des frühen Landschaftsgartens heißt ja: Kunst machen, ohne die Kunst zu sehen. “ (Herr Hartmann)

Diese beiden Perspektiven verdeutlichen neben den unterschiedlichen Naturverständnissen die ungeklärte Position des Biosphärenreservats. Nach Frau Dr. Adam hat das Biosphärenreservat den Naturschutz zu vertreten, Herr Hartmann verweist – unter Bezugnahme auf MAB – auf eine denkmalschützerische Aufgabe, die zu erfüllen sei. Bei einem von ihm ausgeführten Konflikt wird deutlich, dass neben der Biosphärenreservatsverwaltung noch andere Behörden aus dem Bereich Naturschutz blockierend auf den Denkmalschutz wirken. Diese Blockaden sind insbesondere in der Gesetzeslage begründet, in der Natur- und Denkmalschutz nicht zusammengedacht werden: „Die [Naturschutzbehörden] sehen nur ihren Naturschutz, und da gibt es schon wieder Probleme. Wir kommen gut hin mit dem Biosphärenreservat, aber bei der Durchsetzung von einzelnen Sachen, die jetzt nicht in unseren Liegenschaften sind, wie Straßenalleepflanzung, Obstwiesen, wie Wiederherstellung der ursprünglichen Alleen [...]. Ja, das waren zum Teil eben Pyramidenpappelalleen. Das ist nach Naturschutzrecht keine Ausgleichsmaßnahme. Das heißt also, das muss ausgeglichen werden. Das heißt, das, was die sich eigentlich als Biosphärenreservat auf die Fahne schreiben müssen: Wiederherstellung der im 18. Jahrhundert entstandenen Landschaft, das muss naturschutzrechtlich ausgeglichen werden. Das heißt, wenn wir eine Pyramidenpappelallee wieder pflanzen, ja dann [...] und dafür eben die restlichen paar auf der bisherigen Allee erhaltenen Ahorn – was auch immer da steht – abschneiden, dann müssen wir da irgendwo in der eh zugewachsenen Landschaft wieder Pflanzen setzen. Und unsere Allee, die wir so pflanzen in Pyramidenpappeln, ist ein Eingriff. Das heißt, es gibt diese Schwierigkeiten zwischen dem Naturschutz und Denkmalpflege hier in der Region auch. [...] wenn ich da Denkmalschutz mache, muss ich die wenigen Mittel, die der Denkmalschutz hat, noch für Ausgleichsmaßnahmen opfern. Und das ist eigentlich noch eine Sa-

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che, die furchtbar ist. Ja, wir besorgen jetzt zum Teil Drittmittel, weil natürlich das Geld nicht zur Verfügung steht, und das stecken wir in den Naturschutz.“ (Herr Hartmann)

Diese Einschätzung, dass die Naturschutzgesetzgebung der Besonderheit der regionalen Kulturlandschaft nicht gerecht wird, ist nicht allein die Position des Denkmalschützers, sondern wird von Seiten der Verantwortlichen im Biosphärenreservat durchaus geteilt. Wie lässt sich das Dessau-Wörlitzer Gartenreich und die ihm eigene, nach den Vorstellungen den Denkmalschutzes gestaltete Natur in die Konzeption eines Biosphärenreservats integrieren, wenn diese maßgeblich von Vorstellungen des Naturschutzes beeinflusst wird, die über unterschiedliche Akteure und Institutionen hereingetragen werden? Die Indikatoren, die auf die eine oder die andere Natur verweisen, erscheinen sowohl verschieden – schöne Kulturlandschaft einerseits und „ökologisch“ wertvolle Naturlandschaft andererseits – als auch gleich. Auch die Solitäreichen als Kulturlandschaftselemente fungieren als Lebensräume und sind damit „ökologisch“ wertvoll, umgekehrt wird die Naturlandschaft als schön empfunden.

4.4 Zwischenfazit Die aus der Empirie abgeleiteten Zugänge zu Landschaften als erstens Naturlandschaft, zweitens Kulturlandschaft sowie drittens Natur des Naturschutzes und Natur des Denkmalschutzes enthalten Einschätzungen und Zuschreibungen, die Natur- und Kulturlandschaften sowohl als Einheit als auch als Differenz darstellen. Obwohl die regionalen Akteure konkrete Erfahrungen mit der Einheit von Natur- und Kulturlandschaften machen, ist ihr Alltag durch das Festhalten an Differenzierungen bestimmt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Logik des Trennens auf der konzeptionellen und institutionellen Ebene immer wieder bestätigt und eingefordert wird. Aus den Darstellungen der Interviewpartner geht hervor, dass die sich in der Landschaft ausdrückende Einheit von Natur und Gesellschaft die Ebene des Materiellen (z.B. Bodenqualitäten), des Symbolischen (z.B. Vorstellungen über das Schöne) sowie des Normativen (z.B. Fragen nach dem Schützenswerten) betrifft. Während die Bedeutung des Symbolischen in der Natur des Denkmalschutzes explizit wird, indem Natur selbst zum

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Symbol wird, ist die Natur des Naturschutzes stark am Materiellen orientiert. Die symbolische Komponente von Unterschutzstellungen verschwindet hingegen hinter „ökologischen“ Begründungen, die einer (natur-)wissenschaftlichen Argumentation folgen. Die empirischen Ergebnisse aus dem Biosphärenreservat Mittelelbe veranschaulichen die Charakterisierung von Werner Krauß (2001, 54), wonach Landschaften „kulturelle Konstruktionen und soziale Produktionen [sind], sie sind nicht ‚natürlich‘, sondern Produkte langer Geschichte, während derer sie geformt und gestaltet, verwaltet und umkämpft wurden und während derer sich Wahrnehmungsformen entwickeln, ausgearbeitet, weitergegeben und modifiziert werden.“

Wie diese Konstruktions- und Produktionsprozesse verlaufen, wer daran in welcher Weise beteiligt ist und welche Rolle die sich wandelnde Materialität von Landschaft spielt, sind Fragen nach der Naturpolitik einer Gesellschaft.

5. S CHLUSSFOLGERUNGEN – DIE G ESTALTUNG VON L ANDSCHAF T ALS NATURPOLITISCHE H ER AUSFORDERUNG Die vor dem Hintergrund der theoretischen Orientierungen und empirischen Ergebnisse gefundenen Antworten auf die einleitend gestellte Frage, warum sich trotz der vielversprechenden Möglichkeit, Landschaft als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu begreifen und zu gestalten, die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften als neuerliche Trennung von Natur und Gesellschaft beharrlich hält, lassen – zumindest vorläufige – Schlussfolgerungen zu. Ausgangspunkt der Analyse ist ein Verständnis von Landschaft als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse, d.h. als Vermittlungsverhältnis aus Materialität und Symbolik, das nicht zugunsten eines der beiden Pole aufgelöst werden kann. Als gesellschaftliche Naturverhältnisse bilden Natur- und Kulturlandschaften eine Einheit. Die Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Landschaftsbegriffs hat gezeigt, dass die ästhetische und die (natur-)wissenschaftliche (Be-)Deutung des Landschaftsbegriffs eine Art „Sollbruchstelle“ im Landschaftsverständnis markiert, die Natur- und

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Kulturlandschaften jeweils unterschiedlich, nämlich als Teil von Gesellschaft (ästhetisch) oder als „das Andere“ zur Gesellschaft ([natur-]wissenschaftlich) erscheinen lässt. Der (natur-)wissenschaftliche Landschaftsbegriff erweist sich dabei insofern als problematisch, als dass er eben nicht rein funktionalistisch angelegt ist, sondern zumindest implizit doch auf einen ästhetischen Bezugspunkt verweist, den er wiederum naturwissenschaftlich zu fassen versucht. Die theoretischen Annäherungen haben außerdem verdeutlicht, dass die Differenz von Natur- und Kulturlandschaft von weiteren Differenzen und darin eingeschriebenen Hierarchisierungen verbunden ist (z.B. Schutz und Nutzung). Am Beispiel der empirischen Ergebnisse aus dem Biosphärenreservat Mittelelbe konnte illustriert werden, dass die Akteure die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften einerseits als „abstrakt“ und „wenig praxistauglich“ qualifizieren – auf der lebensweltlichen Ebene erscheinen Natur- und Kulturlandschaften als Einheit. Andererseits halten sie jedoch an eben dieser Unterscheidung fest und nehmen sie selbst vor. Dabei berufen sie sich auf die in ihren Tätigkeitsfeldern jeweils denk- und handlungsleitenden Rationalitäten, die wiederum mit der Unterscheidung eines ästhetischen und eines (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriffs korrespondieren: Die Naturschützer argumentieren naturschutzfachlich und beziehen sich vor allem auf einen (natur-)wissenschaftlichen Landschaftsbegriff. Die Denkmalschützer beziehen sich insbesondere auf die Kunst und damit auf einen ästhetischen Landschaftsbegriff. Indem die unterschiedlichen Verständnisse in Gesetze, Strukturen und Institutionen geronnen sind, entfalten sie (unhinterfragte) Wirkmächtigkeit und leiten das Denken und Handeln der Akteure an. Die empirischen Befunde bestätigen somit die Feststellung von Beate Jessel (1998, 19), dass es für die Praxis weniger relevant ist, „die philosophisch getönte Frage zu stellen, ob und inwieweit es ‚Landschaften‘ tatsächlich gibt, sondern vielmehr, was ein mit einem bestimmten Inhalt belegter Landschaftsbegriff für das Handeln zu leisten vermag.“

Demnach leiten Landschaftsbegriffe das Handeln an, so wie umgekehrt Landschaften das Ergebnis von Handlungen sind. Dieses Handeln, d.h. die Gestaltung von Landschaft als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse, ist eingebettet in die Naturpolitik einer Gesellschaft, denn

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„Landschaften sind, wie Städte auch, als Produkt gesellschaftlicher Tätigkeit zu begreifen, als sichtbare Ergebnisse gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit Natur. Anders ausgedrückt: Sie lassen sich als ‚Raumbilder‘ lesen, die Auskunft über gesellschaftliche Naturpolitik geben.“ (Kaufmann 2005, 40)

In dieser Perspektive wird die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften selbst zu einer Praxis der Naturpolitik. Natur- und Kulturlandschaften erscheinen als auf jeweils spezifische Weise gesellschaftlich kontrollierte Landschaft: Kulturlandschaften als die Landschaft, derer die Gesellschaft sich offensichtlich bemächtigt hat. In Kulturlandschaften drückt Gesellschaft sich aus, sie sind „das Eigene“ von Gesellschaft. Um sie in ihrer Eigenart und Schönheit sowie auch aus Gründen des Artenund Biotopschutzes zu erhalten, müssen Kulturlandschaften „gepflegt“ werden – eine Aufgabe, der sowohl der Denkmalschutz als auch der Naturschutz nachkommt. Naturlandschaften, wie sie in der Kernzone des Biosphärenreservats vermeintlich (noch) existieren, als die Landschaft, die von Gesellschaft unterschieden wird. Naturlandschaften sind „das Andere“ zur Gesellschaft und werden als solches ebenso kontrolliert, indem sie entsprechend gesellschaftlicher Wertmaßstäbe renaturiert werden, unter Schutz gestellt werden etc. Die Unterscheidung von Natur- und Kulturlandschaften ist somit nicht nur deshalb problematisch, weil Natur und Gesellschaft sich wechselseitig durchdringen, sondern vor allem auch deshalb, weil es sich um eine machtvolle Unterscheidung handelt, um eine Naturpolitik der Naturbeherrschung. Diese Naturbeherrschung besteht in der definitorischen Zuweisung von „Sollzuständen“, die dem gesellschaftlichen Diskurs weitestgehend verschlossen bleiben. Die Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse als naturpolitische Herausforderung zu begreifen, bedeutet, Kritik an solcherart Naturbeherrschung zu üben. Dazu gilt es die Inhalte, Strukturen und Prozesse jeglicher „Politiken der Naturgestaltung“ in den Blick zu nehmen und nach ihren normativen Orientierungen, Akteurskonstellationen, relevanten Regulationsordnungen etc. zu fragen (Friedrich et al. 2010, Gottschlich und Mölders 2011). Eine visionäre Perspektive für eine Naturpolitik, die Landschaft als Natur-Kultur-Hybrid begreift und als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse herrschaftsfrei zu gestalten sucht, bietet der Entwurf einer konstruktivistischen Landschaftstheorie, wie sie z.B. Olaf Kühne (2009) entwickelt und wie sie auch in diesem Band vertreten wird.

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Subjektive Konstruktion von (Kultur-)Landschaft in der Alltagspraxis Monika Micheel

Seit dem Cultural Turn, insbesondere dem Linguistic Turn in den Geistesund Sozialwissenschaften der 1990er Jahre, haben Untersuchungen über Konstruktionen von Raum und Landschaft an Bedeutung gewonnen, die nicht mehr nach dem „Was ist etwas?“, sondern nach dem „Wie ist etwas konstruiert bzw. konstituiert?“ fragen. Während sich Untersuchungen öffentlicher Debatten über Raum, Raumentwicklung und Kulturlandschaft in der Regel an Elitediskursen und steuerungspraktischen Ansätzen ausrichten, blieb die Alltagspraxis der Bevölkerung, d.h. ihr lebensweltliches Handeln und Kommunizieren, weniger berücksichtigt. Doch Kulturlandschaft ist ein Thema, das nicht nur die Experten, sondern auch die vor Ort lebenden An- bzw. Bewohner und Nutzer von Landschaften beschäftigt. Als wesentlicher Bestandteil der Umwelt des Menschen stellt Kulturlandschaft bzw. Landschaft einen Teil der alltäglichen Lebenswelt dar. Neben individuellen und institutionellen Akteuren hat auch die vor Ort lebende Bevölkerung aufgrund ihrer Vorstellungen und Bedeutungszuschreibungen Anteil an der sozialen Konstruktion von Raum. Um die subjektiven Konstruktionen von (Kultur-)Landschaft in der Alltagspraxis gezielt in den Blick zu nehmen, verfolgte das Forschungsprojekt des Leibniz-Instituts für Länderkunde Fragen nach Vorstellungen von (Kultur-)Landschaft auf Seiten der Bevölkerung, nach Bedeutungen, die einer Landschaft zugeschrieben werden, und nach Funktionen von (Kultur-)Landschaft für den Einzelnen. Ziel der Untersuchung war es, auf Basis qualitativer Interviews die alltagsweltlichen Konstruktionen zu untersuchen, mit deren Hilfe das Individuum (Kultur-)Landschaft auf unterschiedliche Weise mit Bedeutun-

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gen belegt. Was meinen die Menschen, wenn sie das Wort „Kulturlandschaft“ oder semantisch verwandte Ausdrücke verwenden?

1. (K ULTUR -)L ANDSCHAF T1 ALS SUBJEK TIVES K ONSTRUK T Der Ansatz, die individuellen und subjektiven Konstruktionen von Kulturlandschaft bzw. Landschaft in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen, zielt auf Zuschreibungen, die Menschen aus ihrer alltagsweltlichen Perspektive vornehmen (s.a. Felber Rufer 2006, Kook 2009, Kühne 2006, Nohl 2006, Panzig, Reuter und Schneider 2007). Damit sollte eine stärkere Berücksichtigung der Perspektive „der Bevölkerung“ ermöglicht werden als es üblicherweise in der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Forschung nach dem Cultural Turn gängig war. Wir nehmen Landschaftsverständnisse in den Blick, die als individuelle Konstruktionen produziert und reproduziert werden. Landschaft wird in diesem Kontext als soziales Konstrukt im Sinne von Berger & Luckmann (1967) verstanden. Ziel der hier vorgestellten Untersuchung war es, auf Basis einer Fallstudienanalyse in drei Räumen mit unterschiedlicher Veränderungsdynamik, grundlegende – in allen Fallstudien nachweisbare – Prinzipien der subjektiven Konstruktion von Kulturlandschaft bzw. Landschaft aufzuzeigen. Zunächst soll der der Untersuchung zugrunde liegende lebensweltliche Zugang erläutert werden (Kap. 2). Anschließend wird das Design der Fallstudienanalyse in Kapitel 3 vorgestellt. Die Fallstudienräume werden in Kapitel 4 porträtiert sowie die jeweiligen Charakterisierungen durch Zeitungen und Bevölkerung vorgestellt. Anschließend werden ausgewählte Ergebnisse zum Gebrauch der Alltagssprache präsentiert, die dahinterliegenden Konzepte von Landschaft sowie grundlegende Prinzipien der subjektiven Konstruktion von (Kultur-)Landschaft in der Alltagspraxis abgeleitet (Kap. 5). Am Ende werden in Kapitel 6 die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und bewertet.

1 | In der Alltagssprache werden das Wort „Kulturlandschaft“ und semantisch verwandte Ausdrücke meist synonym gebraucht (s. Kap. 5).

S UBJEK TIVE K ONSTRUK TION VON (K ULTUR -)L ANDSCHAFT IN DER A LLTAGSPRAXIS

2. A LLTAG UND ALLTAGSWELTLICHE K ONSTRUK TIONEN VON (K ULTUR -)L ANDSCHAF T Sozialwissenschaftliche Forschung, die sich zum Ziel gesetzt hat, „Konstruktionen jener Konstruktionen [anzufertigen], die im Sozialfeld von Handelnden gebildet werden“ (Schütz 1971, 7), versteht „Alltag“ als die zentrale Kategorie. „Alltag“ betont den Gegensatz zum Wissenschaftlichen, d.h. er wird als das „Außen“ der wissenschaftlichen Beobachtung verstanden (Lippuner 2005). Die hier vorgestellten Überlegungen zur alltagsweltlichen Konstruktionen von (Kultur-)Landschaft greifen auf das Konzept der „alltäglichen Lebenswelt“ von Alfred Schütz (1932) zurück, das von Thomas Luckmann fortgeführt und 1975 posthum veröffentlicht wurde (Schütz und Luckmann 2003). Ausgehend von Edmund Husserls „Philosophie der Lebenswelt“ (1913), der die Phänomene des menschlichen Bewusstseins von etwas in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellte, konzipierte Schütz eine Soziologie des Alltags, mit der er die Prozesse analysiert, in denen sich die soziale Welt als eine als sinnhaft verstehbare aufbaut. Die Auslegung der alltäglichen Lebenswelt beruht laut Schütz auf Wissensvorräten und Erfahrungen, auf die das Individuum bewusst oder unbewusst zurückgreift. So baut es ein Bezugsschema auf, in das Erfahrungen eingeordnet werden, und kann seine Lebenswelt typisieren, weil es bestimmte Erfahrungsobjekte wiedererkennt (Schütz und Luckmann 2003, 203). Der Mensch erfährt die Welt in seiner „natürlichen Einstellung“ als „fraglos und selbstverständlich ‚wirklich‘“ (ebd., 30, Herv. i. Orig.). Die natürliche Einstellung stellt eine gegebene, nicht hinterfragte Erfahrung der Wirklichkeit fest, mit der das Individuum die Welt auf sich bezieht. Es ist beispielsweise selbstverständlich, dass innerhalb eines Interpretationsrahmens Bäume wirklich Bäume sind (ebd., 33), weil sie der vertrauten Wirklichkeit entsprechen. Ein Gegenstand kann – ebenso wie eine Person – wiedererkannt werden, weil sie sich „auf ein als identisch wiedererkanntes Erfahrungsobjekt“ bezieht (ebd., 203). „Die Welt wird mindestens so lange als selbstverständlich und in diesem Sinne als ‚wirklich‘ akzeptiert, wie sie nicht in Frage gestellt wird, wie sie nicht problematisiert wird“ (Werlen 2001, 39, Herv. i. Orig.). Das Individuum vertraut in die Konsistenz von Erfahrungen. Tritt eine Veränderung ein, wird die durch Wissen und Erfahrung erlangte Vertrautheit und Orientierung brüchig. Die Erfahrungen, die „bis auf weiteres“ als selbstverständlich empfunden wurden, werden in

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Frage gestellt und ihre Neuauslegungen werden in bestimmten Situationen erforderlich (Schütz und Luckmann 2003, 39 f., 203 ff.). Im engeren soziologischen Verständnis bezeichnet „alltagsweltlich“ die unhinterfragte Praxis routinemäßiger Abläufe im Tages- und Wochenzyklus des menschlichen Lebens. Der Alltag ist durch sich wiederholende Tätigkeiten charakterisiert, mit denen relevante, grundlegende menschliche Bedürfnisse und Raumansprüche erfüllt werden. „Die alltägliche Lebenswelt ist der Wirklichkeitsbereich, an der der Mensch in unausweichlicher, regelmäßiger Wiederkehr teilnimmt.“ (Schütz und Luckmann 2003, 29) Zur alltäglichen Lebenswelt gehören bei Schütz gleichermaßen die Naturwelt und die Sozialwelt. Achim Hahn spricht von „Alltagslandschaft“, die „das Hier und Jetzt unseres Lebens und Erlebens“ sei, und bezieht sich auf den Ort, an dem wir wohnen und uns lebensweltlich aufhalten (Hahn 2007, 37). Im Gegensatz dazu stehen die Urlaubswelt oder die Erlebniswelt der Freizeitund Vergnügungsparks, die explizit als Kontrast zur Alltagswelt inszeniert werden. Ein ähnliches alltagsweltliches Landschaftsverständnis findet sich bereits bei John Brinckerhoff Jackson, der seit den 1950er Jahren moderne (städtische) Alltagsräume in seinen amerikanischen Landschaftsforschungen berücksichtigte. Es sind die Häuser, Straßen und Hinterhöfe, die von normalen Menschen pragmatisch genutzt, gestaltet und bewohnt werden, mit denen er das traditionelle Landschaftsverständnis einer ländlichen Szenerie erweiterte (Körner 2010, Wylie 2007, 42 ff.). Unser Ausgangspunkt war die Alltagssprache, weil sie eine selbstverständliche Wirklichkeit herstellt, indem sie im täglichen Umgang ständig und in der Regel nicht hinterfragt verwendet wird (z.B. Friedreich und Hahn 2010, Schlottmann 2005). Dem alltagsweltlichen Sprechen wird somit eine konstituierende Bedeutung als Ergänzung oder Variante zum wissenschaftlichen Sprechen bzw. zum Gebrauch der Sprache durch Experten bzw. Praktiker (Planer, Landschafts-, Denkmal- und Umweltschützer, Touristiker etc.) zugewiesen (z.B. Lehr 2002, Weichhart 1999). Die Sprache der Wissenschaftler ist vom Vorwissen geprägt und wird reflektiert angewendet, während die Alltagssprache selbstverständlich gebraucht wird, begrifflich vereinfacht und Ausdrücke emphatisch verwendet oder emotional auflädt. In der Alltagssprache ist auf der einen Seite eine große Bandbreite der Verwendung der Wörter „Kulturlandschaft“ und „Landschaft“ zu verzeichnen sowie auf der anderen Seite eine Vielfalt konkreter Räume zu finden,

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die in der öffentlichen Kommunikation als solche bezeichnet werden. Dies erforderte eine Fallstudienauswahl. Die ausgewählten Räume sollten unterschiedliche Ausgangslagen und Entwicklungsprozesse repräsentieren, um zu grundlegenden Prinzipien der subjektiven Konstruktion von (Kultur-)Landschaft gelangen zu können (Blatter, Janning und Wagemann 2007, Flyvbjerg 2011).

3. A NMERKUNGEN ZUR F ALLSTUDIENANALYSE Die Operationalisierung der Frage nach den subjektiven Konstruktionen setzte bei den in Kapitel 2 beschriebenen Irritationen an, die durch Veränderungen der alltäglichen Lebenswelt ausgelöst werden. Diese Irritationen lassen das Vertrauen des Individuums in die Erfahrung seiner Alltagspraxis brüchig werden und veranlassen es zu Neuauslegungen. Weiterhin haben wir angenommen, dass Sachverhalte dann verstärkt wahrgenommen werden, wenn sie brisant sind und damit zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion werden, sollten Räume mit unterschiedlicher Veränderungsdynamik Aufschluss über Prinzipien der Konstruktion von Landschaft geben. Für die Untersuchung wurden drei Räume nach dem Kriterium der Veränderungsdynamik ausgewählt, die durch Funktions-, Gestaltungsund Nutzungsänderungen in unterschiedlichen Stadien gekennzeichnet sind, um so ein möglichst breites Spektrum von Entwicklungsstadien abzudecken, ohne damit eine zeitliche Abfolge beschreiben zu wollen. Als Beispiele wurden die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft als eine gewachsene Kulturlandschaft, das Dresdner Elbtal als eine urbane Kulturlandschaft und die Neue Landschaft Ronneburg als eine Bergbaufolgelandschaft ausgewählt (s. Abb. 1 und Tab. 1). Im Vorfeld der Befragungen wurde in den Fallstudienräumen von Mai bis Juli 2008 eine heuristisch konzipierte Inhaltsanalyse der wichtigsten Lokal- bzw. Regionalzeitungen durchgeführt, die Aufschluss über vorrangig beschriebene Akteure, (Handlungs-)Räume und öffentlich thematisierte Entwicklungen in den Gebieten geben sollte. Die Medien, insbesondere die Printmedien, wurden als die gesellschaftlichen Instanzen betrachtet, die „Wissen“ über (Kultur-)Landschaft, aber auch einen Wissensvorrat an räumlichen Bildern für die öffentliche Kommunikation bereitstellen (Miggelbrink und Redepenning 2004). Die Zeitungen wurden sowohl quantitativ als auch qualitativ für jede Fallstudie

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Abbildung 1: Die Fallstudienräume

auf ihre kulturlandschaftlichen Bezüge hin ausgewertet (s. Tab. 1). Dabei wurden die Artikel für die Inhaltsanalyse ausgewählt, in denen über den Gegenstand „(Kultur-)Landschaft“ berichtet wird. Schwerpunkt der empirischen Untersuchung war eine qualitative Befragung (im Sommer 2009) von Menschen, die in den jeweiligen Räumen in einer alltagsweltlichen Lebenssituation angetroffen wurden, z.B. beim Spazieren gehen, beim Ausführen des Hundes, beim Einkaufen, in ihrem Garten oder in ihrer Wohnung.2 Mithilfe eines offenen Leitfadens wurden Vorstellungen erforscht, was „Landschaft“ bedeuten könnte und sollte. Was meinen die Menschen, wenn sie das Wort „Kulturlandschaft“ 2 | Insgesamt wurden in den drei Untersuchungsräumen 240 qualitative Interviews geführt. Die Interviewten wurden nach einem Zufallsprinzip ausgewählt, spontan im Gelände oder an ihrem Wohnhaus angesprochen.

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oder semantisch verwandte Ausdrücke verwenden? Dabei sind zwei Landschaftsverständnisse epistemologisch zu berücksichtigen. Zum einen sind es auf den konkreten Ort bezogene Aussagen über Landschaften (Kap. 4), zum anderen sind es nicht-ortsbezogene, abstrakte Bedeutungen von Landschaft, die mit der Alltagssprache transportiert werden (Kap. 5). Tabelle 1: Charakteristik der Fallstudien „Gewachsene „Urbane „BergbaufolgeKulturlandschaft“ Kulturlandschaft“ landschaft“ Regionsname Oberlausitzer Dresdner Elbtal Heide- und Teichlandschaft

Neue Landschaft Ronneburg

Überlagernde UNESCO BioHandlungssphärenreservat räume

(ehem.) UNESCO Sanierungsgebiet Weltkulturerbeder Wismut stätte GmbH

Veränderungsdynamik

gering

hoch

nachlassend

Entwicklungen, nach Relevanz in der öffentlichen Diskussion

Einwanderung des Wolfs; Extensivierung der Fischereiwirtschaft

Bau der Waldschlösschenbrücke; Kriegszerstörung und Wiederaufbau

Öffnung der Landschaft nach Ende des Bergbaus; Sanierung

Quelle: Eigene Zusammenstellung, Zeitungsanalyse 2008

4. P ORTR ÄT UND C HAR AK TERISIERUNGEN DER AUSGE WÄHLTEN F ALLSTUDIEN Die Untersuchungsräume sollen im Folgenden kurz porträtiert sowie die Ergebnisse aus Zeitungsanalyse und Interviews zusammengefasst werden, soweit sie sich auf die konkreten Räume der Fallstudien und nicht auf abstrakte Aussagen über Landschaft beziehen. So sind es im Fall der Medien bestimmte Bilder und im Fall der befragten Bewohner und Passanten bestimmte Vorstellungen, nach denen die konkreten Landschaften

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charakterisiert werden. Hierbei handelt es sich primär um kognitiv-visuell geprägte Vorstellungen, die sich auf das Aussehen der gegenwärtigen Landschaften und ihrer Merkmale beziehen, weniger auf die abstrakten Bedeutungen, die häufig eine emotionale Dimension der Wahrnehmung betreffen (s. Kap. 5).

4.1 Die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft Die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft in Ostsachsen stellt eine (Kultur-)Landschaft ohne hohe Veränderungsdynamik dar, die der Vorstellung von einer „historisch geprägten und gewachsenen Kulturlandschaft“ im Sinne des Raumordnungsgesetzes (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 ROG) entspricht und zudem toponymisch in der alltäglichen Kommunikation verankert ist. Ihre Beachtung und Wertschätzung erhält eine solche Landschaft in der Regel aufgrund ihres Alters und ihrer Kontinuität. Für die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft ist seit dem 13./14. Jahrhundert die Teichwirtschaft in den Guts- und Grundherrschaften belegt. In der DDR führte die Intensivierung der Fischwirtschaft zum Ausbau der Teiche und zur Strukturverarmung durch die Beseitigung von Flachwasser- und Verlandungszonen. Gleichzeitig veränderte im Norden (südlich der Muskauer Heide) die bergbaubedingte Flächeninanspruchnahme des Braunkohlentagebaus mit entsprechender Grundwasserabsenkung die Physiognomie der Landschaft erheblich (Bastian et al. 2005). Seit April 2011 wird zudem das Südfeld des Tagebaus Reichwalde abgebaut. Im südlichen, vom Bergbau unangetasteten Bereich, wurde 1996 das gleichnamige UNESCO-Biosphärenreservat ausgewiesen, das nun für eine nachhaltige, positiv auf die Naturausstattung wirkende Teichbewirtschaftung verantwortlich zeichnet. Die Teiche sind im Durchschnitt weniger als einen Meter tief und bis 90 ha groß, die größten Teichgruppen sind 350 ha groß. Die bis heute landschaftsprägenden Teiche bilden eines der größten Teichgebiete Deutschlands und bieten Potenzial für naturnahen Tourismus (Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft 2012).

4.1.1

Die mediale Präsentation der Oberlausitzer Heideund Teichlandschaft

In der Berichterstattung der Regionalzeitung (Sächsische Zeitung, Lokalausgaben Bautzen und Niesky) ist die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft eng mit dem Biosphärenreservat verknüpft. Dies ist damit zu

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erklären, dass der mit dem Biosphärenreserverat verbundene Bildungsund Schutzauftrag Themen für die Presse liefert. In einer ansonsten eher ereignisarmen Region bieten die Aktivitäten und Veranstaltungen der Biosphärenreservatsverwaltung willkommene Anlässe für eine Berichterstattung. Als Akteure treten weiterhin die Tourismusmarketinggesellschaft und Vertreter der Landwirtschaft bzw. Fischereiwirtschaft in Erscheinung, hingegen keine aus dem Bereich von Industrie und Gewerbe. Auch wurde zum Zeitpunkt der Erhebung die Erweiterung des Braunkohlentagebaus noch nicht thematisiert. In der Berichterstattung wird durchgängig nicht zwischen „Landschaft“ und „Natur“ unterschieden. Alle erwähnten Akteure werden im Zusammenhang mit „Natur“ beschrieben und gleichzeitig Vorstellungen von gegebener, selbstverständlicher Natur geprägt, die geschützt bzw. gepflegt werden müsse. Diesem Schutz- und Pflegegedanken folgen Hinweise auf Ursprünglichkeit, Seltenheit oder Bedrohung, wobei vor allem der Wert für den Tourismus als Attraktion bzw. Erlebnis von (unberührter) Natur betont wird. In vielen Beiträgen ist die Rede von einer (noch) „heilen Welt“, die hier im Gegensatz zu anderen Regionen noch zu finden, aber grundsätzlich bedroht sei. Diese Landschaft, die als Gegenwelt zur alltäglichen Zivilisation beschrieben wird, biete Erlebnisse und Attraktionen, von denen der Wolf zu den spektakulärsten zählt.

4.1.2

Vorstellungen der Befragten von der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft

Die Charakterisierung des konkreten Fallstudienraums fällt den Befragten meistens leicht, wenn sie zu den Besonderheiten gefragt werden oder benennen sollen, was sie Dritten erklären und zeigen würden. In Abhängigkeit von Mobilität und Reichweite (Anfahrt per Auto oder Fahrrad; Ausflugs- oder Wohnort) beziehen sich die Vorstellungen von der „Landschaft hier“ auf das unmittelbare Biosphärenreservat, auf die Lausitzer Teichlandschaft oder auf die ganze Oberlausitz, einschließlich des Berglandes. Vorrangiger Beschreibungsparameter ist die Topographie der Region. Die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft ist flach im Gegensatz zum Lausitzer Bergland oder auch im Gegensatz zu höheren Bergen, in der Regel den Alpen. Als Merkmale werden Teiche, Wald und die Fauna, insbesondere Wolf, Seeadler und Wasservögel genannt. Eine große Rolle in den Charakterisierungen spielt der Vergleich mit anderen Landschaften. Das Teichgebiet ist eines der größten in Deutschland, die Natur ist einmalig und der Blick weit. Nicht nur das visuell Wahrgenommene, sondern auch

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die Atmosphäre des Raums wird beschrieben. Die „Landschaft hier“ wird als besonders (und) reizvoll – explizit für Fremde bzw. Urlauber – charakterisiert. Vor allem die Ruhe und die „Natur pur“ zählen aus Sicht der Befragten zu den Besonderheiten, die explizit als Gegensatz zur Stadt hervorgehoben werden: „Es ist nichts für jemanden, der sonst am Ballermann Urlaub macht. Es ist wunderbar geeignet für längere Fahrradtouren. Man hat also keine Berge dazwischen, man kann richtig schön Fahrrad- oder Wanderurlaub machen, ohne dass man irgendwo kraxeln muss. Also ich habe viele Stammgäste aus dem Erzgebirge oder aus Thüringen, die einfach ein bisschen älter sind und das nicht mehr so prickelnd finden, da hoch und runter zu laufen oder mit dem Fahrrad anstrengend zu fahren. Dann, dass es eben noch bestimmte Tierarten gibt, die man sonst nirgendwo mehr sieht. Man trifft einen Waschbären, wenn man Glück hat. Den Seeadler, Kormorane – halt Sachen, wo man sonst sehr weit fahren oder in den Zoo gehen muss.“ (Frau, 44 J., befragt in der Oberlausitz)

4.1.3

Veränderungen der Landschaft – Die Rückkehr des Wolfs

Veränderungen der Landschaft müssen nicht unbedingt physiognomischer Art sein, um Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erlangen. Im Untersuchungszeitraum erhielt die Diskussion über die Rückkehr des Wolfs in der Berichterstattung über die Lausitz einen prominenten Platz. Seit dem Jahr 2000 gibt es in Deutschland wieder Wölfe. Auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz in der Muskauer Heide nördlich des Biosphärenreservats konnte die erste erfolgreiche Welpenaufzucht seit über 100 Jahren dokumentiert werden (Reinhardt und Kluth, zit. in Kaczensky 2006, 11). Der letzte Wolf wurde 1904 bei Hoyerswerda geschossen. Im sächsisch-brandenburgischen Grenzgebiet der Ober- und Niederlausitz leben mittlerweile wieder acht Rudel. Insgesamt wurden im Sommer 2011 39 Welpen bestätigt (Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz 2012). Der Wolf ist ein sehr scheues Tier, so dass ihn kaum jemand zu sehen bekommt, allenfalls seine Spuren. Trotzdem ist die Angst vor dem Wolf erstaunlich hoch. Aussagen der Befragten sind weniger auf die eigene Person bezogen, sondern argumentieren häufig mit der Angst der Anderen – Nachbarn, Kinder, Fremde – oder unterstreichen die Gefahr für Haustiere und teilweise auch für Kinder:

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„Der Wolf war und ist ein Raubtier. … Das muss irgendwo eine Grenze haben, die schleichen ja auch nachts durch die Ortschaften.“ (Mann, 62 J., befragt in der Oberlausitz)

Dieses Phänomen wird beispielsweise von der Volkskunde mit der Prägung durch Volksmärchen und Sagen erklärt (z.B. Kaczensky 2006, Reinhardt und Kluth 2007). Kaum ein Wildtier ist so stark emotional belegt wie der Wolf. Im Gegensatz zum „listigen“ Fuchs und „drolligen“ Bären wird der Wolf im Märchen als hässlich, feige, gefräßig und dumm portraitiert (Kaczensky 2006, 11). In den Interviews wurde vor allem festgestellt, dass es die Medien sind, insbesondere die Boulevardpresse (BILD), die Stimmung gegen den Wolf machen. Fotos von zähnefletschenden Wölfen und gerissenen Tieren – egal von welchem Räuber – werden dem Wolf zugeschrieben. Grundsätzlich ist die Meinung, dass der Wolf eine Gefahr darstelle und nicht in die gegenwärtige Landschaft gehöre, aber nur eine Seite der Medaille. Ebenso häufig wird der Wolf als positiver Indikator für eine intakte bzw. sich erholende Landschaft im Sinne von Natur geschätzt und sein Dasein nicht nur als dazugehörig, sondern auch als natürlich beurteilt. „Und wenn die [Wölfe] sich hier angesiedelt haben und einen Lebensraum finden, und sich hier verschiedene Rudel nun gebildet haben, dann ist das ja auch ein Zeichen von intakter Natur.“ (Frau, 54 J., befragt in der Oberlausitz)

Die Mehrheit der Befragten wägt ab und äußert eher das Gefühl, dass der Wolf dazu gehöre. Die befragten Haushalte sind in dieser Diskussion deutlich besser informiert als Passanten bzw. Urlauber: „Wir müssen mit den Tieren leben. Die Tiere gehören in die Natur, und es kann nicht nur alles der Mensch bestimmen.“ (Frau, 63 J., befragt in der Oberlausitz)

4.2 Das Dresdner Elbtal Im Gegensatz zur peripher gelegenen, eher beschaulichen Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft stellt das Dresdner Elbtal eine urbane Kulturlandschaft mit hoher Veränderungsdynamik dar. Die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal wurde beispielhaft ausgewählt, weil hier durch den Bau der Waldschlösschenbrücke erheblich und für jedermann sichtbar in die

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Landschaft eingegriffen wurde. Nicht nur der Brückenbau selbst, sondern auch die aufwendig gestalteten Zufahrten sorgen – so die Kritiker – für eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsraumes. Die Eingriffe betreffen nicht nur die physische Natur, sondern auch die Ästhetik des Elbtals, weil die Blickbeziehung auf die Altstadtsilhouette zerstört werde (Friedreich 2012) – zumindest von der rechten Elbseite gesehen. Im Februar 2005 war ein Bürgerentscheid zugunsten der Brücke mit dem Argument erfolgreich, die Dresdner Innenstadt vom Autoverkehr zu entlasten. Die Brücke führt am östlichen Rand der Dresdner Innenstadt, zwischen den Stadtteilen Johannstadt und Radeberger Vorstadt, mit einem 30 m hohen Brückenbogen über die Elbauen. Neben ökologischen und funktionalen Problemen wurde auch die Ästhetik der Brücke kritisiert, die mehrere Umplanungen erforderlich machte. Der erst im Jahr 2007 verliehene Status des UNESCO Weltkulturerbes („Kulturlandschaft Dresdner Elbtal“) wurde im Jahr 2009 wieder aberkannt. Im Mai 2011 wurde der Bau der Brücke optisch gesehen vollendet, im Laufe des Jahres 2013 soll sie dem Verkehr übergeben werden.

4.2.1

Die mediale Präsentation des Dresdner Elbtals

Die Typen medial erzeugter Bilder des Dresdner Elbtals in der Berichterstattung der Sächsischen Zeitung sind insofern charakteristisch, als dass das dem alltagsweltlichen Landschaftsbegriff offensichtlich inne liegende Naturverständnis hier auf eine urbane Landschaft trifft. Gleichzeitig bedeutet die urbane Kulturlandschaft, dass sich hier viele Anlässe für die Berichterstattung bieten und die Präsentationen entsprechend vielfältig sind. Grundsätzlich wird die Landschaft sowohl als Naturraum bzw. Naturgut als auch als Kulturraum bzw. Kulturgut präsentiert, die erhalten und gepflegt werden müssen. Dieses geschieht mit dem Impetus, die ausgemachte vorrangige Funktion des Elbtals als (Nah-)Erholungsraum zu sichern. Quantitativ wichtigstes Thema der Berichterstattung ist der Tourismus. Sowohl Vertreter dieses Wirtschaftssektors als auch redaktionelle Beiträge der Zeitung präsentieren das Dresdner Elbtal als einzigartige Kombination von breiten Wiesen in einer Großstadt, die Stadtsilhouette sowie die Aussicht auf das Tal. Besondere Aufmerksamkeit erhielt in den Tagen der empirischen Erhebung der Streit um den Bau der Waldschlösschenbrücke und die Entscheidung über den Status des UNESCO-Welterbetitels. In der Berichterstattung über dieses Ereignis wird die Landschaft in den Artikeln vielfach

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thematisiert, die sich auf die Argumente der Brückengegner beziehen. Hierbei vertreten Umweltschützer primär ein Verständnis von Landschaft als schützenswerter Natur, während UNESCO-Anhänger ausdrücklich auf die Kombination von Landschaft und Stadt, insbesondere auf die Altstadtsilhouette verweisen. In der Berichterstattung über die Brückenbefürworter spielt die Landschaft lediglich als eine Arena eine Rolle, in der etwas passiert bzw. durch die die Brücke gebaut wird.

4.2.2

Vorstellungen der Befragten vom Dresdner Elbtal

Auf Seiten der Bevölkerung fällt die Beschreibung der Landschaft relativ eindeutig aus. Es wird als die Besonderheit Dresdens bezeichnet, dass „Stadt und Natur“ zusammen gehören. Die städtische Bebauung – sowohl die Altstadtsilhouette als auch die drei großen Schlösser an den Elbhängen flussaufwärts – rahmen den Fluss ein. Wird die Landschaft in größerer Reichweite erfahren, werden sowohl die Weinberge von Pillnitz bis Meißen als auch die Sandsteinformationen der Sächsischen Schweiz in die Charakterisierung mit einbezogen. Die Weite des Elbtals ermöglicht den freien Blick auf den Himmel, den Fluss und die grünen Wiesen. In der Charakterisierung des Elbtals wird dem Fluss und seinen breiten Auwiesen eine besondere Bedeutung hinsichtlich seiner Natürlichkeit, Weite und Erholungsfunktion zugeschrieben. Die Altstadtsilhouette spielt speziell in Bezug auf die Erinnerung an die Zerstörung am 13./14. Februar 1945 eine große Rolle. Ältere Interviewpartner können ihre persönlichen Erinnerungen beschreiben, Jüngere sind häufig von diesen Erzählungen geprägt. Zum „Mythos Dresden“ gehören der Verlust des barocken Glanzes ebenso wie der Versuch seiner Rekonstruktion (z.B. Christmann 2008, Friedreich 2012). Der 2005 abgeschlossene Wiederaufbau der Kirche ist dabei ein wichtiger Aspekt, zumal sie aufgrund ihrer Größe die Silhouette prägt, die bereits Bernado Belotto, genannt Canaletto, im 18. Jahrhundert verewigt hatte: „[…] diese Elbauen zum Beispiel, die Weinberge daran oder überhaupt die Berge, ja. Und die Bauwerke, die Bauwerke sind natürlich bezeichnend. Wenn man jetzt hier in die andere Elbrichtung gehen würde, da ist es so schön. Dieses Stadtbild, dieser sogenannte Canaletto-Blick, der ist natürlich faszinierend. Wenn da Fremde kommen und wir unsere Freunde hierher führen – großes Staunen.“ (Frau, 50 J., befragt in Dresden)

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4.2.3

Veränderungen der Landschaft – Der Bau der Waldschlösschenbrücke

Der Eingriff in die Landschaft durch den Bau der Waldschlösschenbrücke ist visuell so deutlich wahrnehmbar, dass jeder der Befragten in der Lage ist, sich zu der Brücke zu äußern, zumal die Bauarbeiten und die Klagen dagegen ständiges Thema der öffentlichen Diskussion sind. Ungefähr gleich verteilt ist die Anzahl der befragten Gegner und Befürworter. Die Gruppe, die gegen den Bau der Waldschlösschenbrücke und meist auch gegen den weiterer Brücken ist, sieht die Störung oder sogar Zerstörung der Landschaft, nicht nur in Bezug auf die Sichtachse, sondern auch auf den zu erwartenden Lärm der neuen Straße. Häufig ist es aber nur die Architektur bzw. Ästhetik, die Anlass zu Kritik liefert, während die Brücke als solche pragmatisch akzeptiert wird: „Dieses Modell, das sie sich da ausgesucht haben, gefällt mir nicht. Und ich glaube, dass das vielen so geht. Abgesehen davon, dass eine weitere Elbquerung schon nicht schlecht ist.“ (Frau, 32 J., befragt in Dresden)

Die Gruppe der Befürworter verteidigt die Bücke vehement, weil sie der Verbesserung des Verkehrsflusses diene, vor allem angesichts der bevorstehenden Sanierung anderer Brücken. Ein weiteres Argument ist, dass Brücken zum Fluss dazu gehören und die Stadt eher beleben als zerstören: „Die [Brücke] würde meinen Landschaftsblick nicht stören. Ich denke, zu einem Fluss gehören Brücken. Wenn die Menschen da drüber wollen, dann brauchen sie auch eine Brücke.“ (Frau, 50 J., befragt in Dresden)

Einige wenige kehren die Argumentation der Gegner um, indem sie den Vorteil der Brücke für den Betrachter der Landschaft betonen: „Die am meisten dagegen meckern, sind die ersten, die drüberfahren. Und dann stellen sie sich hin und sagen: So ein schöner Blick auf Dresden, der CanalettoBlick des 21.Jahrhunderts.“ (Mann, 77 J., befragt in Dresden)

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4.3 Die Neue Landschaft Ronneburg Die Neue Landschaft Ronneburg in Ostthüringen steht für eine Bergbaufolgelandschaft, deren Veränderungsdynamik nachlässt, d.h. deren Veränderung durch Planungsprozesse in jüngerer Zeit gestaltet und weitestgehend abgeschlossen ist. Es handelt sich um eine durch Landschaftsarchitekten geplante (Kultur-)Landschaft. Eine „neue“ Landschaft ist so entstanden. Am Beispiel des früheren Uranerzbergbaus der SDAG Wismut wurde eine Bergbaufolgelandschaft untersucht, die in kürzester Zeit mehrere Umgestaltungen erfahren hat. Im Ronneburger Revier wurde zwischen 1952 und 1990 über 50 Prozent des in der DDR geförderten Urans gewonnen. Nach Einstellung der Uranproduktion im Jahr 1990 ist die bundeseigene Wismut GmbH Sanierungsträgerin, die die Wismut-Standorte sanieren und rekultivieren soll. In den zehn Jahren von 1997 bis 2007 wurde ein Teil der Landschaft komplett umgestaltet, um dort 2007 die Bundesgartenschau durchzuführen. Im Rahmen der Bundesgartenschauplanung wurde der neu gestalteten Landschaft der Name „Neue Landschaft Ronneburg“ verliehen (Seelemann und Seelemann 2007). Bis 2022 sollen die Sanierungen abgeschlossen werden.

4.3.1

Die mediale Präsentation der Neuen Landschaft Ronneburg

Das für die beiden anderen Fallstudien konstatierte Naturverständnis, das dem Landschaftsbegriff offensichtlich inneliegt, spielt in der Berichterstattung (Ostthüringer Zeitung, Lokalausgabe Gera) insofern eine untergeordnete Rolle, als dass die Bergbaufolgelandschaft nicht als Naturraum präsentiert wird. Vielmehr gelten das Hauptinteresse der Berichterstattung der Sanierung und dem Sanierungsträger Wismut GmbH, der mit spektakulärem Aufwand die Umgestaltung der Bergbaulandschaft betreibt. Dabei wird der gegenwärtigen Landschaft die vormals zerstörte bzw. geschundene Landschaft kontrastierend gegenüber gestellt, um einerseits den „Fortschritt“ deutlich zu machen. Andererseits werden „Veränderung“ und „Verlust“ beschrieben, wenn der neuen Landschaft wiederum die ursprüngliche Landschaft vor der Zerstörung als „Ort der Erinnerung“ gegenübergestellt wird. In der Berichterstattung wird die Intention von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten wiedergegeben, die eine Art ästhetische Wiedergutmachung wie auch die ökologische Reparatur vornehmen wollen. So entsteht die Vorstellung, dass Landschaft repariert,

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weiterentwickelt und zu einer alten Nutzung zurückgeführt bzw. einer neuen Nutzung zugeführt werden könne. Die Besonderheit der Präsentation der Neuen Landschaft ist, dass hier Naturschützer und ähnliche Akteure nur wenig Beachtung finden. Die einzig vom Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg thematisierte Strahlenbelastung findet im Beobachtungszeitraum kein Gehör. Stattdessen sind es die Ingenieure, die die Landschaft modellieren und weltweit erstmals neue Wege der Sanierung erproben.

4.3.2

Vorstellungen der Befragten von der Neuen Landschaft Ronneburg

Interessant in der Bergbaufolgelandschaft ist insbesondere, wie bzw. ob die Bezeichnung „Natur“ auch in dieser Region verwendet wird. Tatsächlich ist es keineswegs so, dass die Neue Landschaft – die ja augenscheinlich künstlich angelegt ist – auch als künstlich bezeichnet wird. Hier gewinnen vor allem einzelne Elemente an Bedeutung, die Natur darstellen bzw. für Natur stehen. Genannt wird häufig die naturräumliche Ausstattung, die primär am „Grün“ sowohl im Sinn von Vegetation als auch an der Farbe „grün“ als Indikator des natürlich Gewachsenen und Gesunden festgemacht wird. Dabei wird der Kontrast zu der als grau und dreckig charakterisierten Wismut-Landschaft betont: „Man hat als Laie das Gefühl, dass sich hier etwas Gesundes befindet. Wenn man das Grüne so sieht überall, dass da nichts mehr an den ehemaligen Uranbergbau erinnert.“ (Mann, 59 J., befragt in Ronneburg)

Unter dem Gesichtspunkt der Veränderungsdynamik bedeutet die Neue Landschaft, dass es auch eine vorherige, eine „alte Landschaft“ in der Erinnerung gibt. Das Thema Veränderung von Kulturlandschaft, das in Diskussionen der Raumordnung, Landschaftsplanung und Kulturlandschaftsforschung häufig negativ mit Verlust gekoppelt ist, gewinnt hier einen ganz anderen Stellenwert als ein zum Besseren gewandter Umgang mit Landschaft. Hier ist etwas Neues entstanden, was wiederum bedeutet, dass es nicht nur eine Landschaft gibt, sondern mindestens zwei. Zusätzlich kann – im Fall älterer Zeitzeugen – auch noch ein dritter Zeithorizont, nämlich Erinnerungen an die vorindustrielle Landschaft, die Zeit vor dem Bergbau, erfasst werden.

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Mithilfe des rückblickenden Vergleichs ist die Neue Landschaft „schön geworden“, womit explizit die landschaftsarchitektonische Leistung der Modellierung gewürdigt wird: „Haben sie ganz in Ordnung gebracht, ja. Heute ist es schon super, das ist schon alles schön geworden. Wir haben ja früher gar nichts mehr gehabt. Wir wussten ja gar nicht, wo wir einmal zum Spazierengehen hingehen konnten.“ (Frau, 65 J., befragt in Ronneburg)

Die Umweltbelastungen, die durchaus in den Umweltberichten der Wismut GmbH thematisiert und vom Kirchlichen Umweltkreis hinterfragt werden, spielen hingegen keine Rolle in der Betrachtung der Landschaft durch diejenigen, die sich dort aufhalten.

4.3.3

Veränderungen der Landschaft – Abtrag der Halden

Die Veränderungen der Landschaft sind aufgrund von Bergbau, Sanierung und Modellierung einer neuen Landschaft vielfältig. Besonders präsent in den Vorstellungen der Befragten sind die insgesamt vier markanten ehemaligen Spitzkegelhalden, weil sie visuell prägend und gut erfassbar und deshalb bereits zu Landmarken geworden waren. Sie erfüllten eine identitätsstiftende Funktion für die Bevölkerung, was sich unter anderem in den Bezeichnungen „Ronneburger Pyramiden“, auch „Kegel“ oder „Busen Ronneburgs“ widerspiegelt. Mit dem Beginn der Sanierung 1992 fand die Diskussion über ihren Abtrag auch überregionales Interesse. Mindestens zwei Bildbände sind publiziert worden, die Regionalzeitung tat ein Übriges.3 Bis 2006 wurden die Ronneburger Pyramiden abgetragen und im Tagebau Lichtenberg verfüllt, was die überwiegende Mehrheit der Befragten als Verlust beschreibt, trotz nachgewiesener Reststrahlung sowie kontaminiertem Wasser und Staub. Auch waren die Halden nicht standsicher. „Wenn man von weitem, von der Autobahn kam, und man hat die Halden gesehen, dann wusste man, wir sind gleich zu Hause. Das war eben das Wahrzeichen von Ronneburg.“ (Frau, 62 J., befragt in Ronneburg)

3 | Dies belegen zahlreiche Zeitungsartikel sowie mehrere Bildbände und ein Kinderbuch, z.B. Bergbautraditionsverein Wismut (2007).

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Mit dem Bergematerial wurde ein neuer Aufschüttkörper modelliert, der mit 373 m Höhe den nunmehr höchsten Punkt der Region markiert und in Erinnerung an den abgebaggerten Ort Schmirchau 2010 „Schmirchauer Höhe“ getauft wurde. Der „schönste Aussichtspunkt Ostthüringens“ muss – nach Aussage des Geschäftsführers der Wismut GmbH – erst mit Bedeutung belegt werden.

5. B EDEUTUNGEN VON (K ULTUR -)L ANDSCHAF T IN DER A LLTAGSSPR ACHE Wie wird im Alltag von „(Kultur-)Landschaft“ gesprochen und welche Bedeutungen werden ihr zugeschrieben, bzw. welche abstrakten Bedeutungen werden mit der Alltagssprache transportiert? Wir haben „Kulturlandschaft“ und semantisch verwandte Ausdrücke der Alltagssprache sowohl nach Bedeutsamkeit, Relevanz bzw. Wichtigkeit als auch nach Sinngehalt – das heißt Zuschreibung von Sinn, um ein Objekt oder Erlebnis als bedeutsam erleben zu können – betrachtet. Während die Relevanz oder Wichtigkeit von etwas für ein Individuum aufgrund der Häufigkeit oder Betonung seiner Verwendung erfasst werden kann, unterliegt die Ermittlung des Sinngehalts eines sprachlichen Ausdrucks – im Rückgriff auf Vorstellungen der Sprechenden – einem interpretativen Vorgang. Die Auswertung der Interviews mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) orientierte sich an der zentralen Forschungsfrage „Was bedeutet Landschaft in der Alltagspraxis?“. Dabei wurde zunächst (5.1) auf die Attribuierung des Wortfeldes „(Kultur-)Landschaft“, dann (5.2) auf die alltagssprachlichen Rede- und Denkfiguren (Konzepte von [Kultur-]Landschaft) fokussiert und schließlich (5.3) daraus die grundlegenden Prinzipien der alltagsweltlichen Konstruktion von Landschaft abgeleitet.

5.1 Attribuierung von Landschaft Die Ergebnisse der Gespräche mit zufällig angetroffenen Bewohnern und Passanten verweisen zunächst auf im Allgemeinen alltagssprachlich stabile Vorstellungen von Landschaft. Wie Gerhard Hard bereits 1970 feststellen konnte (Hard 1970, 38), werden in der Alltagssprache die sinnverwandten Wörter „Landschaft“ und „Kulturlandschaft“ sowie weitere wie „Natur“, „Ge-

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gend“, „Region“ oder „Umgebung“ verwendet, um die räumliche Umwelt zu beschreiben (s.a. Lehmann 2003, 148 zum Gebrauch des Wortes „Natur“ als Synonym für „Landschaft“ in der Alltagssprache). In welcher Häufigkeit die Wörter „Kulturlandschaft“, „Landschaft“ und verwandte Ausdrücke von den Befragten der vorliegenden Studie gebraucht wurden, illustriert Abbildung 2. Je größer das Wort erscheint, desto häufiger wurde es genannt.4 Auch in den zuvor untersuchten Printmedien wird überwiegend das Wort „Landschaft“ verwendet, wenn die Umgebung des Menschen beschrieben wird. Das Wort „Kulturlandschaft“ hingegen wird in den Zeitungen vorwiegend dann gebraucht, wenn von der kulturellen Infrastruktur die Rede ist oder wenn es um Aspekte der Agrarwirtschaft geht. Abbildung 2: „Landschaft“ und sinnverwandte Wörter nach Häufigkeit ihres Gebrauchs in den Interviews

Quelle: Eigene Erhebungen 2009

In der untersuchten Alltagssprache werden die Wörter „Kulturlandschaft“ oder – alltagssprachlich verkürzt – „Landschaft“ in verschiedenen Zusammenhängen und mit unterschiedlichsten Inhalten und Wertungen verwendet. „Landschaft“ wird am häufigsten mit dem Adjektiv „schön“ attribuiert, wie ebenfalls bereits von Gerhard Hard vor vierzig Jahren festgestellt worden war. Auch weitere häufig gebrauchte Adjektive wie „ruhig“, „herrlich“, „wunderbar“ oder „angenehm“, die alle eine bejahende, ästhetische Wertung vornehmen, unterstreichen die positive Konnotation des Wortes „Landschaft“. Zwar sind auch „hässliche“ oder „öde“ Landschaften denkbar, tatsächlich werden unsere Untersuchungsräume nicht so be4 | Die Grafik wurde mit WordleTM erstellt. Die Anordnung der Wörter als „word cloud“ erfolgt nach dem Zufallsprinzip (www.wordle.net/create).

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nannt. Selbst die Bergbaufolgelandschaft wird grundsätzlich mit positiven Wertungen beschrieben und maximal als „monoton“ oder “künstlich“ bezeichnet, immer im rückschauenden Vergleich zu der als negativ empfundenen Bergbaulandschaft des Uranerzbergbaus: „Hier ist ja sehr viel künstlich umgestaltet worden. Was mir gefällt, ist, dass da eben sehr viel Rücksicht auf die ursprüngliche Natur, also dieses Gessental, genommen wurde, um das zu renaturieren. Und das ist wohl gut gelungen. […] Ich will nicht gleich übertreiben, dass das harmonisch wirkt, aber oft ist es ja so, dass Technik, wie früher eben die Wismut, drastisch die Landschaft so hart verändert hat, dass sie abstoßend wurde. Das ist jetzt anders.“ (Mann, 58 J., befragt in Ronneburg)

5.2 Konzepte von (Kultur-)Landschaft Jenseits der Attribuierung lassen sich aus dem Gebrauch des Wortfeldes „(Kultur-)Landschaft“ unterschiedliche Verständnisse von Landschaft ableiten, die auch als Rede- oder Denkfiguren der Landschaftskonstruktion in der Alltagspraxis verstanden werden können. Diese Verständnisse, die wir als „Konzepte von (Kultur-)Landschaft“ bezeichnet haben, beschreiben, in welchem Verwendungszusammenhang mit welchen Topoi und durch welche Narrative der Landschaft in der Alltagssprache Bedeutungen zugesprochen werden. Hierbei handelt es sich um Vorstellungen, die im alltäglichen Sprechen „hinter“ dem Gebrauch des Wortes „Landschaft“ oder verwandter Ausdrücke liegen, d.h. die das Individuum selbstverständlich verwendet und nicht hinterfragt. Die in Tabelle 2 dargestellten Konzepte stellen die relevantesten im Sinne der Häufigkeit ihrer Verwendung dar. Grundsätzlich schreiben die Interviewpartner Landschaft Bedeutungen zu, die eng mit stabilen Vorstellungen von einer vorindustriellen, ländlichen Idylle verbunden und nur bedingt am dynamischen Landschaftswandel der Moderne orientiert sind. Umschrieben mit Topoi wie „Grün“, „Ruhe“ oder „Schönheit“ und mit Adjektiven wie „schön“, „grün“ oder „herrlich“ bzw. negativ formuliert als Antipode zu „Stadt“, „Lärm“, „Verkehr“ und „Dreck“, repräsentieren die Konzepte ausnahmslos traditionelle Vorstellungen von einem arkadischen Ideal. Dieses Ideal beschreibt vorrangig formal-ästhetischen Qualitäten wie Ackerfluren, Baustile oder

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Baumaterialien sowie historische Qualitäten wie Authentizität, Alter oder Kontinuität der (Kultur-)Landschaft. Tabelle 2: Konzepte von (Kultur-)Landschaft in den Bedeutungszuschreibungen der Befragten Konzepte von (Kultur-)Landschaft

Topoi

Vorrangige Narrative

Landschaft ist Natur/Natürlichkeit

„Grün“, „große Bäume“, „Wald“, „Hügel“

naturräumliche Ausstattung, „grün“ als Indikator des natürlich Gewachsenen, Vegetation und Relief

Landschaft ist nicht Stadt

„Ruhe“, „kein Lärm“, „Überfüllung“ vs. „Einsamkeit“, „Bebauung“ vs. „Weite“

Antipode zu „bebautem Raum“, zu „Lärm“, „Dreck“, zu „(vielen) anderen Menschen“

Landschaft ist Erholung

„Ruhe“, „Schönheit“, „Harmonie“

landschaftliche Reize der Szenerie; Anspruch an Landschaft, der Erholung zur Verfügung zu stehen

Landschaft ist Identität

„Heimat“, „zu Hause“; Symbole, Landmarken

Übereinstimmung des Individuums mit seiner Umwelt

Landschaft ist Ort der Erinnerung

Kindheit, Arbeitsleben, Urlaub

emotional bedeutende Erlebnisse; Romantisierung der Kindheit

Landschaft ist Region

Grenzen, Regionsnamen Charakteristika, Alleinstellungsmerkmale (Konstruktion eines Container-Raums)

Landschaft ist ein Gegenstand

Objekt der Gestaltung, Planung, Renaturierung, Schutzmaßnahmen, Wirtschaftsförderung, Marketing

Landschaft ist gestaltund reparierbar; Bedingung der Regionalentwicklung

Quelle: Eigene Erhebungen, Qualitative Interviews 2009

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Damit kann eine Verbindung zu den Ergebnissen der zuvor analysierten Lokal- bzw. Regionalzeitungen hergestellt werden, die zeigen, dass Landschaften überwiegend mit ländlichen Räumen bzw. mit Agrarlandschaften verknüpft werden. Medial vermittelte Bilder von (Kultur-)Landschaft werden häufig idealisierend und emphatisch mit traditionellen Produktionsund Lebensweisen verknüpft und mit Attributen wie „schön“, „selten“, „alt“, „traditionell“ oder „einmalig“ versehen. Mehr noch als die Präsentation physischer Kulturlandschaft (Äcker, Wiesen, Wald) werden Vorstellungen von Landschaft im weiteren Sinn erzeugt, in denen der Mensch in der Regel nicht vorkommt bzw. die Landschaft als Gegenentwurf zu dem vom Menschen besiedelten Raum steht. Dabei handelt es sich entweder um „die Natur“, eine Erholungslandschaft, die der Mensch (temporär) nutzt, oder um eine schutzwürdige Landschaft, die vor dem Menschen bewahrt werden muss. Ähnlich wie in unserer Befragung von Bewohnern und Passanten, spielen traditionelle Vorstellungen in der Berichterstattung dann keine Rolle, wenn die Landschaft dem technischen Fortschritt im Wege steht. Der Schutz von Landschaft ist in der Regel kein Thema, wenn Verkehrsinfrastrukturprojekte vorgestellt werden. Dann rückt die Landschaft in den Hintergrund und wird zur Arena des technischen Fortschritts und der ökonomischen Entwicklung. Bedeutungen, die das Individuum seiner Umwelt zuschreibt, entstehen lebensweltlich nicht nur aufgrund kognitiver Wahrnehmung des Gegenstands, respektive seiner einzelnen Elemente, sondern ebenso ganzheitlich über das Empfinden der Umgebungs- bzw. Erlebnisqualitäten eines Raumes (s. Kap.5.3.4). So spielt Landschaft eine Schlüsselrolle bei der Konstruktion von Identität im Sinne der Übereinstimmung und des sich In-Beziehung-Setzens des Individuums mit seiner Umwelt. In unseren Interviews finden wir als wesentliches Merkmal der Identifikation mit Landschaft, dass Landschaft als Ort des Vertrauten erlebt wird, wo Freunde und Familie sind: „Es sind schon 22 Jahre, die ich hier lebe. … Ich könnte mir auch nicht unbedingt vorstellen, woanders hinzuziehen. … Ich habe hier alle meine Freunde, meine Verwandten, meine Familie.“ (Mann, 22 J., befragt in Dresden)

Das zweite markante Merkmal der Identifikation mit Landschaft ist das Verbunden-Sein mit einem Raum. Besonders häufig werden die Bezeich-

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nungen „Heimat“ und „zu Hause“ genannt, um die Zugehörigkeit zu einem Raum auszudrücken: „Was bedeutet sie [die Landschaft] mir? Heimat, es ist halt Heimat.“ (Frau, 32 J., befragt in der Oberlausitz)

Landschaft ist weiterhin Ort der Erinnerung und spielt besonders in Verbindung mit emotional bedeutenden Erlebnissen in unterschiedlichen Zeithorizonten eine große Rolle. Vor allem ist es die Landschaft der Kindheit, die im Sozialisationsprozess besonders prägend ist und häufig mit einer Romantisierung der Kindheit einhergeht, aber auch Orte des Urlaubs und des Arbeitsleben. Die Charakteristik dieses Konzepts ist das Wissen über die Landschaft als geographischer bzw. materieller Ort, dessen Merkmale wiedererkannt werden: „Das prägt eben, dass man Flusslandschaften gerne wiedersieht, auch an anderen Stellen; [ist] positiv besetzt halt.“ (Mann, 48 J., befragt in Dresden)

Im Vergleich zu der zuvor durchgeführten Zeitungsanalyse erweist sich als signifikant, dass in der Alltagspraxis der Bevölkerung seltener Vorstellungen existieren, die auf ökologische oder historische Werte schließen lassen, wie sie von den Printmedien als „Landschaft ist ein Schutzgut“ oder „Landschaft ist ein Kulturgut“ präsentiert werden. Die alltagsweltlichen Vorstellungen beschreiben hingegen eher die Wohlfühlqualität und das individuelle Erleben, insbesondere das Genießen von Landschaft. Hier zeigt sich ein möglicher Gegensatz von veröffentlichter Meinung und subjektiver Konstruktion der Wirklichkeit, der – aus Sicht des Individuums – mit einer eher an individuellen Bedürfnissen orientierten Deutung der Alltagswelt zu erklären ist. Gleichzeitig verweist dieser Gegensatz auf eine möglicherweise mangelnde Anschlussfähigkeit der Wörter „Kulturlandschaft“ und „Landschaft“ in der Kommunikation zwischen Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher Handlungsfelder.5

5 | Vgl. Beitrag Wojtkiewicz & Heiland in diesem Band.

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5.3 Prinzipien der subjektiven Konstruktion von (Kultur-)Landschaft In Weiterführung der ermittelten Konzepte, mit denen Rede- und Denkfiguren untersucht wurden, sollen zusammenfassend die Prinzipien der subjektiven Konstruktion vorgestellt werden, mit denen das Individuum seine Vorstellungen und Erwartungen davon ausdrückt, was Landschaft sein oder was sie nicht sein soll. Trotz struktureller Unterschiedlichkeit und entsprechender Spezifik der drei untersuchten Fallstudien und trotz damit verbundener unterschiedlicher Bezüge innerhalb der „Konzepte von (Kultur-)Landschaft“ lassen sich grundlegende Prinzipien der subjektiven Konstruktion in der Alltagspraxis ermitteln. Mithilfe der Forschungsfrage, was Landschaft in der Alltagspraxis der Bevölkerung bedeute, wurden vier primäre Prinzipien identifiziert (Micheel 2012): Ň Ň Ň Ň

Konstruktion des arkadischen Ideals – die schöne Landschaft (5.3.1), Neuauslegung: Re-Konstruktion des arkadischen Ideals (5.3.2), Konstruktion der erwünschten (ordentlichen) Landschaft (5.3.3), Konstruktion des Wohlfühlraums (5.3.4).

5.3.1

Zur Konstruktion des arkadischen Ideals – die schöne Landschaft

Die Interviews mit der Bevölkerung haben einerseits gezeigt, dass Bedeutungen der Landschaft eng mit stabilen Vorstellungen von einer vorindustriellen, ländlichen Idylle verbunden und nur bedingt am dynamischen Landschaftswandel der Moderne orientiert sind. Landschaft ist „von einem Schwarm arkadischer Assoziationen umgeben“ (Hard 1991, 14), die auf eine gewachsene Kultur rekurrieren und gegen Fortschritt und Zerstörung der Idylle eintreten. Das alltagsweltliche Landschaftsverständnis ist mit Vorstellungen von Grün, Bäumen, Wiesen, Wald, Vogelgezwitscher etc. verknüpft, schließt aber die urbane Kulturlandschaft durchaus mit ein, wie das Beispiel Dresden zeigt. Andererseits haben die Interviews gezeigt, dass es nicht immer nur die idyllische Landschaft in ihrer formal-ästhetischen Qualität sein muss, wenn von „schön“ gesprochen wird. Bei dem Ausdruck „schön“ kann es sich auch um die Bewertung von Veränderungen, von Entwicklungen oder Ergebnissen handeln, wie mit dem Beispiel der Bergbaufolgelandschaft gezeigt werden konnte. Dann wird das Adjektiv „schön“ eher als „gut“

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verstanden. Es ist ein wesentliches Merkmal der subjektiven Konstruktion, auf Wissen und Erfahrung zurückzugreifen, dabei zu vergleichen und abzuwägen, was vor dem Hintergrund von Veränderungen besonders deutlich wird. Sowohl das Ergebnis als auch der Veränderungsprozess selbst können als „schön“ bezeichnet werden: „Wär schön, wenn er [der Wolf] sich wieder ansiedelt, ja.“ (Touristin, 57 J., befragt in der Oberlausitz)

Das Attribut „schön“ stellt also ein nicht ausschließlich „kunstrichterliches Kriterium“ (Hahn 2007, 36) dar, sondern bedeutet atmosphärisch „gut“ oder bezieht sich auf Ergebnisse raumwirksamer Prozesse: „ist schön geworden“.

5.3.2

Zur Neuauslegung: Re-Konstruktion des arkadischen Ideals

Vorstellungen von einem arkadischen Ideal werden brüchig, wenn das Vertrauen des Individuums in die Erfahrung und Erwartung der „Idylle“ gestört wird. Unsere Überlegung, dass sich Veränderungen auf die subjektive Konstruktion von Landschaft auswirken, weil sie etwas bewusst machen, das sonst als selbstverständlich wahrgenommen wird, lässt sich insofern bestätigen, als dass der Mensch ohne Weiteres in der Lage ist, Neuauslegungen seiner gemachten Erfahrungen vorzunehmen, wenn es die Umstände erfordern. Dies kann am Beispiel der Akzeptanz von Infrastruktureinrichtungen gezeigt werden, die zur modernen Lebenswelt gehören (z.B. Autobahnen, Windkraftanlagen, Brücken). Das Individuum ist fähig, Erwartungen und Ansprüche an die gegebenen Bedingungen anzupassen und nimmt neue Elemente in den Kanon der als typisch für eine Landschaft bezeichneten Elemente auf. Dazu können beispielsweise Bergbaurelikte ebenso zählen wie Viadukte aus früheren Jahrhunderten, die als Bestandteile einer heutigen Landschaft geschätzt werden. Grundsätzlich lässt sich eine Zeitabhängigkeit der Bewertung von Eingriffen in die Landschaft feststellen. Vergangene Veränderungen werden nicht nur akzeptiert, sondern häufig positiv bewertet, und ihre Folgen werden gegebenenfalls sogar als Tradition oder Denkmal interpretiert (Burckhardt 1980). Eingriffe, wie sie in den Räumen der Fallstudien stattfinden oder stattgefunden haben, führen zu Irritationen und Widerspruch, aber nicht zu

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einer Abkehr von gewohnten Sichtweisen. Grundsätzlich scheinen Veränderungen eher eine Rückbesinnung auf traditionelle Vorstellungen und Ideale zu bewirken, indem sie zur Neuauslegung beitragen, d.h. zum Nachdenken und Reflektieren über die „eigene“ Landschaft anregen oder diese Vorstellungen zumindest bewusst machen. Augenblickliche Störungen werden häufig ausgeblendet, verdrängt oder pragmatisch akzeptiert, ohne das Idealbild der „schönen Landschaft“ in Frage zu stellen. Dies betrifft sowohl die Gewöhnung an Veränderungen, die als unumkehrbar erkannt sind oder längst als Bestandteil der Landschaft akzeptiert sind, als auch das Deuten von Veränderungen als Fortschritt, vor allem dann, wenn dieser Fortschritt als Vorteil erkannt wird. Dann tritt bisweilen die Bedeutung der Landschaft als Sehnsuchtsraum zugunsten des Fortschritts in den Hintergrund. Dies gilt sowohl für die pragmatische Akzeptanz von Windkraftanlagen, die von Jüngeren bereits als „Heimat“ bezeichnet werden, als auch für Autobahnen und Brücken: „Gehört mit dazu, die Autobahn gehört mit dazu.“ (Frau, 68 J., befragt in Dresden) „Windräder – irgendwo auch Heimat und Zuhause, weil es doch bei uns schon relativ [oft] zum Bild gehört.“ (Frau, 25 J., befragt in Dresden)

Im Zusammenhang mit der Erfahrung von Veränderungen verdient die Bergbaufolgelandschaft besondere Aufmerksamkeit. Werden „gewachsene“ oder „historisch bedeutende“ Landschaften durch Eingriffe physisch in ihrer Erscheinung verändert, wird das in der Regel sowohl von der Bevölkerung als auch im gesellschaftlichen Diskurs als Verlust beklagt (z.B. Lenz 1999, Schenk 2001). Auch Eingriffe in die Bergbaulandschaft, die der Verbesserung der Umweltqualität dienen sollen, können in Ronneburg bisweilen negativ erlebt werden, nämlich in emotionaler Hinsicht als Verlust des Eigenen bzw. des Typischen. So kann am Beispiel der Wahrzeichen von Ronneburg, den abgetragenen Spitzkegelhalden (s. Kap. 4.3.3), gezeigt werden, wie eine Neuauslegung der Erfahrungen der alltäglichen Lebenswelt erforderlich wird: „Die waren nun einmal das Wahrzeichen von Ronneburg. Und das fehlt jetzt. Es ist nicht so, dass man da nachtrauert, aber das Spezifische für die Landschaft fehlt und da muss sich erst etwas Neues herausbilden.“ (Frau, 56 J., befragt in Ronneburg)

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Eine Neuauslegung war im wahrsten Sinne des Wortes erforderlich und wurde von den Planern der Wismut GmbH aufgegriffen. Die neue Schmirchauer Höhe, die mit 373 m Höhe nunmehr höchste Erhebung der Region markiert, wird als Aussichtspunkt gestaltet. Die (noch) fehlende Identifikation will der Bergbautraditionsverein Wismut durch eine begehbare Landkarte auf der Hochfläche fördern, mit der das Ostthüringer Bergbaurevier im Maßstab 1:500 abgebildet wird. Außerdem wurde im Sommer 2012 mit dem Bau eines Aussichtsturms in Form eines überdimensionalen Grubengeleuchts eine neue, weithin sichtbare Landmarke geschaffen.

5.3.3

Zur Konstruktion der er wünschten (ordentlichen) Landschaft

Dem arkadischen Ideal eng verhaftet verweisen einige Interviewpartner auf eine Verinnerlichung des traditionellen Landschaftsverständnisses, das eine „gefühlte“ Ordnung mit einschließt. Das „Grün“ darf keine braune Wiese sein, das Gras soll nicht zu hoch stehen, die Teiche nicht zuwachsen, Bäume sollen nicht quer liegen, Laub, verblühte Blumen oder Reisig gelten als unordentlich bzw. dreckig: „Zu DDR-Zeiten war der Wald sauberer als jetzt. Da wurde das Reisig aufgeräumt. Jetzt bleibt alles liegen von dem letzten Wind.“ (Mann, 70 J., befragt in der Oberlausitz)

Die „Unordnung“ der Landschaft stört jene Befragten mehr als gesetzliche Einschränkungen durch Natur- und Landschaftsschutz. So trägt zum Wohlbefinden auch das „in Ordnung bringen“ bei, das heißt die Beseitigung von „Schandflecken“, womit beispielsweise ungenutzte und verfallene Gebäude bezeichnet werden. Auf die konkrete Frage, was die Interviewpartner in der Landschaft störe, werden einerseits das Landschaftsbild störende Elemente genannt, die sich in der Regel auf bauliche Eingriffe beziehen (Windräder, Bebauung, Industrie), andererseits werden ubiquitär vorkommende Beeinträchtigungen wie Lärm, Vandalismus und Müll aufgezählt: „Der Dreck, der früher hier war, soll dort [in den Bergen Österreichs] nicht sein. […] Es soll sauber und gepflegt sein.“ (Mann, 43 J., befragt in Ronneburg)

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Ein gutes Drittel der Befragten empfinden die von anderen als das Landschaftsbild störend genannten Elemente jedoch dann nicht als beeinträchtigend, wenn sie sich nicht persönlich betroffen fühlen oder wenn sie die Objekte im Gegenteil als Merkmal „ihrer“ Landschaft identifizieren, wie das bereits genannte Beispiel der Windkraftanlagen zeigt. Auch sind die Befragten unkritischer, wenn sie den eigenen Vorteil sehen, wie bei Autobahnen oder Gewerbeansiedlungen, die Arbeitsplätze sichern oder schaffen sollen: Frage: „Würde Sie ein Gewerbebau optisch stören?“ Antwort: „Optisch nicht. Wenn es so etwas außerhalb des Ortes ist, nicht grad hier. Sonst stört‘s halt nicht. Ist ja auch gut für Arbeitsplätze, Arbeitsplätze sind halt wichtig.“ (Mann, 26 J., befragt in der Oberlausitz)

5.3.4

Zur Konstruktion des Wohlfühlraums

Vorstellungen von Landschaften basieren vorrangig auf einer kognitivvisuell geprägten Wahrnehmung, für die bestimmte Elemente wie Wiese, Wald, Wasser oder Berge konstitutiv sind. Die Bedeutung einer Landschaft wird jedoch auch durch das emotional Wahrgenommene bestimmt, nämlich durch die Atmosphäre eines Ortes, die weniger kognitiv verstanden als leiblich gespürt wird und als „Umgebungsqualität“ (z.B. Hasse 2008, 103) bezeichnet wird. Während die Annahmen der Sozialgeographie nach dem cultural turn eher auf Intentionalität von Handlungen ausgelegt sind, kritisieren Geographen wie Jürgen Hasse bereits seit vielen Jahren die Beharrlichkeit, mit der Gefühle im Mainstream der Sozialwissenschaften ausgeblendet würden. Vielmehr seien beide Dimensionen – die kognitive und die emotionale – miteinander verwoben. „Kulturlandschaft kann erst verstanden werden, wenn sie als eine ganzheitliche Qualität des ‚gelebten Raums‘ aufgefasst wird.“ (Hasse 2005, 39, Herv. i. Orig.) Nach Jürgen Hasse ist ein „Realraum samt der in ihm stehenden Dinge streng genommen gar keine Landschaft, sondern eine körperhafte (Raum-) Ordnung, innerhalb derer Menschen ihr Leben bahnen“ (Hasse 2004, 69). Erst emotionales Empfinden ermöglicht es dem Individuum, sich die Landschaft anzueignen, indem es den Raum erlebt, Stimmungen spürt und gefühlsmäßige Bindungen zu seiner Umwelt aufbaut. Landschaft ist die „leibhaftige Herumwirklichkeit“ des Menschen (Dürckheim 2005, 23), die situationsabhängig und flüchtig ist. Karlfried von Dürckheim (1932) spricht vom „gelebten Raum“, wenn er einen ideellen Raumbegriff formu-

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liert, der Raum als das Medium der leibhaftigen Verwirklichung des Selbst darstellt. Der Philosoph Otto F. Bollnow (1960) beschreibt einen „erlebten Raum“ als physische und zugleich subjektive Raumerfahrung (Sahr 2002, 7). Beide Autoren lenken den Blick auf die emotionale Dimension der subjektiven Wahrnehmung und die Bedeutung des Raumerlebens. Wie gezeigt werden konnte, existieren subjektive Konstruktionen ganzheitlich aufgrund von Umgebungs- und Erlebnisqualitäten. Die leiblich spürbaren Atmosphären eines Raums ermöglichen Vertrautheit und Geborgenheit. Wahrnehmungen und damit Bedeutungszuschreibungen sind nicht ohne Emotionen und Gefühle möglich, sie machen Landschaften erst erlebbar. Der Kulturwissenschaftler und Volkskundler Kaspar Maase hat die Suche nach Erfahrungen, die Menschen als schön empfinden, und den Genuss solcher Erfahrungen als „eine erstrangige Determinante des Alltagshandelns von Menschen in westlichen Industriegesellschaften“ identifiziert, die im Laufe des 20. Jahrhunderts außerordentlich an Bedeutung gewonnen habe (Maase 2004). Es sind unter anderem wertende Beschreibungen wie „gerne“ oder „am liebsten“, die auf eine Wohlfühlqualität der Landschaft verweisen: „Harmonie […]. Ich bin viel unterwegs, wenn ich dann mit dem Zug fahre, [bin] ich immer erst in Dresden, wenn ich einmal die Altstadt und die Elbe gesehen habe. Das ist für mich so, dann bin ich da und das ist schön. Da fühl ich mich wohl.“ (Frau, 25 J., befragt in Dresden)

Die so erlebten Räume sind positiv besetzt und werden mit Erwartungen des Wohlfühlens (Erholung, Entspannung) und des Erlebnisses verknüpft. Während jüngere Befragte das Wohlfühlen im Zusammenhang mit Freiheit und Spaß betonen, stellen Ältere eher den Genuss, die Ruhe und die Abwechslung in den Vordergrund: „Das ist auch wirklich interessant, die Gegend hier. Für viele ist es zu langweilig, denke ich mal, mir gefällt das eben. Diese Ruhe genießen und so.“ (Mann, 43 J., befragt in der Oberlausitz)

Mit Äußerungen des Bedürfnisses nach Ruhe, Schönheit und Harmonie werden vor allem landschaftliche Reize der Szenerie betont, aber auch der Anspruch an die Landschaft, zur Erholung zur Verfügung zu stehen:

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„Ich kenne die Insel dort in Pillnitz, aber die ist unter Naturschutz. Sie soll doch allen Leuten zugänglich sein. Die Leute liegen gerne und sonnen sich und neuerdings geht man auch schon wieder baden, weil das Wasser nicht mehr so schlecht ist.“ (Mann, 78 J., befragt in Dresden)

6. F A ZIT Die Fokussierung auf die Alltagspraxis bedeutete für uns, auf die Alltagssprache zu blicken, die ständig und in der Regel nicht hinterfragt benutzt wird. Wir sind davon ausgegangen, dass der Gebrauch des Wortes „Kulturlandschaft“ oder semantisch verwandter Ausdrücke auf subjektive Konstruktionen seitens „der Bevölkerung“ verweist und innerhalb des Projektverbunds KULAKon ein Gegenüber zu den untersuchten planerischen Landschaftsverständnissen sowie Institutionen und Diskursen über Landschaft darstellt. Insofern wird der Beitrag der Bevölkerung zur Konstituierung von Kulturlandschaft in ihrer Rolle als Teilhaber an gesellschaftlichen Konstituierungsprozessen gesehen, die sich im Wechselverhältnis zwischen Alltagswelt und Expertenwelt vollziehen. Die Interviews mit Bewohnern und Passanten zeigen, dass das Individuum nicht zwangsläufig als ein intentional handelndes Wesen verstanden werden kann, sondern dass es Landschaft vielmehr unbewusst und als selbstverständlich wahrnimmt. Somit ergab sich für unsere Fragestellung eine verstärkte Berücksichtigung eines Landschaftsverständnisses vom „erlebten“ oder „gelebten Raum“ im Sinne von Karlfried von Dürckheim, der Landschaft als „leibhaftige Herumwirklichkeit“ betrachtet, die situationsabhängig und flüchtig ist (v. Dürckheim 2005, 23). Die alltägliche Landschaft ist ein erlebter, subjektiv wahrgenommener Raum, der einen „schlicht gegebenen“ und nicht hinterfragten Teil der Lebenswelt darstellt und der „fraglos und selbstverständlich ‚wirklich‘ ist“ (Schütz und Luckmann 2003, 30, Herv. i. Orig.). Strukturelle Unterschiede der Untersuchungsräume spiegeln sich deshalb nicht generell im alltagsweltlichen Erleben von Landschaft wider, weil Sachverhalte jeweils als das unhinterfragt Gegebene erfahren werden: „Wir wohnen ja nun schon immer hier und das [der Bergbau] gehört zum Erscheinungsbild der Landschaft. Und das sind wir eigentlich gewöhnt.“ (Frau, 64 J., befragt in Ronneburg)

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Landschaft bzw. Kulturlandschaft ist ein Gegenstand, der in der Alltagssprache die unterschiedlichsten Assoziationen hervorruft, meist jedoch eine große Nähe zu Natur und Natürlichkeit bzw. zu Natürlichem aufweist. Dabei sind Bedeutungszuschreibungen auf (Kultur-)Landschaft eng mit stabilen Vorstellungen von einer vorindustriellen, ländlichen Idylle verbunden und weniger am dynamischen Landschaftswandel der Moderne orientiert. Es handelt sich bei dem bevorzugt verwendeten Wort „Landschaft“ offensichtlich um einen Ausdruck, bei dem bestimmte, positiv konnotierte Wertungen, Erwartungen und Ansprüche an den Gegenstand mit gedacht werden, sogar mitgedacht werden müssen. Diese Bedeutungen erscheinen damit selbstverständlich und unhintergehbar. Historisch-traditionelle Bezüge auf Landschaft bedeuten jedoch nicht, dass das Individuum nicht in der Lage ist, Neuauslegungen vorzunehmen, wenn es die Umstände erfordern, wie am Beispiel von Infrastruktureinrichtungen gezeigt werden kann, die zur modernen Lebenswelt gehören. Tritt eine Veränderung ein, führt diese zwar zu Irritationen und Widerspruch, aber nicht zu einer Abkehr von gewohnten Sichtweisen. Im Gegenteil, eine Veränderung der Umwelt scheint eher eine Rückbesinnung auf traditionelle Vorstellungen und Ideale zu bewirken. Sie regt zum Nachdenken und zur Reflexion über die „eigene“ Landschaft an oder macht diese zumindest bewusst. Störungen werden häufig pragmatisch akzeptiert, ohne das Idealbild der „schönen Landschaft“ in Frage zu stellen. Aus der alltagsweltlichen Perspektive wird Landschaft vor allem mit einer Wohlfühlqualität verknüpft, die zugleich eingefordert wird. In den untersuchten Bedeutungszuschreibungen manifestieren sich Sehnsuchtsvorstellungen sowie Bedürfnisse nach Erholung, Genuss, Erlebnis, Harmonie und nicht zuletzt emotionale Bindungen an einen Ort, der als „Heimat“ bezeichnet wird. Im Alltag sind es vor allem die Kontinuität und die Verlässlichkeit der zuvor gemachten Erfahrungen mit und in der Landschaft, die Vertrautheit schaffen und damit eine emotionale Ortsbezogenheit fördern. Die anfangs gestellte Frage nach den Ideen von Landschaft, die Vorstellungen beinhalten, was Landschaft bedeuten könnte und sollte, kann somit deutlich beantwortet werden: Landschaft wird primär als Wohlfühlraum und als Freiraum empfunden. Das Individuum hinterfragt den Zugang und die Nutzung der Landschaft nicht, es setzt diese als gegeben voraus, ja beansprucht diese. Landschaft wird in der Regel als ein konkreter Ort gedacht, der vorrangig mit einer Freizeit- oder Erholungsfunktion verknüpft

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wird und damit als Gegenentwurf zum Wohnen und gegebenenfalls Arbeiten fungiert. So manifestiert sich hier wiederum das traditionelle Verständnis, das den Antagonismus von Stadt und Landschaft herausstellt. Im Kontext der Freizeit- und Erholungsfunktion wird das Wort „Landschaft“ mit moralischen und ästhetischen Urteilen verknüpft und mit positiven Adjektiven als „schön“, „ruhig“, „herrlich“, „wunderbar“ oder „angenehm“ beschrieben. Die Wertungen werden bezogen auf diesen einen Zweck gebraucht. Andere Funktionen von Landschaft, – wie beispielsweise die des Produktionsraumes für Agrarerzeugnisse, für Energie, für gewerbliche Produkte oder die des Verkehrsraumes – unterliegen anderen Wertungen, die der Freizeitfunktion möglicherweise zuwiderlaufen und zu gegenteiligen Werturteilen führen. Das Beispiel der Auseinandersetzung über die Waldschlösschenbrücke zeigt, wie die Funktion der Landschaft als Verkehrsraum in den Vordergrund der Alltagspraxis tritt und die Auslegung der Alltagswelt von Erfahrungen der Verkehrsteilnahme bestimmt wird, während andere lebensweltliche Erfahrungen in den Hintergrund treten. Wird beim Bau einer Brücke betont, dass sie gut für den Verkehrsfluss sei, bleibt in dem Augenblick der Eingriff in die Landschaft unberücksichtigt. Nicht nur am Beispiel des Brückenbaus lässt sich beobachten, dass das Individuum in der Lage ist, Neuauslegungen vorzunehmen, wenn es die Umstände erfordern. Auch andere zur modernen Lebenswelt gehörende Infrastruktureinrichtungen, wie Autobahnen oder Windkraftanlagen, werden pragmatisch in die eigenen Landschaftsvorstellungen integriert, indem sie entweder ausgeblendet oder – häufig mit zeitlichem Abstand – als dazugehörig definiert werden. Alltagsweltliche Selbstverständlichkeiten, die dadurch entstehen, dass Wertungen, Erwartungen und Ansprüche an einen Gegenstand eng mit der ihm jeweils zugeschriebenen Funktion verbunden sind, gilt es grundsätzlich stärker sozialwissenschaftlich zu berücksichtigen, wenn die begriffliche Vielfalt eines Gegenstands wie Landschaft erklärt werden soll. Ebenso sollte bei der Untersuchung der Aushandlung öffentlicher Belange zwischen Entscheidungsträgern und Adressaten dieser Entscheidungen reflektiert werden, dass bestimmte Sachverhalte und deren Bedeutungen sehr häufig unhintergehbar miteinander verknüpft sind.

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Welche Bedeutungen hat Landschaft? – Landschaftsverständnisse in der kommunalen Landschaftsplanung Wera Wojtkiewicz, Stefan Heiland

1. E INLEITUNG ‚Landschaft‘ bzw. ‚Kulturlandschaft‘1 als Gegenstände menschlicher Erfahrung sind zwar gemeinhin allgemein verständliche und intuitiv fassbare Begriffe, die im Alltagsverständnis normativ mit positiven Assoziationen, wie etwa Natürlichkeit und Schönheit, verknüpft sind (z.B. Wöbse 1999, Schenk 2006) und meist ein „schönes ländliches Idyll“ (Hard und Gliedner 1977, 23) bezeichnen. Bei wissenschaftlicher Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sowohl im Alltag als auch innerhalb und zwischen verschiedenen Disziplinen, wie etwa Denkmalschutz, Landwirtschaft, Naturschutz oder Regionalentwicklung, oftmals unterschiedliche, sich überschneidende oder auch konkurrierende Vorstellungen von dem, was Landschaft ist, wie sie aussehen soll und wozu sie dient, vorherrschen. Dies führt dazu, dass eine einheitliche, exakte und von allen akzeptierte Definition von ‚Kulturlandschaft‘ und ‚Landschaft‘ nicht existiert und es eine solche auch nicht geben kann:

1 | Die im Rahmen des Forschungsvorhabens durchgeführten semantischen Analysen der Bedeutung der Worte ‚Kulturlandschaft‘ und ‚Landschaft‘ zeigten, dass beide in Landschaftsplänen weitgehend gleichgesetzt werden (Wojtkiewicz und Heiland 2012). Im Sinne einer besseren Lesbarkeit verwenden wir daher im Weiteren nur das Wort ‚Landschaft‘.

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„[…] there is no precise definition of cultural landscape. Instead, there is a certain definitional ambiguity that allows varied uses and research emphases. If this is bothersome for some, it provides creative license for others to explore the complicated interface between humans and our varied environments.“ (Rowntree 1996. Vgl. auch Jessel 1995, Roweck 1995, Jessel und Tobias 2002, Schmidt und Meyer 2006, Schenk 2008)

Hinter der Vielfalt an Bedeutungen und Vorstellungen, die mit Landschaft verbunden werden, verbergen sich unterschiedliche Werte und Paradigmen. Die Frage, was Landschaft überhaupt ist und wie sie zu entwickeln sei, wird daher zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskurse (Gunzelmann und Schenk 1999, Gailing und Röhring 2008). Vor diesem Hintergrund möchten wir mit vorliegendem Artikel einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, was in der Landschaftsplanung unter Landschaft verstanden wird. Dazu wurde im Rahmen des Forschungsprojekts ‚KULAKon – Planerische Bilder‘2 das Landschaftsverständnis in kommunalen Landschaftsplänen untersucht. Ausgangspunkt waren die Annahmen, dass sich erstens in Landschaftsplänen bewusste und unbewusste Verständnisse von Landschaft widerspiegeln, die deren Ziele und Maßnahmen einerseits beeinflussen und dadurch andererseits aus diesen ablesbar sind. Zweitens vermittelt die Landschaftsplanung bestimmte Vorstellungen über Funktionen, Bedeutungen und sichtbare Gestalt von Landschaft und trägt damit zu deren gesellschaftlicher Konstituierung bei. Bislang lagen jedoch keine systematisch erhobenen Erkenntnisse darüber vor, welche impliziten und expliziten Verständnisse von Landschaft landschaftsplanerischen Entscheidungen (mit) zu Grunde liegen, zumal das Landschaftsverständnis der Landschaftspläne in diesen nur selten explizit dargelegt oder reflektiert wird. Das Projekt soll daher einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der landschaftsplanerischen Konstruktion von Landschaft leisten und so auch zu einer größeren Transparenz landschaftsplanerisch wirksamer, aber oftmals unbewusster Motivationen, Vorstellungen und Werte beitragen. Unter ‚Landschaftsverständnis‘ verstehen wir die Summe aller Bedeutungen, die ‚Landschaft‘ (in den untersuchten Landschaftsplänen) zugewiesen werden. Bedeutungszuschreibungen bzw. -zuweisungen umfassen 2 | Ausführlich zu den Projekten und gemeinsamen Zielen des Projektverbundes ‚KULAKon‘: Leibenath in diesem Band.

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normative Vorstellungen über die ideale visuelle Erscheinung von Landschaft (Landschaftsbild), deren Nutzung sowie die Aufgaben, die Landschaft erfüllen soll (z.B. als Erholungsraum, als Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten, als landwirtschaftlich genutzter Raum). Daher haben wir ermittelt, welche Motive und Argumentationsmuster hinter der Bewertung von Landschaftsräumen, -elementen und -veränderungen stehen, um so aus der Gesamtheit der Bedeutungen, die in einem Landschaftsplan der Landschaft zugewiesen werden, auf das ihm zugrunde liegende Landschaftsverständnis zu schließen. In einem iterativen Prozess wurden drei idealtypische Kategorien von Bedeutungszuschreibungen hergeleitet. Diese sind jeweils tendenziell stärker orientiert an 1) ökologischen, 2) nutzungsbezogenen und 3) soziokulturellen Aspekten, die visuell-ästhetische Vorstellungen von Landschaft einschließen (Kap. 5). Da sich die Landschaftsverständnisse der untersuchten Pläne immer aus allen drei genannten Kategorien zusammensetzen, wird weiterhin untersucht, welche von ihnen größte Gewichtung erfährt. Im vorliegenden Beitrag werden zunächst Aufgaben, Ziele und Inhalte der Landschaftsplanung vorgestellt (Kap. 2). Nach der Darlegung der methodischen Grundlagen (Kap. 3) finden sich einige kurze Betrachtungen zur wissenschaftlichen Operationalisierung des Konstrukts ‚Landschaft‘ (Kap. 4). In Kapitel 5 wird der Analyserahmen vorgestellt, der zur Systematisierung der Bedeutungszuschreibungen diente, ehe in Kapitel 6 das empirisch ermittelte Landschaftsverständnis erläutert wird. Abschließend wird dieses thesenartig auf seine gesellschaftliche Anschlussfähigkeit hinterfragt (Kap. 7).

2. W AS IST L ANDSCHAF TSPL ANUNG ? Z IELE , A UFGABEN , I NHALTE , V ORGEHEN 3 Aufgabe der in den Naturschutzgesetzen des Bundes und der Länder geregelten Landschaftsplanung ist es, als flächendeckende, den besiedelten und unbesiedelten Raum umfassende Planung zur Verwirklichung der in § 1 festgelegten Ziele des Naturschutzes beizutragen. Die Landschaftspla3 | Kapitel 2 beruht in überwiegenden Teilen, auch in teils wörtlicher Übernahme, auf Heiland 2010. Für nähere Informationen vgl. dort enthaltene Literaturhinweise.

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nung befasst sich in umfassender Weise mit Schutz, Pflege und Entwicklung der biologischen Vielfalt, von Boden, Wasser, Klima, Luft, sowie des Landschaftsbildes und der Erholungseignung der Landschaft, und nicht zuletzt mit der Sicherstellung langfristiger Nutzungsmöglichkeiten natürlicher Ressourcen durch den Menschen. Sie lässt sich somit als räumlichkonzeptionelle Fachplanung des Naturschutzes bezeichnen.4 Ein Landschaftsplan besteht aus Karten und einem erläuternden Textteil. Er enthält eine Erfassung, Analyse und Bewertung des derzeitigen und künftig zu erwartenden Zustands von Natur und Landschaft. Den Bewertungsmaßstab bilden die für den jeweiligen Planungsraum zu konkretisierenden Ziele des Naturschutzes sowie die landschaftsplanerischen Vorgaben der jeweils übergeordneten Ebene (s.u.). Einzubeziehen sind auch raumordnerische Vorgaben. Weiterhin haben Landschaftspläne bestehende sowie zu erwartende Konflikte mit anderen Raumnutzungen darzustellen und hierfür Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Eine solche Konfliktanalyse und Abwägung zwischen miteinander konkurrierenden Zielen ist auch für verschiedene Ziele des Naturschutzes selbst durchzuführen, da diese nicht widerspruchsfrei sein müssen. Schließlich sind aus Zielformulierung und Konfliktanalyse Maßnahmen abzuleiten, die entweder durch Akteure des Naturschutzes oder im Rahmen anderer Landnutzungen (Siedlungswesen, Straßenbau, Land- und Forstwirtschaft, Rohstoffabbau) verwirklicht werden sollen. Landschaftspläne werden, je nach Bundesland, auf bis zu vier räumlichadministrativen Ebenen erstellt. Auf Ebene der Bundesländer formuliert das so genannte Landschaftsprogramm landesweite, übergeordnete Zielvorgaben mit geringer flächenbezogener Aussagegenauigkeit. Auf regionaler Ebene treffen die Landschaftsrahmenpläne für den jeweiligen Bezugraum (je nach Bundesland Planungsregion, Regierungsbezirk, Landkreis) bereits konkretere Aussagen. Die im Zentrum unseres Forschungsvorhabens stehenden kommunalen Landschaftspläne beziehen sich auf die Fläche einer Gemeinde (in Ausnahmefällen eines Landkreises) und werden i.d.R. im Maßstab von 1:10 000 erstellt. Für Teilbereiche einer Gemeinde, insbesondere für solche, für die ein Bebauungsplan besteht oder erforderlich ist, liefert die Landschaftsplanung in Form der Grünordnungspläne 4 | Sofern für die Landschaftsplanung eine Umweltprüfung vorgesehen ist, hat sie auch die Schutzgüter Mensch und menschliche Gesundheit sowie Kultur- und Sachgüter zu behandeln.

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Beiträge. Die Pläne der jeweils unteren Ebenen haben die Zielvorgaben der höheren Ebenen zu beachten und für ihren Planungsraum zu konkretisieren. Dadurch soll einerseits, soweit möglich, eine landesweit konzeptionell abgestimmte Planung erreicht werden, die andererseits den konkreten örtlichen Besonderheiten und Erfordernissen Rechnung trägt. Die Aufstellung und Verabschiedung von kommunalen Landschaftsplänen obliegt in der Regel den Gemeinden und deren Organen, die hierfür meist Büros für Landschaftsplanung beauftragen. Einbezogen werden Naturschutzbehörden sowie häufig andere raumrelevante Verwaltungen (z.B. Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserwirtschaft). Wenngleich die erforderlichen Inhalte und Arbeitsschritte zur Erstellung eines Landschaftsplans weitgehend einheitlich sind, so hat sich in den Bundesländern doch eine Vielfalt unterschiedlicher rechtlicher Regelungen und Modelle der Landschaftsplanung entwickelt. Dies betrifft neben der Zahl der Planungsebenen sowie der Art der Integration in die räumliche Gesamtplanung (durch die die Inhalte der Landschaftsplanung in der Regel erst Rechtsgültigkeit erhalten) auch die Zuständigkeit für die Planerstellung sowie die Bezugsräume und Maßstäbe der Planungen. Landschaftsplanung unterliegt folglich einer eigenen fachlichen Logik und ist Teil des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, der Fragen der zukünftigen Landschaftsentwicklung problematisiert. Denn sie hat ihre Inhalte und Ziele auch für Planungen und Verwaltungsverfahren anderer Politiksektoren aufzubereiten, die sich auf Natur und Landschaft im jeweiligen Planungsraum auswirken können. Umgekehrt sind diese Sektoren verpflichtet, die Inhalte der Landschaftsplanung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund bezeichnet von Haaren (2004, 49) die Landschaftsplanung als „querschnittsorientierte Fachplanung des Naturschutzes“. Die Wirkung der Landschaftsplanung (s.u.) hängt nicht zuletzt von ihrer Akzeptanz bei jenen ab, die sie umsetzen sollen. Daher ist es, v.a. auf kommunaler Ebene, von erheblicher Bedeutung, betroffene und interessierte Akteure (Grundeigentümer, Landbewirtschafter, Umweltverbände u.a.) intensiv in die Diskussion über Inhalte, Ziele und Maßnahmen des Landschaftsplans einzubinden. Landschaftsplanung umfasst also auch Kommunikation und Kooperation mit relevanten Akteuren sowie die Steuerung der hierfür erforderlichen Prozesse.

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3. U NTERSUCHUNGSFR AGEN UND ME THODISCHES V ORGEHEN Zentrales Interesse des Vorhabens war es, die in kommunalen Landschaftsplänen vertretenen Landschaftsverständnisse nachzuvollziehen und zu kategorisieren. Diese Zielstellung wird anhand folgender Untersuchungsfragen operationalisiert: 1. Welche Bedeutung(en) von Landschaft werden in den Plänen vermittelt? Ň Welche Bedeutungen werden Landschaft zugeschrieben und wie sind diese gewichtet (z.B. als Lebensraum für Arten, zur menschlichen Erholung, zum Zwecke landwirtschaftlicher Produktion oder zur Identifikation der Menschen mit ihrem Wohnort)? Ň Welche Argumente werden zur Begründung der jeweiligen Sichtweise in den verschiedenen Arbeitsschritten herangezogen? 2. Welche Rolle spielen gesellschaftliche Ansprüche und individuelle Bedürfnisse? Ň Wird Landschaft als Raum zur Erfüllung gesellschaftlicher Ansprüche bzw. individueller Bedürfnisse gesehen? Ň Inwiefern berücksichtigt das Landschaftsverständnis menschliche Nutzungsansprüche? Ň Wie werden anthropogen verursachte Landschaftsveränderungen bewertet? 3. Welche visuell wahrnehmbare Gestalt der Landschaft (Landschaftsbild) wird als Ideal angestrebt? Diese Fragen legen ein qualitatives Forschungsdesign nahe. Da „Landschaften […] ‚Sinngebilde‘ [sind], die es mithilfe hermeneutischer, d.h. geisteswissenschaftlicher, sinninterpretierender Verfahren zu entschlüsseln gilt“ (Voigt 2009, 9), entschieden wir uns für eine solche, hermeneutische Vorgehensweise. Dabei wird nach den Intentionen der Verfasser von Texten gefragt, um diese auslegen und deuten zu können (Kromrey 2002). Die Untersuchung wurde mittels einer Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2008) durchgeführt. Mögliche Zusammenhänge werden dabei auf ihre Plausibilität geprüft, ohne dass sich Kausalitäten eindeutig und zweifelsfrei belegen lassen. Um den in den untersuchten Plänen enthaltenen Landschaftsverständnissen möglichst gerecht zu werden und sie nicht

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in ein vorgefertigtes Ordnungssystem zu pressen, das mit den empirisch ermittelten Inhalten möglicherweise nicht korreliert, gingen wir nicht deduktiv, sondern induktiv vor. Da nicht nur explizit geäußerte (und in den Plänen kaum vorkommende!), sondern ebenso implizite Landschaftsverständnisse von Interesse waren, war eine Analyse des vollständigen Erläuterungsberichts der Landschaftspläne erforderlich. Dadurch können auch Phänomene unter dem Gesichtspunkt der Konstituierung von Landschaft erörtert werden, die nicht explizit mit den Worten ‚Landschaft‘ oder ‚Kulturlandschaft‘ in Verbindung stehen.5 Um die Gewichtung der verschiedenen Bedeutungszuweisungen (‚ökologisch orientiert‘, ‚nutzungsbezogen‘, ‚soziokulturell orientiert‘; vgl. unten) im Landschaftsverständnis eines Plans ermitteln zu können, wurde analysiert, wie häufig bestimmte Begründungsmuster vorkamen, an welcher Stelle und in Bezug auf welche Schutzgüter sie auftraten, wie eindeutig sie formuliert waren und wie stark sie hervorgehoben wurden. Zur Beantwortung der Fragestellungen ist nicht maßgeblich, welche Bedeutungen etwa der Erreichung eines Ziels oder der Umsetzung einer Maßnahme potenziell zugeschrieben werden könnten, sondern welche Bedeutung ihnen im jeweiligen Plan tatsächlich zugewiesen wird. Häufig nämlich lassen sich Bewertungen, Ziele und Maßnahmen mit unterschiedlichen Argumenten begründen: Beispielsweise könnte eine Heckenpflanzung zum Artenschutz, zur Vermeidung von Bodenerosion oder zur Aufwertung des Landschaftsbildes beitragen – sofern sie im Plan aber lediglich mit der Schaffung von Lebensraum für bestimmte Arten begründet wurde, wurde in der Analyse auch nur dieses Argument berücksichtigt. Die Kartenwerke der Pläne hätten eine solche Analyse nicht zugelassen, da nur im Erläuterungsbericht die entsprechenden Bedeutungszuschreibungen und Motive zum Ausdruck kommen. Karten wurden daher lediglich stichprobenartig in die Analyse einbezogen – zusätzliche Erkenntnisse ergaben sich hierdurch nicht. Es wurden Erläuterungsberichte von neun Landschaftsplänen untersucht (siehe Tab. 1). Auf eine Schichtung der bundesweiten Zufallsauswahl 5 | Entsprechende Untersuchungen zum semantischen Bedeutungsfeld der Worte ‚Landschaft‘ und ‚Kulturlandschaft‘ in Landschaftsplänen waren bereits zuvor durchgeführt worden und sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. Vgl. hierzu Wojtkiewicz & Heiland 2012.

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der Pläne wurde verzichtet, da sich bereits in den vorgeschalteten semantischen Analysen gezeigt hatte, dass sich das Landschaftsverständnis nicht in Abhängigkeit von Bundesland, Raumstrukturtyp oder Jahr der Beschlussfassung der Landschaftspläne unterscheidet. Hinsichtlich formaler Kriterien wie Gliederung, Sprache, Stil sowie Layout unterscheiden sich die Pläne zum Teil erheblich voneinander, was ihre Vergleichbarkeit erschwerte. Außerdem war die Nachvollziehbarkeit der Argumentation aufgrund einer häufig unzureichenden Struktur der Pläne in der Regel mühsam. Tabelle 1: Übersicht über die ausgewählten Landschaftspläne Kommune

Bundesland

Jahr

Beckingen

Saarland

2006

Godern

Mecklenburg-Vorpommern

2006

Hannover

Niedersachsen

2002

Isernhagen

Niedersachsen

2009

Magstadt

Baden-Württemberg

2008

Neuenhagen

Brandenburg

2000

Neuerburg

Rheinland-Pfalz

2003

Wahlsburg

Hessen

1993

Weilerswist

Nordrhein-Westfalen

2004

4. ‚L ANDSCHAF T ‘ – Z WISCHEN GANZHEITLICHER B E TR ACHTUNG UND ANALY TISCH SEGMENTIERTEM F ORSCHUNGSGEGENSTAND Dem in Kapitel 3 beschriebenen methodischen Ansatz liegt die Setzung zu Grunde, dass Landschaftsverständnisse unabhängig davon identifiziert werden können, ob die Worte ‚Landschaft‘ oder ‚Kulturlandschaft‘ verwendet werden oder nicht. Dabei wird unterstellt, dass sich ein Landschaftsplan in all seinen Teilen letztlich mit Landschaft als ganzheitlichem Phänomen befasst, und zwar auch bei der Erörterung beispielsweise der Naturgüter Boden oder Wasser. Diese Prämissen sind aus folgenden Gründen sowohl sinnvoll als auch nötig:

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1. Dem Kernanliegen des Projekts entsprechend, Werte und Bedeutungen, die mit Landschaft in Landschaftsplänen verbunden werden, zu ermitteln, beschränken wir uns ausdrücklich nicht nur auf die visuelle Ebene, d.h. auf die Untersuchung von Vorstellungen eines idealen Landschaftsbildes. Die Ergebnisse der durchgeführten semantischen Analysen (Wojtkiewicz und Heiland 2012) hatten jedoch gezeigt, dass sich die Verwendung dieser beiden Worte vornehmlich stark auf die visuelle Wahrnehmung bezieht. Auch konnten mit den semantischen Analysen nur jene Textteile der Landschaftspläne betrachtet werden, in denen die Worte ‚Landschaft‘ und ‚Kulturlandschaft‘ verwendet werden. 2. Die Landschaftsplanung ist eines der wenigen mit Landschaft befassten gesellschaftlichen Handlungsfelder, die diesen Begriff explizit im Namen führen. Schon mit der Bezeichnung ‚Landschaftsplan‘ wird vermittelt, dass ‚Landschaft‘ im Fokus der Planung steht. Damit werden in der Außenwirkung auch Vorstellungen von Landschaft konstruiert. 3. Schließlich entspricht dieser Zugang der landschaftsplanerischen Vorgehensweise selbst. Da Landschaft ‚als Ganzes‘ nicht Gegenstand der Planung sein kann, bedarf sie der analytischen Trennung in einzelne Natur- oder Schutzgüter, wie z.B. in Boden, Wasser, Arten und Biotope sowie Landschaftsbild (Jessel und Tobias 2002, von Haaren 2004, vgl. auch Trepl 1995).6

6 | An dieser Stelle könnte man fragen, ob die Landschaftsplanung ihren Namen denn überhaupt zu Recht trage oder nicht eher eine „Schutzgüterplanung“ im Sinne einer „ökologisch orientierten Landnutzungsplanung“ sei. Dieser Einwand ist nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Allerdings hat sich Landschaftsplanung als Name eines rechtlich normierten Planungsinstruments, eines Berufsstandes wie auch einschlägiger Studiengänge verfestigt und wird in der Fachliteratur entsprechend behandelt. Zudem ist nicht zu bestreiten, dass sich der Umgang mit einzelnen Naturgütern wiederum auf Funktionsweise, Leistungsfähigkeit und Erscheinungsbild der Landschaft auswirkt. Insofern scheint diese Setzung gerechtfertigt.

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5. W ELCHE IDE ALT YPISCHEN B EDEUTUNGSZUSCHREIBUNGEN SIND IN L ANDSCHAF TSVERSTÄNDNISSEN ENTHALTEN ? – E NT WICKLUNG DES A NALYSER AHMENS 5.1 Vorgehensweise In der Literatur werden Landschaftsverständnisse auf unterschiedliche Weise kategorisiert, wobei neben der Bezeichnung ‚Kategorie‘ die Begriffe ‚Aspekte‘ (Schaich et al. 2010), ‚Gegenstandsfelder‘ (Ipsen 2002), ‚Dimensionen‘ (Backhaus 2010, Backhaus und Stremlow 2010) sowie ‚Diskurse‘ (Jones und Daugstad 1997, Chilla 2007, Collier und Scott 2009) Verwendung finden. Trotz dieser unterschiedlichen Benennungen, die auch auf unterschiedlichen methodischen und theoretischen Zugängen beruhen, stehen dahinter ähnliche Logiken, die darauf gerichtet sind, differente Sichtweisen und Bedeutungszuschreibungen zu Landschaft zu systematisieren. Schaich et al. (2010) stellen Landschaft als sozial-ökologisches System dar, in welchem soziale, ökonomische und ökologische Aspekte eng miteinander verknüpft sind. Ipsens (2002) Gegenstandsfelder von Landschaft sind a) die jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten, b) die Landschaftsnutzung, der auch ihre soziale Strukturierung etwa durch Eigentumsverhältnisse, Milieus und Netzwerke zugerechnet wird, sowie c) die soziokulturelle Bedeutung von Landschaft, etwa in Form von Traditionen, symbolischer Bedeutung und Heimat. Jones & Daugstadt (1997) identifizieren in ihrer breit angelegten Analyse skandinavischer Dokumente aus den administrativen Sektoren Landwirtschaft, Naturschutz, Denkmalschutz und Planung vier Diskurse, die mit dem Konzept ‚Kulturlandschaft‘ verbunden werden. In unterschiedlich starker Ausprägung finden sich dort ökonomische, ökologische, kulturhistorische und ästhetische Werte und Bedeutungen. Chilla (2007) beschränkt sich bei der Untersuchung der Frage, wie und wann Natur und Raum7 bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie konstruiert werden, auf die Gegenüberstellung von biozentrierten und sozioökonomischen Diskursen. Collier & Scott (2009) gehen in einer empirischen Untersuchung der Frage nach, welche Ratio7 | Chillas Verständnis der „Konstruktion von Natur und Raum“ lässt sich im Rahmen der Analyse des gesamten Erläuterungsberichtes als analog zur hier untersuchten Frage der „Konstruktion von Landschaft“ betrachten.

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nalitäten Akteure in der Diskussion um die Renaturierung von Mooren verfolgen, und identifizieren dabei soziale, nutzungsbezogene und ökologische Diskurse. Backhaus et al. (2007) extrahieren aus den Ergebnissen der Projekte des schweizerischen Forschungsprogramms „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ sechs Dimensionen der Landschaftswahrnehmung: die körperlich-sinnliche, die identifikatorische, die ästhetische, die ökonomische, die ökologische sowie die politische Dimension (Backhaus et al. 2008, Backhaus 2010, Backhaus und Stremlow 2010). Entsprechend der oben beschriebenen Methodik haben wir das landschaftsplanerische Landschaftsverständnis aus dem empirischen Material herausgefiltert. Dazu wurden Bedeutungen, die Landschaft in den Plänen zugeschrieben werden, identifiziert und anschließend gruppiert, so dass daraus Kategorien von Bedeutungszuschreibungen abgeleitet werden konnten. Die spezifische Kombination dieser Zuschreibungen in einem Landschaftsplan bildet dessen Landschaftsverständnis. Untersucht wurde, ob sich diese plan-spezifischen Landschaftsverständnisse unterscheiden oder so stark ähneln, dass von einem einheitlichen Landschaftsverständnis der Landschaftsplanung gesprochen werden kann. Die o.g. bereits existierenden Kategorisierungsansätze wurden dabei auf Grundlage unseres empirischen Materials in modifizierter Form berücksichtigt und dienten dazu, die ermittelten Kategorien theoretisch und methodologisch zu konsolidieren. So konnten in einem zirkulären Prozess von Literaturauswertung und Plananalyse idealtypische Kategorien unterschiedlicher Bedeutungszuschreibungen entwickelt werden. Dadurch entstand ein breit gefasstes analytisches Gerüst, das der Systematisierung der in den Landschaftsplänen feststellbaren Landschaftsverständnisse dient. Als Ergebnis der beschriebenen Vorgehensweise wurden die in Landschaftsplänen vorgefundenen Bedeutungszuschreibungen idealtypisch in ‚ökologisch‘ orientierte8, soziokulturell orientierte und nutzungsorientier8 | Das Wort ‚ökologisch‘ ist bewusst in Anführungszeichen gesetzt, um deutlich zu machen, dass sich diese Landschaftsverständnisse zwar auf wissenschaftliche Grundlagen der Ökologie beziehen, aber normativ stark aufgeladen sind, so dass sie der wissenschaftlichen Sphäre entwachsen. ‚Ökologisch‘ ist somit nicht (nur) im Sinne der Wissenschaft Ökologie zu verstehen, sondern vornehmlich im umgangssprachlichen Sinne von ‚naturverträglich‘, ‚umweltgerecht‘, ‚naturschützerisch‘ etc. Die normative Aufladung ist im Rahmen planerischer Prozesse legitim und gar nicht anders möglich. Aber auch in wissenschaftlichen ökologischen

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te Kategorien unterteilt. Allerdings sind diese Kategorien zueinander nicht völlig trennscharf. So wird bspw. die ästhetische Wertschätzung von Landschaft als Ausdruck soziokulturell orientierter Bedeutungszuschreibungen in einigen Plänen in engen Bezug zum Tourismus und damit zu wirtschaftlicher Entwicklung gesetzt, also zu nutzungsorientierten Zuweisungen (ähnlich Backhaus 2010, 54). Diese, im Folgenden näher beschriebenen Kategorien von Bedeutungszuweisungen, treten in den Plänen nicht in Reinform und auch nicht ausschließlich auf. Vielmehr setzt sich das empirisch feststellbare Landschaftsverständnis jedes einzelnen Plans aus allen dieser Kategorien zusammen – wobei starke Gemeinsamkeiten zwischen den analysierten Plänen bestehen (s. zu den empirischen Ergebnissen Kap. 6).

5.2 ‚Ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen Im Rahmen ‚ökologisch‘ orientierter Bedeutungszuweisungen wird Landschaft als eine sich aus materiellen Elementen zusammensetzende physische Entität verstanden, wobei die Naturgüter Boden, Wasser, Luft sowie Tier- und Pflanzenarten einschließlich ihres Zusammenwirkens eine wesentliche Rolle spielen. Wir unterscheiden dabei drei, sich teilweise überschneidende Ausprägungen ‚ökologischer‘ Zuschreibungen (ähnlich Roweck 1995). Diese sind tendenziell entweder an Schutz und Konservierung bestimmter Strukturen oder an der Erhaltung von Prozessen orientiert. Ň Bedeutungszuschreibungen, die den Arten- und Biotopschutz sowie die Erhaltung biologischer Vielfalt in den Vordergrund stellen, sind in ihrer derzeitigen Ausprägung eher konservierend auf die Erhaltung, Pflege, ggf. auch auf die Wiederherstellung bestimmter, als wertvoll betrachteter Strukturen ausgerichtet. Ziel ist es, wildlebende Tiere und Pflanzen in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt zu schützen. Landschaft erlangt vornehmlich als Lebensraum von Tieren und Pflanzen und im Kontext der Verwendung des Begriffs ‚Biologische Vielfalt‘ Bedeutung. Theorien spiegeln sich Ideen über gesellschaftliche Prozesse wider, wie Kirchhoff et al. (2010) zeigen. Den ‚ökologisch‘ orientierten Landschaftsverständnissen liegt demnach sowohl in Wissenschaft als auch in Planung eine unausgesprochene gesellschaftlich ausgehandelte Übereinkunft darüber zugrunde, was die „Erfordernisse der Natur“ sind bzw. was ‚ökologisch‘ ist und was nicht.

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Ň Eine zweite ‚ökologisch‘ orientierte Zuschreibung bezieht sich auf die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Natur- bzw. Landschaftshaushalts und ist damit vornehmlich auf den Schutz bzw. eine an bestimmten naturschutzfachlichen Leitbildern orientierte Entwicklung der abiotischen Umweltmedien Boden, Wasser und Klima/Luft gerichtet. Ň Die dritte ‚ökologisch‘ orientierte Zuschreibung hat den ungestörten Ablauf natürlicher Prozesse, z.B. in Form von Sukzession, zum Ziel. Diese Bedeutungszuweisung liegt dem so genannten ‚dynamischen Naturschutz‘ (u.a. Kowarik 2005) zu Grunde, der Bemühungen um Prozessschutz und Wildnisentwicklung beinhaltet. Indem Landschaft einer selbsttätigen Dynamik überlassen wird, sollen die Voraussetzungen für maximale Natürlichkeit und die Entwicklung bzw. Wiederherstellung ursprünglicher bzw. sekundärer Naturlandschaften geschaffen werden. Diese Zuschreibung ist damit stärker prozess- und entwicklungsorientiert als die beiden erstgenannten.9 Allerdings ist der Entwicklungsgedanke nicht auf gesellschaftliche Ansprüche gerichtet, sondern auf ‚natürliche‘ Entwicklungen, die vor menschlichen Eingriffen geschützt werden müssen.

5.3 Soziokulturell orientierte Bedeutungszuschreibungen Während im Rahmen ‚ökologisch‘ orientierter Bedeutungszuschreibungen Landschaft vorwiegend materiell-physisch begriffen wird, wird in soziokulturellen Verständnissen Landschaft aus kulturellen, historischen, symbolischen sowie ästhetischen Motiven als bedeutsam behandelt, z.B. als Identifikationsort und als Zeugnis der Geschichte. Soziokulturelle Bedeutungszuschreibungen sind somit eng verbunden mit der konservativen Kulturkritik der Romantik, in der ‚Landschaft‘ zum Gegenkonzept zur Naturbeherrschung der Moderne wurde. In Anlehnung an Back-

9 | Häufig geht es dabei allerdings nicht um das Zulassen jeglicher Naturdynamik, egal welchen Zustand sie hervorbringt, sondern lediglich um die Förderung solcher Prozesse, die zur Annäherung an einen als ursprünglich betrachteten Naturzustand führen. Da es auch hier um die Erreichung eines eng definierten, durch den Menschen gewünschten Zieles geht, besteht hier eine starke Gemeinsamkeit mit dem konservierenden Landschafts- bzw. Naturschutzverständnis (Heiland und Kowarik 2008).

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haus & Stremlow (2010) unterscheiden wir folgende Dimensionen soziokultureller Bedeutungszuschreibungen: Ň Die körperlich-sinnliche Dimension stellt die leibliche Erfahrung und das Erleben von Landschaft in den Mittelpunkt. Der Einfluss beispielsweise von Klängen, Licht, Geräuschen und Luft spielt hier eine besondere Rolle. Ň Die ästhetische Dimension verweist auf die Wertschätzung von Schönheit und Harmonie. Ň Zentrale Idee der kulturhistorischen Dimension ist die Bewahrung und Wiederherstellung der historischen Eigenart der Landschaft aufgrund ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung sowie als Zeugnis menschlichen Handelns und menschlicher Geschichte (Roweck 1995). Ň Die identifikatorische Dimension wird häufig mit dem Begriff Heimat verbunden (z.B. Stremlow 2008). Der Wiedererkennungswert einer Landschaft sowie ihr Potenzial, als Projektionsfläche für Vertrautheit, emotionale Bindung und Zugehörigkeit zu dienen, spielen hierfür eine wichtige Rolle. Landschaft wird damit nicht nur als Träger gesellschaftlicher Geschichte, sondern auch individueller Biographien interpretiert. „Damit werden Landschaften zu Symbolen der Erinnerung, der Vertrautheit sowie des ‚Bei-sich-Seins‘.“ (Backhaus und Stremlow 2010, 348) Die Dimensionen soziokultureller Bedeutungszuschreibungen stehen nicht in direkter Abhängigkeit zueinander. Ästhetische Empfindungen etwa müssen weder für den Identifikationsprozess mit einer Landschaft noch für die körperliche Erfahrung von Landschaft zwangsläufig eine Rolle spielen. Für die Herausbildung von Heimatgefühl sind zudem nicht nur ästhetische, sondern ebenso emotionale, soziale, kulturelle, sinnliche und politische Faktoren von Bedeutung, die sich nicht auf landschaftliche Aspekte zurückführen lassen (Gebhard et al. 2007, Kühne 2009, Stremlow 2008).

5.4 Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen implizieren einen zweckrationalen Zugang zu Landschaft, bei dem ihre Nützlichkeit für den Menschen, insbesondere die ökonomische Wertschöpfung, im Vordergrund steht. Im Gegensatz zu soziokulturellen Zuweisungen, die den ‚ideellen‘

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Nutzen von Landschaft für den Menschen betonen, zielen nutzungsorientierte Zuschreibungen auf einen materiellen, häufig ökonomisch verwertbaren Nutzen ab. Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen umfassen idealtypisch Ň die Bereitstellung von Ressourcen, z.B. die Versorgung mit Trinkwasser, Holz oder Nahrungsmitteln, Ň die Erhaltung oder Schaffung natürlicher Voraussetzungen für die Befriedigung ökonomisch relevanter gesellschaftlicher Bedürfnisse – etwa durch Hochwasserschutz, Luftreinhaltung oder die Erhaltung fruchtbarer Böden durch Erosionsschutz10, Ň Nutzungen wie Land- und Forstwirtschaft, Tourismus, Siedlungsentwicklung, Industrie und Gewerbe, Verkehr und andere Infrastrukturen, Ň die ökonomische Inwertsetzung von Landschaft durch touristische Maßnahmen sowie Standortmarketing, womit sich insbesondere Akteure der Regionalentwicklung befassen. Landschaft wird in dieser Sichtweise zu einem Potenzial und ‚weichen Standortfaktor‘ für die wirtschaftliche Entwicklung (Curdes 1999, BBR 2009).

6. L ANDSCHAF TSVERSTÄNDNISSE IN KOMMUNALEN L ANDSCHAF TSPL ÄNEN In den Landschaftsplänen lassen sich alle drei idealtypischen Kategorien nachweisen, allerdings in keinem Plan in ihrer vollständigen oben aufgezeigten inhaltlichen Breite. Innerhalb der einzelnen Pläne kann – sofern die z.T. mangelhafte Nachvollziehbarkeit der Texte eine eindeutige Aussage zuließ – keine signifikante Differenz der Landschaftsverständnisse zwischen den Arbeitsschritten bzw. Kapiteln (Bestandsaufnahme, Bestandsbewertung, Konfliktanalyse, Ziel- und Maßnahmenentwicklung) festgestellt werden. Aus Bestandsaufnahme und Bewertung werden in (mehr oder weniger) logischer Folge Ziele und Maßnahmen entwickelt, wobei allerdings 10 | Begründungen und Maßnahmen wie diese sind dann nicht Teil ‚ökologisch‘ orientierter Landschaftsverständnisse, wenn sie das Augenmerk auf die ökonomisch relevanten Funktions- bzw. Nutzungsfähigkeit von Umweltgütern richten.

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nicht alle in Bestandsaufnahme und -bewertung verwendeten Argumentationsmuster und Kriterien im Rahmen der Ziel- und Maßnahmenentwicklung wieder aufgegriffen werden. Dies gilt beispielsweise für Klimafunktionen, Erholungsnutzung und die Archivfunktion von Böden, die zwar im Rahmen von Bestandsaufnahme und Bewertung noch eine Rolle gespielt haben, sich jedoch in der Konkretisierung von Maßnahmen nicht mehr wiederfinden (Gemeinde Beckingen 2006). Im Folgenden werden die Ergebnisse anhand der entwickelten Kategorien Bedeutungszuweisungen zusammenfassend für alle untersuchten Landschaftspläne dargestellt.

6.1 ‚Ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen In allen Plänen überwiegen ‚ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen – sowohl in quantitativer (Seitenzahlen) als auch qualitativer Hinsicht (Maßnahmenvorschläge, argumentative Berücksichtigung)11 . Beispielsweise umfasst das „ökologische Entwicklungskonzept“ der Gemeinde Magstadt (2008, 9) keine landschaftsästhetischen, sondern nur landschaftsökologische Aspekte. Der Plan wird durch viele ökologische Hintergrundinformationen und Erläuterungen z.B. zur Entstehung von Grund- und Sickerwasser angereichert. Im Landschaftsplan Beckingen werden unter der Überschrift „Veränderungen und Beeinträchtigung des Landschaftsbildes“ zuerst pedologische, hydrologische und klimatische Negativwirkungen genannt, ehe auch ästhetische Störungen erwähnt werden: „Jede Neuerschließung und damit Bodenversieglung geht zu Lasten des Naturhaushaltes: Neben der Bodenverdichtung und Verhinderung der Versickerung des Regenwassers beeinflussen neue Gebäude auch das lokale Klima und wirken sich 11 | Der Landschaftsplan für den Stadtteil Linden-Limmer in Hannover (Landeshauptstadt Hannover 2000) nimmt eine Sonderstellung ein, da er für einen innerstädtischen Teilausschnitt einer Großstadt erstellt wurde. Es war explizites Ziel dieses Plans, einen dicht bebauten, durch die Industrialisierung geprägten Stadtteil aufzuwerten und die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern (ebd.: 74). Stärker als in allen anderen analysierten Plänen werden daher soziokulturelle Aspekte von Landschaft thematisiert und in der Planung berücksichtigt. Dennoch nimmt auch dort ein ‚ökologisch‘ orientiertes Landschaftsverständnis zumindest in quantitativer Hinsicht einen prominenten Platz ein.

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je nach ihrer Lage negativ auf das Landschaftsbild aus, da durch sie häufig wichtige Eingrünungen der Siedlungen verloren gehen.“ (Gemeinde Beckingen 2006, 50)

Insbesondere der Schutz von Arten und Biotopen tritt bei allen Plänen soweit in den Vordergrund, dass von einer Dominanz der Interpretation von ‚Landschaft als Lebensraum für Flora und Fauna‘ gesprochen werden kann. Bei konfligierenden Planungsziele wird dem Schutz von Arten und Biotopen meist Priorität vor anderen Ansprüchen, etwa der Erholung, eingeräumt: „Um eine naturverträgliche Freizeitnutzung am nördlichen Wietzesee zu gewährleisten, soll die Erholungsnutzung reglementiert werden, indem einerseits Badestellen festgelegt und Tabuzonen zum Schutz der Pflanzen- und Tierwelt ausgewiesen werden.“ (Gemeinde Isernhagen 2009, 83. Vgl. auch Gemeinde Weilerswist 2004, 7)

Auch in die Bewertungen der abiotischen Naturgüter und des Landschaftsbildes sowie daraus abgeleiteten Zielen fließen teilweise Argumente des Arten- und Biotopschutzes ein. Gewässer und Boden sollen u.a. als Lebensraum für Tiere und Pflanzen geschützt und entwickelt werden; im Rahmen der Landschaftsbildbewertung erfahren artenreiche Biotope besondere Gewichtung – was nicht mit den damit verbundenen ästhetischen Qualitäten begründet wird, sondern mit dem Argument ‚Artenreichtum‘. So gehört im Landschaftsplan Godern u.a. die „Sicherung der Rast-, Schlaf-, Nahrungs- und Mauserplätze geschützter Vogelarten“ (Gemeinde Godern 2006, 38) zu den Entwicklungszielen für das Landschaftsbild. Weiter heißt es in diesem Zusammenhang: „Der Substanzerhalt historischer Relikte ist nicht nur für das Landschaftsbild und damit verbunden für die Erlebbarkeit der Landschaftsgeschichte bedeutsam, sondern auch für den Schutz der vielfältigen anthropogen beeinflussten und gebildeten Biotoptypen.“ (Gemeinde Godern 2006, 43)

In einigen Plänen beziehen sich auch das integrierte Zielkonzept und Maßnahmen überwiegend auf den Arten- und Biotopschutz. Beispielsweise werden im Landschaftsplan Isernhagen bei der Bewertung vorgesehener Eingriffe in Naturhaushalt und Landschaftsbild lediglich Beeinträchtigun-

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gen von Biotoptypen, der Grundwasserneubildungsrate und von faunistischen Lebensräumen „als besonders bedeutsam eingestuft“ (Gemeinde Isernhagen 2009, 75), während Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds überhaupt nicht erwähnt werden. An der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts orientierte Bedeutungszuschreibungen sind vorwiegend im Kontext der Bearbeitung der abiotischen Schutzgüter zu erkennen, Arten- und Biotopschutz spielen hier kaum mehr eine Rolle: „Aufgabe der Landschaftsplanung ist es, die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit und das Zusammenwirken von Boden, Wasser, Luft und Klima im Naturhaushalt zu erhalten, zu entwickeln oder wiederherzustellen.“ (Gemeinde Beckingen 2006, 2) Hier wird Landschaft als ‚Träger‘ eines funktionsfähigen Naturhaushalts verstanden, was sich auch daraus schließen lässt, dass die Maßnahmen zu den Schutzgütern Boden und Gewässer häufig dem Ziel der Erhaltung und Wiederherstellung der Leistungs- und Regenerationsfähigkeit der Landschaft dienen sollen und um die Erhaltung der Selbstregulation des Naturhaushalts, z.B. der Selbstreinigung des Wassers kreisen. Neben vereinzelten expliziten Nennungen wird Landschaft vornehmlich implizit in Bezug zur Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts gesetzt. Dies zeigt sich etwa, wenn die Auswirkungen von Nutzungen sowohl auf einzelne Schutzgüter als auch auf den Naturhaushalt insgesamt dargestellt werden (Gemeinde Wahlsburg 1993). Sichtweisen, die Landschaft auch als Raum für den ungestörten und ungesteuerten Ablauf natürlicher Prozesse Bedeutung zuweisen, spielen in den untersuchten Plänen kaum eine Rolle. Konzepte wie Prozessschutz oder Wildnisentwicklung konnten nicht ermittelt werden. Allenfalls Maßnahmen zur Schaffung naturnaher Gewässerstrukturen oder zur naturnahen Bewirtschaftung im Rahmen des Waldumbaus durch das Zulassen von Sukzession (Gemeinde Beckingen 2006, 84-85, Gemeinde Godern 2006) könnten in diese Richtung interpretiert werden. „Der ökologische Wert eines Gewässers wird in hohem Maße von der Naturnähe bzw. dem Ausbaugrad des Gewässers bestimmt. Naturnahe Gewässerläufe besitzen eine strukturreiche Gewässersohle, die der aquatischen Fauna Lebensraum bietet. Ihre Ufer sind mit Gehölzen bestanden, die wesentlich zur Gewässerstruktur und -dynamik beitragen, was sich sowohl positiv auf den Wasserhaushalt und die Selbstreinigungskraft als auch auf Fauna und Flora auswirkt.“ (Gemeinde Beckingen 2006, 18)

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Insgesamt liegt ein klarer Fokus auf einem an bestehenden oder geplanten ‚natürlichen‘ oder naturnahen Strukturen orientierten, konservierenden Verständnis von Landschaft.

6.2 Soziokulturell orientierte Bedeutungszuschreibungen Soziokulturell orientierte Bedeutungszuschreibungen spielen gegenüber den ‚ökologisch‘ orientierten eine untergeordnete Rolle in den untersuchten Plänen. Sie sind fast ausschließlich bei der Behandlung des Schutzgutes Landschaftsbild von Relevanz, meist in Verbindung mit der Nennung des Wortes ‚Landschaft‘. In erster Linie beziehen sich soziokulturelle Zuweisungen auf die ästhetische Dimension von Landschaft. Dabei wird häufig die Subjektivität der Bewertung ästhetischer Qualitäten von Landschaft und die damit verbundene Einschränkung einer ‚planerisch objektiven Bewertung‘ thematisiert. Dennoch stellen sich alle Landschaftspläne dieser Aufgaben und vermitteln durchgehend ein ähnliches Bild einer wünschenswerten Landschaftsgestalt sowie der hierfür geeigneten Maßnahmen. Von höchster Bedeutung für eine positive Bewertung des Landschaftsbilds sind Naturnähe, Kleinräumigkeit sowie Strukturreichtum. Daneben werden extensive Nutzungsformen, halboffene Landschaftsräume, Abwechslungsreichtum, mannigfaltige Blickbeziehungen, Gewässer, bewegtes Relief, historische Gliederungselemente sowie landschaftsräumliche und faunistische Vielfalt positiv gewürdigt. In fast allen Plänen findet sich auch die Forderung nach Sicherung und Erhaltung bzw. Ausbau der ortsnahen Streuobstwiesen und -weiden sowie von Heckenelementen; einige Pläne stufen auch bestimmte Waldtypen aufgrund ihrer Ursprünglichkeit und besonders typischen Ausprägung als ästhetisch wertvoll ein. Auch Hinweise auf die Bedeutung des Unverwechselbaren und Charakteristischen einer Landschaft finden sich. Besonderes Augenmerk wird in allen Plänen (meist im Kontext des Schutzgutes Landschaftsbild) auf die Gestaltung eines strukturreichen Übergangs zwischen Siedlung und freier Landschaft gerichtet. Dieser soll sowohl ästhetischen und kulturhistorischen Ansprüchen genügen als auch ökologische Funktionen, etwa für Biotopverbund oder Klima, übernehmen: „Vor allem Wälder, Gehölzriegel und Streuobstflächen stellen wichtige Eingrünungen der Siedlungen dar, die zum Strukturreichtum beitragen und sich positiv auf Landschaftsbild und den Klimahaushalt auswirken.“ (Gemeinde Beckingen 2006, 50. Vgl.

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ebd., 80, Gemeinde Magstadt 2008, 20, Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 52, Gemeinde Neuerburg 2003, 34, Gemeinde Weilerswist 2004, 4, Gemeinde Godern 2006) Negativ bewertet werden hingegen als monoton, unproportional oder untypisch bezeichnete Erscheinungen, wie z.B. Forste, störende Baukörper, ausgeräumte Feldflure oder Infrastrukturen wie Autobahnen, Rastplätze oder Freileitungen (Kap. 6.3). Eine weiter gehende Begründung dessen, was und warum etwas als monoton, unproportional oder untypisch zu betrachten ist, erfolgt kaum. Insgesamt erfahren Landschaftselemente, die vornehmlich im Zusammenhang mit der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts entstanden sind, z.B. Hecken, Trockenwiesen, Streuobstwiesen und Feldgehölze, eine hohe Wertschätzung. Hingegen versuchen alle Pläne aktuellen, für das 20. und 21. Jahrhundert typischen Nutzungsformen und daraus resultierenden Landschaftsveränderungen entgegenzuwirken: Intensivierung der Landwirtschaft, Gewässerausbau oder Siedlungs- und Verkehrsflächenentwicklung. Die agrarisch geprägte Landschaft des 19. Jh. scheint somit eine wichtige Referenz für die Landschaftsplanung darzustellen12 . In enger Verbindung mit dem Landschaftsbild wird die Erholungseignung betrachtet, wobei – in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben – nur ruhige, den naturräumlichen Bedingungen angepasste Erholungsformen berücksichtigt werden: „Die Untersuchung des gebietseigenen Erholungspotenzials ist in diesem Rahmen auf ‚sanfte‘ Erholungsformen wie Wandern, Natur beobachten, Radfahren etc. ausgerichtet. Diese Erholungsaktivitäten sind (in jeweils unterschiedlichem Maße) auf eine erlebnisreiche Landschaft angewiesen.“ (Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 49/4:36)

So werden bei der Bewertung von Siedlungen in drei Plänen wegen ihrer Bedeutung für die Wohnqualität und den Fremdenverkehr auch gestalterische und ästhetische Aspekte berücksichtigt. Soziokulturelle Bedeutungs12 | Die Ursachen hierfür könnten einerseits in der hohen Biodiverstität im 19. Jh. und dem Vorhandensein einer Vielzahl kultureller Zeugnisse sein. Sie könnten aber auch in einer Persistenz antimodernistischer Landschaftsbilder gesucht werden, die im 19. Jh. als Gegenentwurf zu damaligen gesellschaftlichen Entwicklungen, z.B. der Industrialisierung, entstanden sind.

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zuweisungen gehen dabei unmittelbar in nutzungsorientierte über. Der Landschaftsplan Godern beschreibt als Entwicklungsziel die „Wiederherstellung und Entwicklung der charakteristischen dörflichen Lebensräume, die die Gebiete gerade durch ihre Andersartig- und Ursprünglichkeit für den Touristen interessant, anziehend und für seine Bewohner wieder lebenswert machen“ (Gemeinde Godern 2006, 27. Vgl. Gemeinde Neuerburg 2003, 33-34, Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 52, 80).

Vier Pläne weisen der Landschaft eine Bedeutung als Identifikationsort und als Grundlage für die menschliche Lebensqualität zu, z.B. indem sie im Rahmen der Behandlung des Landschaftsbildes Bedürfnisse nach Orientierung, Ruhe, Identifikation und Selbstverwirklichung ansprechen: „Ausgangspunkt einer Bewertung der Landschaft sollen die vorhandenen, natürlich und soziokulturell gewachsenen Landschaftsstrukturen sein, die eine Landschaft unverwechselbar machen und die aufgrund ihrer räumlichen und zeitlichen Konstanz bzw. behutsamen Entwicklung Möglichkeiten zu Identifikation, Orientierung und Heimatfindung bieten können.“ (Gemeinde Isernhagen 2009, 29. Vgl. auch Gemeinde Godern 2006, 12, Gemeinde Wahlsburg 1993, 29, Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 49)

Allerdings werden diese Überlegungen nicht weiter operationalisiert – sie finden daher weder in der Bestandsbewertung noch in der Ziel- und Maßnahmenentwicklung Berücksichtigung. Die Bedeutung von Landschaft für das sinnliche, körperliche Erleben wird ca. von der Hälfte der untersuchten Pläne erwähnt. In zwei Plänen werden zudem die Vielfalt an natürlichen Geräuschen und Gerüchen sowie der jahreszeitliche Wechsel als Teil des Landschaftserlebens angesprochen: „Weitere, nur temporär auftretende positive Aspekte sind z.B. der farbliche Eindruck blühender Bäume. Wiesen und Gärten. Düfte und angenehme Geräusche (z.B. Vogelstimmen, Wind, Wasser).“ (Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 50. Vgl. Gemeinde Isernhagen 2009, 29, 30)

Auch zu landschaftlichen Einflüssen auf die menschliche Gesundheit, die seit 2009 in der Zielbestimmung des §1 BNatSchG Erwähnung findet, finden sich kaum Aussagen. Lediglich in drei Plänen wird die Bedeutung

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der Klima- und Luftverhältnisse für die landschaftliche Erholung betont (Gemeinde Wahlsburg 1993, Gemeinde Neuerburg 2003, Gemeinde Magstadt 2008), bioklimatische Aspekte werden nicht behandelt (Heiland et al. 2011). Eher beiläufig wird in vier Plänen die Erhaltung historischer Landnutzungsformen und der historischen Kulturlandschaft gefordert (Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, Gemeinde Godern 2006, 43, Gemeinde Isernhagen 2009, Gemeinde Beckingen 2006). Entsprechend führt die Existenz kulturhistorisch bedeutsamer Landschaftselemente zu einer hohen Bewertung des Landschaftsbildes. Es wird allerdings nur in einem der Pläne definiert, was unter einer historischen Kulturlandschaft zu verstehen sei: „Der Begriff ‚historische Kulturlandschaft‘ umfasst die Gesamtheit der heute noch erhaltenen und nachweisbaren Elemente und Strukturen einer lebendigen Landschaft.“ (Gemeinde Godern 2006, 14) Auf die kulturhistorisch bedeutsame Archivfunktion des Bodens, die in vielen Plänen einleitend als gesetzlich verankerte Funktion des Bodens genannt wird, wird in keinem der Pläne in der Folge näher eingegangen. Sie findet weder als Bewertungskriterium noch in der Ziel- und Maßnahmenentwicklung Berücksichtigung. Ein Plan betont die Bedeutung von Geotopen als erdgeschichtliche Zeugnisse, für die Umweltbildung, den Tourismus und die Identifikation der Einwohner in einem Unterkapitel (Gemeinde Godern 2006, 11).

6.3 Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen Elemente nutzungsorientierter Bedeutungszuschreibungen sind in den untersuchten Landschaftsplänen gegenüber den beiden anderen Kategorien am schwächsten ausgeprägt. Finden lassen sie sich vornehmlich im Kontext Landwirtschaft/Boden, Wasserversorgung/Schutzgut Wasser sowie Landschaftsbild/Erholung/Tourismus. Zwar werden auch die Landnutzungen Siedlung und Verkehr sowie Tourismus behandelt, diese werden jedoch – ebenso wie bspw. intensive Formen der Landwirtschaft – i.d.R. negativ beurteilt. Mit anderen Worten: Die landschaftliche Bedeutung bestimmter Nutzungsformen wird zwar berücksichtigt, jedoch nicht positiv bewertet. Die Berücksichtigung der Bedeutung von Landschaft für die landwirtschaftliche Produktion lässt sich an zwei Punkten ablesen: Erstens ist die natürliche Bodenfruchtbarkeit ein häufiges Bewertungskriterium für Bö-

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den. Zweitens werden Böden mit hohem natürlichem Ertragspotenzial als zu sichernde Ressource dargestellt, die nicht überbaut werden sollte. „Boden ist [...] in seinen Funktionen als Standort zur Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln, Wasser- und Nährstoffspeicher, Wasserfilter und Lebensraum für Pflanzen und Tiere zu erhalten und zu sichern.“ (Gemeinde Wahlsburg 1993, 12. Vgl. Gemeinde Godern 2006, 44) Zugleich findet sich die Forderung nach Extensivierung landwirtschaftlicher Nutzung in fast allen Plänen – die vorherrschende intensive Landbewirtschaftung wird überwiegend negativ bewertet. Beispielsweise wird im Landschaftsplan Magstadt die „Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse unter Verminderung umweltbelastender Stoffeinträge sowie unter Anwendung standortgerechter Bewirtschaftungsformen“ (Gemeinde Magstadt 2008, 66) als Ziel genannt. Nur in einem Plan heißt es: „Eine ordnungsgemäße Landwirtschaft dient der Schaffung und dem Erhalt einer vom Landschaftsbild und Naturhaushalt her hochwertigen Kulturlandschaft.“ (Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 60) Zwei Pläne verweisen in ihren Ausführungen zum Naturgut Wasser auf dessen Bedeutung für die Wasserversorgung: „Aufgrund der Bedeutung für die Trinkwasserversorgung der Stadt Schwerin ist dem Grundwasserschutz in der Region ein besonderer Stellenwert beigemessen worden.“ (Gemeinde Godern 2006, 18. Vgl. Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000) Zudem werden in allen Landschaftsplänen saubere Fließgewässer und Grundwasserneubildung, in einigen Plänen auch der Hochwasserschutz thematisiert. Hier gehen nutzungsorientierte und ‚ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen mit Fokus auf die langfristige Erhaltung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts ineinander über. Eine geringe Rolle spielt Landschaft als weicher Standortfaktor für die regionale wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere als Voraussetzung für den Tourismus. Diese wird nur in zwei Plänen am Rande angesprochen. In einem wird die Erhaltung landschaftlicher Eigenart auch mit ökonomischen Argumenten begründet – ein naturnahes und strukturreiches Landschaftsbild sei eine wesentliche Grundlage der Tourismusentwicklung: „Diese noch in vielen Bereichen vorhandene Naturnähe und der Strukturreichtum machen das Planungsgebiet für den Fremdenverkehr attraktiv, so dass sich die Gemeinde Wahlsburg zu einem Fremdenverkehrsgebiet entwickelt hat. Der Fremdenverkehr stellt hier einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar, dessen Grundkapital

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die Landschaft mit der ihr eigenen Eigenart und Erscheinungsform ist, das es zu erhalten gilt.“ (Gemeinde Wahlsburg 1993, 76. Vgl. Gemeinde Godern 2006, 6)

Allerdings widmen sich alle Pläne im Rahmen der Behandlung des Schutzgutes Landschaftsbild/Erholung dem Ausbau der Erholungsinfrastruktur, etwa in Form zugänglicher Wege, Bänke oder Freizeiteinrichtungen. Dies wird jedoch zumindest nicht explizit mit ökonomischen Argumenten, etwa im Kontext des Tourismus, in Verbindung gebracht. Insgesamt sind die in den Plänen zum Ausdruck kommenden nutzungsorientierten Bedeutungszuschreibungen durchwegs nicht an einer kurzfristigen oder monetär profitablen Nutzung ausgerichtet, sondern – in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Auftrag von Naturschutz und Landschaftsplanung – an der Erhaltung langfristiger Nutzungspotenziale. Anknüpfungspunkte für nutzungsorientierte Zuschreibungen böten sich theoretisch bei der Behandlung der Landnutzungen Siedlung, Industrie/Gewerbe und Verkehr. Dies ist jedoch nur sehr eingeschränkt der Fall, wie im Folgenden näher dargelegt wird. Vielmehr treten hier wiederum soziokulturell (Kap. 6.2) und ‚ökologisch‘ orientierte Landschaftsverständnisse in den Vordergrund. Die Siedlungsnutzung wird in allen Plänen thematisiert, wobei Siedlungen in drei Landschaftsplänen (Gemeinde Godern 2006, 26, Gemeinde Neuerburg 2003, 34, Gemeindeverwaltung Neuenhagen bei Berlin 2000, 52) als Biotoptyp behandelt und hinsichtlich ihres Wertes für den Artenschutz beurteilt werden: „Im Vergleich zur oft ausgeräumten Agrarlandschaft kann ein Dorf auf gleicher Fläche eine weitaus größere Vielfalt an kleinen und kleinsten Lebensräumen für viele Tiere und Pflanzen der bäuerlichen Kulturlandschaft bieten.“ (Gemeinde Godern 2006, 26) Im Landschaftsplan Neuerburg wird der besondere Wert von bestimmten Siedlungsteilen (alte Bunkeranlagen) in ihrer Funktion als Quartier für Fledermausarten gesehen. Werden Konflikte zwischen Siedlungsnutzung und dem Schutz von Arten und Lebensräumen festgestellt, so wird meist ein Verzicht auf Bebauung bzw. eine Verkleinerung der zu bebauenden Fläche vorgeschlagen (Gemeinde Beckingen 2006, 83). Nutzungsorientierte Zuschreibungen, die Landschaft als Standort für Industrie und Gewerbe oder Infrastruktureinrichtungen betrachten, finden sich in den Landschaftsplänen nicht, da die entsprechenden Bauwerke

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bzw. ihre Auswirkungen auf die Landschaft nicht positiv bewertet werden.13 Vielmehr werden diese, ebenso wie andere aktuelle Landnutzungen (z.B. intensive Landwirtschaft) in der Regel als Konfliktpotenzial thematisiert. Dies betrifft auch Nutzungsfolgen wie Lärmbelastung, Emissionen, Verlust landschaftsbildwirksamer Grünzäsuren, Elektrosmog, Zerschneidung und Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr. Generell lässt sich in allen Plänen feststellen, dass aktuelle Formen der Landnutzung explizit und implizit überwiegend negativ beurteilt werden. Lediglich die Erholungsnutzung bildet hierbei eine Ausnahme, wenngleich auch deren mögliche negative Auswirkungen thematisiert werden. Ziel vieler Pläne ist es daher, solche Nutzungen bzw. deren Auswirkungen zu verringern bzw. stärker zu regulieren. Hierbei spielen allerdings Bemühungen um Konfliktlösungen oder die Entwicklung von ‚win-win-Möglichkeiten‘ in den Plänen selten eine Rolle.14 Auffällig ist dabei auch, dass negativ bewertete Landschaftsveränderungen vornehmlich auf unmittelbare, leicht sichtbare Auswirkungen von Landnutzungen zurückgeführt werden. Indirekte und erst langfristig sichtbare oder kausal nicht eindeutig zuordenbare Folgen anthropogenen Wirkens wie Hochwasserereignisse, Starkregen und vermehrte Stürme werden nur in einem Plan genannt (Gemeinde Godern 2006, 35).

6.4 Zusammenfassende Betrachtung Tabelle 2 fasst das Landschaftsverständnis der untersuchten Pläne anhand der Ausprägungen und Kombination der verschiedenen Bedeutungszuweisungen zusammen. Wir haben gezeigt, dass ‚ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen in allen untersuchten Landschaftsplänen dominieren, wobei insbesondere konservierende, auf den Arten- und Biotopschutz bezogene Motive 13 | Im Sommer 2011 durchgeführte Interviews mit Landschaftsplanern vermittelten jedoch teilweise ein anderes Bild. Sie zeigten, dass zumindest regionale und lokale Nutzungsinteressen im Prozess der Planerstellung mit den beteiligten Akteuren (insbesondere der Kommune als Auftraggeber) diskutiert und auch berücksichtigt werden. Aus den untersuchten Plänen ließ sich dies jedoch nicht ablesen. 14 | Dies bedeutet nicht, dass das Bemühen um Konfliktlösungen nicht im Rahmen von Planaufstellung und -umsetzung eine wichtige Rolle spielen könnte.

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Tabelle 2: Zusammenfassung: Das Landschaftsverständnis in kommunalen Landschaftsplänen ‚Ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen Dies sind die dominierenden Zuschreibungen. Dabei tritt insbesondere der Artenschutz in den Vordergrund (‚Landschaft als Lebensraum für Arten‘), während funktional-ökologische Sichtweisen (‚Landschaft als ‚Träger‘ eines funktionsfähigen Naturhaushalts‘) nachrangig zur Sprache kommen und der Schutz von Prozessen‚ (‚Landschaft als ungesteuerte Natur‘) keine Rolle spielt. Insgesamt sind ‚ökologische‘ Bedeutungszuschreibungen eher konservierend als entwicklungsorientiert ausgeprägt. Soziokulturell orientierte Bedeutungszuschreibungen An soziokulturellen Bedürfnissen (wie etwa sinnlichem Erleben, Identifikation und Schönheit) orientierte Zuschreibungen lassen sich vereinzelt nachweisen, häufig ohne dass sie sichtbar in die Bewertung eingehen oder daraus konkrete Maßnahmen abgeleitet werden. Der Fokus liegt deutlich auf ästhetischen Zuweisungen, die im Kontext des Schutzgutes Landschaftsbild erörtert werden. In diesem Zusammenhang wird auch die Erholungseignung der Landschaft berücksichtigt. Kulturhistorische und identifikatorische Bedeutungszuschreibungen werden in einigen Plänen angesprochen, jedoch nicht in Bestandsbewertung, Ziel- und Maßnahmenkonzept einbezogen. Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen sind in den Plänen am schwächsten ausgeprägt, vornehmlich finden sie sich im Kontext der Behandlung abiotischer Naturgüter, wo Landschaft als Voraussetzung für landwirtschaftliche Produktion und Wasserversorgung verstanden wird. In wenigen Einzelfällen wird Landschaft als Voraussetzung für Tourismusund Regionalentwicklung thematisiert. Siedlungsflächen werden weniger nutzungs- als vielmehr ‚ökologisch‘ und soziokulturell orientiert bewertet. Landschaft wird kaum in ihrer Bedeutung als Produktionsraum, zur Ressourcengewinnung und als Standort für Infrastruktur thematisiert. im Vordergrund stehen, während prozessorientierte Sichtweisen von nachrangiger Bedeutung sind. Dieses Übergewicht ‚ökologisch‘ orientierter Zu-

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schreibungen zeigt sich bspw. auch darin, dass im Kontext des Schutzgutes Landschaftsbild nicht nur soziokulturelle (siehe Kap. 6.2), sondern ebenso ‚ökologisch‘ orientierte Zuweisungen eine Rolle spielen. Umgekehrt finden sich im Rahmen der Bearbeitung der biotischen Schutzgüter ausschließlich Motive eines ‚ökologisch‘ orientierten Arten- und Biotopschutzes, obwohl es durchaus denkbar wäre, Schutz und Entwicklung von Lebensräumen auch mit soziokulturellen Argumenten zu begründen. Doch solche und auch nutzungsbezogene Argumente werden im Rahmen des Schutzgutes ‚Arten und Biotope‘ kaum erwähnt (Tab. 3). Ausnahmen finden sich in drei Landschaftsplänen, in denen Streuobstwiesen, Gehölze, Sukzessionsflächen und Hecken auch unter dem Gesichtspunkt ihrer landschaftsästhetischen und/ oder kulturhistorischen Bedeutung bewertet werden. Diese Argumentation tritt jedoch nicht in den Vordergrund und wird auch nicht konsequent über alle Arbeitsschritte der Planung verfolgt, sondern ist vielmehr wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu suchen. Tabelle 3: Thematisierung der Bedeutungszuschreibungen im Kontext der Schutzgüter Biotische Naturgüter (Arten und Biotope)

Abiotische Naturgüter (Boden, Wasser, Luft/ Klima)

Landschaftsbild/Erholung

‚Ökologisch‘ orientierte Bedeutungszuschreibungen







Soziokulturell orientierte Bedeutungszuschreibungen







Nutzungsorientierte Bedeutungszuschreibungen







Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass sich die Landschaftsverständnisse der untersuchten Pläne nur geringfügig voneinander unterscheiden, so dass – zumindest bezogen auf unser Sample – von einem relativ homogenen ‚landschaftsplanerischen Landschaftsverständnis‘ gesprochen werden kann.

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7. Z UR GESELLSCHAF TLICHEN A NSCHLUSSFÄHIGKEIT DER L ANDSCHAF TSPL ANUNG – D REI THESEN Was bedeuten nun diese Befunde für Theorie und Praxis der Landschaftsplanung sowie ihre gesellschaftliche Bedeutung? Dabei interessieren uns drei Fragen: 1) Wird das in den Landschaftsplänen zum Ausdruck kommende Landschaftsverständnis den rechtlichen Vorgaben gerecht? 2) In welchem Verhältnis stehen landschaftsplanerische Verständnisse zu Landschaftsverständnissen von Laien, d.h. werden sie deren Vorstellungen, Ansprüchen und Bedürfnissen gerecht? 3) In welchem Verhältnis stehen landschaftsplanerische Verständnisse zu aktuellen landschaftsprägenden Nutzungen und Entwicklungen? Davon ausgehend wird 4) die Frage nach der gesellschaftlichen Anschluss- und Durchsetzungsfähigkeit der Landschaftsplanung gestellt. ad 1) Werden die in den Landschaftsplänen zum Ausdruck kommenden Landschaftsverständnisse den rechtlichen Vorgaben gerecht? Gemäß § 1 BNatschG sind Natur und Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen so zu schützen, dass dauerhaft gesichert sind: 1) die biologische Vielfalt, 2) die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, 3) die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft. Dieser Zielkatalog ist breit und lässt Interpretationsspielraum sowie auf den jeweiligen Planungsraum bezogene Schwerpunktsetzungen und Konkretisierungen zu. Die vorherrschende Dominanz ‚ökologisch‘ orientierter Bedeutungszuweisungen spiegelt diese inhaltliche Breite nicht wider und ist daher kritisch zu betrachten. Dies ist weniger eine Frage der umfassenden Behandlung aller Schutzgüter, denn auch Boden, Wasser, Klima, Luft, Landschaftsbild und Erholung werden in den Plänen durchaus behandelt. Vielmehr sind die in diesen Zusammenhängen verwendeten Begründungen häufig auf die Erhaltung von Arten und Biotopen bezogen und spiegeln somit ‚ökologisch‘ orientierte Zuweisungen wider; nutzungsbezogene und soziokulturelle Argumente finden sich hingegen in deutlich geringerem Maße. Somit scheint hier weder der argumentative Spielraum des BNatSchG genutzt noch jener anderer Umweltgesetze, auf die sich die untersuchten Landschaftspläne beziehen. So betonen etwa das Wasserhaushaltsgesetz oder das Bundes-

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bodenschutzgesetz beide die Bedeutung der jeweiligen Umweltmedien auch für nutzungsorientierte Aspekte. Im Bundesbodenschutzgesetz wird zudem auf die Bedeutung des Bodens als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte verwiesen. ad 2) In welchem Verhältnis stehen landschaftsplanerische Verständnisse zu Landschaftsverständnissen von Laien? Der Vergleich mit den Ergebnissen des KULAKon-Forschungsprojekts zur subjektiven Konstruktion von Landschaft (Micheel 2012) sowie einer Metaanalyse von Landschaftsverständnissen von Laien (Hokema 2012) zeigt, dass es erhebliche Übereinstimmungen zwischen dem ‚Idealbild‘ von Landschaft der Laien und der Landschaftsplanung (siehe Kap. 6.2 sowie Wojtkiewicz und Heiland 2012) gibt. Dies deutet darauf hin, dass auch Experten nicht unabhängig von alltäglichen Landschaftsverständnissen urteilen. Der Unterschied zwischen Laien und Planern scheint auch hier in der Begründung zu liegen: Vorwiegend ‚ökologisch‘ orientierten Begründungen der Landschaftsplanung stehen überwiegend soziokulturelle Motivationen von Laien gegenüber, wie sie z.B. in den Schlagworten ‚Identität‘, ‚Erinnerung‘, ‚Lebensqualität‘, ‚Heimat‘, ‚Verbundenheit‘, ‚Schönheit‘ zum Ausdruck kommen. Insbesondere soziokulturell orientierte Begründungen dürften daher anschlussfähig an alltägliche Denkweisen der Mehrheit der Bevölkerung sein (Meier et al. 2010, Adomßent 2006). Vor diesem Hintergrund könnte die Dominanz ökologischer Argumentationen in der Landschaftsplanung die Akzeptanz in der Bevölkerung und damit die politische Durchsetzbarkeit landschaftsplanerischer Ziele schmälern. So stellt Stremlow (2008, 60) im „Natur- und Landschaftsschutz als Domäne der Naturwissenschaften und der Planung mit seinem analytischen Zugang ein Defizit im emotionalen Argumentatorium“ fest, wodurch die Bedürfnisse von Laien zu wenig berücksichtigt und die Verständlichkeit von Expertenkonzepten beeinträchtigt würden. Statt ‚ökologisch‘ (bspw. mit ‚Biodiversität‘) zu argumentieren, könnte der Bezug auf soziale und kulturelle Begründungen den Schutz von Landschaft für Laien nachvollziehbarer machen und so dessen Akzeptanz erhöhen. Darüber hinaus könne die emotionale Verbundenheit mit Angelegenheiten des Landschaftsschutzes die Motivation zu aktiver Bürgerbeteiligung stärken:

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„Der Weg von der Kulturlandschaft zu einer zukunftsfähigen Landschaftskultur bedingt sowohl ökologische Anliegen und naturwissenschaftliche Argumentationen als auch kulturelle und soziale Kompetenzen und Begründungen. Dieses Verständnis schafft eine Verbindung des Natur- und Landschaftsschutzes mit den alltäglichen landschaftsbezogenen Bedürfnissen der Menschen, welche lustvolle und identitätsstiftende Natur- und Landschaftserfahrungen einschließen.“ (Stremlow 2008, 61)

ad 3) In welchem Verhältnis stehen landschaftsplanerische Verständnisse zu aktuellen raum- bzw. landschaftsprägenden Nutzungen und Entwicklungen? Auch eine eher pragmatische, nutzungsorientierte Sichtweise auf Landschaft, z.B. als Raum für Infrastruktur, ist in alltäglichen Landschaftsverständnissen vertreten (Meier et al. 2010, Micheel 2012) – wenngleich die Befunde hierzu nicht einheitlich sind, und insbesondere Städte, Industrie, Verkehrswege in der Regel keine Elemente sind, die Laien mit ‚Landschaft‘ verbinden (Hokema 2012). Gleichwohl nehmen Laien intensiv genutzte land- und forstwirtschaftliche Flächen durchaus als wertvolle Teile von Landschaft oder Natur wahr. Damit besteht eine Diskrepanz der Bewertung bestimmter Landnutzungen durch Laien und Vertreter der jeweiligen Wirtschaftszweige einerseits sowie der Landschaftsplanung andererseits, da diese viele zeitgenössische Landschaftselemente bzw. Nutzungen vorwiegend negativ beurteilt. Daher scheint eine Anschlussfähigkeit der Landschaftsplanung an aktuelle gesellschaftliche Realität ökonomischer, politischer und technologischer Art nur bedingt gegeben zu sein. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die hinter konkreten landschaftlichen Veränderungen stehenden Triebkräfte, sei es auf globaler, regionaler oder lokaler Ebene, in den Plänen kaum reflektiert15 und die gesellschaftlichen Zwänge, die im konkreten Fall zu bestimmten Formen der Landnutzung führen (z.B. EU-Agrarpolitik), nicht thematisiert werden. Damit steht die Landschaftsplanung vor einem Dilemma: Einerseits ist es ihre rechtlich geforderte Aufgabe, gesellschaftliche Realitäten nicht 15 | Die durchgeführten Experteninterviews mit Landschaftsplanern vermittelten jedoch teilweise ein anderes Bild. Sie zeigten, dass zumindest regionale Einflussfaktoren im Prozess der Planerstellung mit den beteiligten Akteuren (insbes. der Kommune als Auftraggeber) diskutiert und berücksichtigt werden, ohne dass sich dies direkt aus den Plänen ablesen ließe.

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einfach zu akzeptieren, sondern dazu beizutragen, natur- und landschaftsbeeinträchtigende Auswirkungen von Landnutzungen zu vermeiden oder wenigstens zu minimieren. Damit können ihre Ziele naturgemäß im Widerspruch zu anderen raumrelevanten gesellschaftlichen Bedürfnissen, Interessen und Wirtschaftsformen stehen. Das hat zur Folge, dass bestimmte Landnutzungen (bzw. deren Auswirkungen) negativ bewertet und nicht als Bestandteil wünschenswerter Landschaften betrachtet werden. Andererseits gerät die Landschaftsplanung hierdurch in eine defensive Position, die es ihr erschwert, von Vertretern anderer Landnutzungen positiv als agierender und gestaltender Akteur wahrgenommen zu werden. Die Landschaftsplanung wird damit nur bedingt zum (Mit-)Gestalter eines nachhaltigen Wandels, da sie überkommenen Bildern verhaftet bleibt. Inwieweit dieses Dilemma prinzipiell lösbar ist, muss derzeit offen bleiben. Ob eine Öffnung der Landschaftsplanung hin zu einem pragmatischeren, ‚weiten‘ Landschaftsverständnis jenseits des ‚engen‘ Idealbildes einer romantisch-idyllischen Landschaft, wie es derzeit in Teilen des wissenschaftlichen Diskurses (u.a. Piepmeier 1980, Prominski 2006, Gailing und Röhring 2008) gefordert wird, hierzu beitragen kann, bedürfte ebenfalls einer gründlichen Prüfung. Für die Praxis bleibt damit vorerst nur ein pragmatischer Weg, wie er vielerorts bereits seit langem – und keineswegs völlig erfolglos (Wende et al. 2011) – begangen wird: die Suche nach konkreten Lösungen gemeinsam durch Landschaftsplanung und einzelnen Landnutzern im Kontext der jeweiligen örtlichen Bedingungen und Erfordernisse sowie Berücksichtigung landschaftsplanerischer Inhalte in Umweltprüfungen und Eingriffsregelung – und damit Mitgestaltung einer nachhaltigen Landschaftsentwicklung. Auch hierfür aber dürfte eine stärkere Integration soziokultureller und nutzungsbezogener Argumente in den Plänen hilfreich sein. Es bleibt schließlich die Frage, ob sich verschiedene Anforderungen an Landschaft, die in den unterschiedlichen Landschaftsverständnissen zum Ausdruck kommen, per se gegenseitig ausschließen müssen. Roweck (1995, 29) meint, dass im Optimalfall alle Ansprüche nebeneinander verwirklicht werden könnten: „Wir können in einer unseren physischen Bedürfnissen entsprechend genutzten Kulturlandschaft schonend mit abiotischen Ressourcen umgehen, Raum für spontane Entwicklungen und vielfältige Lebensgemeinschaften lassen, psychische

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Bedürfnisse des Menschen berücksichtigen und in gewissem Umfang historisch gewachsene Strukturen zu erhalten versuchen.“

Moser & Meyer (2002) nennen Bedingungen, die für eine solche Landschaftsentwicklung gegeben sein müssten, etwa eine kleinräumige, funktionale Nutzungsmischung mit starker räumlicher Nähe und regionaler Selbstversorgung sowie ein mosaikartiges Landschaftsbild mit intensiv bewirtschafteten Flächen und Brachen. Ob solche Überlegungen reale Optionen darstellen, muss an dieser Stelle dahin gestellt bleiben. In jedem Falle würden sie ein anderes gesellschaftliches Handeln erfordern, das stärker vom Streben nach Lebensqualität, Gerechtigkeit und Zukunftssorge bestimmt ist als vom Streben nach fortwährendem materiellen Wachstum in einem entfesselten, global wirksamen Kapitalismus. Die Frage ist also, welche Landschaft die Gesellschaft will, ob sie bereit ist, diese ggf. mit materiellen Einbußen, höheren Nahrungsmittelpreisen und dem Verzicht auf schnelle Autobahnfahrten zu ‚bezahlen‘ – und ob sie sich überhaupt der Widersprüche zwischen ihrem an vorindustriellen Landnutzungen orientierten Landschaftsverständnis einerseits, ihrer landschaftsrelevanten Lebensansprüche sowie Konsum- und Verhaltensmuster andererseits bewusst wird.

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Die politische Konstruktion von Kulturlandschaften als kollektive Handlungsräume Die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft als Beispiel Heiderose Kilper, Ludger Gailing

1. E INLEITUNG Kulturlandschaften sind in den vergangenen Jahren von der Raumplanung und anderen Fachpolitiken als Potenziale für regionale Entwicklung „entdeckt“ worden. Raumbezogene Identitätsstiftung und die Bildung regionaler Images, zwei maßgebliche Wirkungen kulturlandschaftlicher Qualitäten, können, so die politische Erwartung, als „weiche“ Standortfaktoren zur Stabilisierung und Entwicklung einer Region beitragen. Kulturlandschaften werden in diesem Zusammenhang zunehmend als Handlungsräume der regionalen Entwicklung und Gestaltung wahrgenommen und genutzt, beispielsweise als Großschutzgebiete, Kulturlandschaften auf der Liste des UNESCO-Welterbes, Regionalparks oder Räume der integrierten ländlichen Entwicklung (Fürst et al. 2008, 94 ff.). So plausibel die Indienstnahme von Kulturlandschaften für politische Entwicklungsziele zu sein scheint, so wenig eindeutig ist diese, wenn gefragt wird, welche politischen und/oder gesellschaftlichen Akteure mit welchen Interessen in einem kulturlandschaftlichen Handlungsraum eigentlich tätig sind. Dies sind nicht nur Akteure aus dem Naturschutz und der Denkmalpflege, sondern auch Akteure aus der Landes- und Regionalplanung, der Land- und Forstwirtschaft oder aus der Tourismusbranche. Kulturlandschaften sind als Handlungsräume Arenen für Akteure mit unterschiedlichen, teilwei-

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se divergierenden Interessen, die ökologische und kulturelle Schutzziele, raumbezogene Ordnungs- oder Entwicklungsziele, aber auch ökonomische Nutzungsziele verfolgen. Mit anderen Worten: Es sind unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Fachpolitiken, die die Herausbildung, Entwicklung und Gestaltung von Kulturlandschaften bestimmen. Diese wiederum sind in unterschiedlichen institutionellen Kontexten verortet, mit eigenen formellen Regelsystemen und informellen sozialen Normen, Gewohnheiten und normativen Selbstbeschreibungen. In sozialwissenschaftlicher Perspektive verstehen wir Kulturlandschaften als eine gesellschaftliche Konstruktion. Analytisch kann diese differenziert werden in die subjektive Konstruktion durch die Wahrnehmung von Individuen, in die physisch-materielle Konstruktion durch menschliche Bearbeitung von Natur sowie in die kollektive Konstruktion durch gesellschaftliches Handeln. Diese Prozesse sind in der Realität interdependent. So ist die subjektive Wahrnehmung einer Kulturlandschaft als spezifischer Teilraum der Erdoberfläche durch Individuen eine Voraussetzung für kollektive Konstruktionen. Diese wirken wiederum auf die subjektive Wahrnehmung zurück. All dies basiert auf physisch-materiell vorhandenen, einzigartigen Artefakten und physisch-materiellen Strukturen, die wiederum selbst eine direkte oder indirekte Folge vergangener Konstruktionsprozesse sein können (Gailing 2012). Die Bezeichnung eines Raumausschnitts als Kulturlandschaft bedeutet für uns dreierlei: erstens eine spezifische, gesellschaftlich verhandelte und akzeptierte Eigenart, die ihren Ausdruck in Homogenitätskriterien wie „Einheit von Land und Leuten“ oder „eigenständiger Charakter“ findet; zweitens ein spezifisches regionales Wechselverhältnis zwischen Materialität und der kulturellen Bedeutsamkeit eines Raumes für die Gesellschaft sowie drittens ein gesellschaftliches Interesse an der normativen Befassung mit diesem Raumausschnitt, weil dieser aus historischen, ökologischen, ökonomischen und/oder ästhetischen Gründen als wertvoll gilt. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns aus einer institutionen- und steuerungstheoretischen Perspektive heraus mit der Konstruktion von Kulturlandschaft.1 Diese dualistische Forschungsperspektive auf Institutionen 1 | Der Beitrag basiert auf ausgewählten Ergebnissen des DFG-Projekts „Der Beitrag sektoraler Institutionensysteme zur Konstituierung von Kulturlandschaft und die Koordination der Interaktionsprozesse“, das im Rahmen des DFG-Projektverbunds „Konstituierung von Kulturlandschaft – KULAKon“ (Laufzeit: 06/200812/2011) bearbeitet wurde.

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und Steuerung lässt sich strukturationstheoretisch mit Bezug auf Giddens (1988, 290) begründen, der davon ausgeht, dass es keine Struktur gibt, die nicht auf Handlungen zurückgeht, und keine Handlungen ohne die Prägung durch Strukturen existieren. Mayntz & Scharpf (1995, 46) haben mit ihrem analytischen Modell des „akteurzentrierten Institutionalismus“ dieses Verhältnis dahingehend präzisiert, dass es nicht um einen Primat von Struktur oder Akteurshandeln gehen sollte, sondern stets um eine Integration beider Perspektiven. Kulturlandschaften interessieren uns als kollektive Handlungsräume. Diesem Erkenntnisinteresse liegt die These zugrunde, dass sich erst über das raumbezogene Handeln von Akteuren sowie über Mechanismen ihrer Koordination Räume konstituieren. Mit welchen Vorstellungen und Intentionen die jeweiligen Akteure dabei handeln, hängt etwa von deren Raumbildern oder Wertesystemen ab, von denen ihr Handeln geleitet wird. Wir sprechen hier von informellen Institutionen. Die Ausrichtung ihres Handelns hängt des Weiteren von den formell-institutionellen Rahmenbedingungen ab, unter denen sie ihre Aktivitäten entfalten. Dazu gehören rechtliche Vorschriften, formelle Kompetenzen und Ressourcen wie auch formalisierte Formen der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren auf der horizontalen Ebene wie im vertikalen Mehrebenensystem. Wir sprechen hier von formellen Institutionen. Mit anderen Worten: Wir gehen von der These aus, dass kulturlandschaftliche Handlungsräume durch kollektives Handeln konstruiert und durch formelle wie informelle Institutionen stabilisiert werden. Die Governance-Formen, in denen das Handeln der Akteure seine jeweilige Ausprägung findet, koordinieren dabei das Zusammenspiel von formellen Regelsystemen und informellen, sozialen Normen wie auch die Interaktionen zwischen Akteuren, seien dies Individuen oder Organisationen. Ihnen wird eine „Raum bildende Wirkung“ (Kilper 2010, 16) bescheinigt. Wenn wir besser verstehen, in welche Institutionensysteme soziales Handeln eingebunden ist, das sich auf die Gestaltung und Entwicklung von Kulturlandschaften bezieht, welche Governance-Formen sich dabei herausbilden und wie durch sie Institutionensysteme koordiniert werden, verstehen wir auch besser, welche unterschiedlichen Raumkonstrukte dadurch entstehen, die mit ihrem spezifischen Institutionengefüge einen kollektiven Handlungsraum bilden.

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Damit wollen wir uns nun am Beispiel der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft in Sachsen-Anhalt2 beschäftigen. Diese zeichnet sich durch dreierlei aus: Sie wird erstens als historischer Kulturraum von hoher, international anerkannter und ausgewiesener Qualität verhandelt. Gleich zwei Epochen der Kulturgeschichte haben hier ihren baulichen und die Landschaft prägenden Niederschlag gefunden: die Aufklärung ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mit der Schaffung des Gartenreichs DessauWörlitz und die Moderne des 20. Jahrhunderts mit der Gründung des Bauhauses Dessau. Das materielle wie immaterielle Erbe beider Epochen ist in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen worden. Sie steht zweitens für einen Naturraum, der als UNESCO-Biosphärenreservat „Mittelelbe“ ebenfalls internationale Reputation genießt. Das Gartenreich Dessau-Wörlitz ist Bestandteil des Biosphärenreservats. Sie ist drittens eingebettet in eine ehemalige Industrieregion, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt hat und geprägt war von Braunkohlenbergbau und Elektrochemie. Seit den 1990er Jahren ist die Region als postindustrielle Landschaft Prozessen des sozioökonomischen Strukturwandels unterworfen. Die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft ist somit als eine Kulturlandschaft von internationalem Rang zu verstehen, die in physisch-materieller Hinsicht von der Industrialisierung mit all ihren Folgen mehr als 150 Jahre lang überprägt worden ist. Sie scheint heute zwar auf den ersten Blick die „historische Kulturlandschaft“ par excellence zu sein, auf den zweiten Blick zeigt sie sich aber als eine Kulturlandschaft der entwicklungspolitischen Kontroversen und Konfrontationen. So steht beispielsweise die für das Gartenreich zuständige Kulturstiftung DessauWörlitz mit ihrer kulturhistorischen Orientierung nicht selten im Widerstreit mit den Handlungs2 | Im Rahmen des DFG-Projekts sind Fallstudien zu vier Kulturlandschaften erarbeitet worden: Spreewald (Brandenburg); Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft (Sachsen-Anhalt); Eifel (Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz); Altes Land (Niedersachsen und Hamburg). Zur Vorbereitung der Fallstudien sind fünf Institutionensysteme ausgewählt, analysiert und miteinander verglichen worden, denen eine maßgebliche Rolle bei der Konstruktion von kulturlandschaftlichen Handlungsräumen zukommt: Naturschutz; Denkmalpflege; Tourismusentwicklung; Entwicklung des ländlichen Raums (als Teil der Agrarpolitik); Landes- und Regionalplanung. Die Forschungsbefunde werden zu einem späteren Zeitpunkt in einem Projektband sowie in der Dissertationsschrift von Ludger Gailing ausführlich dargestellt (auch schon Gailing 2012).

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logiken anderer regionaler Akteure, etwa den Protagonisten des „Industriellen Gartenreichs“ oder den Verfechtern einer einseitig ökonomisch ausgerichteten Entwicklungsstrategie, wie sie vom Institut der Deutschen Wirtschaft propagiert worden ist (Brachert 2010). Am Beispiel der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft wollen wir im Folgenden den Einfluss informeller und formeller Institutionen auf die Konstruktion einer Kulturlandschaft als kollektivem Handlungsraum aufzeigen und dabei die Funktion von Governance-Formen als Koordinationsmechanismen kollektiven Handelns, die in unterschiedlichen Institutionensystemen verortet sind und zugleich in einem interdependenten Beziehungsgefüge zueinander stehen, herausarbeiten. Wir konzentrieren uns auf zwei Institutionensysteme, die Denkmalpflege und den Naturschutz, weil wir sie für die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft als die beiden dominierenden ansehen. Um die Eigenart dieser Kulturlandschaft als eine der entwicklungspolitischen Kontroversen und Konfrontationen verstehen zu können, beschäftigen wir uns des Weiteren mit der entwicklungspolitischen Programmatik und Strategie des „Industriellen Gartenreichs“. Im Schlusskapitel sollen die Einsichten und Erkenntnisse, die am empirischen Material gewonnen worden sind, verallgemeinert werden. Mit Aussagen über Institutionen und Governance-Formen als „Baumeistern“ kulturlandschaftlicher Handlungsräume werden wir den Beitrag beenden.

2. E INE IDIOGR APHISCHE A NNÄHERUNG AN DIE S PUREN MENSCHLICHER G ESTALTUNG UND N UT ZUNG IN DER D ESSAU -W ÖRLIT ZER K ULTURL ANDSCHAF T Schon die Bezeichnung verrät es: Als prägendes Element dieser Kulturlandschaft gilt das historische Gartenreich Dessau-Wörlitz, das seine Existenz und Gestaltung Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) zu verdanken hat. Um die heutige physisch-materielle Heterogenität dieser Kulturlandschaft zu begreifen, soll eine erste Annäherung über die Übersichtskarte des Gartenreichs Dessau-Wörlitz erfolgen. Sie zeigt, wie zwei Flusslandschaften das Gebiet durchziehen. Im Norden wird der Raum insgesamt von der Elbe begrenzt. Im westlichen Teil fließt die Mulde von Süd nach Nord, um nördlich von Dessau am Elbzollhaus in die Elbe zu münden.

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Abbildung 1: Übersichtskarte Gartenreich Dessau-Wörlitz

Quelle: Kulturstiftung DessauWörlitz, Bildarchiv

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Die Karte zeichnet ein anschauliches Bild der heterogenen Nutzung durch den Menschen, der dieser Raum historisch unterworfen war und auch gegenwärtig unterworfen ist. Die Anlagen des heutigen Gartenreichs bilden die ersten Spuren. Wie kleine Inseln liegen in der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft von West nach Ost folgende historische Schloss- und Parkanlagen: Schloss und Park Mosigkau; Kühnauer Park; Georgengarten; Luisium; Sieglitzer Park; Bertingpark; Wörlitzer Anlagen; Schloss und Park Oranienbaum. Eine andere Art von Spuren bilden die menschlichen Siedlungen. Hervorzuheben sind drei Siedlungen unterschiedlicher Größe: im Westen die Stadt Dessau, die 2007 mit dem nördlich gelegenen Roßlau zu Dessau-Roßlau mit 86.840 Einwohnern (Stand: 12/2010) vereinigt worden ist; im Osten die Ortschaft Wörlitz und im Südosten die Ortschaft Oranienbaum, die sich mit anderen Gemeinden 2011 zur Stadt OranienbaumWörlitz zusammengeschlossen haben. Spuren menschlicher Nutzungen haben auch technische Infrastrukturen aus unterschiedlichen Epochen hinterlassen. Bereits unter Fürst Franz I sind im Gartenreich Dessau-Wörlitz Dämme und Wälle gebaut worden, um das Gartenreich vor den Überflutungen durch Elbe und Mulde zu schützen. Es sind Wassergräben für die Landschaftsgärten und die Landwirtschaft im Gartenreich gezogen worden. Mit dem Beginn der Industrialisierung ist der Raum mit Verkehrsinfrastrukturen erschlossen worden (Kreißler 2006). 1839 erfolgte der erste Spatenstich für den Bau der Berlin-Anhalter-Eisenbahn. Weitere Bahnstrecken sind die heutige RE-Strecke BerlinDessau, die Dessau-Wörlitzer-Eisenbahn sowie die ehemalige Kohlebahn. Der Raum wird von großen Verkehrsstraßen durchzogen. Mitten durch das historische Gartenreich führt die Autobahn A 9 Berlin-München, die 1937/38 gebaut worden ist, mit den beiden Anschlussstellen Dessau-Ost und Dessau-Süd. Neben der Autobahn queren die Bundesstraßen 184, 185 und 107 den Raum. Zur Verkehrsinfrastruktur, die nach der deutschen Wiedervereinigung gebaut worden ist, zählen die Radwege. Der Fernradweg R1 führt im Nordwesten in das Gebiet und verlässt es wieder in südöstlicher Richtung bei Oranienbaum. Der Elbradweg führt im Norden in Elbnähe durch die Landschaft. Der Muldental-Radweg führt, vom Süden kommend, in Muldennähe durch den westlichen Teil. Schließlich gibt es eine „Gartenreichtour Fürst Franz“, die in weiten Bögen durch das Gartenreich Dessau-Wörlitz insgesamt führt. Aus der Übersichtskarte lässt sich ablesen, dass die Kulturlandschaft Dessau-Wörlitz auch ein Standort industrieller Produktion war. An einem

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Elbe-Bogen, zwischen Luisium und Wörlitzer Anlagen, liegt das stillgelegte Kohlekraftwerk Vockerode mit seinen ehemaligen großen Gewächshäuser-Anlagen. Geprägt wird die Kulturlandschaft Dessau-Wörlitz heute von kleinen, verinselten Wald-, Grünland- und Ackerflächen. Eine Vielzahl von historischen Bauwerken (Schlossbauten, Kirchenbauten, Wallwachhäusern etc.) befindet sich im Gartenreich.

3. D ENKMALPFLEGE 3: Z WEI W ELTERBESTÄT TEN IN ENGER N ACHBARSCHAF T Für die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft als regionalem Handlungsraum hat das Institutionensystem der Denkmalpflege eine herausragende Bedeutung. Im Jahr 1996 sind die Bauhausstätten in Dessau-Roßlau in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen worden, im Jahr 2000 die Kulturlandschaft Gartenreich Dessau-Wörlitz.4 Die Bauhausstätten in DessauRoßlau und die Kulturlandschaft Gartenreich Dessau-Wörlitz stehen als Kulturdenkmale somit unter einem doppelten Schutz: auf supranationaler Ebene unter dem Schutz der UNESCO5 und auf subnationaler Ebene unter dem des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt. Beide Kulturdenkmale stellen im Sinne des Gesetzes Denkmalbereiche und nicht 3 | Denkmalpflege verstehen wir als Oberbegriff für kollektives Handeln öffentlicher und nicht-öffentlicher Akteure, das die Erhaltung, Instandhaltung und Instandsetzung von Denkmälern bezwecken soll. Er umfasst auch den Denkmalschutz i.e.S., der beispielsweise nach Martin (2004, 1) lediglich für die hoheitlichen Maßnahmen der öffentlichen Hand steht. 4 | Im Land Sachsen-Anhalt sind insgesamt vier herausragende Kulturdenkmale in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen worden. Neben den beiden oben genannten sind dies die Altstadt von Quedlinburg (1994) sowie die Luthergedenkstätten in Wittenberg und Eisleben (1996). 5 | Das „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“, das 1972 von den Mitgliedstaaten der UNESCO angenommen worden ist, kann auf supranationaler Ebene als ein Kerndokument von Denkmalpflege und Naturschutz gelten. Mit ihm werden laut Ziffer 4 der Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens „Erfassung, Schutz, Erhaltung und Präsentation des Kultur- und Naturerbes von außergewöhnlichem universellen Wert sowie dessen Weitergabe an künftige Generationen“ (UNESCO World Heritage Centre 2005) geregelt.

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Einzelbauwerke dar. Hinter dieser gemeinsamen Kategorie verbergen sich jedoch zwei Kulturdenkmäler von ganz unterschiedlicher Gestalt. Zum Kulturdenkmal „Bauhausstätten in Dessau-Roßlau“ gehören ausgewählte, von dem Architekten und Bauhausdirektor Walter Gropius entworfene Bauten in Dessau: das Hauptgebäude, die Meisterhäuser und die Bauhaussiedlung Törten. Die Besonderheit der Welterbestätte „Bauhaus“ besteht darin, dass sie über zwei Standorte verfügt, über die genannten Gropius-Bauten in Dessau-Rosslau und über Gebäude in Weimar, dem ersten Bauhausstandort (1919-1925), die von Henry van de Velde gebaut worden sind. Damit verfügt dieses UNESCO-Welterbe über einen Standort im Land Sachsen-Anhalt (Dessau-Roßlau) und einen im Land Thüringen (Weimar). Es ist Teil eines überörtlichen, zwischenstaatlichen Denkmalbereichs und zugleich, aufgrund seiner räumlichen Lage, Teil der DessauWörlitzer Kulturlandschaft. Von ganz anderer Gestalt ist das Kulturdenkmal „Kulturlandschaft Gartenreich Dessau-Wörlitz“. In der Logik des Denkmalrahmenplans Gartenreich Dessau-Wörlitz besteht es aus 21 historischen Kulturlandschaftsräumen, 21 Siedlungen (historische Ortskerne) und neun historischen Gärten. Der Denkmalbereich umfasst eine Fläche von rund 140 km² (Kulturstiftung DessauWörlitz et al. 2009, 24 f.).

3.1 Ontologische Setzungen und Werte Der gesetzliche Auftrag der Denkmalpflege besteht darin, Kulturdenkmale als gegenständliche Zeugnisse menschlichen Lebens aus vergangener Zeit zu erhalten, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. § 2 Abs. 1 DSchG LSA bestimmt, dass ein öffentliches Interesse dann besteht, wenn die Denkmale „von besonderer geschichtlicher, kulturell-künstlerischer, wissenschaftlicher, kultischer, technisch-wirtschaftlicher oder städtebaulicher Bedeutung sind“. In dem Terminus „Zeugnisse“ kommt zum Ausdruck, dass für jedes Objekt der Denkmalpflege in jedem Einzelfall zu begründen ist, worin dessen einzigartige und herausgehobene Bedeutung („Zeugnis“) für die gesellschaftliche Entwicklung liegt. Was in diesem Sinne als Denkmal bzw. Kulturdenkmal qualifiziert wird, bleibt offen. Dies können Baudenkmale, Garten- oder Bodendenkmale, Denkmalbereiche, bewegliche Kulturdenkmale oder Kleindenkmale sein. Interessant ist, dass im Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt ausdrücklich formuliert wird, dass ein Kulturdenkmal im Sinne des Gesetzes auch Denkmalberei-

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che historischer Kulturlandschaften sein können, die in der Liste des Erbes der Welt der UNESCO aufgeführt sind (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2 DSchG LSA). Mit dieser Bestimmung, die 2003 in das Gesetz aufgenommen worden ist, trägt der Gesetzgeber explizit der herausgehobenen und besonderen kulturgeschichtlichen Bedeutung des historischen Gartenreichs DessauWörlitz Rechnung. In diesem Kapitel interessieren uns die ontologischen Setzungen, d.h. die kulturell geteilten Sichtweisen, Raumbilder und Wertvorstellungen, die im Zusammenhang mit dem Gartenreich Dessau-Wörlitz und den Bauhausstätten Dessau-Roßlau den öffentlichen Diskurs bestimmen. Wir verstehen sie als informelle Institutionen, die als grundlegende Deutungsmuster der Realität für jedes sektorale Institutionensystem und damit für das Handeln seiner Akteure eine grundlegende Bedeutung haben. Man kann nahezu jede beliebige Publikation zur Hand nehmen, sei dies ein Bild- und Textband, ein Reiseführer oder seien es wissenschaftliche Abhandlungen – übereinstimmend gilt das Gartenreich DessauWörlitz des Fürsten Franz als Inkarnation der Maxime, das Schöne mit dem Nützliche zu verbinden.6 In der Begründung der UNESCO, mit der diese im Jahr 2000 das Gartenreich Dessau-Wörlitz in die Welterbeliste aufgenommen hat, hieß es, dieses sei „ein herausragendes Beispiel für die Umsetzung philosophischer Prinzipien der Aufklärung in einer Landschaftsgestaltung, die Kunst, Erziehung und Wirtschaft harmonisch miteinander verbindet“ (Weiss 2010, 20 ff.). Es ist offenbar diese einzigartige Verschränkung von ästhetischen und utilitaristischen Werten, von Idee und Materie, der das Gartenreich Dessau-Wörlitz seine inspirierende Kraft verdankt, über die Jahrhunderte wie auch über unterschiedliche Gesellschaftssysteme hinweg. Die Rede ist von einer „Gemütslandschaft ersten Ranges mit ihren atemberaubenden jahreszeitlichen Stimmungsbildern“ (ebd., 24) oder vom „Landschaftsgesamtkunstwerk“ (Küster und Hoppe 2010, 7). Auch die Bauhausstätten in Dessau-Roßlau stehen für eine derartige Kombination. Mit seinem Programm für funktionales Bauen steht das Bauhaus als Synonym für moderne Architektur und Lebensumwelt. Zu6 | Als Schöpfer dieser Maxime hat Horaz zu gelten, der von den Dichtern gesagt hat, dass derjenige unter ihnen den größten Erfolg hat, der gefällig und nützlich zugleich schreibt. Daraus ist im Deutschen die Redensart entstanden, dass man am besten „das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet“.

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gleich gilt die Bauhauslehre bzw. das pädagogische Prinzip des Bauhauses als „geistiges Welterbegut“ (Müller-Krug 2002, 73). In der offiziellen Begründung der UNESCO heißt es denn auch: „Das Bauhaus mit seinen Stätten in Weimar, Thüringen, und Dessau, Sachsen-Anhalt, steht für die sogenannte Bauhaus-Schule der Architektur, die zwischen 1919 und 1933 revolutionäre Ideen der Baugestaltung und Stadtplanung durchsetzte.“ (Stiftung Bauhaus Dessau o. J.) In einem Geschichtswerk über die Stadt Dessau werden die Visionen beider Welterbestätten in Beziehung zueinander gesetzt: „Meisterhäuser und Siedlung Törten belegen eine Rezeption von grundlegenden Prinzipien der englischen Gartenbewegung und damit auch des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches des späten 18. Jahrhunderts durch Walter Gropius.“ (Thöner und Schöbe 2006, 406)

3.2 Institutionen, Akteure und Governance-Formen 3.2.1

Das Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt als formelle Institution

Die Aufnahme eines Kulturdenkmals in die UNESCO-Welterbeliste enthält gemäß Artikel 5 der Welterbekonvention die völkerrechtliche Verpflichtung für die Vertragsstaaten, „wirksame und tatkräftige Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Kultur- und Naturerbes“ (Deutsche UNESCOKommission o. J.) zu ergreifen. Im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland unterliegt die Erfüllung dieser kulturpolitischen Verpflichtung den Ländern, da sie die Kulturhoheit ausüben und damit auch für Denkmalpflege und Denkmalschutz zuständig sind. Im Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (DSchG LSA) sind Grundsätze und Ziele des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege festgelegt wie auch die Organisation und Zuständigkeiten der Denkmalbehörden geregelt. Oberste Denkmalschutzbehörde ist das Kultusministerium in Magdeburg. Es übt die Fachaufsicht über die obere Denkmalschutzbehörde sowie die Dienst- und Fachaufsicht über das Denkmalfachamt aus (§ 3 DSchG LSA). Obere Denkmalschutzbehörde ist das ebenfalls in Magdeburg ansässige Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt mit seinem Referat „Denkmalschutz, UNESCO-Weltkulturerbe“. Dieses übt die Fachaufsicht über die Unteren Denkmalschutzbehörden aus (§ 4 DSchG LSA). Es versteht sich als Beratungs- und Koordinierungsstelle

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und verweist in einer Selbstdarstellung ausdrücklich auf Aufgaben, die im Zusammenhang mit dem Weltkulturerbe-Status von Denkmalen stehen (Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt o. J.). Die Kommunen nehmen in Sachsen-Anhalt die Aufgaben der Unteren Denkmalschutzbehörden wahr (§ 4 Abs. 3 DSchG LSA). Die entscheidende „Gelenkstelle“ zwischen staatlicher und kommunaler Ebene, zwischen zentraler Entscheidungsgewalt auf der subnationalen Ebene und dezentralen Zuständigkeiten, zwischen politischer und Fachkompetenz, ist das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (Landesmuseum für Vorgeschichte) in Halle/Saale, eine nachgeordnete Behörde des Kultusministeriums. Es nimmt die vielfältigen Aufgaben eines Denkmalfachamtes wahr, von der „wissenschaftlichen Erfassung, Erforschung und Dokumentation des Bestandes an Kulturdenkmalen in Sachsen-Anhalt“ bis zur „musterhaften Ausarbeitung von Vorschlägen für Maßnahmen an Kulturdenkmalen und Fachplanungen“ (§ 5 Abs. 2 DSchG LSA). Das Gesetz in Sachsen-Anhalt sieht weiterhin die Mitwirkung von Experten aus der Zivilgesellschaft in Gestalt von ehrenamtlich Beauftragten und von Denkmalräten vor (§ 6 DSchG LSA). Diese staatlichen Akteure sind für beide Welterbestätten der DessauWörlitzer Kulturlandschaft zuständig. Interessant ist, dass sich die Zuständigkeiten auf der lokalen Ebene gabeln. Wir haben es hier mit zwei Akteuren zu tun, die als Untere Denkmalschutzbehörden mit unterschiedlichen sachlichen und räumlichen Zuständigkeiten agieren: die Kulturstiftung DessauWörlitz als eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die mit ihrer Abteilung 1 (Verwaltung/Untere Denkmalschutzbehörde) für die „Kulturlandschaft Gartenreich Dessau-Wörlitz“ zuständig ist7, sowie das Stadtplanungsamt der Stadt Dessau-Roßlau, das für die Bauhausstätten zuständig ist. Diese Konstellation ist insofern ungewöhnlich, als das Kuratorium der Kulturstiftung DessauWörlitz, das als Entscheidungs- und Aufsichtsorgan der Kulturstiftung wirkt, zur Hälfte aus Mitgliedern bzw. hohen Repräsentanten der Landesregierung des Landes Sachsen-Anhalt besteht. Ein weite7 | Vorgängereinrichtung ist die im Jahr 1918 errichtete Joachim-Ernst-Stiftung durch den damaligen Prinzregenten Aribert von Anhalt. 1994 ist die Stiftung durch Beschluss der Landesregierung Sachsen-Anhalt als öffentlich-rechtliche Stiftung mit dem jetzigen Namen wiederbelebt worden. Ende 2004 ist die Kulturstiftung mit der Stiftung Schloss Mosigkau zusammengelegt worden.

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res Mitglied, nämlich der Landeskonservator des Landes Sachsen-Anhalt, steht im Dienst der Landesregierung. Zwei weitere Mitglieder, die laut Satzung der Kulturstiftung DessauWörlitz „am anhaltischen Kulturleben besonders interessiert“ sein sollen, werden vom Ministerpräsidenten ernannt.8 Die Abteilung I der Hauptverwaltung der Kulturstiftung DessauWörlitz als Untere Denkmalschutzbehörde ist also in das hierarchische Institutionengefüge des staatlichen Denkmalschutzes gleichsam in doppelter Weise eingebunden. Fassen wir zusammen: Wie in allen Bundesländern ist das staatliche Institutionensystem der Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt in seiner formellen Aufbauorganisation hierarchisch gegliedert, mit klar definierten Anweisungskompetenzen und Erfüllungspflichten, Aufgaben und Zuständigkeiten der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen der Staatsorganisation. Die Governance-Formen, die im Rahmen des Geltungsbereichs des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt praktiziert werden, sind geprägt von Verfahren der hierarchischen Anweisung und Kontrolle von oben nach unten. Diese sind im Denkmalschutzgesetz als Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung von Kulturdenkmälern sowie durch weitere Verfahrensvorschriften geregelt, die von Genehmigungspflichten bis zu Straftaten und Ordnungswidrigkeiten reichen. Der Umgang mit Kulturdenkmälern, die unter Denkmalschutz stehen, unterliegt rechtlich verbindlichen Regeln, die bei Nichteinhaltung sanktioniert werden können.

3.2.2

Die Kulturstiftung DessauWörlitz als Akteur sui generis

Als Besonderheit im Institutionensystem der Denkmalpflege in SachsenAnhalt muss die Kulturstiftung DessauWörlitz gelten. Die hochrangige Besetzung ihres Kuratoriums mit Mitgliedern und Repräsentanten der Landesregierung Sachsen-Anhalt werten wir als Ausdruck der besonderen politischen Bedeutung, die das Gartenreich Dessau-Wörlitz für deren Kulturpolitik, Raumentwicklungspolitik, Wirtschafts- und Agrar- sowie

8 | Einzig zwei Mitglieder des Kuratoriums, der Oberbürgermeister der Stadt Dessau sowie der Vertreter der Bundesregierung, können für sich reklamieren, von der Landesregierung unabhängig zu sein.

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Umweltpolitik hat.9 Zugleich wird damit der Kulturstiftung DessauWörlitz ein außerordentliches Prestige verliehen. Mit ihrem Vorstand/Direktor und mit ihrer Hauptverwaltung10 fungiert sie in der Doppelrolle als Untere Denkmalschutzbehörde einerseits – und ist damit in das formelle Institutionensystem der staatlichen Denkmalpflege des Landes Sachsen-Anhalt eingebunden – und zugleich als Akteur sui generis, der außerhalb dieses formellen Institutionensystems steht und für die Erfüllung des Stiftungszwecks zu sorgen hat. In der Satzung der Kulturstiftung DessauWörlitz heißt es dazu in § 2 Abs. 1 und 2: „Zweck der Stiftung ist die Erhalt und Entwicklung des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches als herausragendes Kulturdenkmal, insbesondere die Erhaltung von Museen und Sammlungen, des Wörlitzer Gartens und ihrer sonstigen Parkanlagen und Architekturen sowie die Erfüllung kultureller Aufgaben, die sonst der Verwaltung des Landes obliegen. Des Weiteren obliegen der Stiftung die Erhaltung und weitere Ausgestaltung des Schlosses und Schlossgartens Mosigkau.“

In einem Geflecht vielgestaltiger Kooperationsbeziehungen mit Vertretern der staatlichen Kultusverwaltung und der regionalen Biosphärenreservatsverwaltung, mit privaten Akteuren aus dem In- und Ausland wie auch gemeinsam mit den Repräsentanten anderer Welterbestätten in SachsenAnhalt gelingt es diesem Akteur, neuartige kulturlandschaftliche Governance-Formen zu entwickeln, um dem doppelten Auftrag von Erhaltung und Entwicklung nachzukommen. Mit einer wollen wir uns im Folgenden näher beschäftigen.

9 | Die Satzung der Kulturstiftung DessauWörlitz nennt in § 7 Abs. 1 folgende Geschäftsbereiche der Landesregierung, die im Kuratorium vertreten sein müssen: Kultusminister, Städtebau und Verkehr, Wirtschaft, Landwirtschaft und Umwelt. Dass auch der Geschäftsbereich Finanzen im Kuratorium vertreten sein muss, unterstreicht nur die politische Bedeutung von Akteur und Kulturlandschaftsraum. 10 | Die Hauptverwaltung der Kulturstiftung hat ihren Sitz im Schloss Großkühnau in Dessau. Sie gliedert sich in vier Abteilungen: Verwaltung/Untere Denkmalschutzbehörde; Bau- und Denkmalpflege; Schlösser und Sammlungen; Gärten und Gewässer. Dazu kommt eine Stabsstelle „Kommunikation und Service“.

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3.2.3

Der „Denkmalrahmenplan Gartenreich Dessau-Wörlitz“ als Instrument informeller Planung

Mit der Erarbeitung eines Denkmalrahmenplans für das Gartenreich Dessau-Wörlitz, der am 17. November 2009 vom damals amtierenden Kultusminister, dem Direktor der Kulturstiftung DessauWörlitz und der Landeskonservatorin des Landes Sachsen-Anhalt der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist, haben die verantwortlichen Akteure eine Verpflichtung erfüllt, die sich aus jeder Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste ergibt: die Erarbeitung eines Managementplans, in dem Ziele und Maßnahmen festgelegt werden, „mit denen der Schutz, die Pflege und Nutzung von Welterbestätten verwirklicht werden sollen“ (Ringbeck 2008, 6).11 Zwischen 2001 und 2008 ist die gesamte Fläche des Gartenreichs Dessau-Wörlitz von Fachleuten unterschiedlicher kunst- und planungswissenschaftlicher Fachdisziplinen unter Leitung der Landeskonservatorin des Landes Sachsen-Anhalt und des Direktors der Kulturstiftung DessauWörlitz dokumentiert, erforscht und denkmalpflegerisch bewertet worden. Herausgegeben wurde eine großformatige Publikation von rund 200 Seiten mit einer Fülle an Fotos, Zeichnungen und Karten. Mit dem Denkmalrahmenplan wird ein enormer, um nicht zu sagen: in dieser Systematik und Tiefe einmaliger Fundus an historischem Wissen über das Gartenreich Dessau-Wörlitz bereit gestellt, differenziert in die drei Bereiche Landschaft, Siedlungen/Ortskerne und Gartenanlagen. Für jeden dieser Bereiche wird zudem ein Leitbild entwickelt, und es werden Maßnahmen zur Instandhaltung, Konservierung und Wiederherstellung entwickelt. Zum Planungsraum wird angegeben, dass er „weder völlig deckungsgleich mit dem Denkmalbereich Gartenreich Dessau-Wörlitz noch mit dem Welterbegebiet Dessau-Wörlitz“ sei, vielmehr „ein definiertes Gebiet mit einer Fläche von ca. 25 100 ha“ umfasse (Kulturstiftung DessauWörlitz et al. 2009, 25). Es gehört zum normativen Charakter eines Denkmalrahmenplans, dass auch dokumentiert und bewertet wird, was als Störung und Zerstörung der Kulturlandschaft zu gelten hat. In beredten Worten wird geschildert, wie massenhafte Flächennutzungen im Zusammenhang mit der In11 | Am 01.02.2005 sind die „Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ in neuer Fassung in Kraft getreten. Seitdem ist die Erarbeitung eines Managementplans für jede Welterbestätte zwingend vorgeschrieben.

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dustrialisierung und Errichtung von Industrieanlagen im Raum Dessau, der Expansion der Stadt Dessau und dem Bau von Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur die historische Landschaft verändert und auch zerstört haben (ebd., 61 ff.). Einen Eindruck davon sollte oben die Annäherung an die Spuren menschlicher Gestaltung und Nutzung vermitteln, mit der wir uns einen ersten Zugang zur Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft geschaffen haben. Wie die Zusammenstellung der am Projekt beteiligten Institutionen und Verwaltungen zeigt, waren in den Prozess der Erarbeitung des Denkmalrahmenplans nicht nur die Kulturstiftung DessauWörlitz sowie die staatlichen Institutionen eingebunden, die das formelle Institutionensystem der Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt bilden, nämlich das Kultusministerium als oberste Denkmalschutzbehörde, die obere Denkmalbehörde sowie das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Mitgewirkt haben auch die Biosphärenreservatsverwaltung „Mittelelbe“ sowie die Stadt Dessau-Roßlau, der Landkreis Anhalt-Bitterfeld bzw. dessen beiden Vorgänger, die Landkreise Anhalt-Zerbst und Bitterfeld (bis 2006), die Stadt Oranienbaum und die Verwaltungsgemeinschaft Wörlitzer Winkel (ebd., Ziff. 9.5 im Anhang). Mit der Bearbeitung und Steuerung des Projekts waren private Planungsbüros der Landschaftsplanung und Denkmalpflege beauftragt (ebd., 22). Interessant an dieser Akteurskonstellation ist, dass damit der Kreis der Beteiligten aus dem öffentlichen Sektor von Anbeginn an über den im eigentlichen Sinn mit Denkmalpflege befassten hinausgegangen ist. Mit der Biosphärenreservatsverwaltung „Mittelelbe“ hat explizit der zentrale Akteur des Naturschutzes in der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft mitgewirkt. Mit den kommunalen Gebietskörperschaften ist das spezialisierte Institutionensystem der Denkmalpflege für die umfassenderen politischen Belange dieser kommunalen Akteure geöffnet worden. Die Landeskonservatorin von Sachsen-Anhalt qualifiziert in ihrem Geleitwort den Denkmalrahmenplan als „ein neues denkmalpflegerischplanerisches Instrument für das Gartenreich Dessau-Wörlitz“ sowie als „ein informelles Planwerk“ (ebd., 13 und 14). Mit dieser Qualifizierung erfahren die Verfahren der hierarchischen Steuerung, die für das Institutionensystem der Denkmalpflege so prägend sind, eine interessante Weiterung. Als informelles Planwerk, d.h. ohne formelle Durchsetzungskompetenzen, das sich als „Instrument für die praktische Denkmalpflege“ an „alle planenden und handelnden Akteure“ (ebd., 13) richtet, macht es

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das Gartenreich Dessau-Wörlitz zu einem potenziellen Handlungsraum, der vielfältige Handlungsoptionen für staatliche, kommunale und private Akteure ganz unterschiedlicher Fachdisziplinen und damit für neuartige Formen der Kooperation jenseits der gesetzlich regulierten Verfahren der Denkmalpflege eröffnet.

4. N ATURSCHUT Z : D AS UNESCO-B IOSPHÄRENRESERVAT M IT TELELBE Das UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe12 ist integrierter Bestandteil der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft. Insofern spielt – neben der Denkmalpflege – das Institutionensystem des Naturschutzes ebenfalls eine herausragende Rolle bei der Konstruktion der Kulturlandschaft als kollektivem Handlungsraum. Von seiner Ausdehnung her umfasst es seit 1997 den gesamten Elbelauf in Sachsen-Anhalt und geht damit weit über die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft hinaus. Will man dieses Gebiet als regionalen naturschutzfachlichen Handlungsraum verstehen, muss man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass es auf supranationaler wie auf nationaler Ebene in miteinander vernetzte Institutionengefüge eingebunden ist. Mit dem formellen Status eines Biosphärenreservats hat es teil am UNESCO-Programm „Man and Biosphere“ (MAB) und unterliegt damit dessen Visionen und Bestimmungen. Als Teil des UNESCO-Biosphärenreservats „Flusslandschaft Elbe“, das sich entlang der Elbe und damit entlang von mehr als 400 km Flusslauf zieht, ist es eingebunden in ein länderübergreifendes Institutionengefüge, das von den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gebildet wird. In seiner heutigen flächenbezogenen Gestalt hat sich das Biosphärenreservat Mittelelbe in einem stetigen Prozess der Erweiterung herausgebildet. Als Ursprungsgebiet gilt das Biosphärenreservat Steckby-Lödderitzer Forst, das westlich von Dessau liegt. Es ist im Jahr 1979 als erstes deutsches Biosphärenreservat von der UNESCO anerkannt worden. Im Verlaufe seiner nunmehr über dreißigjährigen Geschichte hat das Biosphärenreservat eine stetige Gebietserweiterung und damit einhergehende Namensänderungen erfahren. Drei Stationen in der Entwicklung sind für unser Thema 12 | Vgl. dazu den Beitrag von Mölders in diesem Sammelband.

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der Konstruktion von Kulturlandschaften durch Institutionen und Governance von besonderer Bedeutung: die Erweiterung des Biosphärenreservats um das Gartenreich Dessau-Wörlitz im Jahr 1988; die Zustimmung der UNESCO im Jahr 1997 zu einer großflächigen, länderübergreifenden Erweiterung zum Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“ sowie die Erklärung des Biosphärenreservats durch Allgemeinverfügung des Umweltministeriums Sachsen-Anhalt im März 2006 und die Umbenennung in Biosphärenreservat „Mittelelbe“. Von ehemals rund 2000 Hektar Fläche hat das Biosphärenreservat in diesem Zeitraum eine Erweiterung auf heute knapp 126.000 Hektar erfahren.

4.1 Ontologische Setzungen und Werte Die Landschaft der Mittelelbe gilt als eine der letzten naturnahen Flusslandschaften Europas. Geprägt wird ihr Landschaftsbild von Auwäldern, denen die einzigartige Qualität zugesprochen wird, die letzten zusammenhängenden Hartholzauwälder Mitteleuropas zu sein. Symbol des Biosphärenreservats Mittelelbe ist der Elbebiber, eine typische Tierart der Aue, der am Mittellauf der Elbe sein letztes Rückzugsgebiet gefunden hat, nachdem er um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nahezu ausgestorben, weil ausgerottet war. Obwohl sich der Bestand inzwischen erholt hat, ist der Elbebiber auch aktuell eine streng geschützte Tierart im Biosphärenreservat, die in ihrem Lebensraum nicht gestört, gefangen oder getötet werden darf. Biberstaue und -burgen dürfen nicht beeinträchtigt werden. Gilt der Elbebiber als Symbol für die Fauna an der Mittelelbe, ist es die Wassernuss bzw. Wasserkastanie für deren Flora. Einst verbreitetes Nahrungsmittel für die Menschen in der Region, steht die Wassernuss seit 1987 auf der Liste bedrohter Arten. Auch diese Pflanze erfährt im Biosphärenreservat ihren besonderen Schutz und wird gemeinsam mit weiteren Arten der Roten Liste Sachsen-Anhalts gärtnerisch kultiviert.

4.2 Institutionen, Akteure und Governance-Formen 4.2.1

Handlungsleitende Auffassungen und Handlungsweisen im Naturschutz als informelle Institutionen

Was ist eigentlich eine schützenswerte Natur? Darüber gibt es im Naturschutz unterschiedliche Auffassungen. Es dominieren ökologische Wer-

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te, die sich in Argumente differenzieren, die einerseits dem Diskurs über Biodiversität zugeordnet werden, andererseits dem Diskurs über Prozessschutz (Jedicke 1998, Sachverständigenrat für Umweltfragen 2002). Kulturellen Werten wie Schönheit, Eigenart und Vielfalt wird in der Wertehierarchie des Naturschutzes ein impliziter zweiter Rang zugesprochen. Ökologische und kulturelle Werte werden seit geraumer Zeit von ökonomischen überlagert. Damit sind ein Trend weg von ökologischen Werten und eine Hinwendung zu Aufgaben der Regionalentwicklung, der Strukturpolitik und der ökonomischen Wertschöpfung zu erkennen. Als gemeinsame geteilte Sichtweise gilt unter naturschutzfachlichen Akteuren (Becker 1998), dass in Natur und Landschaft bedrohliche Entwicklungen wie Artenverlust, Überbauung und Zerschneidung von Freiflächen oder – generell – Landschaftszerstörung zu konstatieren sind, die die Notwendigkeit von Maßnahmen begründen. Als eine grundlegende Handlungsorientierung des Naturschutzes gilt das Prinzip der Zonierung bzw. das Prinzip der differenzierten Landnutzung (Haber 1972), das es beispielsweise in Großschutzgebieten mit ihrer Unterscheidung zwischen Kern-, Übergangs- und Entwicklungszonen erlaubt, auch aus naturschutzfachlicher Perspektive die Schutzerfordernisse von Landschaften mit denen ihrer Entwicklung in Einklang zu bringen. Als neuere handlungsleitende Auffassung im Naturschutz kann die zunehmende Akzeptanz von umweltbezogener Bildungsarbeit, die Kooperation naturschutzfachlicher Akteure mit Ehrenamtlichen, Landnutzern und Verbrauchern sowie die Akzeptanz eines Regionalmarketings gelten (Konold und Reidl 2006). Dies entspricht einem kooperativen Naturschutzverständnis, das der Vielfalt der von den multifunktionalen Zielen des Naturschutzes betroffenen Akteure gerecht werden kann. Das Programm „Man and Biosphere“, das die konzeptionellen Rahmenbedingungen für Biosphärenreservate vorgibt, ist im Oktober 1970 anlässlich der 16. UNESCO-Generalkonferenz ins Leben gerufen worden. In seinem Selbstverständnis und in seiner inhaltlich-strategischen Ausrichtung hat es seit seiner Begründung einen interessanten Wandel erfahren, den Mölders (2010, 106) wie folgt zusammenfasst: „Während es in den 1970er Jahren darum ging, bedeutende Naturlandschaften unter Schutz zu stellen, entwickelten sich Biosphärenreservate in den 1980er Jahren zu einem differenzierten Raumgestaltungsinstrument mit dem Ziel, ein weltumspannendes Gebietssystem mit repräsentativen Ausschnitten bestimmter

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Landschaften zu erfassen […] – aus einer internationalen Schutzgebietskategorie wurden Modellregionen nachhaltiger Entwicklung.“

In einer Broschüre aus dem Jahre 2009 zum 30-jährigen Bestehen des Biosphärenreservats Mittelelbe heißt es entsprechend: „Der besondere Charakter des Biosphärenreservats umfasst neben klassischem Naturschutz auch ökonomische und soziale Handlungsbereiche.“ (Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt 2009, 5)

4.2.2

Projektorientierung als Ausdruck kooperativer Governance-Formen

Für die Entwicklung und Gestaltung der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft werden Projekte vielfältiger Art mit ihren spezifischen GovernanceFormen genutzt. Im Handlungskontext des UNESCO-Biosphärenreservats Mittelelbe soll dies am Beispiel von zwei Projekten gezeigt werden, die in benachbarten Teilgebieten des Biosphärenreservats, aber mit denselben Zielsetzungen durchgeführt werden: das Naturschutzgroßprojekt „Mittlere Elbe“ zwischen Mulde- und Saalemündung sowie das Projekt „DessauWörlitzer Elbauen“ bei Vockerode. Das Projektgebiet des Naturschutzgroßprojekts „Mittlere Elbe“ erstreckt sich über insgesamt 33,5 Flusskilometer entlang der Elbe zwischen Mulde- und Saalemündung und umfasst eine Fläche von rund 9000 Hektar. Offizieller Projektbeginn war im November 2001. Im Jahr 2018 soll das Projekt abgeschlossen sein. Mit ihm wird ein doppeltes Ziel verfolgt: ein naturschutzfachliches Entwicklungsziel, weil es um die Schaffung und Sicherung eines durchgehenden Verbundes von Auwäldern geht, sowie ein sicherheitstechnisches Ziel, weil der Hochwasserschutz in der Region verbessert werden soll, indem im Projektgebiet die Überflutungsaue vergrößert und im Bereich des Lödderitzer Forstes zwischen Aken und Breitenhagen eine Deichrückverlegung vorgenommen werden soll (Priebe o. J.). Einige hundert Meter hinter dem derzeitigen Hochwasserschutzdeich wird auf sieben Kilometern Länge ein neuer Deich gebaut werden. Das Projekt gilt als „Modellprojekt in Deutschland für den ökologischen Hochwasserschutz“ (WWF o. J.-b). Mit dem Status eines Naturschutzgroßprojekts gehört es zu den „Fördergebieten gesamtstaatlicher repräsentativer Bedeutung“. Damit ist seine Förderung nicht nur eine Angelegenheit des Landes Sachsen-Anhalt, sondern vor allem eine Angelegenheit des Bundes. Seine Qualifizierung

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verdankt das Projekt folgenden Sachverhalten: In dem Gebiet befinden sich die letzten noch zusammenhängenden Auwälder an der deutschen Elbe sowie sehr gut erhaltene Stromtalwiesen mit großer Artenvielfalt. Es handelt sich um eine Flusslandschaft, die abschnittsweise noch von natürlichen Talrändern, ohne Hochwasserschutzdeiche, eingefasst wird und die Heimat der einzigen autochthonen Biberpopulation in Mitteleuropa bildet (Priebe o. J.). Dieses Projekt wird mit kooperativen Governance-Formen realisiert, in denen staatliche und nicht-staatliche Akteure zusammenwirken. Interessant ist, dass die Mittel zur Finanzierung der Projektmaßnahmen in Gesamthöhe von 23,4 Millionen Euro anteilig vom Bund (75 %), vom Land Sachsen-Anhalt (15 %) und von der Umweltstiftung World Wildlife Fund (WWF) Deutschland (10 %), einem zivilgesellschaftlichen Akteur, bereitgestellt werden, der zugleich eine der größten, international operierenden Nichtregierungsorganisation darstellt. Bestimmt sind die Fördermittel für den Flächenankauf durch den WWF, für die Pflege- und Entwicklungsplanung und deren Umsetzung, für die Deichrückverlegung im Lödderitzer Forst sowie für Personal- und Sachkosten. Auf der operativen Ebene ist die Stiftung WWF Deutschland als Projektträger die zentrale Koordinationsinstanz, mit einem Projektbüro in Dessau. Von Seiten der Landesregierung sind vor allem zwei Behörden beteiligt, die Landesplanungsbehörde und der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) des Landes Sachsen-Anhalt. Die Landesplanungsbehörde hat die notwendigen Verfahren durchgeführt, damit im Landesentwicklungsplan wie in den regionalen Entwicklungsprogrammen das Projektgebiet allgemein als Vorrang- und Versorgungsgebiet für Natur- und Landschaft ausgewiesen und zudem der Bereich des Lödderitzer Forsts im Landesentwicklungskonzept zum Vorranggebiet für Hochwasserschutz erklärt worden ist (Priebe o. J.). Auf Grundlage des Landeswassergesetzes Sachsen-Anhalt ist der LHW, der zum 1. Januar 2002 gegründet worden ist, dem Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt untersteht und seinen Sitz in Magdeburg hat, als Vorhabensträger am Projekt beteiligt. Er plant und realisiert die hoheitlichen Maßnahmen des Hochwasserschutzes. Am 12. Januar 2004 ist die Zusammenarbeit zwischen Umweltstiftung WWF Deutschland und LHW in einem Werkvertrag geregelt worden. Ein weiterer maßgeblicher Kooperationspartner im Projekt ist eine privatwirtschaftliche Planungsgesellschaft für Wasserbau und Wasserwirtschaft

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aus Brandenburg. Zur Begleitung des Projekts ist eine Arbeitsgruppe aus Politikern, Umweltexperten und Wirtschaftsvertretern, u.a. der Landwirtschaft, eingerichtet worden. Im Info-Blatt 3 „Deichrückverlegung im Bereich Lödderitzer Forst im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes Mittlere Elbe“ (Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt 2005) wird schematisch das Verfahren der Projektentwicklung von den ersten Studien im Jahr 1993 bis zur Fertigstellung des neuen Deiches im Jahr 2010 dargestellt. Daraus wird ersichtlich, dass in regelmäßigen Abständen Informationsveranstaltungen in den Ortschaften Aken und Lödderitz als Foren der Bürgerbeteiligung vorgesehen waren bzw. durchgeführt worden sind. Wie einem Pressebericht vom März 2010 zu entnehmen ist, haben diese Foren in der Bevölkerung nur bedingt zur Akzeptanzschaffung beitragen können. Unter der Schlagzeile „Fluch und Segen des Naturschutzes“ werden Landwirte namentlich zitiert, die ihre Ablehnung des Projekts klar zum Ausdruck bringen, weil sie dadurch landwirtschaftliche Flächen verlieren, in ihrer Arbeit durch die Nähe des neuen Deiches behindert würden und zudem mit massiven Belastungen durch Grundwasser rechnen müssten. Zudem wird in dem Medienbericht eine tiefe Unzufriedenheit mit der Informationspolitik der Projektverantwortlichen kolportiert: „Im Grunde habe man mit ihnen erst gesprochen, als der Deichrückbau schon beschlossene Sache war.“ (Lachmann 2010, 25) „Aus Äckern werden wieder echte Auen“ – mit diesem Motto wird das Anliegen, das mit dem Projekt „Dessau-Wörlitzer Elbauen“ verfolgt wird, prägnant auf den Punkt gebracht.13 Das Projektgebiet liegt zugleich im Biosphärenreservat Mittelelbe wie im Gartenreich Dessau-Wörlitz und umfasst eine Fläche von rund 804 Hektar, ist also wesentlich kleiner als das Naturschutzgroßprojekt „Mittlere Elbe“. Es ist zudem Teil des FFHGebiets Dessau-Wörlitzer-Elbauen und des Vogelschutzgebietes Mittlere Elbe einschließlich des Steckby-Lödderitzer Forsts. Offizieller Projektbeginn war im Sommer 2010. Abgeschlossen werden soll das Projekt im Jahr 2018. Mit dem Projekt werden die Elbauen um eine weitere, 210 Hektar große Fläche bei Vockerode erweitert. Auch hiermit wird ein doppeltes Ziel verfolgt, wenn auch mit umgekehrter Gewichtung: ein sicherheitstechnisches, weil damit diese Fläche wieder an das natürliche Hochwasserre13 | Mit dieser Aussage wird der Auwaldexperte des WWF zitiert (WWF o. J.-a).

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gime der Elbe angebunden wird. Wie Gutzweiler in seinem oben zitierten Interview vom Sommer 2010 hervorhebt, ist dies als eine direkte Reaktion auf die akute Bedrohung der Gemeinde Vockerode im Jahr 2002 durch das Elbe-Hochwasser zu verstehen. Mit der Ausdehnung der Auenflächen soll ein natürlicher Speicher für große Wassermassen gesichert werden. Auch mit diesem Projekt wird ein naturschutzfachliches Entwicklungsziel verfolgt. Mit der Schaffung weiterer naturnaher Auwälder und Auwiesen werden zusätzliche hochwertige Lebensräume für eine Reihe schützenswerter Arten im Biosphärenreservat Mittelelbe geschaffen, eben wiederum auch für den Elbebiber. Wie beim Naturschutzgroßprojekt „Mittlere Elbe“ ist auch bei diesem Projekt der WWF als zivilgesellschaftlicher Akteur als Projektträger und als zentrale Koordinationsinstanz tätig. Projektpartner ist auch hier der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) des Landes Sachsen-Anhalt, der für die Rückverlegung des Deiches bei Vockerode zuständig ist und auch dafür die Kosten trägt. Interessant an diesem Projekt ist, dass die Kulturstiftung DessauWörlitz direkte Projektbeteiligte ist. Als Eigentümerin von Waldflächen im Projektbereich spielt sie eine zentrale Rolle in der Projektentwicklung. Beteiligt von Anfang an ist auch die Verwaltung des Biosphärenreservats Mittelelbe, die einen Auenlehrpfad errichten und damit das Gebiet für die Bevölkerung zugänglich und erlebbar machen wird. Für dieses Projekt sind Gesamtkosten in Höhe von rund 2,2 Millionen Euro veranschlagt. Die Hälfte dieser Kosten übernimmt die Europäische Union im Rahmen des EU-Programms „Life+ Nature“. Die andere Hälfte der Kosten tragen der LHW, die Biosphärenreservatsverwaltung und der WWF. Den Löwenanteil hiervon wiederum trägt der WWF mit rund 800.000 Euro.

5. R EGIONALE E NT WICKLUNGSPOLITIK ZUR G ESTALTUNG EINER „ NACHINDUSTRIELLEN K ULTURL ANDSCHAF T “: D AS I NDUSTRIELLE G ARTENREICH D ESSAU B IT TERFELD -W IT TENBERG „Industrielles Gartenreich“ steht für die Konzeption zur Gestaltung einer „nachindustrielle[n] Kulturlandschaft“ (Verein Industrielles Gartenreich o. J.-b) bzw. einer „dritte[n] Landschaft“ (Kegler o. J.) in einem Raumgebil-

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de, das weit über die bisher betrachteten Konstrukte einer Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft hinausgeht, seien diese im Institutionensystem der Denkmalpflege oder in dem des Naturschutzes verortet. Es hat von seiner Fläche her die Form eines Rechtecks, dessen Spitzen die Städte Wittenberg im Nordosten, Dessau im Nordwesten und Bitterfeld im Südwesten bilden. Das historische Gartenreich, einer der beiden Namensgeber, nimmt dabei nur ungefähr ein gutes Viertel dieser Fläche, und zwar im nördlichen Bereich, ein. Entstanden ist die Idee „Industrielles Gartenreich“ im Rahmen des II. Internationalen Walter Gropius-Seminars, das vom 4. bis 9. November 1989 im Bauhaus Dessau stattgefunden hat. Diesem Umstand muss in doppelter Hinsicht Bedeutung beigemessen werden. Zum einen hat die Veranstaltung zeitlich in der Endphase der DDR stattgefunden. Mit Öffnung der Grenzübergänge nach West-Berlin am 9. November 1989 waren der Prozess des Systemwandels und der Transformation und damit das Ende des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems der DDR eingeleitet. Zum anderen sind der Ort, das Dessauer Bauhaus-Gebäude, wie auch die Akteure bedeutsam, die zum damaligen Zeitpunkt an diesem Ort wirkten. Das „Bauhaus Dessau – Zentrum für Gestaltung“ war zum 1. Januar 1987 neu gegründet bzw. wieder eröffnet worden. Unter Leitung von Rolf Kuhn als Bauhaus-Direktor wirkte hier eine Gruppe von Fachleuten aus Architektur, Städtebau und raumbezogener Planung, die als Vertreter eines fachpolitischen Reformflügels in der späten DDR (Welch Guerra 2009) gelten und mit ihrer Idee des „Industriellen Gartenreichs“ die Vision einer nachindustriellen Kulturlandschaft entwickelten.14

14 | Kegler schreibt, dass die Vertreter des Bauhauses „einerseits gewissermaßen begrenzte „Narrenfreiheit“ [hatten] und andererseits eine aus der eigenen Geschichte als Promotor und Produkt von Fortschrittsvisionen der industriellen Moderne abgeleitete Verpflichtung, neue, zeitgemäße Beiträge zur Gestaltung der Lebensumwelt zu leisten“ (Kegler o. J.). Harald Kegler war von 1987 bis 1999 am Bauhaus Dessau tätig und gehört damit zur ersten Generation der Bauhaus-Mitarbeiter nach dessen (Wieder-)Gründung. Als Leiter der Abteilung „Experimentelle Werkstatt“ war er maßgeblich an der Entwicklung von Konzeption und Projekten des „Industriellen Gartenreichs“ beteiligt.

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5.1 Toponyme und Visionen als informelle Institutionen Welche Botschaften liegen in der Paradoxie des neu kreierten Toponyms „Industrielles Gartenreich“, wo doch offensichtlich ist, dass der Raum, um dessen Entwicklung es Ende der 1980er Jahre gegangen ist, ganz überwiegend geprägt war von Tagebaurestlöchern und Bergbaufolgelandschaft, von stillgelegten Kraftwerken und nutzlos gewordener Infrastruktur und Maschinerie, von Siedlungen und Städten in vielfach verwahrlostem Zustand und weniger vom historischen Gartenreich der Aufklärung? Studiert man die programmatischen Schriften, die zum „Industriellen Gartenreich“ verfasst worden sind, sind vor allem drei Botschaften hervorzuheben15: Ň Die erste Botschaft lautet, dass die baulichen und ökologischen Hinterlassenschaften der DDR-Wirtschaft in Bergbau, Energiewirtschaft und Chemischer Industrie als „urbanisierte Industrielandschaft der Moderne“ verstanden werden sollen, als ein Erbe des Industriezeitalters, das „die Frage technologischer Lösbarkeit von Problemen einseitig beantwortet [hat]“. Die baulichen Hinterlassenschaften werden unter dem Oberbegriff „Industriekultur“ gefasst und die Region als „Industriefolgenlandschaft“ bezeichnet. Ň Die zweite Botschaft lautet, dass die so verstandene „Industriekultur“ und das „Dessau-Wörlitzer Gartenreich“ als „gleichberechtigte Anwälte bei der Suche nach einer neuen Zukunft“ wirken sollen, als „kritische Paten, aber nicht nach zu eifernde ‚Helden‘“16. Es liegt in der Logik dieser Perspektive, dass das historische Gartenreich und die Wirtschaftsregion im Raum Dessau-Wolfen-Bitterfeld-Gräfenhainichen, die vom System- und Strukturwandel extrem betroffen und deren natürliche Ressourcen extrem vernutzt waren, als „miteinander verwobene Land15 | Die Visionen, Programmatik und strategischen Überlegungen, die mit der Konzeption „Industrielles Gartenreich“ verbunden waren, sind vor allem von Kegler in vielen Beiträgen formuliert, modifiziert und reflektiert worden. Als pars pro toto stammen die folgenden Zitate aus Kegler (o. J.). Dieser Beitrag auf der Homepage „Industrielles Gartenreich“ reflektiert auch die Leistungen, die im Rahmen der EXPO 2000 erbracht worden sind und entwirft Perspektiven künftiger Entwicklung. 16 | Die Orthographie entspricht dem Originalzitat.

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schaften“ in dem Sinne gesehen werden, dass diese Region als „eine Referenz der gestalteten Landschaft der Aufklärung und der urbanisierten Industrielandschaft der Moderne“ und damit als „eine Kulturlandschaft von europäischem Rang“ qualifiziert wird. Ň Die dritte Botschaft schließlich lautet, dass durch eine „zeitgemäße Interpretation des historischen Gartenreichs und der Industriefolgelandschaft“ und unter dem Postulat eines „ganzheitlichen Gestaltungsansatzes“ aus einem „widersprüchlichen Erbe“ eine „dritte Landschaft“, etwas ganz Neues entwickelt werden sollte. Rückblickend schreibt Kegler, dass mit der Konzeption des „Industriellen Gartenreichs“ „auf eine kulturelle Strategie der Neubewertung von Landschaften als Grundlage für die Gestaltung einer Region“ gesetzt wurde. Es ist offensichtlich, dass in die Konzeption des „Industriellen Gartenreichs“ programmatische Ideen und strategische Überlegungen aus dem Entwicklungs- und Strukturprogramm der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park eingeflossen sind, die im Jahr 1989 als „Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete“ in der Emscher-Region ihre Arbeit aufgenommen hat und zehn Jahre lang von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen getragen worden ist (Kilper 1999). Stein (1996, 12) schreibt in seinem Einführungsbeitrag in dem umfangreichen Sammelband, mit dem die Stiftung Bauhaus Dessau ihr Projekt „Industrielles Gartenreich“ präsentiert hat: „Weiterführende Überlegungen für das Bauhaus-Projekt Industrielles Gartenreich entstanden zunächst in enger Anlehnung an das Memorandum der IBA Emscher Park […], die sich als ‚internationale Werkstatt zur Erneuerung alter Industrieregionen‘ versteht.“

Im Einführungstext zu den Projekten auf der Homepage „Industrielles Gartenreich“ wird für das Jahr 1990 der „Aufbau der Kooperation zur Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park im Ruhrgebiet“ (Verein Industrielles Gartenreich o. J.-a) genannt.

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5.2 Institutionen, Akteure und Governance-Formen 5.2.1

„Planung durch Projekte“ als Governance-Form

In der Praxis von Regionalplanung und -entwicklung gelten Projekte als geeignete Instrumente, um Akteure aus unterschiedlichen Organisationen und Handlungszusammenhängen zusammenzubringen sowie Finanzmittel aus unterschiedlichen Quellen miteinander zu kombinieren, weil definiert ist, für welchen Zweck und in welchem Zeitraum diese Mittel benötigt und verausgabt werden. Es war insbesondere die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park in Nordrhein-Westfalen, die mit ihrem Strukturprogramm zur Entwicklung der Emscher-Region als einer altindustrialisierten Region (Laufzeit: 1989-1999) einen reichen Erfahrungsschatz mit diesem Instrument gewonnen hat. Das Prinzip der Planung durch Projekte hat als Markenzeichen für die Governance der IBA Emscher Park schlechthin zu gelten. Die Leistungen, die von dieser Governance-Form für die Gestaltung von Prozessen der Raumentwicklung erwartet werden, können wie folgt zusammengefasst werden: In Projekten lassen sich verschiedene sektorale Politikfelder kombinieren und integrieren. Insofern sind sie für raumbezogene Entwicklungsvorhaben besonders geeignet, weil diese querschnittsorientiert sind und die Kooperation der unterschiedlichsten Disziplinen, Kompetenzen und Zuständigkeiten erforderlich machen. In Projekten lassen sich komplexe Aufgaben auf ein operationalisierbares Maß reduzieren. Sie konkretisieren Zukunftsentwürfe und Ideen und machen dadurch Wandel und Veränderungen sichtbar. Damit ist die Erwartung verbunden, die Bevölkerung für die aktive Mitwirkung im regionalen Strukturwandel mobilisieren zu können. Mit dem Prinzip der Planung durch Projekte sollte ein neuer Typus raumbezogener Planung entwickelt und erprobt werden, der als „das dezentralisierte Modell eines projektbezogenen Inkrementalismus“ (Ganser et al. 1993, 118) in die deutsche Planungsgeschichte eingegangen ist. Die Erwartung war und ist, dass Projekte Zukunftsentwürfe und Ideen konkretisieren und dadurch Wandel und Veränderungen sichtbar machen können; dass sie vom kreativen Potenzial informativer und kooperativer Politik leben, weil sie auf horizontale Selbstkoordination der beteiligten Projektpartner setzen (Kilper 1999).

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In der Selbstdarstellung zum „Industriellen Gartenreich“ werden sechzehn Projekte vorgestellt, die ein breites Spektrum an Politikfeldern abdecken: Ň Denkmalschutz (Werkssiedlung Piesteritz; Werkssiedlung „Kolonie“ und Teile des Kraftwerks Zschornewitz); Ň Kulturpolitik (K.I.E.Z. im Rahmen des Projekts „Bauhausstadt Dessau“; Kulturpalast Bitterfeld; Drehberg als Festspiel- und Kunstort im Gartenreich; „Ferropolis – Die Stadt aus Eisen“); Ň Kulturtourismus (Städtebaulicher Pfad im Rahmen des Projekts „Bauhausstadt Dessau“; agentur reisewerk im Cranach-Hof Wittenberg; Öffnung des Tagebaus Golpa-Nord für Besucher; Pfad der industriellen Wandlung); Ň Wohnungspolitik (Werkssiedlung Piesteritz); Ň technische Infrastrukturpolitik (Regionalbahn auf den Gleisen der historischen Dessau-Wörlitzer-Eisenbahn); Ň Wirtschaftsförderung (Kreativ-Zentrum Wolfen; ReWir 2000); Ň Naturschutz („Neue Mulde“ bei Bitterfeld); Ň Bildungspolitik (Schule der Gartenkunst); Ň Regionalplanung (Masterplan Bitterfeld-Wolfen); Ň Bürgerbeteiligung (Kinderwerkstatt am Bauhaus Dessau; Forum Dessau-Wörlitzer Gartenreich). Über die Projektaktivitäten, d.h. über das koordinierte Handeln von öffentlichen und privaten Akteuren im Rahmen der Projekte, hat sich der Raum des „Industriellen Gartenreichs“ als kollektiver Handlungsraum konstituiert. Als Governance dominierten Formen der Handlungskoordination zwischen öffentlichen und privaten Akteuren. Zentrale Akteure waren der Stiftungsvorstand des Bauhauses Dessau bzw. die Repräsentanten der Experimentellen Werkstatt am Bauhaus Dessau. Sie haben vor allem Initiativ-, Moderations- und Koordinationsfunktionen erfüllt. Nahezu zeitgleich mit dem offiziellen Start der IBA Emscher Park in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1989 haben auch sie ihre Aktivitäten aufgenommen. Im Gegensatz zu den Repräsentanten der IBA-Planungsgesellschaft in Gelsenkirchen agierten sie allerdings zu Beginn der 1990er Jahre in einem völlig anderen institutionellen Kontext. Die Institutionen des DDR-Staates existierten nicht mehr. Ein neues Institutionengefüge war gerade im Entstehen begriffen und in einem entsprechend labilen Zustand.

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5.2.2

E XPO 2000 Sachsen-Anhalt als Governance-Ansatz „auf Zeit“ mit Stabilisierungsfunktion

1994 ist das Vorhaben „Industrielles Gartenreich“ als Korrespondenzstandort zur EXPO 2000 anerkannt und 1995 die EXPO 2000 SachsenAnhalt GmbH gegründet worden.17 Die meisten der vom Bauhaus Dessau initiierten Projekte sind als Projekte der EXPO 2000 Sachsen-Anhalt übernommen worden. Damit konnte die Konzeption des „Industriellen Gartenreichs“ als regionales Entwicklungsprogramm organisatorisch gut verankert und in das Mehrebenensystem der deutschen und europäischen Regionalförderung integriert werden. Insofern hat das Bauhaus Dessau nicht nur eine wichtige „Hebammenfunktion“ für die Schaffung der EXPO-Region Sachsen-Anhalt wahrgenommen, sondern auch für die Schaffung der institutionellen Rahmenbedingungen für das „Industrielle Gartenreich“. Aus dem Handlungsraum „Industrielles Gartenreich“ ist der Institutionenraum der Korrespondenzregion EXPO 2000 geworden (Kilper und Gailing 2010). Konzeption und Projekte, die damit verbunden waren, sind 2000 im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Regionen der Zukunft – auf dem Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung“, die der Bundesbauminister ausgelobt hatte, mit einem zweiten Preis honoriert worden. In den konzeptionell-strategischen Anleihen, die die Protagonisten des „Industriellen Gartenreichs“ bei der IBA Emscher Park gemacht haben, mag eine Erklärung dafür liegen, dass die politischen Herausforderungen, die mit dem Wandel des ökonomischen, politischen und staatlichen Systems der DDR nach Öffnung der innerdeutschen Grenzen am 9. November 1989 und seit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 verbunden waren, in den Schriften zum „Industriellen Gartenreich“ konsequent als Herausforderungen eines globalen Strukturwandels von Industriegesellschaften verstanden werden. Weder wird die spezifische Situation in Ostdeutschland aufgrund von vierzig Jahren sozialistischer Planwirtschaft und zentralistischem Einparteien-System thematisiert noch das besondere institutionelle Gefüge in Politik und Verwaltung nach der deutschen Wiedervereinigung. Allerdings ist vom „Verlust an Identifikationsmöglichkeiten und Orientierungen“ (Kegler 1996, 238) der Menschen in Ostdeutschland nach der deutschen Wiedervereinigung die Rede. 17 | Mit Gert Seltmann hat übrigens der ehemalige Pressesprecher der IBA Emscher Park die Funktion des GmbH-Geschäftsführers bei der EXPO 2000 SachsenAnhalt übernommen.

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Aus heutiger Sicht kann die historische Leistung der damaligen Repräsentanten des Bauhauses Dessau bzw. von deren Experimenteller Werkstatt vor allem in zweierlei gesehen werden: In einer Phase des Umbruchs und des politischen Machtvakuums waren sie handlungsfähig geblieben und konnten mit ihrer Konzeption des „Industriellen Gartenreichs“ Projekte regionaler Entwicklung anstoßen. Damit haben sie die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich der Handlungsraum des „Industriellen Gartenreichs“ als Korrespondenzregion der Hannoveraner EXPO 2000 qualifizieren konnte.

6. I NSTITUTIONEN UND G OVERNANCE -F ORMEN ALS „B AUMEISTER “ EINER POLITISCHEN K ONSTRUK TION VON K ULTURL ANDSCHAF TEN Die Wahrnehmung und Nutzung von Kulturlandschaften als kollektive Handlungsräume der regionalen Entwicklung haben bei uns das Interesse an der Frage geweckt, welche politischen und/oder gesellschaftlichen Akteure eigentlich in einem kulturlandschaftlichen Handlungsraum tätig sind. In sozialwissenschaftlicher Perspektive interessiert uns dabei dieser Raum primär als ein Konstrukt, das sich im sozialen, vor allem politischen Handeln der beteiligten Akteure herausbildet. Unsere These lautet, dass sich erst über das raumbezogene Handeln von Akteuren sowie über Mechanismen zu deren Koordination diese Räume konstituieren. Am Beispiel der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft in Sachsen-Anhalt sind wir der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Institutionensysteme und das in sie eingebettete Handeln von Akteuren auf die politische Konstruktion einer Kulturlandschaft als kollektiven Handlungsraum ausüben. Wir haben uns im vorliegenden Beitrag beispielhaft mit den drei Institutionensystemen und Politikfeldern der Denkmalpflege, des Naturschutzes und der Regionalen Entwicklungspolitik beschäftigt. Die kulturlandschaftsbezogenen Governance-Formen, die sich dabei herausbilden, sind auch geprägt von den physisch-materiellen Realitäten, die sie schützen und bewahren, nutzen, entwickeln und gestalten wollen. In der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft sind dies der reiche Bestand an historisch-wertvoller Bausubstanz und Landschaftsstrukturen, an naturräumlichen Potenzialen und technischen Infrastrukturbauten.

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Abgeleitet aus dem diskutierten Fall der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft gibt Tabelle 1 einen Überblick über ausgewählte informelle und formelle Institutionen und Governance-Formen, die für die politische Konstruktion von Handlungsräumen von Relevanz sind. Die Institutionensysteme entfalten ihre Stabilisierungsfunktion für das Handeln der beteiligten Akteure in ganz unterschiedlicher Intensität. Denkmalpflege und Naturschutz sind als Politikfelder „auf Dauer“ angelegt – dies umso mehr, wenn deren Objekte auf der UNESCO-Welterbeliste stehen oder dem UNESCO-Programm „Man and Biosphere“ unterliegen. In beiden Institutionensystemen ist das raumbezogene Handeln der Akteure zum einen geprägt durch formelle Institutionen wie Gesetze, Verordnungen und Erlasse und damit von Verfahren der hierarchischen Anweisung von oben nach unten. Die Räume, die sich darüber konstituieren, sind sektorale Handlungsräume, die sich zwar überlagern, aber wenn, dann nur schwach miteinander vernetzt sind. Als weit weniger stabil muss das intersektorale Institutionengefüge gelten, in dem die Protagonisten des „Industriellen Gartenreichs“ in den 1990er Jahren versucht haben, ihre Aktivitäten zu entfalten. Sie waren quasi „überall dabei“ – und doch nirgendwo so richtig verankert. Insofern hat das Ereignis der EXPO 2000 in Hannover und die Gründung der EXPO 2000 Sachsen-Anhalt GmbH als einer der Korrespondenzorganisationen für diese Initiative als Glücksfall zu gelten. Damit konnte für dieses regionale Entwicklungsprogramm ein institutionelles Gehäuse geschaffen werden, wenn auch „auf Zeit“ – und mit einer Eigendynamik, die sich von den Initiatoren aus dem Umfeld der Stiftung Bauhaus Dessau recht bald distanziert hat. Als zentrale Akteure und Koordinationsinstanzen haben wir die Kulturstiftung DessauWörlitz sowie die regionale Biosphärenreservatsverwaltung identifiziert, deren Repräsentanten mit großer Sachkenntnis, mit hohem Engagement und einer gehörigen Portion Phantasie neue Formen intersektoralen Handelns und der Integration zivilgesellschaftlichen Engagements entwickeln. Als Beispiele haben wir den Denkmalrahmenplan Gartenreich Dessau-Wörlitz als informelles Planwerk kennen gelernt wie auch das Naturschutzgroßprojekt „Mittlere Elbe“ und das Projekt „DessauWörlitzer Elbauen“ bei Vockerode. Es werden immer wieder Ereignisse wie die jährlichen Kolloquien der vier UNESCO-Stätten im Raum DessauWittenberg inszeniert, die mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Damit können bestehende Identitätsräume reaktiviert und neue geschaffen werden,

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Tabelle 1: Ausgewählte Institutionen und Governance-Formen der politischen Konstruktion kulturlandschaftlicher Handlungsräume Sektorales Denkmalpflege Institutionensystem Formelle LandesdenkmalInstitutio- schutzgesetz nen Denkmalliste, Denkmalbereiche Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (UNESCO) Organisationale Regeln (Stiftungssatzung) Informelle Denkmalbegriff Institutio- Regionales Raumnen bild der Kulturlandschaft Historisch-kulturell begründete Wertvorstellungen

GovernanceFormen

Hierarchische Koordination (grundlegend) Denkmalrahmenplan als Instrument informeller Planung Öffnung für handlungsraumbezogene Kooperation mit staatlichen, kommunalen und privaten Akteuren

Naturschutz

Regionale Entwicklungspolitik UNESCO-ProOrganisationale gramm „Man and Regeln (StiftungsBiosphere“ satzung, GmbHSatzung) Bundes- und Landesnaturschutzgesetz Biosphärenreservatserklärung

Symbole der Kulturlandschaft (z.B. Tiere) ökologische Werte, daneben auch kulturelle und regionalökonomische Werte Zonierungsprinzip Kooperationsprinzip Kooperationsorientierte Governanceformen für den Handlungsraum wie Naturschutzgroßprojekte und weitere Projekte einer naturschutzorientierten Regionalentwicklung daneben: hierarchische Koordination

Neue Toponyme Visionen Erweiterung des Landschaftsbegriffs auf altindustrialisierte Landschaften

„Planung durch Projekte“ als kooperative Governance-Form Regionales Entwicklungsprogramm für den Handlungsraum

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die ihrerseits Grundlage für Kulturlandschaften als kollektive Handlungsräume sind. Die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft stellt sich als ein vielgestaltiger, auch widersprüchlicher kollektiver Handlungsraum dar, der in seinem flächenbezogenen Zuschnitt als die Schnittmenge unterschiedlicher sektoraler Handlungsräume zu verstehen ist.

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Windräder in Wolfhagen – eine Fallstudie zur diskursiven Konstituierung von Landschaften Markus Leibenath, Antje Otto

1. W INDENERGIE UND L ANDSCHAF T In diesem Beitrag wird die Konstituierung von Kulturlandschaften aus einer diskurstheoretischen, poststrukturalistischen Perspektiven analysiert. Die Grundprämisse lautet, dass Landschaften über Diskurse konstituiert werden und daher als diskursive Phänomene zu betrachten sind. Daraus ergeben sich Fragen wie: Was ist mit „Diskurs“ gemeint? Was bedeutet die Aussage, dass etwas über Diskurse konstituiert wird? Was wird da konstituiert? Welcher Landschaftsbegriff steht dahinter? Wir werden im Folgenden versuchen, diese Fragen zu beantworten. Im Mittelpunkt stehen dabei unsere Untersuchungen zur diskursiven Konstituierung von Landschaften in Diskursen für oder gegen die Nutzung der Windenergie in Deutschland und insbesondere die Ergebnisse einer lokalen Fallstudie. Windenergie wurde in den Fokus genommen, weil dieses Thema derzeit einen der prominentesten inhaltlichen Bezugspunkte für Landschaftsdiskurse bildet: So konnten wir 2010 in einer telefonischen Befragung unter den für Regionalplanung zuständigen Stellen in Deutschland insgesamt 133 lokale Auseinandersetzungen in Erfahrung bringen, in denen das Wort „Landschaft“ nach Aussage der Befragten eine Rolle spielte. Allein 41 dieser Kontroversen drehten sich primär um Windenergie, gefolgt von 22 Auseinandersetzungen zu Regionalentwicklung sowie verschiedenen anderen Themenkategorien mit jeweils neun oder weniger Nennungen.

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Der Beitrag untergliedert sich in sieben Abschnitte. Im Anschluss an diese Einleitung skizzieren wir zunächst die poststrukturalistische Diskurstheorie, die das Fundament unserer Untersuchung bildet, und diskutieren Wege, diese Theorie in der Raum- und Landschaftsforschung einzusetzen (Abschnitt 2). Schlaglichtartig beleuchten wir den Stand der Forschung, um vor diesem Hintergrund unsere Forschungsfragen vorzustellen (Abschnitt 3). In drei weiteren Abschnitten wenden wir uns der Fallstudie zu, in der es um zwei konkurrierende Windenergiediskurse in der nordhessischen Kleinstadt Wolfhagen geht. Wir beschreiben den Kontext des Falls sowie unsere Methodik (Abschnitt 4) und stellen die empirischen Ergebnisse vor (Abschnitt 5 und 6). Den Abschluss bildet ein Abschnitt mit Schlussfolgerungen, Diskussion und Ausblick (Abschnitt 7).

2. E INE DISKURSANALY TISCHE , POSTSTRUK TUR ALISTISCHE S ICHT AUF L ANDSCHAF T 2.1 Landschaftsbegriffe Landschaft – was ist das? Das Wort dürfte bei den meisten Menschen im deutschsprachigen Raum eine Kette ähnlicher Assoziationen in Gang setzen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehören Schönheit, Natürlichkeit, Ausgeglichenheit, Erholung und Geborgenheit dazu (Hard 1972). Fragt man jedoch Personen, die sich als Wissenschaftler mit Landschaften beschäftigen, so können die Antworten sehr unterschiedlich ausfallen. Je nachdem, welcher Disziplin die Personen angehören, werden sie Landschaft zum Beispiel als Komplex von Ökosystemen, als subjektiv geschautes Bild, als eine bestimmte Gestalt (im Sinne von Erscheinungsform), als etwas zu Gestaltendes, als eine Art Palimpsest oder als politischen Handlungsraum definieren (vgl. die Darstellung in Stobbelaar und Pedroli 2011, 325, in der weitere Korrelationen zwischen Landschafts-Ontologien und epistemologischen Perspektiven aufgezeigt werden). Wenn wir in der Überschrift dieses Abschnitts postulieren, aus einer diskursanalytischen Perspektive auf Landschaft zu blicken, so bewegen wir uns im Bereich der Semiotik. In diesem Wissenschaftszweig wird danach gefragt, wie Sinn und Bedeutung entstehen (Cosgrove 2003). Aus dieser Festlegung ergibt sich allerdings noch kein bestimmter Landschaftsbegriff. Man kann als semiotischer Forscher sprachliche Elemente zum

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Ausgangspunkt der Analyse machen oder sich sogar gänzlich hierauf beschränken, etwa indem man die Bedeutungshorizonte von „Landschaft“ analysiert (z.B. Schenk 2002). In diesem Fall würde man mit einem „reflexiv-konstruktivistischen Landschaftsbegriff“ (Gailing und Leibenath 2010, 11) arbeiten. Man kann aber auch Landschaften als Ensembles physischer Objekte oder als Ausschnitte der Erdoberfläche verstehen und untersuchen, wie diese Dinge durch mündliche Rede, geschriebene Sprache und nicht-sprachliche Handlungen Sinn und Bedeutung erlangen (z.B. die Beiträge in Zukin 1991). Dies wäre dann ein realistischer oder positivistischer Landschaftsbegriff. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Untersuchungsgegenstandes Landschaft, dass die mündlichen und schriftlichen Aussagen, in denen das Wort „Landschaft“ in prominenter Weise vorkommt, oft nur lose mit Handlungen gekoppelt sind, die das Erscheinungsbild konkreter, physischer Landschaften prägen: Es sind beispielsweise nicht in erster Linie die Landschaftspflege und die Landschaftsplanung, die die Landschaftsentwicklung bestimmen, sondern eher die Agrarpolitik, die Energiepolitik oder die Verkehrspolitik, und zwar unabhängig davon, ob in diesen Politikfeldern auch gelegentlich das Wort „Landschaft“ verwendet wird. Wir haben uns für eine Kompromissvariante entschieden, indem wir Windenergiediskurse in den Mittelpunkt unserer Untersuchung gerückt haben: Die Windenergiepolitik ist in hohem Maße relevant für die Veränderung physischer Landschaften (realistische, positivistische Sicht), und insbesondere in ortsbezogenen Windenergiediskursen wird häufig von „Landschaft“ gesprochen (reflexiv-konstruktivistische Sicht). Die reflexivkonstruktivistische Perspektive steht jedoch im Zentrum, weswegen wir zumindest dem Grundsatz nach mit einer leeren Ontologie von „Landschaft“ arbeiten: Wir blenden unsere eigenen Landschaftsvorstellungen so weit wie möglich aus und untersuchen, wie Bedeutungen des Wortes „Landschaft“ konstituiert werden. Dabei gehen wir diskursanalytisch vor.

2.2 Diskurstheorie Diskursanalysen bilden eine Spielart konstruktivistischer Forschungsansätze. Diskursanalytiker betrachten die soziale Wirklichkeit als kontingent. Das heißt, sie gehen davon aus, dass soziale Realitäten nichts Naturgegebenes sind, sondern von Menschen konstruiert wurden und folglich auch ganz anders beschaffen sein könnten. Zweitens wird der Sprache eine

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wirklichkeitskonstituierende Rolle zugeschrieben: Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, ist sprachlich vermittelt. Und unsere nicht-sprachlichen Handlungen und die Anordnungen von Dingen, die daraus hervorgehen, hängen mit sprachlichen Sinn- und Bedeutungsstrukturen zusammen. Eine dritte Prämisse lautet, dass es keine externen, gleichsam neutralen Beobachterpositionen gibt, sondern dass Diskursforscher innerhalb der sozialen Kontexte arbeiten, die sie untersuchen. Deswegen stellen ihre Forschungsergebnisse ebenfalls kontingente Konstrukte dar, mit denen sich kein höherer Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit verbindet als mit den analysierten Konstrukten (Andersen 2006, Gailing und Leibenath 2010). Diskursanalysen eignen sich dazu, die Entstehung und den Wandel von Institutionen sowie die Veränderung der Identitäten von Dingen, Subjekten und sozialen Gruppen zu analysieren (Schmidt 2008, Howarth 2010) oder aber – in einer eher synchronen Perspektive – die Pluralität von Identitäten aufzuzeigen. Grundlage unserer Untersuchung ist die poststrukturalistische Diskurstheorie von Laclau & Mouffe (Laclau und Mouffe 1985, Laclau 1990, 2005), in die Ideen von de Saussure, Foucault, Derrida, Lacan, Wittgenstein und anderen eingeflossen sind. In dieser Denktradition bildet ein Diskurs eine bedeutungsvolle, strukturierte Gesamtheit von Beziehungen – oder ein Beziehungsnetz – zwischen diskursiven Elementen wie Personen, Wörtern, Handlungen oder Dingen. Dahinter steht die Idee, dass Bedeutungen und Identitäten relational sind. Sie entstehen dadurch, dass Elemente als unterschiedlich artikuliert werden und so zueinander in Beziehung gesetzt werden. Weil immer wieder andere Beziehungen artikuliert werden oder zumindest artikuliert werden können, gibt es keine dauerhaft festgefügten Bedeutungen. Der letztgenannte Punkt bildet einen entscheidenden Unterschied zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus, weswegen Laclau (1993, 433) auch vom „post-structuralist moment“ spricht. Zentral für die poststrukturalistische Konzeption von Bedeutung und Identität ist des Weiteren die Idee des Diskursinneren und Diskursäußeren, zwischen denen ein Antagonismus besteht: Die Identität des Inneren tritt erst hervor in der Gegenüberstellung zu etwas Äußerem, Ausgegrenztem, das deswegen auch als „constitutive outside“ (Staten 1984, 16) bezeichnet wird. Gleichzeitig stellt das Äußere eine permanente Bedrohung für die Integrität und Identität des Diskursinneren dar, weil einzelne Elemente mal als dem Inneren und mal als dem Äußeren zugehörig artikuliert werden können und insofern schwimmen (Laclau und Mouffe sprechen

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im engl. Original von „floating signifiers“). Identität ist also stets prekär und kontingent (Howarth 2000, Newman 2005). Laclau & Mouffe gehen davon aus, dass die soziale Welt von unzähligen Antagonismen durchkreuzt ist. In einem konkreten sozialen Kontext versuchen gegnerische Kräfte, den Verlauf antagonistischer Grenzen zu ihren Gunsten zu verschieben: Gemäß der Logik der Äquivalenzierung sind beispielsweise Befürworter einer stärkeren Förderung des Radverkehrs bestrebt, Radfahren nicht nur als Partikularinteresse einer vergleichsweise kleinen Gruppe darzustellen, sondern mit anderen gesellschaftlichen Anliegen wie Umweltschutz, Kosteneinsparung im Gesundheitswesen oder Verbesserung der Lebensqualität zu äquivalenzieren und diese somit dem Inneren ihres Diskurses einzuverleiben. Gleichzeitig artikulieren sie Kontraritätsbeziehungen zwischen den genannten Elementen des Diskursinneren und Elementen wie Autofahren, Straßenbau und innerstädtischen Parkhäusern, die auf diese Weise dem Diskursäußeren zugeordnet werden. Und einer Logik der Differenzierung folgend versuchen sie, die Geschlossenheit autofahrerfreundlicher Diskurse aufzubrechen, indem sie die Differenzen zwischen Autofahren auf der einen Seite und Wirtschaftsförderung, Selbstbestimmung oder Freiheit auf der anderen Seite betonen und indem sie die letztgenannten Elemente wiederum mit Radfahren äquivalenzieren (Howarth und Stavrakakis 2000). Vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen Diskurstheorie wird eine politische Auseinandersetzung oder Debatte also nicht als ein Diskurs betrachtet, sondern als Widerstreit mehrerer gegnerischer Diskurse und der dazugehörigen Diskurskoalitionen. Der Ausdruck „Diskurskoalition“ stammt von Hajer (1995, 65 f.). Er bezeichnet damit ein Ensemble von Akteuren, die einen Diskurs produzieren. Anders als beim Konzept der „advocacy coalition“ (Sabatier 1988) bilden nicht gemeinsame Werte oder Interessen, sondern bestimmte Praktiken und/oder das Artikulieren bestimmter sprachlicher Kurzformeln („story lines“) und politischer Forderungen den Kitt, der eine Diskurskoalition zusammenhält (Nonhoff 2006, 188-200). Wie lassen sich diese theoretischen Annahmen für eine Bedeutungsanalyse von „Landschaft“ praktisch umsetzen? – Bedeutung ist für uns in diesem Kontext eine diskursive Struktur, das heißt ein temporär fixiertes System von Differenzbeziehungen zwischen „Landschaft“ und anderen Elementen. Bei einem solchen Landschaftsbegriff oder -konzept ist es daher wichtig zu analysieren, mit welchen Elementen „Landschaft“ äquivalenziert wird, welche Kontraritätsbeziehungen artikuliert werden und

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wo die antagonistische Grenze zwischen Diskursinnerem und -äußerem verläuft. Sobald man die Ebene nicht-ortsbezogener, allgemeiner Diskurse verlässt und versucht, Landschaftskonzepte in lokalen, ortsbezogenen Diskursen zu ermitteln, halten wir es für sinnvoll, auch konkrete Orts- oder Landschaftsbezeichnungen (Toponyme) wie „Lippisches Bergland“ oder „Mecklenburgische Seenplatte“ mit zu berücksichtigen. Die Strukturen, die sich aus der Verknüpfung dieser Bezeichnungen mit anderen diskursiven Elementen ergeben, bezeichnen wir als toponymische Landschaftskonzepte. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass ein Diskurs in poststrukturalistischer Sicht eine Einheit aus sprachlichen und nicht-sprachlichen Elementen bildet. Laclau (1990) illustriert diesen Sachverhalt mit mehreren Beispielen. So stellt er fest, dass jemand, der ein kugelförmiges Objekt mit dem Fuß bewegt, nicht automatisch ein Fußballspieler ist. Er wird vielmehr erst dadurch zu einem Fußballspieler, dass er sich in Beziehung setzt zu Elementen wie einem Trikot, einem Feld mit Linien und Toren, einem Schiedsrichter, anderen Spielern, geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln und bestimmten Handlungsabläufen. All das macht seine Identität als Fußballspieler aus. Die volle Bedeutung des Wortes „Fußballspieler“ erschließt sich erst durch die Bezüge zu den erwähnten Dingen, Subjekten und Handlungen. Daher werden poststrukturalistische Diskursanalysen oftmals über Worte und Sprache hinaus auf Dinge, Subjekte und Handlungen ausgedehnt (Laclau und Mouffe 1985, Torfing 2005, Howarth 2010). Es liegt auf der Hand, dass diese theoretischen Implikationen auch für die Analyse von Landschaftskonzepten relevant sind, weil auch hier in der Regel sprachliche und nichtsprachliche Elemente (Objekte, Praktiken) miteinander in Beziehung gesetzt werden.

3. S TAND DER F ORSCHUNG UND F ORSCHUNGSFR AGEN Zahlreiche Autoren haben sich in der jüngeren Vergangenheit mit der Semantik von „Landschaft“ beschäftigt. Kirchhoff & Trepl (2009) arbeiten mit einem Dualismus von subjektivistischen und objektivistischen Landschaftsbegriffen. Backhaus & Stremlow (2010) greifen diesen Dualismus auf und integrieren ihn in ihr zweidimensionales Modell, das auf den beiden Gegensätzen subjektiv/inter-subjektiv und physisch/symbolisch

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beruht. Ein ganz ähnliches Modell haben Stobbelaar & Pedroli (2011) veröffentlicht, wobei sie mit den Gegensätzen „personal/cultural“ und „spatial/ existential“ arbeiten. Zahlreiche weitere Dichotomien im semantischen Feld von „Landschaft“ beschreiben Gailing & Leibenath (2012), zum Beispiel deskriptiv/normativ und holistisch/elementaristisch. Darüber hinaus gibt es eine Reihe diskursanalytisch ausgerichteter Beiträge zu den multiplen Bedeutungen von „Landschaft“ oder „landscape“ in bestimmten Kontexten wie der deutschen Raumordnung (Hokema 2009), der norwegischen und skandinavischen Landschaftsverwaltung (Jones und Daugstad 1997) und der neuseeländischen Forstpolitik (Swaffield 1998). Die Bedeutungsvielfalt von „Landschaft“ und „landscape“ ist also bereits mehrfach ausgelotet worden. Insofern war es nicht überraschend, dass wir in einer früheren Teilstudie über Landschaftskonzepte in allgemeinen, nicht-ortsbezogenen Windenergiediskursen in Deutschland (Leibenath und Otto 2012) keine bis dato unbekannten Landschaftsbegriffe zutage gefördert haben. Die von uns ermittelten Konzepte „Landschaft als schönes, wertvolles Gebiet“, „Landschaft als von Menschen geprägtes Gebiet“ und „Landschaft als etwas subjektiv Wahrgenommenes“ bestätigen vielmehr den Stand des Wissens. Welche Erkenntnisse gibt es über toponymische Landschaftskonzepte in Windenergiediskursen oder generell in Diskursen über den Einsatz erneuerbarer Energien? – Gee (2010) hat untersucht, welche Konzepte von „Nordsee“ und „schleswig-holsteinische Westküste“ im Zusammenhang mit dem geplanten Bau von Windkraftanlagen auf See artikuliert werden. Obwohl die Autorin durchaus sensibilisiert ist für die argumentative Verknüpfung von Landschaftskonzepten mit politischen Positionen, ermittelt sie lediglich ein homogenes Landschaftskonzept, das im Kern dem oben genannten Begriff „Landschaft als schönes, wertvolles Gebiet“ entspricht. Andere Autoren kommen zu differenzierteren Ergebnissen. Hunold & Leitner (2011) zeigen auf, dass im Konflikt um den Bau einer großen photothermischen Anlage in der kalifornischen Mojave-Wüste zwei gegensätzliche toponymische Landschaftskonzepte entwickelt wurden: Auf der einen Seite steht der Diskurs der Befürworter, in dem die Mojave-Wüste als wertloses Brachland beschrieben wird, und auf der anderen Seite der Diskurs von Naturschützern, die die Mojave-Wüste als eines der letzten unberührten Refugien für gefährdete Tiere und Pflanzen darstellen. Woods (2003) hat die Kontroverse um den Bau eines Windparks in Wales analysiert. Aus-

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gehend von der Unterscheidung zwischen einer „natura-ruralist perspective“ und einer „utilitarian perspective“ identifiziert er zwei unterschiedliche Konzepte der „Cambrian Mountains landscape“. In der einen Konstruktion erscheinen die Cambrian Mountains als schöne, wilde und friedliche Naturlandschaft mit großer Bedeutung für die menschliche Erholung und in der anderen als ein günstiger Standort für Windkraftanlagen sowie als eine Landschaft, die überhaupt erst durch menschliche Nutzung entstanden ist und ohne diese nicht fortbestehen könnte (ähnliche Befunde liefert Krauss 2010 mit Blick auf Dithmarschen). Ganz offensichtlich ist die Art der „richtigen“ artikulatorischen Verknüpfung von Windkraftanlagen und Landschaft umstritten: So stellt sich beispielsweise die Frage, ob diese technischen Einrichtungen Ausdruck einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Politik sind und somit als „normale“ Landschaftsbestandteile zu betrachten sind, oder ob es sich vielmehr um störende technisch-industrielle Artefakte handelt, die aus Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes abzulehnen sind (Nadaï und van der Horst 2010). – Den Sachverhalt, dass häufig Befürworter wie Gegner der Windenergie Umweltargumente ins Feld führen, charakterisieren Warren et al. (2005) mit dem Ausdruck „Green on Green“. Nadaï & Labussière (2010) liefern ein Beispiel dafür, dass ortsbezogene Windenergie-Kontroversen keineswegs erst dadurch den Bereich rein sprachlicher Artikulationen verlassen, dass es zum Bau oder zur Verhinderung von Windkraftanlagen kommt. Sie beschreiben, wie Pläne zur Errichtung von Windrädern im südwestfranzösischen Département Aude dazu geführt haben, dass sich insbesondere die Gegner sehr intensiv mit den naturräumlichen Bedingungen des Planungsraums beschäftigt haben und speziell die Lebensweise von Zugvögeln vor Ort analysiert haben. Daran wird deutlich, dass in solchen Auseinandersetzungen Diskurse hervorgebracht werden, die Bezüge zu diversen Objekten, Subjekt-Positionen und nicht-sprachlichen Praktiken aufweisen. Vor dem Hintergrund des Forschungsstands und des von uns gewählten theoretischen Zugangs haben wir unsere empirische Untersuchung an folgenden Leitfragen ausgerichtet: Ň Welche Diskurse werden im Zusammenhang mit dem geplanten Bau von Windkraftanlagen auf dem Rödeser Berg bei Wolfhagen in Nordhessen hervorgebracht?

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Ň Welche Elemente fungieren als Knotenpunkte in den Beziehungsnetzen der Diskurse? Ň Welche toponymischen Konzepte von „Rödeser Berg“ und welche allgemeinen, nicht-ortsbezogenen Landschaftskonzepte werden in den Diskursen produziert? Ň Welche nicht-sprachlichen Praktiken und welche Objekte sind Bestandteil der Landschaftskonzepte? Bevor wir diese Fragen beantworten, geben wir im nächsten Abschnitt zunächst einen Überblick über den Kontext der Fallstudie und die von uns angewandten Analysemethoden.

4. K ONTE X T UND M E THODIK DER W OLFHAGEN -F ALLSTUDIE 4.1 Wolfhagens Weg zur „klimaneutralen Kommune“ 1 Wolfhagen liegt in Nordhessen am Rand des Naturparks Habichtswald. Die Kleinstadt besteht aus der Kernstadt und 11 Stadtteilen und hat eine Flächenausdehnung von insgesamt 112 Quadratkilometern. 2011 hatte Wolfhagen rund 14.000 Einwohner. Seit 1999 amtiert Reinhard Schaake (parteilos) als Bürgermeister. Bei der letzten Kommunalwahl 2011 wurde die SPD mit 41 Prozent stärkste Kraft vor der CDU mit 30 Prozent. Allerdings verloren beide Parteien zahlreiche Stimmen, während Bündnis 90/Die Grünen (14 %) und das neu angetretene „Bündnis Wolfhager Bürger“ (12 %) Wählerstimmen gewinnen konnten. Die Wolfhager Liste/FDP ist mit etwas mehr als zwei Prozent die kleinste politische Kraft im Stadtparlament. Wolfhagen verfügt über kommunale Stadtwerke, die 2006 die örtlichen Stromnetze vom Regionalversorger übernommen haben. Die Stadtwerke haben 2005 mehrfach den Film „Eine unbequeme Wahrheit“ vorgeführt, eine Dokumentation des Klimawandels und seiner Folgen, und mit den Zuschauern darüber diskutiert. In der Folge beschäftigten sich einige Bürger intensiver mit der Thematik und schlossen sich Anfang 2007 zur „Klimaoffensive Wolfhagen“ zusammen. Zu deren Zielen gehört(e) es un1 | Die Angaben in diesem Unterabschntt stammen aus Interviewaussagen und SWDM (2012).

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ter anderem, die Einwohner für den Klimawandel zu sensibilisieren und Handlungsmöglichkeiten für Wolfhagen zu diskutieren. Gemeinsam mit den Stadtwerken hat die Klimaoffensive die Idee der „klimaneutralen Kommune“ entwickelt. Die Stadtverordneten griffen den Gedanken im April 2008 auf und beschlossen einstimmig, die Stromversorgung Wolfhagener Haushalte bis 2015 komplett auf lokal erzeugte erneuerbare Energien umzustellen. Seit Januar 2008 liefern die Stadtwerke bereits hundert Prozent erneuerbare Energie, die größtenteils in österreichischen Wasserkraftwerken gewonnen wird (s. Tab. 1). Tabelle 1: Chronologische Übersicht zur Windenergie-Kontroverse in Wolfhagen 2005

Der Film „Eine unbequeme Wahrheit“ wird in Wolfhagen gezeigt und löst intensive Diskussionen aus.

2006

Die Stadtwerke Wolfhagen übernehmen das örtliche Stromnetz (gemäß eines Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung von 2003).

Jan. 2007

Die „Klimaoffensive Wolfhagen“ wird gegründet.

Seit Jan. 2008

Die Stadtwerke Wolfhagen liefern nur noch Strom aus erneuerbaren Energien – überwiegend aus österreichischen Wasserkraftwerken.

Apr. 2008

Die Stadtverordnetenversammlung beschließt, die Wolfhager Haushalte bis 2015 komplett mit lokal erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen.

Apr.-Nov. 2008

Es wird nach einem Standort für den geplanten Windpark gesucht. Schließlich wird der Rödeser Berg ausgewählt.

Nov. 2008

Die „Bürgerinitiative (BI) Wolfhager Land – Keine Windkraft in unseren Wäldern“ wird gegründet.

Feb.-Nov. 2009

In der so genannten Steuerungsgruppe wird ein Mediationsverfahren durchgeführt, das von den Akteuren am Ende jedoch nicht als erfolgreich betrachtet wird.

Sep. 2009

Die Initiative „ProWind Wolfhagen – Energiewende jetzt“ wird gegründet.

März 2010

Der Regionalplan Nordhessen tritt in Kraft. Darin werden der Rödeser Berg und zwei weitere Wolfhager Flächen als Vorranggebiete für die Windenergienutzung ausgewiesen.

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Sep. 2010

Wolfhagen wird Preisträger im Bundeswettbewerb „Energieeffiziente Stadt“.

Sep. 2010

Das gegen den Standort „Rödeser Berg“ gerichtete „Bündnis Wolfhager Bürger“ wird gegründet.

Okt. 2010

Bündnis90/Die Grünen gründen einen Ortsverein in Wolfhagen, der gegen den Standort „Rödeser Berg“ gerichtet ist.

März 2011

Kommunal- und Bürgermeisterwahlen. Das „Bündnis Wolfhager Bürger“ zieht erstmals in die Stadtverordnetenversammlung ein und Bündnis 90/Die Grünen gewinnt mehrere Sitze dazu, während SPD und CDU Stimmen verlieren.

März 2011

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof erklärt die Festlegungen zur Windenergie im Regionalplan Nordhessen für unwirksam.

Juni 2011

Die Stadtwerke Wolfhagen stellen einen Antrag auf Genehmigung des Windparks nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG).

Juli 2011

Die Stadtwerke Wolfhagen bestellen vier Windturbinen beim Anlagenbauer Enercon.

Nov. 2011

Der Windmessmast ist errichtet.

Dez. 2011

Die Stadtverordnetenversammlung beschließt gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und dem „Bündnis Wolfhager Bürger“, den Flächennutzungsplan so zu ändern, dass Windkraftanlagen auf dem Rödeser Berg gebaut werden können.

Jan. 2012

Die „Bürgerinitiative (BI) Wolfhager Land [...]“ sammelt 1600 Unterschriften gegen die Änderung des Flächennutzungsplans und strengt einen Bürgerentscheid an.

Der jährliche Strombedarf der Kommune beträgt etwa 40 Millionen Kilowattstunden. Rund 20 Prozent dieser Strommenge werden bereits lokal mit Photovoltaikanlagen auf Hausdächern und einer Freiflächen-Photovoltaikanlage erzeugt. Um das Ziel einer hundertprozentigen Stromerzeugung vor Ort aus erneuerbaren Energien zu erreichen, hat die Stadt gemeinsam mit verschiedenen Partnern ein Energiekonzept erarbeitet.

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Demnach sollen Energie gespart, die Solarenergie weiter ausgebaut und ein Biomassekraftwerk errichtet werden. Darüber hinaus soll der Hauptanteil (ca. zwei Drittel) des benötigten Stroms mit neuen Windkraftanlagen erzeugt werden. Mit diesem Konzept gehörte Wolfhagen 2010 zu den fünf Preisträgern im Wettbewerb „Energieeffiziente Stadt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

4.2 Der Rödeser Berg als umstrittener Standort des geplanten Windparks 2 Ursprünglich sollten fünf Windkraftanlagen errichtet werden. Aufgrund technischer Verbesserungen beinhalten die aktuellen Planungen (Stand: Anfang 2012) nur noch vier Turbinen mit jeweils drei Megawatt Leistung sowie einer Turmhöhe von 135 m und einer Gesamthöhe von 186 m. Der Windpark soll von einer Bürger-Energiegenossenschaft betrieben werden, an der sich nur Stromkunden der Stadtwerke Wolfhagen beteiligen dürfen. Die Genossenschaftsmitglieder erwerben bis zu 20 Anteile zu jeweils 500 Euro und erhalten im Gegenzug Mitbestimmungsrechte in den Stadtwerken und bei der Verteilung der Windkraftrendite. An der Suche nach einem Standort für die neuen Windkraftanlagen waren „Vertreter der möglicherweise betroffenen Ortsteile, Mitglieder der Klimaoffensive Wolfhagen, Vertreter der Stadt, des Forstes, des Naturschutzes sowie weiterer Organisationen und Institutionen“ (Stadtwerke Wolfhagen GmbH 2008b, 2) beteiligt. Dabei wurden zunächst fünf mögliche Flächen ins Auge gefasst. Nach eingehender Prüfung blieb der Rödeser Berg Ende 2008 als einziger Standort übrig. Dieser Beschluss fand ein geteiltes Echo: Im November 2008 wurde die „Bürgerinitiative (BI) Wolfhager Land – Keine Windkraft in unseren Wäldern“ gegründet und im September 2009 formierte sich die Initiative „ProWind Wolfhagen – Energiewende jetzt“. In Anbetracht der Bedenken, die gegen den Standort „Rödeser Berg“ vorgebracht wurden, beschlossen die Stadtverordneten, eine Windmessung vornehmen zu lassen. Der Beginn der Messung war zunächst auf Anfang 2009 terminiert, wurde

2 | Dieser Unterabschnitt basiert auf Interviewaussagen und den folgenden Quellen: BEG Wolfhagen (2011), Enercon GmbH (2012), Glass (2011), Regierungspräsidium Kassel (2011) und Stadtwerke Wolfhagen GmbH (2008a).

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jedoch immer wieder verschoben, so dass der Messmast schließlich erst Ende 2011 errichtet wurde. Im Regionalplan für die Planungsregion Nordhessen, der im März 2010 in Kraft trat, wurden der Rödeser Berg und zwei weitere Flächen im Wolfhagener Stadtgebiet als Vorranggebiete für Windenergienutzung ausgewiesen. Bereits ein Jahr später wurden jedoch sämtliche Festlegungen, die sich auf Windenergie bezogen, – unabhängig von der Wolfhager Debatte – vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof für unwirksam erklärt. Daher beantragten die Stadtwerke Wolfhagen im Juni 2011 eine Genehmigung für den Bau der Windturbinen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Die Wolfhagener Stadtverordneten änderten im Dezember 2011 gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Bürgerbündnis den Flächennutzungsplan in der Weise, dass der Bau von Windkraftanlagen auf dem Rödeser Berg möglich wurde. Dagegen strengen die Gegner derzeit (Stand: Anfang 2012) einen Bürgerentscheid an, um den Bau des Windparks wenn schon nicht zu verhindern, so doch zu verzögern. Das wichtigste Medium der öffentlichen Auseinandersetzung um die Windkraftpläne für den Rödeser Berg war die Lokalausgabe der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung (HNA). Darüber hinaus wurden in einer Vielzahl weiterer Medien einzelne Berichte veröffentlicht, zum Beispiel die Kassel-Zeitung, die Frankfurter Rundschau, der Hessische Rundfunk, Focus, Deutschlandradio und das ZDF. Auch auf den Internetseiten der beteiligten Organisationen und der HNA wird das Thema immer wieder behandelt. Außerdem haben Befürworter wie Gegner Informationsveranstaltungen und Waldbegehungen organisiert und die Gegner treffen sich alle ein bis zwei Wochen, um Gedanken auszutauschen und Aktivitäten zu planen.

4.3 Dokumentenanalyse und halboffene Inter views Die Fallstudie basiert im Wesentlichen auf der Auswertung von Dokumenten und auf halboffenen Interviews. Wir haben Diskursfragmente aus dem Zeitraum von April 2008 bis Januar 2012 betrachtet, wobei wir erst im zweiten Halbjahr 2011 mit der Analyse begonnen haben und somit größtenteils retrospektiv gearbeitet haben. Der Beginn des Untersuchungszeitraums wird durch den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung

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markiert, den Strombedarf Wolfhagens ab 2015 vollständig mit lokal erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien zu decken. Zu den Diskursfragmenten, die wir berücksichtigt haben, gehören Akteursdokumente, Medienberichte und Leserbriefe. Durch Internetrecherchen haben wir einen Korpus von insgesamt 500 potenziell relevanten Dokumenten zusammengestellt. All diese Diskursfragmente haben wir anhand unserer Leitfragen systematisch ausgewertet. Dadurch haben wir ein klares Bild über die Anzahl von Diskursfragmenten sowie über Umfang und Struktur der Diskurse erlangt. Außerdem haben wir Informationen gewonnen über häufig wiederkehrende artikulatorische Verknüpfungen und die Beziehungen zwischen sprachlichen Elementen, Subjekten, nicht-sprachlichen Praktiken und Objekten. In einem zweiten Schritt haben wir drei Leserbriefe und fünf andere Akteursdokumente einer detaillierten Feinanalyse unterzogen. Drei dieser Texte stammen von Standortbefürwortern und fünf von der Gegenseite. Sie wurden ausgewählt, Ň weil sie zentrale Positionen in der Debatte einnehmen und deswegen besonders relevant sind, Ň weil in ihnen zahlreiche Beziehungen zwischen „Landschaft“ und anderen Elementen artikuliert werden und Ň weil sie inhaltlich sehr heterogen sind und somit die thematische Breite der Diskurse näherungsweise wiederspiegeln. Ergänzend haben wir zwischen Juli und September 2011 leitfadengestützte, halboffene Interviews mit Schlüsselpersonen geführt: fünf Interviews mit Befürwortern, zwei Interviews mit insgesamt fünf Gegnern und ein Interview mit einem Lokaljournalisten. Durch die Interviews wollten wir zusätzliches Kontextwissen und ein vollständigeres Bild der Auseinandersetzung erhalten. Außerdem waren wir selbstverständlich daran interessiert zu erfahren, mit welchen Elementen die Befragten „Landschaft“ und „Rödeser Berg“ in Beziehung setzen. Die Interviews dauerten ein bis drei Stunden, wurden aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Interviewtransskripte sind ebenfalls in die Feinanalyse eingegangen. Bei der Feinanalyse haben wir die Texte mehrfach gründlich gelesen, um Äquivalenz- und Kontraritätsbeziehungen sowie Knotenpunkte und antagonistische Grenzziehungen zu ermitteln. Vor allem waren wir dar-

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an interessiert, diskursive Teilstrukturen im Zusammenhang mit „Landschaft“ und „Rödeser Berg“ herauszuarbeiten. Dank der Interviews war es auch möglich, Verbindungen zwischen sprachlichen Elementen, nichtsprachlichen Praktiken und Objekten zu rekonstruieren. Am Ende haben sich sehr deutlich zwei Diskurse herauskristallisiert, in denen jeweils spezifische Landschaftskonzepte artikuliert werden. Darauf möchten wir in den nächsten beiden Abschnitten näher eingehen.

5. D ER D ISKURS DER B EFÜRWORTER DES W OLFHAGENER E NERGIEKONZEP TS UND DES B AUS VON W INDKR AF TANL AGEN AUF DEM R ÖDESER B ERG 5.1 Diskurskoalition, Knotenpunkte und Praktiken des Diskurses der Befür worter 3 Die Diskurskoalition der Befürworter gruppiert sich um die Stadtwerke, die das Windenergieprojekt als Antragssteller und zukünftiger Mitbetreiber maßgeblich vorantreiben. Weitere Akteure dieser Diskurskoalition sind Ň die Stadtverordneten von SPD, CDU und Wolfhager Liste/FDP, Ň der parteilose Bürgermeister, Ň seit September 2009 die Initiative „ProWind Wolfhagen – Energiewende jetzt“ und Ň seit Anfang 2011 eine Gruppe, welche die Gründung der erwähnten Bürger-Energiegenossenschaft vorbereitet. Zwischen diesen Akteuren und Gruppierungen, die in vielfacher Hinsicht miteinander kooperieren, bestehen diverse Überlagerungen. Im Mittelpunkt des Diskurses der Befürworter steht das erwähnte Energiekonzept, als dessen wesentlicher Pfeiler das Windkraftprojekt auf dem Rödeser Berg artikuliert wird. Damit werden Elemente äquivalenziert wie „Sicherheit, Arbeitsplätze“, „Wertschöpfung vor Ort“, „nachhaltigere 3 | Dieser und der nächste Unterabschnitt basieren auf Interviews mit fünf Befürwortern sowie auf folgenden Dokumenten: Götte & Degenhardt-Meister (2009), Stadtwerke Wolfhagen (2008b) und SVF (2010).

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Entwicklung“, „weltweit notwendiger Klimaschutz“, „klimaneutrale Zukunft“ und „Verantwortung“. Die Bürger sollen am Übergang zur energieeffizienten Stadt intensiv beteiligt werden, weswegen „Demokratisierung“, „vernünftiger Dialog“, „am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben“ und „sozialer Frieden“ ebenfalls zu den inneren Knotenpunkten gehören. „Unabhängigkeit“ wird in mehrfacher Hinsicht gefordert: „Unabhängigkeit von den großen Energieversorgern“ und „von begrenzten fossilen Energieträgern“. „Nachhaltig“ wird äquivalenziert mit „aktivem Natur- und Klimaschutz“ und „weltweit“. Dem werden die Elemente „Klimawandel“, „tatenlos zusehen“, „Atomund Kohlekraftwerke“, „ungelöste Endlagerprobleme“, „Monopolstrukturen der Energieversorgung“, „multinationale Konzerne“, „Preisanstieg“ und „Naturschutz nur regional“4 gegenübergestellt. Weitere Kontraritätsbeziehungen werden artikuliert zu Elementen wie „Stromproduktion auf Kosten künftiger Generationen“ und „Umweltbelastungen auf entfernte Regionen abwälzen“, die folglich alle dem Diskursäußeren zuzurechnen sind. Es ist bemerkenswert, welches allgemeine Bild von Windkraftanlagen in diesem Diskurs gezeichnet wird: Windräder werden als „Leuchttürme des Fortschritts“ bezeichnet, als „Säulen des Klimaschutzes“, „Symbol für einen umwelt- und klimaschützenden Fortschritt“, „Zeichen für verantwortungsvolles, nachhaltig orientiertes regionales Handeln“ und „Hoffnungsträger für die Zukunft und für nachfolgende Generationen“. Mit Blick auf das konkrete Projekt spielt das Wörtchen „bündeln“ im Sinne von „wenige sehr leistungsfähige Anlagen an einem guten Windstandort bündeln“ eine zentrale Rolle. Damit werden Elemente äquivalenziert wie „kleiner Windpark“, „nur fünf Windkraftanlagen“, „nur ein Standort“ und „wenige größere, effizientere statt viele kleinere, ertragsärmere Anlagen“. Direkte Kontraritätsbeziehungen werden hergestellt zu „Wildwuchs von Standorten“, „viele kleine, schnell drehende Anlagen“ und „Landschaft unnötig ‚verspargeln‘“. Im Laufe der Zeit sind einige Akzentverschiebungen in der Struktur dieses Diskurses zu beobachten. Hierzu gehört zum Beispiel, dass die Befürworter nach dem Reaktorunfall in Fukushima im März 2011 ver4 | Gemeint ist die ausschließliche Fokussierung auf lokale und regionale Naturschutzbelange bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Klimaschutzes mit seinen global nachteiligen Auswirkungen.

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stärkt die verheerenden Folgen der Atomkraft im Gegensatz zu denen der Windenergie artikuliert haben. Eine weitere Verschiebung besteht im Zusammenhang mit der Windmessung. Diese wurde über einen langen Zeitraum sehr positiv dargestellt. Nachdem sich der Aufbau des Windmastes allerdings stetig verzögerte, äußern sich auch viele Befürworter – insbesondere ab August 2011 bis zum Baubeginn im November des Jahres – unzufrieden. Als besondere Praktiken, über die der Diskurs produziert wird, sind mehrere Demonstrationen in Wolfhagen, eine Anti-Atom-Demonstration in Berlin sowie ein Dokumentarfilm zu erwähnen. Der Film wurde mehrfach im städtischen Kino gezeigt und kontrovers diskutiert. Bedeutungsvolle Objekte in diesem Diskurs sind nicht nur die Windkraftanlagen, die inzwischen in Auftrag gegeben worden sind, sondern auch der höchste Windmessmast seiner Art in Europa. Außerdem wurde der Aufkleber „ProWind Wolfhagen – Energiewende jetzt“ an zahlreichen Autos angebracht und ist in der Stadt nicht zu übersehen. Und natürlich spielt der Rödeser Berg als physisches Objekt eine wichtige Rolle und wird in einer bestimmten Weise als bedeutungsvolles Objekt konstituiert, wie im Folgenden gezeigt wird.

5.2 Landschaftskonzepte im Diskurs der Befür worter Im Rödeser-Berg-Konzept der Befürworter gibt es drei herausragende Knotenpunkte. Sie lassen sich an Aussagen festmachen, denen zufolge Ň der seit langem genutzte Wirtschaftswald auf dem Rödeser Berg nichts Besonderes darstellt, sondern bereits in mehrfacher Hinsicht geschädigt ist und auch unter Naturschutzgesichtspunkten eher von nachrangiger Bedeutung ist, Ň der Rödeser Berg anderen potenziellen Standorten eindeutig überlegen ist und Ň es sich auch am Rödeser Berg entscheidet, ob die Herausforderung des globalen Klimaschutzes bewältigt wird oder nicht. Der Knotenpunkt „Wirtschaftswald“ wird äquivalenziert mit „schlagreif“ und es wird darauf hingewiesen, dass der Rödeser Berg als „eine Kulturlandschaft“ zu betrachten ist, „die seit langer Zeit von Menschenhand ge-

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formt und genutzt wird“. Folglich werden zwischen „Rödeser Berg“ auf der einen Seite sowie „Urwald“ und „Naturlandschaft“ auf der anderen Seite Kontraritätsbeziehungen artikuliert. In ihrem Bemühen, den Rödeser Berg als ganz normalen Berg und „einen von mehreren gleichartigen Waldkomplexen im Wolfhager Land“ ohne besondere Schutzwürdigkeit zu konstruieren, artikulieren die Befürworter diverse Äquivalenzbeziehungen, zum Beispiel zwischen „Rödeser Berg“ und „durch den Sturm Kyrill [...] verwüstet“, „von Landstraßen umgeben“ sowie „Hochspannungsleitungen“. „Es handelt sich um eine Fläche, die neben einigen Bereichen mit ökologisch wertvollem Mischwald einen großen Anteil von gleichförmig strukturierten, jungen Nadelholzbeständen mit Windwurfschäden aufweist.“ (Stadtwerke Wolfhagen GmbH 2008b, 4)

In einigen Dokumenten der Befürworter finden sich Fotos. Ein typisches Motiv bilden Luftaufnahmen, in deren Mittelpunkt die Windwurfflächen stehen (s. Abb. 1). Durch die Geometrie der verschiedenen Waldbestände, die ebenfalls zu erkennen ist, wird zudem der Eindruck einer bewirtschafteten, genutzten Landschaft erzeugt. Auf anderen Bildern sind die bereits vorhandenen Wege oder relativ gleichförmige Fichtenbestände zu sehen. Abbildung 1: „Zehn Hektar Wald vorgeschädigt“ lautet die Überschrift zu diesem Bild, das einer Informationsschrift der Befürworter entnommen ist

Quelle: SVF 2010, 5; Abdruck mit freundlicher Genehmigung von W. Hasper

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Im Diskurs der Befürworter wird dem Rödeser Berg „keine besondere oder allgemeine Bedeutung für die [Tier- und Pflanzen-]Arten“ beigemessen. Örtliche Naturschutzbelange sollen gegenüber der Energiewende zurücktreten, ansonsten wäre „der einzig vernünftige Weg, zu einer dezentralen Energiewende zu kommen, nachweislich nicht beschreitbar wegen der Ignoranz und der romantischen Verklärtheit mancher Naturliebhaber, die wirklich so ein Stückchen Wald über die Energiewende stellen. Für mich wäre das eine Katastrophe.“ (Interviewaussage)

Die Befürworter haben zunächst prinzipiell verneint, dass auf dem Rödeser Berg Wildkatzen vorkommen, bis die Gegner im Mai und Juli 2011 Wildkatzenhaare gefunden haben. Danach haben sie den Fund angezweifelt oder aber „Rödeser Berg“ als „Durchzugs- und nicht als Ruheraum“ artikuliert. Eine Kontraritätsbeziehung besteht auch zwischen „Rödeser Berg“ und „Rotmilanjagdrevier“. Für den Rotmilan – eine Tierart, die von den Gegnern häufig angeführt wird – sei ein Windkraftstandort mitten im Wald verträglicher als im Offenland oder am Waldrand. Darüber hinaus werden die Einwände von Naturschutzvertretern als „alle anderen ‚Argumente‘ der Windkraftgegner“ bezeichnet. Mit Blick auf diesen Personenkreis ist von „lokalem Egoismus“, „der Ignoranz der romantischen Verklärtheit mancher Naturliebhaber“ und „Seilschaften [...] auf der grünen Schiene“ die Rede. Die Äquivalenzierung von „Rödeser Berg“ und „Standort [ für Windkraftanlagen]“ bildet einen zweiten Knotenpunkt, weil sie ebenfalls sehr häufig artikuliert und mit zahlreichen anderen Elementen verknüpft wird, beispielsweise mit „effektiv“, „geringste Umweltprobleme“ und „sorgfältige Abwägung“. Der Rödeser Berg wird als ein „guter Standort“ artikuliert und in einer Äquivalenzkette mit einer ausreichenden Entfernung zur nächsten Bebauung, einer guten infrastrukturellen Anbindung und einer vielversprechenden Lage genannt. „Es muss ein Erfolg werden, und das geht eben nur oder hängt ganz, ganz stark davon ab, dass man einen guten Standort hat, und da ist eben der Rödeser Berg einer der guten Standorte.“ (Interviewaussage)

Mit der Verknüpfung von „Rödeser Berg“ und „Standort“ korrespondieren im Diskursäußeren die Elemente „Alternativen“ und „weitaus mehr

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Anlagen bauen“. Die Befürworter wollen nur einen sehr ergiebigen Windkraftstandort in der Gemarkung Wolfhagen – den Rödeser Berg. Andere Flächen, die ebenfalls geprüft wurden, versprechen angeblich weniger Windertrag oder scheiden aus Naturschutzgründen aus. Der dritte Knotenpunkt lautet „Klimaschutz“. Hier wird der Rödeser Berg mit „Vermeidung schädlicher Klimagase“, „klimaneutrale Zukunft“ und „das Weltklima retten“ äquivalenziert. Eine weitere Äquivalenzkette im Diskursäußeren, die mit diesem Knotenpunkt in einer Kontraritätsbeziehung steht, lautet „das Klima nicht schützen“, „auf dem Rödeser Berg bald keinen Wald mehr, wie wir ihn kennen, sondern einen mediterranen Buschwald“ und „Zunahme von Extrem-Wetterereignissen“. An dieser Stelle zeigt sich ein Widerspruch im Diskurs, denn der Verweis auf den mediterranen Buschwald, der infolge des Klimawandels droht, ergibt nur Sinn, wenn man gleichzeitig zugesteht, dass der Rödeser Berg in seiner heutigen Gestalt wertvoll und schutzwürdig ist. Bezüge zu allgemeinen, nicht ortsbezogenen Landschaftskonzepten lassen sich bereits in dem toponymischen Rödeser-Berg-Konzept erkennen, das in diesem Diskurs artikuliert wird. Demnach ist der Rödeser Berg eine Kulturlandschaft, die seit langer Zeit vom Menschen genutzt und geprägt wird. Im Vordergrund stehen der Schutz des globalen Klimas und – damit zusammenhängend – ein als weltweit konzipierter Naturschutz. Der Schutz der örtlichen Landschaft ist demgegenüber ein nachrangiges Ziel, das über den Schutz des Weltklimas mitverfolgt wird. Der Diskurs ist in dieser Hinsicht jedoch nicht konsistent. So beziehen sich verschiedene Befürworter auf einen zweiten Landschaftsbegriff, wenn sie es als einen Nachteil des geplanten Windparks beschreiben, dass die Anlagen visuell stark in der Landschaft wahrnehmbar sein werden. Daran schließt sich eine Beziehungskette an, in der die Landschaft um Wolfhagen mit „schön“, „wunderbar“ und „Landschaftsschutz“ äquivalenziert wird. Am Rande wird auch noch auf einen dritten Landschaftsbegriff verwiesen, demzufolge Landschaft von der subjektiven Wahrnehmung abhängt. Das folgende Zitat bringt dies sehr schön zum Ausdruck: „Jedes Bauwerk kann als landschaftsverschandelnd oder auch als Bereicherung des Landschaftsbildes gesehen werden – das liegt subjektiv beim Betrachter.“ (SVF 2010, 14)

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Die drei allgemeinen, nicht ortsbezogenen Landschaftskonzepte, die hier in Umrissen zu erkennen sind, entsprechen den Befunden zu Landschaftskonzepten in nicht-ortsbezogenen Windenergiediskursen in Leibenath & Otto (2012).

6. D ER D ISKURS DER G EGNER DES B AUS VON W INDKR AF TANL AGEN AUF DEM R ÖDESER B ERG 6.1 Diskurskoalition, Knotenpunkte und Praktiken des Diskurses der Gegner Bestand die Diskurskoalition zunächst nur aus dem damals einzigen Stadtverordneten von Bündnis 90/Die Grünen und der Bürgerinitiative, hat sie durch den Kommunalwahlkampf und das Wahlergebnis vom März 2011 eine deutliche Erweiterung erfahren: Statt einem gibt es nun vier Stadtverordnete von Bündnis 90/Die Grünen und zusätzlich das Bürgerbündnis, das ebenfalls vier Sitze in der Stadtverordnetenversammlung erringen konnte. Am Ende des Betrachtungszeitraums bestand die Diskurskoalition der Gegner daher insbesondere aus den folgenden drei Gruppierungen, wobei zahlreiche Personen in mehreren Gruppen aktiv waren: Ň die „Bürgerinitiative (BI) Wolfhager Land – Keine Windkraft in unseren Wäldern“, Ň die Stadtverordneten von Bündnis 90/Die Grünen und ihr neu neugegründeter Ortsverband sowie Ň das „Bündnis Wolfhager Bürger“. Der Rödeser Berg spielt in diesem Diskurs als physisches Objekt und als sprachliches Element eine gewichtigere Rolle als im Diskurs der Befürworter. Darüber hinaus wird eine Reihe von Knotenpunkten, die bei den Befürwortern im Diskursinneren stehen, als Teil des Diskursäußeren artikuliert. So äquivalenzieren die Gegner das Windparkprojekt und das damit zusammenhängende Planungs- und Entscheidungsverfahren mit den Elementen „Volksverdummung“, „politischer Druck“, „Kritiker ausblenden“, „Zurückhalten von Gutachten“ und „mit aller Macht das Projekt durchsetzen“. In diese Äquivalenzkette gehört auch der Zweifel an Gutachten, die von den Befürwortern vorgelegt wurden sowie die Aussage, die

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Argumente der Gegner des Standortes Rödeser Berg seien „verunglimpft, diffamiert und falsch zitiert“ worden. Die Befürworter werden als „selbst ernannte Wolfhager Retter des Weltklimas“ bezeichnet. Damit versuchen die Gegner, den Befürwortern die Legitimation abzusprechen. In Verbindung damit fordern die Gegner eine „Befragung der Bevölkerung“ und die Anerkennung der „fachlich gebotenen Bewertung“. Des Weiteren äquivalenzieren die Gegner das Windparkprojekt mit „Kapitalanlagegesellschaft“, „finanziellen Risiken“, „Profit der Anlagenbauer“ und „Profitgier“. Die Nutzung der Windenergie insgesamt wird in Zweifel gezogen, indem eine äquivalente Verbindung zwischen dem geringen Nutzen der Windenergie für die Reduzierung des CO2-Ausstoßes und dem europaweiten Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten artikuliert wird. Die Windkraftanlagen, die auf dem Rödeser Berg gebaut werden sollen, werden durchweg negativ dargestellt, zum Beispiel als „diese großen Windräder“, „riesige Windräder“, „optischer Wahnsinn“, „grauenhaft“, „Monster“, „Windgiganten in Fernsehturmhöhe“, „überaus fragwürdiges Industrieprojekt“, „höchst umstritten“ sowie „Tag und Nacht blinkende Industrieanlagen“. Dieser Gruppe äquivalenter Elemente im Diskursäußeren stehen im Diskursinneren vor allem die Elemente „andere Lösungen zur umweltverträglichen Energieversorgung“ und „Alternativen“ konträr gegenüber. Damit werden außerdem Lebensstiländerungen und das „Sparen“ von Energie äquivalenziert. Im Untersuchungszeitraum hat der Diskurs keine grundlegenden Veränderungen erfahren, aber es sind einige Akzentverschiebungen zu beobachten. So artikulieren die Gegner nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 häufiger die Kontraritätsbeziehung zwischen ihren Forderungen und der weiteren Nutzung der Atomkraft. Gleichzeitig äquivalenzieren sie ihre Ablehnung des Standortes Rödeser Berg verstärkt mit Aussagen wie der, dass die „Schaffung von alternativen Energien [...] eine der vordringlichsten Aufgaben unserer Zeit“ sei. Die bereits erwähnten Aspekte Demokratie, Bürgerbeteiligung und Verfahrensgerechtigkeit wurden zu Beginn der Auseinandersetzung kaum thematisiert und sind erst nach und nach in den Vordergrund gerückt. Im Hinblick auf Objekte und nicht-sprachliche Praktiken bestehen Ähnlichkeiten zwischen den Diskursen der Befürworter und der Gegner: Auch die Gegner haben einen Film produziert – in diesem Falle mit Bildern von Tieren und Pflanzen am Rödeser Berg – und haben Waldbegehungen,

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Informationsveranstaltungen und Demonstrationen organisiert. Ebenfalls wie beim Diskurs der Befürworter gibt es Aufkleber („Rödeser Berg. Es ist zum heulen!“) und zusätzlich auch Poster („Hände weg vom Rödeser Berg“ und „Keine Windräder in unseren Wäldern“), die im Straßenbild deutlich wahrnehmbar sind. Bedeutungsvolle Objekte sind unter anderem der Rödeser Berg und, wenngleich als Knotenpunkt im Diskursäußeren, die geplanten Windkraftanlagen. Weitere spezifische Objekte und nichtsprachliche Praktiken der Gegner hängen unmittelbar mit dem von ihnen produzierten Rödeser-Berg-Konzept zusammen und werden daher im folgenden Abschnitt beschrieben.

6.2 Landschaftskonzepte im Diskurs der Gegner Folgende diskursive Elemente betrachten wir als Knotenpunkte im Diskursinneren des Rödeser-Berg-Konzepts der Gegner: Ň „intakter Buchen- und Eichenmischwald“ in Verbindung mit „Lebensraum vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten“, Ň „Wälder als CO2-Speicher“ in Verbindung mit „Klima schützen“, Ň „Alternativstandorte“ in Verbindung mit dem Windmessmast und mit Fragen der windtechnischen Eignung des Rödeser Bergs sowie schließlich Ň „unsere schöne Landschaft“. Der erste Knotenpunkt ist zugleich derjenige, der die meisten Verknüpfungen aufweist. „Rödeser Berg“ wird äquivalent artikuliert mit „intakter Buchen- und Eichenmischwald“, „ruhige, naturnahe und artenreiche Wälder“ und „Wald als Rückzugs- und Einstandsgebiet“. Die Äquivalenzkette enthält darüber hinaus Attributierungen wie „groß“, „steil“, „menschenleer“, „beruhigt“ „schön“, „wertvoll“ und „naturnah“. Außerdem wird dieser Wald als „Lebensraum vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten“ artikuliert. Durch die nähere Beschäftigung mit dem Gebiet und als Reaktion auf die Kritik, konkret am Rödeser Berg lebende und gefährdete Tiere zu benennen, wird der Rödeser Berg mehr und mehr mit einzelnen Arten äquivalenziert: zum Beispiel mit dem Rotmilan, der „am Rödeser Berg eine dreifach höhere Dichte als im hessischen Durchschnitt“ hat, mit dem Schwarzstorch, der zwar in einer Entfernung von sechs Kilometern brütet, aber „das benachbarte Erpetal als Nahrungsgewässer“ nutzt, mit

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„sehr seltenen und bedrohten Fledermausarten“, mit „Rot- und Rehwild“ sowie mit „Vorkommen von Wildkatze und Luchs“. Die Gegner stellen jedoch nicht nur sprachliche Verknüpfungen her, sondern haben viel Zeit und Energie darauf verwendet, diese gefährdeten Tierarten auf dem Rödeser Berg nachzuweisen. Hierzu haben sie beispielswiese Holzpflöcke mit Wildkatzen-Lockstoff aufgestellt, an denen sich die Tiere reiben sollten. Später wurden Haarfunde an diesen Pflöcken dokumentiert. Außerdem haben sie Vogelhorste kartiert und Fledermausrufe mittels spezieller Technik aufgezeichnet: „Wir haben Hunderte von Greifvogelhorsten eingemessen, also mit GPS, und dann im Frühjahr die Bruten kontrolliert. Also der Rödeser Berg und dieser ganze Waldkomplex ist ornithologisch wahrscheinlich das bestuntersuchte Gebiet in Hessen.“ (Interviewaussage)

Kontraritätsbeziehungen werden beim ersten Knotenpunkt unter anderem zu den folgenden Elementen im Diskursäußeren artikuliert: „Gefahrenpotenzial“, „permanente Beunruhigung“ sowie „Beeinträchtigung bis zur Zerstörung des Artenreichtums“. Die Gegner stimmen darin überein, dass Windkraftanlagen am Rödeser Berg durch den Bau und den Betrieb der Anlagen sehr negative Auswirkungen zur Folge hätten: „Das Vorhaben der Stadt Wolfhagen beziehungsweise der Städtischen Werke Wolfhagen, einen Windpark am Rödeser Berg zu errichten, hat aber zur Folge, dass Teile unserer heimatlichen Natur- und Kulturlandschaft, besonders aber das Ökosystem Wald zerstört werden.“ (Dux 2009)

Diese Kontraritätsbeziehung wird auch ganz offensiv über Fotos artikuliert, zum Beispiel indem das Foto eines lichtdurchfluteten Baumbestands mit dem Foto vom Sockelbereich einer Windkraftanlage kontrastiert wird (s. Abb. 2). Beim zweiten Knotenpunkt reproduzieren die Gegner eine elementare Forderung der Befürworter, nämlich den Klimaschutz. Allerdings geben sie diesem Element eine andere Bedeutung, indem sie es mit „Wälder [...] als CO2-Speicher“ äquivalenzieren:

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Abbildung 2: Ausschnitt aus einem Flugblatt der Gegner

Quelle: BI o. J. „Wer das Klima schützen will, muss den Wald schützen! [...] Darüber hinaus ist der Wald als CO 2-Speicher und Sauerstofflieferant unser bester Klimaschützer.“ (BI 2010b)

Dieses Zitat steht in einer Kontraritätsbeziehung zu „Warum Wald zum Klimaschutz roden?“ Weitere Elemente der antagonistischen Äquivalenzkette im Diskursäußeren sind „Wald als größter CO2-Speicher großflächig gerodet“ und „aus Klimaschutzgründen Windräder im Wald bauen“. Diese antagonistische Äquivalenzkette beinhaltet weitere verwandte Elemente wie „Zerstörung unserer schönen Wälder“ und „Windräder auf bewaldeten Höhenrücken“ und steht somit auch in einer konträren Beziehung zum dritten Knotenpunkt des Diskursinneren, bei dem es um Alternativstandorte und um die Standorteignung des Rödeser Bergs geht. Der Schutz des Waldes auf dem Rödeser Berg wird äquivalenziert mit „möglichen Alternativstandorten“. Dazu gehören „bereits vorbelastete Grundstücke“, zum Beispiel „denaturierte Flächen wie Gewerbe- und Industriegebiete“, und insbesondere bisherige Windkraftstandorte in Verbindung mit der „Erneuerung von Altanlagen (Repowering)“. Kontraritätsbeziehungen werden artikuliert zu „Windkraft in unseren schönen Wäldern“, „Zerstörung“ und „massive Eingriffe in unsere Natur und unser Landschaftsbild“. „Windräder auf bewaldeten Höhenrücken“ und insbesondere auf dem Rödeser Berg werden zudem als Präzedenzfall artikuliert, in dessen Folge „der Druck auf Waldflächen in Zukunft deutlich steigen“ wird: „Wir haben andere Standorte, die sind eindeutig vorbelastet, geht da hin mit dieser Übergangstechnologie, aber fangt nicht an, die Sahnestücke unserer Land-

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schaft hier in Anspruch zu nehmen, [...] da würde sich ein Flächenbrand draus ergeben.“ (Interviewaussage)

Zudem wird die windtechnische Eignung des Rödeser Bergs in Zweifel gezogen, indem postuliert wird, dass die vorausgesagte Leistung der geplanten Windkraftanlagen auf dem Rödeser Berg in Höhe von 25 Millionen Kilowattstunden unrealistisch sei. Eine wichtige, wenngleich ambivalente Position nimmt dabei der Windmessmast ein: Zunächst wurde der geplante Mast als Teil des Diskursäußeren artikuliert, weil die Errichtung des Masts eine große Freifläche mitten im Wald erfordert und weil bereits dafür Bäume gefällt werden müssen. Diese Art der Artikulation war konsistent mit den ersten beiden Knotenpunkten „intakter Buchenund Eichenmischwald“ und „Wälder als CO2-Speicher“. Die ablehnende Position stand aber in Widerspruch zu den Forderungen der Gegner, alle verfügbaren Informationen zu berücksichtigen. Außerdem will man ja die mangelhafte Eignung des Rödeser Bergs als Windenergiestandort aufzeigen. Spätestens nachdem der Windmessmast Ende 2011 tatsächlich errichtet worden ist, werden die ehemals konträr artikulierten Elemente „Windmessmast“ und „Windmessung“ nun tendenziell als Elemente des Diskursinneren artikuliert. Einen vierten Knotenpunkt im Diskursinneren bildet das Element „unsere schöne Landschaft“. Hier werden Äquivalenzbeziehungen artikuliert zwischen „Rödeser Berg“ und „Einmaligkeit unserer Landschaft“, „unversehrte Landschaft“, „ursprünglicher Charakter“, „Rücksichtnahme auf Natur und Landschaft“, „Erholung“, „Tourismus“ sowie „Schutz der uns noch verbliebenen natürlichen Umgebung“. Ferner wird „Landschaft“ mit „mosaikartig“, „ursprünglich“ und „Heimat“ äquivalenziert. Das Pendant dieses Knotenpunkts bildet im Diskursäußeren die Äquivalenzkette „zerstören“, „verunstalten“, „Rodung von Waldstücken für Windkraftanlagen“, „Katastrophe für die Landschaft“ und „der tiefe Eingriff in die unversehrte Landschaft ist gigantisch und gravierend“. In dieser letzten Facette des toponymischen Landschaftskonzepts ist zugleich auch ein allgemeines, ortsunabhängiges Landschaftskonzept deutlich zu erkennen. Die Struktur dieses Teildiskurses entspricht in fast schon idealtypischer Weise dem Landschaftskonzept „Landschaft als schönes, wertvolles Gebiet“, das wir in unserer Studie zu ortsunabhängigen Windenergiediskursen ermittelt haben (Leibenath und Otto 2012).

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7. D ISKUSSION UND S CHLUSSFOLGERUNGEN Diesem Beitrag haben wir ein relationales Verständnis von Landschaften zugrunde gelegt. Demnach ergibt sich die Bedeutung von Landschaften durch die Artikulation von Differenz, womit Äquivalenz- oder Kontraritätsbeziehungen zwischen sprachlichen Zeichen, Handlungen, Objekten und Personen hergestellt werden. Wenn man sich diese Betrachtungsweise zu Eigen macht, dann wird es möglich, mehrere Landschaften an einem Ort zu entdecken. Am Rödeser Berg, einer mit Koordinaten definierbaren Erhebung im Nordhessischen Mittelgebirge, gibt es beispielsweise mindestens zwei Landschaften: Eine einmalige Landschaft voller gefährdeter Tierarten, die wunderschön ist und strengen Schutz benötigt; ob in dieser Landschaft gute Windverhältnisse herrschen und ob der Wind hier gar stärker bläst als anderswo, ist fraglich. Gleichzeitig gibt es an genau derselben Stelle auch eine Landschaft mit intensiv genutztem Wirtschaftswald, wenigen Altholzinseln und großen Windwurfflächen; dies ist eine Allerweltslandschaft, die von bedrohten Tierarten allenfalls sporadisch aufgesucht wird, aber in der exzellente Windverhältnisse herrschen. – Würde man andere Diskurse betrachten, so würde man möglicherweise auf weitere Rödeser-Berg-Landschaften stoßen. Eingangs haben wir eine Trennung zwischen allgemeinen und toponymischen Landschaftskonzepten vorgenommen. Die Fallstudie hat gezeigt, dass diese Unterscheidung in gewissem Maße künstlich ist, denn in der Empirie haben sich die Übergänge zwischen beiden Typen von Landschaftsbegriffen als fließend erwiesen. Die Wolfhager Windenergie- und Rödeser-Berg-Diskurse weisen ideologische Verhärtungen auf. Damit meinen wir, dass das jeweilige Diskursinnere verabsolutiert und das Diskursäußere verteufelt wird. Bezeichnend dafür ist beispielsweise die Verwendung des Wortes „Katastrophe“: Für die Befürworter wäre es eine „Katastrophe“, wenn „ein Stückchen Wald über die Energiewende“ gestellt würde, und für die Gegner wäre es eine „Katastrophe für unsere Landschaft“, wenn der Wald gerodet würde. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass das Mediationsverfahren Ende 2009 gescheitert ist. Vernunft, Objektivität und Wahrheit sind in der Kontroverse um Windkraftanlagen auf dem Rödeser Berg durchaus zu finden, aber jeweils nur innerhalb einer der beiden Diskurse. Was als vernünftig, als unumstößliche Tatsache oder als wahr gilt, wird somit zu einer Machtfrage. Diskurs-

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strukturen sind Machtstrukturen: Es sind machtförmige Prozesse, durch die bestimmte Elemente dem Diskursäußeren zugeordnet und damit ausgegrenzt und delegitimiert werden (vgl. den Beitrag von Kühne in diesem Band). Diese Phänomene sind im Übrigen nicht nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen oder Objekte zu beobachten, sondern sie betreffen auch Personen, etwa wenn Personen der Gegenseite als „Seilschaften [...] auf der grünen Schiene“ oder „selbst ernannte Retter des Weltklimas“ disqualifiziert werden. Dadurch, dass die Diskurse machtförmig sind, sind die darin produzierten Landschaftskonzepte hochgradig politisch. Deshalb ist es keinesfalls egal, ob man den Rödeser Berg als „Wirtschaftswald“ und als ergiebigen Windkraftstandort oder aber als „Lebensraum vieler bedrohter Tier- und Pflanzenarten“ bezeichnet. Je nachdem, welcher Beschreibung man sich anschließt, positioniert man sich in einem der Diskurse mit all seinen Einund Ausgrenzungen. Unsere Untersuchung wirft ein Schlaglicht auf die Wandelbarkeit und die nur scheinbare Geschlossenheit von Diskursen. Die Wandelbarkeit ist darin zu sehen, dass zunächst nur ein Klimaschutz- und Windenergiediskurs in Wolfhagen zum Vorschein gekommen ist. Erst als die Entscheidung für den Rödeser Berg als Standort des geplanten Windparks fiel, war ein zweiter Diskurs zu erkennen. In beiden Diskursen gab es im Laufe der Jahre Akzentverschiebungen. Außerdem ist zu beobachten, wie das Diskursäußere, Ausgegrenzte stets die Geschlossenheit des Diskurses bedroht und den Diskurs brüchig macht. Im Falle des Diskurses der Befürworter gibt es zum Beispiel einen Widerspruch zwischen der artikulierten Gefahr, dass der Wald des Rödeser Berges und die darin lebenden Tiere durch den Klimawandel gefährdet sein könnten, und der gleichzeitigen Ablehnung lokaler Naturschutzbelange. Für ähnliche Ambivalenzen und Brüche sorgt im Diskurs der Gegner etwa der Windmessmast. Diskursanalysen ähneln dem Zeichnen von Landkarten: Um bestimmte Strukturen und Zusammenhänge hervorzubringen, muss man andere weglassen. Ebenso wie Landkarten sind Diskursanalysen kontingente Konstruktionen desjenigen, der sie erstellt. Jemand anderes, der auf den gleichen Ausschnitt der Wirklichkeit schaut, würde wahrscheinlich ganz andere Facetten in den Vordergrund rücken. Aus unserer Sicht sind zwei Aspekte in der Diskursanalyse, die wir in diesem Beitrag vorgelegt haben, unterbelichtet geblieben und würden daher weitere Untersuchungen lohnen. Dies ist zum einen die Rolle von Bildern. Wir haben an zwei Beispie-

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len gezeigt, dass zentrale Aussagen der Diskurse mit suggestiven Fotos verknüpft werden, aber in der Wolfhager Windkraft-Kontroverse wurden eine Fülle weiterer Grafiken, Fotomontagen und auch Filme produziert. Zum anderen haben wir die Subjektivierungen, die innerhalb der beiden Diskurse stattfinden, sowie die Entstehung und Entwicklung der Diskurskoalitionen nur kurz gestreift. Auch dieses Thema wäre eine tiefergehende Betrachtung wert.

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Macht und Landschaft: Annäherungen an die Konstruktionen von Experten und Laien Olaf Kühne

1. E INFÜHRUNG Macht ist, Sofsky & Paris (1994, 11) zufolge, eine „zentrale Form der Vergesellschaftung“, schließlich gibt es – wie Popitz (1992, 272) feststellt – zwischen Menschen keine „machtsterilen Verhältnisse“, da – so Russell (2009 – zuerst 1947, 9) „von den unendlichen Begierden des Menschen [...] die wesentlichen nach Macht und Herrlichkeit [zielen]“. Konnten die Landschaftskonzepte des Holismus und der Physiognomie mit ihrem „allzu schlichten Realismus“ (Kaufmann 2005, 102) noch die explizite Thematisierung latenter Machtprozesse zumeist umgehen, ist dies einer konstruktivistischen Landschaftsforschung nur noch schwer möglich. Wird Landschaft primär als soziales Konstrukt verstanden, stellt sich nicht nur die Frage, welche sozialen Prozesse sich machtvoll in den physischen Raum einschreiben konnten, sondern auch, aufgrund welcher (machtvermittelter) sozialer Kriterien Landschaft auf Grundlage physischer Objekte individuell konstruiert wird. Dabei ist davon auszugehen, „dass die gesellschaftliche Wirklichkeit sozial konstruiert ist, in der sich handelnde Subjekte und gesellschaftliche Strukturen gegenseitig konstituieren“ (Risse-Kappen 1995, 175, siehe auch Berger und Luckmann 1970); Prozesse also, die in großen Teilen Macht zumindest transzendieren. Ein Aspekt des folgenden Beitrags liegt (auch) darin, zu untersuchen, inwiefern die ungleiche Verteilung von Macht die Verteilung von Lebenschancen beeinflusst. Unter Lebenschancen versteht Dahrendorf (2007, 44) „zunächst Wahlchancen, Optionen. Sie verlangen zweierlei, Anrechte auf Teilnahme und ein Ange-

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bot von Tätigkeiten und Gütern zur Auswahl“, wobei Wahlchancen mit einem Sinn verbunden sein müssen. Die Ungleichverteilung gesellschaftlicher Kapitalien ist – aus Perspektive der Chancengerechtigkeit – nur unter bestimmten Bedingungen akzeptabel: „Social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) to the greatest benefit of the least advantaged, and (b) attached to offices and positions open to all under conditions of fair equality and opportunity.“ (Rawls 1971, 302) Im Zentrum der folgenden Betrachtungen steht dabei das planerische Handeln, schließlich entscheiden „die Planer und Entwerfer einer neuen Siedlung […] über die Lebensbedingungen, über Freiräume und Zwänge vieler Menschen. Sie erbauen Welten für andere.“ (Popitz 1992, 30)

2. K ONSTRUK TION UND V IELDIMENSIONALITÄT VON L ANDSCHAF T Der Begriff der Landschaft umfasst einen großen „semantischen Hof“ (Hard 1969, 10), der auf eine lange Geschichte sozialer (Be-)Deutungstransformationen hinweist. Die lange Geschichte allgemein gesellschaftlicher und insbesondere wissenschaftlicher Landschaftskonstruktion hat fünf grundsätzliche Positionen hervorgebracht, was unter Landschaft zu verstehen sei (detaillierter siehe Kühne 2012): Ň Vertreter eines positivistischen Landschaftsbegriffs gehen davon aus, dass Landschaft ein physischer Gegenstand sei. Dieser lasse sich allein mit empirischen Methoden erfassen und abgrenzen sowie in „neutraler“ und „werturteilsfreier Weise“ beschreiben (King 2002 – zuerst 1976). Ň Vertreter eines essentialistischen Landschaftsbegriffs erkennen zwar durchaus den „semantischen Hof“ (Hard 1969, 10) an, sind jedoch der Auffassungen, es gäbe einen bestimmbaren Kern von Landschaft, der auch als „Wesenheit“ umrissen wird (Eisel 2009). Ň Vertreter eines gemäßigten Sozialkonstruktivismus konstruieren Landschaft als physischen Gegenstand und weisen diesem eine konstitutive Bedeutung für Landschaft zu, sehen in der unterschiedlichen sozialen Konstruktion von Landschaft eine zweite Untersuchungsebene; häufig indikatorisch dafür sind die Ausdrücke: Landschaftsbild/Wahrnehmung von Landschaft (Korr 2008).

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Ň Vertreter eines nominalistisch-sozialkonstruktivistischen Landschaftsverständnisses halten die soziale Konstruktionsebene von Landschaft für konstitutiv. Physisch-materielle Objekte werden in nominalistischer Tradition durch das Konstrukt erfasst, sie werden also in sozial präformierter Zusammenschau zu Landschaft synthetisiert. Ň Im Rückgriff auf den radikalen Konstruktivismus lässt sich Landschaft als Folge sozialer Kommunikation verstehen, wodurch physische Objekte nahezu bedeutungslos und lediglich als Medien von Kommunikation behandelt werden. Dieses Landschaftsverständnis bezeichnet eher eine Möglichkeit des konstruktiven Zugriffs als ein bereits ausgearbeitetes Konzept. Im Folgenden seien wesentliche Aspekte des nominalistisch-sozialkonstruktivistischen Landschaftsverständnisses kurz erläutert, wobei wesentliche Aussagen auch für die beiden anderen Spielarten des konstruktivistischen Landschaftsverständnisses Geltung finden können. Konstruktion bezeichnet dabei „keine intentionale Handlung, sondern einen kulturell vermittelten vorbewussten Vorgang“ (Kloock und Spahr 2007, 56). Dieser vorbewusste Vorgang resultiert auch aus einer historischen Begriffsgenese. Wissen entsteht durch zeitlich wie kulturell bedingte soziale Interaktionsprozesse, „die auf Grundlage von gemeinsamer Sprache, Symbolen, aber auch Normen und Werten zustande kommen“ (Diemers 2001, 86). Das Erkennen von Landschaft in bestimmten Objekten lässt sich mit dem Lesen eines Textes vergleichen: „Genauso wie Textverstehen mehr als das Erkennen von Wortbedeutungen ist“ (Berendt 2005, 29), ist die Konstruktion von Landschaft mehr als das Erkennen von einzelnen Gegenständen. Bei der sozial präformierten individuellen Zusammenschau von unterschiedlichen Objekten zu Landschaft werden Einheiten als Gestalten gebildet. Diese Gestaltbildung basiert auf Abgrenzung des Ähnlichen von dem davon Verschiedenen und erscheint, da „die Gestaltbildung unbewusst ist, […] nicht als soziale Konstruktion, sondern als Wirklichkeit“ (Ipsen 2006, 31). Dies bedeutet auch, „dass zu jedem Wahrnehmen nicht nur ein Nichtwahrnehmen gehört, sondern dass solcher Ausschluss, solche Selektivität für das Wahrnehmen-Können konstitutiv ist“ (Welsch 2006, 31). Kühne (2008a) verweist auf vier Dimensionen von Landschaft: 1. Die gesellschaftliche Landschaft stellt die sozial-konstruktive Dimension von Landschaft dar. Sie ist „als sozial definierter Gegenstand und

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Ensemble von Zeichen“ (Hard 1987, 233) im Sinne eines gesellschaftlichen Wissensvorrates (Berger und Luckmann 1970) zu verstehen. Als Teil des Reiches des sozialen Seins, „das Reich der Regeln ist auch die Sphäre der Bedeutungen“ (Bauman 2009, 133), enthält sie Deutungen und Definitionen über das, was als Landschaft bezeichnet wird und was nicht bzw. wie – ohne Verlust sozialer Anerkennung – bestimmte Arrangements als Landschaft bezeichnet werden können (Kühne 2008a). Die gesellschaftliche Landschaft unterteilt kulturell, milieuspezifisch, kontextspezifisch etc. in unterschiedliche Landschaftsverständnisse (Ipsen 2006). Dies bedeutet: Innerhalb aller möglichen Landschaftskonstruktionen bilden sich in einzelnen gesellschaftlichen Teilen gebräuchliche Verständnisse von Landschaft aus, die nur eine Teilmenge der gesamtgesellschaftlichen Landschaftsdeutungen darstellen. Was also beispielsweise in einer christlich geprägten Kultur als erstrebenswerte Landschaft konstruiert wird, hat keinen Anspruch auf globale Gültigkeit (s. Abb. 1). Abbildung 1: Die differenzierte gesellschaftliche Landschaft im Kontext des außerlandschaftlichen Wissens am Beispiel unterschiedlicher Kulturen und Milieus Landschaftsverständnis von Milieu I Landschaftsverständnis von Milieu II

LandschaftsSumme aller gesellschaftlichen verständnisse Landschaftsverständnisse Landschaftsverständnisse von Kultur II von Kultur I

Quelle: Kühne 2012

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2. Die individuell aktualisierte gesellschaftliche Landschaft lässt sich als die persönliche Konstruktion von Landschaft auf Grundlage gesellschaftlich vermittelter – durch Milieu und Kultur spezifizierter – Vorstellungen von Landschaft verstehen. 3. Der physische Raum bezeichnet die räumlich-relationale Anordnung von Objekten im Allgemeinen. Der physische Raum lässt sich als unabhängig von der sozialen oder individuellen Beobachtung und Bezeichnung als Landschaft verstehen. 4. Die angeeignete physische Landschaft bezeichnet diejenigen Objekte des physischen Raumes, die für die Konstruktion von gesellschaftlicher Landschaft und ihrer individuellen Aktualisierung konkret herangezogen werden. Hierbei handelt es sich um ein Konstrukt, das die positivistische, essentialistische und die gemäßigt-sozialkonstruktivistische Landschaftsforschung als Landschaft bezeichnet. Aus Perspektive nominalistisch-sozialkonstruktivistischer Landschaftsforschung sind – wie bereits weiter oben angesprochen – also nicht physische Objekte konstitutiv für die Konstruktion von Landschaft. Landschaft entsteht vielmehr durch individuelle Aktualisierung auf Grundlage gesellschaftlich vorhandener Deutungs- und Interpretationsmuster.

3. M ACHT – EINIGE G RUNDÜBERLEGUNGEN Macht ist ein ambivalentes Konzept. Einerseits lässt sie sich mit Freiheit, der Emanzipation von Natur, andererseits mit Unterdrückung in Verbindung bringen. Dabei sind Machtordnungen, wie Popitz (1992, 12) feststellt, „nicht gottgegeben, sie sind nicht durch Mythen gebunden, nicht naturnotwendig, nicht durch unantastbare Traditionen geheiligt. Sie sind Menschenwerk“, wodurch Machtordnungen prinzipiell auch reversibel sind. Die Reversibilität verstärkt den Kampf um Macht, und Machtkämpfe sind ein Teil „des schon immer stattfindenden Aushandelns von Normalität“ (Paris 2005, 7). Max Weber (1976, 28 – zuerst 1922) definiert Macht als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichwohl worauf diese Chance beruht“. Soziale Felder, in denen sich der Erwerb, die Sicherung oder die Einbuße von Macht vollzieht, sind üblicherweise aus mehr als den Instanzen der Mächtigeren und der Mindermächtigen zusammengesetzt (Sofsky

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und Paris 1994). Dabei tritt Macht in unterschiedlicher Weise in Erscheinung. Heinrich Popitz (1992) weist vier Grundtypen von Macht aus: 1. Aktionsmacht basiert auf der Möglichkeit, andere Menschen zu verletzten. Sie ist einerseits der Verletzbarkeit des menschlichen Körpers, andererseits der Macht des Entzugs von Subsistenzmitteln und sozialen Teilhabechancen geschuldet. Ihr typisches Machtverhältnis ist die pure Gewalt. 2. Instrumentelle Macht basiert auf der Verfügung über die Möglichkeit von Bestrafungen und Belohnungen, des Entzugs oder des Gewährens von Gratifikationen. Ihr typisches Machtverhältnis ist die Erzeugung von Konformität mittels Angst und Hoffnung. 3. Autoritative Macht basiert auf der Steuerung des Verhaltens und der Einstellungen anderer Personen. Sie erzeugt eine einwilligende und unhinterfragte Folgebereitschaft. Ihr typisches Machtverhältnis ist die fraglose Autorität. 4. Daten setzende Macht basiert auf der Objekt vermittelnden Macht technischen Handelns. Sie resultiert aus der Erzeugung von technischen Artefakten und der daraus erwachsenden Möglichkeit, das Handeln anderer zu strukturieren. Ihr typisches Machtverhältnis ist die technische Dominanz. Macht ist in einem (wechselseitigen) Bedingungsverhältnis an Wissen geknüpft. Foucault (1983, 114) bezeichnet Macht als „Wille zum Wissen“. Macht und Wissen stehen dabei in einem amalgamierten Verhältnis: Das Machtsystem emergiert ein Wissenssystem und das Wissenssystem emergiert ein Machtsystem. Dabei ist Macht weder räumlich noch funktional monozentriert, sondern vielmehr verästelt in einem omnipräsenten Geflecht von Machtkonflikten. Foucault (1983, 113) entwickelt den klassischen Weber'schen Machtbegriff weiter und beschreibt Macht als „Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren“. Einen „Sonderfall von Macht“ stellt Herrschaft dar (Weber 1976 – zuerst 1922, 541). Im Unterschied zu Macht definiert Weber Herrschaft als Chance für einen bestimmten Befehl, Gehorsam zu finden. Herrschaft zeichnet sich – im Vergleich zu Macht – durch eine größere Dauerhaftigkeit aus, wodurch Herrschaft

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„als ein institutionalisiertes Dauerverhältnis der Machtausübung einer übergeordneten Person oder Personengruppe gegenüber untergeordneten Gruppen verstanden [wird], das ohne ein Mindestmaß an Anerkennung und Gehorsam […] nicht möglich wäre“ (Imbusch 2002, 172).

Herrschaft wird durch das Anerkennen und Annehmen durch die Befehlsempfänger legitimiert, das wiederum – Weber (1982) zufolge – auf verschiedenen Motiven der Fügsamkeit beruht: Interessenslage (eine zweckrationale Erwägung von Vor- und Nachteilen), Sitte (die Gewöhnung an das eingelebte Handeln) und affektuelles Fügen (eine persönliche Neigung; Weber 1982). Die Motive erweisen sich als relativ labil, wodurch Herrschaft zudem den Glauben an die Legitimität der Herrschaft seitens des Beherrschten stabilisieren und institutionalisieren muss. Nach Max Weber lässt sich Herrschaft als institutionalisierte Macht (Weber 1976) beschreiben. Die Institutionalisierung von Macht zu Herrschaft basiert auf einer zunehmenden Entpersonalisierung (Macht wird nur noch indirekt durch Rollen an Personen gebunden), Formalisierung (die Ausübung von Macht ist immer stärker an Regeln, Verfahrensweisen, Normen und Ritualen ausgerichtet) und Integrierung in eine übergreifende Ordnung (Macht wird integraler Bestandteil von sozialen Gefügen) (Popitz 1992). Ein Konzept zum Nachvollzug der unterschiedlichen relationalen Machtgefüge in der Gesellschaft ist jenes der symbolischen Macht von Bourdieu und Passeron. Symbolische Macht (oder symbolische Gewalt) bezeichnen Bourdieu & Passeron (1973, 12) als „jede Macht, der es gelingt, Bedeutungen durchzusetzen und sie als legitim durchzusetzen, indem sie die Kräfteverhältnisse verschleiert, die ihrer Kraft zugrunde liegen“. Macht wird als ein Resultat des Zugangs und der Verfügbarkeit von symbolischem Kapital verstanden. Pierre Bourdieu (1987) definiert symbolisches Kapital als jene Chancen, die geeignet sind, soziale Anerkennung und soziales Prestige in der gesamten Gesellschaft bzw. einzelnen gesellschaftlichen Feldern zu gewinnen und zu erhalten. Als „wahrgenommene und als legitim anerkannte Form“ (Bourdieu 1985, 11) setzt sich symbolisches Kapital als ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital zusammen (Bourdieu 1985 und 1987). Gemeinsam ist den drei Kapitalsorten ihre Knappheit und Begehrtheit. Ökonomisches Kapital ist materieller Besitz, der in Geld getauscht werden kann. Soziales Kapital bezieht sich auf die Bildung sozialer Netzwerke, die sich in soziale Anerkennung transformieren. Soziales Kapital

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„wird als ein relationales, den sozialen Beziehungen innewohnendes Gut beschrieben und als eine Ressource von verschiedenen sozialen Strukturen mit unterschiedlicher sozialer Reichweite für Individuen und korporative Akteure bzw. Gemeinschaften vorgestellt“ (Maischatz 2010, 31).

Kulturelles Kapital tritt in drei Formen auf (Bourdieu 1983): Ň In objektivierter Form umfasst kulturelles Kapital physische Manifestationen menschlicher Tätigkeit (Bücher, technische Gerätschaften, Kunstwerke). Das objektivierte kulturelle Kapital lässt sich durch Übertragung von Eigentumsrechten in ökonomisches Kapital überführen. Ň In inkorporierter Form stellt es eine verinnerlichte Ressource dar, die unmittelbar an die physische Existenz der handelnden Person gebunden ist (Bildung, kulturelle Fertigkeiten). Inkorporiertes kulturelles Kapital setzt die Investition in persönliche Zeit (Lernzeiten) voraus und kann somit nicht direkt übertragen und damit auch in ökonomisches Kapital transferiert werden. Ň In institutionalisierter Form wird ein Teil des inkorporierten kulturellen Kapitals in Bildungstiteln abgebildet (z.B. Abschlusszeugnisse). Der Grad der Überführbarkeit in ökonomisches Kapital unterliegt dabei den Gesetzen des Arbeitsmarktes. Infolge der Bildungsexpansion (immer mehr Menschen mit höheren schulischen Abschlüssen) findet eine Erosion der Überführbarkeit in ökonomisches Kapital statt. Der Grad des gesellschaftlichen Einflusses, der den Trägern der einzelnen Kapitalarten innerhalb der Felder und der sozialen Welt in Gänze verliehen wird, ist dabei abhängig „a) vom Volumen des Kapitals, b) von der Kapitalstruktur, d.h. von dem Verhältnis der verschiedenen Kapitalsorten zueinander, c) vom Verhältnis von Startkapital zu aktuellem Kapital“ (Wayand 1998, 223). Zwar sind die Kapitalarten grundsätzlich gegeneinander tauschbar, doch besteht bei den Transaktionen der unterschiedlichen Kapitalien untereinander stets ein „Schwundrisiko“ (Haug und Gerlitz 2007, 192) also eine „steigende Unsicherheit bei der Übertragung“ (Haug und Gerlitz 2007, 192). Die unterschiedliche Verfügbarkeit von symbolischem Kapital begründet eine vertikale Differenzierung der Gesellschaft: Die stärkere Übereinstimmung der Mitglieder einer Klasse im Vergleich zu den Mitgliedern einer anderen Klasse ist das Resultat von Dispositionen durch

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die Verinnerlichung der gleichen sozialen Strukturen (Bourdieu 1976). Diese unitäre und systematische objektive Bedeutung transzendiert „die subjektiven Absichten und die individuellen oder kollektiven Entwürfe“ (Bourdieu 1976, 179). Die Bestandssicherung von symbolischem Kapital erfolgt insbesondere im Kontext des sozialen Kapitals, vorzugsweise durch soziale Schließungstendenzen (Maischatz 2010). Durch den Einsatz autoritativer Macht (z.B. im Bildungssystem) bei der Inkorporierung des sozial Gewünschten transformiert sich das sozial Erwartete zum Willen des Beherrschten selbst (Foucault 1977), indem der panoptische Blick dazu führt, dass sich Menschen als Subjekte konstituieren (Hillebrandt 2000, 120): „Nur die Subjektwerdung des Individuums über das eigene Selbst erlaubt es dem Einzelnen zu erkennen, was der disziplinierende Blick erfasst, wenn er sich auf das Individuum richtet.“ Der Mensch sieht sich gezwungen, „sein Verhalten immer differenzierter, immer gleichmäßiger und stabiler zu regulieren“ (Elias 1992, 117); der Mensch unterwirft sich damit immer mehr der symbolischen Gewalt, einer „freiwillige[n] Knechtschaft“ (Bourdieu 2004, 17).

4. H ISTORISCHE A SPEK TE DER M ACHTMANIFESTATION IN DEN D IMENSIONEN VON L ANDSCHAF T Die historische Entwicklung des Bezugs der Gesellschaft zu den unterschiedlichen Dimensionen von Landschaft im Zuge der Modernisierung ist durch Systematisierung und zunehmende Modifikation vormals natürlich dominierter Räume geprägt. Neben zunehmender technischer Beherrschbarkeit (als Daten setzende Macht) von physischen Räumen und deren ökonomischer Aneignung brachte eine systematisierte rechtliche Reglementierung eine Differenzierung der Zugriffs- und Modifikationsrechte wie auch deren Durchsetzung in Bezug auf die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaften mit sich (insbesondere durch autoritative und instrumentelle Macht). Wie die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft bloßer Gegenstand von Wissenschaft, Politik und Ökonomie wurden, wurde auch der Mensch einer rollenspezifischen und analytisch-szientistischen Aufgliederung unterzogen. Lässt sich das gesellschaftliche Verhältnis zum Raum in der Vormoderne als stark reaktiv geprägt beschreiben, wird es zum Charakteristikum des modernen Raumbezugs, Raum durch Einsatz von Machtmitteln zu

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erobern. Gegenüber der Vormoderne bedeutet die fordistische Moderne eine radikale Verschiebung von Effizienzstandards und Konsummustern (Ipsen 2006), neue Rationalisierungsstandards in Ökonomie, Politik und Administration produzierten neue (machtvoll durchgesetzte) Einschreibungen in den physischen Raum: Er wurde funktionalisiert und geometrisiert, nahezu idealtypisch ausgeprägt ist dies im American-grid-System, wie Kaufmann (2005) zeigt. Ein zentrales Element der Domestikation des Raumes bilden im Zuge der Modernisierung technische Infrastrukturen (Engels 2011), die durch Straßen, Kanäle, Eisenbahnlinien etc. insbesondere ökonomische und politische Macht transformieren, indem sie gesellschaftliche Komplexität und Kontingenzen einerseits reduzieren, weil die Nutzungsmöglichkeiten technischer Infrastrukturen im Sinne Daten setzender Macht die Nutzungsmöglichkeiten physischen Raums einschränken, andererseits den Zugang zu vielfach entfernteren (wie bei Straßen) Räumen erleichtern, sodass die Verfügungsgewalt über Infrastrukturen ein Beispiel instrumenteller Macht darstellt. Engels (2011) konstatiert bei technischen Infrastrukturen eine große Persistenztendenz sowohl hinsichtlich ihrer physischen Strukturen – so gehen viele traditionelle Fernstraßenverbindungen im ehemals römischen Europa auf römische Fernstraßen zurück – aber auch hinsichtlich ihrer institutionalisierten Erhaltung (wie bei der Organisation der Grundwasserregulierung z.B. in den Niederlanden). Die sukzessive Durchsetzung fordistischer Logiken bedeutete in der Ersten Welt im Zuge der Expansion der Bedeutung des Automobilverkehrs ein verstärktes Hineinwachsen der Kernsiedlungen in ihr Umland auf Grundlage standardisierter Wohnanlagen (z.B. Hayden 1997) sowie eine stärkere funktionale Trennung von Arbeit (insbesondere Industriearbeit und Büroarbeit), Wohnen, Erholung, Bildung etc. In weniger dicht besiedelten Räumen zwang die fordistische Verwertungslogik (jene Landwirte, die sich nicht anpassen wollten oder konnten wurden – gemäß ökonomischer Logik – aus dem Markt gedrängt) die in der Landwirtschaft Tätigen, ihre Effizienz durch Vergrößerung der bewirtschafteten Flächen (und insbesondere Flurstücke), der Maschinen und Ställe zu steigern, um so Skalenvorteile zu erzielen. Rationalisierungsbestrebungen, die den einzelnen Landwirt häufig gegen den eigenen Willen zur Anpassung an das Regime zwangen, erzeugten Aussiedlerhöfe, die aussehen „wie Fabrikhalle plus Einfamilienhaus“ (Ipsen 2000, 142). Dieses Zitat dokumentiert auch ein Ergebnis der gesellschaftslandschaftlichen Formulierung planerischer Sollzustände des Städtischen – so galt in der Moderne dem Mainstream der

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Planung das Ländliche als rückständig (Henkel 1996). Auch die Forstwirtschaft – z.B. durch eine rigorose Umsetzung der Altersklassenwirtschaft – und die Fischerei – z.B. durch systematische Befischungen mit größeren Kuttern – sind Ausdruck des ökonomischen Effizienzzwanges – mit negativen ökologischen Nebenfolgen. Effiziente Landbewirtschaftungen ließen sich nicht in kleingliedrigen Bewirtschaftungsstrukturen durchführen: Die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaften korrespondierten immer weniger mit den gesellschaftslandschaftlich weit verbreiteten Vorstellungen von angeeigneter physischer Landschaft, die stark auf die Entwicklung der Landschaftsmalerei als eigenständiger Disziplin (Andrews 1989) zurückgehen und die „mit unserer Vorstellung von einer idealen Landschaft unlösbar verbunden“ (Riedel 1989, 45) werden – einer Landschaft, die einen überkommenen Machtverteilungszustand dokumentiert. Die (machtvermittelte) drastische Anpassung des physischen Raumes an rationalistische Verwertungslogiken wurde in Teilen der Bevölkerung als Verlust erfahren und brachte Ende des 19. Jahrhunderts die Heimatschutzbewegung hervor (Körner 2006). Nicht nur die Durchsetzung der ökonomischen Macht, auch der Machtgewinn politischer Verwaltung greift in die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft ein. War Landschaft in der Vor- und Frühmoderne eine Nebenfolge des ökonomischen, sozialen und kulturellen Handelns des Menschen, greift die Politik in der Moderne mithilfe eines differenzierten Bürokratieapparates (Weber 1976 – zuerst 1922) regulierend in die Gestaltung der physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft ein. Die dabei generierten Folgen beziehen sich insbesondere auf die Sicherung und Dokumentation von Macht, wie Blackbourn (2007, 57) am Beispiel von Meliorationsmaßnahmen verdeutlicht: „Die Trockenlegung von Sümpfen beseitigte die dunklen Schlupfwinkel, in denen Deserteure sich versteckt hielten. Sümpfe und Moore sollten die gut gedrillte Armee des Königs nicht länger beim Vormarsch behindern“,

die „Vermessung durch die Katasterämter, die für die Festsetzung der Grundsteuer erforderlich war“ nicht behindern und nicht länger ein Ort der latenten Bedrohung epidemischer Krankheiten sein. Auch im städtischen Kontext erfuhr der Aufbau einer nach rationalistischem Kalkül organisierten Verwaltung eine Erweiterung der behördlichen Macht (Krabbe 1989, 130):

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„Stellenvermehrung, Professionalisierung und Spezialisierung waren einander ergänzende Phänomene, die den Ausbau der städtischen Leistungsverwaltung besonders seit den 80er/90er Jahren des 19. Jahrhunderts begleiteten.“

Derart personell ausgestattet und mit der instrumentellen und autoritativen wie auch Daten setzenden Macht von Planung und Verwaltung, abgesichert durch die Aktionsmacht insbesondere der Polizei bei individuellem oder kollektivem Widersetzen gegen die vielfach befürchteten physischen Folgen rationalistischen Verwaltungshandelns, konnte fordistische Planung durchgesetzt werden, deren „rationalistische Konzepte [...] der europäischen Stadt [...] das Dschungelhafte, Labyrinthische, das Mythische und Bedrohliche austreiben“ (Siebel 2004, 20), das in der Unüberschaubarkeit der Stadt als Voraussetzung für abweichendes Verhalten galt. Im Leitbild moderner Raumordnung waren Räume monofunktional fragmentiert, Gebietseinheiten sind monostrukturiert (Turner 1996). Das Prinzip der Ordnung bezieht sich nicht allein auf die räumliche Gliederung der Stadt, sondern auch auf Reinheit. Dabei bringt „die vom Schmutz gereinigte saubere Stadt“ nicht nur die „eigene körperliche Natur auf Distanz, sondern auch die äußere Natur“ (Hasse 2000, 39). Eine saubere Stadt symbolisiert einerseits den Wunsch der Macht der (modernen) Kultur gegenüber der Natur, der Ratio gegenüber den biotischen Gebundenheiten der menschlichen Existenz. Die Eliminierung von Schmutz ist dabei ein ständiger, nie abgeschlossener Prozess, da der stadtlebige menschliche Organismus zur Aufrechterhaltung seiner Körperfunktionen „zwangsläufig eine schmutzerzeugende Existenz“ (Hasse 2000, 38, Hervorh. i.O.) aufweist. Stadtgrün (als äußere städtische Natur) wird weitestgehend auf Parks und Alleen beschränkt. Parks werden geplant und systematisch gepflegt, wuchernde Vegetation, sei es an Bahndämmen oder Straßenrändern, ist nur in Ausnahmefällen zugelassen. Insbesondere Städte sind in der Moderne physische Manifestationen der Symbiose Macht-Wissen, die „Sprache der Macht ‚urbanisiert sich‘“ (de Certeau 1988, 185), schließlich ist gerade die Architektur dazu geeignet, symbolische Macht physisch zu manifestieren und sie selbstverständlich erscheinen zu lassen: „Die architektonischen Räume, deren stille Gebote sich direkt an den Körper wenden, fordern ihn ebenso zwingend wie im Fall der Etikette der höfischen Gesellschaft die aus der Entfernung oder, besser, aus dem Fernsein bzw. der respektvollen Distanz erwachsende Ehrerbietung ein.“ (Bourdieu 1997, 163)

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War der moderne Staat auch darum bemüht, die Folgen und Nebenfolgen des ökonomischen Handelns (auch in ihren physisch-räumlichen Dimensionen) – möglichst einheitlich – zu reglementieren, verschiebt sich mit der Postmodernisierung der Gesellschaft einerseits das Machtdeposit zugunsten der global organisierten Ökonomie im Vergleich zum national und subnational verfassten Staat, andererseits werden physische Manifestationen (insbesondere ökonomischen) Handelns immer häufiger Ergebnis von lokal und regional verfassten Aushandlungslösungen in politisch nicht oder nur zum Teil demokratisch legitimierten Netzwerken (Soja 1994, Kühne 2006b, 2012), eine Entwicklung, die zur Einschränkung jener führt, die über einen geringen Bestand sozialen Kapitals verfügen (Kühne 2011, Kilper 2004). Infolge der Abkehr von großen Entwürfen zur Entwicklung der physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft wird angeeignete physische Landschaft in der Postmoderne vielfach fragmentierter und durch eine größere Patchworkhaftigkeit geprägt, die gesellschaftslandschaftlich (insbesondere aus modernistischer Perspektive) als Zusammenhanglosigkeit konstruiert und negativ bewertet wird, da neue Deutungsmuster der kognitiven und emotionalen Erfassung nötig werden (Kühne 2012).

5. L ANDSCHAF T UND S OZIALISATION : DIE K ONSTRUK TION VON L ANDSCHAF T IM Ü BERGANG VOM L AIEN - ZUM E XPERTENTUM Sozialisierung hat eine doppelte Funktion: Sie dient einerseits der Reproduktion der Gesellschaft (durch Reproduktion von Rollen, Werten und Normen), andererseits der Herstellung der Handlungsfähigkeit des Subjekts in der Gesellschaft mit ihren Rollen, Normen und Werten (Fend 1981). Sozialisation lässt sich „als der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ (Geulen und Hurrelmann 1980, 51) beschreiben. Sozialisation bedeutet nicht einfach eine Verfügbarmachung sozialer Kommunikations- und Deutungsmuster, sondern auch deren Hierarchisierung (Prengel 1994) mit der Folge, dass Sozialisation stets mit der „Anpassung an die Hierarchie und Widerstand in der Hierarchie, [der] List in der Hierarchie zu leben und in der Hierarchie Gewinnseiten für sich zu suchen“ (Prengel 1994, 64) verbunden ist.

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Die Lebensbedingungen – geprägt von räumlicher und sozialer Flexibilität, lebenslangem Lernen und der Auflösung von Normalbiographien – erzwingen einen ständigen Anpassungs- und Entwicklungsprozess, der sich vielfach in der Ausprägung einer flexiblen und polyvalenten persönlichen und sozialen „Patchwork-Identität“ (Keupp 1992, 176) niederschlägt. Wie alle sozialen Konstrukte wird also auch jenes der Landschaft im Prozess der Sozialisation vermittelt, schließlich muss Ego erlernen, was Alter meint, wenn es von Landschaft spricht. Dabei werden die gesellschaftlich anerkannten Auswahl- und Deutungsschemata gemäß dem individuellen Erfahrungshintergrund geprägt und bilden einen Teil des inkorporierten kulturellen Kapitals. Ego lernt dabei, die physischen Manifestationen von Macht zu kennen, sich ihrer Bedeutung nach zu verhalten, ohne allerdings diese (zu konsequent) zu hinterfragen. Bedeutungszuschreibungen bei der primären Landschaftssozialisation werden unsystematisch durch die Vermittlung von Eltern und Freunden, durch Bücher und Filme, durch eigene Erfahrungen und Erlebnisse oder aber systematisch durch Lehrer vorgenommen. Diese Sozialisation erfolgt „über Gebote und Verbote oder einfach durch bestimmte Etikettierungen als schön oder essbar, als hässlich oder ungenießbar“ (Kruse-Graumann 1996, 172). Die primäre Landschaftssozialisation ist als Bildung inkorporierten Kapitals Teil der Aneignung von Alltagswissen, eines Wissens also, auf dessen Grundlage soziale Wirklichkeit als eingewöhntes, unhinterfragtes und selbstverständliches Wissen erfahrbar und bewältigbar ist (Schütz und Luckmann 1975, 1985). Die Aneignung von Raum – auch in der ästhetisierten Synthese als Landschaft – „vermittelt die Formen alltäglicher Praxis (die Verhaltensweise, das Handeln) mit den kognitiven und affektiven Prozessen“ (Chambart de Lowe 1977, 26). Landschaft wird dabei als konkretes physisches Objekt (positivistisch bzw. essentialistisch) konstruiert. Die Regeln bezüglich dessen, was (normativ) als Landschaft zu verstehen und wie zu bewerten ist, verdrängen individuelle Zugänge (Kook 2008). Diese Normierung erfolgt nicht allein durch schulische Intervention, sondern auch in der Gleichaltrigengruppe (Kühne 2008a, 2008b). Hier wird auf Grundlage praktischer Erfahrung ein gruppenspezifischer – von der Verfügbarkeit symbolischen Kapitals geprägter – Verstehenshorizont entwickelt, individuelle Tätigkeiten und Sichtweisen werden aufeinander abgestimmt (Veith 2008, Kühne 2008a, 2008b). Mit der primären Landschaftssozialisation werden zwei zentrale landschaftliche Vorstellungskomplexe angelegt: die heimatliche Normallandschaft und

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die stereotypen Landschaften. Die heimatliche Normallandschaft ist in der emotionalen Besetzung und landschaftlichen Synthetisierung der Umgebung des Wohnortes konstruiert. Heimatliche Normallandschaften werden – zumeist auch im Erwachsenenalter – als stabil angenommen und – erfolgte kein Einfluss durch eine Störgröße (wie wesentliche physische Veränderungen oder Konfrontation von ästhetisierenden Fremden mit diesen Raum) – zunächst nicht hinsichtlich ästhetischer oder kognitiver Kriterien befragt. Die heimatliche Normallandschaft ist „erfüllt von ersten Erinnerungen an regionale Sprache, Geräusche, Gerüche, Farben, Gesten, Stimmungen und sprechende Dinge und tief im Gedächtnis verankert“ (Hüppauf 2007, 112). Die Entstehung stereotyper individuell aktualisierter gesellschaftlicher Landschaften erfolgt zumeist nicht durch die direkte Konfrontation mit physischem Raum: Bereits im frühen Kindesalter werden landschaftliche Stereotype durch Kinderbücher vermittelt (z.B. Burckhardt 1977, Kühne 2008a). Für gemäßigte Klimabereiche (in Deutschland insbesondere Mitteleuropa) wird eine stereotype Landschaft erzeugt, die durch eine Anordnung von Objekten und Symbolen gekennzeichnet ist, die im Wesentlichen Bedeutungen der vorindustriellen Ära vermitteln. Eine solche vorindustrielle Landschaft erscheint – so Jackson (1984) – deswegen attraktiv, weil sie mit Leichtigkeit kognitiv symbolisch erfassbar sei. Neben dieser stereotypen Landschaft lassen sich sieben weitere stereotype Landschaften – geprägt insbesondere durch filmische Repräsentationen, aber auch idealtypisierende Schulbücher, z.B. durch die Darstellung von „Landschaftsgürteln“ – benennen (Kühne 2008a): 1. Die stereotype Landschaft des Mittelmeerraumes, die archetypisch auf der arkadischen Landschaft Italiens fußt. 2. Die stereotype Landschaft der Wüsten, deren Archetyp (zumindest in Mitteleuropa) die Sahara darstellt. 3. Die stereotype Landschaft des Exotischen (insbesondere der Tropen) ist geprägt durch undurchdringliches Dickicht und feucht-heißes Klima. 4. Die stereotype Landschaft der Offenländer besteht aus einem gemeinsamen, in der Regel nicht nach Genese differenzierten, Stereotyp für Steppen und Savannen. 5. Die stereotype Landschaft der kalten Klimate lässt sich geographisch auf Sibirien, aber auch Kanada und Alaska (letztere insbesondere filmisch vermittelt) beziehen.

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6. Die stereotype Landschaft des ewigen Eises gilt als lebensfeindlich und ästhetisch durch Erhabenheit erlebbar. 7. Die stereotype Landschaft der Hochgebirge wird anhand der Archetypen Alpen – kulturell insbesondere sedimentiert durch Malerei, Dichtung, Reiseliteratur, (Heimat-)Filme – und Rocky Mountains – insbesondere durch Spielfilme US-amerikanischer Provenienz. Bei der Beobachtung von Objekten und Symbolen als Landschaft werden sowohl die Deutungsmuster der heimatlichen als auch der stereotypen Landschaft als Bewertungsgrundlage aktualisiert. Im Gegensatz zu stereotyper Landschaft muss heimatliche Normallandschaft vertraut, nicht (stereotyp) schön sein (Kühne 2006a, 2008b). Diese Nichtanwendung des Stereotypen auf die heimatliche Normallandschaft vermeidet individuelles und soziales Unbehagen durch die ständige Aktualisierung der Differenz von heimatlicher Landschaft zu sozialen Stereotypen von Landschaft und soziale Dysfunktionalitäten durch das allseitige Bestreben, die heimatliche physische Landschaft an die stereotypen Landschaftsbewertungsschemata anzupassen oder die heimatliche physische Landschaft durch eine physische Landschaft auszutauschen, die eine stärkere Kongruenz mit den stereotypen Landschaftsvorstellungen aufweist. Während die laienhafte Landschaftssozialisation bis auf Ausnahmen (wie den Geographieunterricht) weitgehend unsystematisch erfolgt, vollzieht sich die Landschaftssozialisation der Experten im Erwachsenenalter durch eine systematische Vermittlung in der Regel in einem landschaftsbezogenen Fachstudium (Landschaftsplanung- und Landschaftsarchitektur, aber auch teilweise Geographie) oder aber auch in einer landschaftsbezogenen Ausbildung (z.B. Landschaftsgärtner). Die Emergenz eines landschaftsbezogenen Expertensystems lässt sich als charakteristische Strategie in der Moderne verstehen, bei der die „Suche nach Problemlösungen berufsmäßig organisierten Spezialisten zugewiesen“ (Tänzler 2007, 125) wird, was mit einer „Trennung der Menschen in solche, die kompetent sind und solche, die inkompetent sind“ (Bourdieu 1977, 13) einhergeht. Das Ergebnis dieser Fragmentierung umschreibt Bauman (2009 – zuerst 1993, 294): „Im Zuge der expertengeleiteten Wiederbefähigung internalisieren Bürger der Moderne eine solche Welt komplett mit der Fragmentierungsmacht der Experten, die gemeinsam und zugleich Erbauer, Verwalter und Sprecher dieser Welt sind“.

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Die Ausprägung von Expertentum geht mit einer komplexitätsreduzierenden Ausprägung einer spezifischen „déformation professionelle“ einher, die Burckhardt bereits 1967a (44) in plastischer Form beschreibt: „Was schlägt der Gestalter oder Architekt vor, wenn man ihm ein Problem vorlegt? Was schlägt der Apfelbaum vor, wenn man ihm ein Problem vorlegt? – Natürlich Äpfel; also der Gestalter schlägt immer Bauten vor, jedes Problem mündet in einem Bau […].“

Die Inkorporierung (im Sinne von Bourdieu 1985 und 1987) fachspezifischer Deutungs- und Handlungsstrategien erfolgt vielfach unreflektiert, unge- und unüberprüft, also ritualisiert (Bourdieu 2004 – zuerst 1989). Dieses inkorporierte kulturelle Kapital der sekundären Landschaftssozialisation hat – in Abhängigkeit von ihrer fachlichen Ausrichtung – eine naturwissenschaftliche bzw. eine ästhetische Komponente. Auch der Studienerfolg in landschaftsbezogenen Studiengängen ist nicht zuletzt von der Inkorporierung der akzeptierten Landschaftsinterpretationsschemata und deren Aktualisierung abhängig, schließlich werden neben (scheinbar) wertneutralen Interpretationen der Genese physischer Landschaften auch implizit oder explizit Landschaftsbewertungsschemata vermittelt. Beispielsweise wird das Konstrukt der historischen Kulturlandschaft zu einem unhinterfragt höheren Wert sakralisiert, wie das folgende Beispiel von Wöbse (1999, 271) dokumentiert: „Die Erhaltung historischer Kulturlandschaft ist eine Verpflichtung, ihre Entwicklung eine Aufgabe.“ Bei Urteilen dieser Art neigen Experten häufig zu einer deutlich größeren Rigorosität als Laien (Tessin 2008). Diese Toleranz von Laien erstreckt sich sogar auf touristisch genutzte angeeignete physische Landschaften (Korff 2008). Auch finden sich bei Laien – in unterschiedlicher Intensität – in der Regel unsystematisch, bisweilen systematisch erworbene expertenhafte Interpretationsschemata (vermittelt durch Schule, Bücher, Zeitungslektüre, Exkursionen u.a.), im Zuge der Bildungsexpansion wurde der ExpertenLaien-Gegensatz zu einem Kontinuum gewandelt.

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6. V ERSTÄNDNISSE UND PAR ADIGMEN VON L ANDSCHAF TEN Z WISCHEN E XPERTEN - UND L AIENHAF TEN K ONSTRUK TEN Die gesellschaftslandschaftlichen Normvorstellungen sind – allen Normierungsbemühungen zum Trotz – insbesondere bei Experten, aber auch bei Laien nicht gleich. Gegenwärtig lassen sich im Wesentlichen vier konkurrierende landschaftliche Paradigmen ausmachen. Drei davon beziehen sich auf die physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft in dem Bewusstsein, dass die „ästhetische Erscheinungsform der Dinge […] das gesellschaftliche Leben [beeinflusst]“ (Helbrecht 2003, 163), eines – gestützt auf die scheinbare Gewissheit, „die Krönung eines jahrhunderte-, ja jahrtausendelangen Bemühens um die gleichen Gegenstände“ (Hard 1973, 14) darzustellen – hat zum Ziel, die Deutungsgehalte der gesellschaftlichen Landschaft direkt zu verändern (Kühne 2006a und 2008a, Groth und Wilson 2003): 1. Das Paradigma der Erhaltung und Wiederherstellung von angeeigneter physischer Landschaft verfolgt das Ziel, die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft in Anlehnung an einen normativ definierten Idealzustand zu gestalten. Es handelt sich dabei um das klassische Paradigma der Erhaltung der historischen Kulturlandschaft. Die schützenswerte Landschaft dieses Paradigmas lässt sich dabei als „die konkrete Verkörperung einer ästhetischen Gegenwelt zur Natur als Forschungsgegenstand von Wissenschaft und Technik“ verstehen (Weber 2007, 22, siehe auch Groth und Wilson 2003). Dieses Paradigma ist auf die Konstrukte von „Eigenart und Vielfalt [ausgerichtet], so dass die Welt bzw. eine Entwicklung dann ‚Substanz‘ hat, wenn sie individuell ist, d.h. einmalig, nicht gleichartig mit beliebigen Alternativen“ (Körner und Eisel 2006, 54). Dieses Paradigma wird mit unterschiedlichen Schwerpunkten insbesondere von Geographen, Naturschützern und Denkmalschützern, aber auch von Stadt- und Raumplanern vertreten. 2. Das Paradigma der sukzessionistischen Entwicklung von physischer Landschaft betont den (normativ interpretierten) passiven Charakter der Strukturierung der physischen Grundlagen von angeeigneter physischer Landschaft als Nebenfolge ökologischer bzw. gesellschaftlicher Entwicklungen. Dieses Paradigma weist einen deutlichen inneren Bezug zu radikal-liberalen Vorstellungen hinsichtlich des Umgangs mit physischem Raum auf. Es wird insbesondere von einigen Natur-

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schützern (in Bezug auf den Verzicht auf „Landschaftspflege“) und Ökonomen (insbesondere in Bezug auf die Anpassung von Landschaft an ökonomische Bedürfnisse) vertreten; abgelehnt wird es insbesondere von Stadt- und Raumplanern, schließlich widerspricht es dem Anspruch, durch Planung räumliche „Ordnung“ zu stiften. 3. Das Paradigma der reflexiven Gestaltung angeeigneter physischer Landschaft ist auf das Ziel ausgerichtet, physische Landschaft bewusst insbesondere gemäß ästhetischer Erwägungen zu gestalten. Diese bewusste Gestaltung kann auch das Ziel haben, einen als historisch konstruierten Zustand (wieder)herzustellen (wie bei Disneyland). In der Regel wird dieses Paradigma durch Landschaftsarchitekten und Architekten wie auch von Stadt- und Raumplanern vertreten. 4. Das Paradigma der Umdeutung der gesellschaftlichen Landschaft ist mit dem Ziel verbunden, möglichst ohne Eingriffe in die physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft die in der gesellschaftlichen Landschaft vorhandenen Deutungs- und Bewertungsschemata mit dem Ziel eines toleranteren Umgangs mit Landschaft zu verändern. Dieses Paradigma wird insbesondere von Sozialwissenschaftlern, bisweilen auch von Planern bevorzugt. Diese Paradigmen sind als bisweilen latent, bisweilen manifest wirkende prinzipielle Leitvorstellungen zum Umgang mit Landschaft zu beschreiben. Insbesondere in Konfliktsituationen werden jedoch ihre Deutungshoheitsansprüche gegenüber alternativen Paradigmen aktualisiert. Abgesichert wird das eigene Paradigma (aber auch die Interessen des Berufsstandes) durch Verpflichtungen gegenüber der eigenen Gruppe durch Generierung insbesondere sozialen, vielfach auch kulturellen Kapitals in Form von Anerkennung, Respekt, Freundschaft, gegenseitigen Zitaten oder durch institutionelle Garantien (Bourdieu 1983, Kühne 2008a). Dabei beruht die Autoritätsbeziehung zwischen Experten (insbesondere eines Paradigmas) auf einem doppelten Anerkennungsprozess (Popitz 1992, 29): „Auf der Anerkennung der Überlegenheit anderer als den Maßsetzenden, Maßgebenden und auf dem Streben, von diesen Maßgebenden anerkannt zu werden, Zeichen der Bewährung zu erhalten.“ Für die Absicherung bestehender Hierarchien sind also Autoritätsbindungen, die auf dem Bestreben beruhen, von anderen anerkannt zu werden, also soziales Kapital zu akkumulieren, von besonderer Bedeutung (Bourdieu 1987, Sofsky und Paris 1994). Allerdings sind Anerkennungsbeziehungen dabei zugleich

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asymmetrisch und reziprok: „Wir wollen von denen, die wir besonders anerkennen, besonders anerkannt werden.“ (Popitz 1992, 115, Kühne 2008a) Gemein ist der überwiegenden Zahl der Landschaftsexperten ihre distinktive Abgrenzung gegenüber den Laien. Die Grenze – entgegen den sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen der Hybridisierung von Experten- und Laientum – wird von Expertenseite insbesondere anhand von institutionalisiertem kulturellen Kapital, nämlich dem Innehaben legitimierender Diplome, gezogen – deren Verleihung häufig mit einem „Institutionsritus“ (Bourdieu 2004, 93) vollzogen wird. Zusätzlich – zur Dokumentation ihrer Überlegenheit – beruft sich die herrschende Klasse (hier jene der „führenden“ Landschaftsexperten) „auf eine ihr eigene fachliche Kompetenz und manchmal sogar auf eine entsprechende Wissenschaftlichkeit; sie rühmt sich sogar einer eigenen ‚Begabung‘“ (Bourdieu 1977, 14), die sich in einer Zuverlässigkeit suggerierenden Terminologie äußert, die inkorporiertes kulturelles Kapital zum Ausdruck bringt (oder bringen soll). Die Eigendynamik des Selbstverständnisses von Planern wird in dem „Grundriss der Raumordnung und Raumentwicklung“ – im Jahre 2011 von der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) als ein „Grundlagenwerk“ (V) für die räumliche Planung herausgegeben – deutlich, wenn – in Rückgriff auf die Luhmann'sche Systemtheorie – festgestellt wird: „Ihre [die Raumplanung als Verwaltung; Anm. O.K.] professionelle, am ausbalancierten Gemeinwohl und an der langen Frist orientierte Rationalität wird also nicht nur durch widerständige Partialinteressen betroffener Unternehmen oder anderer Verwaltungen eingeschränkt, sondern auch durch zentrale Eigenschaften des politischen Systems und Prozesses: durch Koalitionsabsprachen, fragwürdige politische Paketbildungen, Wiederwahlinteressen lokal orientierter einzelner Politiker […].“ (ARL 2011, 18)

Auch wenn nach diesen Worten ein Hinweis folgt, dass die Führungsfunktion der Politik zu akzeptieren sei, bleiben Zweifel hinsichtlich des geäußerten Demokratieverständnisses zurück. Auch wenn dies dem Selbstverständnis des Mainstreams (und dieser wird durch ein „Grundlagenwerk“ eigens von der ARL definiert) der mit räumlicher Planung Befassten widerspricht: In einer Repräsentativdemokratie ist nicht ein „am ausbalancierten Gemeinwohl und an der langen Frist orientierte Rationalität“ ausgerichteter Planer der primäre Vertreter der Interessen des

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Souveräns (des Volkes), sondern der demokratisch legitimierte Politiker (zumindest sehen dies demokratische Verfassungen so vor). Dabei fallen viele der professionell mit Landschaft Befassten weniger unter den Typus der „herkömmlichen Intellektuellen“ (Bourdieu 1977, 15), die sich reflexiv mit gesellschaftlicher Entwicklung auseinandersetzen. Vielmehr sind sie eher unter den Typus der Experten, „als Intellektuelle für irgendwelche Dienstleistungen“, zuzuordnen, sie sind „eher Meister des Handelns als Meister der Reflexion“ (Bourdieu 1977, 15). Zum Symbol der formalisierten und distinktiv wirkenden Fachsprache der Landschaftsexperten (insbesondere der planenden) ist das Text- und Kartenwerk von Plänen geworden (interpretierbar als objektiviertes kulturelles Kapital), an dem (der Möglichkeiten neuester Informations- und Kommunikationstechnologien zum Trotz) ihrer hohen kognitiven Zugangsschwellen zum Trotz (oder gerade wegen dieser) festgehalten wird (Burckhardt 1967b). Laien bleibt hinsichtlich der „legitimen Sprache“ der Experten nur die Wahl „zwischen der ihnen fremden und aufgezwungenen „offiziösen Sprache“ und ihrer eigenen Umgangssprache“ (Bourdieu 1977, 27) oder aber der Exit-Option der Kommunikation. Die Motivation für ein Fachstudium oder eine landschaftsbezogene Ausbildung und damit des Übergangs vom Laien- in den Expertenstatus ist dabei – Schneider (1989) zufolge – durchaus unterschiedlich. Auf Grundlage qualitativer Untersuchungen bei Lehrenden und Studierenden der Landschaftsplanung identifiziert Schneider fünf Planer-Typen mit unterschiedlichen Identitätskonstrukten: 1. Der Auftraggebertyp. Er verfügt als „Macher“ über keine eigene Planungsphilosophie, denn „er übernimmt nach seinem Selbstverständnis die Ideologie des Auftraggebers“ (Schneider 1989, 123). Durch diese Außenlenkung vollziehen die Vertreter des Auftraggebertypus ihre Arbeiten mit großer technischer Perfektion und sind so anpassungsfähig in der Bewertung, dass nahezu „alle Aufträge gute Aufträge“ (Schneider 1989, 123) sind. Der weitgehende Verzicht auf die Formulierung eigener (paradigmatischer) Positionen lässt ihn zu einem problemarm handhabbaren Transformator von Macht werden. 2. Der Helfer-/Anwalt-Typus. Er benötigt ein von ihm als solches wahrgenommenes Defizit, um zu handeln (als Ergebnis seiner individuell aktualisiert-landschaftlichen Konstruktion von landschaftlichen Istund Sollzuständen). Er konzipiert sich – so Schneider (1989) – aus den

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Komponenten des Sozialarbeiters und des Experten, indem er nicht über sich, sondern über andere nachdenkt, wobei er von moralischen Ansprüchen getrieben wird. Dabei entfaltet Helfen infolge der Einhaltung internalisierter Moralitätsnormen eine spezifische Befriedigung, schließlich lässt sich Helfen als „Macht ohne Eigennutz, aber mit Selbsterhöhung“ (Paris 2005, 25) beschreiben. Dabei wird soziales Kapital gebildet, das wiederum bei Bedarf und bei geeigneten Umständen in ökonomisches Kapital getauscht werden kann bzw. in späteren Akteurskonstellationen als akkumulierte symbolische Macht eingesetzt werden kann. 3. Der Lebensgeschichtler-Typus. Seine Handlungsmotivation besteht – Schneider (1989) zufolge – in dem Willen, sich durch seine Arbeit seine Identifikation mit Menschen und Orten zu erklären und sich selbst im Gesellschaftlichen zu verstehen (Innenlenkung). Zentrales Element seiner Weltkonstruktion ist die eigene Erfahrung, auf Basis derer er – bisweilen doktrinär – Planung betreibt und damit bemüht ist, Daten setzende Macht zu akkumulieren und anzuwenden. 4. Der Entdecker-/Erfinder-Typus. Er ist insbesondere durch den Willen nach Anerkennung getrieben, „indem er Neues produziert“ und die „entdeckte Welt zur Kolonie (des Entdeckers)“ (Schneider 1989, 123) wird. Die Entdeckung des Neuen impliziert die Desavouierung des Vorhandenen: Es werden immer neue Stile und Zugänge erfunden, um zu Ruhm und Ehren zu gelangen, Bekanntes wird bestenfalls als veraltet verworfen und ästhetisch häufig als „Kitsch“ abgewertet (Gelfert 2000, Kühne und Franke 2010). Er ist im Feld der Landschaftsexperten am deutlichsten als Vertreter des „legitimen Geschmacks“ zu verstehen, womit auf die Konstellation der autoritativen Macht zurückgegriffen wird. 5. Der Handwerker-Typus. Er „verfolgt mit dem Handwerk ein eigenes Autonomiebestreben“ (Schneider 1989, 124), dabei ist er stark auf die Objektebene bezogen. Seine Handlungsschemata basieren auf Traditionen und bewährten Vorbildern, was ihn tendenziell zum Vertreter des „mittleren Geschmacks“ macht, der nach gesichertem Wissen strebt. Diesen Expertentypen gemeinsam ist, dass Natur und Landschaft für sie Mittel zum Zweck ihres Selbstverständnisses als Künstler, Wissenschaftler bzw. Schützer sind. Dabei streben sie für „ihre Taten [nach] Anerkennung, Selbstbestätigung“ (Schneider 1989, 128), eine Motivation, die im strengen

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Widerspruch steht „zur propagierten emotionalen Neutralität des Wissenschaftlers, die er Objektivität nennt, zu der des Künstlers, der seinem Begehren den Namen ‚göttliche Eingebung‘ gegeben hat und zu der des Schützers, der vom Schutzgegenstand ‚an sich‘ spricht“ (Schneider 1989, 128). Diese Interessen von Experten (in toto) oder den Vertretern der einzelnen Paradigmen (gegen Vertreter anderer Paradigmen), werden – wie die Interessen anderer Akteure (wie Landwirten, Forstwirten, Inverstoren) auch – mithilfe von Offizialisierungsstrategien durchgesetzt. Das Ziel von Offizialisierungsstrategien besteht darin, „,egoistische‘, private, individuelle Beweggründe und Interessen […] in uneigennützige, kollektive, öffentlich vertretbare, kurzum legitime Beweggründe und Interessen zu verwandeln“ (Bourdieu 1976, 90). Das individuelle Interesse, das erworbene inkorporierte und institutionalisierte Kapital in ökonomisches Kapital zu überführen, wird dadurch offizialisiert, dass das eigene Paradigma als „Gemeininteresse“ formuliert und auf seine Anwendung gedrungen wird (Kühne 2008a). Infolge der starken Selektivität der expertenhaften Landschaftssozialisation werden nicht über die jeweilige fachspezifische Landschaftsdeutung hinausgehende landschaftliche Bezüge gemäß laienhafter Interpretationsschemata behandelt, so z.B. Schönheit von Landschaft durch Biologen oder Agrarwissenschaftler. Dabei werden unterschiedliche Strategien gewählt, mit laienhaften Versatzstücken im eigenen Landschaftsbewusstsein zu verfahren (Kühne 2006a, 2012): Ň Elemente eines primärsozialisierten Landschaftsbegriffs werden ausgeblendet bzw. sie werden als unwesentlich beschrieben, d.h. auf Grundlage von Expertenmacht entwertet. Diese Strategie dient der Erhaltung eines (modernistisch) gedachten einheitlichen Landschaftsbegriffs und geht häufig mit einem positivistischen Landschaftsverständnis einher. Ň Infolge der scheinbaren Widersprüchlichkeit der eigenen Landschaftsbegriffe wird Bedrückung geäußert. Diese Haltung äußert sich insbesondere bei Experten, die ein positivistisches oder essentialistisches Landschaftsverständnis vertreten. Es ist Ausdruck einer selbst problematisierten Unfähigkeit, Landschaft als Ganzheit widerspruchsfrei verstehen zu können, also der modernen Norm nicht entsprechen zu können, ein widerspruchsfreies Konstrukt von Landschaft zu vertreten. Ň Die Schönheit von Landschaft wird mit ökosystemischen Charakteristika gleichgesetzt (im Sinne: schöne Landschaft = intaktes Ökosystem), wodurch an dem eigenen Anspruch an ein normativ einheitliches und

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widerspruchsfreies Konstrukt Landschaft festgehalten wird, ein Ansatz, der von Experten mit positivistischem oder essentialistischem Landschaftsverständnis verfolgt wird. Ň Die Polyvalenz eigener Landschaftsbegriffe wird akzeptiert, eine Haltung, die insbesondere bei Experten mit einem gemäßigt-konstruktivistischen Landschaftsverständnis auftritt, hier wird auf eine Über- und Unterordnung von Laien- und Expertenvorstellungen von Landschaft verzichtet. Ň Die Bemühung um Synthese von primär- und sekundärsozialisiertem Landschaftsbewusstsein wird insbesondere von Experten vorgenommen, deren Landschaftsbegriff durch die unterschiedlichen Spielarten des Konstruktivismus geprägt ist.

7. D IE MANGELNDE A K ZEP TANZ VON G ROSSPROJEK TEN VOR DEM H INTERGRUND HEIMATLICHER B INDUNGEN UND STEREOT YPER L ANDSCHAF TSVORSTELLUNGEN In einer sich differenzierenden und fragmentierenden Gesellschaft verläuft die hierarchische Transformation – trotz der Inkorporierung der prinzipiellen Akzeptanz hierarchischer Strukturen insbesondere durch das Bildungssystem – nicht ohne Brüche und Verwerfungen: Milieuspezifische Normen- und Wertsysteme überlagern sich mit gesamtgesellschaftlichen und stehen bisweilen in eklatantem Widerspruch zu ihnen. Eine landschaftsbezogene Ausprägung des Kampfes um Macht stellen Großprojekte dar. Vor dem Hintergrund dieses Bedeutungsgewinns von Landschaft als heimatliche Normallandschaft wie auch als stereotype Landschaft lassen sich die sozialen Widerstände gegen großflächige Photovoltaikanlagen, Autobahnneubau, Neu- und Ausbau von Bahntrassen und Bahnhöfen (z.B. Stuttgart21), Kohlegroßkraftwerke, Windkraftanlagen, den Ausbau des 380kV-Netzes u.a. als ein Ringen um Deutungshoheit bei gleichzeitiger Sorge um die generationengerechte Verteilung von Lebenschancen lesen. Die (expertenmachtvolle) Durchsetzung von Großprojekten ist ein Beispiel der Veränderung der physischen Grundlagen der angeeigneten physischen Landschaft als Nebenfolge insbesondere ökonomischer und ökologischer Entwicklungen. Als bedeutsam wahrgenommene Revisionen der physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft widersprechen der Vertrautheitserwartung und des Vertrautheitsanspruchs an

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heimatliche Normallandschaft. Der Widerstand gegen Großprojekte im physischen Raum lässt sich aus Sicht der sozialkonstruktivistischen Landschaftstheorie in unterschiedlicher Weise deuten: Ň Sie lässt sich als lebensweltlicher Widerstand gegen symbolisch aufgeladene Großprojekte als Repräsentanten des Systemischen (insbesondere der Globalisierung) verstehen (Habermas 1985). So unterscheidet Giddens (1992) zwischen System- und Sozialintegration, und betont, dass in vormodernen und Klassengesellschaften für eine Sozialintegration face-to-face-Kommunikation und Kopräsenz notwendig seien, die in einer globalisierten Informationsgesellschaft nicht mehr konstitutiv nötig seien. Ň Großprojekte symbolisieren – vielfach im Rekurs auf die Ästhetik mathematischer Erhabenheit – einen (scheinbaren) Machtanspruch, der in der Zeit eher flexibler und kleiner Lösungen als anachronistisch gedeutet wird. Ň Damit wird eine besondere Bedeutung von Heimat, symbolisch repräsentiert in den physischen Grundlagen der heimatlichen Normallandschaft, deutlich: Sie ist zeitlich in der Regel rückwärtsgewandt und wird zumeist mit Gegenwartskritik verbunden. Großprojekte symbolisieren die Auflösung des lokalen Besonderen in einem globalen Allgemeinen. Ň Gesellschaftlich ist (mittlerweile selbst in Schulbüchern als Manifeste sozial akzeptierten verbindlichen Wissens) eine skeptische Einstellung gegen fordistische und landschaftlich als relevant wahrgenommene Großprojekte (aus der ökonomischen und ingenieurstechnischen Rationalität von Skalenvorteilen geboren) verankert. Ň Aus dieser allgemeinen Kritik an fordistischen Raumstrukturen heraus entsteht die Beurteilung, Gewinne von Großprojekten flössen Unternehmen zu, Verluste hingegen (auch stereotyp-ästhetische und heimatlich-symbolische) würden der Allgemeinheit auferlegt. Diese Krise der Akzeptanz fordistischer Großprojekte lässt sich – infolge der in postindustriellen Gesellschaften in großen Teilen der Bevölkerung inkorporierten (Bourdieu 1985) Skepsis gegen technische Großlösungen – auch nur schwerlich durch Kommunikation der Rationalität der Projekte überwinden, da die Ebenen der Kommunikation nur unzureichend gegenseitig anschlussfähig sind: auf der einen Seite systemisch-rational, auf der anderen Seite lebensweltlich-heimatlich-ästhetisch. Ein prominentes Bei-

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spiel dieser gescheiterten Kommunikation versehen mit partizipativen Elementen liefert das Kalifornien der beginnenden 2000er-Jahre: Hier wurde mit Volksentscheiden (die in Kalifornien eine starke Bedeutung haben) der Bau von technischen Großanlagen (darunter auch Großkraftwerken) verhindert, sodass infolge der expansiven Siedlungspolitik eine Energieversorgungskrise entstand (Bierling 2006).

8. F A ZIT Die Elemente des physischen Raumes lassen sich im Wesentlichen als die physisch-räumlich manifestierten Folgen und Nebenfolgen gesellschaftlichen, machtvermittelten Handelns beschreiben. Angeeignete physische Landschaft entsteht demnach durch das Diktat des als ökonomisch geboten Definierten, modifiziert durch sozialgemeinschaftlich durchgesetzte (vielfach ästhetische) Normen und Werte, in den Grenzen politischadministrativer Durchsetzungsmacht, manifestiert im rechtlich Gestatteten und Verbotenen unter der ästhetisierenden Konstruktion des Bewusstseins auf Basis gesellschaftlicher Normensysteme. Die physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft lassen sich als Indikator für die Machtverteilungen in ihren lokalen, regionalen, nationalen und globalen Einflüssen verstehen. Damit wird deutlich, dass Landschaft auf sämtlichen Ebenen als machtbezogen, häufig machtdeterminiert aufgefasst werden kann; schließlich wohnt allen gesellschaftlichen Beziehungen auch Macht inne (Popitz 1992). Dabei wirken die unterschiedlichen Typen von Macht (Popitz 1992) sehr differenziert: Die Aktionsmacht wirkt gegenwärtig insbesondere potenziell und seltener aktualisiert, insbesondere durch das Gewaltmonopol des Staates, im Zweifel das eigene Recht mit physischer Gewalt durchsetzen zu können (z.B. gegen Hausbesetzer). Die instrumentelle Macht zeigt sich in dem Befolgen von raumbezogenen Normen, Werten und Rollenerwartungen (im Zuge der raum- und landschaftsbezogenen Sozialisation), einerlei ob rechtlich codiert und durch Rechtsvollzug implementiert (Martin und Scherr 2009) oder durch Tradition eingelebt. Die autoritative Macht manifestiert sich beispielsweise in der unhinterfragten Anerkennung bestimmter paradigmatischer Deutungen. Die Daten setzende Macht äußert sich insbesondere in allen technischen Raummodifikationen: Gebäuden, Verkehrswegen, landwirtschaftlichen Flächen u.a. Sie manifestiert phy-

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sisch eine Vernichtung von Kontingenz: Wo eine Autobahn errichtet ist, lässt sich (gegenwärtig) nur unter Einsatz großer Mengen symbolischen Kapitals ein Wohngebiet errichten, entweder indem die Autobahn rückgebaut, verlegt oder als Tunnel geführt wird (Bourdieu 1997, 2001), technische Infrastruktur wirkt performativ, indem sie „den Fluss der Tätigkeiten hochwirksam kanalisiert, auf eine spezifische Weise formiert und in eine spezifische Richtung lenkt“ (Alkemeyer und Rieder-Ladrich 2008, 118). Die Felder landschaftlicher Macht sind von Asymmetrien geprägt, die in der Ungleichverteilung symbolischen Kapitals begründet sind. Insbesondere planende Landschaftsexperten verfügen gegenüber Laien über eine hohe Ausstattung symbolischen Kapitals (in Bezug auf Raum/Landschaft). Diese Kapitalbestände werden in besonderer Weise durch institutionalisiertes Kapital distinktiv gegen (sich autodidaktisch mit Landschaft auseinandersetzende) Laien abgegrenzt (obwohl infolge der Bildungsexpansion die Differenz des inkorporierten kulturellen Kapitals keine wesentlichen Differenzen aufweisen muss). Hierbei wirkt ein herrschaftlicher Mechanismus der Zuschreibung und Klassifikation in dichotome Muster wie Hochkultur/Popularkultur, aber auch Experte/Laie, „die immer vom Standpunkt der Herrschenden aus erfolgen und ihrer Legitimation dienen“ (Schultheis 2008, 30). Dabei werden im Ringen um die Anerkennung durch Fachkollegen vielfach durch Rückgriff auf Offizialisierungsstrategien paradigmatische Prinzipien unabhängig von den Bedürfnissen von Nicht-Experten durchgesetzt (Franke und Kümmerle 2005). Dieses Vorgehen widerspricht den Prinzipien der Chancengerechtigkeit, weil es zugunsten individueller und sozialfeldspezifischer Vorteile die Lebenschancen anderer einschränkt (z.B. durch den Einsatz finanzieller Mittel und entsprechenden Opportunitätskosten), aber auch das Verdienstprinzip häufig außer Acht lässt, da nicht zwangsläufig Personen mit geeigneter Qualifikation (dokumentiert im kulturellen Kapital) an machtvolle Positionen gelangen, sondern solche, die durch einen hohen Bestand an (relevantem) sozialem Kapital gekennzeichnet sind (also über Beziehungen verfügen). Trotz der Bemühungen des Staates durch das Bildungssystem, einen einheitlichen Werte- und Normenkodex (auch in Bezug auf Landschaft) gesellschaftlich (also in diesem Kontext gesellschaftslandschaftlich) zu erzeugen, führen die Fragmentierung, die Individualisierung, die Flexibilisierung, aber auch die zunehmende Migration zu einer kulturellen, sozialen und milieuspezifischen Differenzierung gesellschaftlicher Norm-Vorstel-

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lungen in Bezug auf Landschaft. Die Entstandardisierung von Biographien bringt auch eine Auflösung des Gegensatzes zwischen (Landschafts-) Experten mit einem hohen Bestand an inkorporiertem und institutionalisiertem kulturellem Kapitel und (Landschafts-)Laien mit einem geringen Bestand an diesen Subkapitalien mit sich, so können Laien ebenfalls über einen hohen Bestand an inkorporiertem kulturellem Kapital verfügen (das dann vielfach aufgrund mangelnder Institutionalisierung einer Abwertung unterzogen wird). Diese Entwicklungen erzeugen neue Unsicherheiten und Unwägbarkeiten hinsichtlich der diskursiven gesellschaftlichen Konstruktion von Landschaft und der Akzeptanz von Veränderungen der physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft – in Differenzierung nach kultureller, sozialer und milieuspezifischer gesellschaftlicher Konstruktion.

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Weber, M. 1976 – zuerst 1922. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr. Weber, M. 1982. Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr. Welsch, W. 2006. Ästhetisches Denken. Stuttgart: Reclam. Wöbse, H. H. 1999. „Kulturlandschaft“ und „historische Kulturlandschaft“. Informationen zur Raumentwicklung 5: 269-278.

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Autoren und Herausgeber

Ludwig Fischer ist emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur und Medienkultur an der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Sozialgeschichte der deutschen Literatur, besonders der Nachkriegszeit; Massen- und Unterhaltungsliteratur; Film und Fernsehen, vor allem dokumentarischer Film; Kulturtheorie und Kulturgeschichte, insbesondere Theorie und Geschichte des Naturverhältnisses und seiner medialen Vermittlungen. Außerdem Beschäftigung mit Regionalgeschichte und Entwicklung der ländlichen Räume. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Literatur, zur Kultur- und Mediengeschichte, zu Naturtheorie und Landschaftsästhetik, zur Wahrnehmungsgeschichte und zum Naturschutz, u.a.: Projektionsfläche Natur. Zum Zusammenhang von Naturbildern und gesellschaftlichen Verhältnissen, Hamburg: Hamburg University Press 2004 (Hg.); Küstenmentalität und Klimawandel, München: oekom 2010 (Hg. mit Karsten Reise). Ludger Gailing arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner. Forschungsschwerpunkte: Institutionelle Aspekte und Governance der Raumentwicklung (u.a. regionale Kulturlandschaftspolitik und Energiewenden), soziale Konstruktionen von Räumen und Landschaften, räumliche Gemeinschaftsgutforschung. Er ist seit 2011 einer der beiden Sprecher des Arbeitskreises Landschaftsforschung, eines Netzwerks deutschsprachiger Landschaftsforscher. Wichtige Buchpublikation: Kulturlandschaft als Handlungsraum. Institutionen und Governance im Umgang mit dem regionalen Gemeinschaftsgut Kulturlandschaft, Dortmund: Rohn 2008 (Hg. mit Dietrich Fürst u.a.).

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Stefan Heiland ist Professor am Fachgebiet Landschaftsplanung und Landschaftsentwicklung der TU Berlin. Forschungs- und Interessenschwerpunkte: ‚Driving Forces‘ der Landschaftsentwicklung (im phyischen Verständnis), Landschaft als soziale Konstruktion, Konsequenzen des Klimawandels für räumliche Planung und Naturschutz, Gesundheitsfragen im Naturschutz, Fortentwicklung der Landschaftsplanung, Anwendung und Übertragbarkeit von Instrumenten und Methoden der (deutschen) Landschaftsplanung in andere Staaten (z.B. der ehemaligen GUS). Er ist u.a. Mitglied des Naturschutzbeirates des Landes Brandenburg und war von 2009-2012 Sprecher des Komitees zur Evaluierung der deutschen Nationalparke. Heiderose Kilper ist Direktorin des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner. Forschungsschwerpunkte: Governance und Raum; Kulturlandschaftsforschung; Regieren im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland. Wichtige Publikationen: Governance und die soziale Konstruktion von Räumen. Eine Einführung. In: H. Kilper (Hg.), Governance und Raum. Baden-Baden: Nomos, 2010; Government und Governance. In: D. Henckel u.a. (Hg.), Planen – Bauen – Umwelt. Ein Handbuch. Wiesbaden: Springer VS, 2010. Olaf Kühne ist Stiftungsprofessor für „Nachhaltige Entwicklung“ der Europäischen Akademie Otzenhausen gGmbH an der Universität des Saarlandes. Forschungsschwerpunkte: Landschaft und Nachhaltigkeit, soziale Konstruktion von Landschaften. Jüngste Buchpublikationen: Landschaftstheorie und Landschaftspraxis. Eine Einführung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive. Wiesbaden: Springer VS, 2012; Stadt – Landschaft – Hybridität. Ästhetische Bezüge im postmodernen Los Angeles mit seinen modernen Persistenzen. Wiesbaden: Springer VS, 2012. Markus Leibenath ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Dresden. Forschungsschwerpunkte: Soziale Konstruktion und Governance von Landschaften im Zuge der Energiewende, netzwerkartige Kooperation im Naturschutz, grenzüberschreitende und europäische Raumentwicklung, Diskursanalyse. Seit 2011 ist er einer der beiden Sprecher des Arbeitskreises Landschaftsforschung, eines Netzwerks deutschsprachiger Landschaftsforscher. Jüngste Buchpublikation: Suburbane Räume als Kulturlandschaften, Hannover: ARL 2012 (Hg. mit Winfried Schenk u.a.).

A UTOREN UND H ERAUSGEBER

Monika Micheel ist Geographin mit Schwerpunkten auf den Gebieten der Stadt- und Regionalentwicklung, der Imageforschung und der Förderung von Kultur und Tourismus. Sie hat sich in verschiedenen Projekten am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig mit der Wahrnehmung und subjektiven Konstruktion von Städten und Regionen, der sozialen Konstruktion von Raum und qualitativen Methoden der Sozialforschung beschäftigt. Tanja Mölders ist Leiterin der vom BMBF geförderten Forschungsnachwuchsgruppe „PoNa – Politiken der Naturgestaltung. Ländliche Entwicklung und Agro-Gentechnik zwischen Kritik und Vision“ an der Leuphana Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte: Mensch-Natur-Beziehungen, Geschlechterverhältnisse und Nachhaltigkeit, nachhaltige Raumentwicklung. Sie ist u.a. Mitglied des Netzwerks Vorsorgendes Wirtschaften, das nach theoretischen und praktischen Wegen zu nachhaltigen Ökonomien fragt. Jüngste Buchpublikation: Geschlechterverhältnisse und Nachhaltigkeit. Die Kategorie Geschlecht in den Nachhaltigkeitswissenschaften. Opladen, Farmington Hills: Barbara Budrich 2012 (Hg. mit Sabine Hofmeister und Christine Katz). Antje Otto war nach einem Studium der Soziologie und Anthropogeographie von 2010 bis 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden tätig, wo sie sich mit der diskursiven Konstituierung von Landschaft im Kontext der Energiewende beschäftigt hat. Seit September 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam im Bereich Geographie und Naturrisikenforschung. Sabine Tzschaschel hat sich als Leiterin der Abteilung „Deutsche Landeskunde“ am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig auf verschiedenen Analyseebenen mit Landschaften befasst. Als Resultate ihrer Forschungen sind u.a. der 12-bändige „Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland“ sowie die Reihe „Landschaften in Deutschland“ entstanden. Weitere Forschungsschwerpunkte: Wahrnehmungsgeographie, konstruktivistische Ansätze in der Geographie. Seit 2011 befindet sie sich im Ruhestand.

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Wera Wojtkiewicz hat Geographie an der Universität Leipzig studiert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Landschaftsplanung und Landschaftsentwicklung der TU Berlin hat sie sich mit der Konstituierung von Kulturlandschaften im Kontext der Landschaftsplanung beschäftigt. Darüber hinaus hat sie internationale Projekte im Südkaukasus und in Russland bearbeitet und wissenschaftliche Veranstaltungen organisiert.

Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien Juni 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5

Sandro Gaycken (Hg.) Jenseits von 1984 Datenschutz und Überwachung in der fortgeschrittenen Informationsgesellschaft. Eine Versachlichung Januar 2013, 168 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2003-0

Sven Grampp, Jens Ruchatz Die Fernsehserie Eine medienwissenschaftliche Einführung Juni 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-8376-1755-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Kai-Uwe Hemken Exposition/Disposition Eine Grundlegung zur Theorie und Ästhetik der Kunstausstellung September 2013, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2095-5

Annette Jael Lehmann, Philip Ursprung (Hg.) Bild und Raum Klassische Texte zu Spatial Turn und Visual Culture Juni 2013, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1431-2

Ramón Reichert Die Macht der Vielen Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung Juni 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2127-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Michael Andreas, Natascha Frankenberg (Hg.) Im Netz der Eindeutigkeiten Unbestimmte Figuren und die Irritation von Identität Juli 2013, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2196-9

Vittoria Borsò (Hg.) Wissen und Leben – Wissen für das Leben Herausforderungen einer affirmativen Biopolitik April 2013, ca. 260 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2160-0

Frédéric Döhl, Renate Wöhrer (Hg.) Zitieren, appropriieren, sampeln Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten Dezember 2013, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2330-7

Özkan Ezli, Andreas Langenohl, Valentin Rauer, Claudia Marion Voigtmann (Hg.) Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität Grenzziehungen in Theorie, Kunst und Gesellschaft Mai 2013, ca. 260 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1888-4

Urs Hangartner, Felix Keller, Dorothea Oechslin (Hg.) Wissen durch Bilder Sachcomics als Medien von Bildung und Information

Marcus S. Kleiner, Holger Schulze (Hg.) SABOTAGE! Pop als dysfunktionale Internationale Mai 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2210-2

Gudrun M. König, Gabriele Mentges, Michael R. Müller (Hg.) Die Wissenschaften der Mode Mai 2013, ca. 190 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-8376-2200-3

Christopher F. Laferl, Anja Tippner (Hg.) Künstlerinszenierungen Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert April 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2215-7

Bastian Lange, Hans-Joachim Bürkner, Elke Schüssler (Hg.) Akustisches Kapital Wertschöpfung in der Musikwirtschaft Mai 2013, ca. 230 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2256-0

Claudia Mareis, Matthias Held, Gesche Joost (Hg.) Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und Geschichte des partizipatorischen Designs Mai 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2038-2

Mai 2013, ca. 260 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1983-6

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Birgit Wagner, Christina Lutter, Helmut Lethen (Hg.)

Übersetzungen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2012

2012, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2178-3 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 12 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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